Berliner Wissenschaftseinrichtungen in Der NS-Zeit
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Bildung für Berlin Berliner Wissenschaftseinrichtungen in der NS-Zeit Wissenschaft Vorwort Prof. Dr. Michael Grüttner und Sven Kinas hatten nicht an der Anhörung im Berliner Abgeordne- tenhaus teilgenommen, dennoch dankenswerter Sehr geehrte Damen Weise ihren aktuellen Beitrag „Die Vertreibung von und Herren, Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933—1945“ zur Verfügung gestellt. Rassenideologie, Anti- semitismus, Euthana- Nur wer weiß, wie die Vergangenheit ausgesehen sie, „Generalplan Ost“ hat, kann die Zukunft kreativ und verantwortungs- sind nur einige wenige voll gestalten. Die Aufarbeitung der Vergangenheit Begriffe, die für die von Berliner Wissenschaftseinrichtungen ist noch menschenverachtende Ideologie des Nationalsozia- nicht abgeschlossen. Dieser Prozess verläuft auch lismus stehen: Eine Ideologie, welche die gesamte nicht homogen, einige Institutionen sind da weiter Gesellschaft durchdrungen hatte und die von vie- als andere: Exemplarisch gab es bereits 1979 an len — von viel zu vielen — geteilt und auch durch der TU und der Charité eine Ringvorlesung zu viele Einrichtungen und ihr Handeln unterstützt diesem Thema. worden ist. Ich verbinde mit dieser Broschüre die Hoffnung, Welche Rolle haben in diesen Jahren — 1933 bis dass wir als handelnde politische Akteure einen 1945 — die Wissenschaftseinrichtungen in Berlin kleinen Beitrag dazu leisten, Transparenz und gespielt? Wie weit waren sie in den Nationalso- Aufklärung in das dunkelste Kapitel deutscher Wis- zialismus verstrickt? Haben sie diese Verstrickung senschaftsgeschichte zu bringen. Berlin als interna- aufgearbeitet? Diese Broschüre gibt einige Antwor- tional attraktiver Standort für Wissenschaft, Lehre ten auf diese Fragestellungen. und Forschung wird davon profitieren. Auslöser war der 60. Jahrestag des Kriegsendes. Vor zwei Jahren hat darüber im Abgeordneten- Es grüßt Sie herzlich haus von Berlin im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung eine Anhörung mit renommierten Wissenschaftlern stattgefunden. Die überarbeiteten Wortbeiträge bilden den ersten Teil dieser Publika- tion. Sie zeugen von der intensiven Auseinander- setzung mit dem Unrecht während der NS-Zeit. Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner Ich freue mich sehr, dass die beteiligten Wissen- Senator für Bildung, Wissenschaft und schaftler zusätzliche Fachbeiträge zur Verfügung Forschung des Landes Berlin gestellt haben. Sie dokumentieren in Kürze die Ge- schichte der Berliner Universitäten, der Kaiser-Wil- helm-Gesellschaft und der Charité und werfen die Fragen auf, wie weit sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Medizinerinnen und Mediziner mitschuldig gemacht haben: — Prof. Dr. vom Bruch: „Die Berliner Universi- tät 1933—1945 in der Erinnerungskultur nach 1945“, — Prof. Dr. Andreas Heinz, u. a.: „Psychopathen und Volksgenossen — zur Konstruktion von Rasse und Gesellschaftsfeinden“, — Dr. Udo Schagen: „Die Forschung an mensch- lichen Organen nach ,plötzlichem Tod’ und der Anatom Hermann Stieve (1886—1952)“, — Prof. Dr. Reinhard Rürup: „Forscherinnen und Forscher, die ab 1933 aus der Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaftver- trieben wurden“. 3 Berliner Wissenschaftseinrichtungen in der NS-Zeit Inhalt Statements aus dem Wissenschaftsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch 7 Prof. Dr. Reinhard Rürup 11 Prof. Dr. Andreas Heinz 15 Dr. Udo Schagen 18 Prof. Dr. Reinhard Rürup 21 Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch 26 Fachbeiträge Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch 29 Die Berliner Universitäten in der NS-Zeit Prof. Dr. Andreas Heinz u. a. 36 Geschichte der Psychiatrischen und Nervenklinik an der Charité: Erfahrungen und Implikationen Prof. Dr. Andreas Heinz 41 Psychopathen und Volksgenossen — zur Konstruktion von Rasse und Gesellschaftsfeinden Dr. Udo Schagen 57 Die Forschung an menschlichen Organen nach „plötzlichem Tod“ und der Anatom Hermann Stieve (1886—1952) Prof. Dr. Michael Grüttner und Sven Kinas 74 Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933—1945 Prof. Dr. Reinhard Rürup 98 Forscherinnen und Forscher, die ab 1933 aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft vertrieben wurden Impressum und Autoren 111 5 Wortprotokolle von Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch Prof. Dr. Reinhard Rürup Prof. Dr. Andreas Heinz Dr. Udo Schagen 6 Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch Einleitendes Statement zur Podiumsdis- kussion im Wissenschaftsausschuss am 4. Mai 2005 Sehr geehrte Damen und Herren! Die Berliner Wissenschaftseinrichtungen betonen gerne — was durchaus üblich und legitim ist — ihre auf Tradition gestützten Zukunftschancen. Auch die erst 1948 gegründete Freie Universität verweist neuerdings auf weiter zurückreichende personelle und wissenschaftsgeschichtliche Kontinuitäten. Die Humboldt-Universität sieht sich in der Tradi- tion einer 1810 konzeptionell von Wilhelm von Humboldt begründeten Berliner Universität. Die Technische Universität verweist mit der Bauaka- Opernplatz demie — neben der Gewerbeakademie — auf eine noch ältere Vorläufereinrichtung der im Kaiserreich diese hat in der alten Bundesrepublik wohl auch errichteten Technischen Hochschule. Die Universität am eindringlichsten ihre NS-Vergangenheit aufge- der Künste beruft sich auf das Erbe vergleichbar arbeitet. Im Übrigen drängt sich der Eindruck auf, alter Spezialhochschulen. Die Berlin-Brandenbur- dass eine intensive wissenschaftliche Auseinan- gische Akademie der Wissenschaften erinnert an dersetzung mit der je eigenen NS-Vergangenheit ihre Gründung im Jahre 1700 — wie übrigens auch erst an der Wende zum 21. Jahrhundert erfolgte. die Charité — die Akademie der Künste trat noch Eine Ausnahme stellt die TU dar, deren von Rein- einige Jahre früher ins Leben. Die wichtigsten wis- hard Rürup verantwortete Hundertjahr-Festschrift senschaftlichen Bundesanstalten, deren Hauptsitz von 1979 bereits eindringlich die NS-Zeit in vier sich heute in Braunschweig und anderswo befin- substantiellen Aufsätzen thematisierte. Im Übrigen det, wurden im Berlin des Kaiserreichs begründet setzte in der Tat erst um 2000 eine intensive wis- — so die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die senschaftshistorische Auseinandersetzung mit der Biologische Bundesanstalt — und sie sind in Berlin je eigenen NS-Vergangenheit ein, in der Akademie, noch immer verankert. Das Bundesamt für Materi- in der Humboldt-Universität, in der MPG und in alprüfung befindet sich nach wie vor in Berlin. Das der DFG, nicht jedoch in den vormaligen Reichs- aus dem Reichsgesundheitsamt hervorgegangene, und heutigen Bundesanstalten. Warum diese vor einigen Jahren als Zentralinstitution aufgelöste, Verspätung? aber in seinen Forschungsinstituten weiterwirken- de Bundesgesundheitsamt ist weiterhin in Berlin Blicken wir kurz zurück auf die ersten Nachkriegs- angesiedelt. Die in Bonn/Bad Godesberg ansässige jahre. Zwar hatten die Alliierten in Potsdam die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) residierte Auflösung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wegen bis 1945 im Berliner Schloss, und die Max-Planck- maßgeblicher Bedeutung für die NS-Rüstungspolitik Gesellschaft (MPG) mit Sitz der Generalverwaltung beschlossen und bei den Nürnberger Ärzteprozes- in München knüpft an die 1911 mit Zentralsitz sen indirekt auch die Universitätsmedizin auf die in Berlin begründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Anklagebank gesetzt; zwar hatte der Heidelberger (KWG) zur Förderung der Wissenschaften an. Philosoph Karl Jaspers bereits 1946 mit seiner Schrift „Die Idee der deutschen Universität“ ein- Vor diesem Hintergrund wäre es erstaunlich, wenn dringlich zur Auseinandersetzung mit der NS-Zeit diese vielfältigen Einrichtungen nicht lange schon aufgerufen; zwar hatte der Theologe Karl Barth darauf gestoßen wären, dass es sie auch in dem von Basel aus schonungslos die Arroganz der deut- Zeitraum zwischen 1933 und 1945 gab und sie schen Universitätsangehörigen gegeißelt. damit Teil des NS-Systems wurden, denn Opposi- tion qua Institution ist in diesem Zusammenhang Doch die allgemeine Überzeugung war, neben den nicht bekannt. Interne Konflikte, die dann aller- Kirchen habe die Wissenschaft relativ unbeschädigt dings rasch machtpolitisch entschieden wurden, die NS-Zeit überstanden und die wirklich schwar- gab es allenfalls in der Akademie der Künste, und zen Schafe seien nach 1945 rasch entfernt wor- 7 den. Die Universitäten argumentierten, Vertreibung riker in den 1960er und 1970er Jahren wichtige von Professoren und Aufpfropfungen wie die „Füh- Forschungen zur NS-Belastung von Wissenschafts- rer-Universität“ seien von außen, von den neuen institutionen, Fächergruppen und Einzelpersonen Machthabern oktroyiert worden — man brauche vorgelegt, entsprechende Initiativen aus den nur wieder zur Autonomie und zur Freiheit von Wissenschaftseinrichtungen selbst sind indes nicht Lehre und Forschung zurückzukehren, wie sie bis zu verzeichnen, mit Ausnahme, wie erwähnt, der 1933 in der Tradition der Humboldtschen Univer- TU und der Akademie der Künste in West-Ber- sität Geltung besessen hätten. Führende Männer lin. Sowohl in Ost- wie in West-Berlin erschienen der neuen Max-Planck-Gesellschaft wie Otto Hahn 1960 zur 150-Jahr-Feier der Berliner Universität und Werner Heisenberg bewahrten zwar wegen mehrbändige Gedenkwerke, in denen die NS-Zeit der drohenden Auflösung der KWG formalrecht- jeweils fast vollständig ausgeklammert blieb. Einen liche Distanz zu dieser, betonten indes, KWG und ähnlichen Befund bietet sogar noch das Berliner MPG seien gleichermaßen Träger von Grundla- Stadtjubiläum von 1987, mit reichen Erträgen genforschung und damit weder ideologisch