Einsicht 02 Bulletin des Fritz Bauer Instituts

Fritz Bauer Institut Der Prozess gegen Geschichte und in Jerusalem Wirkung des Holocaust vvonon TTomom SegevSegev Editorial

NS-Prozesse bedeuten für die deutsche Öffentlichkeit weit mehr als juristische Verfahren zum Nachweis individuell zurechenbarer Straftaten. Sie sind so etwas wie ein „Gruppenexperiment“. 1955 hat Friedrich Pollock für das Frankfurter Institut für Sozialforschung einen Studienbericht unter diesem Titel herausgegeben. Grundla- ge bildeten zahlreiche Gruppendiskussionen, die durch einen prä- parierten Reiztext angeregt worden waren. In diesen Diskussionen wurde die ganze Spannbreite politischer Orientierungen und viel- fach geteilter moralischer Gefühle der deutschen Nachkriegsgesell- schaft zum Sprechen gebracht. Das Fritz Bauer Institut soll durch pädagogische und wissen- schaftliche Arbeit über den Holocaust aufklären. Nicht zufällig trägt es den Namen eines der großen jüdischen Staatsanwälte, der in Frankfurt am Main gegen erbitterte Widerstände den aufsehener- regenden Auschwitz-Prozess in Gang gebracht hatte. So haben wir Liebe Leserinnen und Leser, uns entschlossen, in der aktuellen Ausgabe unseres Bulletins den Prozess gegen John Demjanjuk ins Zentrum zu stellen. Wir freuen mit Einsicht 02 halten Sie die zweite uns, dass wir mit Tom Segev, Sara Berger und Angelika Benz drei Ausgabe des Bulletins des Fritz Bauer hervorragende Autorinnen und Autoren zu diesem Thema gewin- Instituts in Händen. Für die zahlreichen nen konnten. Ihre Beiträge fi nden Sie auf den Seiten 16, 24 und 32. positiven Reaktionen, die wir für un- Wenn ein Strafprozess Bestrafung, Schutz der Gesellschaft und sere neue Publikation von Ihnen erhal- Bestätigung der moralischen Grundnormen bezwecken soll, dann ten haben, möchte ich mich bedanken. scheinen mir solche Prozesse für jede Gesellschaft von entschei- Sie sind uns Bestätigung und zugleich dender Bedeutung. Von den ehemaligen Nazis mag für die Gesell- Ansporn, das Heft in Zukunft noch in- schaft kaum mehr eine aktive Gefahr ausgehen. Ob ein Greis heu- teressanter zu gestalten. Wir sind auch te noch verurteilt werden soll, scheint nicht so wichtig. Zentral ist weiterhin gespannt auf Ihre Resonanz. aber, dass eine Gesellschaft – und sei es zur Not erst über 60 Jahre Ich freue mich, dass wir in diesem Herbst mit der Unterstüt- nach dem Verbrechen – mit aller Deutlichkeit die Norm bestätigt, zung des Hessischen Kultusministeriums und der Stadt Frankfurt am dass sie solche Verbrechen nie ungesühnt lässt. Main ein neues Pädagogisches Zentrum eröffnen konnten. In die- sem werden pädagogische Programme entwickelt, die zum einen Prof. Dr. Raphael Gross die Themen des Fritz Bauer Instituts betreffen, genauso aber auch Frankfurt am Main, im September 2009 die Arbeit des Jüdischen Museums Frankfurt am Main. Wir halten es für wichtig, dass solche Programme sich sowohl mit deutsch-jü- discher Geschichte und Kultur wie auch mit dem Holocaust und 521 Seiten ` 35.- ISBN 978-3-86854-212-7 seinen Folgen bis in die Gegenwart hinein beschäftigen. Es ist da- her eine Chance, dass wir durch die enge Zusammenarbeit mit dem Zwischen Herbst 1942 und Frühjahr 1944 bewachten 28 SS-Aufseherinnen die im Konzentrationslager Majdanek Jüdischen Museum nun in der Lage sind, die pädagogische Arbeit des Fritz Bauer Instituts wesentlich zu verbreitern und institutio- inhaftierten Frauen. Ihre Motive, sich als SS-Aufseherin zu bewerben, und die von ihnen ausgeübte alltägliche »Gewalt nell zu verfestigen. Mehr über die Angebote des neuen Zentrums im Dienstalltag« untersucht Elissa Mailänder Koslov anhand von NS-Dokumenten, Zeugenaussagen, Filmen und lesen Sie auf Seite 10. Das Institut hat mit Dmitrij Belkin einen neuen Mitarbeiter ge- Erinnerungsliteratur. Ihre Studie nimmt die Machterfahrung und Selbstermächtigung, die zunehmende Brutalität wonnen. Er wird sich vor allem mit den Folgen des Holocaust für gegenüber den Häftlingen, aber auch die Binnenverhältnisse und Konflikte zwischen den Frauen, das Verhältnis zu die deutsch-jüdische Nachkriegsgeschichte beschäftigen und dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die russisch-jüdischen Einwan- den männlichen Kollegen und das Machtgefüge im Lager in den Blick. derer legen. Wir freuen uns sehr, ihn bei uns zu begrüßen. Eine kur- Die von den SS-Aufseherinnen ausgeübte physische Gewalt war nicht allein von »von oben« befohlen. Auf allen ze Vorstellung seiner Person fi nden Sie auf Seite 90.

Dienstebenen verfügten sie über gewisse Handlungsspielräume und Möglichkeiten, die Anordnungen zu interpre- Foto: Helmut Fricke, Frankfurter Allgemeine Zeitung tieren: Und davon machten sie auch reichlich Gebrauch. Einsicht 02 Herbst 2009 www.Hamburger-Edition.de Inhalt Fritz Bauer Institut im Überblick

Veranstaltungen 37 Wehrmachtsfeindliches Apriori? Kritische Anmerkungen Prof. Dr. Felix Semmelroth Halbjahresvorschau zu apologetischer Literatur über den militärischen (Dezernent für Kultur und Wissenschaft) Widerstand / Christian Streit Für den Förderverein 4 Workshop: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen und 42 »Einen Schlussstrich unter die nationalsozialistische Fritz Bauer Institut e.V. die Öffentlichkeit in Deutschland 1945–1969 Vergangenheit ziehen«. Zur politischen Soziologie eines Brigitte Tilmann (Vorsitzende) Seminar: Entdecken und Verstehen. Bildungsarbeit mit historischen Deutungsmusters / Eike Hennig Herbert Mai (2. Vertreter des Fördervereins) Zeugnissen von Opfern des Nationalsozialismus Für die Johann Wolfgang Goethe- Tagung: Hannah Arendt und die Frankfurter Schule Universität Frankfurt am Main 5 Tagung: Lanzmann und Murmelstein. Erinnerungs- Prof. Dr. Werner Müller-Esterl dokumente im Film aus dem Ghetto Theresienstadt (Präsident der G oethe-Universität) Lehrveranstaltungen und sonstige Veranstaltungen Rezensionen N.N. (2. Vertreter der Universität) Buchkritiken Wissenschaftlicher Beirat 50 Rezensionsverzeichnis: Liste der besprochenen Bücher Prof. Dr. Joachim Rückert (Vorsitzender, Goethe-Universität ) Neuerscheinungen Mitarbeiter und Arbeitsbereiche Prof. Dr. Moritz Epple Aktuelle Publikationen des Instituts Prof. Dr. Raphael Gross (Direktor) (stellv. Vorsitzender, Goethe-Universität) Nachrichten und Berichte PD Dr. habil. Werner Konitzer Prof. Dr. Wolfgang Benz 7 Werner Konitzer, Raphael Gross (Hrsg.): Moralität des Information und Kommunikation (stellv. Direktor, Forschung) (Zentrum für Antisemitismusforschung, Bösen. Ethik und nationalsozialistische Verbrechen Dr. Jörg Osterloh Berlin) 8 Christoph Jahr: Antisemitismus vor Gericht. Debatten Aus dem Institut (Zeitgeschichtsforschung) Prof. Dr. Dan Diner über die juristische Ahndung judenfeindlicher Agitation in 89 Fritz Bauer Archiv / Neuer wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Dmitrij Belkin (Ideen-, Rechts- (Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Deutschland 1879–1960 Aus dem Förderverein und Migrationsgeschichte) Geschichte und Kultur, Leipzig) 9 Marion Imperatori: Als die Kinder in Langen samstags zur 91 Bericht des Vereinsvorstands Werner Renz (Archiv und Bibliothek) Prof. Dr. Atina Grossmann Synagoge gingen. Eine Zeitreise in die Vergangenheit Aus Kultur und Wissenschaft Ronny Loewy (Cinematographie (Cooper Union University, New York) 92 Jüdische Pfl egegeschichte / Gedenkbuch für die Opfer des des Holocaust) Prof. Dr. Volkhard Knigge Nationalsozialismus / Online-Archiv zur Zwangsarbeit / Werner Lott (Digital- und Printmedien: (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald Yad Vashem / Deutsch-israelischer Jugendaustausch / u. a. Information und Kommunikation) und Mittelbau-Dora) Manuela Ritzheim (Verwaltungs- Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber Pädagogisches Zentrum Haupteingang des IG Farben-Hauses auf dem Campus und Projektmanagement) (Sigmund Freud Institut, Frankfurt) Frankfurt am Main Westend der Goethe-Universität. Foto: Werner Lott Dr. Katharina Rauschenberger Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp (Projekt koordination) (Heinrich-Heine -Universität Düsseldorf) 10 Pädagogisches Zentrum eröffnet: Jüdische Geschichte und Ausstellungsangebote Das Fritz Bauer Institut ist eine interdis- Sarah Dellmann (Sekretariat) Krystyna Oleksy Gegenwart, Geschichte und Nachgeschichte des Holocaust Wanderausstellungen des Instituts ziplinär ausgerichtete, unabhängige For- (Museum Auschwitz- Birkenau) 12 Angebote und Beratung, Fortbildungen, Studientage zum schungs- und Bildungseinrichtung zur Mitarbeiter des Pädagogischen Zentrums Prof. Dr. Walter H. Pehle Auschwitz-Prozess und zum Norbert Wollheim Memorial 97 Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung Geschichte der nationalsozialistischen Mas- Gottfried Kößler (S. Fischer Verlag, Frankfurt) der Juden in Hessen 1933–1945 senverbrechen, insbesondere des Holocaust, (stellv. Direktor, Pädagogik) Prof. Dr. Peter Steinbach 98 Ein Leben aufs neu. Das Robinson-Album / Die IG Farben und ihren Folgen bis in die Gegenwart. Es Dr. Wolfgang Geiger (Universität Karlsruhe) und das Konzentrationslager Buna/Monowitz trägt den Namen des ehemaligen hessischen Monica Kingreen Prof. Dr. Michael Stolleis Generalstaatsanwalts Fritz Bauer. Manfred Levy (Goethe- Universität Frankfurt) Einsicht Am 11. Januar 1995 wurde das Institut vom Dr. Martin Liepach Forschung und Vermittlung Land Hessen, der Stadt Frankfurt am Main Rat der Überlebenden des Holocaust und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. Stiftungsrat Trude Simonsohn (Vorsitzende), 16 »Der Fall ist abgeschlossen, aber unvollendet«. Der Prozess Publikationen als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben Für das Land Hessen Sigmund Freund, Inge und Dr. Heinz gegen John Demjanjuk in Jerusalem / Tom Segev Verzeichnis der lieferbaren Titel gerufen. Seit Herbst 2000 ist das Institut mit Roland Koch (Ministerpräsident) Kahn, Dr. Siegmund Kalinski, 24 NS-Prozesse gegen Personal der Vernichtungslager der der Johann Wolfgang Goethe-Universität Eva Kühne-Hörmann Prof. Dr. Jiří Kosta, Imo Moszkowicz, »Aktion Reinhardt« / Sara Berger 99 Jahrbuch / Wissenschaftliche Reihe / Schriftenreihe u. a. assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben- (Ministerin für Wissenschaft und Kunst) Katharina Prinz, Dora Skala, Tibor Wohl 32 Von Ausbildern und Handlangern. Der Spagat zwischen Haus auf dem Campus Westend in Frankfurt Für die Stadt Frankfurt am Main Schuld und Rechtsprechung / Angelika Benz am Main. Petra Roth (Oberbürgermeisterin)

2 Einsicht 02 Herbst 2009 3 Veranstaltungen Halbjahresvorschau

wie die Häftlinge und Verfolgten den Op- Liliane Weissberg am Fritz Bauer Institut. nen Eingang in SHOAH und liegt im United des Volkes als einer homogenen Einheit, ferstatus durch individuelle und kollektive Liliane Weissberg ist Christopher H. States Holocaust Memorial Museum unge- Vorstellungen von »Führertum« und »Die- Selbstbehauptung zu durchbrechen suchten. Browne Distinguished Professorin für schnitten vor. nen«, Idee der Kameradschaft) als prak- Ebenso verdeutlichen sie Mechanismen des Kunst und Wissenschaft und Professorin Gezeigt werden Ausschnitte aus dem tische Einstellungen analysiert werden. Me- totalitären nationalsozialistischen Unterdrü- für Germanistik und vergleichende Litera- über elfstündigen Gespräch. Eine intensive thodisch leitend soll dabei die Frage sein: ckungsapparates. turwissenschaft an der University of Penn- Auseinandersetzung mit der Rolle Murmel- Wieweit lässt sich nationalsozialistische Das dritte Seminar der Reihe bietet ein sylvania. Im Sommersemester 2009 war steins, mit seiner Wirkung nach 1945, wie Ideologie mit den Mitteln praktischer Phi- Programm, das den interdisziplinären Aus- sie Gastprofessorin am Fritz Bauer Insti- sie sich im Film niederschlägt, werden hier losophie interpretieren und darstellen? Wie tausch in der Arbeit mit diesen künstle- tut in Frankfurt am Main. In diesem Rah- Gegenstand des Gesprächs sein. Darüber hi- unterscheiden sich die Begriffe »Kamerad- rischen Zeugnissen anregt und auf die pä- men führte sie an der Goethe-Universität ein naus werden zwei NS-Filme über Theresi- schaft«, »Dienst«, »Ehre« usw. von dem tra- dagogische Praxis ausgerichtet ist. Nach Seminar durch zum Thema »Ist das Böse enstadt, Fragmente aus dem Jahr 1942 und ditionellen, »harmlosen« Gebrauch in der einführenden wissenschaftlichen Vorträgen banal? Hannah Arendt und der Eichmann- aus dem Jahr 1944, vorgeführt. Dieses di- klassischen Ethik? Schließlich: Kann man stehen die Arbeitsgruppen mit der Vermitt- Prozess«, in dem sie sich mit der Philoso- vergierende Material soll helfen, eine tie- hier von Ethik oder Moral sprechen? Umge- lung, Erprobung und Diskussion didak- phie Arendts beschäftigte, ihrer Studie zum fere Kenntnis über das Leben im Ghetto kehrt: Wie stellen sich die zentralen Begriffe tischer wie methodischer Ansätze im Mit- Eichmann-Prozess sowie den Reaktionen Theresienstadt zu erhalten. Zudem führt es des NS dar, wenn man sie als ethische Be- Workshop Seminarreihe telpunkt. Die Veranstaltung richtet sich bun- auf ihr Buch. zu den Fragen des Films als Träger von Er- griffe interpretiert? Und was bedeutet eine desweit an Lehrkräfte und Lehramtsstudie- Die Tagung zu »Hannah Arendt und die innerungsmaterial. Welche Arten von Er- solche Analyse für unsere heutige Auseinan- Die Strafverfolgung von Entdecken und Verstehen rende, insbesondere der Fächer Deutsch, Frankfurter Schule« soll die Diskussionen innerungen werden hier gepfl egt, welche dersetzung mit dem Nationalsozialismus? NS-Verbrechen und Bildungsarbeit mit Geschichte und Musik sowie Multiplika- der Lehrveranstaltung mit dem Thema der Funktionen hatten die jeweiligen Filme? die Öffentlichkeit in Zeugnissen von Opfern toren/innen aus der Bildungsarbeit. Ausstellung in Beziehung setzen. In der Tagung werden Filme und Film- ausschnitte gezeigt, die von Experten inter- Deutschland 1945–1969 des Nationalsozialismus Kontakt pretiert und diskutiert werden. Lehrveranstaltung Dagi Knellessen, Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, Lindenstraße 20–25, 10969 Berlin 30. und 31. Oktober 2009 Seminar 3: Bildzeugnisse und Musik Internationale Tagung Das aktuelle Programm der Tagung mit Terminen Tel.: 030.695 982-47, [email protected] Selbstzeugnisse als Quellen im Hannah-Arendt-Institut, Dresden Freitag, 20. und Samstag, 21. November 2009 und Ortsangaben fi nden Sie auf unseren Websites: Anmeldung, das Seminarprogramm und weitere Ein Workshop des Hannah-Arendt-Instituts für KA EINS im Ökohaus, Kasselerstraße 1a, www.deutsches-fi lminstitut.de für die Geschichte des Informationen unter: Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden 60486 Frankfurt am Main Lanzmann www.juedischesmuseum.de www.bildungsarbeit-mit-zeugnissen.de »Dritten Reiches« in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut. Veranstaltet von der Stiftung »Erinnerung, und Murmelstein www.fritz-bauer-institut.de Organisation: Dr. Clemens Vollnhals (HAIT), Verantwortung, Zukunft«, Berlin Erinnerungsdokumente Dr. Jörg Osterloh (Fritz Bauer Institut) in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut. Dr. Jörg Osterloh, Übung, 20. Oktober 2009 im Film aus dem bis 9. Februar 2010, Dienstag, 10.00–12.00 Uhr Die Veranstaltung zielt auf Opfer des Nationalsozialis- Internationale Tagung Lehrveranstaltung Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Ghetto Theresienstadt Westend, IG Farben-Haus, Raum 3.501; Institutionen: eine Analyse der öffent- mus haben in vielfältigen Fritz Bauer Institut und Historisches Seminar lichen Wirkungen der Strafverfolgung von Formen eindrucksvoll Zeugnis abgelegt – Hannah Arendt und 10. März bis 12. März 2010 »Zucht und Ordnung« NS-Verbrechen in Deutschland 1945–1969. in Wort, Schrift, Bild und Musik. Die Semi- die Frankfurter Schule Internationale Tagung des Deutschen Filminstituts Zur Ethik im NS Die Beiträge nehmen die Entwicklung in narreihe hat das Ziel, verschiedene Zeugnis- und des Jüdischen Museums Frankfurt in Kooperation Der »Zeitzeuge« prägt zu- mit dem Fritz Bauer Institut West und Ost in den Blick: Wie sah die Me- formen als Quellen der Erfahrungsgeschich- nehmend das Geschichts- dienberichterstattung aus, wie reagierten et- te zu würdigen und Wege aufzuzeigen, wie Montag, 11. Januar 2010, 10.00 bis 18.00 Uhr PD Dr. Werner Konitzer, Proseminar, 14. Oktober bild in den Massenmedien, vermittelt er den wa die Parteien und die Kirchen? sie in die schulische und außerschulische Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Der Filmregisseur Claude 2009 bis 10. Februar 2010, Mittwoch, 10.00–12.00 Zuschauern, Hörern und Lesern doch das 15 Referentinnen und Referenten wer- Bildungsarbeit einbezogen werden kön- Bockenheim, Aula im Jügelhaus, Mertonstraße 17–21, Lanzmann drehte im Rah- Uhr, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Bild »erlebter Geschichte«. Selbstzeugnisse 60325 Frankfurt am Main. Eine Veranstaltung des Westend, IG Farben-Haus, Raum 4.401; Institutionen: den auf dem Workshop den Bogen von den nen. Nach den Seminaren in Berlin (»Zeit- Fritz Bauer Instituts in Kooperation mit dem Jüdischen men der Arbeit an seinem epochalen Werk Fritz Bauer Institut und Institut für Philosophie – also vor allem Autobiografi en, Tagebücher Reaktionen auf den Lüneburger Bergen- zeugeninterviews, Werkstatt der Kulturen«) Museum Frankfurt, unter der Leitung von Prof. Dr. SHOAH in Rom ein langes und beeindru- und Interviews – sind freilich auch wichtige Belsen-Prozess bis hin zum Verfahren ge- und Leipzig (»Schriftliche Zeugnisse und Liliane Weissberg (University of Pennsylvania). ckendes Gespräch mit dem Wiener Rabbi- Quellen für Historiker. In der Lehrveranstal- gen den KZ-Arzt Horst Fischer in der DDR Theater«) werden in Frankfurt »Bildzeug- ner Benjamin Murmelstein (1905–1989). Im In einer genauen und einge- tung soll anhand von Selbstzeugnissen aus spannen. Eine Publikation der Beiträge ist nisse und Musik« thematisiert. Finnissage der Ausstel- Zentrum stand Murmelsteins ambivalente henden Lektüre eines ein- der und über die Zeit des »Dritten Reiches« geplant. Der Zugang über Bildzeugnisse (Häft- lung des Jüdischen Muse- Rolle als hochrangiger jüdischer Funkti- zigen Textes (Georg Usadel, »Zucht und der kritische Umgang mit dieser Quellen- lingszeichnungen und Fotos) und Musik er- ums Frankfurt am Main »Die Frankfurter onär der von Eichmann kontrollierten Is- Ordnung, Grundlagen einer nationalsozia- gattung geübt werden. Unter anderem soll Kontakt öffnet aufgrund jüngster Forschungsergeb- Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach raelitischen Kultusgemeinde Wien in der listischen Ethik«) sollen wesentliche Grund- der Blick den Tagebüchern des Dresdner Fritz Bauer Institut, Jörg Osterloh nisse neue Aspekte der Vermittlung über das Deutschland«. Internationale Tagung zum NS-Zeit und als »Judenältester« des Ghet- züge der nationalsozialistischen Ideologie Romanisten Victor Klemperer, des Staats- Tel.: 069.798 322-35, [email protected] Innenleben der Lager, die darauf verweisen, Abschluss der Gastprofessur von Prof. Dr. tos Theresienstadt. Das Material fand kei- (Rassismus, Idee der Züchtung, Vorstellung sekretärs im Auswärtigen Amt Ernst von

4 Veranstaltungen Einsicht 02 Herbst 2009 5 Neuerscheinungen Aktuelle Publikationen des Instituts

Weizsäcker und des Chefpropagandisten des Einschnitte für die jüdischen Familien durch der außerschulische Lernort Museum in ei- anstaltet hat, unterstützt von den Freunden NS-Regimes Joseph Goebbels gelten. Teil- die NS-Verfolgung beschreibt, wird vorge- nen handlungsorientierten Unterricht inte- und Förderern der Johann Wolfgang Goe- nahmevoraussetzung ist die Bereitschaft, stellt. Weitere Möglichkeiten der Annähe- griert werden kann und welche Rolle da- the-Universität. eine Quelle im Rahmen eines Referats zu rung für ältere Grundschulkinder an diese bei Vermittlungsstrategien und Sinnerfah- interpretieren und eine kurze schriftliche Themen, wie beispielsweise das Gedenk- rung spielen. Exemplarisch wird an ausge- Aus der Einleitung der Herausgeber Ausarbeitung hierzu zu verfassen. Die projekt »Stolpersteine«, werden kritisch wählten, für den Geschichtsunterricht rele- »Das Jahrbuch 2009 des Fritz Bauer Instituts Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt. An- refl ektiert. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt vanten Stationen der jüdischen Geschichte behandelt ein Thema, das uns, die Heraus- meldungen ausschließlich per Mail an: auf 30 Personen. Persönliche Voranmeldung der schülergemäße Zugang erarbeitet. Lei- geber, persönlich seit ungefähr zehn Jahren [email protected] ist erforderlich. Leistungsnachweis: Präsen- stungsnachweis: Präsentation im Seminar intensiv beschäftigt: das Verhältnis von Nati- tation im Seminar und Hausarbeit. und Hausarbeit. onalsozialismus und Moral. Unser Ausgangs- Einführende Literatur punkt war dabei die Beobachtung, dass sich Dagmar Günther: »›And now for something complete- in Deutschland bis in die Gegenwart hinein ly different‹. Prolegomena zur Autobiographie als ein Echo dessen vernehmen lässt, was wir Quelle der Geschichtswissenschaft«, in: Historische Zeitschrift, 272 (2001), S. 25–61; Volker Depkat: »Au- Lehrveranstaltung Buchvorstellung und Diskussion mit dem Arbeitstitel ›NS-Moral‹ bezeich- tobiographie und die soziale Konstruktion von Wirk- nen möchten. Von der Diagnose, der sicher lichkeit«, in: Geschichte und Gesellschaft, 29 (2003), Arbeitsfeld Museum Hitler besiegen Werner Konitzer, Raphael Gross (Hrsg.) Adorno sprach von einem viele zustimmen können, dass der National- S. 441–476. Die Inszenierung Warum Israel sich endlich neuen kategorischen Impe- sozialismus bis heute Folgen für die deutsche jüdischer Geschichte vom Holocaust lösen muss Moralität des Bösen rativ nach Auschwitz – der Holocaust er- Gesellschaft hat, zu einer methodischen Er- Ethik und national- fordert demnach eine veränderte Ethik und fassung dieses Vorgangs auf der Ebene ei- Lehrveranstaltung sozialistische Verbrechen Moral. Wie soll die gegenwärtige Moral- ner Mentalitäts- oder Moralgeschichte ist Dr. Martin Liepach und Dr. Katharina Avraham Burg im Gespräch mit Micha Brumlik philosophie auf die historische Erfahrung es allerdings in vielfacher Hinsicht ein wei- Jüdisches Leben und Rauschenberger, Übung, Einführungsveranstaltung: Montag, 26. Oktober 2009, 19.00 Uhr, Goethe- des Holocaust reagieren? Können mora- ter Weg. Im vorliegenden Band versuchen 9. November, 16.00 bis 18.00 Uhr, Goethe-Universität Universität, Campus Westend, Casino-Gebäude am lische Grundsätze eine Folge historischer wir erstmals, einige methodische Zugänge Verfolgung in der NS-Zeit Frankfurt am Main, Campus Westend, Casino- IG Farben-Haus, Raum 1.801. Eine Veranstaltung des als zwei unterschiedliche Gebäude am IG Farben-Haus, Raum 1.802; Campus Verlags und des Fritz Bauer Instituts. Erfahrung sein? Im neuen Jahrbuch werden zu diesem Thema vorzustellen und den the- Blockseminar: 14./15. November und 28./29. Die Veranstaltung fi ndet in englischer Sprache statt. diese Fragen zur Diskussion gestellt. Da- oretischen Überlegungen ausgewählte histo- Themen im Unterricht November 2009 im Jüdischen Museum Frankfurt, Der Eintritt ist frei. neben wird verdeutlicht, wie die national- rische Fallstudien an die Seite zu stellen. Alle Untermainkai 14/1; Institutionen: Fritz Bauer Institut sozialistischen Verbrechen durch Versatz- hier versammelten Beiträge beschäftigen sich der Grundschule und Historisches Seminar Avraham Burg wurde 1955 stücke moralischer und ethischer Theorien mit der bisher weitgehend übersehenen Tat- Monica Kingreen, Seminar, 22. Oktober 2009 als Sohn eines deutschen gerechtfertigt wurden, etwa in Konzepten sache, dass der Nationalsozialismus als poli- bis 11. Februar 2010, Donnerstag, 14.00–16.00 Uhr Die Übung ist an Magister- Holocaust-Überlebenden in Jerusalem ge- von Carl Schmitt und Martin Heidegger. tisch-ideologische und gesellschaftliche Strö- Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus West- und Lehramtsstudenten ge- boren. Er war Berater von Schimon Peres, Die Beiträge zeigen, inwiefern man von mung sich zur Durchsetzung seiner schreck- end, IG Farben-Haus, Raum 3.401; Institutionen: Fritz Bauer Institut und Seminar für Didaktik der Geschichte richtet. Für Magisterstudenten liefert sie Vorsitzender der Jewish Agency und viele einer nationalsozialistischen Moral spre- lichen Ziele vor allem ›moralisch‹ positio- einen Einblick in ein mögliches späteres Be- Jahre Sprecher der Knesset. Anhand sei- chen kann und welche Echos dieser beson- niert hat. Die Schlüsselbegriffe nationalsozia- rufsfeld. Fragen der musealen Kommunika- ner bewegenden Familiengeschichte un- deren Moral sich bis in die Gegenwart ver- listischer Ideologie und Rhetorik entstammen In diesem Seminar wer- tion werden in der Veranstaltung themati- terstreicht Burg seine leidenschaftliche Vi- Jahrbuch 2009 zur Geschichte und Wirkung nehmen lassen. fast allesamt dem Bereich der moralischen den die Möglichkeiten und siert. Dabei stehen Präsentationen von Ob- sion eines universelleren und mensch- des Holocaust, Band 13 Die meisten der in diesem Jahrbuch Tugendkataloge: Treue, Anständigkeit, Ka- Grenzen ausgelotet, mit älteren Grundschul- jekten, ihre Auswahl und ihre Einbettung in licheren Judentums: Trotz der großen Be- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2009, veröffentlichten Beiträge sind im Kontext meradschaft, Loyalität, Ehre etc. In welcher 272 S., EAN 978-3-593-39021-5, € 29,90 kindern jüdisches Leben in Vergangenheit ein Narrativ im Mittelpunkt der Betrachtung deutung des Erinnerns an die Opfer sei es zweier Veranstaltungen entstanden, die Weise wir diese NS-interne Perspektive bei und Gegenwart sowie die Verfolgung der und führen zu Fragen der Geschichtsherme- Zeit, dass Israel das Trauma des Holocaust Mit Beiträgen von: Rolf Zimmermann, Wolfgang Werner Konitzer und Raphael Gross zum unserer historischen Analyse des NS-Staates Juden in der NS-Zeit zu thematisieren. Ein- neutik im Allgemeinen. Es wird darum ge- überwindet und zu einem neuen Selbstver- Bialas, Ernst Tugendhat, Herlinde Pauer-Studer, Verhältnis von Moral und Nationalsozialis- und seiner Auswirkungen auf die Gegenwart schlägige hilfreiche Kinderbücher werden hen, verschiedene Objektgruppen kennen- ständnis findet, das auf Freiheit und De- Werner Konitzer, Raimond Gaita, Gesine Schwan, mus durchgeführt haben: die Tagung »Mo- berücksichtigen müssen, um das verbreche- Christian Strub, Micha Brumlik, Emmanuel Faye, vorgestellt und kritisch betrachtet. Meh- zulernen, die Mehrdimensionalität von Ob- mokratie beruht. Mit seinem Erscheinen in Matthias Lutz-Bachmann und Raphael Gross. ral im Nationalsozialismus«, die im Som- rische Potenzial der NS-Ideologie, ihre An- rere Exkursionen zu Stätten Frankfurter jekten zu erfassen und sich die Perspektiven Israel 2007 löste Burgs Buch Hitler besiegen. mer 2002 am Hamburger Institut für Sozi- ziehungskraft auf die deutsche Bevölkerung jüdischen Lebens heute und in der Vergan- zu vergegenwärtigen, die durch die Präsen- Warum Israel sich endlich vom Holocaust Abonnement: Das Jahrbuch erscheint mit Unterstüt- alforschung stattfand, und die Ringvorle- und ihre Tradierung bis in die Nachkriegszeit genheit sind ebenso vorgesehen wie die Be- tation im Museum eingenommen werden. lösen muss heftige Debatten aus. Die von zung des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. sung »Von der Moralität des Bösen«, die hinein zu begreifen, darauf versuchen die in gegnung mit einem Zeitzeugen. (Bitte hier Lehramtsstudenten erwerben im Rahmen Ulrike Bischoff übersetzte deutschsprachige Mitglieder des Fördervereins können das Jahrbuch das Fritz Bauer Institut 2008/09 gemein- diesem Buch veröffentlichten Beiträge Ant- zum reduzierten Mitgliederpreis von € 23,90 im etwas mehr Zeit einplanen.) Ein Kinder- der Veranstaltung Methodenkompetenz Ausgabe liegt nun im Campus Verlag vor. Abonnement beziehen. (Der Preis bezieht sich auf sam mit dem Institut für Philosophie und in worten zu geben.« stadtführer zum früheren jüdischen Leben im Umgang mit außerschulischen Lernor- das aktuelle Jahrbuch 2009, inkl. Versandkosten.) Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung in einer hessischen Kleinstadt, der auch die ten. Die angehenden Lehrer erfahren, wie an der Goethe-Universität in Frankfurt ver-

6 Veranstaltungen Einsicht 02 Herbst 2009 7 Christoph Jahr die NS-Zeit, in der die Judenfeindschaft als Marion Imperatori Langener Synagoge wird klar, dass es sich gesellschaftliche Norm etabliert wurde und bei den bis dahin vorgestellten Menschen NEU bei Antisemitismus vor Gericht im Völkermord endete; zweitens die zen- Als die Kinder um jüdische Familien handelt. Die Einwei- Campus Debatten über die trale Rolle, die dem Staat hierbei als Po- in Langen samstags hung der Synagoge 1902 als festliches Er- juristische Ahndung juden- lizist und Lehrer gleichermaßen zugemes- zur Synagoge gingen eignis des ganzen Ortes ist rückblickend sen wird. Die deutsche Debatte über den in der Erzählung eines Großvaters für sei- feindlicher Agitation in Rechtsextremismus ist, wie Christoph Men- Eine Zeitreise in die ne Enkelin eingebunden. Historische Fotos Deutschland (1879–1960) ke in Bezug auf die Fremdenfeindlichkeit Vergangenheit und Dokumente aus Langen sind ein wich- feststellte, in hohem Maße »ein Diskurs im tiger Teil des Stadtführers. Ebenso sind ver- Namen des Staates«, in dem sich die Vor- schiedene jüdische Fest- und Feiertage so stellung widerspiegelt, dass sich ein gesell- geschildert, dass sie als lebendiger Teil des schaftliches Phänomen nicht zuletzt mit ju- Lebens der eingeführten Personen vorstell- ristischen Mitteln steuern lasse. bar werden. Die Diskussion, wie Rechtsextremis- In einem zweiten Teil, »Mit den Na-

Sept. 2009 mus zu bekämpfen sei, hat aber eine lange zis wurde alles anders«, folgt in Form eines 246 Seiten 11 Abb. Tradition. Christoph Jahr untersucht in sei- Rückblicks – nun in der Vergangenheits- € 24,90 ner im Juli 2006 an der Philosophischen Fa- form erzählt – der Bericht über den Natio- ISBN 978-3- 593-39022-2 kultät der Humboldt-Universität zu Berlin nalsozialismus und die Geschehnisse in der

eingereichten Habilitationsschrift, die jetzt NS-Zeit insbesondere im Blick auf die jü- !.$2%!3Ö%.'7%24Ö als Band 16 der Wissenschaftlichen Reihe dischen Familien Langens. In diesem zwei- 353!..%Ö+),,Ö(' des Fritz Bauer Instituts im Campus Ver- ten Teil kann man den Lebenspuren der jü- Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, lag erschienen ist, wie zwischen 1879 und Pädagogische Materialien, Nr. 9 dischen Familien folgen. Dabei bleibt die 3/.$%2:­'%ÖÖ Band 16 (Erscheinungstermin: 8. Februar 2010) Kinderstadtführer zum Jüdischen Leben und zur 1960 antisemitische Diffamierungen geahn- Darstellung immer an das Leben der schon ).Ö$%.Ö4/$ Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2009, det wurden. Welche Reaktionen löste die je- NS-Verfolgung. Materialien für die pädagogische aus dem Jahr 1930 bekannten jüdischen Fa- ca. 450 S., EAN 978-3-593-39058-1, € 39,90 Arbeit in der 4. bis 6. Klasse $)%Ö$%0/24!4)/.%.Ö-)4Ö$%2Ö weilige Ahndung in der Gesellschaft aus? milien gekoppelt. So werden die verschie- Frankfurt am Main, Fritz Bauer Institut, 2009, 76 S., $%543#(%.Ö2%)#(3"!(. Erkennbar wird, dass antisemitische Agita- ISBN 978-3-932883-23-1, € 5,– denen Stufen der Diskriminierung, Entrech- %).%Ö$/+5-%.4!4)/.Ö$%2ÖÖ Die Welle rechtsradikaler tion mal als Straftat wahrgenommen wurde, Zu bestellen bei der Karl Marx Buchhandlung in tung und Verfolgung sowie die Flucht vie- $%543#(%.Ö"!(.Ö!' Gewalt, die im Frühjahr mal lediglich moralische Empörung nach Frankfurt am Main, [email protected] ler Familien, die Vorgänge des November- Oktober 2009 2000 durch Deutschland ging, belebte aufs sich zog. Im Nationalsozialismus war an- pogroms wie auch schließlich die Depor- Ca. 600 Seiten Die Deutsche Reichsbahn war mit Ca. € 68,– Neue die Diskussion darüber, mit welchen tisemitische Agitation sogar das normativ Dieser »Kinderstadtfüh- tation und Vernichtung auf der Basis der der Deportation zahlloser Menschen ISBN 978-3- Mitteln Staat und Gesellschaft dieser Be- erwünschte Verhalten. Christoph Jahr be- rer zum Jüdischen Leben historischen Quellen vorstellbar gemacht. 593-37514-4 beauftragt und damit unmittelbar drohung des öffentlichen Friedens, der de- leuchtet außerdem, inwieweit es notwen- und zur NS-Verfolgung« in der hessischen Den Schluss bildet eine kurze Darstellung am Holocaust beteiligt. Diese mokratischen Ordnung und der Menschen- dig bzw. erwünscht schien, die angefein- Kleinstadt Langen realisiert ein innovatives, der Bemühungen der Stadt Langen um die Dokumentation der Deutschen würde wirkungsvoll begegnen könnten. dete Bevölkerungsgruppe vor Angriffen zu einfaches und einleuchtendes Konzept zur Erinnerung an die Verbrechen wie auch des Bahn – auch Begleitpublikation zur Nicht zuletzt in der folgenden Debatte um schützen, und wenn ja, warum und mit wel- Vermittlung deutsch-jüdischer Regionalge- öffentlich wahrnehmbaren gegenwärtigen gleichnamigen Wanderausstellung – das – letztlich gescheiterte –Verbotsverfah- chen Mitteln das geschehen sollte. schichte. Er besteht aus zwei Teilen: jüdischen Lebens in der Stadt Frankfurt. erinnert an das unermessliche Leid, ren gegen die NPD erschienen die rechts- Mit einer »Zeitreise« in das Jahr 1930 Hinweise von Monica Kingreen für Lehr- dass Kindern, Frauen und Männern extremistische Gewalt und die ihr voraus- PD Dr. Christoph Jahr, geb. 1963, der- führt der Kinderstadtführer seine Leser kräfte und andere Erwachsene zum Kinder- zugefügt wurde. gehende Propaganda entweder primär als zeit Inhaber einer Lehrdozentur zur euro- durch eine Stadt in Hessen, deren Alltag von stadtführer und zur Auseinandersetzung äl- Straftat oder als moralischer und politischer päischen und deutschen Geschichte des christlichen und jüdischen Bürgern gemein- terer Grundschüler (Klasse 4–6) mit der NS- ÖÖ3ÖÖ37 !""Ö5ÖÖ Skandal. Entsprechend unterschiedlich lau- 19. und 20. Jahrhunderts am Historischen sam gestaltet wurde. Religiöse Unterschiede Zeit schließen den Band ab. Die Publikation Ö&!2"Ö!""Ö'"ÖÖ8ÖÖ--Ö ÕÖ Ö;$=ÖÖ)ÖÖÕÖ Ö;!=Ö Sept. 2009 ten auch die Antworten auf die Frage, wie Seminar der Universität Heidelberg. wurden dabei respektiert, und die Trennung wurde gefördert durch das Leo Baeck Pro- 445 Seiten dieser Extremismus zu bekämpfen sei: Aus Publikationen: Gewöhnliche Soldaten. von Synagoge und Kirche war selbstver- gramm »Jüdisches Leben in Deutschland – )3".Ö     € 39,90 ISBN 978-3- konservativer Sicht empfi ehlt man primär Desertion und Deserteure im deutschen ständlich. In einem »erzählten« Gang durch Schule und Fortbildung«. 593-39035-2 Repressalien und Prävention, aus liberaler und britischen Heer 1914–1918, Göttingen die Straßen des Stadtkerns werden auf der Perspektive vor allem Erziehung und Auf- 1998; Die Berliner Universität in der NS- Zeitebene des Jahres 1930 einzelne Fami- klärung. Das Forderungspaket aus Partei- Zeit, Stuttgart 2005 (Mitherausgeber). lien als handelnde Subjekte und als Teil des 777"/%(,!5$% www.campus.de verbot und Gemeinschaftskundeunterricht Alltagsleben in Langen vorgestellt. Erst in umfasst zweierlei: erstens den Rückgriff auf der später folgenden Erzählung über die

8 Neuerscheinungen Einsicht 02 Herbst 2009 9 Pädagogisches Zentrum Frankfurt am Main

und seinem Nachwirken zu unterscheiden, Kontakt Dr. Wolfgang Geiger, Lehrer für Geschichte te in der Migrationsgesellschaft. Er refl ek- die von den Verbrechen des Nationalsozia- Mitarbeiter/-innen und und Französisch an Gymnasien, Fachvorsit- tiert dabei die Herausforderungen, die mit lismus und den daran mitwirkenden Täter- ihre Arbeitsschwerpunkte zender Geschichte an der Dreieichschule in dem Anspruch verbunden sind, historisches gruppen handelt. Langen, Gymnasium des Kreises Offenbach. Lernen über Nationalsozialismus und Ho- Beide Themenfelder bedürfen unter- Wolfgang Geiger untersucht die Dar- locaust mit der Vermittlung demokratischer schiedlicher pädagogischer Vermittlungsan- Das Pädagogische Zentrum stellung von Juden in Geschichtsschulbü- Werte und Spielregeln zu verbinden. Gott- gebote sowohl für Schülerinnen und Schü- des Fritz Bauer Instituts und chern und auf Websites. Ihn interessiert fried Kößler berät und unterstützt Anfragen ler als auch für Erwachsene. Die Erfahrungen des Jüdischen Museums Frankfurt ist täglich die Tradierung antijüdischer und antise- zur pädagogischen Arbeit mit Medien, Zeit- und Angebote des Jüdischen Museums und zwischen 10.00 und 16.00 Uhr erreichbar. mitischer Stereotype durch in Schulen be- zeugen und Gedenkstätten. Er nimmt Lehr- des Fritz Bauer Instituts werden in dem neuen Für längere Beratungsgespräche können nutztes Unterrichtsmaterial. Dazu gehö- aufträge wahr am Seminar für die Didaktik Zentrum fortgeführt. Fachlehrer für die Fä- Termine vereinbart werden. Schulinterne ren die Behauptung der besonderen Affi ni- der Geschichte der Johann Wolfgang Goe- cher Geschichte, Deutsch und Politik entwi- Fortbildungen können ebenfalls individuell tät von Juden zu Geldgeschäften sowie die the-Universität. ckeln für das neue Zentrum spezifi sche An- vereinbart und geplant werden. unhistorische Darstellung des Nahostkon- gebote. Das Pädagogische Zentrum bietet re- Die Kosten für Lehrgänge richten sich fl iktes in deutschen Schulbüchern. Er un- Manfred Levy, Haupt-, Real- und Förder- gelmäßig Lehrerfortbildungen an und stellt nach Gruppengröße, Teamer-Anzahl und terrichtet jüdische Geschichte seit der Anti- schullehrer für Englisch und Politik, erst Pädagogisches Zentrum eröffnet neuartiges Unterrichtsmaterial bereit. Darü- nach der Entfernung von Frankfurt am ke. Besonderes Interesse hat er an der Ge- an der I.E. Lichtigfeld-Schule (staatlich an- Jüdische Geschichte und Gegenwart ber hinaus ist es Anlaufstelle für Beratungen Main. Für hessische Schulen finden Be- schichte des Antisemitismus und des Rassis- erkannte Privatschule mit Förderstufe) in Geschichte und Nachgeschichte des Holocaust zur Vermittlung der Themen in schulischen ratungen und schulinterne Fortbildungen mus in Europa. Er ist Lehrbeauftragter am Frankfurt am Main, aktuell an der Carlo- und außerschulischen Bildungseinrichtungen. kostenfrei statt. Seminar für Didaktik der Geschichte und Mierendorff-Schule (Integrierte Gesamt- Methodische Fragen der Vermittlung der jü- Das Pädagogische Zentrum des Fritz am Historischen Seminar der Johann Wolf- schule) in Frankfurt am Main. Am 3. September 2009 wur- die pädagogischen Kompetenzen für zwei dischen Geschichte und des Holocaust in Bauer Instituts und des Jüdischen Muse- gang Goethe-Universität. Manfred Levy beschäftigt sich mit de ein gemeinsames Päda- Themenfelder, die oft vermengt werden: von Migration geprägten Lerngruppen sind ums Frankfurt ist vom »Institut für Qua- Lernprozessen lernschwacher Kinder und gogisches Zentrum des Jüdischen Muse- Die jüdische Geschichte als Geschichte ei- ein Schwerpunkt der Fortbildungsangebote. litätssicherung« als Fortbildungsträger Monica Kingreen, Diplom-Pädagogin, Jugendlicher. Ihn interessieren interreligiöse ums und des Fritz Bauer Instituts eröffnet. ner religiösen und kulturellen Minderheit in In Studientagen können schwierige The- akkreditiert. Es kann also für schulinter- Grund-, Haupt- und Realschullehrerin, zu- Beziehungen in gemischten Lerngruppen Damit entsteht eine bundesweit einzigar- Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegen- men wie die Frage nach den Entscheidungen ne Fortbildungen angefragt werden; ent- letzt an der Geschwister-Scholl-Schule in heute. Er vermittelt jüdische Lebensformen tige Einrichtung. Das Zentrum verbindet wart ist von der Geschichte des Holocaust des Einzelnen in der Zeit des Holocaust eben- sprechende Punkte sind anrechenbar. Alle Niddatal, aktuell abgeordnet an das Fritz der Gegenwart, beschäftigt sich aber auch so behandelt werden wie kulturelle Informa- Lehrerfortbildungsveranstaltungen des Bauer Institut. mit historischen Formen des Judentums und tionen vermittelt – beispielsweise die hervor- Pädagogischen Zentrums sind ebenfalls ak- Der Arbeitsschwerpunkt von Moni- mit dem jüdischen Leben in Frankfurt nach gehobene Stellung des Essens im Judentum, kreditiert, es stellt die entsprechenden Be- ca Kingreen liegt in der jüdischen Lokal- 1945. Er thematisiert Gedenktraditionen in die anschaulich vor Augen geführt wird. scheinigungen aus. Für außerschulische und Regionalgeschichte vor 1933, aber auch Deutschland und angemessene Formen des Die Entstehung des Pädagogischen Veranstaltungen ist das Fritz Bauer Institut während der NS-Zeit und im Holocaust. In Gedenkens für Jugendliche. Zentrums basiert auf der Unterstützung des nach dem HIBUG als Träger von Bildungs- diesem Arbeitsfeld berät sie Lehrkräfte aus Hessischen Kultusministeriums. Es ermög- urlaubsveranstaltungen anerkannt. Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen. Dr. Martin Liepach, Gymnasiallehrer für licht mit 3,5 Lehrerstellen für das neue Zen- Für diese Schultypen erstellt sie Unter- Geschichte und Mathematik der Sekundar- trum die konzentrierte Arbeit an dem breit richtsmaterialien als Onlineprodukte und als stufen I und II, zunächst am Goethe-Gym- gefächerten Angebot. Das entspricht circa Reader. Sie berät Heimatforscher und Initia- nasium Frankfurt, der Philipp-Reis-Schu- 163.000 Euro pro Jahr. Das Zentrum ist ein tiven von Gedenkprojekten bei der Spuren- le Friedrichsdorf, der Taunusschule König- wichtiger Schritt in Richtung eines instituti- Anmeldungen für Lehrerfortbildungen suche und bei Recherchen nach jüdischen stein, aktuell an der Liebigschule in Frank- onellen Zusammenwachsens von Jüdischem Martin Liepach, Jüdisches Museum Frankfurt Familien vor Ort. Sie ist Lehrbeauftragte am furt am Main (Europagymnasium). Museum und Fritz Bauer Institut. Seinen Untermainkai 14/15, 60311 Frankfurt am Main Seminar für die Didaktik der Geschichte der Martin Liepach beschäftigt sich mit der Tel.: 069.212 388 04 festen Ort soll das Pädagogische Zentrum [email protected] Johann Wolfgang Goethe-Universität. jüdischen Geschichte der Neuzeit und der in dem geplanten Anbau des Jüdischen Mu- www.juedischesmuseum.de Zeitgeschichte. Er analysiert Schulbücher seums erhalten, um so die räumliche Nä- Gottfried Kößler, Lehrer für Geschich- und Lehrpläne auf deren Perspektive auf die he zu Ausstellungen, Bibliothek und Archiv Kontakt te, Deutsch und Politik für Gymnasien und jüdische Geschichte. Er untersucht und re- des Museums zu nutzen. Gottfried Kößler, Fritz Bauer Institut Berufl iche Schulen, zuletzt an der Klinger- fl ektiert die Möglichkeiten des Museums als Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main schule Frankfurt am Main, aktuell abgeord- außerschulischer Lernort und entwickelt mu- Tel.: 069.798 322 32 Die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler mit net an das Fritz Bauer Institut. seumspädagogische Konzepte. Er ist Lehrbe- Schülerinnen des Lessing-Gymnasiums bei der Eröff- [email protected] nung des Pädagogischen Zentrums. Gottfried Kößler beschäftigt sich mit auftragter am Historischen Seminar der Jo- Foto: Rafael Herlich www.paedagogisches-zentrum-ffm.de Prozessen des Lernens von Zeitgeschich- hann Wolfgang Goethe-Universität.

10 Pädagogisches Zentrum Einsicht 02 Herbst 2009 11 Abrufangebote vi duellen Schicksalen der einzelnen aus Führungen und Studientage nen Vorkriegszeit, NS-Geschichte und Nach- Kriegsverbrecherprozess, der Prozess Informationen über das Leben dieser Kin- und Beratung mehr als 200 hessischen Gemeinden ver- Norbert Wollheim kriegszeit mit den lebensgeschichtlichen In- Norbert Wollheim gegen die I.G. Farben, der und Jugendlichen und ihren frühen Tod Schwerpunkt National- schleppten Holocaustopfer und den Op- Memorial terviews der Überlebenden zu verbinden. Kämpfe um Entschädigung, Perspektiven zusammentragen. fern der Vertreibung durch die National- Die Gruppe arbeitet mit Zeitzeugenin- der Angestellten der I.G. Farben und der Die Ergebnisse ihrer Arbeiten präsen- sozialismus und Holocaust sozialisten in hessischen Dörfern und terviews und Materialien zur Ereignisge- ehemaligen Häftlinge. tierten die Schülerinnen und Schüler sou- Städten konkret nachzugehen. Einzel- Das Norbert Wollheim Me- schichte. Ergebnis ist ein exemplarischer verän und gut vorbereitet auf einer gemein- Schwerpunkte unserer Be- personen, Schulklassen, Geschichts- und morial auf dem Campus Überblick zu den Themen Konzernge- Kontakt samen Abschlussveranstaltung. Besonders ratung sind die Planung Heimatvereine erhalten praktische Hilfe- Westend der Johann Wolfgang Goethe- schichte im NS, Zwangsarbeit und Ent- Sarah Dellmann, Fritz Bauer Institut beeindruckend waren die mit der Metho- von schulspezifi schen Curricula zum The- stellungen. Weiterhin werden Möglich- Universität, dem ehemaligen Verwaltungs- schädigung, der von der Perspektive der Tel.: 069.798 322-37, Fax: 069.798 322-41 de des kreativen Schreibens entstandenen [email protected] menkomplex »Nationalsozialismus und keiten aufgezeigt, wie noch lebende aus gebäude des I.G. Farben-Konzerns, ist ein Überlebenden ausgeht. Die westdeutsche Norbert Wollheim Memorial fi ktiven Tagebucheinträge. Sie zeigten die Holocaust«, die Planung von Gedenkstät- Hessen stammende jüdische Bürger und/ Denkmal für die Verfolgten, Ermordeten Nachkriegsgesellschaft steht unter den Ge- Johann Wolfgang Goethe-Universität große Einfühlung, mit der Jugendliche Zu- tenfahrten, die Unterstützung bei der Ge- oder ihre Nachfahren im Ausland erreicht und Überlebenden des KZ Buna/Monowitz sichtspunkten Justiz, Politik und individu- Campus Westend, Gelände vor dem I.G. Farben-Haus gänge zu Biografi en von Menschen einer staltung von Gedenktagen und die Nutzung werden können. Die Ergebnisse dieses am Ort der Täter. Das Denkmal steht für die elle Schuld im Mittelpunkt. Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main früheren Zeit fi nden können, deren Leben www.wollheim-memorial.de von Medien bei der pädagogischen Annähe- Projekts entfalten ihre öffentlichen und Auseinandersetzung der Überlebenden mit Die Studientage gibt es in einer vier- so gewaltsam beendet wurde. rung an die Geschichte des Holocaust. Fol- schulischen Auswirkungen im Erinnern den Tätern, für ihren Kampf um Entschädi- und einer sechsstündigen Variante. Kosten Die Jugendbuchautorin und Überset- gende Angebote können abgerufen werden: und Gedenken vor Ort. Die Kooperation gung als ausgebeutete Zwangs- bzw. Skla- für einen Studientag: € 100,– zerin Mirjam Pressler las auf dieser Veran- › Aktuelle Konzepte zur Vermittlung der Ge- mit den vor Ort engagierten Personen und venarbeiter in der Bundesrepublik Deutsch- 4 Stunden staltung aus ihrem biografi schen Buch Ich schichte und Wirkung des Holocaust Institutionen wird gesucht und unterstützt. land. › Teil 1 sehne mich so. Die Lebensgeschichte der › Jüdisches Leben in Geschichte und Ge- Die Führungen und Studientage richten Einführung: Geschichte der I.G. Farben Schulprojekt Anne Frank. genwart Kontakt sich ausdrücklich nicht nur an Schulen, son- bis 1942 und Entstehung des Norbert »Anne Frank Das Pädagogische Zentrum des Fritz › Geschichte und Gegenwart des Antisemi- Monica Kingreen, Tel.: 069.798 322 31 dern auch an Studierende und Erwachsene Wollheim Memorials. Bauer Instituts und des Jüdischen Muse- [email protected] und die anderen« tismus Die I.G. Farben in Auschwitz: das KZ ums wird das Projekt »Anne Frank und die › Nationalsozialismus als Unterrichtsthe- Überblicksführung Buna/Monowitz, Situation der Häftlinge anderen« auch im Frühjahr 2010 für Schul- ma in der Grundschule Die Führung geht vom I.G. Farben-Haus im Konzentrationslager. Anne Frank wäre in diesem klassen anbieten, die das Tagebuch der › »Konfrontationen« – Pädagogische An- und seiner architekturhistorischen Bedeu- › Teil 2 Jahr 80 Jahre alt geworden. Anne Frank bis dahin im Unterricht gele- näherungen an Geschichte und Wirkung tung aus. Sie stellt neben der Konzernge- Die Nachkriegszeit: I.G. Farben nach 1945, Das Fritz Bauer Institut und das Jüdische sen haben. des Holocaust Studientag schichte auch die Perspektive der ehema- die I.G. Farben im Nürnberger Kriegsver- Museum Frankfurt haben aus diesem An- Das pädagogische Konzept des Fritz Bau- Frankfurter ligen Zwangsarbeiter vor und zeigt, wie brecherprozess, der Prozess Norbert Woll- lass das Schülerprojekt »Anne Frank und Kontakt er Instituts ist für die Vermittlung des The- beide Perspektiven in der Nachkriegsge- heim gegen die I.G. Farben, Kämpfe um die anderen« angeboten. Monica Kingreen, Tel.: 069.798 322 31 Auschwitz-Prozess [email protected] mas Holocaust in von Migration geprägten schichte im Prozess Norbert Wollheim Entschädigung, Perspektiven der Ange- Anne, ein Mädchen aus Frankfurt Lerngruppen entwickelt worden. Einfüh- gegen die I.G. Farben aufeinandertreffen. stellten der I.G. Farben und der ehema- am Main, war eines von mehr als tausend rungsworkshop für Fachkonferenzen oder Methodisch basiert die- Die Führung endet im Pavillon des Norbert ligen Häftlinge. Frankfurter jüdischen Kindern und Jugend- fachübergreifende Arbeitsgruppen. Bera- ser Studientag auf hand- Wollheim Memorials mit Ausschnitten aus 6 Stunden lichen, die von den Nazis stigmatisiert, tung bei der Entwicklung von schulinter- lungsorientierter Kleingruppenarbeit mit Erzählungen von Überlebenden des KZ › Teil 1 verfolgt, in Ghettos und Vernichtungsla- nen Curricula bzw. Konzepten für außer- historischem Quellenmaterial, Interviews, Buna/Monowitz. Einführender Rundgang: das I.G. Farben- ger verschleppt und ermordet wurden. Vier Neuerscheinung schulische Bildungsträger. Presseartikeln sowie eigenständigen Re- Dauer: 1,5 bis 2 Stunden, Kosten für Haus und das Norbert Wollheim Memo- Schulklassen verschiedener Schulformen, Kinderstadtführer › Nationalsozialismus und Holocaust als cherchen. Die genaue Schwerpunktsetzung eine Führung (ca. 20 Personen): € 50,– rial inklusive Fototafeln im Park, die I.G. die das Tagebuch der Anne Frank im Un- Thema für Kinder im Alter von 9–12 Jahren wird vor dem Studientag mit den Grup- Farben zwischen den Weltkriegen, Kolla- terricht gelesen hatten, konnten im Frühjahr Einführung und Beratung zu Kinder- und pen abgesprochen. Die Studientage rich- Offene Führungen boration mit dem NS, jüdisches Alltags- 2009 an diesem Projekt teilnehmen. Als Heft 9 der Reihe Pä- Jugendliteratur zu Nationalsozialismus ten sich an Schulklassen ab Jahrgangs- 31. Oktober, 21. November 2009, 16. Janu- leben in Europa vor der Deportation. Die Biografien einiger dieser ermor- dagogische Materialien ist und Holocaust. stufe 9, sie können auch als schulinterne ar, 20. Februar, 20. März, 17. April 2010, › Teil 2 deten Frankfurter Kinder und Jugendlichen ein Kinderstadtführer zum jüdischen Leben › Spurensuche und Gedenken Lehrerfortbildung und in der Erwachsenen- jeweils Samstag, 15.00 Uhr, Treffpunkt am Das Verbrechen: Gemeinsame Interessen? standen im Mittelpunkt der Projektarbeit. und zur NS-Verfolgung in der hessischen Beratung bei der Konzeption und Durch- bildung genutzt werden. Der Studientag Norbert Wollheim Pavillon. Die Kooperation von I.G. Farben und SS In kleinen Gruppen beschäftigten sich die Kleinstadt Langen erschienen: Marion Im- führung von Spurensuche-Projekten und wird unter Verwendung der Dauerinstallati- in Auschwitz: Das KZ Buna/Monowitz, Schülerinnen und Schüler mit vorbereiteten peratori, Als die Kinder in Langen samstags der Konzeption von Gedenkveranstal- on zum 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess im Situation der Häftlinge im Konzentrati- biografi schen Materialien, erhielten Infor- zur Synagoge gingen. Eine Zeitreise in die tungen. SAALBAU Gallus und der im Fritz Bauer Studientage onslager. mationen zu historischen Kontexten und Vergangenheit. Lesen Sie mehr unter Neu- › Beratungsangebot: »Erinnerung vor Ort« Institut vorhandenen Dokumente angeboten. Die Studientage greifen die Konzeption des › Teil 3 hatten Gelegenheit zu Gesprächen mit Ver- erscheinungen auf S. 9. in hessischen Städten und Dörfern Norbert Wollheim Memorials auf, die Er- Die Nachkriegszeit: I.G. Farben nach wandten oder Freunden dieser ermordeten »Erinnerung vor Ort« ermutigt, den indi- eignisgeschichte in den drei zeitlichen Ebe- 1945, die I.G. Farben im Nürnberger Kinder und Jugendlichen. So konnten sie

12 Pädagogisches Zentrum Einsicht 02 Herbst 2009 13 17. SEPTEMBER 2009 BIS 10. JANUAR 2010 BEGLEITPROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG DIE FRANKFURTER SCHULE UND FRANKFURT DIE FRANKFURTER SCHULE UND FRANKFURT EINE RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND EINE RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND

Die Rückkehr von Max Horkheimer, Friedrich Pollock und Theodor 23.09.2009, 19 UHR 02.12.2009, 18:30 UHR W. Adorno nach Frankfurt sowie der Wiederaufbau des Instituts PRAXIS DER WIEDERGUTMACHUNG DIE KOMPAGNONS MAX HORKHEIMER UND GESCHICHTE, ERFAHRUNG UND FRIEDRICH POLLOCK für Sozialforschung gehören in die allgemeine Geschichtsschreibung WIRKUNG IN DEUTSCHLAND UND ISRAEL DAS INSTITUT FÜR SOZIALFORSCHUNG UND DAS der frühen Bundesrepublik. Vor dem Hintergrund der spezifi sch Buchvorstellung mit Prof. Dr. José Brunner, Tel Aviv, Prof. Dr. Norbert NETZWERK DER FRANKFURTER SCHULE jüdischen Erfahrungen von Ausgrenzung, Verfolgung und Exil stellen Frei, Jena, und Prof. Dr. Constantin Goschler, Bochum Dr. Rolf Wiggershaus, Kronberg sie darüber hinaus ein eigenständiges Kapitel jüdischer Geschichte innerhalb der Adenauerrepublik dar, die auf den Trümmern des so- 14.10.2009, 18:30 UHR 09.12.2009, 18:30 UHR eben erst besiegten NS-Regimes entstand. „DIE KRÖNUNG UNSERER EIGENEN ETABLIERUNG IM EXIL 1933 wurde die Gesellschaft für Sozialforschung wegen „Verfolgung WIEDERGUTMACHUNGSPFLICHT“ HERBERT MARCUSE UND LEO LÖWENTHAL IN AMERIKA kommunistischer Ziele“ verboten. Horkheimer, Pollock und Adorno DIE STADT FRANKFURT AM MAIN UND DAS INSTITUT FÜR Peter-Erwin Jansen, Frankfurt hatten jedoch ihre Lehrbefugnis zuvor schon als Juden aufgrund des SOZIALFORSCHUNG so genannten „Arierparagraphen“, verloren. Das Institut emigrierte Jutta Zwilling, Frankfurt 16.12.2009, 18:30 UHR DIE BRIEFE DES SERGEANTEN COLBURN 1933 in die Schweiz, später nach Amerika. 21.10.2009, 18:30 UHR POLITISCHES BEWUSSTSEIN IN DEUTSCHLAND NACH 1945 Dass wir heute von der „Frankfurter Schule“ sprechen können, WISSENSCHAFT UND IDENTITÄTSFINDUNG Präsentation eines Radiofeatures des SWR Baden-Baden mit dem hätte in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren wohl kaum ERICH FROMMS DISSERTATION ÜBER DAS „GESETZ“ Autor Martin Zawadzki, Berlin; anschließend Diskussion mit Prof. jemand vorhergesagt. Die Entstehung einer von Horkheimer und Prof. Dr. Micha Brumlik, Frankfurt Dr. Ludwig von Friedeburg, Frankfurt, und Dr. Antje Vollmer unter der Adorno begründeten „Kalifornischen Schule“ wäre ebenso wahr- Leitung von Ulrike Holler, Frankfurt; eine Veranstaltung der Gesell- scheinlich gewesen. Von der – keineswegs selbstverständlichen – 11.11.2009, 18:30 UHR schaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Rückkehr nach Deutschland erzählt unsere Ausstellung, aber auch ADORNOS HEIMKEHR davon, wie aus dem Exil theoretisch-methodische Ansätze DER ESSAY ALS FORM, EIN TRANSPORTMITTEL VERFOLGTER GEDANKEN 10.01.2010, 15 UHR und auch Netzwerke persönlicher Kontakte nach Europa mitge- Prof. Dr. Detlev Claussen, Hannover DIE RÜCKKEHR DER FRANKFURTER SCHULE IM KONTEXT bracht wurden. DER DEUTSCHSPRACHIGEN SOZIALWISSENSCHAFTLICHEN Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im 18.11.2009 18:30 UHR MIGRATION UND REMIGRATION IM 20. JAHRHUNDERT Rahmen des Verbundprojektes Kommunikationsräume des Euro- LEO LÖWENTHAL UND ERICH FROMM Vortrag von Prof. Dr. Christian Fleck, Graz, anschließend Podiums- päischen. Jüdische Wissenskulturen jenseits des Nationalen. DIE „JÜDISCHEN JUDEN“ DER FRANKFURTER SCHULE diskussion unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Lichtblau, Frank- Unterstützt von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt Dr. Rachel Heuberger, Frankfurt furt; in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am Main und von der Hessischen Kulturstiftung. 25.11.2009, 18:30 UHR 11.01.2010, 10 BIS 18 UHR VOM SCHWIERIGEN GESCHÄFT DER HANNAH ARENDT UND DIE FRANKFURTER SCHULE TRADITIONSWAHRUNG Internationale Tagung unter der Leitung von Prof. Liliane Weissberg; ZUR ZUKUNFT DES INSTITUTS FÜR SOZIALFORSCHUNG in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut; Raum wird noch Prof. Dr. Axel Honneth, Frankfurt bekannt gegeben

AUSSTELLUNGEN JÜDISCHES MUSEUM FRANKFURT © Rafael Herlich

19. NOVEMBER 2009 BIS 21. MÄRZ 2010 VON LUDWIG BÖRNE ZU MARCEL REICH-RANICKI JÜDISCHE PUBLIZISTEN IN FRANKFURT AM MAIN

Zu seinem 100. Todestag am 30. Oktober 2009 würdigt die Stadt bestrebungen, Ringen um Pressefreiheit, Vormärz, der Revolution Frankfurt am Main Leben und Wirken des Bankiers, Verlegers, von 1848, innergemeindlichen Konfl ikten, Orthodoxie versus Journalisten, Politikers und Mäzens Leopold Sonnemann. Dessen Reform, Assimilation, Antisemitismus, Nationalismus, Zionismus, herausragendes publizistisches Engagement – gekrönt durch die Erstem Weltkrieg, Verfolgung, Zensur und Exilerfahrung Gründung der international renommierten Frankfurter Zeitung – reiht während der NS-Zeit, nach Zweitem Weltkrieg und Holocaust sich ein in die Tradition eines bedeutenden jüdisch-deutschen vom Versuch des Neubeginns. © fotografi e stefan moses Presse- und Verlagswesens, das in Frankfurt mit den Namen zahl- In ihrer historischen Epoche verortet beleuchten die Lebensge- reicher, darunter auch berühmter Journalisten, Zeitungsmacher, schichten von Ludwig Börne, Carl Friedrich Loening, Joseph Rütten, JÜDISCHES MUSEUM FRANKFURT Verleger oder Buchdrucker verbunden war und es bis in die Gegen- Jacob Rosenheim, Siegfried Kracauer, Martha Wertheimer, Untermainkai 14/15 wart ist. Marcel Reich-Ranicki u. a. exemplarisch, welche Erfahrungen diese 60311 Frankfurt am Main [email protected] Spätestens seit der Aufklärung, als auch innerhalb der deutschen Per sönlichkeiten jeweils mit dem Publizieren machten, welche Text- www.juedischesmuseum.de Judenschaft langsam eine Öffentlichkeit und eine Verbürgerlichung formen sie favorisierten und welche Themen ihnen am Herzen lagen. Tel. (069) 212–35000 entstehen, beschäftigen sich jüdische Publizisten und Publizis- Gefördert von der Ernst Max von Grunelius Stiftung und der Fax (069) 212–30705 tinnen mit politischen Themen, führen religiöse Debatten und entwi- Dr. Marschner Stiftung. ÖFFNUNGSZEITEN ckeln dabei zum Teil neue Formen journalistischer Gesellschafts- Das Begleitprogramm zur Ausstellung startet im Januar 2010. Die Di – So 10 – 17 Uhr kritik. Immer wieder spiegelt sich deutsch-jüdische Geschichte in den aktuellen Termine sind auf der Website www.juedischesmuseum.de Mi 10 – 20 Uhr Verlagsprogrammen und Texten: Sie handeln von Emanzipations- zu fi nden. Titelthema Mo geschlossen Einsicht Forschung und Vermittlung

haben sollten. Auch Demjanjuks Name stand darauf. Man verdäch- nur neun Prozent wegen Verbrechen in den Konzentrationslagern in tigte ihn, dem Personal des Vernichtungslagers Sobibór angehört Deutschland. Knapp 500 Deutsche wurden wegen ihrer Teilnahme zu haben. Auch einige Treblinka-Überlebende identifi zierten ihn. an der Judenvernichtung verurteilt, nur 204 wegen Mordes. In den USA gibt es kein Gesetz, aufgrund dessen NS-Verbrecher Die meisten Angeklagten kamen mit recht milden Strafen da- zur Rechenschaft gezogen werden können. Man kann ihnen höchstens von: Ein Drittel erhielt Freiheitsstrafen von wenigen Monaten bis »Der Fall ist abgeschlossen, die Staatsbürgerschaft aberkennen, wenn sie bei der Beantragung zu einem Jahr. Nur neun Prozent der Angeklagten wurden zu mehr des Einwanderungsvisums ihre Vergangenheit verschleiert haben. als fünf Jahren Gefängnis verurteilt, und nur 166 erhielten lebens- aber unvollendet« Man bestraft sie also für eine Lüge, nicht für Mord. So geschah es länglich. Sechs der Angeklagten wurden zum Tod verurteilt: Vier im Fall Demjanjuk. Nachdem die Amerikaner ihm die Staatsbürger- wurden hingerichtet, die Strafen der anderen in lebenslange Haft Der Prozess gegen schaft entzogen hatten, wussten sie nicht, was sie mit ihm anfangen umgewandelt. Einer konnte fl iehen. sollten. Sie boten Israel an, seine Auslieferung zu beantragen, und Einige der in Deutschland durchgeführten Prozesse erregten John Demjanjuk in Jerusalem das geschah. Das Jerusalemer Bezirksgericht erkannte Demjanjuk großes Aufsehen, zum Beispiel der Auschwitz-Prozess, den der im April 1988 für schuldig und verurteilte ihn zum Tod. Er legte hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Anfang der 1960er Jahre von Tom Segev Berufung ein und wurde im Juli 1993 aufgrund bleibender Zweifel anstrengte. Andere Prozesse gediehen zur blamablen Farce, wie der freigesprochen. Nach einer Reihe weiterer Verzögerungen durfte er in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in Düsseldorf durchgeführte Einen Tag nach dem Beginn des Prozesses gegen wieder in die USA einreisen. Der Fall hinterließ das bedrückende Majdanek-Prozess. Die meisten Prozesse gingen fast unbemerkt John Demjanjuk in Jerusalem, im Februar 1987, Gefühl, dass die üblichen Spielregeln liberaler Rechtsordnung keine über die Bühne. So war es auch in Österreich. prangte auf der Titelseite des linksliberalen Wochen- effektive Auseinandersetzung mit Naziverbrechen zulassen. Das galt Die als mutmaßliche Naziverbrecher Angeklagten wurden meist magazins Koteret Rashit die Schlagzeile: »Wen in- fast immer auch für andere Länder. nach den engen Verfahrensregeln der bestehenden Strafprozessord- Tom Segev, 1945 als Sohn deutscher teressiert das?« Das war keine rhetorische Frage und auch keine, nung, nicht aufgrund eines Sondergesetzes vor Gericht gestellt: Ein Einwanderer in Jerusalem geboren, die leicht zu beantworten gewesen wäre. Man hielt Demjanjuk für * Mord in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager musste ist Historiker und Journalist und einer »Iwan den Schrecklichen«, den Mann, der eigenhändig die Gaskam- demnach ebenso verhandelt werden wie jeder andere Mord auch. Die der profi liertesten Publizisten Israels. mern des Vernichtungslagers Treblinka bedient hatte, in denen an Simon Wiesenthal, der Wiener »Nazijäger«, pfl egte zu sagen, die Vorschriften über die Beweiserhebung und andere Verfahrensregeln Für das im Dezember 1988 eingestell- die 870.000 Juden ermordet worden waren. Die Vereinigten Staa- Nazis seien im Zweiten Weltkrieg unterlegen, nach dem Krieg jedoch wirkten sich überwiegend zugunsten der Angeklagten aus. Viele te israelische Wochenmagazin Koteret ten hatten ihn an Israel ausgeliefert. siegreich gewesen. Er meinte damit, dass die meisten Naziverbrecher Angeklagte und ihre Verteidiger wussten das liberale Rechtssystem Rashit und die linksliberale Tageszei- Damals standen Israelis in langen Schlangen an, um Eintritts- ungestraft davonkamen. bestens auszunützen. Die Zeugen der Anklage, darunter viele betagte tung Haaretz, für die er regelmäßig karten für Claude Lanzmanns Film SHOAH zu ergattern, wohingegen Allgemein heißt es, die Militärgerichte der Alliierten hätten rund Shoah-Überlebende, hielten den Vernehmungen oft kaum stand: Hat als Kolumnist tätig ist, hat er den der Gerichtssaal, in dem der Demjanjuk-Prozess stattfi nden sollte, 5.000 Naziverbrecher verurteilt und etwa 800 von ihnen hingerichtet, der Zeuge die Farbe der Uniform des Angeklagten bemerkt – grün, Demjanjuk-Prozess in Israel begleitet. am ersten Verhandlungstag nicht ganz gefüllt war. Mit der Zeit stieg die weitaus meisten in Deutschland und Österreich. Auch andere braun oder schwarz? Wenn sie braun war, kann es der Angeklagte Seit seinem Buch Die siebte Million. das Interesse. Über Tage und Wochen verfolgte Israel angespannt die Staaten, allen voran die Sowjetunion, hielten Prozesse ab. Kein nicht gewesen sein, denn seine Einheit trug grüne Uniformen. Wenn Der Holocaust und Israels Politik der Gräuel der Vernichtung, die Treblinka-Überlebende mit haarsträu- Mensch weiß genau, wie viele Menschen dort verurteilt wurden. es früh morgens war, reichten die Lichtverhältnisse vielleicht nicht Erinnerung (1995) gilt Segev als bender Genauigkeit schilderten, darunter auch sexuellen Missbrauch Andreas Eichmüller1 hat in einer Untersuchung Erstaunliches aus, um den Angeklagten zweifelsfrei zu erkennen, oder vielleicht bekanntester Vertreter einer »neuen von Kindern. Gelegentlich kam es zu hysterischen Ausbrüchen im über das Vorgehen deutscher Justizbehörden gegen Naziverbrecher hat die Sonne die Augen des Zeugen geblendet. Wenn der Ange- Geschichtsschreibung« in Israel. Saal, einige Anwesende fi elen in Ohnmacht. Einer der drei Richter offengelegt. In den sechzig Jahren von 1945 bis 2005 wurden in klagte die Peitsche in der rechten Hand gehalten hat, wie der Zeuge Für Es war einmal ein Palästina. erlitt einen Herzinfarkt. Deutschland 36.000 Verfahren gegen 172.000 Verdächtige eröffnet. behauptet, kann es dieser Angeklagte nicht gewesen sein, denn er Juden und Araber vor der Staatsgrün- Demjanjuk war zu dieser Zeit 66 Jahre alt. Er war in der Ukrai- Die Zahl wirkt zunächst beeindruckend, aber neun von zehn Verdäch- ist Linkshänder, und wenn der Zeuge sich in diesem Detail irrt, irrt dung Israels (2005) wurde er mit dem ne geboren, 1940 zur Roten Armee eingezogen worden. Er wurde tigen kamen gar nicht erst vor Gericht. Urteile ergingen in nur 14.000 er sich womöglich auch in anderen Einzelheiten. National Jewish Book Award ausge- verwundet, erholte sich wieder, kehrte an die Front zurück und kam Fällen. Bei über der Hälfte der Angeklagten lautete das Urteil auf Die milden Strafen und die öffentliche Atmosphäre im Umkreis zeichnet. Zuletzt erschien von ihm Die 1942 in deutsche Gefangenschaft. Nach dem Krieg erhielt er ein Freispruch, meist »mangels Beweisen«. Nur 6.756 Deutsche wurden dieser Prozesse brachten nicht nur die relative Machtlosigkeit des ersten Israelis. Die Anfänge des jüdi- Einwanderungsvisum in die USA, wo er ab 1951 mit seiner Familie schuldig gesprochen. Neun von zehn Angeklagten wurden wegen Rechtssystems ans Licht, sondern auch die mangelnde Bereitschaft schen Staates (2008). Derzeit ist die in Cleveland/Ohio wohnte und als Arbeiter bei den Ford-Werken Verbrechen verurteilt, die sie im deutschen Reichsgebiet begangen der deutschen und der österreichischen Gesellschaft, sich selbst zu Veröffentlichung seiner Biografi e über beschäftigt war. hatten, das heißt nicht in den besetzten Ländern. Die meisten Urteile bestrafen. Ironischerweise geschah in Israel etwas Ähnliches. Simon Wiesenthal in Vorbereitung, Die Anschuldigungen gegen ihn kamen erstmals infolge interner ergingen wegen Teilnahme an den Verbrechen der »«, die im kommenden Jahr zeitgleich in Streitigkeiten zwischen ukrainischen Immigrantengruppen in den * sechs Sprachen veröffentlicht werden Vereinigten Staaten auf. Die einen sympathisierten mit dem kom- soll. Segevs Bücher erscheinen im munistischen Regime in der Sowjetunion, die anderen, darunter auch In den ersten zwei Jahren nach der Gründung des Staates Israel kam Siedler Verlag, München. Demjanjuk, hassten es. 1975 übergab ein prosowjetischer Journalist 1 Andreas Eichmüller, »Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch westdeut- es häufi g vor, dass Shoah-Überlebende zufällig Menschen begeg- sche Justizbehörden seit 1945. Eine Zahlenbilanz«, in: Vierteljahrshefte für Zeit- den amerikanischen Justizbehörden eine Liste mit mehreren Dutzend geschichte, Jg. 56 (2008), H. 4, S. 621–640, München: Oldenbourg Wissen- neten, die den von den Nazis eingerichteten »Judenräten« angehört Foto: Dan Porges Namen ukrainischer Einwanderer, die mit den Nazis kollaboriert schaftsverlag, 2008. oder als »Kapos« in den Konzentrationslagern gedient hatten. Viele

16 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 17 dieser Personen waren den aufgezwungenen Funktionen notgedrun- musste daher erst eine Reihe gewichtiger Grundsatzentscheidungen gen nachgegangen, doch manche hatten grausam gehandelt. Die getroffen werden, die zahlreiche Juristen in aller Welt bis heute israelische Polizei sah sich einer Schwemme von Anzeigen gegen kritisieren. Im Vorfeld des Demjanjuk-Prozesses brauchte Israels diese Kollaborateure gegenüber, war aber machtlos, weil es in Isra- Rechtsbefugnis dagegen nicht erneut geklärt zu werden. el keine Rechtsgrundlage gab, um gegen sie vorzugehen. Deshalb Bis zum Eichmann-Prozess hatten sich die Israelis nicht beson- forderte die Polizei ein Gesetz gegen »jüdische Kriegsverbrecher«, ders intensiv mit der Shoah auseinandergesetzt, darüber herrschte wie sie genannt wurden. Stillschweigen: Eltern erzählten ihren Kindern nicht, was sie Das war ein außerordentlich heikles und peinliches Thema. Die durchgemacht hatten, Kinder wagten nicht zu fragen. Der Prozess israelische Regierung packte es nur zögernd an, aber schließlich wirkte wie eine Art Therapie für die ganze Nation. Fünfundzwanzig kam es zu einer schmerzhaften ethischen Grundsatzdebatte in der Jahre später war die Shoah bereits ein wesentlicher Bestandteil der Knesset. So kam 1950 das Gesetz zur Bestrafung von Nazis und israelischen Identität, und die meisten jungen Israelis wussten mehr ihren Gehilfen zustande. Das Gesetz unterscheidet dezidiert zwischen darüber als ihre Altersgenossen zur Zeit des Eichmann-Prozesses. Naziverbrechen und sonstigen Straftaten. Es wahrt die elementaren Der Eichmann-Prozess stand im Schatten der Nürnberger Pro- Grundrechte des Angeklagten, verlangt im Unterschied zur regulären zesse. Dort war die Shoah vorwiegend im Rahmen der Naziverbre- Strafprozessordnung jedoch ein spezielles Richtergremium und lässt chen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit vorgekom- Beweisführungen zu, die in normalen Strafprozessen unzulässig men, hatte aber nicht im Mittelpunkt gestanden. Die Grundlage der sind, zum Beispiel Zeugnisse vom Hörensagen und einschlägige Verhandlungen bildeten vor allem historische Dokumente, und das Kenntnisse über historische Hintergründe. Hauptaugenmerk war auf die Verbrecher gerichtet gewesen. Bei Erlass des Gesetzes glaubte kein Mensch, dass Israel deut- Der Eichmann-Prozess konzentrierte sich dagegen auf die scher Naziverbrecher habhaft werden könnte. Es sollte einfach eine Shoah, und insofern stellte er ein Novum dar. Die Anklage legte nicht Rechtsgrundlage geschaffen werden, um jüdische Kollaborateure, wenige Dokumente vor, stützte sich aber vor allem auf die Aussagen die in Israel wohnhaft waren, bestrafen zu können. Ein paar Dutzend der Überlebenden. Im Zentrum stand nicht der Angeklagte, sondern wurden vor Gericht gestellt, einer sogar zum Tod verurteilt, doch das Leiden der Opfer. Viele der Geretteten waren noch am Leben, er starb, ohne dass die Strafe vollstreckt worden wäre. Die meisten die Shoah bildete einen Teil ihrer Biografi e. In den 1980er Jahren dieser Prozesse fanden abseits der Öffentlichkeit statt. Die israelische betrachteten viele Israelis die Shoah als Teil ihrer Geschichte. Presse schwieg sie weitgehend tot. Auch im Demjanjuk-Prozess stellte die Anklage das Leiden Das Gesetz zur Bestrafung von Nazis und ihren Gehilfen för- der Opfer in den Mittelpunkt und bemühte sich, vorwiegend auf derte kaum die aktive Fahndung nach NS-Verbrechern. Israel war die haarsträubenden Aussagen der Zeugen abzuheben. Wie im damals zukunftsgerichtet. Die Geheimdienste des jungen Staates Eichmann-Prozess rollte die Anklage die ganze Geschichte der Shoah kümmerten sich vorrangig um dessen Sicherheit und bemühten auf, mit Schwerpunkt auf der Geschichte des Todeslagers Treblinka. sich nicht groß, Nazitäter aufzuspüren. Daher ignorierten sie 1953 Aber das Verfahren entwickelte weit weniger Anziehungskraft als John Demjanjuk wird nach seiner Anhörung im Simon Wiesenthals Mitteilung, dass Adolf Eichmann in Argentinien der Eichmann-Prozess. Im Gegensatz zu Eichmann hatte Demjanjuk Jerusalemer Russian Compound in Handschellen wohne. Vier Jahre später erhielt Israel ähnliche Informationen vom nicht an Entscheidungen mitgewirkt, die vor der Judenvernichtung zu einem Polizeifahrzeug geführt, 2. März 1986. Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/ hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, aber erst nach Ablauf gefallen waren, und er war auch kein Deutscher. Als ungebildeter, Harnik Nati dreier weiterer Jahre und auf Bauers Drängen nahmen israelische grobschlächtiger, glatzköpfi ger Ukrainer mit Donnerstimme erinner- Agenten Eichmann in Argentinien gefangen und brachten ihn nach te er eher an die Protagonisten antisemitischer Pogrome im Osteuropa Der Holocaust-Überlebende Pinchas Epstein im Israel, damit er in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte. des 19. Jahrhunderts als an das klassische Bild des Elite-Offi ziers Zeugenstand im Prozess gegen John Demjanjuk, Eichmann wurde zum Tod verurteilt und im Mai 1962 hingerichtet.2 der SS. Kein Mensch hatte Mühe, ihn als Schurken einzuordnen, Jerusalem International Convention Center (Binyanei Hauma), 23. Februar 1987. Als Demjanjuk an Israel ausgeliefert wurde, erwartete man aber da er kein deutscher Nazi war, blieb ihm nur eine Nebenrolle. Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/ naturgemäß eine Wiederholung des Eichmann-Prozesses, aber so Sa‘ar Ya‘acov lief es nicht. Der Demjanjuk-Prozess fand unter gänzlich anderen * Voraussetzungen statt. Eichmann hatte agiert, bevor Israel und Staatsanwalt Michael Shaked bei der Vernehmung seine Gesetze bestanden, und das im Rahmen der damals geltenden Einige Monate vor Prozessbeginn lud ich mich selbst zu einem Demjanjuks, Binyanei Hauma, 4. August 1987. Rechtsordnung. Ehe man ihn in Israel vor Gericht stellen konnte, Informationsgespräch bei dem zuständigen Staatsanwalt, Michael Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/ Ayalon Maggi Shaked, ein. Shaked, ein goldgelockter junger Mann, klug, engagiert und sympathisch, ging diesen Prozess in jenem Gefühl historischer Verantwortung an, das auch der Ankläger im Eichmann-Prozess 2 Zu Eichmann siehe die Studie von David Cesarani, Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder. Aus dem Engl. von Klaus-Dieter Schmidt. Berlin: Propyläen angesprochen hatte: Mit ihm würden sechs Millionen Ankläger im Verlag, 2004. Gerichtssaal stehen, glaubte er. Shaked zeigte mir das Schriftstück,

18 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 19 das später unter der Bezeichnung »-Ausweis« bekannt Palme zu bringen, und tatsächlich verging kaum ein Tag, ohne dass Vorsitzende Richter Levin traf sich gelegentlich mit Journalisten, als Medium der Geschichtsvermittlung eignet. Für die meisten Is- werden sollte, eine Art Dienstausweis, dem Anschein nach mit Richter und Verteidiger sich gegenseitig beleidigten. Ein lautstarker um ihnen Prozesshintergründe zu erläutern – wiederum in krassem raelis war der Film SHOAH lehrreicher als der Demjanjuk-Prozess. Demjanjuks Namen und Foto, der besagte, dass er in dem SS- und medienwirksamer Streit zwischen Sheftel und O’Connor sorgte Gegensatz zur üblichen Norm. Levin ließ schon in frühen Phasen Häufi g kamen mir nachts wieder die grauenhaften Zeugenaussa- Ausbildungslager Trawniki (Distrikt Lublin) gewesen war. Ich sah, für einen weiteren Höhepunkt des Prozesses, und zuweilen schien des Verfahrens durchblicken, dass er Demjanjuks Identität für geklärt gen in den Sinn, aber sie konnten trotz aller Eindringlichkeit nicht das dass dieser Ausweis seinen Besitzer dem Vernichtungslager Sobibór, es, als könnte Demjanjuk allein wegen der eigenwilligen Auswahl halte und es nur noch um das Strafmaß gehe. unangenehme Gefühl verdrängen, das mich während des Prozesses nicht Treblinka, zuordnete, aber Shaked versicherte mir, dass das seiner Verteidiger am Galgen enden. In dieser Hinsicht war es tatsächlich ein Schauprozess. An- begleitete. Die Aussagen von Überlebenden, die mit Fingern auf Dem- kein Problem darstellen würde: Die Identität des Angeklagten stehe Eine Zeugin der Verteidigung versuchte Hand an sich zu legen, sonsten verlief jedoch alles rechtmäßig. Der Angeklagte erhielt die janjuk zeigten, warfen die Frage auf, ob man einen Menschen nach so außer Zweifel, sagte er selbstgewiss. Er wollte im Prozess vorwie- nachdem das Kreuzverhör ihre Glaubwürdigkeit schwer erschüttert Möglichkeit, sich zu verteidigen. Jedes Wort, das vor Gericht fi el, vielen Jahren wiedererkennen könne, zumal der Betreffende in den gend auf die Geschichte Treblinkas abstellen, unter anderem weil hatte, und ein weiterer israelischer Verteidiger sprang aus dem wurde simultan ins Ukrainische und auch ins Englische übersetzt. Die zehn Jahren vor dem Jerusalemer Prozess immer wieder in den Medien es nur wenige Überlebende gab, die von Sobibór hätten berichten Fenster und starb. Bei der Beerdigung wurde Sheftel von einer Verteidigung erhielt die nötige technische Unterstützung auf Kosten erwähnt und auch im Fernsehen gezeigt worden war. Die polizeilichen können. Der Ukrainer »Iwan«, der die Gaskammern in Treblinka Person angegriffen, die ihm Säure ins Gesicht schüttete. Nur durch des Staates Israel. Demjanjuk saß in Isolationshaft, allerdings unter Gegenüberstellungen, die mit dem Angeklagten durchgeführt wurden, bedient hatte, war schon im Eichmann-Prozess erwähnt worden. ein Wunder verlor er nicht das Augenlicht. bequemen Bedingungen. Seine Zelle war mit einem Radiogerät aus- waren in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Unter anderem erschien Soweit ersichtlich, glaubte Shaked wirklich und wahrhaftig, dass Die Verteidigung lud eine Reihe ausländischer Zeugen, die gestattet. Er lernte etwas Hebräisch, las Zeitung, durfte gelegentlich fraglich, ob man den Zeugen glauben durfte, dass sie sich vor der Ge- John Demjanjuk »Iwan der Schreckliche« war. berichteten, wie sowjetische Stellen unliebsame Personen mittels mit seiner Familie telefonieren. Wenn er sich unwohl fühlte, bekam genüberstellung nicht abgesprochen hatten. Einige Zeugen waren schon Demjanjuk leugnete die Judenvernichtung in Treblinka nicht. Er gefälschter Papiere in Misskredit zu bringen suchten. Zahlreiche er ärztliche Behandlung. in früheren Mordprozessen um das Todeslager Treblinka aufgetreten. leugnete nur, dort – oder in Sobibór – gewesen zu sein. Er behauptete, Sachverständige wurden beigezogen, um den Trawniki-Ausweis als Ihre Aussagen veranschaulichten auch die große Not jener Shoah- der Trawniki-Ausweis sei eine Fälschung des sowjetischen Geheim- Fälschung zu entlarven. Wochenlang drehte sich die Verhandlung * Überlebenden, die durchgekommen waren, weil sie als sogenannte dienstes KGB, und gab damit dem ganzen Prozess eine Wendung: um die Papiersorte, das Modell der Schreibmaschine, die Tinte, das »Arbeitsjuden« Zwangsarbeit verrichtet hatten, die mit der Vernichtung Statt die Tragödie von Treblinka und die daraus zu ziehenden Lehren Foto, den Klebstoff, den Stempel. In einem gewissen Stadium des Ein paar Jahre vorher schrieb ich an der Universität Boston meine zusammenhing, etwa indem sie Toten die Goldzähne herausrissen und im Mittelpunkt zu belassen, ging es zunehmend um die Identität des Prozesses konnte man im Gerichtssaal sogar ein Sachverständigen- Dissertation über die Kommandanten der nationalsozialistischen Leichen verbrannten. In Israel hatten sie ständig mit dieser Wahrheit Angeklagten. Das war die Glanzleistung der Verteidigung. gutachten über den Gebrauch von Büroklammern vernehmen. Histo- Konzentrationslager.5 Ein oder zwei Mal besuchte ich in New York leben müssen. Und nun kamen öffentliche Stellen des Staates, in dem Die Verteidiger kamen aus den USA, angeführt von einem ge- riker, die von der Anklagebehörde als Gutachter geladen wurden und Hannah Arendt, die mit meinen Eltern befreundet war. Naturgemäß sie sich ein neues Leben aufgebaut hatten, und sagten ihnen, man habe wissen Mark O’Connor. Dieser benahm sich im Gerichtssaal so, wie von denen einige eigens aus Deutschland angereist waren, erklärten sprachen wir über das Buch, das sie zum Eichmann-Prozess verfasst den wahren Mörder gefunden und gebe ihnen die Möglichkeit, mit auf Rechtsanwälte sich in amerikanischen Gangsterfi lmen aufzuführen demgegenüber, dass Demjanjuk durchaus in Treblinka gedient haben hatte.6 Zu meiner Verblüffung erklärte Arendt, das Buch sei nicht seine Bestrafung hinzuwirken. Es war ihre letzte Gelegenheit, sich rein- pfl egen. Hin und wieder verhöhnte er das Gericht mit theatralischen könnte, auch wenn der Trawniki-Ausweis dieses Lager nicht nennt. wichtig. Es habe, hauptsächlich wegen seines Untertitels »Ein Bericht zuwaschen und ihre Verwandten zu rächen. Das war ein guter Grund, Ehrenbezeugungen. Nicht selten brachte er die Richter zur Weißglut. All das dauerte lange, kostete Millionen und verspielte das öffent- von der Banalität des Bösen«, weltweit Aufsehen erregt, doch die mei- die Zeugenaussagen mit Vorbehalt zu betrachten. Es war schwierig, Demjanjuks israelischer Verteidiger, Yoram Sheftel, damals 37 Jahre liche Interesse, das nur so lange vorhielt, wie es im Prozess um die sten Leser würden den Sinn dieser Worte völlig verdrehen. Aber sie man brauchte einigen Mut, um einem Holocaust-Überlebenden ins alt, entstammte einer Familie, die neunzig Angehörige in der Shoah Shoah ging. Die Zuschauersitze blieben häufi g fast leer. müsse doch zugeben, dass Eichmann in Jerusalem ein grundlegendes Gesicht zu sagen: Deine Zeugenaussage genügt nicht. Außerdem verloren hatte. Aufgrund seines Temperaments und seiner Weltan- Sheftel schrieb in seinem Buch, es sei ein »blamabler Schau- Werk sei, versuchte ich dagegenzuhalten, und schließlich konnte ich hatten sich die israelischen Richter die historische Aufgabe gestellt, schauung war Sheftel alles zuwider, was nach Establishment roch. prozess« gewesen, und fügte hinzu: »Die Richter wie die Medien ihr das halbherzige Eingeständnis abringen, möglicherweise könne die Menschheit an die Shoah zu erinnern. Offenbar fürchteten sie, mit Seine Entscheidung, die Verteidigung mit zu übernehmen, beschrieb hatten praktisch den Stab über Demjanjuk gebrochen, längst bevor ein Journalist, der einmal über einen historischen Gerichtsprozess einem Freispruch Demjanjuks – und sei es auch nur aus Mangel an Sheftel folgendermaßen: »Eines Morgens auf dem Weg zum Tel sie es formell kraft Gerichtsurteil taten, und deshalb bemühten sie zu berichten habe, aus ihrem Buch lernen, wie er es anpacken sollte. Beweisen – könnten sie der antisemitischen und antizionistischen Ten- Aviver Bezirksgericht fragte ich meinen Kompagnon unvermittelt: sich nach Kräften, ihn zu überführen.«4 Unter anderem ärgerte ihn, Als ich, erst für Koteret Rashit, später für die Tageszeitung Haa- denz, den Holocaust selbst zu leugnen, Vorschub leisten. Die Richter ›Was hältst du davon, dass ich Demjanjuks Verteidiger werde und dass die Gerichtsdokumente, darunter auch das Urteil, als Vornamen retz, über den Demjanjuk-Prozess berichtete, dachte ich gelegentlich konnten und wollten diese Bürde nicht auf sich nehmen. der Regierung den vorgesehenen Schauprozess gründlich verderbe, des Angeklagten »Iwan« vermerkten, seinen echten Namen, John, an Arendts Worte. Ich bemühte mich, mir für den Prozess möglichst Das Urteil ist stellenweise in poetischem Stil gehalten, hier und damit denen schwarz vor Augen wird und sie den Moment verfl u- aber bestenfalls in Klammern anfügten. viel einschlägiges historisches Wissen anzueignen. Die Geschichte da sogar in ausgesprochen feierlicher, fast biblischer Sprache. Nach chen, in dem sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen haben?‹ Mit Der Prozess fand in einem Raum statt, der normalerweise für ukrainischer Wachmänner in den NS-Vernichtungslagern erwies Aussage der Richter wurde es »in heiliger Ehrfurcht« und »im vollen ›denen‹ ist natürlich die israelische Justiz und speziell die israelische Filmvorführungen, nicht als Gerichtssaal diente, und im Gegensatz sich als sperrig und schwer zu vermitteln. Leser, die den Verhand- Bewusstsein der schweren Verantwortung« – in dieser Reihenfolge Staatsanwaltschaft gemeint.« zu sonstigen israelischen Gepfl ogenheiten war die Übertragung durch lungen im Gerichtssaal folgen wollten, mussten sich viele Namen, – verfasst. Die Richter erklärten: »In heiliger Ehrfurcht – weil wir In seinem Buch schreibt Sheftel3 unter anderem, dass er nicht Rundfunk und Fernsehen zugelassen. Das hatte zur Folge, dass nicht Begriffe und Ereignisse merken, die ihnen zuvor unbekannt gewesen aufgerufen sind, das bittere und schlimme Schicksal des jüdischen nur seine Plädoyers, sondern auch seine Körpersprache sorgfältig nur die Anwälte, sondern auch Zeugen, Richter und der Angeklagte, sein dürften. Der Demjanjuk-Prozess zeigte, wie zuvor schon der Volkes in seinen Diasporagemeinden in Europa in den fi nsteren Ta- einstudiert hatte, um den Gerichtsvorsitzenden Dov Levin auf die ja sogar die Zuschauer sich zuweilen selbst darstellten. Die Presse Eichmann-Prozess, dass sich ein Gerichtsverfahren nur sehr begrenzt gen der grauenhaften Shoah zu untersuchen und den blutigen Weg ignorierte erwartungsgemäß jede Beschränkung, die gemeinhin der Leiden und des Todes zu beschreiten, der getränkt ist mit den für einen laufenden Prozess unter dem Prinzip des sub judice gilt, Tränen von Millionen Menschen (und in unserem Fall denen von und sprach den Angeklagten noch vor Prozessbeginn schuldig. Das 870.000 Männern, Frauen und Kindern), getötet, gemetzelt, erstickt, 3 Yoram Sheftel, Parashat Demjanjuk (Hebrew), Tel Aviv, Adam, 1993; engl.: Gericht nahm die Dienste eines Presseoffi ziers in Anspruch, und der 5 Tom Segev, Soldiers of Evil. The Commandants of the Nazi Concentration Camps. verbrannt und vernichtet als Märtyrer von deutschen Mordgesellen Defending »Ivan the Terrible«. The conspiracy to convict John Demjanjuk. New York 1988; dt.: Die Soldaten des Bösen. Zur Geschichte der KZ-Komman- und ihren Gehilfen aus anderen Völkern.« Diese Worte hatten die Washington, DC: Regnery Publ., 1996. – Vgl. auch Tom Teicholz, The trial of danten. Aus dem Amerikan. von Bernhard Schmid. Reinbek bei Hamburg 1992. Ivan the Terrible. State of Israel vs. John Demjanjuk. New York: St. Martin’s 6 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bö- Richter nicht dem Gesetzbuch entlehnt, sondern dem Jiskor, dem Press, 1990. 4 Yoram Sheftel, Parashat Demjanjuk, S. 225. sen. München 1964; München: Piper Verlag, 2006. Gedenkgebet für die Holocaustopfer. »Im vollen Bewusstsein der

20 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 21 schweren Verantwortung«, fuhren die Richter fort, »weil es uns die Befunde des Bezirksgerichts nicht zu widerlegen, und betonte obliegt, auf juristischem Wege historische Wahrheiten über die Vor- wiederholt, dass Demjanjuk aufgrund der neuen Erkenntnisse, die gänge festzustellen, die unsere Erde in einer der dunkelsten Epochen dem Gericht vorgelegt worden waren, wegen verbleibender Zweifel in der Geschichte der Völker heimgesucht haben, und speziell im freigesprochen werde. Abgesehen von seiner aktuellen Bedeutung Lebenslauf der jüdischen Nation.« Erst an diesem Punkt erwähnten lieferte dieses Urteil auch ein unschlagbares Argument gegen die sie, dass »die schwere Verantwortung« sie auch verpfl ichtete, über Todesstrafe: Es können immer neue Informationen auftauchen. das Wohl und Wehe eines Menschen zu entscheiden. John Demjanjuk in seiner Zelle im Ayalon-Gefängnis in Ramle, 24. Juni 1993. Der Prozess betonte erneut die nationalen Lehren, die Israel – im * Foto: Government Press Offi ce, State of Israel/ Geist der zionistischen Ideologie – gemeinhin aus der Shoah zieht, Sa‘ar Ya‘acov an erster Stelle das Existenzrecht des Staates Israel und die Notwen- Vor ein paar Monaten zeigte das israelische Fernsehen einen bio- digkeit, seine Sicherheit zu wahren. Er unterstrich jedoch nicht die grafi schen Film über Meir Shamgar, den ehemaligen Präsidenten allgemein menschlichen Lehren, die sich aus dem Nationalsozia- des Obersten Gerichtshofs von Israel, der auch den Vorsitz bei lismus ergeben. Demjanjuks Geschichte macht deutlich, dass jeder Demjanjuks Freispruch führte. Am Anfang des Films sieht man Soldat die Pfl icht hat, einen offensichtlich rechtswidrigen Befehl zu Shamgar in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem in harter verweigern. Viele Israelis haben diesen Imperativ, der unter anderem Auseinandersetzung mit Yosef Czarny, einem Zeugen der Anklage im israelischen Gesetz verankert ist, bis heute nicht verinnerlicht. in dem Prozess. Die Anklage, die Richter und die Medien vernachlässigten diesen Das Bezirksgericht hatte befunden, man müsse seiner herz- Aspekt. Insoweit erscheint der Prozess als verpasste Gelegenheit. zerreißenden Aussage großes Gewicht beimessen, »könne sich mit beinahe absoluter Gewissheit darauf stützen«. Czarny hatte »Iwan * den Schrecklichen« als Riesen beschrieben, und das Gericht befand: »Er erweist sich als feinfühliger und feingliedriger Mensch […] Fünf Jahre waren zwischen dem erstinstanzlichen Urteil und der Nicht umsonst schildert er die Stärke und Körpergröße Iwans, der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vergangen, und in dieser im Vergleich zu seinem kleinen Wuchs ein wahrer Goliath war […]« Zeit hatte sich die Welt verändert. Der Zusammenbruch des kom- Einundzwanzig Jahre später war Czarny, der vor Kurzem neuen Buch ebenfalls von seinen damaligen Gefühlen: »Du weißt chen worden war, verstärkte den Eindruck, dass nur übertriebener munistischen Imperiums rettete John Demjanjuk das Leben. verstorben ist, über achtzig, ein gebrechlicher Mann, noch kleiner im innersten Herzen, dass er (Demjanjuk) sicher ein Wachmann in Rechtspurismus zu seiner Freilassung geführt hatte – und nicht Der Berufungsprozess lief ab Mai 1989 in sachlicher Atmosphäre, als früher. Als das israelische Fernsehen ein Treffen mit dem ehe- einem Vernichtungslager war, und wenn er nicht Demjanjuk der seine Unschuld. ohne dramatische Zwischenfälle, in einem Saal des Obersten Gerichts- maligen Gerichtspräsidenten Shamgar arrangierte, brach Czarny Schreckliche ist, dann war er der weniger schreckliche Demjanjuk, Etwas Ähnliches könnte auch in Deutschland passieren: Gleich hofs. Immer wieder wurden Anträge gestellt, die eine Verschiebung in Tränen aus. Nicht nur Erinnerungen an die Shoah peinigten ihn, wenn nicht Iwan der Schreckliche – dann der weniger schreckliche vielen Naziverbrechern vor ihm könnte Demjanjuk kraft irgendeines der Urteilsverkündung forderten, denn dank der neuen Situation in sondern auch der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof Demjan- Iwan […]«8 juristischen Arguments der Strafe entgehen: Wenn das Münchner Osteuropa konnten Vertreter der Verteidigung und der Anklage Ma- juk freigesprochen hatte. Sein Schmerz und seine Schmach waren Barak, in Litauen geboren und selbst Holocaust-Überlebender, Schwurgericht zum Beispiel entschiede, dass man seinen Fall nicht terial auswerten, das die Sowjetbehörden, aufgrund der angespannten grenzenlos. »Wie leben Sie heute mit diesem Urteil?«, wollte er bereute das Urteil des Berufungsverfahrens nicht: »Ich meine, Dem- erneut verhandeln könne, weil er derselben Verbrechen schon in Beziehungen zwischen den beiden Staaten, den Anwälten aus Israel von Shamgar wissen. janjuks Freispruch macht dem Staat Israel alle Ehre. Ich weiß, das Jerusalem angeklagt gewesen war. Er ist 89 Jahre alt und wird das bisher nicht zugänglich gemacht hatten. Shaked brachte aus Moskau Shamgar, der die Achtzig auch schon überschritten hatte, ist ein Urteil wird hierzulande viel kritisiert, aber es macht dem Staat Ehre. Ende des deutschen Gerichtsverfahrens vielleicht nicht mehr erleben. einen großen Stapel Akten mit, über 15.000 Seiten, darunter Dutzende zurückhaltender Mensch, spart mit Worten. Er erzählte Czarny, wie Es ist die ethische Grundlage für unsere Rechtsprechung. Und wenn Trotzdem ist es richtig, ihn vor Gericht zu stellen. von Zeugnissen, die den Namen von »Iwan dem Schrecklichen« aus Gestapo-Schergen sein Elternhaus in Danzig durchsucht hatten. Er wir Naziverbrecher richten können – dann kann es jeder Staat tun.«9 Denn in den sechs Jahrzehnten seit den Nürnberger Prozessen Treblinka nannten: Iwan Martschenko. Die Fairness des Staatsanwalts bemühte sich, ihm das Dilemma eines Richters nahezubringen: Er ist sind weitere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- nützte Demjanjuk demnach mehr als alle Schachzüge der Verteidigung. nicht befugt, frei seinen Gefühlen zu folgen. Er ist an Rechtsnormen * lichkeit begangen worden, darunter auch Völkermord. Die Menschen- Auch das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist ein Wälzer von gebunden. Er zitierte den letzten Absatz des Urteils, der vermutlich rechte wahren sich nicht selbst. Sie bedürfen ständiger Pfl ege. Die über 400 Seiten und beginnt in biblischer Sprache. Das Programm für Situationen dieser Art verfasst wurde: »Wir haben den Wachmann Als die Richter des Bezirksgerichts Demjanjuk zum Tod verurteilten, Fortführung von Prozessen gegen Naziverbrecher, bis zum letzten zur Judenvernichtung wird als »Satansplan« bezeichnet, dessen Iwan Demjanjuk, zweifelshalber, von den Anklagen freigesprochen, kamen im Publikum Jubel- und Racheschreie auf. Als der Oberste Greis unter ihnen, muss in erster Linie als Warnhinweis für künfti- Wurzeln im Psalm 83:5 liegen: »Sie sprechen: Auf! Wir wollen sie die sich gegen Iwan den Schrecklichen aus Treblinka richteten. Gerichtshof seinen Freispruch verkündete, weinten viele Anwesende ge Kriegsverbrecher dienen, der ihnen sagt: Bis zu deinem letzten ausrotten als Nation. Israels Name soll aus dem Gedächtnis gelöscht Richtern steht es nicht zu, einen Menschen auf Herz und Nieren zu vor Wut und Schmerz. Viele hatten das Gefühl, das Urteil verbiege Atemzug kannst du dich auf der Anklagebank wiederfi nden. Das sollte werden.«7 Der Oberste Gerichtshof bemühte sich nach Kräften, prüfen, ihnen steht nur das zur Verfügung, was ihre Augen sehen und die Gerechtigkeit. Dass der Mann aufgrund von Zweifeln freigespro- auch die Botschaft des Demjanjuk-Prozesses in Deutschland sein. lesen. Der Fall ist abgeschlossen, aber unvollendet. Vollkommenheit ist einem Richter aus Fleisch und Blut nicht gegeben.« Czarny war nicht zu überzeugen. Er brach erneut in Tränen aus. Aus dem Hebräischen 7 Zit. nach: Bibel in gerechter Sprache, hrsg. von Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Aharon Barak, Shamgars Nachfolger an der Spitze des israe- 8 Ariel Ben-Dor, Ze‘ev Segal, Oseh Hakova‘im: Din Udevarim im Aharon Barak von Ruth Achlama Marlene Crüsemann, Erhard Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen, Hanne [Der Hutmacher: Hintergrundgespräche mit Aharon Barak], Tel Aviv, Kinneret Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch und Luise Schottroff, Gütersloh: lischen Obersten Gerichtshofs, hatte als Beisitzer am Berufungs- Zmora-Bitan Dvir, 2009, S. 249. Gütersloher Verlagshaus, 2006, S. 1124. prozess gegen Demjanjuk teilgenommen und berichtet in seinem 9 Ebd., S. 250.

22 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 23 Die Täter ließen sich nach einer gewissen Zeit zurückversetzen, zwei begin- Über 120 Deutsche und Österreicher waren in den drei Vernichtungs- gen Selbstmord. lagern Bełżec, Sobibór und Treblinka sowie in der Lubliner Mord- Nach den Revolten in Treblinka (August 1943) und Sobibór zentrale eingesetzt.3 Fast alle hatten zuvor in den »Euthanasie«-Ein- (Oktober 1943) und dem offi ziellen Ende der »Aktion Reinhardt« richtungen sowie in der Berliner T4-Zentrale4 Erfahrungen mit der wurden die Lagermannschaften Ende 1943 geschlossen nach Triest NS-Prozesse gegen Personal der massenhaften Ermordung von Menschen gesammelt. Sie hatten be- in das »Adriatische Küstenland« versetzt, um hier Juden zu verhaf- reits als »Bürovorsteher«, als Arzt, als Leichenverbrenner, Pfl eger, ten, deren Geld zu konfi szieren und gegen Partisanen zu kämpfen. Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« Fahrer, Büro- und Wirtschaftspersonal an der Tötung von Patienten Die Täter wurden nicht zur Teilnahme am Massenmord gezwun- der Heil- und Pfl egeanstalten des Deutschen Reichs mitgewirkt. In gen, auch wenn viele dies später vor Gericht behaupteten. Stattdes- Anmerkungen zu Schuld und Sühne den Lagern konstruierten sie die Vernichtungsmaschinerie, fungier- sen können vielfältige andere Motive festgestellt werden: der Stolz ten als Aufseher über die zur Mitarbeit gezwungenen »Arbeitsjuden« darauf, sich in einem historischen »Sonderauftrag« bewähren zu eines Massenmords und koordinierten die Wachmannschaften. Sie mordeten in den Gas- können, die Ausnutzung persönlicher Vorteile wie die Nichtverschi- kammern und töteten geschwächte Neuankömmlinge, Greise und ckung an die Front, gute Verdienstmöglichkeiten (einschließlich der von Sara Berger alleingelassene Kleinkinder durch Genickschüsse. Etliche Täter Bereicherung durch Diebstahl), Gruppenzwänge und nicht zuletzt beschränkten sich nicht auf das Morden auf Befehl, sondern miss- die Demonstration von Macht gegenüber wehrlosen, als minder- Die aktuelle Debatte um Iwan Demjan- handelten und töteten aus reiner Willkür jüdische Arbeitskräfte. wertig stigmatisierten Opfern. Der Massenmord an Abertausenden juk hat die Vernichtungslager der »Ak- In den Lagern der »Aktion Reinhardt« gab es im Unterschied Menschen, der bei uns heute Bilder des Grauens hervorruft, scheint tion Reinhardt« mit mehr als anderthalb zu den Konzentrationslagern nur fl ache Hierarchien. An ihrer Spit- für die Täter normaler Alltag gewesen zu sein. Kurt Franz, Kom- Millionen Opfern1 erneut ins Licht der Öf- ze standen (1885–1944) und später Gottlieb Hering mandant von Treblinka, beschriftete sein Fotoalbum mit »Schöne Sara Berger, geb. 1978 in fentlichkeit gerückt. Mit dem Ukrainer Demjanjuk gerät dabei zu (1887–1945) in Bełżec, (1908–1971) und später Franz Zeiten«. Zu Vergnügungszwecken wurden etwa in Treblinka ein Zoo Bochum, Studium der Geschichte, Recht auch die Kollaboration von Nichtdeutschen bei der Ver- Reichleitner (1906–1944) in Sobibór, Dr. Irmfried Eberl (1910– und in Sobibór eine Kegelbahn gebaut. Die Täter schienen den Mas- Italienischen Literaturwissenschaft folgung und Ermordung der Juden in den Fokus. Einige Wach- 1948) und später Stangl in Treblinka. Die Lagerleiter, mit Ausnah- senmord nicht als Verbrechen wahrzunehmen. So sagte Alexandr und Sozialpsychologie an der männer dieser Lager sind in Russland seit Ende der 1940er bis in me des Arztes Eberl, waren als Polizisten zuvor »Bürovorsteher« Petscherskij, der Anführer der Revolte in Sobibór, aus: »Wenn Hu- Ruhr-Universität Bochum und der die 60er Jahre wegen dieser Morde und ihrer Kollaboration mit der T4-Einrichtungen gewesen. In Treblinka nahm in der Endphase bert Gomerski und die anderen SS-Männer nach der Vernichtung Università degli Studi di Genova, den Deutschen zum Tode oder zu langen Freiheitsstrafen verur- auch der Waffen-SS-Angehörige Kurt Franz (1914–1998) die Posi- von Menschen in den Gaskammern zurückkamen, lachten und spra- 2005 Magister Artium an der teilt worden.2 tion des Lagerleiters ein. Innerhalb der Lager wurden verschiedene chen sie miteinander so, als ob sie von einem Ausfl ug zurückgekom- Ruhr-Universität mit dem Thema Auch deutsche und österreichische Täter sind vor Gericht ge- Funktionen unter den Männern aufgeteilt, wobei persönliche Cha- men wären. Auf jeden Fall war nicht zu spüren, dass er soeben ein »Die Judenverfolgung in der Republik stellt worden, haben teils lange, teils sehr kurze Freiheitsstrafen rakterdispositionen und Vorkenntnisse den Hauptausschlag gaben. schweres Verbrechen begangen hatte.«5 von Salò und ihre Aufarbeitung erhalten, manche wurden sogar freigesprochen. Wodurch ist die Wichtige Positionen hatten häufi g die aktiven SS-Angehörigen inne, vor deutschen Gerichten«. gerichtliche Ahndung und Verurteilung des Massenmords in den die zum Teil Dienst in Konzentrationslagern geleistet hatten, bevor Die Strafverfolgung Wissenschaftliche Mitarbeiterin Vernichtungslagern gekennzeichnet? Welche Rolle spielten da- sie während der »Euthanasie« als Leichenverbrenner fungierten. In 1945 fand sich ein Großteil der Täter der »Aktion Reinhardt« in im Museum der Shoah in Rom bei die Opferzeugen? Werden diese Urteile den Taten und den der Regel besetzten die Mannschaften, die die Lager aufgebaut hat- Kriegsgefangenschaft wieder. Die meisten wurden nach kurzer Zeit (im Aufbau); zurzeit Arbeit an Opfern gerecht? ten, auch Schlüsselfunktionen. Sie waren ausnahmslos in die »Ab- entlassen und reihten sich, ohne neue Identität, in die Nachkriegs- einem Promotionsvorhaben zu den fertigung« der Transporte und die Ermordung der Juden involviert. gesellschaft ein. Einige tauchten unter. , der Lager- Vernichtungslagern der »Aktion Die Angehörigen des Lagerpersonals wurden mehrheitlich spieß von Sobibór, und der während des Ermittlungsverfahrens ge- Reinhardt«. zwischen 1900 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges geboren; gen Personal der Tötungsanstalt Hartheim gefl ohene Stangl setzten 1 In Bełżec wurden von März bis Dezember 1942 mindestens 435.000 Juden aus sie waren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Mitglieder der sich ins Ausland ab. den Distrikten Lublin, Galizien, Krakau und Radom ermordet. In Sobibór starben NSDAP, SA oder SS und gehörten zumeist als Arbeiter, Angestell- Bis 1949 waren – soweit bekannt – mindestens 46 der über 120 von Mai 1942 bis Oktober 1943 160.000 bis 200.000 Menschen aus dem Distrikt te oder Handwerker den unteren Gesellschaftsschichten an. Einige namentlich bekannten Täter gestorben oder für tot erklärt worden, Lublin, der Slowakei, den Niederlanden, Frankreich, dem »Reich«, Theresien- stadt, Minsk, Lida und Vilnius. In Treblinka wurden zwischen Juli 1942 und Au- darunter Richard Thomalla, der Erbauer von Sobibór und Treblin- gust 1943 über 800.000 Juden ermordet, die aus den Distrikten Warschau, Radom ka, die Lagerleiter Wirth, Reichleitner, Eberl und Hering sowie de- und Lublin, dem Regierungsbezirk Białystok, Theresienstadt, Thrazien und Ma- ren Stellvertreter Niemann und Schwarz.6 Einige waren beim So- zedonien dorthin verbracht worden waren. 3 Vgl. zu den Tätern die Akten des Berlin Document Center im Bundesarchiv und Vgl. zu den Todeszahlen Peter Witte, Stephen Tyas, »A New Document on the insbesondere der »Aktion Reinhardt«-Verfahren im Staatsarchiv (StA) München, Deportation and Murder of Jews during ›Einsatz Reinhard‛ 1942«, in: Holocaust in den Landesarchiven (LA) von Berlin, Münster und Düsseldorf sowie im Hes- and Genocide Studies, 15 (2001), H. 3, S. 468–486. sischen Hauptstaatsarchiv (HHStA) Wiesbaden. Vgl. auch Yitzhak Arad, Bełżec, 2 Für ihre Verbrechen in Bełżec wurden mindestens 53 Trawnikis (siehe den Text Sobibór, Treblinka. The Death Camps. Bloomington, India- 5 Aussage v. Alexandr Petscherskij, 17.7.1974, LA Berlin B Rep. 058, Nr. 1581. von Angelika Benz in diesem Heft) verurteilt, davon 17 hingerichtet. Vgl. Dieter napolis 1987; Henry Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie 6 Thomalla wurde in der ČSR hingerichtet; Wirth, Reichleitner und Schwarz wur- Pohl, »Die Trawniki-Männer im Vernichtungslager Belzec«, in: NS-Gewaltherr- zur »Endlösung«. Berlin 1997. den von Partisanen getötet; Eberl beging nach der Verhaftung durch die Alliierten schaft. Beiträge zur historischen Forschung und juristischen Aufarbeitung. Hrsg. 4 Die »Aktion T4« erhielt ihren Namen durch die »Euthanasie«-Zentrale in der Selbstmord; Hering starb nach Krankheit und Niemann beim Aufstand in Sobibór v. Alfred Gottwaldt, Norbert Kampe, Peter Klein. Berlin 2005, S. 287. Berliner Tiergartenstraße 4. Oktober 1943.

24 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 25 bibór-Aufstand ums Leben gekommen, andere durch Aktionen des weise »Gasmeister« (Sobibór) von zwei Überlebenden Widerstands in Polen und im »Adriatischen Küstenland«, wieder in Berlin gesehen. Das Ermittlungsverfahren gegen Josef Hirtrei- andere durch Unfälle oder durch Selbstmord. ter (Treblinka) wurde eröffnet, nachdem dieser bei Anhörungen zur Noch bevor ab Januar 1950 die rechtlichen Grundlagen für deut- »Euthanasie« selbst von Gaskammern in Polen berichtet hatte. In sche Gerichte bestanden, auch bei nichtdeutschen Opfern tätig wer- ebendiesem Ermittlungsverfahren stieß die Staatsanwaltschaft auch den zu können, wurden 1949 Ermittlungen zur »Aktion Reinhardt« auf die beiden in Frankfurt am Main lebenden Johann Klier und Hu- aufgenommen. Die Verfahren wurden bei unterschiedlichen Staats- bert Gomerski, die in Sobibór eingesetzt gewesen waren. Sie kamen anwaltschaften geführt und dauerten bis in die 1980er Jahre an. Der wie Hirtreiter aus der »Euthanasie«-Anstalt Hadamar. Die meisten Schwerpunkt der Ermittlungen lag in den 60er Jahren, nachdem die Täter, die in den »Euthanasie«-Verfahren aussagten, verschwiegen Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nati- ihren späteren Einsatz in den Vernichtungslagern. In Einzelfällen onalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg koordinierte Vorer- wurde die Verbindung zwischen »Euthanasie« und »Aktion Rein- mittlungen eingeleitet hatte. Die Ermittlungsverfahren bezogen sich hardt« zwar angesprochen, aber von den Staatsanwälten nicht wei- auf alle 120 Täter. Von ihnen wurden 44 Personen als Beschuldig- ter verfolgt. Sie beschränkten sich darauf, den bzw. die betreffenden te vernommen. Die übrigen Täter waren zwar namentlich bekannt, Angeklagten abzuurteilen, und ermittelten nicht nach weiteren Tä- konnten jedoch nicht identifi ziert bzw. aufgefunden werden. 27 Per- tern. Die Prozesse dauerten wenige Tage, und es konnten nur einzel- sonen wurden letztlich vor Gericht gestellt und von diesen neun zu ne Überlebende, die sich zu dieser Zeit als Displaced Persons noch lebenslanger Haft verurteilt, sieben freigesprochen, die übrigen er- in Deutschland befanden, als Zeugen gehört werden. hielten kleinere Freiheitsstrafen, einer beging während des Sobibór- Nach der Gründung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wur- Prozesses Selbstmord.7 Insgesamt fanden in Westdeutschland neun de die Aufarbeitung der »Aktion Reinhardt« forciert, indem im Juli Prozesse statt, in der DDR und in Österreich gab es keine direkt auf 1959 systematische Vorermittlungen eingeleitet wurden. Kurz da- die »Aktion Reinhardt« bezogenen Prozesse. Einzelne Täter wurden rauf wurden die Verfahren an die Staatsanwaltschaften München Der zweite Lagerkommandant von Treblinka, auch im Zuge der »Euthanasie«-Verfahren in der BRD, der DDR und (Bełżec) und Düsseldorf (Treblinka und Sobibór) abgegeben. Das Kurt Franz, circa 1943 Österreich angeklagt und zum Teil verurteilt; Wirths Adjutant Josef Sobibór-Verfahren wurde später an die Dortmunder Zentralstelle Bagger zum Ausheben der Massengräber im Oberhauser wurde 1976 in Abwesenheit im Prozess zum Durch- zur Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen wei- Vernichtungslager Treblinka gangslager Risiera di San Sabba in Triest verurteilt.8 Auch in Polen tergeleitet. Insgesamt wurden vier Prozesse, der Bełżec-, der Sobi- fanden unmittelbar nach dem Krieg Ermittlungsverfahren speziell bór-, der Treblinka- und der Stangl-Prozess, sowie zwei sogenann- Die Kommandanten Franz Stangl (links) und zur »Aktion Reinhardt« statt, die allerdings bald eingestellt wurden. te Nachfolgeprozesse geführt. Kurt Franz vor der Lagerkommandantenbaracke in Treblinka Die Geschichte der »Aktion Reinhardt«-Prozesse spiegelt die Der Bełżec-Prozess endete im Januar 1965 nach einer nur vier Problematik der NS-Prozesse insgesamt wider: vereinzelte, zöger- Tage dauernden Hauptverhandlung in München. Einziger Ange- Fotos: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, lich eingeleitete Verfahren in den 1950er Jahren, eine forcierte und klagter war Wirths Adjutant Oberhauser. Die anderen Beschuldigten Hauptstaatsarchiv Düsseldorf systematische Durchführung von Prozessen in den 1960er Jahren wurden aufgrund mangelnder Beweise und fehlender Belastungs- sowie die aus der Sicht der Opfer vielfach unbefriedigende Bestra- zeugen erst gar nicht angeklagt.9 Allerdings sollten fünf von ihnen fung der Täter. später im Sobibór-Prozess vor Gericht gestellt werden. Die ersten Verfahren in den Nachkriegsjahren bezogen sich auf Der Treblinka-Prozess begann im Oktober 1964, drei Monate vier Personen, die in drei Prozessen vor Gericht standen. Die »Ent- vor der Urteilsverkündigung im Bełżec-Prozess, vor dem Landge- deckung« der Täter kam eher zufällig zustande, so wurde beispiels- richt Düsseldorf. Fast ein Jahr später wurde das Urteil gegen die zehn Angeklagten gesprochen. Vier Angeklagte erhielten lebens- lange Zuchthausstrafen, bei fünf lautete das Strafmaß auf drei bis zwölf Jahre, einer wurde freigesprochen.10 7 Vgl. Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen national- sozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966 (JuNSV). Hrsg. v. C. F. Rüter u.a. Der Sobibór-Prozess wurde im September 1965 in Hagen eröff- München, Amsterdam, 1971, Bd. VI, Nr. 212 (Sobibór); ebd., Bd. VII, Nr. 233 net.11 Statt der anfangs geplanten vier Monate zog sich die Haupt- (Sobibór); ebd., Bd. VIII, Nr. 270 (Treblinka); ebd., 1979, Bd. XX, Nr. 585 verhandlung aufgrund der zahlreichen vorgeladenen Zeugen fast (Bełżec); ebd., 1981, Bd. XXII, Nr. 597 (Treblinka); ebd., 2001, Bd. XXV, Nr. 641 (Sobibór); ebd., Nr. 642 (Sobibór); ebd., 2005, Bd. XXXIV, Nr. 746 (Sobibór-Treblinka). Vgl. Dick de Mildt, In the Name of the People: Perpetrators in Genocide in the Refl ection of their Post-War Prosecution in West . The »Euthanasia« and »Aktion Reinhard« Trial Cases. Den Haag 1996, S. 227– 9 Urteil in: JuNSV, Bd. XX, S. 626–644; BGH-Urteil, ebd., S. 645–647. 301; Adalbert Rückerl (Hrsg.), NS-Vernichtungslager im Spiegel deutscher Straf- 10 Urteil in: JuNSV, Bd. XXII, S. 1–220; BGH-Urteil, ebd., S. 221–238. prozesse. München 1977, S. 39–42. 11 Wegen des sowohl im Sobibór- als auch im Treblinka-Prozess angeklagten Gas- 8 Vgl. Adolfo Scalpelli (Hrsg.), San Sabba. Istruttoria e processo per il Lager della kammer-Baumeisters musste zunächst das Ende des Treblinka- Risiera. Mailand 1988, 2 Bände. Prozesses abgewartet werden.

26 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 27 16 Monate hin. Ein Angeklagter wurde zu lebenslanger Haft und Österreich insgesamt sowie in der BRD bis in die 1960er Jahre zu Prozess Angeklagte Urteil fünf zu Freiheitsstrafen von drei bis acht Jahren verurteilt. Fünf An- verweisen. Auch nachdem Ermittlungsverfahren aufgenommen wor- Exilforschung 12 LG Berlin Erich Hermann Bauer Todesurteil, umgewan- geklagte wurden freigesprochen. Kurt Bolender, der zeitweilig für den waren, stieß die Ahndung der Verbrechen auf Hindernisse. Es in der edition text + kritik 8.5.1950 (Sobibór) delt in lebenslanges die Massengräber zuständig gewesen war, beging Selbstmord. So- bestanden große Schwierigkeiten, die Täter zu identifi zieren, da es Zuchthaus wohl im Treblinka- als auch im Sobibór-Prozess nahm die Frage nach weder Personallisten noch Aktenbestände zu den Lagern gab. Nur einem möglichen Befehls- oder Putativnotstand der Angeklagten brei- wenige Zeitzeugenberichte waren veröffentlicht, und an eine wis- LG Frankfurt am Main Hubert Gomerski lebenslanges Zuchthaus, ten Raum ein; schließlich hatte sich diese Verteidigungsstrategie im senschaftliche Aufarbeitung war in diesen Jahren auch aufgrund des 25.8.1950 (Sobibór) umgewandelt im Nach- Bełżec-Verfahren für die Angeklagten als erfolgreich erwiesen. gesellschaftspolitischen Klimas noch nicht zu denken. EXILFORSCHUNG – folgeprozess in 15 Jahre, 1969 fand der vierte Prozess gegen den Lagerleiter von Sobibór Gründe für die Freisprüche und das geringe Strafmaß sind – wie Ein internationales nicht bestätigt, dann ver- und Treblinka, Franz Stangl, statt, der inzwischen in Brasilien auf- bei allen NS-Prozessen – auch darin zu sehen, dass das Strafrecht nicht Jahrbuch handlungsunfähig gespürt und nach Deutschland ausgeliefert worden war. Nach sie- darauf ausgelegt war, die komplexe NS-Tötungsmaschinerie zu ahnden. 27 Johann Klier Freispruch Band 27/2009 benmonatiger Hauptverhandlung wurde er in Düsseldorf zu lebens- Die Verjährung von Totschlag im Jahre 1960, bevor die koordinierten n Exil, Entwurzelung, 13 e Exil, Entwurzelung, LG Frankfurt am Main Josef Hirtreiter lebenslanges Zuchthaus langer Haft verurteilt. Ermittlungen zur »Aktion Reinhardt« überhaupt Ergebnisse vorweisen u Hybridität Hybridität 3.3.1951 (Treblinka) Zu den Nachfolgeprozessen in den 1970er und 80er Jahren konnten, grenzte die Handlungsmöglichkeiten der Richter weiter ein. kam es, nachdem Gomerski und Frenzel die Wiederaufnahme der Da die Lagermorde juristisch als staatliche Auftragsmorde klassi- LG München I Josef Kaspar Oberhauser 4 Jahre, 6 Monate et+k etwa 250 Seiten, ca. € 30,– Verfahren beantragt hatten. Gomerski wurde auf seinen Antrag hin fi ziert worden waren, hatten die Gerichte für eine Verurteilung wegen edition text+kritik ISBN 978-3-86916-036-8 21.1.1965 (Bełżec) Zuchthaus zunächst im Dezember 1972 aus der Haft entlassen. In der Haupt- gemeinschaftlichen Mords den subjektiven Täterwillen nachzuweisen. verhandlung von 1973 bis 1977 schaffte er es, seine lebenslange Als Indiz, dass die Täter sich die befohlenen Taten der NS-Führung LG Düsseldorf Kurt Hubert Franz lebenslanges Zuchthaus Der diesjährige Band will dazu anregen, Vertreibungen Haftstrafe auf nur 15 Jahre Freiheitsentzug zu reduzieren. Dagegen zu eigen gemacht hatten, dienten neben der mit einverständlichem Ei- 3.9.1965 (Treblinka) Heinrich Arthur Matthes lebenslanges Zuchthaus und Entwurzelungen sowie die damit verbundenen Willi Mentz lebenslanges Zuchthaus legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, so dass das Verfahren im fer ausgeübten Befehlsbefolgung auch individuell bewiesene, eigen- Integrationsprozesse unter differenten gesellschaftspoli- August Wilhelm Miete lebenslanges Zuchthaus Oktober 1981 ein weiteres Mal aufgenommen wurde. Dieses wurde initiative Einzeltötungen. Ohne diesen Nachweis zog die Zugehörig- tischen Verhältnissen, insbesondere auch im Zeichen Gustav Münzberger 12 Jahre Zuchthaus 1983 aber wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit des Angeklag- keit zum Personal der Todeslager und die funktionelle Mitwirkung an der heutigen Massenwanderungen zu analysieren. 14 Otto Stadie 7 Jahre Zuchthaus ten eingestellt. Im Jahr 1986 erhielt Gomerski, dem von den Op- der Massenvernichtung keine Verurteilung als Mittäter nach sich. Er- Franz Suchomel 6 Jahre Zuchthaus ferzeugen besonderer Sadismus und willkürliche Morde bescheini- kannte das Gericht auf gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaft- Erwin Hermann Lambert 4 Jahre Zuchthaus gt worden waren, sogar eine Entschädigung von 63.632 DM für die lichen Mord und lagen keine strafausschließenden Gründe vor, wurden Franz Otto Rum 3 Jahre Zuchthaus nach dem zweiten Urteil zu lang abgesessene Freiheitsstrafe zuge- oftmals milde Strafen verhängt. Erkannte das Gericht wie im Hagener 15 Richard Otto Horn Freispruch sprochen. Die lebenslängliche Haftstrafe gegen Frenzel wurde zwar Sobibór-Prozess darauf, dass die Befehlssituation unter dem »unbarm- nach einem erneuten Prozess im Oktober 1985 bestätigt, de facto be- herzigen Vorgesetzten« Christian Wirth einen schuldausschließenden, LG Hagen Karl August Wilhelm lebenslanges Zuchthaus, fand sich Frenzel zu diesem Zeitpunkt aber bereits auf freiem Fuß.16 putativen (vermeintlichen) Nötigungsstand bei den niederen Chargen A. Feustel/I. Hansen-

20.12.1966 (Sobibór) Frenzel bestätigt im Nachfolge- erkennen ließ, sprachen die Richter Freisprüche aus. Schaberg/G. Knapp (Hg.) Adriane Feustel (Hg.) Inge Hansen-Schaberg prozess Strafverfolgung und Gerechtigkeit Die Täter selbst wiederum nutzten diese Handlungsspielräume Kurt Bolender Selbstmord während der Die Vertreibung Die Vertreibung Hält man sich den Charakter der Vernichtungslager vor Augen, in des Strafrechts und stilisierten sich in ihren Aussagen als subalterne des Sozialen Hauptverhandlung denen jeder einzelne Täter seinen Beitrag zum kollektiven Mord an Befehlsempfänger ohne Eigenmotivation und persönlichen Antrieb. des Sozialen (Frauen und Exil, Band 2) Franz Wolf 8 Jahre Zuchthaus über anderthalb Millionen Menschen geleistet hatte, bestürzt die Sie bemühten sich, den Massenmord als reines »Fließbandverfah- n e Fritz 4 Jahre Zuchthaus geringe Anzahl der letztlich 19 Verurteilten ebenso wie das geringe ren«, als perfekt funktionierende Todesmaschine, ohne die Notwen- et+k u 238 Seiten, € 23,– edition text+kritik Jakob Alfred Ittner 4 Jahre Zuchthaus Strafmaß in einzelnen Fällen. digkeit der Anwendung von Gewalt, darzustellen. Aus dieser Sicht ISBN 978-3-86916-031-3 Karl Werner Dubois 3 Jahre Zuchthaus Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Zunächst ist auf die of- gibt es letztlich keine Verantwortung des Einzelnen, wie der Beschul- Erwin Hermann Lambert 3 Jahre Zuchthaus fensichtlichen Versäumnisse der Justizbehörden in der DDR und in digte Heinrich Unverhau anführte: »Die Angehörigen des deutschen Der Band stellt Konzepte und Projekte von Frauen im Robert Emil Franz Jührs Freispruch Personals der Vernichtungslager hatten […] an den dortigen Vorgän- Bereich der Pädagogik/Psychologie und der Sozialen Erich Gustav Willi gen nur einen sehr geringen Anteil. Wirth hat wiederholt, wenn er Arbeit bis 1933 vor. Es geht auch um die Bewahrung des Lachmann Freispruch in angeregter Stimmung war, sich damit gebrüstet, dass alles so ein- Sozialen in Hilfsorganisationen der Verfolgten und die Hans-Heinz Friedrich 12 Urteil in: JuNSV, Bd. XXV, S. 52–233; BGH-Urteil, ebd., S. 234–252. gespielt sei, dass er niemanden brauche, er könne alle nach Hause Selbsthilfe im Jüdischen Kulturbund. Schütt Freispruch 13 Urteil in: JuNSV, Bd. XXXIV, S. 730–833. Vgl. Gitta Sereny, Am Abgrund. Eine schicken und würde alles mit seinen Kapos allein machen können.«17 Gewissensforschung. Wien 1980. Heinrich Unverhau Freispruch 14 Aussage v. Gomerski, Hauptverhandlung, 12.11.1973, LA Berlin B Rep. 058, Die Täter beschrieben sich als »kleines Rad in einer Maschi- Ernst Zierke Freispruch Nr. 1577. ne, deren Lauf unverständlicherweise von niemandem Einhalt ge- 15 Er starb 13 Jahre später. Staatsanwaltschaft beim OLG Frankfurt an RA von Go- LG Düsseldorf Franz Stangl lebenslanges Zuchthaus merski, 26.6.1986, HHStA Wiesbaden, Abtl. 461, Nr. 36346, Bd. 20, Bl. 3826. Levelingstraße 6a [email protected] 22.12.1970 16 Er kam von 1976 bis 1980 und ab 1982 frei. Aus der lebenslangen Haft entlassen 81673 München www.etk-muenchen.de (Sobibór – Treblinka) wurden auch Bauer (1971), Hirtreiter (1977), Miete (1985) und Franz (1993). 17 Vernehmung v. Unverhau, 21.7.1960, StA München, Staatsanwaltschaften Matthes, Mentz und Stangl starben in Haft. 33033/4, Bl. 685–689.

28 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 29 boten wurde«18, und sahen ihre Schuld lediglich darin, dass sie »den lage für eine Verurteilung der Angeklagten zu schaffen. Dies wird Befehlen nicht widerstanden haben, ihre Ausführung nicht verwei- anhand des Bełżec-Prozesses umso deutlicher, der lediglich zur Ver- gerten und nicht davongelaufen sind«.19 Die in den Lagern prakti- urteilung eines Angeklagten geführt hatte. Hier war es dem Gericht zierte Arbeitsteilung nutzten sie als Möglichkeit, jegliche Verant- nur gelungen, einen Opferzeugen aufzufi nden, der zudem nur vier wortung abzustreiten. Der für die Trawniki-Wachmannschaften bereits tote Täter – darunter einen Trawniki-Mann – individueller zuständige Erich Lachmann betonte: »Ich fühle mich am Tode der in Gewalttaten bezichtigen konnte. Im Gegensatz zu Sobibór und Treb- Sobibór umgekommenen Juden nicht schuldig, weil ich sie nicht linka hatte in Bełżec kein Aufstand stattgefunden, daher konnten nur vergast habe.«20 Franz sah sich lediglich als »dummer Junge«, der einzelne Personen der Vernichtung entgehen. von den Machthabern missbraucht worden und nun ein »Opfer der Es steht außer Frage, dass eine Sühne des Massenmords mit ju- Kollektivschuld Deutschlands« sei.21 ristischen Mitteln kaum möglich ist. Eine andere Frage ist, ob mit Um solchen Selbstinszenierungen entgegentreten und individu- den in diesen Prozessen angewandten strafrechtlichen Mitteln den elle Schuld nachweisen zu können, waren Aussagen von Zeugen – Opfern wenigstens ansatzweise Gerechtigkeit zuteil wurde. Ange- von Trawniki-Männern, von Bewohnern der Umgebung der Lager sichts der hohen Opferzahl erschienen die Urteile nämlich bereits oder von Opfern – unabdingbar. Doch aufgrund der durch den Kal- den Zeitgenossen wie den Opfern als unbefriedigend und ungerecht.25 Eröffnung des ersten Treblinka-Prozesses vor dem ten Krieg auch noch in den 1960er Jahren fehlenden Zusammenar- Im Vergleich zur juristischen Aufarbeitung anderer nationalso- Landgericht Düsseldorf am 12. Oktober 1964. beit der Justizorgane in West und Ost wurden weder die Trawniki- zialistischer Verbrechen kann mit den 27 vor Gericht gestellten Per- Auf der Anklagebank von links: Kurt Hubert Franz, Männer, die in der UdSSR lebten, noch die polnischen Zeitzeugen sonen und den neun lebenslangen Haftstrafen in strafrechtlicher Hin- Otto Stadie, Heinrich Matthes, Willi Mentz, August für Aussagen vorgeladen. Auch die in Polen und der UdSSR bereits sicht dagegen von einem beachtlichen Ergebnis gesprochen werden. Miete, Franz Suchomel und Gustav Münzberger. Foto: Ullstein Bild existierenden Ermittlungsprotokolle zu den Lagern wurden in den Die lebenslangen Urteile stellen sogar über fünf Prozent aller in den Prozessen nicht herangezogen.22 westdeutschen NS-Prozessen ausgesprochenen Höchststrafen dar.26 Eröffnung des Sobibór-Prozesses vor dem Landgericht Die Suche nach der dritten wichtigen Zeugengruppe, den Op- Die »Aktion Reinhardt«-Prozesse machen deutlich, dass die Hagen am 6. September 1965. fern, gestaltete sich ebenso schwierig wie die nach den Tätern. Die juristischen Möglichkeiten zur Verfolgung der NS-Verbrechen be- Blick auf die Anklagebank: 1. Reihe von links: Fuchs, Frenzel, Dubois, Bolender. 2. Reihe von links: wenigen Überlebenden lebten verstreut in Israel, Kanada, der So- grenzt waren. Für das partielle Scheitern der Strafverfolgung waren Wolf, Unverhau, Schütt, Lambert, Lachmann. wjetunion, Australien, Venezuela, Brasilien, Uruguay, Schweden, auch gesellschaftspolitische Entwicklungen, wie die zögerliche Auf- Foto: Ullstein Bild Frankreich, Deutschland und den USA. Den Staatsanwälten in den arbeitung des NS-Regimes, verantwortlich. Insbesondere die trotz Sobibór-Verfahren gelang es, 41 von ihnen aufzuspüren, etwa zwei aller Debatten hierüber nicht aufgehobene Verjährung des Totschlag- Drittel der namentlich bekannten Überlebenden aus Sobibór. Über Deliktes schränkte die Ahndung dieser Verbrechen seit 1960 ein. die Hälfte von ihnen trat den schweren Gang zur Hauptverhandlung Sosehr auch die Urteile und die teilweisen Verfahrenseinstellun- in Deutschland an.23 Während der Ermittlungsverfahren für die Treb- gen als ungerecht anzusehen sind, so waren doch die Prozesse ihrer- linka-Prozesse wurden 63 der knapp 80 Überlebenden vernommen. seits von äußerster gesellschaftspolitischer Relevanz. Nach langen 40 von ihnen sagten während der Hauptverhandlung in Düsseldorf Jahren des Schweigens und Verdrängens der NS-Verbrechen trugen aus. Weitere Zeugen hatten Treblinka als »Transit« für das Arbeits- sie in den 1960er Jahren durch die regelmäßige Prozessberichterstat- lager Treblinka oder die Zwangsarbeitslager des SS- und Polizei- tung parallel zum Auschwitz-Prozess dazu bei, dass die Dimensio- führers im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, passiert.24 nen der im Zweiten Weltkrieg begangenen Massenmorde auch einer Es kam wesentlich den Aussagen der Opferzeugen zu, die indi- breiteren Öffentlichkeit bewusst wurden. So sah sich ein Leser der viduelle Täterschaft nachzuweisen und damit juristisch die Grund- Frankfurter Allgemeinen Zeitung beispielsweise am 22. Januar 1965 gleich mit drei Prozessen zu Vernichtungslagern, den Auschwitz-, Bełżec- und Treblinka-Verfahren, konfrontiert. Für den Historiker bieten die umfangreichen Akten der Prozesse darüber hinaus wert- 18 Bericht v. Frenzel für Amtsgericht Düsseldorf, März 1963, LA Münster, 45 Js 27/61, Nr. 4293, Bl. 41–60. volles Quellenmaterial, das seinerseits wiederum die Aufarbeitung 19 Vernehmung v. Schütt, 11.12.1963, ebd., Nr. 4295, Bl. 69–83. dieser historischen Periode befördert. 20 Vernehmung v. Lachmann, 27.11.1963, ebd., Nr. 4295, Bl. 1–14. 21 Brief von Franz an Landgerichtsrat Schwederski, 9.4.1960, LA Düsseldorf, Rep 388, Nr. 746, Bl. 154–159. 22 Dies änderte sich erst in den beiden Nachfolgeprozessen. 23 Die meisten hatten durch den Aufstand in Sobibór am 14. Oktober 1943 überlebt. 25 Vgl. Dietrich Strohtmann, »Befehl war nicht Befehl. Bleiben die Morde im Ver- Keiner von ihnen stammte aus dem sogenannten Lager III, in dem die Gaskam- nichtungslager Belzec ungesühnt?«, in: Die Zeit vom 3.12.1965. mern und die Massengräber waren. 26 Von den 6.495 bis zum Jahr 1998 ausgesprochenen Verurteilungen waren nur 164 24 Sie kamen aus allen Lagerteilen, so dass sie auch die Gaskammern, die Leichen- Höchststrafen. Vgl. Michael Greve, Der justitielle und rechtspolitische Umgang kommandos und die Verbrennung der Leichen beschreiben konnten. Sie waren mit den NS-Gewaltverbrechen in den sechziger Jahren. Frankfurt am Main 2001, größtenteils Überlebende der Revolte am 2. August 1943. S. 14.

30 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 31 da ihm nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass er wusste, bei einem Prozess gegen ihn über die Zustände in Hammerstein: »Es wofür die von ihm abgestellten Männer eingesetzt wurden. Etliche war ein Todeslager. […] Menschen starben an jedem einzelnen Tag Trawniki-Männer wurden als Zeugen vernommen, ohne sich selbst […] Alles war krank in Hammerstein.«7 vor Gericht verantworten zu müssen. Die mit Streibel angeklagten Im Juni 1942 kamen deutsche SS-Männer aus Trawniki nach Unterführer des Ausbildungslagers wurden ebenfalls freigesprochen, Riwne8 und rekrutierten sogenannte Hilfswillige aus dem Lager.9 Von Ausbildern und Handlangern die Kosten der Gerichtsverhandlungen trug die Staatskasse. Iwan Demjanjuk gelangte am 19. Juni 1942 als einer von rund 39 Jahre später wartet John (Iwan) Demjanjuk auf den Beginn 1.250 Männern10 nach Trawniki, wo die Deutschen die Hilfstrup- Der Spagat zwischen seines Prozesses. Er genieße eine »Rundum-sorglos-Betreuung« pen ausbildeten. Die Kriterien für die Rekrutierung folgten anfangs mit Muschelsuppe und Fernseher, heißt es einerseits,3 er sei doch der NS-Ideologie, so wurden deutschstämmige, deutschsprachige Schuld und Rechtsprechung nun schon in Israel lange genug eingesperrt gewesen andererseits. und nichtrussische Soldaten ausgewählt, Himmlers Anweisung Wer ist John (Iwan) Demjanjuk, und welche Bedeutung hat sein zur Rekrutierung folgend, nur diejenigen unter den sowjetischen von Angelika Benz Fall? Kriegsgefangenen auszuwählen, »die besonders vertrauenswürdig Iwan Demjanjuk wurde am 3. April 1920 in dem Dorf Dubovi erscheinen und daher für den Einsatz zum Wiederaufbau der be- Makharintsi in der Ukraine als Kind einer armen Familie geboren. setzten Gebiete verwendungsfähig sind«.11 Doch im Laufe der Zeit Er arbeitete als Traktorist auf einer Kolchose, als die Rote Armee nahmen die Deutschen schlicht diejenigen, die trotz der schlechten »Hitlers letzter KZ-Scherge« (Bildzeitung)1, den 20-Jährigen 1940 einzog und in den Krieg schickte. Nach einer Lebensbedingungen noch einigermaßen gesund und kräftig waren. »Ivan, der Anpasser« (Die Zeit)2, ein Mann, schweren Rückenverletzung und einem Lazarettaufenthalt musste Den Gefangenen wurde versichert, dass sie nicht an die Front ge- der als Monster, aber auch als kleinstes er wieder an die Front. Bei der Schlacht von Kertsch auf der Krim schickt und gegen die Sowjetunion eingesetzt würden.12 Glied einer Kette beschrieben wird, sitzt in fi el er im Mai 1942 den Deutschen in die Hände und kam in das Nach ihrer Ankunft im Lager Trawniki erhielten sie einen Angelika Benz, Jahrgang 1981, München-Stadelheim in Haft und wartet auf seinen Prozess. Der Kriegsgefangenenlager Rowno. Die Bedingungen in diesem Lager Dienstausweis mit Identifi kationsnummer und eine Uniform, in der Studium der Neueren Deutschen Fall wandert durch die Presse, und die Öffentlichkeit streitet sich waren – wie in allen Lagern für sowjetische Soldaten – äußerst elend. sie fotografi ert wurden. Ihre Fingerabdrücke wurden abgenommen, Geschichte und Neueren Deutschen darum, ob man einen greisen und vermeintlich kranken Mann noch Die Behandlung der Kriegsgefangenen durch die Wehrmacht war sie mussten eine Dienstverpfl ichtung unterzeichnen, in der sie be- Philologie an der TU und der HU vor Gericht zerren kann und muss, ob Sühne für die Beihilfe zum einerseits von der Rassenhierarchie der Nationalsozialisten geprägt. stätigten, keine jüdischen Vorfahren zu haben, nicht Mitglied der Berlin, seit 2008 Stipendiatin des Mord in 29.000 Fällen noch möglich ist. Andererseits wurde aber unter anderem auch berücksichtigt, welche kommunistischen Partei oder von deren Jugendverband Komsomol Cusanuswerkes. Promotionsthema ist 1971 musste sich der ehemalige SS-Sturmbannführer Karl Länder Sanktionsmöglichkeiten gegen deutsche Kriegsgefangene gewesen zu sein und für die Dauer des Krieges in deutschen Diensten »Die Geschichte des SS-Ausbildungs- Streibel als Kommandeur des SS-Ausbildungslagers Trawniki für hatten. Während sich so insbesondere die Versorgung und Behand- arbeiten zu wollen13 sowie Stillschweigen über ihre Tätigkeiten zu und Arbeitslagers Trawniki«. die Abstellung von Trawniki-Männern nach Bełżec, Sobibór und lung der britischen und amerikanischen Kriegsgefangenen lange bewahren. Auf die Frage, ob er Formulare ausfüllen musste, antwor- Publikationen u. a.: »Trawniki«, Treblinka und damit für den Mord an mindestens 850.000 Men- Zeit weitgehend an den Bestimmungen des Genfer Kriegsgefange- tete ein ehemaliger Trawniki: »Ich weiß es nicht. Wir haben keine in: Wolfgang Benz, Barbara Distel schen vor Gericht verantworten. In einem Ermittlungsverfahren nenabkommens orientierte, war die Politik der Deutschen bezüglich Formulare ausgefüllt. Sie gaben uns einige Papiere zum Unterzeich- (Hrsg.), Der Ort des Terrors, Bd. 7, gegen ehemalige Angehörige der Dienststelle SS- und Polizeiführer der sowjetischen Gefangenen eindeutig: Sie sollten nicht überleben, nen. Ich weiß nicht, was für Papiere das waren.«14 Natürlich sind München 2008; »Der Fall Demjanjuk Lublin (Georg Michalsen u. a.) wurde der Verfahrenskomplex ge- man ließ sie verhungern und erfrieren oder durch mangelnde Hygiene Aussagen von Tätern immer durchwoben mit Schutzbehauptungen, und die Trawnikis«, in: Tribüne, gen ehemalige Angehörige des SS-Ausbildungs- und Arbeitslagers und Versorgung sterben.4 Seuchen grassierten in den Lagern, Juden, Lügen und Unwahrheiten, doch scheint es durchaus realistisch, dass September 2009; »Wer ist John Trawniki abgetrennt. Neben Streibel wurden Michael Janczak, »Politkommissare«, »Intelligenzler« und zahlreiche andere wurden Demjanjuk, und welche Rolle spielten Erwin Mittrach und Theodor Pentziok als Zugführer sowie Kurt in den Lagern »ausgesondert« und ermordet. Vermutlich 3,3 der die Trawnikis für den Holocaust?«, Erich Reinberger als Kompanieführer von Ukrainereinheiten, die 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahr- 7 USA gegen Vladas Zajanckauskas, Holocaust Memorial Museum in: Jahrbuch für Antisemitismus- an »Aussiedlungsaktionen« und »Ghettoräumungen« beteiligt sam kamen ums Leben. Vladas Zajanckauskas, ehemaliger Sergeant (USHMM), RG-06.029.01*46, Box 48, Ordner 1, S. 21–22. Übersetzt aus dem forschung, Berlin 2009. gewesen waren, angeklagt. Außerdem musste sich Josef Napieralla der litauischen Armee, der aus dem Kriegsgefangenenlager Hammer- Engl. von der Autorin. als Angehöriger des SS-Arbeitslagers Trawniki für den Mord an stein in das SS-Ausbildungslager Trawniki5 rekrutiert wurde,6 sagte 8 Riwne war nicht das einzige Lager, aus dem rekrutiert wurde. Auch aus den vier Juden verantworten; sie wurden getötet, weil bei ihnen Brot Kriegsgefangenenlagern Lublin, Cholm, Biała Podlaska, Białystok, Shitomir und Grodno wurden Leute nach Trawniki gebracht. gefunden worden war. Die vierjährige Hauptverhandlung vor dem 9 Bereits ab Oktober 1941 wurden sowjetische Kriegsgefangene für Hilfsdienste Landgericht Hamburg wegen Mordes an den polnischen Juden im ausgewählt und nach Trawniki geschickt. Bis Frühjahr 1942 waren bereits 1.250 Zusammenhang mit der Liquidierung der Ghettos in Lublin und 3 B.Z. vom 12.5.2009. Rekruten dorthin überstellt worden. Warschau sowie Tötungshandlungen in den Lagern der »Aktion 4 Vgl. Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen 10 Vgl. Peter Black, »Die Trawniki-Männer und die ›Aktion Reinhard‹«, in: Bogdan Kriegsgefangenen 1941–1945, 4. Aufl ., Bonn 1997, S. 69–72; Rüdiger Over- Musial (Hrsg.), Aktion Reinhardt. Der Völkermord an den Juden im Generalgou- Reinhardt« endete 1976 mit Freisprüchen für alle sechs Angeklagten. mans, »Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945«, in: vernement 1941–1944. Osnabrück 2004, S. 317. Eine Revision gegen den Freispruch für Streibel wurde abgewiesen, Jörg Echternkamp (Hrsg.), Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Zwei- 11 Ebd., S. 314. ter Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung (Das Deutsche Reich und 12 Aussage Engelhardt, Bundesarchiv (BArch), B 162/1272, Bl. 487. der Zweite Weltkrieg 9/2), München 2005, S. 729–875. 13 Im Mai 1943 wurden die in Trawniki arbeitenden Wachmänner den Dienst- und 5 Trawniki lag circa 35 km südwestlich von Lublin. Dort bildete die SS Wach- Disziplinarvorschriften der Ordnungspolizei unterworfen. 1 Bildzeitung vom 6.3.2009. mannschaften für die Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« aus. 14 USA gegen Vladas Zajanckauskas, USHMM, RG-06.029.01*46, Box 48, 2 Die Zeit vom 2.7.2009. 6 Er erhielt in Trawniki die Identifi kationsnummer 2122. Ordner 1, S. 7–28. Übersetzt aus dem Engl. von der Autorin.

32 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 33 viele der Trawnikis nicht oder kaum verstanden, was sie unterzeich- in Gang zu halten. Sie stellten den zahlenmäßig größten Teil der neten. Von anderen Fällen ist bekannt, dass Dolmetscher zugegen Wachmannschaften und waren unter Anleitung und Kontrolle waren, die übersetzten, oder dass ein Erklärungstext auf Russisch der SS für den reibungslosen Ablauf des Betriebes zuständig. Sie vorhanden war. trieben die Juden aus den Deportationszügen in die Gaskammern, In Trawniki durchliefen die Rekruten eine circa zweimonatige überwachten das Kommando der »Leichenbrenner«20 und stellten Ausbildung, bestehend aus einem Sprachunterricht zur Erlernung der die Außenbewachung der Lager. Sie unterlagen bei diesen Arbeiten deutschen Kommandosprache und einer militärischen Grundausbil- strengen Regeln. Bei Vergehen erwarteten sie weit höhere Strafen als dung im Umgang mit Waffen. Auf die Frage nach dem Zweck der die SS. Die Trawnikis waren an zahlreichen Massenerschießungen Ausbildung antwortete Zajanckauskas: »Ich nehme an, sie wollten und vielfältigen Objektschutzaufgaben beteiligt. Sie konnten von uns zu deutschen Soldaten machen. Sie haben uns gelehrt, deutsch den SS- und Polizeiführern der fünf Distrikte des Generalgouver- zu sprechen […] wie ein Deutscher zu exerzieren, links um, rechts nements21 angefordert und zu Hilfsaktionen und zur Unterstützung um, umdrehen […] wie man ein Gewehr schultert und es abstellt.« Er von Polizei- und Sicherheitsdienst herangezogen werden. Ab 1941 sagte aus, dass das Training jeweils drei Wochen für das Exerzieren wurden auch Trawniki-Einheiten bei der »Partisanenbekämpfung« und drei Wochen für die Sprache dauerte, bevor er mit anderen zum eingesetzt, wobei sie durch SS- und Polizeieinheiten geführt und Dienst geschickt wurde.15 angeleitet die Anti-Partisanenaktionen unterstützten. Auch in Maj- Wie frei die Trawnikis in ihrer Bewegung waren, lässt sich danek und Auschwitz waren Trawniki-Männer tätig. nicht mit Bestimmtheit sagen. Das war abhängig von Zeitpunkt, Nachdem die Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« liqui- Aufenthaltsort, Vorgesetztem und Einsatzart. Auf die Frage, ob er diert worden waren, wurde ein Teil der »Trawnikis« im Konzen- Zwei »Trawnikis« Freunde gehabt habe, erzählt ein ehemaliger Trawniki-Mann, er trationslagersystem eingesetzt. Iwan Demjanjuk, der in Sobibór als während der habe sich mit den Menschen aus dem Dorf Trawniki angefreundet: Wachmann tätig gewesen war, wurde am 1. Oktober 1943 mit 139 Niederschlagung des »Anfangs benötigte ich die Erlaubnis meines Vorgesetzten, wenn ich anderen Trawniki-Männern ins Konzentrationslager Flossenbürg Warschauer Ghetto- ins Dorf ging, ohne Erlaubnis war es nicht möglich.«16 Ihm wurde überstellt. Die »Trawnikis« übernahmen neben den Aufgaben im Aufstandes. später gestattet, seine Freundin zu heiraten, und nach der Hochzeit Stammlager auch in einigen Außenlagern Wachaufgaben. Ebenso wie Foto: Polnisches durfte er zu verschiedenen Gelegenheiten auch bei ihr übernachten.17 für die Vernichtungslager lassen sich auch für die Konzentrations- Staatsarchiv, Warschau Darüber hinaus bekam er 14 Tage Urlaub, um seinen kranken Vater lager zahlreiche Disziplinarverstöße der »Trawnikis« nachweisen. in Litauen zu besuchen, von denen er allerdings nach fünf Tagen wie- Am häufi gsten waren Trunkenheit, Schlafen während der Wache, der zurückbeordert wurde (wahrscheinlich aus Personalmangel).18 Unpünktlichkeit und mangelnde Loyalität vermerkt.22 Die Trawnikis, die unter Leitung der SS Wachaufgaben in den 1952 gelingt Iwan Demjanjuk, der mittlerweile Frau und Toch- Israels aufgehoben. Er kehrte in die USA zurück und erlangte seine Sie unterlagen ständiger Überwachung und strikten Regeln. Sie Vernichtungslagern wahrnahmen, durften die Lager in ihrer Freizeit ter hat, die Ausreise in die USA. 1958 erhält er die amerikanische Staatsbürgerschaft wieder. Sie wurde ihm 2005 erneut aberkannt, waren zweitrangige Helfer. Sie wurden von den Deutschen als ver- verlassen. Allerdings wurden sie zuvor durchsucht, es war ihnen – im Staatsbürgerschaft. Bei dieser Gelegenheit ändert Iwan Demjanjuk da er bei seiner Einreise in die USA gelogen und seine Tätigkeiten längerter Arm genutzt, um die schrecklichste Arbeit zu verrichten: Gegensatz zu den SS-Männern – nicht gestattet, ihre Waffen außer- seinen Vornamen in John. Die Familie Demjanjuk lebt in Ohio. Als im Zweiten Weltkrieg verschwiegen hatte. Seit Mai 2009 nun sitzt das Betreiben der Mordmaschinerie. halb des Lagers zu tragen. Sie durften die Waffen auch im Lager nur Automechaniker arbeitet John Demjanjuk bis in die 1970er Jahre John (Iwan) Demjanjuk in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in Ohne Zweifel gab es eine große Anzahl von Trawniki-Männern, während der Dienstzeit tragen, und sie erhielten nur eine begrenzte bei Ford. Seine Frau bekommt noch einen Sohn und eine weitere München ein. Im Juli 2009 erhob die Staatsanwaltschaft München die äußerst brutal gegen Juden vorgingen, bei einigen von ihnen Menge Munition (fünf Patronen pro Kopf).19 Tochter. Wahrscheinlich durch einen Brief werden die sowjetischen Anklage gegen ihn. bildete mit Sicherheit ein bereits vorhandener Antisemitismus die Die Hauptaufgaben der Trawnikis waren die Räumung der Behörden, die seinen Namen auf einer Liste mit gesuchten Trawniki- Während die Frage, ob ein Prozess gegen einen so alten und Grundlage ihres Verhaltens. Andere mögen aus Anpassung, Angst, Ghettos ab März 1942 und die Bewachung der drei Vernichtungs- Männern haben, auf ihn aufmerksam. Nach Recherchen, der Anklage kranken Mann noch geführt werden sollte, eindeutig zu beantwor- Eigennutz oder auch Sadismus so gehandelt haben. Der wohl bekann- lager der »Aktion Reinhardt«, Bełżec, Sobibór und Treblinka. Dort durch das Offi ce for Special Investigations (OSI)23 und einem Prozess ten ist, ist die Frage nach der Gerechtigkeit in diesem Fall weitaus teste Fall ist der von »Iwan dem Schrecklichen«, der in Treblinka die dienten sie als Werkzeug der SS, um den Massenmord-Betrieb erfolgte 1986 der Verlust der Staatsbürgerschaft und seine Auslie- komplexer: In einem Rechtsstaat können Alter oder verstrichene Zeit Panzermotoren bedient hatte, mit deren Abgasen die Juden ermordet ferung an Israel, wo ein Verfahren gegen ihn mit einem Todesurteil nicht vor einem Prozess oder einer Verurteilung schützen. Auch für wurden und für den John (Iwan) Demjanjuk zunächst gehalten wur- endete. Das Urteil wurde jedoch nach dem Aufkommen ernstlicher die Opfer ist es wichtig, dass das begangene Unrecht verfolgt und de. »Iwan der Schreckliche« quälte jüdische Häftlinge und handelte Zweifel an der Identität von Demjanjuk vom Obersten Gerichtshof nach Möglichkeit geahndet wird. ihnen gegenüber sadistisch. Ein Treblinka-Überlebender berichtet 15 Ebd., S. 30. Doch wie eindeutig ist eine Zuordnung zur Opfer- bzw. Täter- über ihn: »Iwan hatte eine Waffe der Vernichtung; er hatte ein Rohr, 16 Ebd., S. 27 ff. seite und damit der Schuld möglich? Am Beispiel Trawniki wird ein Schwert, eine Peitsche, und er quälte seine Opfer mit diesen auf 17 Ebd., S. 40. 18 Ebd., S. 41. diese Schwierigkeit deutlich und lässt sich nicht für alle Rekruten ihrem Weg in die Gaskammern, besonders die Frauen, er schnitt sie in 19 Mit der Übernahme des Lagers Trawniki und der Vernichtungslager der »Aktion 20 So wurden die Häftlingskommandos genannt, die die Leichen aus den Gaskam- des Lagers vereinheitlichen. und zwischen die Beine.«24 Es fi nden sich zahlreiche weitere Berichte Reinhardt« durch das Reichssicherheitshauptamt erhielten zwar auch die Trawni- mern ziehen und verbrennen mussten. Die »Trawnikis« erlangten zu keiner Zeit den Status freier Mit- ki-Männer den Zusatz »SS«, doch handelte es sich dabei um eine reine Formali- 21 Warschau, Lublin, Radom, Krakau und ab Juli 1941 Galizien. arbeiter des deutschen Systems. Obgleich sie später den offi ziellen tät. In der Praxis waren die Trawnikis den deutschen SS-Männern klar unterge- 22 Vgl. Black, »Trawniki-Männer«, S. 350. ordnet und wurden – auch als sie im KZ-System im Deutschen Reich eingesetzt 23 Dabei handelt es sich um eine 1979 gegründete Sonderbehörde des Department Zusatz »SS« erhielten, wurden sie geführt, bewacht und kontrolliert wurden – nicht wie Angehörige der SS behandelt. Vgl. hierzu auch Stefan Hörd- of Justice, die illegal eingereiste Kriegsverbrecher aufspürte und vor Gericht durch deutsche SS-Männer, Polizisten oder den Sicherheitsdienst. 24 Aussage Elijahn Rosenberg vs. John Demjanjuk, USHMM, RG-06.029.01, ler, Dissertationsvorhaben zu den Wachmannschaften, HU Berlin. brachte. Box 6, Ordner 5, S. 514. Übersetzt aus dem Engl. von der Autorin.

34 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 35 von Überlebenden, die von »Ukrainern« begangene Grausamkeiten Verbrechen wieder an die deutsche Justiz übergeben. Tatsächlich war beschreiben.25 So berichten beispielsweise Überlebende von Treb- das Bemühen, NS-Verbrechen aufzuklären, jedoch gering. Insbeson- linka, betrunkene »Trawnikis« seien nachts in die Schlafbaracken dere Verbrechen, die nicht in die unmittelbare örtliche Zuständigkeit eingedrungen, hätten willkürlich einige Juden herausgeholt und diese fi elen, wurden kaum verfolgt. Erst die 1958 eingerichtete Zentrale zum Vergnügen zu Tode gequält.26 Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die die syste- Es gab aber auch Trawniki-Männer, die sich weigerten, die von matische Erforschung der Gewaltverbrechen im Nationalsozialismus ihnen geforderten Dienste zu leisten, und die desertierten. Einige von einleitete, und die dadurch seit Ende der 50er Jahre stattfi ndenden Wehrmachtsfeindliches Apriori? ihnen schlossen sich den Partisanen an und kämpften gegen die Deut- großen Strafprozesse eröffneten eine neue Dimension im Umgang schen, andere tauchten unter. Der ehemalige SS-Untersturmführer der Deutschen mit ihrer Vergangenheit. Die Ludwigsburger Zentral- Kritische Anmerkungen zu und letzte Kommandant von Treblinka, Kurt Franz, der in Treblinka stelle31 arbeitete enorme Mengen an Dokumenten auf und bediente für die »Trawnikis« zuständig war, sagte nach dem Krieg aus, ein sich dabei unter anderem der Hilfe des Instituts für Zeitgeschichte. apologetischer Literatur über Trawniki-Mann sei gefl ohen, wieder aufgegriffen und zur Warnung Mit der Unterstützung von Historikern und dem Zugriff auf Archive erschossen worden.27 Ein ehemaliger SS-Mann, der in Bełżec ein- im Ausland (Israel, Polen, Sowjetunion) mündeten viele Ermittlungs- den militärischen Widerstand gesetzt war, berichtete, Gottlieb Hering, der zweite Kommandant verfahren in Strafprozesse und führten zu Verurteilungen. von Christian Streit von Bełżec, habe eigenhändig zwei »Trawnikis«, die sich mit den Der Fall John (Iwan) Demjanjuk wird vermutlich der letzte Vorgängen in Bełżec nicht einverstanden zeigten, erschossen. Er ließ Prozess gegen einen Naziverbrecher sein. Und die deutsche und Die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg im sie zunächst einsperren. Sie mussten Häftlingsanzüge wie die Juden internationale Öffentlichkeit erwartet kritisch und mit geteilter Osten ist in den letzten 30 Jahren sehr eingehend anziehen und wurden erschossen.28 Meinung das Urteil gegen einen Mann, der tatsächlich direkt am untersucht worden. Die Ergebnisse haben auch zu Bei den Trawniki-Männern, die ihren Sadismus gegen Juden Betrieb des Massenmords beteiligt war. Der Freispruch im Prozess Diskussionen darüber geführt, inwieweit führende auslebten, bleiben die Motive zum Teil unklar. Die Aussage, sie gegen Karl Streibel und seine Mitangeklagten macht deutlich, wie Christian Streit, Jahrgang 1942, Vertreter des militärischen Widerstands in den Prozess der Radika- hätten oftmals schlimmer gewütet als die SS29, mag unter anderem groß der Spagat zwischen moralischer Bewertung und juristischer Studium der Geschichte und Anglistik lisierung der Mordpolitik den Juden gegenüber zwischen Juni und daran liegen, dass die »Trawnikis« diejenigen waren, die die Juden Argumentation sein kann: Der Vorwurf der Heimtücke wurde fallen in Heidelberg und am Dartmouth Spätherbst 1941 involviert waren. Dies gilt vor allem für den Be- bei Ghettoräumungen aus den Häusern und in den Vernichtungs- gelassen, Streibel habe nicht wissen müssen, wofür er die Männer College, Hanover, New Hampshire, fehlshaber der Panzergruppe 4, Generaloberst Erich Hoepner, den lagern aus den Zügen und in die Gaskammern trieben, sie waren ausbildete. Die Gerüchte, die er von zurückkehrenden Trawniki- USA. 1977 Promotion. Ersten Generalstabsoffi zier der Heeresgruppe Mitte, Oberstleutnant auch zahlenmäßig weit stärker vertreten als die SS und wurden als Männern gehört habe, habe er nicht glauben müssen, da es sich Veröffentlichungen: Keine Kame- i.G. Henning von Tresckow, und den Oberbefehlshaber der 17. Ar- mörderische Aktivisten wahrgenommen. nicht um offi zielle Informationen handelte. Andererseits wurde raden. Die Wehrmacht und die sowje- mee, General der Infanterie Carl-Heinrich von Stülpnagel. Das Fritz Die ersten Prozesse gegen NS-Verbrecher wurden 1945 von den der Vorwurf des heimtückischen Mords an den Juden abgemildert, tischen Kriegsgefangenen 1941–1945, Bauer Institut machte dieses Problem im Mai 1998 zum Thema ei- Siegermächten geführt und richteten sich wie der Nürnberger Haupt- wobei die Argumentation lautete: Die Juden haben per Hörensagen Stuttgart 1978, 4. Aufl . Bonn 1997; nes Symposiums.1 Neue Aktenfunde haben zu weiterer kritischer kriegsverbrecherprozess gegen nationalsozialistische Prominenz. 30 bereits von ihrer bevorstehenden Ermordung gewusst, seien also »Ostkrieg, Antibolschewismus und Beschäftigung mit dem Widerstandskreis um von Tresckow und zu Hochrangige Funktionäre des Besatzungsregimes und KZ-Personal nicht unwissend gewesen. Das war formell korrekte Rechtsprechung, ›Endlösung‹«, in: Geschichte und einer ebenso heftigen Abwehr dieser Kritik geführt.2 wurden an die Nationen ausgeliefert, auf deren Territorium sie tätig die ethisch schwer nachvollziehbar ist. Gesellschaft, 17. Jg. (1991), Nun hat Barbara Koehn, emeritierte Germanistikprofessorin der gewesen waren, wie der ehemalige Generalgouverneur Hans Frank Der Prozess gegen John (Iwan) Demjanjuk macht die Proble- S. 242–255; »Das Schicksal der Universität Rennes, einen schmalen Band veröffentlicht, mit dem oder der erste Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, die beide matik der Schuldzuweisung und Beweisführung erneut deutlich: verwundeten sowjetischen Kriegsge- sie anstrebt, Stülpnagel »gegen alle Anschuldigungen zu verteidigen in Polen zum Tod verurteilt und hingerichtet wurden. Unter der Demjanjuk gehört zu denen, die aktiv am Massenmord beteiligt fangenen«, in: Hannes Heer, Klaus und seinen Ruf rehabilitiert an die Geschichte zurückzugeben«.3 Man Hoheit der jeweiligen Besatzungsmacht fanden in allen vier Zonen waren, die selbst Opfer deutscher Gewaltherrschaft wurden und Naumann (Hrsg.), Vernichtungskrieg. würde dieses Bändchen als eklatante Apologie einfach ignorieren, Deutschlands Verfahren gegen NS-Täter, insbesondere auch gegen dann auf die Seite der Täter wechselten. Verbrechen der Wehrmacht 1941– wäre es nicht vom renommierten Wissenschaftsverlag Duncker KZ-Wachmannschaften statt. Grundsätzlich galt bis 1949 die Rege- 1944, Hamburg 1995, S. 78–91; & Humblot auf den Markt gebracht worden. Die Verfasserin hat lung, dass deutsche Gerichte nur dann Prozesse gegen NS-Verbrecher »General der Infanterie Hermann weder neue Akten erschlossen noch in Archiven recherchiert. Wie führen durften, wenn es sich bei den Opfern um Deutsche handelte. Reinecke«, in: Gerd R. Ueberschär sie erklärt, hat sie lediglich von der Familie von Stülpnagel zur Anfang der 1950er Jahre wurde die gesamte Strafverfolgung von NS- (Hrsg.), Hitlers militärische Elite, Bd. 1, Darmstadt 1998, S. 203–209; »Angehörige des militärischen Wider- standes und der Genozid an den 1 Vgl. Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen und der militärische Widerstand 25 Aussage Szmajzner, Treblinka-Überlebender, BArch B 162/3832, Bl. 4053. gegen Hitler, Darmstadt 2000. 26 Aussagen Sterdyner und Mendel, BArch, B 162/3838, Bl. 5441, 5447 und 5450. Juden im Südabschnitt der Ostfront«, 2 Vgl. Johannes Hürter, »Auf dem Weg zur Militäropposition«, in: Vierteljahrshef- 27 BArch, B 162/3833, Bl. 4409. in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), te für Zeitgeschichte (VfZ), 52. Jg., H. 3 (2004), S. 527–562; Felix Römer, »Das 28 BArch, B 162/4427, Bl. 480–481. NS-Verbrechen und der militärische Heeresgruppenkommando Mitte und der Vernichtungskrieg im Sommer 1941«, 29 Aussage Szmajzner, Treblinka-Überlebender, BArch B 162/3832, Bl. 4053. Widerstand gegen Hitler, Darmstadt in: VfZ, 53. Jg., H. 3 (2005), S. 451–460. Kritisch z. B. Hermann Graml, »Mas- 30 Vgl. Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.), Dachauer Hefte 13. Gericht und 31 Vgl. hierzu die Studie von Annette Weinke, Eine Gesellschaft ermittelt gegen senmord und Militäropposition«, in: VfZ, 54. Jg., H. 1 (2006), S. 1–24. Gerechtigkeit, Dachau 1997; Adalbert Rückerl, Die Strafverfolgung von NS-Ver- sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle in Ludwigsburg 1958–2008, 2000, S. 90–103. 3 Barbara Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel. Offi zier und Widerstandskämpfer. brechen 1945–1978. Eine Dokumentation, Heidelberg, Karlsruhe 1979. Darmstadt 2008. Eine Verteidigung, Berlin 2008, Zitat im Klappentext.

36 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 37 Verfügung gestellte Dokumente benutzt, darunter solche, die der sie als Quelle akzeptieren will, und aus Quellen das herauspickt, ehemalige Direktor des Bundesarchiv-Militärarchivs, Friedrich was ihr passt, den Rest aber ignoriert. Diese Arbeitsmethode soll Christian Stahl, zusammengestellt hatte, »der alle das AOK 17 an ihrer Interpretation der in diesem Zusammenhang wichtigsten betreffenden Akten im Freiburger Archiv eingesehen und die den Quellen verdeutlicht werden. General entlastenden Dokumente seinem Sohne Joachim übermittelt Koehn wendet sich vehement gegen die Feststellung, Stülpna- hat«.4 Es versteht sich von selbst, dass man auf dieser Basis nicht gel sei Antisemit und in die Anfänge der Judenmorde verwickelt zu unliebsamen Erkenntnissen kommen kann. Die Literaturbasis ist gewesen. Nun ist gerade in diesem Punkt die Quellenlage eindeutig. äußerst schmal. Eine Auseinandersetzung mit der umfangreichen Nach einer Meldung der Einsatzgruppe B (später Einsatzgruppe Literatur zur Verwicklung der Wehrmacht in die Vernichtungspolitik C) hatte AOK 17 »angeregt«, antijüdisch und antikommunistisch im Osten, die Voraussetzung für eine realistische Einschätzung der eingestellte Polen zu »Selbstreinigungsaktionen« – das heißt Po- Haltung des Generals wäre, hat die Verfasserin vermieden. Dahinter gromen – zu benutzen.8 Die Verfasserin unterschlägt, dass diese stecken offenkundig massive ideologische Vorbehalte. Die Histori- Meldung durch Heydrichs »Einsatzbefehl Nr. 2« vom 1. Juli 1941 ker, die sich in den letzten Jahren kritisch mit den Verbrechen der bestätigt wird, der die Unterstützung ebensolcher »Reinigungsaktio- Wehrmacht beschäftigt haben, sind ihrer Ansicht nach von einem nen« und die besondere Unterrichtung des dem AOK 17 zugeteilten »wehrmachtfeindlichen Apriori« bestimmt, sie folgen einer »gras- Sonderkommandos 4b anordnete, da sich »für diesen Bereich das sierenden Mode pauschalisierender, gegen Wehrmachtsangehörige AOK. anher [d.h. an das RSHA] gewandt« habe.9 Heydrichs Befehl gerichteter Schuldzuweisungen«.5 Zu dieser Kategorie zählt sie als war bei der Armee bekannt, da ihn auch das OKH erhalten und an »Ankläger« Stülpnagels neben dem Verfasser auch Helmut Kraus- AOK 17 weitergeleitet hatte.10 Koehn postuliert, die – als Geheime nick, Manfred Messerschmidt, Dieter Pohl, Ulrich Herbert, Ahlrich Reichssache eingestuften – »Ereignismeldungen UdSSR« seien Meyer und »andere die Wehrmacht mit Vehemenz angreifende keine glaubwürdigen Quellen, da es sich um »SS-Propagandatexte« Historiker«.6 Sie tut so den größten Teil der Literatur zum Ostkrieg handele.11 Für Heydrichs Mitteilung, die Armee habe sich an das Carl-Heinrich von Stülpnagel und zum Völkermord an den Juden als irrelevant für die von ihr RSHA gewandt – sie kennt sie nur als isoliertes Zitat, nicht aus Foto: Ullstein Bild beredt beschworene Suche nach der »historischen Wahrheit« ab. Sie dem Zusammenhang des Einsatzbefehls Nr. 2 –, konstruiert sie die Sowjetische Kriegsgefangene in einem deutschen Sammellager, geht von einem schlichten, von der Forschung längst widerlegten wahrhaft abenteuerliche Erklärung, Stülpnagels Armee habe dies Uman-Miropol im Juli 1941. Totalitarismusschema aus: Hitler gab im Frühjahr 1941 den Befehl, getan, um die Unterstützung des SD [sic!] bei der Beendigung des in Foto: bpk / Arthur Grimm das jüdische Volk auszurotten, Himmler, Heydrich und die SS führ- Lemberg tobenden Pogroms zu erreichen,12 eine These, die sogleich Zubereiten einer Mahlzeit, ten den Befehl aus. Koehns Sicht der Judenmorde entspricht dem zum Faktum wird. In den Akten der 17. Armee sei kein Schreiben an Kriegsgefangenenlager Uman-Miropol im Juli 1941. Forschungsstand von etwa 1970. das RSHA erhalten, beweiskräftig sei nur »ein vom General stam- Foto: bpk / Arthur Grimm Sachliche Fehler und verquere Interpretationen gibt es in dem mender oder unterzeichneter Text, der den Begriff ›Selbstreinigung Band mehr als genug. Die Ansicht, Akten, die in den Archiven der eroberten Gebiete‹ enthielte«.13 nicht auffi ndbar seien, hätten nie existiert, ist absurd. Mehrfach Stülpnagels antisemitische Überzeugungen gehen eindeutig aus leitet die Verfasserin aus nicht abgesicherten Interpretationen seinem Schreiben an die Heeresgruppe Süd vom 12. August 1941 Vermutungen ab, die in der Folge zu feststehenden Tatsachen hervor: Die Erfahrungen im Kampf gegen die Sowjetunion zeigten die mutieren. Noch schlimmer ist, dass sie zugunsten ihres Zieles, Notwendigkeit eines »vermehrte[n] Kampf[es] gegen den Bolsche- das »Bild eines sich selbst treu gebliebenen Mannes, seiner Größe wismus und das vor allem in seinem Sinne wirkende internationale und seines Adels«7 wiederherzustellen, willkürlich bestimmt, was Judentum«. Da »drakonische Maßnahmen gegen Juden bei einzelnen Bevölkerungskreisen Mitleid und Sympathie für sie erzeugt« hätten, sei eine »nachdrückliche Aufklärung über das Judentum« unter der Zentren einer Widerstandsbewegung betätigen können«.14 Ähn- im OKW nicht gegeben«.16 Weshalb dies nicht der Fall gewesen Bevölkerung der Ukraine notwendig, um zu verhindern, »daß die liche Formulierungen fi nden sich in Zitaten aus einem Schreiben sein kann, begründet sie nicht, sie schließt dies lediglich aus ihrer 4 Ebd., S. [5], Hervorhebung, C.S. Stülpnagels vom 21. August 1941 in einer internen Aktennotiz der Überzeugung, dass Stülpnagel die zitierten Wendungen nicht ge- 5 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 60, S. 13. Juden über kurz oder lang unter der Hand wieder Einfl uß gewinnen 15 6 Ebd., S. 13, S. 89 f. Vgl. Christian Streit, »Angehörige des militärischen Wider- auf das Wirtschaftsleben, vor allem im freien Handel, oder sich als Abteilung Wehrmachtpropaganda im OKW. Bei Koehn wird aus braucht haben könne. stands und der Genozid«, in: Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen, S. 90–103; Hel- der internen Aktennotiz eine »Publikation«, eine »Veröffentlichung«, Da das Schreiben vom 12. August 1941 zweifelsfrei Stülpnagel mut Krausnick, Hans-Heinrich Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrie- später spricht sie einfach von einer »Fälschung« – es habe »einen direkt zuzuordnen ist, versucht sie mit einer angestrengten Kasuis- ges, Stuttgart 1981; Manfred Messerschmidt, »Motive der militärischen Ver- solchen Brief Stülpnagels an die Abteilung Wehrmachtpropaganda tik zu beweisen, dass er nicht antisemitisch argumentiert habe. Er schwörer«, in: Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen, S. 107–118; Dieter Pohl, Na- tionalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944, München 1996; 8 Ereignismeldungen UdSSR Nr. 10, 2.7.1941, Bundesarchiv (BArch) R 58/ R 214. spreche »nicht von den Juden schlechthin, sondern nur von den Ulrich Herbert, »Die deutsche Militärverwaltung in Paris und die Deportation der 9 BArch R 70/SU 32. kommunistischen (›internationales Judentum‹)«, er setze diese also französischen Juden«, in: ders. (Hrsg.), Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 10 Vgl. Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht, München 2008, S. 156 f. 1939–1945, Frankfurt am Main 1998, S. 170–208; Ahlrich Meyer, Die deutsche 11 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 18. 14 Bundesarchiv/Militärarchiv (BArch/MA) RH 20-17/280 – abgedruckt in: Ueber- Besatzung in Frankreich 1940–1944, Darmstadt 2000. 12 Vgl. ebd., S. 35, S. 42. schär (Hrsg.), NS-Verbrechen, S. 179–181, Hervorhebung im Original. 7 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 130. 13 Ebd., S. 18. 15 [OKW/WPr/] AP 7 v. 16.8.1942, BArch/MA RW 4/v. 257. 16 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 72, Hervorhebung so bei der Verfasserin.

38 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 39 »nicht pauschal mit dem jüdischen Volk gleich«. Stülpnagel habe also müssen.23 Abgesehen davon, dass diese Argumentation für die Juden habe zur Fürsorgepfl icht der Truppenführer gehört, die deutschen war dann aber neben Hoepner der einzige Armeeführer der Ostfront nicht »einer antisemitischen [sondern] einer antibolschewistischen der westlichen Ukraine, die erst seit September 1939 sowjetisches Soldaten mit den völkerrechtlich »vorgesehenen Maßnahmen« und einer von weniger als einem Dutzend Generale, die sich zum Aversion, die ihn ehren dürfte, Ausdruck« gegeben.17 Sollte die Gebiet war, nicht gelten kann, erweckt Koehn den Eindruck, die vor den Partisanen zu schützen. Oberfl ächlich gesehen habe es Widerstand entschlossen, um den Weg in die totale Katastrophe zu Germanistin, die ihr Leben mit Textarbeit verbracht hat, tatsächlich Juden seien selbst an ihrer Verfolgung schuld gewesen, und ignoriert, eine »Ideenkonvergenz« zwischen diesen »Repressalien« und den verhindern. Das macht ihn unter den mehr als 3.000 seiner Gene- einfach übersehen haben, dass er in dem Schreiben sehr wohl von dass im Juni 1941 eine organisierte Partisanenbewegung noch Ausrottungsaktionen des SD gegeben. Die Beweggründe seien rals- und Admiralskameraden, die Hitler bis zum bitteren Ende die den Juden ganz allgemein spricht: »[…] daß die Juden über kurz nicht existierte. Erst im Spätsommer 1941 bildeten sich Ansätze zu dennoch ganz andere gewesen: Treue hielten, zu einer Ausnahmeerscheinung. Für die Annahme, oder lang unter der Hand wieder Einfl uß gewinnen«; »nachdrückliche einem Partisanenwesen, vor allem aus versprengten Rotarmisten »Für die Wehrmacht dienten sie der Sicherheit der Truppe, Grundlage seiner Entscheidung seien auch die Verbrechen an den Aufklärung über das Judentum«?18 Weshalb der General ausgerech- und geflohenen Kriegsgefangenen. Die von Solschenizyn waren also militärisch, für den SD waren sie weltanschaulich- Juden gewesen,30 fehlt aber jeder zeitgenössische Beleg. net Juden, die wegen ihrer Rolle in der Wirtschaft auch während der genannten Zahlen gelten für den späteren Kriegsverlauf und die rassistisch, also politisch, denn es handelte sich um die Erfüllung Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es der Verfasserin, sowjetischen Besetzung der Westukraine verfolgt worden waren, gesamte Ostfront. Dass die Flucht zu den Partisanen für Juden die des Völkermords. Deshalb kann füglich geschlossen werden, dass ungeachtet aller Versicherungen, es gehe ihr einzig und allein um als Kommunisten angesehen haben sollte, erklärt die Autorin nicht. aussichtsreichste Überlebenschance bot, bleibt außer Betracht. die Beweggründe C.-H. von Stülpnagels militärisch-strategisch die »historische Wahrheit«, nicht um wissenschaftliche Erkenntnis Ein besonders krasses Beispiel ihrer Quelleninterpretation Mit der Bezeichnung der Judenmorde als »Repressalien« und nicht weltanschaulich-rassistisch waren, was doch einen geht. Es geht ihr um Erinnerungspolitik, und auch da nicht nur um bietet ein Armeebefehl vom 7. September 1941. Dieser forderte übernimmt die Verfasserin die Propaganda von Wehrmacht und entscheidenden Unterschied ausmachen dürfte.«26 eine Revision des Bildes von Stülpnagel, sondern um die Wieder- die Sperrung aller Dnjeprbrücken für »jeglichen Zivilverkehr« und SD. Repressalien mussten auch damals nach dem allgemeinen Diese Art der Argumentation spricht für sich. Es fragt sich, herstellung eines Bildes der Wehrmacht, das allenfalls Außenseiter die Festnahme aller »abwehrmäßig ›verdächtigen‹« Personen beim Kriegsvölkerrecht verhältnismäßig sein, den Opfern musste wie man »Antisemitismus« defi nieren muss, wenn man in dem als Erfüllungsgehilfen nationalsozialistischer Ausrottungspolitik Überqueren der Brücken. »Abwehrmäßig ›verdächtig‹« waren auch zumindest eine Zustimmung zum Handeln der Täter nachgewiesen Schreiben vom 12. August 1941 keinen Antisemitismus sehen will. sieht. Die Arbeiten, die Stülpnagel und die Wehrmacht kritisch be- »Juden beiderlei Geschlechts und jeden Alters«.19 Damit wurde werden. Die Verfasserin ignoriert, dass bei den allermeisten Dem General waren die nationalsozialistische Judenpolitik seit 1933 trachten, sieht sie als Ausdruck von »political correctness«, die ein auch jüdischen Frauen und Kindern der Fluchtweg nach Osten ab- Massenerschießungen jüdischer Männer jeder Anlass für Repressalien und der Pogrom vom 9. November 1938 ebenso wenig verborgen »deutsches Trauma preis[geben]«.31 Worin dieses »deutsche Trauma« geschnitten. Gerade dies bestreitet die Verfasserin aber vehement. fehlte, dass vielmehr schon in den ersten Wochen des Krieges geblieben wie das Schicksal der Juden in Polen, und er hatte eine besteht, sagt sie nicht, es lässt sich aber mühelos erschließen: Die Nichts erlaube, »zu behaupten, dass prinzipiell ›Juden beiderlei Tausende völlig unschuldiger jüdischer Männer als »Vergeltung« für mehr als oberfl ächliche Ahnung von dem, was den Juden in den betreffenden Historiker wühlen immer wieder in deutscher Schuld, Geschlechts und jeden Alters als abwehrmäßig verdächtig‹ festge- nicht näher spezifi zierte »Greuel der Sowjets« umgebracht wurden.24 neu besetzten Gebieten bis dahin schon geschehen war. Die Autorin sie wagen es aus opportunistischen Gründen nicht, die hierzulande nommen werden sollten«.20 Auch hier wird deutlich, wie sie Quellen In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass das AOK 17 bereits bleibt eine Erklärung dazu schuldig, welche Konsequenzen er für die tabuisierte Rolle der Juden im Bolschewismus anzusprechen. Die für das Prokrustesbett ihrer Interpretation zurechtstutzt. am 28. Juni 1941 beim Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresge- Juden erwartet haben mochte, wenn er unter diesen Bedingungen von diesen Juden mit angezettelten Kriegsverbrechen der Roten Mit der damit verbundenen Einschätzung der Rolle der Juden in bietes [Süd] beantragt hatte, bei der Armee zusätzlich zum Sonder- die zitierten Forderungen stellte. Armee hätten aber erst entsprechende Reaktionen der Wehrmacht der Sowjetunion begibt sich die Autorin auf eine völlig unhaltbare kommando 4b das Einsatzkommando 6 einzusetzen. Die Armee Koehn will Stülpnagel zum reinen, unbefl eckten Helden ma- ausgelöst. So verwundert es auch nicht, dass kurz nach dem Er- Argumentationsebene. »Der heutige Historiker« müsse bedenken, hatte damals keinerlei Hinweise auf eine konkrete Gefährdung durch chen. Dass er Antisemit und Widerstandskämpfer war, ist für sie scheinen von Koehns Buch in der Wochenzeitung Junge Freiheit, dass »die Einschätzung der Lage im besetzten ukrainischen Gebiet Partisanen. Ebenso wenig konnte man wissen, welche Verbrechen unvorstellbar. Der General teilte aber mit den meisten Offi zieren die diese Gedanken immer wieder propagiert, eine enthusiastische durch die Wehrmacht nicht so falsch gewesen sein kann, dass in der man kurz darauf in Lemberg entdecken würde. Was Stülpnagel seiner Generation einen aus dem Kaiserreich überkommenen Antise- Besprechung erschien.32 Tat nicht wenig[e] Juden ein vom Regime begünstigtes Sonderstatut und seinen Stab damals bewegte, waren auf dem Ideologem des mitismus, der durch ihre Interpretation der Niederlage 1918 und der Bei Duncker & Humblot sind in jüngerer Zeit mehrere Arbeiten besaßen und ihm dementsprechend zu Diensten waren«. Sie »jüdischen Bolschewismus« basierende Bedrohungsvorstellun- Erfahrungen der Revolutionszeit bis 1923 noch verschärft worden erschienen, die diesem Denken nahestehen. Klaus Jochen Arnold postuliert, dass die Juden »dadurch ihre nationale und religiöse gen, die das Denken der militärischen Führung auf allen Ebenen war.27 Die Wandlung vom früher »guten Nationalsozialisten« – so bestreitet, dass es einen Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegeben Besonderheit verloren und ›sowjetisiert‹« wurden,21 also nicht mehr bestimmten. Truppenführung und SD stimmten darin überein, dass Göring im November 194228 – zu einer der Säulen des militärischen habe, und sieht sowjetische Kriegsverbrechen als entscheidende Juden gewesen seien, dass Stülpnagel folglich nicht antisemitisch, mit diesen ersten Massenerschießungen, denen primär Angehörige Widerstands war jedoch, wie zum Beispiel auch bei Hoepner, von Katalysatoren von Vergeltungsaktionen der Wehrmacht.33 Stefan sondern antibolschewistisch gehandelt habe. Juden seien neben der jüdischen Intelligenz zum Opfer fi elen, eine potenzielle Gefahr Tresckow und Generalquartiermeister Wagner, ein langer Prozess Scheil, freier Mitarbeiter der Jungen Freiheit, bemüht sich seit russischen Kommunisten die Hauptträger des Partisanentums präventiv beseitigt wurde. Das Einsatzkommando 6 meldete der voller Widersprüche. Der militärische Widerstand war zwischen Jahren, Deutschland von der Schuld an der Auslösung des Zweiten gewesen; Solschenizyn folgend nennt sie eine Zahl von 25.000 Armee am 5. Juli 1941, man habe in Lemberg bereits »über 400 dem Sieg über Frankreich und der Jahreswende 1941/42 praktisch Weltkriegs freizusprechen.34 Arbeiten dieser Art scheinen Koehn in bis 30.000 jüdischen Partisanen.22 Diese Partisanentätigkeit habe Juden erschossen«, es würden »weitere 200 folgen«.25 Hier ist die tot, und auch konservative Hitlergegner ließen sich im Krieg gegen der Zuversicht bestärkt zu haben, dass sich in Deutschland ein völlig die jüdischen und kommunistischen Partisanen selbst »und ihnen Kenntnis der Armeeführung von der Erschießung Hunderter Juden die Sowjetunion in beispiellose Vernichtungsmaßnahmen integrie- anderer »Umgang mit der Geschichte sich anbahnt«.35 nahestehende Bevölkerungsgruppen zu Opfern der deutschen eindeutig belegt, damit ist auch klar, was Stülpnagel meinte, wenn ren. Dazu gehörte der organisierte Massenmord an den politischen Repressalien im Kampf gegen das Partisanenwesen machen« er von »drakonischen Maßnahmen« sprach. Kommissaren der Roten Armee, der, anders als es Koehn wahrhaben Koehn versucht freilich, für Stülpnagel auch bei diesen Morden will, auch in Stülpnagels Armee durchgeführt wurde.29 Stülpnagel S. 586–622. Römer hat für 11 der 12 Divisionen der Armee eindeutige Belege für ein Handeln im Sinne der Verantwortungsethik zu reklamieren. Es die Durchführung gefunden. 30 Vgl. Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 25, S. 29, S. 60 f., S. 73, S. 132. 17 Ebd., S. 74, S. 77, Anm. 118. 31 Ebd., S.12. 18 BArch/MA, RH 20-17/280 – abgedruckt in: Ueberschär (Hrsg.), NS-Verbrechen, 26 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 70, Hervorhebung im Original. 32 Junge Freiheit, Nr. 52/08–01/09 v. 19./26.12.2008. S. 179–181, Hervorhebung hier, C. S. 27 Vgl. dazu Johannes Hürter, Hitlers Heerführer, München 2006, S. 138 ff., S. 509– 33 Vgl. z.B. Klaus Jochen Arnold, Die Wehrmacht und die Besatzungspolitik in den 19 Vgl. den vollen Text bei Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 144–146, Her- 23 Ebd., S. 70, Hervorhebung, C.S.; dazu gehörte die gesamte jüdische Bevölkerung. 599. besetzten Gebieten der Sowjetunion, Berlin 2004. vorhebung im Original. 24 Vgl. Christian Streit, »Ostkrieg, Antibolschewismus und ›Endlösung‹«, in: Ge- 28 Vgl. Hildegard v. Kotze (Hrsg.), Heeresadjutant bei Hitler 1938–1943, Stuttgart 34 Vgl. Stefan Scheil, Fünf plus Zwei, Berlin 2003; ders., 1940/41. Die Eskalation 20 Ebd., S. 58. schichte und Gesellschaft, 17. Jg. (1991), S. 252. 1974, S. 133. des Zweiten Weltkriegs, München 2005; ders., Churchill, Hitler und der Antisemi- 21 Ebd., S. 68 f. 25 Felix Römer, Der Kommissarbefehl. Paderborn 2008, S. 330, nach BArch/MA, 29 Vgl. Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 55. – Zur Durchführung des Be- tismus, Berlin 2009. 22 Vgl. ebd., S. 64. RH 20-17/769. fehls in AOK 17 vgl. jetzt Römer, Kommissarbefehl, S. 122, S. 135, S. 479, 35 Koehn, Carl-Heinrich von Stülpnagel, S. 133.

40 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 41 der Schlussstrich-Befürworter zeigt einerseits eine vergleichsweise binden sich unterschiedliche kategoriale Ausprägungen; ähnliche normale, andererseits eine rechtsschiefere Verteilung. Dies deutet Visualisierungen liefert die Ausdifferenzierung der Bejahung des neben der Mitte auf zwei Gruppen. Bei einer breiten Mitte (27 Pro- Schlussstrichs nach Altersgruppen, hinsichtlich des politischen In- zent) kommen auf zwei sich eher links einordnende Befürworter teresses oder nach materialistischen und postmaterialistischen Ein- drei Rechte. Alle treffen sich im Schlussstrich. Diese Verteilung stellungstypen. »Einen Schlussstrich unter die national- von sich annähernd je zu einem Teil »links« und in der »Mitte« einordnender Personen gegenüber beinahe dem Zweifachen an Die Befürwortung des Schlussstrichs sozialistische Vergangenheit ziehen« »rechts« eingestellten Personen bestimmt die Differenz der Grup- und die Rechts-links-Selbsteinstufung pierungen und Einstellungen zur Schlussstrich-Argumentation. Die Heterogenität des Arguments selbst und seiner Bejahung bilden Zur politischen Soziologie Hypothetisch wird von folgenden differenten Deutungen des den Ausgang: Welche Mehrheit, gebildet aus welchen Gruppen, zieht Schlussstrichs je nach der rechten oder linken Selbsteinstufung einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit? Welche verschie- eines historischen Deutungsmusters ausgegangen: denen Gruppen sind es, die sich mit verschiedenen Einstellungen › »Links«: Der Schlussstrich wird refl exiv gezogen, man ist sich in dieser Schnittmenge treffen? Gefragt wird nach dem sozialen von Eike Hennig der seit 1945 erfolgten Demokratisierung sicher, rüttelt nicht an Aggregat, den Gruppen, und nach dem Syndrom, den differenten der Anerkennung des NS-Unrechts, kritisiert aber das Gewicht Einstellungen im Deutungsmuster Schlussstrich. »Es wird Zeit, dass unter die nationalsozialistische der NS-Verweise, die Instrumentalisierung von Nationalsozialis- Die Klärung bedarf zunächst theoretischer Vorüberlegung zur Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen wird.« mus und Holocaust. Geschichte des Schlussstrichs und seinen Dimensionen, danach Diese Aussage fi ndet sich in einer Umfrage (Allbus › »Mitte«: Die Zustimmung zum Schlussstrich erfolgt »gedanken- werden die Umfragedaten (Allbus 2006) analysiert. Dies sind die 2006). Hierbei handelt es sich um eine repräsentati- los«, aus einem Überdruss am Thema mit seiner gegenwartsbe- Schwerpunkte der folgenden mehr sozialwissenschaftlichen als Eike Hennig, Jahrgang1943; ve, von einem Beirat begleitete und von der Deutschen Forschungs- zogenen Thematisierung, an seiner starken medialen und pädago- historischen Betrachtung. Studium der Soziologie und gemeinschaft fi nanzierte, methodisch anspruchsvolle Umfrage. Die- gischen Präsenz. Politikwissenschaft in Marburg und se steht mit ihren Daten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Ver- › »Rechts«: Der Schlussstrich steht in Verbindung mit antisemiti- Das Deutungsmuster Schlussstrich Frankfurt am Main; Promotion und fügung. Themenschwerpunkt der Umfrage von 2006 sind die Ein- schen und rechtsextremen Einstellungen. Bei der Aussage: »Es wird Zeit, dass unter die nationalsozialistische Habilitation im Fach Politik- stellungen der Deutschen gegenüber ethnischen Gruppen (darunter Die Grafik unten zeigt, dass sich diejenigen Personen, die das Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen wird«, handelt es sich um wissenschaft in Marburg und Juden).1 Der zitierten Aussage stimmten 59 Prozent der Befragten Schlussstrich-Argument verwenden, unterschiedlich auf einer ein Deutungsmuster. Das ist eine lebendige Einstellung zur Geschich- Hannover; 1975–1981 Professor für zu.2 33 Prozent zeigten sich gegenteiliger Ansicht: »Es sollte kein Rechts-links-Skala einordnen. Mit dem Schlussstrich-Syndrom ver- te, zur Bedeutung und Ordnung historischer Fakten. Das Muster Soziologie (Massenkommunikations- Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit gezo- ergibt sich aus der Zustimmung vieler Einzelner; diese Aggregierung forschung) am Fachbereich gen werden, auch wenn seither einige Zeit vergangen ist.« 9 Prozent erhält (oder erhält nicht) eine historische Zeitspanne lebendig, gibt 500 Gesellschaftswissenschaften der äußerten sich nicht. Dies ergibt ein klares Meinungsbild: Bei we- 493 ihr einen Gehalt mit Bezug zur Gegenwart. So entstehen »kollektive Goethe-Universität Frankfurt am nigen Enthaltungen stimmen knapp zwei Drittel der Schlussstrich- Zeiten«4 mit ihren beiden Positionen, dem Schlussstrich und Konti- Main; 1981–2008 Professor für Aussage zu. Allbus 2006 basiert auf einer repräsentativen Zufalls- nuum, dem Schluss, dem Abschluss und der Nachwirkung. Im Kern Theorie und Methoden der stichprobe, so dass hieraus auf die Bevölkerung der Bundesrepublik 400 gehört zur Bejahung des Schlussstrichs die Intention, Gegenwart und 406 Politikwissenschaft am Fachbereich gefolgert werden kann.3 Zukunft vom Gewicht des Nationalsozialismus zu befreien. Dies ist Gesellschaftswissenschaften der Die soziologische Vorannahme einer Bewertung der Umfra- affi rmativ oder refl exiv denkbar als Verdrängung, ja Verleugnung Universität Kassel; Gastprofessor geergebnisse lautet: Hinter einer solchen Zustimmung verbirgt der NS-Vergangenheit oder als akzeptierte und geltende Kritik und und »research fellow« in Oxford, sich Varianz, diese Meinung wird von keiner einheitlichen Gruppe 300 1 bis 4 = 534 6 bis 10 = 830 Mahnung bei Zurückweisung von Instrumentalisierung und Häu- Aalborg, Kopenhagen, Los Angeles, getragen. Bereits ein erster Blick auf die Rechts-links-Einstufung fi gkeit der Verweise auf diesen Teil der Geschichte und kollektiven Amsterdam und Chicago; Identität. Das von zwei Dritteln der Gesellschaft geteilte sinnstiftende 2008 Gastprofessor am Sigmund- Deutungsmuster ist offen für differente Inhalte und Intentionen, seien 200 222 222 Freud-Institut in Frankfurt am Main; 1 Vgl. Eike Hennig, »Antisemitismus: links, rechts und in der Mitte«, in: Dagmar 206 sie traditionell und konventionell oder kritisch und postkonventio- 2009 Mitarbeiter der Universität des Bussiek, Simona Göbel (Hg.), Kultur, Politik und Öffentlichkeit, Kassel 2009, nell.5 Als Deutungsmuster ist die Bejahung des Schlussstrichs eine S. 556–574. Befürwortung des Schlusstrichs Dritten Lebensalters an der Goethe- 145 Universität Frankfurt am Main. 2 Alle Prozentangaben werden ganzzahlig gerundet. Exakt bejahen 58,6 Prozent (i.s. 64,2 Prozent derer, die sich zu den Meinungssätzen äußern) einen 100 Prof. Dr. Eike Hennig ist Schlussstrich. Vorstandsmitglied im Förderverein 3 Bezug ist die »Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften« un- 4 Von »kollektiven Zeiten« redet Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, ter 3.421 Befragten vom März bis August 2006 (Allbus 2006). Vgl. GESIS (Ge- 52 48 Frankfurt am Main 1985, S. 126. Fritz Bauer Institut e.V. 38 sellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen), http://www.ge- 0 25 5 Konventionelle und postkonventionelle Identität unterscheidet Jürgen Habermas sis.org/dienstleistungen/daten/umfragedaten/allbus/. Dort fi ndet sich der Frage- links 2 3 4 5 6 7 8 9 rechts im Historikerstreit: »Eine Art Schadensabwicklung«, in: »Historikerstreit«. Die bogen, http://www.gesis.org/fi leadmin/upload/dienstleistung/daten/umfrageda- Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialisti- ten/allbus/Fragebogen/ALLBUS_2006.pdf. Rechts-links-Selbsteinstufung schen Judenvernichtung, München, Zürich 1987, S. 62–76.

42 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 43 aus »Ereignissen bestehende Materie« und eine hinreichend weit illustrieren dies beispielhaft. Schlussstrich, Aufarbeitung, Vergan- als »geistige Brandstiftung«, da die Erinnerung ausgelöscht werde.) gefasste inhaltliche Bestimmung von Zeit.6 genheitsbewältigung und Historisierung sind differente Modi10 des In Politik und Zeitgeschichte ist ein Schlussstrich jedenfalls erheblich Studienreisen in die »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie pädagogischen, psychologischen, politischen und wissenschaftlichen schwieriger zu setzen als in der Musik, und von »geschichtlicher interessantere Hälfte Europas 15 16 machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, Umgangs mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Rückfallversicherung« gilt es Abstand zu nehmen. Geschichte, Politik, Literatur, Jüdisches Leben sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlie- Viele Wege sind denkbar, um sich den angeführten Dimen- ferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie sionen von Handeln, Deuten und Geschichte, der nationalsoziali- Zur Geschichte des Schlussstrichs Armenien • Georgien • Rumänien • Sofia ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.« So lautet eine berühmte stischen Geschichte und ihrer Wirkung und Bedeutung nach 1945 Geschichtsbilder unterliegen der Sozialisation, sie werden erneuert Chiúinău • Lemberg • Czernowitz • Kiew • Odessa • Krim Feststellung, mit der Marx7 seine Darstellung der Herrschaft von aus Sicht verschiedener Wissenschaftsdisziplinen mit spezifi schen oder verworfen, unterliegen selbst der Geschichte. Dabei entwickelt Galizien-Transkarpatien • Podolien-Wolhynien • Minsk Moskau • Königsberg-Kurische Nehrung • St. Petersburg Louis Bonaparte (Napoleon III.), dem Neffen von Napoleon I., ein- Blickwinkeln und Methoden zu nähern. »Schlussstrich« ist eine sich, mit Akzenten insbesondere um 1960 und 1980, ein Widerspruch Riga • Tallinn-Tartu • Wilna-Kurische Nehrung leitet. Marx verknüpft Struktur mit Aktion. Akteure sind nicht frei Metapher, die in vielen Feldern gebraucht wird. An Nennungen bei zwischen privater Sozialisation und Sozialisationsinstanzen. Offi ziell Krakau • Danzig • Lublin-ZamoĞü • Ljubljana von Strukturierungen, auch wenn sie vermeintlich frei mit diesen der Suchmaschine Google (abgerufen am 10. August 2009) erbringt wird kein Schlussstrich gefordert, inoffi ziell nehmen Positionen Sarajevo-Mostar • Belgrad-Novi Sad • Israel Gegebenheiten umgehen. Ferner verbindet er Vergangenheit und »Schlussstrich« ohne jede Erläuterung 67.200 Einträge; das Thema zu, die der vom Nationalsozialismus ausgehenden Mahnungen New York - Osteuropäisch, Jüdisch, Literarisch

Gegenwart, die Vergangenheit strukturiert Handlungsentwürfe, beginnt persönlich als Strich unter einer Beziehung. Schlussstrich überdrüssig sind, die für Normalisierung und eine Versöhnung mit Geschichtsbilder und Deutungen. Es gibt Akteure, die nach hinten, und Nationalsozialismus ergibt 22.100 Eintragungen, es soll kein dem »gesunden« Nationalgefühl eintreten. Allbus 2006 verzeichnet und solche, die nach vorn sehen, diese Sichtweise verbindet Marx Strich unter Zwangsarbeit gezogen werden, aktive Erinnerungs- 20 Prozent, die sehr stolz sind, Deutsche(r) zu sein. mit Lernprozessen und Interessen. Auch für die zukunftsorientierte und Bildungsarbeit mögen betrieben werden. Die Kombination aus Die Semantik der Schlussstrich-Argumentation unterliegt Wand- politische Bewegung gibt es keinen Sprung in eine geschichtsfreie, Schlussstrich und Zeitgeschichte führt zu 7.980 Fundstellen, begin- lungen und verbindet sich in der Bundesrepublik mit verschiedenen von geschichtlichen Deutungen freie Zeit und Zukunft. nend mit Stasiakten. Erst die Verbindung Schlussstrich und Erich Intentionen, von der Amnestie für Militär und Bürokratie über Zu unterscheiden sind aktive wie passive Momente, Freiheit Mende ergibt »nur« 1.730 Nennungen und führt zum Ausgangspunkt Geschichtsbilder bis zur politischen Bildung. Auch die Kritik am Katalog kostenlos von 11 und Nachwirkung, vergangene, gegenwärtige und zukünftige der Metapher. Hier wird Fritz Bauer genannt. Schlussstrich gehört zur Geschichte der Bundesrepublik. Die Me- Ex Oriente Lux Reisen Entwicklungen wie Handlungsentwürfe und Deutungen, objektive tapher beginnt explizit mit der Verjährungsdebatte, mit Äußerungen Neue Grünstr. 38, 10179 Berlin Tel 030-62 90 82 05 Strukturen und deren Strukturierung subjektiver Eindrücke. Der Differenzen im Schlussstrichdenken von Erich Mende. Die Rede ist vom »Blick nach vorn«. Ohne den Fax 030-62 90 82 09 Schlussstrich bezeichnet eine Absicht, wie man absichtsvoll histori- »Man-wird-ja-wohl-noch-mal-sagen-dürfen«12: Das Spiel mit Span- Nationalsozialismus zu nennen, will Mende einen Schlussstrich www.eol-reisen.de [email protected] schen Strukturierungen, auch der Moral einer kritisch nachwirkenden nungen und Andeutungen bestimmt die Bilder um den Schlussstrich »unter alle durch die Vor- und Nachkriegswirren entstandenen Foto: Tallinn. Vergangenheit entgehen möchte. unter die NS-Vergangenheit. Vorgestellt werden emanzipative (sich Verhältnisse« ziehen. Vor allem Verwaltung und Wehrmacht sol- »Niemand ist frei von der Geschichte«8: Gerade die mit Ge- von festlegenden Gleisen trennende) ebenso wie antisemitisch und len aus der kritischen Betrachtung herausgehalten werden.17 Der schichtsbildern des Nationalsozialismus verbundenen zielgerichte- rechtsextrem schillernde Akzente. Die Debatte zwischen Ignatz Amnestiedebatte verleiht Mende eine Stoßrichtung gegen die 1958 ten Geschichtspolitiken9 und die unbewusst wirkenden Deutungen Bubis und Martin Walser (1998) deutet solche Akzente an13, ver- gegründete, zuerst nur außerhalb, dann ab 1964 auch innerhalb der anschaulicht plastisch, dass es gegenüber Deutungsprozessen und Bundesrepublik ermittelnde »Zentrale Stelle der Landesjustizver- Geschichtsbildern keine einfache Haltung und Semantik gibt.14 waltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen« in (Walser kritisiert die »Drohroutine«, wendet sich gegen »Moral- Ludwigsburg. Gegen die Betonung der »Verstrickung« von Verwal- 6 Halbwachs, Gedächtnis, S. 126. Hieraus ergibt sich ein Bezug zu James Cole- man. Deutungsmuster leben, wenn sie sich als Summe aus vielen Einzelmeinun- pistole« und »Moralkeule«, gegen die »Dauerrepräsentation« von tung und Wehrmacht mit dem Nationalsozialismus richtet Mende gen ergeben, und sie leben so lange, wie diese Aggregierung stattfi ndet und Auschwitz, ohne die Shoah leugnen zu wollen. Bubis betrachtet dies den Blick nach vorn, dagegen richten sich die (deutlich vor 1968) nachgewiesen werden kann. Das für diese Untersuchung leitende Zitat von intensivierten vergangenheitspolitischen Beiträge der 1960er Jahre. Halbwachs lautet: »Jenseits […] der kollektiven Zeiten […] gibt es nichts Neben dieser affi rmativen Bedeutung entwickelt sich – nach den mehr… Die Zeit ist nur in dem Maße reell, als sie einen Inhalt hat, d.h. als sie dem Denken eine aus Ereignissen bestehende Materie darbietet. Sie ist begrenzt in der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1999. Stärker psychoanalytisch kritischen Akzenten der 1960er Jahre – eine relativierende Sichtweise und relativ, aber voller Wirklichkeit. Sie ist im übrigen weit genug, aber voller orientiert ist die Auseinandersetzung mit Hermann Lübbes Bemerkungen zum in Debatten der 1980er Jahre zur Versöhnung von Demokratie und Wirklichkeit. Sie ist im übrigen weit genug, um jedem Individuum einen hinrei- Verschweigen und zur Stille (1983). Vgl. Klaus Heuer, Die geschichtspolitische deutscher Geschichte und Nation.18 Die zur Episode »verkleinerte chend dichten Rahmen zu bieten, in dem es seine Erinnerungen anordnen und Gegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit, Kassel 2001. wieder fi nden kann.« (ebd.) 10 Vgl. Detlef Siegfried, »Zwischen Aufarbeitung und Schlussstrich«, in: Axel 7 Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte [1852]. Mit einem Schildt u.a. (Hrsg.), Dynamische Zeiten, Hamburg 2000, S. 77–113. Nachwort von Herbert Marcuse, Frankfurt am Main 1965, S. 9, auch S. 131. Als 11 Vgl. Claudia Fröhlich, »Wider die Tabuisierung des Ungehorsams.« Kommentar vgl. Hauke Brunkhorst, Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen, 15 Dubiel, Niemand ist frei, S. 294. Louis Bonaparte, Frankfurt am Main 2007, S. 191 ff. Frankfurt am Main, New York 2006. 16 Vgl. für eine »Befriedung der Vergangenheit«, gegen die »Hitlerisierung der Ge- 8 Vgl. eine Betrachtung dessen, was mit Blick auf die »NS-Zeit« »eine demokrati- 12 Philipp Schwenke, »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…«, in: Aus Politik schichte« Pascal Bruckner, Der Schuldkomplex, München 2008; dazu Sascha sche Gesellschaft tun soll und was sie nicht tun darf«, Helmut Dubiel, Niemand und Zeitgeschichte, 31/2007, S. 3–4; »Antisemitismus« lautet das Thema des Lehnartz, »Die neue Lust am Schlussstrich«, in: FAS vom 6.7.2008, S. 51. ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debat- Heftes. 17 Mende verwendet die Metaphorik seit 1952 (vgl. Bundestagssitzung vom ten des Deutschen Bundestages, München, Wien 1999, S. 11. 13 Siehe Frank Schirrmacher (Hrsg.), Die Walser-Bubis-Debatte, Frankfurt am 17.9.1952), vgl. Marc von Miquel, Ahnden oder amnestieren? Göttingen 2004, 9 Der Begriff »Geschichtspolitik« entsteht im Zusammenhang des »Historiker- Main 1999. hier bes. S. 187. streits« (1986/87). Vgl. u.a. Eike Hennig, »Raus ›aus der politischen Kraft der 14 Habermas, »Schadensabwicklung«, S. 73, sieht ein einfaches Kriterium, entwe- 18 Vgl. hierzu und zur Geschichte des Schlussstrichs quer zur Geschichte der Bun- Mitte‹« in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg. 38 (1987), S. 160–170; Norbert der gehe es um »die Kraft einer refl exiven Erinnerung« oder um »die nationalge- desrepublik Peter Reichel, Harald Schmidt, Peter Steinbach (Hrsg.), Der Natio- Frei, Vergangenheitspolitik, München 1996; Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik schichtliche Aufmöbelung einer konventionellen Identität«. nalsozialismus – die zweite Geschichte, München 2009.

44 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 45 Epoche«19 des Nationalsozialismus tritt hinter die Kulturgeschichte Das Untersuchungsmodell und die Verfahren gut ein Drittel der Schlussstrich-Befürworter weist Unterschichten- trolliert; der Zusammenhang mit dem Schlussstrich ist höher und zurück. Richard von Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag der Be- Die folgende Betrachtung konzentriert sich auf die Beschreibung Merkmale auf. Das bedeutendste Merkmal ist der Gegensatz maßgeblicher. In allen Fällen sind diejenigen Felder der Matrix si- freiung (1985) und die antirevisionistische Betonung der Singula- der Aggregierung, die Demografi e der Träger und die politisch- von Volks- oder Hauptschulabschluss und Hochschulreife. Die gnifi kant, die den positiven Bezug der Einstellung zur Befürwor- rität von Auschwitz durch Jürgen Habermas sind Gegenreaktionen demokratische Spannweite, die sich im Schlussstrich unter die NS- Schlussstrich-Befürworter bilden keine geschlossene Gruppe, sie tung des Schlussstrichs anzeigen. auf diese Sichtweise, die gegenüber dem »Elend« der NS-Zeit das Vergangenheit trifft.24 Diese Operationalisierung leitet die Analyse lassen sich den Milieus des unteren Drittels zuordnen.26 Die hohen »große Erbe« der Philosophie, Literatur, Musik, Wissenschaft und der Umfrage (Allbus 2006): Wer ist Träger, welche Einstellungen Anteile an Befürwortern des Schlussstrichs bei allen wichtigen Sozialreform breit unterstreicht.20 treffen sich im Schlussstrich? Trägergruppen (z. B. den niedrig Gebildeten, den Materialisten, Einstellungen der Befürworter des Schlussstrichs (Allbus 2006) Eine dritte Komponente ist sowohl kritisch wie affi rmativ politisch weniger interessierten Personen) sprechen dafür, dass und bezieht sich vor allem auf politische Kultur und Bildung Die Beschreibung der Schlussstrich-Gruppe die Akzeptanz des Schlussstrichs unter die NS-Vergangenheit ein Schlussstrich, CV CV gegen Prozent Prozent in Verbindung mit dem NS-Geschichtsbild. Von 1950 bis 1980 Die demografi sche Beschreibung der Schlussstrich-Befürworter verbreitetes (aber eben nicht hinreichend spezifi sches) Deutungs- Zusammenhang mit: niedr. Bildung Schussstrich Einstellung wandelt sich die überwiegend negative Beurteilung des Natio- verweist auf weit verteilte Merkmale, die diese Gruppe nicht element in den Milieus des unteren Drittels darstellt. Anatomie .17 .14 42 75 nalsozialismus vom Staatsrecht (Nationalsozialismus wird als näher einordnen. Ein Schlussstrich unter die NS-Geschichte lässt (Index) totalitäre Diktatur dargestellt) zur Kritik an einer unfriedlichen, sich mit unterschiedlichen Milieus verbinden. Geschlecht (48 fremd im eig. Land .23 .16 37 77 intoleranten Gesellschaft. 1984 gilt Jugendlichen (mehr als den Prozent derjenigen, die zustimmen, sind männlich, 52 Prozent Merkmale der Befürworter des Schlussstrichs (Allbus 2006) wg. Ausländern Erwachsenen der Vor-Achtundsechziger-Generation) die Aus- weiblich), auch Alter und Wohnortgröße spielen keine besondere Infl ations- .15 .07 27 72 einandersetzung mit dem Nationalsozialismus als wichtig. Die Rolle. Kirchgang und die Zugehörigkeit zu einer Partei oder Ge- Befürworter des Prozent der Schluss- Prozent in der bekämpfung Stellungnahmen zum Nationalsozialismus sind überwiegend werkschaft liefern ebenfalls keine Hinweise auf ein besonderes Schlussstrichs, darunter: strich-Befürworter Bezugsgruppe freie .18 .11 37 55 negativ, allerdings wird Hitler ambivalent beurteilt.21 Einen Um- Profil. Von den üblicherweise betrachteten Merkmalen spielt Volks-/ 44 76 Meinungsäußerung schwung beleuchtet die Shell-Jugendstudie 2000. Nun überwiegt allein das niedrige Bildungsniveau eine Rolle. Knapp die Hälfte Hauptschulabschluss eine nüchtern-kritische Beurteilung des Geschichtsbildes. Bessere der Befürworter des Schlussstrichs verfügt über einen Volks- oder Juden haben zu viel .25 .16 38 76 Bildung, Chancen und Ressourcen korrelieren mit geringerer Sorge Hauptschulabschluss. In Verbindung mit der sozialen Selbsteinstu- Selbsteinstufung 40 73 Einfl uss wegen des »Nazigeists« und führen »zu höherer Gelassenheit und fung (Arbeiterschicht) und einer Orientierung an Sicherheit und Arbeiterschicht keine Scham über .21 .17 16 80 Entspanntheit im Umgang mit den Schattenseiten des zivilisierten Ordnung (Materialismus25) lassen sich dem Bildungsabschluss Materialisten 19 75 dt. Untaten an Juden Deutschland«22; dies bestimmt vor allem das Urteil der Studenten. weitere Merkmale zuordnen, um die Schlussstrich-Befürworter (nach dem Inglehart-Index) Juden nutzen .29 .20 44 80 Im Laufe der 1990er Jahre wächst der Anteil der Schlussstrich- zu beschreiben. Einfache Arbeiter, produzierendes Gewerbe, eine geringes und kein politisches 31 76 dt. Vergangenheit aus Befürworter, geklagt wird über die zu häufi ge Konfrontation mit schlechtere wirtschaftliche Lage, ein als ungerecht empfundener Interesse Juden an Verfolgung .25 .17 23 79 der NS-Vergangenheit. So befürworten in einer großen, jedoch Anteil am Lebensstandard verbinden sich mit wenig Interesse an Selbsteinstufung 11 74 schuldig nicht repräsentativen Umfrage vom Winter 2000/01 36 Prozent Politik und Wahlenthaltung. Diese Merkmale ergeben ein Syndrom, eher rechts der befragten Essener Studenten, es werde Zeit, dass unter die CV, ein Zusammenhangsmaß nach dem Statistiker Cramér, schwankt von 0 (kein Zu- NS-Vergangenheit ein Schlussstrich gezogen werde, 60 Prozent 44 Prozent der Schlussstrich-Befürworter verfügen über einen Volks- und Haupt- sammenhang) bis 1 (Entsprechung). CV gibt den Gesamtzusammenhang wieder, CV bejahen es, »endlich wieder ein gesundes Nationalbewusstsein« schulabschluss. 76 Prozent der Personen mit diesem Bildungsabschluss bejahen das gegen niedrige Bildung bezieht sich auf die Befürworter des Schlussstrichs mit einem 24 Die gewählten Verfahren sind vor allem die Analyse von Tabellen und die logi- Schlussstrich-Ziehen. Volks- oder Hauptschulabschluss. Das kontrollierte CV fällt niedriger aus, weil der zu entwickeln; die Deutschen seien zu sehr mit der Vergangenheit stische Regression. Die Demografi e verweist auf Merkmale, welche die Bildungsabschluss den Zusammenhang nicht erhöht. Die Zusammenhänge (CV ≤ .25) beschäftigt. In dieser Variante taucht Mendes »Blick nach vorn« Schlussstrich-Menge beschreiben. Bedeutsamere Zusammenhänge (CV ≥ .15), sind mäßig (vgl. Kühnel, Krebs, Statistik, S. 355 ff.). Die Prozentangaben verweisen für 35 Prozent wieder auf.23 vor allem signifi kante Felder (mit standardisierten Residuen ≥ 1.96), kennzeich- auf die Größenanteile unter Befürwortern des Schlussstrichs und den entsprechend nen überzufällige, signifi kante Eigenschaften, die zusammen mit der Die Frage nach Einstellungen in Verbindung mit der Akzep- eingestellten Personen. 42 Prozent der Befürworter sind anomisch, 75 Prozent der Schlussstrich-Position auftreten. Diese Merkmale werden multivariat und dicho- Personen mit anomischer Einstellung stimmen dem Schlussstrich zu. tom als unabhängige Variablen genommen, um mittels logistischer Regression tanz des Schlussstrichs wird durch die Anlage der Umfrage (Allbus das abhängige Merkmal, die Bejahung des Schlussstrichs, zu schätzen. – Zu den 2006) bestimmt und eingeengt. Der Schwerpunkt dieser Umfrage 19 Dubiel, Niemand ist frei, S. 189, 200 ff., 206 ff., 219 ff. Verfahren vgl. bes. Steffen-M. Kühnel, Dagmar Krebs, Statistik für die Sozial- liegt auf Immigration und ethnischen Minderheiten; es fehlen Ska- 20 So Helmut Kohl 1983, vgl. ebd., S. 189 f. wissenschaften, Reinbek b. Hamburg 2001; Hans-Jürgen Andreß u.a., Analyse len, die nach Demokratiezufriedenheit, Vertrauen in Institutionen Die bisherigen bivariaten (oder im Falle der Kontrollvariablen 21 Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg.), Jugendliche und Erwachsene ’85, von Tabellen und kategorialen Daten, Berlin u.a. 1997; Fred C. Pampel, Logistic Bd. 3, Opladen 1985, S. 340 f., 75 % der Jugendlichen und 54 % der Erwachse- Regression, London, New Delhi 2000. Auf Historisierung (Forschung – Auf- und Partizipation fragen. Die Fragestellung zielt vor allem auf den trivariaten) Betrachtungen zur Beschreibung der Schlussstrich-Be- nen halten die Auseinandersetzung mit dem NS für wichtig; zu den kritischen merksamkeitshaltung), Aufarbeitung (Pädagogik – politische Kultur), Vergan- Zusammenhang zwischen den Einstellungen zu Minderheiten und fürworter haben ergeben, dass ein Volks- oder Hauptschulabschluss, Urteilen vgl. S. 341 ff., zur Beurteilung Hitlers vgl. S. 351 ff. genheitsbewältigung (Strafrecht – Wiedergutmachung), Geschichtsbild (Singula- Juden, Nationalstolz und Anomie und einer skeptischen Haltung zu die Selbstzuordnung zur Arbeiterschicht und nicht akzeptierende 22 Deutsche Shell (Hrsg.), Jugend 2000, Bd. 1, Opladen 2000, S. 315; zur genann- rität) wird nicht eingegangen. Zukunft, Politik und Mitmenschen. Die Einzelfragen des Inglehart- Einstellungen, vor allem Antisemitismus, rund 40 Prozent der Befür- ten Skala vgl. S. 310, 315 ff., zum Gesamtbild vgl. S. 311, 325. 25 Allbus 2006 fragt (materialistisch) nach Ruhe und Ordnung, Anti-Infl ation sowie 23 Vgl. Klaus Ahlheim, Bardo Heger, Die unbequeme Vergangenheit. Einstellungen (postmaterialistisch) nach Bürgereinfl uss, freier Meinungsäußerung. Aus diesen Indexes werden ebenfalls herangezogen. Wegen der Bedeutung nied- wortergruppe charakterisieren. Hervorzuheben ist, dass 44 Prozent von Studierenden zu Holocaust und Erinnerungskultur, Schwalbach a. Ts. 2002. Zielen, eingeordnet nach der Wichtigkeit, ergibt sich der Inglehart-Index mit je riger Bildungsabschlüsse werden die Zusammenhänge dagegen kon- der Schlussstrich-Befürworter einer (aus meiner Sicht) »schroff« (Dazu Jochen Leffers, »Die lästige NS-Vergangenheit«, in: Spiegel Online vom zwei Typen und Mischtypen. Die Theorie des Wertewandels geht davon aus, dass, formulierten Meinung »über Juden« zustimmen (CV = .23): »Viele 14.5.2002.) Zur Umfrage vgl. S. 18 ff.; zur Quasi-Repräsentativität vgl. S. 21 f.; wenn den materiellen Bedürfnissen entsprochen worden ist, qua Bildung und So- Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute zu den Einstellungen zur NS-Vergangenheit vgl. S. 24 ff., bes. S. 28 f. (denjeni- zialisation ein Wandel zu postmaterialistischen Werten der Selbstverwirklichung gen Items, die pro-nazistischer fragen, wird schwächer zugestimmt); zur und Ästhetik stattfi ndet. Vgl. Ronald Inglehart, Kultureller Umbruch, Frankfurt 26 Vgl. Gero Neugebauer, Politische Milieus in Deutschland, Bonn 2007, S. 69, ihren Vorteil zu ziehen und die Deutschen dafür zahlen zu lassen.« »Schlussstrich-Mentalität« vgl. deskriptiv S. 43 ff. am Main, New York 1989, bes. S. 92 ff., 101 ff. 79 ff. Leider fragt diese Studie nicht nach Geschichtsbildern in den Milieus. In der Bevölkerung stimmen diesem Satz 31 Prozent zu, 80 Pro-

46 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 47 zent derer, die diese Aussage bejahen, sind für einen Schlussstrich. digt die Regression: 83 Prozent der Personen (im Modell sind es Daten handelt, die allgemein die Gruppierung der Befürworter eines Beschämt über die vielen Verbrechen, die Deutsche an den Juden 740 von 888), die dem Schlussstrich zustimmen, werden korrekt Schlussstrichs unter die NS-Vergangenheit zwar gut und robust Judaica begangen haben, so lautet eine weitere Meinungsäußerung, sind 46 eingestuft (17 Prozent nicht); mit einer Determination (Pseudo-R²) charakterisieren, die sich dennoch aber in verschiedenen Konstel- bei Winter Universitätsverlag Prozent der Befürworter und 48 Prozent der Bevölkerung (CV = .21). von 23 Prozent handelt es sich um einen starken Zusammenhang29 lationen fi nden lassen.31 winter Heidelberg Diese Gleichverteilung ändert sich zuungunsten der Befürworter, zur Schätzung. Mehrheitlich, das bleibt der Befund der Analyse der Umfrage wenn man die Personen betrachtet, die die Scham zurückweisen (CV Allbus 2006, wird das Schlussstrich-Argument bevorzugt im unteren = .17). In der Bevölkerung sind es 21 Prozent, 27 Prozent unter den Drittel der Gesellschaft verwendet, vermutlich also in den Milieus der Jüdische Künstler Befürwortern. 80 Prozent derer, die die Scham über die Verbrechen Die Befürwortung des Schlussstrichs unter die NS-Vergangenheit »selbstgenügsamen Traditionalisten«, »der »autoritätsorientierten und Kulturschaf- an Juden zurückweisen, bejahen den Schlussstrich. Die Breite der (logistische Regression, Allbus 2006) Geringqualifi zierten« und beim »abgehängten Prekariat« (um die Be- fende aus Südwest- 32 Befürwortung verteilt sich bereits über die Kategorien nur einer griffl ichkeit einer anderen, umfragegestützten Analyse anzuführen). deutschland Meinungsäußerung. b Die Einbindung in ein spezifi sches Milieu oder die Beschreibung Schlusstrich geschätzt über B sig exp Laupheimer Gespräche 2003 Die bislang gefundenen aussagekräftigeren Merkmale werden Volks-/Hauptschulabschluss .67 .00 1,96 an eine klar konturierte Gruppe lässt sich nicht nachweisen. Das nun multivariat analysiert. Angenommen wird, die Befürwortung des Schlussstrich-Deutungsmuster fi ndet sich in Verbindung mit Merk- Herausgegeben vom Arbeiterschicht .47 .00 1,61 Haus der Geschichte Baden- Schlussstrichs lasse sich (als abhängige Variable) über verschiedene malen, die Personengruppen mit geringeren sozialen Ressourcen Anomie (Index) .61 .00 1,84 Württemberg demografi sche Merkmale wie Einstellungen (als unabhängige Merk- und einer in Teilen rigiden Abgrenzung von Fremden und Juden Antisemitismus (Index) 1.06 .00 2,87 2009. 216 Seiten, 51 Abbil- male) schätzen. Die Merkmalsausprägungen werden dafür auf zwei beschreiben.33 Die nüchtern-kritische Einstellung zum Schlussstrich dungen. (Laupheimer Gespräche, Band 4) Fremd im eigenen Land der Ausländer wegen .39 44 1,47 Kategorien reduziert, diese geben das Vorhandensein bzw. die starke bei Geltung der kritischen Befunde aus den Analysen des National- Kart. € 14,– Stolz, Deutsche(r) zu sein .33 .03 1,40 Tendenz des Merkmals gegenüber allen anderen Ausprägungen sozialismus und der Shoah ist eine Minderheiteneinstellung (welche isbn 978-3-8253-5635-4 wieder. Mit solchen dichotomisierten Daten (Dummy-Variablen mit die Shell-Jugendstudie 2000 nach vorn rückt). den Ausprägungen 1 und 0) lässt sich als multivariates Verfahren Die Signifi kanz bleibt unter einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 Prozent. die Schätzung mittels einer logistischen Regression durchführen: Der Regressionskoeffi zient b bestimmt die Schätzwerte der nicht linearen Kurve, Untergang und Schlussstrich = f (Demografi e, Einstellungen) + ungeklärte Varianz Werte nahe 0 und 1 führen zur geringeren Änderung als solche im mittleren Bereich. Neubeginn + Unsicherheit. Das positive Vorzeichen zeigt, dass die Merkmale das Schlussstrich-Denken Jüdische Gemeinden nach begünstigen. Der Exponent von b (expb) bezeichnet die Wahrscheinlichkeit (Odds -95 edleg·Psfc 06 0·Tl 4)6 17 26 a 4)6 17 269 02 Internet http://www.winter-verlag-hd.de · E-mail: [email protected] 21/77 62 60 · Fax (49) 02 21/77 62 40 · Tel. (49) 61 D-69051 Heidelberg · Postfach 10 Ratio), wie das unabhängige Merkmal die Wahrscheinlichkeit des Schlussstrichs 1945 in Südwestdeutschland Das Verfahren der Regression ermöglicht nach der bivariaten erhöht: Δ% = expb – 1 * 100. Die Wahrscheinlichkeit des Schlussstrichs ist für Herausgegeben vom Betrachtung, womit stärkere Einzelzusammenhänge gefunden Personen mit einem Volks-/Hauptschulabschluss um 96 Prozent höher als mit jedem Haus der Geschichte Baden- worden sind (i.s. Bildung, politisches Interesse, Rechts-links- anderen Bildungsabschluss. (Vgl. Pampel, Logistic Regression, S. 35 ff.) Württemberg Einstufung, Inglehart-Index, Isolierung, Exklusion, Nationalstolz, Mit Beiträgen von Joel Berger, Christof Maihoefer, Meinhard Anomie, Antisemitismus), alle bestimmenden Merkmale in einer Tenné, Micha Brumlik, Michael Gleichung zusammenzufassen. So können ihre Gesamtwirkung auf Von den ausgewählten Merkmalen spielen die Merkmale Rechts- Wolffsohn, Thomas Brechenmacher, Julius Schoeps, die Befürwortung des Schlussstrichs und ihr jeweiliger Einzelan- orientierung, politisches Interesse, Ablehnung von Ausländern und Elisabeth Isaac, Arno Lustiger. teil, beginnend mit ihrer Signifi kanz, festgestellt (und statistisch der Materialismus keine Rolle, diese Merkmale sind für die Schät- 2009. 204 Seiten, 36 Abbildungen. getestet) werden. zung der Schlussstrich-Wahrscheinlichkeit nicht signifi kant, was Kart. € 15,– isbn 978-3-8253-5599-9 Anlage und Grenzen der Umfrage selbst bestimmen die direkten nochmals die Spannweite dieses Deutungsmusters unterstreicht. Es Möglichkeiten der Analyse. Dem Fehlen demokratietheoretischer handelt sich um antisemitisch und anomisch eingestellte Personen Fragen geschuldet, beschränkt sich die Regression auf die Veranke- mit niedrigem Bildungsabschluss, die sich der Arbeiterschicht zuord- „Welche Welt ist rung des Schlussstrichs in (Sub-)Milieus des unteren Drittels einer nen. (Jedes dieser Merkmale erbringt für sich allein bereits korrekte 31 Dies gilt auch für die große Bedeutung des Antisemitismus – eine Einstellung, 27 Schätzungen von durchschnittlich 65 Prozent.30) Der Vergleich mit meine Welt?“ – Drei-Drittel-Gesellschaft. Bezogen auf die Schwankungsbreite der der 46 Prozent der Personen, die einen Schlussstrich ziehen, zuneigen. Unter- Befürwortung eines Schlussstrichs ist die Reichweite dieses Mo- der Kontrollrechnung für die links eingestellten Schlussstrich- gliedert man Antisemitismus nach der Rechts-links-Zuordnung (Hennig, »Anti- Jüdische Frauen dells wichtig. Der nicht korrekt geschätzte Anteil an Befürwortern Befürworter zeigt, dass es sich bei den genannten Merkmalen um semitismus«, S. 565 ff.), dann sind es der Antisemitismus der Mitte und der im deutschen des Schlussstrichs (nämlich ein Drittel) verweist auf die Differenz Rechten, die einen bedeutenderen Zusammenhang mit dem Schlussstrich-Argu- ment aufweisen (CV jeweils .15). Südwesten des Arguments; Eigenheiten dieses Drittels lassen sich über diese 32 Vgl. Neugebauer, Politische Milieus, S. 79 ff. Laupheimer Gespräche 2004 Umfrage (Allbus 2006) direkt nicht bestimmen.28 Insgesamt befrie- von Schlussstrich-Gruppen bestätigt. In die Gleichung der linken Befürworter 33 Dies widerspricht dem Befund der Deskription einer »Schlussstrich-Mentalität« werden nur die Merkmale Anomie und Arbeiterschicht aufgenommen (sie über- durch Ahlheim, Heger Die unbequeme Vergangenheit, bes. S. 125 ff. »Besonders Herausgegeben vom schreiten die Rechts-links-Stufen). Geschlecht, hohe Bildung, Zugehörigkeit zu weit verbreitet« sei die Mentalität unter Studierenden »aus materiall besser ge- Haus der Geschichte Baden- Partei und Gewerkschaft werden bei einem Signifi kanzniveau ≤. 05 ebenfalls stellten Familien« (S. 125). – Laut Allbus 2006 ist der Zusammenhang zwischen Württemberg 27 Vgl. Neugebauer, Politische Milieus, S. 69. nicht zur Schätzung herangezogen. hoher Bildung und Schlussstrich »mäßig« (Kühnel/Krebs): CV = .23 (gegenüber 2009. 244 Seiten, 18 Abbildungen. (Laupheimer 28 Eine mit denselben Variablen zur Kontrolle berechnete Regression für links ein- 29 Vgl. Andreß u.a., Analyse von Tabellen, S. 288. CV = .31 bei niedriger Bildung). Der Zusammenhang der linker eingestellten Gespräche, Band 5) gestellte Schlussstrich-Befürworter (18 Prozent der Bevölkerung) ergibt ein un- 30 Das Pseuo-R² für Anomie und Arbeiterschicht liegt bei 4 bzw. 3 Prozent, dage- Schlussstrich-Befürworter mit niedrigem und hohem Bildungsabschluss beträgt Kart. € 14,– befriedigendes Bild, kein Fall wird korrekt geschätzt, Pseudo-R² beträgt 2 Pro- gen ist der Anteil eines Antisemitismus-Indexes und der niedrigen Bildung mit CV .06 bzw. .09; 68 Prozent dieses Personenkreises haben einen niedrigen, 20 isbn 978-3-8253-5636-1 zent. Dennoch: Beide Gleichungen sind unterschiedlich, was die Unterschiede 10 bzw. 13 Prozent für eine Variable hoch. Prozent einen hohen Bildungsabschluss.

48 Einsicht Einsicht 02 Herbst 2009 49 Rezensionen Buchkritiken

68 Nachrichten aus der Vorhölle 78 Wallfahrt nach Polen – von Dorothee Lottmann-Kaeseler, Wiesbaden Erinnerungspraxis im Dienst des Staates › Hélène Berr: Pariser Tagebuch 1942–1944 von Meron Mendel, Frankfurt am Main › Jackie Feldman: Above the death pits, 69 Ein Lied – Wiederannäherung an den Vater beneath the fl ag. Youth voyages to Poland von Roland Kaufhold, Köln and the performance of Israeli national identity › Ella Milch-Sheriff, Ingeborg Prior: Ein Lied für meinen Vater 80 Philosophie nach Auschwitz von Christian Wendelborn, Frankfurt am Main 71 Politische Bildungsarbeit in der Auseinandersetzung › Rolf Zimmermann: Moral als Macht. mit Antisemitismus Eine Philosophie der historischen Erfahrung von Astrid Messerschmidt, Flensburg › Marcus Meier (Hrsg.): Antisemitismus als Problem 81 Jüdische Studentenverbindungen in der politischen Bildungsarbeit. Pädagogische und von Ulrich Wyrwa, Berlin didaktische Handreichungen für Multiplikatoren und › Miriam Rürup: Ehrensache. Jüdische Rezensionsverzeichnis 61 Handbuch für künftige Forschungen Multiplikatorinnen Studentenverbindungen an deutschen Liste der besprochenen Bücher von Regina Pawelletz, Koblenz Universitäten 1886–1937 › Jürgen Finger, Sven Keller, Andreas Wirsching (Hrsg.): 72 Ethnische Zugehörigkeit in jüdischen Literaturen Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als von Katharina Rauschenberger, Fritz Bauer Institut 82 Ein hoffnungsloser Melancholiker 52 Ghettostadt – Urbanistik und der Holocaust Quellen der Zeitgeschichte › Tamar Lewinsky: Displaced Poets. Jiddische von Heinrich Senfft, Hamburg/London von Ingo Loose, Berlin Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland, 1945–1951 › Tilmann Lahme: Golo Mann. Biographie › Gordon J. Horwitz: Ghettostadt. Łódź and the Making 62 Neue Fragen an NS-Prozesse › Susanne Zepp, Natasha Gordinsky: Kanon und Diskurs. of a Nazi City von Regina Pawelletz, Koblenz Über Literarisierung jüdischer Erfahrungswelten 85 Fiktive Memoiren einer zweifelhaften Karriere › Georg Wamhof (Hrsg.): Das Gericht als Tribunal Hans-Joachim Hahn, Leipzig 53 Gedenkbuch für die Berliner Juden oder: Wie der NS-Vergangenheit der Prozess gemacht 74 Eine Künstlerin der »verschollenen Generation« › Volker Harry Altwasser: Letzte Haut. Roman von Peter Klein, Berlin wurde von Jörg Osterloh, Fritz Bauer Institut › Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941–1944. › Diana Oesterle: »So süßlichen Kitsch, das kann 86 »Es ist alles nicht so einfach, wie du vielleicht Ein Gedenkbuch. Bearbeitet von Ingo Loose 63 »Im Namen des Volkes« ich nicht«. Die Münchener Künstlerin Maria Luiko denkst« von Werner Renz, Fritz Bauer Institut 1904–1941 von Helga Krohn, Frankfurt am Main 54 Das Epos und die fehlende Sprache › Regina Maier: NS-Kriminalität vor Gericht. › Ulrike Kolb: Yoram. Roman von Dmitrij Belkin, Fritz Bauer Institut Strafverfahren vor den Landgerichten Marburg 76 NS-Raubkunst im Kunsthandel › Patrick Desbois: Der vergessene Holocaust. Die und Kassel 1945–1955 von Marie-Luise Tapfer, Bad Homburg 87 Ein Fall der zweiten Generation Ermordung der ukrainischen Juden. Eine Spurensuche › Stefan Koldehoff: Die Bilder sind unter uns. von Birgit Maria Körner, Gießen 64 Shoah und Erinnerung Das Geschäft mit der NS-Raubkunst › Lizzie Doron: Es war einmal eine Familie. Roman 56 Gelungener Überblick über das Vichy-Regime von Anne Klein, Köln von Ahlrich Meyer, Oldenburg › Simone Veil: Und dennoch leben. 77 Ein Unternehmer im Widerstand zum NS-Regime › Henry Rousso: Vichy. Frankreich unter deutscher Die Autobiographie der großen Europäerin von Harald Wixforth, Bremen Besatzung 1940–1944 › Knut Kühn-Leitz (Hrsg.): Ernst Leitz. Ein Unternehmer 65 Bericht aus der Grauzone mit Zivilcourage in der Zeit des Nationalsozialismus 59 Unverhofftes Überleben von Katharina Stengel, Fritz Bauer Institut von Werner Renz, Fritz Bauer Institut › Adélaïde Hautval: Medizin gegen die Menschlichkeit. › Edith Raim (Hrsg.): Überlebende von Kaufering. Die Weigerung einer nach Auschwitz deportierten Ärztin, Biografi sche Skizzen jüdischer ehemaliger Häftlinge. an medizinischen Experimenten teilzunehmen Materialien zum KZ-Außenlagerkomplex Kaufering 67 Einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts 60 Das Bild vom Täter von Ernst Piper, Berlin von Dieter Maier, Frankfurt am Main › Abraham Sutzkever: Wilner Diptychon › Heinz Schneppen: Ghettokommandant in Riga. Eduard (Wilner Getto 1941–1944 / Gesänge vom Meer Roschmann. Fakten und Fiktionen des Todes), Prosa und Gedichte

50 Einsicht 02 Herbst 2009 51 Ghettostadt – Urbanistik und der Holocaust anzutreffenden Problematik, die mehr oder minder hermetische kein Problem, wie die Einrichtung des Ghettos als Provisorium und zwischen »deutscher Normalität« in der Stadt und dem unsäglichen Abschließung der Ghettogrenzen misszuverstehen als eine auf allen Übergangslösung galt, ganz gleich, ob man sich die »Lösung der Elend der Ghettobevölkerung hätte eine stärkere Berücksichtigung Ebenen wirksame Abschottung; er rückt vielmehr die Interaktionen Judenfrage« als Deportation in das Generalgouvernement, nach Ma- der polnischen Bewohner von Litzmannstadt einen zusätzlichen zwischen der deutsch okkupierten Stadt einerseits und der Lebens- dagaskar oder hinter den Ural vorstellte: Alle diese Pläne zerschlugen Maßstab und eine weitere Perspektive, mithin eine vollständigere Gordon J. Horwitz welt der Ghettobewohner mit dem »Judenratsältesten« Mordechai sich und bildeten weitere Schritte auf dem Weg zum Holocaust. Topografi e der Okkupation bilden können, deren Spuren im heutigen Ghettostadt. Łódź and the Making of Chaim Rumkowski an der Spitze andererseits in den Mittelpunkt Immer eine schwierige Hürde ist die Einschätzung einer Stadtbild von Łódź noch immer erkennbar sind. a Nazi City seiner Überlegungen. Sein Ansatz ist einer, der gewissermaßen schon von den Zeitgenossen ambivalent beurteilten Person wie des Cambridge/Mass., London: Harvard an der Grenze zwischen dem Ghetto und seiner Außenwelt – der »Judenältesten« Rumkowski. Hier nicht in unbilliges Moralisieren zu Ingo Loose University Press, 2008, 416 S., $ 21,99 Stadt Litzmannstadt – beginnt und damit (wie es unlängst auch geraten wie einige Autoren der Vergangenheit, gelingt Horwitz mit Berlin Peter Klein ausführlich dargelegt hat) das Ghetto nicht nur als sehr viel Umsicht und großer Professionalität im Umgang mit den eine »Welt in sich« zeigt, sondern als Teil und als das Ergebnis hierfür zur Verfügung stehenden Quellen. Das heißt aber nicht, dass Die Geschichte des Ghettos Litzmannstadt politisch-rassistischer, mithin mörderischer Entscheidungen der er keine Position bezöge, denn Horwitz’ Faszination für Rumkowski (Łódź) (1940–1944) ist seit Jahren Ge- NS-Eliten vor Ort, in der Reichsstatthalterei in Posen oder im ist deutlich, wenn auch seine Sympathie nicht so explizit ist wie genstand anhaltend intensiver Forschung, die allein in den letzten Berliner Machtzentrum. etwa bei Icchak Rubin. Aller Ambivalenzen zum Trotz: Rumkowski drei Jahren auf eine ansehnliche Zahl wichtiger Publikationen Für die Germanisierungs- und Rassenexperten des »Dritten Rei- bemühte sich seit April 1940 um einen systematischen Arbeitseinsatz Gedenkbuch für die Berliner Juden zurückblicken kann, angefangen bei Andrea Löws wegweisender ches« mochte Łódź angesichts der zahlenmäßig nicht unbedeutenden der Ghettobewohner, um die Nationalsozialisten vom Lebenswert Gesamtdarstellung über verschiedene, zum Teil noch in Vorbereitung deutschen Minderheit in Zentralpolen der ideale Ort sein, um dort – der Juden zu überzeugen. Die ebenfalls ausführlich geschilderten befi ndliche Gedenkbücher und die Ghettochronik bis hin zu Peter neben Posen – eine weitere nationalsozialistische Musterstadt (bald Stationen auf dem Weg zum Holocaust und zur Ermordung Kleins im Frühjahr 2009 erschienener Arbeit über die deutsche auch sinnfällig in der Umbenennung in Litzmannstadt zum Ausdruck Zehntausender 1942 und 1944 in Kulmhof konnte Rumkowski damit Berliner Juden im Getto Litzmannstadt Ghettoverwaltung. Vor Michael Albertis umfangreicher Studie über gebracht) in den im Herbst 1939 eingegliederten Ostgebieten, na- jedoch nicht verhindern. 1941–1944. Ein Gedenkbuch den Judenmord im Reichsgau Wartheland sind es aus der älteren mentlich im Reichsgau Wartheland, auszubauen. Die zentrale Figur Horwitz legt eine integrierte Geschichte der Stadt Litzmannstadt Bearbeitet von Ingo Loose, Konzeption Forschung vor allem drei Werke, die Erwähnung fi nden müssen, hierbei war der Architekt und Stadtplaner Wilhelm Hallbauer, der seit mit dem Ghetto als untrennbarem Teil der Stadtgeschichte und zu- Thomas Lutz. Berlin: Stiftung Topogra- namentlich Isaiah Trunks jiddischsprachige Dokumentensammlung Frühjahr 1940 die urbanistischen Geschicke der Stadt leitete.2 Umge- gleich der Geschichte des Holocaust vor. Neben den vergleichbar phie des Terrors, 2009, 303 S., € 18,– von 1961, die seit 2006 auch in englischer Übersetzung vorliegt, kehrt waren die Ausgangsbedingungen für Stadtplaner, Verwaltung angelegten, ebenfalls integrierten Studien über Auschwitz von Robert Wolf Jasnys zweibändige, ebenfalls jiddische Studie sowie Icchak etc. denkbar ungünstig: Eine Stadt mit einer sehr großen jüdischen van Pelt und Debórah Dwork einerseits und Sybille Steinbacher Gedenkbücher haben Konjunktur. Sie Rubins noch immer unverzichtbare Arbeit von 1988 (polnisch).1 Minderheit und einer überwiegend polnischen Bevölkerung konnte in andererseits3 liegt nun eine weitere eindrucksvolle Arbeit vor, die spiegeln die veränderte Haltung der deut- 2008 hat nun der an der Illinois Wesleyan University in Bloomington einem System wie dem Nationalsozialismus nur zu äußerst radikalen zeigt, zu welchen erweiterten Einsichten diese Art der Fokuserweite- schen Gesellschaft zu den an den Juden begangenen Verbrechen, lehrende Gordon J. Horwitz die erste englischsprachige Monografi e Entscheidungen führen, an deren Ende im Reichsgau Wartheland die rung imstande ist. Darüber hinaus muss aber auch der »literarische« weil sie, von punktuellen Initiativen abgesehen, noch vor fünfzig zum Ghetto Litzmannstadt publiziert, die zweifelsfrei – um es gleich Inbetriebnahme des ersten nationalsozialistischen Vernichtungsla- Wert von Horwitz’ Buch hervorgehoben werden: Ghettostadt ist Jahren undenkbar waren. Zuerst als sechs Millionen umfassendes vorwegzunehmen – in Zukunft zu den unverzichtbaren Werken zur gers überhaupt in Kulmhof, circa 60 Kilometer nordwestlich von eine bemerkenswerte Synthese aus Wissenschaft, Empathie und Opferkollektiv der NS-Barbarei namen- und heimatlos gemacht, Geschichte des Ghettos zählen wird. Litzmannstadt, stand. Anders als Kleins äußerst detailreiche Studie Lesbarkeit, deren sich die Leser kaum werden entziehen können. wurden die Verschleppten und Ausgebürgerten zunächst durch die Horwitz nimmt nicht allein das Ghetto in den Fokus, sondern über die deutsche Ghettoverwaltung ist Horwitz’ Buch jedoch keine Viele Informationen, insbesondere zur Geschichte des Ghettos im Veröffentlichung von Listen durch Kommunalarchive einem klei- geht von der Stadt Łódź selbst aus, zu deren integralem und un- klassische »Tätergeschichtsschreibung«, sondern basiert bei ansons- engeren Sinne, sind auch schon anderswo zu fi nden, aber nirgendwo nen Leserkreis fassbar. Doch diese ersten, etwa Mitte der 1960er trennbarem Bestandteil das Ghetto im Frühjahr 1940 wurde. Der ten sehr guter Quellen- und Literaturkenntnis (inklusive auch der so kompakt, so vollständig, so gut und – auch das – spannend erzählt. Jahre feststellbaren Schritte bargen abseits der rein empirischen Autor entgeht dabei der in Studien zu einzelnen Ghettos mitunter regelmäßig und sehr zu Unrecht ignorierten jiddischen Literatur) Kein Wunder, dass Horwitz’ Untersuchung einer der Finalisten bei Schwierigkeiten stets zwei Probleme: Zum einen wiesen Namen und wesentlich auf dem Wechsel der beiden Perspektiven – Stadtplaner den National Jewish Book Awards 2008 war. Adressen mit Schärfe auf die örtlichen wirtschaftlichen Profi teure in und lokale Behörden einerseits, Judenrat und ghettoisierte jüdische Angesichts des allgemeinen Forschungsstandes und -interesses der Nachkriegszeit zurück, zum anderen verschwand das Schicksal Bevölkerung andererseits. Die Errichtung und Verwirklichung ist es verwunderlich, dass es nach wie vor keine befriedigende Ge- der jüdischen Einwohner mit der Abfahrt des Deportationszuges 1 Michael Alberti, Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau einer nationalsozialistischen Musterstadt bedeutete zwangsläufi g samtgeschichte der Stadt Łódź (Litzmannstadt) während der natio- aus dem Blickfeld der Interessierten. Man musste schon Experte Wartheland 1939–1945. Wiesbaden 2006; Icchak (Henryk) Rubin, Żydzi w Łodzi pod niemiecką okupacją 1939–1945. London 1988; Isaiah Trunk, Lodzsher geto. eine »judenfreie« Stadt, und so waren im Frühsommer 1940 über nalsozialistischen Besatzungszeit gibt – auch auf polnischer Seite sein, um zu wissen, was sich hinter Litzmannstadt, Piaski oder Mały A historishe und sotsiologishe shtudie mit dokumentn, tabeles un mape. New 163.000 Juden im Ghetto eingesperrt. In keiner anderen Stadt dürf- nicht. Diese Lücke kann auch Horwitz nicht schließen, die polnische Trostinez als Zielort verbarg. York 1962; Wolf Jasny, Di geshikhte fun yidn in lodzsh, 2 Bde. Tel Aviv te dieser Konnex so konsequent, so groß und urbanistisch geplant Bevölkerung der Stadt verbleibt bei ihm in einer Statistenrolle. Seit Ende der 1980er Jahre hat sich viel verändert. Unzählige 1960/1966; Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, worden sein wie in Łódź/Litzmannstadt. Dass ein riesiges Ghetto Neben dem glänzend herausgearbeiteten, beklemmenden Kontrast Kommunen initiieren oder unterstützen solche lokalhistorischen Selbstwahrnehmung, Verhalten. Göttingen 2006; Peter Klein, Die ›Gettoverwaltung Litzmann-stadt‹ 1940–1944. Eine Dienststelle im im Norden unmittelbar an das Stadtzentrum angrenzte, war so lange Recherchen ohne vor den konkreten Ausgrenzungs- und Berau- Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik. bungsaktionen im Heimatort haltzumachen. Und wenn an den Hamburg 2009; Berliner Juden im Getto Litzmannstadt 1941–1944. Ein Deportationszielen gleichartige empirische Anstrengungen unter- Gedenkbuch. Bearbeitet von Ingo Loose. Berlin, Łódź 2009; weitere 3 Robert Jan van Pelt, Debórah Dwork, Auschwitz. Von 1270 bis heute. Zürich, nommen werden, um möglichst jeden einzelnen Verschleppten zu Gedenkbücher für die Deportationstransporte in das Ghetto Litzmannstadt aus 2 Hallbauers Tätigkeit wird bereits in Niels Gutschows (von Horwitz unerwähnter) München 1998 [EA: Auschwitz. 1270 to the Present. New York, London 1996]; Köln und Düsseldorf sind in Arbeit, ebenso erscheint 2009 die Ghettochronik Studie Ordnungswahn. Architekten planen im ›eingedeutschten Osten‹ Sybille Steinbacher, ›Musterstadt‹ Auschwitz. Germanisierungspolitik und recherchieren, dann ergeben sich genau diejenigen Möglichkeiten erstmals vollständig in polnischer Sprache. 1939–1945 (Basel 2001) näher beleuchtet. Judenmord in Ostoberschlesien. München 2000. der Vernetzung, um die Menschen nicht mit ihrem Abtransport aus

52 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 53 den Augen zu verlieren. Gute Gedenkbücher sollten daher nicht nur Familien und Personen. Es mag sein, dass sich die Auswahl der Kurz- stehen im Mittelpunkt des Buches, das sich seinem Gegenstand auf In Rawa-Ruska, einem Städtchen im äußersten Westen der empirische Akkuratesse präsentieren, sondern die Einzelschicksale biografi en an der vorhandenen individuellen Quellendichte orientierte eine verlockende und im akademischen Betrieb hierzulande nach wie Ukraine, in dem es von 1942 bis 1944 ein KZ gab, traf Desbois den im Heimat- und Deportationsort kontextualisieren können. und deswegen keine Repräsentativität für sich beanspruchen kann, vor niedrig eingestufte essayistische und autobiografi sche Weise in lokalen Bürgermeister. »Herr Bürgermeister, wo sind die Juden der Beides erfüllt das von Ingo Loose im Auftrag der Berliner aber die vorgestellten Ergebnisse tragen ganz erheblich zur Qualität zwanzig knappen Kapiteln nähert. Stadt begraben?«, fragte der Spurensucher. »Der Bürgermeister Stiftung Topographie des Terrors bearbeitete Gedenkbuch für die des Gedenkbuches bei. Wo es nur ging, bekamen die Menschen ein Desbois ist in einem besonderen Umfeld aufgewachsen. Ver- wendet sich mir zu […] und antwortet mit abwesender Miene: Das im Oktober 1941 von Berlin in das Getto von Litzmannstadt (Łódź) Gesicht zurück, und sei es auch nur von ihrem Getto-Arbeitsausweis. wandte, die ihre eigene KZ-Geschichte vorzuweisen hatten, haben wissen wir nicht.« Gleich darauf steht er auf: »Es lebe Frankreich! deportierten Juden, das in Kürze auch auf Polnisch erscheint. Darüber hinaus lassen sich im Anmerkungsapparat zahllose Hinweise zu einer Erziehung beigetragen, bei der »wenig gesprochen wird, bei Es lebe die Ukraine!« (S. 47) Die surreal wirkende Szene – deren Die 4.210 Menschen erhalten in diesem Buch nicht nur Namen, auf noch unpublizierte Erinnerungen und Aussagen fi nden. der aber alles zur Erzählung oder zum Heldenepos wird« (S. 23). Das genauere Hintergründe mir nicht bekannt sind – kann darauf hin- Geburtstag, Berliner Adresse und ihren Beruf zurück, auch ihre Das Gedenkbuch an das Schicksal von 4.210 aus Berlin in das bedeutet für den Autor eine permanente Suche nach den Spuren des weisen, dass der Bürgermeister auf diese pathetisch-geschmacklose Anschrift im Getto ist, soweit möglich, rekonstruiert worden. Auch Getto von Litzmannstadt verschleppten Juden erfüllt alle Anfor- Vergangenen, das ständig vergegenständlicht werden will. Weise seinen sowjetischen Pseudointernationalismus zum Ausdruck begnügt sich der empirische Apparat nicht mit einem »verschollen«, derungen empirischer Sorgfalt und Kontextualisierung. Profi tiert Go East während und nach der Wende bedeutete für Tausende bringen wollte, der jahrzehntelang prägend war: Alle Völker der sondern es wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, das haben die Bearbeiter von bereits existierenden Datensätzen, der westlicher Intellektueller und so auch für Patrick Desbois die Ge- Sowjetunion hätten gelitten. Lediglich keine Absonderung der individuelle Todesdatum und den Todesort oder das Überleben zu Prüfung von Zweifelsfällen anhand der Archivalien in Łódź und der legenheit, durch die Berührung mit dem (den) Anderen – um in der Juden! Und der jüdischen Gräber. Der Bürgermeister hätte meines verzeichnen. Ermöglicht wurden derlei sensible Recherchen durch Beschränkung auf vier historisch wichtige Transporte aus Berlin. Sprache der Wendezeit zu bleiben – zu ihrem eigenen Unbewussten Erachtens angesichts der heutigen Situation um den Holocaust in das enzyklopädische Wissen des Archivars am Łódźer Staatsarchiv, Profi tiert hat das ganze Unternehmen aber auch von der Initiative zu gelangen. Für die absolute Mehrheit der Suchenden war jedoch der Ukraine mit ihrer codierten Sprache des politisch-kommerziellen Julian Baranowski, dessen Know-how wohl ganz entscheidend zum deutscher und polnischer Studenten, die nach zwei Jahren der Re- der Fluss Bug, der Polen von der ehemaligen Sowjetunion geogra- Umgangs mit diesem Thema nur noch alternativ Geld für seine Aus- Gelingen des Vorhabens beigetragen hat. Wem bekannt ist, dass sich cherche wirklich hochinteressante Lebensgeschichten zusammen- fi sch trennt, die äußere Grenze des physisch und psychisch Wahr- kunft verlangen können. Sein Schweigen könnte allerdings jenseits in deutschen Archiven lediglich wenige Blätter der vier Berliner getragen und zum Sprechen gebracht haben. nehmbaren. Denn weiter östlich begann die UdSSR, die jenseits der des rein antisemitischen Kontextes platziert werden, den Patrick Transportlisten erhalten haben und die weiteren Verschleppungen mental-politischen Bedenken und Ängste lag und somit unbegehbar Desbois suggeriert. in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) mitunter lediglich Peter Klein erschien – und das auch de facto war. Patrick Desbois hat es mit Was erzählten die heute über 80-jährigen Menschen Desbois? aus handschriftlichen Marginalien entzifferbar sind, der muss diese Berlin seinem Team bis in die Ukraine geschafft, was ihm und seinem Buch Viele der Interviewpartner haben ihr ganzes Leben in ihrem Ge- penible Rekonstruktion umso mehr schätzen. Eine erste Kontextua- einen besonderen Status unter den familiengeschichtlich motivierten burtsort, ja in ihren Geburtshäusern verbracht, so dass die Anmer- lisierung erfährt dieser Pool mithilfe einer statistischen Auswertung Werken über den Holocaust verschafft. kung einer Dorfbewohnerin, sie könne bis heute nicht verstehen, der Berliner Transporte aus den Akten des »Ältesten der Juden« nach Inspiriert haben Desbois die Ansichten von Papst Johannes warum die Deutschen ausgerechnet unter ihrem Fenster die Juden Alter, Geschlecht, Berufsstruktur, Gesundheitslage und mitgelieferten Paul II. über das Judentum. (S. 37) In besonderem Maße war er umgebracht hätten, sich ein wenig wie ein fortdauernder lokaler Lebensmitteln. Schnell lernt der Leser die Relevanz solcher Daten fasziniert und persönlich tief beeinfl usst von dem 2007 verstorbenen Familienstreit liest. (S. 91) begreifen, wenn er erfährt, dass es sich hierbei um ganz konkrete Das Epos und die fehlende Sprache charismatischen Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger, der in der Die Authentizität des von Patrick Desbois und seinen Mitar- Einschätzungen der Überlebenschancen handelt. Weiterhin werden höchsten katholischen Kurie eine Art Schnittstelle zwischen Juden- beitern in der Ukraine Gesehenen hatte einen Preis: Die von der die Lebensumstände der Berliner Juden während und nach ihrer und Christentum besetzte. Die Figur Lustiger inspirierte jahrelang Stalin-Regierung organisierte Hungersnot in der Ukraine (1932–33), ersten massenhaften Einquartierung in sogenannten Kollektiven die Juden zwischen Odessa und Boston zur immer gleichen Frage, die Verfolgung der Bauern als »Kulaken«, der Zweite Weltkrieg mit innerhalb des Gettos nachgezeichnet. Autobiografi sche Aufzeichnun- Patrick Desbois ob ein gebürtiger Jude eines Tages Papst werden könnte. den gravierenden Folgen für die Ukraine, der tödliche Hunger der gen sowie biografi sche Rekonstruktionen zeigen sehr anschaulich, Der vergessene Holocaust. Desbois studierte systematisch und intensiv das Judentum und ersten Nachkriegsjahre und die Armut und Rechtlosigkeit der dar- wie schwierig die emotionale und materielle Eingewöhnung für die Die Ermordung der ukrainischen Juden. den Holocaust unter anderem in der Gedenkstätte Yad Vashem (Je- auffolgenden Zeit führten dazu, dass im Bewusstsein der einfachen, deutschen Juden in den Alltag des Gettos gewesen sein muss. Die Eine Spurensuche rusalem) und im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Er setzte nicht selten des Lesens und Schreibens nicht kundigen Menschen fremde Sprache sowie ein ungewohnter kultureller Habitus der schon Mit einem Vorwort von Arno Lustiger. sich zum Ziel, die Spuren des Nazigenozids an den ukrainischen sich ein Katastrophenkontinuum bildete, in dem die Shoah zwar seit Anfang 1940 dort eingesperrten polnischen Juden machten das Aus dem Franz. von Hainer Kober. Berlin: Juden – jenes Massenmords jenseits der großen Vernichtungsla- eine besondere (weil jüdische), aber keinesfalls prägende und neue Familien- und Arbeitsleben in dieser auf extreme Ausbeutung Berlin Verlag, 2009, 352 S., € 22,90 ger – unmittelbar vor Ort zu erforschen. Abseits der Lager, ohne entscheidende Katastrophe ausmachte. Das menschliche Leben konzentrierten Umgebung zu einer Herausforderung, der die meisten Gaskammer und ohne ein »bloodless bureaucratic undertaking« war in der Ukraine über 60 Jahre lang nicht viel wert, und die Men- der älteren Deportierten wegen des Hungers und der medizinischen Die französische Originalausgabe des Bu- wurden in einem »vast wave of brutal, intimate, and endlessy bloody schenwürde gab (und gibt es) dort oft umsonst. Die von Dan Diner Unterversorgung nicht standhalten konnten. Ingo Looses und Julian ches erschien unter dem Titel Porteur de massacres«1 circa 1,6 Millionen ukrainischer Juden ermordet. Mit hervorgehobene Unterscheidung zwischen anthropologischem und Baranowskis Beiträge zu den Berliner Verhältnissen für die Juden Mémoires. Sur les traces de la Shoah par balles, was auf eine gewisse seinem aus einem Fotografen, einem Ballistiker (sie suchten nach historischem Ansatz in der Holocaust-Historiografi e – eine signi- zwischen 1933 und dem Vorabend der Deportationen, zur Rolle des Konkretisierung und einen entsprechenden Bedeutungswandel bei den Massengräbern der Erschossenen) und einem Dolmetscher fi kante methodologische Anmerkung – trifft auf den ukrainischen Großgettos im annektierten Reichsgau Wartheland während des der deutschen Titelübersetzung hinweist. Die porteurs, die Träger der bestehenden Team bereiste Desbois zahlreiche ukrainische Dörfer Fall möglicherweise nicht ganz zu.2 Der ›Anthropologie‹ mit ihrer Massenmordes schreiten den chronologischen und systematischen Erinnerungen, sind für Desbois ohne Zweifel nicht nur einfache alte und Kleinstädte und landete somit mitten im aktuellen ukrainischen universalisierenden Handlungsperspektive begegnet hier eher die Rahmen ab, in dem sich das Lebensschicksal der Juden aus Berlin ukrainische DorfbewohnerInnen, die er mithilfe eines Dolmetschers Diskurs über den Holocaust. ›Geschichte‹, bei der allerdings das historische EREIGNIS zu einer abspielte. Alle sechs Beiträge befi nden sich auf der Höhe der für die- über die Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten und ihre ses Getto virulenten Forschung und wirken inhaltlich und stilistisch Gehilfen befragte. Der katholische Priester und Beauftragte der fran- gut aufeinander abgestimmt. Abgerundet wird das vorliegende Ge- zösischen Bischofskonferenz für die Beziehungen zum Judentum, 1 Omer Bartov, Erased. Vanishing Traces of Jewish Galicia in Present-Day 2 Vgl. Dan Diner, Gegenläufi ge Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des denkbuch mit der Präsentation von 48 Lebensgeschichten deportierter Patrick Desbois, und seine persönliche recherche du temps perdu Ukraine, New Jersey: Princeton University Press, 2007, S. XVII. Holocaust, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, S. 14 f.

54 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 55 Ereigniskette, einer Aneinanderreihung von Katastrophen wurde. Gelungener Überblick das zum Standardwerk1 werden sollte und das die Diskussion um Eine grundsätzlich andere Lebensnorm entstand somit östlich vom über das Vichy-Regime die Mitverantwortung des Vichy-Regimes für die »Endlösung der Bug. Die Hoffnungen der Sowjetmenschen, dass die seit 1917 Judenfrage« in Frankreich nachhaltig beeinfl usst hat. Außerdem geführten unzähligen bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen fanden in den 1980er und 1990er Jahren exemplarische Prozesse in dem für die UdSSR siegreichen Zweiten Weltkrieg – dem »Ar- statt wie der gegen den ehemaligen Gestapochef von Lyon, Klaus mageddon der Revolution« (Amir Weiner) – gipfeln und fortan Henry Rousso Barbie, mit denen die Erinnerung an die »dunklen Jahre« in die einer harmonischeren, weil ruhigeren Zeit Platz machen würden, Vichy. Frankreich unter deutscher französische Öffentlichkeit zurückkehrte. Jörg Baberowski und Anselm Doering-Manteuffel blieben unerfüllt. Als Folge machten sich in der Gesellschaft eine Besatzung 1940–1944 Henry Rousso, der langjährige Direktor des renommierten Pa- Ordnung durch Terror Gleichgültigkeit und Apathie breit. Diese (Dis-)Kontinuitäten in der Aus dem Franz. von Matthias Grässlin. riser Instituts für Zeitgeschichte (IHTP) und Verfasser zahlreicher 16,80 Euro heutigen Ukraine zu untersuchen war nicht das Anliegen von Patrick München: Verlag C. H. Beck, 2009, Arbeiten über Vichy und dessen Nachwirkung im kollektiven Ge- ISBN 978-3-8012-0368-9 Desbois. Doch die Antwort einer Dorfbewohnerin auf seine Frage: 150 S., € 11,95 dächtnis der Franzosen, ist der historiografi schen Schule verpfl ichtet, »Was ist in diesem Wald zwischen den Deutschen und den Juden die auf die »révolution paxtonienne« zurückgeht und die in der vorgefallen?«, ist durchaus als eine Widerspiegelung dieser post- französischen Forschungslandschaft über Jahrzehnte führend war. sowjetischen Wahrnehmungsperspektive anzusehen: »Die Deutschen Anfang der 1990er Jahre, als man hierzu- Gleichwohl stagniert die Vichy-Geschichtsschreibung seit einiger haben die Juden getötet.« (S. 87) Der lebenslange Umgang mit den lande noch glaubte, die Kollaboration des Zeit, womöglich ist sie zu einem vorläufi gen Abschluss gekom- katastrophalen Realien machte die Menschen extrem müde und ihre Vichy-Regimes mit den deutschen Besatzern sei in Frankreich ein men, während die von Präsident Sarkozy angebahnte Wende in der Antworten statisch. Genau deshalb folgte auf die Frage von Desbois: Tabuthema, konstatierte Henry Rousso in einem Interview mit der Erinnerungspolitik noch keine festen Konturen angenommen hat. »Möchten Sie noch etwas hinzufügen?« die Antwort einer anderen französischen Tageszeitung Le Monde: »Vichy beherrscht immer Da scheint die Zeit für Bilanzen gekommen. An solchen zusam- Dieter Schlesak Interviewpartnerin: »Wir wollen unser Leben lediglich friedlich noch unsere Vorstellungswelt und unser nationales Gewissen, und menfassenden Darstellungen mangelt es nicht, Marc Olivier Baruch Capesius, der Auschwitzapotheker beschließen und dass es unsere Enkel einmal gut haben.« (S. 278) zwar in einem solchen Ausmaß, dass ich selbst manchmal Schwie- hatte schon 1996 eine beachtliche Geschichte des Vichy-Regimes 29,90 Euro Die Menschen erzählen – das stellt Desbois fest, das merkt rigkeiten habe, mir einen Überblick über die Aktualitäten auf diesem vorgelegt, die auch ins Deutsche2 übersetzt wurde. Nun folgt eine ISBN 978-3-8012-0369-6 man auch als Leser –, als wären »diese Dinge«, die Vernichtung Gebiet zu verschaffen, weil sie so zahlreich sind.« Und er fügte hinzu, meisterhafte Synthese aus der Feder von Henry Rousso. der jüdischen Bevölkerung, erst gestern geschehen. Die aufregende er habe den Eindruck, dass man sich inzwischen nicht mehr nur auf Die Originalausgabe des hier anzuzeigenden knappen Abrisses, und inspirierende Authentizität der weniger attraktiven ukrainischen Einzelaspekte jener Epoche beschränke, wie die Kollaboration und der den Charakter einer Einführung hat und ohne jeden wissenschaft- Provinz, die sich zwar einem Epos öffnet – ein Unikat im heutigen den Antisemitismus des Regimes, sondern die Ereignisse in einen lichen Apparat auskommt, erschien 2007 in der enzyklopädischen Europa –, verschließt sich jedoch nach wie vor einer semantischen komplexeren Zusammenhang zu stellen versuche. Reihe »Que sais-je« (übersetzt etwa: Wissen für jedermann) der Aufschlüsselung des Holocaust. Tatsächlich begann die historische Aufarbeitung der Vichy- Presses Universitaires de France unter dem Titel Le régime de In Krakau, in Kazimierz, Anfang der 1990er Jahre hatte man Periode in Frankreich erst relativ spät, in den Jahren nach 1968, und Vichy. Dass der Verlag C. H. Beck der deutschen Fassung jetzt den Dieter Schenk ein ähnliches Gefühl: sich in einem gestern verlassenen jüdischen dazu bedurfte es zudem eines Anstoßes von außen: Es war der ame- Untertitel »Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1944« hin- Der Lemberger Viertel zu befi nden. Dann, 1993, wurde dort SCHINDLERS LISTE von rikanische Autor Robert O. Paxton, der mit der Legende aufräumte, zugefügt hat, mag der Information des Publikums dienen, das keine Professorenmord Steven Spielberg gedreht. die von 1940 bis 1944 in dem zentralfranzösischen Kurort Vichy oder andere Assoziationen mit dem Namen Vichy verbindet, trifft 22,00 Euro amtierende, autoritäre Regierung des greisen Marschalls Pétain habe aber den Inhalt nur ungenau. Man darf jedenfalls kein Buch über ISBN 978-3-8012-5033-1 Dmitrij Belkin in Kriegszeiten das Schlimmste verhindert und ein doppeltes Spiel die deutsche Besatzung in Frankreich erwarten. Dagegen werden die Fritz Bauer Institut gespielt. Paxton zeigte – ähnlich übrigens wie Eberhard Jäckel in militärischen und politischen Entwicklungen der Weltkriegsjahre als seinem frühen Buch über Frankreich in Hitlers Europa (Stuttgart Rahmenbedingungen für die Politik Vichys ebenso berücksichtigt 1966) – die Eigeninitiativen und den politischen Handlungsspielraum wie die Gesellschaftsgeschichte des besetzten Landes. des Regimes im Verhältnis zur Besatzungsmacht auf. Der Schlüssel Rousso zeigt, dass das Vichy-Regime nicht allein ein Produkt zum Verständnis dieser Politik wurde – mit einem Begriff von Stan- der verheerenden militärischen Niederlage Frankreichs war, sondern ley Hoffmann – in der »Staatskollaboration« gesehen, die sich von der Tradition der nationalistisch-konservativen und xenophoben anderen Formen der politisch-ideologisch motivierten Kollaboration französischen Rechten entstammte (wobei es zugleich technokra- Sebastian Weitkamp und von Marionettenregimes à la Quisling unterschied. Vichy suchte tisch-modernistische Elemente integrierte), und er lotet – hierin Braune Diplomaten in erster Linie seine Souveränität auf dem französischen Territori- 48,00 Euro ISBN 978-3-8012-4178-0 um zu bewahren und war deswegen den Deutschen gegenüber zu

weitgehenden Konzessionen bereit. 1 Vgl. die dt. Neuausgabe: Serge Klarsfeld, Vichy – Auschwitz. Die »Endlösung der gegen das Vergessen Paxton kommt auch das Verdienst zu, 1981 gemeinsam mit Judenfrage« in Frankreich. Aus dem Franz. übersetzt und mit einem Vorwort dem kanadischen Forscher Michael R. Marrus die erste Gesamtdar- versehen von Ahlrich Meyer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, www.dietz-verlag.de stellung der Judenverfolgung unter Vichy veröffentlicht zu haben. 2007. 2 Marc Olivier Baruch, Das Vichy-Regime. Frankreich 1940–1944. Aus dem Franz. Verlag J. H. W. Dietz Nachf. – Dreizehnmorgenweg 24 Kurz darauf folgte das Buch Vichy – Auschwitz (dt. Hamburg 1989) übersetzt von Birgit Martens-Schöne. Für die deutsche Ausgabe bearbeitet von 53175 Bonn – Tel. 0228/23 80 83 – Fax 0228/23 41 04 des französischen Rechtsanwalts und Historikers Serge Klarsfeld, Stefan Martens. Stuttgart: Reclam Verlag, 2000.

56 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 57 Paxton und anderen folgend – die Handlungsspielräume Vichys (das Rousso mit den Verhandlungen zwischen der SS-Führung und Unverhofftes Überleben Das von Edith Raim herausgegebene Buch geht auf eine Aus- aus. Aber er lässt keinen Zweifel daran, dass die Anwesenheit der dem Polizeichef Vichys vom 2. Juli 1942 zu verwechseln scheint). stellung zurück, die 2005 in Landsberg am Lech2 gezeigt wurde. deutschen Besatzer das entscheidende Kriterium zum Verständnis Der Beginn der »Endlösung« in Frankreich und die Abfahrt des ersten In jahrelanger Arbeit hat Raim Kontakte zu den Überlebenden der der Ereignisse zwischen 1940 und 1944 bleibt. Dies gilt nicht nur Transports am 27. März – Monate früher als im übrigen besetzten Kaufi nger Lager gepfl egt, die Davongekommenen an den Ort ihrer für die Repressionsmaßnahmen zur Widerstandsbekämpfung und Westeuropa – hing jedoch keineswegs mit der Ernennung oder Edith Raim (Hrsg.) Leiden eingeladen, die nach der Befreiung aus Europa Ausgewan- die Zwangsaushebung von Hunderttausenden junger Franzosen zur Ankunft eines Höheren SS- und Polizeiführers in Paris zusammen, Überlebende von Kaufering. Biografi sche derten in ihrer neuen Heimat besucht. Raim hat Lebensgeschichten Arbeit in der deutschen Kriegsindustrie, sondern – so unterstreicht sondern ging auf eine Initiative des deutschen Militärbefehlshabers Skizzen jüdischer ehemaliger Häftlinge. aufgezeichnet, hat die niedergeschriebenen Zeugnisse der Überle- Rousso – vor allem auch für die Deportation der Juden aus Frankreich Otto von Stülpnagel zurück, der bereits Ende 1941 die Deportation Materialien zum KZ-Außenlagerkomplex benden gesammelt, hat die wenigen Fotos zusammengetragen, die in die Vernichtungslager. Die entscheidende Passage verdient es, von Juden »nach dem Osten« als »Sühnemaßnahme« für voraufge- Kaufering es von den Opfern und ihren Nächsten gibt. zitiert zu werden, weil hier die Koordinaten zurechtgerückt werden, gangene Attentate der kommunistischen Résistance vorgeschlagen Berlin: Metropol Verlag, 2008, 191 S., In 42 biografi schen Skizzen gelingt es Raim, in einer einfühl- die sich bei einer generalisierenden Debatte über die europäische hatte. Diese für die Ingangsetzung des Genozids im Westen so zahlr. Abb., € 19,– samen Sprache das Schicksal der Opfer nationalsozialistischer Ver- Kollaboration zu verschieben drohen: »Auch wenn die ersten anti- entscheidende Tatsache, die Rousso bekannt sein muss, wird durch folgungs- und Vernichtungspolitik und ihrer Familien eindrucksvoll semitischen Maßnahmen Vichys eher eigenem Willen und Antrieb die angeführten Sätze mehr verdunkelt als erhellt. Die Überlebenden der Shoah werden bald al- darzustellen. Die Viten mussten, wie die Autorin betont, notwendig als deutschen Forderungen entspringen, so lässt sich doch – im Mit der vorliegenden Überblicksdarstellung beansprucht Rousso lesamt von uns gegangen sein. Sie sind eine knapp ausfallen. Über jedes dargestellte Leben ließe sich ein Buch Unterschied zu jüngst populär gewordenen Auffassungen – seine gewiss nicht, Neues zu bieten, und er setzt auch nur knappe eigene aussterbende Spezies. Die Ära der Zeugenschaft des Nationalsozia- schreiben (S. 8). Mit den biografi schen Abrissen hat Raim jedoch für Verfolgungspolitik unmöglich verstehen ohne das Gewicht, welches Akzente, wenn er am Schluss auf das Erbe des Vichy-Regimes und lismus endet defi nitiv. Erleichterung wird in den Ländern der Täter, die Überlebenden und ihre Nachkommen, aber auch für die Kinder die ›Judenfrage‹ im Weltbild der Nazis hat, und ohne den perma- die institutionellen und sozialpolitischen Kontinuitäten zu sprechen in Deutschland und Österreich, aufkommen. Die lästigen Mahner an und Kindeskinder der Tätergenerationen, ein bleibendes Denkmal nenten Einfl uss, den die Besatzer in dieser Frage auf die Politik und kommt, die weit in die Nachkriegszeit reichten. Aber er referiert das Menschheitsverbrechen, an den Mord an den europäischen Juden, geschaffen. Der Holocaust, in seiner Dimension, in seiner Durch- Ideologie des Regimes ausübten.« (S. 87) einen breiten, heute mehr noch als zu Anfang der 1990er Jahre kaum werden nicht länger die geschichtsvergessene Ruhe der braven Bürger führung, in seinem Ablauf nur unangemessen vorstellbar, wird kon- Gleichwohl bleibt dieser Einfl uss der faktischen Machthaber in überschaubaren Forschungsstand – und dies sehr gut und in einer stören. Recht wenige sind es nur, die gegen das Vergessen arbeiten, kret anhand der individuellen Opfergeschichten. Frankreich, der Trias aus Militärverwaltung, deutscher Botschaft und durchweg gelungenen Form. Die deutsche Übersetzung von Matthias die sich um ein geschichtsverantwortliches Gedenken bemühen. Neben den Lebensbeschreibungen fi nden sich in dem Buch aus Sicherheitspolizei (SD), in Roussos Darstellung eher unterbelichtet. Grässlin ist sachkundig und liest sich, als hätte man das Original in Die Historikerin Edith Raim (Institut für Zeitgeschichte/ dem Jiddischen übersetzte Artikel, die in der Landsberger Displaced- Der Politik der Besatzer sind nur wenige Seiten gewidmet, auf de- der Hand. Eher irritierend für den Benutzer ist hingegen die zweifa- München)1 beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren (S. 12) mit der Persons-Zeitschrift Fun letstn Churbn (Von der letzten Zerstörung) ver- nen die Stichworte »Aufsichtsverwaltung« und »Polykratie« fallen. che Bibliografi e, die zum einen die Titelangaben der französischen Geschichte der Kauferinger Lager, jener elf Außenlager des KZ Dach- öffentlicht worden sind. Der Todesmarsch und die Tage der Befreiung Ausführlicher geraten sind die Abschnitte über den französischen Ausgabe enthält, zum anderen – nach nicht immer ganz einsichtigen au, in denen ab Mitte 1944 bis Kriegsende mehr als 30.000 Häftlinge, werden in den Texten dargestellt. Auch Auszüge aus der bereits 1940 in Antisemitismus – der sich nach Roussos Ansicht »strukturell« nicht Kriterien – Ergänzungen deutschsprachiger Titel bietet, wobei sich davon circa 4.200 Frauen und 850 Kinder (S. 15), zur Zwangsarbeit Kaunas (Litauen) gegründeten, in Kaufering fortgesetzten Untergrund- vom Nazirassismus unterschied, wenngleich ihm die genozidale unnötige Überschneidungen ergeben. für das Deutsche Reich gepresst wurden. Im Auftrag des sogenann- zeitung Nitzotz (Der Funke) hat die Herausgeberin in die Publikation Zielsetzung fehlte –, über die Verfolgung der Juden und den Weg Und noch ein Wort zum Umschlagfoto: Es zeigt Pétain und ten Jägerstabs, der sich aus Angehörigen des Rüstungs- und des Luft- aufgenommen. Noch im Lager, unter allgegenwärtiger Lebensgefahr, zur »Endlösung«. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von Hitler bei einer Begegnung in Montoire am 24. Oktober 1940 zusam- fahrtministeriums sowie der Flugzeugindustrie zusammensetzte, plante brachten Häftlinge die Kraft auf, über die Zukunft des Zionismus und einem Prozess der »kumulativen Radikalisierung«. Man sieht: Das men mit dem Dolmetscher Paul Schmidt. Der Handschlag zwischen die Organisation Todt den Bau von halb unterirdischen Betonbunkern. der jüdischen Nation zu refl ektieren und zu schreiben. Die in seiner funktionalistische Paradigma ist in der französischen Zeitgeschichts- den ungleichen Diktatoren, während der Vichy-Periode als Sinn- Das Naziregime wollte, die militärische Niederlage vor Augen, dort deutschen Muttersprache verfasste Lebensgeschichte von Max Mor- schreibung noch nicht außer Kurs gekommen. bild der Verständigung beider Völker propagandistisch eingesetzt, Kampffl ugzeuge für den »Endsieg« produzieren. dechai Livni (1926 in Prag geboren) und die von Raim aus dem Eng- Die Mitwirkung Vichys am Genozid gehört zu den am besten wurde nach der Befreiung Frankreichs zum negativen Symbol der An Arbeitskräften herrschte großer Mangel. Der »Jägerstab« griff lischen übersetzten Aufzeichnungen von Alexander Gringauz (Sohn erforschten Kapiteln jener »dunklen Jahre« Frankreichs, doch Rous- Kollaboration. Dabei blieb umstritten, ob es diese Geste überhaupt mit Zustimmung der Naziführung auf die wenigen Mitte 1944 noch von Samuel Gringauz, u. a. Präsident des DP-Lagers Landsberg am so behandelt das Thema nach meinem Dafürhalten nicht stringent gegeben hatte. Die von Hitlers Fotografen Heinrich Hoffmann lebenden Juden zurück und transportierte sie von Auschwitz-Birkenau Lech) eröffnen einen umfassenden Einblick in Überlebensgeschichten. genug, und leider fi nden sich auch manche Irrtümer. Um nur ein festgehaltene, leicht unscharfe Szene wurde vielfach nachgebessert, und den letzten im besetzten Osten vorhandenen Ghettos und Lagern Raims ausgezeichnete Auswahlbibliografi e, in der sie insbesondere Beispiel zu nennen (über die sprachlich unbeholfene Formulierung auf verschiedenen Abzügen sind Retuschen an Uniformen und eben zum Arbeitseinsatz ins Reich. Unter primitivsten Lebens- und schreck- die Zeugnisse der Überlebenden anführt, schließt die Publikation ab. sehen wir hinweg): »Der Beginn der systematischen Ausrottung der auch beim Handschlag erkennbar – womöglich zu geschichtspoli- lichsten Arbeitsbedingungen mussten die Häftlinge mörderische Fron Wenn die Zeitzeugen der Shoah nicht mehr da sein werden, er- Juden in Frankreich beginnt einige Tage nach der Ankunft von Karl tischen Zwecken, wie die Verwendung der Fotografi e als Standbild leisten. Wer erkrankte und als arbeitsunfähig galt, wurde selektiert und möglichen uns ihre Berichte und Darstellungen, ihre Interviews und Oberg in Frankreich. Der erste Eisenbahntransport nach Auschwitz in einem frühen Nachkriegsfi lm über die Résistance nahelegt. Ein zur Vergasung nach Auschwitz-Birkenau verbracht. Als der Mordbe- Erinnerungen sowie beispielhafte Bücher wie das besprochene die startet am Bahnhof von Bourget, am 27. März 1942, mit mehr als Vergleich mit der im Bundesarchiv aufbewahrten Fassung zeigt, trieb in dem Vernichtungslager im November 1944 eingestellt wurde, Vergegenwärtigung der unvergänglichen Vergangenheit. 1000 größtenteils französischen Juden.« (S. 99) Nun traf der von dass auch der Verlag C. H. Beck eine retuschierte Vorlage zur Illus- richtete die Kauferinger Lageradministration Kranken- und Sterbela- Hitler neu ernannte Höhere SS- und Polizeiführer Oberg erst am tration verwendet hat. Der auf dem Original ebenfalls abgebildete ger ein. Von den circa 30.000 Arbeitssklaven der Organisation Todt hat Werner Renz 5. Mai 1942 in Begleitung Heydrichs in Paris ein, wo beide unter Außenminister Ribbentrop wurde gleich ganz weggeschnitten. Kein jeder Zweite den Tod durch die deutschen Mörder gefunden (S. 18). Fritz Bauer Institut anderem Gespräche mit dem französischen Polizeichef Bousquet gutes Zeichen für den seit Langem geforderten kritischen Umgang führten. Dabei wurden in der Tat die Weichen für den Einsatz der mit historischem Bildmaterial. französischen Polizei bei Massenrazzien gegen ausländische und 1 Siehe die Studie von Edith Raim, Die Dachauer KZ-Außenkommandos Kaufering 2 Zu Landsberg am Lech vgl. auch Ein Ort wie jeder andere. Bilder aus einer deut- staatenlose Juden im Sommer 1942 und für ein Anfang August ge- Ahlrich Meyer und Mühldorf. Rüstungsbauten und Zwangsarbeit im letzten Kriegsjahr 1944/45. schen Kleinstadt. Landsberg 1923–1958. Hrsg. von Martin Paulus, Edith Raim schlossenes Polizeiabkommen zwischen Oberg und Bousquet gestellt Oldenburg Landsberg am Lech: Landsberger Verlagsanstalt Martin Neumeyer, 1992. und Gerhard Ziegler. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1995.

58 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 59 Das Bild vom Täter gung ihres Einsatzes mit in die Gruben gelegt oder auf den Holz- Handbuch für künftige Forschungen Eiber zu alliierten Prozessen in den Besatzungszonen, Edith Raim stößen verbrannt. zum Wiederaufbau der Justiz in Westdeutschland und der Ahn- Die Zeugenaussagen, die es gibt, sind Annäherungen, von Trau- dung von NS-Verbrechen in der Besatzungszeit 1945–1949, mata, Rachegefühlen und Gedächtnislücken beeinfl usst. Das Bild, Annette Weinke zur Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der Heinz Schneppen das von Roschmann bleibt, ist unscharf. Oft stand er geistesabwe- Jürgen Finger, Sven Keller, Andreas Sowjetischen Besatzungszone und der DDR, Claudia Kuretsidis- Ghettokommandant in Riga send vor seiner Kommandantur, sagte eine Zeugin. Sadistischen Tä- Wirsching (Hrsg.) Haider zur strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen durch Eduard Roschmann tern, von denen Roschmann umgeben war, kann man individuelle Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS- die österreichische Justiz sowie Amedeo Osti Guerrazzi zu Kriegs- Fakten und Fiktionen Schuld eindeutiger nachweisen. Roschmann, der sich in der SS eher Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte verbrecherprozessen in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg. Berlin: Metropol Verlag, 2009, 343 S., funktional und unauffällig verhielt, ist schwerer zu belangen. Die Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Im zweiten Abschnitt erläutert Jürgen Finger versiert und ver- € 24,– dramatischsten Roschmann-Szenen in Forsyths Roman sind, wie 2009, 301 S., € 39,90 ständlich die Entstehungsbedingungen von Strafprozessakten in der Schneppen zeigt, erfunden. Die anderen SS-Oberen in Riga schos- Bundesrepublik sowie deren Archivierung und Überlieferungsbedin- Jeder Versuch, sich von NS-Tätern ein Bild sen, sie schossen fast täglich. Roschmann konnte nicht schießen, er Mit dem absehbaren Ende der strafrechtli- gungen. Zusammen mit Sven Keller widmet sich Finger im folgenden zu machen, galt nach 1945 als anstößig. ließ ins Gefängnis einliefern, was häufi g einem Todesurteil gleich- chen Verfolgung von NS-Verbrechen wer- Aufsatz dem kritischen Umgang mit den Aussagen von Tätern und Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem (München 1964) brach mit kam, was aber Roschmann nicht zum Mörder macht. Individuelle den die im Rahmen von NS-Verfahren gewonnenen justiziellen Er- Opfern. Dieter Pohl kommt in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass diesem Tabu. Seitdem haben sich unterschiedliche methodische An- Tatbeiträge innerhalb einer Befehlsstruktur sind schwer zuzurech- kenntnisse »zu einer bedeutenden Quelle für die historische For- mit einer angemessenen Fragestellung und fundierter Quellenkritik sätze von Biografi en der NS-Täter herausgebildet. Heinz Schnep- nen. Roschmann wurde nach dem Krieg festgenommen, konnte aber schung« (S. 13). Um den durchaus berechtigten Einwänden gegen auch sowjetische und polnische Strafverfahren als Quellen nutzbar pen, ehemaliger deutscher Botschafter und Historiker, wählt in sei- fl iehen. Er schlug sich nach Rom durch, wo ihm katholische Stel- die Nutzung eines derartigen Quellentyps entgegenzutreten, widme- sind. Werner Renz widmet sich Tonbandmitschnitten als historische ner Biografi e des durch Frederick Forsyths Roman Die Akte Odes- len und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes zur Flucht te sich im Sommer 2007 an der Universität Augsburg eine Arbeits- Quelle, und Katrin Stoll zeigt anhand des Bielefelder Bialystok-Pro- sa (München 1973) berühmt gewordenen zweiten Ghettokomman- nach Argentinien verhalfen. Seine Flucht war, wie die der meisten tagung den Themen »Juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen« zesses die Selbst- und Fremddeutung von NS-Tätern auf. Stephan danten von Riga, Eduard Roschmann, den virtuellen Prozess als Me- SS-Leute, schlecht organisiert, individuell und von Zufälligkeiten und »Strafprozessakten als historische Quellen«. Der vorliegende Lehnstaedt stellt kulturgeschichtliche Fragen an Justizakten, Sven thode. Gegen Roschmann hat die bundesdeutsche Justiz ermittelt, abhängig. Er schlug sich in Argentinien mühsam durch und beging Band ist das Ergebnis dieser Tagung und wendet sich vor dem Hin- Keller wiederum legt dar, wie Ermittlungs- und Verfahrensakten der das Verfahren wegen dessen Abwesenheit aber nie eröffnet. Schnep- den Fehler, unter seinem falschen Namen ein zweites Mal zu heira- tergrund des Fehlens einer zeitgeschichtlichen Einführung in die Verbrechen der Endphase eine breite Perspektive auf die Gesellschaft pen wertet zahlreiche Zeugenaussagen, Überlebendenberichte und ten, obwohl er nicht geschieden war. Ein Scheidungsbegehren ließ Quellengattung der NS-Prozessunterlagen an Fachwissenschaftler, im Zusammenbruch bieten. Kerstin Brückweh beschäftigt sich mit Briefe aus und fragt, was ein Gericht damit gemacht hätte, wäre es seine wahre Identität auffl iegen. 1972 wurde er, der so unauffällig Studierende, Doktoranden sowie an die interessierte Öffentlichkeit. der von der konkreten historischen Fragestellung abhängigen Dekon- Roschmanns habhaft geworden. Das Gericht muss sich ein nüchter- wie möglich bleiben wollte, durch Forsyths Roman weltberühmt. Dabei wollen die Autoren der künftigen Forschung und Lehre mit struktion von Prozessakten, und Sabrina Müller beschreibt am Ende nes Bild des Angeklagten machen, und auf diese Weise, also ohne Die deutsche Justiz wusste wegen der Bigamie-Nachfrage, wo er dem Schwerpunkt auf theoretisch-methodische Refl exionen und der des zweiten Teils, wie sich der vor allem auf Papier produzierte Ulmer Psychologisierung und persönliche Wertung, unternimmt Schnep- war, und die Bundesrepublik stellte ein Auslieferungsbegehren. Of- Vermittlung von Grundlagen für derartige Gedankengänge Impulse Einsatzgruppenprozess von 1958 in einer Ausstellung darstellen lässt. pen die undankbare Aufgabe, sich in Roschmanns Leben hineinzu- fenbar warnte ihn die argentinische Militärjunta. Roschmann setz- geben sowie zur Erschließung neuer Themen und Quellen der Zeit- Im dritten Abschnitt legt zunächst Andreas Kunz die archivge- denken. Das freilich tun alle Biografen, und sie sind gut beraten, te sich nach Paraguay ab und starb 1977, einige Wochen nach sei- geschichte beitragen. setzlichen Grundlagen der Benutzung von NS-Verfahrensakten dar. wenn sie sich davon Rechenschaft ablegen. ner Flucht, gehetzt und krank. Der in drei Teile gegliederte Band stellt zunächst die rechtlichen Sodann führen derselbe Autor, Andreas Eichmüller, Claudia Kuret- Roschmann gehörte zu den frühen Nationalsozialisten und stieg Schneppen fragt in seinem Buch, was geschehen wäre, wenn und institutionellen Grundlagen der Prozesse sowie die gesellschafts- sidis-Haider, Wolfgang Form, Dick de Mildt und Christiaan F. Rüter nach der Annexion Österreichs zum SS-Untersturmführer auf. Er Argentinien Roschmann ausgeliefert hätte. Die Beweislage war politischen und erinnerungskulturellen Hintergründe der Verfolgung sowie Martin Gruner, allesamt ausgewiesene Experten, in wichtige kam mit dem Einsatzkommando 2 der Einsatzgruppe A nach Lett- dünn. Die deutsche Justiz hätte ihn nicht ohne Weiteres verurtei- von NS-Verbrechen dar; in einem zweiten Abschnitt werden methodi- Quellenbestände, Hilfsmittel und Recherchemöglichkeiten ein. Das land. Das Baltikum war eines der Experimentierfelder für den Ho- len können. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes wäre sche und quellenkritische Fragen bei der Auswertung der einschlägi- geschieht anhand der Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesju- locaust. Die Gaswagen, die dort eingesetzt wurden, waren die Vor- er vielleicht von der Untersuchungshaft verschont worden. Als an- gen Akten erörtert; zuletzt werden wichtige Quellenbestände, Recher- stizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, stufe der Gaskammern. onymer Flüchtling konnte er gegen Forsyths Schilderungen nicht chemöglichkeiten und Hilfsmittel angeführt. Ein Teil der Aufsätze des der Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin zu Forsyths Akte Odessa, zu dem Simon Wiesenthal das »Tatsa- vorgehen, als Angeklagter hätte er den Autor wegen Verleumdung zweiten Teils verdeutlicht mit der Wiedergabe zentraler Quellen das allen westdeutschen Strafverfahren wegen NS-Verbrechen, der Zen- chenmaterial« lieferte, hat diesen Schauplatz weltbekannt gemacht verklagen können. Was Schneppen hier andeutet, wäre ein gefun- zuvor in der Theorie Erörterte. Die ohne Fußnoten gehaltenen Auf- tralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, der Quel- und Roschmann zum besessenen Haupttäter stilisiert. Dem stellt denes Fressen für Holocaustleugner gewesen: Roschmann wehrt sätze werden von einer annotierten Bibliografi e abgeschlossen, wel- len am Forschungs- und Dokumentationszentrum für Kriegsverbre- Schneppen den realen Roschmann gegenüber. Er unterzieht die sich als (vorläufi g) freier Mann in Deutschland erfolgreich gegen che die dem Thema entsprechenden einschlägigen Texte und Quel- cherprozesse, der Sammlung »Justiz und NS-Verbrechen« sowie an- Aussagen Überlebender einer Kritik, deren Problematik er ein ei- Darstellungen, die Simon Wiesenthal persönlich autorisiert hat, und len vorstellt und kommentiert. Dem Band angefügt ist eine Linkliste hand von Onlinequellen. genes Kapitel widmet. Gelegentlich schmerzt das, vor allem dieje- stirbt, ehe der Prozess gegen ihn beendet ist! Schneppen spricht sowie eine zentrale Bibliografi e, die unter anderem gedruckte Quel- Mit dem Band liegt ein durchdachtes, verständliches und an- nigen, die den Ansatz verfolgen, die Geschichte des Holocaust aus Roschmann in seinem »virtuellen Prozess« keinesfalls frei, aber len und Literatur zur justiziellen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit schauliches Werk vor, das, neben einführenden Darstellungen der der Perspektive der Opfer zu schreiben. Das entscheidende Pro- er weist auf Probleme der Wahrheitsfi ndung, der zwischenstaat- sowie zu Fragen der Methodik und Quellenkritik umfasst. Geschichte der NS-Prozesse, wichtige quellenkritische und metho- blem ist – wie immer man den Zugang wählt –, dass es zum Kern lichen Rechtshilfe und der Täterforschung hin, die sich bis heute Im ersten der insgesamt 22 Aufsätze spricht sich Freia Anders dische Fragen behandelt und den zukünftigen Forschern nicht zu- des Terrors, den Massenerschießungen und dem Wiederausgraben nicht erledigt haben. für eine rechtshistorische Perspektive bei der Nutzung von Strafak- letzt auf dem Weg der Quellensuche hilfreich zur Seite stehen wird. (»Enterdung«) und Verbrennen der Leichen durch jüdische Arbeits- ten als Quelle aus. Im Folgenden bieten drei Autorinnen und zwei kommandos, nur wenige Zeugenaussagen gibt, die zudem fast al- Dieter Maier Autoren einen fundierten und anschaulichen Überblick über die Regina Pawelletz le von Tätern stammen. Die Arbeitsjuden wurden nach Beendi- Frankfurt am Main justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen nach 1945: Ludwig Koblenz

60 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 61 Neue Fragen an NS-Prozesse sowie die (pädagogische) Sinngebung, die beiden Prozessen beige- »Im Namen des Volkes« zeigeerstattung, Erlass und Vollstreckung von Haftbefehlen, Beweis- messen wurde. Sie kommt zu dem Schluss, dass im Gegensatz zum ermittlung (Zeugenvernehmungen), Anklageerhebung, Angeklag- Auschwitz-Prozess im Majdanek-Verfahren die Geschichte des La- tenbekundungen im Rahmen des Vorverfahrens und in der Haupt- gers ihren gerichtsförmigen Charakter und die Juristen ihre histori- verhandlung, Sachverständigengutachten, Verteidigungsstrategien Georg Wamhof (Hrsg.) sche Deutungskompetenz verloren haben und nun vielmehr Histo- Regina Maier und richterliche Wahrheitserforschung sind neben anderen die un- Das Gericht als Tribunal oder: riker und Journalisten die Vergangenheit erklären. Beiden Verfah- NS-Kriminalität vor Gericht. Strafverfah- tersuchten Schritte im Fortgang der Verfahren. Maier erörtert dar- Wie der NS-Vergangenheit der Prozess ren gemein ist jedoch, dass sie von den Urhebern der Fernsehbei- ren vor den Landgerichten Marburg und über hinaus die Strafzwecke in NS-Verfahren und stellt Strafmaß gemacht wurde träge als die vielleicht beste Form von Geschichtsunterricht begrif- Kassel 1945–1955 und Strafvollstreckung dar. Auch die Revisionen, die Entscheidun- Göttingen: Wallstein Verlag, 2009, 186 S., fen wurden. Die gesellschaftlichen Reaktionen der Menschen in Darmstadt und Marburg: Selbstverlag der gen der übergeordneten Gerichte, die gegebenenfalls erforderlichen € 24,90 der DDR untersucht Christian Dirks anhand des 1966 dort geführ- Hessischen Historischen Kommission Neuverhandlungen sowie die Politik des Hessischen Ministeriums ten Auschwitz-Prozesses. Sein Fazit, dass die Ablehnung der juris- Darmstadt und der Historischen Kommis- der Justiz und der amerikanischen Militärregierung hat die Autorin Interdisziplinäre Ansätze aus den Theater- tischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit als gesamtdeutsches sion für Hessen, 2009, 372 S., € 24,– in ihre Untersuchung einbezogen. und Filmwissenschaften sowie der Narra- Phänomen zu sehen ist, überrascht nicht – allerdings genügt der In der ersten Dekade nach dem Ende des Naziregimes hat sich tologie und Medienwirkungsforschung liegen den aus der Jahres- exemplarisch herangezogene Fall nicht für die verallgemeinernden Die westdeutsche Justiz hat in Sachen Straf- die nordhessische Justiz in Sachen NS-Verbrechen kaum Meriten tagung 2006 des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen Aussagen des Autors hinsichtlich des öffentlichen Meinungsbilds. verfolgung der nationalsozialistischen Ge- verdient. Staatsanwälte ermittelten oft zögerlich und wenig inten- hervorgegangenen Beiträgen des vorliegenden Bandes zugrunde. Nina Burkhardt und Ulrike Weckel widmen sich in Teil IV waltverbrecher keinen allzu guten Ruf, von der – politischen Vor- siv, Strafrichter verkündeten nicht selten Freisprüche. Verhängten Wie in Vorwort und Einleitung angekündigt, widmen sich die Auf- (»Bewältigung unter Beobachtung: Der ausländische Blick auf die gaben folgenden – Justiz der DDR ganz zu schweigen. Mit aller- sie Strafen, fi elen diese meist milde aus. Allerhand strafmildernde sätze den Fragen nach der prozessualen Steuerung, der juristischen deutschen NS-Prozesse«) den niederländischen und belgischen Me- hand Kritik sieht sich die Strafrechtspfl ege konfrontiert, kaum ein Gründe machten die erkennenden Gerichte geltend. Kam es nach Produzierung und der medialen Verarbeitung von Prozess und Pro- dienberichten über den Frankfurter Auschwitz-Prozess beziehungs- gutes Haar wird an der Judikatur der NS-Taten gelassen. Mit pau- höchstrichterlichen Entscheidungen zu Neuverhandlungen, sprachen zessverlauf sowie dem Verhältnis von justizieller Verfolgungspra- weise dem amerikanischen Traum von einem Schuldbekenntnis im schalen Urteilen sind nicht wenige schnell bei der Hand, noch bevor die Gerichte in vielen Fällen die Angeklagten in zweiter Instanz frei. xis und deren medialer Vermittlung im Umfeld der NS-Prozesse. Spielfi lm JUDGMENT AT NUREMBERG (1961) und seiner Rezeption in sie sich mit den Quellen, den Verfahrensakten, beschäftigt haben. Die Straffreiheitsgesetze von 1947 und 1949 führten, wie Maier be- In Abschnitt I (»Rechtspraxis als öffentlicher Akt: Traditionen der deutschen Presse. Burkhardt arbeitet heraus, dass der Auschwitz- Die Ahndung der NS-Kriminalität lässt sich, dies zeigt die quel- legt, oftmals zu Verfahrenseinstellungen und Straferlass. Dem recht des politischen Prozesses«) des insgesamt in vier Teile gegliederten Prozess in den belgischen und niederländischen Nachrichten kei- lendichte Studie von Regina Maier, allein durch umfassende Aus- schwachen Ahndungswillen der Justiz korrespondierte eine sehr mä- Werkes verdeutlicht Henning Grunwald in seinem Beitrag »From ne dominante Rolle spielte, seine mediale Rezeption aber dennoch wertung der Gerichtsakten angemessen darstellen. Eine Analyse nur ßige Aussagewilligkeit der Zeugen. Die Beweisschwierigkeiten wa- Courtroom to ›Revolutionary Stage‹« anhand zweier Beispiele aus »möglicherweise zu einer vorsichtigen Abkehr von den stereotypen von Strafurteilen ist unzureichend. Die Autorin untersucht die bis- ren bereits in den frühen Verfahren nicht gering. Entlastungszeugen dem Kaiserreich und der Weimarer Republik die größere Bedeu- Deutschlandbildern« (S. 162) beitrug, da vor allem die bundesdeut- lang von der historischen Forschung vernachlässigten frühen NS- fanden sich nicht wenige, Belastungszeugen wurden hingegen von tung der ideologischen Ziele gegenüber der eigentlichen »Recht- schen Medien für ihren Willen zur Aufarbeitung der NS-Vergangen- Prozesse vor westdeutschen Gerichten in der ersten Dekade nach dem mit den Beschuldigten und Angeklagten solidarischen Umfeld Sprechung« in politischen Prozessen. heit gelobt wurden. Anhand der Interpretation des Filmes JUDGMENT dem Ende des Naziregimes (allesamt auf der Grundlage des deut- unter Druck gesetzt und mussten die Folgen einer wahrheitsgemä- In Teil II (»Die Kommunikation der Ahndung: Prozessgesche- AT NUREMBERG als Quelle und der Analyse seiner Aufarbeitung in schen Strafrechts durchgeführt) und begrenzt ihren Forschungsge- ßen Bekundung vor Gericht fürchten. hen und Presserepräsentation«) setzt sich Annette Weinke anhand der zeitgenössischen bundesdeutschen Presse zeigt Weckel abschlie- genstand klug auf Verfahren vor den beiden nordhessischen Land- Mit ihrer Arbeit hat Maier einen wichtigen Beitrag zur juristi- des Frankfurter Auschwitz-Prozesses mit dem Verhältnis von einer ßend, dass die Thematisierung des im Film zentralen Schuldeinge- gerichten in Marburg und Kassel. schen Zeitgeschichte geleistet. Sie bestätigt in ihrer fundierten Stu- auf das Strafrecht fokussierten Aufarbeitungsstrategie und den öf- ständnisses eines der Angeklagten, obwohl in der Realität nie er- Mit der sogenannten Machtergreifung im Januar 1933 setzten die zum Teil die Ergebnisse früher Publikationen wie der von Klaus fentlichen Diskursen über NS-Verbrechen auseinander und kommt folgt, zur Rezeption der NS-Prozesse unbedingt dazugehört. Gewalttätigkeiten von Hitlers Parteigängern gegen politische Geg- Moritz und Ernst Noam2 sowie der von Friedrich Hoffmann3, zum zu dem Schluss, dass Justiz und Medien ein Bild der NS-Verbre- Die Fragen nach der prozessualen Steuerung, der juristischen ner und gegen Juden unmittelbar ein. Landfriedensbruch, Körper- Teil vermag sie deren auf schmalerer Quellenbasis gewonnenen Er- chen entwarfen, das es der bundesdeutschen Öffentlichkeit erlaub- Produzierung und der medialen Verarbeitung von Prozess und Pro- verletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung und ähnliche Delikte wa- kenntnisse nicht zu verifi zieren. te, sich »unter dem Vorwand der Nichtbetroffenheit« (S. 77) wei- zessverlauf sowie dem Verhältnis von justizieller Verfolgungspra- ren an der Tagesordnung. Die Täter handelten vor aller Augen1 und Kleine Versehen sind der Autorin unterlaufen. Friedrich Hoff- terer Beschäftigungen mit diesem Thema zu entziehen. Die bereits xis und deren medialer Vermittlung kann der vorliegende Band nur im Bewusstsein, straffrei zu bleiben. Totschlag und Mord waren so- mann war nicht hessischer Generalstaatsanwalt (S. 12), die aus den von Hannah Arendt benannte »Kluft« (S. 10) zwischen öffentlicher anreißen. Für eine umfassendere Analyse mangelt es den Beiträgen dann Straftaten, die insbesondere während der Reichspogromnacht Akten übernommenen Schreibungen »Isbicza« (S. 66, passim), und veröffentlichter Meinung kann die Autorin damit nachvollzieh- an einer breiteren Quellenbasis; die meisten Texte fußen auf der im November 1938 und in der »Endphase« des Krieges begangen »Belczec« und »Maidanek« (S. 66) hätten in der Studie korrigiert bar erklären. Cord Arendes widmet sich der Rolle der Prozessbeob- Sekundärliteratur. Mit jeweils nur ein bis zwei Beiträgen mangelt worden waren. Neben Juden und »Reichsfeinden« waren Kriegsge- werden müssen. achter, denen bei der öffentlichen Vermittlung der Verfahren und der es den vier Kapiteln des Aufsatzwerkes an Inhalt, und die Auswahl fangene, Fremdarbeiter und Insassen von Haftanstalten die wehrlo- transportierten Täterbilder eine Schlüsselrolle zukommt. Überzeu- und der Zusammenhang der entsprechenden Aufsatzthemen erschei- sen Opfer der NS-Gewalttäter. Werner Renz gend stuft er die Berichte der Prozessbeobachter für die Geschichts- nen zuweilen beliebig. Nichtsdestotrotz liefert der vorliegende Sam- Maiers Untersuchung ist aus vielerlei Gründen exemplarisch. Fritz Bauer Institut wissenschaft als wichtige, aber kritisch zu hinterfragende Quelle ein. melband mit den in der Einleitung aufgeworfenen neuen Fragestel- Über 30 Verfahren hat die Historikerin erforscht und stellt in einer Im dritten Abschnitt (»Inszenierte Aufklärung: Vom Lehrstück lungen an das Thema NS-Prozesse und den in den Aufsätzen ange- überaus gründlichen Analyse den Verlauf der Strafsachen dar: An- zum Schaustück«) analysiert Sabine Horn anhand der westdeutschen führten interessanten Beispielen Impulse für weitere Forschungen. Fernsehberichterstattung über den Frankfurter Auschwitz-Prozess 2 Klaus Moritz, Ernst Noam, NS-Verbrechen vor Gericht 1945–1955. Dokumente aus hessischen Justizakten. Mit einem Nachw. von Richard Schmid. Wiesbaden 1978. (1963–1965) sowie das Düsseldorfer Majdanek-Verfahren (1975– Regina Pawelletz 1 Vgl. hierzu Klaus Hesse, Philipp Springer, Vor aller Augen. Fotodokumente des 3 Friedrich Hoffmann, Die Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbre- 1981) den Wandel im medialen Umgang mit den NS-Verbrechen Koblenz nationalsozialistischen Terrors in der Provinz. Essen 2002. chen in Hessen. Heidelberg 2001.

62 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 63 Shoah und Erinnerung schichte zu. Im Jahre 2000 übertrug ihr Premierminister Lionel Jo- Veil in der Nationalversammlung das umstrittene Gesetz zur Lega- Bericht aus der Grauzone spin den Vorsitz der Fondation pour la Mémoire de la Shoah. Die lisierung der Abtreibung durch – und ging damit in die Geschichts- Stiftung war eingerichtet worden, nachdem die Mattéoli-Kommis- schreibung der französischen Frauenbewegung ein. Die Erinnerung sion ihren Bericht über den Raub jüdischen Eigentums vorgelegt an diese Zeit ist bis heute sehr emotional geprägt. Simone Veil be- Simone Veil hatte und es einen großen Restbestand an öffentlichen und privaten richtet über Stellungnahmen von Vertretern der extremen Rechten, Adélaïde Hautval Und dennoch leben. Die Autobiographie Geldern aus enteignetem jüdischen Vermögen gab, auf die keine An- die Hakenkreuze auf Wände malten (S. 185) und von »in Verbren- Medizin gegen die Menschlichkeit. der großen Europäerin sprüche mehr erhoben wurden. nungsöfen geworfene Föten« (S. 186) sprachen. Dieser revisionis- Die Weigerung einer nach Auschwitz Aus dem Franz. von Nathalie Mälzer- Die Biografi e, die im Rahmen des Förderprogramms des fran- tische Bezug auf die Shoah fand in einem Milieu des anhaltenden deportierten Ärztin, an medizinischen Semlinger. Berlin: Aufbau Verlag, 2009, zösischen Außenministeriums erschienen ist, umfasst elf Kapitel Antisemitismus statt. Während ihrer Zeit zuvor im Justizministeri- Experimenten teilzunehmen 315 S., € 22,95 – leider fehlt ein Inhaltsverzeichnis, aber ein Bonus sind die acht um hatte Simone Veil noch Schreibpapier mit einem Briefkopf aus Hrsg. von Florence Hervé und Hermann Doppelseiten mit Fotografi en (S. 160 ff.). Es gibt einige Mängel der Vichy-Zeit vorgelegt bekommen (S. 142). Damals nahm sie das Unterhinninghofen. Einführung und zu benennen: Die Erzählung wirkt fragmentiert; dieser Eindruck stillschweigend hin, aber solche Vorfälle sollten die Wahrnehmung Nachwort von Anise Postel-Vinay. wird verstärkt durch die Zeitsprünge. Auch wenn sich beim biogra- für ihr späteres Engagement sensibilisieren (S. 88 ff.). Die Fremd- Aus dem Französischen von Hermann Bei dem vorliegenden Buch handelt es fi schen Erinnern immer Erlebtes mit dem nachträglich erworbenen heit der Auschwitz-Überlebenden hatte sie ohnehin immer gespürt. Unterhinninghofen. Berlin: Dietz Verlag, sich um den autobiografi schen Bericht ei- Wissen über die Vergangenheit verbindet, so hemmen diese assozi- Dass sie sich nach dem Krieg nur von Menschen mit dem gleichen 2008, 141 S., € 9,90 ner, wenn nicht sogar der Grande Dame der französischen Erinne- ativen Gedankengänge, wenn man sie eins zu eins niederschreibt, Schicksal verstanden fühlte (S. 97 f.), sei im Grunde bis heute so ge- rungskultur. Als Simone Veil von Drancy nach Auschwitz deportiert den Lesefl uss ungemein. blieben, bestätigte sie 2008 in einem Zeitungsinterview.2 Adélaïde Hautval gehörte zu den vielen wurde, war sie 16 Jahre alt. Sie überlebte drei NS-Lager und hat ih- Auch auf der inhaltlichen Ebene bleiben Fragen offen. So er- Sicher auch aus diesem emotionalen Grund – der Abwehr Überlebenden der Konzentrationslager, die re engsten Familienangehörigen in der Shoah verloren. Der Vater scheint Simone Veils Stellungnahme zur alliierten Interventi- schmerzhafter und diskriminierender Erfahrungen – machte Simo- über ihre Erfahrungen kaum sprachen und angefertigte Notizen nie André Jacob und ihr Bruder Jean wurden nach Litauen deportiert on (S. 83 ff.) verkürzt, und ihre Seitenhiebe auf Hannah Arendts ne Veil das Engagement für die Aufrechterhaltung des Gedenkens veröffentlichten. Ihre Erinnerungsberichte, kurze Zeit nach der Be- und dort ermordet. Ihre Mutter Yvonne, die später in Bergen-Bel- Schuldbegriff wirken gar polemisch (S. 85 ff.). Ihre politische Po- an die jüdischen Opfer erst sehr spät in ihrem Leben zu ihrem ei- freiung verfasst, hat sie auf Bitten ehemaliger Mithäftlinge 1987 sen an Typhus starb, und ihre Schwester Malou wurden ebenfalls sitionierung vermittelt sie eher en passant, zum Beispiel wenn sie gentlichen Anliegen. Als Präsident Nicolas Sarkozy vorschlug, dass überarbeitet, das heißt einiges gestrichen, manches kommentiert und nach Auschwitz deportiert. In Auschwitz-Birkenau verbrachten die moniert, dass der Gesundheitsschutz von arbeitslosen Migranten sich jedes französische Kind mit einem deportierten jüdischen Kind Ausschnitte aus Briefen an die Schwester eingefügt. 2006 wurde ihr Frauen die erste Nacht nur wenige Meter entfernt vom Krematori- staatliche Gelder verschlingt (S. 265), oder sie für die immigration identifi zieren sollte, sprach sie sich angesichts der multikulturellen Bericht in Frankreich veröffentlicht und ist nun in deutscher Über- um; später arbeitete Simone Veil in der Effektenkammer und wurde choisie plädiert (S. 273). Von Menschenrechtsverfechtern (S. 217) Verfasstheit der französischen Gesellschaft vehement gegen eine setzung erschienen. beim Bau der zweiten Selektionsrampe eingesetzt. Sie berichtet von hält sie nicht viel, und die Wirksamkeit internationaler Gerichtsbar- derart verkürzte Form der Holocaust-Erziehung aus.3 Dass die Er- Adélaïde Hautval wuchs als Tochter einer Pastorenfamilie in brutalen Kapo- und SS-Frauen; immer wieder wurden die jüdischen keit scheint ihr eher gering. Vorrang habe die nationalstaatliche Auf- innerung an die Shoah dennoch grundlegend für das europäische einem elsässischen Dorf auf, schloss 1933 in Straßburg ihr Medi- Frauen geschlagen, angeschrien, bedroht und gefoltert. Später kam arbeitung kollektiver Verbrechen, so argumentiert sie – warum sie Selbstverständnis sein muss, bringt sie aus französischer Perspek- zinstudium ab und arbeitete anschließend als Klinikärztin. 1942 Simone Veil in das Außenlager Bobrek, wo sie für Siemens arbeiten sich als Juristin in Frankreich dafür nicht eingesetzt hat, wird nicht tive in ihrer Biografi e in ungewohnt poetischer Sprache zum Aus- wurde sie festgenommen, als sie ohne die notwendigen Papiere musste. Ihre zentralen Lebensdaten listet sie folgendermaßen auf: weiter ausgeführt (S. 218 ff.). druck: »Dort, in den deutschen und polnischen Ebenen, erstrecken im unbesetzten Südfrankreich ihre Mutter besuchen wollte. Im 13. April 1944 Abfahrt von Drancy, 15. April Ankunft in Auschwitz, Simone Veil ist konservativ, aber auch liberal und fortschritt- sich nun kahle Räume, über denen das Schweigen liegt; es ist das Gefängnis protestierte sie gegen die Behandlung jüdischer Mit- 18. Januar 1945 Abtransport von Auschwitz, 23. Mai 1945 Rück- lich. Jahrelang hat sie versucht, die Wahlallianz Union pour la Dé- furchtbare Gewicht der Leere, die niemals vom Vergessen ausge- häftlinge, indem sie sich einen aus Papier selbst gefertigten Ju- kehr nach Frankreich, Häftlingsnummer 78651, eintätowiert in die mocratie Française (UDF) von Giscard d’Estaing aufgeschlossener füllt werden darf und in der für immer das Gedächtnis der Leben- denstern anheftete. Die Gestapo machte ihre Drohung wahr, die Haut am linken Arm. Für die 81-jährige Juristin sind diese Zahlen und sozialer zu machen, und sie bestätigt – im Blick zurück – eine den aufgehoben sein wird.« (S. 94) »Judenfreundin« wie eine Jüdin zu behandeln: Hautval wurde die »unauslöschlichen Spuren dessen, was ich erlebt habe«. (S. 52) Parole der Studentenbewegung: »Wir lebten sehr wohl in einer er- ins Sammellager Pithiviers überstellt, wo sie als Häftlingsärztin Direkt nach dem Krieg – als Neunzehnjährige – heiratete sie starrten Gesellschaft.« (S. 143) Damit meint sie auch den Gaullis- Anne Klein eine zunächst fassungslose Zeugin der Deportationen der Juden und brachte später drei Söhne zur Welt. An der Seite ihres wirt- mus bzw. die in der Person des damaligen Präsidenten verkörperte Köln aus Frankreich wurde. Über einige Zwischenstationen wurde sie schaftlich erfolgreichen, politisch konservativ eingestellten Ehe- Erinnerung an die Résistance.1 selbst im Januar 1943 mit einer Gruppe französischer Kommu- mannes wurde die Juristin eine der bekanntesten Politikerinnen Viele der nach ’68 auf der Tagesordnung stehenden gesell- nistinnen nach Auschwitz deportiert, im August 1944 von dort Frankreichs. Sie war Gesundheitsministerin, Mitglied des Justiz- schaftspolitischen Fragen lagen in Simone Veils politischem Zu- nach Ravensbrück. Vom ersten Moment an versuchten die Fran- ministeriums, Mitglied und Präsidentin des Europäischen Parla- ständigkeitsbereich. Dazu gehörten die »im Land der Menschen- zösinnen, sich einer Überwältigung durch die schockierend ge- ments. Ihre Karriere musste sie allerdings gegen den Willen ihres rechte zutiefst beschämende[n] Haftbedingungen« in den Gefängnis- waltsame und undurchschaubare Situation in Auschwitz, der Ehemannes durchsetzen – gelernt hatte sie vom Beispiel ihrer Mut- sen (S. 132) und die zivilrechtliche Gleichstellung zwischen Mann »Danteschen Atmosphäre« (S. 33), entgegenzustellen. Sie mar- ter, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ihr Chemiestudium auf- und Frau ebenso wie der juristische Status der geistig Behinderten schierten, die Marseillaise singend, ins Lager ein und organi- geben musste, um sich Haushalt und Familie zu widmen (S. 120). und rechtliche Fragen der Adoption (S. 140). 1974 setzte Simone sierten Volkstänze unter freiem Himmel. Schon die ersten Ori- Wie viele andere Shoah-Überlebende hat sich auch Simone Veil entierungsversuche waren, dem Bericht zufolge, begleitet von im Laufe ihres Lebens kaum bewusst mit ihrer Verfolgungsgeschich- 2 Vgl. »Ich war die Hassfi gur der Reaktionäre«, Sonntagsinterview mit Simone Reflexionen über die eigene Haltung, über Handlungsmög- Veil, in: Der Tagesspiegel vom 22. März 2009. te auseinandergesetzt – aber die Erinnerungen, so sagt sie, haben sie 1 Vgl. Pierre Nora, »Gaullisten und Kommunisten«, in: ders. (Hrsg.), Erinnerungs- 3 Vgl. Karen Margolis, »Holocaust Education: Communication or Marketing?«, lichkeiten, die Grenzen zwischen Feigheit und lebensnotwen- immer begleitet. Erst im hohen Alter wendet sie sich wieder der Ge- orte Frankreichs, München 2005, S. 214–252. in: mut-gegen-rechte-gewalt.de/20. Februar 2008 [21.8.2009]. diger Zurückhaltung. Als deutsch sprechende Nichtjüdin erhielt

Rezensionen 64 Einsicht 02 Herbst 2009 65 Hautval schnell eine privilegierte Position, sie wurde Häft- Gelegentlich schrieb sie in den Folgejahren für Zeitschriften Einer der größten Dichter auf Hebräisch anbot. Das YIVO hatte bald Verbindungen in ganz lingsärztin in einem Block deutscher Frauen. Die Tätigkeit als der Verfolgtenverbände und war mehrfach Zeugin in Verfahren des 20. Jahrhunderts Europa, zu seinen korrespondierenden Mitgliedern gehörten unter Ärztin stellte sie bald vor sehr konkrete praktische und moralische gegen Ärzte, die an den medizinischen Experimenten in Aus- anderen Sigmund Freud, Albert Einstein und Marc Chagall. Abra- 1 Fragen: Wie kann man eine Mitwirkung an der Selektion Schwer- chwitz beteiligt waren. Ansonsten sprach sie wenig über ihre ham Sutzkever studierte am YIVO bei dem bedeutenden Jiddisten kranker umgehen? Was nutzt die Weigerung, unter eine Diagnose KZ-Erfahrungen. Die Tochter ihrer Freundin und ehemaligen KZ- Max Weinreich, der nach 1940 das Institut in New York neu auf- das geforderte Urteil über die Arbeitsfähigkeit – und damit über Kameradin Aat Breur schrieb, wie lange sie brauchte, um zu er- baute, wo es noch heute seinen Sitz hat. Leben und Tod – zu setzen, wenn das sofort von jemand ande- kennen, »dass die beiden etwas sehr Wichtiges vor uns und vor Abraham Sutzkever Am 22. Juni 1941 erfolgte der deutsche Überfall auf die Sow- rem übernommen werden muss? Macht man sich mitschuldig an sich selbst versteckten: ihren eigenen Widerstand während der Na- Wilner Diptychon (Wilner Getto 1941– jetunion. Sutzkever notierte: »Als ich am 22. Juni frühmorgens mein der Vergasung jüdischer Häftlinge, wenn man nicht gegen ihren zizeit und ihr eigenes Elend« (S. 112). Hautval erhielt einige Eh- 1944 / Gesänge vom Meer des Todes), Radio anschloss, da sprang es mir entgegen wie ein Knäuel Eidech- Abtransport protestiert? Es sind Refl exionen einer Frau, die sich rungen in Frankreich und Israel, die Geschichte dieser couragier- Prosa und Gedichte sen: ein hysterisches Geschrei in deutscher Sprache. Aus all dem selbst vermutlich gar nicht als Widerstandskämpferin verstand, ten Frau wurde aber zu Lebzeiten kaum wahrgenommen. In ihren Aus dem Jidd. von Hubert Witt. Lärm folgerte ich nur: Das deutsche Militär war über unsere Gren- sich aber die Freiheit erhalten wollte, auch im KZ die eigenen letzten Lebensjahren hat sie an einer Veröffentlichung über »Na- Zürich: Ammann Verlag, 2009, zen ins Land gedrungen.« (Wilner Getto, S. 9) Einige Wochen spä- Überzeugungen zum Maßstab ihres Handelns zu machen. In eine tionalsozialistische Massentötungen durch Giftgas«2 mitgearbeitet 272 und 192 S., € 32,95 ter wurde das Getto in Wilna errichtet. Von den 80.000 Menschen, noch schwierigere Lage geriet Hautval, als sie in den »Versuchs- und schließlich auch ihren überarbeiteten Bericht ehemaligen Mit- die hier zusammengepfercht wurden, überlebten nur etwas mehr als block«, Block 10 im Stammlager Auschwitz, verlegt wurde, wo häftlingen übergeben. Nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin nahm 2.000. In diesem Getto, dem der Dramatiker Joshua Sobol mit ei- sie bei medizinischen Experimenten assistieren sollte. Hier wur- sie sich 1988 das Leben. Ihrem Bericht, der etwas über sechzig Im Sommer 1943 begann das Jüdische Anti- nem später verfi lmten Schauspiel ein Denkmal gesetzt hat, entfalte- den Häftlingsärzte, zunächst ohne eigenes Zutun, aber mit sehr Seiten umfasst, sind Einführungen, ein Text über Menschenver- faschistische Komitee, Dokumente über die te sich ein einzigartiges Kulturleben. Es gab ein jiddisches Theater, unterschiedlichen Graden an Eigeninitiative oder Verweigerung, suche in den KZ, eine Zusammenstellung von Berichten ehema- Ermordung der Juden in den von den Deutschen besetzten Gebieten ein Orchester, eine literarische Vereinigung, die ihren ersten Litera- in die Verbrechen der SS involviert. Ihre Handlungsspielräume liger Mithäftlinge – fast alles politische Häftlinge – beigefügt so- der Sowjetunion zu sammeln. Es war ein Schwarzbuch geplant, das turpreis an Abraham Sutzkever verlieh, außerdem Schulen und so- hingen dabei, wie auch Hautval wusste, vor allem von der Frage wie eine Dokumentation über die Initiativen der letzten Jahre, an Ilja Ehrenburg und Wassili Grossman herausgeben sollten, doch von gar eine Universität. Von den über 300 Kulturschaffenden, die hier ab, welchen Häftlingskategorien sie zugehörten. Die Ausgangs- Adélaïde Hautval zu erinnern. An manchen Stellen hätte dem Buch Anfang an gab es Schwierigkeiten. 1947 wurde die Produktion durch wirkten, hat fast keiner überlebt. position von Hautval war also erheblich günstiger als die ihrer eine gründlichere Redaktion gutgetan, manche Redundanzen und die Zensurbehörde Glawlit schließlich ganz gestoppt. Haupteinwand jüdischen Kollegen. Sie übernahm die Pfl ege der jüdischen »Ver- verwirrende Fehler hätten so vermieden werden können, an meh- gegen das Schwarzbuch war, dass die Juden unter den Opfern der suchskaninchen« und arbeitete Dr. Eduard Wirths bei gynäkolo- reren Stellen wäre auch eine Kommentierung hilfreich.3 Aber dass deutschen Aggression zu sehr hervorgehoben würden. gischen Untersuchungen zu, die ihr anfangs harmlos vorkamen der Bericht dieser ungewöhnlichen Frau nun auf Deutsch vorliegt, Einer der wichtigsten Mitarbeiter an dem Schwarzbuch war der – eine Einschätzung, die sie bald revidieren musste. Ersten An- ist ohne Zweifel ein Gewinn. jiddische Dichter Abraham Sutzkever, der sich als Mitglied der Ver- weisungen, Prof. Carl Clauberg bei seinen Sterilisationsexperi- einigten Partisanenorganisation FPO nach seiner Flucht aus dem Wil- Christlich-jüdischer Dialog menten zu assistieren, begegnete sie erfolgreich mit einer glatten Katharina Stengel naer Getto im September 1942 der jüdischen Partisanengruppe in den Medien - Materialien - Informationen Weigerung. Dr. Samuel, ein Häftlingsarzt, versuchte sie zur Mit- Fritz Bauer Institut Narocz-Wäldern angeschlossen hatte. Ehrenburg war von Sutzkevers ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis arbeit zu zwingen und denunzierte sie – so jedenfalls ihre An- Arbeiten so beeindruckt, dass er ihn nach Moskau ausfl iegen ließ, für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau www.ImDialog.org nahme – schließlich beim SS-Standortarzt Wirths. Der bemühte wo er dann den Bericht schrieb, der jetzt – fast 65 Jahre nach sei- sich, sie zu überzeugen: »›Sehen Sie denn nicht, dass diese Leu- nem Entstehen – erstmals vollständig auf Deutsch publiziert wurde. te (die Juden) ganz anders sind als Sie?‹ Ich kann mich nicht hin- Abraham Sutzkever, der heute in Jerusalem lebt, wurde 1913 im BlickPunkt.e dern zu antworten, dass in diesem Lager ziemlich viele Leute litauischen Smorgon geboren. Als er zwei Jahre alt war, wurde die MATERIALIEN ZU CHRISTENTUM, JUDENTUM, ISRAEL UND NAHOST anders sind als ich, beispielsweise er selbst.« (S. 74) Sie wurde Familie zusammen mit eineinhalb Millionen Leidensgenossen nach zurück nach Birkenau überstellt und konnte sich dort zunächst Sibirien verbannt. Das Zarenregime sah in den Ostjuden »deutsche Gottesdienst in Israels Gegenwart verstecken. Auf Wegen, die ihr selbst nicht klar wurden, haben Spione«, die ihm im Ersten Weltkrieg womöglich gefährlich werden MATERIALHEFTE ZUR GOTTESDIENSTGESTALTUNG Mithäftlinge sie offenbar vor einer drohenden Exekution gerettet. 1 So im Nürnberger Ärzteprozess, im Ermittlungsverfahren gegen Carl Clauberg konnten. Nach dem Tod des Vaters kehrte die Familie nach Wilna Hautval berichtet mit Selbstdistanz, Empathie, manchmal so- (StA b. LG Kiel), in den Prozessen gegen den SS-Arzt Horst Schumann (LG (Vilnius) zurück. Als Sutzkever zwölf Jahre alt ist, stirbt die hoch- Frankfurt am Main) und gegen den ehemaligen Häftlingsarzt Dr. Wladislaw Schriftenreihe gar ironisch auch von den alltäglichen Begebenheiten in Auschwitz Dering (London). begabte ältere Schwester an einer verschleppten Meningitis. Sutz- THEMEN ZU THEOLOGIE, GESCHICHTE UND POLITIK und Ravensbrück, von Misshandlungen, Massenerschießungen, 2 Eugen Kogon, Hermann Langbein, Adalbert Rückerl (Hrsg.), Nationalsozialisti- kever beschließt, an ihrer Stelle sein Leben der Poesie zu weihen. den Zuständen in den Krankenrevieren, den selten erfolgreichen sche Massentötungen durch Giftgas, Frankfurt am Main 1986. Wilna, das »Jerusalem des Nordens«, war seit dem 17. Jahr- Ausstellungen zu verleihen 3 So liest man z. B. im Bericht von Charlotte Delbo über einen SS-Arzt namens Versuchen, die Kranken zu retten oder ihnen für ein paar Tage hundert ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit. Fünf bedeutende Bi- JÜDISCHE FESTE UND RITEN • ANTIJUDAISMUS • Dr. Röder (S. 97), den es in Auschwitz nie gegeben hat; gemeint war sicherlich HOLOCAUST UND RASSISMUS • DIE BIBEL Ruhe zu verschaffen, von der großen Unsicherheit, welche Stra- Dr. Werner Rohde. Auch die Tatsache, dass Hautval nicht nur den SS-Standort- bliotheken gab es hier, darunter die beiden größten jüdischen Bi- tegie gegenüber der SS möglicherweise erfolgversprechend sei. arzt Dr. Eduard Wirths, sondern auch seinen Bruder, den Frauenarzt Dr. Helmut bliotheken Europas. 1925 wurde das Yidisher Visnshaftlikher In- Sie protokolliert die Fieberträume während ihrer langwierigen Ty- Wirths (1943 an einer Frauenklinik in Hamburg-Altona beschäftigt) als Beteilig- stitut (YIVO) gegründet. Hier wurde die Wissenschaft vom Juden- ImDialog • Robert-Schneider-Str. 13a • 64289 Darmstadt phuserkrankung, berichtet über die Befreiung in Ravensbrück, die ten an gynäkologischen Versuchen nennt, wäre einen Kommentar wert gewesen. tum erstmals in der Sprache des Judentums betrieben; das Gegen- Vgl. die richterliche Vernehmung von H. Wirths vom 2.4.1962 im Rahmen des Tel. 06151- 423900 • Fax 06151 - 424111 Schwierigkeiten, mithilfe der alliierten Soldaten das Überleben und Auschwitz-Verfahrens (Fritz Bauer Institut, Archiv, FAP-1, HA-64, Bl. 12030– stück zum YIVO ist die Hebräische Universität Jerusalem, die eben- Email [email protected] • Internet www.imdialog.org schließlich die Rückkehr der Befreiten zu organisieren. 12033). falls 1925 ihren Betrieb aufnahm und erstmals Lehrveranstaltungen

66 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 67 Als die Experten der SS und des Einsatzstabs Reichsleiter Ro- Nachrichten aus der Vorhölle de konstatiert, dass aus der Perspektive der Verfolgten noch viel we- reicher Erklärungen; die komplexe Besatzungsgeschichte und die senberg in Wilna einfi elen, diente das YIVO als Hauptquartier für niger bekannt ist. Nicht zuletzt wegen dieser Leerstellen fi nden li- bereits 1940 unmittelbar einsetzende Judenverfolgung lassen sich die Plünderer. Spezialisten wählten 20.000 Inkunabeln für den Ab- terarische Veröffentlichungen, so die Bücher von Irène Némirovs- nicht in ein paar Fußnoten zusammenfassen. Der Anmerkungsap- transport nach Deutschland aus. 80.000 Bücher, die weniger inter- ky und nun das Tagebuch von Hélène Berr, so große Aufmerksam- parat ist schlicht unzureichend, weist außerdem etliche Ungenauig- essant erschienen, wurden an eine Papiermühle verkauft. Thorarol- Hélène Berr keit auch in Deutschland. Die junge Frau, hochbegabt, musikalisch, keiten und Doppelnennungen auf. len wurden zu Stiefelfutter verarbeitet, marmorne Grabsteine dien- Pariser Tagebuch 1942–1944 mit ersten Abschlüssen in Anglistik und Literaturwissenschaft, ist ten als Straßenpfl aster. Einer der Zwangsarbeiter, die für den Ein- Aus dem Franz. von Elisabeth Edl. als Jüdin vom Lehramtsexamen ausgeschlossen, bleibt aber akade- Dorothee Lottmann-Kaeseler satzstab Reichsleiter Rosenberg arbeiten mussten, war Sutzkever. München: Carl Hanser Verlag, 2009, misch aktiv und schreibt an einer Dissertation. Außerdem arbeitet Wiesbaden Unter größter Gefahr gelang es ihm, nicht weniger als 5.000 selte- 336 S., € 19,90 sie zunächst noch in einer Universitätsbibliothek. ne und wertvolle Bücher zu retten. In den von ihm angelegten Ver- Hélène Berr verfasst ihr Tagebuch von April bis November stecken verbarg er auch Handschriften von Scholem Alejchem, Brie- 1942 und von August 1943 bis zum 15. Februar 1944. Ihre Ein- fe von Maxim Gorki und Romain Rolland, Bilder von Marc Cha- tragungen haben anfangs einen ganz privaten Charakter, später gall und sogar Skulpturen. Heute befi ndet sich all dies im YIVO in schreibt sie für ihren nichtjüdischen Freund, der Paris verlässt und Ein Lied – Wiederannäherung an den Vater New York. Das Bild von Frankreich im Zweiten Welt- sich den Forces Françaises Libres anschließt.3 Hélène deutet oft Nach dem Verbot des Schwarzbuchs, das erst nach dem Ende krieg, unser Wissen über das besetzte Land nur an, erklärt nicht, drückt die teilweise literarischen Assoziatio- der Sowjetunion erscheinen konnte, veröffentlichte Sutzkever sei- bleibt bis heute ungenau. Wichtige Fragestellungen wurden auch nen, ihre Gedanken und Gefühle aus. Sehr bewegend beschreibt nen Bericht separat, unter anderem in Paris und Moskau. Nur auf in Frankreich selbst erst jüngst intensiv bearbeitet. Zwei Beispie- sie die Situation, als sie erstmals den »Judenstern« trägt. Ende Ju- Ella Milch-Sheriff, Ingeborg Prior Deutsch, der Sprache der Mörder, wurde er nicht publiziert. Umso le: Die komplexen Zusammenhänge von Widerstand und Kollabo- ni 1942 wird ihr Vater verhaftet, kommt allerdings nach einigen Ein Lied für meinen Vater verdienstvoller ist es, dass der Züricher Ammann Verlag dieses Ver- ration der Intellektuellen und Schriftsteller und ihr Verhältnis zur Wochen wieder zurück aus Drancy, dem großen Sammellager bei Berlin: Aufbau Verlag, 2008, 196 S., säumnis nun endlich wettgemacht hat. Ein zweiter Band enthält ei- jüdischen Minderheit werden in Dokumenten, Briefen und Bildern Paris. Hélène meldet sich Anfang Juli 1942 als ehrenamtliche Be- € 19,95 ne bescheidene Auswahl aus Sutzkevers umfangreichem lyrischen anschaulich aufgeblättert in einer neuen Veröffentlichung des Ins- treuerin bei der Union générale des israélites de France (UGIF), die Schaffen. Die beiden Schmerzensbücher sind vielfach aufeinander titut Mémoires de l’édition contemporaine1. Die Raubaktionen der sich um die Familien internierter oder deportierter Juden kümmert. bezogen. Gemeinsam zeugen sie von einem der größten Dichter des Besatzer in den französischen Bibliotheken, darunter viele in jü- Zunehmend erfährt und versteht sie, wie sich die Lage für die Ju- 20. Jahrhunderts und seinem unglaublichen Schicksal. dischem Eigentum, behandelt erstmals umfassend Martine Pou- den immer mehr zuspitzt. Von ihr betreute Kinder, brutal von ih- Als das Nobelkomitee 1978 einen jiddischen Autor mit dem lain2, Direktorin der Bibliothek des Institut national d’histoire de ren Eltern getrennt, werden in die Viehwaggons der Deportations- Nobelpreis für Literatur auszeichnen wollte, war Sutzkever lange l’art in Paris. züge gesperrt. Sie notiert viele Informationen, die das Schlimmste Die israelische Komponistin Ella Milch- Zeit Favorit. Am Ende entschied man sich für den populären Erzäh- Aber über den Holocaust in Westeuropa, insbesondere in erwarten lassen. Sheriff ist in Israel für ihr musikalisches ler Isaac Bashevis Singer. Aber wenn es heute noch eine jiddische Frankreich, ist noch viel zu wenig bekannt. Weitgehend auf sich Gegen Ende hat Hélène auch den unbekannten Leser im Blick, Wirken ausgezeichnet worden. Im Kontrast zu dieser öffentlichen Literatur gibt, so ist das vor allem das Verdienst von Abraham gestellt, galten die jahrzehntelangen Bemühungen von Serge und als sie befürchtet, die Verbrechen der Deutschen nicht zu überle- Anerkennung war ihre Kindheit im Israel der 1950er Jahre von Sutzkever. In über 30 Sprachen ist sein Werk übersetzt worden. Nun Beate Klarsfeld zuerst der strafrechtlichen Verfolgung der Schul- ben. Eine genaue Lektüre vor allem der Notate von 1943 vermit- Düsternis und Nichtverstehen geprägt. Ihr im polnischen Ostgalizien endlich haben auch die deutschen Leser die Gelegenheit, es zu ent- digen an der Deportation der Juden aus Frankreich, die letztlich telt den Eindruck, dass die Verfolgten die Gefahren sehr genau ken- geborener Vater, der Arzt Baruch Milch, war ihr als strafender, ver- decken. Hubert Witt hat beide Bände vorzüglich übersetzt und mit auch zu einigen Prozessen führten. Die Klarsfelds gründeten eine nen. Trotzdem verlassen Hélène und ihre Eltern Paris nicht, wäh- ständnisloser Mensch in Erinnerung. In ihrer Familie herrschte eine kundigen Nachworten ausgestattet. Organisation der Überlebenden, veröffentlichten wichtige Doku- rend die meisten nahen Angehörigen bereits in das nicht besetz- »bedrückende Stille« (S. 13). Nichts sprach dafür, dass sie ihrem Va- mentensammlungen und widmeten sich in den letzten Jahren vor te Frankreich gefl ohen waren. Nach ihrer Verhaftung am 8. März ter einmal ein künstlerisches Denkmal setzen würde. Und doch tat sie Ernst Piper allem der Erinnerung an die Opfer. Erst 2005 wurde in Paris das 1944 gelingt es ihr noch, einen Brief an die Geschwister zu über- dies: 2002 wurde ihre dem Vater gewidmete Kantate »Ist der Himmel Berlin »Mémorial de la Shoah«, ein Gedenkort, eingeweiht. Dort befi n- mitteln. Hélène, Vater und Mutter werden nach Auschwitz depor- leer?« in Tel Aviv uraufgeführt. Dem vorausgegangen war eine lan- det sich das Original des Tagebuchs von Hélène Berr, ermordet in tiert und dort ermordet. ge, verstörende Spurensuche nach dem Lebensweg ihres Vaters. Diese Bergen-Belsen. Die deutsche Ausgabe ist praktisch identisch mit der französi- hat Milch-Sheriff nun, gemeinsam mit der Kölner Journalistin Inge- Über den Holocaust in Frankreich liegen nur wenige histori- schen, und dies, obwohl die deutschen Leser noch geringere Kennt- borg Prior, in einem autobiografi schen Buch vorgelegt. Milch-Sheriff sche Arbeiten auf Deutsch vor; sie haben überwiegend die Täter im nisse über die Jahre 1940 bis 1944 in Frankreich haben. Das einfühl- spricht gut deutsch, von 1983 bis 1986 lebte sie in der Nähe von Köln. Blick, wie die wichtigen Studien von Ahlrich Meyer. Mehrfach wur- same Vorwort von Patrick Modiano sowie das engagierte Nachwort Am Anfang dieser Biografi e steht eine Kindheitsszene der damals von Mariette Job, der Nichte von Hélène Berr, mögen für Franzo- Achtjährigen: 1962 sieht Ella einer Seiltänzerin zu. Die Leichtigkeit sen, vor allem in Paris lebende, ausreichen. Viele Details der Tage- dieser Akrobatin fasziniert das Kind. Diese seelische Fähigkeit steht

1 Robert O. Paxton, Olivier Corpet, Claire Paulhan: Archives de la vie littéraire bucheintragungen bedürfen für den deutschen Leser aber umfang- im Kontrast zu den Gewalttätigkeiten, die sie bei ihrem Vater erlebt: sous l’occupation, Paris: Editions Tallandier/Institut Mémoires de l’édition con- »Ich habe nicht viele Erinnerungen an diese Zeit, wahrscheinlich weil temporaine (IMEC), 2009. Gleichzeitig in den USA erschienen unter dem Titel sie nichts Glückliches bargen. Ich war einsam und verzagt.« (S. 12 Collaboration and Resistance: French Literary Life Under the Nazi Occupation, f.) Ihre Eltern, die Überlebende des Holocaust waren, was jedoch nur New York: Five Ties Publishing Inc., 2009. 3 Die treue Haushälterin der Familie bewahrte das Heft auf und gab es an den Ver- 2 Livres pillés, lectures surveillées. Les bibliothèques françaises sous l’Occupation. lobten weiter. Der fragte sich 1946 in einem Brief an Hélènes Schwester: »Wie gelegentlich innerfamiliär erwähnt wird, geben ihrer Tochter den Na- Paris: Édition Gallimard, 2008. hatte ich sie verlassen können, ohne sie in Sicherheit zu wissen!« (S. 295) men Shmuella – Shmuel war, was sie erst sehr viel später verstand,

68 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 69 der Name des von den Deutschen ermordeten Großvaters ihrer Mut- rungen Baruch Milchs wurden 1999 von Yad Vashem auf Hebrä- Politische Bildungsarbeit in der Rassismus und Antisemitismus bisher keineswegs zum professionellen ter. Die in Israel Geborene gibt sich einen neuen Namen: Ella – die isch, 2003 auf Englisch publiziert. Auseinandersetzung mit Antisemitismus Selbstverständnis pädagogischer Fachkräfte. Auch die vorliegende Pu- Göttin. Dies war für sie eine Abkehr von der Last der elterlichen, von Die Entdeckung dieses Tagebuchs war der Ausgangspunkt für blikation geht davon aus, dass Lehrkräfte grundsätzlich in der Lage sind, der Shoah geprägten Zuschreibungen. Sie versteht sich früh als eine das Verfassen von Ein Lied für meinen Vater. Die Autorinnen haben die vorgestellten methodischen Zugänge sinnvoll anzuwenden. Brühl Sabra: »Wir Kinder der Holocaust-Überlebenden identifi zierten uns zahlreiche Passagen dieses die deutschen Mörder anklagenden Zeit- spricht die Voraussetzungen an, »die die Jugendlichen hinsichtlich des gern mit diesem Begriff. Wir wollten ein neues Leben schaffen, in zeugenberichtes übersetzt und mit Milch-Sheriffs eigenen Kindheits- Problemfelds jeweils mitbringen« (S. 8). Als Pendant dazu wäre nach einem neuen Land, mit neuer Kultur und in neuer Atmosphäre. Die erinnerungen verknüpft. Der schwierige Prozess der Annäherung der Marcus Meier (Hrsg.) den Voraussetzungen der Pädagogen und Pädagoginnen für den Umgang traurige Vergangenheit unserer Eltern wollten wir weit hinter uns las- Tochter an den Überlebenskampf ihres Vaters wird nachvollziehbar. Antisemitismus als Problem in der mit Antisemitismus zu fragen. Der problematische Gehalt von Themen sen, wir wollten nicht mehr an sie erinnert werden.« (S. 17) Das Kla- Sie gibt eine Äußerung ihrer Schwester Soshana wieder: »Erst seit politischen Bildungsarbeit. Pädagogische und Gegenständen, die Identitätsfragen und moralische Auffassungen vierspielen bietet ihr Fluchtwege aus der bedrückenden familiären At- ich Vaters Aufzeichnungen kenne, ist mir klar, dass er uns zwar viel und didaktische Handreichungen für berühren, spiegelt sich in Brühls Plädoyer für eine »gelassene Heran- mosphäre. Ihr Talent wird früh gefördert, im Alter von zwölf Jahren über den Holocaust erzählte, aber dabei niemals die ganz persön- Multiplikatoren und Multiplikatorinnen gehensweise« und eine »angstfreie Lernatmosphäre« (S. 9). Verschärft komponiert sie ihr erstes Lied, es wird im Radio gesendet. lichen Dinge berührte. […] Jenen liebevollen Mann, jenen zärtlichen Köln: NS-Dokumentationszentrum der werde die Spannung im schulischen Kontext durch die »Verknüpfung Das tiefe Leid ihrer Eltern bleibt ein familiäres Geheimnis. Nähe Vater, dessen wirkliches Leben 1943 endete, haben wir nie kennen- Stadt Köln, 2009, 68 S., € 3,– von erwünschten Haltungen und guten Noten« (ebd.). Einige wesent- und Zuneigung vermögen sie ihren beiden Töchtern nur auf verbor- gelernt.« (S. 137) Ihr Vater war von der »Überlebensschuld« geprägt: liche Problemdimensionen werden angedeutet, wie der Generationen- gene Weise zu zeigen. Ihr Vater predigt eine strenge Moral. Vereinzelt »Mit dem Gedanken, dass ausgerechnet er überlebt hatte, während Mit einem reichhaltigen Methodenreper- konfl ikt im Umgang mit dem NS und die Zugänge von Jugendlichen brechen die verdrängten Traumata in einer überwältigenden Gewalt seine Frau und sein Sohn sterben mussten, und dem weitaus schlim- toire und einigen einführenden Texten bie- mit migrantischem Hintergrund zum Thema. Keine davon wird aber im durch: Mit 13 Jahren entdeckt sie beim Durchstöbern des väterlichen meren, dass er den Tod seines kleinen Neffen nicht verhindert hatte, tet die vorliegende Arbeitshilfe Materialien zur Auseinandersetzung Rahmen der vorliegenden Publikation vertieft. Einige Formulierungen Bücherschranks ein polnischsprachiges Buch, in dem Vertriebene über trug er furchtbare Schuldgefühle in sich. Ein Leben lang.« (S. 143) mit heutigen Erscheinungsformen des Antisemitismus in der poli- spiegeln hegemoniale Sichtweisen wider, ohne anzudeuten, was daran ihre jüdische Jugend schreiben. Auch ihr Vater ist mit einem Beitrag Sie resümiert: »Ich verurteile nicht. Vater hat geschrieben: ›Wir tischen Bildung, wobei sich viele der vorgestellten Angebote so- problematisch sein könnte. So ist beispielsweise davon die Rede, dass vertreten: »Als ich weiterlas, verschlug es mir die Sprache: Mein Va- haben aufgehört, Menschen zu sein.‹ Nie mehr würde er der sein, wohl für den schulischen wie für den außerschulischen Kontext Jugendliche mit Migrationshintergrund »unter Umständen« erst einmal ter hatte als junger Mann eine Frau und einen Sohn. Doch sie wurden der er vorher war. Dieser schuldbeladene Mensch wurde mein Va- eignen. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Methoden davon überzeugt werden müssen, warum sie sich mit dem NS beschäf- von den Nazis umgebracht. Wo und wie das geschah, darüber stand ter und beeinfl usste mein ganzes Leben.« (S. 136) Und so ist dieses für die pädagogische Praxis, während die Texte in Teil 1, die sich tigen sollten. (S. 10) Dadurch wird das vorherrschende Bild von diesen nichts in dem Text.« (S. 58) Ihr Vater zeigt ihr danach zwar mit gro- Buch auch ein berührendes Dokument der Leiden der zweiten Ge- mit gegenwärtigen Antisemitismen befassen, eher knapp ausfallen. Jugendlichen als spezieller Problemgruppe verstärkt, während die päd- ßem Widerstreben einige Fotos seiner ersten Frau und ihres Bruders, neration der Shoah-Überlebenden in Israel. Marcus Meier geht auf antisemitische Vorfälle in Köln in der Nach- agogische Diskussion zur zeitgeschichtlichen Bildung in der Einwan- ansonsten jedoch schweigt er. Knapp zwanzig Jahre später übergibt Die letzten Kapitel dieses Buches sind von einer tiefen Hoff- kriegszeit und nach 1990 ein und entfaltet die Motive für die Ver- derungsgesellschaft bereits Perspektiven für vielfältige Geschichtsbe- der inzwischen betagte Vater seinen beiden Töchtern ein Manuskript nung auf »Versöhnung« geprägt. In »Nach Deutschland« erinnert öffentlichung der vorliegenden Handreichung, die in Kooperation ziehungen entwickelt hat. Auch bestätigt der Autor selbst hegemonial mit seinen Lebenserinnerungen: »›Ihr wolltet doch immer mehr wis- sich die Autorin an ihre ersten Begegnungen im fremden Deutsch- mit dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und der Syn- nichtjüdische Sichtweisen, wenn von der »Übernahme fremder (auch sen über mein Leben. Hier steht alles drin.‹ […] Sein Wille war so land. Ihr betagter Vater hatte gegen das Vorhaben seiner Tochter, für agogen-Gemeinde Köln zustande gekommen ist. Das vorliegende jüdischer) Rollen« die Rede ist. (S. 11) Anknüpfungen an die Fachdis- stark, dass uns keine andere Wahl blieb, obwohl wir keine Lust ver- einige Jahre in Deutschland zu leben, nichts einzuwenden. Material soll auf eine »Leerstelle« reagieren, die dadurch entstan- kussion um heterogenitätssensible und Diversity-orientierte Bildungs- spürten, uns mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.« (S. 66) In dem abschließenden Kapitel »Der Vorhang öffnet sich« be- den sei, dass Antisemitismus stets nur »im Rahmen der Auseinan- konzepte kommen in den beiden einführenden Texten zu kurz. Ella, inzwischen Mutter geworden, liest diese erschütternden Erin- schreibt die Autorin ihre musikalische Entwicklung: Sie vertieft ihr dersetzung mit dem Nationalsozialismus behandelt wurde« (S. 6). Sehr informativ ist der Beitrag von Tami Ensinger über die ver- nerungen, in denen sie ihren Vater als einen musikalischen, einfühl- gesangliches Potenzial, tritt öffentlich auf, lernt hierbei, mit ihren Meier setzt das Ziel von Bildungsarbeit sehr hoch an, wenn er schiedenen politischen Besetzungen des »Antisemitismus nach der samen, fürchterlich verletzten Menschen kennenlernt. Sie bemerkt Ängsten umzugehen. Und sie schreibt gemeinsam mit ihrer Schwes- für eine »grundlegend neue Strategie« plädiert, »die sich mit den Shoa«. Ensinger erläutert den Begriff des »sekundären Antisemi- über diesen schmerzhaften Verstehensprozess: »Ich saß dort auf dem ter für ein Orchester das Libretto »Ist der Himmel leer?«, das sie herrschenden Leitbildern bundesrepublikanischer Gegenwart aus- tismus« und geht auf antizionistischen, islamistischen, rechts- und Fußboden, ich las, ich tippte, ich weinte. Ich las.« (S. 66) Sie erfährt dem Tagebuch ihres Vaters widmet: Der Gesang enthält Teile sei- einandersetzt« (ebd.). Dies kann die vorliegende Materialsammlung linksextremen Antisemitismus ein. Abschließend zeigt sie, »dass An- von der vollständigen Auslöschung der Familien ihrer Eltern. ner Tagebuchaufzeichnungen. Milch-Sheriff bemerkt über diesen nicht einlösen, und auch Meiers Darstellung widmet sich mehr den tisemitismus heute viel offener und direkter in der demokratischen Diese tragische Geschichte ist hiermit noch nicht zu Ende: Als künstlerischen Schaffensprozess: »Manchmal war die Arbeit un- extremistischen Erscheinungsformen antisemitischer Propaganda als Öffentlichkeit geäußert wird und als ›Ja, aber …-Formel‹ Eingang in die ihr Vater sechs Jahre später stirbt, hinterlässt er seinen Töchtern ein erträglich schwer. Manchmal wusste ich nicht weiter. Dann schien den Alltagsformen der immer wieder adressierten, aber kaum kon- Alltagsdiskurse der bundesdeutschen Gesellschaft fi ndet« (S. 14 f.). Testament: ein Paket mit autobiografi schen Erinnerungen, »die er es mir unmöglich, eine solche Vergangenheit in Töne umzusetzen. kretisierten gesellschaftlichen Mitte. Der Text bietet eine gute Grundlage für die Auseinandersetzung in seinen letzten Lebensjahren wie ein Besessener geschrieben hat- […] Oft dachte ich, wie gern ich diese Vergangenheit abschütteln Auf die Behandlung des Antisemitismus in der schulischen Bil- mit aktuellen Ausdrucksformen von Antisemitismus. Ebenso auf- te« (S. 120), mit dem Auftrag, diese zu veröffentlichen. Und es wird würde, aber je weiter ich mich von ihr zu entfernen versuchte, desto dungsarbeit geht Christian Brühl ein und hebt hervor, dass die »Perspek- schlussreich ist Holger Oppenhäusers Darstellung antisemitischer Ver- in diesem Testament erstmals ein umfangreiches Werk erwähnt, das fester umklammerte sie mich. Ich begriff, dass ich für immer mit tiven unmittelbar Betroffener« in der Regel nicht artikuliert werden. Ob schwörungsideologien. Oppenhäuser klärt den Ideologiebegriff kon- Baruch Milch während seiner rassistischen Verfolgung niederge- ihr leben musste. Das alles fl oss in meine Musik ein.« (S. 182) Die aber Lehrpersonen dafür sorgen können, »dass dennoch jüdische Per- textbezogen und bietet auf der Grundlage Kritischer Theorie Zugänge schrieben hatte. Er war davon überzeugt, dass seine frühen schrift- Uraufführung dieser Kantate in Israel war für sie ein überwältigen- spektiven wahrgenommen werden« (S. 9), ist zumindest zweifelhaft, für eine pädagogische Aufarbeitung populärer Verschwörungsmuster. lichen Erinnerungen unwiederbringlich verloren gegangen waren. des Erlebnis: »Unbekannte Menschen drückten meine Hände, um- solange Lehrende selbst nicht herausgefordert werden, ihr eigenes Ver- Barbara Schäubles Plädoyer für eine »fallbezogene Analyse und Kurz nach dem Tod ihres Vaters erreicht Ella Milch-Sheriff ein armten mich. Viele weinten.« (S. 184) hältnis zu Antisemitismus zu refl ektieren. Trotz vielfältiger pädagogisch- Bildungspraxis« im Umgang mit Antisemitismus unter muslimischen Anruf: Eine polnische Journalistin hat in den Kellerräumen des Jü- praktischer Materialien und gehaltvoller Publikationen zu den postnatio- Jugendlichen lässt die Klischees über Migrationshintergründe und dischen Historischen Instituts in Warschau Tagebuchaufzeichnungen Roland Kaufhold nalsozialistischen Erscheinungsformen des Antisemitismus gehört die kulturelle Differenzen hinter sich und fragt nach den sozialen Bedin- ihres Vaters entdeckt. Diese erschütternden historischen Erinne- Köln analytische Durchdringung der Zusammenhänge und Unterschiede von gungen von Jugendlichen, die in antisemitischen Deutungen ein »In-

70 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 71 terpretationsangebot für ihre Situation« vorfi nden (S. 23). Die »spe- Ethnische Zugehörigkeit der jiddischen Schriftsteller in der Amerikanischen Besatzungszo- der Einwanderung nach Israel, nicht mehr gebraucht. Die Sprache zifi sche Verbindung zwischen Selbst- und Fremdbildern« gilt es zu in jüdischen Literaturen ne aussagen. Dieser Zugang ist durchaus lohnend. Wurde bisher der Juden war nun das Hebräische. refl ektieren, um ein Bildungsangebot zu konzipieren, das »an den Un- vor allem die Tatsache gewürdigt, dass sich in den DP-Lagern ei- Die historische Analyse ist differenziert und nüchtern. Sie bricht gerechtigkeitsempfi ndungen der Jugendlichen ansetzt und auf eine ne vielseitige literarische Tätigkeit entwickelte, setzt die Autorin mit der Vorstellung von einer homogenen jüdischen DP-Gemein- umfassende Auseinandersetzung mit ihren politisch-religiösen Grund- die Inhalte der Gedichte, Zeitungsartikel und autobiografi schen schaft ebenso wie mit der Heroisierung der Überlebendengemein- überzeugungen« zielt. (S. 23) Schäuble bietet pädagogisch Handeln- Berichte in Beziehung zu Informationen über die Lebensumstände de als neues Shtetl oder Kibutz galujot. Nicht nur die Zeitgenossen, den eine konzeptionelle Grundlage, um Antisemitismus entgegentre- Tamar Lewinsky der Sche’erit Hapleta, des Restes der Überlebenden, wie sich die auch die spätere Historiografi e stellten gern entsprechende Verglei- ten zu können, ohne dabei diejenigen zu verfehlen, die ihn äußern. Displaced Poets. Jiddische Schriftsteller jüdischen DPs in Deutschland selbst nannten. Dabei lassen sich che her. Die Mitarbeiterin des American Jewish Joint Distributi- Der ausführlichere Methodenteil versammelt bereits erprobte Ar- im Nachkriegsdeutschland, 1945–1951 vier Phasen ausmachen, mit denen die sich wandelnden Funktio- on Committee Lucy Schildkret, als Historikerin später unter dem beitsformen antisemitismuskritischer Bildungsarbeit, die größtenteils Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, nen der jiddischen Texte innerhalb der DP-Gesellschaft beschrie- Namen Lucy Dawidowicz bekannt, vollzog diese Entmythologi- in der Jugendbegegnungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main ent- 2008, 288 S., € 59,90 ben werden können: sierung an der eigenen Person nach und fasste ihre Erfahrung mit wickelt worden sind. Die Autorinnen und Autoren kennzeichnen die 1. Im ersten Nachkriegsjahr entstanden vor allem autobiogra- den Worten zusammen: »Suffering, I learned, did not always en- dargestellten Methoden als subjekt- und erfahrungsorientiert. Der Me- fi sche Texte, die als Dokumente des Holocaust entwickelt wurden. noble.« (S. 58) thodenteil gliedert sich in fünf Teile. Die Methodenvorschläge im er- Sie sollten Zeugnis ablegen, das Andenken an die Toten wahren, Die übergeordnete Fragestellung des Buches zielt aber auf ein sten Teil gehen auf das Begriffsverständnis ein und regen die Diskus- Rachegedanken gegenüber den Tätern formulieren, und sie bedeu- Thema, das die Literaturwissenschaftlerinnen Zepp und Gordinsky sion darüber an, wann jeweils von Antisemitismus gesprochen werden teten auch den Triumph des Überlebens. Leser fanden diese Texte gleichermaßen beschäftigte: Welche nationalen bzw. ethnischen kann. Der zweite Teil bietet Arbeitsansätze, die Grundmuster antisemiti- Susanne Zepp, Natasha Gordinsky vor allem in der Gemeinschaft der DPs – also unter denjenigen, die Bezüge stellten die Autoren über ihre literarischen Arbeiten her? scher Denkweisen verdeutlichen. Dabei geht es insbesondere um natio- Kanon und Diskurs. Über Literarisierung Ähnliches erlebt hatten. Oder anders gefragt: Was bedeutete es, wenn die jüdischen DPs nale Selbstbilder und die Gegenüberstellung von »Wir« und »Andere«. jüdischer Erfahrungswelten 2. Nach der Gründung des Schriftstellerverbandes der befreiten auf Jiddisch über die Vorkriegsverhältnisse und den Holocaust Problematisch verkürzt ist der methodische Ansatz, mit dem den Teil- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Juden in der Amerikanischen Besatzungszone 1946 wurde stärker schrieben? Für wen schrieben sie und welchem Kollektiv fühl- nehmerinnen und Teilnehmern die »mangelnde Verankerung jüdischer 2009, 120 S., € 24,90 auf die Qualität der literarischen Texte geachtet. Es ging zunehmend ten sie sich zugehörig? Lewinsky charakterisiert sie als »Träger Kultur und Religion im deutschen Alltagsleben« vermittelt werden soll. darum, auch international wahrgenommen zu werden. Dafür wurden der Tradition und der Geschichte der Opfer«, die sie fortführten (S. 32) Für ein komplexeres Bild wären dieser Diagnose Materialien ge- auch ausländische Beiträge eingeworben. Die vielen aufgrund des (S. 230). »In der Emigration begannen die kulturellen Wurzeln genüberzustellen, die aufzeigen, wo und wie lebendiges Judentum in der Quellenmangels aus dem Gedächtnis rekonstruierten Erzählungen der Sche’erit Hapleta daher schließlich zu verwittern, die Blätter deutschen Gesellschaft verankert ist. Im dritten Teil werden Beispiele der DPs, die die Lebensverhältnisse der Juden in den kleinen Ge- zu verblassen. So vehement sie die deutsche Diaspora abgelehnt für antisemitische Bilder und Ausdrucksweisen in rechtsextremen Sze- Literarische Texte sind kein Spiegel histori- meinden und Dörfern ihrer Herkunftsländer in Osteuropa beschrie- hatte, so war es doch in paradoxer Weise das Leben in DP-Camps, nen als Material angeboten, wobei auch hier wieder der Anspruch be- scher Realität. Dennoch entstehen sie nicht ben, lösten diesen gehobenen Anspruch in den Augen der Verbands- in deutschen Städten und Dörfern gewesen, das dieser Schicksals- steht, ebenso auf die »Mitte der Gesellschaft« einzugehen. Die dafür im luftleeren Raum, sondern verarbeiten Elemente der Geschichte mitglieder nicht ein. Die Hoffnung war, mit der jiddischen Literatur und Gedächtnisgemeinschaft ermöglicht hatte, mit dem Wieder- angebotenen Zitate leisten dies allerdings kaum. Es fällt relativ leicht, und Gegenwart. Zwei neue Publikationen beschäftigen sich auf sehr auch international ein Publikum zu erreichen. aufbau gesellschaftlicher Strukturen und dem Wiederaufnehmen sich davon abzugrenzen. Für die Problematik des alltäglichen, norma- unterschiedliche Weise mit der Frage, wie sich ethnische Dimensio- 3. Im Laufe der Jahre differenzierte sich die Gemeinschaft der kultureller Tätigkeit ein Stück Normalität und kultureller Auto- lisierten Antisemitismus wären Materialien aufzunehmen, die näher an nen in literarischen Texten jüdischer Autoren spiegeln. Sche’erit Hapleta stärker aus. Durch Zu- und Auswanderung setz- rität zurückzugewinnen – und damit den Rest der untergegange- den Alltag von Jugendlichen heranreichen; Statements von Politikern, Tamar Lewinskys Buch Displaced Poets – Jiddische Schrift- te sich die Gruppe immer wieder neu zusammen, es entstanden nen Kultur am Leben zu erhalten.« (S. 234) Die Sche’erit Haple- Bischöfen und Redakteuren sind dafür kaum geeignet. Im vierten Teil steller im Nachkriegsdeutschland, 1945–1950 ist eine historische, unterschiedliche Interessen, die durch Parteien vertreten wurden, ta orientierte sich kulturell demnach an den Vorkriegsgemeinden werden Argumentationsstrategien vorgestellt, die anhand eines realen auf ihrer Dissertation basierende Analyse, die sich auf einen engen unterschiedliche Landsmannschaften pfl egten verschiedene Erin- in den osteuropäischen Herkunftsländern der DPs – ihnen trauer- Fallbeispiels eingeübt werden können. Der Material- und Dokumenten- Zeitraum und den Schauplatz Deutschland beschränkt. Lewinsky nerungstraditionen. Gemeinsam war ihnen nach wie vor das Jid- ten sie nach; neue Konzepte und Literaturformen konnten noch anhang versammelt Texte und Schaubilder, die die pädagogische Ar- interessiert sich für das literarische Schaffen der Displaced Persons dische als Herkunftssprache und in Abgrenzung zum Deutschen. nicht entstehen. beit mit Grundlagen zur Analyse, Diskussion und Refl exion ausstatten. (DPs), dessen aktivste Phase 1951 mit der Aufl ösung der meisten Die Sprache wirkte wie ein Homogenisierungsfaktor, der die Un- Zepp und Gordinsky gehen anders vor. Anhand von vier lite- Insgesamt bietet die vorliegende Publikation gut handhabbare DP-Camps in der Amerikanischen Besatzungszone beendet war. terschiede nivellieren konnte. In dieser Phase entstanden Narrati- rarischen Detailstudien untersuchen sie »Konstruktionen jüdischer Materialien an, während der theoretische Teil zu knapp ausfällt, um Susanne Zepp und Natasha Gordinsky hingegen untersuchen ve, die der Exodus-Erfahrung große Bedeutung beimaßen und der Zugehörigkeit« (S. 9). Damit wollen die Autorinnen ausdrücklich genauer zeigen zu können, inwiefern Antisemitismus nicht nur ein aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vier zeitgenössische Ro- jüdischen DP-Gemeinschaft ihren besonderen Sinn in der deut- nicht zu einer Defi nition von »jüdischer Literatur« beitragen. Sie »Problem in der politischen Bildungsarbeit« ist, sondern zugleich mane jüdischer Autoren. Sie konzentrieren sich dabei nicht aus- schen Diaspora vermittelten. Es wurde eine Kontinuität der Lei- wählen daher Werke aus, in denen Identifi kationsmuster verschwim- den Raum des Politischen durchzieht. Antisemitismus ist auch ein schließlich auf Deutschland, sondern öffnen den Blick auch für Wer- densgeschichte seit der Antike entwickelt, in der zwar viele bi- men und eher als Frage denn als These auftauchen. Anders als bei Problem der Politischen Bildung, die sich bisher als Fachdisziplin ke aus Russland, Israel und Spanien. Denn sie wollen herausfi nden, blische Bezüge zum Exodus, zur Erfahrung des Holocaust aber Lewinsky ist für sie Literatur nicht ein Beleg für historische Abläu- kaum mit den ideologischen Grundlagen und Praktiken des sekun- ob die Romane, so unterschiedlich sie sind, sich in der Auseinan- keine hergestellt wurden. Politisch standen diese Texte dem Zio- fe, sondern wird aus sich selbst heraus verstanden. Sie ist jedoch im- dären Antisemitismus befasst und die Problematik noch nicht ange- dersetzung mit der Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit ihrer nismus nahe. mer auch eingebettet in einen narrativen Kontext, über den sie da- messen in der Ausbildung für Lehrkräfte verankert hat. Protagonisten parallelisieren lassen. 4. Die letzte Phase ist durch die Aufl ösung der jüdischen DP- mit auch Auskunft geben kann. Auf den ersten Blick verbindet beide Bücher tatsächlich we- Gemeinschaft gekennzeichnet. Lager wurden geschlossen, viele der Der erste Beitrag behandelt Barbara Honigmanns Roman Al- Astrid Messerschmidt nig miteinander. Lewinskys Untersuchung benutzt literarische DPs emigrierten nach 1948 nach Israel. Das Jiddische, das gerade les, alles Liebe. Zepp und Gordinsky zeigen darin die Bezüge zu Flensburg Texte als historische Quellen, die etwas über die reale Situation von Zionisten in Deutschland sehr gepfl egt wurde, wurde nun, nach Hölderlins Hyperion wie auch zu Goethes Werther auf: Die Prot-

72 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 73 agonistin Anna macht ihre Erfahrungen als Jüdin in der DDR der scheidungen den Zusammenhängen entreiße und sie damit verall- nen zählten etwa die Maler der zweiten Generation der Expres- die neuen und für sie als Jüdin außerordentlich bedrohlichen Macht- 1970er Jahre. Ihre Vereinzelung, der Zwang zum Rückzug aus gemeinere, so Zepp und Gordinsky. Der Leser solle so zum Betei- sionisten wie auch die Vertreter der Neuen Sachlichkeit.1 Wäh- verhältnisse in Deutschland mit grafi schen Arbeiten eindeutig po- dem Öffentlichen in das Private parallelisieren sie mit den klassi- ligten an der Romanhandlung werden. rend manchen Angehörigen der »verschollenen Generation« ein litischen Inhalts: Es entstanden die Werke »Warnung«, »Festnah- schen Vorbildern. Sosehr sich der Roman dadurch sprachlich und Gemeinsam ist den Protagonisten der vier Romane ihre doppel- – oftmals mühseliger – künstlerischer Neubeginn nach dem En- me«, »Gefesselte Männer im Gefängnis« (alle vermutlich 1936/38) kulturell in Deutschland verorte, biete er doch kein Identifi kati- te Funktion als Leser und Schreibende. Sie refl ektieren den Prozess de des Dritten Reiches glückte, gerieten viele endgültig in Ver- und »Menschengruppe vor der Deportation« (1938/39). Zugleich onsangebot mit seiner Protagonistin. Anna kann sich in der deut- des Lesens und Schreibens, schaffen damit den Charakter des Un- gessenheit: vor allem jene jüdischen Künstler, die dem Holocaust lässt sich bei Luiko eine Hinwendung zu jüdischen Themen fest- schen Kultur nicht mehr heimisch fühlen und versucht, der Situa- abgeschlossenen und Wandelbaren. Die Frage nach der jüdischen zum Opfer fi elen. stellen – interessanterweise am eindeutigsten in einem Buch aus ih- tion zu entfl iehen. Diese Ambivalenz ist es, die in den Augen von Zugehörigkeit werde so nicht dem Leser aufgebürdet, sondern ihm Die Münchener Kunsthistorikerin Diana Oesterle befasste sich rem Besitz: Das selbst gestaltete Exlibris zeigt zwei Hände, die ei- Zepp und Gordinsky ein Diskussionsangebot darstellt, das es auf- wird literarisch eine Form gegeben. Die Aktualität der Frage bleibe in den vergangenen Jahren intensiv mit der weithin vergessenen jü- ne Thorarolle öffnen. zugreifen gilt. dadurch erhalten, meinen die Autorinnen. dischen Künstlerin Marie Luise Kohn (Maria Luiko): Zum einen ku- Luiko setzte aber noch einen weiteren neuen künstlerischen Mit dem Roman Medea und ihre Kinder von Ljudmila Uliz- Wieso aber eine gemeinsame Rezension für zwei so verschiede- ratierte Oesterle die erste monografi sche Werkschau Luikos in den Schwerpunkt: Sie war Mitbegründerin des Münchner Marionet- kaja wählen die Autorinnen eine Geschichte, die einen Gegenent- ne Bücher? Eine Rezension kann zwei methodische Zugänge verbin- Räumen des Jüdischen Museums München (2007/08). Zum ande- tentheaters Jüdischer Künstler. Dieses war eine Einrichtung des wurf zu dem repressiven System des sowjetischen Alltags anbie- den, die nur selten zueinander fi nden. Was im Rahmen der Disser- ren beschreibt sie in ihrer nun als Buch vorliegenden Magisterar- Jüdischen Kulturbundes in Bayern, der 1934 nach Berliner Vorbild te. Medea bewahre die Werte des Menschlichen ohne Ansehen der tation von Tamar Lewinsky ebenso wenig geleistet werden konnte beit Luikos Leben und Werk. Nach einem kurzen biografi schen Ab- entstanden war. Sie schuf nicht nur Figuren und Bühnenbilder für Person als Maßstab, sie gehorche einer göttlichen Macht, die sie wie in dem knappen Essay der Reihe »Toldot« des Simon-Dubnow- riss untersucht Oesterle Luikos künstlerische Entwicklung und gibt mehrere Inszenierungen, sondern war auch als Puppenspielerin an legitimiere und die der Relativierung der moralischen Werte in der Instituts von Susanne Zepp und Natasha Gordinsky ist ein doppel- einen Überblick über ihr bekanntes Œuvre. Erhalten sind zwei Map- den Aufführungen beteiligt. Sowjetunion trotze. Zepp und Gordinsky zeigen die epischen Ele- ter Blick auf das Thema aus historischer und literarischer Perspekti- pen mit 131 grafi schen Arbeiten: Radierungen, Holz- und Linol- 1936 repräsentierte sie (gemeinsam mit zwei Kollegen) die mente des Romans auf, in der die Geschichte einer Familie als ei- ve. Eine literaturwissenschaftliche Makroanalyse würde, bereichert schnitte sowie Lithografi en, die heute Teil der Sammlungen des bayerisch-jüdischen Künstler auf der Reichsausstellung Jüdischer ne der Inklusion, nicht wie beim Nationalepos als eine der Exklu- um die Erkenntnisse aus der historischen Forschung, sehr viel tiefe- Jüdischen Museums München sind. 44 Marionetten befi nden sich Künstler in Berlin. In jenem Jahr wurde ihr aber auch – wie allen sion, beschrieben wird. (S. 43) Für Medea hätten Abstammung, re Einsichten in Themen ermöglichen, die zeitenthoben sind – wie im Stadtmuseum München. Juden in Deutschland – das Tragen eines Künstlernamens unter- Herkunft und Zugehörigkeit im menschlichen Miteinander keine es das Thema der jüdischen Zugehörigkeit zu ethnischen Identifi - Marie Luise Kohn wurde am 25. Januar 1904 als zweite Tochter sagt. 1937 löste sich das Marionettentheater auf: Einige der Mit- Bedeutung – in der sowjetischen Realität dagegen sei das Ethni- kationsangeboten ist. Und umgekehrt. des Kaufmanns Heinrich Kohn und seiner Ehefrau Olga in München wirkenden waren in andere Städte in Deutschland gezogen, andere sche vom Politischen nicht zu trennen; dieses Spannungsverhält- geboren. Nach dem Besuch einer höheren Mädchenschule und ei- emigriert. Ende 1938 stellte der Jüdische Kulturbund in Bayern, nis begründet die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit in der Katharina Rauschenberger nes Kindergärtnerinnenseminars schrieb sie sich im Wintersemester Ortsgruppe München, seine Tätigkeit ganz ein; damit endete auch jüdischen Literatur. Fritz Bauer Institut 1923/24 als eine der erste Studentinnen an der Akademie der Bilden- Maria Luikos künstlerisches Schaffen. Der zunächst auf Hebräisch erschienene Roman von Yoel den Künste in München ein, die Frauen erst seit 1921 aufnahm. Sie Alle Emigrationsbemühungen der Familie Kohn seit 1936 Hoffmann Christus der Fische erzählt die Geschichte einer Ein- belegte die Malklasse von Karl Caspar, der 1913 ein Mitbegründer scheiterten. 1939 erfolgte die Zwangsräumung der elterlichen Woh- wanderung nach Palästina. Er gibt kein geschlossenes Narrativ vor. der Neuen Münchener Secession gewesen war. nung; Anfang November 1941 erhielt Maria Luiko die Aufforde- Knappe philosophische Refl exionen, Traumsequenzen und anek- 1924 trat Marie Luise Kohn erstmals an die Öffentlichkeit. Un- rung, sich für die »Evakuierung« bereitzuhalten. Am 20. Novem- dotenhafte Beschreibungen sind mit Bruchstücken der Familien- Eine Künstlerin der ter ihrem Künstlernamen Maria Luiko stellte sie drei Scherenschnit- ber 1941 wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester Elisabeth, ihrer geschichte des Ich-Erzählers verbunden. Hier wird das Fragmen- »verschollenen Generation« te im Münchener Glaspalast aus. Zu dieser Zeit war sie noch von den Mutter Olga und weiteren rund 1.000 Münchener Juden nach Kau- tarische, das Nebensächliche zum literarischen Prinzip. (S. 59) religiösen Bildsujets Caspars geprägt; aber bereits 1925/26 eman- nas in Litauen deportiert und dort ermordet. Hebräische und jüdische Literaturen seien nur als Prozess, als Ver- zipierte sie sich hiervon. 1927 wurde sie Mitglied der progressiven Die Verfasserin hat eine anschauliche und schlüssige Studie vor- fahren, und nicht als Resultat sinnvoll zu betrachten, so die Auto- Künstlervereinigung der »Juryfreien«. Mit diesem Schritt war ein gelegt, für die sie neben Luikos Werken die einschlägigen Quellen rinnen. In Prozessen aber sei Entwicklung jederzeit möglich und die Wechsel zu brisanten Themen verbunden. In ihrer ersten Glaspalast- aus den Münchener Archiven herangezogen hat. Einzuwenden ist jüdische Zugehörigkeit nicht a priori festgelegt. (S. 70) Diana Oesterle ausstellung als »Juryfreie« präsentierte sie sich mit Illustrationen zu lediglich, dass es bei der Schilderung des historischen Rahmens ei- Der vierte Roman stammt von dem Spanier Antonio Munoz »So süßlichen Kitsch, das kann ich nicht«. Ernst Tollers gesellschaftskritischem Drama »Hinkemann«. Sie kon- nige Ungenauigkeiten gibt: So ist etwa von einer »gleichgeschal- Molina und trägt den Titel Sepharad, das hebräische Wort für Spa- Die Münchener Künstlerin Maria Luiko zentrierte sich fortan auf die »Zurückgelassenen« der Gesellschaft. teten« Reichskulturkammer die Rede (S. 102). Diese war freilich nien. In der Erzählung kommen viele Stimmen zu Wort, die nicht 1904–1941 Erste Erfolge stellten sich ein: 1929 nahm Luiko an einer Kollek- nicht von den Nationalsozialisten »gleichgeschaltet« worden, son- eindeutig voneinander zu unterscheiden sind. Die oft gewählte Form München: Oldenbourg Verlag, 2009, VIII, tivausstellung teil, und vor allem gehörte sie in jenem Jahr als ein- dern vielmehr eine Gründung des NS-Regimes. des Du oder Wir lässt offen, wer der eigentliche Sprecher ist. Der 164 S., € 19,80 zige Frau zur Aufnahmejury des Glaspalasts. Dieser Einwand schmälert aber nicht die Leistung von Diana Leser wird so in den Text und seine ethischen Probleme einbezo- Der Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 war für Maria Oesterle: Es ist ihr Verdienst, Maria Luiko und ihr künstlerisches gen. Wie in der menschlichen Psyche überlagern auch im Roman Luiko auch in künstlerischer Hinsicht eine Zäsur. Sie reagierte auf Werk dem Vergessen entrissen zu haben. verschiedene Zeitschichten die Erzählung, die alle die gleiche Gül- Der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann tigkeit haben. Im Roman werden verschiedene Erfahrungen des prägte den Begriff der »verschollenen Ge- Jörg Osterloh Vertriebenwerdens thematisiert und miteinander parallelisiert, die neration« für jene jungen deutschen Künstler, die in der Zwischen- Fritz Bauer Institut Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 etwa mit dem Holocaust. kriegszeit ihre Ausbildung absolviert hatten und teilweise bereits 1 Vgl. Rainer Zimmermann, Die Kunst der verschollenen Generation. Deutsche Malerei des Expressiven Realismus 1925–1975, Düsseldorf, Wien 1980. Durch die personale, zeitliche und thematische Mischung entstehe an die Öffentlichkeit getreten waren, als ihre Werke nach dem (Neuaufl . unter dem Titel: Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen aber ein transzendentales überzeitliches Motiv, das moralische Ent- Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 verfemt wurden. Zu ih- Generation, München 1994).

74 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 75 NS-Raubkunst im Kunsthandel ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer wurden Arbeiten iden- einer gerechten und fairen Lösung bei dem Verdacht eines Restitu- apparat und seine Organe Stellung bezogen und damit auch nega- tifi ziert, die in der NS-Zeit verfolgungsbedingt jüdischen Besit- tionsanspruchs entgegen.2 tive Konsequenzen für sich und ihr Unternehmen in Kauf nahmen. zern entzogen worden waren. Provenienzangaben begannen teils Generell stellt Koldehoff einen Mangel an Bereitschaft zur Der Mehrheit der deutschen Industriellen fehlte jedoch ein solches

erst weit nach Ende des Krieges, zudem konnte der Verweis auf Provenienzforschung besonders im Kunsthandel fest, dessen Ver- Maß an Zivilcourage. Sie waren eher bereit, sich mit dem Regime eine prominente Sammlung, in der sich ein Kunstwerk befunden gangenheit bisher mit wenigen Ausnahmen kaum systematisch auf- zu arrangieren, mit seinen Entscheidungsträgern enge Allianzen zu Stefan Koldehoff hatte, den Marktwert eher erheblich steigern, als dass die Konti- gearbeitet wurde. Vehement appelliert er auch an Museen, sich schmieden und sich sogar an den Verbrechen zu beteiligen. Die neu- Die Bilder sind unter uns. nuität der Besitzverhältnisse suspekt geworden wäre. Die Namen mit der Provenienz ihrer seit 1933 erworbenen Sammlungsbestän- ere intensive Forschung zur Rolle von Unternehmen im Nationalso- Das Geschäft mit der NS-Raubkunst und Schicksale einst bedeutender jüdischer Sammler wie Alfred de auseinanderzusetzen und die moralische Verpfl ichtung zu er- zialismus hat dies allzu deutlich herausgearbeitet. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag, Hess, Paul Westheim, Samuel Fischer oder Ismar Littmann ge- kennen. Ernst Leitz gehörte sicherlich zu den rühmlichen Ausnahmen, 2009, 288 S., € 22,95 rieten schlichtweg in Vergessenheit oder wurden kaum mehr be- Diese Publikation kann und will den Anspruch der Vollständig- die sich von Beginn an gegen Willkür und Unrecht des Regimes zur achtet. Im Fall Westheim etwa bereicherte sich sogar eine frühe- keit nicht erfüllen. Sie macht jedoch die großen Lücken in der For- Wehr setzten. Er opponierte gegen Machenschaften der NSDAP und re Freundin und verkaufte in den Vereinigten Staaten nach dem schung in diesem Bereich erneut deutlich und unterstreicht anhand ihrer Organisationen und versuchte, zahlreiche jüdische Mitbürger Vor über einem Jahrzehnt einigten sich Krieg Gemälde, die sie für den Sammler aufbewahrt hatte. Auch ausgewählter Beispiele die Notwendigkeit fundierter Recherche- vor der Deportation und dem sicheren Tod in einem der Vernich- 44 Staaten in Washington D.C. auf einen konnten während der NS-Zeit tätige Kunsthändler weitestgehend arbeit. Mit Sicherheit wird hierdurch die Diskussion zum Thema tungslager in den besetzten Ostgebieten zu bewahren. Daher ist es Katalog von elf Prinzipien bezüglich der Aufklärung des Verbleibs nach dem Krieg ihre Geschäfte fortsetzen und aus Depots schöp- Provenienzforschung erneut entfacht. mehr als gerechtfertigt, wenn nun mit einem schmalen Bändchen, von Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaust. Hierbei ging fen, die sie zwischen 1933 und 1945 auf nicht immer moralisch herausgegeben von einem seiner Nachfahren, an den Unternehmer, es besonders auch um die Ermittlung der Provenienz enteigneter unbedenkliche Weise mit Kunstwerken gefüllt hatten. Darunter Marie-Luise Tapfer aber auch an den Widerständler Ernst Leitz erinnert wird. Kunstwerke. Zu diesem Treffen hatten das U.S. Department of Sta- waren auch jene Händler und deren Erben, die im Auftrag der Bad Homburg Der Band umfasst sechs Aufsätze von fünf Autoren, inklusive te und das United States Holocaust Memorial Museum eingeladen. Nazis die sogenannte »Entartete Kunst« verkauft hatten. Beson- Gruß- und Vorwort. Herausragend ist dabei der Beitrag von Frank Heute, zehn Jahre später und nur wenige Monate nachdem die Was- ders überraschend ist hierbei Koldehoffs Verweis auf bisher un- Dabba Smith, der allein auf 65 Seiten die verschiedenen Facetten hingtoner Prinzipien auf einer Nachfolgekonferenz in Prag erneut publiziertes Quellenmaterial. Ein fast unerschöpfl iches Angebot von Opposition und Widerstand bei Ernst Leitz ausleuchtet. Als bekräftigt worden sind, scheint es dennoch Versäumnisse in der Um- an Handels- und Tauschware war bei den maßlosen Kunst-Raub- überzeugter Demokrat war Leitz das NS-System verhasst, so dass setzung zu geben. Kunstwerke, deren Herkunftsgeschichte für die zügen der Nazis in Frankreich und den Niederlanden zusammen- Ein Unternehmer im Widerstand er sich seit 1933 gegen dessen Übergriffe zur Wehr setzte. Smith be- Zeit des »Dritten Reichs« erhebliche Lücken aufweist, sind noch getragen worden und teils für Hitlers geplantes »Führer-Muse- zum NS-Regime schreibt sehr detailliert die einzelnen Hilfsaktionen von Leitz, durch immer auf dem Kunstmarkt. um« in Linz vorgesehen, teils in den deutschen Kunsthandel ein- die insgesamt 70 Personen jüdischer Herkunft gerettet werden konn- Der Kölner Journalist und Raubkunstexperte Stefan Kolde- gespeist worden. NS-Kulturfunktionäre und Kollaborateure zogen ten. Leitz setzte sich vehement dafür ein, dass sie aus der Gestapo- hoff thematisiert in seiner neuesten Publikation den Nachkriegs- sich nach Kriegsende aus der Verantwortung, indem sie den Alli- Haft entlassen wurden, zum Teil ausreisen und sich damit ein neues handel mit NS-Raubkunst sowie die personelle Kontinuität im ierten ihre Hilfe bei der Zuordnung der Vorbesitzer wieder aufge- Leben im Ausland aufbauen konnten. Seine Aktionen zur Rettung Kunsthandel seit den Jahren des »Dritten Reichs«. Es werden fundener Kunstwerke andienten. Der Kunsthandel schöpfte nach Knut Kühn-Leitz (Hrsg.) jüdischer Mitbürger waren nur möglich, da das Reichswirtschafts- prominente Fälle der letzten Jahre aufgegriffen, etwa die viel dem Krieg aus Sammlungen, die während der NS-Zeit zusam- Ernst Leitz. Ein Unternehmer ministerium an dem hohen Devisenaufkommen des von Leitz gelei- diskutierte Restitution eines Kirchner-Gemäldes aus dem Ber- mengetragen worden waren, und profi tierte auch von dem Wis- mit Zivilcourage in der Zeit des teten Unternehmens interessiert war, es also keinerlei gezielte Ein- liner Brücke Museum an die Erben des Erfurter Sammlers sen und den Sammlerkontakten ehemaliger NS-Kulturfunktionä- Nationalsozialismus griffe in die Unternehmensführung und keine Repressalien gegen Alfred Hess oder der Skandal um den Inhalt eines Schweizer Bank- re, die bereits in den 30er und 40er Jahren tätig waren. Besonders Hanau: CoCon-Verlag, 2007, 127 S., Leitz unterstützte. Dennoch ist es überraschend, dass sich Leitz im- safes, der auf den NS-Kunsträuber Bruno Lohse zurückgeführt wer- gefragt war im Nachkriegsdeutschland die moderne Kunst, die in € 12,50 mer wieder so massiv gegen die Unrechtspolitik des NS-Regimes den konnte.1 den beiden vorausgegangenen Jahrzehnten als »Entartete Kunst« einsetzen konnte. Offenbar bestanden auch in der Gauleitung und Eingangs veranschaulicht eine krimireife Szene in einem massiv angefeindet worden war. Roman Ketterer machte die Mo- Suchen wir im Augenblick die bisher ver- in Teilen der NS-Bürokratie große Bedenken, gegen ihn vorzuge- Parkhaus, wie noch Ende der 1970er Jahre der ehemalige NS- derne in seinem Stuttgarter Kunstkabinett wieder salonfähig und gessenen Helden des Widerstands gegen hen, was unter Umständen Proteste und Unruhen der Leitz-Mitar- Rüstungsminister Albert Speer einen Bestand von 20 bis 30 Ge- löste in den 50er Jahren eine enorme Wertsteigerung in diesem den Nationalsozialismus? Auffällig ist schon, dass nach dem Boom beiter ausgelöst hätte, wie Bernd Lindenthal in seinem ersten Bei- mälden über ein Kölner Auktionshaus absetzen konnte, ohne dass Bereich aus. Dass sich diese Werke zuvor oft in jüdischen Samm- über Unternehmen und ihre Verstrickung in das NS-Regime momen- trag in diesem Band vermutet. In seinem zweiten Aufsatz geht der die Herkunft der Werke infrage gestellt wurde. Ob bei solchen lungen befunden hatten, spielte vorerst eine unbedeutende Rol- tan eine Reihe von Büchern erscheint, die den Widerstand von lan- Autor nochmals auf einige Hilfsaktionen ein und vertieft dabei die zwielichtigen Handelsgeschäften, im Angebot anerkannter Auk- le. Kunstwerke, die während der NS-Zeit ihren damaligen Besit- ge Zeit vergessenen Industriellen gegen die Diktatur zum Gegen- bereits von Smith angesprochenen Aspekte. tionshäuser oder als repräsentativer Schmuck deutscher Amtsstu- zern geraubt wurden, befanden sich also durchaus noch nach dem stand haben. Nicht nur John Rabe, sondern auch Ernst Leitz ist in Eingeleitet wird der Band durch zwei biografi sche Skizzen von ben, auch heute noch wird immer wieder das Schicksal einzelner Krieg im Kunsthandel! diese Phalanx einzureihen. Um die wahre Größenordnung nicht aus Günter Osterloh über Ernst Leitz als Erfi nder der Leica-Kamera und Raubkunstwerke publik, die in der Nachkriegszeit im boomenden Im Zusammenhang mit der Restitution des Berliner Kirch- den Augen zu verlieren, sei jedoch betont, dass es leider nur wenige als einen der Wegbereiter der modernen Mikroskopie sowie über Kunsthandel den Besitzer wechselten. Selbst in der Sammlung des ner-Gemäldes begann in Deutschland erneut die Debatte, einen Industrielle gab, die im Dritten Reich offen gegen den Herrschafts- seinen gleichnamigen Sohn, der das Werk des Vaters fortsetzte und Schlussstrich zu ziehen und Restitutionsansprüche heute, mehr als vertiefte. Vervollständigt wird der Band durch zwei kurze Beiträ- 60 Jahre nach Kriegsende ruhen zu lassen. Dieser Forderung aus ge des Herausgebers. In einem Aufsatz thematisiert er die zentra-

1 Vgl. Melissa Müller, Monika Tatzkow, Verlorene Bilder, verlorene Leben. den Reihen des Kunsthandels, die aber auch im Ausland aufgegrif- 2 Vgl. Norman Rosenthal, »The time has come for a statute of limitations«, in: The le Rolle des Hafens New York als Anlaufstelle für die zahlreichen Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, München 2009. fen wurde, steht das Hauptprinzip der Washingtoner Erklärung nach Art Newspaper, Nr. 197, Dezember 2008. Emigranten aus Deutschland und seine symbolhafte Bedeutung als

76 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 77 erster Ort der Freiheit nach der Flucht vor dem NS-Regime; im dass kaum eine andere Erinnerungspraxis die jungen Israelis so ef- Seine Vertrautheit mit dem Forschungsgegenstand erlangte der thentische Erfahrung erlebt wird. Um diese Wirkung zu erzielen, zweiten Beitrag zieht er nochmals eine kurze Bilanz des Lebens fektiv prägt wie die Polenreisen. Inzwischen haben etwa 400.000 Autor zunächst über eine mehrmonatige Ausbildung des Erziehungs- wird der Erfahrungsraum, in dem die Gruppen sich in Polen bewe- von Ernst Leitz als Unternehmer und als Widerständler in der Zeit Schülerinnen und Schüler an diesem Programm teilgenommen. Die ministeriums zum »Guide« von Schülerreisen nach Polen. In die- gen, aufgeteilt zwischen »inside Israeli life spaces« und »outside des Nationalsozialismus. Bedeutung dieses Phänomens kann man jedoch nicht allein an den ser Funktion begleitete Feldman vier Gruppen. Allerdings basieren Polish death spaces« (S. 257). Die Jugendlichen werden durch die Aufgrund der unterschiedlichen Länge der einzelnen Texte und trockenen Zahlen ablesen. Die an den Reisen teilnehmenden Ju- die Beispiele im Buch fast ausschließlich auf einer weiteren Rei- strengen Sicherheitsmaßnahmen von der polnischen Umgebung iso- ihrer verschiedenartigen Themenwahl fehlt dem Band ein größeres gendlichen befi nden sich in einer Lebensphase, in der sie in ihrer se im Jahr 1995, bei der er als teilnehmender Beobachter fungierte. liert. Treffen mit polnischen Jugendlichen (falls sie denn stattfi nden) Maß an Stringenz. Zudem hätte man sich eine bessere Einbettung emotionalen Entwicklung besonders beeinfl ussbar sind, und stehen Um mit dem von ihm zusammengetragenen Material möglichst und die Einbindung von polnischen Reiseführern werden so struk- des Bandes in die aktuelle Forschungsdiskussion durch den Heraus- kurz vor ihrer Einberufung zum Militär (S. 255). Die Polenreisen unbefangen umgehen zu können, musste Feldman – selbst Sohn ei- turiert, dass sie die Teilnehmer nicht oder kaum beeinfl ussen kön- geber gewünscht. Das Andenken an Ernst Leitz, an einen wirklichen sind deshalb als bedeutender Markstein in der Sozialisation vieler nes Holocaustüberlebenden – zunächst seine Position und emotio- nen. Bereits in der Vorbereitung werden die Jugendlichen vor einem Unternehmer mit Zivilcourage im NS-System, wird dadurch sicher- Israelis zu verstehen. nale Betroffenheit refl ektieren. Seine Empfi ndungen während der verbreiteten Antisemitismus in Polen gewarnt. Folglich suchen sie lich nicht geschmälert. Vielmehr ist es das Verdienst des Bandes, In den ersten Jahren des Programms übernahm das Erziehungs- Reise spricht er offen aus: »I was often touched by the depth of stu- während der Reise stets nach Indizien, um diese Annahme zu be- den Unternehmer Leitz und seine Aktivitäten während der Dikta- ministerium die Betreuung nahezu aller Gruppen. Inzwischen wer- dents’ reactions towards the remains […]. I sometimes had to choke stätigen: »Polish inscriptions on memorial sites that ignore Jewish tur in den Blickpunkt der Diskussion und damit auch weiterer For- den die Reisen auch von anderen Veranstaltern durchgeführt. Diese back my anger with students whose interest in the Jewish past and in victims, as well as real or perceived anti-Semitic insults and graffi - schungen gerückt zu haben. Daher ist die Publikation sowohl eine haben aber mehrheitlich das Programm des Erziehungsministeriums the Shoa was limited to nationalist displays of the fl ag and a hoped- ti, confi rm the students’ preconception of Poland as a hostile anti- wichtige Ergänzung zu Arbeiten über unternehmerisches Verhalten übernommen, das unverändert bei mehr als 90 Prozent der Schüler- for fi ghting with a Polish skinhead.« (S. 22) Semitic country.« (S. 241) während des Nationalsozialismus als auch zu Studien über einzel- reisen Anwendung fi ndet. Das intensive achttägige Programm bein- Feldmans anthropologische Herangehensweise erweist sich als Wie ein Mosaik fügt Feldman die verschiedenen Komponenten ne Facetten des Widerstands während dieser Zeit. haltet die ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Treb- besonders ergiebig und erkenntnisfördernd. Anhand seiner eigenen der Reise zusammen, um schließlich das Gesamtbild zu präsentie- linka und Majdanek sowie die ehemaligen Ghettos in Warschau, Beobachtungen sowie der Auswertung von Reiseberichten der Teil- ren: Die diversen Identifi zierungsstrategien, die Rolle des Begleit- Harald Wixforth Kraków und Lublin. Der Besuch des Mahnmals für die Opfer des nehmer und zahlreicher Interviews wird der Ablauf der Reisen akri- personals, die Sicherheitsregeln, die Gestaltung der zahlreichen Ge- Bremen Warschauer Ghettos erinnert an den Aufstand vom April/Mai 1943.1 bisch rekonstruiert. Ihre Vielschichtigkeit gewinnt die Studie durch denkzeremonien, der Einsatz von Fahnen und anderer nationaler und Auf den Spuren vernichteter jüdischer Lebenswelten werden alte die Verknüpfung einer systematischen Analyse des Programms und religiöser Symbole erwecken vor dem Hintergrund der Gräuel der Synagogen und Friedhöfe besichtigt. Kurze Entspannungsmomen- der darin eingeschlossenen offi ziellen Gedenkrituale mit detaillier- Shoah ein patriotisches Gefühl des nationalen Stolzes. Dabei wan- te bieten Exkursionen zu touristischen Sehenswürdigkeiten und die ten Informationen über die Kommunikation innerhalb der Gruppe: deln sich die Identifi kationsobjekte der Teilnehmer im Verlauf der »Shopping time« (S. 81–82). Witze, Kommentare und Bemerkungen, Einträge in Tagebüchern Reise über drei Stationen: vom Opfer zum siegreichen Widerständ- Obwohl offi ziell als unpolitisch präsentiert, stieß das pädagogi- und Kritzeleien auf Schmierzetteln werden zur Untersuchung her- ler und Überlebenden und schließlich zum Olim, dem Einwanderer Wallfahrt nach Polen – sche Konzept der Polenreisen in den letzten Jahren zunehmend auf angezogen und feinfühlig ausgewertet. nach Israel. »The sequence of texts of each ceremony, the raising Erinnerungspraxis im Dienst des Staates Kritik in der israelischen Öffentlichkeit, vor allem durch linksori- In seinem zentralen Forschungsparadigma betrachtet Feldman of the fl ag, the progression from silence to triumphant singing, the entierte und post-zionistische Intellektuelle. So beschrieb der Histo- die Polenreisen nicht als Studienreisen, sondern vielmehr als ritua- sequence of ceremonies – each of these describe a cycle of trans- riker Tom Segev bereits 1991 die Reisen – in Anspielung auf Saul lisierte Wallfahrt (pilgrimage). Es geht dabei vorrangig nicht um formation from child to victim to victorious survivor to witness and Friedländer2 – als eine rituelle »Vereinigung von Kitsch und Tod«. das kognitive Lernen, sondern um Identifi kation, Personifi kation future soldier.« (S. 257) Gespeist aus »dem Nationalismus und der Religion« verströmten und um spirituelle Erfahrung. Während man sich hierzulande in den Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Jackie Feldman sie »Isolationismus bis hin zur Fremdenfeindlichkeit«.3 Es hat je- Gedenkstätten von der »Betroffenheitspädagogik« der 1980er Jah- Erinnerungspraxis in Israel und schafft damit die Grundlage für ei- Above the death pits, beneath the fl ag. Youth doch noch einige Jahre gedauert, bis die Sozialforschung die Polen- re immer mehr distanziert, lösen die israelischen Schülerreisen ei- ne fundierte und sachliche Debatte über ein hochbrisantes Thema. voyages to Poland and the performance of reisen zum Gegenstand eigener Untersuchungen gemacht hat. Die ne intendierte und wirkungsvolle emotionale Reaktion in Bezug auf Dabei geht ihre Bedeutung über den israelischen Kontext hinaus. Israeli national identity jetzt als Buch vorliegende Dissertation des israelischen Anthropolo- das Verhältnis zum eigenen Staat aus, was sich beispielsweise auch Nicht zuletzt geht es darum, zu zeigen, dass auch im Zeitalter einer New York, Oxford: Berghahn, 2008, gen Jackie Feldman (Ben-Gurion-Universität des Negev, Beersche- in der steigenden Bereitschaft der Jugendlichen zur Ableistung des globalisierten Welt kollektive Identität immer noch maßgeblich über 328 S., $ 90,–/£ 45,– ba) stellt zum ersten Mal eine systematische Analyse dieser Gedenk- Militärdienstes niederschlägt (S. 247). lokale Rituale und Gedenkpraktiken tradiert wird. praxis vor. Gerade deshalb ist zu bedauern, dass das Buch erst jetzt, Das Hauptverdienst der Studie besteht darin, das Verhältnis Die Öffnung des Ostblocks Mitte der 1980er acht Jahre (!) nach Abschluss des Forschungsprojekts erschienen ist. zwischen Ideologie und ihrer Vermittlungspraktiken in einem spe- Meron Mendel Jahre setzte Zeichen für einen Prozess der po- zifi schen pädagogischen Kontext zu beleuchten. Feldman arbeitet Frankfurt am Main litischen Annäherung zwischen Polen und Israel, dessen Folgen für die heraus, wie mit diskursiven, strukturellen und performativen Prak- Erinnerungskultur im Gedenken an die Shoah im jüdischen Staat zu tiken das Meta-Narrativ der Reise – Mehurban Le’geula (»von der jener Zeit noch nicht absehbar waren. 1988 kam der damalige israeli- 1 Der Aufstand im Warschauer Ghetto hat als Symbol des Widerstands eine Katastrophe zur Erlösung«)4 – von den Jugendlichen als eigene au- zentrale Bedeutung in der kollektiven israelischen Erinnerung an die Shoah. sche Erziehungsminister und spätere Staatspräsident Yitzhak Navon Mit Beit Lohamei HaGethaot – dem »Ghettokämpfer-Museum« – ist ihm eine von einem Staatsbesuch in Polen nach Jerusalem zurück und gab An- eigene Gedenkstätte in Israel gewidmet. weisung, ein neues Programm zur Vermittlung der Shoah in den 11. 2 Saul Friedländer, Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus, München, und 12. Klassen zu erarbeiten. Den Abschluss der pädagogischen Ar- Wien: Carl Hanser Verlag, 1984 (Franz. Orig., 1982). Erweiterte Neuausgabe, 4 Dieses Erlösungsmotiv mit zionistischer Akzentuierung fi ndet sich auch in der Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1999. neuen Dauerausstellung des 2005 eröffneten Museums zur Geschichte des beit mit den Schülern sollte eine Studienreise nach Polen bilden. Gut 3 Tom Segev, Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinne- Holocaust der nationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem – The Martyrs’ zwanzig Jahre nach Einführung des Programms lässt sich feststellen, rung, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1995 (Hebr. Orig., 1991), S. 638. and Heroes’ Remembrance Authority in Jerusalem.

78 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 79 Philosophie nach Auschwitz Ansatzes liegt in der differenzierten Betrachtung epochaler Gescheh- dung einer solchen Situierung bleibt die Stoßrichtung seines An- Miriam Rürup hat sich in ihrer Dissertation der Frage zu- nisse, wie die Einordnung der Katastrophe von Hiroshima zeigt: satzes Ausdruck eines verantwortlichen Umgangs mit moralischen gewandt, ob und inwiefern auch jüdische Studenten an diesen Das Selbstverständnis der Verantwortlichen des Atombombenab- Begriffsstrategien: Die Frage nach den (kontingenten) sozialen, überkommenen Vergesellschaftungsformen teilhatten, welche

wurfs lässt sich nicht außerhalb der universalistischen Integrati- institutionellen und motivationalen Ressourcen für eine menschen- spezifi schen Erfahrungen jüdische Studenten in diesen sozio- onsmoral verorten, wodurch dieser in einem anderen moralischen rechtliche Einstellung sollte angesichts der moralischen Bedeutung kulturellen Korporationen machten und wie sie auf die beson- Rolf Zimmermann Kontext steht als die anderen genannten Verbrechen. Zimmermann historischer Erfahrungen den Schwerpunkt ethischer Refl exion deren Herausforderungen, mit denen sie in diesen konfrontiert Moral als Macht. Eine Philosophie der gelingt damit eine beeindruckende Vermittlung von historischer For- bilden. waren, reagierten. Grundlage und Ausgangspunkt ihrer Unter- historischen Erfahrung schung und philosophischer Refl exion. suchung ist das historische Faktum, dass jüdische Studenten in Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, Das zweite Kapitel versucht den schon in der ersten Studie Christian Wendelborn Deutschland und Österreich im Kontext der entstehenden anti- 2008, 234 S., € 12,95 zu einer Neubestimmung von Philosophie führenden Aspekt von Frankfurt am Main semitischen Bewegung sukzessive aus den studentischen Kor- »Moral als Macht« mit Nietzsche als Verbündetem zu vertiefen. porationen hinausgedrängt wurden. Als Antwort auf den Antise- Zimmermann zeigt, wie Nietzsche die existenzielle Selbstausle- mitismus der christlichen Studenten schufen jüdische Studenten Nach Rolf Zimmermanns grundlegendem gung des Menschen in moralischen Werten gesehen und in ihren daraufhin seit Mitte der 1880er Jahre eigene Verbindungen. Jü- Werk Philosophie nach Auschwitz. Eine geschichtlichen Variationen durchschaut hat, und formuliert dessen dische Studenten übernahmen dabei die kulturelle Überlieferung Neubestimmung von Moral in Politik und Gesellschaft (Reinbek Grundeinsicht so: Moralische Selbstauslegungen wollen sich nor- Jüdische Studentenverbindungen der akademischen Korporationen und machten sich nicht nur de- bei Hamburg 2005) lässt sich seine neue Studie als eine Ergän- mativ gegen andere behaupten und Dominanz über sie gewinnen. ren Habitusformen und Ehrbegriffe zu eigen, sondern auch de- zung und Vertiefung der dort entwickelten Thesen verstehen. Er- Für seine die Moralphilosophie herausfordernde These des histo- ren deutsch-vaterländischen Patriotismus. Mit der Gründung die- gänzt wird die These des Gattungsbruchs und seiner revisionären rischen Universalismus jedoch bietet der Autor mit dem Bezug auf ser Verbindungen wollten sie ihrerseits ihre Zugehörigkeit zur Bedeutung für die Moralphilosophie durch eine umfassende Phä- Nietzsche leider keine wirkliche Klärung, sondern eine seinen deutschen Kultur und Nation demonstrieren. Im Zuge der in- nomenologie der historischen Erfahrung, in der neben dem Ho- Kritikern in die Hände spielende vereinfachende Argumentation: Miriam Rürup nerjüdischen Debatten und mit der Entstehung des Zionismus in locaust andere epochal bedeutsame Geschehnisse wie die mora- Weil das moralische Universum offensichtlich nicht wohlgeordnet Ehrensache. Jüdische Deutschland und Österreich bildeten sich neben diesen deutsch- lische Katastrophe des Holodomor unter Stalin in der Ukraine, ist, sondern eine Pluralität von Moralentwürfen aufweist, schei- Studentenverbindungen an deutschen vaterländischen Verbindungen jüdisch-nationale Korporationen, der Völkermord an den Armeniern durch die jungtürkische Bewe- tern apriorische Moralbegründungen. Nach seiner differenzierteren Universitäten 1886–1937 die sich bald der zionistischen Bewegung anschlossen. Im Mittel- gung sowie das »Massaker von Nanking« in China durch die ja- Begründung in seiner ersten Studie hätte man sich weitere Klä- Göttingen: Wallstein Verlag, 2008, 502 S., punkt der Studie von Miriam Rürup stehen die vielfältigen Fra- panischen Besatzer in ihrer moralisch-kulturellen Bedeutung in- rungen der für seine These grundlegenden Begriffe Begründen, € 40,– gen von Zugehörigkeit: Zugehörigkeit zur deutschen Nation ver- terpretiert werden. Überzeugen, Rationalität und Macht gewünscht. Mit Nietzsche wird sus Zugehörigkeit zur jüdischen Nation sowie die changierenden Vertieft wird dann in der Auseinandersetzung mit der Moralphi- das leider nicht geboten, und so bleibt auch Zimmermanns vielver- Zu den Paradoxien der deutschen Geschich- Bindungen jüdischer Studenten in diesen Feldern. Die ihre For- losophie Nietzsches die These des historischen Universalismus, mit sprechender Begriff der konkret vergleichenden Begründung von te des 19. Jahrhunderts gehört es, dass ge- schungen leitenden Interessen beziehen sich vor allem auf die in- der sich Zimmermann gegen Moralbegriffe absetzt, die von der apri- Moral und sein Verhältnis zum subjektiven Modus der Begründung nau in jener Zeit, als sich die Wirtschaft von den kulturellen Einbin- nerjüdischen Differenzen. orischen Bestimmung des Menschen zur Moral ausgehen. unterbelichtet. dungen und korporativen Hinterlassenschaften der mittelalterlichen Nach einer prägnanten Skizze des akademischen Umfeldes, den Das erste Kapitel soll mit der genannten Auswahl an epochalen Das letzte Kapitel widmet sich der Formulierung eines Begriffs Subsistenzökonomie frei machte, ebendiese Korporationen mitsamt durch den Antisemitismus der christlichen Studenten gebildeten Vo- Erfahrungen die innere Beziehung zwischen moralischen Selbst- historischer Verantwortung im Rahmen einer politischen Ethik. Es ihrem kulturellen Kapital an Ehrenhändeln und martialischen Ri- raussetzungen sowie den innerjüdischen Debatten um Zionismus verständnissen und moralischen Katastrophen explizit machen und geht darum, die kommunikative Macht der universalistischen Moral ten, habituellem Gebaren und gewalttätigen Streitaustragungen im versus Assimilation sowie einem Abriss der Entstehung der ver- erschließt damit den ersten Aspekt der These von der »Moral als in der Konfrontation mit der historischen Gegenwart von moralisch- deutschen Bildungsbürgertum fröhliche Urständ feierten. Im Kon- schiedenen jüdischen Studentenverbindungen geht Rürup den für Macht«: Entgegen pauschalisierenden Interpretationen, die Ausch- kulturellen Katastrophen zu stärken und ihren Zusammenhang an- text der kulturhistorischen Forschungen hat sich die Geschichtswis- sie zentralen Debatten über die Identifi zierungen und Selbsteinschät- witz, den Gulag oder Hiroshima unter dem Vorzeichen einer Tech- gemessen zu institutionalisieren. Die Gegenwart von und damit die senschaft dieses Themas insbesondere am Beispiel des Duellwesens zungen der jüdischen Studenten und ihrem Kampf um Anerkennung nikkritik der Moderne oder ihrer funktionalistisch-instrumentellen Verantwortung gegenüber historischen Geschehnissen bemisst sich oder der Burschenschaften angenommen. Gerade für Letztere konnte nach. Mit der Teilhabe an den verschiedenen Korporationen und der Vernunft deuten, betont Zimmermann den Faktor »Moral« als ge- daran, wieweit sie unser moralisches Selbstverständnis herausfor- gezeigt werden, wie sehr die atavistischen Habitusformen und Ehr- Übernahme der sie bestimmenden Kultur wollten die jüdischen Stu- schichtlich prägende Macht. Damit reduziert er Geschichte nicht auf dern und aktuell wie potenziell unsere moralische Zukunft betref- begriffe in den studentischen Korporationen mit Prozessen der Na- denten sowohl ihr Selbstbewusstsein stärken und ihre Selbstachtung Moral, sondern erschließt für die jeweiligen historischen Konstel- fen. Der Begriff historischer Verantwortung erschließt sich damit aus tionalisierung und Verbürgerlichung der deutschen Gesellschaft im manifestieren als auch dem Antisemitismus im akademischen Mi- lationen die Bedeutung von moralischen Selbstverständnissen. In der Scham über die moralische Verfasstheit des Menschen bzw. sei- 19. Jahrhundert zusammenhingen. Dabei ging es den Studenten im- lieu entgegentreten. einer moralischen Typologie differenziert der Autor zwischen ne moralische Unverfasstheit, seine prinzipielle moralische Trans- mer auch um den Ausweis und die Pfl ege ihrer Männlichkeit. Die Ausführlich schildert Rürup die ritualisierten Umgangsformen universalistischen Integrationsmoralen und partikularistischen formierbarkeit, während die je individuelle oder kollektive Verant- studentischen Korporationen entwickelten sich so zu einer der fol- und die habituellen Verhaltensweisen der jüdischen Korpsstudenten, Erlösungsmoralen und zeigt einleuchtend, inwiefern sich die mo- wortung darin besteht, die jeweiligen historischen Konstellationen genreichsten Sozialisationsinstanzen in Deutschland, die nicht zu- ihren Begriff der Ehre, ihre Praxis des Turnens, Fechtens und Du- ralischen Katastrophen im Kontext einer auf die Befreiung der angemessen moralisch zu bearbeiten. letzt für die Durchsetzung autoritärer Charakterstrukturen verant- ellierens sowie die exorbitante Aufmerksamkeit, die auch jüdische Menschheit von bestimmten Menschengruppen gerichteten Per- Zimmermanns Formulierung einer politischen Ethik der histo- wortlich waren. Die Aufführung und Tradierung der korporativen Studenten dabei Farben, Wimpeln und Schärpen widmeten. Selbst spektive (Nazismus, Bolschewismus, Jungturkismus) oder eines rischen Verantwortung ist wohl weniger kontrovers als die grund- Riten und Gebräuche wurden als Beweis für die Zugehörigkeit zur die exzessiven Trinkrituale hatten sowohl deutsch-vaterländische extremen Verständnisses von göttlicher Auserwähltheit (japa- legende Situierung der universalistischen Moral als Macht in den deutschen Nation und als Inbegriff für die Partizipation an der deut- als auch zionistische Studenten von den christlichen Kommilito- nischer Ethnozentrismus) verstehen lassen. Die Fruchtbarkeit dieses vorangegangenen Kapiteln. Trotz der Unklarheiten bei der Begrün- schen bürgerlichen Kultur gewertet. nen übernommen.

80 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 81 Zeigten sich im Habitus und Ehrbegriff, in der sozialen Praxis Sozialisationsinstanz auf die spezifi schen Werte und Normen des folge, die er freilich nicht der Tatsache zu verdanken hatte, dass er de glanzvoll. Im Mai 1933 stößt er zu der schon emigrierten Fami- und im korporativen Verhalten bemerkenswerte Gemeinsamkeiten korporativen Studentenlebens vorbereitet und eingestimmt wurden. der Sohn von Thomas Mann war, sondern weil er wunderbar schrei- lie und schreibt in sein Tagebuch: »Jetzt ist die Familie das einzige, zwischen deutsch-vaterländischen und zionistischen Studenten – Miriam Rürup hat sich bewusst und dezidiert auf die deutschen ben konnte. was mir geblieben ist; das kann nicht gut gehen […].« beide haben in dieser Hinsicht das gesamte kulturelle Repertoire der Universitäten konzentriert, und doch wäre es interessant, darüber Golo, eigentlich Angelus Gottfried Thomas Mann, war das drit- Bis 1935 ist Golo Mann Lektor für deutsche Sprache und Litera- christlichen Studentenverbindungen übernommen –, so taten sich nachzudenken, warum sich diese atavistische Form studentischen te Kind von Thomas Mann und Katja Pringsheim – Erika und Klaus tur an der École Normale Supérieur in St. Cloud, Paris. In dieser Zeit in den Erziehungszielen und dem Bildungsprogramm zionistischer Gebarens in anderen europäischen Ländern nicht entwickelt hat. Die waren schon da, Monika kam ein Jahr später, Elisabeth und Michael publiziert er nur gelegentlich in seines Bruders Klaus’ Zeitschrift und assimilationsbereiter Studentenverbindungen deutliche Unter- akademischen Korporationen waren in Deutschland in besonderer 1918 und 1919. Golo bewunderte und fürchtete den Vater zugleich, Die Sammlung. 1936 sitzt er wieder bei den Eltern in der Schweiz. schiede auf. Im Unterschied zu den deutsch-vaterländischen Stu- Weise mit dem konservativen und nationalistischen Lager verbunden der offenbar ziemlich lange nichts von ihm hielt. Auch die Bezie- Aber er beginnt mit der Arbeit an der Biografi e über Friedrich von denten nahmen zionistische Korporationen Themen in ihr kulturelles sowie autoritären politischen Haltungen verpfl ichtet. Die an vielen hung zur intelligenten, aber egoistischen Mutter war alles andere Gentz. Vor der Ausbürgerung der ganzen Familie Mann 1936 be- Programm auf, die unmittelbar mit dem politischen Programm des Universitäten Europas zu beobachtende Verbindung von Studenten als herzlich und innig. Er rügte ihren »Mangel an Takt und Einfüh- kommt sie die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Golo Mann Zionismus zusammenhingen: Hebräischkurse und Palästinareisen. mit der sozialistischen Arbeiterbewegung etwa war in Deutschland lungsvermögen, ihren Sadismus, ihre Männlichkeit, ja sogar Bru- betreibt bis 1937 ein Lehramtsstudium in Prag. 1938/39 verbringt Beide Studentenkreise waren in ihren vielfältigen Aktivitäten gänzlich ausgeschlossen. Dies führt zu der Frage, wie jüdische Stu- talität«. So fl üchtete sich der schwermütige Junge in die Literatur er einige Monate bei den inzwischen in Princeton angekommenen und intellektuellen Ambitionen dabei in zwei Felder verwoben, ein, denten unter den politischen und kulturellen Bedingungen ande- und die auch später nie versiegende Gabe, auswendig gelernte Ge- Eltern und kehrt am 2. August 1939, unmittelbar vor Beginn des wie Miriam Rürup es formuliert, »deutsches Feld« und ein »jü- rer europäischer Länder ihre Debatten um Zugehörigkeit und ihren dichte vorzutragen. Mit dreizehn schicken ihn die Eltern ins In- Krieges, nach Zürich zurück, verlässt die Schweiz aber im Mai 1940 disches Feld«, wobei für beide Gruppen sich diese Felder auf un- Kampf um Anerkennung geführt haben. Mit diesen Bemerkungen ternat nach Salem, wo er sich wohler als zu Hause in München und wird in Frankreich interniert. Im September gelingt ihm die terschiedliche Weise überlagerten und überschnitten. und Nachfragen soll aber die Bedeutung und Qualität dieser prä- fühlt. Aber er hat auch dort schwere Depressionen und nimmt, wie Flucht über Spanien und Portugal in die USA. Er lebt erst in Prin- Miriam Rürup spannt in ihrer detailreichen Darstellung einen gnanten und fesselnd geschriebenen Studie in keiner Weise beein- später immer, starke Medikamente. In Salem erlebt er seine erste ceton, dann in Pacifi c Palisades bei den Eltern und schließt 1942 die historischen Bogen von den Gründungen der ersten jüdischen Stu- trächtigt werden. Liebe, macht 1927 Abitur und studiert danach in München, Berlin, Biografi e über Friedrich von Gentz ab. 1942/43 ist er Professor am dentenverbindungen in den 1880er Jahren bis hin zum Ende des jü- Paris und Heidelberg. Er liebäugelt mit später immer geleugneten Olivet College in Michigan und wird dann – inzwischen hat er die dischen Studentenlebens im nationalsozialistischen Deutschland. Ulrich Wyrwa sozialistischen Ideen, von denen er sich indes Mitte der 30er Jah- amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen – zur US-Armee Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse ihrer Studie liegt im Berlin re verabschiedet. Bei Karl Jaspers promoviert er 1932 nicht gera- eingezogen. 1944/45 ist er in London, dann in Luxemburg beim Nachweis des fundamentalen Bruchs, den der Erste Weltkrieg auch für die jüdischen studentischen Korporationen darstellte. Selbst die in den 1920er Jahren so erbittert ausgeführten Konfl ikte zwischen assimilationsbereiten und zionistischen Studenten wurden vor dem Ersten Weltkrieg bei Weitem nicht in dieser Schärfe geführt. Viel- Ein hoffnungsloser Melancholiker fach überschnitten sich die Bindungen und Zugehörigkeitsgefühle Einsicht jüdischer Studenten, wie Rürup an vielen Einzelbeispielen zeigen Bulletin des kann. Selbst der Antisemitismus, immerhin Anlass zur Gründung Fritz Bauer Instituts der eigenen Korporationen, schien in den beiden Jahrzehnten um 1900 hinter die Debatten über Judentum als Konfession versus Ju- Tilmann Lahme dentum als Nation zurückzutreten. Nach dem Krieg aber, so eines Golo Mann. Biographie Hier könnte der zentralen Ergebnisse, begegneten jüdische Studenten einer neu- Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, artigen Form von Antisemitismus, gegen den sie sich auf neuem 2009, 553 S., € 24,95 Ihre Anzeige stehen! Wege zur Wehr setzten. Wie es instruktive und überzeugende Arbeiten auszeichnet, und Anzeigenformate und Preise um eine solche handelt es sich bei der Studie von Miriam Rürup, Umschlagseite U 4 230 x 295 mm + Beschnitt € 950,– bieten sie über ihre unmittelbaren Ergebnisse hinaus Anlass zu wei- Wer möchte schon der Sohn eines weltbe- Umschlagseite U 2 / U 3 230 x 295 mm + Beschnitt € 850,– teren Fragen. Die Mehrheit der jüdischen Studenten schloss sich, rühmten Vaters sein? Wer, was schlimmer Ganzseitige Anzeige 230 x 295 mm + Beschnitt € 680,– wie Rürup selbst festhält, keiner Verbindung an, eine Bemerkung, ist, möchte mit vierundzwanzig Jahren jüdische Großeltern haben, 1/2-seitige Anzeige vertikal 93 x 217 mm € 380,– die betont zu werden verdient und die Frage aufwirft, wie sich or- wenn Hitler die Regierung übernimmt? Und: Wer mochte damals 1/2-seitige Anzeige horizontal 192 x 105,5 mm € 380,– thodoxe jüdische Studenten etwa in dieser Lebensphase verhalten gar homosexuell sein? 1/3-seitige Anzeige vertikal 60 x 217 mm € 300,– haben, eine Gruppe innerhalb des Judentums, auf die Rürup nicht Das alles ist Golo Mann widerfahren, einem von Geburt an 1/4-seitige Anzeige vertikal 93 x 105,5 mm € 250,– eingeht. – 1909 – melancholischen, deprimierten und traurigen Menschen. zuzügl. gesetzl. MwSt. Eine andere Frage bezieht sich auf den der Phase des Universi- Darauf wird der Leser schon durch das gut ausgesuchte Umschlag- Kontakt tätsstudiums vorausgehenden Lebensabschnitt jüdischer Studenten, photo der Riesenbiographie Lahmes aufmerksam gemacht, auf der Manuela Ritzheim ihre Erfahrungen und Prägungen an den deutschen Gymnasien. man einen nachgerade hoffnungslosen Golo Mann auf einer Park- Tel.: 069.798 322-33 [email protected] Aufschlussreich wäre hier, danach zu fragen, wie und auf welchem bank sitzen sieht. Seine Einstellung zum Leben hat sich bis zum Wege die künftigen jüdische Studenten in dieser einschneidenden Ende – 1994 – nicht mehr ändern können, trotz aller – späten – Er-

82 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 83 Radio und wirkt 1945/46 beim Aufbau von Radio Frankfurt mit. ne weitere an der Technischen Hochschule in Stuttgart. Dort ist Go- Fiktive Memoiren einer zusätzliches Kriterium der Beurteilung mit ins Spiel, das nicht aus- Das Gentz-Buch erscheint 1946 auf Englisch, 1947 in der Schweiz lo Mann auch relativ gesellig, macht Ausfl üge – zu Friedrich Sie- zweifelhaften Karriere schließlich ästhetisch geklärt werden kann und mit dem Begriff der auf Deutsch. Nach der Entlassung aus der Armee kehrt Mann im burg zum Beispiel, mit dem er, im Garten spazierend, klassische Ge- »Angemessenheit« nur unzureichend erfasst ist. Pointiert gefragt: Herbst 1946 in die USA zurück und versteckt sich vor der Welt – dichte aus beider Jugendzeit aufsagt. Danach zieht er ins Elternhaus Wird in Altwassers Roman durch die eingenommene Perspektive er braucht Zeit, den Abgrund zu überwinden, den Emigration und nach Kilchberg. Die Feindschaft mit Adorno und Horkheimer bricht die SS verharmlost oder der Holocaust relativiert? Nazi-Deutschland zwischen ihm und Deutschland aufgerissen hat- auf, als sich Golo Mann vergeblich bemüht, Professor in Frankfurt In dieser Hinsicht ist dem Roman nichts vorzuwerfen. Altwas- ten, auch plagt ihn die Einsamkeit des alternden Homosexuellen. am Main zu werden. Zwanzig Seiten braucht Lahme, um schließ- Volker Harry Altwasser ser hat seinen Protagonisten Kurt Schmelz als überaus zwiespäl- Er wird Professor am Claremont College in Kalifornien. Lahme lich resigniert zu sagen: »worauf genau die Feindschaft beruhte, Letzte Haut. Roman tige Gestalt angelegt, und die Darstellung einiger Verbrechen an hebt zu Recht hervor, dass Golo Mann schon 1950 für eine deut- lässt sich kaum noch eindeutig klären« – und der erschöpfte Leser Berlin: Verlag Matthes & Seitz, 2009, Häftlingen gehört sicher zu den überzeugendsten Passagen des Ro- sche Westbindung, für eine vermittelnde Rolle gen Osten und da- wird sich sagen, so genau habe er das Ungenaue nicht wissen wol- 476 S., € 22,80 mans. Strafversetzt an die Ostfront, mutiert Schmelz zur Tötungs- für plädiert hatte, »die Ergebnisse des Weltkrieges samt der Ge- len. Es ist überhaupt eine neue Unsitte, dass die Autoren ihre Bü- maschine, und seine Motivation für die späteren Ermittlungen beruht bietsverluste anzuerkennen«. Tatsächlich aber dauerte es noch bald cher mit allem vollstopfen, was sie recherchiert haben – Lahme ist nicht auf dem Wunsch einer Verbesserung der Haftbedingungen für zwanzig Jahre, bis die Regierung Brandt sich daranmachen konn- ihr auch erlegen. Dennoch hat er ein sehr interessantes und kennt- die Häftlinge, sondern auf Karrierehoffnungen auf eine Position im te, diesen Weg zu gehen. nisreiches Buch geschrieben, das zu lesen lohnt. Justizministerium. Für dieses Ziel geht der idealistische Ankläger Langsam nähert sich Golo Mann seiner alten Heimat wieder an. Golo Mann wendet sich wieder der neuen Ostpolitik zu: Das Der Stoff von Volker Harry Altwassers und vaterlos-autoritätshörige Protagonist über Leichen. Er will Karriere machen. Aber er ist natürlich wegen seiner Herkunft Glück der Bundesrepublik gehe auf Kosten der Ostdeutschen. 1971 historischem Roman Letzte Haut ist zwei- Die fi ktive Rahmenhandlung zeigt Schmelz Jahrzehnte später als Emigrant der ersten Stunde ohne deutsche Universitätslaufbahn erscheint seine voluminöse Wallenstein-Biografi e, 1.368 Seiten, von fellos aufsehenerregend. Ein SS-Richter er- an der Hautkrankheit Morbus Behcet leidend, die er selbst aller- sehr behindert, was ihm das Leben in dem reaktionären Deutsch- der sich 280.000 Exemplare verkaufen. Lahme sagt zu Recht: »Das mittelt, ausgestattet mit einem Geleitbrief Heinrich Himmlers, ab dings als Folge einer Schuld interpretiert, die er während des Nati- land der ersten Nachkriegszeit schwer macht. Zweimal will ihn die war das eine: der Wallenstein als literarisches Kunstwerk; das ande- 1943 in Buchenwald und anderen Konzentrationslagern gegen der onalsozialismus auf sich geladen hatte. In seiner Wohnung liegend, Universität Heidelberg selbst als Gastprofessor nicht haben. Für re: die Biographie als streng wissenschaftliches Buch.« 1973 wird Korruption verdächtige Angehörige der SS. Erzählt wird aus der von seiner Frau verlassen, reißt er sich die Haut vom Leib. Der Dra- Kiel indes möchte ihn der Althistoriker Alfred Heuß seit 1951 ge- Mann in den Orden »Pour le Mérite« aufgenommen. Im Herbst Perspektive des Rückblicks, den Kurt Schmelz, wie Altwasser sei- maturgie eines Kriminalromans folgend, wird erst im letzten Drit- winnen. Nun aber zeigt sich, dass es auch dort große Widerstände 1986 erscheint noch Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in nen nach dem historischen Vorbild Konrad Morgen (1909–1982) ge- tel des Romans schließlich offenbart, worin die Schuld des Rich- gibt: Für einen richtigen wissenschaftlichen deutschen Historiker Deutschland. Aber eines bleibt: »Es ist die höhere Heiterkeit, die stalteten Protagonisten nennt, auf seine Ermittlungen als SS-Richter ters bestand. Um Kochs wichtigsten Mittäter, den Lagerarzt und schreibt Golo Mann zu gut. Lahme geht diesen skandalösen Kieler mir fehlt. Bei mir ist’s, wenn es am besten ist, die höhere Traurig- wirft. Im Zentrum dieser Erinnerungen steht die Vorbereitung eines SS-Hauptsturmführer Waldemar Hoven (1903–1948), zu überfüh- Vorgängen minutiös nach und entdeckt, dass sich – neben anderen – keit.« Er erlebt noch den Zusammenbruch der DDR. Am 7. April Verfahrens gegen den ehemaligen Lagerkommandanten von Buchen- ren, hatte Schmelz/Morgen angeordnet, vier sowjetischen Kriegs- selbst Hans Rothfels, nach Deutschland zurückgekehrter Emigrant, 1994 stirbt er. wald, Karl Koch, der nicht nur der im großen Stil betriebenen Verun- gefangenen das von Hoven benutzte Gift zu injizieren und so des- ziemlich eindeutig gegen Golo Manns Berufung ausgesprochen hat- treuung von »Reichsgütern« – gemeint sind den Häftlingen geraubte sen Morde durch weitere Morde zu beweisen. Tatsächlich ließ der te. Er wird nicht berufen. Auch die Züricher Weltwoche kündigt die Heinrich Senfft Wertgegenstände –, sondern auch des nicht befohlenen Mordes an historische Konrad Morgen vier Häftlinge töten, worüber sich auch Beziehung zu Mann fristlos: zu wenig Kalte-Kriegs-Töne, zu viele Hamburg/London Häftlingen sowie vor allem an Mitgliedern des Wachpersonals ver- ein Hinweis in Eugen Kogons Der SS-Staat (1946) fi ndet. Morgen Reklamationen der ideologisierten Leser. dächtigt wird. Tatsächlich wurde Koch noch vor der deutschen trat später sowohl bei den Nürnberger Prozessen als auch im Frank- Schon 1953 hatte Golo Mann einen Buchvertrag über die Kapitulation aufgrund der von Morgen und seinen Mitarbeitern furter Auschwitz-Prozess als Zeuge auf, ohne selbst jemals ange- »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts« abgeschlos- vorbereiteten Anklage von einem SS-Gericht verurteilt und hin- klagt zu werden. sen, aber es hält sich hartnäckig die Legende, richtig zu schreiben gerichtet. Diese historische Randnotiz zum Holocaust erscheint so In seiner 1936 publizierten Dissertation Kriegspropaganda und habe er sich erst nach dem Tod des Vaters im August 1955 getraut. spektakulär wie unheimlich, wird hier doch die Frage nach dem Kriegsverhütung hatte Morgen nicht nur den Zusammenhang zwi- Golo Mann hat dieser Version Futter gegeben, als er in einem Brief Rechtsverständnis eines SS-Richters aufgeworfen, der gegen seine schen Macht und Rechtsprechung thematisiert, sondern auch eine schrieb: »Unvermeidlich musste ich seinen Tod wünschen.« Am En- eigene Organisation ermittelt, ohne jedoch deren eigentliche Ver- Apologie des nationalsozialistischen Völkerrechts verfasst. Der an- de ist es doch keine Legende: Der Schatten des Vaters war sicher brechen zu verfolgen. fangs vom Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam propagier- überwältigend. Seine 1958 erschienene Deutsche Geschichte ist ein Die Literaturkritik in Deutschland hat auf Altwassers von sei- te Verzicht auf Kriegshandlungen gilt ihm als »weltanschaulich be- wunderbares, intelligentes und gut geschriebenes Buch. Aber es hat nem Gegenstand her monströsen Text zwiespältig reagiert, darin gründet« und damit als zeitlos gültig. Der Nationalsozialismus ha- keine Anmerkungen – wie soll man da in Deutschland eine akade- vergleichbar der Debatte um Jonathan Littells Roman Die Wohl- be seinen »Heroismus der Aufopferung nach innen getragen«, und mische Karriere machen? Golo Mann war nicht der rechte Mann für gesinnten (dt. 2008). So wurde dem 1969 in Greifswald geborenen obwohl dieser angeblich niemanden bedrohe, entwirft Morgen die die Bundesrepublik. Duldete man ihn am Ende nur aus schlechtem späteren Absolventen des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig Vorstellung einer Kraft, durch die das deutsche Volk in der Lage Gewissen, weil er Emigrant und Sohn von Thomas Mann war? Die attestiert, sowohl eine geschmacklose Parodie auf den Holocaust sei, eine »Welt von Feinden in den Staub« zu werfen – und damit Geschichte des 19. und 20 Jahrhunderts war ein nicht nur gutes, geschrieben zu haben als auch ein mutiges Buch. Beide Wertur- nichts anderes als das bekannte Muster vom Krieg aus Notwehr. sondern auch sehr erfolgreiches (400.000 Exemplare plus 550.000 teile beziehen sich auf Kategorien, die nicht primär von der Ästhe- Auf den wenigen Seiten, mit denen Altwasser aus der Sicht eines Taschenbücher) und sehr politisches Buch. Lahme sagt es: »litera- tik des Textes ausgehen, sondern auf das vermeintliche Skandalon von Schmelz imaginierten Enkels – einer forcierten Verwässerung risch, lesbar wie ein guter Roman«. reagieren, dass hier eine Täterperspektive konstruiert wird. Freilich der Erzählperspektive – auf die Dissertation eingeht, wird sie dage- 1958/59 und 1959/60 bekommt Golo Mann immerhin eine bringt die literarische Darstellung einer vergangenen Wirklichkeit, gen als ein vehementes Plädoyer für die Trennung von politischer Gastprofessur in Münster, schließlich zum Wintersemester 1960 ei- insbesondere einer erinnerungspolitisch aufgeladenen, immer ein Führung und Justiz gedeutet. Das Beispiel lässt sich als Illustrati-

84 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 85 on heranziehen für das geringe Interesse Altwassers an einer Re- in Episoden auf, die ihre Verknüpfung erst im Verlauf der Hand- tätssuche nicht ein. Aus einem gedruckten Interview erfährt die Mut- Ein Fall der zweiten Generation konstruktion der ideologischen Vorstellungen Konrad Morgens. Am lung fi nden. ter, dass die Tochter sich seit ihrem 13. Lebensjahr intensiv mit jü- wenigsten aber zu überzeugen vermag die Entscheidung, im Kapi- Die junge deutsche Pädagogin lernt auf ihrer ersten Reise nach dischen Fragen auseinandersetzt und wie belastend die Familienbe- tel über Schmelz’ Erfahrungen an der Ostfront lauter Landser nach Israel Yoram in einem Kibbuz kennen. Die beiden verlieben sich dingungen für sie sind. »Ihre Mutter sei das Eine und der Vater das deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts zu benennen – wie den Rot- und beziehen in Frankfurt am Main eine gemeinsame Wohnung, wo Andere, und das gehe oft nicht zusammen, das sei wie Fisch und tenführer Grass, den Schützen Walser oder den Kanonier Köppen. bald die Tochter Vered geboren wird. Yoram hat gerade sein Archi- Vogel«, berichtet Clara aus dem Interview. (S. 138) Clara spürt die Lizzie Doron Das Verdienst des Romans besteht gleichwohl in der eindrücklichen tekturstudium abgeschlossen und beginnt eine Karriere in einem re- große Distanz zu der heranwachsenden Tochter. Sie leidet darunter, Es war einmal eine Familie. Roman Darstellung einer außergewöhnlichen Täterbiografi e, die Ambiva- nommierten Architekturbüro. Seine Eltern sind deutscher Herkunft während Yoram die Sache nicht so tragisch zu nehmen scheint. In Aus dem Hebr. von Mirjam Pressler. lenzen zulässt, letztlich aber dem aus der aktuellen Täterforschung und haben sich in Palästina/Israel kennengelernt, wo Yoram zur Israel bereitet Vered den Übertritt zum Judentum vor, von dem die Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag, 2009, bekannten Muster von Idealismus und Karrierestreben folgt. Welt gekommen war. Gegen seinen Wunsch und den seiner Mutter Eltern erst im Nachhinein erfahren: »Kurz bevor sie aus Israel zu- 143 S., € 16,80 ist die Familie nach Deutschland zurückgekehrt, wo der inzwischen rückkam, rief sie an. ›Mama, ich hab’s geschafft, ich bin jetzt eine Hans-Joachim Hahn verstorbene Vater, Rechtsanwalt Max Schemes (ursprünglich Son- richtige Jüdin.‹« (S. 140) Leipzig nenschein), sich vor allem mit Wiedergutmachungsangelegenheiten Turbulente Zeiten folgen. Jeder hält seine großen Probleme und beschäftigte. Clara erfährt wenig über Yorams Familie, erst nach die Bemühungen, sie zu bewältigen, vor den anderen geheim. Clara Es war einmal eine Familie ist der zweite Ro- und nach und häufi g in Krisensituationen werden ihr Einzelheiten fährt heimlich nach Auschwitz und liest alle greifbaren Bücher über man der israelischen Autorin Lizzie Doron. über Verfolgung, Flucht, Deportation und die schwierige Rückkehr die Shoah. Sie will mehr wissen über die Taten ihres Vaters und der Dass er erst jetzt, nach ihrem vierten, Der Anfang von etwas Schönem nach Deutschland berichtet, und sie erfährt mehr über die Traumata, SS-Leute, mit denen er als Lazarettarzt in Polen zu tun hatte. Sie er- (2007), in der deutschen Übersetzung von Mirjam Pressler vorliegt, von denen Aliza heimgesucht wird. Clara selbst hat ein großes Be- leidet einen totalen Zusammenbruch. Die schwangere Tochter ver- scheint in der gewählten Erzählstruktur der Schiwa, der siebentägi- »Es ist alles nicht so einfach, dürfnis, Yoram über die Haltung ihrer Eltern im Nationalsozialis- lässt ihren Freund, nimmt Drogen und trinkt und landet in der Kli- gen jüdischen Totenwache, begründet zu sein, die hierzulande weit- wie du vielleicht denkst« mus aufzuklären. Sie weiß nur wenig, und als sie sich genauer da- nik. Yoram verkriecht sich in seine Arbeit und sucht sich eine Ge- gehend unbekannt ist. für interessiert, Verbindungen zwischen der Verfolgung der Juden liebte. Die Familie scheint an der »Last der Geschichte« zu zerbre- Zunächst weist Es war einmal eine Familie Parallelen zu Dorons und dem Handeln ihres Vaters zieht, als sie unbekannte Fotos fi n- chen und fi ndet doch wieder zueinander, aber man ahnt, dass die gelobtem Erstling Warum bist Du nicht vor dem Krieg gekommen? det und recherchiert, muss sie lernen, dass sie mit Halbwahrheiten nächste Erschütterung kommen wird. auf, der in Israel mittlerweile als Schullektüre empfohlen wird. Wie- und Lügen aufgewachsen ist. Die letzten 45 Seiten des Buches tragen die Überschrift »Epi- der ist die Erzählerin Elisabeth, die Tochter der Shoah-Überleben- Ulrike Kolb Die Spannung erhält der Roman durch die Schwankungen der log« und beinhalten das Nachdenken der Tochter Vered über ihre in- den Helena. Nach dem Tod der Mutter 1990 kehrt Elisabeth in das Yoram. Roman kleinen Familie zwischen höchstem Glück, Selbstsicherheit, ge- nige Beziehung zu der Großmutter Aliza, die ihr kurz vor dem Tod Haus zurück, in dem sie am Rande von Tel Aviv allein mit ihrer Mut- Göttingen: Wallstein Verlag, 2009, 296 S., meinsamer Überwindung von psychischen und alltäglichen Schwie- noch viel über das Leben ihrer Familie in Berlin vor der Zeit des Na- ter aufgewachsen ist. Es befi ndet sich in einem Viertel, in dem in den € 19,90 rigkeiten und Ausbrüchen, Einsamkeit, Angst, Unehrlichkeit und tionalsozialismus erzählt, über die Hachscharah und die Auswande- 1950er und 1960er Jahren fast ausschließlich Überlebende der Shoah Verzweifl ung. Nichts ist einfach. Die beiden sind überzeugt, dass rung nach Palästina und die sehr schwere Rückkehr nach Deutsch- mit ihren in Israel geborenen Kindern lebten. In den sieben Tagen der die »Last der Geschichte« ihre Liebe nicht erdrücken wird, aber land. Vered berichtet weiter von ihrer Beziehung zu Marcel, dem Va- Totenwache kommen ehemalige Nachbarn und Freunde ins Haus. In sie geraten immer wieder bei Einladungen von Freunden, in Ge- ter des inzwischen geborenen David, den sie verlassen hat. In Israel den Erzählungen der Besucher und Elisabeths eigenen Erinnerungen sprächskreisen, in Alltagsdingen unerwartet in Situationen, die gelingt es ihr, sich für das Kind und auch für Marcel zu entscheiden. werden ihre Kindheit und die Menschen des Viertels wieder lebendig. »Es ist alles nicht so einfach, wie du viel- Yoram nicht aushalten kann. Die Tochter ist die Hoffnung für die Damit fi ndet der Roman ein zukunftsgerichtetes Ende. Da sind: Efraim, der Lebensmittelhändler, der stolz darauf ist, leicht denkst«, sagt Yoram zu Clara in gemeinsame Zukunft. Vered entwickelt eine besondere Nähe zu Meine Empfehlung ist, diesen Roman zweimal zu lesen. Beim dass sein Sohn keinen Hunger kennen wird; der Nachbar Joschi Po- einem ungemütlichen Restaurant, in dem sie während eines spon- Yorams Mutter, zeigt großes Interesse für ihre Geschichte und er- ersten Lesen konzentriert man sich unweigerlich darauf, die Fami- stawski, der das ganze Jahr hingebungsvoll die Blumen in seinem Vor- tanen Wochenendes in Paris gelandet sind. Ausgerechnet dort hat fährt hierüber mehr von ihr als Clara. Stärker als seine Frau bindet liengeschichte zu verstehen, Claras Gedanken zu folgen und die garten pfl egt, um sie am Shoah-Gedenktag alle auszureißen; die Mut- Yoram das Bedürfnis, ihr zu erzählen, dass und warum seine Mut- die Tochter Yoram an die Familie und bestätigt immer von Neuem Rückblenden einzuordnen. Das ist spannend genug, obwohl man ter, die ihrem Kind verbietet, sich zu waschen, weil sie Angst hat, der ter Aliza gegen ihre Verbindung war. Und er gesteht ihr, »er wisse die Richtigkeit seiner Entscheidung, in Frankfurt am Main bzw. manchmal zweifelt, ob so viel »Last der Geschichte« in einer klei- aufsteigende Wasserdampf sei Gas. Beschrieben wird die schmerzhaf- im Moment so vieles nicht, was ihm noch vor Kurzem gewiss er- später in Berlin mit einer Deutschen zusammenzuleben. Zweifel da- nen Familie kulminieren kann. Beim zweiten Lesen dann kann der te Normalität traumatisierter Leben, denn: »Wer von dort entkommen schien« (S. 109). Dieses Gespräch, das damit endet, dass Clara weg- ran plagen ihn häufi g. Er durchlebt sie sehr existenziell, muss sich Leser sich auf die feinsinnige Sprache konzentrieren, Claras Fein- ist, muss weiterleben, auch wenn er tot ist.« (S. 141) Obwohl fast kei- geht und durch Paris irrt, ist charakteristisch für die Problematik der zurückziehen, trennen, nach Israel fahren, das andere Land auf sich fühligkeit, die Art der tiefen Liebe, das Verständnis und die Ge- ner der Shoah-Überlebenden über seine Erlebnisse spricht, sind die- deutsch-israelisch-jüdischen Beziehung, um die es in diesem Ro- wirken lassen und sich dort mit Freunden beraten. Alle drei Haupt- duld wie auch die Beschreibung von Angst, Verlust, Differenz. Der se und ihre Folgen allgegenwärtig. man von Ulrike Kolb geht. personen nutzen die beibehaltene Wohnung Alizas in Tel Aviv als Roman ist ein bewegender Gang durch eine verwirrende deutsch- Erstmals wird erzählt, wie deren Traumata vor dem eigenen Tod Clara blickt zurück auf die Achterbahn eines fast drei Jahr- einen Ort der Besinnung, des Suchens und Findens, der Trauer und israelisch-jüdische Nachkriegsgeschichte, die normalerweise nur erneut aufbrechen. Im Krankenhaus verlangt die Mutter der Erzäh- zehnte dauernden gemeinsamen Lebens, zu dem neben ihrem des Weitermachens. auf der einen oder anderen Seite, selten auf der einen und ande- lerin ohne physische Atemnot verzweifelt nach Sauerstoff. Sie kann Mann Yoram auch ihre und Yorams Mutter und die Tochter Ver- Ungetrübt und unbelastet von den Spannungen bleibt das Le- ren erlebt wird. erst beruhigt werden, als die Tochter dafür sorgt, dass ihr noch ein- ed gehören. Hin und wieder bezieht sie sich auf Aufzeichnungen ben der Tochter nicht. Sie spürt die Belastungen, unter denen die mal die Haare blondiert werden und sie eine Sonnenbrille erhält, um und Notizen, die sie sich früher gemacht hat, oder Erinnerungen Eltern stehen, und muss sie oft teilen. Vered selbst sucht eine Ent- Helga Krohn die dunklen Augen zu verbergen: »›Danke‹, fl üsterte sie, und um kein tauchen unvermittelt auf. Das löst den Roman an vielen Stellen scheidung, wohin sie gehört, bezieht die Eltern aber in die Identi- Frankfurt am Main Missverständnis aufkommen zu lassen, erklärte sie mir mit letzter

86 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 87 Nachrichten und Berichte Information und Kommunikation

Kraft: ›Ich möchte sterben, ich will nur nicht, dass die Nazis mich wieder Auschwitz‹, zischte ich wütend.« (S. 22) Trotzdem wird die Aus dem Institut umbringen.‹« (S. 20) Wahrheit der Kinder sehr deutlich am Ende des Romans benannt. Die Kinder des Viertels wachsen in einer Atmosphäre des Es ist eine Außenstehende, die sie im Krankenhaus nach dem Tod Materialsuche Schweigens auf, ohne die Schrecken, die sie umgeben, verstehen der Mutter in Form einer »Diagnose« ausspricht. Nachdem Elisa- Fritz Bauer Archiv zu können. Heimlich beobachten sie die verzweifelten Menschen, beth zu Protokoll gibt: »Ich habe nichts zu erinnern und nichts zu die sich nachts schreiend und weinend auf den Straßen des Vier- vergessen. Meine Mutter hat nie irgendetwas erzählt«, antwortet die tels versammeln und die Namen der ermordeten Familienmitglie- Sozialarbeiterin fast lapidar: »Herr Doktor, wir haben hier einen Fall In der Braunschweiger Zei- der rufen. der zweiten Generation.« (S. 143) Deutlich benennt es aber auch die tung vom 23. Juni 2009 er- Seit den 1960er Jahren untersucht die psychologische und psy- Erzählerin selbst, wenn sie sich gegen die Tröstungsversuche einer schien in der Serie »Zeitzeugen« ein Arti- choanalytische Forschung die Auswirkungen der Traumata der Freundin der Mutter, Tante Itta von Theresienstadt, zur Wehr setzt. kel von Henning Noske über eine hochbe- Überlebenden der Shoah auf ihre Kinder. Namenlose Ängste über- Als diese wohlmeinend sagt: »Was man nicht weiß, tut einem nicht tagte Bürgerin, die in den 1950er Jahren tragen sich auf die nächste Generation. Für viele ist das Leben ge- weh«, bricht aus Elisabeth die Wahrheit der zweiten Generation her- Fritz Bauer kennen und schätzen gelernt prägt von unbewussten Versuchen, die Traumata der Eltern selbst zu aus: »Was man nicht weiß, tut erst recht weh!« (S. 94) hatte. Bauer war von 1950 bis 1956 Gene- erleben.1 Auch in der Literatur hat man sich mit diesem Phänomen Lizzie Doron hat mehrfach berichtet, wie schwer es ihr fi el, ralstaatsanwalt in Braunschweig gewesen beschäftigt und in oft quälenden Bildern die Folgen für die Identi- anzuerkennen, zu dieser zweiten Generation zu gehören. Nach und und hatte »im sozialdemokratischen Um- tätsentwicklung der Kinder von Überlebenden nachgezeichnet, un- nach macht sie deren Erfahrungen zum Thema ihres Schreibens. In feld Braunschweigs«, wie Noske schreibt, ter anderen David Grossman, Amir Gutfreund, Jessica Durlacher, ihrem vierten Roman, Der Anfang von etwas Schönem (2007), hat die Zeitzeugin und ihren Ehemann, einen Carl (Carolina) Friedman. sich Doron ganz auf die Biografi en dreier Kinder von Überleben- Journalisten, getroffen. Bauer freundete sich Doron ist dabei eine Diskretion in der Beschreibung eigen. Sie den konzentriert. Der besprochene Roman ist ein Schritt auf dem mit dem Ehepaar an und schrieb, meist aus lässt Elisabeth nüchtern erzählen, als sei sie sich der Schrecken, die Weg dorthin. dem Urlaub oder auf Reisen, Karten und sie beschreibt, nicht ganz bewusst. Umso stärker ist die emotionale Briefe. Die Dokumente sowie ein bislang Wirkung auf die Leser. Trotzdem ist es ein warmherziger Ton, we- Birgit Maria Körner unbekanntes Foto Bauers aus dem Jahr 1950 niger ironisch als im ersten Buch, der geprägt ist von nachträgli- Gießen (Foto links) sind sorgfältig aufbewahrt wor- chem Verständnis. Es geht Doron, selbst Tochter einer Überleben- den. Fritz Bauer hatte wenige Freunde. Die den namens Helena, vor allem um die Erinnerung. Das Gedenken, er hatte, hat er nie vergessen; gelegentlich das alle ihre Bücher prägt, ist in Es war einmal eine Familie durch teilte er sich ihnen auch in Briefen vertrau- die Struktur der Schiwa besonders zentral. Sie lässt die Erzählerin ensvoll mit. entdecken, dass sie kein Kind war, das außer der Mutter ohne Ver- Der Artikel von Henning Noske über wandte aufgewachsen ist. Das ganze Viertel war ihre Familie. Die- die treue Freundin Bauers zeigt, dass da und se tröstliche und zugleich schmerzliche Identitätsfi ndung bildet den dort noch Hinterlassenschaften von Fritz Fokus des Romans. Rekonstruiert wird keine idealisierte Familie, Bauer zu fi nden sein werden. sondern eine beschädigte mit all ihren Toten. Das Fritz Bauer Institut bittet alle, die Das Neue für Dorons Werk ist, dass das Erleben der Kinder über Briefe, Postkarten, Fotos etc. von Fritz eine stärkere Betonung erfährt. Zwar werden deren Gefühle von Bauer verfügen, sich zu melden. Das Fritz Wut und Scham gegenüber den Eltern weiterhin selten themati- Bauer Institut hat größtes Interesse, die Do- siert. »Ich stand neben meiner Mutter, erloschen« (S. 21), heißt es kumente zu erwerben oder in Kopie zu er- einmal, als die Mutter bei der Bank ihre Adresse mit »Auschwitz, halten. Helfen Sie uns, ein Fritz Bauer Ar- Baracke 2, gegenüber dem Krematorium« angibt, oder: »›Schon chiv aufzubauen!

Kontakt Fritz Bauer Institut 1 Vgl. hierzu Martin S. Bergmann, Milton E. Jucovy (Hrsg.), Generations of the Werner Renz, Archiv und Bibliothek Holocaust. New York: Basic Books 1982 (dt.: Kinder der Opfer, Kinder der Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main Täter. Psychoanalyse und Holocaust. Frankfurt am Main: S. Fischer 1995); Tel.: 069.798 322-25, Fax: 069.798 322-41 Dina Wardi, Memorial Candles. Children of . London u.a.: [email protected] Tavistock/Routledge 1992 (dt.: Siegel der Erinnerung. Das Trauma des Holocaust. Psychotherapie mit Kindern von Überlebenden. Stuttgart: Klett-Cotta Fritz Bauer 1997); Ilani Kogan: The Cry of Mute Children. A Psychoanalytic Perspective of Braunschweig 1950 the Second Generation of the Holocaust. London u.a.: Free Association Books 1995 (dt.: Der stumme Schrei der Kinder. Die zweite Generation der Holocaust- Opfer. Frankfurt am Main: S. Fischer 1998).

88 Rezensionen Einsicht 02 Herbst 2009 89 Aus dem Institut schungs- und Lehrtätigkeit sind die Ideen-, war er zu einem Forschungsaufenthalt in Aus dem Förderverein derschaft eine Rückkehr des antijüdischen Rechts- und Migrationsgeschichte. den USA (New York University, YIVO In- Ressentiments? Hätte der deutsche Papst Intellektueller Personalien 1993 absolvierte Belkin das Ge- stitute for Jewish Research, New York und Mitteilungen auf seiner Israelreise im Frühsommer 2009 Neuer wissenschaftlicher schichtsstudium in der Ukraine. 1999 be- Harvard University, Cambridge). 2008 er- Bericht des anders über die Katastrophe des Holocaust Widerstand Mitarbeiter kam er den M.A. in Geschichte und Philo- schien seine Monografi e Gäste, die bleiben: Vereinsvorstands und die Mitschuld der katholischen Kirche sophie und promovierte 2000 in Geschichte Vladimir Solov’ev, die Juden und die Deut- an der mörderischen Geschichte des Antise- im Dritten Reich (Universität Tübingen). Belkin beschäftigt schen (Philo-Verlag, Hamburg). mitismus sprechen sollen? Heinrich Lçtzeler Seit Anfang August 2009 sich seitdem mit jüdischer, russischer und Dimitrij Belkin ist Kurator der Ausstel- Im Namen des Vorstands Diese Fragen bilden einen kleinen Aus- und der Nationalsozialismus verstärkt der Historiker europäischer Geschichte, unter anderem am lung »Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch- bedanke ich mich auch in schnitt aus der kontroversen Diskussion um Dr. Dmitrij Belkin die wissenschaftliche Ar- Tübinger Institutum Judaicum und am Max- russische Einwanderung in die Bundesre- dieser – zweiten – Ausgabe des aus unserer das Verhältnis von Christen und Juden in von Frank-Lothar Kroll beit des Instituts im Bereich Zeitgeschichts- Planck-Institut für europäische Rechtsge- publik«, die im Frühjahr 2010 im Jüdischen Sicht sehr gelungenen Bulletins des Fritz den letzten beiden Jahren. Dabei wurden forschung. Schwerpunkte seiner For- schichte in Frankfurt am Main. 2007–2008 Museum Frankfurt eröffnet wird. Bauer Instituts im neuen Gewande für das in der katholischen Kirche bereits für über- Frontispiz; 141 S. 2008 Engagement und das Interesse der Mitglieder wunden geglaubte Positionen und Strö- h978-3-428-12822-8i A 16,80 des Fördervereins an der Tätigkeit und den mungen wieder gestärkt. Dies ist Anlass zahlreichen Aktivitäten des Fritz Bauer In- für den Förderverein des Fritz Bauer Insti- Kontakt stituts. Wir hoffen auch weiterhin auf Ihre tuts, zu einer Veranstaltung zu diesem The- Fritz Bauer Institut wohlwollende Unterstützung des Förderver- ma einzuladen. Wir freuen uns, zwei kom- Dr. Dmitrij Belkin eins und damit auch des Fritz Bauer Instituts. petente Referenten gewonnen zu haben. Grüneburgplatz 1 60323 Frankfurt am Main Die nächste Mitgliederversammlung des Dr. Norbert Reck ist mit einer Viel- Tel.: 069.798 322-60 Fördervereins fi ndet am Samstag, 23. Janu- zahl an Veröffentlichungen zu den Anfor- Fax: 069.798 322-41 ar 2010, 13.00 Uhr im IG Farben-Haus auf derungen einer heutigen Theologie nach [email protected] dem Campus Westend der Frankfurter Uni- Auschwitz und zur Auseinandersetzung mit versität statt. Auch zu unserer Veranstaltung den Tätern in der deutschen Theologie nach »Christen und Juden – ein Beitrag zu aktu- 1945 hervorgetreten. Als Redakteur der in- ellen Diskussionen« (siehe Ankündigung un- ternationalen theologischen Fachzeitschrift ten) laden wir Sie herzlich ein. An beiden Concilium ist er verantwortlich für deren Terminen, zu denen Sie noch gesondert an- deutschsprachige Ausgabe. Rabbinerin Eli- ¹Schon frçh lehnte der Kunstkritiker Hein- geschrieben werden, würde ich mich freuen, sa Klapheck hat mehrere Veröffentlichungen rich Lçtzeler (1902 ± 1988) den National- viele unserer Mitglieder begrüßen zu können. zur jüdischen Geschichte und Gegenwart in sozialismus ab. Am 15. Juli 1931 wies er in der ,Deutschen Reichszeitung` die vom Deutschland und Europa vorgelegt. Als Rab- NSDAP-Chefideologen Alfred Rosenberg Für den Vorstand binerin lehrt sie in Amsterdam und Frank- am Vortag in der Bonner Beethovenhalle Brigitte Tilmann (Vorsitzende) furt. Durch Auftritte bei Kirchentagen und vorgetragene Rassenlehre zurçck. Die Ausfçhrungen seien wissenschaftlich anderen Veranstaltungen ist sie mit dem unzulånglich, stellten eine ,Vergætzung »christlich-jüdischen Dialog« vertraut. von Blut und Macht` und eine ,Instinkt- Christen und Juden Wir hoffen auf eine lebendige Diskus- verwilderung` dar. [ . . . ].ª Ein Beitrag zu aktuellen sion mit unseren beiden Referenten und auf Rainer Blasius, in: FAZ, 3. 3. 2009 eine grundlegende Auseinandersetzung zur Diskussionen Bestimmung des Verhältnisses von Christen Frank-Lothar Kroll skizziert den Lebens- und Juden in Deutschland heute. weg und das publizistische Engagement des Bonner Philosophen und Kunstwissen- Donnerstag, 29. Oktober 2009, 19.00 Uhr schaftlers in der Zeit der nationalsozialisti- Goethe-Universität, IG Farben-Haus, Raum 411 Kontakt schen Diktatur. Ab 1933 beraubten ihn die Veranstaltung des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. braunen Machthaber schrittweise seiner Auf dem Podium: Elisa Klapheck (Rabbinerin) Manuela Ritzheim und Dr. Norbert Reck (Theologe) Grüneburgplatz 1 akademischen Rechte, entfernten ihn 1940 Moderation: Klaus Schilling und David Schnell 60323 Frankfurt am Main aus dem Universitåtsdienst und versuchten Tel.: 069.798 322-39 zuletzt, ihn durch Rede- und Schreibver- Sollen Katholiken am Kar- Fax: 069.798 322-41 bote zum Schweigen zu bringen. freitag für die Bekehrung [email protected] Dmitrij Belkin der Juden beten? Bedeutet die Annäherung www.duncker-humblot.de Foto: privat zwischen katholischer Kirche und Piusbru-

90 Nachrichten und Berichte Einsicht 02 Herbst 2009 91 Aus Kultur und Wissenschaft am Main. Der zeitliche Schwerpunkt um- dem ehemaligen jüdischen Bethaus des All- Das Gedenkbuch ist kein abgeschlos- Das digitale Archiv »Zwangsarbeit Bettina Schaefer (Hg.) fasst zunächst 1870/71 (jüdische Gleichstel- gemeinen Krankenhauses, am Campus der senes Werk, vielmehr Dokument und An- 1939–1945« bewahrt die Erinnerung an über Lass uns über Online-Datenbank lung, Beginn der modernen jüdischen Pfl ege Universität Wien (Hof 6) aufbewahrt. lass zur Erinnerung. Es wird weiter ergänzt zwölf Millionen Menschen, die für das na- Auschwitz Jüdische Pfl egegeschichte in Frankfurt) bis 1945 (Ende der NS-Zeit). An der Universität Wien wurden im werden. Trotz intensiver wissenschaftlicher tionalsozialistische Deutschland Zwangs- sprechen Die in der Datenbank gesammelten und auf- Jahr 1938 – mit der Machtübernahme des Recherchen sind diese Namensliste und die arbeit geleistet haben. 590 Zeitzeugen aus Gedenkstätte in Frankfurt am Main Museum Lass uns über bereiteten Materialien bilden die Basis für Nationalsozialismus – über 2.700 vorwie- begleitende ergänzende Online-Datenbank 26 Ländern erzählen ihre Lebensgeschich- Friedhof: Auschwitz den geplanten Webauftritt. Zudem bieten sie gend jüdische Angehörige der Universität nicht vollständig, nicht abschließbar, son- ten in 393 Audio- und 190 Video-Interviews. sprechen Das Forschungsprojekt »Jü- einen reichhaltigen Fundus für pfl egehisto- aus »rassischen« und/oder »politischen« dern befi nden sich in einem offenen For- Transkripte, Kurzbiografi en und weitere Do- dische Pflegegeschichte/ rische Forschungsarbeiten sowie Studien aus Gründen entlassen und in der Folge ver- schungsprozess, der in der Zukunft hoffent- kumente wie Fotografi en ergänzen das Zeit- Gedenkstätte – Museum – Friedhof: Begegnungen mit dem Weltkulturerbe Auschwitz 340 S., € 29,90, Pb. Herausgegeben von Bettina Schaefer Jewish Nursing History – Biographien und anderen Fachrichtungen. trieben und/oder ermordet. Dies betraf Leh- lich auch die Namen jetzt noch nicht be- zeugenarchiv. Das Projekt ist eine Koope- mit Fotos, ISBN Vorwort von Micha Brumlik Brandes & Apsel Institutionen in Frankfurt am Main« geht Das Forschungs- und Publikationspro- rende, Studierende, Verwaltungsmitarbeiter kannter und genannter Opfer des National- ration der Stiftung »Erinnerung, Verantwor- 978-386099391-0 online. Zum öffentlichen Start der Website jekt wird von Vertreterinnen und Vertretern sowie über 200 Absolventen, denen ihr aka- sozialismus zutage fördern wird und sie da- tung und Zukunft« mit der Freien Universität Auschwitz ist auch im 21. Jahrhundert mit der www.juedische-pfl egegeschichte.de wur- Frankfurter Institutionen wie dem Institut demischer Grad aberkannt wurde. mit Teil dieses Gedenkbuches werden lässt. Berlin und dem Deutschen Historischen Mu- deutschen und europäischen Geschichte verbun- den wie kein anderer Ort. Wie Erinnerung und den am 24. Juni 2009 in der Fachhochschu- für Stadtgeschichte, dem Jüdischen Muse- Seit einigen Jahren startet die Universi- Die Projektverantwortlichen sind dankbar seum. Seit Januar 2009 sind die Interviews Gedenken für die deutschen, aber auch für die le Frankfurt am Main die Ergebnisse der um und dem Dezernat für Kultur und Wis- tät Wien Initiativen, um die vielschichtigen für entsprechende Hinweise. und die weiteren Materialien über die Onli- jährlich ca. 1,2 Millionen Besucher aus aller Welt Forschung zur jüdischen Frankfurter So- senschaft der Stadt Frankfurt begleitet. Die Dimensionen des Nationalsozialismus an ne-Plattform »www.zwangsarbeit-archiv.de« lebendig gehalten werden, stellt dieser Band dar. zialgeschichte vorgestellt. Das internetge- Schirmherrschaft hat die Oberbürgermeiste- der eigenen Institution aufzuarbeiten. Zahl- Kontakt für Bildung und Wissenschaft zugänglich. Alice Salomon stützte Wissensnetzwerk präsentiert span- rin der Stadt Frankfurt am Main, Dr. h.c. reiche Projekte wurden bereits umgesetzt, Forum Zeitgeschichte der Universität Wien Im Rahmen der Zusammenarbeit wird Lebens- nende Lebensläufe, Orte und Wissenswertes Petra Roth, übernommen. so zum Beispiel das Forschungsprojekt Spitalgasse 2–4, 1. Hof, A-1090 Wien der ITS nun vor allem biografi sche Daten zu erinnerungen Tel.: +43.1.427 717 530, Fax: .427 794 12 zur jüdischen Sozial- und Pfl egegeschichte »Vertreibung der Studierenden 1938«, das den Beschäftigungszeiten und -orten der in- & Apsel Brandes Jugendjahre [email protected] Sozialreform in Frankfurt am Main. Kontakt Provenienzforschungsprojekt der Universi- www.univie.ac.at/universitaet/forum-zeitgeschichte terviewten Zeitzeugen liefern können. Da- Frauenbewegung In der jüdischen Religion und Sozial- Fachhochschule Frankfurt am Main tätsbibliothek, die historische und künstle- neben kann der ITS Originaldokumente in Exil ethik ist die Krankenpfl ege (»Bikkur Cho- Dokumentationsstelle Pfl ege, Hilde-Steppe-Archiv rische Kontextualisierung des »Siegfrieds- Online-Gedenkbuch digitaler Form zur Verfügung stellen und Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer http://gedenkbuch.univie.ac.at lim« = Krankenbesuch) von besonderer Be- kopfes« oder die Gedenkveranstaltung an- damit die Erschließung des Bestandes der Alice Salomon Nibelungenplatz 1, 60318 Frankfurt am Main Lebens- deutung, weil sie der Bewahrung und Heili- Tel.: 069.153 326 15 lässlich der Aberkennung und Wiederverlei- Sammlung unterstützen. »Die Dokumen- erinnerungen 368 S., € 29,90 gung des Lebens dient. Spätestens seit der [email protected] hung akademischer Grade. te zeugen von der ungeheuren Dimension Jugendjahre • Sozialreform • Frauenbewegung • Exil Frz. Br., ill., ISBN Errichtung des Judenghettos im 15. Jahrhun- www.juedische-pfl egegeschichte.de 2009 erinnert die Universität Wien mit der Zwangsarbeit, bieten aber auch ganz 978-3-86099-119-0 dert existiert in Frankfurt am Main eine orga- dem Gedenkbuch an dieses Unrecht, und sie Aus Kultur und Wissenschaft konkrete Informationen über die Lebens- »Das Buch besticht als Vergegenwärtigung der Entwicklung einer Frau, die einen lebenslangen nisierte jüdische Krankenpfl ege, die erst der ist sich zugleich der Mitverantwortung für bedingungen der Arbeiter, ihren Einsatz in sozialreformerischen und emanzipatorischen Nationalsozialismus gewaltsam beendete. das unfassbare Leid bewusst, das den An- Kooperation bestimmten Regionen oder bei einzelnen Elan mit Weltoffenheit verband.« (Frankfurter Rundschau) Wissenschaftlich begleitet von Prof. Dr. Aus Kultur und Wissenschaft gehörigen der Universität Wien damals zu- Online-Archiv Arbeitgebern«, erläuterte ITS-Archivleiter med. Eva-Maria Ulmer (FH-Studiengang gefügt wurde. Die Namen der entlassenen, zur Zwangsarbeit Udo Jost. Alle Bereiche des Wirtschaftsle- Joachim Carlos Martini Pfl ege), befassen sich die Sozial- und Kul- Gedenkbuch und vertriebenen und entrechteten Frauen und bens, Bergbau, Industrie, Landwirtschaft, Musik turwissenschaftler Dr. Birgit Seemann (in- Männer sind darin verzeichnet. Verwaltung oder Handwerk, bedienten sich als Form Online-Datenbank geistigen haltliche und textliche Gestaltung, Quellen Opfer des National- Neben dem handschriftlichen Werk Die Freie Universität Ber- damals der Zwangsarbeiter. Widerstandes und Archivalien) und Edgar Bönisch M.A. umfasst das Projekt auch die Online-Daten- lin und der Internationale Der Internationale Suchdienst in Bad Jüdische Joachim Carlos Martini (inhaltliche Gestaltung und Audiovisuelle sozialismus an der bank »Gedenkbuch für die Opfer des Na- Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen werden Arolsen ist eines der weltweit größten NS- Musikerinnen und Musik Musiker 1933-1945 Widerstandes Medien) mit der Aufarbeitung der jüdischen Universität Wien 1938 tionalsozialismus an der Universität Wien bei der Erschließung des Online-Archivs Archive. Es dokumentiert das Schicksal von Das Beispiel Jüdische Musikerinnen und Musiker 1933-1945 Frankfurt am Main Das Beispiel Pfl egegeschichte in Frankfurt am Main. Un- 1938«. Diese umfasst derzeit rund 2.200 »Zwangsarbeit 1939–1945. Erinnerungen Millionen ziviler Opfer des nationalsozia- Frankfurt am Main

Bd. 1 ca. 300 S. Texte, Bilder, Dokumente terstützt werden sie von Mitarbeiterinnen Am Dienstag, 30. Juni 2009, Namen von Betroffenen. Bisher konnten die und Geschichte« zusammenarbeiten. »Wir listischen Regimes. Insgesamt lagern im Ar- ca. € 29,90, geb. und Mitarbeitern der Bibliothek und inte- wurde das Gedenkbuch für Namen von 1.770 der rund 2.230 vertrie- erhoffen uns aus dem umfangreichen Ar- chiv des ITS über 6,7 Millionen Dokumente mit Fotos, ISBN Brandes & Apsel ressierten Wissenschaftlerinnen und Wis- die Opfer des Nationalsozialismus an der benen Studierenden festgestellt werden und chiv des ITS wertvolle Informationen zum allein zum Thema Zwangsarbeit. Dazu zäh- 978-386099620-1 senschaftlern aus Fachbereichen der Fach- Universität Wien 1938 der Öffentlichkeit prä- die Namen von 234 Personen, die von der Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und len unter anderem Arbeitsbücher, Kranken- Eine reich illustrierte zweibändige Dokumentation der Verfolgung aber auch des Widerstandes hochschule Frankfurt am Main. sentiert. Die Namen von 2.200 Betroffenen, Aberkennungen ihrer akademischen Gra- Zwangsarbeiter während des Nationalsozi- akten, Versicherungsunterlagen sowie An- jüdischer Musikerinnen und Musiker in Frankfurt In Kooperation mit der Medienagentur der entlassenen, vertriebenen und entrechte- de betroffen waren, sowie rund 200 Namen alismus«, sagte Professor Dr. Nicolas Apo- gaben von Behörden, Krankenkassen und am Main unter der Naziherrschaft. Da Frankfurt BEIBOB (Darmstadt) wurde eine Datenbank ten Frauen und Männer, sind im Gedenkbuch von vertriebenen ProfessorInnen und Do- stolopoulos, Projektleiter am Center für Di- Arbeitgebern. »Wir freuen uns, wenn wir die neben Berlin das Zentrum jüdischen Musiklebens in Deutschland war, hat Martinis Werk aufgebaut mit Informationen zu Personen, handschriftlich verzeichnet. Das Gedenkbuch zentInnen. Mit der Online-Version des Ge- gitale Systeme (CeDiS), das zusammen mit Aussagekraft der Zeitzeugeninterviews in exemplarische Bedeutung. Orten, Gebäuden, Institutionen und Quel- wird in einer Glasvitrine im Denkmal Marpe denkbuches sind Namen und Biografi en Be- dem Osteuropa-Institut an der Freien Uni- dem Online-Archiv mithilfe unserer Doku- www.brandesapselverlag.de len jüdischer Pfl egegeschichte in Frankfurt Lanefesch (übersetzt: Heilung für die Seele), troffener weltweit einsehbar. versität Berlin das Online-Projekt umsetzt. mentation untermauern können. Die Schil-

92 Nachrichten und Berichte Einsicht 02 Herbst 2009 93 derungen der Zeitzeugen sind das lebendi- aus dieser Tätigkeit werde ich beim ITS gut Aus Kultur und Wissenschaft politische Bildung an der TU Berlin; Werner Der deutschsprachige Onlinekurs für ge Gedächtnis an ein mörderisches System einsetzen können«, so Urban. Beim Inter- Imhof, Experte für Zeitzeugengespräche Lehrerinnen und Lehrer befasst sich mit der der Ausbeutung und Ausgrenzung«, so Jost. nationalen Suchdienst wird die Historikerin Online-Dossier und Oral History; Annegret Ehmann, His- altersgerechten Vermittlung des Holocaust Für die Freie Universität Berlin sei es die Forschung in dem seit November 2007 Lernen aus torikerin und Gedenkstättenpädagogin in der schulischen und außerschulischen Die ganze die erste derartige Kooperation mit dem der Öffentlichkeit zugänglichen Archiv vor- der Geschichte Das Dossier ist abrufbar unter: Bildung. Nach zwei Einheiten zum pädago- ITS, sagte Professor Apostolopoulos. »Wir anbringen und konkrete Forschungsprojek- www.bpb.de/lernen-aus-der-geschichte gischen Ansatz und Konzept Yad Vashems Geschichte gehen davon aus, dass weitere folgen wer- te anregen. Der Aufbau von Kontakten und Die vollständigen Texte sind auch als werden in insgesamt sechs Einheiten Unter- den.« Auch Professorin Gertrud Pickhan, Kooperationen zu wissenschaftlichen Ein- Mehr als sechs Jahrzehnte PDF-Reader zum Download verfügbar: richtsmaterialien für die Jahrgangsstufen 4 einer wissenschaftliche Leiterin des Projekts am richtungen und Gedenkstätten sowie der nach den Verbrechen des www.bpb.de/fi les/SG18BT.pdf bis 10 vorgestellt. Alle Unterrichtsmateri- Osteuropa-Institut der Freien Universität, Ausbau der wissenschaftlichen Bibliothek Nationalsozialismus fi nden wir immer we- alien werden Ihnen vor Beginn des Kurses beispiellosen erhofft sich für die Zukunft den Aufbau ei- gehören mit zu ihren Aufgaben. »Auch im niger Zeitzeugen, die aus erster Hand über Kontakt zugeschickt bzw. können im Rahmen des nes Forschungsnetzwerkes zur Geschichte Bereich der pädagogischen Arbeit sehe ich ihre Erlebnisse berichten können. Wie Ju- Bundeszentrale für politische Bildung Onlinekurses runtergeladen werden. der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. einen künftigen Schwerpunkt meiner Tätig- gendliche die Geschichte dennoch auf le- Daniel Kraft, Stabsstelle Kommunikation Anmeldeschluss: 11. Oktober 2009 Karriere Adenauerallee 86, 53113 Bonn keit«, kündigte Urban an. bendige Weise erfahren und erforschen kön- Tel.: 0228.995 15-200, Fax: -293 Kursbeginn: 1. November 2009 Kontakt Weitere Stationen auf dem Lebensweg nen, zeigt das Online-Dossier »Lernen aus [email protected] Weitere Informationen: http://www1.yad- Freie Universität Berlin der Historikerin waren das Jüdische Muse- der Geschichte – Projektarbeit zum Natio- www.bpb.de vashem.org/yv/en/education/languages/ger- Center für Digitale Systeme (CeDiS) um Frankfurt am Main und die Hebräische nalsozialismus« der Bundeszentrale für po- man/courses/index.asp Katja Egli, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Tel.: 030.838 537 05 Universität in Jerusalem. Zudem hat sie seit litische Bildung. [email protected] 1995 Lehraufträge zur Geschichte des Na- Historisch-politische Bildung zum Na- Kontakt www.cedis.fu-berlin.de tionalsozialismus sowie des europäischen tionalsozialismus will nicht nur Informa- Aus Kultur und Wissenschaft Uriel Kashi Judentums an mehreren Universitäten tionen über Ereignisse, Namen und Daten Yad Vashem , The International School for Holocaust Online-Plattform Studies, European Department www.zwangsarbeit-archiv.de und Bildungseinrichtungen übernommen. vermitteln. Vielmehr sollen Lernende ange- Onlinekurs P.O.B 3477, Jerusalem 91034, Israel Urban blickt auf zahlreiche Vorträge und regt werden, dieses Wissen zu refl ektieren Der Holocaust Tel: +972.2.644 36 53, Fax: .644 36 49 Veröffentlichungen in Zeitschriften und und es mit ihrer Gegenwart zu verbinden. im Unterricht [email protected] Fachpublikationen zurück. Ihr Studium ab- Das Lernen aus der Geschichte soll das Ler- Aus Kultur und Wissenschaft solvierte die gebürtige Frankfurterin an der nen über die Geschichte ergänzen. Technischen Universität Darmstadt und der Von der Spurensuche vor Ort oder Ar- Yad Vashem bietet ab dem ITS Bad Arolsen Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ihre chivarbeit bis hin zu Simulationsspielen oder 1. November 2009 wieder Aus Kultur und Wissenschaft Susanne Urban neue Dissertation zum Thema »Abwehr von An- WebQuests, der spielerisch-spannenden Re- einen Onlinekurs an: »Der Holocaust im tisemitismus« schloss sie im Jahr 2000 an cherche im Internet – in insgesamt 23 Texten Unterricht: Lernen über Dilemmata, Ent- Jüdisches Museum Forschungsleiterin 912 Seiten|€ 34,95 [D] der Universität Potsdam ab. werden projektorientierte Methoden sowie ex- scheidungen und Handlungsoptionen.« Franken Auch als E-Book erhältlich »Wir freuen uns, dass wir mit Dr. Su- emplarische Konzepte und Erfahrungen aus Yad Vashem, 1953 in Jerusalem eröffnet, Neue Aussichten – Die Historikerin Dr. Susan- sanne Urban eine renommierte Wissen- der schulischen und außerschulischen Praxis ist »Israels zentrale Gedenkstätte für Holo- Macht und Möglichkeiten der ne Urban hat den Bereich schaftlerin für den Internationalen Such- vorgestellt. Didaktische Hintergrundtexte er- caust und Heldentum«. In den vergangenen Changing Views Industriellendynastie Flick waren der Forschung beim Internationalen Such- dienst gewinnen konnten«, sagte ITS-Di- läutern, wie historisch-politische Bildung zum Jahrzehnten sind auf dem Campus ein inter- stets aufs Engste mit der Politik dienst (ITS) in Bad Arolsen übernommen. rektor Jean-Luc Blondel. »Sie ist eine aus- Nationalsozialismus mehr leisten kann als In- nationales Forschungszentrum, Archive und Das Jüdische Museum Fran- verknüpft. Ihre Skandale erregten Urban trat damit die Nachfolge von Dr. Irm- gewiesene Expertin auf dem Gebiet der NS- formationsvermittlung über Ereignisse, Na- Objektsammlungen, Museen und Denkmale ken in Fürth eröffnete am trud Wojak an, die im März 2009 zur Grün- Verfolgung. Daher bin ich mir sicher, dass men und Daten. Es werden Voraussetzungen entstanden. Aufgrund der zentralen Bedeu- 16. Juli neue Abteilungen in seiner Dauer- immer wieder die Öffentlichkeit. dungsdirektorin des NS-Dokumentations- sie wichtige Impulse für die Forschung im und geeignete Rahmenbedingungen beschrie- tung der pädagogischen Vermittlung des Ho- ausstellung. Es schließt und erweitert damit Flick ist ein Lehrstück über skrupel- zentrums in München berufen worden war. Archiv des ITS geben wird.« ben, unter denen Projektarbeit dazu beitragen locaust wurde 1993 die Internationale Schu- die historische Darstellung des vielfältigen losen Kapitalismus und ein glänzend »Die Aufgabe reizt mich außerordentlich«, kann, dass Lernende ihr Wissen refl ektieren le für Holocaust-Studien (ISHS) gegründet. jüdischen Lebens in Franken von seinen An- geschriebenes Buch zur deutschen sagte Urban zum Amtsantritt. »Die Doku- Kontakt und mit ihrer Gegenwart verbinden, damit aus Eine Aufgabe der ISHS ist die Entwicklung fängen bis in die Gegenwart. Geschichte im 20. Jahrhundert. mente im Archiv des ITS bieten für die For- Internationaler Suchdienst (ITS) dem Lernen aus der Geschichte das Lernen von Unterrichtsmaterialien. Diese werden in Die neuen Abteilungen vermitteln ein- Dr. Susanne Urban Leseprobe auf schung interessante Perspektiven.« über die Geschichte wird. verschiedenen Sprachen und speziell zuge- dringlich eine Zeit, die sich im Spannungs- Große Allee 5–9, 34454 Bad Arolsen www.blessing-verlag.de Zuletzt war die 41-Jährige als Mitar- Tel.: 05691.629 320, Fax: .629 501 Zu den Autorinnen und Autoren zählen schnitten auf die jeweiligen Länder und teils feld von Heimat und Exil, Tradition und beiterin der Gedenkstätte Yad Vashem in [email protected] unter anderen: Hanns-Fred Rathenow, Pro- in Kooperation mit Absolventen unserer Se- Anpassung, Vernichtung und Neubeginn Deutschland tätig. Ihr Aufgabenschwer- www.its-arolsen.org fessor für Didaktik der Sozialkunde und Ge- minare erarbeitet. Seit 2008 bietet die Abtei- bewegt. Der Schwerpunkt der Ausstellungs- punkt lag in der Förderung der Bildungsar- schäftsführender Direktor des Instituts für lung für deutschsprachige Länder außerdem erweiterung liegt im 19., 20. und 21. Jahr- beit über den Holocaust. »Die Erfahrungen Gesellschaftswissenschaften und historisch- einen Onlinekurs an. hundert. Anhand von biografi schen Einbli-

94 Nachrichten und Berichte Einsicht 02 Herbst 2009 95 3653_flick-einsicht02-60 x 217_sw.indd 1 15.09.2009 14:33:15 Uhr Ausstellungsangebote Wanderausstellungen des Instituts cken, neuen und bekannten Objekten sowie Seite stärker Jugendliche russischer oder ten, die für Träger im deutsch-israelischen men (Format: 100 x 70 cm), 15 Vitrinen, 6 mit mehreren Medienstationen erzählen die äthiopischer Herkunft einbeziehen und der Austausch ein Mehr an Information und Einspielstationen, 2 Installationen und Le- neuen Abteilungen unter anderem von einer Teilnahme arabischer Jugendlicher mehr Auf- Qualifi kation für die praktische Arbeit be- semappen zu ausgesuchten Einzelfällen. Für verbotenen Liebe während der NS-Zeit und merksamkeit widmen? Wie müssten deutsch- deuten. Geplant sind folgende vier Projekte: jede Ausstellungsstation besteht die Mög- von einem Fürther Brückenbauer in Ameri- israelische Begegnungskonzepte aussehen, › Gemeinsam mit deutschen und israelischen lichkeit, interessante Fälle aus der Region ka, von der Deportation jüdischer Waisen- die in der interkulturellen Zusammensetzung Jugendlichen werden Jugendinformationen in das Konzept zu übernehmen. kinder, vom Exil in Schanghai und einem der heutigen Jugend beider Länder gerecht erarbeitet, die zunächst für deutsche Ju- bergjüdischen Neuanfang in Deutschland. werden? Welche Herausforderungen birgt gendliche Lust und Interesse auf das Ken- Zur Ausstellung sind erschienen Viele dieser Leihgaben und Schenkungen das gemeinsame Erinnern an die Shoah mit nenlernen Israels wecken sollen. › ein Ausstellungskatalog in der Reihe s-se- kommen erstmalig zur Ausstellung. Sie bie- jungen Menschen unterschiedlich kulturel- › Eine Sprachanimation in Deutsch, Hebrä- lecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hes- ten dem Besucher die einmalige Gelegen- ler Herkunft? Und wie überhaupt können wir isch und Arabisch soll Teilnehmerinnen Legalisierter Raub sen-Thüringen, der zum Preis von € 5,– heit, eine ereignisreiche Zeit auf unmittel- den deutsch-israelischen Jugendaustausch und Teilnehmern deutsch-israelischer Pro- Der Fiskus und die (aktualisierte und erweiterte Neuaufl age bar-persönlichem Wege zu erfahren. stärker dem Kontext multikultureller Gesell- gramme spielerisch an Grundbegriffe der Ausplünderung der Juden 2008) in der Ausstellung erworben wer- schaften in Deutschland und Israel öffnen? jeweiligen Sprachen heranführen, damit den kann. Kontakt ein Minimum an gemeinsamer Kommu- in Hessen 1933–1945 › eine Materialmappe, herausgegeben von Jüdisches Museum Franken Tagungsort und Unterbringung nikation in den jeweiligen Muttersprachen der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Königstraße 89, 90762 Fürth NH Hotel Berlin Potsdam ermöglichen und vielleicht zu weiterem Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts Lich und dem Fritz Bauer Institut, zur Vor- Tel.: 0911.770 577, Fax: 0911.741 789 6 Zehlendorfer Damm 190 Sprachenlernen anregen. und des Hessischen Rundfunks. und Nachbereitung eines Ausstellungsbe- [email protected] 14533 Kleinmachnow, Berlin www.nh-hotels.de › Praktische und methodische Anregungen Mit Unterstützung der Hessischen Landes- suches kann von Schulen unentgeltlich an- zur Planung und Durchführung deutsch- regierung und der Sparkassen-Kulturstif- gefordert werden bei der Ernst-Ludwig Kontakt israelischer Programme sollen in einem tung Hessen-Thüringen. Chambré-Stiftung, c/o Klaus Konrad- Aus Kultur und Wissenschaft ConAct – Koordinierungszentrum zweisprachigen Handbuch zusammenge- Leder, Birkenstraße 37, 35428 Langgöns, Deutsch-Israelischer Jugendaustausch Christine Mähler fasst werden. Geplant ist, dies mit der Be- Bisherige Ausstellungsstationen [email protected]. Vielfalt wagen? Altes Rathaus, Markt 26 reitstellung konkreter Materialien-Pakete Felsberg/Schwalm-Eder-Kreis, Limburg (2007) Einzelexemplare können zum Preis von 06886 Lutherstadt Wittenberg zu verknüpfen. Hanau, Groß-Gerau, Friedberg (2006) € 8,50 bezogen werden bei: Booxpress, Deutsch-israelischer Berlin, (2005) Tel.: 03491.420-260, Fax: -270 › Neueinsteiger in den deutsch-israelischen Verlag der Druckwerkstatt Fernwald, Austausch mit Jugend- [email protected] Wiesbaden, Wetzlar, Kassel, Fulda (2004) www.ConAct-org.de Jugend- und Fachkräfteaustausch sollen Darmstadt, Gießen (2003) Hauptstraße 26, 35463 Fernwald. lichen unterschiedlich perspektivisch die Möglichkeit zur Teil- Frankfurt am Main, Marburg (2002) › Susanne Meinl, Jutta Zwilling: Legalisier- kultureller Herkunft Israel Youth Exchange Council nahme an einem bilateralen Seminarpro- ter Raub. Die Ausplünderung der Juden Ariella Gill gramm erhalten, welches eine inhaltlich In Vorbereitung im Nationalsozialismus durch die Reichs- 11, Asparagus St., Tel Aviv, 67949, Israel 12. März bis Ende Oktober 2010 Vom 9. bis 13. November Tel.: +972.3.696 93-90, Fax: -82 tiefer gehende Auseinandersetzung mit Bevölkerung Hessens im »Dritten Reich«. fi nanzverwaltung in Hessen. Frankfurt am Studienzentrum der Finanzverwaltung und Justiz 2009 veranstaltet ConAct [email protected] dem jeweils anderen Land ermöglicht. Sie zeigen aber auch, dass die sogenann- Main, New York: Campus Verlag, 2004, Josef-Durstewitz-Straße 2–6 www.youthex.co.il in Berlin ein bilaterales Fachseminar für Für die Prozesse der Erarbeitung dieser 36199 Rotenburg a. d. Fulda te »Arisierung jüdischer Unternehmen« nur 748 S., € 44,90, Wissenschaftliche Reihe Verantwortliche deutsch-israelischer Aus- Materialien ist die Zusammenarbeit mit im Workshop für Lehrkräfte: Mittwoch, 10. März, 14.30 Uhr die »Spitze des Eisbergs« gewesen ist: In des Fritz Bauer Instituts, Band 10. tauschprogramme. Austausch involvierten Trägern und Ak- Eröffnung: Donnerstag, 11. März, 16.00 Uhr enger Kooperation zogen unterschiedliche › der Film DER GROSSE RAUB des hr-Fern- Mehr als 50 Jahre der Begegnung zwi- tiven sowie mit dem Israel Youth Exchange Dienststellen in den Finanzbehörden und sehens von Henning Burk und Dietrich schen jungen Deutschen und Israelis haben Aus Kultur und Wissenschaft Council geplant. Gern nehmen wir Erfah- der Zollfahndung gemeinsam mit der Ge- Wagner ist als Video zum Preis von € 15,– eine Menge unterschiedlicher Programme, rungen, Hinweise und Anregungen entge- Die Ausstellung »Legali- stapo und anderen Organisationen Sparbü- in der Ausstellung und über den hr-Shop Erfahrungen und Erfolge hervorgebracht. Neue Horizonte gen, die uns hilfreich sein können. sierter Raub. Der Fiskus cher, Devisenguthaben oder Wertpapierde- im Hessischen Rundfunk erhältlich. Die zumeist im Zentrum stehende Begeg- Deutsch-israelischer und die Ausplünderung der Juden in Hessen pots jüdischer Bürger ein. All dies geschah nung jüdischer Israelis mit Herkunftsdeut- Jugend- und Kontakt 1933–1945« basiert auf den Forschungser- in gesetzlich legalisierten Aktionen. Kontakt schen birgt neben ihrer gewachsenen Selbst- ConAct – Koordinierungszentrum gebnissen einer Auswertung von Aktenbe- Ausstellungskonzept: Dr. Bettina Fritz Bauer Institut, Katharina Stengel verständlichkeit immer noch zahlreiche Fachkräfteaustausch Deutsch-Israelischer Jugendaustausch ständen der hessischen Finanzbehörden, Leder-Hindemith (Hessischer Rundfunk), Tel.: 069.798 322-30, Fax: 069.798 322-41 Altes Rathaus, Markt 26 [email protected] Herausforderungen. 06886 Lutherstadt Wittenberg die sich im Hauptstaatsarchiv in Wiesba- Dr. Susanne Meinl, Katharina Stengel und Hessischer Rundfunk, Dr. Bettina Leder-Hindemith Was aber passiert, wenn deutsche Jugend- »Neue Horizonte im Tel.: 03491.420-260, Fax: -270 den befi nden. Die gesichteten Devisenak- Stephan Wirtz (Fritz Bauer Institut). Päda- Tel.: 069.155-40 38 liche türkischer, italienischer oder rus- deutsch-israelischen Ju- [email protected] ten, Steuerakten, Vermögenskontrollakten, gogische Begleitung: Gottfried Kößler und [email protected] sischer Herkunft Teilnehmerinnen und Teil- gendaustausch« – unter diesem Label plant www.ConAct-org.de Handakten jüdischer Rechtsanwälte usw. Katharina Stengel (Fritz Bauer Institut). www.legalisierter-raub.hr-online.de nehmer deutsch-israelischer Austauschpro- ConAct, in der Zeit von 2009 bis 2011 spezi- belegen eindrucksvoll den gesetzlich lega- Die Ausstellung kann weiter ausgelie- gramme sind? Oder wenn wir auf israelischer fi sche Materialien und Angebote zu erarbei- lisierten Raub von Eigentum der jüdischen hen werden. Sie besteht aus circa 60 Rah-

96 Nachrichten und Berichte Einsicht 02 Herbst 2009 97 Publikationen Verzeichnis der lieferbaren Titel

Ein Leben aufs neu Verlag Christian Brandstätter, Wien 1995, tografi en verwendet, die von der SS anläss- Fritz Bauer Institut (Hg.) Das Robinson-Album 128 S., 133 Abb. (leider vergriffen). lich des Besuchs von Heinrich Himmler in Grenzenlose Vorurteile Virtuelle Ausstellung der TU-Darm- Auschwitz am 17. und 18. Juli 1942 ange- Antisemitismus, Nationalismus und ethnische Konfl ikte DP-Lager: Juden auf deut- in verschiedenen Kulturen stadt, »Jüdische Überlebende in Frankfurt- fertigt wurden. Die Bildebene erzählt also Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Irmtrud schem Boden 1945–1948 Zeilsheim«: www.geschichte.tu-darmstadt. durchgängig die Tätergeschichte, der Blick Wojak und Susanne Meinl. Campus Verlag, Frankfurt de/ueberlebende-zeilsheim auf die Fabrik und damit die Technik stehen am Main/New York, 2002, 304 S., 30 Abb., € 24,90, Die Ausstellung porträtiert im Vordergrund. Die Text ebene hingegen ISBN 3-593-37019-0; Jahrbuch 2002, Band 6 das tägliche Leben und die wird durch die Erzählung der Überlebenden Fritz Bauer Institut (Hg.) Arbeit der Selbstverwaltung eines Lagers bestimmt, wenn auch häufi g ein Thema aus Im Labyrinth der Schuld für jüdische Displaced Persons in der ame- der Sicht von Überlebenden und Tätern be- Täter – Opfer – Ankläger rikanischen Besatzungszone: das DP-Lager handelt wird. Die gesamte Ausstellung ist als Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Irmtrud Die IG Farben und das Wojak und Susanne Meinl. Campus Verlag, Frankfurt Frankfurt- Zeilsheim. Der Fotograf Ephraim Konzentrationslager Montage im fi lmischen Sinn angelegt. Der am Main/New York, 2003, 364 S., 20 s/w Abb., Robinson, der selbst als DP in Zeilsheim Buna/Monowitz Betrachter sucht sich die Erzählung selbst € 29,90, ISBN 3-593-37373-4; Jahrbuch 2003, Band 7 war, fertigte nach seiner Einwanderung in aus den Einzelstücken zusammen. Um die- die USA ein Album an. Wirtschaft und Politik se Suche zu unterstützen, werden in Heftern Fritz Bauer Institut (Hg.) Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Die Ausstellung führt über das vertraut im Nationalsozialismus Quellentexte angeboten, die eine vertiefen- Das Fritz Bauer Institut ver- Jahrbuch zur Hälfte des 20. Jahrhunderts scheinende Medium des Albums in ein den de Lektüre ermöglichen. Daneben bietet das öffentlicht mehrere Publika- Geschichte und Wirkung Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Irmtrud meisten Menschen unbekanntes und von vie- Das Konzentrationslager der Fritz Bauer Institut einen Reader zur Vorbe- tionsreihen, darunter das Jahrbuch und die des Holocaust Wojak und Susanne Meinl. Campus Verlag, Frankfurt len verdrängtes Kapitel der deutschen und IG Farbenindustrie AG in reitung der Ausstellung an. Wissenschaftliche Reihe, jeweils im Cam- am Main/New York, 2004, 340 S., € 29,90, ISBN 3-593-37282-7; Jahrbuch 2004, Band 8 jüdischen Nachkriegsgeschichte ein: Foto- Auschwitz ist bis heute ein Symbol für die Die Ausstellung besteht aus 57 Rahmen pus Verlag, und die Schriftenreihe, die in grafi en von Familienfesten und Schulunter- Kooperation zwischen Wirtschaft und Poli- (Format: 42 x 42 cm) sowie einem Lage plan verschiedenen Verlagen erscheint. Daneben Fritz Bauer Institut (Hg.) Fritz Bauer Institut (Hg.) richt, Arbeit in den Werkstätten, Sporttour- tik im Nationalsozialismus bis hinein in die des Lagers Buna/Monowitz und der Stadt gibt es Publikationsreihen, die im Eigenver- Überlebt und unterwegs Gesetzliches Unrecht neen, Zeitungen und Theater, Manifestati- Vernichtungslager. Die komplexe Geschich- Auschwitz/Oświęcim. lag verlegt sind, darunter die Pädagogischen Jüdische Displaced Persons im Rassistisches Recht im 20. Jahrhundert Nachkriegsdeutschland Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Micha onen eines »lebn afs nay«, das den Schre- te dieser Kooperation, ihre Widersprüche, Die Ausstellung entstand aus Anlass Materialien und die Reihe Konfrontationen. Red.: Jacqueline Giere, Hanno Loewy, Werner Renz Brumlik, Susanne Meinl und Werner Renz. cken nicht vergessen macht. ihre Entwicklung und ihre Wirkung auf die des weltweiten Treffens der Überlebenden Video-Interviews, Ausstellungskataloge und und Irmtrud Wojak. Campus Verlag, Frankfurt am Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2005, Ein gemeinsames Projekt des Fritz Nachkriegszeit (die Prozesse und der bis von Buna/Monowitz im ehemaligen Ver- andere Einzelveröffentlichungen ergänzen Main/New York 1997, 382 S., € 24,90, ISBN 3-593- 244 S., € 24,90, ISBN 3-593-37873-6; Jahrbuch 2005, Bauer Instituts mit dem Jüdischen Museum in die Gegenwart währende Streit um die waltungsgebäude der I.G. Farben vom 20. das Publikations-Portfolio des Instituts. Ei- 35843-3; Jahrbuch 1997, Band 2 Band 9 München (Maximilianstr. 36, 1989–1998). IG Farben in Liquidation), wird aus unter- bis 22. Oktober 1998 in Frankfurt am Main. nige Titel sind bereits vergriffen und des- Fritz Bauer Institut (Hg.) Fritz Bauer Institut, Jugendbegegnungsstätte Zur Ausstellung ist ein Katalog in schiedlichen Perspektiven dokumentiert. Konzeption: Gottfried Kößler, Recher- halb in diesem Verzeichnis nicht aufgeführt. »Beseitigung des jüdischen Einfl usses …« Anne Frank (Hg.) der Schriftenreihe des Fritz Bauer Insti- Strukturiert wird die Ausstellung durch Zi- che: Werner Renz, Gestaltung: Werner Lott. Eine komplette Aufl istung aller bisher er- Antisemitische Forschung, Eliten und Karrieren im Neue Judenfeindschaft? tuts (Band 8) erschienen: Jacqueline Giere, tate aus der Literatur der Überlebenden, Unterstützt von: Conference on Jewish Ma- schienenen Publikationen des Fritz Bau- Nationalsozialismus Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem Red.: Andreas Hofmann und Irmtrud Wojak. Campus globalisierten Antisemitismus Rachel Salamander (Hrsg.), Ein Leben die zu den einzelnen Themen die Funkti- terial Claims Against Germany, New York. er Instituts fi nden Sie auf unserer Website. Verlag, Frankfurt am Main/New York 1999, 309 S., Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Bernd aufs neu. Das Robinson-Album. DP-Lager: on der einführenden Texte übernehmen. € 24,90, ISBN 3-593-36098-5; Jahrbuch 1998/99, Fechler, Gottfried Kößler, Astrid Messerschmidt und Juden auf deutschem Boden 1945–1948. Als Bilder werden Reproduktionen der Fo- Bestellungen bitte an die Band 3 Barbara Schäuble. Campus Verlag, Frankfurt am Main/ Karl Marx Buchhandlung GmbH New York, 2006, 378 S., € 29,90, EAN 978-3-593- Fritz Bauer Institut (Hg.) 38183-1; Jahrbuch 2006, Band 10 Unsere Wanderausstellungen können Publikationsversand Fritz Bauer Institut »Arisierung« im Nationalsozialismus gegen Gebühr ausgeliehen werden. Das Jordanstr. 11, 60486 Frankfurt am Main Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis Fritz Bauer Institut (Hg.) Institut berät bei der Organisation von Be- Tel.: 069.778 807, Fax: 069.707 739 9 Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Irmtrud Zeugenschaft des Holocaust gleitveranstaltungen und ist bei der Her- [email protected] Wojak und Peter Hayes. Red.: Christian Kolbe, Florian Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung Schmaltz, Irmtrud Wojak. Campus Verlag, Frankfurt Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Michael stellung von Kontakten und der Suche nach www.karl-marx-buchhandlung.de am Main/New York 2000, 312 S., 23 Abb., € 24,90, Elm und Gottfried Kößler. Campus Verlag, Frankfurt geeigneten Referenten behilflich. Gerne ISBN 3-593-36494-8; Jahrbuch 2000, Band 4 am Main/New York, 2007, 286 S., € 24,90, EAN 978- senden wir Ihnen weitere Informationen Liefer- und Zahlungsbedingungen: Lieferung auf Rech- 3-593-38430-6; Jahrbuch 2007, Band 11 und ein Ausstellungs angebot zu. nung. Die Zahlung ist sofort fällig. Bei Sendungen in- Fritz Bauer Institut (Hg.) nerhalb Deutschlands werden ab einem Bestellwert »Gerichtstag halten über uns selbst …« Fritz Bauer Institut (Hg.) von € 50,– keine Versandkosten berechnet. Unter einem Geschichte und Wirkungsgeschichte des ersten Opfer als Akteure Kontakt Bestellwert von € 50,– betragen die Versandkosten pau- Frankfurter Auschwitz-Prozesses Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Fritz Bauer Institut, Dr. Katharina Rauschenberger schal € 3,– pro Sendung. Für Lieferungen ins Ausland Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Irmtrud Nachkriegszeit. Tel.: 069.798 322-26, Fax: 069.798 322-41 (Land-/Seeweg) werden Versandkosten von € 5,– pro Wojak. Red.: Susanne Meinl und Irmtrud Wojak. Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Katharina [email protected] Kilogramm Versandgewicht in Rechnung gestellt. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2001, Stengel und Werner Konitzer. Campus Verlag, Frank- Besteller aus dem Ausland erhalten eine Vorausrech- 356 S., 21 Abb., € 24,90, ISBN 3-593-36822-6; Jahr- furt am Main/New York, 2008, 308 S., € 29,90, EAN nung (bei Zahlungseingang wird das Paket versendet). buch 2001, Band 5 978-3-593-38734-5; Jahrbuch 2008, Band 12

98 Ausstellungsangebote Einsicht 02 Herbst 2009 99 Fritz Bauer Institut (Hg.) Peter Krause Schriftenreihe Mit Texten von Knut Dethlefsen, Marek Frysztacki, ziale Praxis, Bielefeld, 2008, ca. 550 S., kart., zahlr. Mit Unterstützung des Kultusministeriums des Landes Moralität des Bösen Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse Detlef Hoffmann, Gottfried Kößler, Hanno Loewy, Abb., ca. € 36,80, ISBN 978-3-89942-719-6; Hessen. Frankfurt am Main, 1999, 56 S., € 4,–, Ethik und nationalsozialistische Verbrechen Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2002, Jörg Lüer u.a. Mit Fotobeiträgen von 70 jugendlichen Schriftenreihe, Band 20 ISBN 3-932883-13-6; Pädagogische Materialien Nr. 6 Hg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Werner 328 S., € 34,90, ISBN 3-593-37001-8; Wissenschaft- Hanno Loewy (Hg.) Teilnehmer Innen internationaler Workshops in der Ju- Konitzer und Raphael Gross. Campus Verlag, Frank- liche Reihe, Band 8 Holocaust. Die Grenzen des Verstehens gendbegegnungsstätte Auschwitz/Oswiecim 1991–95. Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hg.) Axel Bohmeyer, Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler furt am Main/New York, 2009, 272 S., € 29,90, EAN Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte Texte in deutscher und polnischer Sprache, Überset- Osteuropa und der Holocaust Schwierigkeiten mit Verantwortung und Schuld 978-3-59339021-5; Jahrbuch 2009, Band 13 Susanne Meinl, Jutta Zwilling Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1992, 256 S., zung: Marek Pelc. Das Buch begleitet die gleichna- Eine Bestandsaufnahme Kirchen und Nationalsozialismus – Materialien und Legalisierter Raub € 9,60, ISBN 3-499-19367-1; Schriftenreihe, Band 2 mige Ausstellung des Fritz Bauer Instituts. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 2008, 312 S., Vorschläge zur pädagogischen Arbeit Das Jahrbuch erscheint mit freundlicher Unterstützung Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus Edition Hentrich, Berlin, 1996, 146 S., 134 Abb., € 18,–, ISBN 978-3-434-50618-8; Schriftenreihe, Frankfurt am Main, 2001, 76 S., € 7,60, des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. durch die Reichsfi nanzverwaltung in Hessen Reinhard Matz € 9,90, ISBN 3-89468-236-1; Schriftenreihe, Band 12 Band 21 ISBN 3-932883-14-4; Pädagogische Materialien Nr. 7 Mitglieder des Fördervereins können das Jahrbuch Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2004, Die unsichtbaren Lager zum reduzierten Preis von € 23,90 (inkl. Versand) Hardcover, Fadenbindung, 748 S., € 44,90, ISBN Das Verschwinden der Vergangenheit im Gedenken Hanno Loewy, Andrzej Bodek (Hg.) Jaroslava Milotová, Zlatica Zudová-Lešková, Monica Kingreen abonnieren. 3-593-37612-1; Wissenschaftliche Reihe, Band 10 Fotografi en von Reinhard Matz. Mit Texten von Andr- »Les Vrais Riches« – Notizen am Rand Jiří Kosta (Hg.) Der Auschwitz-Prozess zej Szczypiorski, James E. Young, Hanno Loewy, Jo- Ein Tagebuch aus dem Ghetto Lodz Tschechische und slowakische Juden im Wider- Geschichte, Bedeutung und Wirkung Wolfgang Meseth, Frank-Olaf Radtke, Matthias Proske chen Spielmann. Das Buch begleitet die gleichnamige (Mai bis August 1944) stand 1938–1945 Pädagogisches Materialheft und CD mit Zeugenaussa- Schule und Nationalsozialismus Ausstellung des Fritz Bauer Instituts. Rowohlt Verlag, Mit der Reproduktion der gesamten Handschrift. Aus Aus dem Tschechischen von Marcela Euler gen von Auschwitz-Überlebenden im Originalton. Wissenschaftliche Reihe Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts Reinbek bei Hamburg, 1993, 207 S., Sonderpreis dem Jiddischen von Esther Alexander-Ihme, aus dem Metropol Verlag, Berlin, 2008, ca. 260 S., € 19,–, Gefördert durch die Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2004, € 6,10, ISBN 3-449-19388-4; Schriftenreihe, Band 6 Polnischen von Andrzej Bodek, aus dem Englischen von ISBN 978-3-940938-15-2; Schriftenreihe, Band 22 und die Max-Traeger-Stiftung. Frankfurt am Main, 327 S., € 37,90, ISBN 3-593-37617-2; Wissenschaft- Irmgard Hölscher und aus dem Hebräischen von Ronen 2004, 112 S., DIN-A 4, € 15,–, ISBN 3-932883-21-7; Hanno Loewy, Bettina Winter (Hg.) liche Reihe, Band 11 Oskar Rosenfeld Reichmann. Reclam Verlag, Leipzig, 1997, 165 S., Irmtrud Wojak Pädagogische Materialien Nr. 8 NS-»Eutha nasie« vor Gericht Wozu noch Welt € 9,20, ISBN 3-379-01582; Schriftenreihe, Band 13 Fritz Bauer 1903–1968 Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung Dariuš Zifonun Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz Eine Biographie Marion Imperatori Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1996, Gedenken und Identität Hg. von Hanno Loewy. Verlag Neue Kritik, Frankfurt Horst Hoheisel Verlag C. H. Beck, München, 2009, 24 Abb., 638 S., Als die Kinder in Langen samstags zur Synagoge 199 S., € 19,90, ISBN 3-593-35442-X; Wissenschaft- Der deutsche Erinnerungsdiskurs am Main, 1994, 324 S., € 25,–, ISBN 3-8015-0272-4; Aschrottbrunnen € 34,–, ISBN 978-3-406-58154-0; Schriftenreihe, gingen liche Reihe, Band 1 Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2004, Schriftenreihe, Band 7 Hg. vom Fritz Bauer Institut. Mit Beiträgen von James Band 23 Eine Zeitreise in die Vergangenheit. Kinderstadtführer 262 S., € 32,90, ISBN 3-593-37618-0; Wissenschaft- E. Young, Hanno Loewy, Eva Schulz-Jander, Manfred zum Jüdischen Leben und zur NS-Verfolgung

Hanno Loewy, Bernhard Moltmann (Hg.) liche Reihe, Band 12 Martin Paulus, Edith Raim, Gerhard Zelger (Hg.) Schneckenburger und Horst Hoheisel. Mit Vorworten Materialien für die pädagogische Arbeit in der Erlebnis – Gedächtnis – Sinn Ein Ort wie jeder andere von Hans Eichel und Georg Lewandowski, Texte in 4. bis 6. Klasse. Authentische und konstruierte Erinnerung Claudia Fröhlich Bilder aus einer deutschen Kleinstadt. deutscher und englischer Sprache. Übersetzungen: De- Pädagogische Materialien Frankfurt am Main, 2009, 76 S., € 5,–, ISBN 978-3- Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1996, Wider die Tabuisierung des Ungehorsams Landsberg am Lech 1923–1958 borah Foulkes, Jacqueline Giere, Christoph Münz, Eva 932883-23-1; Pädagogische Materialien Nr. 9 300 S., € 24,90, ISBN 3-593-35444-6; Wissenschaft- Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung Das Buch begleitet die gleichnamige Ausstellung des Schulz-Jander. Frankfurt am Main, 1998, 64 S., liche Reihe, Band 3 von NS-Verbrechen Fritz Bauer Instituts. Rowohlt Verlag, Reinbek bei 48 Abb., € 10,–, ISBN 3-923461-29-1; Schriftenreihe, Gottfried Kößler Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2006, Hamburg, 1995, 224 S., 168 Abb., € 15,–, ISBN Band 16 Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht Detlef Hoffmann (Hg.) 430 S., € 39,90, ISBN 3-593-37874-4; Wissenschaft- 3-499-19913-0; Schriftenreihe, Band 9 1941 bis 1944 Konfrontationen Das Gedächtnis der Dinge liche Reihe, Band 13 Gerd R. Ueberschär (Hg.) Bausteine für den Unterricht zur Vor- und Nachberei- KZ-Relikte und KZ-Denkmäler 1945–1995 Naomi Tereza Salmon NS-Verbrechen und der militärische Widerstand tung des Ausstellungsbesuchs Bausteine für die pädagogische Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1998, Thomas Horstmann, Heike Litzinger (Hg.) Asservate / Exhibits gegen Hitler Frankfurt am Main, 1997, 2., überarb. u. erw. Aufl ., Annäherung an Geschichte 352 S., € 51,–, ISBN 9783593354453, Wissenschaft- An den Grenzen des Rechts Auschwitz, Buchenwald, Yad Vashem Mit Beiträgen von Christof Dipper, Christian Gerlach, 68 S., DIN-A 4, € 4,– / ab 10 Hefte € 3,–, liche Reihe, Band 4 Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von Mit Texten von Naomi Tereza Salmon und Aleida Wilfried Heinemann, Hanno Loewy, Manfred Messer- ISBN 3-932883-07-1; Pädagogische Materialien Nr. 3 und Wirkung des Holocaust NS-Verbrechen Assmann. Dreisprachige Ausgabe in Deutsch, Englisch schmidt, Hans Mommsen, Peter Steinkamp, Christian Fritz Bauer Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2006, und Hebräisch. Übersetzungen: Yeheskel C. Sahar und Streit, Gerd R. Ueberschär, Wolfram Wette. Primus Ursula Ossenberg Die Humanität der Rechtsordnung 233 S., € 19,90, ISBN 3-593-38014-5; Wissenschaft- John S. Southard. Verlag, Darmstadt, 2000, 214 S., € 24,90, ISBN Sich von Auschwitz ein Bild machen? Gottfried Kößler, Petra Mumme Ausgewählte Schriften liche Reihe, Band 14 Das Buch begleitet die gleichnamige Ausstellung des 3-89678-169-3; Schriftenreihe, Band 18 Kunst und Holocaust. Ein Beitrag für die Identität Hg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak, Campus Fritz Bauer Instituts. pädagogische Arbeit Frankfurt am Main, 2000, 56 S., ISBN 3-932883-25-X; Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1998, 443 S., Katharina Stengel (Hg.) Edition Cantz, Ostfi ldern-Ruit, 1995, 274 S., 124 Abb., Margrit Frölich, Hanno Loewy, Heinz Steinert (Hg.) Frankfurt am Main, 1998, 84 S., 27 Schwarz weiß- und Konfrontationen Heft 1 € 24,90, ISBN 3-593-35841-7; Wissenschaftliche Rei- Vor der Vernichtung € 24,50, ISBN 3-89322-795-4; Schriftenreihe, Band 10 Lachen über Hitler – Auschwitz Gelächter? 19 mehrfarbige Abb., DIN-A 4, € 10,20, he, Band 5 Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozia- Filmkomödie, Satire und Holocaust ISBN 3-932883-09-8; Pädagogische Materialien Nr. 4 Jacqueline Giere, Gottfried Kößler lismus Mikael Levin Mit Beiträgen von Stephan Braese, Thomas Elsaesser, Gruppe Joachim Perels Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2007, Suche Lutz Koepnick, Geraldine Kortmann, Kathy Laster, Gottfried Kößler, Guido Steffens, Frankfurt am Main, 2001, 56 S., ISBN 3-932883-26-8; Das juristische Erbe des »Dritten Reiches« 336 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38371-2; Wissen- Fotografi en von Mikael Levin und Eric Schwab. Ruth Liberman, Burkhardt Lindner, Ronny Loewy, Yo- Christoph Stillemunkes (Hg.) Konfrontationen Heft 2 Beschädigungen der demokratischen Rechtsordnung schaftliche Reihe, Band 15 Mit Texten von Meyer Levin sefa Loshitzky, Joachim Paech, Christian Schneider, Spurensuche Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 1999, Aus dem Amerikanischen von Irmgard Hölscher. Silke Wenk und den Herausgebern. Edition text + kri- Ein Reader zur Erforschung der Schulgeschichte wäh- Heike Deckert-Peaceman, Uta George, Petra Mumme 228 S., € 21,50, ISBN 3-593-36318-6; Wissenschaft- Christoph Jahr Red.: Bettina Schulte Strathaus und Hanno Loewy. tik im Richard Boorberg Verlag, München, 2003, rend der NS-Zeit Ausschluss liche Reihe, Band 7 Antisemitismus vor Gericht Das Buch begleitet die gleichnamige Ausstellung des 386 S., 40 s/w Abb., € 27,50, ISBN 3-88377-724-2; Mit Unterstützung des Kultusministeriums des Landes In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Hadamar Debatten über die juristische Ahndung judenfeind- Fritz Bauer Instituts. Gina Kehayoff Verlag, München, Schriftenreihe, Band 19 Hessen. Frankfurt am Main, 1998, 80 S., € 7,60, Frankfurt am Main, 2003, 80 S., ISBN 3-932883-27-6; Irmtrud Wojak licher Agitation in Deutschland (1879–1960) 1996, 272 S., 114 Abb., € 24,60, ISBN 3-939078-44-9; ISBN 3-932883-10-1; Pädagogische Materialien Nr. 5 Konfrontationen Heft 3 Eichmanns Memoiren Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2007, Schriftenreihe, Band 11 Catrin Corell Ein kritischer Essay ca. 450 S., € 39,90, EAN 978-3-593-39058-1; Wissen- Der Holocaust als Herausforderung für den Film Gottfried Kößler, Guido Steffens (Hg.) Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler, Oliver Tauke Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York, 2001, schaftliche Reihe, Band 16 Knut Dethlefsen, Thomas B. Hebler (Hg.) Formen des fi lmischen Umgangs mit der Shoah seit 27. Januar – Lerntag oder Gedenktag? Ghetto fester Einband, 280 S., 16 Abb., € 25,50, ISBN 3-593- Bilder im Kopf. Auschwitz – Einen Ort sehen 1945. Eine Wirkungstypologie Anregungen zur pädagogischen Gestaltung des »Tages Frankfurt am Main, 2002, 88 S., ISBN 3-932883-28-4; 36381-X; Wissenschaftliche Reihe, Sonderband Obrazy w glowie. Oswiecim – Ujecia pewnego miejsca transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und so- des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” Konfrontationen Heft 4

100 Publikationen Einsicht 02 Herbst 2009 101 Verena Haug, Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kössler Kindheit und Jugend im Frankfurter Materialien Katrin Reemtsma der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Mit Unterstützung Deportationen Ostend 1925–1941 »Zigeuner« in der ethnographischen Literatur Main, mit Unterstützung des Fritz Bauer Instituts. Frankfurt am Main, 2003, 64 S., ISBN 3-932883-24-1; Norbert Gelhardt, geboren 1925 in Frankfurt am Main Die »Zigeuner« der Ethnographen Wallstein Verlag, Göttingen, 2004, 200 S., € 24,– , des Fritz Bauer Instituts Konfrontationen Heft 5 Ausschnitte aus einem Gespräch im Jahr 2000 Jonathan Webber Frankfurt am Main, 1996, 40 S., € 2,50, ISBN 3-89244-756-X; sind erschienen Interview und Bearbeitung: Klaus Heuer, Kamera: Die Zukunft von Auschwitz ISBN 3-932883-05-5; Materialien Nr. 16 Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung, Jacqueline Giere, Tanja Schmidhofer Moussa Quedraogo, Schnitt: Kristina Heun Einige persönliche Betrachtungen Tagungsband 1 Todesmärsche und Befreiung © Norbert Gelhardt und Fritz Bauer Institut Hg. in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum Katharina Stengel Gottfried Kößler, Angelika Rieber, Feli Gürsching (Hg.) Frankfurt am Main, 2003, 56 S., ISBN 3-932883-29-2; Frankfurt am Main, 2001, VHS, 20 min (f), D Auschwitz-Birkenau. Frankfurt am Main, 1995, 3. Tradierte Feindbilder »… daß wir nicht erwünscht waren.” Konfrontationen Heft 6 Aufl . 32 S., € 2,50, ISBN 3-88270-800-X; Die Entschädigung der Sinti und Roma in den fünfzi- Novemberpogrom 1938 in Frankfurt am Main. Be- Alle Hefte der Reihe Konfrontationen sind zum Preis »Der Lehrer wusste, was da passiert.« Materialien Nr. 6 ger und sechziger Jahren Sonstige richte und Dokumente von € 7,60 (ab 10 Hefte € 5,10) erhältlich. Bericht eines Sinto Frankfurt am Main, 2004, 112 S., € 5,50; dipa-Verlag, Frankfurt am Main, 1993, 176 S., zahlr. Herbert Ricky Adler, geboren 1928 in Dortmund. Martha Wertheimer Materialien Nr. 17 Veröffentlichungen Abb., € 8,–, ISBN 3-7638-0319-X Ausschnitte aus einem Gespräch mit Josef Behringer In mich ist die große dunkle Ruhe gekommen und Gottfried Kößler im Jahr 1995. Interview: Josef Briefe an Siegfried Guggenheim in New York. Kersten Brandt, Hanno Loewy, Krystyna Oleksy (Hg.) Video-Interviews Behringer und Gottfried Kößler, Kamera: Gisa Hilles- Geschrieben vom 27.5.1939 bis 2.9.1941 in Frankfurt Ausstellungskatalog Vor der Auslöschung… heimer, Bearbeitung: Klaus Heuer, Schnitt: Kristina am Main Verzeichnisse Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen (Hg.) Fotografi en gefunden in Auschwitz mit Zeitzeugen Heun. © Herbert Ricky Adler und Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main, 1996, 2., überarb. Aufl . 52 S., Legalisierter Raub Hg. im Auftrag des Staatlichen Museums Au schwitz- Frankfurt am Main, 1995/2001, VHS, 31:41 min (f), D € 2,50, ISBN 3-88270-801-8; Materialien Nr. 8 Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden Birkenau. Mit Texten von Kersten Brandt, Hanno Loe- in Hessen 1933–1945 wy, Krystyna Oleksy, Marek Pelc, Avihu Ronen. Viktoria Pollmann »Returning from Auschwitz.« Dieter Schiefelbein Redaktion: Susanne Meinl (Fritz Bauer Institut), Gina Kehayoff Verlag, München, 2001, 2. überarbeite- »… Dass wir nicht erwünscht waren« NS-Justiz, Nürnberger Prozesse, NSG-Verfahren Bernhard Natt, geboren 1919 in Frankfurt am Main Das »Institut zur Erforschung der Judenfrage Bettina Hindemith (Hessischer Rundfunk). te u. ergänzte Aufl ., Bildband, 492 S., ca. 2.400 Martha Hirsch, geboren 1918 in Frankfurt am Main, Auswahl-Bibliographie Interview: Petra Mumme, Kamera: Werner Lott Frankfurt am Main« Reihe selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen- Farbabbildungen, und Textband, 158 S., € 124,95, und Erwin Hirsch, geboren in Straßburg Frankfurt am Main, 2000, 96 S., € 5,10, Schnitt: Bernd Zickert, Recherche: Gottfried Kößler Vorgeschichte und Gründung 1935–1939 Thüringen, Heft 8, Frankfurt am Main, 2005, 2. Aufl ., ISBN 3-934296-13-0 Interview: Angelika Rieber, Kamera und Schnitt: Gisa ISBN 3-932883-19-5; Verzeichnisse Nr. 4 © Bernhard Natt und Fritz Bauer Institut Hillesheimer. © Martha u. Erwin Hirsch, Angelika Hg. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Stadtge- 72 S., € 5,–. Englische Ausgabe: Before they perished… Photo- Frankfurt am Main, 1999, VHS, 110 min (f), D schichte, Frankfurt am Main. Frankfurt am Main, Zu beziehen über: Sparkassen-Kulturstiftung Hessen- graphs found in Auschwitz / Polnische Ausgabe: Zanim Rieber. Frankfurt am Main, 1995, VHS, 55 min (f), D Stephan Wirtz, Christian Kolbe 1994, 48 S., € 2,50, ISBN 3-88270-803-5; Thüringen, Alte Rothofstraße 9, 60313 Frankfurt am odeszli… Fotografi e odnalezione w Auschwitz. Enteignung der jüdischen Bevölkerung in »Auch die Musik hat mir mein Leben gerettet.« Materialien Nr. 9 Main Eine dreisprachige Multimedia CD-ROM ist über das »Ich habe immer ein bisschen Sehnsucht Deutschland und natio nalsozialistische Franz Ephraim Wagner, geboren 1919 in Breslau Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau zu beziehen: und Heimweh …« Wirtschaftspolitik 1933–1945. Interview: Petra Mumme, Kamera: Werner Lott Christoph Münz Ausstellungskatalog http://www.auschwitz.monografi a.pl Marianne Schwab, geboren 1919 in Bad Homburg Annotierte Bibliographie Schnitt: Bernd Zickert, Recherche: Gottfried Kößler Geschichtstheologie und jüdisches Gedächtnis Fritz Bauer Institut (Hg.) Interview: Angelika Rieber, Kamera und Schnitt: Gisa Frankfurt am Main, 2000, 56 S., € 4,–, © Franz Ephraim Wagner und Fritz Bauer Institut nach Auschwitz Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main Jüdisches Museum Frankfurt am Main (Hg.) Hillesheimer. © Marianne Schwab und Angelika Rie- ISBN 3-932883-20-9; Verzeichnisse Nr. 5 Frankfurt am Main, 1999, VHS, 100 min (f), D ber. Frankfurt am Main, 1993, VHS, 37 min (f), D Über den Versuch, den Schrecken der Geschichte zu Katalog zur gleichnamigen historisch-dokumenta- Eine Rettergeschichte. bannen rischen Wanderausstellung des Fritz Bauer Instituts Arbeitsvorschläge zum Film »Schindlers Liste« Erinnerungen an Jugend und Konzentrationslager »Meine Eltern haben mir den Abschied Frankfurt am Main, 1994, 36 S., € 2,50, Hg. von Irmtrud Wojak im Auftrag des Fritz Bauer Pädagogisches Begleitheft zum Oskar und Emile Gisela Spier-Cohen, geboren 1928 in Momberg sehr leicht gemacht« ISBN 3-88270-804-2; Materialien Nr. 11 Instituts. Gefördert durch die Beauftragte der Schindler Lernzentrum im Museum Judengasse Frank- Interview: Gottfried Kößler, Kamera: Christof Heun, Dorothy Baer, geboren 1923 in Frankfurt am Main Biografi en Bundesregierung für Kultur und Medien (Berlin), die furt am Main Schnitt: Bernd Zickert, Recherche: Regina Neumann Interview: Angelika Rieber, Kamera und Schnitt: Gisa Józef Szajna Bundeszentrale für politische Bildung (Bonn), das Hrsg. vom Jüdischen Museum Frankfurt in Zusam- © Gisela Spier-Cohen und Fritz Bauer Institut Hillesheimer. © Dorothy Baer und Angelika Rieber Reminiszenzen – Ein Environment Land Hessen, die Stadt Frankfurt am Main, die Johann menarbeit mit dem Fritz Bauer Institut. Texte ausge- Kurt Schäfer Frankfurt am Main, 1999, VHS, 100 min (f), D Frankfurt am Main, 1994, VHS, 35 min (f), D Zum 50. Jahrestag der Befreiung von Wolfgang Goethe-Universität (Frankfurt am Main), die wählt und bearbeitet von Gottfried Kößler und Martin Gekürzte Fassung (ca. 35 Min.) für den Schulunter- Auschwitz-Birkenau Verfolgung einer Spur (Raphael Weichbrodt) Conference On Jewish Material Claims Against Liepach. Pädagogische Schriftenreihe des Jüdischen Frankfurt am Main, 1998, 44 S., 17 Abb., € 2,50, richt; Bearbeitung: Klaus Heuer, Schnitt: Kristina »Das war Sklavenarbeit« Redaktion: Andrzej Bodek. Frankfurt am Main, 1995, Germany, Inc. (New York), den Förderverein Fritz Museums Frankfurt am Main, Band 5. Frankfurt am ISBN 3-932883-16-0; Biografi en Nr. 2 Heun; © Gisela Spier Cohen und Fritz Bauer Institut Alfred Jachmann, geboren 1927 in Arnswalde/Pom- 36 S., € 2,50, ISBN 3-88270-805-0; Materialien Nr. 12 Bauer Institut e.V. (Frankfurt am Main) Main, Jüdisches Museum, 2005, DIN-A 4 Broschüre, Frankfurt am Main, 1999/2001, VHS, 35 min (f), D mern, gestorben 2002 in Frankfurt am Main Snoeck Verlag, Köln, 2004, 872 S., 100 farb. und 800 28 S., € 4,– (zzgl. Versand), ISBN 3-9809814-1-X.

Gespräch: Christian Kolbe, Kamera: Berthold Bruder, Bernd Greiner s/w Abb., 17,1 x 24,2 cm, Klappenbroschur, € 49,80, Zu beziehen über: Jüdisches Museum, Tel.: 069.212- Ein Leben zwischen Konzentrationslager Schnitt: Kristina Heun, Bearbeitung: Klaus Heuer »IG-Joe« – IG Farben-Prozeß und Morgenthau- ISBN 3-936859-08-6 335 93, www.juedischesmuseum.de/publikationen und Dorfgemeinschaft Copyright: © Alfred Jachmann und Fritz Bauer Insti- Plan Veröffentlichungen Ruth Lion, geboren 1909 in Momberg (Hessen) tut. Gefördert von der Ernst-Ludwig-Chambré-Stif- Mit einer Auswahl-Bibliographie: der Gastprofessur für DVD-ROM Landeshauptstadt München, Kulturreferat (Hg.) Interview: Monica Kingreen und Gottfried Kößler; tung. Frankfurt am Main, 2001, VHS, 40 min (f), D IG Farben / Auschwitz Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Der Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus Kamera: Christof Heun; Schnitt: Christina Heun; Be- Frankfurt am Main, 1996, 36 S., € 2,50, interdisziplinäre Auschwitz- Birkenau (Hg.) Perspektiven des Erinnerns arbeitung: Klaus Heuer; © Ruth Lion und Fritz Bauer Die Reihe »Video-Interviews mit Zeitzeugen« ist eine ISBN 3-932883-02-0; Materialien Nr. 13 Der Auschwitz-Prozess Dokumentation der Veranstaltungsreihe des Kulturre- Institut. Frankfurt am Main, 2000, VHS, 30 min (f), D Produktion des Fritz Bauer Instituts in Zusammen- Holocaustforschung Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente ferats der Landeshauptstadt München im Rahmen der arbeit mit der Zentralstelle Medien, Daten und Hermann Langbein Directmedia Verlag, Berlin, 2004, 2., durchgesehene Projektvorbereitung für ein NS-Dokumentationszen- »Rollwage, wann willst Du endlich aufwachen« – Erin- Informationen (ZMDI) im HeLP, dem HeLP/ Das 51. Jahr … und verbesserte Aufl age trum in München. In Zusammenarbeit mit dem Ju- Stephan Braese (Hg.) nerungen an die Kinderlandverschickung 1940–1945 Regionalstelle Marburg, dem Filmhaus Frankfurt und Zum Gedenken an Hermann Langbein. Die Digitale Bibliothek, Band 101, DVD-ROM, gendgästehaus Dachau und dem Fritz Bauer Institut. Rechenschaften Herbert Rollwage, geboren 1929 in Hamburg der Staatlichen Landesbildstelle Hessen. (18.5.1912 bis 24.10.1995). Ansprache zur Gedenkver- ca. 80.000 S., € 45,–, ISBN 3-89853-501-0, München, 2007, 216 S. Der Band kann kostenlos be- Juristischer und literarischer Diskurs in der Auseinan- Ausschnitte aus einem Gespräch im Rahmen eines Se- Die Video-Interviews sind für die Verwendung im anstaltung zum 50. Jahrestag der Befreiung von Zu beziehen über: DIRECTMEDIA Publishing GmbH, zogen werden: Landeshauptstadt München – Kulturre- dersetzung mit den NS-Massenverbrechen minars des Fritz Bauer Instituts 1996. Gesprächslei- Unterricht und in der außerschulischen Bildungsarbeit Auschwitz-Birkenau im Schauspiel Frankfurt am Main Möckernstr. 68, 10965 Berlin, Tel.: 030.789 046-0, ferat, Burgstraße 4, 80331 München, Tel.: 089.233-287 Tagungsband zum internationalen Symposium »Dich- tung: Gottfried Kößler; Kamera: Eberhard Tschepe; konzipiert. Zum Preis von € 25,50 sind die am 29. Januar 1995. Mit Beiträgen von Heinz Düx, Fax: 030.789 046-99, [email protected], 42, Fax: 089.233-212 69, [email protected], ter und Richter«, 15. und 16. November 2002 in Bearbeitung: Klaus Heuer, Schnitt: Kristina Heun, Videokassetten beim Fritz Bauer Institut zu erwerben. Ulla Wirth, Werner Renz. Frankfurt am Main, 1996, www.digitale-bibliothek.de www.ns-dokumentationszentrum-muenchen.de. © Herbert Rollwage und Fritz Bauer Institut 2. Aufl . 32 S., € 1,50, ISBN 3-932883-04-7; Frankfurt am Main. Eine Veröffentlichung der Gast- Frankfurt am Main, 2001, VHS, 40 min (f), D Materialien Nr. 15 professur für interdisziplinäre Holocaustforschung an

102 Publikationen Einsicht 02 Herbst 2009 103 Impressum Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Foto: Schindler-Foto-Report

Einsicht 02 Fritz Bauer Institut Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist am Vorstand des Fördervereins Bulletin des Grüneburgplatz 1 13. Januar 1995 in Frankfurt am Main die Stiftung »Fritz Bauer In- Brigitte Tilmann (Vorsitzende) D-60323 Frankfurt am Main stitut, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Gundi Mohr (stellv. Vorsitzende und Schatzmeisterin) Fritz Bauer Instituts Telefon: +49 (0)69.798 322-40 Wirkung des Holocaust« gegründet worden – ein Ort der Ausei- Dr. Diether Hoffmann (Schriftführer) Telefax: +49 (0)69.798 322-41 nandersetzung unserer Gesellschaft mit der Geschichte des Holo- Prof. Dr. Eike Hennig, Dr. Rachel Heuberger, Herbst 2009 [email protected] caust und seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das Institut Herbert Mai, Klaus Schilling, David Schnell 1. Jahrgang www.fritz-bauer-institut.de trägt den Namen Fritz Bauers, des ehemaligen hessischen General- ISSN 1868-4211 staatsanwalts und Initiators des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965 Werden Sie Mitglied! Bankverbindung: in Frankfurt am Main. Zu den über 1.000 Mitgliedern aus dem In- und Ausland gehören Titel Frankfurter Sparkasse engagierte Bürgerinnen und Bürger, bekannte Persönlichkeiten des John Demjanjuk liest in seiner Zelle BLZ: 500 502 01, Konto: 321 901 Aufgaben des Fördervereins öffentlichen Lebens, aber auch Verbände, Vereine, Institutionen und im Ayalon-Gefängnis in Ramle IBAN DE43 5005 0201 0000 3194 67, Der Förderverein ist im Januar 1993 in Frankfurt am Main gegrün- Unternehmen sowie zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden. in der israelischen Tageszeitung BIC/SWIFT Code: HELADEF1822 det worden. Er unterstützt die wissenschaftliche, pädagogische und Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust. Auch Sie Yediot Achronot, 24. Juni 1993. dokumentarische Arbeit des Fritz Bauer Instituts und hat durch das können durch Ihre Mitgliedschaft dazu beitragen. Foto: Government Press Offi ce, Direktor: Raphael Gross (V.i.S.d.P.) ideelle und fi nanzielle Engagement seiner Mitglieder und zahlreicher State of Israel/Sa‘ar Ya‘acov Redaktion: Werner Konitzer, Werner Lott, Spender wesentlich zur Gründung der Stiftung beigetragen. Er sam- Jährlicher Mindestbeitrag: € 60,– / ermäßigt: € 30,– Jörg Osterloh, Werner Renz melt Spenden für die laufende Arbeit des Instituts und die Erwei- Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende: Zum Titelthema lesen Sie: Anzeigenredaktion: Manuela Ritzheim terung des Stiftungsvermögens. Er vermittelt einer breiten Öffent- Frankfurter Sparkasse, BLZ: 500 502 01, Konto: 319 467 »Der Fall ist abgeschlossen, aber Lektorat: Gerd Fischer lichkeit die Ideen, Diskussionsangebote und Projekte des Instituts, unvollendet«. Der Prozess gegen Gestaltung/Layout: Werner Lott schafft neue Kontakte und sorgt für eine kritische Begleitung der In- Werben Sie neue Mitglieder! John Demjanjuk in Jerusalem Grafi sches Konzept: Surface – stitutsaktivitäten. Sein vorrangiges Ziel ist es, die Stiftung Fritz Bau- Der Förderverein ist eine tragende Säule des Fritz Bauer Instituts. von Tom Segev, Seite 16 Gesellschaft für Gestaltung mbH er Institut langfristig zu sichern und ihre Unabhängigkeit zu wahren. Informieren Sie Ihre Bekannten, Freunde und Kollegen über die NS-Prozesse gegen Personal Herstellung: Druckerei Otto Lembeck Möglichkeit, sich im Förderverein zu engagieren. Gerne senden wir der Vernichtungslager der GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Ihnen weitere Unterlagen mit Informationsmaterial zur Fördermit- »Aktion Reinhardt« Erscheinungsweise: zweimal jährlich 1996 begann das Fritz Bauer Institut in Zusammenarbeit mit dem gliedschaft und zur Arbeit des Fritz Bauer Instituts zu. Wenden Sie von Sara Berger, Seite 24 (April/Oktober) Campus Verlag mit der Herausgabe des »Jahrbuchs zur Geschich- sich bitte an unsere Geschäftsstelle. Von Ausbildern und Handlangern. Aufl age: 5.000 te und Wirkung des Holocaust«. Hier werden herausragende For- Der Spagat zwischen Schuld und schungsergebnisse, Reden und Kongressbeiträge zur Geschichte Rechtsprechung © Fritz Bauer Institut und Wirkungsgeschichte des Holocaust versammelt, welche die in- Förderverein von Angelika Benz, Seite 32 Stiftung bürgerlichen Rechts ternationale Diskussion über Ursachen und Folgen der nationalso- Fritz Bauer Institut e.V. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur zialistischen Massenverbrechen refl ektieren und bereichern sollen. mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Vorzugsabonnement für Mitglieder: Das Jahrbuch des Fritz Grüneburgplatz 1 Einsicht erscheint mit Unterstützung Bauer Instituts kann zum Vorzugspreis von € 23,90 im Abonne- 60323 Frankfurt am Main des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. ment bezogen werden (der Preis bezieht sich auf das aktuelle Jahr- Telefon: +49 (0)69.798 322-39 buch 2009, inkl. Versandkosten). Dieses Angebot gilt nur für Mit- Telefax: +49 (0)69.798 322-41 glieder des Fördervereins! Der Ladenpreis beträgt € 29,90. [email protected] 104 Impressum $IE6ERTREIBUNGDERu*UDENhAUSDER/PERBIS

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