Andrea Linnebach Zur Autorin Das Museum Studium der Kunstgeschichte, Empirischen Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft. 1988 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen (Dissertation: Arnold Böcklin und die Antike. Mythos – Geschichte – der Aufklärung und Gegenwart. München 1991). Wissenschaftliche­ Mitarbeiterin u. a. bei den Staatlichen Museen (jetzt mhk), beim Museum für Sepulkralkultur Kassel, Museum Wiesbaden, Stadtmuseum Kassel, sein Publikum Kulturamt der Stadt Kassel, bei der Universität Kassel und zuletzt beim German Historical Institute London. Kunsthaus und Museum in Kassel Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte­ des 18.–20. Jahrhunderts, insbesondere zur Antikenrezeption, Sepulkral­ - im Kontext des historischen Besucherbuches (1769–1796) und Gartenkultur, Museums- und Sammlungs­geschichte, Bildkomik. Das Museum Fridericianum in Kassel verkörpert als erster für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmter Museumsneubau Europas wie keine andere Institution das »Museum der Aufklärung«. In der Kombination von Kunst­

objekten und naturwissenschaftlich-technischen Sammlungs­bereichen mit Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Bibliothek und Sternwarte galt es als ideale Bildungs­einrichtung seiner Zeit. Dass es Forschungs- und Bildungsreisende aus der ganzen Welt anzog, dokumentiert das Besucherbuch, das bereits 1769 für die Vorgänger­ einrichtung, das Kunsthaus im Ottoneum, angelegt worden war. Rund Kasseler ­ Kasseler ­ 14.000 Personen finden sich darin eingetragen – ein sehr vielfältiges­ Publikum, darunter ein Großteil der europäischen Gelehrtenwelt sowie viele Kasseler Beiträge zur Geschichte­ und Landeskunde illustre Namen aus Fürstenhäusern, von Erfindern, Abenteurern und herausgegeben vom Verein für Hessische Geschichte Mätressen, von Regierungsbeamten, Handwerkern, Soldaten oder Bürgers­ Andrea Linnebach Das Museum der Aufklärung und sein Publikum und Landeskunde Kassel 1834 e.V. frauen. Damit ist es nicht nur eine hervorragende Quelle zur Museums­ Zweigverein Kassel geschichte, sondern es zeigt vorzüglich auch die geographische Mobilität in jener Zeit sowie den daraus folgenden Wissens- und Kultur­transfer – z. B. in den europaweiten Handelsverbindungen, in der Emigrations­welle der Revolutions­jahre oder in den Reiserouten und Verflechtungen von Bisher erschienen: Diplomaten, Künstlern und Wissenschaftlern. Das Buch analysiert die Wirkung und den Modellcharakter des Museum Friedrich Frhr. Waitz von Eschen: Parkwege als Wissens­wege. Fridericianum in der internationalen Gelehrtenwelt wie in der allgemeinen Der Bergpark Wilhelmshöhe als natur­wissenschaftliches Bildungsgeschichte und weist auf, welch wichtige und bislang immer noch ­Forschungs­feld der Aufklärung, Kassel 2012 (KBG 1) unterschätzte Rolle Kassel gerade durch dieses Museumspublikum unter Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V. den Zentren der Aufklärung einnahm. Dies wirkte lange nach, wie das Urteil Zweigverein Kassel Christian Presche: Kassel im Mittelalter. Zur Stadtentwicklung von Thomas Hodgskin 1820 bezeugt: »Cassel is ranked, by connoisseurs, as bis 1367, 2 Bände, Kassel 2014 (KBG 2) fourth in the list of the cities of Germany which ought to be visited. Vienna www.geschichtsverein-kassel.de is first, than Berlin, Dresden, Cassel.«

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ISBN 978-3-86219-XXX-X V university press Andrea Linnebach Zur Autorin Das Museum Studium der Kunstgeschichte, Empirischen Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft. 1988 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen (Dissertation: Arnold Böcklin und die Antike. Mythos – Geschichte – der Aufklärung und Gegenwart. München 1991). Wissenschaftliche­ Mitarbeiterin u. a. bei den Staatlichen Museen Kassel (jetzt mhk), beim Museum für Sepulkralkultur Kassel, Museum Wiesbaden, Stadtmuseum Kassel, sein Publikum Kulturamt der Stadt Kassel, bei der Universität Kassel und zuletzt beim German Historical Institute London. Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte­ des 18.–20. Jahrhunderts, insbesondere zur Antikenrezeption, Sepulkral­ - im Kontext des historischen Besucherbuches (1769–1796) und Gartenkultur, Museums- und Sammlungs­geschichte, Bildkomik. Das Museum Fridericianum in Kassel verkörpert als erster für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmter Museumsneubau Europas wie keine andere Institution das »Museum der Aufklärung«. In der Kombination von Kunst­

objekten und naturwissenschaftlich-technischen Sammlungs­bereichen mit Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Bibliothek und Sternwarte galt es als ideale Bildungs­einrichtung seiner Zeit. Dass es Forschungs- und Bildungsreisende aus der ganzen Welt anzog, dokumentiert das Besucherbuch, das bereits 1769 für die Vorgänger­ einrichtung, das Kunsthaus im Ottoneum, angelegt worden war. Rund Kasseler ­ Kasseler ­ 14.000 Personen finden sich darin eingetragen – ein sehr vielfältiges­ Publikum, darunter ein Großteil der europäischen Gelehrtenwelt sowie viele Kasseler Beiträge zur Geschichte­ und Landeskunde illustre Namen aus Fürstenhäusern, von Erfindern, Abenteurern und herausgegeben vom Verein für Hessische Geschichte Mätressen, von Regierungsbeamten, Handwerkern, Soldaten oder Bürgers­ Andrea Linnebach Das Museum der Aufklärung und sein Publikum und Landeskunde Kassel 1834 e.V. frauen. Damit ist es nicht nur eine hervorragende Quelle zur Museums­ Zweigverein Kassel geschichte, sondern es zeigt vorzüglich auch die geographische Mobilität in jener Zeit sowie den daraus folgenden Wissens- und Kultur­transfer – z. B. in den europaweiten Handelsverbindungen, in der Emigrations­welle der Revolutions­jahre oder in den Reiserouten und Verflechtungen von Bisher erschienen: Diplomaten, Künstlern und Wissenschaftlern. Das Buch analysiert die Wirkung und den Modellcharakter des Museum Friedrich Frhr. Waitz von Eschen: Parkwege als Wissens­wege. Fridericianum in der internationalen Gelehrtenwelt wie in der allgemeinen Der Bergpark Wilhelmshöhe als natur­wissenschaftliches Bildungsgeschichte und weist auf, welch wichtige und bislang immer noch ­Forschungs­feld der Aufklärung, Kassel 2012 (KBG 1) unterschätzte Rolle Kassel gerade durch dieses Museumspublikum unter Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V. den Zentren der Aufklärung einnahm. Dies wirkte lange nach, wie das Urteil Zweigverein Kassel Christian Presche: Kassel im Mittelalter. Zur Stadtentwicklung von Thomas Hodgskin 1820 bezeugt: »Cassel is ranked, by connoisseurs, as bis 1367, 2 Bände, Kassel 2014 (KBG 2) fourth in the list of the cities of Germany which ought to be visited. Vienna www.geschichtsverein-kassel.de is first, than Berlin, Dresden, Cassel.«

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ISBN 978-3-86219-XXX-X V university press Abb. 14: Grundriss des Museum Fridericianum, Raumfolge Erdgeschoss: A Porticus B Eingangshalle C Vestibül des Treppenhauses D Treppenhaus (1808 abge­ Abb. 15: Grundriss Museum Fridericianum, Raumfolge Obergeschoss: 1 Vestibül 2 und 3 Bibliothek 4 Kupferstichkabinett, Sitzungszimmer der Société des Antiquités brochen) E Galerie der Antiken (zwischen den Säulen: Großplastiken; zwischen den Fenstern: kleinere Statuen; an den Wänden Reliefs) F antike Kleinkunst, Antiken­ 5 Handschriftenzimmer (im Winter beheizbar, hier lag vermutlich das Besucherbuch aus) 6 und 7 Karten und Pläne, Stadtansichten (Piranesi) 8 Verbindungsgang zur rezeption­ (Korkmodelle, Gemmen) G landgräfliche Kunstkammer (Tafelgerät, Vasen, Medaillen, Münzen) H Uhrenkammer I Münzen und Abdrücke geschnittener Sternwarte 9 Sternwarte 10 Raum für experimentelle Physik 11 Raum der Mathematik 12 Raum für optische Instrumente 13 Vorzimmer. Raumfolge Mezzaningeschoss Steine ­K ­Kabinett­ mit Fachliteratur zur Antike L Gang zur Sternwarte M und N Zwehrener Turm – Sternwarte O Galerie der nachantiken Plastik P Naturalien­ über den Seitenflügeln: rechts über den Räumen 4–7, über 4 Wachsfigurenkabinett, über 5 Waffensammlung, Ethnographica, über 6 Porträtsammlung, über 7 Sammlung kabinett – ­Mineralien Q Naturalienkabinett – Tiere (Goethe-Elefant) R Naturalienkabinett – Wasserpflanzen und -tiere S Naturalienkabinett – Insekten, Schmetterlinge von Gebrauchskleidung aus Europa, Asien und Amerika; links über den Räumen 10–13, über 10 und 11 Mechaniksaal mit Modellen von Schleusen, Pumpen, Mühlen, T Mosaiken­kabinett V Treppenhaus eine Drechselbank, über 12 und 13 Sammlung seltener Musikinstrumente Andrea Linnebach Das Museum der Aufklärung und sein Publikum Kasseler Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Andrea Linnebach

Das Museum der Aufklärung und sein Publikum

Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel im Kontext des historischen Besucherbuches (1769–1796)

Kassel 2014 Die Drucklegung wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung ­folgender Förderer:

Kulturstiftung des Hauses Hessen

Kasseler Sparkasse

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen­ National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Kassel 2014 © Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V., Zweigverein Kassel www.geschichtsverein-kassel.de Alle Rechte vorbehalten

kassel university press GmbH, Kassel www.upress.uni-kassel.de

Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Jochen Ebert, Kassel Druck und Verarbeitung: Prime Rate Kft., Budapest

ISBN 978-3-86219-880-1 (print) ISBN 978-3-86219-881-8 (e-book) URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0002-38816 Vorwort und Dank

Die Idee, das historische Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Frideri­ cianum in einer vollständigen Edition zu erschließen und online in einer Da­ tenbank zugänglich zu machen, entwickelte sich in Folge meiner Forschungen zu dem Universalgelehrten und Schriftsteller Rudolf Erich Raspe (1736–1794), von 1767 bis 1775 Kustos der landgräflichen Sammlungen in Kassel, später Autor der Münchhausen-Geschichten. Raspe hatte dieses Besucherbuch 1769 anlegen lassen, und es erschien sehr verlockend, darin nachzuschauen, ob er selbst wäh­ rend seiner Kasseler Jahre mit realen Mitgliedern der weitverzweigten Adels­ familie von Münchhausen in Kontakt gekommen war. Tatsächlich fanden sich im Besucherbuch viele »Münchhausens« aufgelistet, so z. B. gleich auf Seite 11 in Raspes eigener Handschrift die »Ober Appelationsräthin v Münchhausen«, die sich als Josina Johanette Henriette von Münchhausen, geb. Schenck zu Schweinsberg (*1740) identifizieren ließ. Mit diesem und ähnlichen Funden wa­ ren sowohl mein Interesse an dieser historischen Quelle, als auch die Erkennt­ nis geweckt, wie mühselig sich auf den dicht beschriebenen Buchseiten die Su­ che nach einzelnen Personen oder Gruppen gestaltet. Wie nützlich aber gerade deshalb ein Gesamtverzeichnis der rund 14.000 Personennamen nicht nur für solche speziellen Fragestellungen, sondern auch für die Aufklärungsforschung insgesamt sein müsste, erschloss sich auf den ersten Blick. Bei der Suche nach einer Förderung wandte ich mich zunächst an den Direk­ tor der Universitätsbibliothek Kassel, Dr. Axel Halle, da sich das Besucherbuch in der Handschriftenabteilung der zur Universitätsbibliothek gehörenden alten Hessischen Landesbibliothek befindet. Er knüpfte wiederum die Verbindung zu Prof. Dr. Renate Dürr, Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit, da­ mals an der Universität Kassel, heute in Tübingen tätig, die sich für die Idee eines Editionsprojekts zum Besucherbuch sogleich begeistern ließ und mit der Einreichung eines Förderantrags bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft Erfolg hatte: die DFG bewilligte eine dreijährige Projektfinanzierung von 2009 bis 2012 sowie einen Publikationskostenzuschuss. Renate Dürr gilt mein ganz besonderer Dank für die jahrelange umsichtige Leitung und die ideenreiche, konstruktive Unterstützung des Projekts. Gedankt sei auch den studentischen Hilfskräften: Irina Pawlowsky war von Anfang an eine unentbehrliche Stütze des Projekts, vor allem in der Ermittlung von nahezu zweitausend Studenten in den gedruckten Matrikelverzeichnissen vieler Universitäten. Später wurde sie bei dieser Aufgabe unterstützt von Hanna Baumgarten und Ramona Heger. Zum Team zählte auch Dr. Jochen Ebert, zuständig für die Datenbankeinrich­ tung und -betreuung, der mit seiner vielfältigen Kompetenz als Historiker, Gra­ phiker und EDV-Fachmann ein wahrer Glücksfall für das Projekt war und der auch erfreulicherweise die Gestaltung dieses Buchs übernahm. Christine Gött­ licher wickelte mit Umsicht die finanziellen und organisatorischen Bereiche des Projekts ab. Ihnen allen sowie auch den hilfsbereiten Mitarbeitern der heutigen

5 Nachfolgeinstitutionen (Bibliothek, Museumslandschaft Hessen Kassel, Natur­ kundemuseum im Ottoneum) gilt mein herzlicher Dank. Neben Axel Halle sei­ en von der Bibliothek als Dank für ihren besonderen Einsatz namentlich er­ wähnt Dr. Brigitte Pfeil, Dr. Konrad Wiedemann und Sabine Wagener von der Handschriftenabteilung sowie Stefanie Bräuning-Orth und Sven Stefani, die für die Gestaltung der Web-Präsenz zuständig waren. Dr. Friedrich Freiherr Waitz von Eschen danke ich für das lebhafte Interesse an dem ganzen Projekt von An­ fang an und sein hilfreiches Engagement für diese abschließende Publikation. Herzlich gedankt sei auch Dr. Linda Oehring für die freundschaftliche Hilfe beim Korrekturlesen. Aber auch viele andere, die hier im Einzelnen nicht aufge­ führt werden können und die etwa bei der Identifizierung von Besuchern, durch Literaturhinweise oder beim Entziffern unleserlicher Passagen halfen, schließe ich in diesen Dank ein (die Namen finden sich auf der Website des Projekts: https://www3.bibliothek.uni-kassel.de/besucherbuch/dank.php?lang=de). Alle, die ich vergessen haben sollte, bitte ich mit folgender Begründung um Nach­ sicht: mein Gedächtnis für die Namen meiner Zeitgenossen schwand beunru­ higend im Verhältnis zur Zunahme der Personennamen in der Datenbank. Drei besondere Helfer habe ich freilich ganz gewiss nicht vergessen: Dr. Dirk Sang­ meister, Nikosia, und Bernhard Wiebel, Zürich, gebührt herzlicher Dank für unzählige wichtige Hinweise, anregenden Austausch und das stete ermunternde Interesse an dem ganzen Vorhaben. Als Drittem danke ich abschließend mei­ nem Mann Karl-Hermann Wegner, der das Projekt mit großem Engagement begleitete und mir besonders bei dem letzten »Bodensatz« an kaum zu entzif­ fernden Stellen des Besucherbuchs sowie bei der Abfassung und Korrektur die­ ses Buchs sehr geholfen hat.

Kassel, im Sommer 2014 Andrea Linnebach

6 Inhaltsverzeichnis

A Einleitung...... 9

B Vom Kunsthaus zum Museum Fridericianum: Kassels Sonderweg in der europäischen Museumsgeschichte...... 13 1. Musentempel und Lernort – die Entstehung des modernen Museums im 18. Jahrhundert...... 13 2. Das Kunsthaus im Ottoneum: Sammlungen und Öffentlichkeit. . . . 15 3. Geburtsstunde des kulturhistorischen Museums: Rudolf Erich Raspes Entwurf für ein »Gotisches Kabinett« 1768...... 21 4. Wechselwirkung mit der Öffentlichkeit: eine »sinnliche Enzyklopädie« – das Museum Fridericianum...... 28 5. »Täglicher Zulauf« – Gemeinnützigkeit und ihre Grenzen...... 41

C Das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum 1769–1796 ...... 49 1. »Fremdenbücher« als historische Quellen...... 49 2. Ein »Who is who?« der Goethezeit: Forschungsstand und Perspektiven...... 52

D Geschichte und Geschichten: Kassels »Museum der Aufklärung« und sein Publikum ...... 55 1. Von A(rchangelsk) bis Z(wolle): Besucher aus aller Welt ...... 55 2. Zeitgeschichte: Krieg in Amerika, Revolution in Frankreich – politische Ereignisse und ihre Auswirkungen auf den Besucherzustrom . 62 3. »Der Graf von Camtschatka«: Inkognitos und Affären...... 77 4. Grand Tour: von London über Kassel nach Rom – und zurück. . . . 87 5. Bildungschance für Frauen: das weibliche Publikum...... 98 6. Lehren und unterhalten: Museumspädagogik avant la lettre. . . . . 115 7. »Halb Göttingen« in Kassel: studentische Exkursionen und »LustReisen« zu den Kasseler Museen...... 124 8. »Temple des sciences«: reisende Gelehrte als Besucher von Kunsthaus und Museum Fridericianum ...... 129 8.1 Das Museum zwischen Gelehrtenstube und Welt...... 129 8.2 Elefant und Nilpferd – Sammlungsobjekte zwischen Museum und Forschungslabor...... 131 8.3 »ein schöner Foetus von fünf Monat in Spiritusvini« – Geburtshelfer und weitere Mediziner als Museumsbesucher. . . . 137 8.4 Die Portland-Vase auf Zwischenstopp: Altertumsforscher unterwegs . 145 8.5 »Mosaikboden der Hölle« – Naturerforschung zwischen Vulkan und Neptun: Mineralogen und Vertreter verwandter Disziplinen ...... 157

7 8.6 Venus und Lexell: zum Transit von Himmelskörpern und deren Beobachter ...... 173 8.7 Fürstbischöfe, Theologieprofessoren oder Mönche: Zulauf der Geistlichkeit und interkonfessionelle Begegnungen...... 177 9. Bibliothekare und Bibliophile und die »Fürstlich öffentliche Bibliothek« im Museum Fridericianum...... 192 10. Reisende Künstler: von Hofmalern und -bildhauern, Architekten, Musikern und Theaterleuten ...... 204 11. Nicht nur zu Messezeiten: Kaufleute, Unternehmer und Handwerker als Museumsbesucher...... 224 12. … und viele mehr...... 238

E Kassels Sonderweg der Aufklärung: Wissenschaften und Künste im Kontext eines vielfältigen internationalen Publikums. 241

Quellen-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis...... 254 Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts...... 254 Zitierte Sekundärliteratur...... 256 Abkürzungen...... 267 Personenregister...... 268 Abbildungsnachweis...... 280

8 A Einleitung

Das Museum Fridericianum in Kassel (Abb. 1), erbaut in den Jahren 1769 bis 1779, verkörpert als erster für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmter Museums­ neubau Europas wie kaum eine andere Institution das »Museum der Aufklä­ rung«. Zur Förderung der Wissenschaften und der allseitigen Bildung für die Bevölkerung errichtet, zog es in seiner Kombination aus enzyklopädisch ange­ legter Sammlung, Bibliothek, Sternwarte und Sitz einer wissenschaftlichen Ge­ sellschaft Besucher aus aller Welt an.

Abb. 1: Friedrichsplatz in Kassel, Kupferstich von J. W. Kobold, 1789. Die Ansicht zeigt die beiden Museumsgebäude, in denen das Besucherbuch auslag: im Zentrum das Museum Fridericianum mit dem Zwehrenturm, rechts davon das alte Kunsthaus im Ottoneum mit der Kuppel des Observatoriums

Bereits für seine Vorgängerinstitution, das Kunsthaus im Ottoneum, hatte der Kustos Rudolf Erich Raspe (1736–1794) nicht nur Ideen zu einer kulturhis­ torischen Neuordnung entwickelt. Im Jahr 1769 legte er auch ein »Fremden­ buch« an, mit dem er nicht nur ein Dokument für den vielfältigen Besucher­ verkehr schon in dieser Institution schuf, sondern auch für die Bedeutung, die die Be­sucher und ihre Betreuung für das Museum hatten und künftig ha­ ben sollten. Von 1779 an im neu eröffneten Museum Fridericianum weiter­ geführt, begleitet dieses Buch somit anschaulich den Wandel von der tradi­ tionellen Kunstkammer hin zum modernen Museum als einer öffentlichen

9 Abb. 2: Das Besucher­buch von Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel; aufgeschlagen die Seiten 376 und 377 mit dem Namenszug Goethes bei seinem Besuch 1792

Bildungsinstitu­tion. Es ist damit zugleich eines der bedeutendsten erhaltenen Besucherbücher des 18. Jahrhunderts. Glücklicherweise hat es unbeschadet die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überdauert, anders als das Museumsge­ bäude und die Bib­liothek. Es befindet sich heute in der Handschriftenabtei­ lung der Universitätsbibliothek Kassel unter der Signatur 20 Ms.Hass. 471 als »Fremdenbuch der Landes­bibliothek«. Das schlichte, ledergebundene Buch (Abb. 2) umfasst 449 beschriftete Sei­ ten mit je ca. 30–35 zumeist eigenhändigen individuellen Einträgen, die neben Namen und Datum oft auch Titel, Beruf und Herkunftsort der jeweiligen Be­ sucher angeben. Darüber hinaus wurden häufig auch weitere Hinweise, etwa auf die Zugehörigkeit zu einer Reisegruppe oder Begleitpersonen (z. B. »mit Familie« oder »Studenten von Göttingen«) hinzugefügt. Gelegentlich findet sich auch ein Kommentar der Museumsbesucher oder Vermerke und Ergän­ zungen der Sammlungskustoden. Die Kommentare reichen von Begeisterung (Mr. Chaplin mit Begleiter aus London vermerkt am 28. August 1779: »[…] ont vu avec le plus grand plaisir cet Etablissement qui fait l’Eloge du Fondateur«) bis Geringschätzung (Regierungssekretär Schott aus Stuttgart schreibt neben seinen Namen: »Quem haec vidisse poenitebit« – wörtlich: »den es reuen wird,

10 dies gesehen zu haben«. Neid? In Stuttgart gab es jedenfalls zu dieser Zeit kei­ ne vergleichbare Institution, was auch sein Landesherr Herzog Carl Eugen bei seinem eigenen Museumsbesuch 1781 festgestellt haben dürfte). Die Vermerke der Kus­toden bieten hin und wieder auch Informationen zu Sammlungsumge­ staltungen, z. B. zur provisorischen Ausstellung der Exponate aus dem Kunst­ haus im Palais Bellevue an der Schönen Aussicht, wo sie bis zur Eröffnung des neuen Museums verblieben. Denn zwischen dem 1. und 11. September 1773 wurde im Besucherbuch notiert: »Mit Anfang Septbris sind die mehresten ­Curiosae auf d[urch]l[auchtigsten] Landgr[äflichen] Gn[ä]d[ig]stn Befehle nach dem Fürstl[ichen] Garten Palais Belle-vue gebracht und die Fremde da­ hin geführt worden.« Auch für die Aufstellung der Antiken im neuen Museum 1779 findet sich ein konkreter Hinweis unter den Einträgen im August: »NB. d[en] 10t, wurde die Ant. Galler[ie]. rangirt«. Die verzeichneten Personen lassen sich mit unterschiedlichem Aufwand ermitteln, was natürlich stark von der Art des Eintrags abhängt, also vor allem davon, ob die Handschrift leserlich ist, die Vornamen ausgeschrieben sind oder etwa auch noch eine Herkunfts- und/oder Berufsangabe hinzugefügt wurde. So ist etwa ein Herr Schmidt aus Berlin schwer bis gar nicht zu identifizieren, ein Erbprinz von Anhalt-Dessau dagegen leicht. Und die Länge eines Eintrags sowie der nötige Rechercheaufwand lassen wiederum nicht unbedingt auf die Bedeutung der jeweiligen Person schließen: so steht einem Herrn, der sich als »GFLichtenberger Fürstl[ich]. Nassau-Usingischer Subdelegations-Commis­ sions-Secretarius« einträgt, das knappe, aber umso leichter zu entschlüsselnde »W. v. Humboldt aus Berlin« gegenüber. Als Verzeichnis von rund 14.000 Personen spiegelt das Besucherbuch die Anziehungskraft beider Einrichtungen auf ein sozial breit gefächertes, interna­ tionales Publikum: auf den Buchseiten begegnen sich in egalitärer chronologi­ scher Reihung Personen des europäischen Hochadels und der Gelehrtenwelt, Vertreter von Diplomatie, Klerus, Militär, Kultur und Kommerz, Bürgers­ frauen und Mätressen, Revolutionäre und Emigranten, Schüler, Handwerker und Diener. Besucher aus den überseeischen Kolonien finden sich hier ebenso wie Gäste aus Kassel, Reisende aus ganz Europa oder aus den vielen Territorien des Alten Reichs. Als ein umfangreiches und vielfältiges Personenverzeichnis stellt das Besucherbuch nicht nur eine einzigartige Quelle für die Museums­ geschichte dar, sondern liefert auch eine Fülle an Informationsmöglichkeiten für die Aufklärungsforschung insgesamt – sei es zur Wissenschaftsgeschichte, zur Kulturtransfer- und Reiseforschung oder zur allgemeinen Historie. Seit Sommer 2013 ist das Besucherbuch in einer Online-Edition, die das Digitali­ sat des Originals mit der Transkription und den daraus ermittelten und kom­ mentierten biographischen Angaben verbindet, über die Web-Seiten der Uni­ versitätsbibliothek Kassel unter dem Link https://www3.bibliothek.uni-kassel. de/besucherbuch/index.php?lang=de zugänglich. Damit wird erstmals in ei­ nem herausragenden Beispiel das Besucherbuch eines Museums aus dem

11 18. Jahrhundert komplett erschlossen und der weiterführenden Forschung zur Verfügung gestellt. Als Ergänzung zu dieser Datenbank unternimmt es die vorliegende Pu­ blikation, das Erkenntnispotential dieser historischen Quelle in einem Über­ blick sowohl über die Geschichte der beiden Institutionen wie über ihr Publi­ kum vorzustellen und damit insgesamt Einblick in ihren Aussagewert für die Museums- wie die allgemeine Aufklärungsforschung zu gewähren. Denn so komfortabel die Suchmöglichkeit nach einzelnen Besuchern oder Reisegrup­ pen in der Datenbank auch ist – übergeordnete Aspekte oder Fragestellungen erschließen sich erst durch ergänzende Studien, mit denen hier ein Anfang gemacht werden soll.

12 B Vom Kunsthaus zum Museum Fridericianum: Kassels Sonderweg in der europäischen Museumsgeschichte

1. Musentempel und Lernort – die Entstehung des modernen Museums im 18. Jahrhundert

In den letzten Jahrzehnten geriet die Geschichte von Sammlungen und Museen zunehmend in den Blick der Forschung. So lenkte die in den 1970er Jahren formu­ lierte Kritik an der zeitgenössischen Museumskultur als einer bürgerlich-elitären Einrichtung, wie sie in der Forderung »Lernort contra Musentempel«1 kulminier­ te, erstmals die Aufmerksamkeit auf die sich wandelnde gesellschaftliche Funkti­ on der Museen. Lange hielt sich die von Walter Grasskamp formulierte These, der »entscheidende Einschnitt in die Museumsgeschichte als Entstehungsgeschichte bürgerlicher Öffentlichkeit« würde durch die französischen Revolutionsmuseen markiert, also jene beiden Institutionen, in denen der enteignete adelige Kunst­ besitz vorbehaltlos und kostenlos seit 1793 (Louvre) bzw. 1795 (Musée des Mo­ numents Français) gezeigt wurde.2 Einst fürstlich-repräsentative Sammlung, nun Museum als Bildungsstätte für das Volk – dies schien dementsprechend die fol­ gerichtige Entwicklung in der Museumsgeschichte zu sein. Hier ist es vor allem den Publikationen von Pommier, Becker, Minges, Sheehan und zuletzt Savoy zu verdanken, dass dieses gängige Bild von der Entstehung des modernen öffentli­ chen Museums an der Wende zum 19. Jahrhundert entscheidend korrigiert wur­ de.3 Sie zeigten, dass bereits die im höfischen Kontext entstandenen Museen des 18. Jahrhunderts ein hohes Maß an »Modernität« aufweisen – nicht nur, was die öffentliche Zugänglichkeit betrifft, sondern auch in der wissenschaftlichen Aufar­ beitung der Sammlungsgegenstände. Sie seien zwar symbolischer Ausdruck der fürstlichen Macht gewesen (Grasskamp), doch habe der fürstliche Hof der Kunst und somit auch dem Museum zur Autonomie verholfen.4 Mit der allgemeinen Zugänglichkeit stellen diese Museen oder Galerien ei­ nen Bereich der »Öffentlichkeit« dar, wie sie seit der bahnbrechenden Studie von Jürgen Habermas (1962) zu einem nach wie vor breit diskutierten Zentralbegriff

1 Spickernagel/Walbe 1976. 2 Grasskamp 1981, S. 21. 3 Pommier 1995; Becker 1996; Sheehan 2002; Savoy 2006; zuletzt, mit Ausweitung auf den gesamteuropäischen Raum: Paul 2012; zur Sammlungsgeschichte allgemein: Hooper-Green­ hill 1992; Grote 1994; Minges 1998; Heesen/Spary 2001; Siemer 2004; MacGregor 2007. Zur bürgerlichen Variante des Städelmuseums zuletzt grundlegend Meyer 2013. 4 Diese Aspekte wurden mit den Jubiläumsausstellungen und -publikationen zu St. Pe­ tersburg und seiner Kunstkamera (2003) und dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braun­ schweig (2004–2007) bestätigt, vgl. Ausst.Kat. Dortmund/Gotha 2003; Ausst.Kat. Braun­ schweig 2004; Luckhardt 2004 und 2007; vgl. auch Marx/Rehberg 2006.

13 für das 18. Jahrhundert wurde.5 Obwohl sie, wie das Museum Fridericianum, zu den ersten Institutionen gehörten, die schon vor 1789 ausdrücklich für die Öf­ fentlichkeit, ja als Raum der öffentlichen Kommunikation und Bildung kon­ zipiert worden waren, fehlen sie jedoch in den meisten älteren Studien über »Öffentlichkeiten« im 18. Jahrhundert.6 So finden sich z. B. im Lexikon der Auf­ klärung von 1995 zwar spezielle Artikel zu den für die Entstehung und Entwick­ lung aufklärerischen Denkens und Wirkens relevanten Orten wie Bibliothek, Garten, Kaffeehaus, Salon/Club, Schulen, Theater oder Universität, einen ­Ar tikel zum Thema »Museum« sucht man dagegen vergeblich. Und auch unter dem Stichwort »Öffentlichkeit« werden diese neuen Institutionen der entste­ henden »Wissensgesellschaft« nicht erwähnt.7 Auch im Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte werden die Museen im Unterschied zu anderen öffentlichen Einrichtungen nur beiläufig genannt.8 Welchen Anteil die Museen insgesamt im Kommunikationsprozess der sich etablierenden bürgerlichen Gesellschaft hat­ ten, welche Rolle sie innerhalb der verschiedenen Austauschprozesse der Auf­ klärung spielten, gelangte folglich erst am Rand in den Blick – vor allem im Ver­ gleich zum Boom jüngerer Studien zu Kunstkammer und Museum als »Räume des Wissens«.9 Erst mit der allmählichen Etablierung des durch den Anthropo­ logen James Clifford geprägten Begriffs der »contact zone«10 in der Museums­ geschichte verlagerte sich der Blick von den Sammlungsgegenständen auf deren Wahrnehmung und Nutzung durch die verschiedenen Akteure wie Sammler,

5 Habermas 1962. Aus der Fülle der nachfolgenden Literatur sei nur eine der jüngsten Pu­ blikationen genannt: Emden/Midgley 2013. Mit Blick auf die »Kunstöffentlichkeit« in Ver­ bindung mit der sich im 18. Jahrhundert entwickelnden Ausstellungspraxis am Beispiel der Metropolen und London: Kernbauer 2011; zu Habermas vor allem ebd. S. 12 ff. 6 Zwar wurde die Publizistik seit der grundlegenden Studie von Wolfgang Martens (Mar­ tens 1968) vielfach analysiert, darunter auch die Monatsschrift Deutsches Museum (1776– 1788) des Göttinger Schriftstellers Heinrich Christian Boie und des Professors für Kameral­ wissenschaften am Collegium Carolinum in Kassel Christian Conrad Wilhelm von Dohm; das Museum als Institution fand dagegen nur en passant Erwähnung, was sicherlich auch an der terminologischen Unschärfe des Begriffs im 18. Jahrhundert lag: denn nicht nur eine Zeitschrift konnte »Museum« genannt werden, sondern auch eine Lesegesellschaft wie das Voigt’sche Museum in Jena. Noch 1830 wurde in Kassel das Lesemuseum mit einem eige­ nen repräsentativen Gebäude gegründet. Vgl. auch die Definition im Artikel »Museum« in Krünitz’ Encyclopädie: http://www.kruenitz1.uni-trier.de/xxx/m/km10669.htm (12.3.2008), in dem das Museum Fridericianum als herausragendes Beispiel in Deutschland genannt wird. 7 Schneiders 1995, passim. Ähnlich auch Müller 2002, S. 17 ff. (»Formen der Öffentlichkeit«); selbst im Abschnitt »Aufklärung als Kunstepoche« (S. 100 ff.) kommen die öffentlichen Kunstsammlungen nicht vor. 8 Ungern-Sternberg 1987, S. 409 f. 9 Vgl. Ash 2000; Bredekamp 2000; Heesen/Spary 2001; Siemer 2004; Kretschmann 2006; Collet 2007; Ausst.Kat. Göttingen 2012. 10 Clifford 1997.

14 Kustoden und Besucher, welche selbst wiederum miteinander in Beziehung tre­ ten.11 Dass gerade ein Besucherbuch, das die Akteure einer solchen relationalen »contact zone« anschaulich dokumentiert, einen hohen Aussagewert für solche Fragestellungen hat, ist naheliegend, jedoch bisher allenfalls im Ansatz erkannt und berücksichtigt worden – vielleicht auch aufgrund der Grenzposition die­ ser Quellengattung zwischen den verschiedenen Disziplinen der historischen Forschung. Die Entstehungsgeschichte des öffentlichen Museums im Deutschland ist dagegen mittlerweile auf einer breiten Materialgrundlage bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts zurückverfolgt worden.12 Dass Kassel mit dem Museum Fri­ dericianum als erstem für die Öffentlichkeit konzipierten Museumsneubau an zentraler Stelle der Residenzstadt in diesem Kontext eine besondere Rolle zu­ kommt, ist unangefochtener Konsens.13 Weniger bekannt ist, dass die Idee für dieses öffentliche Museum eng mit der Geschichte seiner Vorgängerinstitution, dem Kunsthaus im Ottoneum, zusammenhängt. Studiert man die Genese dieser beiden Institutionen wird zugleich ersichtlich, dass der in der museumshistori­ schen Forschung konstatierte Antagonismus von Lernort versus Musentempel für die Museumskultur Kassels im 18. Jahrhundert keineswegs zutrifft. Das Be­ sucherbuch, das beide Institutionen umfasst, legt davon beredtes Zeugnis ab.

2. Das Kunsthaus im Ottoneum: Sammlungen und Öffentlichkeit

Im August 1769 erschien in der Casselischen Policey- und Commerzien-Zeitung (künftigPCZ ) ein »Avertissement«, das den Besuch des Kunsthauses regeln soll­ te, also der unter Landgraf Karl (1677–1730) ab 1696 im Ottoneum eingerichte­ ten fürstlichen Kunstkammer (Abb. 3) – nicht zu verwechseln mit der separaten fürstlichen Gemäldegalerie an der Bellevue: »Mit hoher Genehmigung wird de­ nen Liebhabern und Reisenden, welche die in hiesigem Kunsthause befindlichen Merkwürdigkeiten zu sehen wünschen, bekannt gemacht: 1) Daß Sie sich wegen der Sammlung von Medaillen, geschnittenen Steinen, Alterthümern und Pretio­ sis, bey dem Herrn Rath Raspe, und wegen der Sammlung von Naturalien und Instrumenten, bey dem Herrn Prof. Prizier, welchen allein die Aufsicht darüber anvertrauet, wo möglich den Tag vorher melden, und sich von denenselben eine

11 Am Beispiel des Göttinger Academischen Museums untersucht Collet die durchaus kon­ fliktreiche Dynamik einer solchen musealen »contact zone«, vgl. Collet 2012. 12 Savoy 2006. 13 Zum Museum Fridericianum nach wie vor grundlegend: Wegner 1977; zur Baugeschichte des Museums ausführlich: Dittscheid 1995; mit Schwerpunkt auf Sammlung und Präsenta­ tion: Mackensen 1991, S. 24 ff. ; Becker 1996, S. 131–173; Vercamer 2006; die Dissertation von Maximiliane Mohl, Universität Heidelberg, zur Baugeschichte des Museum Fridericianum steht vor dem Abschluss.

15 Abb. 3: Ottoneum, Modell; architektonischer Zustand um 1700, mit der heute fehlenden Kuppel. Raumfolge (nach Schmincke 1767) im Erdgeschoss: Hörsaal (Auditorium Carolinum); Stein- und Skulpturenzimmer; Mineralienzimmer. Erster Stock: Medaillenzimmer; Zimmer mit Gemmen, Kunstkammerobjekten; Zimmer mit Antiken, Pretiosen; Zimmer mit Porzellan- und Majolikasammlung; Uhrenkammer; zwei Zimmer mit physikalischen Instrumenten; Optisches Zimmer; Mathematisches Zimmer. Zweiter Stock: Zimmer mit ausgestopften Tieren, historischer Kleidung, Waffen; Zimmer mit Modellen zur Hydraulik, Mechanik und Hydrostatik; Drehkammer; Anatomiekammer. Zuoberst: Altane mit dem Observatorium dazu bequeme Zeit bestimmen lassen mögen … 2) Die Medaillen und Pretiosa können nur höchstens einer Gesellschaft von 6 bis 8 Personen gezeigt werden. Ist sie zahlreicher, so theilt sie sich, und sieht inmittelst andre Zimmer. 3) Es ist nicht erlaubt, etwas für sich anzurühren, in die Hände zu nehmen, vielweniger

16 von einer Stelle auf die andre zu setzen. 4) Ein jeder wird ersucht, wenn er sich melden läßt, seinen Nahmen und Character, wie auch sein Logis schrifftlich von sich zu geben; auch wird bey der Entree ein Buch präsentiert werden, wo­ rinn man seinen Nahmen zu schreiben belieben wird. 5) Man wird von selbst ermessen, daß es die Aufseher dieser Sammlung in Verlegenheit setzen müsse, unangemeldet und gerade zu ins Kunsthaus zu kommen, um sie beyläufig und gelegentlich zu sehen; bloß weil man zuweilen weis, daß Gesellschafft darinnen ist. 6) Aus gleicher Ursache, und der Reinlichkeit wegen, verbittet mans ganz und gar, mit Hunden zu erscheinen. Cassel, den 19. August 1769.«14 Ob sich das Hundeverbot durchsetzen ließ, kann heute nicht mehr überprüft werden, wohl aber, dass der unter Punkt 4 genannten Anordnung, sich in das am Eingang ausgelegte Buch einzutragen, Folge geleistet wurde – die ersten Ein­ träge datieren schon vom 22. August, also in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dieser Anzeige. Dass das hier formulierte Bildungsangebot an alle »Liebhaber und Reisende«, das Kunsthaus zu besichtigen, tatsächlich angenommen wur­ de, zeigt der Blick auf die erste Seite des Besucherbuchs sehr anschaulich: ganz oben stehen hier, in der Handschrift des Kustos Raspe, ein Apotheker mit Gehil­ fe, eine jüdische Familie aus Rodenberg (in der hessen-kasselschen Grafschaft Schaumburg), ein Kasseler Maurermeister sowie eine Arztfamilie aus Eschwege. Am nächsten Tag kam eine Gruppe Göttinger Studenten in Begleitung ihres Hofmeisters Heinrich Christian Boie und des Gothaer Archivars Friedrich Wil­ helm Gotter, ein Pfarrer, drei adelige Fräulein, zwei englische und ein deutscher Offizier sowie ein Schweizer Hauslehrer mit Zöglingen – Belege, dass bereits das Kunsthaus über einen erstaunlich vielfältigen Besucherverkehr verfügte. Dessen ausführliche Schilderung in Friedrich Christoph Schminckes Be­ schreibung der Hochfürstlich-Hessischen Residenz- und Hauptstadt Cassel aus dem Jahr 1767 informiert darüber, was die Besucher zu dieser Zeit dort zu sehen bekamen. Sie belegt zugleich den Wandel, den das ursprünglich vor allem zu na­ turwissenschaftlichen Studien eingerichtete Kunsthaus in der Mitte des 18. Jahr­ hunderts durch die Überführung zahlreicher Kunstgegenstände, in erster Linie durch die Musealisierung der Silberkammerobjekte, erfahren hatte.15 Raum für Raum führt Schmincke durch den »ungemeine(n) Vorrath sowol natürlicher als künstlicher Seltenheiten an Schildereyen, Bildhauerarbeit, Münzen, Alterthü­ mern, auch mathematischen und physikalischen Raritäten, welche in beson­ dern Zimmern und Schränken in bester Ordnung aufbehalten werden«.16 Im Erdgeschoss befanden sich das Skulpturen- und das Mineralienzimmer, im ers­ ten Stock Räume für Münzen und Medaillen, für Gemmen und Kameen, für

14 PCZ, 1769, S. 386. 15 Vgl. Schütte 2003, S. 23 ff. 16 Schmincke 1767, S. 134 f. Zum Kunsthaus zuletzt Ausst.Kat. Kassel 2011, S. 10 ff; Scherner 2012/2013.

17 Abb. 4: Historisches Tablar aus dem Kunsthaus mit nachantiken Gemmen und Kameen

Majolika, Uhren, physikalische, optische und mathematische Instrumente. Im zweiten Stock waren, so Schmincke, »Zimmer worinnen ausgestopfte Thiere, alte Kleidertrachten, Gläser und Gewehr, auch musicalische Instrumente aufbe­ wahret werden.« Unter der Kuppel befanden sich schließlich die Anatomiekam­ mer und die Sternwarte, deren Laterne von Landgraf Karl mit einem hochmo­ dernen, auf Denis Papins Experimenten fußenden »Luftstuhl« (pneumatischer Aufzug) ausgestattet worden war.17 Die Besucher betraten also Räume, die zwar eine Separierung nach Materialien und Gattungen erkennen lassen, jedoch in der dichtgedrängten Zusammenschau von Objekten unterschiedlichster Zeiten, Herkunft und Funktion den Charakter traditioneller Raritätenkammern besa­ ßen. So zeigte man im Zimmer für »geschnittene Steine«, d. i. die rund 2.500

17 Hallo 1929, S. 17.

18 Abb. 5 (links): Augsburger Prunkuhr, um 1690; Abb. 6 (oben): Automatischer Himmelsglobus­ von Jost Bürgi, um 1582, mit Gravierungen von Anton Eisenhoit

Stücke umfassende Sammlung von antiken und neuzeitlichen Gemmen und Kameen, die noch heute zu den bedeutendsten geschlossen erhaltenen Samm­ lungen dieser Art zählt (Abb. 4),18 u. a. auch noch Goldschmiede- und Elfenbein­ arbeiten, Straußeneierpokale, Götterfiguren aus Mexiko und Ägypten, Wand­ malereien aus Herculaneum, das geweihte Papstschwert Wilhelms I. (s. Abb. 48), den Zwerg Bébé des polnischen Königs Stanislaus in Wachs und, so Schmincke, die »Pyramidenförmige Uhr in einem gläsernen Gehäuse, welche überall mit vergüldeter silbernen Folie überzogen, und mit vielen getriebenen silbernen

18 Vgl. Schnackenburg-Praël 2006: Einleitung. Schmincke schreibt über die Tablare: »Um sie [die Gemmen] bequem zeigen zu können, sind viereckigte gefirnißte schwarze Tafeln mit güldenen kreutzweise gezogenen Linien dazu verfertigt, worauf man 60, 80 bis 100 Stü­ cke in ihrer gehörigen Ordnung ohne Mühe übersehen kan.« Schmincke 1767, S. 148.

19 Figuren auch sauberen Laubwerk und Drahtarbeiten ausgezieret ist« (Abb. 5).19 Wie qualitätvoll die Sammlungen in allen Bereichen waren, sei noch anhand von vier einzelnen Objekten angedeutet: zu den Exponaten zählten der weltweit älteste Dampfdruckzylinder von Denis Papin, die als »Wunderwerke« gepriese­ nen Himmelsgloben von Jost Bürgi (Abb. 6), die kostbare Seladonschale, die als das früheste ostasiatische Porzellan in europäischem Besitz gilt, sowie Albrecht Dürers Porträt der Elsbeth Tucher.20 Die Funktion von Schminckes Buch als eines Führers zu den Sehenswür­ digkeiten Kassels macht ersichtlich, dass das Kunsthaus nicht erst mit der ein­ gangs zitierten Anzeige von 1769 öffentlich zugänglich war. Reisende sowie die Dozenten und Studierenden des angegliederten Collegium Carolinum, das auf Anregung von Leibniz 1709 gegründet worden war, besuchten die Sammlungen, wie Schilderungen seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts belegen. So berichtet Michael Bernhard Valentini (1657–1729), Professor der Medizin in Gießen, im zweiten Band seines umfangreichen Werks Musei Museorum aus dem Jahr 1714, was er über das Kunsthaus alles erfahren habe durch einen »curiosen Passa­ gier, so ohnlängst im Durchreisen zu Cassel alles genau besichtigt und annotiret hatte«21, und er listet nach dessen Angaben die hier sehenswerten Objekte für weitere Interessenten auf. Wie sehr die Sammlungen des Kunsthauses bereits zu dieser Zeit nicht nur von den ortsansässigen Gelehrten, sondern auch von durchreisenden Kollegen studiert wurden, haben unlängst mehrere Untersu­ chungen anschaulich herausgearbeitet.22 Doch von einem regelmäßigen Publi­ kumsverkehr, der über den Kreis der Gelehrten hinausging, war das Kunsthaus zu dieser Zeit noch weit entfernt. So war durch die dichtgedrängte Fülle der zum Teil freistehenden Sammlungsobjekte eine intensive Betreuung der Besucher besonders wichtig – allein schon deshalb empfahl es sich, wie in der eingangs zitierten Anzeige vermerkt, eine vorherige Anmeldung und eine Beschränkung der Besucherzahl festzulegen. Spätestens mit dieser Anzeige stand jedoch fest: willkommen waren alle Interessenten. Eintritt und Führung waren kostenlos, doch war es üblich, dem Pedell ein kleines Geldgeschenk zu machen.23 Dass mit dieser Öffnung für jedermann zugleich über neue Präsentations­ formen der Sammlung nachgedacht wurde, ist naheliegend, gleichwohl aber

19 Die Uhr stand also nicht im Uhrenzimmer, sondern in unmittelbarer Nähe zu weiteren Erwerbungen Landgraf Karls an Augsburger Tafel- und Buffetsilber. Das weist darauf hin, dass sie zu dieser Zeit weniger wegen ihrer technischen Raffinesse, sondern aufgrund der herausragenden Qualität der Goldschmiedearbeiten geschätzt wurde. 20 Diese Objekte sind heute verteilt auf verschiedene Abteilungen der Museumslandschaft Hessen-Kassel (künftig mhk): Astronomisch-physikalisches Kabinett, Gemäldegalerie Alte Meister, Kunsthandwerk und Plastik. 21 Valentini 1714, Appendix V, S. 14–16, hier S. 16. 22 Ausst.Kat. Kassel 2011; Waitz von Eschen 2012, S. 39 ff. 23 Vgl. Vercamer 2006, S. 326.

20 Abb. 7: Rudolf Erich Raspe, Medaillon von James Tassie, 1784

ein Novum der europäischen Museumsgeschichte – entwickelt an der Samm­ lung des Kasseler Kunsthauses durch einen Universalgelehrten von internatio­ nalem Rang.

3. Geburtsstunde des kulturhistorischen Museums: Rudolf Erich Raspes Entwurf für ein »Gotisches Kabinett« 1768

Rudolf Erich Raspe (Abb. 7), von 1767 bis 1775 Kustos der Antiquitäten und sonstigen Pretiosen im Kunsthaus und zugleich Professor für Altertumswissen­ schaft amCollegium Carolinum, lenkte ungewöhnlich intensiv und »modern« anmutend sowohl in seiner natur- wie in seiner geisteswissenschaftlichen For­ schungsarbeit den Blick auf die Bedeutung des Materiellen für den Wissensge­ winn sowie auf dessen praktische Anwendbarkeit. So entwickelte er aufgrund umfangreicher Feldforschung bahnbrechende Thesen zum vulkanischen Ur­ sprung der Erdgestalt, die ihm den Ruf des ersten Vulkanisten (Goethe über Raspe)24 einbrachten und reflektierte zugleich auch über deren wirtschaftlichen Nutzen (dazu weiter unten). Parallel arbeitete er intensiv an den Beständen der

24 Vgl. Wiebel/Gfeller 2009, S. 10.

21 landgräflichen Sammlung – sei es im Bereich der Altertümer, für die er eigent­ lich zuständig war, sei es im Bereich der Naturalien. Schon bevor er nach Kassel gekommen war, hatte er sich – wie im übrigen die meisten Sammlungstheoretiker seit dem 16. Jahrhundert25 – für die Öffnung privater Sammlungen für das Publikum eingesetzt. So lobte er 1767 in seinem Katalog zur Antiken-Sammlung des kurhannoverschen Generals von Wallmo­ den diejenigen Sammler, »die fähig, geneigt und im Stande sind wohlgewählte Kunstsammlungen anzulegen, und diese nicht wie Gräber der Künste zu ver­ schließen, sondern […] auch von Zeit zu Zeit und zu einem unschädlichen Ge­ brauch zu eröffnen. Nicht ein jeder kann nach Corinth oder nach der Schule der Künste, nach Rom, gehen […]«.26 Seine Wirkungsstätte in Kassel betrachtete er von Beginn an als öffentliches Museum und als Forschungsstätte zugleich. So geht er in seinem durch Mitglieder der Royal Society angeregten Aufsatz über Elefantenzähne und Mammutknochen von 1770 explizit auf die Backenzähne ein, die ihm (!) »in museo publico« des hessischen Landgrafen anvertraut sei­ en.27 Er plante auch, die »Merkwürdigkeiten der hiesigen Sammlungen stück­ weise zu beschreiben und bekannt zu machen«, wie er in einem Brief an Fried­ rich Nicolai vom 5. Februar 1770 schrieb.28 Hand in Hand mit diesen Plänen für eine Katalogveröffentlichung der Sammlungen sowie dem Engagement für deren allgemeine Zugänglichkeit entwickelte Raspe Ideen und Initiativen, die einen grundsätzlich neuen Umgang mit materiellen Relikten der Vergangenheit signalisieren. Im Januar 1768, als Raspe mitten in der Bearbeitung seines gewaltigen Kata­ logs der fürstlichen Münzsammlung mit rund 16.000 Nummern steckte, schick­ te er Landgraf Friedrich II. den Vorschlag zur Anlage eines neuen Kabinetts.29 Anlass war eine wohl von Raspe selbst initiierte Umräumaktion innerhalb des Kunsthauses. Die ihm »bisher mit anvertraut gewesenen Achate« waren in die Mineralienkammer versetzt worden. Dadurch war in einem Zimmer im ers­ ten Stock, das bei Schmincke die Bezeichnung »Alterthümer und andere Sa­ chen« trägt, Raum frei geworden. Für dieses Zimmer schlug Raspe nun eine für ihre Zeit – wie er selbst gleich zweifach in seinem Brief betont – einmali­ ge neue Nutzung vor: er plante hierfür die »Formierung und Aufstellung eines gothischen oder alt-Teutschen Antiquitaeten-Cabinettes«. Möglicherweise war Raspe gerade durch seine Arbeit am Münzkatalog auf die Idee einer solchen

25 Minges 1998, S. 172 ff. 26 Raspe 1767, S. 201 f. 27 Raspe 1770, S. 128. Vgl. dazu auch weiter unten, Kap. 8.2. 28 LMB, 2° Ms. hist. litt.34[Nicolai,Raspe:16. 29 mhk, Archiv, Schloss Wilhelmshöhe; vgl. zum folgenden Hallo 1934, S.1 ff, S. 185 ff; in der jüngeren kunstgeschichtlichen Literatur wurde Raspes Idee m.W. nur sporadisch behandelt: Dolff-Bonekämper 1985, S.18–26; Becker 1996, S.136–144; zuletzt: Linnebach 2005, S. 82–97, und Linnebach 2014.

22 Abb. 8: Tafel mit Funden der Grabungen auf der Mader Heide 1709, beigeheftet der Dissertation von J.H. Schmincke und J. Österling De Urnis sepulcralibus et armis lapideis veterum Cattorum, Marburg 1714 epochenspezifischen Zusammenschau und damit chronologischen Ordnung auch anderer Bestände gekommen – hat doch das chronologische Sortieren ge­ rade bei Münzen eine lange Tradition.30 Zugleich konnte Raspe an einige in diesem Zimmer bereits befindliche Objekte anknüpfen – waren hier doch die Fundstücke aus der 1709 unter Landgraf Karl erfolgten Grabung auf der Mader Heide, dem überlieferten Kult- und Versammlungsplatz der Chatten, zu sehen (Abb. 8), eine Unternehmung, die als erste systematische und von einer wissen­ schaftlichen Auswertung begleitete landesarchäologische Ausgrabung zu gelten hat.31 Der Blick auf die vaterländische Geschichte war mit diesen chattischen Steinäxten und Urnen im Kunsthaus somit schon präsent, erfolgte jedoch im Kontext von bzw. in Konkurrenz zu römisch-antiken Kleingeräten und Reliefs.

30 Zur chronologischen Ordnung von Münzkabinetten vgl. Minges 1998, S. 182. Einige Jahre nach Raspes Vorschlag wurde eine chronologische Ordnung der Dresdner Galerie konzipiert – und gleichfalls nicht ausgeführt; vgl. Spenlé 2004; Weddigen 2009. Gut aufge­ arbeitet ist Christian von Mechels chronologische Hängung der Gemäldegalerie im Oberen Belvedere in Wien ab 1778, vgl. Meijers 1995; Annette Schryen: Die k.k. Bilder-Gallerie im Oberen Belvedere in Wien. In: Savoy 2006, S. 279–303, zur Präsentation S. 288–291. Zuletzt Michael Yonan: Kunsthistorisches Museum/Belvedere, Vienna: Dynasticism and the Func­ tion of Art. In: Paul 2012, S.167–189. 31 Vgl. Dolff-Bonekämper 1985, S. 9 ff.; Niemeyer 1964.

23 Abb. 9: Rudolf Erich Raspe, Hermin und Gunilde, Leipzig 1766, Frontispiz und Titelblatt

Raspe gliedert seinen Entwurf geschickt in inhaltliche Begründungen und praktische Vorschläge zur Umsetzung bis hin zur Kostenkalkulation – durchaus vergleichbar einem heutigen Ausstellungsmacher auf der Suche nach Sponsoren. Zunächst steckt er den historischen Rahmen des Projekts ab (von der Zeit Karls des Großen bis ins 16. Jahrhundert), leitet dann zu seiner inhaltlichen Begrün­ dung über – und gelangt mit dem Plädoyer für das bislang verachtete Mittel­ alter zu einem der »Rahmenthemen« seines Gesamtwerks überhaupt: nirgends sei »ein dergleichen Cabinet gesamelt worden«, da »unverständige Geschicht­ schreiber und verwöhnte Kunstsamler jene Teutsche Zeiten und ihre Ueberbleib­ sel als barbarisch verächtlich angesehen haben«. Hierin knüpft er an Gedanken an, die er bereits 1766 in seiner Romanze Hermin und Gunilde formuliert und im Frontispiz zugleich visualisiert hatte (Abb. 9). Raspe unterstreicht in seinem Entwurf im folgenden den Nutzen eines solchen Kabinetts für eine breitere Öf­ fentlichkeit: »Einem Teutschen, der sein Vaterland liebt, einem unpartheyischen Fremden, der den Werth der Sitten und Künste nicht blos nach der Mode misset, und einem Geschichtsschreiber und Künstler, der alle Völker und Jahrhunderte kennen und gelegentlich nützen mus, wird eine solche Samlung etwas sehr er­ wünschtes und schätzbares seyn […]« Auf Landgraf Friedrichs II. Vorliebe für

24 die Antiken anspielend, führt Raspe diplomatisch als Vorteil eines solchen Ka­ binetts für die gesamte Sammlung an, »daß nemlich inskünftige das Gothique von denen antiquen und neuern Kunstwerken zu beider Vortheil, ganz separiret werden wird.« Abschließend kommt Raspe zur praktischen Umsetzung seines Plans. Er nennt bereits im Kunsthaus vorhandene Objekte zu diesem Themen­ bereich, neben Altären, Statuen, Waffen, Pokalen u. a. auch die alten fürstlichen Kleider. Zur Komplettierung schlägt Raspe vor, in den landgräflichen Schlössern und Zeughäusern nach weiteren »für diese Samlung noch brauchbahr[en]« Din­ gen zu suchen. Zum Schluss folgt die Einschätzung der Kosten und ein Vorschlag für die Ausstellungsarchitektur: »Das Arrangement selbst kann ohne große Kos­ ten in die Augen fallend eingerichtet werden, wenn alles zusammengehörende in Schränken zusammengelegt oder an den Wänden geschikt groupiret, diese aber mit gothischer Architectur en detrempe32 bemahlt würden, damit man alles was den gusto jener Zeiten betrift so viel möglich beisammen haben möge.« Mit diesem auf wenigen Seiten skizzierten Plan eines neuen Kabinetts, so unscheinbar in der äußeren Form, betrat Raspe museologisches wie historiogra­ phisches Neuland – und das gleich unter drei Aspekten: – Zum ersten Mal in der Geschichte des Sammelns wird ein größerer Kom­ plex verschiedener Objekte unter einem historischen Bezugssystem zu­ sammengefasst. Die bisher geltende Ordnung von Kunstkammern nach Materialien oder Gattungen wird darin vollständig aufgelöst und zugleich eine Synthese von ästhetischer und historischer Betrachtungsweise von Objekten versucht. Im Zentrum des Interesses steht folglich die visuelle Erfahrung bei der Geschichtsbetrachtung und die anschauliche Vermitt­ lung historischen Wissens über und durch Objekte, eine Idee, wie sie erst Generationen später und in anderem politischen Kontext im Germani­ schen Nationalmuseum Nürnberg (gegründet 1852) wiederkehrt. – Mit seiner aufklärerisch-patriotisch motivierten Neubewertung der Gotik tritt Raspe für eine bislang als »barbarisch« abgeurteilte Epoche ein – Jahre vor Goethes berühmtem Hymnus auf das Straßburger Münster, Jahrzehnte vor den Brüdern Boisserée, die als erste Sammler altdeutscher Malerei gel­ ten. Zugleich artikuliert sich hier sowohl die Idee der kulturellen Identität einer Nation wie die des Eigenwerts und der Gleichrangigkeit der Epochen. – Das fürstliche Privateigentum erscheint als Bestandteil einer gemeinsa­ men nationalen Geschichte. Mit der expliziten Ausrichtung auf ein brei­ tes Publikum und dem damit verbundenen aufklärerisch-pädagogischen Anspruch verwandelt sich die fürstliche Kunstkammer in eine öffentliche Bildungsanstalt – in das »Museum der Aufklärung«. Es verwundert kaum, dass Raspes wahrhaft radikalem Vorschlag zur, wie wir heu­ te sagen würden, geschichtsdidaktischen Umstrukturierung der landgräflichen

32 = Leimfarbe.

25 Sammlungen ein regierungsseitiges Reskript mit negativem Bescheid folgte: »so hat es dabey sein bewenden.«33 Für die Neuwertung des Mittelalters sowie die Gliederung der Sammlung nach Epochen war offensichtlich die Zeit noch nicht reif genug, zumal sich die deutsche Aufklärungshistoriographie selbst gerade auf die schriftliche Überlieferung festlegte.34 So blieb dieser erste Ansatz zur visuellen Geschichtsvermittlung über die Präsentation von unterschiedlichen mittelalterlichen Sammlungsobjekten unbeachtet und wird bis heute nicht an­ gemessen gewürdigt.35 Immerhin konnte Raspe den Landgrafen für weitere Mittelalter-Projek­ te gewinnen, wie seine Quellensammlung zur hessischen Geschichte und sei­ ne Urkundenrecherchen in westfälischen Klöstern 1773, die auch zum Erwerb kostbarer Handschriften für die fürstliche Bibliothek führten (Abb. 10). Seine Blicklenkung auf den Wert mittelalterlicher Relikte könnte auch dazu geführt haben, dass Glasfenster des 16. Jahrhunderts aus der Dorfkirche von Dagoberts­ hausen für das Museum Fridericianum erworben werden sollten.36 Auch sein Vorschlag zur Anschaffung neuer Sammlungsmöbel (Abb. 11)37 sowie sein En­ gagement für die allgemeine Zugänglichkeit der Sammlungen fand Billigung und

33 Ähnlich gelangte auch der nur wenig später erfolgte Vorschlag zur chronologischen Prä­ sentation der Dresdner Galerie nicht zur Ausführung, vgl. Splené 2004. 34 Vgl. Bickendorf 1998, S. 26 f. Hier auch insgesamt zum Spannungsverhältnis von »His­ torikern« und »Kunsthistorikern« (ante termini) im 18. Jahrhundert, S. 9 ff. Raspe wurde zu seiner Neubewertung der Gotik möglicherweise durch die Beschäftigung mit Bernard de Montfaucon angeregt, der ab 1719 eine sakrale Kunstgeschichte des Mittelalters plan­ te und sich dabei erstmals zu einer positiven ästhetischen Sicht der Gotik bekannte (vgl. ebd., S. 159 ff.). Montfaucons Werke waren Raspe in der Göttinger und Kasseler Bibliothek zugänglich. Darüberhinaus wäre als Vorläufer von Raspes Vorschlag auf Scipione Maffeis Museums-Konzeptionen für Verona und Turin sowie auf seine ebenfalls ablehnende Hal­ tung zum Bild des »barbarischen Mittelalters« zu verweisen, vgl. ebd., S. 192 ff. Im Gegensatz zu Francesco Bianchinis noch einige Jahre früherem Projekt zu einem »Museo Ecclastico« im Vatikan ging es Raspe nicht um eine kirchenhistorische, sondern um eine umfassende kulturhistorische Mittelalter-Schau. Zu Bianchini vgl. Schölch 2006. 35 So vermisst man eine angemessene Darstellung von Raspes breitgefächerter Mittelalter­ rezeption in Ausstellung und Katalog zur Geschichte der Löwenburg, vgl. Ausst.Kat. Kassel 2012. Denn wenn von Historismus und Mittelalterrezeption in Kassel und darüber hinaus die Rede ist, hätte Raspe an erster Stelle genannt werden müssen; vgl. dazu insgesamt Lin­ nebach 2014. 36 STA MR, Bestand 5, 10132: Vorschlag zur Erwerbung der alten Glasfenster in der Kirche zu Dagobertshausen für das Kasseler Museum (1781-1784). Diese Glasfenster fanden später ihren Platz in der Löwenburg. 37 Dabei handelt es sich um neue Schränke für die Münz- und Medaillensammlung, die zu­ gleich den Kleinplastiken zu einer besseren Aufstellung verhelfen sollten. In einem Schrei­ ben an den Landgrafen vom 22.10.1767 schlägt er vor, dass diese Schränke »mit Glas-Thüren und Aufsätzen versehen werden, daß man auf und in selbigen die schönsten alten bronze- und andere kleine Statuen bewahren könnte, welche jetzt auf denen Tischen und auf dem Fache, allem Staube ausgesetzt, herumstehen müßen.« (mhk, Archiv, Hessisches Landes­ museum) Zu Sammlungsmöbeln insgesamt vgl. Heesen/Michels 2007.

26 Abb. 10 (links): Abdinghofer Evangeliar, um 1000, Einband 15. Jahrhundert mit Elfenbeindiptychon vom Ende des 10. Jahrhunderts; Abb. 11 (rechts): R.E. Raspe und J. Ruhl, Entwurf für einen Münzkabinettschrank, Aufriss und Schnitt, 1768 mündete u. a. 1769 auch in der Anlegung des Besucherbuchs. Wie wichtig ihm und Freunden wie Friedrich Nicolai in Berlin eine solche freie Besichtigungs­ möglichkeit von Sammlungen war, ist auch in seinem Briefwechsel dokumen­ tiert, fand doch in Berlin gerade die Gegenentwicklung zu Kassel statt. Denn der preußische König hatte das Antiken- und Münzkabinett nach Sanssouci in den Antikentempel verbracht und damit nicht nur dem allgemeinen Publikum, son­ dern auch der Wissenschaft entzogen – und offenbar war gar der Schlüssel dazu schwer zu finden. Nicolai schrieb entsprechend an Raspe am 10. September 1771: »Aber das ganze Antiquitäten und MünzCabinet aus Berlin ist auch in den Tem­ pel gebracht worden, und dis ist ein großer Verlust für die Gelehrsamkeit, denn nun steht es unter der Aufsicht des unwißenden u. groben Castellans, der es, vor einigen Wochen, als ich mit Hrn. Ebert aus Brschwg in Potsdam war, nicht einmahl zeigen wolte.«38 Ähnlich äußerte sich auch der preußische Offizier und Schriftsteller Karl Theophil Guichard (vom König Quintus Icilius genannt) am 23. November 1771 über das »verlaßene Museo in Sans Souci«, wo die Objekte »vergraben u. versteckt werden. Bis dato hat der Monarch sich noch nicht dazu verstehen wollen, jemanden die Aufsicht darüber anzuvertrauen. Man muß mit vieler Mühe die Schlüssel dazu suchen, und läuft Gefahr vergebens darum

38 LMB 4° Ms. hist. litt. 2[Nicolai:16; bei dem genannten Begleiter handelt es sich um den Braunschweiger Schriftsteller Johann Arnold Ebert (1723–1795), der gleichfalls Korrespon­ dent Raspes war.

27 anzuhalten. Sie wißen vielleicht, mit wie weniger Ordnung u. Einsicht, die Sa­ chen überhaupt aufbehalten werden.«39 Im Vergleich dazu herrschten in Kassel geradezu ideale Zustände, sowohl, was die Zugänglichkeit für interessierte Fremde und Einheimische betrifft, als auch in Bezug auf die Betreuung der Sammlungen durch Fachleute. Gehörte es, wie erwähnt, zur Besucherordnung des Kunsthauses, sich je nach Interes­ senslage beim Kustos der Altertümer oder dem der Naturalien und technischen Instrumente anzumelden, so sollte beim 1779 eröffneten Museum Fridericianum schließlich auch diese mögliche Hemmschwelle für potentielle Besucher ent­ fallen. Diesen weiteren Schritt auf dem Weg zum modernen Museum konnte Raspe freilich nur aus der Ferne beobachten: über Jahre in einen immer tieferen Schuldenstrudel geraten, hatte er sich an den – gerade von ihm selbst so sorgfäl­ tig katalogisierten – landgräflichen Münzen vergriffen und war, als der Verdacht unausweichlich auf ihn gefallen war, im Jahr 1775 nach England geflohen.

4. Wechselwirkung mit der Öffentlichkeit: eine »sinnliche Enzyklopädie« – das Museum Fridericianum

Im Jahr 1779 trat Kassel mit der Eröffnung des Museum Fridericianum als erstem für die allgemeine Öffentlichkeit geschaffenen selbständigen Museumsneubau an die Spitze der europäischen Museumsentwicklung. Die Idee zu seiner Ver­ wirklichung entstand selbst wiederum im Schnittpunkt kultureller Austausch­ beziehungen: denn sowohl die Englandreise Landgraf Friedrichs II. 1767, bei der er das British Museum in London besichtigt hatte, als auch seine Italienreise 1776/77, bei der er neben dem Erwerb bedeutender Sammlungsstücke auch das Istituto delle Scienze in Bologna kennengelernt hatte, wirkten sich unmittelbar auf seine Museumsplanung und -gestaltung aus. Im geplanten Zentrum der Stadt, in der Mitte der Längsseite des neugeschaf­ fenen Friedrichsplatzes (Abb. 12), ließ Landgraf Friedrich II. nicht, wie andere Territorialherren, z. B. Carl Eugen von Württemberg in vergleichbarer städte­ baulicher Situation in Stuttgart, ein repräsentatives Schloss erbauen, sondern eine für die Allgemeinheit bestimmte Bildungseinrichtung. Unmittelbarer An­ lass für den Bau war die Raumnot in der fürstlichen Bibliothek, die bislang im ersten Stock des Marstalls untergebracht war. Im Verlauf der Planungen entstand die Idee zur Verbindung mit den gleichfalls sehr beengt aufbewahrten Samm­ lungen im Kunsthaus, verstärkt vor allem durch umfangreiche Antikenankäu­ fe Landgraf Friedrichs bei seiner Italienreise.40 Beide Komplexe, die Bücher im Marstall und die Sammlungen im Kunsthaus, wurden folglich in dem neuen

39 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Guichard:2. 40 Zu Friedrichs Italienreise vgl. Rees/Siebers 2005, S. 284 ff.; Ausst.Kat. Kassel 2014, S. 47 ff.

28 22 17 32 18 20 19 16 31 21 29 15 9 7 13 6 33 4 14 5 30 12 8 25 23 10 3 2 24 1

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27 28

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Abb. 12: Stadtplan Kassel, 1803, gezeichnet von H. J. Martens, gestochen von G. W. Weise, Ausschnitt. 1 Residenz­schloss, 2 Paradeplatz, 3 Rennbahn, 4 Elisabethhospital, 5 Ottoneum / Kunsthaus, 6 Zwehrener Turm, 7 Museum Fridericianum, 8 Elisabeth­ kirche, 9 Friedrichs­platz, 10 Friedrichs­tor, 11 Orangerie, 12 Kunstakademie, 13 Gemäldegalerie, 14 Palais Bellevue, 15 Karlskirche, 16 Messhaus, 17 Opernhaus, 18 Lyceum Fridericianum, 19 Königsplatz, 20 Posthaus (»Gasthaus am Königsplatz«),­ 21 Martinskirche, 22 Holländisches Tor, 23 Zeughaus, 24 Marktplatz, 25 Marstall, 26 Charité, 27 Waisenhaus, 28 Anatomie, 29 Gasthof »Stadt Stralsund«, 30 Gasthof »Hof von England«, 31 Gasthaus »König von Preußen«, 32 Gasthof »Schwarzer Adler« in der Oberneustadt, 33 Gasthof »Stadt «

Gebäude am Friedrichsplatz zusammengeführt und gezielt um weitere Objek­ te, die zum Teil auch aus den Schlössern stammten,41 ergänzt. Orientiert am englischen Palladianismus, entstand hier der erste rein klassizistische Großbau in Mitteleuropa. Der hier erstmals in der Museumsarchitektur eingesetzte Säu­ lenportikus wurde in Folge zum Leitmotiv für Museumsbauten weltweit – von Istanbul bis Wa­ ­shington. Geschickt integrierte der Architekt Simon Louis du Ry (1726–1799) den mittelalterlichen Zwehrenturm als Sternwarte in das Museum und passte ihn optisch mit dem balustradenumzogenen Flachdach harmonisch dem Neubau an. Die Finanzierung dieses aufwendigen, selbstverständlich auch repräsentativen Zwecken dienenden Baus erfolgte in erster Linie aus englischen

41 So wurden z. B. die vier Bronzeabgüsse antiker Statuen, die Wilhelm VIII. 1756 für die Orangerie angekauft hatte (s. Abb. 53), der Statuengalerie eingegliedert. Vgl. Holtmeyer 1923, S. 335. Schmincke erwähnt sie 1767 noch in der Orangerie.

29 Subsidien­geldern, die Landgraf Friedrich aus dem Einsatz hessischer Truppen im Siebenjährigen Krieg und ab 1776 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erhalten hatte.42 In welch hohem Maße Landgraf Friedrich aber selbst an der Einrichtung des Museums Anteil nahm, vom Ankauf über die Aufstellung bis hin zur Nutzung, belegen zahlreiche Quellen. So berichtet der Bildhauer Johann Christian Ruhl (1764–1842) rückblickend: »Als Lehrling des Bildhauers Nahl wurde ich dazu verwendet, die kleineren Bildwerke aus dem alten Kunsthause in das 1779 vollendete Museum zu übertragen, und Landgraf Friedrich II. hatte eine solche Freude an dieser Einrichtung seines neuen Kunsttempels, dass er persön­ lich diese Uebertragung leitete und die Anordnung machte, ja, dass er selbst zu­ weilen die über die Strasse getragenen Kunstwerke persönlich begleitete. Dieses geschah einst auch an einem regnerischen Tage, an welchem ich unter Aufsicht meines Meisters Nahl werthvolle Bildwerke trug, während der Landgraf neben uns herging und bei der Ankunft im Museum ärgerlich äusserte: ›Da habe ich mir nun meine rothen Absätze (mes talons rouges) beschmutzt.‹«43 Auch spä­ ter kam Friedrich häufig in das Museum, so auch als Vorsitzender der von ihm bereits 1777 gegründeten Société des Antiquités, der ersten und damals einzigen deutschen altertumswissenschaftlichen Gesellschaft, die alle zwei Wochen im Museum tagte. Zunächst hatte man sich in einem Saal des Landgrafenschlosses getroffen, was auch noch zur Zeit von Friedrich von Günderodes Besuch (Ein­ trag im Besucherbuch am 7. Februar 1780) der Fall war. Allein schon das von diesem dort beschriebene »sehr altväterische« Ambiente dürfte jedoch zu einem baldigen Umzug in die neuen Räumlichkeiten des Museums verleitet haben. Eine vermutlich 1786 entstandene Skizze44 zeigt die Sitzordnung der Gesellschaft im Handschriften- und Kupferstichsaal des Museums, einem quadratischen, von vier Säulen getragenen Raum (Abb. 13).45 Aber auch außerhalb dieser Anlässe besuchte Friedrich oft die Sammlungen und die Bibliothek. So notiert Günde­ rode bei seinem Besuch des Museums kurz nach der Eröffnung: »[…] täglich, ja öfters zweymal am Tag besuchen Sie [d. i. Seine Durchlaucht] das Museum, und

42 Die unmittelbar im Anschluss an den Truppenvermietungsvertrag 1776 unternomme­ ne Italienreise Friedrichs und die dabei erfolgten Antikenankäufe standen schon bei den Zeitgenossen unter einem moralisch verwerflichen Licht, wie in einem Brief von Friedrich Adolf Herzog von Ostergötland an seinen Bruder, König Gustav III. von Schweden, überlie­ fert ist. Vgl. Both/Vogel 1973, S. 225. Zum »Soldatenhandel« zuletzt: Hofsommer 2012. 43 Zit. nach Hoffmeister 1885, S. 105. Hoffmeister ergänzt: »Die vom Landgrafen selbst be­ stimmten Plätze und Zimmer-Einrichtungen des Museums sind schon lange nicht mehr eingehalten und jetzt (1884) werden sogar viele Gegenstände wieder in das erneuerte alte Kunsthaus zu einem naturhistorischen Museum zurückgebracht. O, Wandel der Dinge und Zeiten.« 44 Mitte April 1786 wurde Johann Wilhelm Christian Gustav Casparson (1729–1802) zum beständigen Sekretär der Gesellschaft ernannt (vgl. Volmer 2003, S. 104) und saß, wie in der Skizze zu erkennen, dem Landgrafen (»Serenissimus«) gegenüber an dem großen Tisch. 45 Vgl. auch Apell 1792, S. 60.

30 Abb. 13: Skizze zum Sitzungszimmer und der Sitzordnung der Société des Antiquités im Museum Fridericianum, um 1786 selbst während der Exercierzeit verfügen Sie sich allemal, so bald dieses zu Ende dahin, und verbleiben bis zur Tafel allda.«46 Für das allgemeine Publikum schien dies keine Beeinträchtigung zu sein, denn »[…] niemand wird durch die öftere Gegenwart des Herrn Landgrafen abgehalten, sich so oft er will dahin zu bege­ ben, indem der Herr eine wahre Freude haben, wenn Sie sehen, dass diese zum gemeinen Besten gemachte Anstalten fleißig benutzt werden. Ja! Sie erkundigen Sich öfters, ob viele Personen dahin kommen und sind Sie auch zugegen, so darf dennoch ein jeder ohngestört in seinem Geschäfte fortfahren.«47 Vom alten Kunsthaus beibehalten blieb die universale Ausrichtung des neuen Museums: zu sehen war, wie der schwarzburg-rudolstädtische Prinzenerzieher

46 Günderode 1781, S. 217. 47 ebd., S. 122.

31 Abb. 16: Johann Melchior Roos, Die Menagerie des Landgrafen Karl, 1722–1728/29

Friedrich Wilhelm von Ketelhodt (1766–1836)48 im Jahr 1789 vermerkte, ein »unendlicher Vorrath von den kostbarsten natürlichen und künstlichen Selten­ heiten aus den ältesten und neuern Zeiten, und aus den entferntesten Weltge­ genden.«49 Die Raumordnung (s. Abb. 14, 15, im Vor- und Nachsatz) und Ein­ richtung lassen jedoch nun eine klare Ausdifferenzierung in die verschiedenen Wissensbereiche – Altertümer, Naturalia, Naturwissenschaften und Technik – erkennen, und eine chronologisch-sinnstiftende Ordnung im Sinne Raspes

48 Biographische Angaben werden im Folgenden aus Platzgründen nicht einzeln belegt. Hier wird grundsätzlich auf die Biogramme und die Literaturangaben in der Online-Datenbank verwiesen (https://www3.bibliothek.uni-kassel.de/besucherbuch/datenbank.php?lang=de). 49 Ketelhodt 1789/90, S. 245.

32 wurde zumindest angedeutet: der Zwerg Bébé war nun dem großen Wachsfi­ gurenkabinett integriert, die antike war räumlich von der neuzeitlichen Plas­ tik getrennt, die ausgestopften Land- von den Seetieren, die Musikinstrumente von den Waffen. Entstanden war hier eine »sinnliche Enzyklopädie«50: d. h. eine umfassende, geordnete Schau des Wissens, in der ästhetische Präsentationsfor­ men einen unmittelbaren Erkenntnisgewinn in allen Bereichen von Natur- und Kulturgütern ermöglichen sollten.51

50 So nannte der preußische Offizier Johann Wilhelm von Archenholtz 1787 das Istituto delle Scienze in Bologna, vgl. Both/Vogel 1973, S. 238. 51 Zur Ausstattung vgl. die Beschreibung des Architekten du Ry in Boehlke 1963.

33 Dazu einige Beispiele: Betrat man das Vestibül des Museums, so gelangte man links über die »Galerie der Modernen«,52 d. i. der nachantiken Plastiken, in das Mineralienkabinett, also gewissermaßen von der Kunst in die Natur. Dass die­ se Komplexe jedoch in einem inneren Zusammenhang zu verstehen sind, wur­ de durch die Kombination verschiedener Exponate sinnfällig gemacht: so konn­ te man die zuvor in der Skulpturen-Galerie wahrgenommenen Naturmaterialien wie Marmor oder Alabaster auch in verschiedenen Bearbeitungszuständen im Naturalienkabinett wiederfinden, und hier hing auch Hackerts Vesuvausbruch (s. Abb. 81), unmittelbar neben einem Glasschrank, in welchem Lava und Asche von eben diesem Vulkan zu sehen waren – gleich einer Veranschaulichung der virul­ enten Diskussion um die Erdentstehung und -entwicklung, an der der ehemalige Kustos Raspe wesentlich Anteil hatte.53 Hierzu zählt auch ein erst jüngst in seiner Bedeutung wiederentdeckter Tisch mit Marmorproben aus Italien (s. Abb. 84), der im Mineralienzimmer ausgestellt war, inhaltlich aber zugleich die Brücke zur Antikensammlung schlug,54 sowie die Mosaiken, darunter die mittlerweile ver­ schollene, aber von zahlreichen Besuchern gerühmte lebensgroße Johannesfigur nach Raffael im letzten Zimmer des Flügels.55 Als besonderes Exponat stand im Mineralienzimmer ab 1783 auch das Richelsdorfer Gebirgsschränkchen (s. Abb. 85), angefertigt von Bergrat Bose in Richelsdorf für das Museum.56 Es zeigt in of­ fenkundig pädagogischer Absicht einen Schnitt durch die Schichtenfolge des Ri­ chelsdorfer Gebirges süd-östlich von Kassel, verbunden mit Informationen über die jeweilige Dicke der dargestellten Schichten auf der Innenseite der Flügeltür­ chen. Gleich einem dreiflügeligen Schrein gibt es dem Besucher den Blick auf das sonst nur den Bergleuten zugängliche Erdinnere frei. Gezielt wurden hier folglich Objekte unter bestimmten Fragestellungen und didaktischen Gesichtspunkten erworben oder angefertigt und der bereits bestehenden Sammlung integriert. Ähnlich kombinierte man im nächsten Raum die ausgestopften Tiere aus den fürstlichen Menagerien mit dem großen Tierstück von Johann ­Melchior­ Roos, das eben diese Tiere porträthaft zeigt (Abb. 16).57 Hier war auch der Goethe-Elefant

52 So nennt sie der Architekt du Ry selbst, vgl. ebd., S. 100. 53 Vgl. Waitz von Eschen 2012. Dazu auch unten, Kap. 8.5. 54 Ausst.Kat. Kassel 2014, Kat. Nr. 11. Die 1777 in Italien erworbene Tischplatte wurde in Kassel auf ein Gestell montiert, das zu den weiteren, eigens für das Museum angefertigten Sammlungsmöbeln, etwa den Tischen für die Korkmodelle, passte. Der Tisch befindet sich heute im Naturkundemuseum im Ottoneum. 55 Vgl. z. B. Günderode 1781, S. 112; Moore 1779/80, 2. Bd., S. 36–41. Die Mosaikarbeit zählt vermutlich zu den unter König Jérôme aus Kassel abtransportierten Werken. 56 Das Schränkchen ist eine Stiftung des hessen-kasselschen Bergwerksrats Carl Siegmund Fulda: »Dem Hochfürstlichen Museo gewidmet 1783 C. S. Fulda«. Vgl. Ausst.Kat. Kassel 1979, S. 295. 57 Vgl. Lehmann 2009. Roos »porträtierte« für Landgraf Karl auch botanische Besonder­ heiten, wie die 1706 datierten Gemälde Königin der Nacht in Knospe und Königin der Nacht

34 Abb. 17: Johann Wilhelm Kirchner, Porträt Landgraf Friedrich II., Wachs, koloriert

ausgestellt, zunächst nur seine Haut, später das Ganze ausgestopft und schließ­ lich zuletzt mit dem daneben stehenden Skelett (s. Abb. 64, 65) kombiniert, nach­ dem Goethe den nach Eisenach zu anatomischen Studien ausgeliehenen Schädel wieder zurückgegeben hatte.58 Zu den großen, konsequent auf das Publikum abzielenden Attraktionen des Museums zählte, wie viele zeitgenössische Schilderungen belegen,59 das Wachs­ figurenkabinett im Weißensteiner Saal, das durch Öffnen eines Vorhanges the­ atralisch den Besuchern zugänglich gemacht wurde. Die historische fürstliche Kleidersammlung, die im Kunsthaus noch ein eher trauriges Schattendasein in Gesellschaft von ausgestopften Tieren, Tischgerät und Waffen führte, erhielt hier nun durch die Kombination mit lebensgroßen Figuren der hessischen Landgrafen­ und ihrer Gemahlinnen seit Philipp dem Großmütigen eine besondere Anschau­ lichkeit – »die Köpfe und Hände von kolorirtem Wachs […] nach vorhandenen Porträts und Büsten auf das genaueste nachgeahmt«60 (Abb. 17). Günderode­ be­ schreibt sie als »gaenzlich nach dem jezeitigen Costueme gekleidet, frisirt und aufgesetzt, welches denn in der That ein sehr wichtiger Gegenstand bleibet, seine Neugierde von der Veraenderung des Geschmacks und der Moden sattsam zu in Blüte. Beide Bilder befanden sich im Kunsthaus (Inventar 1730, 773 und 774; jetzt Inv.Nr. GK 1026, 1027). 58 Zum Goethe-Elefant zuletzt: Siemon 2012. Vgl. dazu ausführlicher unten Kap. 8.2. 59 Vgl. Vercamer 2006, S. 506, 510 f., 513, 516, 523. Die grundlegende Studie zu keroplasti­ schen Herrscherporträts (Marthe Kretzschmar: Herrscherbilder aus Wachs. Lebensgroße Porträts politischer Machthaber in der Frühen Neuzeit. 2014) lag bei Abfassung dieser Publi­ kation noch nicht vor. 60 Apell 1792, S. 62.

35 befriedigen.«61 Ein weiterer Besucher urteilt 1790: »Ein langes Zimmer ist den altdeutschen Trachten gewidmet, die man nicht interessanter als geschehen dar­ stellen kann.«62 Das Wachsfigurenkabinett belegt deutlich, wie »in Wechselwir­ kung mit Öffentlichkeit« neue Präsentationsformen von Objekten der tradierten Sammlung entstanden waren.63 Augenfällig ist dabei auch eine inhaltliche Ver­ schiebung: zwar vermochten solche Herrscherfiguren auch noch im aufgeklär­ ten Zeitalter eine politisch-repräsentative Funktion erfüllen, wie die Kommentare von Museumsbesuchern belegen, in denen von »Ehrfurcht« und »schauerlicher Schüchternheit« gegenüber dieser Versammlung die Rede ist.64 Doch im Unter­ schied zu den hier gleichfalls ausgestellten älteren Wachsporträts (Abb. 18) dien­ ten die neuen Wachsfiguren in ihren historischen Gewändern vielmehr der Ver­ anschaulichung des geschichtlichen Wandels. Der Besucher Hollenberg, der die Wachsfiguren kurz vor ihrer Überführung in das neue Museum noch im Kunst­ haus sah, bemerkte: »In einem Zimmer sind die Voreltern des regierenden Land­ grafen in Wachs, in Lebensgröße mit denselbigen Kleidungen, die sie getragen haben. Es ist artig zu sehen, wie sich die Mode in den Trachten seit vielen Jahren her verändert hat, und wie dieses so nach und nach stuffenweise geschehen.«65 In den zwei anschließenden Zimmern wurden entsprechend historische Por­ träts sowie die Sammlung historischer europäischer Gebrauchskleidung in Ver­ bindung mit Kleidungsstücken und Gerätschaften aus Asien, Afrika, Amerika und der Südsee (»der Otaheiten und anderer Wilden«, so Ketelhodt66) gezeigt, so dass sich auch hier wieder für die Besucher unmittelbare Vergleichsmöglich­ keiten zur Kostümgeschichte boten (Abb. 19, 20, s. auch Abb. 94). Die Objekte aus Asien und Afrika gehörten schon länger zum Bestand der landgräflichen Kunstkammer, die aus Amerika und der Südsee stammenden Exponate waren erst jüngst mit den hessischen Truppen aus Amerika, über Raspes Beziehun­ gen zur Royal Society67 sowie vermutlich aus der Sammlung der Weltreisenden

61 Günderode 1781, S. 119. 62 Halem 1790, S. 13. 63 Zum Wachsfigurenkabinett: Becker 1996, S. 170–173. 64 Seidel 1786, S. 103. 65 Hollenberg 1782, S. 42. 66 Ketelhodt 1789/90, S. 246. Das um 1780 angelegte Inventar des Armatur- und Wachszim­ mers (mhk, Archiv) verzeichnet auf mehreren Seiten »Asiatische, afrikanische und amerika­ nische auch lappländische Kleidungs- und andere Stücke«. Es umfasst rund 200 Nummern, darunter auch einen »indianischen Fächer«, bei dem vermerkt wurde, dass er als Geschenk von Friedrichs zweitältestem Sohn, Carl von Hessen-Kassel, in das Museum kam (Nr. 11b). Zu den Ethnographica in der landgräflichen Sammlung vgl. insgesamt Hahn 2000. Dieser Sammlungskomplex ist, nach Zwischenstationen im Ottoneum (ab 1883) und im Völker­ kundlichen Museum in Witzenhausen (ab 1979), seit 2006 der Volkskunde-Abteilung der mhk eingegliedert. Zu »Exotika« in den Kunstkammern grundlegend: Collet 2007. 67 Bereits 1775 kam über Raspe ein Objekt aus der Südsee in die Sammlung. Auf einer Notiz von Solander und Forster (London 1771) über die morus papyrifera von Otaheiti in

36 Abb. 18: Wachspor­ trätbüste Heinrichs IV. von Frank­ reich, um 1610/11

­Johann Reinhold Forster und seines Sohnes Georg nach Kassel gelangt. Denn der jüngere Forster war von 1778 bis 1784 Professor für Naturgeschichte am Collegium Carolinum und ab März 1780 zugleich Kustos der Naturalienabteilung im Muse­ um Fridericianum.68 Mit der Präsentation dieser Ethnographica verfügte das Mu­ den Akten des Naturkundemuseums findet sich folgender Vermerk Raspes: »Leinwand von Otaheiti in der Südsee. Ist mir aus England geschickt. Ich referire es ins Kunsthaus. 1775.« Vgl. Hallo 1934, S. 37, Anm. 51. 68 Das Inventar vermerkt mehrere Stücke aus »Otaheiti«, die vermutlich über die beiden Forsters in die Sammlung gelangt sind. Denn am 5. Juni 1779 berichtet in einem Brief an Spener über die in Kassel angekommenen Kisten mit seinen Sammlungs­ stücken aus der Südsee (Forster 1783, S. 206) – zwar zum größten Teil ruiniert (»alles ganz zu Mist verfault. Ein unersezlicher […] Verlust!«), aber vielleicht war doch das eine oder ande­ re Stück noch erhalten. Im Inventar wird jedenfalls unter den Nummern 150a–c u. a. aufge­ listet: »Sechzehn Stück Zeuge gros und klein von Baumrinde verfertigt von den Einwohnern von Otaheiti, 12 Stück Zeug von Otaheiti. Ein Bett von Bast von Otaheiti.« In einem Brief spricht Forster von ein »paar Lappen taheitischem Zeuge«, das die Forsters bereits 1775 in London an Leopold von Anhalt-Dessau geschenkt hatten (vgl. Forster 1783, S. 188) und das den Grundstock der Sammlung im 1783/84 gebauten Südseepavillon im Wörlitzer Park bil­ dete. Es ist anzunehmen, dass Forster entweder im Vorfeld seiner Bemühungen, seinem Va­ ter eine Professur in Kassel zu verschaffen, oder während seiner eigenen Kasseler Jahre dem hessischen Landgraf, den er mittlerweile zu den »guten Fürsten« zählte (vgl. ebd.), gleich­ falls »taheitisches Zeug« vermacht hat. Dass Forster mit dem Landgrafen auch über den – freilich nicht zustande gekommenen – Ankauf seiner Zeichnungen verhandelt haben muss, wird aus einem Brief Forsters vom 8. Dezember 1778 an seinen Vater ersichtlich: »Wegen meiner Zeichnungen, die Jedermann und der Landgraf selbst bewundert, wird hier wohl nichts zu thun seyn. Hier sind Alterthümer das Einzige, das Geltung hat.« (Forster 1783, S. 156) Möglicherweise hatte der Landgraf aber auch kein Interesse an den ­Zeichnungen, da es nicht die Originale, sondern Kopien waren. Denn der Kassel-Besucher Hollenberg berichtet 1779: »In seinem Hause zeigte mir Herr Forster eine vortrefliche Sammlung sehr

37 Abb. 19 (links): Inventar des Armatur- und Wachszimmers im Museum Fridericianum, ca. 1780: »Asiatische, afrikanische und ameri­ kanische auch lapp­län­dische Klei­ dungs- und andere Stücke«

seum über eine neuartige Ausstellungseinheit von exotischen Objekten, die dem aufklärerischen Interesse an fremden Kulturen entgegenkam und in der Kombi­ nation mit Stücken aus der Alten Welt unmittelbar die europäisch-überseeische Begegnung visualisierte. Auch im Bereich der naturwissenschaftlich-technischen Sammlungen such­ te man, Wissen auf anschauliche und abwechslungsreiche Weise zu vermitteln. Eingestimmt auf diese Abteilungen wurde man sogleich im großen Bibliotheks­ saal im ersten Stock, in dessen Parkettboden – nach Bologneser Vorbild – der Kasseler Meridian als schmaler Messingstreifen eingelassen war, begleitet von eingelegten Darstellungen der Tierkreise. Hier standen auch zwei Himmelsglo­ ben (Abb. 6) und ein Erdglobus.69 Über einen anschließenden Raum berichtet ein Besucher im Jahr 1794: »Bey dem Eintritt in eins der Zimmer für die phy­ sikalischen Sachen erblickt man in einer Entfernung von etwa vier Schritten einen Strauß von ausgesucht schönen Blumen, die in einem Glase mit Wasser zu stehen scheinen. Tritt man näher hinzu, verschwinden die Blumen allmählig, schön gemalter Vögel und Pflanzen, welche eine Kopie ist von denen, die er selbst auf seiner Reise nach dem Leben gezeichnet und gemalt hat.« (Hollenberg 1782, S. 46). 69 Boehlke 1963, S. 103. Vgl. auch Both/Vogel 1973, S. 239 f. (zum Vorbild des Meridian in San Petronio in Bologna).

38 Abb. 20: »Ein Ober­rock von blauem Atlas«, ver­zeichnet unter Nr. 7 des Inventars

und man sieht nichts, als das Wasserglas, worin sie standen. Es ist ein Blendwerk der Optik, indem ein unsichtbar angebrachter Hohlspiegel ein hinter dem Tisch verborgenes Blumengemälde zurückwirft, und dem getäuschten Auge des Her­ eintretenden wie in der Luft über dem Glase schwebend darstellt.«70 Die Vorführung der naturwissenschaftlichen Instrumente einschließlich kleiner Experimente und der mechanischen Kunstkammerobjekte zählte, wie die zeitgenössischen Schilderungen belegen, zum »Service«.71 Damit gewann die physikalische Naturforschung auch im Museum gezielt Öffentlichkeit.72 Wie das Museum als »contact zone« im oben beschriebenen Sinne funktionierte, zeigt dabei anschaulich das Beispiel eines Besuchers: Martin Berschitz, ein über viele Jahrzehnte durch Mitteleuropa reisender Schausteller der Elektrizität, war im Dezember 1781 in Kassel auch vor Landgraf Friedrich und weiteren »Stan­ despersonen« aufgetreten, und im Anschluss wurde einer seiner Elektrisierap­ parate – »die ganze Maschine mit den besten Versuchen« – für das Museum Fridericianum angekauft (Abb. 21).73 In das Besucherbuch selbst hat sich Ber­ schitz am 12. Januar 1782 eingetragen, möglicherweise bei der Übergabe seiner Maschine und einer weiteren Darbietung.

70 Wagener 1794, S. 184. Samuel Christoph Wagener (1763–1845) war zur Zeit seines Be­ suchs (Eintrag im Februar 1794) preußischer Feldprediger und während der Koalitionskrie­ ge mit den preußischen Truppen durch Kassel gekommen. 71 Vgl. hierzu insgesamt die zeitgenössischen Berichte bei Vercamer 2006, S. 503–528. 72 Zum Phänomen der Popularisierung der Naturwissenschaften in der Aufklärungszeit vgl. Hochadel 2003. 73 Vgl. ebd., S. 250 f.

39 Abb. 21. Reibungs-Elektri­­ siermaschine mit Reibkissen und Glaskugel von 41 cm Durchmesser, möglicherweise die von Berschitz hergestellte und erworbene Maschine

Eine Neuerung gegenüber dem Kunsthaus war die großzügige Verwendung von Vitrinen, entweder als Wand- oder als Pultvitrinen, in denen die fragilen oder kleinformatigen Objekte, wie etwa die Gemmen, ohne Hilfestellung durch den Kustos problemlos betrachtet werden konnten. Auch hier erfolgte die An­ ordnung der Objekte unter, wie man heute sagen würde, museumsdidaktischen Gesichtspunkten, was bereits das zeitgenössische Publikum würdigte. So urteil­ te der bereits genannte74 Ketelhodt in seinem Reisetagebuch von 1789/90: »Ei­ nes der vorzüglichsten Theile des ganzen Cabinets aber ist die äußerst ansehnli­ che Sammlung von Antiquen, geschnittenen Steinen und Caméen, welche alles übertrifft, was man in dieser Art sehen kann. Die Steine sind alle in Glaskästen gelegt, daß man sie bequem besehen kann, ohne sie herauszunehmen, und zum Gegenstück der Antiquen ist hier auch eine Sammlung von modernen geschnit­ tenen Steinen befindlich, welche sehr schöne und kostbare Stücke erhält. Der­ selbe Kampf zwischen altem und neuem Kunstfleiß ist noch in zwei anderen Säälen anschaulich, da man in dem einen moderne Statuen […] und in dem anderen wirkliche Antiken findet […]«.75 So wurden in diesem neuen Museum sinnlich-didaktische Blickbeziehungen aufgebaut und damit ein Ordnungssystem geschaffen, das an den aufmerksa­ men Besucher als ein autonomes Individuum appelliert. Denn dieser konnte hier auch ohne Anleitung oder Führung durch reine Anschauung Erkenntnis­ se gewinnen – und sie, falls gewünscht, sogleich auch noch durch ergänzen­ de Lektüre in der Bibliothek vertiefen. In dieser Verbindung der nach neuen

74 Für die Mehrfachnennung von Personen wird grundsätzlich auf das Register verwiesen, über das die jeweiligen Stellen leicht auffindbar sind. 75 Ketelhodt 1789/90, S. 245 f.

40 wissenschaftlichen Erkenntnissen gegliederten, didaktisch präsentierten und systematisch erweiterten Sammlungen mit der Bibliothek an einem zentralen Ort der Stadt verkörpert diese Institution wie keine andere das »Museum der Aufklärung«, das Ideal eines umfassenden Lernortes für ein breites Publikum – mit entsprechend großzügigen Besuchsmodalitäten.

5. »Täglicher Zulauf« – Gemeinnützigkeit und ihre Grenzen

Beim Museum Fridericianum galten keinerlei Einschränkungen mehr, wie etwa noch beim Kunsthaus oder bei dem nur wenige Jahre zuvor eröffneten Königlich Academischen Museum in Göttingen.76 Denn nun konnte jedermann unange­ meldet und zeitlich unbefristet sich frei oder mit Führung innerhalb der festge­ setzten Öffnungszeiten in dem neuen Museum bewegen. Studiert man zeitge­ nössische Berichte, so waren Führungen durch die jeweiligen Sammlungsleiter jedoch die Regel und auch durchaus vom Publikum erwünscht. Wie schon beim Kunsthaus, waren auch im Museum Fridericianum die Kustoden Fachwissen­ schaftler, die bis zur Auflösung des Collegium Carolinum in der Regel zugleich Professoren für die entsprechenden Fachgebiete waren. Der Betrieb des Museums wurde gemäß den Richtlinien des zwanzig Punkte umfassenden Projet de reglement77 unter der Leitung von vier Vorgesetzten orga­ nisiert: Pierre Louis Marquis de Luchet (Bibliothek und naturhistorische Kabinet­ te), Friedrich Christoph Schmincke (Antiken und sonstige Preziosen, Manuskrip­ te und Graphik), Johann Matthias Matsko (astronomisch-physikalische Kabinette, Musikinstrumente) und Carl Prizier (Naturgeschichte, Mosaike). Daneben wer­ den Bibliotheksmitarbeiter (u. a. der Sekretär Friedrich Wilhelm Strieder), Auf­ seher und »Restauratoren« (die Aufgaben umfassten u. a.: »laver les minereaux«, »netoyer les grosses pières«) genannt. Das Reglement legte auch die Öffnungszei­ ten und die allgemeine Bibliotheksnutzung fest – von der gesenkten Stimme der Nutzer (»On lira et travaillera dans le plus grand Silence, et on demandera même à Voix basse les Choses nécessaire.«), über die Schließzeiten (Weihnachten und Ostern) bis hin zur Auslage von Zeitschriften, Papier und Tinte. Gebühren wurden, mit Ausnahme der Messezeiten (dazu unten, Kap. 11), nicht erhoben. Das Museum hatte regelmäßige Öffnungszeiten, die hin und

76 Dieses war zwar für Professoren und Studenten der Göttinger Universität frei zugäng­ lich, auswärtige Besucher mussten sich aber bei den Sammlungsleitern anmelden und waren auf deren Gefälligkeit angewiesen; vgl. Savoy 2006, S. 273 f. Auch bei der allmählichen Öff­ nung fürstlicher Parkanlagen für die Allgemeinheit im 18. Jahrhundert wurde unterschied­ lich großzügig verfahren, vgl. Linnebach 2000, S. 110 f. Die Kasseler Parks, die von Beginn an frei zugänglich waren, konnten hierbei durchaus als Vorbild dienen. 77 STA MR, Bestand 5, 9640. Bei Both/Vogel 1973, Anm. 749, versehentlich unter Nr. 1640, was in der nachfolgenden Literatur kolportiert wurde.

41 wieder neu festgesetzt wurden. Auf die Bibliothek bezogen, ließ sich die tägli­ che Öffnung von 9 bis 13 und von 15 bis 18 Uhr, mit Ausnahme der Feiertage, als großzügigste Handhabung nachweisen.78 Im europäischen Vergleich steht das Museum Fridericianum damit an erster Stelle. Denn allenfalls die vier Jahre spä­ ter (1783) eröffnete Hofgartengalerie in München bot ähnlich zuvorkommende Benutzungsmöglichkeiten.79 Dagegen regelte das als Vorbild des Kasseler Muse­ ums geltende British Museum in London den Besucherzustrom alles andere als bequem: mit einem Ticketsystem (Abb. 22) musste der Besuch mehrere Tage im voraus festgelegt werden, und es wurden Besuchergruppen von maximal 15 Per­ sonen in ein bis zwei Stunden durch das Museum geschleust.80 Oder Dresden: die Antiken im Japanischen Palais konnten nur Mittwoch- und Samstagvor­ mittag besichtigt werden, und auch die Gemäldegalerie war im Winterhalbjahr komplett geschlossen.81 In Kassel dagegen kamen, wie das Besucherbuch belegt, viele Besucher auch im Winter, und für die Benutzer der Bibliothek wurde gar ein Raum eingeheizt. Wie eingeschränkt die Besuchsmöglichkeiten für das all­ gemeine Publikum in einem »öffentlichen« Museum auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts sein konnten, zeigt das Beispiel des Prado: 1819 eröffnet, war er nur mittwochs von 9 bis 14 Uhr geöffnet.82 Berlin musste gar bis 1825/30 auf den Bau eines öffentlichen Museums warten – welches wiederum architektonisch eindeutig an dem Kasseler Vorbild orientiert ist, das Wilhelm von Humboldt

78 Vgl. Hopf 1930, S. 54. Diese Öffnungszeiten bezogen sich zwar nur auf die im ersten Stock des Museums befindliche Bibliothek, galten aber sicherlich für das ganze Gebäude. Trinkgelder waren zumal für die zu Messezeiten zusätzlich eingestellten Aufseher willkom­ men, aber wohl nicht vorgeschrieben. 79 Vgl. Juliane Granzow: Die Hofgartengalerie zu München. In: Savoy 2006, S. 333–347, hier S. 344 f. 80 Vgl. die Hinweise in British Museum 1762, S. XXIIf. Vgl. auch Beer 1953. Dieses System wurde erst 1805 aufgegeben. Von da an mussten sich Besucher lediglich in das im Eingangs­ bereich ausliegende Besucherbuch eintragen. Die regulären Öffnungszeiten waren aber nach wie vor sehr beschränkt, nämlich auf nur drei Wochentage, am Wochenende war das Museum geschlossen. Vgl. Robert G.W. Anderson: British Museum, London: Institutionali­ zing Enlightenment. In: Paul 2012, S. 47–71, hier S. 65. 81 Katharina Pilz: Die Gemäldegalerie in Dresden unter Berücksichtigung der Mengsschen Abgusssammlung. In: Savoy 2006, S. 145–171, hier S. 167. Für die Antikensammlung überlie­ fert Heinrich Hase zu Beginn des 19. Jahrhunderts folgende Zugänglichkeit: »Oeffentliche Säle heissen aber diejenigen neun Säle, welche an den Tagen der öffentlichen Benutzung (Mittwochs und Sonnabends früh von 9-12 Uhr in den Monaten Mai bis Ende September) dem Publicum zugängig sind; der Saal der Mumien, das eigentliche Antikencabinet, muss­ te davon ausgeschlossen bleiben.«; vgl. Heinrich Hase: Verzeichnis der alten und neuen Bildwerke in Marmor und Bronze, in den Sälen der Kgl. Antikensammlung zu Dresden. Dresden 1826, S. IIIf. Damit hatte sich seit Aufstellung der Antiken im Japanischen Palais 1785 an den Öffnungszeiten nichts geändert, vgl. Hildegard Gabriele Boller: Die Dresdner Antikensammlung. In: Savoy 2006, hier S. 117–144, hier S. 140. 82 Vgl. Andrew Schulz: Museo Nacional del Prado, Madrid: Absolutism and Nationalism in early-nineteenth-century Madrid. In: Paul 2012 , S. 237–259, hier S. 250.

42 Abb. 22. Ticket zum Besuch des British Museum, 1802

bereits als Student von Göttingen aus besichtigt hatte.83 Und ein weiterer Ver­ gleich: die Kunstkammer in St. Petersburg war zwar bereits seit 1719 im Prinzip öffentlich und kostenlos zugänglich; damit sich überhaupt Besucher einfanden, mussten hier aber wohl Kaffee und Wodka angeboten werden.84 Als erste (und zunächst einzige) Publikationen zu den Sammlungen im Mu­ seum Fridericianum erschienen 1779/1780 Dieterich Tiedemanns Beschreibun­ gen von den antiken Hauptwerken in drei Dissertationes85 – zwar auf Latein, aber immerhin der Ansatz zu einem Museumskatalog, der dem Publikum in die Hand gegeben werden konnte.86 Der Architekt du Ry plante darüber hinaus einen »kurzen Führer für Reisende« aus ganz Europa,87 den er freilich nicht vorlegte. Das Besucherbuch wurde vom alten Kunsthaus in das Museum Fridericianum verbracht und dort weitergeführt, so dass es die Besucher beider Institutionen um­ fasst. Da es im Kunsthaus gemäß der Anzeige in der PCZ verpflichtend war, sich bei Eintritt in das Buch einzutragen, hat man für die betreffende Zeit wohl recht verlässliche Angaben über den Besucherzuspruch, wobei Einträge wie »mit Fami­ lie«, »etliche Kaufleute aus Braunschweig«, oder »mit Suite« dennoch eine gewisse statistische Unschärfe mit sich bringen. Auch belegen zahlreiche Briefe an den Ku­ stos Raspe, wie z. B. der seines Freundes Christian Gottlob Heyne vom Juni 1772,88 dass man das Kunsthaus zwar gemeinsam besichtigte. Ein entsprechender Eintrag

83 Vgl. Tobias Locker: Die Bildergalerie von Sanssouci bei Potsdam. In: Savoy 2006, S.218– 242. Zu Wilhelm von Humboldts Bemühungen um die Einrichtung eines Kunstmuseums in Berlin vgl. ebd., S. 236. Humboldt hat sich zwischen dem 27. April und 2. Mai 1789 in das Besucherbuch eingetragen. Seine Berliner Museumspläne gehen mit Sicherheit auf eine An­ regung durch das Museum Fridericianum zurück, zumal der Schinkelsche Bau dezidiert die klassizistische Formsprache du Rys aufgreift. 84 Vgl. Cornelia Skodock: Zwei kaiserliche Sammlungen in St. Petersburg im 18. Jahrhun­ dert: Die Kunstkammer Peters I. und die Anfänge der Staatlichen Eremitage unter Katharina II. In: Luckhardt 2007, S. 17–22, hier S. 18. 85 Vgl. Tiedemann 1779/1780. Gercke/Zimmermann-Elseify 2007, S. 17. 86 Lobend erwähnt Friedrich Karl Gottlob Hirsching in seinen Nachrichten zu sehenswür­ digen Sammlungen (1787) Tiedemanns Publikationen; vgl. Vercamer 2006, S. 516. Hirsching selbst findet sich nicht im Besucherbuch verzeichnet. 87 Boehlke 1963, S. 107. 88 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Heyne:132.

43 im Besucherbuch fehlt jedoch. Heynes Namenzug findet sich erst wesentlich spä­ ter, nämlich unter dem Datum des 30. Juli 1787. Zu den knapp 4.000 belegten Be­ suchern von 1769 bis 1779 können somit sicherlich noch einige hinzugeschlagen werden, zumal sich etwa die Mitglieder des Collegium Carolinum oder der fürstli­ chen Familie nicht bei jedem Besuch in das Buch eingetragen haben dürften. Im Museum Fridericianum lag es vermutlich nicht mehr am Eingang, son­ dern im ersten Stock bei der Bibliothek aus. Leider hat sich bislang nur ein ein­ ziger Beleg hierfür gefunden. Günderode berichtet 1781 über das Zimmer mit den Handschriften und Rara: »Fremde, die dahin kommen, pflegen auch ihren Namen in das zu diesem Behuf gehaltene Buch einzuschreiben.«89 Dementspre­ chend hätten sich in das Buch ab 1779 also nur diejenigen Besucher eingetragen, die den Weg in das Handschriftenzimmer fanden. Dies erklärt, warum einige prominente Besucher, die das Museum nachweislich besucht haben, nicht im Besucherbuch verzeichnet sind, wie Friedrich Hölderlin im August 1796.90 Of­ fenbar wurde zu dieser Zeit das Buch auch nicht mehr sorgfältig geführt. Die Gesamtbesucherzahl über dessen Laufzeit ist folglich höher anzusetzen als die darin dokumentierte Anzahl an Besuchern. Die letzten Einträge in das Buch da­ tieren auf den 5. September 1796. Warum sie hier enden, ließ sich bislang nicht ermitteln. Vielleicht war die Zahl der Besucher zu groß geworden – zwar sicher­ lich nicht im Ausmaß der zeitgleichen Ausstellungen in Paris oder London,91 doch klagt ein Schweizer Gast nach seinem Besuch in Kassel um 1800 tatsäch­ lich, man habe keinen freien Blick auf die Exponate gehabt, weil »eine Gesell­ schaft die andre durch die Saele des Museums jagte.«92 Offenbar war der tägliche Zustrom so stark geworden, dass sich der Antikenkustos Johann Ludwig Voelkel am 29. Mai 1795 mit folgender Eingabe an Landgraf Wilhelm IX., gewandt hatte: »Ich unterstehe mich zugleich, die unterthänigste Bitte, welcher Ew. Hochfürstl. Durchlaucht gnädigst Gehör verliehen, zu wiederholen, daß Höchstdieselben die Gnade haben mögen, den eingerissenen Misbrauch des Musei, und den, den freystehenden Sachen sowohl nachtheiligen als die Geschäfte störenden tägli­ chen Zulauf auf die Weise huldreichst einzuschränken, welche Ew. Hochfürstl. Durchl. höchsteigene Äußerung war, nemlich durch die Festsetzung einiger Tage in der Woche, an welchen das Museum den Fremden offen steht.«93

89 Günderode 1781, S. 124. Vermutlich befindet sich das Besucherbuch daher im Besitz der Landesbibliothek und trug hier entsprechend den Titel Fremdenbuch der Landesbibliothek. Diese fälschliche Einschränkung korrigierte bereits Hans Vogel 1955 auf dem Vorsatzblatt des Buchs. 90 Zu Hölderlins Kassel-Aufenthalt 1796 vgl. Sattler 2010. 91 So schätzt Samuel Johnson die Besucherzahl der Royal-Academy-Ausstellung in London 1783 an einem einzigen Tag auf rund 3.800, vgl. Kernbauer 2011, S. 249. 92 N. N. 1801, S. 198. Möglicherweise ist auch der Tod des akribischen Bibliothekars Schmincke (8.1.1795) ein Grund dafür , dass das Buch nicht mehr gründlich geführt wurde. 93 mhk, Archiv, Schloss Wilhelmshöhe, Kassel.

44 Abb. 23: Museum Fridericianum, Erdgeschoss, Saal der antiken Marmorskulpturen, Zustand kurz nach 1891, im Bild der damalige Direktor Johannes Böhlau

Gerade an der Antikensammlung (Abb. 23) sollte sich somit besonders deut­ lich der Diskurs um »Kenner« und »Laien«, um spezialisierte Wissenschaftlich­ keit und Gemeinnützigkeit entzünden – ein auch in den Augen des Architekten du Rys unüberwindbarer Gegensatz, wie er in seinem Versuch einer Beschrei­ bung des Museums ausführt: denn das »ungelehrte Volk« halte verstümmelte und verfärbte Figuren für mangelhaft, nicht aber die Kenner, die wüssten, dass es kaum unversehrte Relikte der Antike gebe. Doch trotz der Verstümmelungen lebten, »diese Hauptwerke der Kunst […] nicht weniger genau in der Vorstel­ lung der Kenner, die sie sich aus den schönen antiken Resten herleiten zu der Vollkommenheit, die die Figur gehabt haben muss, als sie der Künstler aus den Händen gab.«94 Tatsächlich wurde die »außerordentliche Geschicklichkeit« der Statuenergänzungen vom Publikum immer wieder gelobt (Abb. 24, 25): »Vor ei­ ner Minerva hätt’ ich hinknien mögen«, schreibt der junge Carl August Gott­ lieb Seidel nach seinem Besuch 1785.95 Dagegen bemerkt auch Johann Heinrich Merck nach seinem Museumsbesuch:­ störend an den Kasseler Statuen seien vor

94 Zit. nach Boehlke 1963, S. 97 f. 95 Seidel 1786, S. 100. Seidels Namen findet sich nicht im Besucherbuch – einer der Fälle, in denen eine Museumsbesichtigung nicht durch einen Eintrag darin, sondern durch eine andere Quelle belegt ist.

45 Abb. 24 (links): Athena/Minerva »Lemnia«, Statuentorso, römische Kopie, um 160- 170 n. Chr. nach griechischem Vorbild um 440 v. Chr., Zustand im 18. Jahrhundert mit Ergänzungen; Abb. 25 (rechts): Athena/Minerva »Lemnia«, heutiger Zustand allem die dem allgemeinen Besucher geschuldeten Statuen-Ergänzungen, und er folgert pessimistisch: »Allein so lange die Liebhaber nicht Truemmer, son­ dern Ganze Statuen verlangen, wird das Elend der Ergaenzung fortdauern, und manchem ächten Reste des Alterthums seinen endlichen Untergang bereiten.«96 Der kreative Prozess der adäquaten Antiken-Betrachtung wird solcherart nur den Kennern zugestanden – und ist in einem öffentlichen Museum, wie es Voelkel in seiner Beschwerde artikuliert, für diese nur noch bedingt möglich.97 Der eingeschlagene Weg von der fürstlichen Kunstkammer zum Museum für jedermann erscheint unter diesem Aspekt nicht als reiner Fortschritt, war hier doch der unmittelbare Umgang mit den Objekten, wie er in den Kunstkam­ mern selbstverständlich war, auch für die Gelehrten erschwert. Die Gemmen

96 Merck 1780, S. 224 f. 97 Die zeitgleiche französische Kunstkritik unterscheidet zwischen dem »wahren« Publi­ kum (»public«), das die Kunst verständig betrachte, und der »gemeinen Masse« (»multitu­ de«), die ohne Sinn und Verstand in die Salons ströme, vgl. dazu Kernbauer 2011, S. 146 ff.

46 Abb. 26: Mitglieder der Society of Dilettanti, Gemmengruppe, 1777; Mezzotinto nach einem Gemälde von Joshua Reynolds

etwa befanden sich nun im Museum Fridericianum in einer ca. sechs Meter lan­ gen Glasvitrine98 verschlossen und somit nur noch optisch, nicht mehr hap­ tisch wahrnehmbar, was jeden Gemmenkenner schmerzen musste. Denn bei den Gemmen galt ein taktiler Umgang als unverzichtbar, um den ästhetischen Genuss und das adäquate Studium eines Steines zu ermöglichen: die Steine müssen, wie es in der Schrift Ueber die Gemmenkunde aus dem Jahr 1798 heißt, gegen das Licht gehalten und gewendet werden können99 – und dies am besten im unmittelbaren Austausch mit weiteren Kennern (Abb. 26). Konnte dies im Kunsthaus durchaus noch geschehen, so mussten sich im Museum Fridericia­ num durchreisende Gelehrte und das allgemeine Publikum gleichermaßen mit dem Blick durch das Vitrinenglas begnügen. War das Museum zwar dezidiert für wissenschaftliche Zwecke bestimmt, so war mit der Öffnung für jedermann von Anfang an der konkurrierende Zweck der populären und damit »leichten« Bildung hinzu gekommen, was offenbar recht bald für Konfliktstoff und Spannung sorgte – eine Problematik, wie sie

98 Du Ry schreibt »20 Fuß« (ein hessischer Fuß = 287 mm; insgesammt also 5.740 mm); vgl. Boehlke 1963, S. 98. 99 Vgl. Matthias Buschmeier: Antike begreifen. Herders Idee des »tastenden Sehens« und Goethes Umgang mit Gemmen. In: Ausst.Kat. Weimar 2012, S. 106–115, hier S. 109. Zur Be­ deutung der sozialen Praxis des gemeinsamen Betrachtens geschnittener Steine bei Goethe und dem »Kreis von Münster« vgl. Wokalek 2012.

47 Abb. 27: Frontispiz in Raspes Katalog der Sammlung Tassie, 1791

etwa auch für das British Museum dokumentiert ist.100 Hatten Gelehrte wie Ras­ pe Kunst und Wissenschaft für alle gefordert, so zeigt sich nur wenige Jahrzehn­ te später bereits die Skepsis gegenüber einem solchen Versuch der Popularisie­ rung.101 Just im Frontispiz von Raspes Katalog der Sammlung von James Tassie, mit dem er 1791 in England ein Standardwerk der Gemmenkunde vorlegte,102 deutet sich dieses Dilemma an (Abb. 27): ist im Hintergrund ein repräsentativer musealer Galerieraum zu sehen, so gehört der Bereich im Vordergrund mit dem Sammlungsschrank, den Athena/Minerva symbolisch für alle Interessierten öff­ net, eher zum Studiolo eines privaten Gelehrten. Bezeichnenderweise endet am Ausgang des aufgeklärten Jahrhunderts auch das Besucherbuch – die Blütezeit des »Museum der Aufklärung« schien nun bereits schon überschritten.

100 Vgl. Robert G. W. Anderson: British Museum: Institutionalizing Enlightenment. In: Paul 2012, S. 47–69, hier S. 65 f. 101 Vgl. hierzu auch insgesamt Dürr 2011. 102 Vgl. Raspe 1791. Dieser rund 16.000 Nummern umfassende Katalog der Sammlung von James Tassie, der auch eine umfangreiche Einleitung zur Geschichte der Glyptik samt Forschungsgeschichte und Dokumentationsverfahren umfasst, wurde als »one of the great books of the eighteenth century« gewürdigt, vgl. Ausst.Kat. London 1996, S. 93. Auch 24 Kasseler Gemmen sind im Tassie-Katalog aufgenommen, vgl. hierzu Peter Gercke: Der An­ tiquarius Rudolf Erich Raspe. In: Linnebach 2005, S. 66–75, hier S. 73 f.

48 C Das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum 1769–1796

1. »Fremdenbücher« als historische Quellen

Historische Besucherbücher, oder, wie sie zu ihrer Entstehungszeit hießen, »Fremdenbücher«, haben sich von vielen Museen, Privatsammlungen, Biblio­ theken und wissenschaftlichen Institutionen, aber auch von besonderen Aus­ flugszielen erhalten. Stellvertretend genannt seien hier die Besucherbücher der Antikensammlung in Dresden,103 der Herzoglichen Bibliothek in Gotha,104 der Universitätsbibliothek Jena,105 der Mannheimer Sternwarte,106 der Freiberger Bergakademie107 und des Lutherhauses in Wittenberg.108 Im weiteren Umfeld zählen dazu z. B. auch die bereits 1791 edierten Brocken-Stammbücher109 oder die Seligenstädter Löffelbücher.110 In Kassel wurde ab 1775 auch ein Besucher­ buch der Gemäldegalerie geführt, und aus dem 19. Jahrhundert liegen weitere Besucherverzeichnisse vor.111 Mit bemerkenswerter Weitsicht und erstaunlich großem Überblick über eine Vielzahl erhaltener »Fremdenbücher« hat der österreichische Bergbauingeni­ eur und Schriftsteller Eduard von Feuchtersleben (1798–1857) schon früh den Quellenwert dieser besonderen Gattung von Dokumenten erkannt. Er schrieb im Jahr 1824: »Die Gewohnheit, an Orten, die von Reisenden oft besucht

103 Laufzeit: 1797–1865. Hauptstaatsarchiv Dresden. 104 Vgl. Naschert 2014. 105 Laufzeit: 1759 ff. Vgl. hierzu Feyl 1957/58. 106 Eine komplette Erschließung des Besucherbuchs der Mannheimer Sternwarte ist derzeit in Bearbeitung, vgl. http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/sternwarte.html (23.7.2014). Eine erste Studie zu diesem Besucherbuch erschien bereits 1915, vgl. Walter 1915. 107 Auch das Freiberger Besucherbuch (1769–1820) wird derzeit in einer Edition komplett digitalisiert und transkribiert. Vgl. Meinel 2010. 108 Vgl. Laube 2003, S. 109 ff. 109 Vgl. Schröder 1791. Auch eine weitere Publikation Schröders enthält ein Besucherver­ zeichnis, vgl. Schröder 1789, S. 141 ff. 110 Dabei handelt es sich um drei seit Mitte des 17. Jahrhunderts geführte Gästebücher. Vgl. die Online-Edition von Ingrid Firner: http://www.museumsverein-seligenstadt.de/loeffel­ buecher/index.htm (14.1.2014). 111 Verzeichniß der Kenner und Liebhaber der Kunst welche die Fürstliche Gallerie besichtigt haben seit dem 31ten May 1775 (Laufzeit: 1775–1806, vereinzelte Eintragungen bis 1808, ca. 8.500 Namen umfassend; mhk, Archiv); erhalten haben sich auch weitere Besucherbücher aus dem 19. Jahrhundert: Verzeichniß der Fremden und Kunst Liebhaber welche die Kurfürst­ l[iche] Gemälde Gallerie besucht angefangen 1817 (Laufzeit: 1817–1866); Museum zu Cassel. Fremde, welche Dasselbe besuchten (Laufzeit: 1821–1824); Uebersicht der Besuche des Muse­ um Fridericianum vom Jahre 1898 bis 1903.

49 werden,[…] Merkmahle ihres vorübergegangenen Aufenthaltes zu hinterlassen, scheint sehr alt zu seyn[…]. An die Stelle solcher zerstreuten, leicht vergängli­ chen Merkmahle sind daher schon vor Jahrhunderten an mehr wichtigen Orten, in bleibenden und ausgearbeiteten Anstalten, zweckmäßig sogenannte Frem­ denbücher eingeführt worden, in welche die Besuchenden nach der Zeitfolge ihres Besuches, mindestens ihre Nahmen einzutragen angegangen werden. Daß die Durchblätterung eines Fremdenbuches uns Genüsse bereite und zwar die mannigfaltigsten, wird kaum irgend Jemand in Abrede stellen, der selbst schon Fremdenbücher durchblätterte und dabey von der Phantasie, der wechselreichs­ ten laterna magica, Hunderte, durch Zeit und Raum Entfernte, bunt und rasch vorüberführen ließ, Erinnerungen an Thaten und Begebenheiten, an aufgestellte Theorien, bleibende Entdeckungen, Erfindungen u.s.w. an sie knüpfte […] So mannigfaltig uns aber auch Fremdenbücher vergnügen,[…] so macht dieß doch bei weitem nicht ihren größten Werth aus, sondern sie liefern auch einen nicht unbedeutenden historischen Nutzen.«112 Anhand zahlreicher Beispiele umreisst Feuchtersleben den historischen Aussagewert sowohl im Hinblick auf die Insti­ tutionen, in denen diese Bücher ausliegen, wie für die Biographie der Besucher, die hierin dokumentiert sind und benennt auch die »treue(n) Angaben der zur Zeit des Geschriebenen eingetretenen Veränderungen«. Obwohl also die Bedeutung dieser Bücher für biographische, institutionel­ le, landes- und allgemeingeschichtliche Fragestellungen schon lange bekannt ist und mit dem zunehmenden Forschungsinteresse an Sammlungs- und Muse­ umsgeschichte sich auch das Interesse am Museumspublikum verstärkte, wurde bislang keines der erhaltenen Museumsbesucherbücher komplett erschlossen. Neuere Überblicksdarstellungen liegen jedoch zu den Besucherbüchern der Bi­ bliothek in Gotha, zum Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig, zum Göttinger Academischen Museum, zu den Dresdener Kunstsammlungen, zur Gemäldegalerie in Kassel und zur Hof- und Staatsbibliothek München vor, da­ neben auch zur Sammlung des Baron Hüpsch und der philanthropischen Erzie­ hungsanstalt in Reckahn.113 Einig sind sich die Autoren jedenfalls – mit Feuch­ tersleben – in ihrer Einschätzung von Besucherbüchern als einer »einzigartigen Quelle«.114

112 Feuchtersleben 1824, S. 813. 113 Naschert 2014; Oliver Matuschek: »Hunde mitzubringen wird verbeten«. Besucher und Besucherbetreuung im Kunst- und Naturalienkabinett. In: Ausst.Kat. Braunschweig 2004, S. 88–99; Nawa 2010, S. 106–117, 135–144; Heres 2006, S. 169 ff; Kaltwasser 1999, S. 120 ff; Ruge-Schatz 2007; Böhm 1995; Goldbeck 2014. Auszugsweise wurde bereits um 1909 das »Fremdenbuch« des Regensburger Theologen und Universalgelehrten Jacob Christian Schae­ffer (1718–1790) publiziert: Heuwieser 1909; erwähnt sei auch die Faksimile-Ausgabe von Johann Caspar Lavaters Fremdenbüchern (Mainz 2000). 114 Kaltwasser 1999, S. 120. Nascherts Wunsch nach einer »vernetzten Erschließungsstruk­ tur« zu den europaweit verstreuten Fremdenbüchern schließt sich die Autorin nachdrück­ lich an. Vgl. Naschert 2014, S. 44 f.

50 Der konkrete Anlass sowie die Motivation für die Anlegung eines Besucher­ buchs lassen sich – ebenso wie sein Ende – nur schwerlich rekonstruieren. Beim Besucherbuch, das 1769 für das Kasseler Kunsthaus angelegt wurde, bil­ dete den Anlass, wie in der Zeitungsanzeige dokumentiert, offenbar der Im­ puls, die Institution weiter zu öffnen und den Besuchern somit insgesamt auch mehr Bedeutung zu verleihen. Sicherlich spielten auch allgemein repräsenta­ tive Absichten eine Rolle: Je höher der Rang der Besucher, umso bedeutender musste auch die jeweilige Institution erscheinen, d. h. ihr Renommee konnte solcherart durch das entsprechende Renommee der Besucher beglaubigt und verstärkt werden. Ein bislang wenig beachteter Aspekt zu dieser Quellengattung möge nicht unerwähnt bleiben: »Fremdenbücher« hatten in ihrer Zeit, ähnlich den Listen, in die sich fremde Reisende an den Stadttoren einzutragen hatten,115 durchaus auch die Funktion einer öffentlichen Kontrolle. So heißt es im Königlich-Bayeri­ schen Intelligenz-Blatt von 1833: »1) Jeder Wirth hat sich unverzüglich bei 5 Tha­ ler Strafe mit einem Fremdenbuche zu versehen […] In dieses Buch sind alle Fremden, d. i. nicht im Orte Wohnenden, welche im Wirtshaus übernachten, einzutragen. Die Unterlassung dieser Eintragung ist an dem Wirthe strenge zu bestrafen. 2) Auszüge aus diesen Fremdenbüchern haben die Wirthe in Städten mit k. Kommissären diesen, in den übrigen Städten und Märkten den Magis­ traten täglich vorzulegen […] Ueber die richtige Fortführung dieser Fremden­ bücher im Allgemeinen, und insbesondre an Orten, wo keine Magistrate die tägliche Kontrolle üben können, haben die Distriktspolizeibehörden sorgfältig zu wachen […] Passau am 24. Februar 1833.«116 Vermutlich kam auch dem »Fremdenbuch« der Kasseler Sammlungen zu­ mindest in der Zeit, die die Besucher des Kunsthauses umfasste, durchaus eine solche Kontrollfunktion zu, da jeder Besucher angehalten wurde, sich in das Buch einzutragen. So sehr auch die »Fremden«, die man, wie in der zitierten polizeilichen Mitteilung, als »alle nicht im Orte Wohnenden« definierte, will­ kommen waren, so sehr empfahl es sich, angesichts der vielen freistehenden Kostbarkeiten zu dokumentieren, wer sie wann besichtigt hatte.117 Dass eine solche Kontrolle über das Besucherbuch freilich kaum möglich war, zeigt kurio­ serweise das Beispiel des Museumskustos Raspe in persona: gerade er, der das

115 Vgl. Ebert 2000, S. 263 f. 116 Königlich-Bayerisches Intelligenz-Blatt des Unterdonau-Kreises auf das Jahr 1833. Pas­ sau, S. 91. 117 Naschert bemerkt: »Touristische, polizeiliche, private und verwaltungsbezogene Frem­ denbücher lassen sich in vier idealtypischen Gruppen unterscheiden, die in ihrer Funktions­ bestimmung dem Gebrauch am jeweiligen Ort anzupassen sind.« (Naschert 2014, S. 14) Das Besucherbuch des Kunsthauses zeigt, dass sich solche Funktionsbestimmungen, zu denen als fünfte Kategorie die repräsentative Funktion zu ergänzen wäre, sicherlich auch durch­ mischen konnten.

51 Besucherbuch anlegen ließ, hatte sich höchstselbst an der fürstlichen Sammlung vergriffen – und es scheint nur folgerichtig, dass sein Name, der am 16. Mai 1770 von einem Begleiter in das Besucherbuch eingetragen worden war, später mit einem breiten Tintenstrich getilgt wurde.

2. Ein »Who is who?« der Goethezeit: Forschungsstand und Perspektiven

Bereits vor über 50 Jahren hat Hans Vogel eine erste Untersuchung der Kasse­ ler Besucherbücher von Museum Fridericianum und Gemäldegalerie aus dem 18. Jahrhundert vorgestellt und damit auf den besonderen Wert dieser beiden Quellen aufmerksam gemacht.118 Vogels Verzeichnis kommt das Verdienst zu, anhand dieser Bücher die Bedeutung der Kasseler Sammlungen für ein gebilde­ tes internationales Publikum erhellt zu haben. Sein Anliegen war es vor allem, aus den Eintragungen diejenigen Männer und Frauen der Goethezeit »heraus­ zulesen, die über lokales Interesse hinaus, in der Gesamtkultur ihrer Zeit etwas bedeutet haben.« Er führt ca. 180 Personen an – und in der Tat liest sich das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum stellenweise wie ein Who is who? der Aufklärungszeit, findet sich doch von Anna Amalia Herzogin von Sachsen-Weimar über Goethe, Herder, Humboldt, Lichtenberg bis hin zu Alessandro Volta eine Vielzahl illustrer Namen. Vogels Verzeichnis wurde in der Folge viel zitiert, leider nicht immer korrekt, so dass seit seinem Erscheinen mit großer Hartnäckigkeit falsche Besucherzah­ len, falsche Jahreszahlen, falsche Quellenangaben durch die Forschungsliteratur spuken. Allein schon aus diesem Grund tut eine erneute, intensivere Ausein­ andersetzung mit diesem Buch unter quantitativer wie qualitativer Perspektive not.119 So wurde etwa behauptet, in das Besucherbuch habe sich nur ein exklu­ sives Publikum eingetragen und einheimische Besucher seien gar nicht darin zu finden120 – ein offensichtliches Vorurteil ohne jegliche Kenntnis der Quelle, denn allein schon der Blick auf die erste Seite des Buchs belegt das genaue Ge­ genteil, haben sich doch hier auswärtige und einheimische Besucher aus allen Ständen vermischt.

118 Vogel 1956. Weniger bekannt ist Vogels Aufsatz zum 415 Seiten umfassenden Besucher­ buch der Gemäldegalerie aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit rund 11.000 Ein­ tragungen: Vogel 1957/58. Auch in diesem Besucherbuch findet sich eine Fülle prominen­ ter Namensträger. Stellvertretend genannt seien Georg Friedrich Wilhelm Hegel, ­Heinrich ­Heine und Richard Wagner, der amerikanische Schriftsteller Washington Irving, König Friedrich Wilhelm III. und König Otto von Griechenland. 119 Vgl. z. B. die irrtümlichen Angaben zu Laufzeit und Personenzahl bei Boedeker 2002, S. 525. 120 Penzel 2007, S. 50, S. 477.

52 Gerade diese spezielle Qualität als ein in vielerlei Hinsicht »grenzüberschrei­ tendes« Personenverzeichnis macht das Besucherbuch für mehrere neuere, mit­ einander verschränkte Forschungsbereiche besonders aussagefähig. Hatte sich die Aufklärungsforschung lange Zeit – wie dies auch Vogels Verzeichnis doku­ mentiert – auf herausragende Persönlichkeiten, auf Institutionen, Zentren, po­ litische Programme oder juristisch-philosophische Denkansätze konzentriert, so verlagerte sich in den letzten Jahren das Interesse hin zu Kommunikations­ strukturen und Netzwerken,121 zur Bedeutung des Reisens für den Aufklärungs­ diskurs,122 zum Kultur- und Wissenstransfer durch das Reisen,123 zur Funktion von Räumen für den Wissens- und Kulturaustausch124 oder zum Aspekt der Wissenspopularisierung.125 So reflektiert das skizzierte Besucherspektrum das Bedürfnis immer größerer Bevölkerungsgruppen sowohl nach Wissen wie Kul­ turkonsum126 und belegt zugleich, in welcher Weise sich der öffentliche Raum im 18. Jahrhundert veränderte. Mit einer solch allgemein zugänglichen Institu­ tion stand nun auch der Raum für Wissenschaft und Kunsterlebnis allen poten­ tiell Interessierten offen. Was die »Popularisierung« des Wissens betrifft, löste man sich von der Per­ spektive der älteren Forschung, die hier vor allem einen linearen hierarchischen Prozess von »oben« (Experten) nach »unten« (Laien) sah. Dagegen wird in jün­ gerer Zeit, auch in Anlehnung an das bereits oben genannte Konzept der »contact zone«, die Wissensproduktion und -distribution nun eher in einem dialektischen Verhältnis wahrgenommen.127 Gerade das Museum Fridericianum mit seiner dezi­ diert sowohl wissenschaftlichen wie bildungspolitischen Ausrichtung zeigt vorzüg­ lich, dass die Wurzeln dieser Wissenspopularisierung ins 18. Jahrhundert zurück­ reichen128 – stellt es doch mit der Einheit von Kunst- und Naturaliensammlungen, Bibliothek und Sternwarte einen umfassenden Raum der Wissenskommunikation für ein stände-, konfessions- und geschlechtsübergreifend zusammengesetztes Pu­ blikum dar, wie es das Besucherbuch eindrucksvoll dokumentiert.

121 Vgl. z. B. Meidenbauer 1991; Zaunstöck/Meumann 2003; Stuber/Hächler/Lienhard 2005. 122 Vgl. z. B. Stagl 2002; Bauerkämper 2004. 123 Maurer 1999; Babel/Paravicini 2005; Dürr/Engel/Süßmann 2005. 124 Ash 2000. 125 Vgl. z. B. Kretschmann 2006. 126 Zu der in der Aufklärungszeit entstandenen Gruppe der »Kulturkonsumenten« aus Adel und Bürgertum, die Geselligkeit mit Kennerschaft und dem Genuss materieller wie immaterieller Kultur verbanden vgl. North 2003. 127 Daum 1998; Kretschmann 2003; Barbara Wolbring: Politisch motivierte Popularisie­ rung im Fall des Germanischen Nationalmuseums. In: ebd., S. 211 ff.; vgl. den Forschungs­ überblick bei Kretschmann 2006, S. 7-14. 128 Vgl. auch Silvia Serena Tschopp: Popularisierung gelehrten Wissens im 18. Jahrhundert. In: Dülmen/Rauschenbach 2004, S. 469–489.

53 Vor allem auch der Reise- und Kulturtransferforschung kann dieses Be­ sucherbuch vielfältige Einblicke bieten: durch Angabe oder Ermittlung des Herkunftsorts und/oder Herkunftslandes, von Reisebegleitern oder durch mehrmalige Eintragungen gewinnt man Fakten über das Reiseverhalten ganz unterschiedlicher Personen und Personengruppen, ja insgesamt über die geo­ graphische Mobilität innerhalb der europäischen Gesellschaft im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Die parallel zur Transkription erfolgte Sichtung der Frem­ denverzeichnisse in der PCZ erbrachte zusätzliche Hinweise für die Identifika­ tion schwer lesbarer Eigennamen oder Angaben zu weiteren Fakten wie Beruf oder Herkunftsort. Mit dem Nachweis der Logis-Orte liefert sie auch Material für eine Forschung zu frühen Formen des Tourismus129 – wenn diese Hinwei­ se hin und wieder auch mit Vorsicht zu genießen sind: so werden aus »3 Herrn von Papius von Wetzlar«, die sich am 2. November 1770 in das Besucherbuch eintrugen, im Fremdenverzeichnis der PCZ »3 Herrn Barons von Tapiger, k.v. [= kommend von] Fritzlar«.130 Indem die historische Forschung zunehmend »das« Publikum als integralen Bestandteil der musealen Wissenskommunikation erkannt hat,131 stellt sich die Frage nach seiner jeweiligen Zusammensetzung umso dringlicher. Dass ein über Jahrzehnte geführtes Besucherbuch hierfür eine vorzügliche Quelle darstellt, ist offensichtlich, und die Forderung nach einer vollständigen Edition, wie sie jetzt vorliegt, wurde hin und wieder schon als Forschungsdesiderat formuliert.132 Eine dieser Edition vergleichbare Arbeit liegt bislang einzig mit der umfas­ senden Publikation von Mechthild Raabe zu den Ausleihbüchern der Wolfen­ bütteler Bibliothek vor.133 Raabe erbrachte damit eine Fülle von Fakten und Er­ kenntnissen zur Sozialgeschichte des Lesens im Übergang von der höfischen zur bürgerlichen Lesegesellschaft. Leider haben sich entsprechende Ausleihbücher der Bibliothek im Museum Fridericianum nicht erhalten. Das Besucherbuch ist somit die einzige Quelle, die die »Öffentlichkeit« von Kunsthaus und Museum Fridericianum in dieser Zeit dokumentiert und für weiterführende Fragestellun­ gen zugänglich macht.134

129 Jochen Ebert bereitet hierzu eine eigene Untersuchung vor. 130 PCZ, 1770, S. 601. 131 Vgl. Kretschmann 2006, S. 88. 132 Vgl. Ruge-Schatz 2007, S. 136. 133 Raabe 1989. Vgl. auch die Studie zu den Ausleihverzeichnissen der Pariser National­ bibliothek: Seifert 1991. Verwiesen sei auch auf die Prosopographie der Hörer Lichtenbergs, welche durch ihre Ausrichtung auf die Person Lichtenbergs und ihren universitären Bezugs­ punkt eine andere Zielsetzung verfolgt: Heerde 2006. 134 Im »Conspectus Bibliothecae Cassellanae« aus dem letzten Drittel des 19. Jhs. wird ein »Diarium der ausgeliehenen Bücher 1791–1804« erwähnt (LMB, 2° Ms. Hass. 462a). Dieses Verzeichnis hat sich leider nicht erhalten.

54 D Geschichte und Geschichten: Kassels »Museum der Aufklärung« und sein Publikum

Die folgenden Kapitel möchten einen Überblick über das vielfältige Publikum von Kunsthaus und Museum Fridericianum geben, wie es das Besucherbuch do­ kumentiert. Dabei wird versucht, die verschiedenen Besucher sinnvoll in ein­ zelne Gruppen zu gliedern. Grundlage bildet dabei die Ermittlung von Perso­ nenangaben, wie sie für die Datenbank der Online-Edition des Besucherbuchs erfolgte: hier lassen sich die Besucher nach Kriterien wie Herkunft, Beruf, Ge­ schlecht, Stand, Alter und Konfessionszugehörigkeit erfassen. Dieser Einteilung folgen auch weitgehend die folgenden Kapitel. Nicht im­ mer fiel freilich eine solche Gruppierung leicht, besonders bei der Berufszu­ gehörigkeit. Wo sollte man z. B. den Geheimen Rat Goethe einreihen, der bei seinen drei nachgewiesenen Museumsbesuchen einmal als Reisebegleiter des Herzogs, einmal als an physikalischen Experimenten und Elefantenknochen interessierter Naturwissenschaftler, einmal als vom Kriegsschauplatz in Frank­ reich heimkehrender Politiker in Kassel Station machte? Er gilt doch zuallererst als Schriftsteller. Oder den Begründer des Besucherbuchs Raspe selbst, der nach seinem Jurastudium über so verschiedene Forschungsgegenstände wie Erdbe­ ben, , Franklins Glasharmonika oder Leibniz arbeitete und publizierte, jedoch als Spezialist für Altertümer nach Kassel kam? Oder den Koch René François le Goullon, der in der Nachbildung antiker Objekte in Zucker oder Teig zu kunsthandwerklichen Meisterleistungen gelangte, die zugleich eine pro­ funde Kenntnis der Antike voraussetzten? Im Jahrhundert der Universalgelehr­ ten, in dem oft die sogenannten »Laien« zugleich zu den eigentlichen Experten in verschiedenen Fachgebieten wurden, mussten entsprechend hin und wieder Kompromisse bei der Zuordnung gemacht oder Überschneidungen in Kauf ge­ nommen werden. So finden sich manche Persönlichkeiten auch in mehreren Kapiteln wieder. Das Personenverzeichnis im Anhang läßt sie leicht auffinden.

1. Von A(rchangelsk) bis Z(wolle): Besucher aus aller Welt

Jedes Jahr zur Sommerzeit wiederholt sich heutzutage im deutschen Blätter­ wald die Schlagzeile: »Deutsche reisen wie die Weltmeister«.135 Erstaunlicher­ weise gab es dieses Urteil bereits im 18. Jahrhundert. Denn in seinem Entwurf zu einem Reise-Collegio (1777) schreibt der Göttinger Professor für Universalge­ schichte August Ludwig von Schlözer (1735–1809) gleich im ersten Satz seiner Vorrede: »Wir Deutschen reisen häufiger, als vielleicht irgend ein anderes Volk

135 Focus, 8.3.2012, online: http://www.focus.de/reisen/service/urlaub-trotz-krisen-deutsche- reisen-wie-die-weltmeister_aid_721696.html (7.3.2014).

55 des Erdbodens: und diesen herrschenden Geschmack an Reisen können wir im­ mer unter unsre National-Vorzüge zälen.«136 Natürlich ging Schlözer selbst mit bestem Beispiel voran, war er doch als weltläufiger Herr, aus Kirchberg an der Jagst stammend, über die Stationen Wertheim, Wittenberg, Göttingen, Stockholm, Uppsala, Lübeck und St. Pe­ tersburg schließlich 1770 als Professor an die Universität in Göttingen gekom­ men, wo er dann aber erstaunlich sesshaft blieb, mit Ausnahme zweier längerer Reisen nach Frankreich (1773/74) und Italien (1781/82). Wie dem Besucherbuch zu entnehmen ist, machte er am 22. April 1785 aber immerhin auch noch einen Ausflug nach Kassel. Seine Reiseerfahrungen und -empfehlungen skizzierte er in dem 20-seitigen Entwurf: von den verschiedenen Arten des Reisens (allein oder in Gesellschaft, zu Wasser oder zu Land) über die Kosten und Ursachen (aus kaufmännischen Interessen oder Gesundheitserwägungen, zum Erwerb von Kenntnissen über »Land und Volk« oder allein »der Mode wegen, nur um zu reisen«) bis hin zum idealen Reisealter. Hierzu meint er: »Das beste Reise-Al­ ter ist zwischen 20 und 30 Jaren. Später hin weiß man mer, und reist also nützli­ cher. Aber der Körper wird schon steif, und die Seele ist nicht mer des lebhaften Eindrucks fähig.«137 Stellt man Schlözers Gedanken den Eintragungen in das Kasseler Besu­ cherbuch gegenüber, zeigt sich, dass tatsächlich die meisten Besucher dem von Schlözer gepriesenen »besten Reise-Alter« angehörten und mehrenteils auch aus Deutschland kamen, letzteres kaum verwunderlich, liegt Kassel doch geo­ graphisch günstig im Kreuzungspunkt deutscher wie europäischer Reise- und Handelswege. Gleichwohl war die geographische Spanne an Ländern und Regionen, aus denen das Kasseler Museumspublikum anreiste, groß: Besucher kamen aus allen europäischen Ländern, darunter allen voran die Briten, gefolgt von den Niederländern, Franzosen, Schweizern, Polen und Russen, sicherlich auch eine Folge davon, dass die Residenzstadt Kassel seit Jahrhunderten ein Schnittpunkt im Netz europäischer (Kultur)Beziehungen war.138 Hiervon künden auch die Museumsobjekte selbst: so war etwa der junge indische Elefant, der später als Goethe­ -Elefant Berühmtheit erlangte, 1773 als Hochzeitsgeschenk der ora­ nischen Verwandtschaft an Landgraf Friedrich II. nach Kassel in die Mena­ gerie und schließlich als Tierpräparat in das Museum Fridericianum gelangt (s. Abb. 64, 65). Neben den Niederlanden bestanden besonders enge Beziehun­ gen des hessen-kasselschen Fürstenhauses zu Großbritannien und den skandi­ navischen Ländern: genannt seien Friedrichs erste Ehe mit Maria, Tochter des englischen Königs Georg II., die Regierung seines Onkels als König Friedrich I.

136 Schlözer 1777, Vorrede. 137 Schlözer 1777, S. 16. 138 Vgl. ingesamt Wegner 2004/2005.

56 von Schweden von 1720 bis 1751, oder die Erziehung seiner drei Söhne am Hofe seines Vetters und Schwagers König Friedrich V. von Dänemark. Die Verbin­ dung des Hauses Hessen nach Skandinavien wirkte in vielerlei Hinsicht auch noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach, indem z. B. der Architekt des Museum Fridericianum, Simon Louis du Ry, in Stockholm seine erste Aus­ bildung erhalten hatte. Die Häufung bestimmter Nationalitäten unter den Museumsbesuchern war durch zahlreiche Faktoren bedingt, und es hat sich bei der Bearbeitung des Be­ sucherbuchs als sinnvoll erwiesen, zwischen Herkunftsland und -ort und Auf­ enthaltsland und -ort zu unterscheiden. So stehen bei den Aufenthaltsländern die Vereinigten Niederlande an erster Stelle und das kleine Dänemark rangiert noch vor Großbritannien an dritter Stelle. Der hohe Anteil von Briten bei den Herkunftsländern resultiert dagegen aus dem großen Zustrom zur Universität Göttingen, die seit ihrer Gründung 1737 durch König Georg II. (als Georg Au­ gust zugleich Kurfürst von Hannover) zu den favorisierten Auslandsuniversitä­ ten des Inselreichs zählte. Diese Briten waren zum Besuch des Museums nach Kassel also nicht etwa aus dem fernen Großbritannien, sondern aus der nahen Universitätsstadt angereist. Wie der Mathematikstudent William Irby, der sich als »Hon[ora]ble Wm Irby of London« in das Buch einschrieb, oder der junge Leutnant, der sich als »Robert, Jones, Adeane. out of Gottingen« eintrug, be­ suchten diese Briten das Museum zumeist in kleinen Gruppen. Vielleicht ge­ schah dies auch auf Empfehlung von Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), der selbst im März 1770 gemeinsam mit seinem Zögling Irby das Kunsthaus be­ suchte.139 Denn fast alle Göttinger Studenten britischer Herkunft im Besucher­ buch zählten zu seinen Hörern und waren für Naturwissenschaften wie Physik, Mathematik und Medizin immatrikuliert. Die Menge an Museumsbesuchern aus Ungarn/Siebenbürgen gründet wiederum in dem konfessionell bedingten Zulauf, den die hessische refor­ mierte Landesuniversität seit dem 16. Jahrhundert hatte. So handelt es sich entsprechend bei den ungarischen Museumsbesuchern zum größten Teil um Studenten der Theologie, darunter einige Stipendiaten der Marburger Uni­ versität, wie Stephan Szachmari, der sich als »Debretzino Hungarus S.S.TC.« (= sanctissimae theologiae cultor) eintrug, und Franciscus Foris, »Transylva­ no Hungarus Theol. Cand.«, die im September 1772 zusammen das Kunsthaus besuchten.140 Auch Schweizer studierten oft an den protestantischen Universitäten in Mar­ burg und Göttingen, und Kassel mit seinem Museum war von beiden Orten aus gut zu erreichen. So kam etwa Johannes von Müller (1752–1809) bereits als 19-jähriger Göttinger Student am 23. September 1771 nach Kassel – wohin er

139 Eintrag in das Besucherbuch zwischen dem 12. und 18. März 1770. 140 Vgl. Asche 2004; Nagy 1974, S. 129.

57 zehn Jahre später als Professor für Statistik ans Collegium Carolinum berufen werden sollte (zweiter Eintrag im Besucherbuch am 15. Mai 1781) und nochmals rund 25 Jahre später, nämlich 1807 als Staatsminister des Königreichs Westpha­ len. Beim ersten Besuch wurde er begleitet von seinen Schweizer Kommilito­ nen Samuel Hunzigker und Johann Stierlin. Am 9. Oktober 1789 schrieb sich auch eine Studentengruppe um den später bedeutenden Schweizer Politiker und Schulreformer Philipp Albert Stapfer (1766–1840) in das Buch ein, der sich drei Tage später in Göttingen als Jurastudent immatrikulierte und später nach Hol­ land und England weiterreiste.141 Sehr häufig finden sich solche Einträge von Studenten aus allen europäischen Ländern, die auf dem Weg zum Studienbe­ ginn in Göttingen ein paar Tage zuvor Station in Kassel machten, wie es hier der Fall war – neben Briten, Schweizern, Niederländern und Ungarn auch zahl­ reiche Studenten aus den baltischen Ländern und Skandinavien. Hierzu zählen z. B. die aus Stockholm stammenden drei Brüder Carl, Gustaf und Erik Grafen Piper, die gemeinsam mit ihrem Hofmeister Carl Larsson Kämpe auf dem Weg nach Göttingen waren, wo sie, wie viele ihrer britischen Kommilitonen, im üb­ rigen ebenfalls Kollegs von Lichtenberg hörten.142 Aus Göttingen kam am 23. Mai 1774 auch die Gruppe um ihren Landsmann Magnus Fredric Graf Brahe (1756–1826), den späteren Kanzler der Universität Uppsala. Die berühmte Reformuniversität in Göttingen zog daneben auch Personen zum Studium an, die eigentlich schon »in Amt und Würden« waren, wie den ita­ lienischen Diplomaten Carlo Luigi Amico Conte di Castellalfero (1758–1832), zu dieser Zeit Ministre plénipotentaire des Königs von Sardinien in Berlin, der sich am 22. September 1782 in Göttingen immatrikulierte. Auch er machte zuvor Sta­ tion in Kassel, wie sein Eintrag 20 Tage früher im Besucherbuch dokumentiert. Der aus Zwolle stammende Assuerus Doyer (1758–1838) besuchte dagegen 1786 Kassel und das Museum vermutlich auf dem Rückweg vom Studium, das er mit der Promotion zum Dr. phil. in Halle abgeschlossen hatte. Die Gelegenheit, auf dem Hin- oder Rückweg vom Studienort die Stadt Kassel und ihre kulturel­ len »Highlights« zu besichtigen, nutzte jedenfalls eine Vielzahl von Studenten aus allen europäischen Ländern. Neben diesem breiten europäischen Spektrum finden sich aber auch außer­ europäische Herkunftsorte von den Museumsbesuchern notiert, wie Archan­ gelsk (von einem Kaufmann) oder New York (von einer Dame), Rio Demerary (von einem Plantagenbesitzer) oder das Kap der guten Hoffnung (von einem Medizinstudenten)143 – Hinweis auf die erstaunlich hohe geographische Mo­

141 Vgl. Philipp Albert Stapfer: Briefwechsel 1789–1791 und Reisetagebuch. Hg. v. Adolf Rohr, Aarau 1971. Der Kassel-Aufenthalt wird freilich nur kurz erwähnt, vgl. S. 41, 150. 142 Heerde 2000, S. 489 f. 143 Bei den vier Genannten handelt es sich um: 1. Salomon van Brienen, Mitglied einer aus Holland stammenden Kaufmannsfamilie in Archangelsk, 2. Elizabetta Gironcourt, geb. Corne, vermutlich Ehefrau des während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs in

58 Abb. 28: Münchhausen hebt im Engpass seine Postkutsche über eine entgegenkommende hinweg, Illustration Raspes zu seiner Third Edition der Münchhausen-Abenteuer, 1787

bilität in einer Zeit, in der das Reisen ja noch alles andere als einfach und be­ quem war, trotz der im Verlauf des 18. Jahrhunderts allmählich verbesserten Infrastruktur mit regelmäßig verkehrenden Postkutschen und zunehmendem Straßenausbau.144 So hatte gerade von Kassel aus das Postkutschenzeitalter in hessischen Diensten stehenden Leutnants Charles Auguste de Gironcourt de Vomecourt, 3. »Boode aus Rio Demerarie«, Mitglied der gleichfalls ursprünglich aus den Niederlanden stammenden Plantagenbesitzerfamilie Boode in Rio Demerary (Hauptstadt der niederlän­ dischen Kolonie Demerary/Demerara, jetzt Guyana), 4. Christian Hendrik Persoon (1761– 1836), Sohn eines deutschen Auswanderers nach Südafrika, später bedeutender Botaniker, der als »Vater der Mykologie« gilt und nach dem u. a. die Gattung »Persoonia« der Pflanzen­ familie der Silberbaumgewächse (Proteaceae) benannt wurde. 144 Vgl. hierzu Behringer 2003, vor allem S. 436 ff. Über die regelmäßig verkehrenden »Posten, die in der Residenzstadt Cassel ein- uns auslaufen« informierte auch ein Anhang

59 Abb. 29: Karl Philipp Cassel, Porträt, Bremen, Privatbesitz

Deutschland seinen Anfang genommen, indem es hier bereits seit 1649 einen re­ gulären Fahrpostbetrieb nach Frankfurt und zurück gab.145 Doch war auch spä­ ter in Hessen nur diese wichtigste Fernstraße nach Frankfurt ausgebaut worden, und die Reisenden klagten weiter über die schlechten Straßenverhältnisse sowie den mangelnden Komfort der hessischen Postwagen. So schreibt der Schotte James Boswell 1764 über ein solches Gefährt: »It was a monstrous machine. One could see nothing from its littel openings, for it had no glasses. It jolted most horridly, and as it was constructed with iron bars I received most severe raps and was really in danger of having made my head broken.«146 Das Reisen da­ her – wie Schlözer meinte – eher den Jüngeren zu überlassen, lag durchaus nahe, verfügte man nicht über die Kräfte eines Münchhausens, um sich aus widrigen Reisekalamitäten selbst befreien zu können (Abb. 28). Unter den weitgereisten Besuchern des Kasseler Museums finden sich Ver­ treter aller Berufsgruppen, darunter z. B. auch ein Herr namens Cassel, dessen Biographie in der Tat ausgesprochen abenteuerliche Züge trägt: 1742 oder 1744 in Magdeburg geboren, war Karl Philipp Cassel (Abb. 29) als Sohn eines offen­ bar sehr strengen Schulrektors mit elf Jahren zur See entlaufen, diente 18 Jahre in dem jährlich neu erscheinenden hessen-kasselschen Staatskalender. Vgl. StKl HK, 1764 ff. Seit 1766 verkehrten auch regelmäßig Marktschiffe zwischen Kassel und Hersfeld; vgl. Ausst. Kat. Kassel 1979, Kat. Nr. 136. 145 Vgl. Behringer 2003, S. 442. 146 Zit. nach Both/Vogel 1973, S. 51. Vgl. hier auch insgesamt zum Verkehrswesen unter Landgraf Friedrich.

60 Abb. 30 (oben): Cassels Gut Landruhe in Bremen-Horn; Abb. 31 (unten): Simon Louis du Ry, Hauptfassade der Anatomie in Kassel (1779 eingeweiht), kolorierte Federzeichnung als Schiffsjunge, Matrose, Steuermann und zuletzt als Kapitän bei der niederlän­ dischen Ostindien-Kompanie und ließ sich anschließend als begüterter Mann in Bremen nieder. Hier gründete er 1777 das bedeutende Überseehaus Cassel & Traub, das vor allem mit Nordamerika Handel betrieb. Als er sich 1791 in das Besucherbuch des Museum Fridericianum eintrug, konnte er dies mit dem stol­ zen Titel eines »Kayserl. Kön. Consul in Bremen« tun. In dem klassizistischen Stil des Landhauses, das er sich ab 1795 in der Nähe Bremens bauen ließ, vermag

61 Abb. 32: Großer Mauerquadrant von Johann Christian Breithaupt, Kassel, 1785, Radius 196 cm

man durchaus eine Reverenz an den Kasseler Klassizimus du Rys zu erkennen (Abb. 30, 31).147 Am Aufbau der Emdener Navigationsschule seit 1782 beteiligt, richtete sich sein Interesse an den Museumsobjekten vielleicht speziell auf die qualitätvolle Sammlung an Fernrohren, Teleskopen, Quadranten, Sextanten, Astrolabien und anderen Geräten zur astronomischen Navigation (Abb. 32), eine Instrumentengattung, die die Entdeckung und Erschließung der auch von Cassel selbst durchfahrenen außereuropäischen Gebiete durch Reisende der Al­ ten Welt erst ermöglicht hatte. Die »Besucher aus aller Welt« stießen damit im Museum selbst auf die technischen Grundlagen der europäischen Expansion.

2. Zeitgeschichte: Krieg in Amerika, Revolution in Frankreich – politische Ereignisse und ihre Auswirkungen auf den Besucherzustrom

Neben dem kontinuierlichen Zulauf von Göttinger Studenten oder Bremer Kaufleuten sind im Besucherbuch phasenweise deutliche Veränderungen im Besucherzustrom festzustellen, deren Hintergründe in den allgemeinen politi­ schen Ereignissen zu suchen sind. In die Laufzeit des Besucherbuchs fallen mit dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und mit der Französischen Revo­ lution die beiden großen globalgeschichtlichen Ereignisse im letzten Drittel des 18. Jahr­hunderts. Beide hinterließen tatsächlich auch im Besucherbuch deut­ liche Spuren.

147 http://de.wikipedia.org/wiki/Gut_Landruhe (14.3.2014). Zu Cassel vgl. Schwebel/Plan­ tinga 1988.

62 Abb. 33: James Gillray, George Hanger, 4th Baron Coleraine, handkolorierter Kupferstich, 1796

Gewissermaßen als Vorboten kommender Ereignisse finden sich, um nochmals zu den britischen Studenten als Museumsbesuchern zurückzukehren, unter ih­ nen zahlreiche spätere Offiziere, die am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beteiligt waren. Erwähnt seien Henry Gage, 3rd Viscount Gage (1761–1808), Ma­ thematikstudent und einer der vielen Hörer von Lichtenberg in Göttingen, zu­ letzt Generalmajor, oder Alexander Lindsay, 6th Earl of Balcarres (1752–1825), der ab 1777 als Offizier in Amerika war, es 1794 zum Gouverneur von Jamaika und 1803 zum General brachte. Zu den prominenten britischen Offizieren zählt auch George Hanger, später Lord Coleraine (1751–1824): nach dem Studium in Eton und Göttingen diente er während des Unabhängigkeitskriegs zunächst als Captain, dann als Major bei den hessischen Truppen in Amerika, ein Herr, der vor allem als »Exzentriker« und Spezialist für militärische wie weibliche Erobe­ rungen in die britischen Biographien einging (Abb. 33). Hanger besuchte das Museum nachweislich zweimal – einmal vor (1771), einmal nach (1784) seiner Kriegsteilnahme in Amerika. Einer der bedeutenden Museumsbesucher im Kontext des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs war auch Charles Auguste de Gironcourt de Vomecourt (1756–1811), der zunächst in französischen Militärdiensten, ab 1776 in hessischen Diensten stand. Er erarbeitete zusammen mit Captain Martin eine großräumige Übersichtskarte in drei Blättern, jedes zu 73 x 204 cm im einheitlichen Maßstab von ca. 1:58.000, zu den Kriegsschauplätzen der hessischen Truppen in Amerika, die als ein Paradestück der hessischen Militärkartographie gilt (Abb. 34).148 Sie zeigt die Ostküstenregion vom Hudson River bis zur Chesapeake Bay nördlich

148 Vgl. Fritz Wolff: Hessische Karten vom Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. In: ZHG 105 (2000), S. 75–94, hier S.79, 81 f., 93 f.

63 Abb. 34: Capitaine Martin und Charles August de Gironcourt, Teil des Plan général des operations de l’armée britannique contre les rebelles dans l’Amerique depuis l’arrivée des troupes hessoises ..., New York 1780 von Baltimore mit der Einzeichnung aller militärischen Operationen von 1776 bis 1779. Auf vier Nebenkarten finden sich Stadtpläne von New York und Phila­ delphia, der Lageplan von Fort Knyphausen auf Manhattan sowie ein Gefechts­ plan von Red Bank bei Philadelphia. Gironcourts Interesse an Kunst und Wis­ senschaft belegt der Eintrag in das Besucherbuch des Kunsthauses am 8. Juli 1777, also noch vor seiner Reise nach Amerika, und nach seiner Rückkehr wurde er sogleich Mitglied der im Museum Fridericianum tagenden Société des Antiquités. Zu den Museumsbesuchern zählten auch die Unterhändler des Subsidien­ vertrags, die überhaupt die Voraussetzungen dafür schufen, bzw. aushandelten, dass und wie die Hessen und Briten gemeinsam in Amerika kämpften.149 Der am 31. Januar 1776 in Kassel abgeschlossene Vertrag zog im Vorfeld die Anwe­ senheit ranghoher britischer Offiziere nach sich, von denen sich einige auch im Besucherbuch wiederfinden, wie z. B. Charles Stanhope (1753–1829), der sich im Oktober 1775 eintrug. Im Februar 1776 war in der PCZ zu lesen: »Den 23. Engl. Gesandter Hr. Oberst v. Faucit und Hr. Baron v. Cranfort [sic!]. auss. Dienst. l. i. Strals.«. Dabei handelte es sich um die beiden wichtigsten Unterhändler, nämlich William Faucitt (1728–1804) und James Craufurd (1744–1811), letzterer am 23. Februar, also rund drei Wochen nach Vertragsabschluss, als Besucher des Kunsthauses verzeichnet. Mit Faucitt stand wiederum der Museumskustos

149 Zum »Soldatenhandel« als einer nach wie vor kontrovers diskutierten Praxis des 18. Jahrhunderts allgemein und zum Abkommen zwischen Großbritannien und Hessen-Kas­ sel 1776 vgl. insgesamt Hofsommer 2012.

64 Raspe seit 1766 in brieflichem Kontakt,150 und Faucitt hatte erfolgreich dessen Aufnahme in die Royal Society empfohlen, was ebenso für das wissenschaftliche Interesse wie das Renommee des Obersts bei der gelehrten Gesellschaft spricht. Dass Faucitt bei seinen vielen Besuchen in Kassel das Kunsthaus gleichfalls be­ sucht haben dürfte, ist zu vermuten, wenn sich auch sein Name im Besucher­ buch nicht nachweisen läßt. Belegt ist dagegen nach der Niederlage der Engländer und ihrer verbündeten Hessen in Amerika ein reges Interesse der Kriegsheimkehrer an dem 1779 neu eröffneten Museum Fridericianum. Auch der bereits genannte George Hanger, im Mai 1784 von den Truppen weg versetzt,151 gehörte zu dieser großen Gruppe, die bald nach Ankunft auf dem europäischen Kontinent von Bremen aus nach Kassel (heim)gekommen und hier gleich zügig auf dem Weg ins Museum war. Als einer der ersten findet sich hier am 14. Oktober 1783 »Wilhelm Bauer Feld­ prediger bey dem Hochlöbl[ichen] Regiment von Knyphausen« verzeichnet, der laut PCZ erst am Tag zuvor in Kassel eingetroffen war.152 Vermutlich wurde er begleitet von »A. Mosengeil, Capt. of the New Jersey Volunteers in America«. In der Folge kamen immer wieder, einzeln oder in kleinen Gruppen, Rückkehrer

150 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Faucitt:1–14; vgl. auch Broszinski 2005, Nr. 64. 151 Vgl. Hanger, von, Georg. In: Hessische Truppen in Amerika (Stand: 15.12.2012). 152 PCZ, 1783, S. 747: »D. 13. […] hies. Feldpred. Hr. Bauer, k. v. Amerika, l. i. g. Adl.«

65 aus Amerika: Offiziere vom einfachen Leutnant bis zum Generalmajor, meh­ rere Feldprediger, darunter Henrich Kümmell (1753–1830), Verfasser eines Ta­ gebuchs zu seinen Erlebnissen in Amerika,153 daneben auch Regimentsquar­ tiermeister oder Auditeure, wie die Gruppe um den Regimentsquartiermeister Friedrich Jacob Kleinschmidt (*um 1743) und den Auditeur J. Friedrich Adolf Steuber, die im Januar 1784 das Museum besuchte.154 Zu den herausragenden Rückkehrern aus Amerika, sowohl im Hinblick auf die Lebensumstände wie auf die »Nachhaltigkeit« des Aufenthalts auf dem fer­ nen Kontinent, zählt das Ehepaar Riedesel zu Eisenbach: Friedrich Adolf Riedesel Freiherr zu Eisenbach (1738–1800) diente zunächst in der hessischen Armee. Ab 1776 war er als braunschweigischer Generalmajor im Krieg in Amerika, wohin ihm bald seine wahrhaft mutige Frau Friederike Charlotte Luise, geb. von Massow (1746–1808) mitsamt ihren drei kleinen Töchtern folgte. 1777 in Kriegsgefangen­ schaft geraten, kehrte er im Oktober 1783 mit der Familie in seine Heimat zurück. Mitgebracht hatte er die Samen amerikanischer und kanadischer Baumarten, und es ist durchaus möglich, dass er diese auch in Kassel weitergab, befinden sich doch im Bergpark u. a. kanadische Roteichen aus dieser Zeit. Sein Memorandum zur »nachhaltigen« Forstwirtschaft (Gutachten über die Behandlung der Waldungen und Anpflanzungen der Vorwaldungen, 1796) hat darüber hinaus bis heute Gül­ tigkeit. Riedesel wohnte, wie der PCZ zu entnehmen ist, bei seinem Aufenthalt in Kassel nicht in einem Gasthof, sondern bei General von Schlieffen. Am 4. Novem­ ber 1784 in Kassel eingetroffen, findet sich sein Name sogleich am Folgetag im ­Be sucherbuch. Gemeinsam mit ihrer 12-jährigen Tochter hatte seine Frau das Mu­ seum dagegen bereits im Juli 1784 besucht. Auch ihr Amerika-Aufenthalt wirkte lange nach. Denn im Jahr 1800 veröffentlichte sie beim Verlag Haude und Spener in Berlin ihre Tagebuchaufzeichnungen und Briefe unter dem bezeichnenden Ti­ tel: Die Berufs-Reise nach America: Briefe der Generalin von Riedesel auf dieser Reise und während ihres sechsjährigen Aufenthalts in America zur Zeit des dortigen Krieges in den Jahren 1776 bis 1783 nach Deutschland geschrieben. Hin und wieder brachten die hessen-kasselschen Kriegsteilnehmer auch Ehefrauen aus der Neuen Welt mit nachhause – und ins Museum. So hatte Major Friedrich Wilhelm Anton von der Malsburg (1745–1824) in Charleston 1782 Eli­zabeth Henrietta, geb. Baronesse Leigh (1766–1824) geheiratet, Tochter des Attorney Generals (Kronanwalts) der britischen Kolonie South Carolina, Sir Egerton Baron Leigh. Ende 1783 aus Amerika kommend, besuchte das Ehe­ paar am 5. November 1783 gemeinsam das Museum. Aus Kanada hatte der be­ reits genannte Feldprediger Bauer gleichfalls eine Gemahlin mitgebracht, die

153 Vgl. Krause 1969, S. 7, 38 ff. 154 Diese Besucher gehörten zu den Korrespondenten von Georg Ernst von und zu Gilsa, der 1761 durch den Verlust eines Arms für den aktiven Militärdienst untauglich wurde und daher nicht mit nach Amerika gegangen war; Gilsa selbst hat sich zweimal in das Besucher­ buch eingetragen (9.4.1779 und 25.8.1780); zu Gilsa vgl. insgesamt Gräf 2010a, Gräf 2010b.

66 unter seinen Namenszug in das Besucherbuch schrieb: »Mary Bauer Deleus from Quebec in Canada«. Und bei »Elizabetta Gironcourt nee Corne from New Yorck«, die am 8. August 1784 das Museum besuchte, dürfte es sich um die amerikanische Ehefrau des bereits genannten Kartographen Gironcourt handeln. All diese Heimkehrer oder Einwanderer stießen im Museum selbst wieder­ um auf Objekte aus der Neuen Welt – hatte doch Landgraf Friedrich II. bereits 1777 seinen Generalleutnant v. Knyphausen gebeten, ihm Indianerwaffen und Pflanzen für das Museum aus Amerika mitzubringen.155 So gelangten 1782 »1 Zuckerrohr, 1 Beutel mit Crystallen aus Canada« in das Museum.156 Ein lebens­ großer Indianer als Wachsfigur, mit aufwendiger Kleidung und Bogen, sowie Kanus gehörten dann tatsächlich, zusammen mit vielen weiteren im Inventar des Armatur- und Wachszimmers dokumentierten Objekten aus Amerika,157 zu den Attraktionen des Museums – ein Arrangement, wie es andernorts erst in den völkerkundlichen Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts üblich wur­ de.158 Unmittelbar an die Kampfhandlungen in Amerika erinnerte ein weiteres Ausstellungsobjekt, beschrieben im Inventar als »Modell von Chevaux de ­Frise­ wie solche in Amerika in den Delaware zu Sperrung des Flusses eingesenkt wor­ den, und welche nach den Nummern zusammengefügt werden müssen.«159 Aber nicht nur die britischen, hessen-kasselschen oder auch ansbach-bay­ reuthischen Kriegsheimkehrer finden sich im Besucherbuch verzeichnet, son­ dern auch die gegnerische Seite trat hier mit einigen prominenten Vertretern in Erscheinung. So trug sich am 31. März 1783 der aus Schwedisch-Pommern stammende Curt Bogislaus Ludvig Christopher von Stedingk (1746–1837) in das Buch ein, der ab 1766 beim Regiment Royal Suédois in Frankreich diente und mit diesem ab 1779 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg eingesetzt war. Drei Monate später finden wir den Schweden Hans Axel Graf von Fersen (1755– 1810) eingetragen, der, gleich Stedingk, ab 1779 in französischen Militärdiensten

155 STA MR 4h 410 Nr. 2 f 46. 156 Vgl. Mey 1999, S. 26. 157 Das Inventar (s. oben, Abb. 19) verzeichnet u. a. »Ein paar amerikanische Schuhe mit roth und weißen GlasCorallen auch andre Zierraten« (Nr. 25), »Ein Streithemd von der Na­ tion der Sioux am Missisippifluss« (Nr. 131), daneben viele Waffen und aufwendig verzierte Taschen und Beutel. 158 Wie wenig dagegen später König Jérôme um den musealen Wert solcher Objekte wuss­ te, zeigt die Tatsache, dass er ein Kanu aus dem Museum holen ließ und mit ihm über den Lac fuhr, wie 1808 Christine Wilhelmine Fürstin zur Lippe-Detmold bei ihrem Besuch des Museums feststellen musste: »In den Cabinetten war […] mancherley aus Amerika, unter andern ein Cazicke in Wachs mit allen seinen Ornamenten, Waffen, Kleidungen, Canots von Birkenrinde, von welchen der Hof eben das größeste nach Napoleonshöhe hatte holen lassen, um dort auf dem Wasser zu fahren.« Zit. nach Vercamer 2006, S. 528. 159 Inventar des Armatur- und Wachszimmers, Nr. 189. Chevaux de Frise = Spanische Rei­ ter, Barriere.

67 Abb. 35. Baron Münchhausen verabschiedet sich von Louis XVI und seiner Familie. Unbekannter Künstler, Kupferstich, 1792, mit späterer Kolorierung im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg stand. Beider Aufenthalt in Kassel erfolgte vermutlich auf der Rückkehr von Frankreich nach Schweden. Fersens Verbindung mit Frankreich hielt an: als enger Vertrauter der fran­ zösischen Königin Marie Antoinette war er maßgeblicher Unterstützer ihrer Familie während der Revolutionsjahre und organisierte die – in Varennes ge­ scheiterte – Flucht der Königsfamilie im Juni 1791. Sicherlich spielt Raspe in einer Szene (Abb. 35) seiner 1792 in London erschienenen A Sequel to the Adven­ tures of auf Fersen als den von der Königin hochgeschätz­ ten »Beau ­suedois« an. Hier verabschiedet sich Münchhausen, nachdem er der königlichen Familie zur Flucht nach Montmédy verholfen hat, mit folgenden Überlegungen (den Ausgang der ganzen Geschichte auf der Guillotine natürlich noch nicht ahnend!): »In short, I left the King eating a muttonchop. I advised him not to delay, or he would certainly be taken; and setting spurs to my horse, wished them a good evening, and returned to England. If the King remained too long at the table, and was taken, it was not my fault.«160 Einen glücklicheren, oder zumindest lebensrettenden Ausgang nahm die Flucht bei zahlreichen Mitgliedern des französischen Hochadels, die sich außer Landes in Sicherheit bringen konnten – und viele von ihnen hatten bzw. nutzten die Gelegenheit, fern der Heimat Kunst und Wissenschaft im Museum Fride­ ricianum zu erfahren. Die Wirren der Revolution wirkten sich zumindest für die Museumsstatistik in der Tat positiv aus, nämlich in der bis dahin höchsten

160 Zit. nach der Ausgabe: The Travels and Surprising Adventures of Baron Munchausen. New York 1862, S. 251, die mit diesen Sätzen endet.

68 Abb. 36: Isidore Pils, Rouget de Lisle singt die Marseillaise im Haus des Straßburger Bürgermeisters Dietrich, 1849, Musée historique de Strasbourg

Besucherzahl pro Jahr, nämlich rund 1.000 Personen. Unter den vielen franzö­ sischen Namen im Besucherbuch zu dieser Zeit finden sich einige hochrangige Vertreter des Adels, wie z. B. François-Claude-Amour Marquis de Bouillé (1739– 1800), dem die zweifelhafte Ehre zuteil wurde, als Inbegriff des Konterrevoluti­ onärs Eingang in die fünfte Strophe der Marseillaise zu finden:

Français, en guerriers magnanimes, Franzosen, Ihr edlen Krieger, Portez ou retenez vos coups! Versetzt Eure Schläge oder haltet sie zurück! Epargnez ces tristes victimes, Verschont diese traurigen Opfer, A regret s’armant contre nous. Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen. Mais ces despotes sanguinaires, Aber diese blutrünstigen Despoten, Mais ces complices de Bouillé Aber diese Komplizen von Bouillé, Tous ces tigres qui, sans pitié, Alle diese Tiger, die erbarmungslos Déchirent le sein de leur mère! Die Brust ihrer Mutter zerfleischen! Aux armes citoyens […]

Nebenbei sei bemerkt, dass im Besucherbuch am 11. September 1770 auch ­Philippe-Frédéric de Dietrich (1748–1793) verzeichnet ist, der anschließend mit

69 dem Kustos Raspe über Mineralien und Fossilien korrespondierte. Seit 1790 Bürgermeister und Friedensrichter von Straßburg, erklang in seinem Haus 1792 zum ersten Mal die Marseillaise (Abb. 36) – was ihn jedoch nicht davor bewahr­ te, 1793 von den Jakobinern hingerichtet zu werden. Der Marquis de Bouillé hatte während des Amerikanischen Unabhängig­ keitskriegs erfolgreich die französischen Antillen-Inseln verteidigt und war 1782 zum Generalleutnant, 1789 zum Gouverneur der Provinzen Trois-Évêchés, Elsass und Franche-Comté ernannt worden. Als Oberbefehlshaber der Maas-, Saar- und Moselarmee ab 1790 hatte er, wie Fersen, Louis XVI und seine Fami­ lie bei ihrem Fluchtversuch im Sommer 1791 unterstützt und war daraufhin des Hochverrats für schuldig gesprochen worden. Seine Flucht führte ihn zunächst nach Koblenz als dem Zentrum der diplomatischen und militärischen Aktivi­ täten der französischen Emigranten,161 1794 nach London. In Kassel traf er sich vermutlich in diplomatischer Mission mit dem aus Stockholm angereisten Graf Taube, der sich am gleichen Tag (29. Dezember 1791) ins Besucherbuch einge­ tragen hatte. Denn in diese Zeit fallen die Verhandlungen über die Unterstüt­ zung der französischen durch die schwedische Monarchie (Plan einer Invasion schwedischer und russischer Truppen im April 1792). Größere Gruppen französischer Adeliger und ihrer Bediensteten kamen im April und im Juni 1793 ins Museum Fridericianum: die Familien de Sassenay, de Lagadec, de Cantarels, Pignolet, de Puch de Montbreton, de Durey de Noinville, de Foudras und Bataille de Mandelot gehörten zu den französischen Emigran­ ten, die Landgraf Wilhelm IX. in Karlshafen aufgenommen hatte (Abb. 37).162 Darunter war auch der achtjährige Adolphe Bataille, Comte de Mandelot (1785– 1864), der als exquisiter Zeichner, Grafiker und Kenner der Pariser Kunstszene der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt und maßgeblich die Entwicklung der Fotografie um Niépce und Daguerre begleiten sollte. Die bedeutende Sammlung an »Optica« im Museum Fridericianum dürfte ihn vielleicht schon zu dieser Zeit interessiert haben. Ferner zählten zu den aus Frankreich emigrierten Museumsbesuchern männ­ liche und weibliche Mitglieder der Familien de Rochelambert, de Riencourt, de Cluzel, de Mesnil-Desvieux, de Montmorency, de Fumel de Monségur, de Beau­ mont d’Autichamp oder de Talleyrand-Périgord.

161 Vgl. insgesamt Henke 2000. 162 Der Schriftverkehr zu dieser Aufnahme französischer Emigranten in der Landgraf­ schaft Hessen-Kassel findet sich in den Kabinettsakten: STA MR, 4 f Frankreich Nr. 1748. So erging bereits am 28. Oktober 1792 ein Schreiben des Amtmanns Gössell in Hofgeismar an Wilhelm IX. mit der Anfrage, wie denn mit den gerade eingetroffenen Franzosen umzu­ gehen sei; bei diesen Akten findet sich auch das Verzeichnis der schließlich in Karlshafen aufgenommenen französischen Emigranten und deren Dienstboten vom 23. Februar 1793 (online: http://www.digam.net/dokument.php?ID=1382; 19.3.2014).

70 Abb. 37: Verzeichnis der in Karlshafen aufgenommenen französischen Emigranten, 12. November 1792

Gehörten die meisten männlichen Emigranten dem Militär an, so finden sich unter den Museumsbesuchern auch einige bedeutende Vertreter des von den Revolutionstruppen verfolgten Klerus. So kam am 3. August 1792 der Erz­ bischof von Paris, Jean Siffrein Maury (1746–1817) ins Museum, der als Geg­ ner der Französischen Revolution im September 1791 emigriert war und sich den Royalisten in Koblenz angeschlossen hatte. Anfang des Jahres war er nach Rom gereist, wo er zum Bischof von Nicaea und päpstlichen Nuntius bei der Kaiserwahl und -krönung in Frankfurt ernannt worden war, was er in seinem Eintrag in das Buch vermerkt: »Jean Sifrein Maury archevêque de Nicée, et cy devant nonce / apostolique à la dietee de Francfort«. Gleichfalls hohe Geistlich­ keit traf am 18. Februar 1795 im Museum ein (Abb. 38): Alexandre Angélique de Talleyrand-Périgord (1736–1821), 1777 zum Erzbischof von Reims ernannt, war 1791 nach Flandern emigriert. Mit dem dortigen Einmarsch der Revoluti­ onstruppen setzte er seine Flucht über Aachen, Weimar und Braunschweig fort. Talleyrand-Périgord, 1817 bis 1821 Kardinal sowie Erzbischof von Paris und da­ mit Nachfolger von Jean Siffrein Maury, war der Onkel des bedeutenden Staats­ manns und Diplomaten Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838),

71 Abb. 38: Kardinal Talleyrand-Périgord, ab 1817 Erzbischof von Paris

der Frankreichs Großmachtstellung von der Revolution bis zum Bürgerkönig­ tum bewahrte. Das Museum besuchte der Erzbischof gemeinsam mit einem weiteren Neffen und dessen Ehefrau, d. h. dem Feldmarschall Elie Charles Prin­ ce de Chalais, Duc de Talleyrand-Périgord (1754–1829) und seiner Ehefrau Ma­ rie-Charlotte (†1828). Aus Flandern kam auch Corneille-François de Nélis (1736–1798) nach Kassel und in das Museum, seit 1784 Bischof von Antwerpen, der 1794 als erbitterter Gegner der Französischen Revolution seine Diözese verlassen musste und über Holland nach Deutschland geflohen war. Vor dem Hintergrund dieser Menge französischer Emigranten in Kassel, wie sie das Besucherbuch eindrucksvoll dokumentiert, ist auch das Erlebnis von ­Goethe zu sehen, als er – selbst aus Frankreich kommend – am 14. De­ zember 1792 in Kassel eintraf. Als Beobachter des Kriegsgeschehens war er u. a. bei der Kanonade von Valmy am 20. September 1792 dabei gewesen und zeigte sich sichtlich froh, in Kassel auf dem Rückweg nach Weimar angekommen zu sein. Wie auch schon bei seinen beiden früheren Besuchen logierte er wieder im Gasthaus am Königsplatz (Abb. 39). Rückblickend schreibt er in Campagne in Frankreich: »Wie düster aber auch in der letzten und schwärzesten aller Nächte meine Gedanken mochten gewesen sein, so wurden sie auf einmal wieder auf­ gehellt, als ich in das mit hundert und aber hundert Lampen erleuchtete Cassel hineinfuhr[…]. Diese Heiterkeit jedoch ward mir für einige Zeit gestört, als ich auf dem prächtigen tageshellen Königsplatz an dem wohlbekannten Gasthofe anfuhr; der anmeldende Diener kehrte zurück mit der Erklärung: es sei kein Platz zu finden. Als ich aber nicht weichen wollte, trat ein Kellner sehr höflich an den Schlag und bat in schönen französischen Phrasen um Entschuldigung, da

72 Abb. 39: Simon Louis du Ry, Erster Entwurf für das Posthaus am Königsplatz, 1770/71. Die Ausführung fiel aufgrund bautechnischer Erwägungen einfacher aus. es nicht möglich sei mich aufzunehmen. Ich erwiderte darauf in gutem Deutsch: wie ich mich wundern müsse, daß in einem so großen Gebäude, dessen Raum ich gar wohl kenne, einem Fremden in der Nacht die Aufnahme verweigert wer­ den solle. Sie sind ein Deutscher, rief er aus, das ist ein anderes! und sogleich ließ er den Postillon in das Hoftor hereinfahren. Als er mir ein schickliches Zimmer angewiesen, versetzte er: er sei fest entschlossen keinen Emigrirten mehr aufzunehmen. Ihr Betragen sei höchst anmaßend, die Bezahlung knau­ serig; denn mitten in ihrem Elend, da sie nicht wüßten wo sie sich hinwenden sollten, betrügen sie sich noch immer als hätten sie von einem eroberten Lande Besitz genommen.«163 Ähnlich heißt es auch in einem Brief Goethes an Graf Reinhard vom 14. November 1812: »Ich […] wurde […] mit der großen Masse (lauter Edel- und guten Leuten die kein schwarz Brod aßen) über Münster und Paderborn dergestalt ungeschickt in das Herz von Deutschland getrieben, daß ich, in Cassel, des Nachts im Wirtshaus anfahrend, deutsch reden mußte, um vom Kellner aufgenommen zu werden.«164 Die Vielzahl französischer oder flandrischer Emigranten stellt freilich nur die eine Seite der Spuren dar, die die Revolutionswirren im Besucherbuch hin­ terlassen haben. Denn ihnen steht eine große Zahl preußischer Militärperso­ nen gegenüber, die gewissermaßen in Gegenrichtung unterwegs waren, indem

163 Goethe – Werke, 10. Bd., S. 347 f. 164 Goethe – Begegnungen, 3. Bd. (1977), S. 506 f.

73 sie über Kassel den Weg zum Koalitionskrieg in Frankreich nahmen. So fin­ den sich ganze Offiziersgruppen der preußischen Armee als Museumsbesucher dokumentiert, einschließlich der ganzen militärischen Versorgung und Orga­ nisation: von den Feldbäckern über die Feldprediger, Feldpostmeister, Feld­ kassenbuchhalter und Feldscher bis hin zu den Lazarettinspektoren, Regiments­ quartiermeistern und Auditoren hat sich nahezu das gesamte Personalspektrum der preußischen Truppen im Besucherbuch verewigt. Darunter findet sich mit dem Datum des 16. Januar 1795 auch der Feldprediger August Heinrich Julius Lafontaine (1758–1831), der 1792 bis 1795 mit dem Regiment v. Thadden im Feld­ zug gegen Frankreich war, später sich aber ausschließlich als Schriftsteller betä­ tigte und mit seinen rund 160 Romanen und Erzählungen, die z.T. in 14 Spra­ chen übersetzt wurden, europaweit zu den produktivsten und meistgelesenen deutschen Autoren um 1800 zählt. Die Zeitgeschichte jener Jahre verarbeitete er u. a. in seinem Werk Klara du Plessis und Klairant. Eine Familiengeschichte Französischer Emigrirten (1795). Militärisch knapp sind die meisten Einträge: eine Liste der Nachnamen mit Angabe des Ranges, meist durch eine geschweifte Klammer mit der Angabe des Regiments verbunden. So heißt es am 21. Juni 1792: »Obrist Lieut[enant] ­vKrohne / Rittmeister vWinterfeld/ Lieutenant vZieten/ vStulpnagel Lieu­ tenant/ Lieutenant vBorstell/ General-Adjutant von Möllendorf/ Cornett v. Borstell/ ­Lieutenant v Bogen/ Rittmeister vManstein 2ter} vom Regiment v Ilow Cürass[iers].« Entsprechend schwer ist dann auch die Identifizierung der einzelnen Personen, die dennoch dank der preußischen Ranglisten und weite­ rer biographischer Nachschlagewerke in den meisten Fällen gelang. So handelt es sich z. B. bei den beiden v. Borstells um die Brüder Karl Leopold Heinrich Ludwig von Borstell (1773–1844), Kornett, und Hans Friedrich Georg Ludwig Wilhelm von Borstell (1770–1793), Leutnant, beide Angehörige des von ihrem Vater, dem General Hans Friedrich Heinrich von Borstell­ ab 1792 geführten Kürassier-Regiments »v. Ilow«.165 Im Rahmen der preußischen Militäroperationen gelangte im April 1793 auch Thomas Bruce, 7th Earl of Elgin, 11th Earl of Kincardine (1766–1841) nach Kassel. Seit 1792 britischer Gesandter in Brüssel, begleitete er 1793 die preußische Armee in Deutschland und handelte während seines Aufenthalts in Kassel mit Landgraf Wilhelm IX. einen Subsidienvertrag über achttausend Soldaten aus.166 Elgin nutz­ te die Gelegenheit zum Besuch des Museum Fridericianum, wo ihn besonders die Antiken interessiert haben dürften, verdankt doch dasBritish Museum in London ihm später den Erwerb des Skulpturenschmucks von der Athener Akropolis (u. a. den Parthenonfries), der als sog. »Elgin Marbles« zu den berühmtesten, aber we­ gen ihrer Ankaufsgeschichte auch umstrittensten Exponaten des Museums zählt.

165 Rangliste 1793, S. 156. 166 Vgl. Hessen 1996, S. 288.

74 Abb. 40: Martin Ferdinand Quadal, Bildnis Anton Graf Lamberg-Sprinzenstein, 1784

Sein Besuch des Kasseler Museums am 10. April 1793 zeigt beispielhaft, wie sich diplomatische Mission und kulturelle Interessen verbinden ließen. Im gleichen Jahr, Ende August 1793, kam ein weiterer bedeutender Diplomat nach Kassel, dessen Reiseroute aber dafür spricht, dass bei ihm vielleicht weni­ ger die Diplomatie, als das Kunstinteresse den Ausschlag für einen Besuch der Residenzstadt gegeben hat (Abb. 40): der österreichische Diplomat Anton Franz de Paula Graf von Lamberg-Sprinzenstein (1740–1822) ist vor allem als Kunst­ sammler und -mäzen von Bedeutung, erwarb er doch als Gesandter in Turin und Neapel ab 1776 über 500 antike griechische Vasen (heute im Kunsthistori­ schen Museum Wien), dazu bei zahlreichen Reisen nach England, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden eine zuletzt ca. 740 Meisterwerke umfas­ sende Gemäldesammlung, die er der Wiener Akademie vermachte (u. a. Tizian, Velasquez, Guardi, Rembrandt). Die Notiz in der PCZ verrät, dass der weltläufi­ ge Herr zuvor in Düsseldorf war, möglicherweise aus diplomatischen Gründen (die nahen österreichischen Niederlande sahen sich zu dieser Zeit bereits durch die französische Revolution bedroht), mit Sicherheit aber auch, um dort die be­ deutende Gemäldegalerie zu besuchen. Selbstverständlich stieg Lamberg-Sprin­ zenstein, wie Goethe, im Gasthaus am Königsplatz ab: »A. 28. Hr. Graf v. Lam­ berg, k. v. Düsseldorf, l. i. Gasth. a. K. Pl.« Einen der prominentesten Vertreter des preußischen Militärs unter den Mu­ seumsbesuchern hielt es dagegen nicht einmal eine Nacht in Kassel: Gebhard

75 Abb. 41: Gebhard Leberecht von Blücher, nach Paul Ernst Gebauer, zwischen 1815 und 1819

Leberecht von Blücher (1742–1819), Sohn eines hessen-kasselschen Rittmeisters, stieg später als Generalfeldmarschall zu einem der erfolgreichsten Heerführer Preußens auf (Abb. 41). Mit dem Beinamen »Marschall Vorwärts« tituliert, be­ fand er sich freilich diesmal auf dem Rückzug – sein Museumsbesuch am 19. März 1795 mit einer ganzen Gruppe preußischer Offiziere geschah auf der Rück­ kehr vom Koalitionskrieg in Frankreich. Erstaunlicherweise fand man tatsäch­ lich Zeit für eine solche kulturelle Aktivität, obwohl, laut Angabe in der PCZ, die Gruppe um Blücher in Kassel keinen längeren Halt machte: »gehen durch«, heißt es hier.167 In diesen Tagen zog jedenfalls, wie im Besucherbuch dokumen­ tiert, die preußische Militärmaschinerie wieder in Gegenrichtung durch Kas­ sel – und durch das Museum. Zwischen all diesen aus Frankreich oder Flandern fliehenden oder nach Frankreich einmarschierenden und später wieder zurückkehrenden Personen einschließlich der begleitenden Diplomaten taucht auch hin und wieder ein versprengter deutscher Revolutionär auf, wie z. B. der Hamburger Schriftstel­ ler Leonhard Wächter (1762–1837), der sich kurz nach seinem Aufenthalt in Kassel (22. Juni 1792) den Revolutionstruppen am Rhein beigesellte. Von fran­ zösischen Emigranten bereits am 8. Juli 1792 auf dem Rhein vorübergehend gefangen genommen, schloss er sich nach seiner Befreiung als Hauptmann

167 PCZ, 1795, S. 263: »A. 19. K. Preuss. Generalmajor, Hr. v. Blücher, k. v. 5 Eskadron seines Unterhabenden Husaren-Regmts. aus dem Nachtquartier, g. d.« [»g. d.« = gehen durch].

76 dem Regiment von General Dumouriez an. 1793 verwundet, kehrte er nach Hamburg zurück, wo er als Pädagoge und Schriftsteller, zum Teil unter dem Pseudonym »Veit Weber«, wirkte. Bekannt wurde er durch seine Beschäfti­ gung mit altdeutscher Überlieferung. Auf Anregung von Gottfried August Bürger veröffentlichte er in sieben Bänden die Sagen der Vorzeit (1787–1798). Diese Sammlung war zu seiner Zeit so bekannt, dass bei seinem Namenszug im Besucherbuch von anderer Hand hinzugesetzt wurde:»Ist der unter dem Nahmen Veit Weber bekannte Verfaßer der Sagen der Vorzeit.« Seine revoluti­ onäre Gesinnung dürfte dagegen vermutlich weniger bekannt und auch kaum ähnlich salonfähig gewesen sein. Wie die »große Politik« sich auf den Museumsbesuch auswirkte, dürfte an diesen Beispielen deutlich geworden sein: auf einzelnen Seiten des Besucher­ buchs prallen die Gruppen aus altem französischem Adel, preußischem Militär und vereinzelten Verfechtern einer neuen politischen Ordnung so unmittelbar aufeinander, dass man hier einen direkten Niederschlag der Revolutionszeit ver­ spüren kann. Umgekehrt wird aber deutlich, dass man trotz oder vielleicht auch gerade wegen Krieg, Vertreibung, Flucht und Rückzug den Wunsch nach dem Besuch des berühmten Museums verspürte, ein Besuch in einer gleichsam be­ friedeten, ästhetisch und intellektuell ansprechenden »contact zone«, die, ähn­ lich Goethes Kassel-Erlebnis 1792 bei der Rückkehr von den Gefechten in Frank­ reich, die »düsteren Gedanken« zumindest für einige Zeit »aufhellen« konnte.

3. »Der Graf von Camtschatka«: Inkognitos und Affären

Stellen die genannten militärisch-knappen Einträge während des Koaliti­ onskriegs ab 1792 für die Identifizierung der jeweiligen Museumsbesucher be­ reits ein großes Problem dar, so gesellen sich hierzu selbstverständlich auch die vielen schlecht leserlichen Einträge in das Besucherbuch. Abgesehen von der individuellen Handschrift jedes Eintrags kommen Tintenflecken und Fehlstel­ len, bei nicht eigenhändigen Einträgen auch die mehr phonetische als ortho­ graphisch korrekte Notierung der Namen hinzu. Eine besondere Variante bei den Schwierigkeiten einer eindeutigen Personenbestimmung bringt die Ver­ wendung von Inkognito-Namen mit sich.168 Vor allem der Hochadel pflegte seit dem Aufkommen der Grand Tour als »klassischer« Bildungsreise vermehrt un­ ter einem solchen fingierten Namen zu reisen und verwendete dabei in der Regel rangniedrigere Standesbezeichnungen. Dies bot die Möglichkeit zum einfache­ ren, ungezwungeneren Reisen bis hin zur Kostenersparnis, indem man z. B. auf standesgemäße teure Gastgeschenke unterwegs verzichten konnte. So war auch der Museumsgründer Landgraf Friedrich II. selbst als »Graf von Schaumburg«

168 Zu diesem Phänomen allgemein vgl. Conrads 2005; Barth 2013.

77 Abb. 42: Franziska von Hohenheim und Herzog Carl Eugen von Württemberg, Graphik von Johann Friedrich Knisel, 1787

1776/77 nach Italien gereist.169 Mit Ausbruch der Französischen Revolution ­verlor sich jedoch zumindest für den französischen Hochadel der spielerische Zug, der dem adeligen Inkognito bis dahin anhaftete. Die einschneidenden po­ litischen Veränderungen zwangen viele zur Identitätsverleugnung und brachten eine Welle von Reisenden unter falschem Namen hervor.170 Im Besucherbuch lassen sich viele Beispiele für diese Reisepraxis belegen, zugleich bieten die Ein­ tragungen die Chance, bislang nicht bekannte Inkognitos zu entschlüsseln. Oft wählten die Adeligen bei diesem Reisemodus die Namen ausgestorbe­ ner Nebenlinien oder von Teilterritorien und Orten aus dem heimischen Herr­ schaftsgebiet. So findet sich z. B. Herzog Carl Eugen von Württemberg (Abb. 42) bei seinem Museumsbesuch 1781 als »Herr von Urach« im Besucherbuch. Der ganze – nicht eigenhändige – Eintrag lautet: »von Urach den 22 Januar 1781 un­ ter diesem nahme waren der regirnde Hr. Hertzog von Würtemberg. / nebst der Fr. Gräfin von Hohenheim.« Das Reisetagebuch seiner Mätresse Franziska von Hohenheim, die ihn auf seiner Reise begleitete, hält den dicht gedrängten Ablauf des gesamten Kassel-Aufenthalts fest: „Montag Caßel d. 22. Zu Erst sahe

169 Friedrich knüpfte damit zugleich an die Italienreise seines Großvaters, Landgraf Karl an, der 1699/1700 den gleichen Inkognito-Namen verwendet hatte. Zu Friedrichs Italienrei­ se vgl. Rees/Siebers 2005, S. 284–289. 170 Vgl. Barth 2013, S. 176 f.

78 man die Bielder Gallerie171 u. einige Cabineter von kinesischem Lack u. Port­ zelan172, dan gengen der Herzog auf die wach parade u. in den marstall; ich fuhr nach haus, nach diesem geng es in das Collegium Carolinum, u. her nach Zum Mitag essen. Nach dem Essen geng es in das baad173 u. sahen die orangerie benebst dem appartement von dem land Grafen u. der land Grafin, alstan aber geng es in das Museum u. die Biblioteg u. da Verblieb man bies u. dan es Zeidt zum Essen wahr[…]». Am nächsten Tag verweilte man am Vormittag noch in Kassel, bevor es dann nach Göttingen weiterging: »In Caßel besahe man noch das Model haus174, u. der Herzog gengen noch ein mahl auf die paradie u. in die Menagerie175, u. alstan geng es um halb 12. uhr von Caßel weck[…].«176 Im Vordergrund des Kassel-Besuchs stand folglich die – mehr oder min­ der intensive – Besichtigung der kulturellen Höhepunkte. Der Besuch gestaltete sich also dank des Inkognito weniger formell, zumal die Begleitung des Herzogs durch die nicht ebenbürtige Gräfin das übliche Zeremoniell unter Landesfür­ sten erschwert hätte. Für standesgemäße Unternehmungen, wie die Teilnahme des Herzogs an der Parade, blieb gleichwohl genügend Spielraum – ein typisches Beispiel für eine abgestufte Anonymität, wie sie bei solchen Inkognito-Reisen durchaus erwünscht war.177 Auch die Museumskustoden scheinen, wie bereits dieses Beispiel zeigt, in den meisten Fällen über die wahre Identität der hochherrschaftlichen Besucher sehr wohl informiert gewesen zu sein, was die These belegt, beim Inkognito handele es sich keineswegs um ein Versteckspiel, sondern um eine zweckgebundene ze­ remonielle Form.178 So lautet ein Eintrag im Besucherbuch vom 26. August 1778: »Die Gräfin von Eberstein unter diesem Nahme war die Frau Erb Printzeßin von Braunschweig D. Hoheit alhier.« Dabei handelte es sich um Augusta von Hannover (1737–1813), Prinzessin von Großbritannien, die Schwester des briti­ schen Königs Georg III., die seit 1764 mit Karl Wilhelm Ferdinand Erbprinz von

171 = die Gemäldegalerie an der Bellevue. 172 = die Porzellangalerie, zu dieser Zeit im Schlößchen Bellevue. 173 = das Marmorbad in der Karlsaue. 174 = das Modellhaus: das Ausstellungsgebäude für die fürstlichen Baumodelle in der Nähe des Landgrafenschlosses. 175 = die Menagerie in der Karlsaue. 176 Osterberg 1913, S. 67 f. Bei der Rückreise aus Norddeutschland kam man am 27. Februar wieder über Kassel und besichtigte bei dieser Gelegenheit den Bergpark: »[…] besahe in der Geschwendig Keid, was man in einer so Kurtzen Zeid bey so viellen gegenstenden sehen Konde […].« (ebd., S. 78). 177 Vgl. Conrads 2005, S. 597 f. Zu einem weiteren Besuch Carl Eugens, bei dem dieser aber – aus Konkurrenzgefühlen? – offensichtlich keine Lust hatte, das Museum nochmals zu besichtigen, vgl. Joachim Brüser: Ein missglückter Besuch in Kassel – Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel in einem Reisebericht Herzog Karl Eugens von Württemberg von 1784. In: ZHG 115 (2010), S. 153–171. 178 Vgl. dazu insgesamt Barth 2013.

79 Braunschweig-Wolfenbüttel verheiratet war, eine der ranghöchsten Besucherin­ nen des Museums überhaupt – keineswegs eine »einfache« Gräfin. Warum sie ge­ rade den Namen »Eberstein« wählte, ließ sich freilich nicht ermitteln. Christiane Fürstin von Waldeck und Pyrmont (1725–1816) nutzte dagegen einen Ortsnamen ihres Territoriums, indem sie als »Gräfin von Astinghausen« reiste, wie es in der PCZ heißt: »D. 26. Fr. Gräfin v. Astinghausen, k. v. Arolsen, l. i. H. v. Engl.«179 Im Besucherbuch wird sie am darauffolgenden Tag, dem 27. Oktober 1784, jedoch samt Sohn und Schwiegertochter unter ihrem wahren Namen geführt: »die ver­ wittibte Frau Fürstin von Waldeck, nebst der Herr Sohn Printz Georg, und Frau Gemahlin eine geb. Printzeßin von Schwartzburg-Sondershaußen«. Auch der Kustos Raspe setzte seinem eigenen Eintrag eines »Mr. le Baron de Zelle« in das Besucherbuch in Klammer ein entlarvendes »ou plûtot le Pr. here­ dit de Saxe-Cobourg« hinzu (29. September 1769). Hierbei handelte es sich also um den 19-jährigen Erbprinzen (»Prince héréditaire«) Franz Friedrich Anton von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1750–1806), im übrigen ein dezidierter Kunst­ kenner und -sammler, der später den Grundstock der heutigen Kupferstich­ sammlung auf der Veste Coburg legte. Ähnlich notierte Raspe im Januar 1771 beim Besuch des späteren König Gustav III. von Schweden (1746–1792) gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder (Abb. 43): »Les Ctes d’Oeland & de Gothland / Prince Royal & Pr. Frid. Adol­ phe / de Suede.« Die Inkognito-Namen »Grafen von Öland und Gothland« wa­ ren leicht zu entschlüsseln, trug der Kronprinz zu dieser Zeit den Titel eines Herzogs von Öland, sein Bruder Friedrich Adolf (1750–1803) den eines Herzogs von Ostergötland. Beide befanden sich auf dem Weg nach Paris. An ihren Auf­ enthalt in Kassel schloss sich ein Besuch in Hanau am 19. Januar 1771 an, wie Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel berichtet, welcher mit ihnen verschwä­ gert war. Wilhelm schreibt über den Kronprinzen: »Er lehnte jede [öffentliche] Ehrung ab, da er inkognito reiste, und wohnte auf dem Schloß.«180 Ihre Grand Tour endete recht bald: durch den Tod des Vaters Adolf Friedrich am 12. Feb­ ruar 1771 mussten sie kurze Zeit später aus Paris nach Schweden zurückkehren, nahmen nun aber wohl nicht mehr den Weg über Kassel. Auch die Vertreter des Sachsen-Weimar-Eisenacher Hofes besuchten Kassel inkognito, allen voran Herzogin Anna Amalia (1739-1807), die einmal als »Ba­ ronin von Spahl aus Schlesien«,181 einmal als »Gräfin von Allstedt« reiste.182 Auch ihr jüngerer Sohn, Prinz Konstantin, trug sich am 15. Juni 1781 als »Comte­ ­

179 PCZ 1784, S. 859. 180 Hessen 1996, S. 100. 181 Der Eintrag Ende September 1780 im Besucherbuch mit der Auflösung des Inkognito in Klammer lautet: »La Baronesse de Spahl de la Silesie (la Duchesse Doua[i]riere de Saxe Weimar)«. 182 Eintrag im Besucherbuch vom 14. August 1785: »La Duchesse de Saxe Weimar« (nicht eigenhändig); in der PCZ wird sie als »Gräfin von Alstädt« bezeichnet.

80 Abb. 43: Alexander Roslin, Gustav III. von Schweden und seine Brüder, 1771 d’Alstet« in das Besucherbuch ein.183 Der ältere Sohn, Herzog Karl ­August (1757–1828), wurde dagegen bei seiner gemeinsamen Reise mit Goethe 1779 als »Oberforst Meister von Wedel aus Eisenach« geführt. Goethe selbst taucht bei diesem ersten seiner drei nachweisbaren Museumsbesuche als »Regierungs Rath ­Goedel« unter den – nicht-eigenhändigen – Eintragungen auf. In Kassel traf man sich auch mit Georg Forster (1754–1794), der die Gruppe durch die Sammlungen führte. Die Begegnung mit dem Herzog, wie sie Forster in einem Brief schildert, ist beredtes Beispiel für die möglichen Spielarten des Inkognitos: »Vor 4 Wochen war Göthe, nebst dem Kammerherrn von Wedel, und dem Ober-Forstmeister v. Wedel bei mir. Ich soupirte mit ihnen, ohne zu wißen, daß der lezte genannte der Herzog von Weimar wäre. Zum Glück bewahrte mich mein guter Genius, daß ich ihm keine sottise sagte, wiewohl ich von großen Herren überhaupt mit gro­ ßer Freimüthigkeit sprach. Ich wette, es hat Göthen Mühe gekostet, bei einigen Gelegenheiten über meine Treuherzigkeit nicht loszupruschen. Den Tag darauf besahen sie den Garten zu Weißenstein; ich sollte die Partie mitmachen, allein ich war zu sehr beschäftigt. In der zwischenzeit erfuhr ich, daß der Herzog in der Gesellschaft sey. Den anderen Morgen kam Göthe wieder zu mir, und der

183 Vgl. Rees/Siebers 2005, S. 298–303.

81 Kammerherr bald hernach; wir gien­gen zusammen nach dem Landgräflichen Kabinet der Alterthümer und der Kunstkanmer, wohin der Herzog sich hernach auch begab […]. Da sich Göthe anfangs nicht genannt hatte, so kannte ich ihn nicht und – erkundigte mich nach ihm – bei ihm selbst.«184 Offensichtlich hatte das allmähliche Lüften des Inkognitos bei der Begegnung mit dem Weltumsegler Forster einen besonderen Reiz für die Reisegruppe. Dem Herzog bot das anfängliche Inkognito die Möglichkeit, dem berühmten jungen Gelehrten, der mit seiner Kritik an Herrscherpersönlichkeiten wahrlich nicht hinter dem Berg hielt und z. B. seinen Brotherrn Landgraf Friedrich II. drei Jahre zuvor als »Unthier« tituliert hatte,185 gewissermaßen »aufs Maul zu schauen«, und Goethe hatte als Beobachter offensichtlich seinen Spaß dabei. Dass die ganze Szene für Forster durchaus hätte kompromittierend sein können, scheint dieser den Herren jedoch nicht übel genommen zu haben – wie seinem Brief zu entneh­ men ist, ließ er sich auf die Spielregeln des Inkognitos vorbehaltlos ein. Immer wieder finden sich im Besucherbuch Beispiele für die variantenreiche Verwendung des Inkognitos. Der Eintrag eines »Graf von Büren« am 6. Sep­ tember 1789 wäre nicht so leicht zu entschlüsseln gewesen, hätte hier nicht eine andere Hand hinzugesetzt: »Printz von Oranien.« So läßt sich hier unschwer Wilhelm Friedrich Prinz von Oranien-Nassau (1772–1843), der spätere König Willem I. der Niederlande, als Museumsbesucher erkennen. Den Inkognito-Na­ men entlehnte er einem Teilterritorium, nämlich der Grafschaft Buren, die seit 1551 zum Herrschaftsgebiet des Hauses Nassau-Oranien zählte. Seltener bediente man sich, wie Herzog Karl August als »von Wedel«, eines fremden Namens. Doch auch hierfür bietet das Besucherbuch Beispiele. Der pol­ nische Fürst Adam Kazimierz Czartoryski (1734–1823) reiste 1772 mit Familie und Suite unter dem Namen eines russischen Generalmajors, wie der Kustos Raspe am 19. Juli 1772 im Besucherbuch festhielt: »Mr. le Prinse Adam Chartorysky­ sous le nom du General Major / Russe de Mansurow, avec / la Prinsesse son epouse, sa famille & sa suite.« Czartoryski war zu dieser Zeit in Deutschland auf der Suche nach Hochschuldozenten für Warschau.186 Mögliche politische Im­ plikationen dieser Reise, kurz vor der ersten polnischen Teilung (Vertrag am 5. August 1772), verdienen jedoch sicherlich eine weitere Erforschung. So er­ folgte der Aufenthalt in Kassel vielleicht im Zusammenhang der Bestrebungen von polnischen Oppositionellen der sog. »Konföderation von Bar«: Landgraf

184 Forster 1783, Nr. 126, S. 248. 185 So schrieb er in einem Brief vom 1.9.1776 über Landgraf Friedrich: »Die Brust wird meinem Herzen zu enge, wenn ich alle Menschliche Laster, in einem punct concentrirt sehe, – und dabey herrschend, tyrannisirend, unangefochten sehe. – Das Unthier, das jetzt den abscheuligen Handel mit Soldaten treibt und an England den Schweis Das Blut, Die Freyheit seiner Unterthanen verkauft, um seinen infamen Lüsten ein Gnüge zu leisten.« Zit. nach ebd., Nr. 15, S. 43. 186 Hallo 1934, S. 80.

82 Friedrich II. wurde von diesen Gegnern des ganz von Russland abhängigen pol­ nischen Königs Stanisław II. August Poniatowski der Erwerb der (freilich gar nicht vakanten!) polnischen Königskrone in Aussicht gestellt.187 Czartoryski befand sich vermutlich auf der Rückkehr von Paris, wo im gleichen Jahr eine Begegnung mit Benjamin Franklin, Rousseau und Voltaire stattgefunden hatte. Dem Besuch des Kunsthauses schloss sich dann, von Borculo und Brüssel aus, ein Briefwechsel mit Raspe an, in dem es u. a. auch um Franklins Harmonika sowie Kasseler Gemälde und Sir William Hamilton ging – Beleg für das vertiefte Interesse des Fürsten an kulturellen Themen und die Kompetenz des Kustos Ras­ pe in diesen Themenbereichen zugleich. Ob es bei der Reise nach Kassel auch um Politik gegangen war, findet sich in diesen Briefen jedoch nur vage angedeutet. So schreibt Czartoryski an Raspe, er habe das Inkognito gerade verwendet, um dem Landgrafen nicht vorgestellt zu werden.188 Vielleicht wollte der Prinz uner­ kannt einem weiteren Polen, der zu den eher undurchsichtigen Gestalten zählt, auf die Finger schauen: Andrea Bollo, italienischer Abstammung, manchmal als Graf, manchmal als Abate auftretend und im Dienst des polnischen Königs tätig, hatte seit 1766 die Funktion eines bevollmächtigten Ministers bei der Republik ­Genua inne und war 1768 zum polnischen Staatsbürger ernannt worden. Im Jahr 1769 ließ man ihn aufgrund einer Straftat (er soll eine bedeutende Persönlichkeit vergiftet haben) aus Genua abberufen. Danach schlug er sich wohl auf die Seite der Konföderation von Bar, womit sein Aufenthalt in Kassel zusammenhängen könnte. Auch sein Name findet sich im übrigen unter dem Datum des 28. Febru­ ar 1771 im Besucherbuch. Er verhalf zwar dem Landgrafen nicht zur polnischen Königskrone, schaffte es aber, in Kassel das Lotteriewesen zu initiieren und sich auch als Mitglied der Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste zu etablieren. Li­ terarischen Nachruhm erlangte er in Adolph Freiherr Knigges Roman Benjamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung in Abyssinien. Den Ruf des Giftmischers wurde er freilich auch in Kassel nicht los, verdächtigte man ihn doch, den Günst­ ling der Landgräfin Philippine, Georg Ernst Levin von Wintzingerode, aus dem Weg schaffen zu wollen.189 Und Raspe schrieb an Czartoryski unverhohlen über Bollo als dem »Parasiten«.190

187 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 89–91. 188 LMB, 4° Ms. hist. litt.2[Czartoryski; vgl. Broszinski 2005, Nr. 45. 189 Vgl. Wintzingerode 2011, S. 591 f. 190 In einem Briefentwurf Raspes an Czartoryski vom 27.7.1772 heißt es: »Das anliegende Gespräch zwischen dem Grafen Bollo, meiner Frauen und mir ist eine Folge der uns zurük­ gelaßenen Gesinnungen; und da es Ew. Durchlaucht zugleich einen geringen Beweis geben kan, wie wir und das hiesige Publikum jenen Parasiten beurtheilen, so überreiche es zu gnä­ diger Nachsicht, wegen der darin herschenden Nachläßigkeiten, die um so unvermeidlicher waren, da es ein würkliches kein erdichtetes Gespräch ist. Seine Undankbahrkeit gegen des Königs von Pohlen Majestät und seine unzusammenhängende Politik sind auch bei Hofe längst sichtbar geworden. Man siehet seiner Abreise täglich entgegen.« LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Czartoryski:2 (Raspe).

83 Ähnlich geheimnisumwittert und von zweifelhafter Herkunft war ein weiterer Gast, der am 27. Mai 1774 das Kunsthaus besuchte: der Graf von Saint-Germain (†1784), alias Welldone, als Geheimagent, Komponist und Alchemist tätig, agier­ te von 1756 bis 1760 am französischen Hof, musste aufgrund einer Intrige nach London fliehen und gelangte schließlich über Aufenthalte in Russland, Holland, Italien nach Deutschland, wo er den Sohn von Landgraf Friedrich II., Carl von Hessen-Kassel (1744–1836), überzeugen konnte, ihm auf Schloss Louisenlund ein Alchemistenlabor einrichten zu lassen. Sein Aufenthalt in Kassel erfolgte vermut­ lich im Anschluss an den (vermutlich nur beabsichtigten) Besuch von Carls Bru­ der, Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel, in Hanau, denn die PCZ vermerkt, dass Saint-Germain und sein Begleiter, Lord Cavendish, von dort gekommen waren.191 Wilhelms Urteil über den Alchemisten fiel freilich wesentlich ungünstiger aus als das seines Bruders: beim Wiedersehen mit Carl aus Anlass des Wilhelmsbader Freimaurerkonvents 1782 stellt er einen höchst negativen Einfluss dieses »Elen­ den«, »vorgeblichen Philosophen« und »Alchimisten« auf den Bruder fest.192 Vergleicht man die Angaben im Besucherbuch mit den Fremdenverzeich­ nissen in der PCZ, fällt auf, dass einige Besucher zwar inkognito reisten, im Besucherbuch aber ihre wahre Identität enthüllten und damit zugleich den dokumentarischen Charakter dieses Verzeichnisses unterstrichen. So trug sich der als »Graf von Schwerin« reisende Friedrich Franz Herzog von Meck­ lenburg-Schwerin (1756–1837) mit seinem Monogramm »FFHM« ein, was an­ schließend, vermutlich vom Museumskustos, in »Friedrich Frantz regirender Hertzog von Mecklenburg« aufgelöst wurde. Und auch Maximilian Franz Xaver Erzherzog von Österreich (1756–1801), jüngster Sohn von Kaiserin Maria The­ resia und Franz I. Stephan, der als »Graf von Stromberg«193 reiste, vermerkte am 7. November 1785 Namen und Funktion: »Max. Franz Churfürst von Köln«. Er fügte noch ein »m[anu]p[ropria]« (= eigenhändig) hinzu, solcherart die Au­ thentizität des Eintrags unterstreichend. Bei den bisher genannten Beispielen stellte die Auflösung des Inkognito kein Problem dar. Doch haben sich auch Personen in das Besucherbuch eingetra­ gen, deren Identifizierung nicht oder nur schwer möglich ist. So gehört zwar der »Graf von Askanien«, der am 17. Juli 1790 das Museum besuchte, sicherlich zur askanischen Herrscherfamilie zu Anhalt, angesichts des weitverzweigten

191 »Den 25. Mylord Cavendish und Msr. de St. Germain, k. v. Hanau, l. H. v. Engl.« PCZ, 1774, S. 351. Bei Cavendish handelt es sich vielleicht um Lord Richard Cavendish (1752–1781), der sich 1772 in Italien aufhielt; vgl. Ingamells 1997, S. 191. 192 Vgl. Hessen 1996, S. 180 ff. Auf der Rückkunft vom Wilhelmsbader Konvent trug sich auch Ferdinand von Braunschweig (1721–1792) am 1. September 1782 in das Besucherbuch ein, der gemeinsam mit Carl, dem Großmeister der gesamten dänischen Logen, dem Frei­ maurertreffen vorstand. 193 Zur Wahl des Inkognitos: Die Grafen Stromberg waren im 15. Jahrhundert ausgestor­ ben, die Burg Stromberg gehörte seitdem zum Fürstbistum Münster, das durch Maximilian Franz in Personalunion mit dem Kurfürstentum Köln verbunden war.

84 Abb. 44. Die Herkunftsgebiete des »Grafen von Camtschatka, Land-Comtur auf Nova Zembla«

Stammbaums läßt er sich freilich nicht eindeutig identifizieren. Für seine Rei­ segefährtin, die sich als »Caroline Gräfin von Askanien« eintrug, läßt sich die Suche eingrenzen, und es ist zu vermuten, dass es sich hier um Johanna Amalie Caroline von Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym, geb. von Westrup (1771– 1818) handelt. Diese war seit 22. Juni 1790 verheiratet mit Friedrich Franz Chris­ tian von Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym (1769–1807), so dass man wie­ derum rückschließen könnte, dass es sich bei jenem »Graf von Askanien« um ihren frisch angetrauten Ehemann handelt. Vollends in den Bereich des Spekulativen führt der Eintrag eines weite­ ren »Grafen« am 18. Mai 1785: »Heinrich Friedrich Gr. v. Camtschatka, Land- Comtur auf Nova Zembla«. Ist dies das besonders ausgetüftelte Inkognito ei­ nes hochadeligen Herrn? Oder vielmehr der Scherz eines gebildeten Bürgers? Denn einen Grafen von Kamtschatka, also der russischen Halbinsel in Ostasien, gab es sicherlich nicht, und auf Nova Zembla (= Nowaja Semlja, russisch für »neues Land«), der Doppelinsel im Nordpolarmeer, befand sich sicherlich kei­ ne Niederlassung des Deutschen Ordens, die einen Landkomtur erfordert hätte (Abb. 44). Möglicherweise kam dieser Scherz im Umfeld Göttinger Gelehrten­ kreise zustande. Denn die Universität Göttingen stand zu jener Zeit in enger Verbindung mit dem russischen Staatsrat Georg Thomas von Asch (1729–1807), der als Stifter einer umfangreichen Sammlung russischer Kulturdokumente an die Universität (»Sammlung Asch«) das Interesse verstärkt auf die Erforschung Sibiriens und Kamtschatkas gelenkt hatte. Der Name Aschs findet sich im üb­ rigen tatsächlich im Besucherbuch wieder. Im Juli 1793 lautet ein Eintrag: »Le

85 Abb. 45. Friedrich Georg Weitsch, Karl August von Hardenberg, nach 1822

Baron d’Asch, Conseiller d’Etat actuel de S. M. I. de toutes les Russies.« Da Asch zu dieser Zeit jedoch nachweislich in St. Petersburg war, muss es sich hier um eine Verwechslung mit seinem Bruder Johann Friedrich von Asch handeln, Ge­ heimrat und russischer Resident in Warschau, der im Sommer 1793 Göttingen besucht hatte.194 Suchten einzelne Besucher ihre Identität erfolgreich zu verheimlichen und wurden andere irrtümlich als Besucher vermerkt, so vermag der Eintrag in das Besucherbuch auch die Verbindungen von Personen zu rekonstruieren, die die­ se selbst wohl lieber geheimgehalten hätten, da sie verfänglich waren. Als pro­ minentes Beispiel sei hier der Besuch von Madame Sophie von Lenthe, Ehefrau des hannoverschen Staatsministers Ernst Ludwig von Lenthe am 25. August 1781 genannt. Denn ein Blick in die PCZ vom gleichen Tag entlarvt ein bislang unbe­ kanntes frühes Stelldichein mit dem gleichfalls verheirateten späteren preußischen Staatskanzler Karl August von Hardenberg (Abb. 45), denn dieser wird hier am gleichen Tag unter den eintreffenden Fremden in Kassel verzeichnet195 – sicherlich kein Zufall. Das Ganze mündete später in einem handfesten Skandal mit doppelter

194 Ich danke Rolf Siemon, Hann. Münden, und Dr. Norbert Klatt, Erfurt, für die Aufklä­ rung des Falls. 195 PCZ, 1781, S. 555: »D. 25. […] Hannöv. Hr. Kammerrath v. Hardenberg, l. b. Hr. Kr. u. Dom. Rath v. Jasmund.«

86 Scheidung und Wiederverheiratung.196 Der Eintrag im Besucherbuch liefert so­ mit, in Verbindung mit dem entsprechenden Hinweis im Fremdenverzeichnis der PCZ, einen Hinweis darauf, wie früh ihre Affäre begann. So wurden im Besucher­ buch Spuren zu Lebensgeschichten gelegt, manchmal, wie im letzten Beispiel, un­ beabsichtigt, oft bewusst verschleiernd, wie im Inkognito, manchmal verfälschend (»Graf von Camtschatka«) oder auch unfreiwillig in die Irre führend (Asch). Resümierend ist festzuhalten, dass das Besucherbuch die verschiedenen Spielarten des Inkognitos am Ende des aufgeklärten Absolutismus anschaulich wiedergibt. Die Einträge vieler junger Adeliger auf Grand Tour, darunter vor allem Prinzen aus dem Alten Reich, die solcherart unbeschwerter von zeremoni­ ellen Anforderungen und zugleich günstiger reisen konnten,197 belegt zugleich den Bildungsaspekt dieser Reisen. Andererseits wird deutlich, dass für einige Besucher das Buch offenbar einen so dezidiert dokumentarischen Charakter hat­ te, dass sie bei ihrem Eintrag das Reise-Inkognito durchbrachen und hier mit vollem Namen oder zumindest Monogramm ihre wahre Identität preisgaben.

4. Grand Tour: von London über Kassel nach Rom – und zurück

Trotz der Vorteile des Inkognito-Reisens trug sich der größere Teil der hoch­ rangigen Museumsbesucher unter dem richtigen Namen und Titel in das Besu­ cherbuch ein – oder verwendete ein leicht zu entschlüsselndes Inkognito, wie die schwedischen Prinzen. Beide reisten nach ihrer durch den Tod des Vaters verunglückten ersten Grand Tour später ausgiebig nach Italien – und Fried­ rich Adolf traf 1776 in Rom auch erneut Landgraf Friedrich II. bei dessen eige­ ner inkognito durchgeführten Italienreise. Sein Urteil über den Landgrafen fiel jedoch – vermutlich unter dem Eindruck der Konkurrenz unter Kunstsamm­ lern – in einem Brief an seinen Bruder in Stockholm nicht gerade positiv aus: die englischen Subsidiengelder hätten dem Landgrafen diese Reise sowie den Erwerb zahlreicher minderwertiger Antiken ermöglicht. Gnädiger geriet sein Kommentar zu der Bildnisbüste für den großen Bibliothekssaal des Museum Fridericianum, die der schwedische Hofbildhauer Johan Tobias Sergel (1740– 1814) bei dieser Gelegenheit in Rom anfertigte (Abb. 46): der Landgraf sei »nicht zu seinem Vorteil verändert, aber auch nicht schlimmer, als er war, da Eure Ma­ jestät seine Bekanntschaft zu Cassel machten.«198 Sergel war 1783/84 Begleiter von König Gustav III. von Schweden auf seiner Italienreise, und der Bildhauer

196 Hardenberg war zu dieser Zeit Kammerrat in Hannover, ab 1783 Minister in Braun­ schweig-Wolfenbüttel, wo er nach seiner Scheidung den Dienst quittieren musste; 1788 Neu­ verheiratung mit Sophie von Lenthe, ab 1790 dirigierender Minister von Ansbach-Bayreuth, 1803 preußischer Außenminister, 1810 Staatskanzler. 197 Zum Inkognito auf der Grand Tour vgl. Barth 2013, S. 172 ff. 198 Zit. nach Both/Vogel 1973, S. 225.

87 Abb. 46: Tobias Sergel, Büste Landgraf Friedrichs II., 1777

machte auf der Rückreise von Italien auch Station in Kassel (10. Juni 1784). Gustav III. selbst läßt sich aber nicht erneut im Besucherbuch nachweisen. Ser­ gel dürfte jedoch dem an musealen Fragen interessierten König von der Kasseler Museumsgründung berichtet haben.199 Im Besucherbuch finden sich viele Belege dafür, dass bereits das Kunsthaus nicht nur zum Standardprogramm akademischer Forschungsreisen zählte, etwa von Professoren und Studentengruppen aus dem nahen Göttingen, sondern auch ein beliebtes Ziel adeliger Bildungsreisen darstellte – seien es Herrscher­ reisen, Prinzenreisen oder Kavalierstouren.200 So kam im Juli 1771 der Neffe des polnischen Königs, der 16-jährige Prinz Stanislaw Poniatowski (1754–1833) in das Kunsthaus, begleitet von seinem Hofmeister, dem polnischen Geheimen Rat John Lind (1737–1781), und Capitaine Hennequin vom königlichen Kadet­ ten-Corps in Warschau. Poniatowski lebte später zumeist als Kunstsammler und -mäzen in Italien. Aufbauend auf einer kleinen, von seinem Onkel ererb­ ten Gemmensammlung ließ er sich in Rom über 2500 Gemmen zur antiken

199 Zu Gustavs Rom-Aufenthalt und dessen Einfluss auf seine Museumsaktivitäten in Stockholm vgl. Magnus Olausson/Solfried Söderlind: Nationalmuseum / Royal Museum, Stockholm: Connecting North and South. In: Paul 2012, S. 191–211. Zur Wahrnehmung frem­ der Höfe und Residenzen allgemein: Paravicini/Wettlaufer 2010. 200 Grundlegend zum Phänomen der Grand Tour: Babel/Paravicini 2005; Rees/Siebers 2005.

88 Abb. 47: Gavin Hamilton, Porträt Douglas Hamilton, 8th Duke of Hamilton and 5th Duke of Brandon, Dr. John Moore und John Moore jr. in Rom, 1775–1777

Mythologie schneiden, als sog. »Poniatowski-Gemmen« berühmt-berüchtigt im Grenzbereich von Reproduktion, Nachempfindung und Fälschung.201 Die bedeutende Kasseler Gemmensammlung dürfte bereits 1771 die Aufmerksam­ keit des jungen Prinzen geweckt haben: in Schminckes Beschreibung des Kunst­ hauses wird der Umfang dieser »auserlesenen Sammlung« mit vielen Szenen der antiken Mythologie und Geschichte mit just über 2500 Stück angegeben.202 Hoher Besuch kam auch am 30. Juli 1770 ins Kunsthaus: Peter Friedrich Wilhelm Prinz von Schleswig-Holstein-Gottorf (1754–1823), Sohn des Fürst­ bischofs von Lübeck, Friedrich August von Oldenburg, und Ulrike Friederike Wilhelmine von Hessen-Kassel, war nach dem Studium in Kiel auf Grand Tour durch Deutschland, Italien und England. Nach seiner Rückkehr wurde er ab 1773 Koadjutor des Hochstifts Lübeck, musste freilich wegen Krankheit schon ab 1777 für regierungsunfähig erklärt werden. Auch er war – wie üblich – in Begleitung unterwegs: neben dem Landrat von Qualen und dem Geheimen Rat von Cappelmann zählte zu seiner Reisegruppe kein Geringerer als der »Hof­ prediger Herder«, wie der Museumskustos Raspe selbst notierte. Die persönli­ che Begegnung mit Herder bei dieser Gelegenheit führte zu einer langjährigen Freundschaft der beiden Gelehrten. Herder findet sich noch ein zweites Mal im

201 Zwierlein-Diehl 2007, S. 302 ff. 202 Schmincke 1767, S. 148.

89 Abb. 48: Geweihtes Papstschwert Wilhelms I., Rom 1490, Silber, vergoldet, Email

Besucherbuch verzeichnet, nämlich am 15. Mai 1773: diesmal nicht als Begleiter eines Prinzen auf einer Grand Tour, sondern als Frischvermählter auf Hoch­ zeitsreise mit seiner Gattin Caroline Neben den bereits genannten Göttinger Studenten britischer Herkunft be­ suchten auch zahlreiche britische junge Adelige auf Kavaliersreise die Kasseler Museen. Hierzu zählt z. B. Douglas 8th Duke of Hamilton (1756–1799), der sich im Dezember 1774 in Begleitung von Dr. med. John Moore (1729/1730–1802) und dessen 13-jährigem Sohn gleichen Namens in das Besucherbuch ein­trug. ­Hamilton­ befand sich fünf Jahre auf Grand Tour durch Europa und gelang­ te bis nach Rom, wo er sich mit seinen Begleitern porträtieren ließ (Abb. 47). Der umfassend gebildete schottische Arzt John Moore hielt den Kassel-Besuch in seinen mehrfach erschienenen Reisebriefen fest. Das Kunsthaus (»academy of arts«) findet hier immerhin Erwähnung: es seien hier »some valuable an­ tiques, and other curiosities, among which is a St. John in Mosaic, done after a picture of ­Raphael’s […]. But this art of copying paintings in Mosaic work, I understand, has of late been brought to a much greater degree of perfection at Rome.« Erwähnung findet noch die lateinische Inschrift zu dem Kasseler Lorbeerstamm203 im Eingangsbereich des Kunsthauses sowie das Papstschwert (Abb. 48): »They also show a sword, which was consecrated by the Pope, and sent to one of the Princes of this family at his setting out on an expedition to the Holy Land. What havock this sacred weapon made among the infidels I cannot say. – It has a very venerable appearence for a sword, and yet seems little the wor­ se for wear.« Mehr scheint ihn die Menagerie des Landgrafen in der Aue sowie der Bergpark mit der monumentalen Herkules-Statue beeindruckt zu haben. Er schreibt: »Nothing in the country of Hesse is more worthy the admiration

203 Der ungewöhnlich mächtige und alte Lorbeerbaum vor der Orangerie, der im Winter mit einem Bretterverschlag und einem Ofen vor der Kälte geschützt worden war, ging wäh­ rend des Siebenjährigen Kriegs aus Mangel an Heizmaterial ein. Der Stamm gelangte zum Andenken in das Kunsthaus. Vgl. ebd., S. 119 f.

90 Abb. 49: Antonio Chichi, Pantheon, Korkmodell, Rom 1782 of travellers, than the Gothic[!] temple and cascade at Wasenstein204 […]. But the present Landgrave’s grandfather, who was a Prince of equal taste and mag­ nificence, formed upon the face of the mountain […] a series of artificial cata­ racts, cascades, and various kinds of water-works, in the noblest style that can be imagined.« Leider konnten sich die Besucher die Wasserspiele nur im Geiste vorstellen. Denn im Dezember herrschte Frost, »and when I visited Wasen­ stein, the fields were covered with snow […]«, was vermutlich den »gotischen« Eindruck beförderte. Dennoch: »Wasenstein, upon the whole, is infinitely the noblest work of the kind I ever saw. I have been assured, there is nothing equal to it in Europe. It has not the air of a modern work, but rather conveys the idea of Roman magnificence.«205 Abschließend sei zu dieser Besuchergruppe noch erwähnt, dass John Moore der Jüngere (1761–1809) später eine beachtliche mi­ litärische Karriere machte: im Einsatz auf zahlreichen Kriegsschauplätzen (1778 in Neu-Schottland, danach in Gibraltar und auf Korsika, 1796 in Westindien, 1800 in Ägypten und 1805 auf Sizilien) ging er zuletzt bei der Verteidigung Portugals und Spaniens gegen die napoleonischen Truppen als »Held von La Coruña« in die britische Geschichte ein.

204 = Weißenstein. 205 Moore 1779/80, 2. Bd., S. 36–41. Die Begeisterung Moores für die Anlagen in Wilhelms­ höhe (Weißenstein) fügt sich in das zunehmend positive, von romantischer Perspektive ge­ prägte Deutschlandbild britischer Reisender zu Ende des 18. Jahrhunderts; vgl. hierzu ins­ gesamt Geyken 2002.

91 Ausführlicher ist der Besuch zweier Prinzen aus dem mitteldeutschen Klein­ staat Schwarzburg-Rudolstadt dokumentiert, die im Revolutionsjahr 1789/90 eine Kavalierstour durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich unternahmen und sich im Mai 1790 gemeinsam mit ihrem Erzieher, dem bereits genannten Friedrich Wilhelm von Ketelhodt, im Museum Fridericianum einfanden. Ketelhodt war an­ gehalten, Tagebuch über die Reise zu führen. Er hielt entsprechend die verschiede­ nen Stationen des Kassel-Besuchs fest – ein straffes Besichtigungsprogramm: mor­ gens wurde die Gemäldegalerie besichtigt, nachmittags zunächst die Bibliothek, dann die Sammlungen im Museum Fridericianum. Ketelhodt notiert: »Von hier gingen Durchlauchtigste Prinzen in das in demselben Gebäude befindliche Mu­ seum, welches unstreitig eine der vorzüglichsten hiesigen Merkwürdigkeiten und von gewißen Seiten betrachtet vielleicht einzig in seiner Art ist.« Der Rundgang beginnt hier mit den naturwissenschaftlichen Sammlungsabteilungen:Ketelhodt ­ erwähnt Tierpräparate (darunter natürlich den prominenten Elefanten), optische, mathematische und astronomische Instrumente, dann die Waffensammlung, um schließlich zu den Antiken zu gelangen, wo er, wie bereits oben erwähnt, vor al­ lem die Sammlung von geschnittenen Steinen lobt. Er nennt dann noch die Kork­ modelle, die Münzsammlung, das Porzellan, die Kupferstiche, Exponate aus der Südsee und Amerika, um schließlich mit dem berühmten Wachsfigurenkabinett und hier mit dem Zwerg Bébé des polnischen Königs zu enden. »Nachdem Durch­ lauchtigste Prinzen diesen Schatz von Seltenheiten betrachtet hatten, machten sie Visite […] beim Oberhofmeister von Moltke […] und fuhren sodann in ein fran­ zösisches Schauspiel«, wo sie gleich zwei Stücke sahen: »Die Stücke, welche man an diesem Abend mit ziemlichem Beifall aufführte, waren ›Le Faux Talisman‹, und ›L’amour jaloux‹.« Das klingt – aus heutiger pädagogischer Warte – nach gewalti­ ger Reizüberflutung. Doch schauen wir, was Prinz Ludwig Friedrich parallel dazu in seinem Tagebuch aufzeichnete; denn breitete Ketelhodt in seiner Schilderung quasi die enzyklopädische Fülle der Kasseler Sammlung aus, die solchermaßen wie in einer traditionellen Kunst- und Wunderkammer Sensationelles, jedoch schein­ bar Disparates zusammenführt, ist das Interesse seines Zöglings von Beginn an auf die Antiken konzentriert. So erwähnt er bei der Besichtigung der neben der Gemäldegalerie gelegenen Akademie auch die Abgusssammlung antiker Statuen und notiert zum Museum Fridericianum: »Im letztern gefiel mir die große Münz­ sammlung, die italiänischen antiquen Statuen, und die meisterhaft in Gork [Kork] geschnittenen römischen Ruinen am besten.« (Abb. 49) Da ihm selbst keine Grand Tour bis nach Italien vergönnt war, scheint er durchaus zufrieden damit, hier in Kassel »alles [zu finden] was man in und bei Rom von Ueberbleibseln prächtiger antiker Tempel sieht, […] sehr getreu nachgeahmt […]«. Im übrigen scheint auch in anderer Hinsicht Kassel für ihn ein brauchbares Surrogat für Rom gewesen zu sein. So heißt es in seiner Beschreibung von Schloss und Park Weißenstein (jetzt Wilhelmshöhe): »Es wurde im neuen Schloss gespeißt, welches in einem schönen ganz italiänischen Styl gebaut ist. Mahlerisch, schöner kann man sich wohl kein Schloß liegend denken, als dieses […]. Da das Schloß auf der Gartenseite ganz

92 Abb. 50: Gottlob Engelhard, Blick auf Schloss Wilhelmshöhe, Aquarell, 1851. Der Blick nach Südosten über Park, Schloss und Kasseler Becken auf die Söhre in der Ferne imaginiert die Atmosphäre einer italienischen Landschaft. rund, wie ein römischer Tempel mit vielen Säulen gebaut, und auch die verwitterte Steinfarbe römischer Ruinen hat, so glaubt man wirklich, eine römische Gegend vor sich zu sehn.«206(Abb. 50) Die imposante Kulisse des Bergparks trug, ähnlich dem Urteil John Moores über die »Roman magnificence« der Anlage, sicherlich dazu bei, dass die beiden Prinzen ihren Kassel-Aufenthalt als touristischen Höhepunkt empfinden konn­ ten – zumal ihnen der unmittelbare Vergleich mit Rom oder Florenz fehlte. An­ dere in das Besucherbuch eingetragene junge Adelige hatten es in dieser Hinsicht besser. So unternahm der erst 14-jährige Erbprinz Heinrich Ludwig Karl Albrecht von Nassau-Saarbrücken (1768–1797) nach dem (offenbar sehr kurzen) Studium in Göttingen und Straßburg gemeinsam mit seinem Erzieher, dem Legationsrat Johann Baptist Messerer, eine Grand Tour durch Deutschland, Frankreich und Italien. Der Besuch Kassels am 26. August 1782 stand wohl am Beginn der Reise. Zu den häufigsten Vertretern dieser Gattung Reisender im Besucherbuch zählen dennoch, neben weiteren Prinzen deutscher Territorien, wie Baden oder

206 Ketelhodt 1789/90, S. 244 ff. Bei dem beschriebenen »neuen Schloß« handelt es sich um den Weißensteinflügel (1786-90). Das alte Schloss Weißenstein befand sich 1790 im Ab­ bruch, der heutige Mittelbau war noch in sehr vager Planung.

93 Sachsen-Weimar, britische Adelige – was das dictionary of British and Irish tra­ vellers in Italy, 1701-1800207 zu einer ausgezeichneten Fundgrube für die Identifi­ kation zahlreicher Kasseler Museumsbesucher und für die Rekonstruktion ihrer Reisewege zugleich macht: von England führte der Weg zumeist über Hannover (allein schon aufgrund der Personalunion) gen Süden, und Kassel bildete hier eine attraktive Zwischenstation, der man sich auch durch die dynastischen Bezie­ hungen (Landgräfin Marie als Tochter des englischen Königs) verbunden fühlen konnte. Der ranghöchste unter diesen britischen Besuchern, nämlich Frederick August Prinz von Großbritannien und Irland (1763–1827), kam freilich nicht als »klassischer« Bildungsreisender aus England, sondern gleichsam als benachbar­ ter Territorialherr, nämlich als Fürstbischof von Osnabrück in das Museum, wie in seinem Eintrag als Zusatz vermerkt ist: »Frederick 29 d’Aout 1783 Evêque d’Os­ nabrug.« (Abb. 51) Der Besuch muss ihm gefallen haben, kehrte er doch drei Jahre später, im Oktober 1786, wieder und trug sich erneut in das Besucherbuch ein. Eine Bildungsreise ließ sich aber durchaus auch in Gegenrichtung vom Kon­ tinent aus nach England unternehmen, wie dies das Beispiel des aus Rötha stam­ menden Johann Georg Friedrich Freiherr von Friesen (1757–1824) zeigt, der nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Braunschweig, Wittenberg und Leip­ zig in kursächsische Dienste trat und zahlreiche Reisen unternahm. Der Aufent­ halt in Kassel stand am Beginn seiner zweiten großen Reise, die ihn nach Eng­ land führte – wo er im übrigen dem ehemaligen Kasseler Museumskustos Raspe begegnete. In seinem am 25. Juni 1782 begonnenen Reisetagebuch hielt er die Kasseler Sehenswürdigkeiten einschließlich des Museums fest: »Den 2ten [Juli] sahen wir nach Tisch das neugebaute Museum Fridericianum, d. h. wir wurden 3 Stunden lang durch eine Menge Säle und Zimmer geführt, in welchen eine un­ beschreibliche Menge seltner Güter aus den drey Natur-Reichen, Kunst-Sachen, Alterthümer, physische Instrumente, und eine schöne Bibliothek aufbewahrt sind. Um diese Schätze sattsam genießen und beurtheilen zu können, würden Monate, und vielleicht Jahre erfordert […]«.208 Wie diesem Bericht zu entneh­ men ist, konnten Führungen durch das Museum Fridericianum jedenfalls gut doppelt so lange dauern, wie durch das British Museum (s. oben). Friesens aus­ geprägtes Interesse an Museen und Bibliotheken schlug sich später auch in seiner beruflichen Laufbahn nieder, wurde er doch selbst 1812 Oberaufseher der könig­ lichen öffentlichen Bibliothek und der Kunstsammlungen in Dresden. Doch zurück zu den Engländern! Erwähnt sei z. B. auch George Willi­ am Campbell, Marquess of Lorne etc. (1768–1839): am 1. September 1787 trug er sich in das Besucherbuch ein, in Rom ließ er sich dann im Dezember 1788

207 = Ingamells 1997. Die folgenden Angaben zu den englischen Italienreisenden, im Spezi­ ellen zu Ankunfts- oder Abreisedaten, sind dieser Publikation entnommen. 208 Johann Georg Friedrich Freiherr von Friesen, Manuskript des Reisetagebuchs, Sächs­ StAL, Rittergut Rötha Nr. 3923, Blatt 4 ff.; zu Friesens Reise vgl. auch Rees/Siebers 2005, Reise Nr. 36, S. 305–308. Zur Begegnung mit Raspe, ebd., S. 90, 306.

94 Abb. 51: Joshua Reynolds, Frederick, Duke of York, um 1788

nachweisen, in Neapel im Januar 1789. Hier machte er die Bekanntschaft mit dem Archäologen und Mineralogen Sir William Hamilton (1730–1803), welcher selbst wiederum am 28. Juli 1783 Station in Kassel gemacht hatte (dazu weiter unten). Auch Lord George Augustus Herbert, 11th Earl of Pembroke, 8th Earl of Montgomery (1759–1827) zog es nach dem Studium in Oxford und dem Ein­ tritt als Fähnrich in den Militärdienst 1775 im gleichen Jahr doch vor, lieber auf Grand Tour zu gehen, was er dann auch ausgiebig tat: zunächst reiste er nach Wien, dann nach Straßburg, Osteuropa und Russland, von wo er sich nach Ita­ lien wandte. Auf dem Weg gen Süden machte er am 5. Mai 1779 Halt in Kassel, bevor er schließlich im Juni 1779 in Venedig ankam. Der Eintrag in das Besu­ cherbuch liefert somit auch Hinweise auf die jeweilige Reiseroute und Reise­ dauer. Als zeitlicher Anhaltspunkt sei erwähnt, dass eine Reise von Kassel nach Frankfurt zu dieser Zeit mit dem Postwagen zwei ganze Tage dauerte.209

209 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 51.

95 Abb. 52: Johann Zoffany, Die Tribuna der Uffizien in Florenz, 1772–1778

Der junge Lord John Hope, 4th Earl of Hopetoun (1765–1823) blieb dagegen etwas länger in Kassel, indem er ab 1783 als Student der Kriegswissenschaften am Collegium Carolinum eingeschrieben war. Gleich nach seiner Ankunft in Kassel am 10. Oktober 1783 trug er sich, gemeinsam mit seinem Hofmeister, dem später zum »Historiographer Royal for Scotland« ernannten John Gillies (1747–1836) in das Besucherbuch ein. Im Folgejahr ging er mit diesem auf Grand Tour. Seine militärische Karriere setzte er später u. a. in Westindien und Ägypten fort. Ähn­ lich weltläufig gestaltete sich die Biographie eines weiteren Besuchers, nämlich von William Montagu, 5th Duke of Manchester (1768–1843), der 1808 bis 1827 Gouverneur von Jamaika wurde. Auch er unternahm nach einer militärischen Ausbildung eine Grand Tour, die ihn im August 1791 durch Kassel führte. In Ve­ nedig kam er am 1. November des Jahres an, in Florenz im Juni 1792. Begleitet wurde er von dem bewährten, aus der Schweiz stammenden Hofmeister Auguste Pidou (1754–1821), der sich gleich dreimal im Besucherbuch findet, hatte er doch 1783 auch zusammen mit John Christopher Burton Dawnay, 5th Viscount Dow­ ne (1764–1832) und 1787 mit Lord George Harry Grey, dem späteren 6th Earl of Stamford (1765–1845) auf deren Grand Tour das Kasseler Museum besichtigt. Viele weitere Briten auf Grand Tour ließen sich als Besucher der Kasseler Sammlungen anführen, wie etwa Philip Yorke, 3rd Earl of Hardwicke (1757–1834), der gleichfalls zusammen mit einem Schweizer Hofmeister im August 1777 das

96 Abb. 53: Satyr mit Fußklapper, Bronzekopie der antiken Marmorfigur in Florenz, erworben 1756

Kunsthaus besucht hatte, zusätzlich begleitet von Joseph Leeson, Viscount Russ­ borough, 2nd Earl of Miltown (1730–1801), allesamt auf dem Weg nach Italien. In dem berühmten Gemälde des aus Frankfurt stammenden Malers Johann Zoffa­ ny, das collageartig die Tribuna in den Uffizien in Florenz und ihre englischen Besucher zeigt (Abb. 52), finden sich schließlich noch einige weitere Herren wie­ der, die sich im Kasseler Besucherbuch eingetragen haben: so der zwanzigjährige George Legge, Lord Lewisham, späterer 3rd Earl of Dartmouth (1755–1810) in Be­ gleitung seines Hofmeisters Stevenson, oder der damals 13-jährige Lord Richard Edgcumbe (1764–1839), der bei seinem Besuch in Kassel 1783 achtzehn Jahre alt war. Doch nicht nur die Kasseler Museumsbesucher sind hier porträtiert, son­ dern auch vier antike Kunstwerke, die sich wiederum seit 1756 als qualitätvolle Bronze-Abgüsse in Kassel und nun im Museum befanden: der Schleifer, der Satyr mit Fußklapper (Abb. 53), die Ringergruppe und die Venus Medici. Die Grand Tour von England über Kassel nach Florenz konnte so für die jun­ gen Reisenden auch eine Schule des Sehens und der Kennerschaft sein. Und um­ gekehrt bot das Museum Fridericianum all denen, die nicht nach Italien reisen konnten, eine Vorstellung antiker Kultur – darunter den vielen Standesniedri­ geren, für die eine Grand Tour außerhalb jeder Möglichkeit lag. So schreibt der preußische Feldprediger Samuel Christoph Wagener (1763–1845) nach seinem

97 Besuch 1794 über die Kasseler Korkmodelle: »Für den leidenschaftlichen Freund so seltener und prächtiger Ruinen, der wenig oder keine Hoffnung hat, die Ori­ ginale jemals an Ort und Stelle zu sehen, kann man sich nichts Reizenderes denken, als diese Versetzung, z. B. in die prächtigen Ueberreste eines anderthalb tausendjährigen Amphitheaters, u.s.w.«210

5. Bildungschance für Frauen: das weibliche Publikum

War die »klassische« Grand Tour eher den hochrangigen Männern samt ih­ ren Begleitern in Gestalt von Hofmeistern, Offizieren oder Künstlern vorbe­ halten, so belegen zahlreiche Einträge im Besucherbuch, dass durchaus auch ­Frauen zu dieser Zeit ähnliche Reisen unternahmen und dabei offenbar ger­ ne das Bildungsangebot der Kasseler Museumseinrichtungen nutzten – eini­ ge prominente Beispiele, wie der zweimalige Besuch von Anna Amalia von ­Sachsen-Weimar-Eisenach in den Jahren 1780 und 1785 wurden bereits ge­ nannt. Zu ihren Kassel-Reisen ist sogleich anzumerken: ihr immer wieder gern zitierter Satz »Was sind wir hier armselig gegen Kassel! Man erzählt sich ja Wunderdinge von dieser Stadt«, den sie aus Weimar an Johann Heinrich Merck in Darmstadt geschrieben haben soll, ließ sich in dessen Briefwech­ sel leider nicht nachweisen.211 Zu hoffen bleibt, dass dieses Zitat an anderer Stelle belegt werden kann – der Autorin selbst gelang der Nachweis bisher nicht. Der Weimarer­ Blick auf Kassels »Wunderdinge« wird dennoch durch zahlreiche Einträge von Gästen aus der thüringischen Residenzstadt doku­ mentiert – wie auch das Interesse weiterer Fürstinnen oder Prinzessinnen, wie Juliane von Schaumburg-Lippe, Luise Prinzessin von Mecklenburg-­Schwerin, Augusta von Hannover, Amalie Fürstin Gallitzin, Ekaterina Nikolaevna Fürstin ­Menschikoff oder Helena Fürstin Radziwiłł. Der Vergleich der Kasse­ ler Sammlungen und ihrer Präsentation mit den entsprechenden Einrichtun­ gen des eigenen Territoriums wurde dabei sicherlich immer wieder gezogen, zumal zu diesen Frauen einige bedeutende Sammlerpersönlichkeiten zählten, wie Fürstin ­Christiane von Waldeck oder Izabela Fürstin Czartoryska (1743– 1835). Letztere hatte bereits 1772 mit ihrem Mann unter der Führung Raspes das Kunsthaus besucht (s. oben), wofür sie diesem auch persönlich in einem Brief dankte,212 und war vermutlich noch ein zweites Mal, nämlich am 16. Juli

210 Wagener 1794, S. 190. 211 Freundlicher Hinweis von Dr. Ulrike Leuschner, Darmstadt. Vgl. Both/Vogel 1973, S. 249 und Anm. 776. Der hier vermerkte Literaturhinweis (Theater in Kassel. Kassel 1959, S. 24) gibt wiederum die Herkunft des Zitats nicht an. 212 In einem Brief ihres Mannes aus Borculo vom 9. August 1772 findet sich ein Zusatz von ihrer Hand, in dem sie Raspe Bewunderung und Dankbarkeit bezeugt: »Le plaisir de vous avoir connu sera toujours pour moi un souvenir on ne se auroit plus agréable.« LMB, 4° Ms.

98 1788, in Kassel, trug sich doch ihr Mann Adam Kazimierz an diesem Tag zu­ sammen mit einer größeren Gruppe polnischer Reisender nochmals in das Besucherbuch ein. Als Kunstmäzenin und -sammlerin gründete sie das ers­ te polnische Nationalmuseum, das mit seiner kulturhistorischen Ausrichtung tatsächlich enge Bezüge zum Museum Fridericianum aufweist. So erwarb sie z. B. bei ihrer Englandreise 1790 mit ihrem Sohn Adam Jerzy, der 1788 gleich­ falls das Kasseler Museum besichtigt hatte,213 die Pulverdose Heinrichs VIII. oder das Schwert von Captain James Cook. Ihr Hauptinteresse betraf jedoch die polnische Nationalgeschichte, zu der sie auch Sammlungsstücke von an­ deren polnischen Familien erbat – so unterstützten sie z. B. auch die Fürsten Radziwiłł hierbei mit bedeutenden Gaben.214 Indem auf diese Weise fürst­ liches Privateigentum zum Bestandteil einer gemeinsamen nationalen Histo­ rie wurde, griff sie auf Ideen zurück, wie sie Raspe bereits früher formuliert (s. oben) und ihr möglicherweise selbst mitgeteilt hatte. In Kassel dürfte sie aber auch der Bergpark besonders interessiert und angeregt haben, entwarf sie doch um ihr Museum in Pulawy einen englischen Garten samt einem »­Gotischen Haus«; und sie verfasste auch das wichtigste polnischsprachige Lehrbuch über Landschaftsgärten (1805).215 Ähnlich dürfte auch das Interesse ihrer Schwägerin Elzbieta Prinzessin Lubomirska gelagert gewesen sein, die sich gleichfalls in das Besucherbuch eingetragen hat (16. Juli 1788). Zusammen mit der bereits genannten Helena Fürstin Radziwiłł, ausgewiesene Kunst- und Antikensammlerin, die 1793 mit ihrer Tochter und vier Söhnen in das Museum kam, zählen sie zu den Wegbereiterinnen des Landschaftsgartens in ­Polen.216 Obwohl Czartoryska, Lubomirska und Radziwiłłowa zu den bedeutenden Vertreterinnen der Aufklärung zählen, war der Besuch der weit­ge­reis­ten und hist. litt. 2[Czartoryski:4. 213 Eintrag zwischen dem 17. und 26. März 1788. Adam Jerzy Prinz Czartoryski (1770–1861) verbrachte den Winter 1787/88 in Paris. Sein Aufenthalt in Kassel geschah vermutlich auf der Rückreise nach Polen. Der spätere russische Außenminister war ein entschiedener Kämpfer für die polnische Unabhängigkeit. Nach dem Scheitern des polnischen Aufstands 1830 lebte er im Exil in Paris. 214 Dass sich ihr Mann 1773 bei Raspe erkundigte, ob es möglich sei, von Tischbeins Ge­ mälde Der Triumph Hermanns nach dem Sieg über Varus Skizzen zu bekommen und wie hoch der Preis hierfür wäre, spricht für den frühen Austausch mit Raspe über Themen der nationalen Geschichte und Ikonographie und dessen Museumsprojekte (s. oben Kap. B 3). Vgl. LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Czartoryski:8. 215 Vgl. Katrin Schulze: »Verschiedene Gedanken über die Art und Weise, Gärten anzule­ gen«. Die polnische Fürstin Izabela Czartoryska und ihr Gartenbuch aus dem Jahr 1805. In: Die Gartenkunst, 17. Jg. (2005), Heft 2, S. 338–362. Vgl. auch http://muzeum.czartoryskich. pl/de/node/18106 (1.6.2014). 216 Vgl. Katrin Schulze: »Oh, du süßes Land Arkadia, süßer für mich als jedes andere«. Wegbereiterinnen des Landschaftsgartens in Polen. Vortrag, gehalten in der Stralsunder Akademie für Garten- und Landschaftskultur 2011. München 2013, online zugänglich unter http://www.stralsunder-akademie.de/schriften.html (31.5.2014).

99 hochgebildeten polnischen Fürstinnen in Kassel und ihre Besichtigung der Sammlungen bislang nicht bekannt. Seit einigen Jahren ist zwar die Reisekultur von Frauen gerade auch im 18. Jahrhundert verstärkt in den Blick der Forschung geraten,217 jedoch stellen sowohl die weiblichen Reiseaktivitäten allgemein wie speziell solche mit einem expliziten Bildungsinteresse nach wie vor eine »veritable Forschungs- und Edi­ tionslücke«218 dar. Das Besucherbuch mit den Einträgen von rund 1.400 Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten liefert, wie bereits diese wenigen Beispiele zeigen, eine Fülle von Fakten zur Reiseaktivität von Frauen in der Aufklärungs­ zeit und kann somit dazu beitragen, diese Lücke zu verkleinern. An erster Stelle handelt es sich bei den Museumsbesucherinnen, was kaum verwundern dürfte, um adelige Reisende oder gebildete bürgerliche Frauen. Gerade Museen und Sammlungen spielten in dieser Zeit für Frauen des Adels und des gehobenen Bürgertums offenbar eine zunehmend wichtige Rolle als kultureller wie wissenschaftlicher Erfahrungs- und Vermittlungsraum, zumal hier – im Gegensatz zu den Gymnasien, Universitäten und Sozietäten219 – kei­ ne Zugangsbeschränkungen galten. Wie schwierig es dagegen sonst für geis­ tig ambitionierte Frauen zu dieser Zeit war, an der Gelehrsamkeit zu partizi­ pieren, formulierte nachdrücklich Dorothea Friderika Baldinger (1739–1786), Ehefrau des Mediziners Ernst Gottfried Baldinger, der ab 1783 Professor am Collegium Carolinum in Kassel war. In ihrem Versuch über die Verstandes­ erziehung (1778/82) klagte sie: »Ich wünschte so gar gelehrt zu werden, und ärgerte mich, dass mich mein Geschlecht davon ausschloß.«220 Als Wege zur Teilhabe an der Wissenschaft blieben ihr, wie sie schreibt, ausschließlich Bü­ cher, die ihr in der Jugend aber auch nur sehr beschränkt zugänglich wa­ ren. Ob Baldinger in ihren Kasseler Jahren die Gelegenheit zum Besuch der Sammlungen und der Bibliothek nutzte, ist bei ihrem Bildungsanspruch zu vermuten – im Besucherbuch findet sich freilich nur der Name ihres Man­ nes. Dagegen hat sich gleich zweimal die Schriftstellerin Emilie von Berlepsch (1755–1830) eingetragen, die sich in besonderer Weise für die Selbständigkeit und das Recht der Frauen auf Bildung engagierte. So schreibt sie 1791: »[…] wir müssen allein stehen lernen! […] Warum sollten wir denn nicht auch, so

217 Annegret Pelz: »Ob und wie Frauenzimmer reisen sollen?« Das »reisende Frauenzim­ mer« als eine Entdeckung des 18. Jahrhunderts. In: Griep 1990, S. 125–135; Griep/Pelz 1995; Sabine Holländer: Reisen – die weibliche Dimension. In: Maurer 1999, S. 189 ff.; Michael Maurer: Geschlechtergeschichte des Reisens. In: ebd., S. 333 ff.; Ljubov Savinskaja: Die Eu­ ropareise der Gräfin Ekaterina Petrovna Barjatinskaja in den Jahren 1789–1792. In: Rees/ Siebers/Tilgner 2002, S. 301 ff.; Dolan 2002; Stedmann/Zimmermann 2007. 218 Bärbel Raschke: Fürstinnenreisen im 18. Jahrhundert. In: Rees/Siebers/Tilgner 2002, S. 183 ff., hier S. 184. Vgl. auch Rees/Siebers 2005, S. 34–38. 219 Zaunstöck 1999, S. 188 ff. 220 Zit. nach Heuser 1994, S. 16.

100 gut als sie [= die Männer], bey unserm Thun und Denken, bey der Ausbildung unsres Geistes, der Verfeinerung unsers Gefühls, der Anwendung unsrer Ta­ lente, auf ein großes Ganze sehen?[…] Alles was klüger, besser, unterhalten­ der und selbständiger macht, ist gewiß gut und nützlich.«221 Bei ihrem ersten Besuch am 4. September 1783 war sie gemeinsam mit Sophie Charlotte von Ahlefeldt (1762–1833) im Museum, der späteren Gattin von Graf Rochus zu Lynar (der sich gleichfalls im Besucherbuch wiederfindet),222 beim zweiten Besuch am 10. Juli 1793 begleitete sie ihre 16-jährige Tochter Charlotte Luise, die somit gleichermaßen die »Nützlichkeit« eines Museumsbesuchs für Bil­ dung wie Unterhaltung erfahren konnten. Der wiederholte Besuch zeigt nicht nur Berlepschs eigenes Interesse, sondern belegt auch, dass sie gewisserma­ ßen als Multiplikatorin der Aufklärung agierte, indem sie die jungen Frauen an eine solche Bildungsmöglichkeit – das Museum als offener Lernort für Frauen – heranführte. Über die Einträge in das Besucherbuch lassen sich vielerlei Informationen zum Reise- und Bildungsverhalten von Frauen in dieser Zeit gewinnen: so etwa ob sie in Begleitung oder allein gereist waren (wobei letzteres noch als unschick­ lich galt223), um wen es sich bei den eventuellen Reisebegleitern handelte (Suite, Ehemann, Kinder oder sonstige Verwandte, Freundinnen oder Freunde), wie die Reiseroute verlief oder wo man, falls parallel in der PCZ vermerkt, in Kassel Logis nahm (Berlepsch z. B. stieg 1783 im Gasthaus am Königsplatz ab, 1793 im Hof von England). Grundsätzlich ergeben sich Fakten zum Frauenanteil unter den Museumsbesuchern: dieser stieg von rund 8 Prozent im Kunsthaus auf 10 bis 15 Prozent im Museum Fridericianum an,224 ein klarer Beleg für die leichtere Zugänglichkeit und höhere Attraktivität der Museumsneugründung. Hin und wieder scheint ein solcher Museumsbesuch übrigens bereits damals zum sog. »Damenprogramm« gehört zu haben – während die Ehemänner di­ plomatischen oder kommerziellen Tätigkeiten nachgingen, besuchten die Ehe­ frauen, oftmals in kleinen Gruppen, das Museum. Indizien für einen solchen separaten Museumsbesuch der Gattin finden sich, wenn der Ehemann im Frem­ denverzeichnis der PCZ genannt wird, die Frau sich zu gleicher Zeitspanne – ohne denselben – im Besucherbuch wiederfindet. Dies ist z. B. der Fall bei Lui­ se Gräfin und Edle zur Lippe-Sternberg-Schwalenberg (1745–1799). In der PCZ heißt es: »A. 14. Hr. Reichs-Hofrath, Graf v. d. Lippe-Sternberg, k. nebst Frau Gemahlin, v. Frankfurt, l. i. Stralsund.«, im Besucherbuch unterm Datum des 15. Oktober 1791 »Edle Frau und Gräfin zur Lippe Sternberg und Schwalenberg,

221 Berlepsch 1791, S. 90 f., 131. 222 Dieser hatte sich bereits am 23. Juli 1782 in das Besucherbuch eingetragen. 223 Vgl. Heuser 1994, S. 267. 224 Vgl. die statistischen Auswertungen auf der Website des Projekts: https://www3.biblio­ thek.uni-kassel.de/besucherbuch/index.php?lang=de (1.1.2014)

101 geborne Gräfin von Callenberg«. Ob der Ehemann sich schlichtweg nicht für das Museum interessierte oder anderweitig in Kassel zu tun hatte, sei dahingestellt. Gleich die erste Seite des Besucherbuchs dokumentiert den Zulauf von Frau­ en: an dritter Stelle wird hier der »Jude Deritz v. Rodenberg nebst Vater und Mutter« aufgelistet, und gleich am Folgetag kamen die beiden adeligen Fräulein Friederike Luise von Löwenstein (1729–1786), Hofdame von Landgräfin Marie von Hessen-Kassel, und Henriette von Baumbach (1749–1808), gleichfalls Hof­ dame, die spätere Ehefrau von Adolph Freiherr Knigge. Beide waren, wie der PCZ zu entnehmen ist, am Tag zuvor, dem 22. August 1769, gemeinsam ange­ reist und wohnten in Kassel nicht in einem Gasthaus, sondern privat bei dem Oberschenk und Reisemarschall Carl von Boyneburg, auch er zur althessischen Ritterschaft zählend. Der weibliche Teil des landsässigen Adels um die Residenz­ stadt Kassel ging offenbar besonders gern ins Museum, wie weitere Namenszü­ ge belegen. So finden sich im Besucherbuch auch »Drey Fräulein von Keudell aus Schwebda« oder Dorothea von Schwertzell zu Willingshausen (1754–1829), Tochter des Marburger Hofgerichtsrats Georg von Schwertzell. Auch aus den Familien von Buttlar, Canstein, Gilsa, von der Malsburg, Schenck zu Schweins­ berg, Stockhausen oder Waitz von Eschen fanden viele weibliche Mitglieder den Weg ins Museum. Als Dreiergruppe kamen 1770 auch die »Fräuleins von Schliestädt« ins Kunsthaus, etwas weiter angereist, nämlich aus Braunschweig: Louise Elisabeth (1740–1797) und Sophie Regine Wilhelmine von Schliestedt sowie ihre bereits verheiratete Schwester Charlotte Antoinette Waitz von Eschen. Die drei Töch­ ter des Braunschweiger Ministers Heinrich Bernhard Schrader von Schliestedt (1706–1773), Förderer von Kunst (Porzellanfabrik Fürstenberg) und Wissen­ schaft, waren diesen beiden Bereichen offenbar gleichfalls zugetan, wie ihr Ein­ trag im Besucherbuch zeigt. Zu viert kamen schließlich die Schwestern von Münchhausen, Töchter des Landdrosts zu Moringen Börries von Münchhausen (1702–1773), am 17. Mai 1781 in das Museum Fridericianum: zwei Fräulein, nämlich Christine Auguste von Münchhausen (1756–1818), Konventualin am adeligen Fräuleinstift Kloster Wennigsen, und Anna Eleonore von Münchhausen (1757–1789), spätere Ehefrau des braunschweigischen Kriegsrats Moritz Alexander Christoph von Oeynhau­ sen, sowie die beiden bereits verheirateten Schwestern, nämlich Luise Alberti­ ne von Estorff (1754–1810), Ehefrau des hannoverschen Generalinspektors der Kavallerie Emmerich Otto August von Estorff, und Gertrud Amalie von Ham­ merstein-Gesmold (1759–1829), die mit dem hessen-kasselschen Legationsrat Georg Gottlob Maximilian von Hammerstein-Gesmold (1754–1783) verheiratet war. Logis nahm man wiederum privat bei der Verwandschaft, wie in der PCZ vermerkt.225

225 »Den 13. Fr. General. v. Estorff, Fr. Geh. Räthin v. Hammerstein und 2 Fräul. v. Münch­ hausen, k. a. d. Hannöv. l. b. Hr. Capit. v. Münchhausen.« PCZ, 1781, S. 329.

102 Vergleichbare Personenkonstellationen von gemeinsam reisenden Frauen des Adels begegnen im Besucherbuch immer wieder. Der Besuch der in der Residenzstadt Kassel ansässigen Verwandschaft in kleineren und größeren Fa­ miliengruppen wurde offenbar häufig genutzt, um auch die Sammlungen zu besichtigen. Von dieser Reisetätigkeit der hochstehenden Damen der Gesell­ schaft profitierten durchaus auch die Hofbediensteten, gelangten doch z. B. auch Kammerfrauen in das Museum, wie folgende Einträge bezeugen: »Caro­ line ­Ammonin, Camer Frau von Ihro Königl[ichen]. Hoheit, von Ansbach«, »­Ekaterina Nikolaevna Cammerjungfer bey Ihro Königl[ichen] Hoheiten der Frau Hertzogin von Wurtemberg« oder »Sophia Wilhelmina Preetorius Cam­ merfrau bey Ihro Kayserl[ichen]. Hoheiten der Großfürstin aller Reußen.« Die leichte Zugänglichkeit der Kasseler Sammlungen bot somit auch Frauen Gele­ genheit zu Wissenserweiterung wie Unterhaltung, die bislang von solchen Mög­ lichkeiten weitgehend ausgeschlossen waren. Zu den reisenden Frauen des Adels zählen auch die rund 35 Stiftsdamen oder -anwärterinnen, die sich unter den Museumsbesucherinnen finden lassen. Genannt sei z. B. Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Dessau (1720–1795), die jüngste Tochter von Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau, die nach der Ge­ burt eines unehelichen Sohnes erst Stiftsdame, ab 1764 Dekanisse in Herford war. Sie hielt sich jedoch seit 1753 vor allem in Bockenheim auf, in der Nähe ih­ res in Frankfurt bei Pflegeeltern aufwachsenden Sohnes. Hier ließ sie ab 1770/71 ein Schloss mit Park anlegen und betrieb dabei erfolgreich Landwirtschaft mit Garten- und Weinbau. Nach der Besetzung Frankfurts durch die Franzosen kehrte sie nach Dessau zurück, wo sie 1793 die Amalien-Stiftung begründete. Ihre umfangreiche Kunstsammlung (rund 700 Gemälde des 16.–18. Jahrhun­ derts) bildet heute den Grundstock der Staatlichen Galerie in Dessau. Als Be­ sitzerin einer großen Bibliothek, einer Gemälde- und Naturaliensammlung und eines Münzkabinetts, kam sie sicherlich mit gezieltem Interesse­ in die Kasseler Sammlungen.226 Das Kunsthaus besuchte sie am 4. Juli 1777 gemeinsam mit der Familie von Landgraf Wilhelm von Hessen-Philippsthal und dessen Suite. Die Stiftsdamen reisten jedoch häufig in rein weiblicher Gesellschaft, wie das folgende Beispiel zeigt: eingetragen finden sich am 17. Mai 1786 nacheinander »von Ledebur chanoinesse des Stifts Schildsche in Westphalen«, »von Goertz genant Wrisberg chanoinesse des Stifts Schildsche in Westphalen.«, »Henriette von Ledebur chanoinesse des Stifts Schildsche« und »Louise von Ledebur«. Der Anteil solcher Besuchergruppen ist unter den Angehörigen des Adels jedenfalls auffällig groß – nicht nur bei Stiftsdamen, sondern auch bei Mätres­ sen. Denn Wilhelmine Ritz, geb. Enke (1753–1820), Tochter des königlichen

226 Vgl. insgesamt Ausst.Kat. Frankfurt/M./Dessau 2003. In ihrer Gemäldesammlung be­ fanden sich auch Arbeiten des Kasseler Hofmalers Johann Heinrich Tischbein d. Ä.; vgl. ebd., S. 74, so dass ihr Kasselaufenthalt möglicherweise auch auf den Erwerb neuer Gemälde abzielte.

103 Hof­trompeters Elias Enke und Mätresse des preußischen Thronfolgers Friedrich Wilhelm, trug sich zusammen mit ihrer zur »Gräfin von der Mark« erhobenen Tochter Marianne (1780–1814) am 12. August 1790 in das Besucherbuch ein. Spä­ ter engagierte sie sich, gemeinsam mit Aloys Hirt, den sie auf einer Italienreise 1795 kennengelernt hatte,227 für die Errichtung eines öffentlichen Museums in Berlin.228 Auch Anne Gräfin von Fries, geb. d’Escherny (1737–1807), Mutter des Kunst­ sammlers und -mäzens Moritz von Fries (1777–1826), kam am 11. Oktober 1788 mit ihrer Tochter, Anne Sophie, in das Museum. Seit 1764 war sie die Gemahlin von Johann Reichsgraf von Fries (1719–1785), einem der erfolgreichsten Banki­ ers und Großindustriellen seiner Zeit. Nach dessen Tod verwaltete sie bis 1798 vormundschaftlich das riesige Vermögen. Angereist aus Wien, befanden sich die beiden Damen der österreichischen Hochfinanz vermutlich entweder auf einer Bildungs- oder einer Geschäftsreise. Doch ein reines Frauen-Bildungsprogramm war offenbar auch beim Bür­ gertum möglich, wie der Eintrag von »Frau Postmeisterin Schröder mit ihrer Tochter und Demoisell Beckmeister aus Gottingen« am 28. August 1783 belegt. Bezeichnenderweise gelang es hier, den Ehemann näher zu identifizieren (d. i. der Göttinger Postmeister Johann Friedrich Schröder, geboren 1741, verstorben nach 1791, ab 1786 Oberpostmeister), während sich weder zur Ehefrau und Toch­ ter noch zur »Demoisell« Beckmeister weitere Informationen finden ließen. Frauen des Bürgertums trafen häufiger zusammen mit männlichen Besu­ chern ein, wie es schon auf der ersten Seite des Besucherbuchs in dem Eintrag: »H M Küper Stadtschreiber nebst Fr aus Münden« angedeutet wird. Ein solch knappes »nebst Fr.« bezeichnet oft die Reisebegleiterinnen, manchmal auch in gelehrtem Latein (»& uxor« = und Ehefrau) oder ausgeschmückter wie im Fall von »Pfarrer Schnegelsberg von Obergrenzebach nebst Frau liebster« oder »Rie­ del aus Iserlohn Kaufman nebst Frau Liebste«. Dieses »nebst« charakterisiert somit die häufigste Konstellation, in der die Frauen reisten und dadurch in das Museum kamen, nämlich als Begleiterinnen von Männern, sei es als Ehefrau, Mutter, Schwester oder Tochter, manchmal als Schwiegermutter, wie der aus­ führliche Eintrag von »Herr Everts nebst Frau Gemahlin u. seiner Schwieger­ mutter der Frau Bergverwalterin Lünecke von Seesen« im Mai 1770 zeigt. Of­ fenbar war hierbei dem eintragenden Mann der Titel der Schwiegermutter, bzw. des Schwiegervaters, ein besonderes Anliegen. Die meisten bürgerlichen Frauen kamen in Begleitung von Familienangehö­ rigen, auch die Frauen aus dem akademischen Umfeld. So besuchten die Göt­ tinger Professorengattinnen zumeist als Begleiterinnen ihrer Männer das Mu­ seum, gelegentlich ergänzt um den Nachwuchs: Louise Philippine Antoinette

227 Vgl. Hagemann 2007, S. 56. In Italien hatte sie u. a. auch William Hamilton und Lord Bristol kennengelernt. 228 Vgl. ebd., S. 163 ff.

104 Michaelis, geb. Schröder (1739–1808) findet sich im Mai 1771 unter »Hofr. Mi­ chaelis von Göttingen nebst Fr. Gemahlin und Sohn« als Besucherin des Kunst­ hauses dokumentiert; die »Pütterin«, d. i. Petronella Gertrud Pütter, geb. Stock (†1806), seit 1751 Ehefrau des Göttinger Juristen Johann Stephan Pütter, besuch­ te in einem ähnlichen Familienverband gleich zweimal die Kasseler Sammlun­ gen, nämlich 1770 und 1781. Zwischen Ehemann und Bruder trug sich am 16. Mai 1778 Carolina Amalie Gildemeister, geb. Kotzebue (1759–1844) in das Besucherbuch ein. Die Schwester des Schriftstellers August Friedrich Ferdinand (von) Kotzebue, meistgespielter Dramatiker des 19. Jahrhunderts, hatte selbst als Schauspielerin am Weimarer Liebhabertheater mitgewirkt, u. a. 1776 in Goethes Die Mitschuldigen. Am 26. April 1778 heiratete sie in Weimar den Juristen Johann Friedrich Gildemeister (1750–1812), der seit 1776/77 Professor in Duisburg war. Vermutlich geschah der Kassel-Aufenthalt auf der Reise des jungen Paares von Weimar nach Duisburg, auf der sie der Bruder, zu dieser Zeit dort Student, begleitete. Ihr Ehemann zählt im übrigen zu den eifrigsten nachgewiesenen Kasseler Museumsbesuchern: sein Namenszug erscheint im Besucherbuch dreimal, nämlich 1772, 1778 und 1794. Unter dem Datum des 2. August 1792 findet sich »Dr. Jung Hofrath und Professor in Marburg mit seiner Frauen Kind und der Mademoiselle Kraft von Frankfurth« im Besucherbuch. Für Johann Heinrich Jung, besser bekannt als Jung-Stilling (1740–1817), war dies der zweite Besuch, hatte er doch bereits 1788 mit einer Gruppe Marburger Studenten das Museum besichtigt. Jung-Stilling, Sohn eines Schneiders, war seit 1787 Professor der Ökonomie-, Finanz- und Ka­ meralwissenschaften in Marburg. Seine Gemahlin Elisabeth, geb. Coing (1756– 1817), stammte dagegen aus der gebildeten bürgerlichen Oberschicht, war sie doch die Tochter des Theologen Johann Franz Coing (1725–1792), der auch als Bi­bliothekar an der Marburger Universitätsbibliothek wirkte – und selbstver­ ständlich auch im Besucherbuch verzeichnet ist (26. Juli 1774). Das junge Ehe­ paar Jung-Stilling brachte dann gleich noch Kind und »Mademoiselle Kraft« in das Museum mit, letztere vielleicht das Kindermädchen des Jungschen Sprösslings. Über viele dieser Frauen, die zum Teil ganz im Schatten ihrer Ehemänner oder Väter stehen, weiß man bislang wenig mehr als ihren Namen oder die An­ zahl ihrer Kinder. Die Einträge in das Besucherbuch können in diesen Fällen nicht nur neue biographische Fakten liefern, sondern sie lassen auch das Inte­ resse dieser Frauen an Bildung erkennen, das über ihren primär auf häusliche und familiäre Pflichten beschränkten Lebensraum hinausführte. Zu den besser bekannten Museumsbesucherinnen aus dem universitären Umfeld zählt Caroline Friederike von Schlözer, geb. Röderer (1753–1806), seit 1769 Ehefrau des bereits genannten Göttinger Historikers August Ludwig von Schlözer, die als Kunsthandwerkerin europaweit Bedeutung besaß. So reprodu­ zierte sie Gemälde in kunstvollen Stickereien, die u. a. in den Besitz der Köni­ ginnen von England und Preußen gelangten, und war auch als Wachsbossiererin

105 Abb. 54: Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Porträt Philippine Gatterer, 1780 (Kopie, 19. Jahrhundert)

sowie Bildnis- und Landschaftsmalerin tätig. 1806 wurde sie Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste in Berlin. Ihr Eintrag am 31. Mai 1792 erfolgte gemeinsam mit ihrem Schwiegersohn Matthäus Rodde, der drei Tage zuvor in Göttingen ihre Tochter Dorothea (1770–1825) geheiratet hatte. Die junge Braut, bekanntlich die erste reguläre Doktorin der Philosophie, ist freilich nicht mit eingetragen, obwohl man sicherlich gemeinsam aus Göttingen angereist und in das Museum gegangen war. Im September 1791 trug sich »Jeannette Gallien aus Hanau« in das Besucher­ buch ein. Dabei handelt es sich um Jeanne Gallien (1773–1830), Tochter des aus Paris stammenden Professors an der Hanauer Academie der Zeichenkunst Jean Louis Gallien (1731–1809) und der Schweizerin Susanne Katharina, geb. Wytten­ bach. Die gebildete junge Frau wurde ein Jahr später Haushälterin ihres Onkels, des Philosophen und Professors für Altphilologie in Amsterdam Daniel Wyt­ tenbach (1746–1820), den sie schließlich 1817 aus Versorgungsgründen heirate­ te. Angeregt durch das Werk des Onkels verfasste sie mehrere von antiker Ge­ schichte, Literatur und Philosophie geprägte Werke (Théagène, 1815; Gastmahl des Leontis, ein Gespräch über Schönheit, Liebe und Freundschaft), in denen sie auch über die gesellschaftliche Stellung der Frau und im speziellen die in ihren Augen unzulängliche Mädchenerziehung ihrer Zeit reflektierte. Für ihre »höhe­ re wissenschaftliche Bildung, die sie in ihren Schriften unter Beweis stellte, und die besonders einen Eindruck von der Lebensweise des klassischen Altertums

106 vermitteln«, verlieh ihr die Universität Marburg 1827 den Titel »Dr. phil. h.c.«, womit sie zur ersten Marburger Ehrendoktorin wurde.229 Aus Hanau kam sie zusammen mit F.M.C. Schmid – vielleicht eine Tochter des Pedellen an der Ha­ nauer Zeichenkunst-Akademie, Paul Schmid. Neben diesen in Gruppen angereisten Besucherinnen gab es aber auch ei­ nige Frauen aus dem Universitätsmilieu, die offenbar allein in das Museum ge­ kommen waren, wie z. B. Magdalene Philippine Gatterer (1756–1831), Tochter des Göttinger Historikers Johann Christoph Gatterer. Diese war bereits in jun­ gen Jahren als Lyrikerin anerkannt, was ihr ermöglichte, ab 1776 Gedichte im Göttinger Musenalmanach sowie selbständige Gedichtbände zu veröffentlichen. Dass sie klassische Bildung von Kindesbeinen an lebhaft und durchaus humor­ voll-kritisch aufgenommen hatte, belegt ihr Gedicht Grosse und kleine Gedan­ ken über meine Nase, das mit den Versen beginnt:

»Als ich ganz klein noch war, und blieb Bey Pupp- und Küchenspiele; Hört’ ich mal’, daß man Eins beschrieb: Mit griechischem Profile. Da fühlt ich forschend mein Gesicht, Und dachte: Hab’ ich keines nicht?«230

Im Juli 1780 ließ sie sich – darin den zahlreichen Göttinger Professoren gleich – von Johann Heinrich Tischbein d. Ä. in Kassel porträtieren (Abb. 54)231 und konnte bei diesem Aufenthalt zugleich im Museum Fridericianum das »klassi­ sche« griechische Profil studieren (Eintrag am 11. Juli 1780). In Kassel lernte sie auch Johann Philipp Engelhard kennen, den sie bald darauf, nämlich im No­ vember 1780 heiratete.232 Die Förderung der Kasseler Kultur durch Landgraf Friedrich II., wie sie im Museumsneubau kulminierte, griff sie später in ein paar Zeilen ihres Lobgedichts auf den Fürsten auf:

»Dein Cassel! Es ist Deutschlands Ehre, durch Anmuth, Seltenheit und Pracht! Du schäzest hoch der Musen Chöre, so kriegerisch du stets gedacht.«233

229 Vgl. insgesamt Bickert/Nail 2000; die Begründung ihrer Ehrenpromotion ebd., S. 42. 230 Zu Philippine Gatterer zuletzt: Stummann-Bowert 2008; das Gedicht ebd., S. 145 f. 231 Zu den von Tischbein d. Ä. porträtierten Göttinger Professoren zählten u. a. Kästner, Claproth und Heyne. 232 Zum Tischbein-Porträt ebd. S. 52. 233 Zit. nach ebd., S. 55.

107 Abb. 55: Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Familie Timmermann, 1758; Maria Elisabeth im gelben Kleid stehend in der Mitte der Gruppe, daneben, gleichfalls stehend und mit Blick aus dem Bild, der Maler selbst

Unter den Museumsbesucherinnen finden sich zahlreiche solcher Frauen, die in gelehrtem und/oder künstlerischem Milieu aufgewachsen waren und sich selbst in diesem Bereich betätigten – und bei ihrem Museumsbesuch sicherlich auch Anregungen für eigene künstlerische Arbeiten suchten. Genannt sei Maria Eli­ sabeth de Boor, geb. Timmermann (1746–1810), Tochter des Weinhändlers Jo­ achim Timmermann (Abb. 55), seit 1766 Ehefrau des Kaufmanns Johann Abra­ ham de Boor, die – ihre drei Kinder wohl in Hamburg zurücklassend – seit 1777 an der Kasseler Kunstakademie studierte und später zu deren Ehrenmitglied ernannt wurde. Mit Diplom kehrte sie 1780 nach Hamburg zurück, wo sie vor allem als Porträtmalerin tätig war (zu ihren bekannteren Bildnissen zählt u. a. ein Porträt von Klopstock). In das Besucherbuch trug sie sich bei einem erneu­ ten Besuch in Kassel Ende August 1781 ein. Einen wesentlich weiteren geographischen Radius umspannte die Biogra­ phie der aus Frankfurt/M. stammenden Louise Friederike Auguste von Barck­ haus, gen. von Wiesenhütten (1763–1844). Nach einer Ausbildung zur Malerin bei Georg Christian Schütz (1758–1823) war sie ab 1793 Haushälterin ihres Bru­ der Karl Ludwig in Darmstadt. Ihn begleitete sie 1802 bis 1805 nach England, wo sie sich weiter in der Landschaftsmalerei schulte sowie Kontakte zu engli­ schen Künstlern und botanischen Illustratoren knüpfte. 1805 heiratete sie den

108 Abb. 56: Georg Oswald May, Sophie von La Roche, um 1776

hessen-kasselschen Oberstleutnant Wilhelm Benjamin von Panhuys, der später niederländischer Generalmajor und Generalgouverneur von Surinam wurde. Mit ihren in Surinam entstandenen Arbeiten, die vermutlich auf ein umfassen­ des Werk über die Pflanzengeographie dieses Gebiets abzielten, gilt sie als he­ rausragende Aquarellistin in der Tradition von Maria Sibylla Merian. Zur Zeit ihres Eintrags in das Besucherbuch (13. Juli 1795) stand sie freilich noch am Beginn ihres künstlerischen Schaffens. Mit den Namenszügen vieler Frauen im Besucherbuch verbinden sich solch ungewöhnliche Biographien. In diesem Bei­ spiel der jungen weltoffenen Malerin läßt sich deutlich eine Verbindung künst­ lerischer mit naturwissenschaftlichen Interessen erkennen, für die das Museum tatsächlich viel Anschauungsmaterial bot. Dass die Kasseler Akademie Frauen offen stand,234 mag ein zusätzlicher Anreiz gewesen sein, die Stadt zu besuchen. Günderode hebt diesen Sachverhalt 1781 besonders hervor: „Diese Academie besteht aber noch ausser diesen Zöglingen, aus vielen Einheimischen, und ei­ nigen ausländischen Mitgliedern – und auch Mitgliederinnen[!]; dann es sind schon einige Frauenzimmer dabey aufgenommen worden.235 Unter den Museumsbesucherinnen finden sich auch zahlreiche Schauspie­ lerinnen, so die aus Dresden stammende Dorothea Elisabeth Keilholz, die die Engagements ihrer verschiedenen Ehemänner teilte (Gothaer Theater-Kalen­ der 1800: »Eine im Trennen und Wiederverheirathen sehr geübte Frau.«) sowie ihre gleichnamige Tochter (†Kassel 1804). Diese war später, nach Engagements u. a. in Mannheim, Amsterdam, Schleswig und Reval, am Hoftheater in Kassel

234 So waren zeitgleich z. B. in der Royal Academy in London Frauen ausgeschlossen, ob­ wohl sie an den Akademieausstellungen teilnehmen durften; auch in die Pariser Akademie wurden keine weiblichen Mitglieder aufgenommen; vgl. Kernbauer 2011, S. 248 ff., 262 ff. 235 Günderode 1781, S. 140.

109 angestellt – lange Zeit nach ihrem Museumsbesuch am 31. Oktober 1793, bei dem sie sich gemeinsam als »Dorothea Keilholz Mutter und Tochter« in das Be­ sucherbuch eingetragen hatten. Neben den bildenden und darstellenden Künstlerinnen sind die Schriftstelle­ rinnen zu nennen – darunter berühmte Frauen, wie Sophie von La ­Roche (1730– 1807), Verfasserin von aufklärerisch-empfindsamen Romanen, Reisebeschrei­ bungen und autobiographischen Berichten (Abb. 56), oder ­Johanna­ ­Henriette Schopenhauer (1766–1838), die Mutter des Philosophen Arthur Schopen­hauer und der Schriftstellerin Adele Schopenhauer. La Roche besuchte das Museum Fridericianum kurz nach dessen Eröffnung am 15. August 1779 in Gesellschaft von Familienmitgliedern und dem Dechanten Damian Friedrich ­Dumeiz de Hu­ ville (1729–1802), Johanna Schopenhauer schrieb sich am 3. August 1787 allein in das Buch ein. Ihr Ehemann, der Großkaufmann Heinrich Floris Schopenhau­ er, mit dem sie zu dieser Zeit ausgedehnte Reisen unternahm, hatte sich bereits am 28. August 1772 in das Besucherbuch eingetragen. Immerhin findet sich in ihren Lebenserinnerungen neben dem oft zitierten Diktum, den Kasseler Berg­ park Weißenstein (jetzt Wilhelmshöhe) »für das achte Wunder der Welt anzu­ erkennen«,236 auch ein kurzer Reflex ihres anschließenden Museumsbesuchs: »Beim Abschied stattete ich noch den Herren Pythagoras, Solon, Demokrit, und wie sie weiter noch heißen, in ihren damaligen respektiven Sommerwohnun­ gen auf dem Weißenstein einen kurzen Besuch ab, einen andern desgleichen in Kassel selbst den wächsernen Landgrafen und Gräfinnen, die damals, angetan in Prachtgewändern, die sie, als sie noch lebten, getragen, Tag und Nacht im Muse­ um nebeneinander saßen und Hof hielten.«237 Heute weniger bekannt als La Roche oder Johanna Schopenhauer ist Isabella Polier de Bottens, verheiratete de Crousaz und de Montolieu (1751–1832), die mit Werken wie Caroline de Lichtfield als Begründerin des volkstümlichen hi­ storischen Romans in der Schweiz gilt. Verbindungen zum Kasseler Hof ergaben sich über ihren ersten Ehemann, ein Verwandter des Erziehers von Landgraf Friedrich II., Jean-Pierre de Crousaz (1663–1748); dass sich Isabella unter ihrem Geburtsnamen »Polier« am 17. April 1773 in das Besucherbuch eintrug, mag mit den ihr vermutlich bekannten negativen Erinnerungen zusammenhängen, die Friedrich mit dem Namen de Crousaz verband, hatte dieser doch unter den strengen Erziehungsmethoden von Crousaz sehr gelitten.238 Vor allem als »Muse des Göttinger Hain« ist die Schriftstellerin Char­ lotte von Einem (1756–1833) in die Literaturgeschichte eingegangen. In ih­ rer Jugendgeschichte beschreibt sie rückblickend unter dem Selbstbild des

236 Schopenhauer, S. 203. 237 Ebd., 203 f. 238 Vgl. Karl-Hermann Wegner: Landgraf Friedrich II. – ein Regent der Aufklärung. In: Ausst.Kat. Kassel 1979, S. 10–14, hier S. 12 f.

110 Abb. 57: Miniaturbesteck in einer Walnussschale, Anfang 18. Jahrhundert

»Landmädchens«239 einen Aufenthalt in Kassel im Sommer 1770, zu dem sie ihr Vater Johann Konrad von Einem, Konrektor in Hann. Münden und Onkel von Rudolf Erich Raspe, mitgenommen hatte. Per Schiff war man aus Münden angereist und blieb mehrere Tage in der Residenzstadt bei vollem kulturellem Programm: »[…] Oper, Masquerade, Illumination samt den Musäum, wo Raspe Inspeckter war – welche Wunderdinge für mich waren das! Raspe war schon nicht mehr jung aber sehr gebildet sehr witzig.« Und sie schildert weiter, wie sie »gern seiner Beredsamkeit im stillen horchte.«240 Man hatte also gemeinsam eine offenbar sehr anregende Führung durch das Kunsthaus erhalten. Jedoch findet sich unter dem Datum des 5. Juni 1770 im Besucherbuch nur der Vater verzeichnet, nicht auch seine damals 14-jährige Tochter. Zu nennen ist auch die 17-jährige Schriftstellerin Friederike Münter (1765– 1835), später verheiratete Brun, die ebenfalls zusammen mit ihrem Vater reiste, Balthasar Münter (1735–1793), Prediger der deutschen St.Petri-Gemeinde in Ko­ penhagen. In das Besucherbuch eingetragen ist am 19. Juni 1782 auch in diesem Fall wieder nur der Vater. Seine Tochter muss ihn aber begleitet haben, verfasste

239 So Heuser 1994, S. 271. 240 Zit. nach ebd., S. 55.

111 sie doch einen kleinen Bericht über den Besuch des Museums.241 Brun, die sich im Verlauf ihres Lebens eine hohe altertumswissenschaftliche Kompetenz an­ eignete, erfreute sich zu dieser Zeit jedoch offenbar mehr an den »Raritäten« als den Antiken: »Den Nachmittag giengen wir ins Museum, in Begleitung des Professor F****r,242 eines sehr witzigen und angenehmen Mannes. Hier waren viel schöne Raritäten; mich belustigte es, unter einer Sammlung von kleinen Merkwürdigkeiten des Alterthums, Gemmen, Wasen, Opfergefäßen etc. etc. eine ganz moderne Wallnußschaale mit einem Dutzend sehr niedlicher Messer und Gabeln zu finden (Abb. 57); es waren noch andere dergleichen Antiquitäten da, die ich aber vergessen habe. Im zweiten Stockwerk des Museums ist eine Versammlung der verstorbenen Landgrafen mit ihren Gemahlinnen in Wachs poussirt, in Lebensgröße und in die lebendigsten Attitüden versetzt. Es war eine sehr ehrwürdige Versammlung, und unter ihnen sehr viel liebenswürdige und vielsagende Gesichter.«243 Den Abend verbrachte man in der Karlsaue, wo Mün­ ter just die »Dichterin P. G.«, d. i. Philippine Gatterer, kennenlernte, die mittler­ weile offenbar selbst schon zu einer Sehenswürdigkeit Kassels geworden war. Jedoch: »Sie entsprach meiner Erwartung nicht; wenigstens hätte ich von einer Dichterin mehr Feinheit und weibliche Delicatesse erwartet.« Insgesamt ist das Urteil Münters über den Kassel-Aufenthalt nicht sehr gnädig, zumal ihr auch die imposante Anlage des Bergparks nur »kalte Bewunderung« abringt. Leider haben sich bislang nur wenige, den Äußerungen Schopenhauers oder Münters vergleichbare Aussagen von weiteren Frauen zu ihrem Museumsbesuch in Kas­ sel gefunden. Bei diesen beiden hinterließ das Wachsfigurenkabinett wohl den größten Eindruck. Neben den Professoren-Gattinnen und -Töchtern zählen weibliche Angehö­ rige evangelischer Theologen, wie Münter, zu den häufigen Besucherinnen. Zu dieser Gruppe gehört auch Caroline Maria Herder, geb. Flachsland (1750–1809), die auf der Reise mit ihrem frischangetrauten Ehemann Johann Gottfried Her­ der von Darmstadt nach Bückeburg in Kassel Station machte. Ab 1776 in Wei­ mar ansässig, zählt sie als »Secretaire«, Lektorin und Herausgeberin der Werke ihres Mannes zu den bedeutenden Frauengestalten der Weimarer Klassik. Das Kunsthaus besuchte sie, wie bereits erwähnt, gemeinsam mit ihrem Ehemann, sowie Raspes Ehefrau Elisabeth, geb. Lange, und Dorothee von Beschefer. Offenbar ohne Begleitung erschien am 10. Juni 1795 Charlotte Luther (1768– 1822) im Museum, Tochter des Göttinger Superintendenten Christian Julius Luther, der sich selbst ein paar Jahre zuvor in das Besucherbuch eingetragen hatte. Charlotte Luther trat 1795 eine Stelle als Erzieherin in einem Privathaus­ halt in Hannover an, 1800 wechselte sie dann als Lehrerin an die Töchterschule

241 Brun 1782. Zu Friedrike Brun vgl. Müller 2012. 242 = Georg Forster. 243 Brun 1782, S. 49 f.

112 in Blankenburg und ab 1803 gründete und leitete sie auf Geheiß des preußischen Ministeriums eine Töchterschule in Goslar. Schließlich war sie 1810 Gründerin einer eigenen, unabhängigen Töchterschule in Hannover. Auch nach ihrer spä­ ten Eheschließung – 1814 heiratete sie den preußischen Hauptmann von Paras­ ky – ließ ihr pädagogischer Eifer nicht nach, rief sie doch in ihrem Wohnort Halberstadt eine Pensionsanstalt für Kinder auswärtiger Eltern ins Leben. Neben diesen Frauen aus theologischem und/oder pädagogischem Umfeld ist der Kaufmannsstand gut vertreten – Johanna Schopenhauer wurde als pro­ minentes Beispiel schon genannt. Rund 100 Frauen unter den Besucherinnen gehören zu dieser Kategorie – darunter auch einige Frauen, die mehrmals ver­ zeichnet sind. So trug sich – unter wechselndem Nachnamen, da die Ehemänner wechselten – dreimal, nämlich am 17. August 1779 (unter »Völcker«), am 10. Juli 1785 (unter »Bernhardi«) und am 8. September 1791 (nochmals unter »Bernhar­ di«) die Kaufmannstochter und -ehefrau Rosina Catharina Louise, geb. Pock­ witz aus Erfurt in das Besucherbuch ein. Die Familie Pockwitz zählte überhaupt zu den eifrigsten Museumsgängern: außer dem Vater, dem Hannoveraner Buch­ drucker Hieronymus Michael Pockwitz, trug sich auch ihre Schwester Christi­ na Friederica Antonetta Pockwitz gleich zweimal in das Buch ein, daneben der Bruder Christian Wilhelm Hieronymus und die Schwägerin Anna Sophia, geb. Hansing, die nach dem Tod ihres Mannes einen Teil der Druckerei übernahm. Als eigenständige Unternehmerin ist auch Josephine Barbara Ortelli, geb. Haas, anzusehen, Ehefrau des seit 1765 in Weimar ansässigen Wein- und De­ likatessenhändlers Stephan Andreas Ortelli (1737–1792), die als Pächterin der dortigen Theaterrestauration tätig war. Eine Verbindung nach Kassel bestand über ihre Tochter, die wiederum im Jahr vor ihrem Besuch (Mai 1788) René François Le Goullon, also den Sohn von »Madame Goullon«, Betreiberin des Gasthauses am Königsplatz, geheiratet hatte. Eingetragen hat sie sich als »J. Or­ telli aus Weimar mit ihrer Familie«. Vermutlich verknüpften sich bei diesem Aufenthalt Geschäfts- und Familienbeziehungen sowie das gemeinsame Inter­ esse an Kultur – von Le Goullons Bildung wird weiter unten noch zu lesen sein. Am 24. Mai 1795 trug sich »Hofagentin Bohl« in das Besucherbuch ein. Die Witwe des 1793/94 verstorbenen sachsen-weimarischen Hofagenten und Münz­ pächters Johann Georg Bohl in Eisenach ist bislang lediglich als Lieferantin des Eisenacher Königsblau in einem Brief von Christian August Thon im September 1802 an Goethe nachgewiesen. Ihre Vornamen sind nicht bekannt. Das Museum besuchte sie gemeinsam mit der Ehefrau des Geheimen Regierungsrats Hetzer so­ wie Christian Friedrich Roese. Roese war selbst Kaufmann und Hofagent in Eise­ nach und hier seit 1787 Besitzer eines großen Waldgrundstücks, das er ab 1792 zu einem aufwendigen Terrassengarten umgestalten ließ (Roesesches Hölzchen). Auf dem dortigen Aussichtsturm legte er im übrigen ein Besucherbuch aus. In einer größeren Familiengruppe kam auch »La Veuve Gontard«, d. i. Susan­ na Maria Gontard geb. d’Orville (1735–1800), am 17. August 1786 in das Museum, die Witwe des Frankfurter Bankiers Daniel Andreas Gontard (1727–1781). Zu der

113 Abb. 58: George Romney, Charlotte Lady Milnes, um 1788/92

Besuchergruppe zählten ihre Kinder, bzw. Schwiegertöchter Barbara Friedrica, Maria Magdalena, Susanna, Margarethe, Franz und Jacob Friedrich. Bei Susan­ na handelt es sich um ihre von Friedrich Hölderlin als »Diotima« verherrlichte Schwiegertochter. Hölderlin und seine Diotima finden sich dann 1796 gemein­ sam im Besucherbuch der Kasseler Gemäldegalerie verzeichnet, nicht jedoch in dem des Museum Fridericianum. Dass Hölderlin jedoch (und vermutlich beglei­ tet von Susanna Gontard) auch im Museum war, bezeugt seine Bemerkung: »Die Gemäldegalerie und einige Statuen im Museum machten mir wahrhaft glückliche Tage.«244 Aus der Vielfalt weiblicher Besucher ließe sich noch manches Beispiel an­ führen und damit weiter aufzeigen, dass das Museumspublikum auch aus der Perspektive der Geschlechtergeschichte wahrzunehmen ist. Das Besucherbuch belegt, wie sich in der von Männern dominierten Welt der Künste und der Wis­ senschaften zunehmend auch eine weibliche Öffentlichkeit ausbreiten konnte: »namenlose« Gouvernanten oder Dienstmädchen245 begegnen hier mondänen

244 Zu Hölderlins Kassel-Aufenthalt 1796 vgl. Sattler 2010, sowie Helmuth Schneider: »Wahrhaft glückliche Tage«. Kassel und die Antike im 18. Jahrhundert. In: Wunder/Vanja/ Wegner 2000, S. 88–103. 245 So lautet z. B. ein Eintrag im Besucherbuch: »Madame La Baronne de Heereman / avec

114 Frauen wie Charlotte Frances Milnes (†1850), Ehefrau des Gouverneurs von Martinique (Abb. 58), Beamtengattinnen wie Charlotte Kestner (1753–1828), Vorbild von Goethes »Lotte«, finden sich neben Mätressen wie die gleichfalls von Goethe verehrte Maria Antonia von Branconi (1746–1793), Schriftstelle­ rinnen, Malerinnen und Schauspielerinnen sind ebenso verzeichnet wie Un­ ternehmerinnen, junge Mädchen aus einfachen Verhältnissen oder erfahrene Hofdamen mächtiger Fürstenhäuser. Einer solchen Hofdame sei abschließend eine kleine Reverenz erwiesen: Mitte September 1777 trug sich Juliana Elisa­ beth von Schwellenberg (†1797) in das Buch ein, »dresser« von Queen Charlot­ te, die wegen ihres übergroßen Engagements in der englischen Hofgesellschaft den Spottnamen »Schwelly« trug. Dass Schwellenberg nachweislich das Kasse­ ler Kunsthaus besucht hatte und noch dazu in Begleitung des hochgebildeten Naturwissenschaftlers und Vorlesers der Queen, Jean André Deluc (1727–1817), fügt dem bis in jüngste Publikationen kolportierten Bild einer ganz auf ihre Auf­ gabe fixierten schrulligen, im Alter gar zum »sick dragon« mutierten Hofdame einen neuen, korrigierenden Aspekt hinzu.246 Für all diese Frauen liefert das Besucherbuch neue Details ihrer Lebensge­ schichte und belegt zugleich, wie das Museum als »offener Lernort« eine he­ rausragende Möglichkeit gerade für die Frauenbildung und -emanzipation dar­ stellte. Die vielen Namenszüge weiblicher Museumsbesucher zeigen, wie dieses wegweisende Angebot von den Frauen gerne angenommen und häufig auch – zumal an die eigenen Kinder – weitervermittelt wurde.

6. Lehren und unterhalten: Museumspädagogik avant la lettre

Mit dem umfassenden Wandel erzieherischer Prinzipien im »pädagogischen Jahrhundert« gewannen auch die in Sammlungen aufbewahrten Objekte eine neue Relevanz. Schon in den Unterrichtsmethoden August Hermann Franckes in Halle spielte die von ihm ab 1698 angelegte Kunst- und Naturalienkammer und das mit ihr verknüpfte Konzept des »Realienunterrichts« eine entscheidende Rolle.247 In der Lehrpraxis des Philanthropismus der Aufklärungszeit wird dem Sachunterricht schließlich eine grundlegende Bedeutung für die Bildung schon

ses enfants, la Gouvernante / et L’abbé Lepers«. Um wen es sich bei »la Gouvernante« han­ delt, ließ sich nicht ermitteln. 246 Vgl. Fraser 2005, S. 9, 144; vgl. auch http://people.virginia.edu/~jlc5 f/charlotte/char­ lotte.html (1.6.2019); Schwellenberg trug sich am 10.9.1777 gemeinsam mit Deluc und »Ma­ demoiselle Griffith« in das Besucherbuch ein. 247 Vgl. insgesamt Ausst.Kat. Halle 2013, darin besonders Dorothea Hornemann/Claus Veltmann: »Zu Erziehung der Jugend«. Die Naturalienkammer August Hermann Franckes in der Tradition der frühneuzeitlichen Sammlungs- und Bildungskultur, S. 129–143. Zum Realienunterricht bei Francke vgl. auch Trepp 2009, S. 345 ff.

115 der Jüngsten eingeräumt. Dass eine »enzyklopädisch« ausgerichtete und für je­ dermann zugängliche Institution wie das Museum Fridericianum diesen philan­ thropischen Unterrichtsprinzipien entgegenkam, liegt auf der Hand – bot sie, wenn auch nicht gerade die von den Philanthropen präferierte »Natur pur«, so doch Anschaulichkeit in vielerlei Bereichen der Natur und der Kultur. Als Lern­ ort jenseits von Schule oder Privatunterricht ließ sich hier über die Sammlungs­ objekte Wissen auf neue und vor allem auch unterhaltsame Weise vermitteln – durch reines und/oder vergleichendes Anschauen, durch die Erläuterungen der Kustoden oder die Vorführung von Experimenten mit einzelnen Exponaten. Mit Joachim Heinrich Campe (1746–1818) hat sich selbst einer der wichtig­ sten Vertreter der neuen Erziehungsmethoden der Aufklärung in das Besucher­ buch eingetragen. Campe war u. a. Hauslehrer von Wilhelm und Alexander von Humboldt,248 später Leiter des Philanthropins in Dessau und Schulrat in Braun­ schweig. Er gilt als produktivster Schriftsteller des Philanthropismus. Auch über seinen Kasselaufenthalt im August 1785 schrieb er ausführlich, mit nachdrück­ licher Empfehlung an die Jugend, das Museum zu besuchen – jedoch auch mit einem einschränkenden »Aber«: »Unter den schönen und prächtigen Gebäuden in Cassel verdienen besonders das Museum und die neue katholische Kirche ge­ sehen zu werden, letzere sowohl ihrer schönen Bauart, als auch der herrlichen Gemälde wegen, womit Tischbein diese Kirche geziert hat. Ersteres enthält einen Schaz von Büchern, Naturalien, Münzen, Modellen und Kunstsachen, welcher den ersten Sammlungen dieser Art an die Seite gesezt zu werden verdient. Ich lasse mich aus Ursachen, die meine jungen Leser schon wissen, auf keine Be­ schreibung ein. Aber es sey mir erlaubt, diejenigen unter ihnen, welche an Natur und Kunst Vergnügen finden, zu einer tausendmal unbeträchtlicheren, mir aber eben so merkwürdigen Sammlung zu führen, der ich mir zu behaupten getraue, daß sie an einem Orte, wo junge Forstmänner, Kammeralisten und Naturforscher gebildet werden sollen, tausendmal nüzlicher seyn würde, als alle die Kostbarkei­ ten von Gold, Silber und Edelsteinen welche andere Reisende in dem Museo an­ zustaunen pflegen.« Es folgt die Beschreibung der zu dieser Zeit rund 300 Bände umfassenden Holzbibliothek (Abb. 59) in einem »kleinen unansehnlichen Haus in der Menagerie« einschließlich der Charakterisierung ihres Schöpfers Carl Schild­ bach (1730–1817): »Dieser mir merkwürdige Mann hat weder Erziehung, noch gelehrten Unterricht von irgendeiner Art gehabt; und doch hat er sich in der Na­ turhistorie und in der Naturlehre ganz durch eigenen Fleiß und fast ohne alle

248 Wilhelm von Humboldt trug sich selbst als Göttinger Student Ende April, Anfang Mai 1789 in das Besucherbuch des Museum Fridericianum ein, Alexander (nach Vogel 1956, S. 162) am 1. Mai 1788 in das der Gemäldegalerie. Die Handschriften beider Einträge ähneln sich freilich sehr, so dass es sich bei dem früheren Eintrag gleichfalls um Wilhelm handeln könnte. Hierfür spricht, dass Alexander erst 1789 nach Göttingen kam. Sein im Septem­ ber 1789 geplanter Besuch des Museum Fridericianum scheiterte aus Zeitgründen, vgl. den Datensatz zu seinem Freund Steven Jan van Geuns: https://www3.bibliothek.uni-kassel.de/ besucherbuch/datenbank.php?type=detail&besucherID=9086 (3.8.2014).

116 Abb. 59: Detail aus Carl Schildbachs Holzbibliothek, ab 1780

Hilfsmittel Kenntnisse und Geschicklichkeit zu erwerben gewußt, welche einem Gelehrten Ehre machen würde. Er ist dabei ein geborner Künstler, ohne, soviel ich weiß, eine einzige Kunst von andern gelernt oder berufsmäßig betrieben zu haben.«249 Das Museum mit seinen »anzustaunenden Kostbarkeiten« versus die »tau­ sendmal nützlichere« Holzbibliothek (die erst 1799 für das Museum erworben wurde)250 samt Ritterschlag für das Naturtalent Schildbach – diese Wertung verwundert bei dem Philantropen Campe kaum. Dennoch empfiehlt er einen

249 Campe 1796, S. 116 ff. 250 Vgl. Feuchter-Schawelka 2001, S.19 f.

117 Besuch des Museums als einer besonderen Sehenswürdigkeit gerade für seine jungen Leser. Auch weitere Philanthropen teilten offenbar diese Meinung und brachten gleich ihre Zöglinge mit. So finden sich am 5. Juli 1788 im Besucherbuch die Einträge der Lehrer Johann Matthäus Bechstein (1757–1822) und Christian Ludwig Lenz (1760–1833) »nebst sieben Zöglingen aus Schnepfen­thal«. Schul­ ausflüge oder »Klassenfahrten« gab es also offenbar schon damals, zumindest in einer so fortschrittlichen Schule wie dem Salzmannschen Erziehungsinstitut in Schnepfenthal bei Gotha. Unter den Museumsbesuchern findet sich auch Johann Christian Martin Wehnert (1757–1825), Rektor der großen Stadtschule in Parchim, Verfasser von Kinderliteratur und zahlreichen pädagogischen Schriften, die er u. a. in Campes Kinderbibliothek veröffentlichte. Vermutlich besuchte er das Museum gemein­ sam mit Campe, steht doch sein Vermerk »der Rector Wehnert aus dem Meck­ lenburgischen« als übernächster Eintrag unter dessen Namenszug. Zu den bedeutenden Bildungsreformern seiner Zeit zählt der preußische Oberkonsistorialrat Friedrich Gedike (1754–1803), der als ein Wegbereiter der Neuordnung des preußischen Schul- und Bildungswesens unter Wilhelm von Humboldt gilt. Der Verfasser zahlreicher pädagogischer Werke hatte 1789 im Auftrag des preußischen Königs eine Reise zur »Evaluation« deutscher Univer­ sitäten unternommen und dabei auch Kassel besucht. Am 27. Juni 1789 trug er sich in das Besucherbuch ein. Wie sehr bei der Museumskonzeption selbst auf die Erziehung junger Men­ schen abgezielt worden war, belegt die aus Anlass der Gründung der Société des Antiquités 1777 geprägte Medaille (Abb. 60): Sie zeigt das Museum Fridericia­ num, vor dessen Fassade Minerva einen Knaben zu den Altertümern führt.251 Zu erkennen ist eine Vielzahl neben- und übereinandergestapelter Gegenstän­ de, die ein Spektrum antiker Lebenswelt umreissen: neben der »klassischen« Büste finden sich hier u. a. Vasen und Altäre, eine Öllampe und ein sog. »ägypti­ scher König«.252 Gleich Minerva brachten, wie oben bereits angesprochen, viele erwachsene Besucher kleine und größere Kinder ins Museum und nahmen dort gemeinsam an den Führungen teil. Diese Vermittlungsarbeit gehörte explizit zum Aufgabenbereich der jeweiligen Kasseler Kustoden – sei es für Erwachse­ ne oder Kinder, so dass man hier von Museumspädagogik avant la lettre spre­ chen kann. Dass speziell der Kustos Raspe hierfür eine besondere Begabung ge­ habt haben muss, ist einem Brief von Karl Theodor von Dalberg (1744–1817), zu dieser Zeit mainzischer Statthalter in Erfurt, an Raspe nach einem Besuch des Kunsthauses zu entnehmen (Eintrag am 2. Oktober 1772). Dalberg schrieb ihm aus Erfurt am 24. Oktober 1772: »Ich schätze es mir übrigens zum wahren Ver­ gnügen daß ich in dero Person einen Gelarten haben können gelernet, welcher

251 Vgl. Ausst.Kat. Kassel 1979, Kat.Nr. Me 9, S. 186 f. 252 Hierbei handelt es sich vermutlich um die als Fälschung entlarvte kleine Bronzefigur, mhk, Inv.Nr. Alc 438; vgl. ebd., Kat.Nr. 551, S. 287.

118 Abb. 60: Johann Ulrich Samson, Medaille auf die Gründung der Société des Antiquités 1777, Kupfer, recto

die seltene Gabe besitzet denen ausgebreitetsten Kenntnissen denjenichen Reitz zu geben welcher sie angenehm macht. Ich danke nochmahlen für die mir in Cassel erwiesene Höflichkeit und harre mit ganz besonderer Hochschätzung Euer Wohlgebohrner ergebenster Diener Dalberg«.253 Weitere Briefstellen be­ legen, wie Raspe immer wieder ersucht wurde, sich auch um junge Reisende zu kümmern und ihnen die Sammlungen zu zeigen.254 Dalberg, der sich selbst im Sinne der Aufklärung für die Förderung von Schule und Bildung einsetzte,255 erlebte bei der Führung Raspes durch das Kas­ seler Kunsthaus wohl eine geradezu ideale Verbindung von Wissenserwerb und Vergnügen. Eine solche Kombination aus Belehrung und Unterhaltung formu­ liert explizit auch das Motto der Société des Antiquités, zu deren Ehrenmitglie­ dern Dalberg selbst gehörte: »DOCENT ET OBLECTANT« (sie lehren und un­ terhalten) lautet die Umschrift der Medaille. Wie sehr dies für Groß und Klein galt, machen viele Namenszüge im Be­ sucherbuch deutlich. Denn Eltern mit Kindern oder Erzieher mit Zöglingen

253 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Dalberg:1. Dalberg machte auf dem Weg zu seinem Dienstan­ tritt in Erfurt Station in Kassel. An seinem neuen Bestimmungsort, der zu Ende des 18. Jahr­ hunderts nach Dalbergs eigener Angabe rund 17.00 Einwohner zählte und somit kleiner war als Kassel, traf er noch am selben Tag spätnachts ein; vgl. Rob 1984, S. 88, 451. 254 So schreibt ihm z. B. Jacques Emmanuel Roques de Maumont am 28.3.1770: „[…] pour vous prier de prendre le jeune étranger que je vous adopte sous votre protection, & et de vouloir bien lui faire voir le Cabinet de Monsigneur le Landgrave qui renferme les curiosités naturelles, & les autres collections si vous en avez le temp.» LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Roques de Maumont:6. 255 Dalberg betrachtete es »als die Pflicht eines jeden Regenten, seine Untertanen zu erzie­ hen, zu bilden, die in ihnen schlummernden Fähigkeiten zu wecken, auf daß sie den Weg zur Glückseligkeit und zur individuellen Vollkommenheit betreten können.« (Rob 1984, S. 90 f.)

119 lassen sich hier in großer Zahl nachweisen, gelegentlich mit Altersangaben, und manchmal trauten sich Kinder gar wohl allein einen Besuch zu. Fangen wir mit den Allerkleinsten an: sollte mit »Familie« die Ehefrau und eigene Kinder ge­ meint sein, dann verbirgt sich hinter dem Eintrag »Martens Kursächsischer Le­ gationrath und Geschäftsträger in Holland nebst seiner Familie« der allerjüng­ ste Museumsbesucher, nämlich der zu dieser Zeit erst zweijährige Friedrich von Martens (1781–1816), später Jurist und Diplomat, zuletzt als Minister-Resident in Konstantinopel ansässig. Der nächst Ältere ist mit fünf Jahren Jacob Wil­ lem Dedel (1778–1848), einer der beiden Söhne des niederländischen Konterad­ mirals (»Schout-bij-nacht«) Salomon d. J. und Sara Maria Dedel. Der kleine Jacob Willem, später Leiter der Ersten Kammer der Generalstaaten, kam am 25. August 1783 mit seiner ganzen Familie ins Museum. Gleichfalls mit Familie besuchte die sechsjährige Charlotte Amalie Groß­ mann (*1775) im September 1781 das Museum. Die älteste Tochter des Schau­ spielerehepaars Gustav Friedrich Wilhelm und Karoline Großmann (s. auch un­ ten) war später selbst als Schauspielerin tätig. Als siebenjährige Museumsbesucher lassen sich über das Besucherbuch zwei Knaben nachweisen: Christian Prinz von Hessen-Kassel (1776–1814), Sohn von Carl von Hessen-Kassel und Luise, geb. Prinzessin von Dänemark, besuchte das Museum am 24. Oktober 1783 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen älteren Geschwistern Marie (15), Friedrich (12) und Juliane (10), die sich alle eigenhän­ dig in ihrer zum Teil noch ungelenken Kinderschrift eintrugen. Johann Ludwig Julius vom Hagen (1762–1828), später Oberzollkontrolleur und königlich preu­ ßischer Leutnant, ließ sich am 22. Mai 1770 gemeinsam mit seinem älteren Bru­ der Carl Otto Wilhelm (12) durch das Kunsthaus führen. Da sich keine weiteren Begleiter eingetragen finden, waren die beiden aus dem Eichsfeld anreisenden Schüler offenbar allein gekommen. Bei einigen Kindern haben die erwachsenen Begleiter direkt im Besucherbuch Altersangaben hinterlassen, solcherart den pädagogischen Zweck des Besuchs unterstreichend. So heißt es z. B.: »Johan Valentin Meyer Kaufm. aus Hamburg und sein 8 Järiger Sohn«.256 Ähnlich wurde bei der bereits erwähnten französi­ schen Emigrantenfamilie Mandelot vermerkt: »La Comtesse de mandelot Le Cte. De Mandelot alphonse et adolphe de mandelot leurs fils agés de 9 ans et demi et de 8 ans.« Gleichfalls in einer größeren Gruppe, nämlich von sieben Mitgliedern der miteinander verschwägerten Familien van der Hoop, Dedel und Warin, kam am 16. Juli 1786 Adriaan van der Hoop (1778–1854) in das Museum. Möglicher­ weise war der spätere erfolgreiche Kaufmann schon zu dieser Zeit speziell an den Kunstsammlungen interessiert, erwarb er doch nach und nach eine kost­ bare Gemäldesammlung, die er der Stadt Amsterdam vermachte (jetzt im Rijks­ museum). Von einem frühen Kunst- und Kulturinteresse darf man sicherlich

256 Zu Johann Valentin Meyer (1747–1811) und seiner Ausbildungsreise 1765 vgl. Rees/Sie­ bers 2005, S. 192–196.

120 Abb. 61: Antonio Canova, Henryk Prinz Lubomirski als Eros, 1786/88, Detail, Schloss Łańcut

auch bei Johann Ludwig Voelkel (1762–1829) ausgehen, der sich als Achtjähriger am 6. Juni 1770 vermutlich mit einem weiteren Kasseler Knaben, Johann Nico­ laus Ludwig, in das Besucherbuch einschrieb. Voelkel, Sohn eines Schwertfegers, studierte ab 1775 Theologie am Collegium Carolinum in Kassel, ab 1778 Theologie und Philosophie in Göttingen, war von 1787 bis 1789 Professor der Philosophie in Marburg und schließlich ab 1794 Oberkustos der Antikensammlung im Mu­ seum Fridericianum und zuletzt ab 1821 Direktor des gesamten Museums. Sein späteres anerkennendes Urteil über den Münzkatalog seines in Ungnade gefal­ lenen Vorgängers Raspe257 könnte durchaus auch mit einer frühen positiven Er­ fahrung von dessen »museumspädagogischer« Kompetenz zusammenhängen – wenn Voelkel auch selbst, wie oben ausgeführt, im Bezug auf die Öffnungen der Sammlungen für jedermann nicht ähnlich großzügig wie Raspe dachte. Mit Kunst kam ein weiterer junger, nämlich zehnjähriger Museumsbesucher aus einem ganz anderen gesellschaftlichen Umfeld und unter einem speziellen Blickwinkel schon früh in Verbindung – nämlich als begehrtes Modell. Henryk Prinz Lubomirski (1777–1850), erzogen in Wien, bereiste in Begleitung seiner Tante Elzbieta Prinzessin Lubomirska (s. oben) Europa und wurde als besonders schönes Kind häufig porträtiert: Modell stand er z. B. für Canova (Abb. 61), für Johann Caspar Lavater, Elisabeth Vigée-Lebrun oder Angelika Kauffmann. Dass sich das schöne Äußere nicht nur mit politischer Kompetenz, sondern auch mit einem hohen Sinn für Ästhetik verband, zeigt sein weiterer Lebensweg: vom

257 Vgl. Ausst.Kat. Kassel 1985, S. 11.

121 Gründer des Majorats in Przeworsk stieg er 1809 zum Präsident der proviso­ rischen Verwaltung in Krakau, 1812 zum Präfekt des Krakauer Departements auf. Seine umfangreichen Kunstsammlungen ließ er 1823 dem Ossolineum in Lemberg eingliedern, dessen Kurator er 1827 wurde. Das Kasseler Museum be­ suchte er am 16. Juli 1788 in einer größeren polnischen Gruppe, wozu neben seiner Tante u. a. auch Fürst Adam Kazimierz Czartoryski und der Politiker und Schriftsteller Julian Ursyn Niemcewicz (1757–1841) gehörten. Ebenfalls als Zehnjähriger kam Johann Nepomuk Hummel (1778–1837) im Oktober 1789 in das Museum. Hummel, der Schüler Mozarts in Wien gewesen war, galt bereits in diesem Alter als Klaviervirtuose und unternahm in den Jah­ ren 1788 bis 1793 Konzertreisen durch Deutschland, Dänemark, Großbritannien und Holland. Seinen Konzertauftritt in Kassel verband er, wie das Besucherbuch belegt, mit der Weiterbildung in Bereichen jenseits der Musik. Selbstbewußt trug er sich in das Besucherbuch ein mit den Worten: »Johann Hummel Virtuo­ se de Clavecin. de Vienne.« Mit dem Eintrag von »Marianna Antonia Crux à 14 ans. de Munich« ist ein weiteres musikalisches »Wunderkind« als Museumsbesucherin belegt. Crux (1772–nach 1807), Tochter des Hof-Ballettmeisters Peter Crux, der ihr eine breit angelegte Bildung zukommen ließ, führte als Violinvirtuosin ab 1786 Konzert­ reisen durch, u. a. nach München, Augsburg und Wien (Auftritt vor Kaiser ­Joseph II.), reiste im Januar 1787 gemeinsam mit Mozart nach Prag und trat im März 1787 in Hamburg auf. Ihr Aufenthalt in Kassel im Juni des gleichen Jahres erfolgte vermutlich auf der Rückkehr von Hamburg nach München. Ins Besu­ cherbuch trug sie sich gemeinsam mit Johann Kaspar Ramlo (1760–1830) ein, Bratscher in der Münchner Hofkapelle, nebenberuflicher Weinwirt, der auch Mozarts und Crux’ Begleiter auf deren Reise nach Prag gewesen war. Nicht im Besucherbuch, jedoch aus anderen Quellen ersichtlich ist Goethes gemeinsamer Museumsbesuch mit seinem Zögling, dem elfjährigen Fritz von Stein, im Oktober 1783 (Abb. 62). Auch Goethes Besuch selbst ist im Buch nur durch einen nicht-eigenhändigen Vermerk dokumentiert. Da Goethe aber – gleich Minerva – den ihm anvertrauten Sohn seiner Freundin Charlotte zu al­ len Sehenswürdigkeiten Kassels führte, war eine Besichtigung der Sammlungen selbstverständlich.258 Ein weiterer elfjähriger Museumsbesucher, nämlich Georg Heinrich Leon­ hart (1761–1822) hat gleichfalls – mehr oder weniger direkt – mit einem bedeu­ tenden Schriftsteller seiner Zeit zu tun, war er doch der Bruder von Gottfried August Bürgers Ehefrauen Dorothea und Auguste (»Molly«). Da er ab 1773 als stud. humaniora am Collegium Carolinum in Kassel nachgewiesen ist, erfolg­ te sein Besuch des Kunsthauses am 9. Mai 1773, zusammen mit seinem älteren

258 Goethe kam im August 1801 auch mit dem eigenen Sohn, dem zwölfjährigen Karl Au­ gust, nach Kassel – einige Jahre nach Ende der Laufzeit des Besucherbuchs.

122 Abb. 62: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich von Stein, Silhouette, 1783

Bruder Ernst Ludwig Franz (13), vermutlich im Kontext oder im Vorfeld seiner Immatrikulation. Die besondere Förderung eines hochbegabten Schülers wird in folgen­ dem Eintrag Mitte August 1771 dokumentiert: »Schmidt Rector in Alßfeld und J Heinrich Haas. von Alsfeld«. Ist der Schulrektor heute in Vergessenheit gera­ ten,259 so hat sein 13-jähriger Zögling sich auf einem speziellen Felde Nachruhm verschafft: Johann Heinrich Haas (1758–1810), aufgewachsen in kleinbäuerli­ chen Verhältnissen und nach Ansicht seiner Eltern zum Schneider bestimmt, trat nach seiner Schulzeit 1773 in Darmstadt in den Militärdienst und erhielt beim Besuch der Darmstädter Garnisonschule Unterricht im Feldmessen. Pa­ rallel unternahm er autodidaktisch Übungen in der Herstellung von Landkar­ ten oder militärischen Situationskarten. Der spätere Offizier und Lehrer an der Artillerieschule gilt mit seinen Karten, in denen er als erster die Darstellung von Höhenunterschieden durch Schraffuren einführte,260 als der Urheber der amt­ lichen Topographie und Kartographie in Hessen. Der Eintrag in das Besucher­ buch ist der Beleg für eine bislang unbekannte Förderung des Jungen vor seiner Darmstädter Zeit – möglicherweise bereits mit dem Schwerpunkt auf die, wie sie Schmincke nennt, »Physicalische«, »Mathematische« und »Optische Zim­ mer« im Kunsthaus. Eine vergleichbare Sammlung von Instrumenten wäre an­ dernorts zu dieser Zeit für Lehrer und Schüler wohl kaum erreichbar gewesen.

259 In den Bürgerlisten der Stadt Alsfeld wird zwischen 1724 und 1777 insgesamt elfmal bei Bürgeraufnahmen der Name Schmidt (Schmitt) erwähnt, ohne Angabe eines Berufs oder Amtes (freundlicher Hinweis von Dr. Norbert Hansen, Bodo Runte, Geschichts- und Museumsverein­ Alsfeld). 260 Haas, Johann Heinrich. In: Hessische Biografie (Stand: 11.3.2010)

123 Ebenfalls im Alter von 13 Jahren kam am 14. Juni 1786 ein später hochbe­ rühmter Besucher in das Museum, nämlich Klemens Wenzel Nepomuk ­Lothar Graf (ab 1813 Fürst) von Metternich-Winneburg-Beilstein (1773–1859), beglei­ tet von seinem Vater, der stolz ins Besucherbuch einträgt: »Graf v Metternich Winnebourg Beilstein Kays[erlich] Königl[icher] bevolmächtigter Minister an den Kurhöfen Trier und Cölln auch dem niederrheinisch westfälischen Creys mit seinem ältesten Sohn«. Bis 1788 von Privatlehrern erzogen, nahm der junge Metternich anschließend ein Studium in Straßburg und Mainz auf. Der spätere österreichische Staatskanzler wurde bei seinem Besuch auch be­ gleitet vom Sekretär seines Vaters, de Lassaulx, und dem kaiserlichen Gesand­ schaftssekretär von Kornrumpf. Logis nahm man im Gasthaus am Königs­ platz. Der Eintrag in das Besucherbuch fügt der bislang bekannten Biographie des österreichischen Staatsmannes ein neues Detail hinzu und belegt umge­ kehrt die Anziehungskraft des Museums auf hochrangige Besucher aus ande­ ren Territorien. Wie diese wenigen Beispielen erkennen lassen, sind auch bei den jüngsten Museumsbesuchern Vertreter aus allen gesellschaftlichen Schichten und aus ganz Europa vertreten: neben vielen Prinzen und Prinzessinnen finden sich Söhne von Bauern, Kaufleuten oder Handwerkern, Schüler, Jungstudenten und »Wunderkinder«, Töchter von Schauspielern oder – mit der bereits erwähn­ ten zehnjährigen Marianne Gräfin von der Mark – von wahrhaft gemischter Herkunft, war diese doch Enkelin eines Hoftrompeters und Tochter des preu­ ßischen Thronfolgers. Allen Kindern und Jugendlichen bot das Museum als Ergänzung zum Schulunterricht oder der Erziehung durch private Lehrer und Hofmeister Anschauungsmaterial in Fülle und zu unterschiedlichen Inter­ essenslagen. Die vielen kindlichen Handschriften im Besucherbuch oder die sorgfältigen Einträge der erwachsenen Begleiter sind ein sprechender Beleg, dass »Museums­pä­da­go­gik« zwar ein Begriff unserer Zeit ist, entsprechende di­ daktische Konzepte, also die Sache selbst, bereits in der Aufklärungszeit prak­ tiziert wurden.

7. »Halb Göttingen« in Kassel: studentische Exkursionen und »LustReisen« zu den Kasseler Museen

Wie sehr das Bildungsangebot vornehmlich junge Leute zu dieser Zeit nach Kassel zog, belegt vor allem der sehr hohe Anteil von Studenten unter den Ein­ trägen im Besucherbuch. Allein der damals übliche häufige Wechsel des Stu­ dienorts brachte eine hohe geographische Mobilität mit sich, wie dies in deren Auswirkungen auf den Besucherzulauf bereits oben in den Bemerkungen zum internationalen Einzugsgebiet der Museumsbesucher angesprochen wurde. Die Grenzen zwischen Bildungs- oder »Gebildetenreise«, zwischen Studien-, For­ schungs- oder Vergnügungsreisen lassen sich beim studentischen Publikum

124 freilich kaum klar ziehen.261 Für Schlözer galt hierbei jedenfalls: »Kein gescheu­ ter [sic!] junger Deutscher nehme Reisen in auswärtige Länder vor, ehe er sein deutsches Vaterland bereiset hat. Er sehe wenigstens vorher Hamburg, Dres­ den, Berlin, und Wien; ehe er Paris, London, Petersburg, und Amsterdam an­ staunt.«262 Kassel in diese Riege deutscher Städte aufzunehmen, hielt Schlözer offenbar nicht für nötig: denn nach Kassel reisten seine Göttinger Studenten sowieso, wie das Besucherbuch eindrucksvoll belegt. Denn unter allen Gruppen von Reisenden ragen in der Anzahl mit Abstand die Göttinger Studenten her­ vor: rund 2.000, d. h. ein Siebtel der Museumsbesucher insgesamt, gehören die­ ser Gruppe an, so dass die Kasseler Museen fast wie ein Vorposten der Göttinger Universität erscheinen. Immerhin waren sie, da keine vorherige Anmeldung nö­ tig war, auch leichter zugänglich als ihr eigenes Academisches Museum, und sie boten mit den über Jahrhunderte gewachsenen fürstlichen Sammlungen einen umfassenderen Einblick in Künste, Naturalia und Wissenschaften. Bereits ein flüchtiger Blick in das Besucherbuch läßt diesen aus der Warte heutiger Besucherstatistik erstaunlich hohen Anteil an Studenten unter den Be­ suchern von Kunsthaus und Museum Fridericianum erkennen – und die aller­ ersten Besucher des am 23. Mai 1779 neueröffneten Museums waren überhaupt nicht etwa Personen der fürstlichen Familie oder des Hofstaats, sondern Göttin­ ger Studenten, wie im Besucherbuch selbst auf Seite 130 vermerkt ist: »Das neu erbaute Museum Fridericianum wurde zum erstenmahl den 23.tag May 1779 verschiednen Fremde von Göttingen vorgezeiget.« Zurecht schrieb also Georg Christoph Lichtenberg 1780, dass »halb Göttingen nach Cassel« reise,263 und dies offenbar nicht nur der Wasserspiele im Bergpark wegen. Göttinger Professoren empfahlen selbst immer wieder begabte Studenten an Kasseler Kollegen, welche dann wiederum weitere Empfehlungen ausspra­ chen. Der »stud. math.« Georg Heinrich Hollenberg (1752–1831), im Besucher­ buch zweimal während der Aufbauphase des Museums verzeichnet (27. Mai 1776 und 28. Juni 1779), beschreibt anschaulich diese Form der Vermittlung so­ zialer Kontakte im universitären Umfeld: »Durch die gütigen Empfehlungen, meiner Verehrungswürdigen Lehrer und Gönner, der Herren Hoffrath Kästner und Professsor Lichtenberg, habe ich das Glück gehabt, bey verschiedenen der hiesigen Lehrer eine gute Aufnahme zu finden, und selbst von einigen fernere

261 Zur Gelehrtenreise: Zimmermann 2002. Zur frühneuzeitlichen Universitätskultur mit Schwerpunkt auf den verschiedenen Formen der Geselligkeit: Bernhardt/Krug-Richter/ Mohrmann 2013. 262 Schlözer 1777, S. 18. 263 Lichtenberg 1780–1784, S. 57. Das ganze Zitat lautet: »Diese Feyertage ist halb Göttin­ gen nach Cassel, um die Wasser springen zu sehen, wenn nur, wie das Barometer fast zu verkünden scheint, der Himmel nicht mit seinen Wassern contra spri[n]gt und die Gesell­ schaft zwischen zwei Wassern zu stehen kommt.« Zu Göttinger Studenten in Kassel zusam­ menfassend: Wegner 1991.

125 Empfehlungen nach andern Orte zu erhalten; namentlich habe ich dafür dem Herrn Rath Matsko und Herrn Professor Dohm zu danken.« Tatsächlich er­ hielt Hollenberg in Kassel dadurch eine Betreuung vom Feinsten: Johann Hein­ rich Tischbein d. J. führte ihn durch die Akademie und die angeschlossene Ge­ mäldegalerie, Schmincke durch die Bibliothek im Neubau und, gemeinsam mit Prof. Tiedemann, in das Kunsthaus, wo zu dieser Zeit noch die Antiken stan­ den, und Matsko begleitete ihn durch das Observatorium und die naturwis­ senschaftliche Sammlung, die sich damals noch im Palais Bellevue befand. Das Ganze wurde schließlich noch gekrönt durch eine weitere Begegnung: »Durch die freundschaftliche Empfehlung des Herrn Professor Lichtenberg habe ich auch das Glück gehabt, den englischen Weltumsegler und hiesigen Professor der Naturlehre, Herrn Forster den jüngeren kennen zu lernen. Dieser vortreff­ liche Mann,[…] wendete nun einen ganzen Tag dazu an, mich […] hier in der Stadt zu begleiten. Ich konnte ohne Zweifel die hiesige Menagerie in keiner lehr­ reicheren und bessern Gesellschaft sehen, als die war, womit mich die Herren P.P. Forster und Sömmering beehrten.« Der dabei besonders lange beobachtete indische Elefant (auf dem vielleicht schon der begehrliche Blick des Anatomen Soemmerring lag!) schleuderte dabei »Herrn Prof. Forster […] einen Schnit Brod ins Gesicht.« Forster nahm den Studenten noch mit in seine Wohnung, wo er ihm »eine vortrefliche Sammlung sehr schön gemalter Vögel und Pflanzen [zeigte], welche eine Kopie ist von denen, die er selbst auf seiner Reise nach dem Leben gezeichnet und gemalt hat«.264 Soemmerring hatte ihn zuvor schon »aus alter akademischer Bekanntschaft« (d. h. aus gemeinsamen Göttinger Zeiten) durch die Anatomie einschließlich der Sammlungen geführt: »In einem obern Zimmer stehen ausgestopfte Menschenhäute, welche ehemals auf der Naturali­ enkammer verwahrt wurden.«265 Eine derart intensive Betreuung eines einzel­ nen Studenten durch die renommiertesten Kasseler Gelehrten war vermutlich eher ungewöhnlich – zeigt aber nochmals besonders eindrücklich, wie eng ver­ schränkt hier Forschungs-, Sammlungs- und Vermittlungsarbeit war. Häufig kamen dagegen die Studenten in großen Gruppen gemeinsam mit ihren Professoren ins Museum – Belege für einen noch wenig erforschten As­ pekt der frühneuzeitlichen Universitätskultur und Lehrpraxis, haben doch diese Reisen den Charakter gezielter Studienexkursionen. So besuchte im Mai 1776 der Göttinger Philosophieprofessor Christoph Meiners (1747–1810) mit rund 35 Studenten das Kunsthaus, zusätzlich flankiert von weiteren Göttinger Honorati­ oren, nämlich dem Pastor Ludwig Gerhard Wagemann (1746–1804), dem Schul­ rektor Johann Andreas Suchfort (1747–1824) und dem Oberpolizeikommissar Georg Philipp Meyenberg (1732–1791). Ähnliche Exkursionen unternahmen auch die Göttinger Professoren Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) oder

264 Hollenberg 1782, S. 36-46. 265 Ebd., S. 34.

126 Johann Christian Polykarp Erxleben (1744–1777). Blumenbach ist gleich dreimal im Besucherbuch verzeichnet (1775, 1779 und 1788), jeweils in Begleitung von Studenten. Auch Lichtenberg selbst kam, wie bereits erwähnt, mit englischen Zöglingen 1770 in das Kunsthaus, und es ist sicherlich kein Zufall, dass sich so viele seiner Hörer im Besucherbuch wiederfinden lassen. So sehr Kassel und Göttingen sich als Standorte von Wissenschafts- und Kultureinrichtungen un­ terschieden, so zeigt doch die im Besucherbuch dokumentierte Verflechtung, dass hier von einer gemeinsamen, die Grenze (Hessen-Kassel und Kurhanno­ ver) überschreitenden »Bildungslandschaft« gesprochen werden kann. Aber auch aus anderen Städten brachten Professoren ihre Studenten mit in das Museum. Der Marburger Professor der französischen Sprache und Literatur Jean Pierre de Beauclair (1752–1818), der sich bereits am 27. Mai 1790 in das Besucher­ buch eingetragen hatte, kam nochmals am 13. September 1793 wieder, diesmal, wie auch in der PCZ vermerkt, in Begleitung von »9 jungen Herren von seinem Institut«. Alle neun trugen sich in das Besucherbuch ein und vermerkten neben den Namen ihre Herkunft: sieben stammten aus England, zwei aus Amerika. Neben der Anschauung verschiedener Gegenstände der Wissenschaft, wie sie sowohl das Kunsthaus als auch das Museum Fridericianum mit ihrer enzy­ klopädischen Ausrichtung boten, hatten solche gemeinsame Studienreisen – ne­ ben der Reisetätigkeit Einzelner, wie das Beispiel Hollenbergs zeigt – sicherlich auch die Funktion der sozialen Integration in die Gelehrtennetzwerke.266 Als Ergänzung zum Universitätsunterricht und zur Buchgelehrsamkeit wurde das Reisen von den Göttinger Professoren jedenfalls nachdrücklich empfohlen,267 und die Museen samt der dort tätigen Wissenschaftler mussten für die jungen Gelehrten wirklich eine hohe Anziehungskraft besitzen, wie die vielen entspre­ chenden Einträge bezeugen. Doch auch der Unterhaltungsaspekt kam bei den studentischen Museums­ besuchern, die dem kleinstädtischen Milieu der Alma Mater für ein paar Stun­ den oder Tage zu entfliehen suchten, sicherlich nicht zu kurz. »Wer«, so der un­ garische Student Berzeviczy, »ein ganzes feuchtes trauriges Jahr in Göttingen« beim Studium zubringen musste, lechzte offenbar besonders nach der Schönheit der Kasseler Parkanlagen und sonstigen Reizen der modernen Residenzstadt.268 Entsprechend schrieb Steven Jan van Geuns (1767–1795), Medizinstudent in Göttingen, Freund und Reisegefährte Alexander von Humboldts, 1789 an seine Eltern: »Ein anderer Charakter der Deutschen ist ihre Verschwendungssucht. Dies lässt sich aus ihrer Prunksucht und aus der Lust, eine gute Figur zu machen

266 Vgl. dazu insgesamt Zimmermann 2002. 267 Vgl. z. B. die posthum erschienene Vorlesungsmitschrift: Köhler 1762; dazu auch Kahl­ fuß 1979, S. 148. 268 Gregor Franz von Berzeviczy: Beschreibung von Weissen Stein (mit Korrekturen von G.A. Bürger). In: Futaky 1991, S. 83 ff., hier S. 83. Berzeviczy hat sich am 20. Oktober 1785 in das Besucherbuch eingetragen.

127 […] leicht begreifen. Bei Studenten ist dies […] etwas sehr gewöhnliches, dass sie, sobald sie einen Wechsel oder Geld von zu Hause gekriegt haben, dies direkt zum größten Teil mit Reiten, dem Kauf neuer Kleidung, auf Konzerte zu gehen, Ausflüge nach Kassel zu machen und dgl. vertun, und sich dann auf allerlei Weise sehr beschränken müssen […].«269 Er selbst trug sich zusammen mit drei Kommilitonen am zweiten Weihnachtsfeiertag 1789 in das Besucherbuch des Museum Fridericianum ein.270 Wie sich ein solcher Kassel-Ausflug Göttinger Studenten – diesmal ohne die Aufsicht durch begleitende Professoren – üblicherweise gestaltete, ist in zwei Briefen des Jurastudenten Johann Justus Oldekop (1772–1811) anschaulich über­ liefert. Im Mai 1793 und im Dezember 1794 unternahm er eine »LustReise nach Cassel« und berichtete anschließend jeweils seinen Eltern in Lüneburg davon, fast im Stil eines Reiseführers, der über die Sehenswürdigkeiten der Residenz­ stadt informiert. Erwähnt werden die besichtigten Plätze, Kirchen, Straßen, Park­anlagen, der Landgraf und natürlich auch die Gemäldegalerie und das Mu­ seum Fridericianum. Die Studenten versammelten sich auf dem Friedrichsplatz an der Statue des Museumsgründers und gingen dann in einer Gruppe geschlos­ sen hinein: »Als wir hier eine genugsam starke Gesellschaft zusammen gebracht hatten, begaben wir uns in das berühmte Museum […]. Hier stockt meine Be­ schreibung, denn gleich beym Eintritte in den ersten Saal wurden meine Augen gleich zu so mannigfaltigen Gegenständen gezogen, daß es mir ganz unmöglich ist, sie gehörig zu ordnen. Ich will nur das nennen, was mir am merkwürdigsten schien. 1) Das Zimmer mit der Mosaic Arbeit, worunter sich ein Stück befand, an dem schon über 20 Jahre gearbeitet war. 2) Das Zimmer mit den Modellen aus Korkholz von den berühmtesten altrömischen Gebäuden. 3) Der Saal mit den ausgestopften Thieren, worunter ein Elephant in LebensGröße, u. sehr viele ausländische Ungeheuer das merkwürdigste war. 4) Das Zimmer mit den Auto­ maten und Uhrwerken, worunter sich eine Statue befand, die zu einer gegebe­ nen Zeit eine Pistole losschoß und zugleich ein Licht anzündete, die also sehr gut als Wecker gebraucht werden konnte; das Perpetuum mobile, worin 2 silber­ ne Kugeln, wenn man eine gewisse Feder berührt, 8 Wochen lang im unaufhör­ lichen Kreislaufe liefen, nebst andern vortrefflichen KunstWerken. Vorzüglich auffallend war uns der Anblick, da sich an einem Ende eines Saals ein seidner Vorhang erhob, und man die ganze Landgräfl. Familie in aufsteigender Linie sehr täuschend in Wachs poussiert, zum Theil mit denen von ihnen eigenthüm­ lich getragenen Kleidern in alten Coustümen vor sich sah. Kaum konnten wir soviel Zeit gewinnen um noch die Bilder Gallerie zu besehen.«271

269 Geuns 1789, S. 235. 270 Die im Projet de Reglement vorgesehene Schließung des Museums über die Feiertage wird durch viele solcher Einträge widerlegt. 271 Zit. nach Wegner 1991, S.50–54.

128 Dass hier mehr die staunende Augenlust als ein forschendes Interesse im Vor­ dergrund stand, ist offensichtlich. Leider haben sich ähnlich ausführliche Schil­ derungen zu den oben erwähnten gemeinsamen Studienexkursionen von Studen­ ten und Professoren bislang nicht nachweisen lassen. Doch dürften hier, je nach Fachrichtung, etwa bei den Gruppen der Lichtenberg-Schüler, gezielter bestimm­ te Fragestellungen oder Schwerpunkte der Besichtigung überwogen haben. Parallel zu diesen vielen Studentennamen im Besucherbuch kann man in den entsprechenden Fremdenverzeichnissen der PCZ lesen: »Den 24ten […] 100 Stud. v. Gött. l. i. s. Adl. a. M. Strals. Hof v. Engl. i. Stern, gold. Adl. u. schw. Adl. a. d. o. N.«272 (d. h.:»100 Studenten von Göttingen logieren im schwarzen Adler am Markt, Stralsund, Hof von England, im Stern, im goldnen Adler und im schwarzen Adler auf der Oberneustadt.«) Bedenkt man, dass Kassel zu dieser Zeit rund 19.000 Einwohner zählte,273 so bedeutet dieser Studentenzustrom an einem Sommertag des Jahres 1774 eine enorme Belebung des städtischen Trei­ bens – zumal alle Reisenden Unterkunft in den heimischen Gasthöfen finden mussten. Die Infrastruktur Kassels im 18. Jahrhundert ermöglichte jedenfalls die Aufnahme großer und auch anspruchsvoller Touristenströme.

8. »Temple des sciences«: reisende Gelehrte als Besucher von Kunsthaus und Museum Fridericianum

8.1 Das Museum zwischen Gelehrtenstube und Welt

Auch zu Ende des 18. Jahrhunderts wurden noch »Museum« und »Gelehrten­ stube« in eins gesetzt. So spricht Wagner zu Faust in Goethes Tragödie:

»Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist, Und sieht die Welt kaum einen Feiertag, Kaum durch ein Fernglas, nur von weitem, Wie soll man sie durch Überredung leiten?«

Dabei war Goethe ja selbst in Kassel einer neuen, modernen Form von Mu­ seum begegnet, die durchaus der in Wagners Ausruf artikulierten Sehnsucht nach der Welt außerhalb der engen heimischen Studierstube entgegenkam. So bot das Museum Fridericianum den Gelehrten freien Zugang zu großzü­ gig gestalteten Sammlungsräumen unterschiedlicher Wissensbereiche, ver­ bunden mit Forschungsmöglichkeiten in der Bibliothek. Und der Austausch mit den vor Ort tätigen Fachwissenschaftlern konnte den Besuch ergänzen.

272 PCZ, 1774, S. 546. 273 Vgl. Wegner 1991, S. 35.

129 Hinzu kamen die beiden Kasseler Gelehrtengesellschaften – die Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste und die Société des Antiquités – sowie die Maler- und Bildhauerakademie, welche gleichfalls eine Anziehungskraft auf auswär­ tige Wissenschaftler ausübten bzw. welche sich umgekehrt gezielt an Gelehrte außerhalb von Stadt und Land wandten.274 Hier fanden sich folglich ideale Bedingungen für die Netzwerkbildung innerhalb der république des lettres, wie sie – neben der Briefkultur – ganz wesentlich durch das Reisen einschließ­ lich des Besuchs von Bibliotheken und Sammlungen und der persönlichen Begegnung mit anderen Gelehrten erfolgte.275 Das solcherart auf den Reisen gewonnene Wissen wurde häufig in Reiseberichten dokumentiert, die damit als erstrangiges Medium und wesentlicher Faktor zugleich im tiefgreifenden Umbruch des Wissenschaftssystems der Aufklärung anzusehen sind, wie ihn Wolfgang Lepenies als »Erfahrungsdruck« gedeutet hat,276 – eine Erfahrung, unter der es Goethes Wagner offensichtlich noch schmerzhaft mangelte. Angesichts dieser Bedeutung des Reisens für den Wissenserwerb und -austausch wundert es kaum, dass gerade Gelehrte aller Disziplinen – die Studenten eingerechnet – im Besucherbuch den größten Anteil ausmachen. Denn Kunsthaus und Museum Fridericianum zählten im Sinne der neueren Wissenschaftsgeschichte zu den herausragenden »Räumen des Wissens« oder den spezialisierten Orten der materiellen Wissensaneignung.277 Entspre­ chend nennen Gelehrte, darunter auch der Kustos Raspe selbst, die Institu­ tionen dann auch »Maison des sciences« (Kunsthaus)278 oder »Temple des sciences«279 (Museum Fridericianum).

274 Zur besonderen Sozietätenstruktur Kassels im 18. Jahrhundert. vgl. Volmer 2003, vor allem S. 88. 275 Vgl. Winfried Siebers: Beobachtung und Räsonnement. Typen, Beschreibungsformen und Öffentlichkeitsbezug der frühaufklärerischen Gelehrtenreise. In: Jäger 1992, S. 16–34; Ders.: Bildung auf Reisen. Bemerkungen zur Peregrinatio academica, Gelehrten- und Ge­ bildetenreise. In: Maurer 1999, S. 177–188; Zimmermann 2002. 276 Lepenies 1978, S. 16 ff. 277 Vgl. allgemein Mitchell G. Ash: Räume des Wissens – was und wo sind sie? Einleitung in das Thema. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 235–242; Reinhardt Brandt: Das Sammeln der Erkenntnis. In: Grote 1994, S. 21–33; Minges 1998; Anke te Heesen/E. C. Spary: Sammeln als Wissen. In: Heesen/Spary 2001, S. 7–21; Nicholas Jardine: Sammlung, Wissenschaft, Kulturgeschichte. In: ebd., S. 199–220; Kretschmann 2003; Siemer 2004. 278 So adressiert Abbé Collignon einen Brief an Raspe als an den »Directeur de la Maison des Sciences« (LMB, 4° Ms. hist. litt.2[Collignon:1). In einem Briefentwurf lädt Raspe ent­ sprechend ein: »Je prens la liberté de Vous inviter avec Mr. de Normann pour voir les collec­ tions de la Maison des Sciences a dix heures. Mylord Boston & Messrs Sargent y viendront aussi.« Das Brieffragment befindet sich in Raspes Sammlung »Varia collectanea antiquaria« (LMB, 8° Ms. philol. 3, Blatt 62). Auch Boswell bezeichnet das Kunsthaus als »maison des sciences«, vgl. Danziger/Reuter 1999, S. 44. 279 So nennt Jacques Emmanuel Roques de Maumont (1727–1805), Theologe und Dozent für Naturwissenschaften am Collegium anatomicum chirurgicum in Celle, das im Bau be­

130 In diesem Zusammenhang ist relevant, dass das Collegium Carolinum bis zu seiner endgültigen Auflösung 1791 dem Museum unmittelbar angegliedert war. Hierdurch hatten sowohl das Kunsthaus wie das Museum Fridericianum durchaus den Charakter eines akademischen Museums – denn die über Jahr­ hunderte gewachsenen Sammlungen wurden von den Professoren des Col­ legiums betreut, erweitert, arrangiert und zu Lehr- und Forschungszwecken genutzt.280 Der unmittelbare Umgang der Wissenschaftler mit den Objekten, wie er in den kleineren, privaten Kunstkammern möglich war, wurde mit der Präsentation der Sachen in öffentlichen Schauräumen zwar erschwert – deut­ lich erkennbar am bereits angeführten Beispiel der Gemmen. Doch gesellige wissenschaftliche Praktiken lebten auch noch im Museum Fridericianum fort, das damit gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen akademischer und nichtakademischer Tradition platziert erscheint. So heißt es zu Georg Forster im Vorlesungsverzeichnis des Collegium Carolinum von 1781/82: »Die Mine­ ralogie wird ebenderselbe so vortragen, dass er dabei die Herrschaftliche und seine eigene Sammlung vorzeigt.«281 Dieses Beispiel deutet zugleich an, dass und wie »Wissen« in diesem Museum weniger gespeichert, denn in einem stetigen Wandel und Austauschprozess produziert und inszeniert wurde.

8.2 Elefant und Nilpferd – Sammlungsobjekte zwischen Museum und Forschungslabor

Forschung, Diskussion mit auswärtigen Kollegen und Publikation im Kontext einer »öffentlichen« Sammlung betrieb, wie bereits oben erwähnt, besonders intensiv der für die Antiquitäten zuständige Kustos Raspe. Dass er sich nicht scheute, auch in Sammlungskomplexe überzugreifen, die eigentlich seinem Kol­ legen Prizier unterstanden, zeigt seine Auseinandersetzung mit den im Kunst­ haus vorhandenen Elefantenzähnen und -knochen. Die Anregung hierzu kam

findliche Museum bereits 1770 in einem Brief an Raspe: »Le Museum dont vous m’annoncez la naissance fera un honneur infini au Prince qui l’élève, & aux arts qu’il protège. Arrangé par vos soins, les objets qu’il contiendra, ne pourront qu’instruire les connoisseurs & plaire à tous ceux qui seront admis dans ce temple consacré à la nature, aux sciences & aux arts.« 40 Ms. hist. litt 2[Roques de Maumont:8. Roques de Maumont trug sich erst 20 Jahre später, nämlich am 20. September 1790, in das Besucherbuch ein. 280 In den letzten Jahren wuchs verstärkt das Interesse an akademischen Sammlungen, vgl. Nawa 2010; Ausst.Kat. Göttingen 2012; vgl. auch die drei umfangreichen Datenbanken zu Universitätssammlungen am Berliner Helmholtz-Zentrum: http://www.kulturtechnik. hu-berlin.de/content/universit%C3%A4tssammlungen (12.04.2014). Die mit dem Collegium Carolinum verbundenen historischen Sammlungen in Kassel, die heute über die verschiede­ nen Abteilungen der mhk, das Naturkundemuseum und die Universitätsbibliothek in Kassel sowie die anatomische Sammlung in Marburg verteilt sind, wurden hier jedoch nicht erfasst. 281 Zit. nach Mey 2002, S. 240.

131 Abb. 63: Versteinerte Mammutzähne aus dem historischen Bestand des Kunsthauses

aus London, schrieb ihm doch Sir John Pringle, den er zuvor persönlich zusam­ men mit Benjamin Franklin kennengelernt hatte,282 am 21. August 1767 von »our latest acquisation« für die Sammlung der Royal Society, nämlich Knochen und Zähne von rund 30 Elefanten oder vergleichbaren riesigen Kreaturen, »found near the river Ohio in the most inland parts of America« – eine Sensation, an der sich Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen in Folge wahrhaft selbst die Zähne ausbissen. Denn »[…] it is certain that at this day no live elephant is found any where in America, nor, as I am assured by Dr. Franklin, is there any tradition among the natives that any such animal ever existed in that con­ tinent. You have heard that elephants teeth are dug up in Sibiria that fact is cer­ tain; for we have several of them here, which seem to differ in nothing from the defenses283 of the American or African elephant. Dr. Franklin & I are thinking of ­making an exkursion next week to Paris, but intend to return by the begin­ ning of October. I wish you were with us.«284 Diese Briefstelle einschließlich der Ver­sicherung freundschaftlicher Bande zu den bedeutenden Kollegen in England veranlasste Raspe, eigene Überlegungen zu diesem Fossilienfund an­ zustellen – und sogleich in der naturhistorischen Sammlung des Kunsthauses

282 Raspe hatte die Bekanntschaft von Franklin und Pringle bei deren Reise nach Hanno­ ver und Göttingen im Juli 1766 gemacht. Vgl. hierzu auch Raspes Briefwechsel mit Benjamin Franklin, LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Franklin:1–4. Pringle wurde später Mitglied der Kasseler Société des Antiquités. 283 = défense (franz. für Stoßzahn). 284 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Pringle:5. Die Briefpassagen umfassen u. a. noch ausführliche Beschreibungen des morastigen Fundorts, Überlegungen, ob es sich bei den riesigen Krea­ turen überhaupt um »Elefanten« handele, eine Fragestellung, die die Anatomen auf den Plan rief (»our best anatomists here pretend that the grinders are not those of a granivorous, but of a carnivorous animal«), und zu den Ursachen, warum die Tiere an dieser Stelle verende­ ten. Einen Überblick über die Diskussion der »American bones« liefert Barrow 2009, S. 23 ff.

132 Abb. 64: Das präparierte Skelett des Goethe-Elefanten, heutige Aufstellung in der historischen Abteilung des Naturkundemuseums im Ottoneum nach Vergleichsobjekten zu schauen. In der Tat fanden sich hier einige Zähne (Abb. 63), die Raspe wenig später in seinem kenntnisreichen Aufsatz de Ossibus et Dentibus Elephantum (1769) im Publikationsorgan der Royal Society erwähnt: ausgegraben beim Bau der Kasseler Ober-Neustadt (»Neo-Casselensis«) und ein­ deutig Elefanten zugehörig: »Isti elephantini sunt.« Raspe weist darauf hin, dass er selbst »in museo publico« des Landgrafen für diese Exponate zuständig sei285 und betont damit auch die Doppelfunktion seiner Wirkungsstätte in Kassel als Forschungsstätte und öffentliches Museum zugleich. Dass nicht nur die »Ameri­ can bones«, sondern auch die Kasseler Elefantenzähne zu umwälzend neuen erd­ geschichtlichen Thesen jenseits der biblischen Zeitskala samt Sintflut286 führen,

285 Raspe 1770, S. 128. 286 So behauptete Franklins Freund Peter Collinson kurz nach Bekanntwerden des Fundes, dass zur Zeit der Sintflut »›these great floating bodies, the carcasses of drowned elephants‹, were driven to the northward, ›by the violent action of the winds and waves‹ and when the waters subsided they were ›deposited where they are now found‹«. Zit. nach List of Fossils

133 Abb. 65: Die Dermoplastik des Goethe-Elefanten im sog. »Elefantenstall«, einem Abstellraum im Naturkundemuseum, vor dem Abtransport ins Landgrafenmuseum, wo sie 1943 verbrannte. (Kasseler Post, 25.9.1938)

stellt Raspe in seinem Aufsatz dar: die Gestalt der Erdoberfläche verändere sich über große Zeitspannen hinweg stetig und in Folge wandele sich auch das Klima, so dass diese Elefantenrelikte unzweifelhaft die Überreste von ehemals dort le­ benden und nicht etwa eingeschwemmten Tieren darstellen müssen. Von einem solchen Phänomen hatte nach Raspes Auffassung jedenfalls nicht nur die Fach­ welt, sondern auch das Publikum zu erfahren – die entsprechenden Exponate im Kunsthaus konnten und sollten somit von jedermann besichtigt werden. Das wohl prominenteste Beispiel für einen weiteren solchen Prozess der Wissensgenerierung anhand eines Kasseler Museumsobjekts stellt der wesent­ lich jüngere Goethe-Elefant (Abb. 64) dar, der gleich zu einem ganzen Netz­ werk von Besuchern der Kasseler Sammlungen führt – haben sich doch die Hauptbeteiligten an der Diskussion um den Zwischenkieferknochen allesamt in das Besucherbuch eingetragen: allen voran der niederländische Anatom Petrus Camper (19. Oktober 1779), der im übrigen 1788 einige der amerika­ nischen Elefantenknochen erwarb,287 dann Goethe (2. Oktober 1783), dessen Lehrer in Osteologie Justus Christian Loder (1. Mai 1792), schließlich Herder (s. oben), Johann Heinrich Merck (25. Oktober 1780) und Blumenbach (1775, 1779 und 1788), der in Göttingen immerhin selbst über einen Elefantenschädel verfügte.288 Camper besuchte das Museum vermutlich gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Samuel Thomas Soemmerring, der seit 1779 Professor

Sent by George Croghan to the Earl of Shelburne and Benjamin Franklin, 7 February 1767, Founders Online, National Archives (http://founders.archives.gov/documents/Franklin/01- 14-02-0019#BNFN-01-14-02-0019-fn-0005; 8.6.2014). Quelle: The Papers of Benjamin Franklin, vol. 14, January 1 through December 31, 1767, hg. v. Leonard W. Labaree. New Haven/London 1970, S. 25–29. 287 Vgl. ebd., Anm. 7. 288 Vgl. Siemon 2012, S. 245.

134 Abb. 66. Nilpferd-Schädel aus dem historischen Bestand des Kunsthauses

am Collegium Carolinum in Kassel war, sich als Ortsansässiger jedoch nicht in das »Fremdenbuch« einzutragen hatte,289 und welcher wiederum zuvor ein Kommilitone Loders in Göttingen gewesen war. Im Besucherbuch prallen da­ mit gewissermaßen zugleich die Vertreter von These und Gegenthese aufein­ ander: denn Campers These vom Fehlen des Zwischenkieferknochens beim Menschen widersprach Goethe infolge seiner Studien an dem von Soemmer­ ring präparierten Kasseler Elefantenschädel – und alle weiteren hier genann­ ten Besucher gaben ihre eigenen Kommentare hinzu, wie etwa Herder bei sei­ nen Überlegungen zur Unterscheidung von Mensch und Orang-Utan in Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Camper hatte 1774 bereits selbst eine Elefantensektion vorgenommen – »die erste wirklich wissenschaftlich zu nennende«.290 Der Kasseler Elefant war jedoch erst 1780, also nach Campers Besuch, zu Tode gekommen und anschließend von Soemmerring seziert wor­ den. Bereits kurz danach muss die Elefantenhaut in das Museum Fridericianum gekommen sein, schreibt doch du Ry um 1784 über den großen Saal im linken Seitenflügel des Erdgeschosses: »[…] enthält eine sehr große Anzahl ausge­ stopfter Tiere, die zum großen Teil in der Kasseler Menagerie gelebt haben. Die Haut des Elefanten, der noch lebend in diese Menagerie gekommen war, hat hier drei Jahre die Mitte einer der Wände bedeckt.«291 Um 1784 war die Elefantenhaut also offenbar aus dem Museum verschwunden – um einige Zeit später jedoch wie Phoenix aus der Asche umso prächtiger wiederzukehren.

289 Später, nämlich zwischen dem 20. und 23. September 1792, trug sich jedoch seine Frau Margarethe ein: Nun zählte man, da aus Frankfurt/M. kommend, zu den »Fremden«, d. h. nicht am Ort Wohnenden. 290 Siemon 2012, S. 244. 291 Zit. nach Boehlke 1963, S. 101.

135 Denn der Besucher Christian Siegmund Krause lobt 1786 den »sehr verstaen­ dig ausgestopfte[n] Elephant[en]«.292 In der Zwischenzeit war also die Haut abgenommen, mit Holzstückchen gefüllt und wieder ins Museum verbracht worden (Abb. 65). Zeitlich parallel vollzogen sich die wissenschaftlichen Studien an dem Skelett, das sich also nicht, wie bislang angenommen,293 schon zu dieser Zeit im Muse­ um, sondern in Soemmerrings Obhut in der neuen, unter modernsten Gesichts­ punkten eingerichteten Anatomie in der Unterneustadt befunden haben muss (s. Abb. 31). Diese gilt, nebenbei bemerkt, als erstes eigenständiges anatomisches Institut Deutschlands.294 Hier dürfte es Goethe bei seinem Besuch im Oktober 1783 gesehen und gemeinsam mit Soemmerring einer ersten Studie unterzogen haben. 1784 erbat Goethe dann die Ausleihe des Schädels nach Eisenach, an­ schließend nahm er ihn noch auf ein paar Wochen mit nach Weimar. Neben dem Schädel des Elefanten fragte Goethe bei Soemmerring auch um die Ausleihe eines Nilpferdschädels an, »der, wenn ich nicht irre, in Museo liegt«.295 Über die­ ses potentielle »Goethe-Nilpferd« (Abb. 66) als zweite Leihgabe ist nichts weiter bekannt, der Elefantenschädel aber traf nach seiner Thüringen-Reise im Okto­ ber 1784 wohlbehalten wieder in Kassel ein. Im gleichen Jahr nahm Soemmer­ ring einen Ruf nach Mainz an und hinterließ bei seinem Weggang eine Liste der Stücke, die er zu seinem Leidwesen »dem anatomischen Theater in Cassel 1784 zurück ließ«, darunter »Ein vortreffliches Elephanten-Scelet, von 9 Fuß Höhe, durch seine natürliche Bänder zusammenhangend«.296 Drei Jahre später erfolg­ te die Versetzung des anatomischen Instituts nach Marburg – inklusive des erst 1779 eingeweihten Gebäudes samt Inventar. Das Elefantenskelett blieb jedoch in Kassel – und es bot sich nun die Chance für eine weitere Steigerung der musea­ len Präsentation und Inszenierung des Tiers: denn das ausgestopfte Tier wurde nun mit dem vollständigen Skelett kombiniert und beide zusammen effektvoll erhöht im Sammlungsraum platziert, was den Besucher Ludwig Lindenmeyer 1797 zu einer begeisterten Schilderung animierte: »Bei dem Eintritt ins andere Zimmer wird man außerordentlich überrascht, Linker Hand steht auf einer klei­ nen Erhöhung der Riese unter den vierfüßigen Tieren, der Elefant, ausgestopft

292 Krause findet sich nicht im Besucherbuch verzeichnet; offenbar hatte er nur das Erd­ geschoss des Museums besichtigt und war so nicht in das Handschriftenzimmer gelangt, in dem das Besucherbuch vermutlich auslag. Das Zitat entstammt seinen Briefen aus Kassel; zit. nach Vercamer, 514. 293 So schreibt Wenzel: »Nach der Fertigstellung der beiden Präparate, des von Soemmer­ ring hergestellten Skeletts und der von Schildbach ausgestopften Haut, wurden beide im 1779 vollendeten Museum Fridericianum ausgestellt.« Manfred Wenzel: Der »Goethe-Ele­ fant« in Kassel, 1773–1993. In: Wenzel 1994, S. 267–312, hier S. 284. 294 Käthe Heinemann: Das erste anatomische Institut in Deutschland. In: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, 41 (1957), S. 207–212. 295 Zit. nach Siemon 2012, S. 248. 296 Wenzel 1994, S. 285 f.

136 und daneben das Skelett desselben, bei deren Anblick man doppelt die Schönheit und Richtigkeit der Stelle aus Haller empfindet:

Du Hast den Elefant aus Erden aufgetürmet Und seinen Knochenberg beseelt!«297

Dass Lindenmeyer gerade aus einem Gedicht des Nestors der Göttinger Ana­ tomie, Albrecht von Haller (1708–1777), diesen Schöpfungsgedanken rezitiert, spricht durchaus dafür, dass er um die anatomischen Studien und Thesen wuss­ te, die sich um diese Elefantenteile rankten. Die Details der Zwischenkieferdiskussion im Kontext der Schöpfungsge­ schichte sind mittlerweile so gut aufgearbeitet,298 dass hier die Darstellung der museumsspezifischen Dimension genügen soll. Die posthume Elefantenbiogra­ phie zwischen Anatomie, Leihverkehr und Museum zeigt jedenfalls anschaulich, wie intensiv Museumsobjekte sowohl in die virulente Forschung einbezogen werden konnten als auch deren Einflüsse auf ihre sich wandelnde Präsentation.

8.3 »ein schöner Foetus von fünf Monat in Spiritusvini« – Geburtshelfer und weitere Mediziner als Museumsbesucher

Ist mit dem Kreis der Forscher um den Goethe-Elefanten ein kleiner, aber be­ deutender Teil der an anatomischen Fragen interessierten Museumsbesucher benannt, so zählt im weiteren Sinne zu dieser Gruppe noch die große Zahl an Medizinern aller Spezialgebiete. Insgesamt haben diese, sofern man die Medi­ zinstudenten hinzunimmt, einen besonders hohen Anteil unter den akademisch gebildeten Besuchern, was sicherlich nicht allein dem an sich traditionell breit angelegten Bildungsinteresse dieser Berufsgruppe geschuldet ist. Denn sicher­ lich hängt dies auch damit zusammen, dass bis zur Ausgliederung der Anatomie aus dem Kunsthaus 1779 hier auch das Anatomische Theater und die medizini­ sche Sammlung beherbergt war, darunter die erst 2005 wiederentdeckten Föten­ mumien (Abb. 67), eine Kasseler Besonderheit, die als Ergänzung zu den Feucht­ präparaten oder Skeletten vor allem dem Studium von Missbildungen diente.299 Schmincke schildert 1767 in seiner Beschreibung des Kunsthauses auch aus­ führlich die Anatomiekammer, die folglich nicht nur den Fachwissenschaftlern, sondern dem allgemeinen Publikum zugänglich war. Zu sehen gab es hier au­ ßer »einer großen Anzahl« chirurgischer Instrumente »eine starke Sammlung ost- und westindianischer« und anderer Tiere (Chamäleons, Salamander, »ein

297 Zit. nach Vercamer 2006., S. 523. 298 Vgl. Wenzel 1994, S. 267–312; zuletzt Siemon 2012. 299 Vgl. Füldner/Merker 2012.

137 Abb. 67: Fötenmumie (Kassel III), Anfang 18. Jahrhundert, aus dem Bestand des Kunsthauses

kleiner bunter Krokodill«, Kröten, Wachteln, Schlangen), »sodann verschiedene Geburten von 1 bis zu 7 Monaten, auch viele Misgeburten von Menschen und Thieren, und andere dergleichen natürliche Seltenheiten mehr, welche in Gläsern mit Spiritusvini erhalten werden.« Es folgen »Schwerder von Schwerd­fischen«, Straußeneier, »ein Kopf von einem Meerpferde oder Hippopotamus von unge­ heurer Grösse mit langen Zähnen« (vermutlich der von Goethe als Leihgabe erbetene Nilpferdkopf!), »viele Theile eines Elephanten und Wal­fisches« und weitere vergleichbare Exponate. An menschlichen Körpern erwähnt Schmincke­ vier, »davon zweene ausgestopfet, die andern zweene aber ausgedörret sind, und indianische Sandmumien genennet werden. Unten in dem Auditorio ­Carolino sind ebenfalls in einem Schranke einige Gerippe von unterschiedenem Alter von frischgebohrnen auch 2. 3. und fünfjährigen Kindern, nicht weniger von erwachsenen Menschen beyderley Geschlechts, besonders aber ein schöner Foe­tus von fünf Monat mit allem Zubehör, nebst andern Praeparatis des hie­ sigen Hofrath Hubers in Spiritusvini zu sehen.«300 Mit der Vielzahl an »natür­ lichen Seltenheiten« vom bunten Krokodil bis zum missgebildeten Fötus bot die Anatomiekammer im Kunsthaus eher den Eindruck eines Kuriositätenka­ binetts denn einer wohlgeordneten anatomischen Sammlung. Dennoch konnte sie als Lehr- und Forschungssammlung für die Professoren und Studenten des

300 Schmincke 1767, S. 189–191.

138 angeschlossenen Collegium Carolinum dienen und durchaus auch, wie das Bei­ spiel Goethes oder Blumenbachs zeigt,301 das Interesse auswärtiger Gelehrter wecken – wobei zu Goethes Zeit jedoch bereits im Sinne der modernen Ausdif­ ferenzierung der Wissenschaften eine Separierung der zoologischen (Museum Fridericianum) von den human-anatomischen (Anatomie) Sammlungsobjek­ ten erfolgt war. Einige anatomische Wachspräparate befanden sich aber auch noch bei der Sammlung von Mikroskopen im Museum, wie Samuel Christoph ­Wagener 1794 notierte: »Die Objecte sind mit bewundernswerther Kunst berei­ tet; z. B. ein Stück von der innern Haut dünner Menschengedärme, deren Zäser­ lein302 und Arterien mit rothem und deren Venen mit grünem Wachse angefül­ let sichtbar gemacht sind; ein Stück Schildkrötenlunge […]; die innere Haut der Gallblase von Menschen; die Haut und die innere Seite vom Augenliede[sic!] eines Kindes; die äußere Seite der Iris; eine Froschlunge, in deren netzförmigen Gefäßen man den Kreislauf des Blutes gut beobachten kann; ein Stück von ei­ nem Muskel […]. Die auf das Künstlichste mit Wachs angefüllten Gefäße aller dieser Körper sind in Gummi begraben, um sie vor der Zerstöhrung der Luft zu bewahren.«303 Bei dem von Schmincke erwähnten »Hofrath Huber« handelt es sich um ­Johann Jakob Huber (1707–1778). Der aus Basel stammende Mediziner war, ge­ fördert von Haller, seit 1738 Prosektor und Professor in Göttingen, von 1742 bis zu seinem Tod Professor der Anatomie und praktischen Chirurgie am Collegi­ um Carolinum.304 Er zählte zum Kreis Kasseler Medizinprofessoren, die, gleich Soemmerring, die Sammlungsbestände erheblich erweitert hatten und maßgeb­ lich das Renommee der Kasseler medizinischen Forschung und Lehre bestimm­ ten. Während der Laufzeit des Besucherbuchs hatte die medizinische Fakultät in Kassel in der Tat einen beachtlichen Ruf, was auch daran lag, dass Landgraf Friedrich II. ihren Ausbau besonders förderte und dem Carolinum Einrichtun­ gen angegliedert waren, die an manchen Universitäten noch zu den Desideraten gehörten – nicht zuletzt die umfangreichen naturwissenschaftlichen Sammlun­ gen, daneben das 1761 eingerichtete, überregional bedeutende Accouchier- und Findelhaus,305 ein botanischer Garten, die Menagerie, Militärlazarette und das 1785 eröffnete große Landkrankenhaus (Charité). Auch personell war die Aus­ stattung gut: so lehrten hier mehrere Jahre lang sechs Medizinprofessoren. Zum Vergleich: an der Landesuniversität Marburg waren es zu dieser Zeit nur zwei.

301 So erbat sich z. B. Blumenbach von Soemmerring die Ausleihe von Missgeburten aus der Kasseler landgräflichen Naturaliensammlung; vgl. Sigrid Oehler-Klein: Soemmerrings Werk aus seiner Kasseler Zeit. In: Wenzel 1994, S. 143–187, hier S. 182 f. 302 Zaser oder Zäser = Faser. 303 Wagener 1794, S. 184. 304 Strieder 1786 (6. Bd.), S. 224–236. 305 Bei der Kasseler Accouchieranstalt stand freilich eher die landesherrliche Fürsorge als Forschung und Lehre im Zentrum, vgl. Vanja 2004.

139 Abb. 68: Georg Wilhelm Stein, Beckenmesser. Aus: Eduard Caspar Jacob von Siebolds Abbildungen aus dem Gesammtgebiete der theoretisch-praktischen Geburtshülfe (2. Aufl., Berlin 1835)

Damit rangierte Kassel in Deutschland an vierter Stelle – nach Halle (elf), Leip­ zig (zehn) und Königsberg (acht).306 Neben Soemmerring bestimmten vor allem Georg Wilhelm Stein (1737–1803), der als ausgezeichneter Geburtshelfer galt, und Ernst Gottfried Baldinger (1738–1804), von der Göttinger Fakultät abgeworbener Professor Primarius, den hervorragenden Ruf der Kasseler Medizinerausbildung und -forschung. Durch eigene Studienreisen hatten die Professoren Erfahrun­ gen und Fachwissen erworben, das sie wiederum weitervermitteln konnten. So waren neben Huber und Stein auch Christoph Heinrich Böttger (1737–1781) und Theodor August Schleger (1727–1772) in Paris bzw. Straßburg zur Weiterbildung gewesen. Vor allem Stein war durch drei aufsehenerregende Kaiserschnittgebur­ ten (1772, 1778) sowie die Entwicklung von Instrumenten (Steinscher Beckenmes­ ser, Steinscher Geburtsstuhl) weit über Kassel hinaus bekannt (Abb. 68). Erst 1791 wurde der medizinische Unterricht in Kassel völlig eingestellt, als mit Stein der letzte der Kasseler Professoren der Versetzung an die Universität Marburg folgte. Es wundert also kaum, dass dieses Renommee der medizinischen Fakultät in Kassel Fachleute aus nah und fern anzog – nicht nur zum Austausch mit den vor Ort tätigen Kollegen, sondern auch, wie das Besucherbuch klar belegt, zum Besuch der Sammlungen in Kunsthaus und Museum Fridericianum. Von Steins

306 Vgl. insgesamt Mey 1994; zur personellen Ausstattung ebd., S. 52.

140 auffällig häufig vertretenen Fachkollegen, die allesamt auch als Hebammenleh­ rer und Gründer von Hebammenschulen tätig waren, ist an erster Stelle Fried­ rich Benjamin Osiander (1759–1822) zu nennen, der nach dem Medizinstudium in Tübingen und ärztlicher Praxis in Kirchheim/Teck mithilfe eines Stipendiums sein Studium zunächst in Straßburg, anschließend für fünf Monate in Kassel bei Stein im Bereich der Geburtshilfe forsetzte. Sein Eintrag in das Besucherbuch am 20. Oktober 1781 erfolgte vermutlich zu Beginn seines Studiums. 1792 wurde er Professor der Medizin und Entbindungskunst sowie Direktor des Klinikums und des neu errichteten Entbindungshauses in Göttingen. 1795 gründete er als erste fachwissenschaftliche Vereinigung von Geburtshelfern die Gesellschaft von Freunden der Entbindungswissenschaften. Unter seinen zahlreichen Schriften zur Gynäkologie und Geburtshilfe seien hier nur seine Publikationen über den von Stein entwickelten Geburtsstuhl (1790), das Lehrbuch der Hebammenkunst (1796) und das Lehrbuch der Entbindungskunst in drei Bänden (1799) genannt. Mit seinem Einsatz für operative Eingriffe bei Entbindungen, für die er auch selbst verschiedene Instrumente entwickelte, gilt er als einer der Begründer der modernen Geburtshilfe. Zu diesen zählt auch Johann Peter Weidmann (1751–1819), der sich am 27. Dezember 1783 in das Besucherbuch eintrug. Er war 1779 mit einer Arbeit über den Kaiserschnitt zum Dr. med. promoviert und danach zum Professor der Chirurgie und Geburtshilfe in Mainz ernannt worden. Seit 1802 war er auch Direktor der dortigen Entbindungsanstalt. Er gilt u. a. mit seinen Vorschlägen zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt gleichfalls als einer der bedeutenden deutschen Gynäkologen seiner Zeit. Weniger bekannt ist ein weiterer Fachmann auf diesem Gebiet, der am 4. Ap­ ril 1773 das Kunsthaus besuchte: der aus Montbéliard stammende David Charles Emmanuel Berdot (1738–1780), Leibarzt von Herzog Friedrich Eugen von Würt­ temberg, Freund und Korrespondent Albrecht von Hallers, war gleichfalls vor allem auf dem Gebiet der Geburtshilfe tätig und schlug im Jahr nach seinem Kassel-Aufenthalt vor, in Montbéliard eine Hebammenschule einzurichten – vermutlich unter dem Eindruck der Kasseler Accouchieranstalt und, da er ver­ mutlich nach Göttingen weiterreiste, auch der dortigen Geburtsklinik. Noch als Göttinger Student trug sich am 5. Juni 1781 Johann Heinrich Fischer (1759–1814) in das Besucherbuch ein, der sich nach einem abgebrochenen Theo­ logiestudium der Medizin zugewandt hatte. Auch er bildete sich nach der Pro­ motion bei Stein in Kassel weiter, bevor er seine Gelehrtenreise nach Holland, Frankreich und England fortsetzte. Später kehrte er als Professor der Medizin und Direktor der Hebammenanstalt nach Göttingen zurück. Seine Karriere be­ endete er schließlich ab 1803 als pfalzbayerischer Leibarzt und Geburtshelfer in München. Am 10. August 1787 schrieb sich Johann Christian Stark d. Ä. (1753–1811) in das Buch ein, Professor der Medizin und Direktor der Entbindungsanstalt in Jena sowie Leibarzt der herzoglichen Familie in Weimar. Bekannt ist er auch

141 als Friedrich Schillers Hausarzt von 1791 bis 1805. Stark entwickelte wie sein Kasseler Kollege Stein mehrere Instrumente für die Geburtshilfe und war auch Herausgeber der ersten deutschen Zeitschrift zur Geburtshilfe (Archiv für Ge­ burtshilfe, 1787–1804) sowie eines Handbuchs Hebammen-Unterricht in Gesprä­ chen (1802). Noch ein letzter aus diesem Umkreis sei genannt, der sich gleich zweimal in das Besucherbuch eingetragen hat: am 27. August 1778 und am 12. August 1784 besuchte der Erfurter Johann Friedrich Weissenborn (1750–1799) das Museum, beim ersten Mal zusammen mit einer gemeinsam aus Erfurt angereisten Grup­ pe, unter der sich auch seine Ehefrau Christiana Regina Sophia, geb. Stallforth befand, sowie das mit Weissenborn verschwägerte Kaufmannsehepaar Nagel. Dr. med. Weissenborn war seit 1773 Privatdozent an der Universität Erfurt, dazu seit 1778 Hebammenlehrer. 1779 wurde er außerordentlicher, 1790 ordentlicher Professor für Geburtshilfe. Daneben war er Mitinitiator der 1787 gegründeten Hebammen- und Entbindungsanstalt in Erfurt. Solcherart profitierte der Besucherzulauf im Museum von dem Ruf eines Fachmannes wie Stein: den Austausch mit den Kasseler Kollegen verknüpfte man offensichtlich gern mit einem Besuch der anatomischen sowie sonstigen Sammlungen. Unter den im Besucherbuch eingetragenen Medizinern finden sich, neben den auffällig vielen Spezialisten der Geburtshilfe, Vertreter aller Fachrichtungen. Breit angelegt waren etwa die Studien von Dr. med. Markus Herz (1747–1803), der nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre ab 1766 ein Studium der Philosophie und Medizin in Königsberg aufnahm und hier auch Schüler Kants war. Sein Studium setzte er in Berlin und Halle fort, finanziell unterstützt von dem Seidenfabrikanten und Kaufmann David Fried­ länder (1750–1834), der 1793 selbst zum Dr. med. promovierte. Herz war Arzt am neu gegründeten Jüdischen Hospital in Berlin. 1785 ernannte ihn Fürst Friedrich von Waldeck zum Hofrat und Leibarzt, 1787 der preußische König zum Titularprofessor der Philosophie. Herz, der in Berlin Privatvorlesungen zur Experimentalphysik und Philosophie hielt, ist vielleicht weniger bedeutend als Arzt, denn als Vorkämpfer der jüdischen Emanzipation in Deutschland, ge­ meinsam mit Moses Mendelssohn, Friedländer und dem ehemaligen Kasseler Professor Dohm.307 Herz besuchte das Museum am 10. Juli 1786 gemeinsam mit Friedländer. Zu den wenigen namhaften Spezialisten für Augenkrankheiten zu dieser Zeit gehört ein weiterer Besucher des Museums: Johann Friedrich Lobstein d. Ä. (1736–1784) trug wesentlich zum guten Ruf der Straßburger medizinischen Fakultät bei und hatte hier u. a. auch Goethes Interesse an Anatomie geweckt. Bereits 1773 erfolgte sein Ruf ans Collegium Carolinum in Kassel, den er frei­ lich nicht annahm. Aus Straßburg angereist war er zusammen mit dem Juristen

307 Christian Conrad Wilhelm Dohm, von 1776 bis 1779 Professor am Collegium Carolinum in Kassel, war anschließend in preußischen Diensten in Berlin tätig.

142 Abb. 69. Das fliegende College of Physicians, Illustration von Rudolf Erich Raspe zu seiner Fourth Edition der Münchhausen-Abenteuer, 1787

Christoph Wilhelm Edler von Koch (1737–1813). Vermutlich geschah die ge­ meinsame Reise (Eintrag am 13. Oktober 1779) im Kontext von dessen Ruf an die Göttinger Universität 1779, den er gleichfalls ausschlug. Erwähnt sei noch, dass Lobsteins Methode zur Beseitigung von Tränenfisteln, für die er spezielle Instrumente entwickelt hatte, bei einem weiteren Museumsbesucher leider fehl­ schlug: mehrere äußerst schmerzhafte Operationsversuche am Auge Herders mißlangen, wie dessen Verlobte Caroline Flachsland über seinen Aufenthalt in Straßburg 1770 ausführlich berichtet.308 Die Reihe bedeutender Ärzte unter den Museumsbesuchern ließe sich lange fortsetzen, nur noch einige sollen hier knapp erwähnt werden: der Schweizer

308 Herder 1820, S. 157 ff.

143 Johann Caspar Sulzer (1716–1799) gilt als Pionier auf dem Gebiet der Pocken­ impfung (Eintrag am 18. Oktober 1781), der Göttinger Professor August Gottlieb Richter (1742–1812) als Kapazität für Chirurgie (Eintrag am 16. Oktober 1772 und am 1. August 1778), ein weiterer Göttinger Professor, Otto Justus Arnemann (1763–1806) reüssierte vor allem auf dem Gebiet der experimentellen Physio­ logie und Pathologie (Eintrag Mitte Mai 1782). Zu den herausragenden Medi­ zinern zählt auch Johann Christian Reil (1759–1813), der am 26. August 1780 noch als Student von Göttingen aus das Museum besuchte. Reil engagierte sich später neben seiner eigentlichen medizinischen Tätigkeit stark für die Verbesse­ rung des öffentlichen Gesundheitswesens und eine humanere Behandlung von Geisteskranken und war auch Ratgeber Humboldts bei dem Aufbau der Ber­ liner Universität (1810). 1796 initiierte er die erste physiologische Zeitschrift der Welt (Archiv für Physiologie). Daneben fand er während seiner Tätigkeit in Halle noch Zeit für die Gründung von Badeanstalten einschließlich eines Kurtheaters. Doch vor allem mit seinen hirnanatomischen Arbeiten (Reil’sche Insel) setzte Reil, der 1808 den Begriff Psychiatrie prägte, Maßstäbe. Als letzter in dieser illustren Mediziner-Reihe sei ein Besucher aus Italien erwähnt, der sich dazu noch in hervorragender Gesellschaft befand: am 23. Ok­ tober 1784 trug sich Antonio Scarpa (1747–1832) in das Buch ein, seit 1782 Pro­ fessor für Anatomie in Pavia, der 1805 erster Wundarzt Napoleons wurde. Wie Lobstein war er bedeutend auf dem Gebiet der Augenheilkunde. Sein Aufent­ halt in Kassel geschah während seiner vom österreichischen Kaiser finanzierten Studienreise zu deutschen Universitäten, auf der er zeitweise von dem Physiker Alessandro Volta (1745–1827) begleitet wurde, der wie dieser Professor in Pavia war und der sich gleichfalls ins Besucherbuch eingetragen hat. Scarpa besaß eine bedeutende Gemäldesammlung, so dass ihn im Museum sicherlich nicht nur die fachspezifischen Objekte interessiert haben dürften. Die Interessensgebiete und Betätigungsfelder waren bei den vielen Fachkol­ legen durchaus breit, wie dies abschließend das Beispiel von Dr. med. Johann Kaempf (1726–1787) zeigt, der zur Zeit seines Besuchs (17. August 1780) Leib­arzt des Erbprinzen Wilhelm von Hessen-Kassel in Hanau war. Als Spezialist für Un­ terleibskrankheiten (Kämpf ’sches Klistier) verfasste er mehrere medizinische Lehr­ bücher, daneben aber auch Theaterstücke, u. a. Peter Squenz oder Die Welt will betrogen sein: ein medicinisches Lustspiel in drey Aufzügen (1776). Kaempfs Kampf galt in erster Linie der Hypochondrie, sei es mit Klistieren, sei es mit Lustspielen. Der Begründer des Besucherbuchs Raspe hatte selbst ein durchaus gemisch­ tes Verhältnis zur Medizin seiner Zeit – und seinem Freund Herder hätte er die Erfahrung mit Lobsteins Methode sicherlich gerne erspart. Vor dem Hinter­ grund solcher medizinischer Fehlschläge lässt er seinen Baron Münchhausen das Problem kurzerhand per Ballon lösen (Abb. 69), vielleicht eine Anspielung auf Soemmerring, der nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen am 1. No­ vember 1783 in Kassel den ersten Freiballon in Deutschland in Form einer gas­ gefüllten Schweinsblase aufsteigen lassen konnte, worüber Forster sogleich

144 Joseph Banks, dem Präsidenten der Royal Society, nach London berichtete.309 Münchhausen versetzt jedenfalls das »College of Physicians« für ein paar Mona­ te an den Himmel und damit außer Gefecht, mit außerordentlichen Folgen für den Krankenstand. Denn: ob eingebildete oder echte Gebrechen – alle waren bei der Bevökerung in dieser Zeit schlagartig verschwunden.

8.4 Die Portland-Vase auf Zwischenstopp: Altertumsforscher unterwegs

Im Juni 1788 schrieb Soemmerring rückblickend an Forster, dass die »durchgehen­ den Fremden […] unsere Wonne in Cassel« waren.310 Diese Aussage umfasste, im Zeitalter der Universalgelehrten, sicherlich nicht nur die engeren Grenzen des ei­ genen Fachgebiets, die der vielseitig interessierte Soemmerring – siehe entschwe­ bende Schweinsblase – selbst immer wieder zu durchstoßen suchte und vermochte. Hierzu zählt sein eigener Vortrag Über die Schönheit antiker Kinderköpfe vor den Mitgliedern der Sociéte des Antiquités 1779, in dem sich der Anatom intensiv mit den Proportionen des in der antiken Skulptur überlieferten »klassischen« griechi­ schen Profils – der »gradlinichten Nase« (so Soemmerring) – befasste (Abb. 70).311 Antiken- und Anatomiestudium greifen in diesen Ausführungen, denen er Vorar­ beiten Campers zum Gesichtswinkel und zur anatomischen Zeichenmethode zu­ grundelegte, eng ineinander. Und auch Forster, als Professor für Naturgeschichte bestallt, griff in mehreren Vorträgen vor der Gesellschaft seit Dezember 1778 The­ men der vergleichenden Kulturgeschichte, antiken Mythologie (Du Phenix, in den Memoires der Gesellschaft 1780 gedruckt) oder Naturphilosophie auf312 – Beleg für die Themenvielfalt der Vorträge wie der Forschungsinteressen der Mitglieder so­ wie vor allem für die fächerübergreifende Verzahnung von Schausammlung, For­ schung und Lehre in Museum und Hochschule. Die Arbeit der am Collegium Carolinum tätigen Professoren konnte somit ­Brücken zwischen den Disziplinen schlagen – in Soemmerrings Fall von der Anatomie zur Altertumswissenschaft – und zugleich Museumsexponate aus un­ terschiedlichsten Gebieten von Objekten der fürstlichen Repräsentation in Ge­ genstände des wissenschaftlichen Diskurses transferieren, ein Prozess, an dem neben der Sociéte des Antiquités vermutlich auch die zweite Kasseler Gelehrten­ gesellschaft, die Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste, Anteil hatte. Bislang

309 Brief an Joseph Banks vom 1.12.1783, Forster 1783, Brief 289, S. 507–509. Zu Soemmer­ rings Ballonversuchen: Wenzel 1994, S. 329–352. 310 Vgl. Mey 1999, S. 25. 311 Vgl. Sigrid Oehler-Klein: Anatomie und Kunstgeschichte. Soemmerrings Rede »Über die Schönheit antiker Kinderköpfe« vor der Société des Antiquités in Kassel (1779). Faksi­ mile und Transkription. In: Wenzel 1994, S. 189–239. Vgl. oben auch Philippine Gatterers Gedicht. 312 Vgl. Merz-Horn 1990, S. 27–55.

145 Abb. 70: Samuel Thomas Soemmerring, Vier Skizzen zu seinem Vortrag Über die Schönheit antiker Kinderköpfe, 1779

war weitgehend unbekannt, inwiefern sich auch die auswärtigen Mitglieder der Gesellschaften an diesem Prozess beteiligten, ja ob sie überhaupt je nach Kassel gereist waren und unmittelbaren Kontakt zu den Sammlungen wie zu den orts­ ansässigen Gelehrten hatten. Über das Besucherbuch lassen sich nun zahlreiche Hinweise hierzu finden. Zu den prominentesten Vertretern unter den angereisten Altertumskennern zählt sicherlich ein Gast, der sich bei seinem ersten Besuch 1777 als »Hervey Eveque de Derry« in das Besucherbuch eintrug (Abb. 71). Bischof von Derry war dieser Frederick August Hervey (1730–1803) seit 1768, und der Posten hatte ihm offensichtlich eine so reiche Pfründe verschafft, dass er von nun an als fanati­ scher Kunstliebhaber und Geologe mehr Zeit auf Reisen und vor allem in Italien verbrachte, als zuhause auf den britischen Inseln. »Lively, odd and half mad«313

313 Zu Bristol und seinen Reisen insgesamt: Ingamells, S. 126–130, hier S. 126.

146 Abb. 71. Hugh Douglas Hamilton, Porträt von Lord Bristol mit seiner Enkelin Caroline im Garten der Villa Borghese, Rom 1790

tat der im Jahr 1779 zum 4th Earl of Bristol aufgestiegene reisewütige Herr dem Ruf der Briten, zum Exzentrischen zu neigen, alle Ehre. Zuletzt von den franzö­ sischen Revolutionstruppen um seine exquisite Kunstsammlung gebracht, irrte er mit der Mitra über einer Nachtmütze, in Morgenmantel, goldverbrämtem kurzem Petticoat und Seidenstrümpfen durch Rom. Als er 1803 starb, kamen rund 800 Künstler zu seiner Trauerfeier – und zurück nach England kehrte sein Leichnam schließlich in einer Kiste, deklariert als antike Statue. Sein Besuch in Kassel 1777 geschah zu Beginn seines zweiten Italienaufent­ halts, und der Bischof wurde hier sogleich zum Ehrenmitglied der im selben Jahr gegründeten Société des Antiquités ernannt, die Landgraf Friedrich II. unmittel­ bar nach der eigenen Italienreise 1776, von der er selbstverständlich echte antike Statuen mitbrachte, ins Leben gerufen hatte. Bristol findet sich übrigens gleich dreimal unter den Namenszügen des Besucherbuchs – jeweils auf dem Weg nach Italien oder von dort zurück. Es läßt sich auch feststellen, dass der weltläufige Herr gar seinen 63. Geburtstag am 1. August 1793 im Museum Fridericianum zu­ brachte. Belege für weitere Besuche in Kassel314 finden sich in den Fremdenver­

314 In Italien blieb Bristol auch über die Malerfamilie Tischbein indirekt mit Kassel ver­ bunden (Johann Friedrich August Tischbein, Porträt von Lady Hervey mit Taube, 1778, Kunstsammlungen Weimar).

147 zeichnissen der PCZ. Hier ist zugleich dokumentiert, dass Bristol, der zum Na­ mensgeber so vieler erstklassiger Hotels weltweit wurde, tatsächlich in Kassels erstem Haus am Platz abgestiegen war. Beim ersten Besuch 1777 lautet die Notiz: »Holländ. Thor […] D. 14. Engl. Bischoff Hr. v. Herway, l. i. Gasth. a. Kön. Pl.«,315 das heißt, der Bischof kam in die Stadt durch das Holländische Tor und logierte im Gasthaus am Königsplatz. Auch bei seinen weiteren Kassel-Besuchen stieg er hier ab.316 Dieses Gasthaus fand bereits oben Erwähnung im Kontext von Goethes Rückkehr aus Frankreich 1792. Es wurde geführt von Madame le Goullon, Mut­ ter des Weimarer Hofkochs René François le Goullon.317 Herzogin Anna ­Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach hatte diesen 1777 – also im Jahr von Bristols ers­ tem Kassel-Besuch – auf der Durchreise in Kassel kennengelernt und ihn an­ schließend als Hofkoch angestellt.318 Le Goullon selbst wurde bis weit über die Grenzen Weimars hinaus bekannt, auch durch selbst verfasste Kochbücher, von denen Der neue Apicius oder die Bewirthung vornehmer Gäste (Weimar 1829) im Titel mit einer gelehrten Anlehnung an das aus der Antike überlieferte Kochbuch sowie einem kleinen Exkurs zur Geschichte der Tafelbräuche aufwartet.319 Und so verwundert es kaum, dass sich auch Le Goullon selbst gleich zweimal in das Besucherbuch eingetragen hat, nämlich am 17. September 1784 und am 30. Mai 1792 – weiterer Beleg für dessen eigenes Bildungsinteresse sowie für einen kul­ turellen und kulinarischen Austausch zwischen Kassel und Weimar. Mit seinen Nachbildungen antiker Ruinen in Backwerk sowie den von ihm ab 1792 pro­ duzierten »Zuckergemmen« (Abb. 72), kunstvoll modellierten Nachschöpfungen antiker wie neuzeitlicher Gemmen in farbigem und hellem Zuckerguss, wirkte er mit an der Popularisierung gelehrten Wissens über das Altertum.320 Neben­ bei erwähnt sei, dass er mit Hebe und Laokoon auch Gemmen aus Raspes Tas­ sie-Katalog nachbildete.321 Sein Besuch in Kassel diente sicherlich gezielt auch dem Studium der herausragenden Gemmensammlung und der Korkmodelle im

315 PCZ, 1777, S. 509. 316 In den Fremdenverzeichnissen der PCZ sind für die Jahre 1795 und 1796 weitere Besu­ che Bristols in Kassel belegt, so am 28. Juli 1795, 31. Juli 1795, 12. Juli 1796 und 18. September 1796. Zusätzliche Angaben legen Kuraufenthalte Bristols in Pyrmont und Hofgeismar nahe. 317 Vgl. zu Le Goullon insgesamt: Keim 2000. 318 Rita Seifert: Die Goullons in Weimar und Bad Berka. In: Amtsblatt der Stadt Berka, Mai 2006, S. 5 f., online: http://www.bad-berka.de/uploads/tx_bbamtsblatt/05_06.pdf (22.1.2013). 319 Genannt seien auch das Neujahrsgeschenk für Leckermäuler sowie das populärste mit dem zeittypisch langen Titel Der elegante Theetisch oder die Kunst, einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne großen Aufwand zu bewirthen, ein bis heute immer wieder aufgelegter Bestseller (z. B. Reprint Leipzig 1985). 320 Vgl. Ausst.Kat. Weimar 2012, S. 26–31. 321 Raspe 1791, Nr. 1324 und 9489 (Hebe: im Besitz von Mr. Digby; Laokoon: im Besitz des Königs von Frankreich).

148 Abb. 72: René François le Goullon, Gemmenabdrücke in zweifarbiger Zuckerpaste mit Faltschachtel, nach 1792; im Vordergrund Hebe mit dem Adler nach einer Vorlage in Raspes Tassie-Katalog (Raspe 1791)

Museum Fridericianum. Hätte dieses wiederum bereits in seinen Anfangsjahren einen Museumsshop besessen – solche Zuckergemmen, wie sie der Weimarer Altertumswissenschaftler Karl August Böttiger im Journal des Luxus und der Mo­ den 1792 als Erfindung pries, »die Kunst und Mythologie der Alten beym Dessert zu studieren!«,322 wären mit Sicherheit ein Verkaufsschlager gewesen. Die Grenze zwischen Altertumsforschern, -sammlern und -liebhabern war, wie diese Beispiele zeigen, also durchaus fließend. Entsprechend breit war auch

322 Böttiger schreibt in seinem kleinen Artikel Die Römische Bonbonniere: »Es ist ohnstrei­ tig eine Charakteristik unsers neueren Luxus, seine sinnlichen Genüße zu verfeinern, mehr zu vergeistigen, und ihnen einen Anstrich von Wissenschaft und Kunst-Geschmack zu geben[…]. Ein Beweis davon sind die Bonbonnières à l’Antique, eine sehr artige und ge­ schmackvolle Mode die jetzt auf den Tafeln der Großen in Rom beym Dessert herrscht. Man setzt nemlich sehr sauber mit Trangant-Arbeit à l’Antique verzierte […] Carton-Dosen oder Schachteln voll Zucker-Pastillen […] mit auf, die alle in Glas-Pasten der schönsten geschnittenen Steine […] ausgedruckt sind, und also lauter eßbare antique Gemmen von verschiedenen Farben vorstellen. Man hat auf diese Art eine ganze kleine Dactyliothek von Zucker vor sich, aus der man sich z. B. einen olympischen Jupiter, eine schöne Medusa Stroz­ zia, eine weinende Andromacha, einen Ulyß, einen Cäsar […] einen Homer […] oder eine Leda […] auf den Teller nehmen und auf der Zunge zerschmelzen lassen kann. In der That ist dieß eine sehr artige geschmackvolle Conditor-Spielerey, die zu tausend witzigen Scher­ zen und der guten Laune des Nachtisches viel beyträgt.« Journal des Luxus und der Moden, Jg. 7, Januar 1792, S. 54 f.

149 das Personenspektrum der Kasseler Altertumsgesellschaft, deren Bedeutung so­ wohl für die Sozietätenstruktur der Aufklärungszeit wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Antike erst in jüngerer Zeit neu bewertet wird.323 Die Mitgliederverzeichnisse324 nennen europaweit zahlreiche bedeutende Na­ men aus Adel und Klerus, Wissenschaft und Verwaltung – von Kardinal Albani bis Voltaire (Abb. 73). Letzteren hatte Landgraf Friedrich II. bereits 1743 in Ber­ lin kennengelernt, 1753 in Schloss Wabern als Logis-Gast bewirtet und 1766 in Ferney besucht. Dieser freundschaftlichen Verbindung verdankte im übrigen auch Jean Pierre Louis Marquis de Luchet (1740–1792) die Berufung auf zahlrei­ che Posten im kulturellen Leben der Residenzstadt, u. a. seit 1777 auch als Sekre­ tär der Société des Antiquités.325 Dass all die illustren Namen in der Mitglieder­ liste nicht nur – wie bislang angenommen – eine rein repräsentative Funktion hatten, sondern dass eine beträchtliche Anzahl dieser Personen selbst in Kassel war, die Sammlungen besichtigt und unmittelbaren Kontakt zu den hier täti­ gen Mitgliedern der Gesellschaft geknüpft hatte, vermag beispielhaft der Besuch Bristols zu belegen. Im Besucherbuch des Museums lassen sich darüber hinaus zahlreiche, bislang nicht in Kassel nachgewiesene Mitglieder der Gesellschaft finden, so z. B. der österreichische Gesandte Johann Amadeus Franz de Paula Freiherr von Thugut (1736–1818), zu dieser Zeit wichtigster Vermittler zwischen Maria Theresia und Friedrich dem Großen, der, wie parallel den Akten der Ge­ sellschaft zu entnehmen ist, am Tag seines Museumsbesuchs (23. Oktober 1779) von Landgraf Friedrich bei einer Sitzung der Gesellschaft zum Ehrenmitglied ernannt wurde.326 Wie an diesem Beispiel ersichtlich ist, konnten sich durchaus diplomatische und archäologische Interessen vermengen. Der enge Zusammenhang von Museumsgründung und wissenschaftlicher Erschließung der Sammlungen durch die Gesellschaft wird auch durch die Tat­ sache unterstrichen, dass im Jahr der Museumseröffnung 1779 auf einen Schlag mehrere Mitglieder der Society of Antiquaries unter die Ehrenmitglieder auf­ genommen wurden, darunter deren Präsident Jeremiah Milles und der Sekre­ tär Thomas Morell,327 sowie auch der Gemmen-Spezialist und -Sammler Frans Hemsterhuis (1721–1790), dessen Name sich einige Zeit später (29. Oktober 1785) dann auch im Besucherbuch wiederfindet, vermutlich auf der Rückkehr von Weimar nach Münster.328 Auch Christian Gottlob Heyne (30. Juli 1787), Ed­

323 Vgl. insgesamt Volmer 2003. 324 Der hessen-kasselsche Staatskalender publizierte ab 1778 jedes Jahr den aktuellen Mit­ gliederstand. Hier läßt sich erkennen, dass die Mitgliederzahl auch nach dem Tod von Land­ graf Friedrich II. kontinuierlich wuchs. 325 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 83 f. 326 LMB, 2° Ms. Hass. 241,192. 327 StKl HK 1779, S. 94. Milles hier unter »Dr. Miller«. 328 Im September 1785 besuchte Amalia Fürstin Gallitzin, begleitet von Hemsterhuis und Fürstenberg, Goethe in Weimar. In der PCZ heißt es entsprechend: »D. 29. I. D. Fürstin von

150 Abb. 73: Josiah Wedgwood und Thomas Bentley, Voltaire, Steingut, 1779

ward King (27. September 1773) oder Joseph Planta (11. August 1785) gehören zu den prominenten Mitgliedern der Kasseler Gesellschaft, deren Anwesenheit im Museum über den Eintrag in das Besucherbuch belegt ist. Sie alle trugen dazu bei, dass die Kasseler Antiken zu Objekten des wissenschaftlichen oder zumindest kennerschaftlichen Diskurses wurden. Weitere Studien könnten er­ hellen, wie sich der Kontakt vor oder nach dem Besuch in Kassel gestaltete, etwa durch Vermittlung von Sammlungsgegenständen oder Einbindung in die

Gallizin, nebst Suite, l. i. G. a. K. P.« (PCZ, 1785, S. 897) Man nahm also, wie üblicherweise auch Goethe, Logis im Gasthaus am Königsplatz. Gallitzin und Fürstenberg trugen sich bei diesem Aufenthalt jedoch nicht in das Besucherbuch ein. Zu Hemsterhuis’ Gemmensamm­ lung vgl. auch Wokalek 2012.

151 Abb. 74: Simon Heinrich Steitz, Vase mit Delphinfüßen, nach dem Vorbild von Wedgwood hergestellt in der landgräflichen Fabrik in Kassel

Diskussionen der Gesellschaften. Da sich die umfangreichen Akten­pakte der Société (u. a. Sitzungsprotokolle, Korrespondenz, Vortragsmanuskripte) glückli­ cherweise erhalten haben, dürfte eine systematische Auswertung dieser Quellen ergänzend wichtige Erkenntnisse bringen.329 Zum engeren »Publikum der Antiken« gehören auch die zahlreichen Altphi­ lologen, Schriftsteller, Künstler, Architekten, Händler und Kunsthandwerker, die sich im Besucherbuch eingetragen haben. Stellvertretend genannt seien: der Mythologie-Forscher Georg Friedrich Creuzer, der Berliner Architekt Friedrich Gilly, neben den bereits genannten Schriftstellern Goethe, Herder, Hölderlin und Merck auch Christian Garve, Friedrich Heinrich Jacobi oder Johann Cas­ par Lavater, die Fürstin Gallitzin, Wilhelm von Humboldt, die Brüder Josiah II und Thomas Wedgwood, Söhne und Nachfolger des Tonwarenfabrikanten Jo­ siah Wedgwood (1730–1795), samt ihrem Vetter Thomas Byerley, der die Firma später übernahm (Abb. 73, 74), der Leipziger Kunsthändler und Gipsabformer

329 LMB, 2° Ms. Hass. 241. Als Beispiel sei die Korrespondenz über die bei der landgräfli­ chen Italienreise erworbene Apis-Statuette erwähnt: bereits im Gründungsjahr der Gesell­ schaft schickte man an den Präsidenten der Society of Antiquaries in London, Jeremiah Mil­ les (1714–1784), einen von zwei Kupferstichen begleiteten Brief und bat ihn um Hinweise; vgl. LMB, 2° Ms. Hass. 241, 596–598. Auch an die auswärtigen Ehrenmitglieder, den Gene­ ralmajor von Cocceji in Berlin, Pater Fuchs in Seligenstadt und Prof. Oberlin in Straßburg, sandte man entsprechende Briefe (vgl. Ausst.Kat. Kassel 1979, Kat.Nr. 455). Alle vier lassen sich freilich im Besucherbuch nicht eindeutig nachweisen.

152 Abb. 75: Hugh Douglas Hamilton, Porträt Frederick North, später Fifth Earl of Guilford, in Rom, um 1785/90

Carl Christian Heinrich Rost, der Stuttgarter Hofmaler Philipp Friedrich von Hetsch, Christoph Heinrich Kniep, Mitarbeiter an dem von Tischbein edierten Katalog der Vasensammlung William Hamiltons, die bereits genannte Friede­ rike Brun oder Abbate Vincenzo Mazzola, der 1785 im Auftrag des gleichfalls schon erwähnten Lamberg-Sprinzenstein Grabungen bei Neapel durchgeführt hatte und als einer der ersten gilt, der Schellack zur Vasen-Konservierung ein­ setzte. Von einigen wird weiter unten noch ausführlicher zu lesen sein. Alle­ samt waren bedeutende Teilhaber und Vermittler eines umfassenden Prozesses der Wissensaneignung über das Altertum, deren Anwesenheit in den Kasseler Sammlungen durch das Besucherbuch belegt ist. Die Altertumsspezialisten waren unter den Museumsbesuchern insgesamt also stark vertreten, darunter wiederum speziell einige für die englische Anti­ kenrezeption der Zeit herausragende Namen. Erwähnt seien hier – neben Lord Bristol, Lord Elgin und den Brüdern Wedgwood – auch der Sammler und In­ terieur-Designer Thomas Hope (1769–1831), Besitzer des berühmten Hope Di­ onysos (jetzt Metroplitan Museum of Art, New York) und Verfasser u. a. von

153 Costumes of the Ancients (1809). Letzteren spülten wiederum im November 1794 die Wirren der Französischen Revolution nach Kassel. Ende März 1795 trug sich mit »Frederic North Secretaire d’Etat de Sa Majesté Britannique dans le royau­ me de Corse« ein weiterer englischer Antikenkenner ein (Abb. 75). North, 5th Earl of Guilford (1766–1827), seit 1794 Mitglied der Royal Society, war 1795 zum britischen Staatssekretär auf Korsika ernannt worden und befand sich zu dieser Zeit vermutlich auf dem Weg nach Süden. Später wurde er Gouverneur von Ceylon. 1824 ließ er sich auf Korfu nieder, wo er die Ionische Akademie als ers­ te Universität des modernen Griechenlands begründete. Das Museum in Kas­ sel besuchte er gemeinsam mit seinem Privatsekretär William Brummell, Vater des für seinen eleganten Lebensstil als Beau Brummell bekannten George Bryan Brummell (1778–1840). Unter den bedeutenden Altertumsforschern sei zuletzt noch ein weiterer Bri­ te hervorgehoben, dessen Besuch in Kassel Ende Juli 1783 durch das Besucher­ buch belegt und zugleich durch weitere Zeugnisse erhellt wird. So heißt es in einem Brief von Georg Forster an seinen Kollegen Friedrich Christoph Schmin­ cke, der als Nachfolger Raspes die Antiken betreute: »Seine Excellenz der Ritter Hamilton, Königlich Grosbritannischer Gesandter zu Neapel, und Mitglied un­ serer Antiquitäten Gesellschaft, wünscht Ew. Wohlgebohrnen kennen zu lernen, und das Museum heute zu sehen; Solte es wohl Ew. Wohlgebohrnen um 10 Uhr gelegen seyn?« (Abb. 76) Die Verabredung klappte, denn unter dem gleichen Datum (28. Juli 1783) findet sich Hamiltons Eintrag im Besucherbuch. Einem weiteren Brief Forsters vom folgenden Tag ist zu entnehmen, dass nicht nur ein solch hochrangiger Besucher, sondern ein ebenso prominentes Kunstwerk in Kassel Station machte, aber gleichfalls leider nicht blieb. Denn als Hamilton im Mai 1783 von Neapel zur Beisetzung seiner ersten Frau nach England aufgebro­ chen war,330 hatte er Hochkarätiges im Gepäck. So heißt es in Forsters zweitem Brief an Schmincke: »Noch hat es an Gelegenheit gefehlt, Seine Excellenz den Herrn Ritter Hamilton um Bestimmung einer gelegenen Zeit zu bitten, wenn Ew. Wohlgebohrnen die schöne Barberinische Vase sehen könnten; allein da der Herr Ritter nicht nach Hof Geismar gehen sondern heut hier bleiben wollen, will ich sehen es dahin einzuleiten, daß er heut Nachmittag Ew. Wohlgebohrnen Besuch annehmen könne […]«.331 Da Hamilton im Gasthaus Hof von England abgestiegen war, wie man dem Fremdenverzeichnis der PCZ entnehmen kann, fand das Treffen vermutlich dort statt. Über den Eintrag in das Besucherbuch und die Briefstellen wird der Be­ such des britischen Gesandten in Kassel 1783 anschaulich, der, wie Forster erwähnt, auch zu den Ehrenmitgliedern der Société des Antiquités zählte (seit

330 Vgl. Ingamells, S. 453–460. Lady Catherine Hamilton war am 25. August 1782 in Neapel verstorben und ihr Leichnam war bereits im Herbst 1782 mit einem schwedischen Schiff nach England überführt worden. Vgl. Ausst.Kat. London 1996, S. 17. 331 Forster 1783, S. 465

154 Abb. 76: David Allan, Porträt Sir William Hamilton, 1775. Im Hintergrund ist der rauchende Vesuv zu sehen, rechts ein Kabinettschrank mit Objekten aus Hamiltons Antikensammlung.

1777). Es ergeben sich Informationen zu Datum, Aufenthaltsdauer und Ak­ tivitäten sowie zur Tatsache, dass die berühmte Barberinische Vase, die nach ihrer späteren Besitzerin heute den Namen Portland-Vase trägt (Abb. 77),332 Hamilton zurück in dessen Heimat begleitete und unterwegs Gegenstand der Kommunikation unter Kennern war. Vermutlich reiste der Gesandte an­ schließend, wie Forsters Brief andeutet, nach Hofgeismar weiter, um Landgraf Friedrich zu treffen, der sich während der heißen Sommerwochen dort zum Bad aufhielt333 und den Hamilton bereits im April 1777 bei dessen Italienrei­ se in Neapel kennengelernt haben dürfte. Die Vase wäre mit Sicherheit auch bei Friedrich auf großes Interesse gestoßen. Erwähnt sei, dass Hamilton das Museum am gleichen Tag wie Christian Cay Lorenz Hirschfeld, wichtigster deutscher Gartentheoretiker seiner Zeit, besuchte hatte – auch er ein Kenner

332 Die Vase gilt als das »most famous of all objects to have passed through Sir William’s hands.« Vgl. Ausst.Kat. London 1996, Kat. Nr. 63. 333 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 138.

155 Abb. 77: Portland- (früher Barberini-) Vase, Glas, vermutlich Rom, 1. Viertel 1. Jahrhundert

der Antike und Antikenrezeption, wie er z. B. im 3. Band seiner Theorie der Gartenkunst (1780) im Abschnitt »Von den Statuen, Monumenten und In­ schriften« belegt. Die Portland-Vase, deren Nachbildung später auch zum Firmenzeichen der sog. »Wedgwoodware« fungierte, wurde auch Thema eines wissenschaftlichen Vortrags in der Société des Antiquités, denn der hannoversche Berghauptmann August Ferdinand von Veltheim, gleichfalls Ehrenmitglied seit ihrer Gründung 1777, stellte 1792 vor der Gesellschaft seine Abhandlung über die berühmte Vase vor und verweist auch darauf, sie bei Hamiltons Aufenthalt in Deutschland selbst gesehen zu haben.334 Mit Forster selbst dürfte sich Hamilton vor allem über naturwissenschaft­ liche Themen ausgetauscht haben. Drei Tage später schon berichtete dieser

334 »Ich habe nicht nur beym Ritter Hamilton, als er durch Deutschland reiste, das Origi­ nal selbst, sondern noch neuerlich die herrliche Copie des Herrn Wedgwood mit der äus­ sersten Aufmerksamkeit betrachtet.« Veltheim 1791, S. 17.

156 seinem Verleger Spener von dem enormen »Zuwachs an Kenntnissen […] durch den Umgang mit meinem lieben Sir William Hamilton aus Neapel.« Und er schrieb sogleich auch Joseph Banks nach London, von den »two days together«, die ihm Hamilton in Kassel vergönnt habe.335 Möglicherweise ging es dabei auch um die Thesen zum vulkanischen Ursprung der Erdoberflä­ che, über die sich Hamilton bereits mit dem ehemaligen Kustos Raspe aus­ getauscht hatte und welcher wiederum bei Forster in London zu Beginn sei­ nes Exils 1776/77 gewohnt hatte. Hamiltons Interesse an Vasen und Vulkanen war jedenfalls ungebrochen, und in der musealen Inszenierung von Hackerts Vesuv­ausbruch (s. Abb. 81) in Kombination mit den Lavabrocken dürfte er – fern von Neapel – einen sanften Widerhall seiner realen Erfahrungen mit dem jüngst neuerwachten Vulkan empfunden haben. Auf gleicher Ebene wie die antiken Statuen platziert, lenkte die Präsentation den Blick von der Natur auf die menschlichen Artefakte und wieder zurück und trug damit dem zeit­ genössisch virulenten Interesse sowohl an der Natur-, wie an der Kulturge­ schichte Rechnung und schrieb die Tradition einer Wahlverwandtschaft zwi­ schen Erdgeschichte und Archäologie fort.336 Ein Nachklang dieser Nähe beider Forschungsgebiete findet sich in Raspes Münchhausen-Erzählungen (Abb. 78): Der Baron springt als Vulkanismus-Ex­ perte in den Krater des Ätna – und landet unten in der antiken Mythologie, nämlich bei Venus und Vulkan.

8.5 »Mosaikboden der Hölle« – Naturerforschung zwischen Vulkan und Neptun: Mineralogen und Vertreter verwandter Disziplinen

Wie wichtig die Bereitschaft zum Reisen für die Erforschung der Erdgeschichte war und ist, formuliert zugespitzt Münchhausens kühner Sprung gen Erdmittel­ punkt, welcher zugleich auch all die vielen realen und prominenten Vulkantou­ risten seiner Zeit auf die Schippe nimmt – darunter auch Landgraf Friedrich II., der im Februar 1777 den Vesuv erklommen hatte. Dem Erfinder des »Lügen­ barons« Raspe war selbst freilich nach der Flucht aus Kassel die Möglichkeit genommen, ähnliche Expeditionen zu unternehmen – seine topographischen, mineralogischen und geologischen Studien mussten sich künftig auf die briti­ schen Inseln beschränken. Welches Spektakel sich wirklich beim Besuch eines Vulkans bot, schilderten nicht nur seine Fachkollegen, sondern auch viele andere Italienreisende, darun­ ter der bereits 1778 im Besucherbuch belegte August von Kotzebue. Schaudernd stand er am Rand des aktiven Vesuv und schaute hinab, ein Anblick, der selbst

335 Forster 1783, Brief 262 (Spener), S. 466 f., Brief 263 (Banks), S. 467. 336 Vgl. Felfe 2003, S. 209.

157 Abb. 78: Münchhausen springt in den Ätna und trifft im Innern Venus – im Stil der Venus Medici (s. oben Abb. 52) – und Vulkan. Lithographie von Theodor Hosemann, 1839

158 diesem Vielschreiber vorübergehend die Sprache verschlug: »Hier stand ich auf einer schmalen Bergwand, durch eine rauchende Kluft, höchstens zehn Schritte breit, von einer ähnlichen getrennt, welche dem Krater selbst zur Einfassung diente. Hier sah und hörte ich – wer leihet mir eine Sprache für das, was ich sah und hörte!« Die erbetenen Worte kamen, denn er schrieb sogleich sprachgewal­ tig weiter: »In der Tiefe des Berges kochte und brauste es fürchterlich, wie der stärkste Orkan; zuweilen aber – und das machte auf meine Sinne den tiefsten Eindruck – erfolgte plötzlich eine Todtenstille von einigen Secunden, dann er­ hob sich das Brausen doppelt stark, und der Rauch quoll dichter und schwärzer hervor. Es war, als habe der Berggeist den Schlund plötzlich verstopfen wollen, aber die Flamme habe sich nicht einkerkern lassen, sondern sey mit verdoppel­ ter Wuth hervorgebrochen. So weit mein Auge reichte, hatte der Vulkan seine gräßlich bunte Decke aus­ gebreitet, der gelbe Schwefel, die schwarzen Schlacken, das blendend weiße Salz, der graue Bimsstein, das moosgrüne Kupfer, die Metallflittern, Alles das bilde­ te zusammengenommen den Mosaikboden der Hölle […] Nicht ohne Beklom­ menheit genoß ich den Anblick dieses fürchterlich-schönen Schauspiels etwa eine Viertelstunde lang.«337 Begegnete Münchhausen in der Tiefe des Kraterschlunds antiken Gottheiten, so blickte Kotzebue dagegen offenbar dem Teufel als Gestalter des »fürchter­ lich-schönen Schauspiels« ins Antlitz. Mit dem Vulkan als Eingang zur Hölle verwendete Kotzebue ein seit dem Mittelalter geläufiges Bild, begegnete ihm aber aus der Warte des aufgeklärten Jahrhunderts zumindest leicht gewappnet: mit der Stoppuhr in der Hand (»eine Viertelstunde«) und naturwissenschaftli­ chen Kenntnissen zu all den chemischen Substanzen, Mineralien und Gesteins­ arten, die hier dem Gestalter des höllischen »Mosaikbodens« zur Verfügung standen. Das »wissenschaftliche Abenteuer« Münchhausens am Ätna338 und Kotze­ bues eher metaphysisches Vesuverlebnis markieren die Spanne, in der sich das große zeitgenössische Interesse an solchen Naturphänomenen und den damit verbundenen Theorien zur Erdgeschichte bewegte – und die mit Kassel durch­ aus einen gemeinsamen geographischen Bezugspunkt hatten. Denn durch Ras­ pe war hier die Diskussion um die dominanten Kräfte für die Erdgestaltung, die schließlich 1787 im sog. »Basaltstreit« gipfelte, entfacht worden – die un­ terschiedlichen Positionen personifiziert in den antiken Göttergestalten Vulkan (Feuer) und Neptun (Wasser). Bereits 1763 hatte Raspe seine erste erdgeschichtliche Publikation Specimen historiae naturalis globi terraquei veröffentlicht, die auf den Thesen des britischen Naturwissenschaftlers Robert Hooke (1635-1702) aufbaute. Von ihm übernahm

337 Kotzebue 1805, S. 245 f. 338 Zu weiteren »wissenschaftlichen Abenteuern« Münchhausens, wie dem Flug zum Mond und der Wiedergeburt aus dem Wal, vgl. insgesamt Beese 2014.

159 Raspe die Vorstellung vom wesentlichen Einfluss vulkanischer Kräfte auf die ­Ge staltung der Erdoberfläche. Für den aus dem Flachland Hannovers stammenden Raspe muss die Berufung nach Kassel 1767 dann geradezu mit einem geohisto­ rischen Schlüsselerlebnis verbunden gewesen sein. Die auffälligen Gebirgskegel rund um Kassel mit ihren zum Teil bizarren Basaltformationen gaben, wie er selbst später schrieb, »meinen Begriffen über das alles eine ganz andre Rich­ tung«,339 und er suchte nachzuweisen, dass eben diese Basalte vulkanischen Ur­ sprungs seien – Thesen, die in Folge die Geowissenschaft in die zwei Lager der Vulkanisten und Neptunisten spalteten.340 Selbst Goethe, als ein entschiedener Neptunist, konnte nicht umhin, den von ihm sonst ungenannten Raspe als frü­ hen und exponiertesten deutschen Vertreter des Vulkanismus zu bezeichnen.341 Raspe, der die Berge um das Kasseler Becken wiederholt persönlich erkun­ det, zahlreiche Mineralien gesammelt und an diesen auch einfache chemische Analysen durchgeführt hatte, korrespondierte ausführlich mit Gelehrten aus ganz Europa über seine Funde und Thesen. So hatte er sich u. a. mit William Hamilton in Neapel ausgetauscht und dadurch Vergleichsmöglichkeiten mit Be­ funden an italienischen Vulkanen – am Vesuv gab es im Unterschied zu Nord­ hessen keinen Säulenbasalt! – erhalten.342 Vice versa konnte sich Hamilton bei seinem eigenen späteren Besuch in Kassel wiederum die hessische Basalt-Vari­ etät anschauen. Raspe publizierte seine Ergebnisse in mehreren Schriften und löste damit eine regelrechte »Vulkanomanie« aus. Auch später in England, wo er sich trotz seines schmählichen Ausschlusses aus der Royal Society den Ruf eines exzellenten Mineralogen verschaffen konnte,343 publizierte er seine The­ sen. So erschien die Übersetzung seines Buchs über den Habichtswald 1776 in London unter dem Titel An account of some German volcanos, and their pro­ ductions. With a new hypothesis of the prismatical basalts. Die nordhessische

339 Zit. nach Wiebel/Gfeller 2009, S. 45 340 Dazu zuletzt Wiebel/Gfeller 2009; Waitz von Eschen 2012, S. 99 ff. 341 So in seinem Aufsatz über Karl Wilhelm Nose, der selbst wiederum ein Vermittler zwi­ schen den beiden Lagern darstellt. Vgl. Wiebel/Gfeller 2009, S. 10. Hier auch zum Folgen­ den. 342 So schrieb er Anfang Mai 1772 an Louis-Alexandre La Rochefoucauld-d’Enville: „J’ai osé de Vous presenter il y a quelques mois un dessein des Basaltes de Felsberg en Hesse. Le mémoire qui y a rapport n’attend que celui de Mr. Desmarest, que Vous aviés la grace de me faire esperer. Mr. Hamilton à Naples m’ecrit, que les Granites & une espece brute de Basalte sont fort frequentes dans les environs du Vesuve; que cependant il n’en a trouvé jamais qui approchassent à la regularite des Irlandoises, des francoises & du hessoises, bien que la cou­ leur, la solidité & la substance fut la même.» LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Rochefoucauld:10(Ras­ pe). Zu Raspes Kontakt mit Hamilton vgl. auch Ausst.Kat. London 1996, S. 70, 161. 343 Eine Woche nach seinem Tod hieß es in der Dublin Evening Post: »Deaths - At Muck­ ross, the celebrated Mr. Raspe a German, many years distinguished for his acute knowledge in mineralogy.« Vgl. Gerard O’Shea: Raspe in Ireland. In: Irish Journal of Psychiatry, August 1985, S. 11–15. Vgl. auch William 0’Brien: Ross Island. Mining, Metal and Society in Early Ireland. Galway 2004, S. 67 ff.

160 Abb. 79, 80: Felsberg a castle in Hassia, situated on a basalt rock und A Basalt Rock near Gudensberg in Hassia. Illustrationen in Raspes A Letter from Mr. R. E. Raspe, … Containing a Short Account of Some Basalt Hills in Hassia, in: Philosophical Transactions of the Royal Society, London, 1771

Landschaft wurde somit als Gegenstand erdgeschichtlicher Forschungen euro­ paweit bekannt (Abb. 79, 80). Vermutlich erfolgte auch Landgraf Friedrichs eigene Vesuvbesteigung auf der Grundlage von Raspes Thesen – konnte er hier doch eine unmittelbare Vor­ stellung davon gewinnen, wie sein eigenes, erdgeschichtlich nun so friedliches Territorium vor ein paar Tausend Jahren (selbst Raspe dachte noch nicht in län­ geren Zeiträumen!) ausgesehen haben könnte. Raspe schrieb später jedenfalls über den »Beifall des Heßischen Hofes dem ein alter Volcan mitten in dem be­ wunderungswürdigen Garten und Cascaden von Weißenstein nicht unwillkom­ men war.«344 Dass der Landgraf Hackerts Vesuvausbruch (Abb. 81) erwarb und in der naturhistorischen Abteilung des Museum ausstellen ließ, spricht gleich­ falls für sein Interesse an dieser Thematik. Ob fiktive oder reale Erlebnisse – das Reisen galt jedenfalls als unabdingba­ re Voraussetzung für den Zuwachs an Naturerkenntnis. Auch der in Kassel seit 1776 in erster Linie für die künstlerischen »Spectacles« angestellte Marquis de

344 Zit. nach Wiebel/Gfeller 2009, S. 49.

161 Abb. 81: Jakob Philipp Hackert, Vesuvausbruch im Jahr 1774, 1774

Luchet hatte in seinen dem Landgrafen gewidmeten Essais sur la minéralogie et la métallurgie die Nützlichkeit von Reisen (»Utilité des Voyages«) für die Mi­ neralogen und Vertreter verwandter Disziplinen beschrieben.345 Luchet, der in seiner Schrift auch die erdgeschichtlichen Theorien von Leibniz, Newton oder Burnet anreißt (und sie interessanterweise nicht in der Kategorie des Verstan­ des, sondern des Gemüts ansiedelt, indem er sie als »sentiments contraires sur la formations des couches de la terre«346 nennt!), empfiehlt das Reisen als bes­ te Möglichkeit, die »spéculations de la théorie« zu verifizieren – in Ergänzung selbstverständlich zur Buchgelehrsamkeit und dem Besuch von Sammlungen, unterstanden ihm doch schließlich auch die Bibliothek und die naturhistori­ schen Kabinette im Museum Fridericianum. Eine Ahnung von den gewaltigen Naturkräften konnte man jedenfalls auch hier in sicherer Entfernung vom ursprünglichen Schauplatz erfahren. So be­ schreibt Schmincke in seinem Kapitel über das Mineralienzimmer (»Metalla et Fossilia«) im Kunsthaus neben einer künstlichen Grotte, in der Mineralien und Fossilien zu sehen waren, auch »ausgeworfene Asche und Schwefel des Vesuvs,

345 Luchet 1779, S. 51 ff. 346 Ebd., S. 31.

162 Abb. 82: Granat aus Skandinavien, ca. 8 x 8 x 8 cm, im Inventar von 1776 als »großer Granat angeschnitten« dokumentiert

welche der hochselige Herr Landgraf Carl auf seiner im Jahre 1700 vorgenom­ menen Reise nach Italien selbst gesamlet hat.«347 Im Vergleich zu dem realen Naturspektakel waren die entsprechenden Expona­ te in Kunsthaus und Museum Fridericianum selbstverständlich von bescheidener Wirkung. Die Asche, Lava- und Gesteinsbrocken vom Vesuv und die Mineralien unterschiedlicher Provenienz (Abb. 82), wie sie hier ja auch von künstlerischer Hand verarbeitet in Mosaiken, Gemmen oder Plastiken zu sehen waren, gaben aber immerhin einen Ausschnitt aus dem Mineralreich wieder. Das hier allge­ mein zugängliche Naturalienkabinett als »klassischer Präsentationsrahmen der frühneuzeitlichen Naturgeschichte«348 verschaffte auch Besuchern, die nicht weit reisen konnten, einen Einblick in deren Vielfalt. Zugleich ermöglichte es den Fachleuten die nötige Anschauung, auch im Vergleich mit den eigenen Samm­ lungen: »Eine große Last Steine bringe ich geschleppt«, schrieb Goethe 1784 an Herder nach ein paar Tagen im Harz, in denen er gehämmert und gezeichnet und dabei seine eigene Steinsammlung offenbar erheblich vergrößert hatte.349 Vor allem die Kasseler Fossilien erregten immer wieder das Interesse, darunter einige frühe Funde in der »Seeschlammschicht« vom Weißenstein (­Wilhelmshöhe), die bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Diskus­sion um die Erdgeschichte angestoßen und in der Folge auch immer wieder aus­ wärtige Gelehrte nach Kassel gezogen hatten.350 Die großen, mitten in Hessen gefundenen Muscheln (Abb. 83), von Schmincke 1767 beschrieben als »zwey grosse Ost­indische Austerschalen […], die in der Gegend des Dorfs Alten­ bauna gefunden worden, davon eine 124, und die andere 158 Pfund wieget«,351

347 Schmincke 1767, S. 140. 348 Feuerstein-Herz 2007, S. 13. 349 Ebd., S. 129. 350 Vgl. Waitz von Eschen 2012, S. 35 ff. 351 Schmincke 1767, S. 139. Neuerdings regen sich verstärkt Zweifel an dem angeblichen hessischen Fundort. Freundlicher Hinweis von Dr. Cornelia Kurz, Kassel.

163 Abb. 83: Sog. »Mörder­muschel«, ca. 93 cm breit, historischer Bestand des Kunsthauses und die bereits erwähnten Elefantenrelikte gehörten gleichfalls zu den Ob­ jekten, die in der Folgezeit häufig erwähnt wurden, auch von eher fachfrem­ den Besuchern. So schreibt etwa der preußische Feldprediger Wagener nach seinem Besuch über die »nicht unbeträchtliche Sammlung von Mineralien und Versteinerungen«: »Die Petrefacte, nahmentlich die versteinerten Holz­ arten, Fischschiefern, ­Ammonshörner, Corallenschwämme und Elephanten­ knochen sind auch vorzüglich nur als Hessensche Producte merkwürdig.«352 Der Theologe enthält sich aber der weiteren Deutung bzw. Spekulation über die mögliche zeitliche Dimension, die sich mit solch »merkwürdigen«, d. h. bemerkenswerten Objekten verband – das biblische Erklärungsmodell der Sintflut könnte ihm für derartige Naturphänomene durchaus noch genügt haben. Mit dem Umzug vom Kunsthaus ins Museum Fridericianum stand auch für die naturhistorischen Sammlungsbereiche eine grundlegende Neuordnung an. So war die künstliche Grotte »von schön angemahlten und gefirnißten Stuffen, Versteinerungen und See-Gewächsen«, über die sich Raspe noch 1792 im Rück­ blick mokierte,353 nicht mit in das neue Museum gelangt. Als eher barockes

352 Wagener 1794, S. 181. 353 Vgl. Wiebel/Gfeller 2009, S. 49; Waitz von Eschen 2012, S. 47.

164 Abb. 84: Tischplatte mit Marmorproben, 1777 in Italien erworben

Dekorationselement (ähnlich der »Grotte« in Wilhelmsthal) schien sie für ein an der modernen Wissenschaft ausgerichtetes Museum wohl nun nicht mehr passend.354 Dafür führte man die im Kunsthaus über mehrere Zimmer verteil­ ten »Metalla und Fossilia« nun in einem Raum zusammen, und ergänzte sie mit zahlreichen Stücken aus dem Schloss sowie mit dem bereits erwähnten Tisch mit den Steinproben (Abb. 84) und dem Richelsdorfer Gebirgsschränkchen (Abb. 85) – zwei besonderen Ausstellungsstücken, bei denen Sammlungsmöbel (Tisch, Schrank) und Exponate (Steine, Steinschichten) zu einer Einheit ver­ schmolzen sind. Über die weitere Einrichtung des Mineralienzimmers schrieb du Ry: »Der an die Galerie der Moderne stoßende Eckraum beherbergt in mehreren Vitrinen Salz- und Erdmineralien, Versteinerungen und harte Gesteinsproben hessischer Vorkommen. In mehreren mit Glas bedeckten Pulten sind verschiedene aus den­ selben Gesteinen gefertigte Arbeiten.«355 Hier kamen nun also statt der sonst üb­ lichen Sammlungsschränke verglaste Pulte und Vitrinen zum Einsatz – eine Prä­ sentation, die unmittelbar der Öffentlichkeit des Museums geschuldet war und die Wissensvermittlung auf die rein visuelle Wahrnehmung beschränkte. Die

354 Auf Befehl von Landgraf Friedrich II. war der »Grottenschrank« samt Inhalt in das ehemalige anatomische Zimmer des Kunsthauses verfrachtet worden. Vgl. Mey 1999, S. 31. 355 Zit. nach Boehlke 1963, S. 100.

165 Abb. 85: Richelsdorfer Gebirgs­ schränkchen, angefertigt von Bergrat Bose, 1783 dem Museum gestiftet von Carl Siegmund Fulda

Meinung des Publikums zu dieser »transparenten« Form der Sammlungspräsen­ tation war durchaus zwiespältig. So empfahl der Bergkommissionsrat Friedrich Wilhelm Heinrich von Trebra (1740–1819), der sich bereits 1771 in das Besucher­ buch eingetragen hatte, in seiner Schrift Mineraliencabinett (1795) allgemein für Naturaliensammlungen große verglaste Schränke, in denen man die Steine schon im Vorbeigehen »nach ihren Classen überblicken« könne.356 Goethe­ dagegen kritisierte entschieden die von Trebra favorisierten Glasschränke für die Jenaer Universitätssammlung – mit ähnlichen Argumenten, wie sie oben bereits bei den Gemmenvitrinen angesprochen wurden: Goethe hielt es für einen »bloßen

356 Vgl. Heesen 2011, S. 100.

166 Wahn, […] eine solche Reihe mit dem leiblichen Auge übersehen und ihr fol­ gen zu können […]«357 und plädierte für die Beibehaltung der herkömmlichen »Schubladenschränke«, die ein gezieltes Herausnehmen erforderten. Für derartige Fragen der Sammlungspräsentation interessierten sich sicher­ lich speziell die Kustoden anderer Sammlungen. So trug sich z. B. Mitte Juli 1777 Karl Heinrich Titius (1744–1813) in das Besucherbuch ein, seit 1776 stellvertre­ tender Inspektor der kurfürstlichen Naturaliensammlung in Dresden, der im Jahr 1777 eine Studienreise durch Deutschland, Holland, England und Frank­ reich zur Besichtigung von vergleichbaren Sammlungen unternahm und, 1778 nach Dresden zurückgekehrt, Leiter der Naturaliensammlung wurde. Mitte Juni 1780 findet sich der ausführliche Eintrag seines Kollegen aus Madrid: »Eugenio Izquierdo Profesor de Historia Natural. y Director del Gabinete del Rei Catolico. en Madrid.« Sah Titius noch die alte Präsentation im Kunsthaus, so konnte Iz­ quierdo sich schon die neuen Ausstellungseinheiten im Museum Fridericianum anschauen. Wie bereits erwähnt, musste man in Madrid freilich lange auf ein derartiges öffentliches Bildungsangebot warten. Drängender als die Frage nach der idealen Präsentation der Objekte waren freilich die mit ihnen verbundenen Fragen nach der Geschichte der Erde an sich. Unbeschadet der Tatsache, dass Raspe selbst später von seinen geologischen The­ sen wieder abwich und sich durchaus selbstironisch über die inflationäre »Vulca­ nenfinderei«358 äußerte, finden sich im Besucherbuch zahlreiche Belege für die Tatsache, dass – ähnlich der Auseinandersetzung über den Zwischenkieferkno­ chen – auch die namhaften Vertreter dieser erdgeschichtlichen Diskussion nach Kassel gekommen waren und die Sammlungen besichtigt hatten. Parallel läßt sich nachweisen, dass sie hin und wieder auch die geologischen Befunde um Kassel, namentlich im Bergpark, untersucht hatten.359 Eine kleine Pointe am Rand: unter dem Datum des 2. November 1776 ist Patrick Brydone Esq. (1736–1818) im Besu­ cherbuch verzeichnet, ein Reisender, der unmittelbar mit Münchhausens Aben­ teuern verbunden ist. Denn Raspe nimmt den Hinweis auf dessen vielbeachtete Reiseberichte Tour through Sicily and Malta (1773) als Auftakt seiner Vulkanepi­ sode. Der in späteren Ausgaben mit »Mr. Drybones’ travels in Sicily« eingeführte Herr360 war sicherlich not amused, in Raspes Erzählung aufzutauchen und später­

357 Zit. nach Christiane Holm: Goethes Gewohnheiten. Konstruktion und Gebrauch der Schreib- und Sammlungsmöbel im Weimarer Wohnhaus. In: Ausst.Kat. Weimar 2012, S. 116– 125, hier S. 121; vgl. auch ebd., S. 120, die Abbildung des Trebraschen Mineralienschranks. Zu Sammlungsmöbeln vgl. auch insgesamt Heesen/Michels 2007; Heesen 2011. 358 Wiebel/Gfeller 2009, S. 10, 50. Mit diesem Spott kompensierte Raspe vielleicht ein eige­ nes Defizit, denn ihm selbst fehlte ja nach seiner Flucht 1775 der Zugang zur Vielfalt vulka­ nischer Formationen außerhalb der britischen Inseln. 359 Dazu ausführlich Waitz von Eschen 2012. 360 Z. B. in der Ausgabe: The Travels and Surprising Adventures of Baron Munchausen. New York 1862, S. 107.

167 gar zu »trockenen Knochen« zu mutieren. Doch ahnte er bei seinem Kassel-­ Besuch ein paar Jahre zuvor von diesem Schicksal natürlich noch nichts. Zu Raspes persönlichen Verbindungen führen jedenfalls viele Einträge, allen voran der Schwede Johann Jacob Ferber (1743–1790), den Raspe bereits seit 1768 kannte und der mit ihm zusammen als Hauptvertreter des Vulkanismus gilt. Der Verfasser von zahlreichen mineralogischen Schriften (Briefe aus Wälsch­ land, 1773; Beiträge zur Mineralgeschichte von Böhmen, 1774) war 1783 zum Pro­ fessor der Mineralogie in St. Petersburg ernannt worden. 1786 war er nach Ber­ lin als königlich preußischer Oberbergrat gewechselt, später berief man ihn in die Schweiz zur Verbesserung des dortigen Bergwesens. Er trug sich, vermutlich von Berlin kommend, am 4. Juni 1789 zusammen mit seiner Familie in das Be­ sucherbuch ein. Ein weiterer Korrespondent Raspes und gleichfalls Vulkanist, wenngleich we­ niger bekannt als der international tätige Ferber, war der aus der Schweiz stam­ mende Hildesheimer Domherr Franz Cölestin Freiherr von Beroldingen (1740– 1798), eingetragen am 5. September 1787. Er publizierte zahlreiche mineralogische und geologische Schriften, darunter Die Vulkane älterer und neuerer Zeiten (1791). Auch der bereits genannte Philippe-Frédéric de Dietrich zählt zu den Fachleu­ ten der Mineralogie und des Hüttenwesens unter den Museumsbesuchern. Nach dem Studium in Straßburg und Paris unternahm er ausgedehnte Studienreisen und besichtigte dabei Berg- und Hüttenwerke in Frankreich, Korsika und Eng­ land. Mit Raspe korrespondierte er im Anschluss an seinen Kassel-Aufenthalt (11. September 1770) über naturhistorische und mineralogische Fragen.361 Er publi­ zierte neben seinem Hauptwerk Description des gîtes de minerai et des bouches à feu de (3 Bände, Paris 1786 ff.) u. a. ein Buch über erloschene Vulkane im Breisgau (Description des volcans découverts en 1774 dans le Brisgau). Daneben übersetzte er mineralogische Werke aus dem Deutschen ins Französische, so auch Schriften von Trebra (Observations sur l’intérieur des montagnes, Paris 1787) oder Ferbers Briefe an den österreichischen Gelehrten Ignaz von Born (Lettres sur la Minérologie et sur divers autres objets de l’histoire naturelle de l’Italie, Straßburg 1776) – ein Werk, das wiederum Raspe im gleichen Jahr ins Englische übertrug (Travels through Italy, In the Years 1771 and 1772, London 1776). Zu Raspes Gelehrtennetzwerk gehörte später in England John Hawkins Esq. (1761–1841), der zum Studium der Mineralogie und des Montanwesens nach Deutschland gekommen und 1784 als Student am Collegium Carolinum in Braunschweig eingeschrieben war. Von dort reiste er vermutlich an, als er sich am 10. August 1784 in das Besucherbuch eintrug. Der Besitzer mehrerer Minen in Cornwall führte später lange Studienreisen nach Griechenland und in die ­Levante durch, wurde 1791 Mitglied der Royal Society und später auch Gründungsmitglied der Royal Horticultural Society. Mit Raspe war er seit 1780

361 LMB 4° Ms. hist. litt. 2[Dietrich:1–2.

168 bekannt und hielt mit ihm kontinuierlich Kontakt. Von besonderer Bedeutung ist Hawkins, weil er den einzigen schriftlichen Beleg für dessen Autorschaft der Münchhausen-Erzählungen lieferte – in einem Brief an den Geologen . Dieser wiederum machte 1832 in einer Fußnote seiner Principles of Geo­ logy auf Raspes Autorschaft desMunchausen aufmerksam, im Rahmen einer positiven Darstellung der erdgeschichtlichen »Theory of Raspe«.362 Aus Frankreich kam ein weiterer Raspe-Korrespondent, Louis-Alexandre La Rochefoucauld-d’Enville (1743–1792) nach Kassel. Dem Besuch des Kunsthauses am 3. November 1769 schloss sich ein längerer Briefwechsel zu naturwissen­ schaftlichen Fragen an.363 Zu Raspes Korrespondenten zählt auch der Schwede Johann Andreas Mur­ ray (1740–1791),364 der u. a. in Uppsala bei Carl von Linné studiert hatte, welcher nach ihm einen Baum (Murraya exotica) und ein Insekt (Cassida Murrayi) be­ nannte. Seit 1769 Professor der Botanik und Direktor des Botanischen Gartens in Göttingen, trug er sich in das Besucherbuch am 4. August 1785 ein, gemein­ sam mit John Sibthorp (1758–1796), seit 1784 Professor für Botanik in Oxford, der sich zur Vorbereitung seiner ersten Griechenland-Reise längere Zeit in Göt­ tingen aufhielt. Bei seiner zweiten Griechenland-Exkursion begleitete ihn wie­ derum der Geologe John Hawkins. Sein posthum erschienenes kostbares Haupt­ werk Flora Graeca (10 Bände, 1806–1840) wurde illustriert von Franz Andreas Bauer, der sich selbst 1788 in das Besucherbuch eintrug (s. unten). Von Raspe zu Murray, von Sibthorp zu Hawkins und Bauer sowie von Hawkins wieder zurück zu Raspe zeichnen sich im Besucherbuch solcherart viele direkte und indirekte Verbindungen ab. Bei Murray und Sibthorp dürfte das Hauptaugenmerk eher den botanischen Abteilungen des Museums sowie den Pflanzen im Bergpark gegolten haben, ähnlich wie bei Jakob Friedrich Ehrhart (1742–1795), der zusammen mit dem Kasseler Professor für Botanik, Conrad Moench (1744–1805), am 28. August 1780 das Museum besuchte. Der Schweizer Ehrhart war, nach der Ausbildung zum Apotheker und Studienaufenthalten bei Linné sen. und jun. in Schweden, von 1780 bis 1783 in amtlichem Auftrag auf Reisen durch die hannoverschen Lande zum Studium der Botanik. Hierbei entdeckte er zugleich mehrere Mine­ ralquellen (u. a. bereits 1779 Limmer bei Hannover). Schließlich wurde er zum Direktor des Botanischen Gartens in Herrenhausen ernannt. Ehrhart entdeckte zahlreiche neue Pflanzenarten, definierte auch das Taxon der »Unterart« und gilt als Pionier der botanischen Erforschung Nordwestdeutschlands. Von der Pharmazie aus stieß auch Johann Christian Wiegleb (1732–1800) in weitere Fachgebiete vor. Seit 1759 Apotheker in Langensalza, unternahm er

362 Vgl. Wiebel 2005, S. 114 ff. 363 LMB 4° Ms. hist. litt. 2[Rochefoucauld:1–10. 364 LMB 4° Ms. hist. litt. 2[Murray:1–2.

169 ausgiebig chemische Experimente, u. a. gemeinsam mit dem Kasseler Mediziner Ernst Gottfried Baldinger. Er entdeckte die »Kleesäure« (Oxalsäure) und grün­ dete 1779 in seiner Heimatstadt eine pharmazeutische Schule mit Bibliothek und chemischem Labor, die als älteste pharmazeutische Unterrichtsanstalt in Deutschland gilt. Daneben verfasste er zahlreiche pharmazeutische, chemische und naturhistorische Schriften, darunter eine Geschichte der Alchemie mit dem zeittypisch langen Titel Historisch-kritische Untersuchung der Alchemie, oder der eingebildeten Goldmacherkunst: von ihrem Ursprunge sowohl als Fortgange, und was nun von ihr zu halten sey (1777). Die einzigartige Sammlung alchemistischer Handschriften aus dem Besitz von Landgraf Moritz scheint ihm bei seinem Be­ such am 12. Juli 1781 in Kassel wohl entgangen zu sein, findet sie hier doch keine Erwähnung.365 Eher botanisch-zoologisch interessiert war ein Besucher, der sich sechs Tage später, nämlich am 18. Juli 1781 mit »le chevalier de la marck de l’academie ­Royale des Sciences de paris« in das Besucherbuch eintrug. Dabei handelt es sich um Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet, Chevalier de Lamarck (1744– 1829), der nach einem Medizinstudium umfassende Studien zur französischen Pflanzenwelt betrieben hatte (Flore française, 1778). Seit 1779 war er, wie im Eintrag vermerkt, Mitglied der Pariser Académie des Sciences. Als »botaniste du roi« und Reisebegleiter des jungen Georges Louis Marie Le Clerc Comte de Buffon (1764–1794), Sohn des berühmten Naturforschers, unternahm er 1781/82 eine Reise durch Holland, Ungarn und Deutschland zum Besuch von Museen und botanischen Gärten. Offenbar wurden die beiden, wie dem Besucherbuch zu entnehmen, zusätzlich eskortiert von zwei französischen Offizieren. Später wurde Lamarck Kustos des Herbariums am Jardin des Plantes in Paris und ab 1793 Professor für Zoologie und Kustos am neugegründeten Muséum national d’histoire naturelle. Lamarck publizierte zahlreiche Werke auf den Gebieten der Physik, Chemie, Geologie und Meteorologie. Nachruhm sicherten ihm aber vor allem seine botanischen und zoologischen Schriften. So gilt er als Begrün­ der der modernen Zoologie der Wirbellosen (Système des Animaux sans Ver­ tèbres, 1801) und mit seinem Werk Philosophie Zoologique (1809) als Pionier der Evolutionstheorie (»Lamarckismus«). Im Museum Fridericianum dürfte ihn folglich auch die zoologische Abteilung interessiert haben. Und vielleicht hatte er auch von Soemmerrings Elefantensektion erfahren. Belegt ist sein Be­ such des Bergparks, wo er Muschelfossilien für sein eigenes Mineralienkabinett sammelte.366

365 Die Sammlung umfasst 259 alchemistische Manuskripte mit einer Fülle von Texten, Rezepten und Experimentieranleitungen aus der Bibliothek von Landgraf Moritz dem Ge­ lehrten, dessen Labor als das beste in Europa gerühmt wurde, vgl. Hartmut Broszinski: Die Handschriften der Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bib­ liothek der Stadt Kassel. Manuscripta chemica in quarto. Wiesbaden 2011. 366 Vgl. Waitz von Eschen 2012, S. 58.

170 Weit gereist war auch der Mineraloge Louis Benjamin Fleuriau de Bellevue (1761–1852), Sohn eines Plantagenbesitzers in Saint Dominique (Haiti), der seit 1787 auf geologischer Studienreise durch Italien und Deutschland war. Am 30. Oktober 1792 gelangte er, wie im Besucherbuch belegt, nach Kassel. Im Fol­ gejahr ließ er sich in La Rochelle nieder. Seine umfangreiche Bibliothek und Sammlung zur Naturgeschichte und Ethnographie vermachte er später dem öffentlichen Museum von La Rochelle. Bellevue publizierte zum Vulkanismus (Des Effets géologiques du tremblement de terre de la Calabre en 1783, 1805), zur Meteorologie und zur Mineralogie. Zwischen Meteorologie und Mineralogie waren auch die Forschungsgebiete von Gottfried Erich Rosenthal (1745–1813) angesiedelt, der sich am 18. August 1772 in das Buch eintrug. Als ältester Sohn eines Bäckermeisters ursprünglich für diesen Beruf bestimmt, unternahm er jedoch früh mathematische und phy­ sikalische Studien, war tätig als Feldmesser und stieg schließlich 1783 zum sach­ sen-gothaischen Bergkommissarius auf. Rosenthal entwickelte und baute Mess­ geräte für die Meteorologie und verfasste zahlreiche naturwissenschaftliche und ökonomische, aber auch numismatische und historische Schriften. Zu den bedeutenden Mineralogen seiner Zeit zählt der bereits erwähnte Jean André Deluc (1727–1817), seit 1774 Vorleser von Queen Charlotte, der, von Göt­ tingen angereist, sich am 11. September 1777 in das Besucherbuch eintrug. In seinen Lettres physiques et morales sur l’histoire de la terre et de l’homme erwähnt er seinen Aufenthalt in Kassel und bemerkt auch, er sei hier am »Karlsberg« (Wilhelmshöhe) gewesen.367 Mit Johann Carl Wilhelm Voigt (1752–1821) ist ein weiterer entschiedener Vertreter des Vulkanismus – und Fürsprecher Raspes – im Besucherbuch ver­ zeichnet. Eingetragen hat er sich Ende Oktober 1782, und dem Besuch des Muse­ ums schlossen sich, ähnlich Deluc, ausführliche Studien der geologischen Ver­ hältnisse im Bergpark an. Nach dem Studium der Mineralogie, Geologie und des Bergwesens in Freiberg war Voigt zu dieser Zeit auf mineralogischen For­ schungsreisen, z.T. im Auftrag der Weimarer Regierung. 1783 wurde er Bergse­ kretär in Weimar, schließlich 1789 Bergrat in Ilmenau. Von der 1765 gegründeten Bergakademie in Freiberg, der fünftältesten mon­ tanwissenschaftlichen Bildungseinrichtung der Welt,368 kamen zahlreiche wei­ tere Besucher angereist, Studenten wie Dozenten, darunter z. B. Albert A.Ver­ geel aus Holland, der 1771 als erster ausländischer Student in Freiberg studierte. Begleitet wurde er bei seinem Besuch am 24. Dezember 1771 in Kassel von dem bereits genannten Bergkommissionsrat von Trebra. Mit Abraham Gottlob Werner (1749–1817) hat sich dann der – neben Goethe­ – prominenteste Vertreter der Gegenposition zu Raspes Thesen in das

367 Vgl. Waitz von Eschen 2012, S. 129. 368 Vgl. Feuerstein-Herz 2007, S. 129.

171 Besucherbuch eingetragen. Werner war seit 1775 in Freiberg tätig, zunächst als Inspektor der Sammlungen und Lehrer der Mineralogie, seit 1792 als Leiter der Bergakademie, deren internationalen Ruf er begründete. An ihn hatte Raspe im übrigen, vermittelt über Hawkins, 1792 einen umfangreichen Brief gerich­ tet, in dem er sich zur Abkehr von seinen eigenen Thesen zum vulkanischen Ursprung des Basalts bekannte.369 Begleitet wurde Werner bei seinem Besuch am 9. August 1789 von dem Schweizer Johann Samuel Gruner (1766–1834), seit 1786 Student in Freiberg, der nach dem Besuch der wichtigsten Bergwerke in Deutschland, Frankreich und Italien 1791 in die Schweiz zurückkehrte und hier später Oberberghauptmann aller Berg- und Salzwerke wurde. Der zweite Be­ gleiter Werners war Johann Rudolf Meyer (1768–1825), Sohn eines Seiden­fa­bri­ kan­ten in Aarau, der zu dieser Zeit auf Studienreise durch Deutschland mit län­ geren Aufenthalten in Göttingen und Freiberg war. Ebenfalls aus Freiberg kam am 28. September 1779 ein weiterer Neptunist nach Kassel und in das Museum, nämlich der sächsische Bergkommissions­ rat Johann Friedrich Wilhelm Toussaint von Charpentier (1738–1805). Er war seit 1766 Professor der Mathematik, Zeichenkunst, Mechanik und Physik so­ wie Aufseher der Bibliothek an der Bergakademie, seit 1773 auch Mitglied des sächsischen Oberbergamts. Charpentier schuf 1778 die erste detaillierte geolo­ gische Karte Sachsens (Mineralogische Geographie der Chursächsischen Lande). Gemeinsam mit Trebra war er auch als Berater Goethes für die Bergwerke in Ilmenau tätig. Abschließend sei noch ein herausragender Student Werners erwähnt, der zugleich gewissermaßen den Bogen von Neptun zu Vulkan schlug, nämlich Leopold von Buch (1774–1853). Buch studierte seit 1790 in Freiberg, wo er im Haus seines Lehrers Werner lebte und Freundschaft mit seinem Kommilito­ nen Alexander von Humboldt schloss. Nach einigen Jahren im Staatsdienst, so 1796 als Bergreferendar in Schlesien, ließ er sich als Privatgelehrter in Berlin nieder. Bereits als Student hatte er ausgedehnte Studienreisen durch die mit­ teldeutschen Gebirge unternommen und davon Berichte an das Ministerium in Berlin entsandt. Später bereiste er die Alpen, Skandinavien und die Kanari­ schen Inseln. Aufgrund seiner präzisen Feldforschung wurde der Herausgeber der ersten vollständigen Geognostischen Karte von Deutschland (1826) schließ­ lich vom überzeugten »Neptunisten« zum »Vulkanisten«. Buch prägte u. a. auch die Begriffe Leitfossil und Caldera (für eine kesselförmige Struktur vulkanischen Ursprungs). Ende Mai 1795 trug er sich in das Besucherbuch ein, mit einer grö­ ßeren Gruppe von Studenten aus Göttingen kommend, wo er sich zwei Wochen zuvor immatrikuliert hatte. Mit zahlreichen Einträgen wird somit das Interesse bedeutender Naturfor­ scher der Aufklärung an den Kasseler Sammlungen belegt, von Gelehrten, die

369 Vgl. Wiebel/Gfeller 2009.

172 den Besuch in Kassel häufig auch zum Studium der Gesteinsformationen und der Botanik im Bergpark und zum Austausch mit den ortsansässigen Gelehr­ ten nutzten. Besonders der Kreis der Mineralogen, Geologen und Fachleute des Montanwesens, die mit Raspe bekannt waren oder die sich mit seinen Thesen zum vulkanischen Ursprung des Basalts intensiv auseinandersetzten, nimmt hier eine prominente Rolle ein – sind doch mit den Namenszügen von Ferber, Voigt, Hamilton, Werner, Buch und schließlich auch Goethe die wichtigsten Vertreter der Vulkanismus-Neptunismus-Kontroverse im Besucherbuch verzeichnet. Die »Nützlichkeit des Reisens«, wie es Luchet ganz besonders für Gelehrte dieser Fachrichtung propagiert hatte, zeigt sich hier auch darin, dass es offenbar dem Denken tatsächlich half, die Richtung zu wechseln. Denn die Reiseaktivitäten förderten die Möglichkeit, herkömm­liche Ansichten zu überwinden und etwa der mittelalterlichen Vorstellung des vulkanischen Höllenschlunds zusehends mehr wissenschaftliche Erkenntnisse entgegenzusetzen – unabhängig davon, ob man dabei letztlich eher Vulkan oder Neptun zuneigte.

8.6 Venus und Lexell: zum Transit von Himmelskörpern und deren Beobachter

Eine ähnliche »Wonne« wie die Antikenforscher beim Zwischenstopp der Port­ land-Vase 1783 dürften die Kasseler Professoren Stegmann und Matsko im Jahr 1770 empfunden haben, als zwei Reisegruppen von bedeutenden Fachkollegen auf der Rückreise von Forschungsexpeditionen in Kassel eintrafen. Im Juni dieses Jahres kamen zunächst aus Kopenhagen Maximilian Hell (1720–1792), kaiserlicher Hofastronom in Wien, und János Sajnovics (1733–1785), Astronom und Sprachforscher. Ende August folgten dann aus Sankt Petersburg Christian Mayer (1719–1783), kurpfälzischer Hofastronom, mit seinem Begleiter Gottfried Stahl – alle vier im übrigen Jesuiten. Sie gehörten zu den Wissenschaftlern, die den Venustransit 1769 miterforschen konnten – also Anteil hatten an der, wie es Arno Schmidt in seinem Dialog Das schönere Europa nennt, »ersten großen wissenschaftlichen Gemeinschaftsleistung unseres Kontinents«.370 Auch in Kas­ sel hatte man zur Beobachtung des Phänomens eigens neue Quadranten und Fernrohre aus England beschafft.371 Die beiden Österreicher waren auf Einla­ dung des dänischen Königs in Nord-Norwegen gewesen, die Kurpfälzer auf ent­ sprechende Einladung der Zarin Katharina in St. Petersburg. Hell und ­Sajnovics besuchten, wie im Besucherbuch nachgewiesen, das Kunsthaus am 17. Juni 1770 in Begleitung von Johann Gottlieb Stegmann (1725–1795), Professor für Physik

370 Arno Schmidt: Das Schönere Europa. Zur Erinnerung an die erste große wissenschaft­ liche Gemeinschaftsleistung unseres Kontinents, den Venusdurchgang von 1769. In: ders.: Werke. Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II: Dialoge, Band 1, Zürich 1990, S. 265–275. 371 Vgl. Hallo 1929, S. 27.

173 und Mathematik am Collegium Carolinum in Kassel, die Kurpfälzer trugen sich am 29. August 1770 in das Buch ein und trafen sich mit Stegmanns Kolle­ gen Johann Matthias Matsko (1717/1721–1796), Professor für Mathematik und Astronomie.372 Stegmann und Matsko konnten über den Besuch der weitgereisten Kolle­ gen unmittelbar Auskunft über deren Forschungserfahrungen und -ergebnisse erhalten, diese selbst wiederum hatten Gelegenheit, die Kasseler Sammlung as­ tronomischer Instrumente und die Sternwarte zu besichtigen – obwohl zu die­ ser Zeit nicht gerade auf allerneuestem Stand, wusste man in Fachkreisen doch von der auf Landgraf Wilhelm IV. zurückgehenden Bedeutung der astronomi­ schen Forschung in Kassel. Der Besuch hatte aber offenbar noch konkrete Folgen: Matsko schlug näm­ lich, zusammen mit dem Baumeister Christoph Ludwig Diede, am 8. Septem­ ber 1770, also bereits kurz nach dem Aufenthalt Mayers, in einem ausführli­ chen Gutachten Landgraf Friedrich II. die Wiedereinrichtung der Sternwarte im mittelalterlichen Zwehrenturm vor. In diesem Gutachten wird unmittelbar auf die Besuche der auswärtigen Reisegruppen Bezug genommen: »Es haben nicht nur verschiedene Kenner und Astronomen vorhin, sondern noch gantz kürzlich der geschickte und berühmte Peter373 Hell und noch letztlich der von Petersburg hierdurch paßirte gelehrte Pater und Profeßor Meyer, von denen sich hier auf dem Kunsthaus vorfindenden Astronomischen Instrumenten ei­ nen solchen Ruhm gemacht, daß sie denselben einen großen Vorzug vor ver­ schiedenen anderen, die sie besuchet, gegeben, aber auch zugleich beklagt, daß dazu kein besseres Observatorium vorhanden wäre, dahero wohl der mühe werth seyn möchte und sehr zu wünschen wäre, daß Smi (Serenissimi) Hoch­ fürstl. Durchl. den großmüthigen Entschluß faßeten, hierzu eine schickliche und genuchsam räumliche Sternwarte zu höchstderoselben Ewigen Nachruhm errichten zu laßen. Gleichwie nun auch diesen Zweck sehr gut erreichet werden könte, wann […] resolviret werden sollte, den Zweren Thurm, […] einrichten und vergrößern zu laßen.«374 Mit der Verwirklichung dieses Vorschlags musste sich Matsko freilich sehr gedulden, worüber er auch im Berliner Astronomischen Jahrbuch berichtete.375 Doch im Jahr 1783 wurde der entsprechend umgebaute Zwehrenturm in dieser Funktion dann tatsächlich in das Museum Fridericianum integriert. Doch auch für die Kurpfälzer blieb der Besuch im Gegenzug nicht ohne Fol­ gen: denn der wiederum von Mayer ab 1772 betriebene Neubau der Mannheimer

372 Zu Hell und Mayer vgl. Moutchnik 2006. Der Besuch in Kassel wird hier nicht erwähnt. Zu Stegmann und Matsko: Kirchvogel 1979. 373 Vermutlich Transkriptionsfehler für »Pater« Hell. 374 Zit. nach Kirchvogel, S. 138 f. Vgl. Ausst.Kat. Kassel 1979, S. 296–299. 375 Vgl. Matsko 1780, S. 157-159.

174 Abb. 86 (links): Der mittelalterliche Zwehrenturm, seitlich in die Rückfront des Museum Friedricianum integriert, auf dem sich bereits unter Landgraf Karl ein Observatorium befand (1707 vollendet). Umbaupläne zu einer modernen Sternwarte ab September 1770, Fertigstellung nach Plänen von Simon Louis du Ry 1785; Abb. 87 (rechts): Mannheimer Sternwarte, erbaut 1772–1774 nach Plänen von Christian Mayer SJ; im Hintergrund die Kuppel der Jesuitenkirche

Sternwarte ähnelt so offensichtlich dem alten Kasseler Turm, dass hier von ei­ nem gegenseitig fruchtbaren Ideen- und Gedankenaustausch gesprochen wer­ den kann (Abb. 86, 87).376 Die Kasseler und Mannheimer Pläne ähneln sich jedenfalls auffällig. So hatte auch Mayer zunächst für die neue Mannheimer Sternwarte den Umbau eines alten, bereits gelegentlich zu Astronomiezwecken genutzten Turms vorgesehen. Da dieser aber zum Jesuitenkolleg gehörte, unter­ stützte Karl Theodor diese Pläne nicht. Auch der Wunsch, in der projektierten Sternwarte eine Wohnung für den Astronomen einzurichten, wurde sowohl von Mayer wie Matsko artikuliert.377

376 Auf die Ähnlichkeit zwischen den beiden Türmen verwies schon Rudolf Hallo, vgl. Hallo 1929, S. 34 f. Für ihn überbietet dabei ohne Zweifel die Kasseler Sternwarte den Mann­ heimer Bau mit vielerlei Vorzügen, wie die »völlige Umgehbarkeit des Gehäuses auf unter­ bauter Geschoßabdeckung«. 377 Zur Mannheimer Sternwarte vgl. Moutchnik 2006, S. 238–272.

175 Zu Matskos Verdiensten zählen auch seine wissenschaftsgeschichtlichen Stu­ dien zur astronomischen Forschung in Kassel, worüber er gleichfalls 1780 im Berliner Astronomischen Jahrbuch berichtete: »Vor einiger Zeit erhielt ich von Serenissimo die Erlaubniss, Rothmanns hinterlassene Manuscripte, die auf der hiesigen Fürstlichen Bibliothek aufbehalten werden, durchzulesen, und der So­ cietät der Antiquitäten auszugsweise davon Nachricht zu geben.«378 Somit nahm die Société des Antiquités auch an der astronomiegeschichtlichen Forschung An­ teil, in diesem Fall zu Christoph Rothmann (um 1550–um 1600), der zwischen 1584 und 1590 in Kassel wirkte und u. a. mit seinem Kasseler Sternkatalog neben Tycho Brahe zu den bedeutendsten Astronomen des 16. Jahrhunderts zählte. Matsko informierte auch Lichtenberg in Göttingen sogleich über seinen Fund. Obwohl das Observatorium im alten Kunsthaus unzulänglich ausgestat­ tet war und die spätere Sternwarte im Zwehrenturm unter Landgraf Friedrichs Nachfolger Wilhelm IX. keine Förderung mehr erfuhr und bald verfiel, verfügte Kassel mit diesen Einrichtungen samt so kundiger Betreuer wie Matsko und Stegmann dennoch über Forschungsstätten, die von bedeutenden Astronomen zumindest bei der Durchreise besichtigt wurden – belegt durch zahlreiche Na­ menszüge im Besucherbuch. Genannt seien stellvertretend der Finne Anders Johan Lexell (1740–1784), Professor der Astronomie in St. Petersburg, nach dem ehrenhalber der Komet D/1770 L1, kurz Lexell-Komet, benannt ist. Er besuchte das Museum Fridericianum am 30. September 1780 auf seiner Forschungsrei­ se durch Deutschland, Frankreich und England. Oder Franz ­Xaver von Zach (1754–1832), der als einer der prominentesten Astronomen seiner Zeit gilt: Ende Oktober 1785 war er auf einer Italienreise von London aus durch Kassel gekom­ men und trug sich, gemeinsam mit seinem Reisebegleiter, Hans ­Moritz Graf von Brühl zu Martinskirch, kursächsischer Gesandter am Londoner Hof, hier in das Besucherbuch ein.379 Einige Jahre später kam auch Johann Elert Bode (1747–1826) nach Kassel, seit 1787 Direktor der Berliner Sternwarte. Auch sein Begleiter Friedrich von Hahn (1742–1805) zählt zu den bedeutenden deutschen Astronomen seiner Zeit: auf seinem Gut Remplin ließ er von 1790 bis 1793 eine gut ausgestattete Sternwarte erbauen, und er förderte, neben eigenen astrono­ mischen Schriften, großzügig wissenschaftliche Unternehmungen, wie z. B. den Druck von Bodes prächtigem Himmelsatlas (1801). Nach ihm trägt ein Mond­ krater den Namen Hahn. Beide waren am 9. Juli 1791 aus Göttingen angereist, wo sie als Gasthörer Vorlesungen Lichtenbergs besucht hatten.380 Zuletzt genannt sei der Arzt Heinrich Wilhelm Mathias Olbers (1758–1840), der neben seiner medizinischen Arbeit intensiv als Astronom tätig war. So

378 Matsko 1780, S. 161 f. 379 Zu Zach: Peter Brosche: Der Astronom der Herzogin. Leben und Werk von Franz Xaver von Zach (1754–1832). Frankfurt/M. 2001. Der Kassel-Aufenthalt wird hier nicht erwähnt. 380 Vgl. Heerde, S. 110, 261 f.

176 entwickelte er 1797 ein Verfahren zur Bahnbestimmung von Kometen (Abhand­ lung über die leichteste und bequemste Methode, die Bahn eines Cometen zu be­ rechnen). Er war auch Entdecker der Kleinplaneten Pallas und Vesta sowie von sechs Kometen. 1820 formulierte er das nach ihm benannte Olberssche Para­ doxon (d. i. die Frage, warum der Nachthimmel trotz der unermesslichen Zahl von leuch­tenden Sternen dunkel ist). Das Museum Fridericianum besuchte er am 21. Juli 1794, gemeinsam mit seinem Freund, dem bereits genannten Juristen Johann Friedrich Gildemeister. Immer wieder wurde von Besuchern der Kenntnisreichtum und die Gast­ freundlichkeit der Kasseler Professoren gerühmt, die – vermutlich zumeist ein Empfehlungsschreiben vorausgesetzt – Reisende häufig auch mit zu sich nach Hause nahmen. Der bereits genannte Lichtenberg-Schüler Hollenberg, der die astronomische Sammlung noch vor ihrer Neueinrichtung im Zwehrentum 1779 im Palais Bellevue besichtigte (28. Juni 1779), schrieb entsprechend über Mats­ ko: »Er ist ein Mann von sehr großen mathematischen Kenntnissen, der ohne viele Umstände sehr gefällig ist, einem Fremden die hiesigen Seltenheiten zu zeigen, die er unter seiner Aufsicht hat, so bald er merkt, daß es nicht bloß Neu­ begierde ist, die einen antreibt sie zu sehen, sondern daß man von dem, was er zeigt, auch etwas Einsicht hat. Ich bin bey ihm in seinem Hause gewesen, wo ich von seiner mathematischen Gelehrsamkeit, und auch von seinem aufrichtigen Charakter überzeugt worden bin. Seine Bescheidenheit ist gewiß die einzige Ur­ sache, daß sein Name auf der Liste der Gelehrten nicht so sehr groß angeschrie­ ben ist. Herr Matsko hatte ferner die Gewogenheit, mir die mathematischen und physikalischen Instrumente zu zeigen, welche er unter seiner Aufsicht hat, und die bisher noch auf der sogenannten Belle vue sind, aber nächstens auch in die neue Bibliothek geschaft werden sollen.«381

8.7 Fürstbischöfe, Theologieprofessoren oder Mönche: Zulauf der Geistlichkeit und interkonfessionelle Begegnungen

Die Besucherstatistik rückt mit den Geistlichen eine weitere Gruppe in vordere Position, die hier auch schon im Kontext verschiedener Aspekte Erwähnung fand. Denn mit den in Folge der Französischen Revolution aus ihrer Heimat vertriebenen katholischen Würdenträgern, mit Lord Bristol als Bischof von Derry oder den Jesuitenpatres unter den Astronomen wurde die Bedeutung des Klerus innerhalb des Museumspublikums bereits angedeutet. Ein näherer Blick wirft einige übergeordnete Fragen auf, so etwa insgesamt nach der konfessionel­ len Zugehörigkeit der Besucher. Da sich die Religions-, bzw. Konfessionszuge­ hörigkeit bei rund 20% der im Besucherbuch verzeichneten Personen ermitteln

381 Hollenberg 1782, S. 42 f.

177 ließ, erschien es sinnvoll, sie als eigene Kategorie bei der Erarbeitung der Per­ sonendaten aufzunehmen.382 Differenziert wurde freilich nur zwischen katho­ lisch, evangelisch, russisch-orthodox und jüdisch, da Binnendifferenzierungen wie lutherisch, reformiert oder freikirchlich nur sehr zeitaufwendig, etwa unter Hinzunahme von weiteren ungedruckten Quellen (z. B. Kirchenbüchern), zu er­ zielen wären. Neben den Professoren und Studenten, unter denen sich gleichfalls viele Theologen befinden, machen jedenfalls Geistliche und Amtsträger der Kirchen­ verwaltungen einen großen Anteil unter den Besuchern aus. Dabei überwiegen die protestantischen Geistlichen aus lutherischen (vor allem Hannover) und aus reformierten (Hessen-Kassel, Schweiz) Territorien und Ländern deutlich gegen­ über ihren katholischen Kollegen. Tatsächlich ist die Zahl evangelischer Theo­ logen unter den Museumsbesuchern beträchtlich. Auf die zahlreichen preußi­ schen und hessen-kasselschen Feldprediger oder die Göttinger und Marburger Theologiestudenten wurde bereits verwiesen. Hinzu kommt auch die Gruppe von ursprünglich zum geistlichen Stand bestimmten oder ihm angehörenden Personen, die man eher mit anderen Tätigkeitsbereichen assoziiert, wie etwa den Hofprediger und späteren Weimarer Generalsuperintendenten Herder, der im Allgemeinen doch viel mehr als Schriftsteller und Kultur- und Sprachwissen­ schaftler angesehen wird. Mit dem Kustos Raspe korrespondierte Herder in Fol­ ge seines zweifachen Kassel-Aufenthaltes (1770 und 1773) vor allem über Fragen der älteren Literatur und ihrer Überlieferung. So wartet Raspe in einem Brief vom 8. September 1772 mit einem kleinen Fund auf: »Im Vatican, der Pariser und den englischen Bibliotheken dürffte der Nachspührungsfleis eines patrioti­ schen Deutschen wol nicht unbelohnt bleiben auch in Betracht dieser Dichter, die größtentheils schon nach Provenzal-Zuschnitte arbeiteten. Hab’ ich doch neulich mitten in Deutschland im Kloster Lamspringe im Hildesheimischen die Legende des H[eiligen] Alexis in alter lingua rustica aufgefunden.«383 Dass sich gerade im Frühjahr 1772 und nochmals 1774 englische Benediktinermönche des Klosters Lamspringe, darunter auch der Abt Thomas Placid Harsnep, in das Be­ sucherbuch des Kunsthauses eingetragen haben, ist ein Hinweis auf die persön­ lichen Beziehungen Raspes, die einen solchen Fund befördern halfen.384 Später kamen auch Angehörige der Klöster Abdinghof, Hardehausen und Marien­ münster und des Stifts Möllenbeck sowie der Universität und der Kollegien von Paderborn in das Museum, allesamt Einrichtungen, mit denen Raspe bei seinen ausgedehnten Urkundenrecherchen 1773/74, die er selbst ironisch seine

382 In der Online-Datenbank abzurufen über die Dropdown-Liste »Religion« (https:// www3.bibliothek.uni-kassel.de/besucherbuch/datenbank.php?lang=de). 383 Raspe, zit. nach Arnold 1987, S. 278. 384 Raspe hatte bereits in seiner Jugend Kontakt zu Mönchen des Klosters Lamspringe, wie Einträge in sein Stammbuch aus dem Jahr 1755 belegen. Vgl. LMB 8° Ms. philol.10. Bei seinen Recherchen konnte er an diese Verbindungen anknüpfen.

178 Abb. 88: Hardehäuser Evangeliar, 12. Jahrhun­ dert, aus der Kloster­ werkstatt­ Helmarshau­ sen, Widmungs­ bild:­ Hl. Georg mit Nonnen und Propst des Klos­ ters Lippoldsberg (seit 1945 verschollen)

»westphälischen Creuz- und Klosterzüge« genannt hat, in Kontakt getreten war.385 Das kommunikative gelehrte Verbindungsgeflecht, das sich von den Kas­ seler Sammlungen aus spann, bezog also auf vielfältige Weise auch die Geist­ lichkeit ein – und führte zugleich zum Erwerb von bedeutenden Exponaten. Wie die Klosterangehörigen, allen voran Abt Hermann Braun von Hardehau­ sen, dazu standen, eine so kostbare Handschrift aus dem Besitz des Klosters (Abb. 88) nun in einer öffentlichen Präsentation wiederzufinden, läßt sich kaum rekonstruieren. Doch immerhin kam Braun, wie im Besucherbuch belegt, zwei­ mal mit einer Gruppe katholischer Geistlicher in das Museum (1793 und 1795), was für eine positive Haltung gegenüber der Tatsache spricht, dass sein Amts­ vorgänger die Hardehäuser Zimelie der Kasseler Sammlung überlassen hatte. Neben Herder verbindet man auch einen weiteren protestantischen Geistli­ chen eher mit Leistungen auf einem nicht-theologischen Gebiet: der bereits er­ wähnte Joachim Heinrich Campe, 1809 zum Dr. theol. promoviert, gilt vor allem als herausragender Pädagoge der Aufklärungszeit. Dass er seinen jungen Lesern

385 Vgl. Linnebach 2005, S. 88–91. In einem Schreiben an Landgraf Friedrich hatte Raspe die »Nahmen der Aebte und Prälaten« aufgelistet, für die er bei seinen Recherchen ein fürst­ liches Empfehlungsschreiben benötigte; vgl. STA MR, Bestand 17d Raspe Nr. 1,10.

179 in Kassel neben dem Besuch des Museums und der Schildbachschen Holzbi­ bliothek »besonders […] die neue katholische Kirche« empfahl, »sowohl ihrer schönen Bauart, als auch der herrlichen Gemälde wegen, womit Tischbein diese Kirche geziert hat«,386 verwundert bei dem Protestanten aber dann doch. Die gotische Martinskirche mit dem Grabmal Philipps des Großmütigen als bedeu­ tendem Reformationsführer hätte hier, unter eher protestantisch-kirchlichen Gesichtspunkten, sicherlich näher gelegen. Geschmackliche Vorbehalte gegen­ über dem zu dieser Zeit noch verpönten gotischen Stil oder eine Anwandlung von aufgeklärt-toleranter Ökumene? Für einen besonderen Fall der Annäherung von Protestanten und Katholiken gibt es im Besucherbuch selbst in der Tat Spuren, nämlich für die Versöhnung des katholischen Landgrafen mit seinen evangelisch-reformierten Söhnen Wil­ helm, Carl und Friedrich in den Jahren 1782 und 1783. Alle drei waren infolge des Übertritts ihres Vaters zum Katholizismus unter der Obhut ihrer Mutter Maria erzogen worden und wuchsen fernab von Kassel in Kopenhagen und Hanau auf. Ihren Vater sahen sie 22 Jahre lang nicht, trotz wiederholter Versuche der Annä­ herung, die an politischen Fragen scheiterten.387 Erst im Herbst 1782 kam es zu einer Wiederbegegnung, indem der jüngste Prinz, Friedrich, sich, unter fremdem Namen gemeldet, am 27. Oktober auf Schloss Weißenstein dem Vater zu Füßen warf und ihm einen Bittbrief um Aussöhnung überreichte. Solcherart überrum­ pelt und gerührt zugleich, ließ sich der Landgraf auf eine Wiedervereinigung mit seinen Söhnen ein. Prinz Friedrich besuchte bei diesem Aufenthalt auch gleich zwei Tage später das Museum – und bringt die bis dato geltende chronologische Ordnung des Besucherbuchs völlig durcheinander. Denn für ihn wurde eigens eine neue Seite begonnen, ebenso wie später für Carl (25. Januar 1783) und Wil­ helm (14. Februar 1783), so dass ab Seite 187 Eintragsreihenfolge und Chronolo­ gie über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr übereinstimmen – und der Kustos Forster über »einige Beschäftigung mehr im Museo« klagte, zumal mit den Prinzen gleichzeitig eine neu erworbene Mumie in Kassel ankam.388 Erbprinz Wilhelm hielt sich ab dem 11. Februar 1783 für drei Wochen in Kas­ sel zur Versöhnung mit dem Vater auf und wurde bei dieser Gelegenheit u. a. auch gleich zum Mitglied der Société des Antiquités ernannt.389 Bei aller Aus­

386 Campe 1796, S. 116. 387 Zur Aussöhnung und ihren politischen Hindernissen (»Hanauer Frage«) vgl. Both/Vo­ gel 1973, S. 22–24 und 119–122. 388 Forster schrieb am 17. Februar 1783 an Heyne: »allein die Anwesenheit unserer 3 Prin­ zen macht mir jetzt einige Beschäftigung mehr im Museo, – und überdies habe ich jetzt da­ selbst eine Mumie in Empfang nehmen müssen, die der Landgraf eben in Braunschweig hat kaufen lassen.« (Forster 1783, S. 434) Die Mumie wurde im Museum Fridericianum im Saal mit den »See-Gewächsen« und ausgestopften Paradiesvögeln ausgestellt; vgl. Apell 1792, S. 57. Sie ist im Bestand des Naturkundemuseums heute nicht mehr vorhanden. 389 Wilhelm berichtet in seinen Memoiren über die Versöhnung mit dem Vater und äußert sich hierbei auch durchaus kritisch zu dieser Gesellschaft: »Am 15. Februar wurde ich als

180 Abb. 89: Elisabethkirche in Kassel; Ausschnitt aus Kobolds Ansicht des Friedrichsplatzes in Kassel (s. Abb. 1) söhnung zwischen dem katholischen Vater und seinen protestantisch erzoge­ nen Söhnen: einen Fuß in die von Campe so nachdrücklich empfohlene Elisa­ bethkirche setzten die Söhne nur ein einziges Mal, nämlich bei der Beisetzung des verstorbenen Vaters. Der neue Landgraf Wilhelm IX. schrieb rückblickend: »Zum ersten Mal in meinem Leben betrat ich ein römisches Gotteshaus. Getreu dem Versprechen, das ich meiner hochseligen, lieben, würdigen Mutter feierlich gelobt, niemals diesem Kult beizuwohnen, glaubte ich mich gleichwohl dies eine Mal von meinem Gelöbnis entbunden, da ich der sterblichen Hülle meines Va­ ters und bisherigen Gebieters folgte.«390 Die Assekurationsakte vom 28. Oktober 1754, mit der Friedrichs Vater, Land­ graf Wilhelm VIII., nach Übertritt seines Sohnes zum Katholizismus die über­ lieferte Konfession seines Hauses und Landes sicherzustellen suchte, hatte einen tiefen Graben zwischen die Glaubensrichtungen gelegt und z. B. festgesetzt, dass katholischer Gottesdienst nur in Friedrichs Privatkapelle gefeiert werden durfte oder dass Katholiken der Zugang zu höheren Zivil- und Militärstellen verwehrt

ordentliches Mitglied in die ›Gesellschaft der Altertümer‹ aufgenommen, die seit einigen Jahren besteht. Sie ist eine Nachahmung aus Italien, dem Lande der Altertümer. In Hessen sind solche zwar nicht vorhanden; die Gesellschaft stellt indes immerhin ein Zeugnis der Neigung meines Vaters für Wissenschaften und Schöne Künste dar. Eine Gesellschaft des Ackerbaus, in die ich am 18. aufgenommen wurde, schien mir hingegen desto nützlicher, weil sie dazu dient, die Fertigkeiten der Heimat zu fördern und den Wert des wichtigen Ackerbaugewerbes zu heben.« Hessen 1996, S. 194 ff.; das Zitat S. 197. 390 Ebd., S. 244.

181 Abb. 90: Innenansicht der Elisabethkirche (aus: Holtmeyer 1923) war.391 Erst mit der von 1770 bis 1776 erbauten Elisabethkirche an der Ostecke des Friedrichsplatzes (Abb. 89, 90) gab es eine selbständige katholische Kirche in Kassel, die freilich nach außen hin nicht als Gotteshaus in Erscheinung treten durfte.392 Gerade vor diesem Hintergrund einer möglichst weiten Zurückdrän­ gung alles Katholischen in Hessen-Kassel fallen die vielen, zum Teil hochran­ gigen Katholiken im Besucherbuch besonders auf – darunter auch der Mainzer Weihbischof Johann Georg Joseph von Eckart (1723–1791), der am 2. Novem­ ber 1777 die Elisabethkirche geweiht hatte393 und am Folgetag die Sammlungen besichtigte. Aus Bamberg kamen z. B. die Domkapitulare Philipp Lothar von

391 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 15 ff. 392 Zur Baugeschichte und Innenausstattung vgl. Holtmeyer 1923, S. 219–228. 393 Vgl. ebd., S. 220.

182 Kerpen (1767–1804) und Adam Freiherr Groß von und zu Trockau (1758–1840) ins Museum; aus Hildesheim die Domherren Franz Cölestin Joseph und An­ ton Siegmund von Beroldingen (letzterer gleich dreimal, nämlich 1771, 1775 und 1778), die Brüder von Haxthausen und Moritz von Brabeck (1728–1784); aus Fulda die Brüder von Hövel, d. h. Johann Adolph Wennemar Theodor und Lud­ wig Wilhelm Alexander von Hövel sowie Lothar von Breidbach gen. Bürresheim (1724–1794), seit 1778 Domdechant und Weihbischof in Fulda; aus Frankfurt der von Goethe in Dichtung und Wahrheit (III, 13) gewürdigte Dechant Damian Friedrich Dumeiz de Huville (1729–1802); aus Fritzlar die Kanoniker von Papius und Fahnenberg; aus Köln Franz Wilhelm von Spiegel zum Desenberg-Canstein (1752–1815), Mitbegründer und erster Kurator der Universität Bonn; aus Mainz, bzw. Erfurt die Brüder von Dalberg, Karl Herwig von Zwehl (1737–1816) und der geistliche Rat Matthäus Georg von Chandelle (1745–1826); aus Münster Franz von Fürstenberg (1729–1810) und die Brüder von Droste zu Hülshoff; aus Pader­ born kam zweimal Friedrich Alexander von Elverfeldt, Kapitular zu Hildesheim und Paderborn sowie gleich viermal Franz Eberhard Nagel, seit 1758 Kanoniker des Kollegiatsstifts St. Peter und Andreas; aus Rom stammte Tommaso Marchese Antici (1731–1810), zur Zeit seines Besuchs 1776 Gesandter, ab 1789 Kardinal; aus Speyer, bzw. Bruchsal kam Franz Wilhelm Friedrich von Asbeck (1760–1826), und schließlich aus Würzburg Lothar Anselm von Gebsattel (1761–1846), später erster Erzbischof der Diözese München-Freising. Zu den hochrangigen katho­ lischen Geistlichen unter den Museumsbesuchern zählt auch der spätere Erz­ bischof von Mailand Giovanni Battista Caprara (1733–1810), der am 19. August 1791 vermutlich auf der Rückkehr von einem Badeaufenthalt in Pyrmont394 nach Kassel kam. Fast alle diese katholischen Würdenträger trugen sich mit ihrem vollen Titel in das Buch ein, wie etwa »der paderbörnsche domscholaster und hildesheimischer hofrath von Elverfeldt« oder »A von Hövel Dom Capitular zu Fuld und Probst aufm Petersberg bei Fuld.« Dazu kommen noch, wie bereits angesprochen, Äbte oder Mönche aus vielen Klöstern und Stiften – Benediktiner, Jesuiten oder Zisterzienser – wie z. B. aus Corvey, Fulda, Hardehausen, Huysburg (bei Halberstadt), Kamp, Marien­mün­ ster, Marienfeld (Münster), Petershausen (bei Konstanz), St. Peter und Andreas, gen. Busdorf (Paderborn) oder Welver (bei Soest). Erwähnt seien auch die nicht näher identifizierbaren Personen, wie der Kapuzinermönch, der sich 1772 mit »Le douze septembre Le pere Candide de L’ordre des capucins est venu voir La Maison des Sciences« in das Besucherbuch einschrieb. Trotz eines langen Ein­ trags ließ sich auch ein weiterer Ordensbruder nicht ermitteln: »ein geistlicher Herr Spancken aus den Collischen [= Kölnischen] Closter Bredelar cistercienser ordens«. Immerhin ist zu vermuten, dass es sich hier um einen Verwandten von

394 In der PCZ, 1791, S. 768, heißt es: »A. 18. […] Monsignor Caprara, Päpstl. Nuntius am Wienerhofe, k. v. Pyrmont, l. i. Gasth. a. K. Platz.«

183 Abb. 91: Karl Theodor von Dalberg, um 1791 (Künstler unbekannt)

Laurenz II. Spanke handelt, der 1764/65 als Abt des Zisterzienser-Klosters Bre­ delar nachgewiesen ist. Mit Karl Theodor von Dalberg (1772 und vermutlich auch schon 1771), Karl Herwig von Zwehl (der viermal im Besucherbuch verzeichnet ist: 1773, 1778, 1781 und 1783) und Franz von Fürstenberg (zweimal: 1777 und 1781) waren her­ ausragende Figuren der katholischen Aufklärung unter den Museumsbesuchern gleich mehrfach vertreten. Mit Dalberg (Abb. 91) stand der Kustos Raspe, wie bereits erwähnt, auch in brieflichem Kontakt, ebenso mit Fürstenberg,395 so dass sich mit dem Besuch des Kunsthauses auch ein Austausch über verschiedene Themen, wie etwa Antiken-Abgüsse, verband. Ob sich ein Kontakt zum katho­ lischen Landesherren anschloss, ist bislang nicht belegt, wohl aber zu vermu­ ten. Bei seinem zweiten Besuch 1781 kam Fürstenberg in Begleitung von Amalie Fürstin Gallitzin (1748–1806) ins Museum, die mit ihm gemeinsam den Mittel­ punkt des Kreises von Münster bildete.396 Zu dieser »Familia Sacra« zählten auch weitere Museumsbesucher, wie der bereits erwähnte Hemsterhuis sowie Fried­ rich Leopold von Stolberg,397 oder auch der Reisebegleiter der Fürstin, Anton Matthias Sprickmann (1749–1833), seit 1779 Professor der Reichsgeschichte und des Staats- und Lehnrechts an der neu gegründeten Universität in Münster. Der Aufenthalt in Kassel am 31. August erfolgte auf dem Weg vom Kuraufenthalt in Hofgeismar nach Göttingen, wo sich die Fürstin längere Zeit zu Studien aufhielt. Da Landgraf Friedrich gleichfalls die Sommerzeit in Hofgeismar verbrachte, ist eine Begegnung bei dieser Gelegenheit mehr als wahrscheinlich. Die häufige

395 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Dalberg: 1–4; 4° Ms. hist. litt. 2[Fürstenberg:1–4. 396 Zum Kreis von Münster vgl. insgesamt Schulz 1998. 397 Stolberg trat freilich erst längere Zeit nach seinem Museumsbesuch (26. Juni 1773) zum Katholizismus über.

184 Nennung von Mitgliedern des Kreises von Münster im Besucherbuch läßt so­ mit – über die museumsspezifische Fragestellung hinaus – auf eine engere Be­ ziehung Landgraf Friedrichs zur katholischen Aufklärung schließen als bislang vermutet. Dies könnten weitere Studien klären, etwa zur Rolle des benachbarten Hofgeismar als eines Begegnungsorts der katholischen Aufklärung. Zu den bedeutenden Vertretern der katholischen Aufklärung zählt auch Franz Oberthür (1745–1831), zweimal im Besucherbuch verzeichnet, nämlich am 8. September 1783 und 2. September 1790. Zu dieser Zeit war der Dr. phil. (1764), Dr. jur. utr. (1774) und Dr. theol. (1776) Wirklicher Geistlicher Rat in Würzburg und zugleich Direktor sämtlicher Stadtschulen. Der umfassend gebildete Theo­ loge publizierte auch zahlreiche Schriften zur Kulturgeschichte Frankens und gründete sowohl die Würzburger Lesegesellschaft (1785) wie später die Poly­ technische Gesellschaft (1806). Oberthürs Lebenswerk war geprägt durch ein christlich-humanitäres Engagement, durch seine quellenorientierte Fundierung theologischer Aussagen sowie eine ökumenische Haltung. So setzte er sich für allgemeine Bildungsreformen, das Armenwesen und die soziale Besserstellung der Juden ein – ein Plädoyer, wie es der vormalige Kasseler Professor Christian Conrad Wilhelm Dohm (1751–1820) in seiner maßgeblichen Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) erstmals nachdrücklich formulierte. Wie erst eine jüngere Untersuchung herausgearbeitet hat, stand Landgraf Friedrich II. nicht nur einer Aussöhnung mit seinen Nachkommen, sondern auch mit ihrer und seines Landes Konfession durchaus positiv gegenüber, viel­ leicht im Sinne eines aufklärerischen Überkonfessionalismus.398 Wie intensiv Friedrichs Interesse an religiösen Fragen bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber Andersgläubigen war, belegen Äußerungen des hugenottischen Geistlichen Jean Jacques de la Porte gegenüber dem Kassel-Besucher James Boswell im Herbst 1764. Er bemerkte über Friedrich: »He has studied thoroughly the controversy between the Catholics and the Protestants. He knows the history of the church well, one must be well equipped by special study to dispute with him.« Und der Landgraf habe ihm gegenüber geäußert: »I don’t believe everything the priests tell me. Surely, at the Day of Judgement, the worthy men of all religions will be saved. And as for my change of religion, that’s not a matter to make such a great noise about.«399 In Kassel muss zu dieser Zeit jedenfalls eine besondere religiöse Toleranz ge­ herrscht haben, die auch von Auswärtigen gerühmt wurde: Günderode schreibt von »ohngehinderte(r) Gewissensfreyheit«, gerade auch gegenüber der jüdi­ schen Bevölkerung.400 Hierzu fügt es sich, dass Friedrich den Juden an expo­ nierter Stelle seiner Residenzstadt, nämlich am Kornmarkt, einen repräsentativen

398 Vgl. Spehr 2005, S. 205 ff. Hier auch zum Folgenden. 399 Zit. nach Both/Vogel 1973, S. 25. Vgl. auch Danziger/Reuter 1999, S. 22. 400 Vgl. z. B. Günderode 1781, S. 79 f.

185 Abb. 92: Heinrich Christoph Jussow, Synagoge am Kornmarkt, Entwurf, Aufriss, 1781

Synagogenbau gewährte – ein Bau, den der Architekt Heinrich Jussow als pan­ theonartigen Rundbau entwarf (Abb. 92), der jedoch letztlich am Bauwillen der Juden selbst scheiterte. Denn sie fürchteten vor allem, mit diesem prächtigen Gebäude den Unwillen der übrigen Bevölkerung zu provozieren.401 Die Bau­ aufgabe zeigt gleichwohl die Idee religiöser Duldsamkeit, wie sie auch weite­ re Maßnahmen Friedrichs kennzeichnet. So galt der von ihm als Lehrer der morgenländischen Sprachen und der Philosophie 1766 an das Collegium Caro­ linum berufene Dr. theol. Johann Anton Piderit (1720–1791) als ausgesprochener Freigeist und war einer der wichtigsten Vertreter der Reunionsbestrebungen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Zugleich ist im Besucherbuch sein wich­ tigster Mitstreiter bei diesem Projekt, nämlich der Fuldaer Benediktinermönch Peter Böhm (1747–1822) verzeichnet, dessen Anwesenheit in Kassel somit am 23. September 1776 belegt ist – just kurz bevor Piderit aufgrund von massiven Meinungsverschiedenheiten mit dem Konsistorium in Kassel für zwei Wochen seines Amts enthoben wurde.402 Diese durch das Besucherbuch dokumentierte zeitliche Überschneidung dürfte kein Zufall gewesen sein, zumal mit dem Be­ nediktiner Konrad Eberth (1722–1786) noch ein weiterer Befürworter des »Pi­ derit-Böhmschen Reunionsprojekts« gemeinsam mit Böhm nach Kassel kam. Für Eberth, Professor für Theologie und Kirchengeschichte in Fulda sowie

401 Vgl. Jutta Schuchard/Hans-Christoph Dittscheid: Architektur und Gartenkunst. In: Ausst.Kat. Kassel 1979, S. 76–85, hier S. 81 f. und Kat. Nr. 284. Vgl. auch Rudolf Hallo: Kas­ seler Synagogengeschichte – Synagogen und Friedhöfe, Kunst und Handwerk der Juden in Kassel. 1931. In: Hallo 1983, S. 523 ff. 402 Vgl. Spehr 2005, S. 236.

186 fürstlich-fuldascher Geistlicher Rat, war es zugleich sein zweiter Besuch, findet sich sein Name auch unter dem Datum des 28. Oktober 1771 im Besucherbuch. Natürlich logierten die Herren, wie es sich bei ihrer spirituellen Ausrichtung al­ lein schon des Namens wegen empfahl, im Gasthaus Goldener Engel.403 Die zahlreichen Einträge im Besucherbuch belegen, wie präsent Vertre­ ter des katholischen Glaubens in Kassel trotz der durch die Assekurationsakte festgelegten Restriktionen waren und wie sich hier gar Bestrebungen zu einer Vereinigung der Konfessionen anbahnten. So mögen konfessionelle oder kir­ chenspezifische Fragestellungen tatsächlich manchen der katholischen Besu­ cher ins protestantische Kassel und in Folge dann auch ins Museum geführt ha­ ben. Daneben war ein ausgeprägtes Interesse an Naturwissenschaften bei vielen Geistlichen beider großen Konfessionen mit Sicherheit ein Anreiz zum Besuch der Sammlungen. So hat sich z. B. Gotthard Siebert (1724–1786) am 23. Septem­ ber 1769 ausführlich als »P. Gotthardus Siebert o.s.B. Fulda professus physices et math professor publ. ord. p.t. prorector universitatis Fuldensis« in das Besu­ cherbuch eingeschrieben. Siebert war, so ist dem Eintrag zu entnehmen, Bene­ diktiner (»o.s.B.« = ordo sancti Benedicti), ordentlicher Professor für Physik und Mathematik und zur Zeit (»p.t.« = pro tempore) Prorektor der Universität Fulda. Auch er zählt zu den vielseitig interessierten Theologen, richtete er in Fulda doch das erste »musikalische Museum« ein (vermutlich eine Musik-Ge­ sellschaft) und verfertigte Barometer und Thermometer. Die Erforschung und Vermessung der Natur, die sowohl den Blick in die Weite des Alls als auch durch das Mikroskop auf die kleinen Organismen des Lebens umschlossen, gehörten für viele Theologen ebenso zur Erfahrung des Göttlichen wie die Lektüre der biblischen Schriften.404 Für beides boten sowohl Kunsthaus als auch Museum Fridericianum vielfältiges Anschauungsmaterial – von den Sternwarten über die Naturalia und naturwissenschaftlichen Instru­ mente bis hin zu den Zimelien der Kirchengeschichte. Dass sich just von Kassel aus mit den Thesen zum Vulkanismus und zum Zwischenkieferknochen die für ihre Zeit größten Irritationen der biblischen Schöpfungsgeschichte anbahnten, dürfte den meisten Theologen freilich entgangen sein. Ein Gegengewicht zu den vielen genannten Katholiken bildet die große Zahl von Theologen aus Göttingen und Marburg, aus Zürich, Stockholm oder Kopenhagen, aber auch aus den kleinen Städten und Dörfern Hessen-Kassels

403 Auch die Reisegruppe der englischen Benediktinermönche Hatton, Allerton, Harsnep und der Fuldaer Hasenstaab, Gegenbaur und Schmitt, die allesamt im Besucherbuch ver­ zeichnet sind, wohnte 1774 im Goldenen Engel: »Den 27ten April, […] 6 Catholische Geistli­ che v. Fulda u. Hildesheim, l. i. g. Engel.« (PCZ, 1774, S. 303) 404 Zum komplexen Beziehungsgefüge zwischen Religion und Naturwissenschaft in der Frühen Neuzeit mit Schwerpunkt auf der lutherischen Theologie vgl. grundlegend Trepp 2009. Bezogen auf Kasseler Sammlungsobjekte widmete sich die Ausstellung Zum Ruhme Gottes. Naturwissenschaften und Religion in der Frühen Neuzeit dieser Thematik (Orangerie, Kassel 2007).

187 oder Kurhannovers. Aus Göttingen kamen etwa die Theologie-Professoren Förtsch, Kulenkamp, Less, Schleusner, Schrage, Spittler, Stäudlin und Tych­ sen, von denen die meisten zugleich auch als Universitätsprediger tätig waren. Zu ihnen ist auch Johann David Michaelis (1717–1791) zu zählen, seit 1750 Professor für Philosophie in Göttingen. Michaelis gilt vor allem als heraus­ ragender Bibelwissenschaftler, der einer historisch-kritischen Bibeldeutung den Weg bereitete. Michaelis, der sich am 22. Mai 1771 »nebst Fr. Gemahlin u. Sohn« in das Besucherbuch eintrug, wurde später auch zum Ehrenmit­ glied der Société des Antiquités ernannt.405 Zu seinen bedeutenden Leistungen gehört die Initiative zur königlich-dänischen Arabienexpedition, die in den Jahren 1761 bis 1767 durchgeführt wurde. Sie zielte darauf ab, den Wahrheits­ gehalt der biblischen Erzählungen zu untermauern. Michaelis hatte im Aus­ tausch mit Gelehrten aus ganz Europa die Instruktionen ausgearbeitet (1762 publiziert als Fragen an eine Gesellschaft gelehrter Männer, die auf Befehl Ihro Majestät des Königs von Dännemark nach Arabien reisen) und somit die erste wissenschaftlich begründete Expedition in den Vorderen Orient vorbereitet. Seine Studien führten ihn auch ganz gezielt nach Kassel. So erwähnt Schmin­ cke, dass 1767 der »Gebrauch« des »berühmte(n) hebräische(n) Codex des alten Testaments« in der Kasseler Bibliothek »dem berühmten Herrn Hofrath Michaelis zu Göttingen zum Behuf der Kennicotischen Ausgabe der hebrä­ ischen Bibel mit den verschiedenen Lesarten von des iztregierenden Herrn Landgrafen Hochfürstlichen Durchlaucht gnädigst verstattet worden.«406 Mit einer Husareneskorte war die Handschrift nach Göttingen gebracht worden, »und dort mußte sich die ganze Universität durch Ausstellung eines Reverses über demnächstige Rücklieferung verbürgen«.407 Benjamin Kennikott war im übrigen wiederum Korrespondent von Raspe,408 so dass Michaelis vielleicht über dessen Vermittlung von der hebräischen Bibel in Kassel erfahren hatte. Und auch die seit dem 17. Jahrhundert hier vorhandenen orientalischen Ma­ nuskripte, über die Johann Heinrich Wepler, Professor der morgenländischen Sprachen am Collegium Carolinum, ausführlich berichtete (Nachricht von de­ nen auf der Hochfürstlichen Bibliothek befindlichen morgenländischen Hand­ schriften, Kassel 1778) dürften mit Sicherheit auf das Interesse von Michaelis gestoßen sein (Abb. 93).

405 Im Besucherbuch findet sich später freilich nur noch einmal der Name seiner Frau um den 20. Juni 1789 verzeichnet. Dass Michaelis selbst gleichzeitig in Kassel war, belegt der Vermerk in der PCZ, 1789, S. 579: »Am 20.[…] Hr. Geh. Justizrath Michaelis, auch daher [= Göttingen], l. i. Gasth. am Kön. Pl.« 406 Schmincke 1767, S. 204 f. Dabei handelt es sich um den Codex Testamentum vetus He­ braicum. Massora magna et parva, LMB, 2° Ms. theol. 3. Kennicott publizierte 1776–1780 sein Hauptwerk Vetus Testamentum hebraicum cum variis lectionibus. 407 Zit. nach Both/Vogel 1973, S. 83. 408 LMB, 4° Ms. hist. litt. 2[Kennicott:1–4.

188 Abb. 93: »Cristen so auff d Grentz gefangen werden«. Eine der insgesamt 159 Abbildungen aus dem Türkischen Manierenbuch (40 Ms. hist. 31), letztes Viertel 16. Jahrhundert

Im Kontext der überregionalen und internationalen Verbindungen von Geistlichen unter den Museumsbesuchern sind auch einige Legationsprediger interessant, die offensichtlich auf dem Weg zu neuen Arbeitsorten über Kassel kamen und dabei die Gelegenheit zum Museumsbesuch nutzten – eine bislang kaum erforschte Gruppe im Komplex kultureller Wechselbeziehungen. So trug sich im November 1771 »CT Bastholm von Smyrna« in das Besucherbuch ein. Der aus Kopenhagen stammende Christian Bastholm (1740–1819) diente von 1767 bis 1771 als Pfarrer der evangelischen deutschen Gemeinde in Smyrna und kam vermutlich bei der Rückkehr aus der Türkei über Kassel. 1772 ist er als Gar­ nisonspfarrer in Frederikshavn nachgewiesen und stieg, 1774 zum Dr. theol. pro­ moviert, 1778 zum königlich dänischen Hofprediger auf. Am 28. Juni 1776 folgte ihm der Eintrag eines Kollegen: »C.P. Blomberg Aumonier de la Chapelle Sue­ doise à Constantinople.« Carl Peter Blomberg (1748–1820) war 1776 zum Legati­ onsprediger in Konstantinopel berufen worden und befand sich vermutlich auf dem Weg zu seiner neuen Arbeitsstätte. Später führte er das Reisetagebuch des Orientalisten Matthias Norberg. 1782 kehrte Blomberg nach Schweden zurück. Auf dem Weg in den Orient bzw. auf der Rückkehr von dort konnten die bei­ den skandinavischen Theologen sich im Kunsthaus auch durchaus bedeutende

189 Abb. 94: Türkisches Panzerhemd,­ vermutlich 17. Jahr­ hundert

materielle Relikte aus ihrem fernen Wirkungskreis anschauen: Schmincke zählt zu den vielen »merkwürdigen Sachen« der Kasseler Turcica-Sammlung409 im zweiten Stockwerk des Kunsthauses »auf dem Gange türkische Säbel, Bogen Köcher mit Pfeilen, Schilder und ein künstlich verfertigtes Panzerhembd.«410 (Abb. 94) Zu den besonders weit gereisten Theologen zählen auch zwei Brüder, die am 2. April 1787 im Besucherbuch die Zeilen »Johan Godfried Manger aid Curaer von Kolombo« und »Jacob Manger Prediger zu Punto Gale auf der Insel Ceylon« hinterließen. Dabei handelt es sich um die aus Nassau-Diez stammenden, 1787 geadelten Johan Godfried (1748–1825) und Johan Jacob (1739–1789/1798) von Manger. Der Ältere war seit 1772 Prediger bei der niederländischen Gemeinde in Colombo auf Ceylon (Sri Lanka),411 der Jüngere war ihm später gefolgt und wurde Prediger in Punto Gale. Beide kehrten 1787 nach Europa zurück, wo sie ihre Laufbahn nach weiteren kirchlichen Diensten als Besitzer des Ritterguts Bellinghoven bei Rees beendeten. Nach Kassel – und ins Museum – führte sie vermutlich in erster Linie eine verwandschaftliche Beziehung. Denn ihr älterer

409 Vgl. Katalog der Osmanischen Waffen der mhk (Online-Kataloge der mhk). Hg. von der Museumslandschaft Hessen Kassel. Kassel 2012: http://turcica.museum-kassel.de/ (14.4.2014). 410 Schmincke 1767, S. 188. 411 »aid Curaer« im Originaleintrag vermutlich für »aid curé« (Hilfsprediger).

190 Bruder Johann Georg (1732–1805) war hier als hessen-kasselscher Regierungs­ rat und Advokat, später als Polizeidirektor tätig. Dieser zählte im übrigen zum Kreis der Rosenkreuzer um Forster und Soemmerring in Kassel,412 und gehörte auch zu den Mitgliedern der Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste. Am 20. Mai 1780 hatte er sich selbst in das Besucherbuch eingetragen. Berufliche wie private Interessen trugen solchermaßen zum hohen Aufkom­ men von Theologen beider großen Konfessionen unter den Museumsbesuchern bei. Dagegen ließ sich nur ein einziger jüdischer Geistlicher im Besucherbuch nachweisen: Michael Meyer Breslauer (1710/12–1789), Hoffaktor in Köln und im Stift Münster, seit August 1771 auch erster Rabbiner des neu geschaffenen münsterischen Landrabbinats mit Sitz in Warendorf. Er besuchte das Kunsthaus gerade Mitte August 1771, weshalb seine Reise nach Kassel möglicherweise im Zusammenhang seiner neuen Aufgabe stand. Das Besucherbuch zeigt mit der großen Anzahl von Theologen, namentlich den zahlreichen herausragenden Vertretern der katholischen wie der protestan­ tischen Aufklärung, dass Kunsthaus und Museum Fridericianum auch Orte der vielfältigen interkonfessionellen Begegnung waren. Die von dem Protestanten Campe so nachdrücklich zur Besichtigung empfohlene katholische Elisabeth­ kirche steht daher gewissermaßen auch symbolisch zwischen den beiden Ge­ bäuden, und gar das »Piderit-Böhmsche Reunionsprojekt« fand schließlich sei­ nen Niederschlag im Besucherverzeichnis. Böhm dürfte sich aber auch aus einem anderen Grund von Fulda nach Kas­ sel begeben haben. Denn als Bibliothekar des Konvents und seit 1770 auch mit der Ordnung der Fuldaer Hofbibliothek betraut, war er sicherlich besonders am Aufbau des großen Bibliotheksgebäudes interessiert. Böhm, der später auch korrespondierendes Mitglied der Société des Antiquités wurde,413 hatte selbst unter der Regierung von Fürstbischof Heinrich VIII. von Bibra414 maßgeblich die Gründung der öffentlichen Bibliothek in Fulda aus den Beständen der Hof- und Klosterbibliotheken mitbetrieben. Ihr Bau war just im Jahr von Böhms Besuch in Kassel (1776) begonnen und 1778 abgeschlossen worden415 – eine Bibliothek, die vom Kasseler Vorbild die Idee des öffentlichen Nutzens über­ nimmt, in ihrer spätbarocken Pracht aber noch einer anderen Zeit anzugehö­ ren scheint.

412 Vgl. Irmtraut Sahmland: Soemmerring als Freimaurer und Rosenkreuzer in Kassel. In: Wenzel 1994, S.353–422, hier S. 385. 413 Bereits im September 1777 hatte der Graf von Görtz ihn und Rektor Fresenius in Schlitz als korrespondierende Mitglieder vorgeschlagen; vgl. LMB, 2° Ms. Hass. 241, 70, 71. 414 Bibra selbst ist nicht im Besucherbuch verzeichnet, wohl aber sein Neffe Philipp Anton von Bibra (1751–1826) am 13. August 1771. 415 Vgl. Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Euro­ pa, online: http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Hessische_Landesbibliothek_%28Ful­ da%29 (7.7.2014)

191 9. Bibliothekare und Bibliophile und die »Fürstlich öffentliche Bibliothek« im Museum Fridericianum

Der große Neubau auf dem Friedrichsplatz war zunächst, wie bereits erwähnt, nur für die Aufnahme der Bibliothek geplant gewesen, um der drängenden Raumnot im Marstall abzuhelfen: im August 1769 war hierfür die Eingabe »zur Errichtung des neuen Bibliothequen-Gebäudes« erfolgt.416 Der Marstall beher­ bergte die fürstliche Bibliothek seit 1580, im Oberstock über den Pferdeställen. Bereits im 17. Jahrhundert hatte sie bedeutenden Zuwachs erfahren, zum einen durch die als Kriegsbeute nach Kassel gekommene ältere Fuldaer Jesuitenbiblio­ thek, zum anderen durch die im Erbgang an Landgraf Karl gelangte, rund 5.300 Bände umfassende Pfälzer Hofbibliothek, die sog. »Jüngere Palatina«. Obwohl die Ankäufe in den folgenden Jahrzehnten trotz eines schon 1661 festgesetzten jährlichen Ankaufsetats eher gering ausfielen, war die Raumsituation im Mar­ stall immer beengter geworden. Dennoch waren regelmäßige Öffnungszeiten, die freilich wohl eher der Besichtigung als der Nutzung dienten, auch schon hier festgelegt.417 Eine erste offizielle Zählung unter dem Bibliothekar Johann Arckenholtz hatte bereits 1752 einen Buchbestand von 13.341 Bänden ergeben, und durch den Zuwachs weiterer Privatbibliotheken und Ankäufe hatte er sich bis 1776 nahe­ zu verdoppelt. Denn bei erneuter Zählung kam man nun auf 27.115 Buchbin­ derbände, dazu 587 Handschriften und 1.492 Dubletten. Im Museumsneubau selbst vergrößerte er sich innerhalb von rund zehn Jahren nochmals auf rund 40.000 Bände. Das Fassungsvermögen des Büchersaals selbst war auf 110.000 Bände berechnet worden.418 Einige Vergleichszahlen: die herzogliche Biblio­ thek in Weimar, seit 1766 im Grünen Schlösschen eingerichtet, umfasste rund 30.000 Bände; die Universitätsbibliothek Halle verfügte dagegen 1795 nur über 20.000 Bände.419 Oder Heidelberg: Georg Friedrich Creuzer (1771–1858), der sich am 22. September 1791 mit einer größeren Gruppe in das Besucherbuch

416 Zur Bibliotheksgeschichte vgl. Hopf 1930, Kahlfuß 1979 und 1980. 417 Im Anhang des Staatskalenders wird dies jeweils unter dem »Verzeichnis der Sehens­ würdigkeiten« vermerkt. 1764 werden die Öffnungszeiten an vier Tagen der Woche vormit­ tags, nämlich Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag, 9 bis 12 Uhr, genannt, darüberhin­ aus konnte man mit den Bibliothekaren noch weitere Besichtigungszeiten vereinbaren. Vgl. StKl HK 1764, S. 201. Einen bemerkenswerten Vorstoß zur Umwandlung der Bibliothek im Marstall zu einer für jedermann geöffneten wissenschaftlichen Bibliothek unternahm der Bibliothekar Johann Hermann Schmincke bereits 1730/31, vgl. Hopf 1930, S. 26 f. 418 Vgl. Hopf 1930, S. 44 f.; Kahlfuß 1979, S. 145. Hier auch zu den Nutzungsbedingungen und Öffnungszeiten. 1792 schreibt Apell von 50.000 Bänden, vgl. Apell 1792, S. 59. 419 Vgl. Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa, online: http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Niedersaechsische_Staats-_Und_Univer­ sitaetsbibliothek; http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Universitaets-_Und_Landesbib­ liothek_Sachsen-Anhalt (7.7.2014)

192 des Museum Fridericianum eingetragen hatte, urteilte später als Professor der Philologie und alten Geschichte in Heidelberg über die dortige Bibliothek, sie sei eine »chaotisch durcheinander geworfene Masse«. Auch vom Umfang her war sie vergleichsweise bescheiden. Von ca. 12.000 Bänden im Jahre 1786 wuchs sie aber immerhin bis zum Jahrhundertende auf 20.000 Bände an.420 Für eine mittelgroße Residenzstadt war die Bibliothek im Museum Fridericianum also durchaus stattlich, und Georg Forsters Klage über die mangelnde Buchkultur in Kassel war sicherlich nicht gerechtfertigt.421 Dies setzte freilich voraus, dass man sie nicht mit derjenigen im nahen Göttingen verglich. Denn die Göttinger Universitätsbibliothek war seit ihren Anfängen 1737 mit ca. 12.000 Bänden un­ ter der umsichtigen Erwerbstätigkeit von Christian Gottlieb Heyne bis zum Jahr 1800 auf ca. 135.000 Bände angewachsen. Ein Besucher der Kasseler Bibliothek bemerkte 1783 entsprechend zum eher bescheidenen Ankaufsetat: »Es scheint, als wenn nach dem, was für die Göttinger Bibliothek geschehen ist, und noch geschieht […] den benachbarten Fürsten der Muth vergehet, mit derselben zu wetteifern.«422 Die Kasseler Bibliotheksgeschichte unterscheidet sich in vielen Bereichen kaum von derjenigen vergleichbarer Fürstenbibliotheken: einzelne Bibliophile unter den Mitgliedern des Herrscherhauses, Eroberungen, Erbschaften, Schen­ kungen oder Ankäufe prägten den Bestand in seiner Vielfalt. Seit dem Aufbau des Collegium Carolinum wurde aber offenbar parallel die Bibliothek gezielter im Blick auf den akademischen wie öffentlichen Gebrauch vermehrt. Die wis­ senschaftlichen Bibliothekare wie Johann Arckenholtz, Johann Hermann und sein Sohn Friedrich Christoph Schmincke sowie der von 1771 bis 1775 zusätz­ lich als 2. Bibliothekar bestallte Raspe hatten immer wieder Lücken in einzel­ nen Wissensbereichen benannt, Vorschläge zum Ankauf wie zum Abonnement von Zeitschriften unterbreitet oder durch geschickten Dublettentausch den Be­ stand vergrößert. Bereits 1748 regte Arckenholtz zugleich die Einführung von sog. »Pflichtexemplaren« an, »damit die Bibliotec aufweisen könne, was auf de­ nen Universitäten dieser Lande durch den Druck publiciret würde«.423 Schmin­ cke setzte dann im Dezember 1770 ein allgemeines Pflichtexemplarrecht für die Buchhändler und Buchdrucker durch. Mit der Eröffnung des Museums 1779 war damit eine Bibliothek allgemein zugänglich, die »etwa gleichzeitig mit den ersten Universitätsbibliotheken zu einer Gebrauchsbibliothek für das ›gelehrte Publico‹« bestimmt war.424

420 Vgl. ebd., http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Universitaetsbibliothek_%28Hei­ delberg%29 (8.7.2014) 421 Vgl. Hartmut Broszinski: illiteratissima urbs? Kasseler Privatbibliotheken im 18. Jahr­ hundert. In: Wunder/Vanja/Wegner 2000, S. 47–70; Mey 2000. 422 Halem 1790, zit. nach Vercamer 2006, S. 511. Zu Heyne zuletzt: Graepler 2013/2014. 423 Zit. nach Kahlfuß 1979, S, 145. 424 Kahlfuß 1979, S. 148.

193 Fürsten- oder Fürstinnenbibliotheken konnten zu dieser Zeit zwar auch an­ dernorts besichtigt werden, doch lag hier zumeist der Schwerpunkt auf der Re­ präsentation und einer demgemäß ästhetisch ansprechenden und aufwendigen Präsentation, wie etwa im berühmten Weimarer Rokokosaal. Aber auch im ver­ gleichsweise bescheidenen Arolsen mit seinem überaus bibliophilen Regenten waren Besucher in der Bibliothek zugelassen. So berichtet Carl August Gottlieb Seidel 1785 von einem Besuch der Bibliothek von Fürst Friedrich: »In seinem Kabinette steht seine Bibliothek in Schränken mit blauseidenen Vorhängen, so eingerichtet, daß es Mancher für bloße Tapete hält. Die Bibliothek ist sehr artig, von ihm neu gesammlet, und hat verschiedene vortrefliche neuere Werke. Die Kupfersammlung ist ansehnlich und schön.«425 Der traditionelle Schaucharakter fürstlicher Büchersammlungen war dage­ gen im Neubau des Museum Fridericianum deutlich hinter dem praktischen Nut­ zen für die Leser zurückgetreten, was sich vor allem in der schlichten Architek­ tur und Inneneinrichtung bis hin zu den sechs von Stühlen umgebenen ovalen Tischen und den bereitgestellten Schreibfedern, Tintenfässern und Papierbögen ausdrückte.426 Der Reiseschriftsteller Karl Gottlob Küttner schrieb um 1797 über den großen Saal (Abb. 95): »In dem nehmlichen Gebäude befindet sich auch die sehr ansehnliche Büchersammlung in einem Saale, der 280 Schuh lang, 40 breit und 30 hoch ist. Es ist einer der schönsten und heiter­sten Säle dieser Art, die mir irgendwo vorgekommen sind.«427 Dass die »Fürstlich öffentliche Bibliothek«, wie sie der erste Direktor des Museums, Friedrich Wilhelm von Veltheim nannte, in Folge durchaus zum Vorreiter wie Maßstab wurde, läßt sich auch an Bemer­ kungen von Besuchern festmachen. So äußerte sich Friedrich Nicolai, der am 16. Oktober 1781 das Museum in Kassel besucht hatte, in seinen Reisebeschreibun­ gen kritisch über die zeitgleichen Münchner Verhältnisse: »Die Hofbibliothek hat sollen eine öffentliche Bibliothek werden, welches aber noch nicht gesche­ hen ist, und München hat keine einzige öffentliche Bibliothek.«428 Die solcherart immer nachdrücklicher formulierte aufklärerische Forderung nach der Öffnung von Sammlungen und Bibliotheken führte an vielen Orten zu Initiativen, und so erhielt schließlich auch München 1789 seine öffentliche Bibliothek. Hierzu fügt es sich, dass Stanislaus Georg Roccatani, seit 1783 Unterbibliothekar am Museum Fridericianum, 1787 einen Ruf als Hofbibliothekar nach München annahm und er dort, gewissermaßen vor dem Hintergrund Kasseler Erfahrungen, aus Anlass

425 Seidel 1786, S. 11. Zur Bibliothek in Arolsen vgl. das DFG-Projekt »Die Fürstenbiblio­ thek Arolsen als Kultur- und Wissensraum«, online: http://www.uni-kassel.de/projekte/fuer­ stenbibliothek-arolsen/startseite.html (1.2.2014) 426 Vgl. auch du Rys Beschreibung, Boehlke 1963, S. 103. 427 Karl Gottlob Küttner: Reise durch Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien in den Jahren 1797, 1798, 1799. 4 Bde., Leipzig 1801, 1. Bd., zit. nach Vercamer 2006, S. 524. 428 Zit. nach Kaltwasser 1999, S. 83.

194 Abb. 95: Bibliothekssaal im Museum Fridericianum, historische Aufnahme der Bibliotheksöffnung in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1790 eine Rede Über den Nutzen öffentlicher Bibliotheken hielt.429 Auch in Dresden bemühte man sich ab Beginn der 1780er Jahre um eine Öffnung der Büchersammlungen und stellte schließlich die Bibliothek in dem 1782 bis 1786 zu diesem Zwecke umgebauten Japanischen Palais auf. Die dort neu angebrachte Inschrift Museum usui publico patens (Museum, dem öffentli­ chen Gebrauch geöffnet)430 drückte nun ganz deutlich eine öffentliche Zweck­ bestimmung aus, wie sie beim Museum Fridericianum bereits einige Jahre zu­ vor gegeben war. Viele Fürsten zogen nach. So wurden in der Folgezeit z. B. auch in Meiningen (Besuch Herzogs Georg I. von Sachsen-Meiningen am 27. März 1783) oder Oldenburg die fürstlichen Büchersammlungen in öffentliche Bibliotheken umgewandelt – möglicherweise direkt nach Kasseler Vorbild, hatte doch auch der spätere Großherzog von Oldenburg, Peter Friedrich Lud­ wig Prinz von Schleswig-Holstein-Gottorf (1755–1829) bereits 1780 das Muse­ um Fridericianum besucht und war auch zum Ehrenmitglied der Société des Antiquités ernannt worden. Seine rund 22.000 Bände umfassende Sammlung

429 Vgl. Helmut Bernert: Die wissenschaftlich tätigen Bibliotheksbediensteten 1580–1957. In: Kahlfuß 1980, hier S. 78. 430 Vgl. Thomas Bürger: Wandel und Kontinuität in 450 Jahren. Von der kurfürstlichen Liberey zur Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek. In: Wissen­ schaftliche Zeitschrift der Technischen Universität Dresden, 55 (2006) Heft 1–2, S. 30–36, hier S. 33.

195 diente, obwohl im Schloss aufgestellt, gleich dem Kasseler Vorläufer mehr als Bildungs- und wissenschaftliche Gebrauchsbibliothek denn als Medium fürstli­ cher Repräsentation.431 So vorbildhaft also die neu eröffnete Bibliothek in Kassel für vergleich­bare Büchersammlungen sein konnte – für die Bibliothekare standen mit dem Um­ zug aus dem engen Marstall in das großräumige neue Gebäude nicht nur erfreu­ liche, sondern auch höchst anstrengende und aufregende Zeiten bevor. Denn Landgraf Friedrich II., der sich zuvor schon vergeblich bemüht hatte, Gotthold Ephraim Lessing als Bibliothekar nach Kassel zu holen,432 hatte 1776 auf Emp­ fehlung Voltaires Jean Pierre Louis Marquis de Luchet als Theater­direktor (»Sur­ intendant des spectacles«, heißt es im Staatskalender) und Sekretär der Société des Antiquités eingestellt und ihn, statt der angestammten Wissenschaftler, auch gleich noch zum ersten Bibliothekar ernannt. Was den Landgrafen, der nach Voltaires Tod auch dessen Bibliothek ankaufen wollte,433 zu dieser Entschei­ dung außer einer allgemeinen Frankophilie getrieben hat, läßt sich nur vermu­ ten. Vielleicht hat er, in Vorwegnahme heutiger Gepflogenheiten, eher einem Eventmanager wie Luchet als seinen trockenen Bibliothekaren zugetraut, eine solch neuartige öffentliche Institution erfolgreich zu betreiben – zu »altfrän­ kisch« und daher altmodisch erschien ihm jedenfalls die bisherige Ordnung.434 Als eine neuartige Form der Bibliothek, die gleichermaßen den Bedürfnissen der Wissenschaft wie des allgemeinen Publikums entgegen kommen sollte, hatte Friedrich also offenbar auch eine adäquate neue Präsentation im Sinn – und be­ rief daher einen neuen, jedoch wohl falschen Mann in die dafür verantwortliche Position. Denn ohne Rücksicht auf bereits längst erbrachte Katalogvorarbeiten legte Luchet im Januar 1779 einen Plan zur Aufstellung der Bücher vor, der sich keineswegs am Kasseler Bestand, sondern an der Aufstellungssystematik einer französischen Privatbibliothek orientierte – zum Schrecken­ aller deutschen Bi­­­ blio­thekare, allen voran Schmincke und Strieder.435 So war etwa die Theologie in

431 Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa, online: http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Landesbibliothek_%28Oldenburg%29 (8.7.2014) 432 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 75. 433 Vgl. ebd., S. 83. Katharina II. kam ihm hier freilich zuvor. 434 Im Januar 1779 konfrontierte der Landgraf Schmincke mit Luchets Plan und argumen­ tierte dabei, die alte Ordnung könne nicht bleiben, »die seyn zu altfränkisch: man rangire heutiges Tages Bibliotheken nicht mehr so.« Zit. nach Kahlfuß 1979, S. 147. Völlig unhalt­ bar ist Arnolds Einschätzung von Landgraf Friedrich als eines »Negativbeispiels« unter den fürstlichen Büchersammlern: er habe »an seiner Bibliothek als Bildungsinstitution und an der Realisierung eines Bildungsideals kein Interesse« gehabt, indem er Luchet mit so vie­ len Aufgaben betraute. Auf ihn treffe das zeitgenössische Urteil über Dreiviertel deutscher Fürsten zu, die »kaum gesunden Menschenverstand haben und die Schmach und Geißel der Gesellschaft sind«. Arnold 1988, S. 51 f. 435 Vgl. hierzu auch Hopf 1930, S. 39–49, sowie Hartmut Broszinski: Bibliotheksgeschichte. In: Kahlfuß 1980, S. 179–182.

196 ihren Unterabteilungen nach katholischen Gesichtspunkten gegliedert, was für den Fundus einer Bibliothek der protestantischen Landgrafschaft Hessen wirk­ lich nicht gerade sinnvoll erschien. Luchet zur Seite gestellt wurde dann auch noch Andréa de Nerciat, der kaum als Bibliothekar, wohl aber als Schriftstel­ ler in die Nachwelt einging, mit Büchern, die wie die Kochbücher Le Goullons auch heute noch aufgelegt werden, freilich von anderen leiblichen Genüssen handeln.436 Seine Gattin Angélique, geb. Condamin de Chaussan (1760–1830), findet sich im übrigen auch im Besucherbuch eingetragen (20. März 1782). Zu dieser französischen Interimszeit sei nochmals aus dem Reisebericht Sei­ dels von 1785 zitiert: »Die Büchersammlung soll sich gegen 50000 belaufen und enthält schöne Werke […] Die teutsche Litteratur ist zurük und ganz vernach­ läßiget, dafür ist dem Marquis de Luchet eine Summe angewisen, die franzö­ sische zu ergänzen, und der Herr Marquis läßt sich diesen Auftrag sehr ange­ legen seyn […] Diß erregte Unwillen in mir. Der arme teutsche Gelehrte! Was das für eine Aufmunterung für ihn seyn muß, wenn er eine solche Bibliothek besucht, und findet statt der körnigen Werke seiner Mitbrüder Spielereien des französischen Wizzes, Memoires, Anecdotes, histoires du jour u.s.w. Muß ihm nicht ein Angstschweiß ausbrechen? muß er nicht allen Muth verlieren, wenn auch er vielleicht eben ein brauchbares und nüzliches Werk unter der Feder hat? […] Die ganze Einrichtung der Bibliothek […] ist ohne Ordnung, ohne Sy­ stem. Keine gehörige Hauptabtheilung, geschweige Unterabtheilung. Ich möch­ te fast behaupten, das einzige, was in Ordnung steht, ist eine ziemlich ansehnli­ che Sammlung Bibeln.«437 Zur Erleichterung der deutschen Bibliothekare bat Luchet 1786 unter dem neuen Landgrafen Wilhelm IX. um seine Entlassung, und mit dem Bibliothekar Strieder zog allmählich wieder Ordnung ein – nachdem ein veritabler Krieg mit spitzen Federn, in den auch auswärtige Gelehrte wie z. B. Schlözer in ­Göttingen involviert waren, nochmals heftig die Gemüter erregt hatte.438 Schlözer, der die Kasseler Bibliothek »unter die ansehnlichsten des deutschen Reichs« zählte, mokierte sich über die vielen peinlichen Schnitzer, die die »ungelerten Aus­ länder«, d. h. Luchet und Nerciat, in Katalog und Beschriftungen hinterlassen hätten, woraufhin Nerciat nicht umhin konnte, sich wiederum als einen »étran­ ger assimilé«, der mit größter Sorgfalt gearbeitet habe, zu verteidigen. Schlözer konterte und warf dem Franzosen grundlegenden Mangel an Kenntnissen vor:

436 In deutscher Übersetzung z. B.: Ich war eine Kurtisane (München 1993); Lust und Laster im Kloster (Flensburg 1980). Ob man in Kassel damals von dieser speziellen schriftstelleri­ schen Tätigkeit wußte, ist eher unwahrscheinlich – wäre dies doch, etwa für Strieder, ein weiterer willkommener Anlass gewesen, um Nerciats bibliothekarische Inkompetenz anzu­ prangern. Jedoch schreibt Günderode von »einigen kleinen Romanen« und einem Theater­ stück Nerciats. Vgl. Günderode 1781, S. 98. 437 Seidel 1786, S. 104–106. 438 Vgl. bereits 1781 einen Artikel in der Gothaischen Gelehrten-Zeitung, S. 45–47.

197 dass er »kein Latein verstehe, keine Bücherkenntniß habe, folglich sich nicht damit bei einer öffentlichen Bibliothek, die wochentlich so viele Reisende se­ hen, hätte abgeben sollen.«439 So stehe z. B. auf den schwarzen Beschriftungsta­ feln »Europaea«, statt »Europaeana«, noch peinlicher musste die Bezeichnung »Exeuropaeana«, statt »Asiat.«, »Afric.« oder »Americ.« erscheinen. Ganz of­ fensichtlich tobte sich hier auch ein kleiner Kulturkampf aus. Für die patrio­ tisch geprägte Abrechnung der deutschen Gelehrten mit der langen Dominanz der französischen »Civilisation« boten die beiden französischen Bibliothekare in Kassel jedenfalls eine breite und günstige Angriffsfläche.440 Zur Ehrenret­ tung Luchets sei jedoch abschließend erwähnt, dass er außer seinem bereits genannten Werk zur Mineralogie während seiner Kasseler Jahre auch eine drei­ bändige Histoire litteraire de Monsieur Voltaire (Kassel 1780) veröffentlichte – offenbar der Start zu einer von Strieder freilich höchst misstrauisch beäugten Initiative Luchets, »Cassel zum Mittelpunkt des Verkehrs zwischen deutscher und französischer Litteratur zu machen, hier deutsche Bücher ins französische für Frankreich übersetzen und französische Bücher für Deutschland kommen zu lassen.«441 Aus heutiger Warte verdient Luchet gerade auch mit einer sol­ chen Initiative zur deutsch-französischen Kulturvermittlung sicherlich eine neue Beurteilung. Trotz der vernichtenden Kritik an der Bibliothekssystematik während der französischen Bibliothekarszeit – einig sind sich die zeitgenössischen Berichter­ statter über die gelungene, klassizistisch schlichte Architektur der Bibliotheks­ räume sowie den Vorteil großzügiger Nutzungsmöglichkeiten, nämlich täg­ lich vormittags von 9 bis 13, nachmittags von 15 bis 18 Uhr, mit Ausnahme der Feiertage.442 Nochmals ein Vergleich mit Dresden: hier war die Bibliothek seit Juli 1787 zunächst nur an zwei Tagen der Öffentlichkeit zugänglich; bereits 1788 wurden die Zeiten aber schon auf eine tägliche Öffnung von 10 bis 12 und 15 bis 17 Uhr ausgedehnt.443 Die Göttinger Universitätsbibliothek wurde dagegen nur, wie es in den Instruktionen 1761 hieß, »wöchentlich zehn volle Stunden geöf­ net, nämlich Montags, Dienstags, Donnerstags und Freitags von 1 bis 2 Uhr.

439 Der ganze Disput findet sich im Artikel »Luchet« in Strieders Gelehrtengeschichte do­ kumentiert, vgl. Strieder, 8. Bd. (1788), S. 126 ff. 440 Luchet fand auch Eingang in eine Episode von Adolph Freiherr Knigges Roman Ben­ jamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung in Abyssinien (Frankfurt/M. 2006, S. 200 f.): Der Franzose versagt hier im Chaos seiner Kasseler Bibliotheksaufstellung kläglich bei der Suche nach Büchern über Abyssinien. Knigge selbst hat sich im übrigen am 6. April 1782 in das Besucherbuch eingetragen. 441 Strieder, 8. Bd. (1788), S. 155. 442 Vgl. Hopf 1930, S. 54. Die Öffnungszeiten variierten. So waren 1780 vier Tage für die Öffentlichkeit vorgesehen: Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag, jeweils 10 bis 13 und 15 bis 17 Uhr. Vgl. Kahlfuß 1979, S. 142. 443 Vgl. Sander 2009, S. 170.

198 Mittwochs aber und Sonnabends von 2 bis 5, oder im Winter bis es finster wird, denn Licht wird in der Bibliothec nicht geduldet.«444 Die Göttinger Bibliothek war jedoch bei den Ausleihen wesentlich groß­ zügiger. In Kassel musste dagegen eine Genehmigung des Landgrafen einge­ holt werde, wollte man Bücher mit nach Hause nehmen, so dass sie eher dem Status einer Präsenzbibliothek entsprach. Wie sehr diese sich aber von einer fürstlichen Schausammlung hin zur komfortablen allgemein zugänglichen Bil­ dungsinstitution gewandelt hatte, wird auch in der Beschreibung Günderodes deutlich: »Bequeme Tische und Stühle stehen darinnen in gewisser Entfernung vertheilt; auch findet man auf ersteren genugsam die noethigen Schreibbedürf­ nisse auf das beste eingerichtet[…] Dieser Büchersaal steht nun jedermann Vor- und Nachmittags offen, und man kann sich alle vorhandene Bücher zur Einsicht ausbitten, wobey man denn ohne Aufenthalt und mit vieler Höflichkeit bedient wird, um aber Bücher mit nach Hause nehmen zu dürfen, muß man eine be­ sondere Erlaubniß von dem Herrn Landgrafen selbsten haben. Auch findet man viele Zeitungen, imgleichen deutsche und französische Journals und Monats­ schriften daselbst.«445 Dass dieser neue Bibliotheksbau speziell die Fachleute des Buchwesens an­ gezogen haben dürfte, liegt auf der Hand. Zahlreiche Einträge im Besucherbuch dokumentieren unzweifelhaft das große Interesse von Buchsammlern, Biblio­ theksgründern, Buchhändlern und Verlegern und natürlich wissenschaftlichen Bibliothekaren. Um mit letzteren und gleich im hohen Norden zu beginnen: am 19. August 1779 trug sich Henrik Gabriel Porthan (1739–1804), Universitäts­ bibliothekar und Professor der Rhetorik in Turku, in das Buch ein. Der bedeuten­ de finnische Sprachwissenschaftler unternahm 1779 eine Reise durch Dänemark und Deutschland mit längerem Aufenthalt in Göttingen und besuchte bei dieser Gelegenheit das neueröffnete Museum in Kassel. Als »Secret. à la Bibliotheque du Roi à Stockholm« schrieb sich am 6. Oktober 1777, also noch während der Bauphase, Carl Larsson Kämpe (1738–1816) ein, der später auch an der königli­ chen Bibliothek zu Uppsala tätig war. Am 29. Juli 1782 besuchte Daniel Gotthilf Moldenhawer (1752–1823) das Museum, zu dieser Zeit auf Gelehrtenreise durch die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien. 1788 wurde er, neben seiner Professur für Kirchengeschichte, auch Oberbibliothekar der kö­ niglichen Bibliothek in Kopenhagen, die sich unter seiner Leitung zu einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Bibliotheken Europas entwickelte und deren Öffnung für die allgemeine Öffentlichkeit ihm zugleich ein besonderes Anliegen war. Aus Berlin kam Johann Erich Biester (1749–1816), seit 1784 Bibliothekar der

444 Die Gesetze der Universitätsbibliothek zu Göttingen vom 28. Oktober 1761. In: Zentral­ blatt für Bibliothekswesen 1920, online: http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?PP­ N=PPN353687529&DMDID=DMDLOG_0018&LOGID=LOG_0018&PHYSID=PHYS_0060 (7.7.2014) 445 Günderode 1781, S. 120–122.

199 königlichen Bibliothek, aus Rinteln der Universitätsbibliothekar und Professor Johann Matthäus Hassencamp (1743–1797), aus Helmstedt sein Kollege Franz Dominicus Haeberlin (1720–1787), aus Straßburg Christoph Wilhelm von Koch (1737–1813), seit 1771 Bibliothekar an der Straßburger Stadtbibliothek und Rei­ sender mit Schwerpunkt auf Bibliotheks- und Archivbesuchen, und aus Tübin­ gen Jeremias David Reuss (1750–1837), der in den Jahren 1774 bis 1782 erstmals für regelmäßige Öffnungszeiten der dortigen Universitätsbibliothek sorgte und sich auch um eine grundlegende Neuordnung der Bestände bemühte.446 Reuss trug sich am 28. Mai 1781 zusammen mit seinem Bruder August Christian, mit dem er zu dieser Zeit eine Studienreise durch Deutschland machte, in das Besu­ cherbuch ein. Bereits ein Jahr später wechselte er als Professor der Philosophie nach Göttingen, wo er ab 1789 auch Unterbibliothekar, ab 1812 Bibliothekar und ab 1829 schließlich Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek wurde. Seine ca. 7.000 Bände umfassende Privatbibliothek vermachte er freilich – wohl aus Gründen der höheren Bedürftigkeit – der Universität Tübingen. Dass sein Göt­ tinger Kollege Heyne selbstverständlich mehrfach Sammlungen und Bibliothek in Kassel besichtigt hatte, wurde bereits erwähnt. Unter den wissenschaftlichen Bibliothekaren sei noch einer hervorgehoben. Der gebürtige Schweizer Joseph Planta (1744–1827) war seit 1779 Chief Librarian am British Museum in London. Das Museum Fridericianum besuchte er am 11. August 1785. Doch schon im Gründungsjahr der Sociéte des Antiquités (1777) be­ stand der Kontakt nach Kassel: denn Planta sollte korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft werden, was er freilich in einem Brief vom 9. September 1777 aufgrund sonstiger Verpflichtungen ablehnte. Doch bereits im Folgejahr wurde er als Ehrenmitglied aufgenommen (12. Juli 1778), worauf er mit einem Dankes­ brief vom 17. September 1778 reagierte.447 Dass die große Bibliothek in Kassel von Anfang an auf großzügige Nutzung durch ein allgemeines Publikum an­ gelegt war, dürfte mit Sicherheit auf seine Hochschätzung gestoßen sein. Denn Planta engagierte sich in der Folgezeit für die Verbesserung der bis dahin sehr eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten der Bibliothek im British Museum und erwirkte schließlich die freie Benutzung der Buchbestände.448 Von den Bibliothekaren leitet Christian Gottlob von Voigt (1743–1819) zu den Buchsammlern und Bibliotheksgründern über. Denn der Akzessist und spätere Oberaufseher der herzoglichen Bibliothek in Weimar erschien gleich nach Museumseröffnung, nämlich am 5. Juni 1779, in Kassel und bildete so ge­ wissermaßen die Vorhut von Anna Amalias eigenem Besuch einige Zeit später. Bei der Auskundschaftung der »Kasseler Wunderdinge« war er in Begleitung des herzoglichen Leibarztes Johann Friedrich Hufeland (1730–1787) angereist.

446 http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Universitaetsbibliothek_Tuebingen 447 LMB, 2° Ms. Hass. 241, 666–668. 448 Vgl. Esdaile 1948, S. 51 f., 56 f.

200 Neben Anna Amalia oder Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Des­ sau sei unter den Buchsammlern und Bibliotheksgründern z. B. Ferencz Graf Széchényi (1754–1820) erwähnt, der sich Anfang Juli 1787 gemeinsam mit seiner Gemahlin Juliana, geb. Gräfin Festetics de Tolna (1753–1824) in das Besucher­ buch eintrug. Der kaiserliche Geheime Rat war als Gegner der Überführung der ungarischen Krone nach Wien bei Kaiser Joseph II. in Ungnade gefallen und 1786 von seinen Ämtern zurückgetreten. Danach unternahm er größere Auslandsreisen, u. a. in die Österreichischen Niederlande, um hier Kontakte zur Opposition gegen den Kaiser zu knüpfen. Bei dieser Gelegenheit kam er wohl durch Kassel. Nach Kaiser Josephs Tod kehrte er 1790/91 in den Staatsdienst zurück. Er widmete sich fast ausschließlich der Gründung der Ungarischen Na­ tionalbibliothek, die 1799 eröffnet und später nach ihm benannt wurde. Seine eigene umfangreiche Bibliothek sowie seine Kunstsammlung stiftete er 1802 der ungarischen Nation als Grundstock des Ungarischen Nationalmuseums. Auch der bereits erwähnte bibliophile Fürst Friedrich von Waldeck und Pyr­ mont (1743–1812) besichtigte am 16. Oktober 1789 das Museum im benachbarten Hessen-Kassel, ebenso wie seine nicht minder bücherbegeisterte Mutter, Fürstin Christiane, bereits fünf Jahre zuvor, nämlich am 27. Oktober 1784. Unter den bürgerlichen Büchersammlern sei der Hamburger Privat­ gelehrte Arnold Schuback (1762–1826) genannt, der 1786 als Student von Göttingen aus nach Kassel kam und 1794 nochmals als Hauslehrer aus Hamburg wiederkehrte. Als Spezialist für die Geschichte seiner Heimat­ stadt war er später auch Verwalter des Stadtarchivs. Sein spezielles Interes­ se an Büchern dokumentiert sich überdies in der Publikation von mehreren Bibliotheks-Auktions-Katalogen. Auch Buchhändler waren unter dem Museumspublikum reichlich vertreten. Aus London kam bereits 1770, also in der frühen Bauphase des Museums, der Drucker und Buchhändler Carl Heydinger nach Kassel, der vor allem theologi­ sche und naturwissenschaftliche Schriften verlegte und in London im Kreis um Reinhold und Georg Forster und Joseph Banks verkehrte – für Raspe später eine wichtige Anlaufstelle nach seiner Flucht 1775. Ende Oktober 1794 reiste auch sein Sohn und Nachfolger Charles William Heydinger (*1769) nach Kassel und trug sich hier in das Besucherbuch ein. Zweimal ist der Namenszug von Friedrich Nicolai (Abb. 96) verzeichnet, der ähnlich wie die Buchhändlerfamilie Pockwitz aus Hannover gewissermaßen im Familienverband eingetragen ist. Denn beim ersten Besuch hatte er, wie im Eintrag vermerkt, seinen ältesten Sohn Samuel Friedrich dabei: »FrNicolai Buchhändler aus Berlin. d. 16 oct. 1781. nebst des­ sen Sohn S F Nicolai«. Beim zweiten Besuch am 21. September 1789 begleitete ihn sein jüngerer Sohn Carl August. Beide Söhne waren gleichfalls als Buch­ händler und Verleger tätig. Und auch »Madame Nicolai«, d. i. Elisabeth Maca­ ria, geb. Schaarschmidt (1741–1793), findet sich im Besucherbuch (26. Juli 1785), wiederum zusammen mit einem ihrer Söhne. Die Kasseler Professoren Dohm, Höpfner, Mauvillon, Raspe, Runde und Tiedemann waren als Rezensenten für

201 Abb. 96: Anton Graff, Bildnis Friedrich Nicolai, um 1783

Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek tätig, und Einträge in seinem Stamm­ buch zeigen, dass er bei seinem Aufenthalt 1781 nicht nur zu ihnen, sondern u. a. auch zu Forster,449 Philippine Engelhard geb. Gatterer, du Ry, Schmincke, Steg­ mann, Tischbein d. Ä. und Casparson Kontakt hatte. Dem schlossen sich, wie Hinweise in Nicolais Korrespondenz belegen, wiederum Buchbestellungen bei ihm an.450 Nicolai versorgte im übrigen auch den Arolser Fürsten mit Literatur, vor allem mit deutschen Büchern.451 Als Berliner Kollegen kamen auch die Brüder Spener nach Kassel, freilich noch vor Eröffnung des Museums (1772 und 1775). Johann Karl Philipp Spener (1749–1827) verlegte zahlreiche wissenschaftliche und belletristische Werke, u. a. auch die Werke Georg Forsters, den er 1776 in England kennengelernt hatte. Sein jüngerer Bruder Christian Sigismund Spener (1753–1813) war Mitinhaber der Haude und Spenerschen Buchhandlung und seit 1773 auch Besitzer einer Buchdruckerei. Aus Göttingen reiste kurz nach Eröffnung des Museums Carl Günther Ruprecht (1730–1816) an, Geschäftsführer der Göttinger Universitäts­ buchdruckerei und -buchhandlung Vandenhoeck, die er ab 1787 als Inhaber un­ ter dem Namen Vandenhoeck & Ruprecht fortführte. Ruprecht war Verleger der Schriften der meisten Göttinger Professoren und besuchte das Museum am 27. August 1779 vermutlich gemeinsam mit dem Göttinger Weinschenk Johann Pe­ ter Dumont. Ein renommierter Buchhändler unter den Museumsbesuchern war auch Carl Wilhelm Ettinger (1741–1804) aus ­Gotha. Er trug sich drei Tage nach

449 Bereits seit 1780 nahm Forster, wie jeweils in der PCZ angekündigt, für Nicolai Pränu­ merationen für dessen Verlagswerke an; vgl. Merz-Horn 1990, S. 125, 143. 450 Vgl. Mey 2000, S. 117. Vgl. hier insgesamt zum Kasseler Buchmarkt während der Auf­ klärungszeit. 451 Vgl. Linnebach 2009b.

202 Abb. 97: Johann Friedrich August Tischbein, Bildnis Friedrich Justin Bertuch, 1796

Ruprecht in das Besucherbuch ein. Seit 1776 Inhaber des Dieterichschen Verlags, gab er u. a. den Gothaischen Genealogischen Hofkalender (»Der Gotha«) sowie die französische Ausgabe Almanach de Gotha heraus. Zu seiner von aufkläre­ risch-pädagogischen Ideen geprägten umfangreichen Verlagsproduktion gehör­ te auch die 71 Bände umfassende Gesamtausgabe Voltaires, erschienen 1784 bis 1790. Ähnlich renommiert waren die Kollegen Breitkopf aus Leipzig und Ber­ tuch aus Weimar (Abb. 97). Christoph Gottlob Breitkopf (1750–1800), der sich am 15. August 1786 ausführlich mit »C.G. Breitkopff. Buchdr. Buchhändler u Schriftgießer, aus Leipzig« in das Besucherbuch eintrug, machte sich vor allem als Musikverleger einen Namen. Auf seiner Reise nach Wien im gleichen Jahr knüpfte er wichtige geschäftliche Beziehungen mit Haydn, Gluck, Mozart und Vanhal. Die weithin beachtete Förderung des Musik- und Theaterlebens in Kas­ sel hat ihn vermutlich auch in die hessische Residenzstadt geführt. Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) war nach einem Jura- und Theologiestudium seit 1775 Kabinettsekretär und Schatzmeister von Herzog Karl August in Weimar und hier auch zuständig für die Kunst- und Büchersammlungen. Daneben war er als Verleger, Schriftsteller und Unternehmer tätig, so seit 1786 als Herausge­ ber des Journal des Luxus und der Moden. 1790 begründete er das Landes-In­ dustrie-Comptoir, eine Einrichtung zur Förderung der heimischen Produktion. Bertuch, der zum Mitglied zahlreicher Gelehrtengesellschaften ernannt wurde (u. a. in ­Erfurt, Berlin, Halle und London) verknüpfte akademische Gelehrsam­ keit mit gesellschaft­lichem Engagement und erfolgreichem Unternehmertum. In das Besucherbuch trug er sich am 5. Februar 1784 ein. Abschließend sei noch der Buchhändler und Verleger Johann Georg Treut­ tel (1744–1826) erwähnt, der in Straßburg, später auch in Paris und London tätig war. U.a. erschien in seinem Verlag die oben erwähnte Übersetzung von Ferbers mineralogischen Briefen ins Französische durch Baron de Dietrich. Als

203 Lieferant französischer Literatur an die Göttinger Bibliothek dürfte Treuttels Eintrag im Besucherbuch am 24. April 1784 vor dem Hintergrund dieser Han­ delsbeziehung erfolgt sein. Das aufklärerische Buchwesen in seiner Gesamtheit hinterließ im Besucherbuch jedenfalls vielfältige Spuren – die vice versa auch zeigen, wie die »Fürstlich öffentliche Bibliothek« in Kassel die Bibliotheksge­ schichte der europäischen Aufklärungszeit nachhaltig prägte.

10. Reisende Künstler: von Hofmalern und -bildhauern, Architekten, Musikern und Theaterleuten

Zu einer Besuchergruppe, die von Berufs wegen viel unterwegs ist, zählen die bildenden und darstellenden Künstler. Studien- oder Konzertreisen und wech­ selnde Engagements gehören zu den Biographien der meisten Künstler, und diese hohe geographische Mobilität und der damit verbundene Aufbau kolle­ gialer Beziehungen macht sie zu wichtigen Akteuren der Wissens- und Kul­ turzirkulation. So studierte auch der Architekt des Museum Fridericianum selbst mit fürstlichen Auslandsstipendien in Stockholm, Paris und Rom, und du Ry brachte die Erfahrungen dieser Studienjahre in den europäischen Kunst­ metropolen in seine Heimatstadt Kassel zurück. Als Begleiter des Landgrafen auf der Italienreise 1776/77 konnte er sich erneut in der Ferne weiterbilden und zugleich den Fürsten bei seinen Ankäufen für das Museum beraten. Aus dieser Zeit rührt auch die Bekanntschaft mit dem schwedischen Bildhauer Sergel, des­ sen Besuch des Kasseler Museums oben bereits erwähnt wurde. Mit dem Eintrag »Pigalle Chevalier de O. Michel« am 14. August 1776 ist der Aufenthalt eines weiteren hervorragenden Hofbildhauers in Kassel belegt: bei dem »Ritter des Michaelsordens« handelt es sich um keinen Geringeren als Jean-Baptiste Pigalle (1714–1785), einen der bedeutendsten französischen Bildhauer des 18. Jahrhunderts, Professor an der Académie Royale, der als Hof­ bildhauer u. a. auch für Madame de Pompadour tätig war (Abb. 98). Seine Sta­ tuen von Venus und Merkur (1748) schenkte Louis XV dem preußischen König (Potsdam, Schloss Sanssouci). Details zu seinem Kasselaufenthalt 1776 und zu­ gleich zu einem erneuten Kontakt mit Preußen verrät der entsprechende Ein­ trag in der PCZ, der auch einen Reisebegleiter nennt: »Den 14. […] Französ. Cap. Hr. v. Chartres452, l. i. H. v. Engl. Mr. le Chevalier de Pigal, k. v. Berlin l. das.« Pigalle befand sich folglich wohl auf der Rückreise von Berlin nach Pa­ ris. Die beiden Franzosen logierten im Hof von England und statteten noch am gleichen Tag dem Kunsthaus einen Besuch ab. Möglicherweise kam es auch zu Kontakt mit Kasseler Kollegen wie Nahl oder Tischbein, ­speziell vielleicht im Vorfeld der seit 1775 intensiv betriebenen Bemühungen zur Gründung der

452 Fälschlich für »Chartou«; sein Eintrag im Besucherbuch lautet: »Chartou Capitaine des Dragons«.

204 Abb. 98. Marie Suzanne Roslin, Portrait von Jean Baptiste Pigalle als Chevalier de St Michel, 1770

Kasseler Kunstakademie (1777, Abb. 99),453 was weiterführende Studien bele­ gen könnten. Der Eintrag in das Besucherbuch liefert jedenfalls, in Verbindung mit der Notiz in der PCZ, bislang unbekannte Details von Pigalles Biographie. Paris und Rom waren auch die Studienorte eines weiteren Bildhauers, der – wie Sergel – ein Exponat für das Museum schuf: Friedrich Wilhelm Eugen Döll (1750–1816), seit 1781 Hofbildhauer in Gotha, später auch Professor der bilden­ den Künste, schuf 1777 in Rom die Kolossalbüste Winckelmanns, die als verklei­ nerte Bronzereplik in der Bibliothek des Museum Fridericianum aufgestellt war (Abb. 100). Der Antiquar und Kunstagent Johann Friedrich Reiffenstein (1719– 1793) hatte sie aus Rom als Dank für seine Ernennung zum Mitglied der Société des Antiquités nach Kassel schicken lassen.454 Am 10. Januar 1791 besuchte Döll, zusammen mit dem sachsen-gothaschen Kammerdiener und Hoffourier Pörsch, das Museum und konnte sich davon überzeugen, dass seine Büste hier einen Eh­ renplatz innehatte, stand sie doch dem Sitzplatz des Landgrafen gegenüber auf ei­ nem Sockel zwischen den Fenstern des Handschriften- und Kupferstichsaals (auf dem Plan der Sitzordnung mit einem schwarzen Punkt markiert, s. Abb. 13).455

453 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 192–198. 454 Vgl. Aust.Kat. Kassel 1979, Kat. Nr. 518, S. 266. 455 LMB, 2° Ms. hass. 241 II 2, Blatt 295. Die Büste war gemeinsam mit der Société des ­Antiquités zu Beginn der 1780er Jahre vom Schloss in das Museum umgezogen.

205 Abb. 99: Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Allegorie auf die Gründung der Kasseler Kunstakademie, um 1778

Zu den heute weniger bekannten, aber durchaus bedeutenden Bildhauern im Übergang vom Rokoko zum Klassizismus zählt Landolin Ohmacht (1760–1834). Der aus Oberschwaben stammende Sohn eines Bauern hatte seine erste künstle­ rische Ausbildung in Freiburg/Breisgau und in der Porzellanmanufaktur Fran­ kenthal erhalten, woran sich Aufenthalte in Zürich und Rom (1789/90), Wien,

206 Abb. 100: Friedrich Wilhelm Döll, Johann Joachim Winckelmann, Bronzebüste, 1777

München, Dresden und Frankfurt anschlossen. Seit 1794 war er in Hamburg tätig, zuletzt ab 1803 in Straßburg. Er schuf vor allem Porträtbüsten und -re­ liefs, darunter auch diejenigen von Susette Gontard (s. oben), Soemmerring, Lavater, Angelika Kauffmann oder Klopstock, sowie öffentliche Denkmäler in Straßburg und an anderen Orten. Lavater, der sich selbst zusammen mit seinen Kindern zweimal in das Besucherbuch eingetragen hat (22. Juni 1786, 27. Juli 1793) schätzte Ohmacht so sehr, dass er ihm ein eigenes kleines Werk schrieb: seinem Andenken an liebe Reisende mit zweihundert Sinnsprüchen geht eine innige Widmung an den Künstler voraus. Ohmachts Aufenthalt in Kassel Mitte September 1794 geschah vermutlich auf dem Weg zu seiner neuen Wirkungs­ stätte in Hamburg. Ein weiterer Künstler hatte gleichfalls mit Lavater zu tun: denn der Schwei­ zer Johann Heinrich Lips (1758–1817), der als einer der meistgeschätzten Illus­ tratoren und Bildnisstecher seiner Zeit gilt, schuf zwischen 1774 und 1779 rund 370 Illustrationen zu Lavaters Physiognomischen Fragmenten. Er lieferte auch die Kupfer zur ersten Gesamtausgabe von Goethes Werken (1787–1790). Nach dem Studium bei Johann Kaspar Füssli in Zürich und bei Johann Rudolf Schellen­ berg in Winterthur und anschließenden Reisen durch Deutschland und Italien

207 hatte er durch Empfehlung Goethes 1789 einen Ruf an die Zeichenakademie in Weimar erhalten. Von dort kam er vermutlich angereist, als er sich am 19. Juli 1791 in das Besucherbuch eintrug. Mit Goethe stand auch der bereits erwähnte Christoph Heinrich Kniep (1748–1825) in enger Verbindung, der zugleich selbst 1780/81 einige Zeit in Kassel tätig war. Als Besucher des Kunsthauses ist er ein paar Jahre zuvor nachgewiesen (4. August 1776). Vermutlich rührte bereits aus dieser Zeit seine Freundschaft mit der Malerfamilie Tischbein her. Auch er ging nach Arbeitsaufenthalten in verschiedenen deutschen Städten nach Italien, wo er ab 1781 zunächst mithilfe eines Stipendiums, dann als Vedutenmaler in Rom und Neapel ansässig war. Hier war er später auch als Professor und Mitglied des Rats der Kunstakademie Neapel tätig. Im Jahr 1787 begleitete er Goethe bei seiner Reise nach Sizilien, vermittelt über Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, den Neffen des Kasseler Hofmalers. Mit Kniep hat sich ein weiteres Mitglied des deutsch-römischen Künstlerkreises in das Besucherbuch eingetragen – allerdings einige Jahre be­ vor er die persönliche Bekanntschaft dieser Personengruppe machen sollte. Die durch den Eintrag zu vermutende frühe Bekanntschaft mit der Familie Tisch­ bein456 in Kassel ebnete ihm jedenfalls den Weg dazu. Auch der Engländer Charles Gore (1729–1807) gehörte zum Künstlerkreis um Goethe und Hackert in Rom (Abb. 101). Ab 1791 war er gemeinsam mit sei­ nen Töchtern in Weimar ansässig. Das Museum Fridericianum muss ihm beson­ ders gut gefallen haben, findet sich sein Name doch in kurzen Abständen drei­ mal im Besucherbuch wieder (28. April 1790, 19. Juli 1791, 17. Juli 1792), jeweils in Begleitung einer »Miss Gore«, d. h. einer seiner Töchter Emily oder Eliza. Der zum Kaufmann ausgebildete Gore, Mitglied der Society of Dilettanti, schuf als Künstler in erster Linie Landschaftsskizzen und -aquarelle. Offenbar auf der Rückreise von Italien nach England machte Sir James Fou­ lis of Woodhall (1770–1842) in Kassel Station. Der Historien- und Porträtmaler war von 1790 bis 1794 in Rom tätig gewesen, kehrte nun aber in seine Heimat zurück. Nachgewiesen ist sein Aufenthalt im Juni 1794 in Venedig,457 so dass der Eintrag im Besucherbuch am 29. Juli 1794 auch eine Vorstellung von Reiserou­ te und -dauer gibt. Angesichts der damaligen beschwerlichen Reiseumstände scheint er recht flott vorangekommen zu sein. Mit dem bereits erwähnten Philipp Friedrich (1805 von) Hetsch (1758–1839) ist einer der bedeutendsten deutschen Historien- und Porträtmaler des Früh­ klassizismus im Besucherbuch verzeichnet, auch er in Paris und Rom ausge­ bildet, dann Hofmaler und Professor der Malerei an der Hohen Karlsschule in Stuttgart. Im Jahr 1798 wurde er auch Direktor der herzoglichen Gemäldegalerie.

456 Auch die nicht in Kassel ansässigen Mitglieder der Künstlerfamilien Tischbein und Nahl finden sich im Besucherbuch verzeichnet: Johann Jakob Tischbein aus Lübeck, Anton Wilhelm Tischbein aus Hanau, Johann August Nahl d. J. nach seiner Rückkehr aus Rom. 457 Vgl. Ingamells 1997, S. 376.

208 Abb. 101. Johann Zoffany, Familie Gore mit George 3rd Earl Cowper, um 1775; vermutlich gemalt aus Anlass der Vermählung von Hannah Anne Gore mit Cowper (beide stehend); sitzend Charles Gore mit Cello neben Emily am Piano

Dass Hetsch bei seinem Kassel-Besuch im August 1792 auch die Gemäldegalerie besuchte, liegt auf der Hand und wird durch den entsprechenden Eintrag in de­ ren Besucherbuch bestätigt. Die PCZ verrät ergänzend, dass Hetsch, aus Göttin­ gen kommend, mindestens drei Tage in Kassel Station machte und im König von Preußen logierte:458 Ankunft am 28., Besuch der Gemäldegalerie am 29.,459 des Museum Fridericianum am 30. August. Im Museum dürften den Schöpfer klas­ sizistischer »Ikonen« wie Cornelia, die Mutter der Gracchen (1794) besonders die Antiken interessiert haben. Unter den Malern erwähnt sei noch der aus Kassel stammende Tethart Phil­ ipp Christian Haag (1737–1812), seit 1758/59 nassau-oranienscher Hofmaler, später auch Direktor der fürstlichen Kunstgalerie in Den Haag. Das Kunsthaus besuchte der Maler, der selbst eine umfangreiche Kunstsammlung besaß, am 26. April 1771. Eine eher kuriose Geschichte verbindet sich mit Daniel Woge (1717–1797). Der Schüler von Antoine Pesne war Hofmaler von Herzog Adolf Friedrich IV.

458 »A. 28. […] Hr. Profess. Hetsch aus Stuttgard, k. v. Göttingen, l. i. K. v. Pr.« (PCZ, 1792, S. 852) 459 Vgl. Vogel 1956, S. 160.

209 von Mecklenburg-Strelitz. Weniger als Maler von Porträts, Landschaften und Genrebildern, denn als Herausgeber und Illustrator der Geschichte der gottes­ dienstlichen Alterthümer der Obotriten (1771) erhielt er Nachruhm, wurden die­ se sog. »Prillwitzer Idole« doch in Folge zu berühmten, dann heftig umstritte­ nen und schließlich im 20. Jahrhundert endgültig als Fälschungen entlarvten »Fallobjekten« der Wissenschaftsgeschichte.460 Seiner bislang höchst mageren Biographie fügt der Eintrag ins Besucherbuch ein Detail hinzu: am 19. Juni 1781 war er in Kassel und besuchte das Museum. Mehr Kunsttheoretiker als Künstler war der Schweizer Hans Rudolf Füssli (1737–1806), älterer Bruder des Malers Johann Heinrich Füssli (1741–1825), der nach einer künstlerischen Ausbildung in Wien sich andere Betätigungsfelder such­ te (oder suchen musste): 1764 wurde er Privatsekretär eines ungarischen Grafen, 1784 Feldmesser in Ungarn, 1786 Angestellter der ungarischen Steuerregulierung, 1790 kam er als Hofconcipist nach Wien, 1800 wurde er schließlich hier Archivar der Akademie der bildenden Künste. In den Jahren 1798 bis 1806 publizierte er in vier Bänden sein Kritisches Verzeichnis der besten nach den berühmtesten Meistern aller Schulen vorhandenen Kupferstiche. Was ihn im September 1786 nach Kassel führte, ließ sich bislang leider nicht ermitteln – vielleicht suchte er in Vorberei­ tung dieses Kritischen Verzeichnisses nach vorhandener oder noch zu schaffender Reproduktionsgraphik von Meisterwerken der Kasseler Galerie? Oder schlicht nach einer Arbeitsstelle als Alternative zur ungarischen Steuerbehörde? Neben den Malern und Bildhauern der ranghohen Gattungen Historie und Landschaft, die sich, was naheliegt, häufiger in das Besucherbuch der Gemäldega­ lerie als in das von Kunsthaus und Museum Fridericianum eingetragen haben,461 finden sich hier aber wiederum viele bildende Künstler, die eher dem Kunsthand­ werk zuzurechnen sind. Genannt sei Daniel Friedrich Loos (1735–1818), seit 1768 königlich preußischer Hofmedailleur und erster Graveur an der Hauptmünze in Berlin. Er war Schöpfer der Münzstempel mit den Porträts der preußischen Köni­ ge sowie, z.T. gemeinsam mit seinem Sohn Friedrich, zahlreicher Denkmünzen. Eingetragen hat er sich in das Besucherbuch am 1. September 1787 und noch ein zweites Mal, am 21. August 1794. Die PCZ gibt einen Hinweis darauf, dass die­ ser zweite Besuch im Kontext einer Badereise nach Pyr­mont stand, heißt es hier doch: »A. 20. Hr. Hof-Medailleur Looß, in Preuss. Dienst. k. v. Pyrmont, l. i. Stral­ sund.« Offenbar befand man sich auf der Rückkehr aus dem zu dieser Zeit sehr beliebten Badeort462 nach Berlin und nahm dabei den Weg über Kassel. Gleichfalls aus Preußen kam Isaac Jacob Clauce (1728–1811), der, in Meißen ausgebildet, als Porzellanmaler in Berlin tätig war, zunächst als Mitarbeiter der

460 Dazu insgesamt Linnebach 2011. 461 Vgl. Vogel 1956, S. 158–160. Eine vollständige Edition des Besucherbuchs der Gemälde­ galerie zählt zu den vordringlichen Forschungsdesideraten. 462 Zu Pyrmont als wichtigem Treffpunkt der aufgeklärten Gesellschaft vgl. Alfter 1994.

210 Abb. 102: Zeichnung von Franz Andreas Bauer aus dem Nachlass in der Göttinger Universitätsbibliothek, Band 10: Rosen

Porzellanmanufaktur Wegeley, ab 1761 der Manufaktur Gotzkowsky (ab 1763 Königliche Manufaktur). Hier brachte er es wenige Jahre später zum »peintre du roi«. In das Besucherbuch trug er sich im August 1787 entsprechend selbst­ bewusst ein als »Clauce peintre en Miniature de Sa Majesté le Roi de Prusse.« Einen größeren europäischen Radius umfasste die Biographie des aus Süd­ mähren stammenden Franz Andreas Bauer (1758–1840). Seit 1770 in Wien an­ sässig, war er hier Blumenmaler im Dienst des Fürsten Liechtenstein. Im Jahr 1788 unternahm er gemeinsam mit Joseph Franz von Jacquin (1766–1839), Sohn des Wiener Botanikprofessors Joseph Nikolaus von Jacquin, eine Reise nach England. Beide trugen sich am 19. August 1788 in das Besucherbuch ein. Auf Vermittlung von Sir Joseph Banks wurde Bauer als Maler an den Royal Botanic Gardens in Kew angestellt und später auch zum Hofmaler, Mitglied der Linnean Society und der Royal Society ernannt. Er illustrierte u. a. Delineations of Exotick Plants cultivated in the Royal Garden at Kew (London 1796–1803) sowie ab 1816 auch anatomische Werke. Bauer gilt in der Verbindung von künstlerischen Fä­ higkeiten und botanischem Fachwissen als einer der bedeutendsten Blumenma­ ler (Abb. 102). Sein spezielles Interesse könnte ihn in Kassel auch zu Schildbach in die Aue, in den Bergpark oder in die Gemäldegalerie zu den Blumenstillleben von Rachel Ruysch oder Coenrat Roepel geführt haben. An den Objekten aus der ehemaligen Silberkammer dürfte dagegen ein weite­ rer Besucher mehr interessiert gewesen sein: François Claude Théremin war, nach langjähriger Ausbildung zum Juwelier in London und Paris, als Goldarbeiter und

211 Abb. 103: Lorenz Spengler, Bernsteinmedaillons mit Porträts von König Friedrich V. von Dänemark und seiner Gemahlin Juliane Marie, um 1750

Emailleur in Berlin tätig. Hier führte er um 1780 das durchsichtige Email auf guillochiertem Grund sowie weitere damals neuartige Dekorationsweisen für Schmuckgegenstände ein. Später war er in St. Petersburg tätig. Sein Besuch in Kassel im September 1784 könnte im Rahmen der Herbstmesse erfolgt sein: viel­ leicht suchte Théremin nach einer Absatzmöglichkeit für seine Arbeiten. Im gleichen Jahr kam auch der aus Schaffhausen stammende dänische Hof­ kunst­drechs­ler Lorenz Spengler (1720–1807) nach Kassel (13. November 1784). Spengler hatte 1759 Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel in Kopenhagen im Kunst­drechseln unterrichtet.463 Über dessen Gemahlin Wilhelmine Karoline von Dänemark gelangten nach der Regierungs­übernahme 1785 zwei Spengler­ sche Bern­stein­medaillons mit den Porträts ihres Vaters König Friedrich V. von Däne­mark und seiner zweiten Gemahlin Juliane Marie nach Kassel (Abb. 103). Spengler, seit 1771 auch Kustos der königlichen Kunstkammer in Kopenha­ gen, war Schöpfer von zahlreichen Elfenbein- und Bern­stein­objekten (Pokale, Leuchter, Dosen, Medaillons), betätigte sich daneben aber auch als Naturfor­ scher (u. a. Bau einer Elektrisier­maschine) sowie als Sammler von Mineralien und Kunstobjekten – allesamt Bereiche, für die ihm das Museum Fridericianum viele interessante Exponate bot. Im August 1790 trug sich auch sein Sohn Jo­ han Conrad Spengler (1767–1839) in das Besucherbuch ein, zu dieser Zeit auf

463 Vgl. Hessen 1996, S. 30.

212 Studienreise durch Europa, später als Nachfolger seines Vaters Kunstkammer­ verwalter und zuletzt Direktor des königlichen Kunstmuseums und der Ge­ mäldegalerie in Kopenhagen. Im Modellsaal im zweiten Stock des Museum Fridericianum, in dem u. a. Modelle von Wind- und Wassermühlen, Schleusen oder Feuerpumpen zu sehen waren, befand sich im übrigen auch eine Drechsel­ bank.464 Für kunsthandwerklich tätige Besucher war hier insgesamt reichlich Anschauungsmaterial vorhanden. So erwähnt du Ry eigens die Tür zu diesem Saal. Landgraf Friedrich II. hatte sie aus dem Kasseler Schloss in das Museum setzen lassen, »wo sie entschieden besser angebracht ist, da sie einen sehr ge­ schickten Mechanismus aufweist; sie ist derart beschlagen, daß man sie nach Belieben nach rechts und links öffnen kann.«465 Zu den Künstlern oder Kunsthandwerkern, die in der Hoffnung auf eine An­ stellung am Hof oder zumindest einen neuen Auftrag nach Kassel kamen, zählt Johann Georg Roentgen (1752–nach 1803), Schüler seines Vaters Abraham und seines Bruders David, eingetragen im Besucherbuch am 1. Oktober 1776 als »Ge­ orge Röntgen Ebeniste de Neuvied.« Jedoch blieben seine Bemühungen um ein Niederlassungsprivileg in Kassel vergeblich, da seine Begabung wohl hinter der seiner Familienmitglieder zurückstand. Schließlich wurde er 1778 Lehrmeister und Leiter des königlichen Möbelmagazins in Kopenhagen, einer Anstalt zur Gewerbeförderung. Hier war er als Entwurfszeichner und Begutachter der ein­ gereichten Möbel tätig. Begabter und erfolgreicher war ein weiterer Besucher aus Neuwied: der Hof­ uhr­macher Peter Kinzing (1745–1816) arbeitete ab 1770 intensiv mit Abraham und David Roentgen zusammen. Er verfertigte kunstvolle mechanische Einrich­ tungen und Geheimfächer, astronomische Uhren und Spieluhren, die in die Mö­ bel Roentgens eingebaut wurden. Gemeinsame Reisen mit David Roentgen führ­ ten ihn u. a. nach Paris, wo er zum »horloger de la reine« durch Marie Antoinette ernannt wurde. Das Museum in Kassel besuchte er Anfang Dezember 1785. Neben den Bildhauern, Malern oder Kunsthandwerkern sind im Besucher­ buch auch zahlreiche Architekten und Baumeister verzeichnet, rund fünfzig, zählt man neben der künstlerischen auch die technische Ausführung hinzu: Fes­ tungsarchitekten, Brücken- und Wegebauer, Landbaumeister oder Stadtbauräte, Bauingenieure oder Baukondukteure, teils noch als »stud. math.«, wie der be­ reits genannte Hollenberg, der zuletzt fürstlich osnabrückischer Ober-Landbau­ meister war und in seinem Reisetagebuch entsprechend viele Bemerkungen zur Kasseler Architektur festhielt. So hebt er z. B. das »sanfte gemäßigte Licht von oben durch Mezzaninen« in der Gemäldegalerie hervor oder das »ganz neu in gutem Geschmack (gebaute) anatomische Theater« (s. Abb. 31).466 Höchstes Lob

464 Vgl. die Beschreibung du Rys: Boehlke 1963, S. 102. 465 Zit. nach ebd., S. 103. 466 Hollenberg 1782, S. 34, 38.

213 Abb. 104: Gut Knoop, Herrenhaus, erbaut 1792 bis 1796 nach den Plänen von Axel Bundsen zollt er dem »Bibliotheksgebäude« (Museum Fridericianum): »Die Bibliothek ist inwendig noch nicht völlig fertig; von aussen aber siehet man schon alles, wie es seyn soll. Dieses Gebäude ist, sowohl wegen seiner Bestimmung, als auch in Ab­ sicht der reinen Architektur, eines der ersten – – in Cassel ist zu wenig gesagt – in ganz Deutschland.«467 Die umfangreichen Baumaßnahmen in der Kasseler Oberneustadt seit Ende des Siebenjährigen Kriegs zogen offenbar die Aufmerksamkeit weiterer Männer seines Berufszweigs besonders an – und speziell das Museum Fridericianum, das in seiner Zweckbestimmung als Bauaufgabe ein Novum darstellte, war eine Rei­ se wert, wie viele Namenszüge bedeutender Architekten aus den verschiedenen deutschen Territorien wie aus mehreren europäischen Ländern im Besucher­ buch belegen. In der Tat häufen sich hier die Architekten fast schlagartig mit Eröffnung des neuen Museums, wohingegen sich in den Jahren, die das Kunst­ haus betreffen, wenige dieser Berufsgruppe darin finden lassen. Dies dürfte ein klares Indiz dafür sein, dass ihr Interesse wohl mehr dem Gebäude als der darin befindlichen Bibliothek und den Sammlungen galt. Am 7. Dezember 1791 besuchte einer der frühesten und bedeutendsten Ver­ treter des Frühklassizismus in Deutschland, nämlich Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800) das Museum, als Begleiter des Erbprinzen Fried­ rich Franz von Anhalt-Dessau auf dessen Reise zu den Höfen von Weimar, Go­ tha, Kassel und Karlsruhe. Bereits zuvor, nämlich am 10. August des gleichen

467 Ebd., S. 32.

214 Abb. 105: Simon Louis du Ry, Hofgeismar-Gesundbrunnen, Schloss Schönburg, Entwurf zur Hauptfassade, Aufriss, 1787/90

Jahres, hatte sich auch sein Schüler Friedrich David Gilly (1772–1800) in das Besucherbuch eingetragen, mit dem Selbstbewußtsein des erst Neunzehnjäh­ rigen als »Fr. Gilly, Architect aus Berlin.« Gilly, seit 1789 Hofbauamtskonduk­ teur in Berlin, unternahm zusammen mit Heinrich August Riedel (1748–1810), Geheimer Oberbaurat und später auch Direktor der königlichen Bauakademie in Berlin, 1790/91 eine Studienreise durch Deutschland und Holland. Zur Reise­ gruppe gehörten auch Riedels Söhne, wie der Zusatz festhält: »Geh[eimer] OB Rath Riedel nebst 2 Söhnen Heinrich und Wilhelm«. Aus der gleichen Richtung angereist war am 15. August 1785 »Wiebeking jeu­ ne Architecte de Berlin«, d. i. Carl Friedrich Wiebeking (1762–1842), der, ent­ gegen einer eigentlich angestrebten baukünstlerischen Ausbildung, zum Kar­ tenzeichner und Feldmesser geschult worden war. Zu dieser Zeit arbeitete er in Thüringen als Vermesser (u. a. der Territorien von Weimar und Gotha). Sein Abstecher nach Kassel dürfte ihm eine willkommene Abwechslung und Inspi­ ration gewesen sein. Später qualifizierte er sich zum Wasserbaumeister im Her­ zogtum Berg, dann zum Rhein-Bauinspektor in Darmstadt, 1802 wurde er Refe­ rent für das Bauwesen in Wien und schließlich 1805 Chef der Generaldirektion des Wasser-, Brücken- und Straßenbauwesens in München. Der Verfasser von zahlreichen bautechnischen und architekturtheoretischen Schriften gilt als ei­ ner der bedeutendsten Kartographen seiner Zeit. Als »C.G. Lang-Wagen. Herzogl[ich]. Braunschweig[ischer] Hof und Cam­ mer-Baumeister« trug sich im Juli 1787 Christian Gottlob Langwagen (1752/53– 1805) in das Besucherbuch ein, führender klassizistisch geprägter Architekt Braun­ schweigs. Er erbaute u. a. das Corps de Logis des ehemaligen Residenzschlosses,

215 das Haus der Landesversammlung (Landschaftliches Haus) und zahlreiche Wohnhäuser. Zugleich entwarf er weitgehend die Zimmerausstattung und das Mobiliar des in der Revolution 1830 abgebrannten Residenzschlosses. Als weiterer Vertreter des Klassizismus kam Anfang Januar 1794 der Däne Axel Bundsen (1768–1832) nach Kassel und ins Museum. Zu dieser Zeit als Ar­ chitekt für den Neubau des Herrenhauses auf Gut Knoop tätig, zeigt dessen Fas­ sade eine deutliche Nähe zum Baustil du Rys (Abb. 104, 105). Mit dem Eintrag vom 3. August 1789 ist auch der Besuch von Johann Carl Friedrich Dauthe (1746–1816) im Museum dokumentiert. Der Leipziger Ar­ chitekt ist vor allem durch den als akustisches Wunder gerühmten damaligen Gewandhaussaal sowie den Umbau des Innenraums der Nikolaikirche (Palm­ baumsäulen und Kassettendecke) bekannt. Anregungen zu seinen Bauten er­ hielt er durch Carl Wilhelm Müller (1728–1801), der selbst bereits am 24. Sep­ tember 1779 das Museum in Kassel besucht hatte. Der studierte Jurist Müller war zunächst Stadtbaumeister, dann über mehrere Amtsperioden Bürgermeis­ ter in Leipzig und gilt als wichtiger Förderer der städtebaulichen Entwicklung der Stadt. Aus Warschau angereist war Jan Baptist von Kamsetzer (1753–1795), der sich Ende September 1782 als »Kamsetzer Architecte au Service du Roi de Pologne« in das Besucherbuch eintrug. Auf Kosten seines Dienstherrn, des polnischen Königs, reiste er in den Jahren 1777, 1780 bis 1782 und 1786/87 durch Frankreich, Italien, Holland, Griechenland und Kleinasien. Sein Aufenthalt in Kassel erfolg­ te wohl gegen Ende der zweiten Studienreise. Mit Ephraim von Schröger (polnisch Efraim Szreger, 1727–1783) begegnen wir im Besucherbuch dem Hauptvertreter des Frühklassizismus in Polen. Nach Bautätigkeit in Polen und Sachsen und einer Italienreise als Stipendiat des pol­ nischen Königs war er in der Folge vor allem im Dienst privater (Palais Tepper, Palais Primas) und kirchlicher (Karmeliterkirche in Warschau, Dom in Posen) Auftraggeber tätig. Am 8. August 1781 besuchte er das Museum Fridericianum. Zu den bedeutendsten, international wirkenden Architekten, Gartengestal­ tern und Innenausstattern des Klassizismus zählt der französische Architekt Jo­ seph Jacques Ramée (1764–1842), der am 6. Februar 1795 seinen Namenszug im Besucherbuch hinterließ. Als aufstrebender Architekt in Paris hatte er 1790 an der Ausstattung der Revolutionsfeierlichkeiten mitgearbeitet, floh aber 1792 vor dem Terreur nach Belgien. Nach einem militärischen Zwischenspiel gelangte er 1794 nach Thüringen. Hier war er vor allem als Gestalter von Parkanlagen (Wei­ mar, Gotha) tätig. Möglicherweise hatte er bei seinem Besuch 1795 die Absicht, sich im größeren Kassel eine neue Arbeitsstelle zu verschaffen. Im Folgejahr sie­ delte er jedenfalls nach Hamburg über, wo er einige seiner wichtigsten klassizis­ tischen Bauwerke (Börsen-Halle, 1804) und Gartenanlagen (Baurs Park) schuf. Hier blieb er bis 1812, dann zog es ihn nach Amerika, wo er zahlreiche Auf­ träge für Zweckbauten, Gartenanlagen sowie den Neubau des Union College in Schenectady erhielt. Schon 1816 kehrte er jedoch nach Europa zurück, ließ sich

216 1823 in Paris, 1830 wieder in Hamburg und zuletzt 1837 erneut in Paris nieder – eine sehr bewegte Künstlerbiographie, der sein Eintrag in das Besucherbuch ein kleines Detail hinzufügt. Charles de Wailly (1729–1798), der sich am 5. Oktober 1782 mit einem raum­ greifenden Dreizeiler als »De Wailly. ancien controleur des Batimens du / Roy de la premiere classe de l’academie Royal / d architecture de celle de Peinture et Sculpture« im Besucherbuch verewigte, war zu dieser Zeit im Auftrag des Land­ grafen in Kassel tätig. Er hinterließ umfangreiche Pläne zum Umbau des Land­ grafenschlosses an der Fulda sowie zum Neubau von Schloss Weißenstein. Bei dieser Gelegenheit wurde er auch zum Ehrenmitglied der Kasseler Kunstaka­ demie ernannt. Der in Paris und Rom ausgebildete Architekt, der 1795 auch Kurator der Gemäldesammlung des Louvre wurde, hatte in Kassel freilich wenig Erfolg: durch den Tod des Landgrafen 1785 wurden seine Vorschläge nicht wei­ ter verfolgt.468 Die Architekten sind, wie diese Beispiele zeigen, unter den Museumsbesu­ chern gut vertreten, und Vogels Aussage, »daß von den bedeutenden Archi­ tekten, die Deutschland in dieser Zeit des Früh- und Hochklassizismus besaß, kaum einer fehlt«,469 wird durch die vollständige Edition des Besucherbuchs bestätigt. Hinzu kommen die Architekten und Baumeister aus anderen europäi­ schen Ländern, wie Frankreich, Dänemark und Polen – allesamt, wie bereits er­ wähnt, erst kurz vor oder nach Eröffnung des neuen Museums verzeichnet, was erhellt, dass bei diesen Besuchern wohl vor allem die Baumaßnahme selbst und deren moderne Architektursprache im Zentrum des Interesses standen. Vogels Bemerkung, Musiker seien dagegen »in den Museen schon damals keine häufigen Gäste« gewesen,470 läßt sich jedoch durchaus entkräften. So ist neben den bereits als »Wunderkindern« erwähnten Hummel und Crux etwa auch der Mannheimer Komponist und Dirigent Carl Stamitz (1745–1801) zu nennen, der am 9. Mai 1789 das Museum besuchte. Der weitgereiste Musiker – u. a. war er in Paris, London, Den Haag und Amsterdam aufgetreten – dirigierte im Winter 1789/90 die Liebhaberkonzerte in Kassel und setzte dabei vermutlich auch Anregungen der Mannheimer Schule um. Vielleicht hatte sein im Besu­ cherbuch dokumentierter Aufenthalt im vorangegangenen Frühjahr zu diesem Engagement geführt. Am 14. Juni 1783 trug sich mit der Zeile »der Königl[iche] Capellmeister Reichard aus Berlin« ein weiterer bedeutender Komponist in das Besucherbuch ein: Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) war seit 1775 königlich-preußischer Hofkapellmeister in Potsdam. Im Jahr 1783 unternahm er eine Reise nach Italien und Wien, bei der er vermutlich über Kassel kam. Im Jahr 1794 aufgrund seiner

468 Vgl. Both/Vogel 1973, S. 184–186. 469 Vogel 1956, S. 152, 470 Ebd.

217 prorevolutionären Haltung entlassen, zog er auf sein Gut in Giebichenstein, das zu einem Treffpunkt der frühen Romantik wurde. Auf Umwegen und wohl nicht ganz freiwillig kam er 1808 für längere Zeit nach Kassel: König Jérôme ernannte ihn hier zum Hofkapellmeister. Von einer Dienstreise nach Wien kehrte er je­ doch nicht mehr zurück – zumal er dort von Beethoven erfahren musste, dass seine Rückkehr gar nicht unbedingt erwünscht war, hatte man doch inzwischen bereits diesem selbst Reichardts Amt angetragen.471 Aus Wien kam der zwanzigjährige Thaddäus Weigel (1776–1844), der sich selbstbewusst als »Thadé Weigl au service de Theatres de sa Majeste Imp. et Roi« im April 1796 in das Besucherbuch eintrug. Der Kompositionsschüler von Albrechtsberger hatte seit 1795 für den Hoftheatermusikverlag sämtliche Opern und Ballette des Spielplans für Klavier bearbeitet und durfte nun seit März 1796 im Auftrag des Hoftheaterdirektors Peter Freiherrn von Braun eine Studienrei­ se durch Deutschland unternehmen. Später wurde er k.k. Hoftheaterkomposi­ teur, Orchesterleiter sowie Direktor des Opernarchivs in Wien. Zuletzt arbeitete er ausschließlich als Musikverleger. Das Museum besuchte er vermutlich ge­ meinsam mit Emanuel Wertheim Edler von Wertheimstein, einem Verwandten (Sohn?) des 1792 in den Adelsstand erhobenen Wiener jüdischen Bankiers Her­ mann Wertheimer. Als Komponist war auch der aus Mitau stammende Dietrich Ewald Freiherr von Grotthuss (1751–1786) tätig, ein Freund von Carl Philipp Emanuel Bach. Dieser widmete ihm 1781 nach Überlassung seines Cembalos das Rondeau zum Abschied vom Silbermannschen Clavier, auf das Grotthuss mit dem Stück Freude über den Empfang des Silbermannschen Claviers antwortete. Das Museum be­ suchte er am 15. September 1780. Mit Bach, dem Vater, war auch Johann Peter Heinrich Cario verbunden, Or­ ganist, Orchesterpauker, Dirigent und Konzertorganisator in Hamburg. Denn noch vor deren eigentlichen Wiederentdeckung durch Felix Mendelssohn Bartholdy führte Cario in Hamburg die Passionen Bachs auf – in Kassel zu die­ ser Zeit undenkbar. Denn erst Louis Spohr gelang 1833 hier die Erstaufführung der Matthäuspassion.472 Über Carios Lebensgeschichte ist dennoch wenig be­ kannt. Sein Eintrag im Besucherbuch im Juli 1791 ist ein weiterer Mosaikstein in dieser bislang dürftigen Biographie. Auf dem Weg zu einem neuen Engagement machte der Musiker Johann Wil­ helm Hässler (1747–1822) im Februar 1790 Station in Kassel. Hässler, Organist, Klavierpädagoge und Dirigent in Erfurt, hatte hier auch eine musikalische Leih­ bibliothek gegründet. Seit 1780 unternahm er größere Konzertreisen, und so ging er 1790 nach London (und kam dabei wohl über Kassel), wo er u. a. als Pianist in den von Joseph Haydn geleiteten Konzerten auftrat. Zuletzt verschlug

471 Vgl. Ausst. Kat. Kassel 2008, Kat. Nr. 199, S. 321. 472 Vgl. Schaefer 2001, S. 32.

218 es ihn nach Russland: 1792 wurde er Pianist bei Großfürst Paul in St. Petersburg, ab 1794 Pianist und Klavierlehrer in Moskau. Weniger weltläufig gestaltete sich das Leben von Hans Adolf Friedrich von Eschstruth (1756–1792), war er doch von Haus aus hessischer Beamter. Nebenbei komponierte er jedoch und war als Musikschriftsteller tätig. Er verfasste u. a. die Hessische poetische Blumenlese mit Musik (1783/84) sowie eine Biographie von Carl Philipp Emanuel Bach, wobei letztere ungedruckt blieb. Das Museum besuchte er am 25. April 1787 gemeinsam mit einer Verwandten. Erfindungsreich auf musikalischem Gebiet war der aus Kassel stammende Johann Bernhard Logier (1777–1846), der als Vierzehnjähriger im Mai 1791 das Museum besuchte. Ausgebildet bei seinem Vater, dem Organisten Jacob Lo­ gier, und nach dessen Tod ab 1784 bei einem Onkel in Marburg aufgewachsen, wurde er 1791 zur Weiterbildung nach England geschickt. Hier war er zunächst Flötist in einer Militärkapelle, später deren Leiter. 1809/10 ging er als Musik­ direktor an das Private Royal Hibernian Theatre nach Dublin. Von 1822 bis 1826 weilte er in Berlin als Berater und Dozent der neugegründeten Musikakademie, kehrte danach aber wieder nach England zurück, wo er in die Royal Academy of Music aufgenommen wurde. Logier, der als Begründer des instrumentalen Gruppenunterrichts gilt, entwickelte eine 1814 patentierte und sehr erfolgrei­ che Methode der musikalischen Erziehung, die er unter dem Titel System of musical Education publizierte. Auch mit seiner Erfindung des Chiroplast (eines Handleiters) für den Anfangsunterricht im Klavierspiel ging er in die Musik­ geschichte ein. All diese Beispiele zeigen, dass die Musiker unter den Museumsbesuchern nicht ganz so selten waren, wie vermutet. Wenn Vogel als Erklärung für die Museumsabstinenz von Musikern anführt, dass »akustische und optische Be­ gabung« selten zusammenzufallen pflegen,473 so konnte das Kasseler Museum aber für diese eher auditiv Veranlagten zumindest mit einer ansehnlichen In­ strumentensammlung aufwarten – interessant zumal für solche Erfindernatu­ ren wie Logier oder Musikwissenschaftler. Denn sowohl unter historischem wie ethnographischem Blickwinkel waren hier einige ungewöhnliche Objekte zu sehen. Günderode nennt »zwey grosse Kammern, welche mit vielerley Gattun­ gen musicalischer Instrumente versehen sind, - eine sehr sonderbare und merk­ würdige Sammlung; indem man da nicht nur Instrumente von verschiedenen Zeitaltern, sondern auch bey vielerlei Völkern noch gebräuchliche antrift. Über­ dies sieht man da ganz sonderbare Erfindungen, die vielleicht nie nachgeahmt werden.« Und er zählt auf: »Ein dem Schein nach aufgelegtes Damenbret,474 welches aber in der That eine ziemlich stark und wohl klingende Orgel ist; ein sehr kleines Clavier, dessen Seiten [sic!] senkrecht in die Höhe stehen, bey

473 Ebd. 474 Spielbrett (Dame).

219 Abb. 106. Michael Prätorius, Theatrum Instrumentorum, Wolfenbüttel 1620, Tafel XXXI: »Monocordium ist ein Pfeiff und hat eine Saite darneben, welche mit dem Fiddelbogen gestrichen wird, den Arabern gebreuchlich.«

welcher Einrichtung es, wie leicht zu erachten, wenig Platz einnimmt […] Ein ander Clavier hat statt der Seiten, Hölzer, woran die Claves schlagen, wodurch ein dem Flagelet475 ähnlicher Ton hervorgebracht wird; und mehr verschiedene andere sonderbare Erfindungen dieser Art sind hier noch anzutreffen.«476 Bei dem kleinen aufrechten Klavier handelte es sich offenbar um eine frühe Va­ riante des Pianino oder »Uprights«, eine Erfindung, die im Allgemeinen erst dem Engländer Robert Wornum (1780–1852) zugeschrieben wird. Apell legt in seiner Beschreibung des Museums den Schwerpunkt auf die außereuropäi­ schen Instrumente: »Die merkwürdigsten derselben sind: Zwo indianische Har­ fen von verschiedener Art, mit 7 und 5 Saiten, eine indianische Doppelgloke, und die Monochordenpfeife, deren Prätorius in seinem Theatro instrumentorum Tab. XXXI. gedenket.«477(Abb. 106) Damit verfügten die Kasseler Sammlungen über einen bedeutenden Bestand an Musikinstrumenten, der auf die lange

475 Flageolet. 476 Günderode 1781, S. 125 f. 477 Apell 1792, S. 63. Ein Ausgabe von Prätorius’ dreibändigem Werk (1619/1620) dürfte Apell in der fürstlichen Bibliothek zugänglich gewesen sein.

220 Abb. 107: Das Komödienhaus am Paradeplatz in Kassel. Das Gebäude mit den drei Eingängen wurde 1773 errichtet. Rechts im Hintergrund der Zwehrentum mit dem Observatorium. Stich von G. W. Weise nach S. L. du Ry und J. H. Tischbein, 1783

Tradition der Musikpflege auf hohem Niveau durch die hessischen Landgrafen zurückzuführen war.478 Neben den Musikern finden sich Theaterleute in unerwartet großer Zahl un­ ter den Museumsbesuchern. Auch hier war häufig ein neues Engagement der Grund, den Weg über Kassel – mit dem Théâtre français, der italienischen Oper und der Komödie eine attraktive Theaterstadt (Abb. 107) – zu nehmen und bei dieser Gelegenheit die Sammlungen zu besichtigen.479 Die »theatralische« In­ szenierung des großen Wachsfigurenkabinetts mit den historischen Kleidern dürfte dabei für Besucher, die an Kostümfragen von Berufs wegen interessiert waren, ein besonders attraktives Ensemble gewesen sein.480 Bemerkenswert ist, dass sich die meisten Theaterleute mitsamt ihrer ganzen Truppe im Besucherbuch eingetragen haben. Bei einem Engagement in Kassel schien ein Museumsbesuch des ganzen Ensembles geradezu obligatorisch. So

478 Zu den Musikinstrumenten im Kunsthaus, die schon Boswell bemerkenswert fand, vgl. auch Danziger/Reuter 1999, S. 29, 44. Dieser Sammlungskomplex ist nicht mehr vorhanden, vgl. ebd., S. 44. 479 Zum Theater während der Regierungszeit Landgraf Friedrichs II. zuletzt: Rüppel 2010, S. 336. 480 Möglicherweise sind tatsächlich Teile der historischen Kleidersammlung des Museums bereits zu Jérômes Zeiten in den Fundus des Kasseler Theaters gelangt, möglicherweise auch im Zusammenhang der Vermählung der Prinzessin Marie von Hessen mit Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen (1825) in den Fundus des Meininger Theaters.

221 findet sich Karl Haßloch (1769–1829), der um 1793 als Theaterleiter nach Kassel kam, unter dem Datum des 31. Oktober 1793 in Begleitung einer sowohl durch Familienbande wie Beruf zusammengeschweißten Gruppe: drei Schauspiele­ rinnen, nämlich seine Ehefrau Christiane Magdalene Elisabeth, geb. Keilholz (1764–1820/29), deren oben bereits genannte Mutter Dorothea Elisabeth und die gleichnamige Schwester sowie Emanuel Wachsmuth gen. Schwarz, welcher wiederum später Ehemann der letzteren wurde. Haßloch trug wesentlich zum hohen künstlerischen Rang des Kasseler Theaters bei, setzte sich hier auch für das deutsche Singspiel ein und führte Werke u. a. von Mozart (Titus, 1794; Zau­ berflöte, 1796; Idomeneo, 1802), Dittersdorf und Haydn auf.481 Christiane Magdalene Elisabeth Keilholz, die vor allem als bedeutende Ko­ loratursängerin galt, war 1786 mit der Gruppe von Gustav Friedrich Wilhelm Großmann (1746–1796) gereist, welcher sich selbst wiederum mit dem Schrift­ zug »Grossmann aus Berlin, nebst seiner Frau und Kindern« im Besucherbuch eintrug.482 Großmann, der seit 1778 in Bonn Leiter des Hoftheaters war, unter­ nahm während der Sommerzeiten auch immer wieder Gastspiele in Kassel und in weiteren Städten. Das Museum besuchte er am 17. September 1781, wohl zu Ende seiner Kasseler Schauspielsaison, gemeinsam mit seiner Ehefrau Karoline, geb. Hartmann (1752–1784), die selbst als Schauspielerin tätig war und während der Abwesenheit ihres Mannes die Schauspieltruppe leitete und im übrigen 1799 wieder in Kassel unter Vertrag kam.483 Von ihren insgesamt elf Kindern wa­ ren im Museum mindestens die beiden ältesten dabei, darunter die sechsjährige Charlotte Amalie Großmann (*1775). Großmanns ganze Truppe kam nochmals im Mai 1785 nach Kassel. Die PCZ meldet am 12. Mai: »Die Großmannische deutsche Schauspielergesellschaft, k. dah. [= Frankfurt/M.]«. Im Besucherbuch haben sich unter dem 15. Juni 1785 gleich sieben Mitglieder eingetragen, die zuvor also vermutlich einen ganzen Monat in Kassel zugebracht hatten: »Frankenberg, Schauspieler« (nicht iden­ tifiziert), Alois Wolschowsky (1753–nach 1810) und dessen Ehefrau Franziska, geb. Kaffka (1760–nach 1810), Rosina Nuth (1763–Ende 18. Jh.), Friedrich Karl Lippert (1758–1803), Johann Friedrich Storbeck (1746–nach 1794) und Franz Heerd. Der Auftritt der Truppe mit »teutschem Schauspiele« (u. a. Schillers Räuber und eigene Stücke Großmanns) lockte auch Gäste von auswärts an, wie den Göttinger Christian Siegmund Krause, der ausführlich darüber berichte­ te, aber – als Verehrer der italienischen Oper und des französischen Theaters – über die Aufführungen insgesamt ein vernichtendes Urteil fällte.484 Ein weiteres Engagement Großmanns 1786 als Theaterdirektor in Kassel, das den Aufstieg in

481 Vgl. Schaefer 2001, S. 22 f. 482 Zu Großmann vgl. insgesamt Rüppel 2010. 483 Vgl. Schaefer 2001, S.23. 484 C. S. Krause: Auszug aus einem Briefe. In: Deutsches Museum, 2. Bd. 1785, S. 183–192.

222 die ersten Bühnen Deutschlands bedeutet hätte,485 scheiterte jedoch nicht an mangelnder Publikumsgunst, sondern an der Sparpolitik des neuen Landgra­ fen, Wilhelm IX.: 18 Tage nach Regierungsantritt löste er Oper, Ballett und Or­ chester auf. Die Kosten bzw. das Risiko für künftige Aufführungen, wie sie das Kasseler Publikum selbstverständlich nach wie vor wünschte, hatten nun allein die Theatertruppen zu tragen. Erst 1790 bis 1792 trat die Großmannsche Trup­ pe wieder in Kassel auf, gemeinschaftlich finanziert mit dem Hof in Hannover, indem man sich den Unterhalt teilte und die Gruppe jeweils sechs Monate in Kassel, sechs Monate in Hannover zu spielen hatte.486 Als dritte Schauspielertruppe unter den Museumsbesuchern ist die Thea­ tergesellschaft von Friedrich Wilhelm Bossann (1756–1813) zu nennen, die seit Anfang 1793 in Kassel engagiert war. So trug sich Mitte April 1793 »Graff de la Haute Alsace Comédien« in das Besucherbuch ein. Der aus Münster bei Col­ mar stammende Johann Jakob Graff (1768–1848) hatte nach einem Duell sowohl sein Theologiestudium abbrechen als auch das Elsass verlassen müssen und war ab 1789 als Schauspieler tätig. Als Mitglied von Bossanns Truppe kam er nach Kassel – offenbar ein Karrieresprungbrett, denn kurze Zeit später, im Juni 1793, debütierte er in Weimar und gehörte der dortigen Bühne bis 1840 an. Graff gilt als der bedeutendste Schauspieler während Goethes Theaterleitung. Er spiel­ te u. a. bei den Uraufführungen die Titelrollen des Götz und des Wallenstein. Das Museum besuchte er zusammen mit seinen Kollegen Sodemann, Zeis und Friedrich Haide (1771–1840). Haides Laufbahn verlief ähnlich, gastierte doch auch er kurze Zeit später in Weimar und verschaffte sich dort ein dauerndes Engagement. Höcht unglücklich endete dagegen das Kasseler Intermezzo für einen wei­ teren Schauspieler unter den Museumsbesuchern, der sich am 7. September 1786 in das Besucherbuch eingetragen hatte: der Komponist, Geigenviruose und Schauspieldirektor Johann Böhm, der mit seiner Truppe zuvor in vielen deut­ schen Städten aufgetreten war, verlor durch den Brand des Kasseler Komödien­ hauses am 16. Mai 1787 sein Hab und Gut. Vorübergehend spielte man anschlie­ ßend in der Karlsaue im Freien. Da die Vorstellungen jedoch durch ungünstige Wetterverhältnisse oft beeinträchtigt waren, hatte der Landgraf ein Einsehen und stellte im August 1787 das Opernhaus in der Oberen Königsstraße als Spiel­ stätte für das Schauspiel zur Verfügung.487 Böhm jedoch verließ Kassel bald da­ rauf – und im Jahr 1788 konnte keine Truppe gefunden werden, die bereit war, unter den miserablen Bedingungen in Kassel zu spielen.488

485 Vgl. Rüppel 2010, S. 336. 486 Vgl. Schaefer 2001, S. 22. 487 Vgl. Schaefer 2001, S. 21. Dies wurde zum Dauerzustand bis 1909, da das Komödien­ haus nicht als solches wiederaufgebaut wurde. 488 Vgl. ebd.

223 Neben diesen reisenden Schauspielertruppen haben sich im Besucherbuch auch immer wieder in Kassel angestellte Künstler in das Buch eingetragen, wie der Countertenor Vincenzo Bartolini, 1792 und 1793 in Kassel engagiert. Er war hier ein sehr geschätzter Sänger bei Konzerten und in der Oper. Das Museum besuchte er gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Caterina und Giu­ liano Lusini, Teresa Amici und Leopold Laghi am 3. Oktober 1792. Die PCZ notierte zum Eintreffen der Truppe: »A. 30. Ein Italienischer Musikus, Msr. Gui­ liono Lurini (sic!), nebst seiner musikalischen Familie, k. v. Marburg, l. i. K. v. Preuss.«489 Auch der »danseur au Service du Landgrave de Hesse«, Jean Baptist Cerfontaine (um 1742–1774), Mitglied der französischen Gemeinde in Kassel und »Erster Tänzer, Figurant« am Hof-Ballett, stattete den Sammlungen am 12. Juli 1770 einen Besuch ab, ebenso rund ein Jahr später sein Kollege Jean Gabriel Regnaud, gleichfalls Tanz- und Ballettmeister im Dienst von Landgraf Friedrich. Im August 1771 findet sich wiederum eine ganze Gruppe aufgeführt, darunter »Quaglio – Peintre Decorateur«. Dabei handelt es sich vermutlich um Lorenzo I Quaglio (1735–1805) oder Giuseppe Quaglio (1747–1828), beide kurfürstliche Theatermaler und -architekten in Mannheim. Als »Machinist« wird jedoch auch ein »Quaglio« 1771/72 im »Comödien-Etat« des landgräflichen Hofs aufgeführt sowie bei den »Künstlern« als »Hof-Decorations-Maler«.490 Das Kunsthaus be­ suchte dieser Quaglio jedenfalls gemeinsam mit Eva oder Georg Paul Brochard, Madame Pitrot de Verteuil und Belleval – ebenfalls, wie neben den Namen ver­ merkt, »de theatre«.

11. Nicht nur zu Messezeiten: Kaufleute, Unternehmer und Handwerker als Museumsbesucher

Parallel zur Förderung von Wissenschaft und Kunst zeichneten die Regierungs­ zeit von Landgraf Friedrich zahlreiche Bestrebungen zur Hebung und Moderni­ sierung der Wirtschaft aus. Dem dienten nach Ende des Siebenjährigen Kriegs auch die beiden Neugründungen, das Kommerzienkollegium und die Gesellschaft des Landbaues, die 1773 in Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste umbenannt wurde. »Künste« bezog sich in diesem Fall jedoch nicht auf Kunst nach heu­ tigem Sprachgebrauch, sondern auf Handwerk und Gewerbe.491 Die Grenzen waren freilich fließend, wie das Grimmsche Deutsche Wörterbuch belegt:

489 PCZ, 1792, S. 935. 490 Vgl. StKl HK, 1771, S. 50, 1772, S. 20. 491 Der Zeitgenosse Kant nannte dies »Lohnkunst«, wie im Grimmschen Deutschen Wör­ terbuch unter dem Stichwort »Kunst« belegt: »die kunst wird vom handwerk unterschieden, die erste heiszt freie, die andere kann auch lohnkunst heiszen.« Zit. nach der Online-Ausga­ be (Bd. 11, Sp. 2666–2684): http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mode=Vernet­ zung&lemid=GK16254 (22.6.2014).

224 »Einigen höheren gewerben war aber der titel der kunst durchaus zugestanden, namentlich den schreibern und buchdruckern, d. h. wegen ihrer nahen bezie­ hung zur wissenschaft (kunst), sie selbst muszten ja ursprünglich latein kön­ nen.«492 Als Aufgabe der »von Menschen- und Vaterlandsliebe beseelten« Ge­ sellschaft beschrieb ihr Sekretär Justus Friedrich Runde, Professor der Rechte und der Reichshistorie am Collegium Carolinum: »die Beförderung der Indust­ rie in allen nützlichen Künsten aufs Vollkommenste zu erreichen und dadurch zum Glück und Wohlstand der hessischen Provinzen und zur dauerhaften Freu­ de ihres Regenten recht Vieles beizutragen.«493 Gefördert und darin tatkräftig von der Gesellschaft unterstützt, wurden vor allem die traditionellen Bereiche der Landwirtschaft sowie die Gewinnung und Verarbeitung von einheimischen Rohstoffen wie Braunkohle oder Mineralien. Daneben wurde mit Versuchen zur Seidenraupenzucht und zum Weinbau, mit Gründungen von Porzellan-, Steingut- und Tapetenmanufakturen aber auch speziell auf die Bedürfnisse des Adels und des gehobenen Bürgertums abgezielt (s. Abb. 74) – nicht immer zur »dauerhaften Freude des Regenten«. So musste die Maulbeerplantage aus klimatischen Gründen 1769 bereits wieder eingestellt werden.494 Das Kommerzienkollegium, Vorläufer der heutigen Industrie- und Handels­ kammer, unterstützte wesentlich die Niederlassung ausländischer, d. h. außerhes­ sischer »Fabricanten und Manufacturiers« in Hessen-Kassel. So hatte sich eine »Spanische Feintuchmanufaktur« im sog. »Jägerhaus« in Kassel niedergelassen und stellte vor allem hochwertige Stoffe für die fürstlichen Bediensteten und die hessischen Offiziere her.495 Landgraf Friedrich schickte auch Regierungsbeamte ins Ausland, um sich dort über Handelsbedingungen oder Industrieanlagen zu informieren, die als Vorbild für die heimische Wirtschaft dienen konnten. In­ formations- und Ausbildungsreisen gehörten überhaupt ganz wesentlich zum Berufsalltag der in Wirtschaft und Handel tätigen Personen. Und so kamen, be­ legt durch die Einträge im Besucherbuch, auch umgekehrt zahlreiche Vertreter dieser Berufsgruppe aus ganz Europa nach Kassel. Nimmt man die Ehefrauen oder sonstige Begleiter hinzu, so umfasst diese Gruppe rund 1.000 Personen innerhalb des ganzen Verzeichnisses. Damit liefert das Besucherbuch auch für die Reisetätigkeit einer Berufsgruppe, die insgesamt als noch wenig erforscht gilt,496 eine Vielzahl neuer Fakten. Die Hintergründe für den jeweiligen Aufenthalt waren auch bei die­ ser Besuchergruppe sicherlich vielfältig – man befand sich lediglich auf der

492 Zit. nach ebd. 493 Zit. nach Both/Vogel 1973, S. 41. 494 Vgl. ebd., S. 43. Hier auch zum Folgenden. 495 Vgl. Ausst.Kat. Kassel 1979, Kat. Nr. 82 und 85. 496 Vgl. Rees/Siebers 2005, S. 56.

225 Durchreise, kam mit gezieltem beruflichem Interesse oder war vielleicht wirk­ lich mit dem speziellen Wunsch, die Sammlungen oder die Bibliothek zu be­ sichtigen, nach Kassel gereist. Die Verknüpfung von Kommerz und Kultur liegt jedenfalls bei vielen, häufig in Gruppen reisenden Kaufleuten, Bankiers und Handwerkern unter den Museumsbesuchern auf der Hand. Deren Rolle als Kulturvermittler sowie ihr Agieren in weltweiten Netzwerken wurde erst in jüngerer Zeit von der Forschung stärker beachtet.497 Auch für diesen Kom­ plex von »cultural agents« stehen über die Auswertung des Besucherbuchs also neue, zum Teil auch erstaunliche Ergebnisse zur Verfügung – nicht nur, was die internationale wie gesellschaftliche Bandbreite dieser Gruppe unter den Museumsbesuchern insgesamt betrifft. Als ein Beispiel innerhalb der Gren­ zen des Alten Reiches sei der überraschend große Zustrom von Kaufleuten aus Iserlohn angeführt, das damals zur preußischen Grafschaft Mark gehörte. Zwar brachte, wie bereits Vogel bemerkte, die »Nord-Süd-Achse […] sehr viel

497 Vgl. z. B. Schulte Beerbühl/Vögele 2004; Cools/Keblusek/Badeloch 2006; Schulte Beer­ bühl 2007; einige der hier genannten, in England ansässigen Kaufleute finden sich im Besu­ cherbuch wieder (z. B. Amsinck, Harcksen); Huigen/De Jong/Kolfin 2010.

226 Abb. 108: »Grund-Riß der Boutiquen und Plätze des Herrschaftlich Casselschen Oberneustädter Meß- Hauses«, kolorierte Zeichnungen von Johann Henrich Scharff, 1775

mehr Zuzug als die West-Ost-Achse«.498 Doch kamen etwa im Vergleich zu den ca. 100 Kaufleuten aus Bremen immerhin auch aus dem kleineren Iser­ lohn rund 30 Mitglieder der führenden Kaufmannsfamilien ins Museum: die Kaufleute Basse, Brune, Lecke, Löbbecke, Maste, Reinhold, Rentzing, Riedel, Röpe, Rupe, Thomée und Wieler, davon über die Hälfte in Begleitung ihrer Ehefrauen. Die Einträge spiegeln, so läßt sich folgern, nicht nur die wach­ sende Bedeutung des Industriestandorts Iserlohn, sondern zugleich auch den Bildungsanspruch seiner Repräsentanten. Zur bislang unterschätzten »West- Ost-Achse« zählen auch weitere Kaufleute unter den Museumsbesuchern, wie Mitglieder der Familie Bertelsmann aus Bielefeld, Dufour-Pallard aus Leipzig oder Bernhardi und Boutin aus Erfurt. Vergleicht man die Eintragsdaten aller Gewerbetreibenden, so fallen Schwer­ punkte im März und April, sowie im August und September mit den häufigsten Nennungen auf – was sicherlich nicht nur dem günstigen Reisewetter geschul­ det ist. Denn offenbar kam man nach Kassel vor allem der Messen wegen und

498 Vogel 1956, S. 151.

227 nutzte dabei die Gelegenheit zum Besuch der hier vorhandenen öffentlichen Institutionen. Mit der Einrichtung der regelmäßig im Frühjahr und Herbst stattfindenden Messe war seit 1763499 ein weiterer Schritt zur Belebung des Handelsstandorts Kassel unternommen worden, die die Stadt in die Reihe der großen Messestädte Leipzig, Frankfurt und Braunschweig rücken sollte.500 Die Messe mit dem von du Ry gestalteten Messhaus (1904 für den Bau des heutigen Rathauses abgebro­ chen)501 umfasste rund 250 Verkaufsstände (»Boutiquen«), die zu einem Drittel von Ausländern besetzt waren, sowie rund 500 bis 600 »Hausierer« oder Krä­ mer (Abb. 108). Hinzu kamen die beiden Messehallen am Königsplatz (ebenfalls von du Ry entworfen), das »Kaufhaus« am Martinsplatz und die öffentlichen Marktplätze. Die Messezeit war jeweils so gelegt, dass sie, wie Günderode 1781 schreibt, »zu mehrerer Bequemlichkeit derer Kaufleute, drey Wochen vor der Frankfurter an[geht], so daß diese beyde nach einander besucht werden kön­ nen.«502 Er verhehlt aber nicht, dass die Messe nur mühsam anlief – die Kon­ kurrenz der alteingesessenen Messestädte war zu groß. Den Betrieb im Mess­ haus in Kassel mit seinen breiten und gut beleuchteten Gängen hielt er aber für »weit angenehmer,[…] als in dem engen und lüftigen Römer zu Frankfurt, und dem nicht viel bequemern Auerbachshof zu Leipzig.« Ein reiches Angebot bestand an »sogenannten Galanterie-Waaren und Kostbarkeiten, als Juwelen, Uhren, goldenen Dosen und dergleichen.« Hier deckte auch der Landgraf selbst seinen Bedarf: er besuchte jede Messe zwar nur zweimal, »kaufen aber jedesmal vor grosse Summen ein, und theilen damit Fürstliche Geschenke aus.« Mit zu­ sätzlichen Vergnügungsangeboten – von Glücksbuden über Akrobaten bis hin zum Feuerwerk – suchte man die Attraktivität des Messestandorts für Händler wie Kunden gleichermaßen zu steigern. Hinzu kam ein verstärktes Theaterange­ bot: neben dem üblichen Programm mit Oper, Operette und Schauspiel gab es täglich Komödie (»ausgenommen Sonntags und Donnerstags«), so dass umge­ kehrt freie Theatertruppen gleichfalls von der Messe profitieren konnten. Auch die Kunstakademie bereitete jeweils zur Frühjahrsmesse eine Ausstellung vor.503 Günderode fasst kurzum zusammen: »Ueberhaupt ist der Zulauf von Kaufleu­ ten sowohl, als auch vielen andern Fremden so groß, daß Cassel während dieser Zeit noch viel lebhafter wird; – so, daß es auch die Wirthe ihre Erndte nennen.« Entsprechend häufen sich zu den Messezeiten die Besucherbucheinträge nicht nur von Messebesuchern, sondern auch von den Gewerbetreibenden selbst,

499 Die erste Messe fand am 29. August 1763 statt; vgl. Holtmeyer 1923, S. 593. 500 Vgl. zum Folgenden Both/Vogel 1973, S. 52 ff. 501 Vgl. Holtmeyer 1923, S. 592–596. Im Messhaus hatten auch die Gesellschaft des Acker­ baus und der Künste und das Kommerzienkollegium ihren Sitz. 502 Günderode 1781, S. 178. Die folgenden Zitate ebd., S. 180 ff. 503 Vgl. Seidel 1786, S. 109.

228 Indiz dafür, dass auch schon damals Kultur ein bedeutender Wirtschafts- und Standortfaktor war. Im Museum Fridericianum musste eigens das Personal aufge­ stockt werden, weshalb zu diesen Zeiten ausnahmsweise wohl auch eine Gebühr fällig wurde, denn der Erlanger Philosophie-Professor Hirsching schreibt 1787 in seinem Überblick zu bedeutenden Sammlungen in Deutschland: »Um diese kostbaren Schätze des Musei Fridericiani so gemeinnützig, als nur immer mög­ lich ist, zu machen, so ist preißwürdig dafür gesorgt, daß diese ausnehmenden Seltenheiten so gar in den Messen einem jeden für ein geringes Trinkgeld gezeigt werden können, weil da besondere Aufwärter zur Vorzeigung bestellt sind, die hierzu mehr Zeit haben, und sich auch nehmen, als gelehrte Aufseher.«504 Doch auch außerhalb der Messezeiten fanden viele Kaufleute, Fabrikanten, Bankiers oder Handwerker den Weg nach Kassel und ins Museum. Die Band­ breite reicht von den bereits genannten Buchhändlern, über jüdische Bankiers, Hoffaktoren oder sog. »Schutzjuden«, (Kunst-)Handwerker wie Porzellanma­ ler, Keramiker und Glasschneider, Tuchhändler oder Perückenmacher, Fabri­ kanten von Spiegeln, Garnen oder Tonwaren, Händler von Juwelen, Pelzen und Spitzen, von Wein, Tabak, Zucker, Kaffee oder Gewürzen. Auch hier war die gesellschaftliche Spanne wie das geographische Einzugsgebiet groß. Neben den Namen bedeutender Patrizierfamilien aus Hamburg, Bremen, Frankfurt oder Zürich, wie z. B. Jenisch, Kapff, Wichelhausen, Gontard, Passavant, Metzler oder Bethman, neben Hochfinanz und Großhändlern, finden sich viele Vertre­ ter kleinerer Unternehmen bis hin zum einfachen Schuhmacher im Besucher­ buch verzeichnet. Und die Herkunftsterritorien und -länder umfassen nahezu alle europäischen Länder: eingetragen haben sich Kaufleute und Unternehmer aus Großbritannien, Reeder aus Holland, Weinhändler aus Spanien oder Süd­ frankreich, Juweliere aus St. Petersburg, Glasschneider aus Böhmen, Spiegelfa­ brikanten aus dem Baltikum, Bankiers und Uhrmacher aus der Schweiz oder Eisenfabrikanten aus Schweden. Vereinzelt kamen auch Kaufleute oder »Négociants« (= Händler, Weinhänd­ ler) aus entfernteren Gegenden, wie die beiden Herren Tarascon und Journel, die ihrem Namen in geschweifter Klammer hinzusetzten: »Negotiants de Phi­ ladelphie le 5e. May«. Dabei handelt es sich um die beiden aus Frankreich stam­ menden Geschäftspartner Jean (John) Victor Journel, Kaufmann und Schiffs­ eigner in Philadelphia, und Louis Anastasius Tarascon (1759–1839), der sich 1794 – also im Jahr des Kasselaufenthalts – in Philadelphia niederließ. Tarascon importierte Seidenstoffe sowie andere Güter aus Frankreich und Deutschland und befand sich vermutlich zu dieser Zeit beim Aufbau von Geschäftswegen. Mit einigen niederländischen und dänischen Kaufleuten öffnet sich zugleich der Blick auf die Kolonien in Übersee: aus Dänisch-Westindien (heute: Virgin Is­ lands) kam am 20. Oktober 1785 »Frau Heyliger de StCroix a l’Amerique« in das

504 Hirsching 1787, S. 5 f.

229 Abb. 109: Schweppes Tonic Water, mit dem Hinweis »1783« auf dem Firmenetikett

Museum, Mitglied der aus Dänemark stammenden, um die Mitte des 18. Jahrhun­ derts in St. Croix ansässigen Kaufmannsfamilie Heyliger, in Begleitung ihres Ver­ wandten (Neffen?) Martin Ludwig Krause, dessen Familie wiederum väterlicher­ seits aus Schlesien stammte. Und aus Surinam reiste der Plantagenbesitzer Clemen mit Familie an, ein gebürtiger Sachse, den es durch Heirat in die niederländische Kolonie verschlagen hatte und der bei seinem Eintrag am 25. Oktober 1784 in das Kasseler Besucherbuch vielleicht auf einer Reise in seine alte Heimat war. Gewissermaßen einen ganzen Handelsweg verrät der Eintrag zweier Han­ delsleute aus dem Languedoc: »Mathieu neg[ocian]t. de Lunel En Languedoc allant En Russie a passé ici le 24 Juin 1790«, und sein Kollege schreibt ebenso ausführlich nochmals: »Nourrigat Neg[ociant] De Lunel en Languedoc allant en Russie a Passé icy le 24 Juin 1790.« Die beiden befanden sich also auf dem Weg von Südfrankreich nach Russland und passierten auf dieser Strecke Kas­ sel – ein Unterfangen, das ihnen wohl die doppelte Nennung im Besucherbuch wert schien. Dass bei einer solch langen und beschwerlichen Reise Zeit blieb für einen Museumsbesuch, belegt das Interesse der beiden Kaufleute an einer sol­ chen Bildungsmöglichkeit und letztlich die Attraktivität des Museums. Über die beiden Südfranzosen ließen sich leider, wie bei vielen weite­ ren Kaufleuten, nicht mehr als die im Besucherbuch selbst dokumentier­ ten Fakten (Name, Aufenthaltsdatum, Beruf, Herkunft) ermitteln. Einträge wie »Krohn Kaufmann aus Malaga«, »etliche Kauffleute von Braunschweig«,

230 »Meillan negociant de Bilbao« oder »P. H Smith de Norwege Negocian[t]« stoßen schnell an die Grenzen der eindeutigen Identifizierbarkeit der Perso­ nen oder gar der weiteren Ermittlung von Lebensdaten. Die Einträge machen jedoch unabhängig davon deutlich, wie sehr geographi­ sche Mobilität den Berufsalltag dieser Besuchergruppe prägte. Das Reisen zum Aufbau neuer oder zur Pflege alter Handelsbeziehungen, zum Vertrieb von Waren oder zum Besuch von Geschäftskunden findet sich solcherart vielfältig im Besu­ cherbuch gespiegelt – sei es, dass der Weg nur von Hann. Münden nach Kassel oder von Bremen über Kassel nach Bordeaux führte. Die meisten Biographien der ermittelbaren Personen weisen daher eine intensive Reisetätigkeit im überregio­ nalen europäischen, in vielen Fällen auch außereuropäischen Rahmen auf. Zu den international agierenden Kaufleuten unter den Museumsbesuchern zählt z. B. der aus Schottland stammende Hamburger Kaufmann John Parish (1742–1829), der am 1. August 1783 mit einer ganzen Gruppe aus Hamburg das Museum besuchte. Zu seiner Begleitung gehörte Henrietta Parish, d. i. entweder seine Ehefrau (1745–1810) oder die gleichnamige Tochter (1769–1860), ferner Johann Kaspar Heinrich Voght (1752–1839) und dessen verwitwte Mutter Eli­ sabeth, geb. Jencquel (1723–1799), sowie das Ehepaar Doormann, d. i. der Ju­ rist Hermann Doormann (1752–1820) und dessen Ehefrau Johanna Maria, geb. Bolten (1754–1801). Alle drei Besucher schufen ein bedeutendes Lebenswerk: Voght, der gleichfalls dem Kaufmannsstand angehörte, hatte nach ausgedehn­ ten Reisen durch Europa 1781 das väterliche Handelshaus übernommen. Nach englischem Vorbild ließ er ab 1796 vor den Toren Hamburgs sein Mustergut Flottbek anlegen, mit dem er zum wichtigen Reformer sowohl im Bereich der Landwirtschaft wie des Armenwesens wurde.505 Doormann war als Diplomat in Diensten der Stadt Hamburg tätig und agierte ab 1806 vor allem am Hof und im Heerlager Napoleons. Später entsandte man ihn zu diplomatischen Missio­ nen nach London und Hannover. Parish selbst schließlich hatte es durch die ge­ schickte Kombination aus Waren- und Bankhandel zu enormem Reichtum ge­ bracht.506 Bereits während des Siebenjährigen Kriegs durch Getreidehandel aus dem Baltikum nach England zu Vermögen gekommen, weitete er sein Geschäft nach der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auf direkten Warenhandel mit nordamerikanischen Häfen aus. Sein guter Ruf in den noch jungen Verei­ nigten Staaten veranlasste George Washington, ihn 1793 zum ersten General­ konsul der USA auf dem europäischen Kontinent zu ernennen. Sein überaus luxuriöser Lebensstil ist noch heute in der Hamburger Redewendung »pärrisch leben« gegenwärtig (sinngemäß: es sich gut gehen lassen).507

505 Zu Voght vgl. Rees/Siebers 2005, S. 96 und Reise Nr. 51. 506 Vgl. North 1997, S. 45–47. 507 http://www.hamburgbuch.de/nokixel/Frameset/Glossar.htm?P.htm~Frame33322 (27.6.2014)

231 Abb. 110: Daniel Orme, Bildnis Frédéric de Coninck, 1799

Zwischen den Stationen Hamburg, London und Cádiz spielte sich der Le­ bensweg von Johann Nikolaus Böhl (1770–1836) ab, der am 3. November 1788 das Museum besuchte. Der Sohn des deutsch-spanischen Kaufmanns Johann Jakob Böhl (1727–1786), der sich selbst bereits fünf Jahre zuvor in das Besucher­ buch eingetragen hatte, war in Hamburg von Joachim Heinrich Campe erzogen und zugleich in einem der Zöglinge seines Entwicklungsromans Robinson der Jüngere literarisch verewigt worden. Nach der Weiterbildung in England arbei­ tete Böhl ab 1785 im väterlichen Handelshaus in Cádiz. Daneben betrieb er aus­ giebige Studien zu deutscher, englischer und älterer spanischer Literatur und gab spanische Lyrik und Bühnendichtung heraus. 1805 siedelte er auf sein Gut bei Schwerin über, kehrte jedoch 1813 nach Spanien zurück und wurde schließ­ lich 1816 hamburgischer Konsul in Cádiz. Böhl spielte eine wichtige Rolle als Vermittler deutscher und englischer romantischer Literatur nach Spanien und von spanischer Literatur nach Deutschland – ein Beleg für die Bedeutung von Handelswegen als Kulturwegen. Die Grenzen zwischen Kommerz, Kultur und Wissenschaft waren auch bei weiteren Besuchern fließend, wie es das Beispiel des Rotterdamer Kaufmanns Jan Daniel Huichelbos van Liender (1732–1809) zeigt. Huichelbos, der das Museum zusammen mit seinem Kollegen Jan Jacob Elzevier (1746–1819) am 11. September 1786 besuchte, war nicht nur ein Korrespondent von James Watt und , sondern seit 1775 Mitglied, seit 1786 Direktor der Société Batave des sciences in Haarlem. Nach Kassel kam er während einer Deutschlandreise im August und September 1786. Er engagierte sich maßgeblich für die Verbreitung der Dampfkraft in Holland und dürfte sich im Museum Fridericianum beson­ ders für die entsprechenden physikalischen Geräte interessiert haben. Ähnlich dürfte das Interesse bei einem Besucher gelagert gewesen sein, der sich bereits 1771 als »Jacob Schweppe de Witzenhausen« in das Besucherbuch

232 des Kunsthauses eingetragen hatte, ein Besucher, dessen Erfindung auch heute noch – im wahrsten Sinne des Wortes – in aller Munde ist. Es handelt sich um den aus Witzenhausen bei Kassel stammenden Juwelier und Goldschmiedemeis­ ter Johann Jakob Schweppe (1740–1821), der seit 1766 in Genf ansässig war – und hier außer Schmuckhandel wohl hauptsächlich Experimente betrieb. Vor allem aus naturwissenschaftlichem Interesse dürfte er das Kunsthaus besucht haben, waren hier doch zahlreiche Geräte wie Vakuumpumpen, Dampftöpfe sowie mehrere Wasserapparate zu besichtigen, darunter die sog. »Hessische Maschi­ ne«, d. i. die von Denis Papin um 1700 in Kassel erfundene Zentrifugalpumpe »Rotatilis suctor et pressor«.508 Schweppe entdeckte ein Verfahren, mittels einer Kompressionspumpe Wasser mit Kohlendioxid zu versetzen. Im Jahr 1783 pa­ tentiert (Abb. 109), vertrieb er als königlicher Hoflieferant dieses Getränk dann erfolgreich in London und schuf hiermit die älteste Mineralwassermarke der Welt.509 Künftig gehörte das zur Malariaprophylaxe mit Chinin versetzte Tonic Water zum Marschgepäck britischer Soldaten. Eine eher naturwissenschaftliche Ausrichtung hatte auch Johan Alströmer (1742–1786), Sohn des schwedischen Großindustriellen Jonas Alströmer, der nach dem Bergbau-Studium in Uppsala den väterlichen Betrieb in Alingås übernom­ men hatte. Von 1777 bis 1780 reiste er zusammen mit dem Göteborger Ingenieur und Stadtbaurat Carl Wilhelm Carlberg (1746–1814) durch Europa. Beide schrie­ ben sich am 7. August 1777 in das Besucherbuch ein, Carlberg noch ein zweites Mal Mitte September 1780. Alströmer trug bei dieser Reise selbst eine umfangrei­ che Sammlung an Naturalien, Werkzeugen, musikalischen und mathematischen Instrumenten zusammen. In Göttingen, das selbstverständlich ebenfalls auf der Reiseroute lag, begegneten die beiden auch Lichtenberg, dessen Elektrophor (nach Voltas Typ) Alströmer später in Schweden nachbauen ließ. Alströmer zählt zu den vielen Persönlichkeiten dieser Berufsgruppe unter den Besuchern, die eigene Sammlungen in unterschiedlichen Bereichen auf­ bauten und allein aus diesem Grund schon ein vertieftes Interesse an den öf­ fentlichen Museumseinrichtungen in Kassel gehabt haben dürften. Gerade aus den skandinavischen Ländern kamen einige bedeutende Sammler. Zu nennen ist Peter Andersen Dahl (1747–1789), dessen Biographie einen großen geogra­ phischen Radius umspannte. Bereits in jungen Jahren war er zur See gefah­ ren und ab 1770 mehrfach in Westindien, ab 1775 in Ostindien gewesen. Er stieg dann selbst sehr erfolgreich als Schiffseigner und Investor in den Ostin­ dienhandel ein. Von 1781 bis 1783 lebte er in Indien, anschließend ließ er sich in Kopenhagen nieder, wo er, zusammen mit Frédéric de Coninck (1740–1811, Abb. 110), der sich ebenfalls und zwar gleich zweimal (1791 und 1794) im Be­ sucherbuch wiederfindet, zu den wohlhabendsten Kaufleuten Kopenhagens

508 Vgl. Schmincke 1767, S. 169 509 Schweizer Lexikon. Luzern 1993, Bd. 5, S. 742.

233 gehörte. Im Jahr 1784/85 unternahm der Kunstsammler und -mäzen Dahl eine Italienreise und trug sich am 12. August 1785 gemeinsam mit seinem Freund und Reisebegleiter Christian Krause (*1745) vermutlich bei der Rückkehr nach Dänemark in das Besucherbuch ein. Zu den Förderern der Kunst unter den Museumsbesuchern gehörte auch der in Bordeaux aufgewachsene Kaufmann und Bankier Friedrich Metzler (1749– 1825), der seit 1762 in Frankfurt/M. ansässig war. Hier hatte er 1771 die Handels­ geschäfte seiner Tante Barbara übernommen, die er in das bis heute bestehende Bankhaus umwandelte. Er war einer der Mit-Stifter des Städelschen Kunstins­ tituts. Unter dem Eintrag »J Städel von Franckfurt« selbst ist jedoch nicht der Kunstsammler und -förderer Johann Friedrich Städel (1728–1816) im Besucher­ buch belegt, sondern dessen Vetter Johann Carl Städel (1742–1815), gleichfalls Kaufmann in Frankfurt/M., der das Museum am 25. Juni 1783 zusammen mit einigen anderen Kaufleuten besuchte und am Folgetag auch die Gemäldegalerie besichtigte.510 Bei den Sammlerpersönlichkeiten unter den Kaufleuten ist auch Jakob Kabrun d. J. (1759–1814) zu nennen, der sich am 13. April 1778 in das Buch einschrieb. Vom Gehilfen im Danziger Handelshaus Josua und James Kenworthy stieg er zu einem der erfolgreichsten Kaufleute seiner Stadt auf. Mit großem Engagement setzte er sich für das Danziger Kulturleben ein und hinterließ der Stadt seine umfangrei­ che Bibliothek und Kunstsammlung zur Gründung eines Bildungsinstituts – hier­ für könnte das Museum Fridericianum durchaus Impulse geliefert haben. Auch Johannes Schuback (1732–1817), der seine Ausbildung zum Kaufmann in Hamburg und Lissabon erfahren hatte und später eines der bedeutendsten Hamburger Handelshäuser aufbaute, legte eine qualitätvolle Gemäldesammlung und Bibliothek an. Schuback, dessen Firma hauptsächlich im Portugal-Handel tätig war, wurde 1782 durch den König von Portugal zum Generalkonsul er­ nannt, ein Titel, den er auch in seinem Besucherbucheintrag vermerkt.511 Er zählt zum führenden Kreis der Hamburger und Altonaer Aufklärung, deren Vertreter sich häufig unter den Museumsbesuchern finden, oft auch mit mehr­ fachem Eintrag wie z. B. »JG Büsch Professor Mathe[maticae] in Hamburg zum viertenmale.« Johann Georg Büsch (1728–1800), seit 1756 Professor der Mathematik am Gymnasium in Hamburg, hatte sich vor allem als Verfasser handelswissen­ schaftlicher Werke, die die moderne Betriebswirtschaftslehre vorbereiten hal­ fen, verdient gemacht. Der Gelehrte förderte auch sonst maßgeblich Wirtschaft und Handel in Hamburg. So war er 1765 Mitbegründer und Vorsteher der Ham­ burgischen Gesellschaft zur Förderung der Künste und nützlichen Gewerbe – ver­ gleichbar der im gleichen Jahr gegründeten Kasseler Gesellschaft des Ackerbaus

510 Freundlicher Hinweis von Dr. Corina Meyer, Frankfurt/M., Los Angeles. 511 Sein Eintrag Mitte September 1787 lautet »Johannes Schuback Portug. Gen. Consul zu Hamburg«.

234 und der Künste – sowie seit 1771 auch Direktor der Handelsakademie in Ham­ burg. Über das Reisen und den Besuch von Sammlungen schrieb er selbst: »Oef­ fentliche und private Kunst- und Naturalien-Sammlungen habe ich gern und mit Nutzen gesehen. Denn in diesen half mir mein Auge, weil die Sachen nicht alle so, wie der Inhalt der Bücher in ihren ledernen Hüllen, versteckt sind. Doch kömmt es auch sehr auf die Gefälligkeit des Aufsehers oder des Besitzers an.«512 In dieser Hinsicht müssen die Erfahrungen im Museum Fridericianum gut ge­ wesen sein: der Vermerk »zum viertenmale« im Besucherbuch hält dies gleich einem Qualitätssiegel sowohl für die Augen der Kustoden als auch die der an­ deren Besucher fest. Erwähnt seien unter den Vertretern der Wirtschaft auch die zahlreichen Fachleute des Montanwesens, unter denen sich gleichfalls einige Sammler- und Forscherpersönlichkeiten befanden, wie z. B. der schwedische Eisenfa­ brikant und Kaufmann Adolf Ulrik Grill (1752–1797), Besitzer einer umfangrei­ chen Naturaliensammlung und später selbst Museumsgründer. Denn er legte den Grundstock für das kleine zoologische Museum in Söderfors (Grillska­ ­Museet). Grill war auch Mitglied der schwedischen Akademie der Wissen­ schaften und ist im übrigen Namensgeber für die Fischart Grill (­Gymnetrus Grillii) – als längster Knochenfisch ein Gigant seiner Spezies. Auch Grills Be­ gleiter, der sich mit ihm am 11. August 1776 als »C.B. ­Wadström Directeur des Mines en Suede« in das Besucherbuch eintrug, sei erwähnt. Dabei handelt es sich um Carl Bernhard Wadström (1746–1799), für den es bereits der zwei­ te Besuch war, hatte er sich doch schon am 26. Juli 1774 als »Charles Berns Wadström, au College Royal des Mines en Suede« in das Buch eingeschrie­ ben. Der Eintrag dokumentiert zugleich das berufliche Fortkommen in nur zwei Jahren: vom Ingenieur am Berg-Kollegium (College Royal des Mines) war er zum Direktor der schwedischen Minen aufgestiegen. Wadström zählt zu­ gleich zu den bedeutenden Vertretern der Aufklärung in Schweden mit einer ausgesprochen modern anmutenden Haltung. So hatte er bereits 1779 eine Gesellschaft für den, wie wir heute sagen würden, »fairen« Handel mit Afri­ ka gegründet. Im Jahr 1787 bereiste er im Auftrag des schwedischen Königs Westafrika, 1788 siedelte er dann nach England über, wo er eine Baumwollfa­ brik betrieb und sich parallel intensiv für den Kampf gegen die Sklaverei so­ wie die Todesstrafe einsetzte. Schließlich organisierte er 1799 die weltweit erste Konferenz zur Kolonialfrage. Beide Reisen, die ihn 1774 und 1776 über Kassel führten, standen im Zeichen wirtschaftlicher Interessen: 1774 infor­ mierte er sich, u. a. in Solingen, über die Herstellung von Gewehren, 1776 stu­ dierte er ausländische Eisenverarbeitungsanlagen513 – Wirtschaftszweige, für die es auch in Hessen-Kassel führende, überregional geschätzte Unternehmen

512 Büsch 1817, S. 327. Im Besucherbuch sind nur drei Besuche Büschs verzeichnet: am 22. August 1774, 17. Juli 1788 und 1. August 1791. 513 Vgl. http://sv.wikipedia.org/wiki/Carl_Bernhard_Wadström (2.7.2014)

235 Abb. 111: Titelblatt von Claproths Schrift zur Wiederaufbereitung von Altpapier, 1774

gab. Ein hessischer Zeitgenosse schrieb 1783: »So gehen unsre Stahl- und Ei­ senwaaren noch wirklich nach Holland, Frankreich, Portugall, und von dan­ nen weiter nach beyden Indien; desgleich nach Pohlen, Schlesien, Liefland und von da ferner in den entferntesten Norden[…] Vor dem amerikanischen Kriege hohlten auch die Einwohner der englischen Kolonien viele von un­ sern Stahl- und Eisenwaaren, sonderlich Feuerröhre aus der ersten Hand von unsern Kaufleuten auf den frankfurter Messen; und vermutlich ist mancher brave Hesse in gedachtem für England so unglücklichen Kriege mit einem schmalkalder Gewehr todt geschossen worden.«514 Möglicherweise interes­ sierte Wadström sich folglich bei seinem Kassel-Aufenthalt nicht nur für die

514 Zit. nach Ausst.Kat. Kassel 1979, Kat. Nr. 172.

236 Sammlungen im Kunsthaus, sondern auch für diese »Feuerröhre« und weitere Produkte der Eisen- und Stahlfabrikation. Abschließend sei noch eine besondere, wenn auch recht kleine Besucher­ gruppe erwähnt: reisende Lehrlinge, wozu auch einige der bereits genannten jungen Kaufleute in der Ausbildungsphase gehören, wie etwa der zur Zeit sei­ nes Besuchs erst 18-jährige Johann Nikolaus Böhl. Ohne eigentliche akade­ mische Ausbildung, finden sich unter ihnen einige Forscher und Entdecker, die später zu bedeutenden Leistungen in naturwissenschaftlichen Disziplinen gelangten. Herausgehoben sei Valentin Rose d. J. (1762–1807), der ab 1778 eine Apothekerlehre in Frankfurt/M. absolvierte und 1782 nach Berlin als Gehilfe in die väterliche Apotheke zurückkehrte. In das Besucherbuch trug er sich am 15. April 1782 vermutlich auf seiner Heimreise ein. Nach den Wanderjahren 1783 bis 1785 übernahm er die Apotheke seines Vaters und betrieb nebenbei intensiv chemisch-pharmazeutische Studien. Er entdeckte schließlich das Na­ triumhydrogenkarbonat (1801) und das Inulin/Alantstärke (1804) und erfand auch eine Methode zum Nachweis von Arsen. Ähnlich unternahm auch Friedrich Heinrich Basse (1773–1823), der als 17-jähriger Apothekergehilfe Ende Mai 1790 aus Hameln in das Museum kam, ausgiebig chemische und physikalische Experimente. Basse entdeckte u. a. die elektrische Leitfähigkeit des Erdbodens und publizierte z. B. über Salzsäure und Naphta sowie über die Auflösung von Phosphor in Weingeist. Zuletzt war er ab 1817 Inhaber der Bleiweißfabrik in Bremen. Auf seinen Wanderjahren kam der Schweizer Johann Conrad Fischer (1773– 1854) Mitte Oktober 1792 nach Kassel. Ausgebildet zum Kupferschmied, spä­ ter zum Drechsler, u. a. bei seinem Onkel Lorenz Spengler (s. oben), übernahm er 1797 die metallurgische Fabrik seines Vaters (Glocken- und Kanonenguss). 1806 gründete er eine Gussstahlfabrik im Mühlental, in der er als erster auf dem ­europäischen Festland Tiegelgussstahl herstellte und u. a. auch den Tempur­guss erfand. Fischer wurde zum Pionier auf dem Gebiet der Stahlerzeugung und be­ kleidete zugleich auch öffentliche Ämter: von 1831 bis 1835 war er Stadtpräsident von Schaffhausen, 1800 bis 1854 kantonaler Bergwerksdirektor. Abschließend sei noch ein junger Besucher aus Holland erwähnt: George Voorhelm Schneevoogt (1775–1850) kam am 14. Juli 1791 als 16-jähriger Gärt­ nerlehrling in das Museum, vermutlich zu dieser Zeit in der Ausbildung bei Friedrich Wilhelm Julius Fintelmann (1766–1816), Handelsgärtner in Berlin, der sich mit ihm zusammen in das Buch eintrug. Später wurde Schneevogt Ei­ gentümer einer großen Baumschule und Gärtnerei in seiner Heimat. Mit den Icones Plantarum Rariorum (Haarlem 1793) schuf er eines der bedeutendsten Pflanzenbücher seiner Zeit – unter Mitarbeit eines weiteren Kasseler Muse­ umsbesuchers, nämlich des bereits erwähnten Steven Jan van Geuns. All diese Beispiele zeigen, dass die Grenzen zwischen den Gelehrten und den Besuchern ohne akademische Ausbildung keineswegs klar gezogen wa­ ren, ja dass gerade unter den Kaufleuten und Handwerkern herausragende

237 Erfinder und Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen vertreten waren: die »nahe beziehung zur wissenschaft (kunst)«, wie es im eingangs zitierten Grimmschen Deutschen Wörterbuch heißt, traf für viele Vertreter des Gewer­ bes also durchaus zu. Somit erscheint auch eine Unterscheidung zwischen »Gebildetenreise« oder »Geschäftsreise« in vielen Fällen kaum möglich oder sinnvoll. Das breite Spek­trum an Exponaten, wie es sowohl das Kunsthaus wie das Museum Fridericianum boten, zog jedenfalls auch aus dem Bereich von Wirtschaft und Handwerk ein vielfältiges, interessiertes Publikum an, um die Sammlungen, in den Worten Büschs, »gern und mit Nutzen zu sehen.«

12. … und viele mehr

Zu den vorgestellten Besucherkategorien ließen sich durchaus noch weitere hin­ zufügen – etwa, um beim Beruf als Kriterium zu bleiben, die Gruppe der Juris­ ten, der Militärpersonen oder der Beamten. Mit einem Koch als Gemmenspe­ zialisten (Le Goullon), einem Juwelier als Physiker (Schweppe) oder einem Theologen als Dichter (Herder) dürfte aber auch offensichtlich geworden sein, dass die Zuordnung der einzelnen Besucher zu Berufsgruppen in vielen Fällen einen Kompromiss darstellt. Denn aus heutiger Sicht erscheinen viele Besucher gerade in Bereichen interessant, die jenseits ihrer Profession lagen, erlangten sie hier doch eine Bedeutung, die ihnen selbst und ihren Zeitgenossen oft noch gar nicht ersichtlich war oder sein konnte. Dazu ein Beispiel unter den nicht eigens als Berufsgruppe aufgeführten Ju­ risten: am 28. August 1778 findet sich der Eintrag von »Justus Claproth d. or­ dentl. öffentl. Lehrer der Rechte zu Göttingen«. Claproth (1728–1805), wiede­ rum ein Korrespondent von Raspe, war in Göttingen seit 1761 Juraprofessor, ein anerkannter Strafrechtler, dessen Forschungstrieb und Engagement aber auch in ganz andere Fachgebiete führte. Denn Claproth suchte sich, als Mitglied der Celler Landwirtschaftsgesellschaft sowie der Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste­ in Kassel, auch im Bereich der »nützlichen Künste« zu betätigen. So entwickelte er ein Verfahren zur Wiederaufbereitung bedruckten Papiers, das er 1774 in seiner Schrift Eine Erfindung, aus gedrucktem Papier wiederum neu­ es Papier zu machen, und die Druckerfarbe völlig heraus zu waschen vorstell­ te (Abb. 111). Der Göttinger Jurist dürfte heute somit weniger als »öffentlicher Lehrer der Rechte zu Göttingen«, denn als Erfinder des Altpapierrecyclings von Interesse sein. Um bei den Juristen zu bleiben: Erwähnt sei auch der dreimalige (1770, 1774, 1781) Besuch von Claproths Kollegen, des Geheimen Justizrats Johann Stephan Pütter (1725–1807), der als Begründer der modernen Verfassungsgeschichts­ schreibung gilt und maßgeblich zum ausgezeichneten Ruf der Universität Göt­ tingen beitrug. Seine Unterrichtsmethode strahlte auch unmittelbar nach Kas­ sel aus, orientierte man sich hier doch bei den juristischen Vorlesungen am

238 Collegium Carolinum an Pütters Curriculum.515 Doch auch über seine Lehrtä­ tigkeit und die Vielzahl juristischer Publikationen hinaus war er seiner Mit- und Nachwelt ausgesprochen nützlich. So verdankt z. B. seinem Versuch einer acade­ mischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen. Von 1765 bis 1788 (1788) auch die vorliegende Bearbeitung des Besucherbuchs viele wertvolle Hinweise. Mit Kassel war Pütter im übrigen auch durch die Eh­ renmitgliedschaft in der Société des Antiquités verbunden. Sein dritter Aufent­ halt 1781 steht vermutlich in Verbindung mit dieser Ernennung im gleichen Jahr. Pütter wurde zwar oben bereits schon einmal erwähnt, jedoch in einer Art Um­ kehrung seiner damaligen gesellschaftlichen Rolle, nämlich als Ehemann der Petronella Pütter, ein Los, das er hier hin und wieder mit anderen ähnlich pro­ minenten männlichen Besuchern teilen muss. Denn dass der berühmte Pütter­ zunächst als Begleiter seiner Gattin erscheint, markiert zugleich den Wandel von Fragestellungen, der sich an ein solches Besucherbuch als historischer Quelle seit der ersten Auswahlpublikation von Hans Vogel 1956 ergeben hat. Ähnlich erfahren viele der im Besucherbuch verzeichneten Personen heute eine Aufmerksamkeit, die sie vor rund 60 Jahren noch nicht hatten. So zählt z. B. der Schriftsteller Carl Wezel (1747–1819), der zusammen mit seinem Kollegen August Gottlieb Meißner (1753–1807) am 2. Juni 1779, also kurz nach Eröffnung das Museum besuchte, zu den erst in den letzten beiden Jahrzehnten in seiner Bedeutung erkannten Autoren seiner Zeit. Beide Schriftsteller sind bei Vogel nicht verzeichnet, ebensowenig der von Wezel heftig kritisierte Ernst Platner (1744–1818), der sich am 8. April 1790 in das Besucherbuch eintrug. Dieser war Professor der Medizin in Leipzig und gilt als Mitbegründer der neuzeitlichen Anthropologie im Sinne einer medizinisch-philosophischen Wissenschaft vom »ganzen Menschen« (Anthropologie für Ärzte und Weltweise, 1772). Es nun Vogel nachzutun und zu den oben vorgestellten Besuchern noch wei­ tere in einem ergänzenden Auswahlverzeichnis aus heutiger Forschungs­per­spek­ tive anzufügen, erscheint angesichts der Möglichkeit, alle Personen, Daten und Biographien in der Online-Datenbank zu überprüfen, unnötig. Unter den rund 14.000 Besuchern hätten freilich noch viele eine eigene Erwähnung verdient – seien es die Erfinder Graf Neipperg (Kopiermaschine), Lord Greville (salzwas­ sertaugliche Seife für die britische Marine) oder Bergsträsser (Telegraph), die Gründer Schirnding (erste deutsche Missionsschule), Graf Stadion-Warthau­ sen (Österreichische Nationalbank), Koppy (erste wirtschaftlich erfolgreiche Zuckerfabrik der Welt) oder Pioniere der Forschung wie Ballenstedt (Abstam­ mungslehre), Uslar (Borkenkäferbekämpfung), Griesbach (neutestamentliche Textkritik), Sprengel (Blütenökologie) und Finke (medizinische Geographie) so­ wie deren kauziges Gegenbild Galletti (»zerstreuter Professor«), dazu engagierte

515 Vgl. Eberhard Mey: Der zukünftige Gelehrte und der Hofmann. Lehrangebot und Stu­ denten am Collegium Carolinum in der Regierungszeit Friedrichs II. In: Wunder/Vanja/ Wegner 2000, S. 191–211, hier S. 194 f.

239 Frauen wie Friederike Juliane Gräfin von Reventlow (gegen Sklavenausbeutung) und Philippine Juliane von Wangenheim (für den englischen Gartenstil) oder Regierungsbeamte wie von Stein zum Altenstein (Stein-Hardenbergsche Refor­ men) und Grolman (der sog. »alte Grolman«, da bis zum Alter von 92 Jahren in preußischem Dienst, im Besucherbuch im vergleichsweise jugendlichen Alter von 48 Jahren verzeichnet). Viele weitere Personen und die mit ihnen verbunde­ ne(n) Geschichte(n) ließen sich folglich noch aufführen. Durch den Personen­ nachweis im Besucherbuch wurde all diesen skizzierten Biographien ein bislang häufig noch unbekanntes Detail hinzufügt. Für ein weiteres Interesse an diesen »…vielen mehr« sei nun tatsächlich auf das Internet­angebot der Datenbank mit ihren vielfältigen Abfragemöglichkeiten verwiesen.

240 E Kassels Sonderweg der Aufklärung: Wissenschaften und Künste im Kontext eines vielfältigen internationalen Publikums

Vor dem Hintergrund der Debatte über die Neuordnung der Bibliothek im Mu­ seum Fridericianum verlieh August Ludwig von Schlözer 1781 der Residenz­ stadt Kassel einen Ritterschlag von europäischer Dimension: »Nun Cassel ist der Stoltz von uns Deutschen im Kleinen, wie Paris der Stoltz der Franzosen im Grossen.« Und aus der Warte eines Göttinger Professors fügte er sogleich hinzu: »Wir Göttinger haben noch ein specielles Interesse dabei. Cassel und Göttingen nützen sich wechselweise, und mancher illustre Reisende würde nicht in unsere Gegenden kommen, wenn nicht beyde Städte so nahe Nachbarinnen wären.«516 Wie eng diese Beziehung zwischen den beiden damals schon so unterschied­ lichen Städten war und wie diese tatsächlich in einer Art Synergieeffekt die Rei­ sekultur und den Wissenschaftsbetrieb der Aufklärungszeit prägte, wird im Be­ sucherbuch mit Tausenden von Einträgen nachdrücklich belegt. Ist Göttingens Rolle mit seiner Reformuniversität einschließlich ihrer exzellenten Bibliothek als »Pflanzgarten der Aufklärung«517 gut zu fassen, so tut sich die Forschung jedoch nach wie vor schwer, die spezifische Ausprägung einer »Kasseler Aufklä­ rung« zu formulieren – ganz davon abgesehen, dass dieser Begriff bislang über­ haupt noch nicht etabliert ist. Im territorial zersplitterten Alten Reich gab es kein Zentrum wie Paris, aber – um Schlözers Diktum aufzugreifen – neben Wien und Berlin durchaus einige vergleichbare Zentren »im Kleinen«: ob Halle oder Erfurt, Weimar oder Dessau-Wörlitz, die alle in den letzten Jahrzehnten mit Tagungen, Publikatio­ nen und Ausstellungen als Zentren der Aufklärung analysiert und gewürdigt wurden. Dass der Zeitgenosse Schlözer das nicht annähernd ähnlich erforschte Kassel an die Spitze deutscher Städte stellt, mag heute verwundern, dieses Er­ staunen rührt aber vor allem aus eklatanten Forschungsdefiziten. Denn die spe­ zifisch regionale wie lokale Ausprägung der »Kasseler Aufklärung« wurde un­ ter einer umfassenden Perspektive zuletzt vor 35 Jahren untersucht, nämlich in der Jubiläumsausstellung 1979 zur 200-jährigen Wiederkehr der Eröffnung des Museum Fridericianum – das damit zurecht in das Zentrum von »Aufklärung und Klassizismus in Hessen-Kassel unter Landgraf Friedrich II.« gerückt wur­ de. Zwar geriet die historische und kulturgeschichtliche Entwicklung Kassels im 18. Jahrhundert auch in den letzten Jahren, begleitet von vielen Spezialstudien,

516 Strieder, 8. Bd. (1788), S. 136 f. 517 Vgl. Peter Hanns Reill: »Pflanzgarten der Aufklärung«. Haller und die Gründung der Göttinger Universität. In: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, 2008, online: http://demo.multivio.org/client/#get&url=http://rep.adw-goe.de//bitstream/hand­ le/11858/00-001S-0000-0007-370B-D/Article-4.pdf?sequence=1 (14.7.2014).

241 immer wieder in den Blick,518 insgesamt ist ihr Status in der Aufklärungsfor­ schung jedoch nach wie vor marginal. So fehlt auch – nach der grundlegenden Arbeit von Wolf v. Both und Hans Vogel 1973 – eine moderne Biographie von Landgraf Friedrich II., die die bisherigen Forschungsmeinungen sowie sein Bild im allgemeinen geschichtlichen Bewußtsein hinterfragen könnte. Denn nach wie vor haften ihm die negativen Urteile an, wie sie vor allem der nationallibera­ len und preußisch geprägten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts (Hein­ rich von Treitschke) entstammen: mit der These von der Dekadenz des hes­ sischen Fürstenhauses nach Landgraf Wilhelm VIII. und dem Schlagwort der »verkauften Landeskinder« suchte man durchaus auch die preußische Annekti­ on von 1866 zu rechtfertigen. Mit Friedrichs Konversion zum Katholizismus ta­ ten sich wiederum die liberal-protestantischen Historiker schwer.519 Doch auch in neueren Untersuchungen halten sich die skeptischen bis kritischen Meinun­ gen. So strebte Friedrich zwar, was niemand bestreitet, als aufgeklärter Fürst seinem gleichnamigen Vetter, dem »prince philosophe« auf dem preußischen Thron, nach. Er scheint aber diesem Vergleich keineswegs standzuhalten, gilt er doch als »nirgends origineller« Kopf520 oder gar als ein »Negativbeispiel« unter den deutschen Fürsten.521 Eine Revision tut folglich not, und für eine neue Sicht auf die Regierungszeit Landgraf Friedrichs vermag nun gerade auch das Besu­ cherbuch zahlreiche Hinweise zu liefern: so auf das offizielle wie persönliche Beziehungsgeflecht des Fürsten oder auf diplomatische Beziehungen sowie da­ mit verbundene politische Aktivitäten. Hier könnten sich folglich Studien zum komplexen Verhältnis von Regierungsalltag und kulturellen Aktivitäten, von Persönlichkeit und aufklärerischem (oder gegenaufklärerischem) Zeitgeist, von großer Geschichte und kleinen Lebensgeschichten, von Erfolg und Misslingen anschließen. Um bei den Erfolgen zu bleiben: Unangefochten sind Friedrichs städtebauli­ chen Maßnahmen, die mit den großzügigen Plätzen und neuen Gebäuden trotz der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg auch noch heute das Erscheinungsbild Kassels prägen. Zurecht urteilte der Engländer Thomas Hodgskin in seinem Reisebericht 1820 über Friedrich: »He was the great beautifier of Cassel.«522

518 Vgl. z. B. Wunder/Vanja/Wegner 2000; Volmer 2003; die zahlreichen Studien Eberhard Meys zur Geschichte des Collegium Carolinum und zu Forsters Kasseler Jahren; Einzelaus­ stellungen der mhk, etwa zu den »Optica« (2011) oder Publikationen zur Geschichte des Bergparks Wilhelmshöhe im Vorfeld der Bewerbung für das Unesco-Welterbe-Prädikat; neuere Untersuchungen zum sog. »Soldatenhandel« (z. B. Hofsommer 2012). 519 Vgl. Karl-Hermann Wegner: Landgraf Friedrich II. – ein Regent der Aufklärung. In: Ausst.Kat. Kassel 1979, S. 10–14, hier S. 11. 520 Ebd.: »Landgraf Friedrich II. läßt jeden genialen Zug in seiner Persönlichkeit vermis­ sen. Sein Geist ist nirgends originell, aber er ist beweglich, aufnahme- und urteilsfähig.« So auch Mey 2000, S. 99. 521 Vgl. Arnold 1988, S. 51. Hierzu oben, Anm. 434. 522 Hodgskin 1820, 2. Bd., S. 473.

242 Zusammen mit einigen hervorragenden Beratern, zu denen neben den bereits genannten Professoren und dem Architekten du Ry auch der hessische Staats­ minister Martin Ernst von Schlieffen oder die Mitglieder der Familie Waitz von Eschen zu stellen sind, war es Friedrich insgesamt gelungen, die Stadt in wirt­ schaftlicher und kultureller Hinsicht nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs zu einem Zentrum von Wissenschaft, Kunst und Kommerz zu machen, was auch die Durchreisenden positiv wahrnahmen. So schrieb etwa Sophie von la Roche nach ihrem Besuch in Kassel 1779 an Johann Heinrich Merck: »Unter Friederich sollten wohl alle Leute von Geist glücklich weben und leben.«523 Selbst Gelehr­ te wie Forster, die einer Herrscherpersönlichkeit wie Friedrich höchst kritisch gegenüberstanden, konnten nicht umhin, die Leistung des Landgrafen für das Wohl der Allgemeinheit zu würdigen. So schrieb er an seinen Vater am 21. März 1779: »In wenigen Tagen bin ich endlich wieder in Cassel, und gehe ruhig an meine Arbeit, mit einer Ueberzeugung, daß Fürsten doch wirklich Menschen seyn können, wenn sie nur wollen. Ein Satz, der sich mir einmal nicht gar so überzeugend dargestellt hat.«524 Fragt man nun konkreter nach der lokalen Ausprägung der Aufklärung in Kassel im Vergleich etwa zu Halle (Pietismus), Göttingen (Universität), Weimar (Literatur) oder Berlin (Philosophie, Publikationswesen), so ist als herausragen­ des Merkmal die enge Verbindung von Wissenschaften und Künsten zu nennen, wie sie, gleichermaßen gefördert, schließlich in der Eröffnung des Museum Fri­ dericianum 1779 kulminierte. Die Grundlagen hierfür wurden schon mit dem Wiederaufbau desCollegium Carolinum und der Neuordnung der angeglieder­ ten Sammlungen im Kunsthaus in der Mitte der 1760er Jahre gelegt – die kleine­ re Kasseler Variante eines »Pflanzgartens der Aufklärung«. Mit einem Gelehrten wie Raspe, der sowohl im Bereich der Altertumskunde wie der Naturwissen­ schaft bewandert war, in beiden Komplexen neue Forschungsgebiete auftat und sich sowohl für die Bibliothek wie für die Sammlungen, für das Collegium Ca­ rolinum wie die Kunstakademie engagierte und alles zusammen zugleich mit dem Blick auf eine allgemeine Öffentlichkeit verfolgte, konnte Friedrich einen Multiplikator der Aufklärung nach Kassel ziehen, der den »großen Wurf« des Museum Fridericianum maßgeblich vorbereiten half. Seine Verbindungen zur europäischen Gelehrtenwelt spiegeln sich entsprechend eindrucksvoll im von ihm selbst angelegten Besucherbuch – auch noch nach seiner schmählichen Flucht aus Kassel 1775. Über eine Spanne, die etwa der Laufzeit des Besucherbuchs entspricht, agierte in Kassel neben und nach Raspe ein herausragender Stab von Wis­ senschaftlern, die hier zugleich über gute Arbeitsbedingungen verfügten: mit der Anatomie, dem Landkrankenhaus (Charité), dem Accouchierhaus, dem

523 Zit. nach Mey 2000, S. 100. 524 Forster 1783, S. 188.

243 botanischen Garten und der Menagerie, mit der im Zwehrenturm neu einge­ richteten Sternwarte, der Kunstakademie und den beiden gelehrten Gesell­ schaften, der Gesellschaft des Ackerbaus und der Künste und der Société des Antiquités, fanden die Wissenschaftler Einrichtungen vor oder konnten sie mitgestalten, die es in vergleichbaren Residenzstädten nicht gab. Zwar klagte wiederum Forster sowohl über die allgemeine mangelnde Buchkultur in Kas­ sel als auch über das höchst »magere« Naturalienkabinett und auch über seine Aufgabe als Professor, »zwölfjährigen Rotzlöffeln ihre Muttersprache buchstab­ iren zu lehren«525 – und schuf damit Urteile, die nachhaltig das Bild seiner da­ maligen Wirkungsstätte Kassel in der Aufklärungsforschung prägten. Doch ha­ ben neuere Untersuchungen belegt, dass seine Klagen kaum berechtigt waren. Denn weder war Kassel eine »illiteratissima urbs«, was gerade auch die vielen Einträge von Fachleuten des Buchwesens im Besucherbuch belegen, noch war Forster selbst durch die Lehrverpflichtungen übermäßig belastet; und zur wis­ senschaftlichen Betreuung des Mineralienkabinetts fehlte ihm offenbar letzt­ lich selbst eine grundlegende Vorbildung.526 Zudem profitierte er durchaus von dem Geflecht an Beziehungen, das sich um das Museum Fridericianum als sei­ nem Arbeitsplatz aufbaute – wie umgekehrt auch der Ruhm des Weltreisenden sich in manchem Namenszug des Besucherbuchs niedergeschlagen haben dürf­ te. Seine Teilnahme an Soemmerrings Ballonexperimenten, der Elefantensek­ tion sowie den anatomischen Vorlesungen,527 die Treffen mit Hamilton oder Goethe waren sicherlich ein Ausgleich für manche Einschränkung seiner wis­ senschaftlichen oder gesellschaftlichen Ambitionen. Denn so schlecht war die Gesellschaft in Kassel nun auch wiederum nicht, wie einem Brief an den Vater zu entnehmen ist: »Nie war eine Stadt schöner gelegen als Cassel; es ist nicht so groß wie Berlin, und in Rücksicht von Gesellschaft? – was für Gesellschaft sehen Sie denn in London?«528 Paris, London, Berlin – Schlözer und Forster ziehen den Vergleich und kom­ men dabei, unter Berücksichtigung der Größenverhältnisse, zu einem positiven Gesamturteil über Kassel. Dieser europäische Maßstab funktionierte freilich nicht nur vor dem Hintergrund der schönen Landschaft und der aufkläreri­ schen Neuerungen, sondern ergab sich wesentlich auch vor der Folie einer jahr­ hundertealten Verflechtung Hessen-Kassels mit den europäischen Zentren von

525 Forster an Jacobi, 17. März 1780 (Forster 1783, S. 288 f.); Forster an Spener, 5. Juli 1779 (Forster 1783, S. 217); vgl. auch ebd., S. 223, 500 f. Vgl. auch Mey 1999. 526 Vgl. insgesamt Mey 2000; Mey 2002. Forsters Nachfolger Mönch schrieb aus Anlass der Überprüfung von Forsters Inventar des Naturalienkabinetts an den Landgrafen: »Er besaß keine gründliche Kenntniß in der Mineralogie.« Zit. nach Mey 2000, S. 150. 527 Vgl. Forsters Vorlesungsmitschrift vom Oktober und November 1779; dazu Ulrike Enke: Georg Forster, Anatomica, 1779. In: Horst Dippel/Helmut Scheuer (Hg.): Georg-Fors­ ter-Studien III (1999), S.245–277. 528 Forster 1783, S. 156.

244 Kunst und Wissenschaft.529 Hierzu trugen nicht nur die dynastischen Bezie­ hungen, sondern auch die verkehrsgünstige Lage der Residenzstadt bei – beides gleichfalls wiederum gespiegelt in den Namen der Reisenden im Besucherbuch. Die enge Verbindung von Wissenschaft und Sammlung, von Collegium, Bi­ bliothek und Kunstkammer, hatte in Kassel schon unter Landgraf Karl zu ei­ ner spezifischen Synthese akademischer und außerakademischer Traditionen geführt. Legte sein Sohn und Nachfolger Wilhelm VIII. den Schwerpunkt auf den Aufbau seiner exquisiten Gemäldegalerie sowie auf die solide Mediziner­ ausbildung im Collegium Carolinum, so knüpfte Friedrich II. mit der umfassen­ den Wiederbelebung des Collegiums, der Neuordnung des Kunsthauses sowie seiner Sammeltätigkeit an die Tradition seines Großvaters Karl an. Auch die zeitgenössischen Besucher nahmen diesen Bezug wahr. So schrieb Hirsching 1787: »Friedrich II. der alle großen Entwürfe seiner Ahnherren erweiterte und verherrlichte, schuf Cassel zu einer der sehenswürdigsten Städte Teutschlands um, und stiftete wohltätige Sammlungen, wodurch die Kenntnis veredelt, das Gefühl erregt – der Geschmack verbessert wurde und die schönen Künste und Wissenschaften zum ewigen Dank ihres erhabenen Stifters emporstrebten.«530 Mit dem Museum Fridericianum beförderte Landgraf Friedrich II. schließlich eine Inkunabel der Museumsgeschichte, die nachhaltig die weitere internati­ onale Museumskultur prägen sollte – zugleich aber durchaus auch auf frühere Pionierleistungen in Kassel zurückblicken konnte, wie das erste bis heute beste­ hende staatliche Orchester (seit 1502), die erste institutionalisierte Sternwarte in Europa (seit 1560), den ersten wissenschaftlich betreuten botanischen Garten in Deutschland (seit 1568) und den ersten feststehenden Theaterbau in Deutsch­ land im Ottoneum (1603–1606). Obwohl Landgraf Friedrich, der sich als Aufklärer verstand, gewiss über keinen grundlegenden Entwurf für die Umsetzung philanthropischer Pläne verfügte,531 bildet der Neubau des Museums im Gesamtzusammenhang sei­ ner aufklärerischen Maßnahmen sicherlich den Höhepunkt. Und obwohl ei­ nige Besucher (oder Kustoden wie Forster) einzelne Ausstellungseinheiten für unzulänglich hielten und andernorts schon schönere Antiken, bedeutendere Mineraliensammlungen oder modernere technische Apparate gesehen hatten, findet sich zum Gesamtkonzept des Museums keine kritische Stimme – viel­ leicht abgesehen von der des eingangs erwähnten Stuttgarter Regierungssekre­ tärs. Letztlich war es die Summe aus den einzelnen Komplexen, die die positive Wertung prägte – einschließlich der großzügigen Besuchsmodalitäten. Entspre­ chend vermerkte ein Besucher 1786: »Indessen hoff ich doch, werden Sie über­ zeugt werden, dass Cassel mit zu den sehenswürdigsten Städten Teutschlands

529 Vgl. insgesamt Wegner 2004/2005. 530 Hirsching 1787, S. 14. 531 Vgl. Mey 2000, S. 99.

245 gehört, und so viel und mancherlei in sich schlüst, das wohl auch in grösern Städten, nicht so zusammen zu finden seyn möchte.«532 Solcherart machten die Museumsbesucher selbst wiederum Werbung für eine Besichtigung Kassels und seiner Sehenswürdigkeiten und setzten zugleich Maßstäbe für die Kulturförde­ rung, im Speziellen für die Öffnung der fürstlichen Sammlungen und Bibliothe­ ken in vergleichbaren Residenzstädten. In Verbindung mit den Institutionen schuf die prominente Riege Kasseler Professoren, die den Sammlungen und der Bibliothek vorstanden, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Kassel ein geistiges Klima von Forschungsdrang, Kreativität, Gastlichkeit und Toleranz – quer durch die wissenschaftlichen Fachrichtungen. Erinnert sei hier nochmals an Forschungsimpulse und Initiati­ ven, die von den Professoren Raspe (Mittelalterrezeption, Vulkanismus), Soem­ merring (Anatomie, Ballonversuche), Stein (Geburtshilfe), Matsko (Sternwar­ te), Müller (Geschichtsschreibung), Dohm (Judenemanzipation) oder Piderit (Reunionsbewegung) ausgingen. Sie alle trugen dazu bei, dass das »Museum der Aufklärung« sowohl ein Ort des wissenschaftlichen Austauschs mit den Be­ suchern war, namentlich in dem von Schlözer beschriebenen Synergiepotenzial Göttingen-Kassel, als auch ein Ort der populären Bildung, in dem das Arran­ gement der Ausstellungsobjekte unmittelbar auf Bildung wie Unterhaltung der Besucher ausgerichtet war, darin auf heutige Museums- und Ausstellungskon­ zeptionen vorausweisend. Das Besucherbuch dokumentiert parallel, dass das Konzept des Museums­ gründers und seiner Berater aufging: einerseits wissenschaftliche Erforschung der Sammlungen, andererseits Bildungsangebot für alle. Allein die sechs vorge­ stellten Besucher, nach denen noch heute Hotels (Bristol), ein Komet (Lexell), eine Fischart (Grill), eine Lebensweise (Parish), eine elektrische Maßeinheit (Volta) oder eine Getränkemarke (Schweppe) heißen, illustrieren anschaulich die Bedeutung und Bandbreite des Publikums. Der Weg von der fürstlichen Pri­ vatsammlung hin zum Museum als öffentlicher Bildungseinrichtung liest sich unter diesem Aspekt als reine Erfolgsgeschichte. Dass er sich jedoch nicht ohne Reibungsverluste vollzog, soll abschließend skizziert werden. Als Landgraf Wilhelm IX. im Jahr 1802 um ein Geburtstagsgeschenk für Kö­ nigin Luise von Preußen verlegen war, verfiel er auf eine durch seinen Hang zur Sparsamkeit bedingte Lösung: Er griff in die vorhandene Sammlung und ließ Luise das Collier aus der berühmtesten, von den Besuchern hochgelob­ ten Schmuckgarnitur im Museum Fridericianum überreichen, nämlich der damals noch als antik geltenden großen Parure mit 100 goldgefassten Kame­ en (Abb. 112).533 War die Herauslösung der Halskette aus der Garnitur an sich

532 Seidel 1786, S. 111. 533 In den anonym erschienenen Neuen Reisebemerkungen in und über Deutschland, Bd. 2, Halle 1786, S. 166, heißt es: »Zu den grösten Kostbarkeiten des Musei gehört […] die prächti­ ge und zahlreiche Sammlung geschnittener Steine. Unmöglich kann ich Ihnen die bis auf die

246 Abb. 112: »Garnitur vor eine Dame«, Tuschzeichnung, 1. Hälfte 18. Jahrhundert schon ein kulturzerstörerischer Akt, so geschah er in diesem Fall gewissermaßen demonstrativ vor den Augen einer Museumsöffentlichkeit. Hier zeigte sich klar, dass das Museum zwar für das Allgemeinwohl konzipiert worden war, letztlich

kleinste Verzierung angebrachte köstliche Arbeit eines Frauenschmucks beschreiben, wel­ cher einer Bizantinischen Prinzeßin gehört hat. Die mannichfaltigen Antiquen, aus welchen er zusammengesetzt ist, wollen Tage lang besehen werden, um alle die darin geschnittenen mythologischen Geschichten, Figuren und Attribute zu bemerken. Je mehr man sie betrach­ tet, je mehr wird man von Bewunderung hingerissen, kurz, ich gestehe Ihnen, dergleichen muß gesehen werden, da hilft kein Beschreiben nicht.« Vgl. auch Apell 1792, S. 54 oder Wa­ gener 1794, S. 189. Zur Geschichte der Garnitur vgl. Heidi Schnackenburg-Praël: Ein Collier für Königin Luise von Preußen. In: Weltkunst 71, Heft 4, April 2001, S. 604–607. Das Collier gelangte über Charlotte, die älteste Tochter Luises und spätere Zarin Alexandra Fjodoro­ wna, 1845 an die St. Petersburger Eremitage, die übrigen Teile des Schmucks sind seit dem Kunstraub unter König Jérôme verschollen. Vgl. hierzu auch Rudolf Hallo: Von der Kasseler Kunstkammer und den Museumsverlusten in westphälischer Zeit. In: Hallo 1983, S.65-67.

247 aber nach wie vor der Souveränität des Fürsten und seinem Verständnis von all­ gemeinem Kulturgut unterstand. Die Regierungsübernahme von Friedrichs Nachfolger, Landgraf Wil­ helm IX., stellte, was häufig beschrieben wurde, eine Zäsur im wissenschaftli­ chen wie kulturellen Leben Kassels dar. Dennoch war das Renommee Kassels unter »Kennern« auch im 19. Jahrhundert ungebrochen, wie etwa die Bemer­ kung des Engländers Hodgskin verdeutlicht: »Cassel is ranked, by connoisseurs, as fourth in the list of the cities of Germany which ought to be visited. Vienna is first, than Berlin, Dresden, Cassel.«534 Auch für Wilhelm fehlt im übrigen bislang eine neuere Biographie – die für immerhin zehn Jahre, nämlich von Ende 1785 bis 1796, auch durch das Besucher­ buch wertvolle Informationen erhalten könnte, wie oben anhand des Beispiels französischer Emigranten angedeutet. Unbeschadet seiner eigenen Leistungen, z. B. in der Weiterentwicklung des Bergparks zum englischen Landschaftsgarten mit der Löwenburg als erstem historistischem Großbau, bildete aber etwa die durch stark reduzierte Studentenzahlen begründete Versetzung der Professoren nach Marburg 1786 und die endgültige Auflösung des Collegium Carolinum 1791 unter seiner Regierung einen gravierenden Einschnitt. Dieser betraf wesentlich auch das Gesamtkonzept des Museum Fridericianum – diente allerdings dem Aufschwung der Landesuniversität Marburg. Der Verlust für Kassel bestand vor allem darin, dass akademische Forschung und Lehre nun nicht mehr unmit­ telbar den Sammlungen und der Bibliothek im Museum angegliedert waren. Und auch die im Wesentlichen über die Professoren erfolgte Einbindung Kas­ sels in das Gelehrtennetzwerk der Aufklärung war nun durchbrochen. Zwar ließ der Besucherzustrom nicht nach, sondern steigerte sich zu Beginn der 1790er Jahre deutlich, aber die Blütezeit des Museums schien nun schon überschrit­ ten – symp­to­ma­tisch abzulesen auch an Voelkels Bitte, die Öffnungszeiten ein­ zuschränken, ähnlich deutlich auch an einer rasch fortschreitenden Vernachläs­ sigung der Sternwarte, deren Instrumente zum Teil mit den Professoren nach Marburg gegangen waren. Rund zwanzig Jahre nach Ende der Laufzeit des Be­ sucherbuchs, nämlich 1817, berichtet der Marburger Mathematik-Professor Ger­ ling seinem Kollegen Carl Friedrich Gauß in Göttingen über deren Zustand: »Fast keine Tür läßt sich öffnen. Fledermäuse und Krähen beschmutzen alles, was nicht sorgfältig mit Bettüchern behangen ist, kurz, es ist eine wahre Satire auf eine Sternwarte.«535 Parallel zu Objekten aus dem Museum waren mit den Wissenschaftlern auch deren Privatsammlungen abgewandert – ein Faktum, das schon den Zeitgenos­ sen schmerzlich bewußt war, bildete doch gerade der Austausch über Expo­ nate des Museums im Vergleich mit Stücken aus den Privatsammlungen der

534 Hodgskin 1820, S. 475. 535 Zit. nach Kirchvogel 1979, S. 138.

248 Abb. 113: Das Museum Fridericianum nach der Ausbombung 1941

Gelehrten, wie in vielen Reiseberichten beschrieben, einen besonderen Reiz des Kassel-Aufenthalts. So meinte Hirsching 1787: »Durch die neuen […] Einrich­ tungen des jeztregierenden preiswürdigen Herrn Landgrafens verlohr zwar Cas­ sel einige schäzbare Sammlungen, z. B. die Naturalien- und Kupferstichsamm­ lung des Herrn Hofr. Baldinger’s; das Mineralienkabinet des Hrn. Prof. Mönch’s; die Sammlungen des Hn. Hofrath Stegmanns’s u.s.w. die man jezt auf der res­ taurirten Universität Marburg suchen muß;« fügt aber sogleich tröstend hinzu: »doch raubten diese Veränderungen nicht alles.«536 So sehr das Besucherbuch die Wirkung des »Museums der Aufklärung« sowohl in der internationalen Gelehrtenwelt wie in der allgemeinen Bil­ dungsgeschichte dokumentiert und damit belegt, welch wichtige und bislang

536 Hirsching 1787, S. 6 f. Hirsching zählt im folgenden die in Kassel verbliebenen Privat­ sammlungen auf: die Schmetterlings- und Käfersammlung des Stadtphysikus Paul Franz Grandidier; die Mineraliensammlung des Regierungsrats von Schmerfeld; die Mineralien­ sammlung des Kriegsrats Fulda; Schildbachs Holzbibliothek.

249 Abb. 114: Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Die Einweihung des Denkmals für Landgraf Friedrich II., 1783. Die Lichtführung mit dem umstrahlten Denkmal und dem sich hell vor den Wolken absetzenden Museum unterstreicht als Metapher der Aufklärung – »Man spricht viel von Aufklärung und wünscht mehr Licht.« (G. Ch. Lichtenberg, Sudelbücher) – die philantropischen Pläne des Landgrafen.

unterschätzte Rolle Kassel gerade auch durch dieses Museumspublikum unter den Zentren der europäischen Aufklärung einnahm, so sehr markiert sein Ende 1796 aber auch zugleich, dass die dem Museum zugrundeliegende Konzeption vergänglich war. Mit der Museumsentwicklung des 19. Jahrhunderts, die mit dem Kunstraub unter König Jérôme ihren unfreiwilligen Auftakt nahm und mit der schrittweisen Separierung einzelner Sammlungskomplexe sowie der Weiter­ gabe von naturwissenschaftlich-technischen Objekten nach Hagen, Claus­thal- Zellerfeld und Aachen unter der preußischen Regierung weiterschritt,537 löste sich das »Museum der Aufklärung« peu à peu auf.

537 Vgl. Mackensen 1991, S. 34 ff. Hin und wieder gab es Initiativen, die angestammten Sammlungen wieder im Museum Fridericianum auszustellen, vgl. ders.: Das neue, im Auf­ bau befindliche Museum Fridericianum. Zur Entstehung eines naturwissenschaftlich-tech­

250 Zum Schluss blieb im Museum Fridericianum nur noch die Bibliothek üb­ rig – also just die Büchersammlung, für die das Gebäude ursprünglich geplant worden war. Mit den Zerstörungen des 2. Weltkriegs (Abb. 113) verschwand auch diese Institution aus ihrem angestammten Sitz. 1955 nutzte dann die erste docu­ menta den ruinösen Bau zur Präsentation von Gemälden und Graphik. Und tat­ sächlich ist es der documenta samt einer zunehmenden Ausweitung des Kunst­ begriffs in den folgenden Jahrzehnten zu verdanken, dass Ideen der Aufklärung nochmals Besitz von dem Gebäude ergriffen. So schlugen Raspes museumskon­ zeptionelle Gedankenblitze zur Gotik doch noch, mit Umweg über die Brüder nischen Museums in Kassel aus den Beständen des Astronomisch-Physikalischen Kabinetts und der Abteilung für Technikgeschichte. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein, 22, 1982, S. 19–27.

251 Grimm, über 200 Jahre nach ihrer Entstehung in das Museum Fridericianum ein – und zwar wirklich blitzartig nur für ein paar Sekunden und noch dazu wohl völlig unbemerkt. In Ecke Bonks Installation Book of Words auf der docu­ menta 11 (2002) wurden im ersten Stock des Museums die rund 300.000 Ein­ träge des Grimmschen Deutschen Wörterbuchs nach dem Zufallsprinzip an eine Wand projiziert – und irgendwann muss dabei auch einmal das Lemma »Go­ tik« erschienen sein. Obwohl Raspes Konzept für ein »Gotisches Kabinett« in Publikationen sowohl zur Gotikrezeption als auch zur allgemeinen Museums­ geschichte kaum Beachtung fand, hat es in diesem Riesenwerk der deutschen Sprachforschung einen prominenten Platz, beginnt doch der Artikel »Gotik« sogleich mit Raspes Brief an den Landgrafen.538 So waren Raspes Ideen doch noch, und wenn auch nur als sekundenlange Videoprojektion, im »Museum der Aufklärung« gelandet (Abb. 114). In jüngster Zeit wurde gezielt auf die Geschichte des 1779 eröffneten Muse­ ums rekurriert, besonders intensiv in der documenta 13 im Jahr 2012. So kon­ trastierte Mariam Ghanis Videoinstallation den Dar ul-Aman-Palast in Kabul mit dem Museum Fridericianum, und Michael Rakowitz thematisierte in einem Raum des Erdgeschosses den kriegsbedingten Verlust und die Zerstörung von Handschriften aus der Bibliothek. Und nach 233 Jahren zogen in den Installati­ onen von Aigner, Tarakhovsky, Zeilinger oder Faivovich & Goldberg mit Apfel­ bildern, Genröhrchensammlung, Doppelspaltexperimenten und El Chaco, dem Meteoritenprojekt, auch wieder sehr prominent die Naturwissenschaften in das Museum Fridericianum ein – Vermittlungsarbeit inklusive. Mit der Abkehr von den traditionellen Medien der Kunst entwickelt sich das Museum Fridericianum somit erneut zum »Wissenstheater«, wird Experimentierstätte, Labor, Magazin oder Archiv, in dem auf unterhaltende wie belehrende Weise zugleich global drängende Fragen der Gegenwart aufgegriffen werden, wie zuletzt auch in der Ausstellung Nature after Nature der Kunsthalle Fridericianum (2014) im Ver­ such, jenseits von Ökosentimentalität die Natur neu zu denken. Solcherart scheint es, dass im Museum Fridericianum Kassels »Sonderweg der Aufklärung« heute eine zeitgemäße Renaissance erfährt – wiederum im Kontext eines vielfältigen internationalen Publikums.

538 Bereits Hallo machte darauf aufmerksam, dass Raspes Werk auf das der Brüder Grimm vorausweist: »Von Kassel aus hat Raspe […] Herder die ›Reliques of ancient poetry‹ des Percy zugänglich gemacht und damit einen Schritt über die Einbeziehung der Historia gen­ tium Septentriolanium hinaus in der Richtung auf die herrliche Lebensarbeit der Brüder Grimm getan.« (Rudolf Hallo: Bausteine. Aus der Frühzeit der Kasseler Sammlungen. 1926, zit. nach Hallo 1983, S. 44)

252 253 Quellen-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis

Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts

Apell 1792 David August von Apell: Cassel und die umliegende Gegend. Eine Skizze für Reisende. Kassel 1792 Berlepsch 1791 Emilie von Berlepsch: Ueber einige zum Glück der Ehe nothwendige Eigenschaften und Grundsätze. In: Der neue Teutsche Merkur, 1791, 2. Bd., S. 63–102, 113–134 British Museum 1762 The General Contents of the British Museum: with Remarks. Ser­ ving as a Directory In Viewing that Noble Cabinet. London 17622 Brun 1782 N. N. (Friederike Sophie Christiane Brun): Tagebuch meiner ersten Reise. O. O. 1782 Büsch 1817 Johann Georg Büsch’s sämmtliche Schriften. 15. Bd., Vermischte Abhandlun­ gen, Selbstbiographie des Verfassers. Wien 1817 Campe 1796 Joachim Heinrich Campe: Sammlung interessanter und durchgängig zwek­ mäßig abgefaßter Reisebeschreibungen für die Jugend. 1. Teil, Reutlingen 1796 Forster 1783 Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. 13. Bd.: Brie­ fe bis 1783. Berlin 1978 Geuns 1789 Steven Jan van Geuns: Tagebuch einer Reise mit Alexander von Humboldt durch Hessen, die Pfalz, längs des Rheins und durch Westfalen im Herbst 1789. Hg. v. Bernd Kölbel u. a., Berlin 2007 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, 26) Goethe – Werke Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. 2. Aufl., Hamburg 1960 Goethe – Begegnungen Ernst und Renate Grumach (Hg.): Goethe. Begegnungen und Gespräche. Berlin 1977 Grimm, Wörterbuch Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 26 Bde., 1854- 1971. Online: http://dwb.uni-trier.de/de/ Günderode 1781 N. N. (Friedrich Justinian von Günderode): Briefe eines Reisenden ueber den gegenwaertigen Zustand von Cassel mit aller Freiheit geschildert. Frank­ furt/M./Leipzig 1781 Halem 1790 Gerhard Anton von Halem: Blicke auf einen Theil Deutschlands, der Schweiz und Frankreichs bey einer Reise vom Jahre 1790. 1. Teil, Hamburg 1791 Herder 1820 Maria Carolina von Herder, geb. Flachsland: Erinnerungen aus dem Leben Joh. Gottfrieds von Herder. 1. Teil, Tübingen 1820 Hirsching 1787 Friedrich Karl Gottlob Hirsching: Nachrichten von sehenswürdigen Gemälde- und Kupferstichsammlungen, Münz- Gemmen- und Naturalienkabinetten […]. Bd. 2, Erlangen 1787 Hodgskin 1820 Thomas Hodgskin: Travels in the North of Germany. The Present State of the Social and Political Institutions. 2 Bde. (London 1820) Reprint New York 1969 Hollenberg 1782 Georg Heinrich Hollenberg: Bemerkungen über verschiedene Gegen­ stände auf einer Reise durch einige deutsche Provinzen in Briefen. Stendal 1782 Ketelhodt 1789/90 Friedrich Wilhelm von Ketelhodt: Das Tagebuch einer Reise der Schwarzburg-Rudolstädtischen Prinzen Ludwig Friedrich und Karl Günther durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich in den Jahren 1789 und 1790. Bearbeitet und kommentiert von Joachim Rees/Winfried Siebers. Weimar 2004

254 Köhler 1762 Des Herrn Professors Johann David Köhlers Anweisung für Reisende Ge­ lehrte, Bibliothecken, Münz-Cabinette, Antiquitäten-Zimmer, Bilder-Säle, Naturalien- und Kunst-Kammern, u.d.m. mit Nutzen zu besehen. Frankfurt/M./Leipzig 1762 Kotzebue 1805 August von Kotzebue: Bemerkungen auf einer Reise aus Liefland nach Rom und Neapel. 1. Teil, Köln 1805 Lichtenberg 1780–1784 Ulrich Joost/Albrecht Schöne (Hg.): Lichtenberg Briefwechsel, Bd. 2 (1780–1784), München 1985 Luchet 1779 Jean-Pierre-Louis de Luchet: Essais sur la minéralogie et la métallurgie. Maastricht 1779 Matsko 1780 N. N. (Johann Matthias Matsko): Vermischte Nachrichten, aus ein paar Schreiben des Herrn Prof. Matsko an Herrn Bernoulli. In: Astronomisches Jahrbuch oder Ephemeriden auf das Jahr 1783 […], 2. Teil, Berlin 1780, S. 157-161 Merck 1780 Johann Heinrich Merck: Ueber einige Merkwürdigkeiten von Cassel. Aus einem Schreiben an den Herausgeber des T. M. In: Der Teutsche Merkur. 4. Vierteljahr 1780, S. 216–229 Moore 1779/80 John Moore: A View of Society and Manners in France, Switzerland and Germany. With anecdotes relating to some eminent characters. 2 Bde., Dublin 1779/80 N. N. 1801 N. N.: Briefe auf einer Reise durch Thüringen und Hessen geschrieben von einem wandernden Helvetier im Jahr 1800. Altenburg/Erfurt 1801 PCZ Casselische Policey- und Commerzien-Zeitung. Kassel 1769 ff. Rangliste Rangliste der Königlich-Preußischen Armee. Für d. Jahr […]. Berlin 1793–1816 Raspe 1766 N. N. (Rudolf Erich Raspe): Hermin und Gunilde, eine Geschichte aus den Ritterzeiten. Leipzig 1766 Raspe 1767 Rudolf Erich Raspe: Nachricht von der Kunstsammlung des Hrn. General von Walmoden zu Hannover. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, 4. Bd., Leipzig 1767, S. 201–243 Raspe 1770 Rudolf Erich Raspe: Dissertatio epistolaris de Ossibus et Dentibus Elephan­ tum […]. In: Philosophical Transactions, Vol. LIX for the Year 1769, London 1770 (Re­ print), S. 126–137 Raspe 1791 Rudolf Erich Raspe: A Descriptive Catalogue of a General Collection of An­ cient and Modern Engraves Gems, Cameos as well as Intaglios. 2 Bde., London 1791 Schlözer 1777 August Ludwig Schlözer: Entwurf zu einem Reise-Collegio. Göttingen 1777 Schmincke 1767 Friedrich Christoph Schmincke: Versuch einer genauen und umständ­ lichen Beschreibung der Hochfürstl.-Hessischen Residenz- und Hauptstadt Cassel […]. Cassel 1767 Schopenhauer Johanna Schopenhauer: Im Wechsel der Zeiten, im Gedränge der Welt. Jugenderinnerungen, Tagebücher, Briefe. Düsseldorf/Zürich 2000 Schröder 1789 Christian Friedrich Schröder: Naturgeschichte und Beschreibung der Baumans- und besonders der Bielshöhle wie auch der Gegend des Unterharzes, worin beyde belegen sind. Hildesheim 1789 Schröder 1791 Christian Friedrich Schröder: Jahrbücher des Brockens von 1753–1790 oder Namenkunde aller Personen welche in diesem Zeitraume sich in die Original­ stammbücher dieses berühmten Berges eingezeichnet haben, nebst ihren hinzugefüg­ ten Beischriften, physikalischen Beobachtungen und Nachrichten […]. 2 Bde., Mag­ deburg 1791 Seidel 1786 N. N. (Carl August Gottlieb Seidel): Tagebuch einer Reise von der westphäli­ schen Grenze bis nach Leipzig. An einen Freund 1785. Leipzig 1786

255 StKl HK Hochfürstlich Hessen-Casselischer Staats- und Adreß-Kalender (fortgesetzt u.d.T.: Landgräflich-Hessen-Casselischer Staats- und Adreß-Calender). Kassel 1764 ff. Strieder 1781–1812 Friedrich Wilhelm Strieder: Grundlage zu einer Hessischen Gelehr­ ten und Schriftsteller Geschichte: seit der Reformation bis auf gegenwärtige Zeiten. Göttingen u. a. 1781–1812 Tiedemann 1779/1780 Dieterich Tiedemann: De antiquis quibusdam Musei Friderici­ ani simulacris dissertatio (1779), continuatio (1779), dissertatio ultima (1780). 3 Bde. Kassel 1779/1780; komm. Übersetzung von Peter Gercke/Wolfgang Spehr: Dietrich Tiedemann: Über einige antike Standbilder des Museum Fridericianum, dissertatio …I bis III (1779-1780). Kassel/Augsburg 2014, online: http://archiv.ub.uni-marburg.de/ es/2014/0005 (10.8.2014) Valentini 1714 Michael Bernhard Valentini: Musei Museorum, oder Der Allgemeinen Kunst- und Naturalien-Kammer II. Tomus, nebst dem Rüst- und Zeug-Haus der Na­ tur. Frankfurt/M. 1714 Veltheim 1791 August Ferdinand von Veltheim: Vermuthungen von der Barberini- jetzt Portland-Vase. Helmstedt 1791 Wagener 1794 N. N. (Samuel Christoph Wagener): Reise durch den Harz und die Hes­ sischen Lande. Besonders in Hinsicht auf Naturschönheiten Anbau und Alterthümer. Braunschweig 1797

Zitierte Sekundärliteratur

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260 des revolutionären Frankreichs 1791–1794. Stuttgart 2000 (Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, 47) Heres 2006 Gerald Heres: Dresdener Kunstsammlungen im 18. Jahrhundert. Leipzig 2006 Hessen 1996 Rainer von Hessen: Wir Wilhelm von Gottes Gnaden. Die Lebenserinne­ rungen Kurfürst Wilhelms I. von Hessen 1743–1821. Frankfurt/M. 1996 Heuser 1994 Magdalene Heuser (Hg.): Ich wünschte so gar gelehrt zu werden. Drei Au­ tobiographien von Frauen des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1994 Heuwieser 1909 Max Heuwieser: Auszug aus dem Fremdenbuch des Museums des be­ rühmten Naturforschers Dr. Jakob Christian Schaeffer in Regensburg gestorben 1790. Sonderdruck aus dem LXI. Bande der Abhandlungen des historischen Vereines von Oberpfalz und Regensburg. Stadtamhof o. J. (um 1909) Hochadel 2003 Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung. Göttingen 2003 Hoffmeister 1885 Jacob Hoffmeister: Gesammelte Nachrichten über Künstler u. Kunst­ handwerker in Hessen. Hannover 1885 Hofsommer 2012 Alexander Hofsommer: Der Truppen­vermietungs­vertrag zwischen Hessen-Kassel und Großbritannien vom 15. Januar 1776 aus staats- und völkerrechtli­ cher Sicht. Ein Beitrag zur Geschichte der völkerrechtlichen Organleihe. Marburg 2012 Holtmeyer 1923 Alois Holtmeyer: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel. Bd. VI: Kreis Cassel-Stadt. Marburg 1923 Hopf 1930 Wilhelm Hopf (Hg.): Die Landesbibliothek Kassel 1580–1930. Marburg 1930 Hooper-Greenhill 1992 Eileen Hooper-Greenhill: Museums and the Shaping of Knowledge. London 1992 Huigen/De Jong/Kolfin 2010 Siegfried Huigen/Jan L. De Jong/Elmer Kolfin (Hg.): The Dutch Trading Companies as Knowledge Networks. Leiden 2010 Ingamells 1997 John Ingamells: A dictionary of British and Irish travellers in Italy, 1701– 1800. New Haven u. a. 1997 Jäger 1992 Hans-Wolf Jäger (Hg.): Europäisches Reisen im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg 1992 Kahlfuß 1979 Hans Jürgen Kahlfuß: Die »große fürstliche Bibliothek zu Cassel«. In: Ausst.Kat. Kassel 1979: Aufklärung und Klassizismus in Hessen-Kassel unter Landgraf Friedrich II. 1760–1785. Kassel 1979, S. 141–149 Kahlfuß 1980 Hans Jürgen Kahlfuß (Hg.): Ex Bibliotheca Cassellana – 400 Jahre Lan­ desbibliothek. Kassel 1980 Kaltwasser 1999 Franz Georg Kaltwasser: Die Bibliothek als Museum. Von der Renais­ sance bis heute, dargestellt am Beispiel der Bayerischen Staatsbibliothek. Wiesbaden 1999 Keim 2000 Heinrich Keim: Le Goullon – Kasseler Koch französischer Herkunft als Großherzoglich Sächsisch-Weimarischer Mundkoch und Küchenmeister. In: Jahrbuch 2000 Landkreis Kassel. Niestetal 2000, S. 75–84 Kernbauer 2011 Eva Kernbauer: Der Platz des Publikums. Modelle für Kunstöffentlich­ keit im 18. Jahrhundert. Köln 2011 Kirchvogel 1979 Paul Adolf Kirchvogel: Die Sternwarte auf dem Zwehrenturm. In: Aus­ st.Kat. Kassel 1979: Aufklärung und Klassizismus in Hessen-Kassel unter Landgraf Friedrich II. 1760–1785. Kassel 1979, S. 137–141 Krause 1969 Heinz Krause (Hg.): Das Tagebuch des Feldpredigers G.C. Coester, 1776– 1784. Hessische Feldprediger im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Treysa 1969

261 Kretschmann 2003 Carsten Kretschmann (Hg.): Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel. Berlin 2003 Kretschmann 2006 Carsten Kretschmann: Räume öffnen sich. Naturhistorische Muse­ en im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Berlin 2006 (Wissenskultur und gesellschaft­ licher Wandel, 12) Laube 2003 Stefan Laube: Das Lutherhaus Wittenberg – eine Museumsgeschichte. Leip­ zig 2003 (Schriftenreihe der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 3) Lehmann 2009 Evelyn Lehmann: Das Große Kasseler Tierbild. Das barocke »Thier­ stück« von Johann Melchior Roos, die Kasseler Menagerien und einiges mehr über Mensch und Tier. Petersberg 2009 Lepenies 1978 Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbst­ verständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. (München 1976) Baden-Baden 1978 Linnebach 2000 Andrea Linnebach: »Der Rasen ist Tisch und Stuhl zugleich.« Höfische Gartenfeste der Aufklärungszeit. In: Hildegard Wiewelhove (Hg.): Gartenfeste. Das Fest im Garten – Gartenmotive im Fest. Bielefeld 2000, S. 103–118 Linnebach 2005 Andrea Linnebach (Hg.): Der Münchhausen-Autor Rudolf Erich Ras­ pe. Wissenschaft – Kunst – Abenteuer. Kassel 2005 Linnebach 2009a Andrea Linnebach: »Mr Chaplin de Londres a vu avec le plus grand plaisir«. Das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel, 1769–1796. Ein Editionsprojekt der DFG. In: ZHG 114 (2009), S. 161–176 Linnebach 2009b Andrea Linnebach: »Das befreyte Deutschland«. Tischbeins Der Tri­ umph Hermanns nach seinem Sieg über Varus für Fürst Friedrich von Waldeck und Pyrmont. In: Ausst.Kat. Bad Arolsen 2009: Antike(s) Leben. Simulation eines Ideals in Hofbibliothek und Kunstsammlungen der Fürsten von Waldeck und Pyrmont. Pe­ tersberg 2009, S. 285–296 Linnebach 2011 Andrea Linnebach: In den »Sümpfen der Hypothesen« – Wissensver­ mittlung auf Irrwegen: die Prillwitzer Idole und die landesarchäologische Forschung in der Aufklärungszeit. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Frü­ her Neuzeit. Hg. v. Andreas Gardt/Mireille Schnyder/Jürgen Wolf. Berlin/Boston 2011, S. 293–310 Linnebach 2014 Andrea Linnebach: Das »Mittelalter« im Blick zweier deutscher His­ toriker der Aufklärungszeit: Johann Christoph Gatterer und Rudolf Erich Raspe im Austausch über ein missachtetes Zeitalter. In: ZHG 119 (2014), S. 105–124 Luckhardt 2004 Jochen Luckhardt (Hg.): Das Herzog Anton Ulrich-Museum und seine Sammlungen 1578 – 1754 – 2004. München 2004 Luckhardt 2007 Jochen Luckhardt (Hg.): Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert. Braunschweig 2007 MacGregor 2007 Arthur MacGregor: Curiosity and enlightenment. Collectors and col­ lections from the sixteenth to the nineteenth century. New Haven (Conn.) 2007 Mackensen 1991 Ludolf von Mackensen: Die naturwissenschaftlich-technische Samm­ lung. Geschichte, Bedeutung und Ausstellung in der Kasseler Orangerie. Kassel 1991 Martens 1968 Wolfgang Martens: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. Stuttgart 1968 Marx/Rehberg 2006 Barbara Marx/Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Sammeln als Institu­ tion. Von der fürst­lichen Wunderkammer zum Mäzenatentum des Staates. München/ Berlin 2006 Maurer 1999 Michael Maurer (Hg.): Neue Impulse der Reiseforschung. Aufklärung und Europa. Beiträge zum 18. Jahrhundert. Berlin 1999

262 Meidenbauer 1991 Jörg Meidenbauer: Aufklärung und Öffentlichkeit. Studien zu den Anfängen der Vereins- und Meinungsbildung in Hessen-Kassel 1770 bis 1806. Darmstadt/Marburg 1991 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, 82) Meijers 1995 Debora J. Meijers: Kunst als Natur. Die Habsburger Gemäldegalerie in Wien um 1780. Wien 1995 (Schriften des Kunsthistorischen Museums Wien, 2) Meinel 2010 Corinna Meinel: Untersuchungen zur Bergakademie Freiberg im 18. und 19. Jahrhundert. Das wissenschaftliche Reisen in Sachsen: Die Leipziger Besucher an der Bergakademie Freiberg von 1769 bis 1820. Magisterarbeit, Universität Leipzig 2010 Merz-Horn 1990 Silvia Merz-Horn: Georg Forster (1754–1794). Die Kasseler Jahre. Tex­ te – Materialien – Dokumente. Kassel 1990 (Kasseler Hochschulwoche, 15) Mey 1994 Eberhard Mey: Die Medizinische Fakultät des Collegium Carolinum, 1709– 1791. In: Manfred Wenzel (Hg.): Samuel Thomas Soemmerring in Kassel (1779–1784). Stuttgart u. a. 1994, S. 25–73 Mey 1999 Eberhard Mey: Forster als Aufseher des Kasseler Naturalienkabinetts. In: Hel­ mut Scheuer/Horst Dippel (Hg.): Georg-Forster-Studien III (1999), S. 19–34 Mey 2000 Eberhard Mey: Georg Forster und der Buchmarkt in der Residenzstadt Kassel in der Regierungszeit Landgraf Friedrichs II. In: Helmut Scheuer/Horst Dippel (Hg.): Georg-Forster-Studien IV (2000), S. 95–151 Mey 2002 Eberhard Mey: Zu Forsters Arbeitsbedingungen als Professor der Naturge­ schichte am Collegium Carolinum in Kassel. In: Helmut Scheuer/Horst Dippel (Hg.): Georg-Forster-Studien VII (2002), S. 233–265 Meyer 2013 Corina Meyer: Die Geburt des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Fried­ rich Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main. Berlin 2013 (Berliner Schrif­ ten zur Museums­forschung, 32) Minges 1998 Klaus Minges: Das Sammlungswesen der frühen Neuzeit. Münster 1998 Moutchnik 2006 Alexander Moutchnik: Forschung und Lehre in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Naturwissenschaftler und Universitätsprofessor Christian Mayer SJ (1719–1783). Augsburg 2006 (Algorismus. Studien zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften, 54) Müller 2012 Adelheid Müller: Sehnsucht nach Wissen. Friederike Brun, Elisa von der Recke und die Altertumskunde um 1800. Berlin 2012 Müller 2002 Winfried Müller: Die Aufklärung. München 2002 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 61) Nagy 1974 Jukunda Nagy: Ungarische Studenten an der Universität Marburg 1571–1914: Studien zur hessischen Stipendiatengeschichte. Darmstadt/Marburg 1974 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, 27) Naschert 2014 Guido Naschert: Von Büchern, Menschen und Reisen. Die Fremdenbü­ cher der Herzoglichen Bibliothek in Gotha und ihre Geschichten. Gotha 2014 (Schrif­ tenreihe des Freundeskreises der Forschungsbibliothek Gotha e.V., 1) Nawa 2010 Christine Nawa: Sammeln für die Wissenschaft? Das Academische Museum in Göttingen (1773–1840). Göttingen 2010 Niemeyer 1964 Wilhelm Niemeyer: Johann Hermann Schminckes und Johannes Ös­ terlings Dissertation über die Graburnen und Steinwaffen der alten Chatten vom Jahr 1714. Marburg 1964 (Kurhessische Bodenaltertümer, 4) North 1997 Michael North: The great German banking houses and international merchants, sixteenth to nineteenth century. In: Banking, trade, and industry. Cam­ bridge u. a. 1997, S. 35–49 North 2003 Michael North: Genuss und Glück des Lebens. Kulturkonsum im Zeitalter der Aufklärung. Köln/Weimar/Wien 2003

263 Osterberg 1913 A. Osterberg (Hg.): Tagbuch der Gräfin Franziska von Hohenheim, spä­ teren Herzogin von Württemberg. Stuttgart 1913 Paravicini/Wettlaufer 2010 Werner Paravicini/Jörg Wettlaufer (Hg.): Vorbild – Aus­ tausch – Konkurrenz. Höfe und Residenzen in der gegenseitigen Wahrnehmung. Ost­ fildern 2010 (Residenzenforschung, 23) Paul 2012 Carole Paul (Hg.): The first modern museums of art. The birth of an institution in 18th- and early-19th-century Europe. Los Angeles 2012 Penzel 2007 Joachim Penzel: Der Betrachter ist im Text. Konversations- und Lesekultur in deutschen Gemäldegalerien zwischen 1700 und 1914. Berlin 2007 (Politica et ars, 13) Pommier 1995 Edouard Pommier (Hg.): Les musées en Europe à la veille de l´ouverture du Louvre. Paris 1995 Raabe 1989 Mechthild Raabe: Leser und Lektüre im 18. Jahrhundert. Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1714–1799. 4 Bde., München 1989 Rees/Siebers 2005 Joachim Rees/Winfried Siebers (Hg.): Erfahrungsraum Europa. Rei­ sen politischer Funktionsträger des Alten Reich. 1750–1800. Ein kommentiertes Ver­ zeichnis handschriftlicher Quellen. Berlin 2005 Rees/Siebers/Tilgner 2002 Joachim Rees/Winfried Siebers/Hilmar Tilgner: Europarei­ sen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung, kom­ munikative Praxis, Kultur- und Wissenstransfer. Berlin 2002 (Aufklärung und Europa, 6) Rob 1984 Klaus Rob: Karl Theodor von Dalberg (1744–1817). Eine politische Biographie für die Jahre 1744–1806. Frankfurt/M. u. a. 1984 Rudwick 2005 Martin Rudwick: Bursting the Limits of Time. The Reconstruction of Geohistory in the Age of Revolution. Chicago 2005 Rüppel 2010 Michael Rüppel: Gustav Friedrich Wilhelm Großmann, 1743–1796. Eine Epoche deutscher Theater- und Kulturgeschichte. Hannover 2010 Ruge-Schatz 2007 Angelika Ruge-Schatz: Versuch einer Rekonstruktion von Muse­ umserlebnissen. Erfahrungen nach der Auswertung von Besucherbüchern in Dres­ den und Kassel. In: Jochen Luckhardt (Hg.): Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert. Braunschweig 2007, S. 132–136 Sander 2009 Torsten Sander: »Wegen vieler Bibliotheksbesucher nicht an die Arbeit gekommen …«. Friedrich Adolf Eberts Reform der Benutzung an der Königlichen Öffentlichen Bibliothek Dresden (1814–1834). In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchge­ schichte 34 (2009), S. 168–176 Sattler 2010 D. E. Sattler: Kalaurea – Hölderlin und Hölderlin-Edition in Kassel. Kas­ sel 2010 (Schriften der Kurhessischen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft, Heft 4/2010) Savoy 2006 Bénédicte Savoy (Hg.): Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Mu­ seums in Deutschland 1701–1815. Mainz 2006 Schaefer 2001 Hans Jochchim Schaefer: 500 Jahre Orchesterkultur in Kassel 1502–2002. In: 500 Jahre Orchesterkultur in Kassel 1502–2002. Kassel 2001, S. 8–87 Scherner 2012/2013 Antje Scherner: Eine Beschreibung Kassels aus dem Jahr 1602. Aus­ züge aus dem Tagebuch Friedrich Gerschows von der Reise Herzog Philipp ­Julius’ von Pommern-Wolgast. In: ZHG 117/118 (2012/2013), S. 57–74 Schnackenburg-Praël 2006 Heidi Schnackenburg-Praël: Einleitung. In: Bestandska­ talog der nachantiken Kameen in der Sammlung Angewandte Kunst der Staatlichen Museen Kassel. Bearbeitet von Heidi Schnackenburg-Praël, Online-Kataloge der Staat­ lichen Museen Kassel, Kassel 2006, http://kameen.museum-kassel.de/einleitung.html (16.12.2013)

264 Schneiders 1995 Werner Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung: Deutschland und Europa. München 1995 Schölch 2006 Brigitte Schölch: Francesco Bianchini (1662–1729) und die Anfänge öf­ fentlicher Museen in Rom. München 2006 Schütte 2003 Rudolf-Alexander Schütte: Die Silberkammer der Landgrafen von Hes­ sen-Kassel. Bestandskatalog der Goldschmiedearbeiten des 15. bis 18. Jahrhunderts in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel 2003 Schulte Beerbühl/Vögele 2004 Margit Schulte Beerbühl/Jörg Vögele (Hg.): Spinning the Commercial Web. International Trade, Merchants and Commercial Cities, c. 1640– 1939. Frankfurt/M. u. a. 2004 Schulte Beerbühl 2007 Margit Schulte Beerbühl: Deutsche Kaufleute in London. Welt­ handel und Einbürgerung (1660–1818). München 2007 Schulz 1998 Petra Schulz (Hg.): Amalia Fürstin Gallitzin (1748–1806) – »Meine Seele ist auf der Spitze meiner Feder«. Ausst.Kat. Münster 1998 (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, 17) Schwebel/Plantinga 1988 Karl H. Schwebel/Sierk F.M. Plantinga: Carl Philipp Cassel und der Ferne Osten. In: Bremisches Jahrbuch, Bd. 66, Bremen 1988, S. 239–266 Seifert 1991 Hans-Ulrich Seifert: Deutsche Benutzer der Pariser Nationalbibliothek in den Jahren 1789–1815. In: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte. Bd. 18/2 (1991), S. 151–207 Sheehan 2002 James J. Sheehan: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürst­ lichen Kunstkammer zur modernen Sammlung. München 2002 Siemer 2004 Stefan Siemer: Geselligkeit und Methode. Naturgeschichtliches Sammeln im 18. Jahrhundert. Mainz 2004 Siemon 2012 Rolf Siemon: Der Asiatische Elefant in Kassel – Goethes anatomische Stu­ dien und die Bedeutung der Wiederentdeckung des Zwischenkieferknochens beim Menschen. In: Philippia 15/3 (2012), S. 241–265 Spehr 2005 Christopher Spehr: Aufklärung und Ökumene. Reunionsversuche zwischen Katholiken und Protestanten im deutschsprachigen Raum des späteren 18. Jahrhun­ derts. Tübingen 2005 (Beiträge zur historischen Theologie, 132) Spickernagel/Walbe 1976 Ellen Spickernagel/Brigitte Walbe: Das Museum. Lernort contra Musentempel. Gießen 1976 Splené 2004 Virginie Splené: »Eine chronologische Historie der Mahlerey in Gemähl­ den«: Vorschläge aus dem Jahr 1771 zu einer Neuordnung der Dresdner Gemäldegale­ rie. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67 (2004), S. 461–478 Stagl 2002 Justin Stagl: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens von 1550– 1800. Wien u. a. 2002 Stedmann/Zimmermann 2007 Gesa Stedmann/Margarete Zimmermann: Höfe – Sa­ lons – Akademien. Kulturtransfer und Gender im Europa der Frühen Neuzeit. Hildes­ heim/Zürich/New York 2007 Storey 1996 William K. Storey (Hg.): Scientific Aspects of European Expansion. Al­ dershot 1996 Stuber/Hächler/Lienhard 2005 Martin Stuber/Stefan Hächler/Luc Lienhard (Hg.): Hal­ lers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung. Basel 2005 Stummann-Bowert 2008 Ruth Stummann-Bowert (Hg.): Philippine Engelhard, geb. Gatterer (1756–1831), »Laß die Dichtkunst mich begleiten bis zum letzten Lebensgang«. Ausgewählte Gedichte. Ein bürgerliches Frauenleben zwischen Spätaufklärung und Biedermeier. Würzburg 2008

265 Trepp 2009 Anne-Charlott Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erfor­ schung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit. Frankfurt/M. 2009 Ungern-Sternberg 1987 W. v. Ungern-Sternberg: Medien. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 3: 1800–1870. München 1987, S. 379–413 Vercamer 2006 Julia Vercamer: Das Museum Fridericianum in Kassel. In: Bénédicte Savoy (Hg.): Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701–1815. Mainz 2006, S. 309–331, 503–528 Vanja 2004 Christina Vanja: Das Kasseler Accouchier- und Findelhaus 1763 bis 1787. Ziele und Grenzen »vernünftigen Mitleidens« mit Gebärenden und Kindern. In: Jür­ gen Schlumbohm/Claudia Wiesemann (Hg.): Die Entstehung der Geburtsklinik in Deutschland 1751–1850. Göttingen 2004, S. 97–126 Vogel 1956 Hans Vogel: Die Besucherbücher der Museen und der fürstlichen Bibliothek in Kassel zur Goethezeit. In: ZHG 67 (1956), S. 149–163 Vogel 1957/58 Hans Vogel: Das Besucherbuch der Kasseler Gemäldegalerie aus den Jah­ ren 1817 bis 1866. In: Hessische Heimat, 1957/58, S. 7–10 Volmer 2003 Annett Volmer: Antikerezeption im 18. Jahrhundert: Die Gesellschaft der Alterthümer. Ein Beitrag zur Spätaufklärung in Hessen-Kassel. In: Holger Zaunstöck/ Markus Meumann (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung. Tübingen 2003, S. 85–113 Waitz von Eschen 2012 Friedrich Frhr. Waitz von Eschen: Parkwege als Wissenswege. Der Bergpark Wilhelmshöhe als naturwissenschaftliches Forschungsfeld der Aufklä­ rung. Kassel 2012 (Kasseler Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, 1) Walter 1915 Friedrich Walter: Aus dem Fremdenbuch der Mannheimer Sternwarte. In: Mannheimer Geschichtsblätter, XVI. Jg. (1915), Nr. 9/10, Sp. 98–102, 137–142 Weddigen 2009 Tristan Weddigen: Ein Modell für die Geschichte der Kunst. Die Hän­ gungen der Dresdener Gemäldegalerie zwischen 1747 und 1856. In: Dresdener Kunst­ blätter. Zweimonatsschrift der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Jg. 52 (2009), Nr. 1, S. 44–58 Wegner 1977 Karl-Hermann Wegner: Gründung und Einrichtung des Museum Frideri­ cianum in Kassel. Seine Bedeutung für die Kulturgeschichte der Aufklärung. In: Hessi­ sche Heimat, 27. Jg., Heft 4 (1977), S. 154–164 Wegner 1991 Karl-Hermann Wegner: Lustreisen nach Kassel. Ein Göttinger Student be­ richtet aus Kassel zur Zeit der Französischen Revolution. Kassel 1991 (Quellen und Perspektiven zur Entwicklung Kassels, 2) Wegner 2004/2005 Karl-Hermann Wegner: Kassel – seit Jahrhunderten Mittelpunkt ei­ nes Netzes europäischer Beziehungen. In: Thomas Walliczek (Hg.): Kulturstadt Kassel und Region. Kassel o. J. (2004/2005), S. 50–66; online: http://www.kasselgewinnt.de/ frame.asp?c=3&d=89&item=299 (5.4.2014) Wenzel 1994 Manfred Wenzel: Samuel Thomas Soemmerring in Kassel (1779–1784). Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Goethezeit. Stuttgart u. a. 1994 (Soemmer­ ring-Forschungen, 9) Wiebel 2005 Bernhard Wiebel: Raspes Münchhausen lügt nicht, oder: Munchausen on German Volcanos. In: Andrea Linnebach (Hg.): Der Münchhausen-Autor Rudolf ­Erich Raspe. Wissenschaft – Kunst – Abenteuer. Kassel 2005, S. 109–131 Wiebel/Gfeller 2009 Bernhard Wiebel/Ursula Gfeller: Rudolf Erich Raspe als Geolo­ ge – Vom »vulkanischen Mordbrenner« zum Zweifler am Vulkanismus. In: Philippia 14/1 (2009), S. 9–56

266 Wintzingerode 2011 Heinrich Jobst von Wintzingerode: Schwierige Prinzen: die Mark­ grafen von Brandenburg-Schwedt. Berlin 2011 (Veröffentlichungen des Brandenburgi­ schen Landeshauptarchivs, 62) Wokalek 2012 Marie Wokalek: Objekte der Erinnerung, Unterhaltung und Bildung. Goethe zu Hemsterhuis’ Gemmensammlung in Campagne in Frankreich. In: Frauke Berndt/Daniel Fulda (Hg.): Die Sachen der Aufklärung. Hamburg 2012, S. 413–420 Wunder/Vanja/Wegner 2000 Heide Wunder/Christina Vanja/Karl-Hermann Wegner (Hg.): Kassel im 18. Jahrhundert. Residenz und Stadt. Kassel 2000 Zaunstöck 1999 Holger Zaunstöck: Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen. Die mitteldeutschen Aufklärungsgesellschaften im 18. Jahrhundert. Tübingen 1999 Zaunstöck/Meumann 2003 Holger Zaunstöck/Markus Meumann (Hg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhun­ dert der Aufklärung. Tübingen 2003 Zimmermann 2002 Christian von Zimmermann (Hg.): Wissenschaftliches Reisen – reisende Wissenschaftler. Studien zur Professionalisierung der Reiseformen zwischen 1650 und 1800. Heidelberg 2002 (Cardanus. Jahrbuch für Wissenschaftsgeschichte, 3) Zwierlein-Diehl 2007 Erika Zwierlein-Diehl: Antike Gemmen und ihr Nachleben. Ber­ lin/New York 2007

Abkürzungen

Abb. Abbildung Bd. / Bde. Band / Bände f. / ff. folgende / fortfolgende Hg. Herausgeber LMB Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche ­Bibliothek der Stadt Kassel mhk museumslandschaft hessen kassel o. J. ohne Jahr o. O. ohne Ort SächsStAL Sächsisches Staatsarchiv Leipzig STA MR Hessisches Staatsarchiv Marburg vgl. vergleiche Vol. Volume ZHG Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde

267 Personenregister

A Bataille de Mandelot 70 Adeane Jones, Robert 57 Bauer Deleus, Mary 67 Ahlefeldt, Sophie Charlotte von 101 Bauer, Franz Andreas 169, 211 Aigner, Korbinian 252 Bauer, Wilhelm 66 Albani, Alessandro 150 Baumbach, Henriette von 102 Albrechtsberger, Johann Georg 218 Beauclair, Jean Pierre de 127 Allerton, Dionysius 187 Beaumont d‘Autichamp, de 70 Alströmer, Johan 233 Bechstein, Johann Matthäus 118 Alströmer, Jonas 233 Beckmeister, »Demoisell« 104 Amici, Teresa 224 Beethoven, Ludwig van 218 Ammon, Caroline 103 Belleval 224 Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym, Berdot, David Charles Emmanuel 141 Friedrich Franz Christian von 85 Bergsträsser, Johann Andreas Benignus Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym, 239 Johanna Amalie Caroline von 85 Berlepsch, Charlotte Luise von 101 Anhalt-Dessau, Friedrich Franz Prinz von Berlepsch, Emilie von, geb. von Oppel 100 214 Bernhardi 227 Anhalt-Dessau, Henriette Amalie Bernhardi (Völcker), Rosina Catharina Louise, geb. Pockwitz 113 Prinzessin von 103, 201 Beroldingen, Anton Siegmund von 183 Anhalt-Dessau, Leopold I. Fürst von 103 Beroldingen, Franz Cölestin Joseph von Anhalt-Dessau, Leopold III. Fürst von 37 168, 183 Antici, Tommaso Marchese 183 Berschitz, Martin 39 Archenholtz, Johann Wilhelm von 33 Bertelsmann 227 Arckenholtz, Johann 192, 193 Bertuch, Friedrich Justin 203 Arnemann, Otto Justus 144 Berzeviczy, Gregor Franz von 127 Asbeck, Franz Wilhelm Friedrich von 183 Beschefer, Dorothee von 112 Asch, Georg Thomas von 85 Bethman 229 Asch, Johann Friedrich von 86 Bianchini, Francesco 26 Bibra, Heinrich VIII. von 191 Bibra, Philipp Anton von 191 B Biester, Johann Erich 199 Bach, Carl Philipp Emanuel 218, 219 Blomberg, Carl Peter 189 Bach, Johann Sebastian 218 Blücher, Gebhard Leberecht von 76 Baldinger, Dorothea Friderika 100 Blumenbach, Johann Friedrich 126, 127, Baldinger, Ernst Gottfried 100, 140, 170 134, 139 Ballenstedt, Johann Georg Justus 239 Bode, Johann Elert 176 Banks, Joseph 145, 157, 201, 211 Bohl, »Hofagentin« 113 Barckhaus, gen. von Wiesenhütten, Karl Bohl, Johann Georg 113 Ludwig von 108 Böhl, Johann Jakob 232 Barckhaus, gen. von Wiesenhütten, Louise Böhl, Johann Nikolaus 232, 237 Friederike Auguste von, 108 Böhm, Johann 223 Bartolini, Vincenzo 224 Böhm, Peter 186, 191 Basse 227 Boie, Heinrich Christian 14, 17 Basse, Friedrich Heinrich 237 Boisserée, Brüder (Sulpiz und Melchior) Bastholm, Christian 189 25 Bataille, Adolphe Comte de Mandelot 70, Bollo, Andrea 83 120 Bonk, Ecke 252 Bataille, Alphonse Comte de Mandelot Boode 59 120 Boor, Johann Abraham de 108

268 Boor, Maria Elisabeth de, geb. Buffon, Louis Marie Le Clerc Comte de 170 Timmermann 108 Bundsen, Axel 216 Born, Ignaz von 168 Bürger, Auguste (»Molly«), geb. Leonhart Borstell, Hans Friedrich Georg Ludwig 122 Wilhelm von 74 Bürger, Dorothea, geb. Leonhart 122 Borstell, Hans Friedrich Heinrich von 74 Bürger, Gottfried August 77, 122 Borstell, Karl Leopold Heinrich Ludwig Bürgi, Jost 20 von 74 Burnet, Thomas 162 Bose 34 Büsch, Johann Georg 234, 235 Bossann, Friedrich Wilhelm 223 Buttlar, von 102 Boston, Lord 130 Byerley, Thomas 152 Boswell, James 60, 130, 185, 221 Böttger, Christoph Heinrich 140 Böttiger, Karl August 149 C Bouillé, François-Claude-Amour Marquis Campbell, George William Marquess of de 69 Lorne 94 Boulton, Matthew 232 Campe, Joachim Heinrich 116, 117, 118, Boutin 227 179, 181, 191, 232 Boyneburg, Carl von 102 Camper, Petrus 134, 135, 145 Brabeck, Moritz von 183 Candide, »Père« 183 Brahe, Magnus Fredric Graf 58 Canova, Antonio 121 Brahe, Tycho 176 Canstein, von 102 Branconi, Maria Antonia von 115 Cantarels, de 70 Braun, Hermann 179 Cappelmann, Johann Zacharias von 89 Braun, Peter von 218 Caprara, Giovanni Battista 183 Braunschweig und Lüneburg Cario, Johann Peter Heinrich 218 (-Wolfenbüttel), Augusta Friederike Carlberg, Carl Wilhelm 233 Luise Herzogin von, geb. Prinzessin Casparson, Johann Wilhelm Christian von Großbritannien 79, 98 Gustav 30, 202 Braunschweig und Lüneburg Cassel, Karl Philipp 60 (-Wolfenbüttel), Ferdinand Herzog Castellalfero, Carlo Luigi Amico Conte von 84 di 58 Braunschweig und Lüneburg Cavendish, Lord 84 (-Wolfenbüttel), Karl Wilhelm Cerfontaine, Jean Baptist 224 Ferdinand Herzog von 80 Chandelle, Matthäus Georg von 183 Breidbach gen. Bürresheim, Lothar von Chaplin, Mr. 10 183 Charpentier, Johann Friedrich Wilhelm Breitkopf, Christoph Gottlob 203 Toussaint von 172 Breslauer, Michael Meyer 191 Claproth, Justus 107, 238 Brienen, Salomon van 58 Clauce, Isaac Jacob 210 Bristol, Lord. Siehe Hervey, Frederick Clemen, Familie (J. G. Clemen, J. C. August 4th Earl of Bristol Clemen, geb. Vogt und J. C. Clemen) Brochard, Eva 224 230 Brochard, Georg Paul 224 Cluzel, de 70 Bruce, Thomas 7th Earl of Elgin 74, 153 Cocceji, von 152 Brühl, Hans Moritz Graf von 176 Coing, Johann Franz 105 Brummell, George Bryan 154 Collignon, Abbé 130 Brummell, William 154 Collinson, Peter 133 Brun, Friederike, geb. Münter 111, 153 Coninck, Frédéric de 233 Brune 227 Cook, James 99 Brydone, Patrick Esq. 167 Craufurd, James 64 Buch, Leopold von 172, 173 Creuzer, Georg Friedrich 152, 192

269 Crousaz, Jean-Pierre de 110 Eberth, Konrad 186 Crux, Marianne Antonia 122, 217 Eckart, Johann Georg Joseph von 182 Crux, Peter 122 Edgcumbe, Richard 97 Czartoryski, Adam Jerzy Prinz 99 Ehrhart, Jakob Friedrich 169 Czartoryski, Adam Kazimierz Fürst 82, Einem, Charlotte von 110 99, 122 Einem, Johann Konrad von 111 Czartoryski, Izabela Fürstin, geb. Gräfin Elgin, Lord. Siehe Bruce, Thomas 7th Earl von Flemming 98 of Elgin Elverfeldt, Friedrich Alexander von 183 Elzevier, Jan Jacob 232 D Engelhard, Johann Philipp 107 Daguerre, Louis 70 Engelhard, Philippine, geb. Gatterer 107, Dahl, Peter Andersen 233 112, 145, 202 Dalberg, Karl Theodor von 118, 119, 183, Enke, Elias 104 184 Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm von Dalberg, Wolfgang Heribert von 183 214 Dänemark, Friedrich V. König von 57, 212 Erxleben, Johann Christian Polykarp 127 Dänemark, Juliane Marie Königin von, Eschstruth, Hans Adolf Friedrich von 219 geb. Prinzessin von Braunschweig- Estorff, Emmerich Otto August von 102 Wolfenbüttel 212 Estorff, Luise Albertine von, geb. von Dauthe, Johann Carl Friedrich 216 Münchhausen 102 Dawnay, John Christopher 5th Viscount Ettinger, Carl Wilhelm 202 Downe 96 Everts 104 Dedel, Jacob Willem 120 Dedel, Salomon d. J. 120 De la Porte, Jean Jacques 185 F Deluc, Jean André 115, 171 Fahnenberg, von 183 Deritz (jüdische Familie) 102 Faivovich, Guillermo 252 Diede, Christoph Ludwig 174 Faucitt, William 64, 65 Dietrich, Philippe-Frédéric de 69, 168, Ferber, Johann Jacob 168, 173, 203 203 Fersen, Hans Axel Graf von 67, 68, 70 Dittersdorf, Carl Ditter von 222 Feuchtersleben, Eduard von 49, 50 Dohm, Christian Conrad Wilhelm von 14, Finke, Leonhard Ludwig 239 142, 185, 201, 246 Fintelmann, Friedrich Wilhelm Julius 237 Döll, Friedrich Wilhelm Eugen 205 Fischer, Johann Conrad 237 Doormann, Hermann 231 Fischer, Johann Heinrich 141 Doormann, Johanna Maria, geb. Bolten 231 Fleuriau de Bellevue, Louis Benjamin 171 Doyer, Assuerus 58 Foris, Franciscus 57 Droste zu Hülshoff, von 183 Forster, Georg 36, 37, 81, 82, 112, 126, Dufour-Pallard 227 131, 144, 145, 154, 155, 156, 157, 180, Dumeiz de Huville, Damian Friedrich 191, 193, 201, 202, 243, 244, 245 110, 183 Forster, Johann Reinhold 37, 201, 243, 244 Dumont, Johann Peter 202 Förtsch, Paul Jacob 188 Dumouriez, Charles-François 77 Foudras, de 70 Dürer, Albrecht 20 Foulis, James 208 Durey de Noinville, de 70 Francke, August Hermann 115 Du Ry, Simon Louis 29, 33, 34, 43, 45, 57, Frankenberg 222 62, 135, 165, 202, 204, 213, 228, 243 Franklin, Benjamin 83, 132, 133, 134 Frankreich, Louis XV. König von 204 Frankreich, Marie Antoinette Königin von E 68, 213 Ebert, Johann Arnold 27 Frankreich, Napoleon I., Kaiser 231

270 Friedländer, David 142 Gontard 229 Fries, Anne Gräfin von, geb. d‘Escherny Gontard, Barbara Friedrica, geb. 104 Wichelhausen 114 Fries, Johann Reichsgraf von 104 Gontard, Daniel Andreas 113 Fries, Moritz von 104 Gontard, Franz (von) 114 Friesen, Johann Georg Friedrich von 94 Gontard, Jacob Friedrich 114 Fuchs, Joseph 152 Gontard, Margarethe 114 Fulda, Carl Siegmund 34 Gontard, Maria Magdalena 114 Fumel de Monségur, de 70 Gontard, Susanna, geb. Borkenstein 114, Fürstenberg, Franz Friedrich Wilhelm von 207 102, 150, 151, 183, 184 Gontard, Susanna Maria, geb. d‘Orville Füssli, Hans Rudolf 210 113 Füssli, Johann Heinrich 210 Gore, Charles 208 Füssli, Johann Kaspar 207 Gore, Emily oder Eliza 208 Gotter, Friedrich Wilhelm 17 Graff, Johann Jakob 223 G Greville, George 239 Gage, Henry, 3rd Viscount Gage 63 Grey, George Harry 6th Earl of Stamford Galletti, Johann Georg August 239 96 Gallien, Jean Louis 106 Griechenland, Otto I. König von 52 Gallien, Jeanne 106 Griesbach, Johann Jakob 239 Gallien, Susanne Katharina, geb. Grill, Adolf Ulrik 235, 246 Wyttenbach 106 Grimm, Jacob und Wilhelm 224, 252 Gallitzin (Golicyna), Amalie Fürstin von, Grolman, Heinrich Dietrich von 240 geb. Gräfin Schmettau 98, 150, 152, Großbritannien, Frederick August Prinz 184 von, Herzog von York (und Albany) 94 Garve, Christian 152 Großbritannien, Georg II. König von 57 Gatterer, Johann Christoph 107 Großbritannien, Georg III. König von 79 Gauß, Carl Friedrich 248 Großbritannien, Sophie Charlotte, Königin Gebsattel, Lothar Anselm von 183 von, geb. Prinzessin von Mecklenburg- Gedike, Friedrich 118 Strelitz 115, 171 Gegenbaur, Paulus 187 Großmann, Charlotte Amalie 120, 222 Gerling, Christian Ludwig 248 Großmann, Gustav Friedrich Wilhelm Geuns, Steven Jan van 116, 127, 128, 237 120, 222, 223 Ghani, Mariam 252 Großmann, Karoline, geb. Hartmann 120, Gildemeister, Carolina Amalie, geb. 222 Kotzebue 105 Groß von und zu Trockau, Adam von 183 Gildemeister, Johann Friedrich 105, 177 Grotthuss, Dietrich Ewald von 218 Gillies, John 96 Gruner, Johann Samuel 172 Gilly, Friedrich 152, 215 Guichard, Karl Theophil (Quintus Icilius) Gilsa, von 102 27 Gironcourt de Vomecourt, Charles Günderode, Friedrich Justinian von 30, Auguste 58, 59, 63, 67 31, 35, 36, 44, 109, 185, 197, 199, 219, Gironcourt, Elizabetta geb. Corne 58 228 Gluck, Christoph Willibald 203 Goethe, Johann Wolfgang von 21, 25, 34, 35, 47, 52, 55, 56, 72, 73, 75, 77, 81, 82, H 105, 113, 115, 122, 129, 130, 134–139, Haag, Tethart Philipp Christian 209 142, 148, 150–152, 160, 163, 166, 167, Haas, Johann Heinrich 123 171–173, 183, 207, 208, 223, 244 Hackert, Jakob Philipp 34, 157, 161, 208 Goethe, Karl August von 122 Haeberlin, Franz Dominicus 200 Goldberg, Nicolás 252 Hagen, Carl Otto Wilhelm vom 120

271 Hagen, Johann Ludwig Julius vom 120 Hessen-Kassel, Juliane Prinzessin von 120 Hahn, Friedrich von 176 Hessen-Kassel, Karl Landgraf von 15, 18, Haide, Friedrich 223 20, 23, 34, 78, 192, 245 Haller, Albrecht von 137, 139, 141, 241 Hessen-Kassel, Luise Prinzessin von, geb. Hamilton, Douglas 8th duke of 90 Prinzessin von Dänemark 120 Hamilton, William 83, 95, 104, 153–157, Hessen-Kassel, Maria Landgräfin von, geb. 160, 173, 244 Prinzessin von Großbritannien 56, 94, Hammerstein-Gesmold, Georg Gottlob 180 Maximilian von 102 Hessen-Kassel, Marie Prinzessin von 120 Hammerstein-Gesmold, Gertrud Amalie Hessen-Kassel, Moritz Landgraf von 170 von, geb. von Münchhausen 102 Hessen-Kassel, Philipp Landgraf von 35, Hanger, George, Lord Coleraine 63, 65 180 Hardenberg, Karl August von 86 Hessen-Kassel, Wilhelm IV. Landgraf von Harsnep, Thomas Placid 178, 187 174 Hasenstaab, Georgius 187 Hessen-Kassel, Wilhelm VIII. Landgraf Hassencamp, Johann Matthäus 200 von 181, 242, 245 Hässler, Johann Wilhelm 218 Hessen-Kassel, Wilhelm IX. Landgraf von Haßloch, Christiane Magdalene Elisabeth, 44, 70, 74, 80, 144, 176, 180, 181, 197, geb. Keilholz 222 212, 223, 246, 248 Haßloch, Karl 222 Hessen-Kassel, Wilhelmine Karoline Hatton, August 187 Landgräfin von, geb. Prinzessin von Hawkins, John Esq. 168, 169, 172 Dänemark 212 Haxthausen, von 183 Hessen-Philippsthal, Wilhelm Landgraf Haydn, Joseph 203, 218, 222 von 103 Heerd, Franz 222 Hetsch, Philipp Friedrich (von) 153, 208 Heereman, de 114 Hetzer, Frau 113 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 52 Heydinger, Carl 201 Heine, Heinrich 52 Heydinger, Charles William 201 Hell, Maximilian 173, 174 Heyliger 229 Hemsterhuis, Frans 150, 184 Heyne, Christian Gottlob 43, 107, 150, Hennequin, Capt. 88 180, 193, 200 Herbert, George Augustus Lord, 11th Earl Hirschfeld, Christian Cay Lorenz 155 of Pembroke, 8th Earl of Montgomery Hirsching, Friedrich Karl Gottlob 43, 229, 95 245, 249 Herder, Caroline Maria, geb. Flachsland Hirt, Aloys 104 90, 112, 143 Hodgskin, Thomas 242, 248 Herder, Johann Gottfried 52, 89, 112, 134, Hohenheim, Franziska Reichsgräfin von 135, 143, 144, 152, 163, 178, 179, 238 78 Hervey, Frederick August 4th Earl of Hölderlin, Friedrich 44, 114, 152 Bristol 104, 146, 147, 148, 150, 153, Hollenberg, Georg Heinrich 36, 37, 38, 177, 246 125, 126, 177, 213 Herz, Markus 142 Hooke, Robert 159 Hessen-Kassel, Carl Prinz von 36, 84, 120, Hoop, Adriaan van der 120 180 Hope, John, 4th Earl of Hopetoun 96 Hessen-Kassel, Christian Prinz von 120 Hope, Thomas 96, 153 Hessen-Kassel, Friedrich II. Landgraf von Höpfner, Ludwig Julius Friedrich 201 22, 24, 28, 37, 56, 67, 77, 79, 82, 84, 87, Hövel, Johann Adolph Wennemar Theodor 107, 110, 139, 147, 150, 157, 161, 174, von 183 176, 180, 185, 196, 213, 217, 221, 224, Hövel, Ludwig Wilhelm Alexander von 228, 242, 245 183 Hessen-Kassel, Friedrich Prinz von 120, Huber, Johann Jakob 139, 140 180 Hufeland, Johann Friedrich 200

272 Huichelbos van Liender, Jan Daniel 232 Kniep, Christoph Heinrich 153, 208 Humboldt, Alexander von 116, 127, 172 Knigge, Adolph Freiherr 83, 102, 198 Humboldt, Wilhelm von 42, 52, 116, 118, Knyphausen (zu Innhausen und 144, 152 Knyphausen), Wilhelm von 64, 67 Hummel, Johann Nepomuk 122, 217 Koch, Christoph Wilhelm von 143, 200 Hunzigker, Samuel 58 Koppy, Moritz von 239 Hüpsch, Adolph von (Johann Wilhelm Kornrumpf, Gottfried (?) von 124 Karl Adolph von) 50 Kotzebue, August Friedrich Ferdinand (von) 105, 157, 159 Kraft, »Mademoiselle« 105 I Krause, Christian 234 Irby, William 57 Krause, Christian Siegmund 136, 222 Irving, Washington 52 Krause, Martin Ludwig 230 Izquierdo, Eugenio 167 Krohn 230 Kulenkamp, Lüder 188 Kümmell, Henrich 66 J Küper, Johann Martin 104 Jacobi, Friedrich Heinrich 152 Küttner, Karl Gottlob 194 Jacquin, Joseph Franz von 211 Jacquin, Joseph Nikolaus von 211 Jenisch 229 L Johnson, Samuel 44 Lafontaine, August Heinrich Julius 74 Journel, Jean (John) Victor 229 Lagadec, de 70 Jung, Elisabeth, geb. Coing 105 Laghi, Leopold 224 Jung (Jung-Stilling, Johann Heinrich) 105 Lamarck, Jean-Baptiste Pierre Antoine de Jussow, Heinrich 186 Monet, Chevalier de 170 Lamberg-Sprinzenstein, Anton Franz de Paula Graf von 75, 153 K Langwagen, Christian Gottlob 215 Kabrun, Jakob d.J. 234 La Roche, Sophie von, geb. Gutermann Kaempf, Johann 144 von Gutershofen 110, 243 Kämpe, Carl Larsson 58, 199 La Rochefoucauld-d’Enville, Louis- Kamsetzer, Jan Baptist von 216 Alexandre 160, 169 Kant, Immanuel 142 Lassaulx, de 124 Kapff 229 Lavater, Johann Caspar 121, 152, 207 Kästner, Abraham Gotthelf 107 Lecke 227 Kauffmann, Angelika 121, 207 Ledebur, Henriette Luise Amalie Eleonore Keilholz, Christiane Magdalene Elisabeth von 103 222 Ledebur, Louise Friederike Christiane von Keilholz, Dorothea Elisabeth d.Ä., geb. 103 Brückmann 109, 222 Ledebur, von 103 Keilholz, Dorothea Elisabeth d. J. 109 Leeson, Joseph Viscount Russborough, Kennikott, Benjamin 188 2nd Earl of Miltown 97 Kerpen, Philipp Lothar von 183 Legge, George Lord Lewisham 97 Kestner, Charlotte, geb. Buff 115 Le Goullon, Madame 148 Ketelhodt, Friedrich Wilhelm von 32, 36, Le Goullon, René François 55, 113, 148, 40, 92, 93 197, 238 Keudell, von 102 Leibniz, Gottfried Wilhelm 20, 55, 162 King, Edward 151 Leigh, Sir Egerton Baron 66 Kinzing, Peter 213 Lenthe, Ernst Ludwig von 86 Kleinschmidt, Friedrich Jacob 66 Lenthe, Sophie von (ab 1788 von Klopstock, Friedrich Gottlieb 108, 207 Hardenberg), geb. von Hasberg 86

273 Lenz, Christian Ludwig 118 Mark, Marianne Gräfin von der 124 Leonhart, Ernst Ludwig Franz 123 Martens, Friedrich von 120 Leonhart, Georg Heinrich 122 Martin, Capt. 63 Lepers, Abbé 115 Maste 227 Less, Gottfried 188 Mathieu 230 Lessing, Gotthold Ephraim 196 Matsko, Johann Matthias 41, 126, Lexell, Anders Johan 173, 176, 246 173–177, 246 Lichtenberg, Georg Christoph 52, 57, 58, Maury, Jean Siffrein 71 63, 125, 127, 129, 176, 177, 233 Mauvillon, Jacob 201 Lichtenberger, G. F. 11 Mayer, Christian 173–175 Lind, John 88 Mazzola, Vincenzo 153 Lindenmeyer, Ludwig 136, 137 Mechel, Christian von 23 Lindsay, Alexander, 6th Earl of Balcarres Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz 63 Herzog von 84 Linné, Carl von 169 Mecklenburg-Schwerin, Luise Prinzessin Lippert, Friedrich Karl 222 von, geb. Prinzessin von Sachsen- Lippe-Sternberg-Schwalenberg (Lippe- Gotha-Altenburg 98 Biesterfeld), Luise Gräfin und Edle zur, Mecklenburg-Strelitz, Adolf Friedrich IV. geb. Gräfin von Callenberg 101 Herzog von 210 Lips, Johann Heinrich 207 Meillan 231 Löbbecke 227 Meiners, Christoph 126 Lobstein, Johann Friedrich d.Ä. 142, 144 Meißner, August Gottlieb 239 Loder, Justus Christian 134 Mendelssohn Bartholdy, Felix 218 Logier, Jacob 219 Mendelssohn, Moses 142 Logier, Johann Bernhard 219 Menschikoff (Menshikov, Menchikoff), Loos, Daniel Friedrich 210 Ekaterina Nikolaevna Prinzessin von, Loos, Friedrich 210 geb. Prinzessin von Galitzin 98 Löwenstein, Friederike Luise von 102 Merck, Johann Heinrich 45, 46, 98, 134, Lubomirska, Elzbieta Prinzessin, geb. 152, 243 Prinzessin Czartoryska 99, 121 Merian, Maria Sibylla 109 Lubomirski, Henryk Prinz 121 Mesnil-Desvieux, de 70 Luchet, Pierre Louis Marquis de 41, 150, Messerer, Johann Baptist 93 162, 173, 196, 197, 198, 254 Metternich-Winneburg-Beilstein, Franz Ludwig, Johann Nicolaus 121 Georg Karl Joseph Johann Nepomuk Lünecke, »Bergverwalterin« 104 Graf von 124 Lusini, Caterina 224 Metternich-Winneburg-Beilstein, Klemens Lusini, Giuliano 224 Wenzel Nepomuk Lothar Graf (ab Luther, Charlotte 112 1813 Fürst) von 124 Luther, Christian Julius 112 Metzler 229 Lyell, Charles 169 Metzler, Christina Barbara 234 Lynar, Rochus Graf zu 101 Metzler, Friedrich 234 Meyenberg, Georg Philipp 126 Meyer, Johann Rudolf 172 M Meyer, Johan Valentin 120 Maffei, Scipione 26 Michaelis, Johann David 105, 188 Malsburg, Elizabeth Henrietta von der 66 Michaelis, Louise Philippine Antoinette, Malsburg, Friedrich Wilhelm Anton von geb. Schröder 105 der 66 Milles, Jeremiah 150, 152 Malsburg, von der 102 Milnes, Charlotte Frances, geb. Gräfin Manger, Johan Godfried von 190 Bentinck 115 Manger, Johan Jacob von 190 Moench, Conrad 169 Manger, Johann Georg von 191 Moldenhawer, Daniel Gotthilf 199

274 Montagu, William 5th duke of Manchester Oeynhausen, Moritz Alexander Christoph 96 von 102 Montfaucon, Bernard de 26 Ohmacht, Landolin 206, 207 Montmorency, de 70 Olbers, Heinrich Wilhelm Mathias 176 Moore, John d. Ä. 90, 93 Oldekop, Johann Justus 128 Moore, John d. J. 90, 91 Oranien-Nassau, Wilhelm Erbprinz von 82 Morell, Thomas 150 Ortelli, Josephine Barbara, geb. Haas 113 Mosengeil, A. 65 Ortelli, Stephan Andreas 113 Mozart, Wolfgang Amadeus 122, 203, 222 Osiander, Friedrich Benjamin 141 Müller, Carl Wilhelm 216 Ostergötland, Friedrich Adolf Herzog von Müller, Johannes von 57, 246 30, 80, 87 Münchhausen, Anna Eleonore von 102 Österreich, Joseph II. Erzherzog, Heiliges Münchhausen, Börries von 102 Römisches Reich, Kaiser 122, 144, 201 Münchhausen, Christine Auguste von 102 Österreich, Maria Theresia, Erzherzogin Münchhausen, Josina Johanette Henriette 150 von 5 Österreich, Maximilian Franz Xaver Münter, Balthasar 111 Erzherzog 84 Murray, Johann Andreas 169 P N Panhuys, Wilhelm Benjamin von 109 Nagel, Franz Eberhard 183 Papin, Denis 20, 233 Nahl, Johann August 204, 208 Papius, von 183 Nahl, Johann August d.J. 208 Parasky, von 113 Nassau-Saarbrücken, Heinrich Ludwig Parish, Henrietta 231 Karl Albrecht Prinz von 93 Parish, John 231, 246 Neipperg, Leopold Joseph Johannes Passavant 229 Nepomuk Graf von 239 Persoon, Christian Hendrik 59 Nélis, Corneille-François de 72 Pesne, Antoine 209 Nerciat, Andréa de 197 Pfalz (und Bayern), Karl Theodor Kurfürst Nerciat, Angélique de, geb. Condamin de 175 Chaussan 197 Piderit, Johann Anton 186, 246 Newton, Isaac 162 Pidou, Auguste 96 Nicolai, Carl August 201 Pigalle, Jean-Baptiste 204 Nicolai, Elisabeth Macaria, geb. Pignolet 70 Schaarschmidt 201 Piper, Grafen (Carl, Gustav und Erik) 58 Nicolai, Friedrich 22, 27, 194, 201 Pitrot de Verteuil 224 Nicolai, Samuel Friedrich 201 Planta, Joseph 151, 200 Niemcewicz, Julian Ursyn 122 Platner, Ernst 239 Niépce, Joseph Nicéphore 70 Pockwitz 201 Nikolaevna, Ekaterina 103 Pockwitz, Anna Sophia, geb. Hansing 113 Norberg, Matthias 189 Pockwitz, Christian Wilhelm Hieronymus Normann, de 130 113 North, Frederick 5th Earl of Guilford 154 Pockwitz, Christina Friederica Antonetta Nose, Karl Wilhelm 160 113 Nourrigat 230 Pockwitz, Hieronymus Michael 113 Nuth, Rosina 222 Polen, Stanisław II. August König 83, 88, 216 Polier de Bottens, verh. de Crousaz und de O Montolieu, Isabella 110 Oberlin, Jeremias Jakob 152 Pompadour, Jeanne Antoinette Poisson Oberthür, Franz 185 de 204

275 Poniatowski, Stanislaw Prinz 88 Reventlow, Friederike Juliane Gräfin von, Pörsch, Carl Christian 205 geb. Gräfin von Schimmelmann 240 Porthan, Henrik Gabriel 199 Richter, August Gottlieb 144 Portugal, Peter III. König von 234 Riedel 227 Prätorius, Michael 220 Riedel, Christina Maria Theodora oder Preetorius, Sophia Wilhelmina 103 Beate Christine 104 Preußen, Friedrich II. König von 27, 150, Riedel, Heinrich 215 204, 242 Riedel, Heinrich August 215 Preußen, Friedrich Wilhelm II. König von Riedel, Wilhelm 215 104 Riedesel, Friederike Charlotte Luise Preußen, Friedrich Wilhelm III. König Freifrau zu Eisenbach 66 von 52 Riedesel, Friedrich Adolf Freiherr zu Preußen, Luise, Königin von, geb. Eisenbach 66 Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz Riencourt, de 70 246 Ritz, Wilhelmine, geb. Enke 103 Pringle, John 132 Roccatani, Stanislaus Georg 194 Prizier, Carl 41, 131 Rochelambert, de 70 Puch de Montbreton, de 70 Rodde, Dorothea, geb. von Schlözer 106 Pütter, Johann Stephan 105, 238, 239 Rodde, Matthäus 106 Pütter, Petronella Gertrud, geb. Stock 105, Roentgen, Abraham 213 239 Roentgen, David 213 Roentgen, Johann Georg 213 Roepel, Coenrat 211 Q Roese, Christian Friedrich 113 Quaglio, Giuseppe 224 Roos, Johann Melchior 34 Quaglio, Lorenzo I 224 Röpe 227 Qualen, von 89 Roques de Maumont, Jacques Emanuel 119, 130, 131 Rosenthal, Gottfried Erich 171 R Rose, Valentin d.J. 237 Radziwiłł, Helena Fürstin, geb. Gräfin Rost, Carl Christian Heinrich 153 Przezdzieck 98, 99 Rothmann, Christoph 176 Raffael 34 Rousseau, Jean-Jacques 83 Rakowitz, Michael 252 Ruhl, Johann Christian 30 Ramée, Joseph Jacques 216 Runde, Justus Friedrich 201, 225 Ramlo, Johann Kaspar 122 Rupe 227 Raspe, Elisabeth, geb. Lange 112 Ruprecht, Carl Günther 202, 203 Raspe, Rudolf Erich 5, 9, 17, 21–28, 32, Russland, Alexandra Fjodorowna Zarin, 34, 36, 37, 43, 48, 51, 55, 65, 68, 70, 80, geb. Charlotte Prinzessin von Preußen 82, 83, 89, 94, 98, 99, 111, 112, 118, 247 119, 121, 130–134, 144, 148, 154, 157, Russland, Katharina II., Zarin 173, 196 159, 160, 161, 164, 167–169, 171–173, Russland, Paul I. Zar 219 178, 184, 188, 193, 201, 238, 243, 246, Ruysch, Rachel 211 251, 252 Regnaud, Jean Gabriel 224 Reichardt, Johann Friedrich 217 S Reiffenstein, Johann Friedrich 205 Sachsen-Coburg-Saalfeld, Franz Friedrich Reil, Johann Christian 144 Anton Prinz von 80 Reinhold 227 Sachsen-Meiningen, Bernhard II. Herzog Rentzing 227 von 221 Reuss, August Christian 200 Sachsen-Meiningen, Georg I. Herzog von Reuss, Jeremias David 200 195

276 Sachsen-Meiningen, Marie Herzogin von, Schmincke, Johann Hermann 193 geb. Prinzessin von Hessen-Kassel 221 Schmitt, Coelestinus 187 Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia Schneevoogt, George Voorhelm 237 Herzogin von 52, 80, 98, 148, 200, 201 Schnegelsberg, Henriette Arnoldine Sachsen-Weimar-Eisenach, Karl August Sophia, geb. Elias 104 Herzog von 81, 203 Schnegelsberg, Johann Hermann 104 Sachsen-Weimar-Eisenach, Konstantin Schopenhauer, Adele 110 Prinz von 80 Schopenhauer, Arthur 110 Saint-Germain, Graf von (»Welldone«) 84 Schopenhauer, Heinrich Floris 110 Sajnovics, János 173 Schopenhauer, Johanna Henriette, geb. Sargent 130 Trosiener 110, 113 Sassenay, de 70 Schott 10 Scarpa, Antonio 144 Schrage, Johann Nikolaus 188 Schaeffer, Jacob Christian 50 Schröder, »Frau Postmeisterin« 104 Schaumburg-Lippe, Juliane Gräfin Schröder, Johann Friedrich 104 von, geb. Prinzessin von Hessen- Schröger, Ephraim von (Efraim Szreger) Philippsthal 98 216 Schellenberg, Johann Rudolf 207 Schuback, Arnold 201 Schenck zu Schweinsberg 102 Schuback, Johannes 234 Schildbach, Carl 116, 117, 180, 211 Schütz, Georg Christian 108 Schiller, Friedrich 142, 222 Schwarzburg-Rudolstadt, Ludwig Schirnding, August Carl Friedrich von 239 Friedrich Prinz von 92 Schleger, Theodor August 140 Schweden, Friedrich I. König von 56 Schleswig-Holstein-Gottorf, Friedrich Schweden, Gustav III. König von 30, 80, August von, Fürstbischof von Lübeck, 87 Herzog von Oldenburg 89 Schwellenberg, Juliana Elisabeth von 115 Schleswig-Holstein-Gottorf, Peter Schweppe, Johann Jakob 233, 238, 246 Friedrich Ludwig Prinz von, Schwertzell, Georg von 102 Großherzog von Oldenburg 195 Schwertzell zu Willingshausen, Dorothea Schleswig-Holstein-Gottorf, Peter von 102 Friedrich Wilhelm Prinz von 89 Seidel, Carl August Gottlieb 36, 45, 194, Schleswig-Holstein-Gottorf, Ulrike 197, 246 Friederike Wilhelmine von, geb. Sergel, Johan Tobias 87, 88, 204, 205 von Hessen-Kassel, Herzogin von Sibthorp, John 169 Oldenburg 89 Siebert, Gotthard 187 Schleusner, Johann Friedrich 188 Smith, P. H. 231 Schlieffen, Martin Ernst von 66, 243 Sodemann 223 Schliestedt, Heinrich Bernhard Schrader Soemmerring, Margarethe 135 von 102 Soemmerring, Samuel Thomas 126, Schliestedt, Louise Elisabeth von 102 134–136, 139, 140, 144, 145, 170, 191, Schliestedt, Sophie Regine Wilhelmine 207, 244, 246 von 102 Solander, Daniel 36 Schlözer, August Ludwig von 55, 56, 60, Spancken (Spanke?) 183 105, 125, 197, 241, 244, 246 Spener, Christian Sigismund 202 Schlözer, Caroline Friederike von, geb. Spener, Johann Karl Philipp 37, 66, 157, Röderer 105 202 Schmid, F.M.C. 107 Spengler, Johan Conrad 212 Schmid, Paul 107 Spengler, Lorenz 212, 237 Schmidt, Arno 173 Spiegel zum Desenberg-Canstein, Franz Schmidt, »Rector« 123 Wilhelm von 183 Schmincke, Friedrich Christoph 17, 20, Spittler, Ludwig Timotheus (von) 188 22, 41, 44, 137, 154, 162, 193, 196, 202 Spohr, Louis 218

277 Sprengel, Christian Konrad 239 Thon, Christian August 113 Sprickmann, Anton Matthias 184 Thugut, Johann Amadeus Franz de Paula Städel, Johann Carl 234 von 150 Städel, Johann Friedrich 234 Tiedemann, Dieterich 43, 126, 201 Stadion-Warthausen, Johann Philipp Carl Timmermann, Joachim 108 Graf von 239 Tischbein, Anton Wilhelm 208 Stahl, Gottfried 173 Tischbein, Johann Friedrich August 147 Stamitz, Carl 217 Tischbein, Johann Heinrich d.Ä. 107, 202, Stanhope, Charles 64 204 Stapfer, Philipp Albert 58 Tischbein, Johann Heinrich d. J. 126 Stark, Johann Christian d.Ä. 141 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 208 Stäudlin, Karl Friedrich 188 Tischbein, Johann Jakob 208 Stedingk, Curt Bogislaus Ludvig Titius, Karl Heinrich 167 Christopher von 67 Trebra, Friedrich Wilhelm Heinrich von Stegmann, Johann Gottlieb 173, 174, 176, 166, 168, 171, 172 202 Treitschke, Heinrich von 242 Stein, Charlotte von, geb. von Schardt 122 Treuttel, Johann Georg 203 Stein, Fritz von 122 Tychsen, Thomas Christian 188 Stein, Georg Wilhelm 140, 141, 142, 246 Stein zum Altenstein, Karl Sigmund Franz Freiherr vom 240 U Steuber, J. Friedrich Adolf 66 Uslar, Julius Heinrich von 239 Stevenson 97 Stierlin, Johann 58 Stockhausen, von 102 V Stolberg, Friedrich Leopold von 184 Valentini, Michael Bernhard 20 Storbeck, Johann Friedrich 222 Vanhal, Johann Baptist 203 Strieder, Friedrich Wilhelm 41, 196, 197, Veltheim, August Ferdinand von 156 198 Veltheim, Friedrich Wilhelm von 194 Suchfort, Johann Andreas 126 Vergeel, Albert A. 171 Sulzer, Johann Caspar 144 Vigée-Lebrun, Elisabeth 121 Szachmari, Stephan 57 Voelkel, Johann Ludwig 44, 46, 121, 248 Széchényi, Ferencz Graf 201 Voght, Elisabeth, geb. Jencquel 231 Széchényi, Juliana Gräfin, geb. Gräfin Voght, Johann Kaspar Heinrich 231 Festetics de Tolna 201 Voigt, Christian Gottlob von 200 Voigt, Johann Carl Wilhelm 14, 171, 173 Volta, Alessandro 52, 144, 233, 246 T Voltaire 83, 150, 196, 198, 203 Talleyrand-Périgord, Alexandre Angélique de 71 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de W 71 Wachsmuth gen. Schwarz, Emanuel 222 Talleyrand-Périgord, Elie Charles Duc de, Wächter, Leonhard (»Veit Weber«) 76 Prince de Chalais, 72 Wadström, Carl Bernhard 235, 236 Talleyrand-Périgord, Marie Charlotte Wagemann, Ludwig Gerhard 126 Duchesse de, Princesse de Chalais 72 Wagener, Samuel Christoph 6, 39, 97, 98, Tarakhovsky, Alexander 252 139, 164 Tarascon, Louis Anastasius 229 Wagner, Richard 52 Tassie, James 48, 148 Wailly, Charles de 217 Taube, Graf 70 Waitz von Eschen 102, 243 Théremin, François Claude 211 Waitz von Eschen, Charlotte Antoinette, Thomée 227 geb. von Schliestedt 102

278 Waldeck und Pyrmont, Albertine Wertheimer, Hermann 218 Charlotte Auguste Prinzessin von, Westphalen, Jérôme König von 34, 67, geb. Prinzessin von Schwarzburg- 218, 221, 247, 250 Sondershausen 80 Wezel, Carl 239 Waldeck und Pyrmont, Christiane Wichelhausen 229 Henriette Fürstin von, geb. Pfalzgräfin Wiebeking, Carl Friedrich 215 von Zweibrücken-Birkenfeld 80, 98, Wiegleb, Johann Christian 169 201 Wieler 227 Waldeck und Pyrmont, Friedrich Fürst Winckelmann, Johann Joachim 205 von 142, 194, 201 Wintzingerode, Georg Ernst Levin von 83 Waldeck und Pyrmont, Georg Prinz von Woge, Daniel 209 80 Wolschowsky, Alois 222 Wallmoden-Gimborn, Johann Ludwig Wolschowsky, Franziska, geb. Kaffka 222 Graf von 22 Wornum, Robert 220 Wangenheim, Philippine Juliane von, geb. Württemberg, Carl Eugen Herzog von 11, Gräfin Eickstedt-Peterswaldt 240 28, 78 Warin 120 Württemberg, Friedrich Eugen Herzog Washington, George 231 von 141 Watt, James 232 Wyttenbach, Daniel 106 Wedel, Otto Joachim Moritz von 81 Wedgwood, Josiah 152 Wedgwood, Josiah II. 152 Y Wedgwood, Thomas 152 Yorke, Philip 3rd Earl of Hardwicke 96 Wehnert, Johann Christian Martin 118 Weidmann, Johann Peter 141 Weigel, Thaddäus 218 Z Weissenborn, Christiana Regina Sophia, Zach, Franz Xaver von 176 geb. Stallforth 142 Zeilinger, Anton 252 Weissenborn, Johann Friedrich 142 Zeis 223 Wepler, Johann Heinrich 188 Zoffany, Johann 97 Werner, Abraham Gottlob 171, 173 Zwehl, Karl Herwig von 183, 184 Wertheim, Emanuel, Edler von Wertheimstein 218

279 Abbildungsnachweis

Arolsen, Fürstlich-Waldecksche Hofbibliothek: Abb. 9 Berlin, Stiftung Stadtmuseum Berlin: Abb. 41 Bremisches Jahrbuch 66, 1988: Abb. 29 Dublin, National Gallery of Ireland: Abb. 71 Edinburgh, National Galleries of Scotland: Abb. 7, 47 Goethezeitportal, http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2556: Abb. 62 Halberstadt, Gleimhaus Halberstadt (Foto: Ulrich Schrader): Abb. 56, 96, 97 Helsingør, Handels- og Søfartsmuseet, Schloss Kronborg: Abb. 110 Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel (Astronomisch-Physikalisches Kabinett, Sammlung Angewandte Kunst, Gemäldegalerie Alte Meister, Antikensammlung, Graphische Sammlung, Volkskundesammlung): Abb. 4, 5, 6, 11, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 24, 25, 32, 46, 48, 49, 53, 55, 57, 60, 81, 84, 92, 94, 99, 100, 105, 103, 112, 114 Kassel, Naturkundemuseum: Abb. 3, 59, 63, 64, 66, 67, 82, 83, 85 Kassel, Stadtmuseum: Abb. 1, 12, 50, 54, 74, 89 Kassel, Universitätsbibliothek, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel: Abb. 2, 8, 10, 13, 70, 88, 93, 95, 113 London, © Trustees of the British Museum: Abb. 26, 73, 77 London, © National Portrait Gallery: Abb. 33, 76, 101 London, Royal Collection Trust/© Her Majesty Queen Elizabeth II 2014: Abb. 51, 52 Marburg, Hessisches Staatsarchiv: Abb. 31, 34, 37, 39, 108 New York, The Frick Collection: Abb. 58 Paris, © Agence photographique de la Réunion des musées nationaux et du Grand Palais des Champs-Elysées, b p k, Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Berlin: Abb. 98 Weimar, Klassik Stiftung Weimar: Abb. 72 Wien, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste: Abb. 40 Washington D. C., Courtesy National Gallery of Art: Abb. 75 Zürich, Münchhausen-Bibliothek: Abb. 27, 28, 35, 69, 78, 79, 80

280 Abb. 14: Grundriss des Museum Fridericianum, Raumfolge Erdgeschoss: A Porticus B Eingangshalle C Vestibül des Treppenhauses D Treppenhaus (1808 abge­ Abb. 15: Grundriss Museum Fridericianum, Raumfolge Obergeschoss: 1 Vestibül 2 und 3 Bibliothek 4 Kupferstichkabinett, Sitzungszimmer der Société des Antiquités brochen) E Galerie der Antiken (zwischen den Säulen: Großplastiken; zwischen den Fenstern: kleinere Statuen; an den Wänden Reliefs) F antike Kleinkunst, Antiken­ 5 Handschriftenzimmer (im Winter beheizbar, hier lag vermutlich das Besucherbuch aus) 6 und 7 Karten und Pläne, Stadtansichten (Piranesi) 8 Verbindungsgang zur rezeption­ (Korkmodelle, Gemmen) G landgräfliche Kunstkammer (Tafelgerät, Vasen, Medaillen, Münzen) H Uhrenkammer I Münzen und Abdrücke geschnittener Sternwarte 9 Sternwarte 10 Raum für experimentelle Physik 11 Raum der Mathematik 12 Raum für optische Instrumente 13 Vorzimmer. Raumfolge Mezzaningeschoss Steine ­K ­Kabinett­ mit Fachliteratur zur Antike L Gang zur Sternwarte M und N Zwehrener Turm – Sternwarte O Galerie der nachantiken Plastik P Naturalien­ über den Seitenflügeln: rechts über den Räumen 4–7, über 4 Wachsfigurenkabinett, über 5 Waffensammlung, Ethnographica, über 6 Porträtsammlung, über 7 Sammlung kabinett – ­Mineralien Q Naturalienkabinett – Tiere (Goethe-Elefant) R Naturalienkabinett – Wasserpflanzen und -tiere S Naturalienkabinett – Insekten, Schmetterlinge von Gebrauchskleidung aus Europa, Asien und Amerika; links über den Räumen 10–13, über 10 und 11 Mechaniksaal mit Modellen von Schleusen, Pumpen, Mühlen, T Mosaiken­kabinett V Treppenhaus eine Drechselbank, über 12 und 13 Sammlung seltener Musikinstrumente Andrea Linnebach Zur Autorin Das Museum Studium der Kunstgeschichte, Empirischen Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft. 1988 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen (Dissertation: Arnold Böcklin und die Antike. Mythos – Geschichte – der Aufklärung und Gegenwart. München 1991). Wissenschaftliche­ Mitarbeiterin u. a. bei den Staatlichen Museen Kassel (jetzt mhk), beim Museum für Sepulkralkultur Kassel, Museum Wiesbaden, Stadtmuseum Kassel, sein Publikum Kulturamt der Stadt Kassel, bei der Universität Kassel und zuletzt beim German Historical Institute London. Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte­ des 18.–20. Jahrhunderts, insbesondere zur Antikenrezeption, Sepulkral­ - im Kontext des historischen Besucherbuches (1769–1796) und Gartenkultur, Museums- und Sammlungs­geschichte, Bildkomik. Das Museum Fridericianum in Kassel verkörpert als erster für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmter Museumsneubau Europas wie keine andere Institution das »Museum der Aufklärung«. In der Kombination von Kunst­

objekten und naturwissenschaftlich-technischen Sammlungs­bereichen mit Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Bibliothek und Sternwarte galt es als ideale Bildungs­einrichtung seiner Zeit. Dass es Forschungs- und Bildungsreisende aus der ganzen Welt anzog, dokumentiert das Besucherbuch, das bereits 1769 für die Vorgänger­ einrichtung, das Kunsthaus im Ottoneum, angelegt worden war. Rund Kasseler ­ Kasseler ­ 14.000 Personen finden sich darin eingetragen – ein sehr vielfältiges­ Publikum, darunter ein Großteil der europäischen Gelehrtenwelt sowie viele Kasseler Beiträge zur Geschichte­ und Landeskunde illustre Namen aus Fürstenhäusern, von Erfindern, Abenteurern und herausgegeben vom Verein für Hessische Geschichte Mätressen, von Regierungsbeamten, Handwerkern, Soldaten oder Bürgers­ Andrea Linnebach Das Museum der Aufklärung und sein Publikum und Landeskunde Kassel 1834 e.V. frauen. Damit ist es nicht nur eine hervorragende Quelle zur Museums­ Zweigverein Kassel geschichte, sondern es zeigt vorzüglich auch die geographische Mobilität in jener Zeit sowie den daraus folgenden Wissens- und Kultur­transfer – z. B. in den europaweiten Handelsverbindungen, in der Emigrations­welle der Revolutions­jahre oder in den Reiserouten und Verflechtungen von Bisher erschienen: Diplomaten, Künstlern und Wissenschaftlern. Das Buch analysiert die Wirkung und den Modellcharakter des Museum Friedrich Frhr. Waitz von Eschen: Parkwege als Wissens­wege. Fridericianum in der internationalen Gelehrtenwelt wie in der allgemeinen Der Bergpark Wilhelmshöhe als natur­wissenschaftliches Bildungsgeschichte und weist auf, welch wichtige und bislang immer noch ­Forschungs­feld der Aufklärung, Kassel 2012 (KBG 1) unterschätzte Rolle Kassel gerade durch dieses Museumspublikum unter Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V. den Zentren der Aufklärung einnahm. Dies wirkte lange nach, wie das Urteil Zweigverein Kassel Christian Presche: Kassel im Mittelalter. Zur Stadtentwicklung von Thomas Hodgskin 1820 bezeugt: »Cassel is ranked, by connoisseurs, as bis 1367, 2 Bände, Kassel 2014 (KBG 2) fourth in the list of the cities of Germany which ought to be visited. Vienna www.geschichtsverein-kassel.de is first, than Berlin, Dresden, Cassel.«

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ISBN 978-3-86219-XXX-X V university press Andrea Linnebach Zur Autorin Das Museum Studium der Kunstgeschichte, Empirischen Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft. 1988 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen (Dissertation: Arnold Böcklin und die Antike. Mythos – Geschichte – der Aufklärung und Gegenwart. München 1991). Wissenschaftliche­ Mitarbeiterin u. a. bei den Staatlichen Museen Kassel (jetzt mhk), beim Museum für Sepulkralkultur Kassel, Museum Wiesbaden, Stadtmuseum Kassel, sein Publikum Kulturamt der Stadt Kassel, bei der Universität Kassel und zuletzt beim German Historical Institute London. Kunsthaus und Museum Fridericianum in Kassel Ausstellungen und Publikationen zur Kunst- und Kulturgeschichte­ des 18.–20. Jahrhunderts, insbesondere zur Antikenrezeption, Sepulkral­ - im Kontext des historischen Besucherbuches (1769–1796) und Gartenkultur, Museums- und Sammlungs­geschichte, Bildkomik. Das Museum Fridericianum in Kassel verkörpert als erster für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmter Museumsneubau Europas wie keine andere Institution das »Museum der Aufklärung«. In der Kombination von Kunst­

objekten und naturwissenschaftlich-technischen Sammlungs­bereichen mit Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Band 3 Bibliothek und Sternwarte galt es als ideale Bildungs­einrichtung seiner Zeit. Dass es Forschungs- und Bildungsreisende aus der ganzen Welt anzog, dokumentiert das Besucherbuch, das bereits 1769 für die Vorgänger­ einrichtung, das Kunsthaus im Ottoneum, angelegt worden war. Rund Kasseler ­ Kasseler ­ 14.000 Personen finden sich darin eingetragen – ein sehr vielfältiges­ Publikum, darunter ein Großteil der europäischen Gelehrtenwelt sowie viele Kasseler Beiträge zur Geschichte­ und Landeskunde illustre Namen aus Fürstenhäusern, von Erfindern, Abenteurern und herausgegeben vom Verein für Hessische Geschichte Mätressen, von Regierungsbeamten, Handwerkern, Soldaten oder Bürgers­ Andrea Linnebach Das Museum der Aufklärung und sein Publikum und Landeskunde Kassel 1834 e.V. frauen. Damit ist es nicht nur eine hervorragende Quelle zur Museums­ Zweigverein Kassel geschichte, sondern es zeigt vorzüglich auch die geographische Mobilität in jener Zeit sowie den daraus folgenden Wissens- und Kultur­transfer – z. B. in den europaweiten Handelsverbindungen, in der Emigrations­welle der Revolutions­jahre oder in den Reiserouten und Verflechtungen von Bisher erschienen: Diplomaten, Künstlern und Wissenschaftlern. Das Buch analysiert die Wirkung und den Modellcharakter des Museum Friedrich Frhr. Waitz von Eschen: Parkwege als Wissens­wege. Fridericianum in der internationalen Gelehrtenwelt wie in der allgemeinen Der Bergpark Wilhelmshöhe als natur­wissenschaftliches Bildungsgeschichte und weist auf, welch wichtige und bislang immer noch ­Forschungs­feld der Aufklärung, Kassel 2012 (KBG 1) unterschätzte Rolle Kassel gerade durch dieses Museumspublikum unter Verein für Hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V. den Zentren der Aufklärung einnahm. Dies wirkte lange nach, wie das Urteil Zweigverein Kassel Christian Presche: Kassel im Mittelalter. Zur Stadtentwicklung von Thomas Hodgskin 1820 bezeugt: »Cassel is ranked, by connoisseurs, as bis 1367, 2 Bände, Kassel 2014 (KBG 2) fourth in the list of the cities of Germany which ought to be visited. Vienna www.geschichtsverein-kassel.de is first, than Berlin, Dresden, Cassel.«

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ISBN 978-3-86219-XXX-X V university press