Hofmannsthal Jahrbuch · Zur Europäischen Moderne 11 / 2003
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Hofmannsthal Jahrbuch · Zur europäischen Moderne 11 / 2003 HOf MANNSTHAL JAHRBUCH · ZUR EUROPÄISCHEN MODERNE 11/ 2003 Im Auftrag der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft herausgegeben von Gerhard Neumann · Ursula Renner Günter Schnitzler · Gotthart Wunberg Rombach Verlag Freiburg © 2003, Rombach Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG, Freiburg im Breisgau 1. Auflage. Alle Rechte vorbehalten Typographie: Friedrich Pfäffl in, Marbach Herstellung: Stiehler Druck & media GmbH, Denzlingen Printed in Germany ISBN 3– 7930–9355–7 Inhalt Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Kassner Briefe und Dokumente samt ausgewählten Briefen Kassners an Gerty und Christiane von Hofmannsthal Mitgeteilt und kommentiert von Klaus E. Bohnenkamp Teil I 1901–1910 7 Friederike Mayröcker Brief an Lord Chandos 137 Peter Waterhouse Das Klangtal 139 Elfriede Czurda Der unversehrte – der versehrte Körper der Sprache 155 Richard Obermayr Sehr geehrte Freunde des Varietés, sehr geehrte Artisten und Claqueure 161 Heinrich Bosse Die Erlebnisse des Lord Chandos 171 Sabine Schneider Das Leuchten der Bilder in der Sprache Hofmannsthals medienbewußte Poetik der Evidenz 209 Konstanze Fliedl Unmögliche Pädagogik. Chandos als Vater 249 Aleida Assmann Hofmannsthals Chandos-Brief und die Hieroglyphen der Moderne 267 David E. Wellbery Die Opfer-Vorstellung als Quelle der Faszination Anmerkungen zum Chandos-Brief und zur frühen Poetik Hofmannsthals 281 Hans-Jürgen Schings Lyrik des Hauchs Zu Hofmannsthals »Gespräch über Gedichte« 311 Heinz Rölleke Die durchschnittene Laute Zu einem Motiv in Hofmannsthals »Ur-Jedermann« 341 Thorsten Valk »Und heilt er nicht, so tötet ihn!« Subjektzerfall und Dichtertheologie in Kafkas Erzählung »Ein Landarzt« 351 Hofmannsthal-Bibliographie 1. 9. 2002 bis 31. 8. 2003 Zusammengestellt von G. Bärbel Schmid 375 Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft e. V. Mitteilungen 397 Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 409 Anschriften der Mitarbeiter 417 Register 419 Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Kassner Briefe und Dokumente samt ausgewählten Briefen Kassners an Gerty und Christiane von Hofmannsthal Mitgeteilt und kommentiert von Klaus E. Bohnenkamp Teil I 1901–1910 Ich bin Hofmannsthal das erstemal Anfang 19021 begegnet. In seinem Ro dauner Haus, wohin mich Hermann von Keyserling brachte.2 Jahre also, nachdem ich schon der Bezauberung durch seine Gedichte und einige Aufsätze unterlegen war. Ich sage Gedichte, denn auch seine kleinen Dramen nahm ich für solche. Seinen Aufsätzen hatte ich unter anderem den ersten Hinweis auf englische Dichter wie A. C. Swinburne und den Ästheten und Essayisten Walter Pater verdankt,3 auch auf an- * Diese Dokumentation bietet die Quellentexte ohne Anführungszeichen in Normal- schrift, die Kommentierung des Herausgebers in kleinerer Type. 1 Diese irrige Datierung – statt richtig: Dezember 1901 – fi ndet sich in allen Aufsätzen Kassners über Hofmannsthal. 2 Vgl. Rudolf Kassner, Erinnerung an Hugo von Hofmannsthal; zuerst in: Frankfurter Zeitung, 20. Oktober 1929, aufgenommen in: »Das physiognomische Weltbild« (1930); jetzt in: Rudolf Kassner, Sämtliche Werke. Hg. von Ernst Zinn und Klaus E. Bohnenkamp. Pfullingen 1969 –1991 (künftig zitiert als: KW mit Band- und Seitenzahl), IV, S. 525. Graf Hermann Keyserling, Reise durch die Zeit. I. Innsbruck 1948, S. 179: »Zusammen verkehr- ten wir in Rodaun bei Hugo von Hofmannsthal, welchem ich übrigens Kassner zuführte.« Kassner hatte den 1880 in Könno (Livland) geborenen Geologen und späteren Gründer der »Schule der Weisheit« 1901 im Wiener Hause Houston Stewart Chamberlains kennen gelernt und wird mit ihm »zwei Jahre lang schier jeden Nachmittag« verbringen (vgl. Keyserling, Menschen als Sinnbilder. Darmstadt 1926, S. 33 f.). Beide Männer werden »von 1901 ab, bis auf die Zeit von 1907 bis 1923, da < sie > offen verfeindet« sind, lebenslang »unmittelbar oder mittelbar« »in lebendiger Beziehung« zueinander stehen, und Keyserling wird in »rückblik- kender Zusammenschau« bekennen, Kassner habe, obwohl ihm »eigentlich von jeher fremd«, eine der wichtigsten Rollen in seiner geistigen Entwicklung gespielt (Keyserling, Reise durch die Zeit. I. Innsbruck 1948, S. 157 f.). Vgl. auch KW IV, S. 295 – 299, 677 f. 3 Vgl. Hofmannsthals Essays »Algernon Charles Swinburne« (1892), »Walter Pater« (1894) sowie »Über moderne englische Malerei« (1894) und »Englischer Stil« (1896); jetzt in: GW RA I, S. 143 –148, 194 –187, 546 – 552, 565 – 572. Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Kassner 7 dere, von denen später mein erstes Buch gehandelt hat, das im übrigen auch die Brücke war, die mich, da mir jede andere Verbindung mit ihm gefehlt hat, zu Hofmannsthal hinüberführen sollte.4 Mit diesen Worten gedenkt Kassner nach mehr als einem Menschen alter, im Jahre 1946, der Anfänge dieser Freundschaft und der Rolle, die sein Erstlings- werk dabei gespielt hat. In der Tat beruft er sich in dem zu Beginn des neuen Jahrhunderts erschienen Band »Die Mystik, die Künstler und das Leben«, für jeden Kundigen deutlich, in der allgemeinen geistigen Haltung vielfach auf Hofmannsthal und zitiert, offen oder verdeckt, an mehreren Stellen dessen Werk. Zu Beginn des grundlegenden Einleitungsessays »Der Dichter und der Platoniker. Aus einer Rede über den Kritiker« führt er im Rahmen seiner Shelley-Deutung eine Prägung Hofmannsthals aus dem Gedicht »Gesellschaft« an, ohne freilich den Autor zu nennen: Shelley ist nur Dichter und am besten wird ihn der Platoniker verstehen. Die Worte des Dichters kommen vom Ideal her, sie fallen uns zu, sie strahlen nieder, die Worte des Platonikers nahen sich dem Ideal, sie streben aufwärts und entfernen sich uns langsam. Sie tragen anfangs noch »die Schwere vieler Erden«5 an sich und verlieren immer ein wenig davon auf der steigenden Bahn nach dem, das zu nennen sie anfangs so scheu sind.6 Ebenfalls anonym zitiert er anläßlich einer Briefstelle von John Keats zwei Zeilen aus Hofmannsthals »Die Frau im Fenster«: 4 Rudolf Kassner, »Hofmannsthal und Rilke. Erinnerung«: KW X, S. 307– 321; der Hof- mannsthal geltende Teil des im Sommer 1946 im Hause Carl J. Burckhardts in Frontenex bei Genf verfaßten Aufsatzes über die »beiden großen österreichischen Dichter« erschien in der Zürcher Monatsschrift »DU«. 7. Jg., Heft 2. Februar 1947, S. 23 – 25. Eine ausführliche Zusammenstellung von Kassners Aufsätzen und verstreuten Äußerungen über Hofmanns- thal fi ndet sich am Schluß des Beitrags (Teil II erscheint im HJb 12, 2004). 5 Hugo von Hofmannsthal, »Gesellschaft«, zweite Strophe, die ein Fremder spricht: »Le- ben gibt es nah und fern, / Was ich zeige, seht ihr gern – / Nicht die Schwere vieler Erden, / Nur die spielenden Gebärden.« Das im Januar 1896 vollendete Gedicht zuerst in Stefan Geor- ges »Blättern für die Kunst«, Dritte Folge. Zweiter Band, März 1896, S. 42 – 43, hier oder in dem folgenden Druck der »Wiener Allgemeinen Zeitung«. Osterbeilage 1898, Blatt 4 – kaum in den »Socialistischen Monatsheften«, Berlin. 2. Jg., No 6. Juni 1898, S. 274 – dürfte Kass- ner das Gedicht kennen gelernt haben; jetzt in: SW I Gedichte 1, S. 56; Kommentar ebd., S. 269 – 271. 6 KW I, S. 17. 8 Klaus E. Bohnenkamp […] er < Keats > fühlt sich selbst wie ein Gedicht, wie die Nymphe möchte er sein und die Blume, von der er singt. Er stilisiert sich selbst. Mir ist, als wär’ ich doppelt, könnte selber Mir zusehen, wissend, dass ich’s selber bin …7 Auch im Kapitel über »William Morris und Edvard Burne-Jones. Die Bürde des Spiegels« wird er »Die Frau im Fenster« aufrufen, dabei zum einzigen Mal innerhalb seines Buches Hofmannsthals Namen anführend. In Zusammenhang mit dem »grosse < n > Elisabethaner John Ford« heißt es dort: […] John Ford hat etwas an sich, woran er sich für den, der ihn genau liest, von seinen Zeitgenossen unterscheidet. Die Menschen in seinen Dramen – »’ Tis a pity she is a whore«, »A Broken Heart« etc. – spielen sich selbst, sie spielen mit sich Tragödie, sie gleichen alle ein wenig der Dianora in »Die Frau am Fenster«, dem kleinen Meisterwerke von Hugo von Hofmanns thal. Der Dichter ist hier wirklich nur der Regisseur ihrer Schicksale, hängt gleichsam nur seine Lampe vor die Scene, zieht den Vorhang auf, »et hic omnes cantabunt«.8 Anfang Februar 1900 reist Kassner nach Paris und schickt von dort das genannte Erstlingswerk »aus meinem völligen Alleinsein heraus […] von mir geehrten und geschätzten Geistern« zu.9 Ob auch Hofmannsthal zu den Empfängern gehört, ist nicht mit Gewißheit zu bestimmen, jedoch nicht unwahrscheinlich angesichts der oben zitierten späten Erinnerung. Bestätigend mag der Hinweis, den H< erbert > St< einer > 1955 der schmalen Auswahl Hofmannsthalscher »Briefe an Freunde« vorangestellt hat, zu werten sein, »der noch unbekannte Verfasser« Kassner habe sein Buch »an Swinburne (der nicht deutsch konnte), an George, Hofmannsthal und H. St. Chamberlain geschickt«. Diese Aussage stützt sich zweifellos auf persönliche Mitteilungen Kassners, die einiges Ver- 7 KW I, S. 114. – Hugo von Hofmannsthal, Die Frau im Fenster, zuerst in: Pan. 4. Jg., Heft II (15. November 1898), S. 79 – 87; Zitat S. 83; in der Buchausgabe: Theater in Versen. Berlin: S. Fischer 1899, S. 5 – 36, Zitat S. 24; jetzt in SW III Dramen 1, S. 93 –114, Zitat S. 105, Z. 33 f.; stets mit der synkopierten Form »zusehn« statt »zusehen«. Das Zitat wurde nicht immer als von Hofmannsthal stammend erkannt, so hielt beispielsweise Gerhart Baumann (Rudolf Kassner – Hugo vom Hofmannsthal. Kreuzwege des Geistes. Stuttgart 1964, S. 36) die Zeilen für »Keats-Verse«. 8 KW I, S. 239 f. Das lateinische Zitat gibt die szenische Anweisung in Swinburnes »The Masque