Niederösterreich Eine Spurensuche Niederösterreich Eine Spurensuche „Österreichs historisches Kernland, einzigartiger Naturreichtum, dynamischer Wirtschaftsstandort, Biotop künstlerischer Entfaltung und Hort wissenschaftlicher Innovationskraft – all das ist Niederösterreich.

Begeben Sie sich mit uns auf eine Spurensuche, entdecken Sie Erstaunliches und erleben Sie Niederösterreich aus neuen Blickwinkeln.“

Johanna Mikl-Leitner Landeshauptfrau von Niederösterreich

IST in Klosterneuburg. Inhalt

11 Mehr als eine Chronik 16 Von Atzenbrugg bis Zwettl – Persönlichkeiten und ihre Lieblingsplätze, Teil 1

Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft

32 Land und Leute Mella Waldstein 358 Wirtschaft und Gesellschaft seit 1750 Ernst Langthaler 35 Mostviertel Ingeborg Geyer 361 Habsburgs Aufholversuch (1750–1830) Andrea Komlosy 44 Kleines niederösterreichisches Dialektlexikon Helga Maria Wolf 369 Anhaltendes Wachstum (1830–1914) Charlotte Natmeßnig 48 Vier Viertel – vier Jahreszeiten Mary Kreutzer 384 Lähmende Dauerkrise (1914–1938) Andreas Resch 55 Industrieviertel Thomas Schmidinger 386 Es war einmal – Textilindustrie Gerhard A. Stadler 58 Genuss-Lexikon Johann Skocek 398 Totalitäre Großräume (1938–1955) Christian Helmenstein 72 Einwanderungsland Niederösterreich 402 Von den Hammerwerken zu den „Hidden Champions“ 78 Waldviertel 419 Nachholende Westorientierung (1955–1989) 86 Von Fußbrechmaschinen und Ballesterern 422 Unbequemes Erbe – Industriedenkmale 90 Wachau 435 Globale Standortkonkurrenz (seit 1989) 94 440 Wachstumspol Niederösterreich 96 Sportliche Höhepunkte 444 Wirtschaft und Gesellschaft – die wichtigsten Ereignisse 106 Museumsdorf Niedersulz 108 Menschenbilder – Ein Tag in Niederösterreich 114 Leben, Alltag und Traditionen – die wichtigsten Ereignisse „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft

448 Was ist Niederösterreich? Eine Annäherung aus naturkundlicher Sicht Ortrun Veichtlbauer Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 462 Marchfeld und Wienerwald – nützliche Landschaften um Wien Erich Steiner 480 Die Attraktivität der Peripherie Gert Dressel 118 Von den Steinzeitjägern zu den Langobarden Ernst Bruckmüller 486 Zwentendorf und Hainburg Gerhard Strohmeier 130 Von den Römern zu den Franken Ernst Lauermann 493 Exportgut Landschaft – Tourismus in Niederösterreich 146 Das Hochmittelalter – die Zeit der Babenberger Stefan Eminger 496 Grenzlandschaften Niederösterreichs 154 Österreich als Kernland der Habsburger Christian Rapp 510 Natur und Landschaft – die wichtigsten Ereignisse 162 Wie Österreich zu seinem Namen kam 167 Zwischen Reformation und osmanischer Bedrohung 181 Das barocke Niederösterreich 190 Aufklärung und Reformen – von Maria Theresia bis Joseph II. Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 198 Franzosenzeit und Biedermeier 207 Von der Revolution bis zum Ende der Monarchie 514 Das Wissen der Klöster Martin Haidinger 224 Steiler Absturz, langsamer Aufstieg – Politik und Gesellschaft in Niederösterreich seit 1918 527 Die Universität Wien belebt das Land Sigrid von Osten 250 Landauf, landab – Zur räumlichen Entwicklung Niederösterreichs seit den 1980er-Jahren 528 Das Alchemistenlaboratorium von Oberstockstall Joachim Rössl 264 Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart – die wichtigsten Ereignisse 533 Von Praktikern und Theoretikern Matthias Kafka 543 Ein Wissenschaftsland im Aufschwung Andreas Weigl 548 In Europas Mitte – Gründerzeit um 2000 560 Pionierinnen und Pioniere aus Niederösterreich Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 564 Zur Entwicklung des Schulwesens in Niederösterreich 576 Bildung und Forschung – die wichtigsten Ereignisse 272 Kunst und Kultur in Niederösterreich Barbara Sternthal 275 Zeitreise durch vier Viertel – Niederösterreichs kulturelles Erbe Theresia Hauenfels 280 Kulturlandschaft mit Charakter Nina Schedlmayer 292 Kunst-Genuss Erich Klein 294 Landschaft als Prospekt – Kunstschaffende in Niederösterreich Joachim Rössl 300 Die Avantgarde auf dem Land Alexandre Tischer 302 Regional, überregional – Die kulturellen Nahversorger 308 Niederösterreich literarisch im 20./21. Jahrhundert 315 Historische Architektur im zeitgenössischen Fokus 325 Zeitgenössische Architektur in Niederösterreich 330 Film & Kino & Fernsehen 578 Anmerkungen 334 Die großen Ausstellungen 582 Literatur 336 Zeitenwende 342 Ein Streifzug durch das Land der Städte 586 Von Atzenbrugg bis Zwettl – Persönlichkeiten und ihre Lieblingsplätze, Teil 2 344 „Die Mühlen der Zeit(ung)“ 602 Biografien 348 Grenzenlos 354 Kunst und Kultur – die wichtigsten Ereignisse 604 Bildnachweis A 31311 Gföhl 30101 Krems an der Donau 31035 Pulkau U Die Gemeinden und Bezirke in Niederösterreich (Gemeindekennziffern) Niederösterreich in Zahlen 32101 Absdorf 31707 Gießhübl 31627 Kreuttal 32008 Purgstall an der Erlauf 31651 Ulrichskirchen-Schleinbach 31701 Achau 30819 31628 Kreuzstetten 31952 30939 Unserfrau-Altweitra 30801 31810 31321 Krumau am Kamp 31934 30858 31301 Aggsbach 30908 Gmünd 32315 Krumbach R 31652 Unterstinkenbrunn 31001 Alberndorf im Pulkautal 31613 Gnadendorf 31517 Krummnußbaum 32216 Raabs an der Thaya V 31302 Albrechtsberg an der Großen Krems 31008 Göllersdorf L 31827 30859 Velm-Götzendorf 30601 Alland 31509 Golling an der Erlauf 31629 Laa an der Thaya 30849 30536 Viehdorf 32501 Allentsteig 32505 Göpfritz an der Wild 31714 Laab im Walde 31645 Rabensburg 32219 Vitis Geografischer Überblick Beliebteste Vornamen 2015 Weinernte 2015 nach Weinbaugebieten in Hektoliter Kindergärten und Horte 2015/16 30501 Allhartsberg 32002 Göstling an der Ybbs 31630 Ladendorf 31935 Rabenstein an der Pielach 31723 Vösendorf 31101 Altenburg 30708 Göttlesbrunn-Arbesthal 31113 Langau 31409 Ramsau W 31801 Altendorf 30709 Götzendorf an der Leitha 31322 Langenlois 32009 Randegg 32220 Waidhofen an der Thaya 30602 Altenmarkt an der Triesting 31009 Grabern 32119 Langenrohr 32521 Rappottenstein 32221 Waidhofen an der Thaya-Land Orte (Seehöhe) 143 m (tiefstgelegener Ort) Knaben 296 Lukas Mädchen 367 Anna Weißwein Weinbaugebiet Ernte in t Hektoliter 1.092 Kindergärten 31901 31811 Grafenbach-St. Valentin 31214 Langenzersdorf 31336 Rastenfeld 30301 Waidhofen an der Ybbs 976 m Annaberg (höchstgelegener Ort) 178 Jonas 294 Sophie Niederösterreich gesamt 19.758 1.010.452 52.904 Kinder 31601 Altlichtenwarth 31308 Grafenegg 32516 Langschlag 30738 Rauchenwarth 32331 177 Elias 239 Maria Weinviertel 9.907 597.314 Niederösterreich kompakt – Infografiken und Karten im Überblick 32519 Altmelon 32506 Grafenschlag 30734 Lanzendorf 31036 Ravelsbach 32332 Waldegg 30902 Amaliendorf-Aalfang 32107 Grafenwörth 32316 31535 Raxendorf 30940 Waldenstein 173 David 205 Emilia Kamptal 2.726 103.640 178 Horte 30502 Amstetten 30731 Gramatneusiedl 30830 31829 32529 Waldhausen 15 30802 32003 Gresten 31715 Laxenburg 30929 Reingers 32222 Waldkirchen an der Thaya 173 Jakob 152 Elena Wachau 1.118 81.120 9.507 Kinder 29 30803 32004 Gresten-Land 31519 Leiben 32010 Reinsberg 30538 Wallsee-Sindelburg 22 Kremstal 1.943 76.824 31401 Annaberg 31812 31215 Leitzersdorf 30629 Reisenberg 32333 25 10 Wagram 2.029 64.592 32502 Arbesbach 32508 Groß Gerungs 31323 Lengenfeld 31037 Retz 32015 Wang 06 04 03 30503 Ardagger 30821 Groß-Enzersdorf 31216 Leobendorf 31038 Retzbach 31843 Warth 06 09 Thermenregion 1.035 33.653 31502 Artstetten-Pöbring 30824 Groß-Schweinbarth 30620 Leobersdorf 30850 Ringelsdorf-Niederabsdorf 31844 30504 Aschbach-Markt 32207 Groß-Siegharts 30735 Leopoldsdorf 32324 30865 17 16 Berge (Seehöhe) 2.076 m Schneeberg (Klosterwappen) Warenaußenhandel (in Mio. €) 2015 Traisental 578 31.286 B 03 16 04 31802 Aspang-Markt 30909 Großdietmanns 30831 Leopoldsdorf im Marchfelde 30721 Rohrau 30860 14 13 A C 02 16 2.007 m Rax (Heukuppe) Carnuntum 401 21.130 31803 Aspangberg-St. Peter 31614 Großebersdorf 31324 Lichtenau im Waldviertel 31410 Rohrbach an der Gölsen 32334 Weikersdorf am Steinfelde 21 20 31603 Asparn an der Zaya 31615 Großengersdorf 32317 31119 Röhrenbach 31945 11 1.893 m Ötscher sonstige 20 893 35 02 07 53 58 31902 32509 Großgöttfritz 32318 Lichtenwörth 31337 Rohrendorf bei Krems 31350 Weinzierl am Walde 08 12 07 29 06 1.743 m Hochwechsel 32104 Atzenbrugg 31616 Großharras 31407 Lilienfeld 31120 Röschitz 30645 Weissenbach an der Triesting 19 23 20 38 30701 Au am Leithaberge 30822 Großhofen 30925 Litschau 31121 -Mold 31351 Weißenkirchen in der Wachau 41 37 34 46 Volksschulen, Hauptschulen und Neue Mittelschulen 2014/15 39 09 17 05 10 17 42 08 30804 31617 Großkrut 31920 31338 Rossatz-Arnsdorf 30539 Weistrach 24 18 29 21 40 21 35 01 15 04 Rot- und Weinbaugebiet Ernte in t Hektoliter B 31204 Großmugl 31520 Loosdorf 31537 Ruprechtshofen 31546 Weiten 04 24 33 16 30702 Bad Deutsch-Altenburg 32109 Großriedenthal 32212 Ludweis-Aigen 31224 Rußbach 31129 Weitersfeld 52 52 49 44 02 23 25 17 01 45 Roséwein Niederösterreich gesamt 7.118 352.241 32306 31205 Großrußbach 32005 Lunz am See S 30942 Weitra 13 42 01 09 14 20 11 Import Export Volksschulen Haupt- und Neue Mittelschulen 25 14 09 32301 Bad Fischau-Brunn 30912 Großschönau M 32522 Sallingberg 31725 Wiener Neudorf 32 19 05 50 20 Weinviertel 3.524 213.000 01 51 24.383.124 19.665.234 3.423 Klassen 2.123 Klassen 30910 Bad Großpertholz 32110 Großweikersdorf 31025 Mailberg 30722 Scharndorf 30401 12 21 28 27 30 13 41 Thermenregion 874 31.973 30805 31813 Grünbach am Schneeberg 31026 Maissau 32013 Scheibbs 31726 Wienerwald 20 43 09 54 26 45 6.167 Lehrer/innen 5.664 Lehrer/innen 30 03 32302 Bad Schönau 31709 Gumpoldskirchen 31521 Mank 31832 Scheiblingkirchen-Thernberg 32016 Wieselburg 10 03 33 50 Seen (Gesamtfläche) 4,30 km2 Ottensteiner Stausee Kamptal 815 28.080 40 06 62.694 Schüler/innen 40.545 Schüler/innen 32528 Bad Traunstein 30612 Günselsdorf 30716 Mannersdorf am Leithagebirge 31543 Schollach 32017 Wieselburg-Land 21 22 0,68 km2 Lunzer See Carnuntum 523 24.873 30603 Bad Vöslau 31014 Guntersdorf 30834 30631 Schönau an der Triesting 32335 08 26 63 10 16 36 36 30604 Baden 31710 Guntramsdorf 31522 32523 Schönbach 31653 Wildendürnbach 53 03 30 0,52 km2 Erlaufsee (zu ca. 50 Prozent in NÖ ) Kremstal 481 19.409 Marbach an der Donau 19 55 29 32503 Bärnkopf 32511 Gutenbrunn 30835 31355 Schönberg am Kamp 31654 Wilfersdorf 09 29 04 21 08 12 57 Wagram 617 19.372 30506 Behamberg 32308 Gutenstein 31716 Maria Enzersdorf 31542 Schönbühel-Aggsbach 31947 Wilhelmsburg 11 19 28 11 21 24 05 59 Wachau 143 7.718 30703 Berg H 31326 Maria Laach am Jauerling 30852 Schönkirchen-Reyersdorf 31845 Willendorf 06 22 46 Sonderschulen und Polytechnische Schulen 2014/15 23 09 34 28 54 31303 Bergern im 30514 Haag 31523 Maria Taferl 31833 31846 Wimpassing im Schwarzatale 02 56 10 27 22 05 Traisental 137 7.610 22 24 12 31503 Bergland 31315 Hadersdorf-Kammern 31921 Maria-Anzbach 31834 32223 Windigsteig 23 02 43 47 15 06 26 Übernachtungen (in Tsd.) 2015 nach Herkunftsland 15 sonstige 6 204 30605 Berndorf 31015 Hadres 30736 Maria-Lanzendorf 31646 Schrattenberg 30541 Winklarn 19 50 08 07 51 24 38 03 28 18 37 14 48 Sonderschulen Polytechnische Schulen 31604 Bernhardsthal 31910 31922 Markersdorf-Haindorf 31041 Schrattenthal 32336 Winzendorf-Muthmannsdorf 15 01 07 28 55 10 08 30507 Biberbach 31206 Hagenbrunn 30836 30935 Schrems 31948 Wölbling 51 04 15 01 30 16 04 484 Klassen 154 Klassen Biedermannsdorf 03 27 27 14 05 52 96,1 Tschechische Republik 31702 30515 Haidershofen 32319 30739 Schwadorf 32018 Wolfpassing 11 17 14 09 29 02 42 31201 Bisamberg 30710 Hainburg an der Donau 32517 Martinsberg 31835 30542 Wolfsbach 30 13 15 60 1.271 Lehrer/innen 456 Lehrer/innen 38 43 01 06 74,3 China 31504 Bischofstetten 31403 Hainfeld 30838 -Raggendorf 31836 31954 44 33 28 41 42 65 Obsternte 2015 6 03 43 40 35 56 17 3.856 Schüler/innen 2.919 Schüler/innen 31505 Blindenmarkt 31016 Hardegg 32320 Matzendorf-Hölles 32524 Schwarzenau 30728 Wolfsthal 35 19 35 14 08 63,4 Italien 48 13 32 30646 Blumau-Neurißhof 30825 31950 32326 Schwarzenbach 31655 Wolkersdorf im Weinviertel 01 40 04 16 44 Flüsse (Gesamtlänge) Donau 2.848 km (davon in NÖ: 218 km) 52 34 26 01 36 42 60,7 Slowakei 31605 Bockfließ 31207 Harmannsdorf 31327 Mautern an der Donau 31939 Schwarzenbach an der Pielach 32337 Wöllersdorf-Steinabrückl 12 20 12 34 46 46 58 35 March 352 km (davon in NÖ: 80 km) 42 30 22 57,6 Rumänien Ernte in t Obstsorte Ernte in t Obstsorte 31903 Böheimkirchen 30711 Haslau-Maria Ellend 31114 Meiseldorf 30740 Schwechat 31051 Wullersdorf 46 39 49 19 41 25 16 15 50 30 Thaya 290 km (davon in NÖ: 135 km) 31904 Brand-Laaben 30915 Haugschlag 31524 Melk 32525 Schweiggers 31847 Würflach 02 53 02 31 56,5 Schweiz und Liechtenstein 15.899 Winteräpfel 395 Zwetschken 30903 Brand-Nagelberg 31018 Haugsdorf 31923 Michelbach 31837 32139 Würmla 07 25 49 31 Allgemeinbildende höhere Schulen 2014/15 23 19 Enns 254 km (davon in NÖ: 26 km) 31804 Breitenau 31911 Haunoldstein 32120 Michelhausen 31042 Seefeld-Kadolz Y 10 53 21 25 14 4.622,7 Österreich 55,5 USA 6.329 Ananas-Erdbeeren 294 Pfirsiche und Nektarinen 28 11 22 16 24 26 52 Wien 02 31703 Breitenfurt bei Wien 31620 Hausbrunn 32321 Miesenbach 30633 Seibersdorf 31549 Ybbs an der Donau 01 03 19 Kamp 153 km 08 17 33 20 11 32 07 21 813,6 Deutschland 47,0 Vereinigtes Königreich 5.439 Marillen 275 Walnüsse 29 21 09 43 22 51 31805 Breitenstein 30826 31633 Mistelbach 30532 Seitenstetten 30543 Ybbsitz 30 08 50 05 34 44 13 10 Ybbs 126 km 12 32325 Bromberg 31208 Hausleiten 31408 Mitterbach am Erlaufsee 31838 Semmering 31552 Yspertal 54 14 28 133,9 Ungarn 45,8 Spanien 1.674 Winterbirnen 237 Himbeeren AHS (Langform) Aufbaugymnasien und -realgymnasien Die Gemeinden und Bezirke in Niederösterreich (Gemeindekennziffern) 49 31 03 03 38 17 30704 Bruck an der Leitha 30916 Heidenreichstein 30621 Mitterndorf an der Fischa Senftenberg Z 40 39 13 29 34 27 01 03 40 02 15 03 Traisen 70 km 31343 36 27 31 30 18 104,7 Polen 36,8 Frankreich 736 Sommerbirnen 79 rote und weiße Ribiseln 1.328 Klassen 27 Klassen 38 19 23 11 34 11 22 31704 Brunn am Gebirge 30613 Heiligenkreuz 31717 Mödling 32131 Sieghartskirchen 30544 Zeillern 34 05 37 04 41 13 04 35 41 09 44 02 27 16 45 16 36 33 Schwechat 62 km 31102 Brunn an der Wild 31019 Heldenberg 31815 Mönichkirchen 31226 Sierndorf 32140 Zeiselmauer-Wolfpassing 23 26 07 16 02 38 19 97,2 Niederlande 35,8 Südkorea 716 Kirschen 74 schwarze Ribiseln 30.540 Insgesamt 590 Insgesamt 14 22 17 21 47 04 25 01 39 21 31806 Buchbach 31711 Hennersdorf 30913 Moorbad Harbach 31124 Sigmundsherberg 31550 Zelking-Matzleinsdorf 14 09 12 17 06 08 12 630 Sommeräpfel 60 Weichseln 16.282 Schülerinnen 323 Schülerinnen 41 12 18 32 29 31842 Bürg-Vöstenhof 30614 Hernstein 30737 Moosbrunn 32132 Sitzenberg-Reidling 31052 Zellerndorf 15 42 15 06 10 15 04 11 14 06 10 13 09 26 31103 Burgschleinitz-Kühnring 31621 Herrnbaumgarten 32143 Muckendorf-Wipfing 31043 Sitzendorf an der Schmida 31053 Ziersdorf 35 01 31 04 533 Holunder 7 Kulturheidelbeeren 08 02 13 03 18 09 D 31912 32322 32327 32338 20 15 51 12 02 25 06 39 17 05 39 37 30808 Deutsch-Wagram 30732 Himberg 31330 Mühldorf 30724 Sommerein 30863 12 04 24 Fläche 19.196,3 km2 Fläche, davon: Top-5-Aktivitäten von Niederösterreich-Urlauber/innen Oberstufenrealgymnasien AHS (insgesamt) 07 01 18 07 45 41 21 29 32202 Dietmanns 31712 Hinterbrühl 31718 Münchendorf 30533 Sonntagberg 31848 Zöbern 32 09 35 23 16 60,5 % Dauersiedlungsraum 186 Klassen 1.541 Klassen 32203 Dobersberg 30917 Hirschbach 31525 Münichreith-Laimbach 30635 Sooß 32141 Zwentendorf an der Donau 30 33 10 13 20 09 09 03 07 06 27 37 33 31506 Dorfstetten 30615 Hirtenberg N 32530 Zwettl-Niederösterreich 03 06 18 36 13 48,7 % landwirtschaftliche Nutzung 4.211 Insgesamt 35.341 Insgesamt 30854 10 05 12 31606 Drasenhofen 31622 Hochleithen 31028 Nappersdorf-Kammersdorf 31227 Spillern 30741 Zwölfaxing 04 11 15 31 58 % Spazierengehen 01 39 22 20 46 26 39,6 % Wald 2.610 Schülerinnen 19.215 Schülerinnen 31104 Drosendorf-Zissersdorf 32309 Hochneukirchen-Gschaidt 31817 Natschbach-Loipersbach 31344 Spitz 04 14 8 45 % Restaurantbesuche 43 14 23 27 30810 Drösing 32310 31925 31411 St. Aegyd am Neuwalde 20 04 07 24 07 38 % Sehenswürdigkeiten besuchen 31356 Droß 30713 Hof am Leithaberge 31634 Neudorf bei Staatz 32142 St. Andrä-Wördern 01 31 32 05 14 Niederösterreich in Zahlen 31507 Dunkelsteinerwald 31511 Hofamt Priel 30520 Neuhofen an der Ybbs 32011 St. Anton an der Jeßnitz 08 19 37 30 24 10 38 37 % Ausflüge außerhalb des Urlaubsorts 30811 Dürnkrut 30712 Höflein 31926 31123 St. Bernhard-Frauenhofen 21 05 36 01 31304 Dürnstein 31849 Höflein an der Hohen Wand 31527 Neumarkt an der Ybbs 31830 St. Corona am 11 18 34 % Wandern 26 08 01 E 31909 Hofstetten-Grünau 31818 Neunkirchen 31831 St. Egyden am Steinfeld 11 13 49 34 32304 32311 30841 30526 St. Georgen am Reith 45 Allgemeine Viehzählung 2015 Jagdstatistik (Wildabschuss) 2015 36 34 13 30812 Ebenthal 30827 30521 Neustadtl an der Donau 30527 St. Georgen am Ybbsfelde 16 26 47 31 30729 Ebergassing 31404 Hohenberg 31927 Neustift-Innermanzing 32012 St. Georgen an der Leys 02 16 Autobahn- und Schnellstraßenlängen 2015 Flughafen Wien-Schwechat, Fluggäste 2015 nach Strecken 18 35 30607 Ebreichsdorf 30920 Hoheneich 31234 Niederhollabrunn 31539 St. Leonhard am Forst 39 04 42 6 32504 Echsenbach 30828 31636 Niederleis 31340 St. Leonhard am Hornerwald 23 773.775 Schweine 75.017 Rehwild 11.893 Wildenten 29 17 33 30813 31021 Hohenwarth-Mühlbach am Manhartsberg 31528 Nöchling 31938 St. Margarethen an der Sierning 25 06 46 37 442.582 Rinder 66.334 Hasen 8.708 Rotwild 31807 Edlitz 31022 Hollabrunn 31928 Nußdorf ob der Traisen 30932 St. Martin 21 11 44 142,7 km A 1 Westautobahn 1.346.063 Frankfurt am Main 08 32 10 31105 Eggenburg 30516 Hollenstein an der Ybbs O 31540 St. Martin-Karlsbach 10 25 71.357 Schafe 45.704 Raubwild 4.215 Wildkanichen 05 01 43 26 78,7 km A 2 Südautobahn 957.652 Zürich 32305 Eggendorf 32312 Hollenthon 31929 Ober-Grafendorf 31541 St. Oswald 38 27 33 15.352 Ziegen 25.179 Fasane 2.647 Wildtauben 30904 Eggern 31109 Horn 32006 Oberndorf an der Melk 30529 St. Pantaleon-Erla 12 38,2 km A 21 Wiener Außenringautobahn 911.471 London 20 35 20.722 Schwarzwild 1.317 Gamswild 31905 30715 Hundsheim 30842 30530 St. Peter in der Au 14 9 07 19,7 km A 22 Donauuferautobahn 791.427 Düsseldorf 30906 Eisgarn 31513 Hürm 30623 Oberwaltersdorf 30201 St. Pölten 41 17 30 12 31553 Emmersdorf an der Donau I 31930 Obritzberg-Rust 30531 St. Valentin 40 17,3 km A 3 Südostautobahn 785.324 Berlin 30814 Engelhartstetten 31913 Inzersdorf-Getzersdorf 30522 Oed-Oehling 31412 St. Veit an der Gölsen 03 02 30,8 km A 4 Ostautobahn 768.681 Paris 30508 Ennsdorf 31110 Irnfritz-Messern 30524 Opponitz 31649 Staatz 31808 J 30844 15 14 22,9 km A 5 Nord/Weinviertelautobahn 681.679 Istanbul 31940 48 15 Enzersdorf an der Fischa 31319 Ottenschlag 30706 Jaidhof 32518 32014 Steinakirchen am Forst 02 646.994 Moskau 31202 Enzersfeld im Weinviertel 31111 Japons 31658 Ottenthal 31228 Stetteldorf am Wagram 30608 Enzesfeld-Lindabrunn 30829 31820 31229 Stetten 560.490 Hamburg Frost-, Eis-, Sommer- und heiße Tage 2015 09 31508 Erlauf 32112 Judenau-Baumgarten P 31230 Stockerau 539.321 München 31203 Ernstbrunn K 30845 Palterndorf-Dobermannsdorf 31941 Stössing 30509 Ernsthofen 31713 Kaltenleutgeben 30846 Parbasdorf 31130 Straning-Grafenberg Politische Bezirke 535.891 Amsterdam 30510 Ertl 31915 31333 Paudorf 30856 Strasshof an der Nordbahn 301 Krems an der Donau (Stadt) Wohnbevölkerung 2016 nach ausgewählten Geburtsländern 458.614 Dubai Frosttage (Minimum unter 0 °C) Eistage (Maximum unter 0 °C) Sommertage (Maximum über 25 °C) Heiße Tage (Maximum über 30 °C) 31402 Eschenau 32209 Karlstein an der Thaya 31821 302 St. Pölten (Stadt) 31346 Straß im Straßertale 322 30511 Euratsfeld 31916 31719 Perchtoldsdorf 31347 Stratzing 303 Waidhofen an der Ybbs (Stadt) 430.718 Brüssel Tage Orte Tage Orte Tage Orte Tage Orte F 31917 Kasten bei Böheimkirchen 31117 Pernegg 30534 Strengberg 304 Wiener Neustadt (Stadt) 311 425.907 Rom 136 Semmering 33 Semmering 87 Hohenau an der March 46 Hohenau an der March 31608 Falkenstein 32313 31033 Pernersdorf 31650 Stronsdorf 305 Amstetten 309 316 1.653.419 gesamt 31609 Fallbach 31405 Kaumberg 32323 30857 306 Baden 310 1.452.979 Österreich 421.406 Barcelona 122 Zwettl-Niederösterreich 7 Zwettl-Niederösterreich 84 Krems an der Donau 43 Krems an der Donau 31809 32210 Kautzen 31946 Perschling T 307 Bruck an der Leitha 325 313 415.314 Mailand 92 Wr. Neustadt 4 St. Pölten 77 Wr. Neustadt 42 Wr. Neustadt 32307 Felixdorf 30517 Kematen an der Ybbs 31530 Persenbeug-Gottsdorf 30636 Tattendorf 308 Gänserndorf 23.010 Deutschland 301 312 32106 Fels am Wagram 31514 Kilb 30718 Petronell-Carnuntum 30637 Teesdorf 309 Gmünd 21.335 Türkei 405.524 Bukarest 80 Hohenau an der March 4 Wr. Neustadt 75 St. Pölten 42 Retz 30512 Ferschnitz 32114 Kirchberg am Wagram 31531 Petzenkirchen 310 Hollabrunn 321 31839 308 72 Krems an der Donau 4 Retz 68 Retz 41 St. Pölten 30730 Fischamend 30921 Kirchberg am Walde 32214 Pfaffenschlag bei Waidhofen an der Thaya 31551 Texingtal 311 Horn 315 302 Kennziffern 18.608 Rumänien 31906 31814 30625 Pfaffstätten 32217 Thaya 312 Korneuburg 319 1. Stelle: Bundesland 17.664 Bosnien und Herzegowina 56 St. Pölten 3 Hohenau an der March 58 Zwettl-Niederösterreich 32 Zwettl-Niederösterreich 30609 Furth an der Triesting 31918 31642 Pillichsdorf 32330 313 Krems (Land) 305 317 307 52 Retz 2 Krems an der Donau 35 Semmering 1 Semmering 31309 Furth bei Göttweig 32514 Kirchschlag 31823 31840 314 Lilienfeld 2. und 3. Stelle: Politischer Bezirk (Statutarstadt) 13.614 Serbien 306 G 32314 Kirchschlag in der Buckligen Welt 31533 Pöchlarn 31413 Traisen 315 Melk 303 320 314 4. und 5. Stelle: Gemeinde 10.938 Ungarn 31706 Gaaden 31919 31534 Pöggstall 30639 Traiskirchen 316 Mistelbach 323 31949 31515 Kirnberg an der Mank 32520 Pölla 31943 317 Mödling 305 304 10.402 Polen 32001 Gaming 30616 Klausen-Leopoldsdorf 30626 Pottendorf 31841 318 Neunkirchen 318 Grenzen der Bundesländer 84.869 andere 30817 Gänserndorf 30733 Klein-Neusiedl 30627 Pottenstein 30726 Trautmannsdorf an der Leitha 319 St. Pölten (Land) 323 31106 Gars am Kamp 31516 Klein-Pöchlarn 31644 Poysdorf 30641 Trumau 320 Scheibbs Grenzen der Politischen Bezirke 32206 Gastern 31406 Kleinzell 30719 Prellenkirchen 32134 Tulbing 321 Tulln Grenzen der Gemeinden 31611 Gaubitsch 32144 Klosterneuburg 31951 32135 Tulln an der Donau 322 Waidhofen an der Thaya Wege in das weite Land 31612 Gaweinstal 32115 Königsbrunn am Wagram 31825 31953 323 Wiener Neustadt (Land) 31310 Gedersdorf 32116 Königstetten 31932 31414 Türnitz 325 Zwettl 31107 Geras 31213 Korneuburg 30848 31235 Gerasdorf bei Wien 32515 Kottes-Purk 31826 31907 30618 Kottingbrunn 32007 Puchenstuben 46 Symbole in den Wappen niederösterreichischer Gemeinden 12 13 14 15 111 Klingendes Niederösterreich – Musikschulen und Instrumente 12 14 Symbole in den Wappen niederösterreichischer Gemeinden Klingendes Niederösterreich – Musikschulen und Instrumente Land der Freiwilligen Dass es in Niederösterreich um die Sicher- gebietes entstanden sind. Ähre und kaiserlichen Doppeladler. Den Binden- 36 Rund 58.000 Schüler/innen werden von projekte mit Regelschulen und Kinder- 19.686 Vereine stärken das soziale Gefüge, heit seiner Bewohner lange nicht gut Traube repräsentieren die Fruchtbarkeit schild trifft man häufig für Siedlungen 47 25 2.300 Lehrenden an 128 niederösterreichi- gärten und vieles mehr sind Teil leisten ehrenamtliche Arbeit für die bestellt war, zeigt die hohe Anzahl vieler Landstriche. Die zahlenmäßig in an, die bereits in der Babenbergerzeit schen Musikschulen unterrichtet. Sie der musikalischen Basisausbildung und Gesellschaft, sind Kulturträger und von gekreuzten Schwertern sowie Mauern Gemeindewappen ebenfalls gut ver- entstanden sind. Richtige Wappen- alle prägen und gestalten das kulturelle nehmen auch in der Persönlichkeits- bringen Menschen mit gemeinsamen und befestigten Türmen in den Gemein- tretenen Adler und Löwen symbolisieren verleihungen erfolgten aber in der Regel 8 Leben ihrer Region wesentlich mit. bildung junger Menschen eine wichtige Interessen zusammen. dewappen. Türme und Mauern (oft oft einen königlichen oder kaiserli- erst in späteren Zeiten. Die meisten Klassenabende, Konzerte, Kooperations- Rolle ein. auch Mauerkronen) stehen vor allem für chen Herrschaftsanspruch oder eine stammen aus dem 20. Jahrhundert. 7 1.642 Freiwillige Feuerwehren 112 Land der Freiwilligen die zahlreichen Städte des Landes. Privilegierung. So verweist etwa im S 1.860 Sparvereine 90 Betriebsfeuerwehren Schon an zweiter Stelle der häufigsten Wappen von Melk der böhmische zwei- Q ♪ Musikschüler/innen Sparvereine mit dem Namen „Biene“ Symbole folgt der Baum, der oft von schwänzige Löwe auf König bzw. Herzog 133 zählen zu den häufigsten, aber Ensembles Feuerwehrmitglieder: 96.990 Orten zum Wappensymbol gewählt wird, Otakar II. Přemysl. Kaiser Friedrich III. L ♫ auch alle anderen Namensgebungen – 21 11 6 Aktive Mitglieder, Männer: 72.550 die am Rande eines größeren Wald- verlieh seinen treuen Städten gerne den G von „emsig und fröhlich“ bis „zur Aktive Mitglieder, Frauen: 4.028 Z ♪ langen Nacht“, von „Neuer Welt“ Feuerwehrjugend, Burschen: 3.706 42 Zither bis „Zapfsäule“ – zeichnen sich durch Feuerwehrjugend, Mädchen: 953 832 Elektronisches Industrieviertel Laab im WaldeNRb Weikersdorf Golling an der ErlaufP St. Leonhard am ForstNc Hadres Fantasie und Humor aus. Reserve: 15.753 34 ♪Tasteninstrument J Der Sparvereinskasten ist eine AchauPR Lanzendorf am SteinfeldeIRb Göpfritz an der WildB St. MartinGLC HagenbrunnCF AllandOB LanzenkirchenEL Weißenbach an GrafeneggEKPF St. Martin-KarlsbachR HaringseeY ♪ mit mehreren Geldeinwurfschlitzen Altendorf LaxenburgGNBW der TriestingP c65 GrafenschlagEL St. OswaldKb HarmannsdorfN ♪ 93 Hackbrett ausgestattete große und robuste Aspangberg Sankt PeterG LeobersdorfE Wiener Neudorf GroßdietmannsQB SchollachEG HaugsdorfEF 141 Orgel Spardose zur Wandbefestigung. Jeder Aspang Markt LeopoldsdorfU Wiener NeustadtEGIK Groß GerungsPB Schönbach HausbrunnE der nummerierten oder beschrifteten = 1.000 Feuerwehrmitglieder = 1.000 Rot-Kreuz-Mitglieder 5 2.068 Klarinette o Au am LeithagebirgeW LichteneggEB Wiener Neustadt-Land Großschönau SchönbergJF HauskirchenE Schlitze führt zu einem eigenen r Bad Deutsch- LichtenwörthW WienerwaldRk e Groß-SieghartsV Schönbühel HausleitenEC ♪652 Horn Sparfach für Münz- oder Papiergeld. AltenburgEGI MannersdorfW WiesmathLY F 7 GroßgöttfritzB SchremsW HeldenbergGF Sparkästen werden in Gaststätten Bad ErlachYb Maria EnzersdorfS WillendorfP 15 Gutenbrunn Schwarzenau HerrnbaumgartenENF ooooo ooooo 680 Tenorhorn an einer Wand angebracht und rrrrr rrrrr Bad Fischau-BrunnM Maria LanzendorfEW Wimpassing im T HardeggEU Schweiggers HochleithenC ♪ ♪ dienen dem geselligen „Club-“ oder Bad Schönau Markt Piesting Schwarzatale Hadersdorf-Kammern Senftenberg Hohenau an der March ooooo ooooo ELZ PC L E EI 1.240 Saxophon „Vereinssparen“ einer festen Gruppe Bad VöslauB Matzendorf-Hölles Winzendorf- HeidenreichsteinOY Sigmundsherberg Hohenwarth-MühlbachEJ ♪ von Sparer/innen. rrrrr rrrrr BadenY Miesenbach MuthmannsdorfT M Hirschbach Spitz HollabrunnKP ♪ 224 Harfe ooooo oo BergRFW Mitterndorf an der Fischa WolfsthalECc 49 Hofamt PrielGk Straning-GrafenbergF Jedenspeigen 2.815 Violine ♪ BerndorfCBX MödlingNU Wöllersdorf- 48 U Hoheneich Straß im StraßertaleK KorneuburgEGP ♪ 124 Fagott 241 Tuba 3.207 Flöte rrrrr rrrrr BiedermannsdorfD MönichkirchenEJ SteinabrücklEH Horn StratzingEID KreuttalCF Blumau-NeurißhofE Moosbrunn WürflachLPc HürmPCU TexingtalD KreuzstettenD ♪ BreitenauC Muggendorf ZillingdorfPC Irnfritz-MessernC ThayaE Laa an der ThayaENb 131 Viola rrrrr rrrrr Breitenfurt bei WienE MünchendorfNY ZöbernLV JaidhofIC Unserfrau-Altweitrak LadendorfB 3.913 Blockflöte BreitensteinH Natschbach-LoipersbachPC Zwölfaxingk JaponsU VitisEK LangenzersdorfOV ♪ BrombergEJC NeunkirchenE Karlstein an der ThayaX Waidhofen an der ThayaN LasseeC rrrrr rrrrr Bruck an der LeithaEGI OberwaltersdorfEHP Mostviertel KautzenCY Waidhofen LeitzersdorfCS 7.029 Gitarre 725 Violoncello Brunn am GebirgeN OtterthalB AbsdorfQC KilbNQB an der Thaya-Land NY LeobendorfV ♪ ♪ BuchbachB PayerbachHV AllhartsbergSF Kirchberg am WaldeEB WaldensteinOB Leopoldsdorf rrrrr rrrrr 2.191 Gesang Bürg-VöstenhofEGIP PerchtoldsdorfEGN AltlengbachPBT 11 KirchschlagE WaldhausenCB im MarchfeldeNC ♪584 Posaune EbenfurthEI PernitzB AmstettenPU Kirnberg an der Mank WaldkirchenEND MailbergN ♪ rrrrr rrrrr Im Lauf der Zeit EbergassingPk Petronell-CarnuntumI AnnabergNY Klein-PöchlarnMP Weitersfeld MaissauEGI 34 215 Oboe EbreichsdorfMP PfaffstättenY ArdaggerB 6 Kottes-PurkEI Weinzierl am Waldec MarcheggVY EdlitzEPB PittenU Aschbach-MarktKMP P KremsK Weißenkirchen MarkgrafneusiedlEK H rrrrr rrrrr ♪ 1.205 E-Gitarre Eggendorf Pottendorf Asperhofen Krems-Land in der Wachau Matzen-Raggendorf ♪ C GI C E X 657 Steirische Harmonika EnzenreithEb PottensteinEG Atzenbrugg X Krumau am KampEP WeitenEGI MistelbachB ♪ C42 ♪517 Akkordeon ♪ Enzersdorf an der FischaC PrellenkirchenECF BehambergU 19 KrummnußbaumB WeitraEG Nappersdorf rrrrr rrrrr Enzesfeld-LindabrunnD PrigglitzEHP BiberbachV LangauL Windigsteige Neudorf bei StaatzL ♪ ♪ N 218 Flügelhorn FelixdorfEIY Puchberg am SchneebergJB BöheimkirchenEc LangenloisBW Ybbs an der DonauEGI Neusiedl an der ZayaCFD 158 Kontrabass FischamendM Raach im HochgebirgeGO Brand-LaabenE 11 LangschlagDc YspertalEM NiederhollabrunnB rrrrr rr Furth an der TriestingLC RauchenwarthEC EichgrabenHR LeibenOB Zelking-Matzleinsdorf NiederleisVD GaadenZ Reichenau an der RaxNUb EnnsdorfK LengenfeldKF ZwettlKN ObersiebenbrunnCD 2.125 Trompete ♪348 E-Bass 248 Landtagswahlen 1919–2013 GießhüblOBb ReisenbergC ErnsthofenI 16 W Lichtenau im Waldviertel Orth an der DonauR GloggnitzW Rohr im GebirgeY ErtlU k LitschauL Weinviertel OttenthalLk 31 3.616 Schlagwerk Göttlesbrunn-ArbesthalFU RohrauC EschenauB Y LoosdorfNc AderklaaCb Palterndorf- Götzendorf an der Leitha Sankt Corona EuratsfeldXY 20 Ludweis-AigenEY Alberndorf im PulkautalCF DobermannsdorfFb ♪ Grafenbach-St. ValentinU am WechselKBY Fels am WagramEFY Mank AltlichtenwarthE PernersdorfF ♪ Grammatneusiedl Sankt Egyden am SteinfeldR FerschnitzP Marbach an der DonauEGP Angern an der MarchNY PillichsdorfF 8.246 Klavier Grimmenstein Scharndorf Frankenfels V Maria Lach am Jauerling Asparn an der Zaya Poysdorf ES EG O OW B KFY Grünbach am Schneeberg Scheiblingkirchen GablitzBY Maria TaferlER AuersthalCF ProttesCF GumpoldskirchenNF Schönau an der Triesting GamingN LangenrohrNE 21 MartinsbergL Bad PirawarthPB PulkauW GuntramsdorfF GKPC GerersdorfUZ Lilienfeld 24 R MauternEU BernhardsthalGb RabensburgGK KD

Günselsdorf SchottwienEN Göstling an der YbbsD Loich MeiseldorfS BisambergIFV RavelsbachU ♪ GutensteinEKO SchrattenbachD GrafenwörthEG Lunz am See 26 MelkU BockfliesF RetzbachOS

Hainburg an der DonauEU SchwadorfMc GrestenEY Maria AnzbachY Moorbad HarbachR Deutsch-WagramC Ringelsdorf-Niederabsdorf 507 Tennis- und 0 E Tischtennisvereine 0 Haslau an der DonauP Schwarzau am SteinfeldBS Gresten-LandLF Markersdorf-HaindorfOb I MühldorfQVb DrasenhofenK RußbachPB Heiligenkreuzb Schwarzau im GebirgeB GroßweikersdorfKF MauerbachN b Bischofstetten Neumarkt an der YbbsU DrösingE Schönkirchen-ReyersdorfEF 8 Rudervereine Hennersdorf bei WienC SchwarzenbachKW GroßriedenthalCF MichelbachH O BlindenmarktJO NöchlingNB DürnkrutLN SchrattenbergF HernsteinEB SchwechatEY HaagLZa Mitterbach Brand-NagelbergB OttenschlagLQ EbenthalLU SchrattenthalEO Himberg bei WienO SeebensteinE HafnerbachN2 am ErlaufseeKQ 71 Brunn an der WildJB PaudorfBF EckartsauNU Seefeld-KadolzF 25 Unterstützungsvereine3 HinterbrühlYZ SeibersdorfC HaidershofenCR Muckendorf-WipfingMC ReinsbergGI Burgschleinitz-KühnringK PerneggBX EngelhartstettenC SierndorfNC 2.171 Holzbläserensembles HirtenbergE SemmeringHB HainfeldEGIND Neidling Rohrbach an der Gölsenk DietmannsB Persenbeug-GottsdorfEP EnzersfeldCR Sitzendorfc 433 Ortsgruppen 1.400 Chöre und Vokalensembles, 25 Briefmarkenvereine Hochneukirchen- SollenauEB HaunoldsteinCU NeuhofenZY St. Aegyd am NeuwaldeBU Statzendorf DobersbergD PetzenkirchenEX Ernstbrunn SpannbergWb 884 Kammermusik St. Andrä-Wördernc Steinakirchen am ForstE DorfstettenB x Pensionisten: 79.473 Personen; 493 Blasmusikvereine, GschaidtEO Sommerein HerzogenburgK Neulengbach D PfaffenschlagY FalkensteinKO SpillernU ♫ ♫ w 236 Akkordeonensembles 69.107 zahlende und 960 Volkskulturgruppen, HochwolkersdorfN SooßE Hofstetten-GrünauW Neustadtl an der DonauEB St. Anton an der JeßnitzD StössingB DrosendorfEGIK PöchlarnMPY FallbachEPC StaatzEO St. Georgen am YbbsfeldeVY StrengbergBb Droß ♫ 10.366 betreute Mitglieder 400 Theatervereine 26 Brieftaubenvereine Hof am LeithagebirgeP TattendorfKR HohenbergU Neustift-InnermanzingB UD PöggstallLR Gänserndorf StetteldorfECF 50 Fanclubs ♫ 2.189 Blasorchester HöfleinED Teesdorfe Inzersdorf-GetzersdorfF NussdorfNR St. Georgen an der LeysVY TraisenV WieselburgEP Waldviertel DunkelsteinerwaldOBb PöllaEI GaubitschKF StettenF 271 Bläserensembles und 600 Kulturvereine 2 St. MargarethenC TraismauerEP Wieselburg-LandEB DürnsteinEGI Höflein an der Hohen TernitzC Judenau-BaumgartenI Obergrafendorf AggsbachOP Raabs an der ThayaEO GaweinstalNR StockerauNB 26 Dart-Clubs WandD TheresienfeldK KapellnE Oberndorf an der MelkNU St. PantaleonPC Tulbingkb WilhelmsburgEIND AlbrechtsbergJLP EchsenbachC Rappottenstein Gerasdorf bei WienLP StrasshofB 1.327 Blechbläserensembles 54 gemeinschaftliche Hohe WandE ThomasbergEGI KarlstettenT Obritzberg-RustU St. Peter in der Au TullnKN WinklarnC AllentsteigEI EggenburgE Rastenfeld GnadendorfR StronsdorfE Tiefkühlanlagen St. Pöltenc TullnerbachPT WölblingE HollenthonBVD TraiskirchenE Kasten bei Oed-ÖhlingY AltenburgEk Eggern RaxendorfJ GöllersdorfF Sulz im WeinviertelF 30 Oldtimer-Clubs St. Pölten-Land TürnitzEPD Wolfpassingc ♫ Eisgarn ♫ 74 Absolventenverbände Hundsheime TrattenbachP BöheimkirchenECc OpponitzU AltmelonB ReingersKM GrabernE UlrichskirchenEY 1.159 Chor-/Vokalendembles s z KaltenleutgebenR Trautmannsdorf an der KaumbergKD PressbaumB St. ValentinC ViehdorfD BWolfsbachQc Amaliendorf-AalfangMPB Emmersdorf an der Donau RöhrenbachEP GroßebersdorfF Velm-GötzendorfFW KatzelsdorfE LeithaHW KematenH Prinzersdorf St. Veit an der GölsenZ Waidhofen WolfsgrabenBc ArbesbachPBU ErlaufN RohrendorfKF GroßengersdorfCFT WeikendorfCY ♫ 46 Züchter, Kleintierzuchtverband 433 Kirchberg am Wechsel Trumau Kirchberg am Wagram Puchenstuben Scheibbs an der YbbsEGIY WürmlaC Artstetten-PöbringK Furth bei GöttweigOb Röschitz Groß-Enzersdorf Wilfersdorf 81 Modell-Clubs 1 E L E B F Y c Kirchschlag in der Buckligen VösendorfE Kirchberg an der PielachEP Purgstall an der ErlaufY Schwarzenbach an Wallsee-SindelburgM Ybbsitz Bad GroßpertholzKP Gars am KampBYe Rosenburg-MoldKC Großharrasb WullersdorfK der PielachEH Wangk Zeillernd GasternC ♪ WeltEY WaidmannsfeldE KirchstettenEKN PurkersdorfKBU Bad TraunsteinLBV Rossatz-ArnsdorfUW Groß-SchweinbarthEF ZellerndorfEJ 1.387 Ensembles 48 Schach-Clubs Seitenstetten WeinburgT Zeiselmauer 1.913 Bands 147 Arbeitervereine Schön, gut und wirklich wahr Klausen-LeopoldsdorfG WaldeggGB Kleinzellk PyhraCc BärnkopfB GedersdorfPFD RuprechtshofenN GroßkrutEc ZiersdorfCFd unterschiedlicher Besetzungen Klein-Neusiedlc WalpersbachM KlosterneuburgEG RabensteinKNS SieghartskirchenEIB Weißenkirchen WolfpassingEGIc Bergern im Geras SallingbergN GroßmuglKO ZistersdorfEI 800 Blockflötenensembles t Sitzenberg-ReidlingEMb an der PerschlingRT Zwentendorf GföhlBc ♫ KottingbrunnL WarthNU KönigsbrunnUW Ramsau DunkelsteinerwaldCBF St. Bernhard-Frauenhofen GroßrußbachJc ♫ BD SonntagbergE Weistrach an der Donau 1.422 Gitarrenensembles KrumbachU WartmannstettenEC KönigstettenNU RandeggN MC BerglandOB GmündKN St. Leonhard GuntersdorfG ♫ ♫ 340 Kunst- und Kultur-Förderungen seit 1971 46 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 47 Leben, Alltag und Traditionen 111 112 Wege in das weite Land u Leben, Alltag und Traditionen 113 341 Studie „Ehrenamtliche Tätigkeit für Kunst und Kultur in Niederösterreich“ 46 111 112 Landtagswahlen 1919–2013 s Stimmen m Mandate p Parteien = 1 Prozent Studie „Ehrenamtliche Tätigkeit für Kunst und Kultur in Niederösterreich“ Kultureinrichtungen in Niederösterreich (Auszug) Industriestandorte in Niederösterreich um 1840

CSP = Christlichsoziale Partei Freiwillig tätige Personen besitzen laut Bindung“ kommt mit 84,8 Prozent der Von geringerer Bedeutung (55,7 Prozent) mensschichten. Knapp zwei Drittel haben Die Verteilung der Industriestandorte etwa die Walz- und Hammerwerke im Studie einen sehr hohen Grad an sozialem Personen die zweitgrößte Bedeutung für erweisen sich Motive, die zur Selbster- Matura oder einen höheren Bildungsab- B Bildende Kunst g Kulturelles Erbe ♪ Musik f Programmkino um die Mitte des 19. Jahrhunderts lässt Ybbs-, Erlauf- und Traisental, die DN = Deutschnationale Bewusstsein und möchten mit ihrem ehrenamtliche Tätigkeit zu. „Lernen und fahrung und Selbstwerterhöhung führen. schluss. Das Haushalts-Nettoeinkommen 1. Arnulf Rainer Museum (Baden) 1. 1. Allegro Vivo (Waldviertel) 1. Cinema Paradiso (Baden) die industriellen Verdichtungsräume Spinnereien und Webereien im Wiener Engagement soziale Verantwortung Kompetenzerwerb“ geben 80,1 Prozent Ehrenamtlich tätige Personen im Kunst- ist überdurchschnittlich hoch (bei etwa 2. Ausstellungshaus Spoerri (Hadersdorf 2. 5-Elemente-Museum Waidhofen/Ybbs 2. Arnold Schönberg Haus (Mödling) 2. Cinema Paradiso (St. Pölten) in den nach Norden und Osten geöffne- Becken und im Waldviertel sowie 1919 (inklusive Wien) 1921 1927 1932 1919 (inklusive Wien) 1921 1927 1932 FPÖ = Freiheitliche Partei Österreichs übernehmen. Diese Motivdimension trifft der Befragten an. Es dient dazu, „die und Kulturbereich sind zumeist berufs- 64 Prozent: 2.000 Euro/Monat oder mehr). am Kamp) 3. Haus der Regionen (Krems) 3. Beethovenhaus Baden 3. Filmclub Drosendorf ten Alpentälern, im Wiener Becken die Ziegeleien im Umkreis der Haupt- s m p s m p s m p s m p mit 87,3 Prozent für die meisten Be- eigene Lebenserfahrung zu erweitern“ tätig (etwa 67 Prozent) und rekrutieren 3. Egon Schiele Museum (Tulln) 4. Krahuletz-Museum (Eggenburg) 4. Benedict Randhartinger Museum 4. Kino im Kesselhaus (Krems) und im Oberen Waldviertel erkennen. und Residenzstadt Wien. 458.425 47 CSP 320.781 32 CSP 474.283 38 Einheitsliste (CSP+GDVP) 362.977 28 CSP GDVP = Großdeutsche Volkspartei fragten zu. Dem Wunsch nach „sozialer und „um etwas dazulernen zu können“. sich aus höheren Bildungs- und Einkom- 4. Forum Frohner (Krems) 5. MAMUZ Mistelbach und Asparn/Zaya (Ruprechtshofen) Regionale Schwerpunkte bildeten 353 Kultureinrichtungen in Niederösterreich (Auszug) 582.202 62 SDAP 241.015 22 SDAP 307.005 21 SDAP 272.595 20 SDAP 5. Gauermann Museum (Miesenbach) 6. Museum Niederösterreich (St. Pölten) 5. Chopin-Festival (Kartause Gaming) d Theater 93.809 7 DN 82.072 6 GDVP 23.597 1 Landbund für Österreich 18.427 0 Großdeutsche Volkspartei KPÖ = Kommunistische Partei Österreichs 6. Karikaturmuseum Krems 7. Museumsdorf Niedersulz 6. Donaufestival (Krems) 1. Bühne Baden 57.629 3 TS 5.477 0 KPÖ 4.012 0 NSDAP (Hitlerbewegung) 110.808 8 NSDAP (Hitlerbewegung) 7. Kunsthalle Krems 8. Römerstadt Carnuntum (Petronell) 7. Festspielhaus St. Pölten 2. Bühne im Hof (St. Pölten) 16.183 1 Nationaldemokraten 1.909 0 NSDAP 4.875 0 Völkisch-sozialer Block 10.009 0 Ständische Bauernvereinigung NSDAP = Nationalsozialistische = eine Kalenderwoche = 1.000 ehrenamtlich tätige Personen 8. Kunstmuseum Waldviertel (Schrems) 9. Ruine Aggstein 8. Ernst Krenek Forum (Krems) 3. Felsenbühne Staatz 19.248 0 Ver. demokratische Parteien 1.004 0 Demokratische 3.275 0 KPÖ 8.513 0 KPÖ Deutsche Arbeiterpartei Y 9. Landesgalerie Niederösterreich 10. Schloss Artstetten 9. Franz-Schubert-Museum (Schloss 4. Festival Retz 13.830 0 Jüdisch-nationale Partei Wirtschaftspartei 11 0 Sonstige (Krems) 11. Schloss Hof Atzenbrugg) 5. Festspiele Berndorf KW 1 KW 2 KW 3 KW 4 KW 5 KW 6 KW 7 10. Museum Gugging 12. Schloss Laxenburg 10. Glatt&Verkehrt (Krems) 6. Festspiele Reichenau 5.237 0 Schutzverband deutscher ÖVP = Österreichische Volkspartei O 11. Nitsch Museum (Mistelbach) 13. Schloss Pöggstall 11. Grafenegg 7. Festspiele Stockerau Q K Kriegsteilnehmer K Q K K K K K Q 12. NÖ Dokumentationszentrum für 14. Schloss Schallaburg 12. Haydn Geburtshaus (Rohrau) 8. Kulturszene Kottingbrunn bK K K Q 711 0 Deutschösterreichische SDAP = Sozialdemokratische Arbeiterpartei Q K T moderne Kunst (St. Pölten) 15. Stift Altenburg 13. Hugo Wolf Haus (Perchtoldsdorf) 9. Landestheater Niederösterreich T K b K Volkspartei In Niederösterreich sind KK K K P PT M SPÖ = Sozialistische Partei Österreichs 13. Oskar Kokoschka Haus Pöchlarn 16. Stift Göttweig 14. Internationale Barocktage Stift Melk (St. Pölten) K T TK T T X 17. Stift Heiligenkreuz 15. Klangraum Dobra 10. Märchensommer NÖ K Q Z K b 18. Stift Herzogenburg 16. Klangraum Waidhofen (Schloss Poysbrunn) K 1945 1949 1954 1945 1949 1954 TS = Partei der sozialistischen KK K T P O 19. Stift Lilienfeld 17. Klangturm St. Pölten 11. Nestroy-Spiele Schwechat bK bb b a a Y O und demokratischen Tschechoslowaken K b X a Personen in mindestens einem Kulturverein ehrenamtlich tätig. TK TT s m p s m p s m p 20. Stift Klosterneuburg 18. Konzerthaus Weinviertel (Ziersdorf) 12. Oper Burg Gars ObQ Tb b KW77.863 8 KW 9 KW 10 KW 11 KW 12 KW 13 KW 14 21. Stift Melk 19. Loisiarte (Langenlois) 13. Oper Klosterneuburg K T Q T 384.002 32 ÖVP 463.053 31 ÖVP 436.686 30 ÖVP T Davon sind 41 Prozent Frauen im Durchschnittsalter von 43 22. Stift Seitenstetten 20. Pleyel Kulturzentrum (Ruppersthal) 14. Raimundspiele Gutenstein YYQ T Q 284.577 22 SPÖ 329.549 22 SPÖ 353.070 23 SPÖ VV a O und 59 Prozent Männer im Durchschnittsalter von 50 Jahren. 23. Stift Zwettl 21. Schrammel.Klang.Festival 15. Sommerspiele Melk b X b 36.231 2 KPÖ 48.217 3 Linksblock (KPÖ ) 22.039 0 Wahlpartei der Unabhängigen TTP O Q V Y K K Q Y (Herrensee bei Litschau) 16. Sommernachtskomödie Rosenburg S bKT T O V XY 38.779 0 Wahlpartei der Unabhängigen 49.641 3 KPÖ K a b V Y O K bb T Y YY L b 1.265 0 Demokratische Union 22. Wellenklaenge (Lunz am See) 17. Theatersommer Haag Q Q S YY YY KK Q O K T Tb Y b 18. Sommerspiele Perchtoldsdorf K K WK Q Qb Q N O 1.505 0 Vierte Partei K Pb T 19. Teatro Barocco (Stift Altenburg) K T bbbQ SU aP V V Y XXX K K Q V V VV 20. Theater Westliches Weinviertel K K T Y V KK QT bb T b Y K T b QXK T V (Guntersdorf) P K V Q Y b 21. XYV ♪ 21. Wald4tler Hoftheater (Pürbach) XY V O KW 15 KW 16 KW 17 KW 18 KW 19 KW 20 KW 21 K K Y XXYX T V YY X M UVV YYY bY VO K V 1959 1964 1969 1959 1964 1969 K b YN Y K b U b Q SS Y K K Q T s m p s m p s m p Chöre und Vokalensembles (Volkskultur) QQSQ b b YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYY Q Pa M b Y f3. O b K K QVW T b 438.625 31 ÖVP 440.834 31 ÖVP 435.138 30 ÖVP V Tbb V Y K Q U b T U T b K V a V a V 364.589 25 SPÖ 365.187 25 SPÖ 385.174 26 SPÖ Volkstanzgruppen Burg Hardegg g1. Q S U QO V T b YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYY Kunstmuseum Waldviertel B8. QO XXQ b T 34.059 0 FPÖ 25.536 0 FPÖ 27.798 0 FPÖ Y S L d10. XXX T T V d21. d4. Y P b L V LO 25.092 0 KPÖ 20.789 0 Kommunisten und Linkssozialisten (KPÖ ) 8.432 0 KPÖ d3. Q W VV V T Blasmusikvereine Y Y O T TT V b T W N Großer Übergang in kleinen Schritten 861 0 Parteifreie Bewegung Österreichs 5.202 0 Demokratische fortschrittliche Partei YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YY Q W a S TT d19. S S YV a S S KW 22 KW 23 KW 24 KW 25 KW 26 KW 27 KW 28 Stift Altenburg g Q T Q X X U O Y 2.053 0 Nationaldemokratische Partei 15. Q W g4. b U N Q Y K Kulturvereine, Kulturinitiativen, Festivals, Jugendkultur g MAMUZ Mistelbach Q Q P N Q a b S YYYYYYYYYY YYYY Stift Zwettl 23. 15. d20. SS U T S W O YY b ♪ U X L O 18. und Asparn an der Zaya g5. Y Mb K TT O L K L b YY ♪ V V b N bQ T M O T b 1. b U P U Q b XN P Y b V K b Y ♪ Rosenburg d16. b b S O W T T Theatervereine B11. T S T Y Q O Y Y YYYYYYYYYY YYYY V W TT QVQ V O Sb b a P V O b c V T X U T Q V YYYY S VVV X b Q Q XXTT T YYY T b ST d b Q b T S Q bO TOTYYYY bP T Y V 12. X P P SS U TT YYT T O T U XV 1974 1979 1983 1974 1979 1983 Museen, Museumsvereine B2. 20. QQ O Q T NQ T b b T b YYY 6. f4. ♪ Y QM Q TT b P Y K XT T NbT ♪ 19. Q W V T O T V s m p s m p s m p g3. ♪ P O X X P P T b B4. 8. Q Q Q Q YQ b b XX P bY M ♪ Grafenegg Q Q Q Q S K X XTT PT T T PT 447.444 31 ÖVP 441.431 29 ÖVP 512.528 32 ÖVP Musikschulen, Eltern- bzw. Fördervereine der Musikschulen Landesgalerie B9. 11. Q O Q Y S QQ QQQ QQQ U W TSXT V O b O Y YY 10. ♪ b Q Q Q Q SSM QS SS QOS V X W TT T T TT T KW 29 KW 30 KW 31 KW 32 KW 33 KW 34 KW 35 ♪ Q Q S XO O T VVV 376.648 25 SPÖ 403.708 27 SPÖ 388.501 24 SPÖ Karikaturmuseum Q V QQ QQP Q V Q Q P T T XTVV V 360 Industriestandorte in Niederösterreich um 1840 Kunsthalle Krems B7. d7. U Q Q b X Q a S U S TK T X T T V b Q K b U Q W X Q Q Y Tb P T VVV 25.563 0 FPÖ 28.700 0 FPÖ 15.861 0 FPÖ Krems B6. B3. Museumsdorf Q VV Q b Q S aQ Q S O TSbX QT T V T Bibliotheken, Büchereien QQ QQ SQ Q S Q QS bb T P S Y g Q QQ Q SQ Q Q QQ Q S P Niedersulz 7. Q V Q Q XX T TT T b V 8.882 0 KPÖ 7.034 0 KPÖ 5.549 0 GRÜNE g13. d13. Q Q S aQQ Q Q Q QQQ K OQS TT QT O 9. QQS Q Q Q X a Q S Q S S Q T T T 7.725 0 Wahlgemeinschaft für Bürger- 9.274 0 Vereinte Grüne Österreichs ♪ g20. Qbb Q U Q Q W Q QQ T b Q Q SQ a QSS b Q S T T Denkmalpflege | Archive, Heimatforschung | Bildende Kunst Stift Göttweig g16. V Q S V b V Q a X T T T initiativen und Umweltschutz 7.817 0 KPÖ Y Q Q R X b Q T T Q W Q Q S b V WQS b O Q Q a Q Q QQ Q S 906 0 Nationaldemokratische Partei Ruine Aggstein g9. Museum Gugging B10. a S Q Q S QQQ TQQ T T QQ WSS K Q QQO Q S T T TT P = 114.841 beobachtete Fälle von ehrenamtlichen Tätigkeiten, da jede zweite Person in einem weiteren Kulturverein ehrenamtlich aktiv ist. Schloss Artstetten g10. Q X QQQ a O Stift Herzogenburg g18. Q Q Q V O b Q V T T T ST P Q Q Q Q Q T d15. Q QQ QQQ K U T SS TT B13. d2. f2. Wien Q V Q TP 14. QQ S ♪ Schloss Hof g11. Q Q T KW 36 KW 37 KW 3 KW 39 KW 40 KW 41 KW 42 Museum Niederösterreich g6. S Q T 1988 1993 1998 1988 1993 1998 Festspielhaus Q a Q Q S St. Pölten 7. Landestheater S TT U d17. Stift Melk g21. ♪ a a a b SS Q a O 377 s m p s m p s m p Niederösterreich d d11. Q T Q a Wirtschaftliche Zugehörigkeit der Berufstätigen 9. W S O S T 13. a V a U 452.874 29 ÖVP 412.730 26 ÖVP 405.900 27 ÖVP d18.♪ Römerstadt V QQ B12. XaQ 2. Carnuntum g8. Q Q Q 354.746 22 SPÖ 316.516 20 SPÖ 274.980 18 SPÖ leisten ♪ V PTXQQ a a Q Schallaburg g14. V a X 89.373 5 FPÖ 112.433 7 FPÖ 145.514 9 FPÖ Q PS 463.000 Klangturm St. Pölten 17. 12. XQQ g ♪ 23.266 0 GRÜNE 47.773 3 Liberales Forum 19.279 0 Liberales Forum ♪ Schloss Laxenburg 12. O 4. Stift Heiligenkreuz g17. 3. U 11.328 0 Vereinte Grüne Österreichs 29.589 0 GRÜNE 40.639 2 GRÜNE Stift Seitenstetten g22. ♪ ♪ f1. S Q 7.934 0 KPÖ 11.242 0 Bürgerliche Grüne Österreichs 5.208 0 Bürgerliche Grüne Österreichs Arbeitsstunden/Woche d5. d1. d8. a 5.460 0 Liste Pepi Wagner 2.170 0 KPÖ 7.060 0 Liste Pepi Wagner KW 43 KW 44 KW 45 KW 46 KW 47 KW 48 KW 49 ♪5. 4.746 0 Liste WIR 711 0 Österreichische Autofahrer- 5.811 0 KPÖ Stift Lilienfeld g19. d14. Arnulf Rainer Museum 22. B5. a 1.656 0 Liste Herz und Bürgerinteressen-Partei 307 0 L.ZÖCH (Vernunft für Niederösterreich – g2. ♪ BadenB1. 379 Dr. Wolfgang Zöch) 16. a Geburten- und Wanderungsbilanz in Niederösterreich 1869–2011 ♪

2003 2008 2013 2003 2008 2013 Q Walz- und Hammerwerke R Erdölgewinnung Y Ziegeleibetrieb s m p s m p s m p d6. L Roh- und Raffinadezuckererzeugung S sonstige Eisen- und Metallbearbeitungsbetriebe Q Kupferwalz- und Kupferhammerwerke 491.065 31 ÖVP 549.510 31 ÖVP 495.557 30 ÖVP KW 50 KW 51 KW 52 N Keramik- und Gipswarenerzeugung T Spinnereien und Webereien (Seide, Schafwolle, Z Holzuhrenerzeugung 309.199 19 SPÖ 257.770 15 SPÖ 210.504 13 SPÖ K Glaswaren- und Spiegelerzeugung Baumwolle, Leinen und sonstige Textilindustrie) W Erzverhüttung 66.543 4 GRÜNE 69.852 4 GRÜNE 78.678 4 GRÜNE 6.013 0 GRÜNÖ (Grünes unabhängiges 105.748 6 FPÖ 96.016 5 Team Stronach M Lederherstellung und Leder-verarbeitung U Kohle- und Graphitbergbau a Blei-, Gold-, Silber-, Kupfer-, Zinkbergbau Österreich – Liste der EU-Opposition 2.174 0 Liste für unser Niederösterreich 80.122 4 FPÖ O chemische Betriebe (Alaunsiederei, Farbenerzeugung, V Steinbruchbetrieb (nur Baustein) a Alaun-, Antimon-, Bernstein-, Eisenbergbau Gabriela Wladyka) 8.537 0 Die Christen 5.968 0 Die Mutbürger 24.000.000 381 Bevölkerungsgröße in Niederösterreich, Wien und im restlichen Österreich 1790–2011 Kerzenfabriken, Pulvermühlen, Pulverstampfen, W holzverarbeitende Betriebe (Knopfwaren, b Bierbrauereien 41.391 2 FPÖ 8.661 0 KPÖ 841 0 Christliche Partei Österreichs 7.074 0 KPÖ 7.250 0 Bündnis Zukunft Österreich 7.559 0 KPÖ Salitereien, Terpentinerzeugung etc.) Pfeifen- und Stockerzeugung) c Tabakfabrikation 187 0 Christliche Wählergemeinschaft 854 0 Tierrechtspartei Earth- 501 0 Piratenpartei Österreichs Arbeitsstunden/Jahr P Papierherstellung und -verarbeitung X Gips- und Kalkgewinnung (auch Brüche) Human-Animals-Nature 390 Unterstützte Arbeitslose in Niederösterreich und Österreich 1919–1937 248 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 249 Kunst und Kultur 341 Kunst und Kultur 353 360 Großer Übergang in kleinen Schritten 397 Konsumausgaben Wiener Arbeitnehmerhaushalte 1912–1990 248 341 353 360 Wirtschaftliche Zugehörigkeit der Berufstätigen Konsumausgaben Wiener Arbeitnehmerhaushalte 1912–1990 Landwirtschaftszonen in Niederösterreich um 1950 Bevölkerungsveränderung nach niederösterreichischen Bezirken 1910–2011 Aktive Betriebsstandorte 2014 nach Sparten und Verwaltungsbezirken Trotz industrieller Verdichtungszonen In den Konsumausgaben der Wiener Arbeit- Niederösterreich ist von einer reichen Ende befinden sich die Wald- und Grün- Die bezirksweisen Bevölkerungsbilanzen des Wald- und des Weinviertels, wobei der Achse mit dem Spitzenwert von 76 Prozent Die Verteilung der Industriestandorte ist Entwicklungen. Trotz regionaler Schwer- Anmerkung: Die Statutarstädte und touristischer Zentren überwog Niederösterreich nehmerhaushalte bildet sich das Auf Vielfalt an Agrarlandschaften geprägt. landzonen der Kalkalpen. Aus dieser 1910 bis 2011 belegen innerhalb Nieder- Bezirk Hollabrunn mit 34 Prozent den in Mödling. Dazwischen lagen die Rand- einerseits ein Erbe älterer Muster, punkte ist der Spartenmix in den ein- sind in den Zahlen der jeweiligen Am einen Ende des Spektrums stehen die bunten Gemengelage ergaben sich um im niederösterreichischen Wirtschaftsraum Y Primärsektor (Landwirtschaft) Y Sekundärsektor (Industrie) Y Tertiärsektor (Dienstleistungen) und Ab des Lebensstandards von Herrn und österreichs ein steiles Süd-Nord-Gefälle stärksten Bevölkerungsverlust hinnehmen bezirke des Industrie- und des Mostviertels. andererseits auch Ausdruck jüngerer zelnen Regionen ziemlich ausgewogen. Verwaltungsbezirke enthalten. bis in die Spätzeit der Monarchie das Frau Österreicher im 20. Jahrhundert ab, Acker- und Weinbauzonen im pannoni- 1950 agrarpolitische Interessenkonflikte, neben dem österreichweiten West-Ost- musste. Die Gewinner fanden sich entlang agrarische Hinterland. Der Übergang zur so etwa im Anteil der überlebensnot- schen Flach- und Hügelland. Am anderen etwa zwischen Berg- und Flachlandbauern. Gefälle des Bevölkerungswachstums: der Nord-Süd-Achse zwischen Wien Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft Österreich YY wendigen Nahrungsausgaben: Sie stiegen Auf der Verliererseite standen weite Teile und Wiener Neustadt sowie der Ost-West- setzte erst mit dem Wirtschaftsboom Y Primärsektor (Landwirtschaft) Y Sekundärsektor (Industrie) Y Tertiärsektor (Dienstleistungen) YY oder stagnierten in der Krise, etwa in 414 Landwirtschaftszonen in Niederösterreich um 1950 ab Mitte des 20. Jahrhunderts ein. den 1930er-Jahren, und fielen rasant im YY Wirtschaftsboom, etwa in den 1950er- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E Gmünd Waidhofen an der Thaya Tulln Korneuburg E E E E E E E Y = 1 Prozent YY bis 1970er-Jahren. E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E E E E E E E E E E 2.114 1.389 4.640 4.967 E E E YY EE E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E E EE E E E E E YY E E E E E E E ■ = 1 Prozent E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E Y YY E E E ■ Nahrungsmittel E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YY YY E E E E E E E E E E E E E E E ■ Genussmittel E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E Horn Hollabrunn E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E Mistelbach YY YY E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E ■ Bekleidung E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E 2.123 2.654 E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E 4.540 YY E E E E E E E E E E E E E E E E YY E E E E E E E E E E E ■ Wohnungszins E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E EE E E E E E E E E E E E E YY YY E E E E E E E E ■ Wohnungseinrichtung E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E E E E E E E E E E E YY YY ■ Heizung, Beleuchtung E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E 432 Bevölkerungsveränderung nach niederösterreichischen Bezirken 1910–2011 E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E ■ Gesundheit, Körperpflege E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E YY E E E E E E E E Y YY EE E E E E E E E E E E E E E ■ Urlaub, Erholung, Sport E E E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E E E E E E E E E E E - 32,6 Prozent Y YY YY E E E E E Y E E E E E E ■ Verkehr E E E E E E E E E E E E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYWaidhofen E E Y YY YY E E E E E Y E E E E E E E ■ Sonstiges E E E E E E E E E E E an der Thaya E E E E E E E E E Y YY YY E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Y E E E E E E E E E E E E E E E E E E E Y Y YY YY E EEE E E E E - 28,8 Prozent E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY E E E E E E E E E E E E EE Gmünd Y YY YY YY E E E E E E E E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 24,3 Prozent Y Y Y YY YY YY E E E E Horn YY Y Y YY YY YY E YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YY Y Y Y YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY 437 YY - 34,4 Prozent Aktive Betriebsstandorte 2014 nach Sparten und Verwaltungsbezirken Y YY YY Y Y Y Y Y YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYHollabrunn Wien YY Y Y Y Y YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 24,5 Prozent

YY YY Y Y Y YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 30,1 Prozent Mistelbach Zwettl Y Y YY YY YY Zwettl - 6,8 Prozent YY YY Y Y Y YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYKrems-Land 2.513 E E Y Y Y Y Y YY YY YY E YY YY E YY YY Y Y Y Y Y YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+7,3 Prozent + 31,6 Prozent YY YY Y Y Y Y YY YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYKrems an der Korneuburg Krems YY YY Y Y Y Y Y Y YY YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYDonau (Stadt) 5.061 YY Gänserndorf YY YY YY Y Y Y Y YY Y YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY 5.375 YY YY YY Y Y Y YY YY Y Y YY YY YY YY + 39,5 Prozent + 57,1 Prozent YY YY YY Y Y YY YY YY Y Y YY YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYTulln Wien Umgebung YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 14,2 Prozent YY YY YY Y Y Y YY YY YY Y YYYY YY YY YY Melk + Wien Umgebung YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 45,7 Prozent 22,8 Prozent YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YY YY YY Gänserndorf 9.111 YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYSt. Pölten (Stadt) Wien Wien YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YY YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY Y YY YY 1912/14 1925 1930 1935 1946 1950 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YY YY Y YY YY YY Y YYYY YYYY YY YY + 30,4 Prozent YY YY Y Y St. Pölten (Land) + 7,4 Prozent YY YY YY YY Y Y YYYY YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 43,5 Prozent + 76,3 Prozent Mödling Bruck an Mödling YY YY YY Y YY Y YY YYYY Y YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYAmstetten der Leitha 10.092 YY YY YY Y YYY Y YY YYYY Y YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY + 16,1 Prozent YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYScheibbs YY YY Y YY Y YYY Y YY YYYY Y YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 37,9 Prozent Bruck an der Leitha + 6,1 Prozent Baden 2.616 Y Y YY YY YYY Y YY YYYY YYYY YYYY YYY YY Waidhofen YY YY YY Y YY Y Y Y Y YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 14,8 Prozent + 33,5 Prozent Y Y YY YY YYY Y Y YY YYYY YYYY YYYY YY an der Ybbs (Stadt) Wr. Neustadt (Land) Baden YY YY YYY YY Y YY Y Y Y Y Y YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYLilienfeld YY YY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY 9.232 YYY YY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYY YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 25,6 Prozent YYYY YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYWr. Neustadt Y Y Y Y Y Y Y Y YYYY YYY YYY YYY YYY YYYY Y YYYY Y YYY Y YYYY YYYY YYY YYY 1955 1960 1965 1970 1975 1980 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY(Stadt) Wiener Neustadt Y Y Y Y Y YY Y Y Y Y YY YYYY YYYY YYYY „Im Rauschen deiner Wälder …“ YYY YYY YYY YYYY Y YYY Y YY Y YYY YYY YY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY 8.236 YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY Zone der Wald- und Wiesennutzung mit starker Viehwirtschaft in den Viehzucht-Milchwirtschafts- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 0,4 Prozent Kalkalpen und Voralpen und Ackerbauzone des Alpenvorlandes YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYNeunkirchen Amstetten Melk YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY 7.290 4.528 YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY ■ Alp- und Weidewirtschaftstypus ■ Voralpen-Grünland-Getreidewirt- ■ Acker-Wiesenwirtschaftstypus des Alpenvorlandes (Strengberger Typus) YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYY YYYY Y YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY der niederösterreichischen Kalkalpen schaftstypus (Typus der Viehwirtschaft YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYY YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY (Göstlinger Typus) auf Grünlandbasis mit Getreidebau ■ Acker-Futteraufbauwirtschaftstypus des Alpenvorlandes der Voralpen) (östlicher Alpenvorlandtypus) YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Scheibbs St. Pölten YYYYYY YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY 2.440 9.529 YYYYYY YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY ■ Waldwirtschaftstypus der YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYY YYYY YYYY YYYY niederösterreichischen Kalkalpen ■ Wiesen-Garten-Ackerwirtschaftstypus YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY 455 YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY (Lilienfelder Typus) des Wienerwaldes YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Die Bioregionen Niederösterreichs (Wienerwaldtypus) Y Y Y Y Y YYYYYY YYY Y YYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYY YYYY YYY YYYY 1985 1990 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY Zone der Wald-Wiesen-Ackerwirtschaft und Rinderhaltung Zone der intensiven Ackerkultur, der Abmelkwirtschaft YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Scheibbs Neunkirchen YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY im Waldviertel und in der Buckligen Welt und des Weinbaues YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY 2.440 5.075 YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY ■ Typus der Waldvierter ■ Typus der Ackerwirtschaft ■ Zone IV YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY Bergwirtschaft des nordöstlichen und östlichen YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Sparte YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY Waldviertels ■ Weinbautypus (Gumpoldskirchner Typus) YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY ■ Gewerbe und Handwerk ■ Waldviertler Ackerwirtschafts- ■ Industrie YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY Y YYYY typus mit Kartoffel-Roggenbau ■ Bergwirtschaftstypus mit starkem ■ Ackerbautypus des Weinlandes (Mistelbacher Typus) YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY ■ Handel 479 Die Naturschutzgebiete Niederösterreichs und Butter-Käseerzeugung Getreidebau in der Buckligen Welt YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY ■ Bank und Versicherung YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY (Gmündner Typus) ■ Typus der Zuckerrübenwirtschaftsgebiete (Marchfelder Typus) Y Y Y Y YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY ■ Transport und Verkehr YYYYYY YYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYY YYYYYY YY YYY YYYYYY ■ Tourismus und Freizeitwirtschaft YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY ■ Steinfeldtypus YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY ■ Information und Consulting 1869 1890 1900 1910 1934 1951 1961 1971 1981 1991 2001 2011 484 Lufttemperaturen im Juli Wirtschaft und Gesellschaft 377 Wirtschaft und Gesellschaft 397 414 Großer Übergang in kleinen Schritten 432 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 437 509 Tourismus im Wandel der vergangenen 20 Jahre 377 397 414 432 437 Die Bioregionen Niederösterreichs Die Naturschutzgebiete Niederösterreichs Lufttemperaturen im Juli Tourismus im Wandel der vergangenen 20 Jahre Eine Bioregion wird von typischen Niederösterreich Anteil an folgenden Südlich der Donau hat das Land Anteil Landes dominieren die Kalkalpen mit Das allererste Naturschutzgebiet Nieder- den 1990er-Jahren zum Naturschutz- in den 1950er-Jahren versucht, traditio- gleichzeitig Biogenetische Reservate, Die Karte zeigt die mittleren Luft- der Kalkklippenzone der Leiser Berge Mit Jahresniederschlagsmengen von zwischen ozeanischem und kontinenta- Die Rahmenbedingungen für den Mostviertel, Donau Niederösterreich, Teilen durch den Urlaubs-, Gesundheits- Zu einem touristischen Aushängeschild Lebensgemeinschaften besiedelt, deren sechs: Nördlich der Donau am Granit- am bayerisch-österreichischen Alpen- ihren schroffen Felsen und steilen Tälern. österreichs – und zugleich das älteste gebiet „Wildnisgebiet Dürrenstein“ zu- nelle Kulturlandschaften als etablierte bei denen ein ganzes Ökosystem unter temperaturwerte im Juli (°C) entlang herrscht pannonisches Klima. Dieser weniger als 700 mm zählt auch lem Klima. Zu allen Jahreszeiten gibt niederösterreichischen Tourismus haben Wienerwald und Wiener Alpen. Sie und Wirtschaftstourismus erreicht. ist Niederösterreichs „fünfte Jahreszeit“, Zusammensetzung und funktionelle Gneis-Gebiet der Böhmischen Masse, vorland, einem fruchtbaren Hügelland In der Buckligen Welt hat Niederöster- überhaupt in Österreich – wurde 1927 sammengefasst. Dies ist heute Öster- Markenzeichen für den Tourismus Schutz gestellt wird. Naturschutz- der Fließgewässer Niederösterreichs Klimatyp ist kontinental und daher von das Wiener Becken zu den trockensten es Niederschläge, die im Westen sich in den vergangenen 20 Jahren durch entwickeln und vermarkten gemeinsam Die Nächtigungszahlen stiegen in den der Weinherbst, geworden. Weitere Struktur innerhalb einer Bioregion das dem Waldviertel sein Gepräge gibt, aus jungtertiären Sedimentgesteinen, reich auch einen charakteristischen gegründet, die „Weikendorfer Remise“ reichs einziges „Strenges Naturreservat zu erhalten. Etliche Landschaftsschutz- gebiete dienen der Erhaltung möglichst während der Jahre 1961 bis 1990. großen Temperaturgegensätzen geprägt. Gebieten Österreichs. Die Böhmische niederschlagsreicher sind als im Osten. EU-Beitritt, Öffnung der Grenzen und mit der Niederösterreich-Werbung vergangenen Jahrzehnten von rund wichtige touristische Impulse setzen die mehr Ähnlichkeit aufweist als zwischen und an den östlichen Flach- und Hügel- sowie an den Flysch- und Sandstein- Anteil an den Bergrückenlandschaften bei Obersiebenbrunn. Es handelt sich um der Kategorie Ia“ der International gebiete erhielten zusätzlich das Prädikat ursprünglicher Lebensräume bzw. Das Klima der Großlandschaften Die Winter sind kalt, die Sommer sehr Masse (Waldviertel) und das Alpen- Den Süden von Niederösterreich prägt die Verbreitung des Internets beträchtlich das touristische Angebot. Das touristische 5,4 (1997) auf 6,9 (2016) Millionen Aktion „Niederösterreichische Wirtshaus- verschiedenen Bioregionen. Von ins- ländern, wie sie für das Weinviertel, aber Voralpen, die sich bis in den Wienerwald der Zentralalpen. einen letzten Rest einzigartiger Sand- Union for Conservation of Nature „Naturpark“. Derzeit gibt es in Nieder- solcher von besonderer Bedeutung Niederösterreichs ist sehr unterschied- heiß, und es gibt ganzjährig nur geringe vorland, vom Beginn der Alpen bis zur alpines Klima. Im Winter kommt es oft geändert. In diese Zeit fiel auch die Leitbild setzt auf Landschaft und Natur, Nächtigungen. 60 Prozent der Wert- kultur“, die Gärten Niederösterreichs gesamt 15 Bioregionen in Österreich hat auch das Wiener Becken typisch sind. fortsetzen. Den gebirgigen Teil des dünen. Bis in die 1940er-Jahre geht and Natural Resources (IUCN). Mit der österreich 71 Naturschutzgebiete mit (z. B. Standorte seltener Pflanzen- oder lich: Im Wiener Becken und im Karpaten- Niederschläge, im Marchfeld etwa Donau im Tullner Becken, haben zur Temperaturumkehr, bei der es Neuorganisation des niederösterreichi- Kunst und Kultur, Wein und regionale schöpfung werden im Ausflugstourismus mit zahlreichen Schaugärten und die die Unterschutzstellung des Rothwaldes Ausweisung von Landschaftsschutz- einer Gesamtfläche von rund 14.500 ha. Tierarten). vorland zwischen Manhartsberg und etwa 550 mm im Jahresdurchschnitt. mitteleuropäisches Übergangsklima auf den Bergen wärmer ist als im Tal. schen Tourismus. Aus einer großen Produkte sowie Gesundheitsangebote. erreicht, wozu die Niederösterreich- neun Bergerlebniszentren im alpinen in den niederösterreichischen Kalkalpen gebieten wie etwa Wachau, Wienerwald, Zehn Naturschutzgebiete und damit Zahl von Verbänden wurden sechs 40 Prozent der Wertschöpfung werden CARD, die 49 Top-Ausflugsziele und die Süden Niederösterreichs. zurück. Verschiedene Teile wurden in Kamptal, Rax und Schneeberg wurde eine Gesamtfläche von 2.060 ha sind Berechnung und Grafik nach Destinationen: Waldviertel, Weinviertel, im Nächtigungstourismus zu gleichen Kulturbetriebe wesentlich beitragen. Bayrisch-österreichisches Alpenvorland Granit-Gneis-Gebiet der Böhmischen Masse Östliche Flach- und Hügelländer Mathias Dattler, 2012. ■ Landschaftsschutzgebiet ■ Vogelschutzrichtlinie Waldviertel ■ Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 1.232.083 ■ Naturpark Nächtigungen ■ Nationalpark Weinviertel 4 ■ Naturschutzgebiet 576.401 5 2 Nächtigungen 3 6 17. Gmünd

4. Moorbad Harbach 20. Laa/Thaya

7 8 Wo man Wissen schafft 12. Groß Gerungs 9

10. Bad Pirawarth 3. Krems/Donau

Donau 16. Tulln/Donau 10 Niederösterreich 11 1.591.839 11. Klosterneuburg 541 Wissenschaftsstandort Niederösterreich seit 1990 (Auszug) Nächtigungen 12 Wien Wien Wien 7. St. Pölten Wien 2. Schwechat 13 1 5. Vösendorf

1. Baden 9. Bad Vöslau 553 Wissenschaftspreise nach wissenschaftlichen Disziplinen 18. Gaming 14 15 Donau Niederösterreich 16

Mostviertel 14. Wiener Neustadt 17 Wienerwald 1.026.797 13. Göstling/Ybbs 1.505.675 Nächtigungen 18 19. Puchberg/ Nächtigungen 20 19 Schneeberg 21 557 Entwicklung der Studierendenzahlen in Niederösterreich 2005/06–2016/17 8. Reichenau/Rax Wiener Alpen Bergrückenlandschaft Flysch Kalkvoralpen und Ausläufer der Zentralalpen 969.661 22 15. Grimmenstein Nächtigungen bis 600.000 Nächtigungen Nationalparks Naturparks 600.000 bis 1 Million Nächtigungen 1 Donau-Auen 3 Geras über 1 Million Nächtigungen 2 Thayatal 4 Dobersberg-Thayatal Nächtigungsstärkste Gemeinden von 1. bis 20. 5 Heidenreichsteiner Moor 6. Bad Schönau 6 Hochmoor Schrems 7 Nordwald 8 Leiser Berge 9 Kamptal-Schönberg 10 Jauerling-Wachau Beschäftigte 1999/2016 Nächtigungen 1997/2016 Marktanteile 1997/2016 11 Eichenhain in Tourismus- und Freizeitbetrieben 12 Purkersdorf-Sandstein Wienerwald 13 Föhrenberge und Sparbach 1999 2016 1997 2016 1997 2016 1997 2016 Betriebe NÖ gesamt Inland CEE-Länder 14 Buchenberg 5.261 5.963 5.446.579 6.902.456 65 Prozent 67 Prozent 3 Prozent 7 Prozent 15 Mannersdorf-Wüste (Ungarn, Polen, 16 Ötscher-Tormäuer Tschechische Republik, 1999 Unselbstständig 2016 1997 2016 1997 2016 17 Hohe Wand Inland gesamt Deutschland Slowakische Republik, Beschäftigte 18 Eisenwurzen 28.428 46.479 3.559.327 4.664.797 19 Prozent 12 Prozent Rumänien) 19 Falkenstein-Schwarzau/Gebirge 20 Sierningtal-Flatzer Wand < 16 °C 16–18 °C 18–19 °C 19–20 °C 20 °C 1997 2016 1997 Sonstiges 2016 21 Seebenstein und Türkensturz Ausland gesamt 22 Landseer Berge 1.887.252 2.237.659 13 Prozent Ausland 14 Prozent

Natur und Landschaft 455 Natur und Landschaft 479 484 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 509 455 479 484 509

Wissenschaftsstandort Niederösterreich seit 1990 (Auszug) Wissenschaftspreise nach wissenschaftlichen Disziplinen Entwicklung der Studierenden- Studierende im Studienjahr 2016/17 Beginnend mit den frühen 1990er-Jahren Die angeführten Jahreszahlen beziehen Mit der Vergabe von Wissenschaftspreisen schaftler/innen. Diese Grafik zeigt die zahlen in Niederösterreich Hochschulen Studenten Studentinnen entwickelte sich kontinuierlich eine sich auf die Gründungen der angeführten würdigt das Land Niederösterreich seit Vielschichtigkeit der Preisträger/innen. 1 Donau-Universität Krems 4.558 4.509 stattliche Riege an wissenschaftlichen Wissenschaftseinrichtungen. Diese über 50 Jahren herausragende Wissen- 2005/06–2016/17 2 FH Wiener Neustadt 1.668 2.010 Einrichtungen in Niederösterreich. Grafik ist als Einblick in die Entwicklung 3 IMC FH Krems 843 2.016 Die Bandbreite reicht von Ausbildungs- der Wissenschaftslandschaft gedacht 4 FH St. Pölten 1.195 1.226 stätten wie Fachhochschulen oder und deckt nicht die Gesamtheit aller 5 Pädagogische Hochschule NÖ 115 505 Privatuniversitäten über Forschungsein- gegründeten Wissenschaftseinrichtungen 6 Kirchliche Pädagogische Hochschule Krems 72 432 richtungen bis zu Außenstellen der in dieser Zeitperiode ab. Würdigungspreise | Anerkennungspreise (ab 1995) und Förderungspreise (bis 1994) 7 Danube Private University 344 270 Wiener Universitäten. 8 New Design University 151 263 9 Phil.-Theol. Hochschule Heiligenkreuz 189 26 10 Phil.-Theol. Hochschule St. Pölten 51 48 11 International. Theol. Institut Trumau 30 30

22 | 37 Geschichte und Archäologie Physik 2012 12 Karl Landsteiner Privatuniversität 71 137 Karl Landsteiner Privat- 10 | 30 Biologie 13 Ferdinand Porsche Fern-Fachhochschule* 342 347 universität für Gesundheits- 08 | 05 Medizin wissenschaften in Krems Studierende gesamt in Niederösterreich: 21.448 06 | 09 Physik 1994 1995 IMC Interuniversitäres 04 | 09 Geowissenschaften 2005/06 Fachhochschule Department für 03 | 09 Kunstwissenschaften Krems Agrarbiotechnologie 03 | 04 Rechtswissenschaften 1 (IFA Tulln) Geografie und Raumplanung 02 | 05 ie ften 2016/17 2 2006/07 0 03 | 01 Chemie A 2 | 02 Philosophie 2011 2006 3 Universitäts- Institute of Science and 02 | 02 Soziologie und Forschungs- Technology Austria (IST 00 | 10 Mathematik 4 zentrum Austria) Klosterneuburg 00 | 10 Sprach- und Literaturwissenschaften Tulln (UFT) 0 00 | 07 Wirtschaftswissenschaften G 5 0 | 06 Bauwesen 00 | 03 Elektrotechnik/Informationsmechanik 6 011 | 29 Sonstige issensch 2015/16 7 2007/08 W

esen 8 W u

A 9 B

1995 unst Donau- 10 Universität MeDizin k Krems 11 PhilosoPhie

12 tik

13 2014/15 2008/09 Wien rechtsWissenschAften the MA elektrotechnik/inforMAtionsMechAnik A M sozioloGie BioloGie sPrAch- unD literAturWissenschAften

2013/14 2009/10 ie he M 2007 c Pädagogische GeoGrAfie unD rAuMPlAnunG Hochschule 2007 Niederösterreich WasserCluster (Baden) Lunz – Biologische Station 2002 GeoWissenschAften Conrad- 2007 2012/13 2010/11 Observatorium MedAustron in Muggendorf Wiener Neustadt

2004 2011/12 * Die Ferdinand Porsche Fern-Fach- New Design 1996 1994 hochschule hat ihren Standort University Fachhochschule Fachhochschule WirtschAftsWissenschAften im Studienjahr 2015/16 von Wien St. Pölten (NDU) St. Pölten Wiener Neustadt nach Wiener Neustadt verlagert. Archäolo Geschichte un D Geschichte

Bildung und Forschung 541 Bildung und Forschung 553 Bildung und Forschung 557 541 553 557

8 9 Mehr als eine Chronik

Im Jahr 1990 erschien die erste Auflage der „Landeschronik Niederösterreich“ im Christian Brandstätter Verlag. Mit deren Untertitel „Das Tagebuch des österreichischen Kernlandes“ wurde die Zielsetzung bereits vorweggenommen: Es sollte ein Nach- schlagewerk und eine Heimatchronik zugleich sein und die historische Entwicklung Niederösterreichs in all seinen Zügen nachzeichnen. Der Herausgeber, Karl Gutkas, setzte Niederösterreich mit diesem Werk ein verdientes Denkmal. Doch war es nach einem Vierteljahrhundert nicht Zeit für eine Aktualisie- rung? Wie aber könnte diese aussehen? Das waren die Ausgangsfragen bei der Entwicklung des vorliegenden Buches, die man sich von Seiten des Verlags und des Herausgebers gestellt hat. Niederösterreich hat sich in dieser Zeit enorm ver- ändert. Zu den wichtigsten Meilensteinen der letzten Jahrzehnte zählen die neue Niederösterreichs Geschichte ist reich, spannend und mannigfaltig. Landeshauptstadt St. Pölten, der Fall des Eisernen Vorhanges sowie der Beitritt zur Eben deshalb muss sie immer wieder neu geschrieben und neu vermittelt werden. Europäischen Union. Darüber hinaus hat sich das Land in kultureller, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht dynamisch weiterentwickelt. Aber auch in der Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich Niederösterreich dynamisch Welt der Kommunikation hat sich seither viel getan. Bücher in lexikalischer Form, die weiterentwickelt, besonders in den Bereichen Kultur und Wissenschaft. die Geschichte eines Landes in seiner Gesamtheit aufarbeiten, sind seit der Verwen- dung von Internetsuchmaschinen und digitalen Chroniken nicht mehr zeitgemäß. Deshalb war es naheliegend, dass „Niederösterreich – Eine Spurensuche“ – Im Fokus stand deshalb nicht allein die Landeschronik zu erweitern, sondern die Neugestaltung der 1990 zuletzt erschienenen Landeschronik – federführend ein repräsentatives Niederösterreich-Buch neuen Typs zu kreieren: so wie der Titel es ankündigt auf Basis einer umfassenden Spurensuche. Es geht um Geschichte von der Abteilung Kunst und Kultur sowie von der Abteilung Wissenschaft und Geschichten sowie um die Fragen danach, was dieses Bundesland auszeichnet, und Forschung begleitet wurde. was es prägt, was es zu entdecken und näher zu erkunden gilt. Diesen Fragen nachgehend, führen renommierte Autorinnen und Autoren Anhand von Geschichten, Bildern und Analysen, von ausgewählten in sechs Themenkapiteln auf verschiedenen Spuren durch Niederösterreich. Zu Beginn Phänomenen und unterschiedlichen Blicken auf das Land erzählt dieses des Buches widmet sich Mella Waldstein, Buchautorin und Redakteurin, der nieder- österreichischen Gesellschaft, ihrem Alltag und ihren Traditionen. Die Historiker Buch, was Niederösterreich auszeichnet, und lädt die Leserinnen und Leser Ernst Bruckmüller und Stefan Eminger sowie der Archäologe Ernst Lauermann be- auf eine besondere Spurensuche ein! leuchten im zweiten Kapitel die Geschichte Niederösterreichs von der Urgeschichte bis heute. Im Anschluss beschreibt die Theaterwissenschafterin und Autorin zahl- reicher Kunstbücher, Barbara Sternthal, Niederösterreichs Neupositionierung als Hermann Dikowitsch Kunst- und Kulturland. Ernst Langthaler, Experte der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Leiter der Gruppe Kultur, Wissenschaft und Unterricht, dokumentiert im vierten Kapitel die Entwicklung Niederösterreichs vom Agrarland Amt der Niederösterreichischen Landesregierung zur Dienstleister- und Industrieregion. Die Umwelthistorikerin Ortrun Veichtlbauer widmet sich danach, gemeinsam mit Erich Steiner, den Lebensräumen, der Flora und Martina Höllbacher Fauna sowie den Kulturlandschaften. Im abschließenden Kapitel nimmt sich der Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Forschung, Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Martin Haidinger den Zukunftsthemen Amt der Niederösterreichischen Landesregierung Wissenschaft und Bildung an. Eine besondere Facette dieses Buches ist duale Lesbarkeit: Parallel zu Haupt- texten ermöglichen es Spezialtexte, die ebenfalls von anerkannten Expertinnen und Experten verfasst wurden, tiefer in die jeweilige Materie einzutauchen, hervorge- hobene Zitate ermöglichen ein Querlesen. Infografiken und Karten veranschaulichen wichtige Zahlen und Fakten. Damit dieses vielschichtig aufgebaute Werk gut lesbar bleibt und die unter- schiedlichen Inhalte rasch erschlossen werden, wurde mit dem Büro Bohatsch und Partner ein renommiertes und bewährtes Grafikerbüro mit der visuellen Konzeption und Realisierung betraut. Weiters wurden bekannte Persönlichkeiten aus dem gesellschaftlichen Leben Niederösterreichs fotografisch porträtiert. Sie zeigen ihre Lieblingsplätze in Niederösterreich und reflektieren in ihren Statements, warum gerade Nieder- österreich sie persönlich geprägt hat. Diese Bildstrecke kann auch Ausgangspunkt für Ihre eigene Spurensuche sein: Wo sind Ihre Bezugspunkte? Wo befinden sich Ihre Lieblingsplätze? Wo liegen Ihre Kraftquellen? Bei der Entstehung dieses Buches stand ein Ziel immer im Mittelpunkt: Diese Publikation sollte eine Würdigung eines Bundeslandes sein, das schon aufgrund seiner Größe, seiner geopolitischen Lage und seiner spezifischen Geschichte als Kern- land eine besondere Stellung innerhalb Österreichs innehat. Gerade deshalb steht Niederösterreich in vielen Lebensbereichen vor größeren Herausforderungen als andere Bundesländer. Wie diese in den letzten Jahrzehnten gemeistert wurden stimmt auch für die Zukunft optimistisch.

Das Redaktionsteam

10 Vorbemerkung des Redaktionsteams 11 A 31311 Gföhl 30101 Krems an der Donau 31035 Pulkau U Die Gemeinden und Bezirke in Niederösterreich (Gemeindekennziffern) 32101 Absdorf 31707 Gießhübl 31627 Kreuttal 32008 Purgstall an der Erlauf 31651 Ulrichskirchen-Schleinbach 31701 Achau 30819 Glinzendorf 31628 Kreuzstetten 31952 Purkersdorf 30939 Unserfrau-Altweitra 30801 Aderklaa 31810 Gloggnitz 31321 Krumau am Kamp 31934 Pyhra 30858 Untersiebenbrunn 31301 Aggsbach 30908 Gmünd 32315 Krumbach R 31652 Unterstinkenbrunn 31001 Alberndorf im Pulkautal 31613 Gnadendorf 31517 Krummnußbaum 32216 Raabs an der Thaya V 31302 Albrechtsberg an der Großen Krems 31008 Göllersdorf L 31827 Raach am Hochgebirge 30859 Velm-Götzendorf 30601 Alland 31509 Golling an der Erlauf 31629 Laa an der Thaya 30849 Raasdorf 30536 Viehdorf 32501 Allentsteig 32505 Göpfritz an der Wild 31714 Laab im Walde 31645 Rabensburg 32219 Vitis 30501 Allhartsberg 32002 Göstling an der Ybbs 31630 Ladendorf 31935 Rabenstein an der Pielach 31723 Vösendorf 31101 Altenburg 30708 Göttlesbrunn-Arbesthal 31113 Langau 31409 Ramsau W 31801 Altendorf 30709 Götzendorf an der Leitha 31322 Langenlois 32009 Randegg 32220 Waidhofen an der Thaya 30602 Altenmarkt an der Triesting 31009 Grabern 32119 Langenrohr 32521 Rappottenstein 32221 Waidhofen an der Thaya-Land 31901 Altlengbach 31811 Grafenbach-St. Valentin 31214 Langenzersdorf 31336 Rastenfeld 30301 Waidhofen an der Ybbs 31601 Altlichtenwarth 31308 Grafenegg 32516 Langschlag 30738 Rauchenwarth 32331 Waidmannsfeld 32519 Altmelon 32506 Grafenschlag 30734 Lanzendorf 31036 Ravelsbach 32332 Waldegg 30902 Amaliendorf-Aalfang 32107 Grafenwörth 32316 Lanzenkirchen 31535 Raxendorf 30940 Waldenstein 30502 Amstetten 30731 Gramatneusiedl 30830 Lassee 31829 Reichenau an der Rax 32529 Waldhausen 15 30802 Andlersdorf 32003 Gresten 31715 Laxenburg 30929 Reingers 32222 Waldkirchen an der Thaya 29 30803 Angern an der March 32004 Gresten-Land 31519 Leiben 32010 Reinsberg 30538 Wallsee-Sindelburg 22 31401 Annaberg 31812 Grimmenstein 31215 Leitzersdorf 30629 Reisenberg 32333 Walpersbach 25 10 32502 Arbesbach 32508 Groß Gerungs 31323 Lengenfeld 31037 Retz 32015 Wang 06 04 03 30503 Ardagger 30821 Groß-Enzersdorf 31216 Leobendorf 31038 Retzbach 31843 Warth 06 09 31502 Artstetten-Pöbring 30824 Groß-Schweinbarth 30620 Leobersdorf 30850 Ringelsdorf-Niederabsdorf 31844 Wartmannstetten 30504 Aschbach-Markt 32207 Groß-Siegharts 30735 Leopoldsdorf 32324 Rohr im Gebirge 30865 Weiden an der March 17 16 03 16 04 31802 Aspang-Markt 30909 Großdietmanns 30831 Leopoldsdorf im Marchfelde 30721 Rohrau 30860 Weikendorf 14 13 02 16 31803 Aspangberg-St. Peter 31614 Großebersdorf 31324 Lichtenau im Waldviertel 31410 Rohrbach an der Gölsen 32334 Weikersdorf am Steinfelde 21 20 31603 Asparn an der Zaya 31615 Großengersdorf 32317 Lichtenegg 31119 Röhrenbach 31945 Weinburg 11 35 02 07 53 58 31902 Asperhofen 32509 Großgöttfritz 32318 Lichtenwörth 31337 Rohrendorf bei Krems 31350 Weinzierl am Walde 08 12 07 29 06 32104 Atzenbrugg 31616 Großharras 31407 Lilienfeld 31120 Röschitz 30645 Weissenbach an der Triesting 19 23 20 38 30701 Au am Leithaberge 30822 Großhofen 30925 Litschau 31121 Rosenburg-Mold 31351 Weißenkirchen in der Wachau 41 37 34 46 39 09 17 05 10 17 42 08 30804 Auersthal 31617 Großkrut 31920 Loich 31338 Rossatz-Arnsdorf 30539 Weistrach 24 18 29 21 40 21 35 01 15 04 B 31204 Großmugl 31520 Loosdorf 31537 Ruprechtshofen 31546 Weiten 04 24 33 16 30702 Bad Deutsch-Altenburg 32109 Großriedenthal 32212 Ludweis-Aigen 31224 Rußbach 31129 Weitersfeld 52 52 49 44 02 23 25 17 01 45 32306 Bad Erlach 31205 Großrußbach 32005 Lunz am See S 30942 Weitra 13 42 01 09 14 20 11 25 14 09 32301 Bad Fischau-Brunn 30912 Großschönau M 32522 Sallingberg 31725 Wiener Neudorf 32 19 05 50 20 01 51 30910 Bad Großpertholz 32110 Großweikersdorf 31025 Mailberg 30722 Scharndorf 30401 Wiener Neustadt 12 21 28 27 30 13 41 30805 Bad Pirawarth 31813 Grünbach am Schneeberg 31026 Maissau 32013 Scheibbs 31726 Wienerwald 20 43 09 54 26 45 30 03 32302 Bad Schönau 31709 Gumpoldskirchen 31521 Mank 31832 Scheiblingkirchen-Thernberg 32016 Wieselburg 10 03 33 50 40 06 32528 Bad Traunstein 30612 Günselsdorf 30716 Mannersdorf am Leithagebirge 31543 Schollach 32017 Wieselburg-Land 21 22 30603 Bad Vöslau 31014 Guntersdorf 30834 Mannsdorf an der Donau 30631 Schönau an der Triesting 32335 Wiesmath 08 26 63 10 16 36 36 30604 Baden 31710 Guntramsdorf 31522 32523 Schönbach 31653 Wildendürnbach 53 03 30 Marbach an der Donau 19 55 29 32503 Bärnkopf 32511 Gutenbrunn 30835 Marchegg 31355 Schönberg am Kamp 31654 Wilfersdorf 09 29 04 21 08 12 57 30506 Behamberg 32308 Gutenstein 31716 Maria Enzersdorf 31542 Schönbühel-Aggsbach 31947 Wilhelmsburg 11 19 28 11 21 24 05 59 30703 Berg H 31326 Maria Laach am Jauerling 30852 Schönkirchen-Reyersdorf 31845 Willendorf 06 22 46 23 09 34 28 54 31303 Bergern im Dunkelsteinerwald 30514 Haag 31523 Maria Taferl 31833 Schottwien 31846 Wimpassing im Schwarzatale 02 56 10 27 22 05 22 24 12 31503 Bergland 31315 Hadersdorf-Kammern 31921 Maria-Anzbach 31834 Schrattenbach 32223 Windigsteig 23 02 43 47 15 06 26 15 30605 Berndorf 31015 Hadres 30736 Maria-Lanzendorf 31646 Schrattenberg 30541 Winklarn 19 50 08 07 51 24 38 03 28 18 37 14 48 31604 Bernhardsthal 31910 Hafnerbach 31922 Markersdorf-Haindorf 31041 Schrattenthal 32336 Winzendorf-Muthmannsdorf 15 01 07 28 55 10 08 30507 Biberbach 31206 Hagenbrunn 30836 Markgrafneusiedl 30935 Schrems 31948 Wölbling 51 04 15 01 30 16 04 Markt Piesting 03 27 27 14 05 52 31702 Biedermannsdorf 30515 Haidershofen 32319 30739 Schwadorf 32018 Wolfpassing 11 17 14 09 29 02 42 31201 Bisamberg 30710 Hainburg an der Donau 32517 Martinsberg 31835 Schwarzau am Steinfeld 30542 Wolfsbach 30 13 15 60 38 43 01 06 31504 Bischofstetten 31403 Hainfeld 30838 Matzen-Raggendorf 31836 Schwarzau im Gebirge 31954 Wolfsgraben 44 33 28 41 42 65 6 03 43 40 35 56 17 31505 Blindenmarkt 31016 Hardegg 32320 Matzendorf-Hölles 32524 Schwarzenau 30728 Wolfsthal 35 19 35 14 08 48 13 32 30646 Blumau-Neurißhof 30825 Haringsee 31950 Mauerbach 32326 Schwarzenbach 31655 Wolkersdorf im Weinviertel 01 40 04 16 44 52 34 26 01 36 42 31605 Bockfließ 31207 Harmannsdorf 31327 Mautern an der Donau 31939 Schwarzenbach an der Pielach 32337 Wöllersdorf-Steinabrückl 12 20 12 34 46 46 58 35 42 30 22 31903 Böheimkirchen 30711 Haslau-Maria Ellend 31114 Meiseldorf 30740 Schwechat 31051 Wullersdorf 46 39 49 19 41 25 16 15 50 30 31904 Brand-Laaben 30915 Haugschlag 31524 Melk 32525 Schweiggers 31847 Würflach 02 53 02 31 30903 Brand-Nagelberg 31018 Haugsdorf 31923 Michelbach 31837 Seebenstein 32139 Würmla 07 25 49 31 23 19 31804 Breitenau 31911 Haunoldstein 32120 Michelhausen 31042 Seefeld-Kadolz Y 10 53 21 25 14 28 11 22 16 24 26 52 Wien 02 31703 Breitenfurt bei Wien 31620 Hausbrunn 32321 Miesenbach 30633 Seibersdorf 31549 Ybbs an der Donau 01 03 19 08 17 33 20 11 32 07 21 29 21 09 43 22 51 31805 Breitenstein 30826 Hauskirchen 31633 Mistelbach 30532 Seitenstetten 30543 Ybbsitz 30 08 50 05 34 44 13 10 Bromberg 31208 Mitterbach am Erlaufsee 31552 Yspertal 54 14 32325 Hausleiten 31408 31838 Semmering 31 49 03 38 17 28 03 40 13 01 40 02 03 30704 Bruck an der Leitha 30916 Heidenreichstein 30621 Mitterndorf an der Fischa 31343 Senftenberg Z 39 29 34 27 03 18 15 36 27 31 19 23 30 11 31704 Brunn am Gebirge 30613 Heiligenkreuz 31717 Mödling 32131 Sieghartskirchen 30544 Zeillern 34 38 37 41 13 04 11 35 34 41 22 02 27 05 16 04 36 33 31102 Brunn an der Wild 31019 Heldenberg 31815 Mönichkirchen 31226 Sierndorf 32140 Zeiselmauer-Wolfpassing 09 44 45 16 26 07 16 02 38 19 17 21 47 23 04 01 39 21 31806 Buchbach 31711 Hennersdorf 30913 Moorbad Harbach 31124 Sigmundsherberg 31550 Zelking-Matzleinsdorf 14 22 12 17 25 06 12 12 18 14 09 32 08 31842 Bürg-Vöstenhof 30614 Hernstein 30737 Moosbrunn 32132 Sitzenberg-Reidling 31052 Zellerndorf 42 41 15 29 15 04 14 06 15 10 06 09 10 26 31103 Burgschleinitz-Kühnring 31621 Herrnbaumgarten 32143 Muckendorf-Wipfing 31043 Sitzendorf an der Schmida 31053 Ziersdorf 11 01 13 04 08 35 02 13 18 31 09 D 31912 Herzogenburg 32322 Muggendorf 32327 Sollenau 32338 Zillingdorf 20 15 51 12 03 02 25 06 39 17 05 39 37 30808 Deutsch-Wagram 30732 Himberg 31330 Mühldorf 30724 Sommerein 30863 Zistersdorf 12 04 24 07 01 18 07 45 41 21 29 32202 Dietmanns 31712 Hinterbrühl 31718 Münchendorf 30533 Sonntagberg 31848 Zöbern 32 09 35 13 23 16 32203 Dobersberg 30917 Hirschbach 31525 Münichreith-Laimbach 30635 Sooß 32141 Zwentendorf an der Donau 30 33 10 20 09 09 03 07 06 27 37 33 31506 Dorfstetten 30615 Hirtenberg N 30854 Spannberg 32530 Zwettl-Niederösterreich 03 06 18 36 13 10 04 05 12 31606 Drasenhofen 31622 Hochleithen 31028 Nappersdorf-Kammersdorf 31227 Spillern 30741 Zwölfaxing 11 15 31 46 01 39 22 20 26 31104 Drosendorf-Zissersdorf 32309 Hochneukirchen-Gschaidt 31817 Natschbach-Loipersbach 31344 Spitz 04 14 8 43 14 23 27 30810 Drösing 32310 Hochwolkersdorf 31925 Neidling 31411 St. Aegyd am Neuwalde 20 04 07 24 07 31356 Droß 30713 Hof am Leithaberge 31634 Neudorf bei Staatz 32142 St. Andrä-Wördern 01 31 32 05 31507 Dunkelsteinerwald 31511 Hofamt Priel 30520 Neuhofen an der Ybbs 32011 St. Anton an der Jeßnitz 08 19 37 30 24 10 38 30811 Dürnkrut 30712 Höflein 31926 Neulengbach 31123 St. Bernhard-Frauenhofen 21 05 36 01 31304 Dürnstein 31849 Höflein an der Hohen Wand 31527 Neumarkt an der Ybbs 31830 St. Corona am Wechsel 11 18 26 08 01 E 31909 Hofstetten-Grünau 31818 Neunkirchen 31831 St. Egyden am Steinfeld 11 13 49 34 32304 Ebenfurth 32311 Hohe Wand 30841 Neusiedl an der Zaya 30526 St. Georgen am Reith 45 36 34 13 30812 Ebenthal 30827 Hohenau an der March 30521 Neustadtl an der Donau 30527 St. Georgen am Ybbsfelde 16 26 47 31 30729 Ebergassing 31404 Hohenberg 31927 Neustift-Innermanzing 32012 St. Georgen an der Leys 02 16 18 35 30607 Ebreichsdorf 30920 Hoheneich 31234 Niederhollabrunn 31539 St. Leonhard am Forst 39 04 42 6 32504 Echsenbach 30828 Hohenruppersdorf 31636 Niederleis 31340 St. Leonhard am Hornerwald 23 29 17 33 30813 Eckartsau 31021 Hohenwarth-Mühlbach am Manhartsberg 31528 Nöchling 31938 St. Margarethen an der Sierning 25 06 46 37 31807 Edlitz 31022 Hollabrunn 31928 Nußdorf ob der Traisen 30932 St. Martin 21 11 44 08 32 10 31105 Eggenburg 30516 Hollenstein an der Ybbs O 31540 St. Martin-Karlsbach 10 25 05 01 43 26 32305 Eggendorf 32312 Hollenthon 31929 Ober-Grafendorf 31541 St. Oswald 38 27 33 30904 Eggern 31109 Horn 32006 Oberndorf an der Melk 30529 St. Pantaleon-Erla 20 12 35 31905 Eichgraben 30715 Hundsheim 30842 Obersiebenbrunn 30530 St. Peter in der Au 14 9 07 30906 Eisgarn 31513 Hürm 30623 Oberwaltersdorf 30201 St. Pölten 41 17 30 12 31553 Emmersdorf an der Donau I 31930 Obritzberg-Rust 30531 St. Valentin 40 30814 Engelhartstetten 31913 Inzersdorf-Getzersdorf 30522 Oed-Oehling 31412 St. Veit an der Gölsen 03 02 30508 Ennsdorf 31110 Irnfritz-Messern 30524 Opponitz 31649 Staatz 31808 Enzenreith J 30844 Orth an der Donau Statzendorf 15 14 31940 48 15 Enzersdorf an der Fischa 31319 Ottenschlag 30706 Jaidhof 32518 32014 Steinakirchen am Forst 02 31202 Enzersfeld im Weinviertel 31111 Japons 31658 Ottenthal 31228 Stetteldorf am Wagram 30608 Enzesfeld-Lindabrunn 30829 Jedenspeigen 31820 Otterthal 31229 Stetten 09 31508 Erlauf 32112 Judenau-Baumgarten P 31230 Stockerau 31203 Ernstbrunn K 30845 Palterndorf-Dobermannsdorf 31941 Stössing 30509 Ernsthofen 31713 Kaltenleutgeben 30846 Parbasdorf 31130 Straning-Grafenberg Politische Bezirke 30510 Ertl 31915 Kapelln 31333 Paudorf 30856 Strasshof an der Nordbahn 301 Krems an der Donau (Stadt) 31402 Eschenau 32209 Karlstein an der Thaya 31821 Payerbach Straß im Straßertale 302 St. Pölten (Stadt) 31346 322 30511 Euratsfeld 31916 Karlstetten 31719 Perchtoldsdorf 31347 Stratzing 303 Waidhofen an der Ybbs (Stadt) F 31917 Kasten bei Böheimkirchen 31117 Pernegg 30534 Strengberg 304 Wiener Neustadt (Stadt) 311 31608 Falkenstein 32313 Katzelsdorf 31033 Pernersdorf 31650 Stronsdorf 305 Amstetten 309 316 31609 Fallbach 31405 Kaumberg 32323 Pernitz 30857 Sulz im Weinviertel 306 Baden 310 31809 Feistritz am Wechsel 32210 Kautzen 31946 Perschling T 307 Bruck an der Leitha 325 313 32307 Felixdorf 30517 Kematen an der Ybbs 31530 Persenbeug-Gottsdorf 30636 Tattendorf 308 Gänserndorf 301 312 32106 Fels am Wagram 31514 Kilb 30718 Petronell-Carnuntum 30637 Teesdorf 309 Gmünd 30512 Ferschnitz 32114 Kirchberg am Wagram 31531 Petzenkirchen 310 Hollabrunn 321 31839 Ternitz 308 30730 Fischamend 30921 Kirchberg am Walde 32214 Pfaffenschlag bei Waidhofen an der Thaya 31551 Texingtal 311 Horn 315 302 Kennziffern 31906 Frankenfels 31814 Kirchberg am Wechsel 30625 Pfaffstätten 32217 Thaya 312 Korneuburg 319 1. Stelle: Bundesland 30609 Furth an der Triesting 31918 Kirchberg an der Pielach 31642 Pillichsdorf 32330 Theresienfeld 313 Krems (Land) 305 317 307 31309 Furth bei Göttweig 32514 Kirchschlag 31823 Pitten 31840 Thomasberg 314 Lilienfeld 2. und 3. Stelle: Politischer Bezirk (Statutarstadt) 306 G 32314 Kirchschlag in der Buckligen Welt 31533 Pöchlarn 31413 Traisen 315 Melk 303 320 314 4. und 5. Stelle: Gemeinde 31706 Gaaden 31919 Kirchstetten 31534 Pöggstall 30639 Traiskirchen 316 Mistelbach 323 31949 Gablitz 31515 Kirnberg an der Mank 32520 Pölla 31943 Traismauer 317 Mödling 305 304 32001 Gaming 30616 Klausen-Leopoldsdorf 30626 Pottendorf 31841 Trattenbach 318 Neunkirchen 318 Grenzen der Bundesländer 30817 Gänserndorf 30733 Klein-Neusiedl 30627 Pottenstein 30726 Trautmannsdorf an der Leitha 319 St. Pölten (Land) 323 31106 Gars am Kamp 31516 Klein-Pöchlarn 31644 Poysdorf 30641 Trumau 320 Scheibbs Grenzen der Politischen Bezirke 32206 Gastern 31406 Kleinzell 30719 Prellenkirchen 32134 Tulbing 321 Tulln Grenzen der Gemeinden 31611 Gaubitsch 32144 Klosterneuburg 31951 Pressbaum 32135 Tulln an der Donau 322 Waidhofen an der Thaya 31612 Gaweinstal 32115 Königsbrunn am Wagram 31825 Prigglitz 31953 Tullnerbach 323 Wiener Neustadt (Land) 31310 Gedersdorf 32116 Königstetten 31932 Prinzersdorf 31414 Türnitz 325 Zwettl 31107 Geras 31213 Korneuburg 30848 Prottes 31235 Gerasdorf bei Wien 32515 Kottes-Purk 31826 Puchberg am Schneeberg 31907 Gerersdorf 30618 Kottingbrunn 32007 Puchenstuben

12 13 Niederösterreich in Zahlen

Geografischer Überblick Beliebteste Vornamen 2015 Weinernte 2015 nach Weinbaugebieten in Hektoliter Kindergärten und Horte 2015/16

Orte (Seehöhe) 143 m Engelhartstetten (tiefstgelegener Ort) Knaben 296 Lukas Mädchen 367 Anna Weißwein Weinbaugebiet Ernte in t Hektoliter 1.092 Kindergärten 976 m Annaberg (höchstgelegener Ort) 178 Jonas 294 Sophie Niederösterreich gesamt 19.758 1.010.452 52.904 Kinder 177 Elias 239 Maria Weinviertel 9.907 597.314 173 David 205 Emilia Kamptal 2.726 103.640 178 Horte 173 Jakob 152 Elena Wachau 1.118 81.120 9.507 Kinder Kremstal 1.943 76.824 Wagram 2.029 64.592 Thermenregion 1.035 33.653 Berge (Seehöhe) 2.076 m Schneeberg (Klosterwappen) Warenaußenhandel (in Mio. €) 2015 Traisental 578 31.286 B 2.007 m Rax (Heukuppe) Carnuntum 401 21.130 A C 1.893 m Ötscher sonstige 20 893 1.743 m Hochwechsel Volksschulen, Hauptschulen und Neue Mittelschulen 2014/15 Rot- und Weinbaugebiet Ernte in t Hektoliter Import Export Roséwein Niederösterreich gesamt 7.118 352.241 Volksschulen Haupt- und Neue Mittelschulen 24.383.124 19.665.234 Weinviertel 3.524 213.000 3.423 Klassen 2.123 Klassen Thermenregion 874 31.973 6.167 Lehrer/innen 5.664 Lehrer/innen Seen (Gesamtfläche) 4,30 km2 Ottensteiner Stausee Kamptal 815 28.080 62.694 Schüler/innen 40.545 Schüler/innen 0,68 km2 Lunzer See Carnuntum 523 24.873 0,52 km2 Erlaufsee (zu ca. 50 Prozent in NÖ ) Kremstal 481 19.409 Wagram 617 19.372 Wachau 143 7.718 Sonderschulen und Polytechnische Schulen 2014/15 Übernachtungen (in Tsd.) 2015 nach Herkunftsland Traisental 137 7.610 sonstige 6 204 Sonderschulen Polytechnische Schulen 96,1 Tschechische Republik 484 Klassen 154 Klassen 1.271 Lehrer/innen 74,3 China Obsternte 2015 456 Lehrer/innen 63,4 Italien 3.856 Schüler/innen 2.919 Schüler/innen Flüsse (Gesamtlänge) Donau 2.848 km (davon in NÖ: 218 km) 60,7 Slowakei March 352 km (davon in NÖ: 80 km) 57,6 Rumänien Ernte in t Obstsorte Ernte in t Obstsorte Thaya 290 km (davon in NÖ: 135 km) 56,5 Schweiz und Liechtenstein 15.899 Winteräpfel 395 Zwetschken Allgemeinbildende höhere Schulen 2014/15 Enns 254 km (davon in NÖ: 26 km) 4.622,7 Österreich 55,5 USA 6.329 Ananas-Erdbeeren 294 Pfirsiche und Nektarinen Kamp 153 km 813,6 Deutschland 47,0 Vereinigtes Königreich 5.439 Marillen 275 Walnüsse Ybbs 126 km 133,9 Ungarn 45,8 Spanien 1.674 Winterbirnen 237 Himbeeren AHS (Langform) Aufbaugymnasien und -realgymnasien Traisen 70 km 104,7 Polen 36,8 Frankreich 736 Sommerbirnen 79 rote und weiße Ribiseln 1.328 Klassen 27 Klassen Schwechat 62 km 97,2 Niederlande 35,8 Südkorea 716 Kirschen 74 schwarze Ribiseln 30.540 Insgesamt 590 Insgesamt 630 Sommeräpfel 60 Weichseln 16.282 Schülerinnen 323 Schülerinnen 533 Holunder 7 Kulturheidelbeeren Fläche 19.196,3 km2 Fläche: Top-5-Aktivitäten von Niederösterreich-Urlauber/innen Oberstufenrealgymnasien AHS (insgesamt) 39,6 % Wald 186 Klassen 1.541 Klassen 60,5 % Dauersiedlungsraum, davon 4.211 Insgesamt 35.341 Insgesamt 48,7 % landwirtschaftliche Nutzung 58 % Spazierengehen 2.610 Schülerinnen 19.215 Schülerinnen 45 % Restaurantbesuche 38 % Sehenswürdigkeiten besuchen 37 % Ausflüge außerhalb des Urlaubsorts 34 % Wandern Allgemeine Viehzählung 2015 Jagdstatistik (Wildabschuss) 2015 Autobahn- und Schnellstraßenlängen 2015 Flughafen Wien-Schwechat, Fluggäste 2015 nach Strecken 773.775 Schweine 75.017 Rehwild 11.893 Wildenten 142,7 km A 1 Westautobahn 1.346.063 Frankfurt am Main 442.582 Rinder 66.334 Hasen 8.708 Rotwild 78,7 km A 2 Südautobahn 957.652 Zürich 71.357 Schafe 45.704 Raubwild 4.215 Wildkanichen 38,2 km A 21 Wiener Außenringautobahn 911.471 London 15.352 Ziegen 25.179 Fasane 2.647 Wildtauben 19,7 km A 22 Donauuferautobahn 791.427 Düsseldorf 20.722 Schwarzwild 1.317 Gamswild 17,3 km A 3 Südostautobahn 785.324 Berlin 30,8 km A 4 Ostautobahn 768.681 Paris 22,9 km A 5 Nord/Weinviertelautobahn 681.679 Istanbul 646.994 Moskau 560.490 Hamburg Frost-, Eis-, Sommer- und heiße Tage 2015 539.321 München 535.891 Amsterdam Wohnbevölkerung 2016 nach ausgewählten Geburtsländern 458.614 Dubai Frosttage (Minimum unter 0 °C) Eistage (Maximum unter 0 °C) Sommertage (Maximum über 25 °C) Heiße Tage (Maximum über 30 °C) 430.718 Brüssel Tage Orte Tage Orte Tage Orte Tage Orte 1.653.419 gesamt 425.907 Rom 136 Semmering 33 Semmering 87 Hohenau an der March 46 Hohenau an der March 1.452.979 Österreich 421.406 Barcelona 122 Zwettl-Niederösterreich 7 Zwettl-Niederösterreich 84 Krems an der Donau 43 Krems an der Donau 23.010 Deutschland 415.314 Mailand 92 Wr. Neustadt 4 St. Pölten 77 Wr. Neustadt 42 Wr. Neustadt 21.335 Türkei 405.524 Bukarest 80 Hohenau an der March 4 Wr. Neustadt 75 St. Pölten 42 Retz 18.608 Rumänien 72 Krems an der Donau 4 Retz 68 Retz 41 St. Pölten 17.664 Bosnien und Herzegowina 56 St. Pölten 3 Hohenau an der March 58 Zwettl-Niederösterreich 32 Zwettl-Niederösterreich 13.614 Serbien 52 Retz 2 Krems an der Donau 35 Semmering 1 Semmering 10.938 Ungarn 10.402 Polen 84.869 andere

14 15 Dominic Thiem Hier habe ich alles gelernt, was ich kann am Tennisplatz. Nicht mehr und nicht weniger. In dieser Halle bin ich im Grunde aufgewachsen, und wenn ich hier bin, bin ich für alle einfach nur der Dominic, das ist sehr, sehr angenehm. ÖTV-Leistungszentrum Südstadt

Ursula Strauss Diese Stille unter Wasser. Das Nasse auf der Haut. Hier bin ich leicht und unbeschwert, ich kann die Seele baumeln lassen. Und die Luft riecht noch so wie damals als Kind – nach einem ganzen Tag im Wasser, nach Wurstsemmeln und Sommer. Freibad Pöchlarn Kurt Kotrschal Der Boden hier kennt nur zwei Zustände: schlammig oder staubig … Das Weinviertel ist nichts für Jedermann. Aber es ist eine jener Gegenden Österreichs, wo es wirklich noch schön ist. Lotte Tobisch Weil nix los ist. Ich lebe nicht in der Vergangenheit Und weil man seine Ruhe hat. Wolfspark Ernstbrunn und hänge nicht an Erinnerungen, aber sehen Sie sich hier um: Man spürt so viel Liebe in diesen Räumen … Und die Liebe – Sie erlauben mir diese großen Worte – ist das, worauf es ankommt im Leben. Künstlerheim Baden Stefan Karner Niederösterreich – österreichisches Kernland. Hier wurde Österreich gegründet, von hier aus ist es gewachsen. Man fühlt an diesem Ort, was dieses Land seit Jahrhunderten ausmacht: dass von den Menschen das Gemeinsame über das Trennende gestellt wurde. Und wird. Genau das ist es, was man hier spürt. Stift Klosterneuburg

Johannes Gutmann Auf unserem Bauernhof war ich das erste Mal an einem November-Abend. Das Haus war eine Ruine. Aber ich hab‘ die Vision gesehen, mir gedacht: „Auf Ruinen kann man bauen!“ Wenn ich nun hier oben stehe, sehe ich auf der einen Seite, was wir geschaffen haben, und auf der anderen stört nichts meinen Blick. Nur freies, offenes Land. Sonnentor Betriebsgelände, Sprögnitz Daniela Fally Mit 17 stand ich hier das erste Mal überhaupt auf einer Bühne und der Saal schien mir riesig. Heute hat sich das etwas relativiert, aber jedes Mal, wenn ich hier bin, wird mir wortwörtlich warm ums Herz. Prälat Maximilian Fürnsinn Es ist wie nach Hause kommen. Stadttheater Berndorf Der Erbauer dieses Stiftes war in seiner Art ein Original: Er hat auf der einen Seite sehr gerne gelebt, und auf der anderen Seite hatte er eine starke innere Mystik, eine tiefe Religiosität. Dass sich Humor, Glaube, Welt- und Lebensfreude verbinden lassen, spüre ich hier. Diese Symbiose steckt tief drin in diesen Mauern. Stift Dürnstein Peter Turrini Seit Jahrzehnten lebe ich hier an der tschechischen Grenze, weil mir die Möglichkeit, einen Ort in kürzester Zeit zu verlassen, immer gefallen hat. Mitten durch diesen Tisch hier verläuft sie – die Grenze: Ein Tisch, durch den die Grenze läuft, hebt die Grenzen auf zwischen den Menschen, die an ihm sitzen. Ich bin in vielerlei Hinsicht Grenzgänger … und dieser Gedanke fasziniert mich. Grenztisch Mitterretzbach

Lisl Wagner-Bacher Wenn man hier sitzt und runterschaut, in die Wachau, dann erklärt sich von selbst, warum ich nie auch nur eine Sekunde daran gedacht habe, von hier wegzugehen. Ferdinandswarte, Bergern Werner Schlager Ich habe eine alte Violine zu Hause. Nichts Wertvolles, aber für mich bedeutsam. Sie gehörte meinem Urgroßvater, der im Ersten Weltkrieg desertierte und sich hier in den Bergen versteckte. Ohne den Wald und die Menschen, die ihm selbstlos geholfen haben, hätte er nicht überlebt. Nationalpark Hohe Wand

Friedrich Faulhammer Die Ruhe und der Strom: Wenn ich hier sitze, werden viele Dinge, die mich im Alltag beschäftigen, relativ. Das Wasser hat für mich eine sehr befreiende Wirkung, es erdet mich. Hier kann ich durchatmen, loslassen ... Dieser Flecken bedeutet für mich Erholung. Strombad Kritzendorf Erni Mangold Ich habe hier nie einen faden, blöd-blauen Himmel. Im Waldviertel vermittelt der Himmel Freiheit, fast eine Art Endlosigkeit, und das ist – finde ich – etwas Besonderes und macht in der Seele ein wahnsinnig schönes Gefühl. St. Leonhard am Hornerwald

Herbert Prohaska Früher sind die Leute mit Bussen hierher gekommen zum Prohaska-Schauen. Aber das ist lange her. Wenn ich jetzt auf meiner Terrasse sitze, ist es so ruhig, dass oft Meisen kommen. Die fliegen her, nehmen ein Körnchen, fliegen weg, kommen wieder, nehmen eines, fliegen weg. Schön. Ich mag das wirklich. Kritzendorf Wege in das Mella Waldstein Ingeborg Geyer Helga Maria Wolf weite Land Mary Kreutzer Thomas Schmidinger Johann Skocek Leben, Alltag und Traditionen

Kornkammer | Grüne Winawitz | Vierkanter Gottes | Sonntagberg | Schwarze Grafen | Proviantbezirk | Triftsteige | Kremser Schmidt | Hl. Albinus | Jakob Prandtauer | Mariazellerbahn | Via Sacra | Anna Selbdritt | Vaterberg | „Geldloch“ | Permafrost- boden | Josef Schöffel | Schwarzföhrenwald | Leopold III. | Kartäusermönche | Kaiserstraßen | Papierfabriken | Anton Rollett | „göttlich Briehl“ | „Pfefferbüchsel“ | Höhlenkirche | Karl Renner | Thalhof | Skijöring | Wackelsteine | Himmelteiche | Purzelkamp | „Busserlzug“ | Perlmuttknöpfe | „Malerwinkel“ | Hussiten | Hockgräber | Staatzer Klippe | Nikolaus Lenau | Kellergasse | Fiata | Erdöl | Pirol | Prinz Eugen von Savoyen | Lehmbau | Marille | Maria Theresia | Liese Prokop |

Sanfte Hügel formen große Teile des Mostviertels. Land und Leute

Hundeschlitten-Kurs in Etlas bei Arbesbach, Waldviertel. Kernland, Kornkammer Österreichs, Erzherzogtum unter der Enns, Donauland, Land der Vielfalt: Berge und Hochebenen, Weinland und Thermen, Teiche und Fluss- landschaften, Ebene und Auen – kein anderes Bundesland ist so variationsreich Land der vier Viertel, Bundesland der Vielfalt. Viele Zuschreibungen für wie Niederösterreich. Die Alpen beginnen im Osten mit dem Wienerwald und dem ein Land, das nicht mit einem Begriff erfasst werden kann. Viele landschaftliche, Bisamberg links der Donau. Der Wienerwald ist Teil der niederösterreichischen Voralpen. Südlich davon liegt der Schneeberg (2.076 m), Niederösterreichs Anteil an klimatische, wirtschaftliche, kulturhistorische Räume prägen Niederösterreich, den steirisch-niederösterreichischen Kalkalpen; er ist der höchste Berg und der einzige geografische, topografische und wirtschaftliche Gegebenheiten gliedern es 2.000er-Gipfel des Bundeslandes. Es folgen 33 Berge von über 1.000 Metern. Die Hundsheimer Berge bei Hainburg an der Donau gehören geologisch zu den Kleinen in vier Viertel. Mit der administrativen Trennung Oberösterreichs vom Kernland Karpaten. Die Böhmische Masse, ein Rumpfgebirge, das sich über weite Teile des Österreich schuf Ottokar II. Přemysl (um 1232–1278) Ende des 13. Jahrhunderts Waldviertels erstreckt und sich südlich der Donau im Dunkelsteinerwald fortsetzt, ist ein Granit- und Gneisplateau. Das Wiener Becken ist eine Einbruchszone. Die in das spätere Bundesland Niederösterreich als Verwaltungseinheit. Gleichwohl Nord-Süd-Richtung verlaufende Thermenlinie grenzt es von den Alpen ab, deren galten beide Territorien bis 1861 als zwei Teile desselben Erzherzogtums; erst dann östlichen Abschluss der Wienerwald und die Übergänge in die Pannonische Tiefebene bilden. Die zum Wiener Becken zählende Wiener Neustädter Bucht setzt sich wurde Österreich ob der Enns (Oberösterreich) ein eigenständiges Erzherzogtum. jenseits der Donau im Marchfeld fort. Industrie-, Most-, Wald- und Weinviertel. Die Donau ist die Scheide zwischen Land der Vielfalt: Berge Donauland. Eine der schönsten Talschaften formt die Donau mit der Wachau. und Hochebenen, Weinland Sie ist seit dem Jahr 2000 UNESCO-Weltkulturerbe. Mit rund 200 Kilometern Flusslauf den südlichen und den nördlichen Vierteln des Landes, der Wienerwald die und Thermen, Teiche und hat Niederösterreich den längsten Donauanteil Österreichs. Begrenzung zwischen Most- und Industrieviertel und der Manhartsberg jene Flusslandschaften, Ebene Kornkammer. Mit dem Marchfeld, dem Tullnerfeld, den fruchtbaren Böden und Auen – kein anderes zwischen St. Pölten und Amstetten sowie Teilen des Wein- und Waldviertels verfügt zwischen Wald- und Weinviertel. Historisch nannten sich die Regionen bis Bundesland ist so variations- Niederösterreich über 405.600 Hektar und damit über etwa die Hälfte der gesamten zum Beginn des 20. Jahrhunderts Viertel unter dem Wienerwald (Industrieviertel), reich wie Niederösterreich. österreichischen Getreideanbaufläche (Statistik Austria 2015). In Niederösterreichs Mitte liegt St. Pölten. Es ist seit 1986 die Hauptstadt, Viertel ob dem Wienerwald (Mostviertel), Viertel unter dem Manhartsberg wofür sich bei einer Volksbefragung 45 Prozent der Wähler aussprachen. St. Pölten (Weinviertel) und Viertel ob dem Manhartsberg (Waldviertel). Politisch und setzte sich klar gegen die Mitbewerber Krems, Tulln, Baden und Wiener Neustadt durch. 1992 erfolgte unter Landeshauptmann Siegfried Ludwig (1926–2013) der verwaltungstechnisch erlangte die Viertelseinteilung kaum Bedeutung. Nieder- Spatenstich für das Regierungsviertel. Mit dessen schrittweiser Fertigstellung über- österreich Mitte kann als „fünftes Viertel“ bezeichnet werden. Es erstreckt siedelten Regierung und Verwaltung nach und nach von der einstigen Landeshaupt- stadt Wien und dem Landhaus in der Herrengasse, Wien I., an das Traisenufer sich, wie der Name sagt, über den zentralen Raum St. Pölten – Tulln – Krems. nach St. Pölten. Wahrzeichen des Landhausviertels ist der Klangturm des Architekten Damit wurde ein Gebiet zusammengefasst, das gemeinsame Merkmale Ernst Hoffmann. Das ehemalige Landhaus in der Wiener Herrengasse wird heute (geografische Lage, Wirtschaftsstruktur, Ressourcenausstattung) aufweist. unter dem Namen Palais Niederösterreich als Veranstaltungszentrum genutzt.

32 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 33 Mostviertel

Moststraße Auf jedem Hügel thront ein Hof und sein Königreich ist die Wiese, die Heuga- Die Namen der Mostobstsorten bel sein Zepter und die Birne der Reichsapfel. Mostbirn- und Mostapfelbäume prägen sind sprechend: Gelbmöstler hügelauf und hügelab die Landschaft; im Frühjahr Blütenwolken, im Sommer Schatten- und Grüne Winawitz, Schwanzl- inseln, im Herbst liegen die Früchte wie ein bunter Teppich um den Baum und im birne und Schmotzbirne, Winter zeichnen die Bäume dunkle Astgrafiken in den grauen Himmel. Verkehrs- Rosenhofbirne und Kleine straßen, Wasserwege, Bahnstrecken und Pilgerwege sind Linien durch die Landschaft, Leutsbirne. die eine Geschichte haben. Themenstraßen machen Geschichte und Geschichten erlebbar. So wie die Moststraße, die im Mostviertel eigentlich überall dort ist, wo der Schatten eines Mostbirnbaumes auf die Wiese fällt. Oder ein Krug im Mailüfterl steht und zum Mostheurigen winkt. Das Mostviertel beherbergt heute das größte geschlossene Mostbirnbaumgebiet Mitteleuropas. 200 Kilometer weit schlängelt sich die Moststraße durch die Landschaft des Mostviertels, vom Donaustrand bis ins Alpenvorland, beständig gesäumt von Mostobstbäumen. Die Vielfalt dieser kleinen, lederhäutigen Früchte war bedroht, als in den 1970er- und 1980er-Jahren die Bäume auf den Streuobstwiesen im großen Stil gefällt wurden. Gerade noch rechtzeitig setzte mit der Biolandbaubewegung und der Wiederentdeckung alter Sorten eine Umkehr ein. In den Jahren 2004/05 standen 250.000 Mostobstbäume – Anfang des 20. Jahrhunderts war es noch eine Million. Im Zeitraum von 1995 bis 2006 waren rund 50.000 junge Obstbäume nachgepflanzt worden. Schon die Namen der Sorten lassen das Spektrum an Farbe, Herkunft und Geschmack erahnen: Gelbmöstler und Grüne Winawitz, Schwanzlbirne und Schmotzbirne, Rosenhofbirne und Kleine Leutsbirne. Wie groß der Artenschatz vor 100 Jahren war, ist an einer 1912 in durchgeführten Mostbirnenschau aus Als „Vierkanter Gottes“ allen Kronländern zu erkennen, bei der 1.520 Sorten katalogisiert wurden. Der Most wird das Benediktinerstift war nicht nur in der bäuerlichen Wirtschaft der Haustrunk für die am Hof arbeitenden Seitenstetten treffend Menschen, sondern löschte auch den Durst der Männer in den eisenverarbeitenden bezeichnet. Die Barockarchi- Betrieben. Heute schätzen wir am Most die regionale Herkunft, seine Bekömmlichkeit, tekten Josef Munggenast seinen Vitamingehalt, seine Kalorienarmut. Einige Birnensorten enthalten Sorbit, und Gotthard Hayberger einen zuckerähnlichen Stoff, der für Diabetiker in der Ernährung eine große Rolle hatten überhaupt viel mit spielt. Auch beim Schnapsbrennen hat sich die Birne durch ihren Reichtum an Aroma- Symmetrie im Sinn. komponenten zu einem echten, unverfälschten Geschmacksträger entwickelt. Erlaufsee mit der Gemeindealpe Ebenso wie die Mostbirnbäume gehören die Vierkanthöfe zum Mostviertel. im Hintergrund. Seit 100 bis 150 Jahren erst zieren sie in der uns vertrauten Form das Landschaftsbild, erwecken jedoch mit ihrer imposanten Architektur den Anschein, sie seien immer schon hier gestanden. Sie beeindrucken vor allem durch ihre Ausmaße und ihre Gestalt, die der Kunsthistoriker Johann Kräftner als „die geordnetste, geschlossenste und größte Form eines Bauernhofs“ bezeichnet, birgt ihre Form mit dem Viereck als Inbegriff von Ordnung und Halt doch hohen symbolischen Wert. Verbreitung finden die Vierkanthöfe vornehmlich im Raum St. Valentin – Haag – Strengberg – Wolfsbach – Weistrach. Die Hofform entwickelte sich mit der steigenden wirtschaftli- chen Kraft im 19. Jahrhundert: Gründe dafür waren die Auswirkungen der Josephini- schen Reformen, die Aufhebung der bäuerlichen Untertänigkeit, die aufblühende Mostwirtschaft und der Bau der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn. Was die Entstehung der Vierkanthöfe betrifft, ist heute die Funktionstheorie anerkannt. Der Vierkanter Vom Gebirgswasser bis zum Tieflandfluss setzt sich die Vielfalt des Landes auch in entstand demnach aufgrund des Strebens nach Funktionalität und Wirtschaftlichkeit. seinen Gewässern fort. Der Erlaufsee und der Lunzer See im Mostviertel sind zwei Durch die kurz gehaltenen Arbeitswege verkörpert diese Bauweise die ideale Ver- grün schimmernde Perlen. Das Waldviertel kann als Region der Teichlandschaft bindung von Wohn- und Arbeitsstätte. Der Vierkanter ist Ergebnis einer Entwicklung bezeichnet werden, das Industrieviertel wurde zu jenem dank der energiespendenden vom unregelmäßigen Haufenhof über den nicht geschlossenen Vierseithof zum Gebirgsbäche. Mit 414 Kilometern Außengrenze zur Tschechischen Republik und geschlossenen Regelhof. Die etwa 3.500 Vierkant- und Vierseithöfe des Mostviertels zur Slowakei sowie Grenzflüssen wie Thaya und March hat Niederösterreich nach Tirol mit einer Seitenlänge von bis zu 40 Metern und mehr stellen für die Zukunft eine die zweitlängste Außengrenze Österreichs und seit der Grenzöffnung 1989 vielfältige Herausforderung dar. In einer vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Beziehungen zu seinen Nachbarländern. Universität Wien 2011 durchgeführten Bestandsaufnahme wurden Vierkanthöfe Die folgenden Kapitel bleiben dem Viertelschema treu. Im Mostviertel ist es in vier Kategorien unterteilt: die „verlassenen“ und solche, neben die ein modernes eine Reise entlang der Themenstraßen, von denen die Eisen- und die Moststraße Wohnhaus gebaut wurde; die „beharrenden“, die landwirtschaftlich genutzt werden, die bekanntesten sind. Im Industrieviertel, das mit seinem Namen im postindustriellen wiewohl ihre Zukunft unklar ist; die „spezialisierten“ mit intensiver Landwirtschaft, Zeitalter am wenigsten verbunden ist, sind wir den Regionen gefolgt, die das Selbst- Spezialisierung in der Tierhaltung oder Biolandwirtschaft; und die „umgebrochenen“. Bootsfahrt auf dem Erlaufsee, 1938. verständnis des Viertels ausmachen: die Thermenregion, die Bucklige Welt, der Wiener- Letztere wurden einer neuen Nutzung zugeführt, etwa für Seminarbetriebe, alter- wald, das Wiener Becken sowie die Wiener Alpen. Im Waldviertel sind das Harte und native Wohnformen, Tourismus oder als Büros der Kreativwirtschaft. das Weiche – die Granit- und Teichlandschaft – landschaftsprägend und Leitgedanke Als „Vierkanter Gottes“ wird das Benediktinerstift Seitenstetten treffend für eine Beschreibung des Hochlandes zwischen Donau und Thaya. Die Beschreibung bezeichnet. Die Barockarchitekten Josef Munggenast und Gotthard Hayberger hatten des Weinviertels ist nach den Himmelsrichtungen gegliedert: von der nördlichen überhaupt viel mit Symmetrie im Sinn, als sie das Stift ausbauten. Zieht man von Hügellandschaft bis zur südöstlichen Ebene des Marchfelds. Gemeinsam sind allen den äußersten Eckpunkten des Stiftsgebäudes gedachte Diagonalen, so liegt deren Teilen des Viertels vor allem die identitätsstiftenden Kellergassen. Schnittpunkt exakt beim Kircheneingang. Andere Linien liegen so, dass sowohl die

34 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 35 In Waidhofen an der Ybbs Marienstatue im Innenhof als auch der Tabernakel berührt werden. „Wegarchitektur“ arbeiteten im Jahre 1436 nennt sich diese barocke Spielerei, was ausdrücken sollte, dass der Weg über Maria bereits 100 Messerschmiede, (Marienstatue im Hof) zu Jesus (Allerheiligstes im Tabernakel) führt. 1112 wurde 60 Nagel- und 26 Zirkel- das Mönchskloster gegründet, in das Benediktiner von Göttweig berufen wurden. Eine schmiede, zehn Sensenmacher prägende Persönlichkeit des Stiftes war Abt Kaspar Plautz (Amtszeit 1610–1627), der und vier Nadler. in einem unter einem Pseudonym herausgegebenen Werk von seinen Kartoffelstudien berichtet. Denn im Stift Seitenstetten wurden erstmals in Niederösterreich Erdäpfel, die Knollen aus dem fernen Amerika, angebaut. Eine Gedenktafel beim schmiede- eisernen Tor des Gartens weist darauf hin, dass sie hier 1621 gepflanzt wurden. Doch dauerte es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, ehe Erdäpfel wirtschaftlich genutzt wurden. Die klösterliche Gartentradition wird im barocken Hofgarten gepflegt und mit einer Gartenakademie in die Jetztzeit geführt. Wahrzeichen und Mittelpunkt des Mostviertels ist der Sonntagberg. Im Volksmund wird jene Region als Mostviertel eingegrenzt, von der aus die Basilika am Sonntagberg zu sehen ist. 1440 wurde hier die erste Kapelle errichtet. Die Basilika war lange Zeit eine der meistbesuchten Wallfahrtsstätten Österreich-Ungarns. Jakob Prandtauer und Josef Munggenast errichteten die Kirche, die der Heiligen Dreifaltig- keit geweiht ist, Daniel Gran schuf die Fresken. Vom 700 Meter hohen Sonntagberg hat man eine grandiose Aussicht. Hierher führt der Panoramahöhenweg, der die Grenze zwischen dem fruchtbaren Land der Mostbauern und der alpinen Bergwelt markiert.

Eisenstraße Ding-dang-dang-dang-ding-dong-dong. Das ist das Schlagen der Hämmer, das Dengeln der Sensen, unterlegt vom Rauschen des Wassers, verzerrt vom Schleifen der Messer und angeheizt vom Blasebalg der Esse. Es war einst eine laute Landschaft zwischen den sanften Hügeln und den luftigen Blüten der Mostbirnbäume. Keine Kulturlandschaft in Niederösterreich vermag so anschaulich die Geschichte des Eisens zu erzählen wie das Land zwischen Erlauf und Ybbs. Über die Jahrhunderte entwickelte sich ein ausgeklügeltes Wirtschaftssystem, das vom Zunftwesen des Mittelalters seinen Ausgang nahm, sich immer weiter auffächerte und im 19. Jahrhundert durch ein Nebeneinander unterschiedlicher Betriebsformen charakterisiert war: einer- seits die alten Hammerwerke mit einem starren Regelwerk der Zünfte sowie der Innerberger Hauptgewerkschaft und andererseits moderne Industriebetriebe wie die Walzblechwerke des Unternehmers Andreas Töpper (1786–1872), der in Neubruck und an anderen Standorten 800 Arbeitskräfte beschäftigte. In Waidhofen an der Ybbs arbeiteten im Jahre 1436 bereits 100 Messerschmie- de, 60 Nagel- und 26 Zirkelschmiede, zehn Sensenmacher und vier Nadler. Das Eisen lieferte der Erzberg, und rundum in den steirischen, ober- und niederösterreichischen Eisenwurzen wurde das Rohmaterial aufbereitet und verarbeitet. Die Voraussetzungen dafür waren hier optimal. Die ausgedehnten Ötscherwälder lieferten das Holz für die Köhler und das bergige Voralpenland die richtige Menge an Wasser, um Hämmer, Blasebalg und Turbinen anzutreiben. Das fruchtbare Land versorgte die Knappen am Erzberg, die Gesellen in den Hammerwerken und die Holzknechte ausreichend mit Lebensmitteln. Der sogenannte Proviantbezirk mit den Gemeinden Scheibbs, Gresten und Purgstall war verpflichtet, das nördliche Abbaugebiet des Erzberges mit Proviant, d. h. mit Getreide und Schmalz, zu beliefern. Im Tauschhandel wurde minderwertiges Eisen, sogenanntes Provianteisen, ins Erlauftal gebracht und dort zu Pfannen, Hufeisen, Nägeln und Werkzeug verarbeitet. Die Dreimärktestraße verband Gresten, Purgstall und Scheibbs und führte weiter Richtung steirischer Erzberg. 1990 gründete eine Gruppe von Idealisten und historisch Interessierten den Verein „NÖ Eisenstraße – Interessensgemeinschaft zur Förderung montanhistorischen Kulturgutes“ mit der Idee, die vielfältige Kultur in der Eisenwurzen zu bewahren und weiterzuentwickeln. Museen, Schauschmieden, Themenwege entstanden entlang der Eisenstraße und geben einen Eindruck, wie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Region vom schwarzen Metall lebte. Die Spezialisierung ist wirtschaftshistorisch einzigartig: Da gab es den Köhler in der Schliefau im tiefen Ybbstal, der mit dem „Regieren des Feuers“ – wie man die Kontrolle der rauchenden Kohlenmeiler nannte – vertraut war, und den „Verleger“ in Waidhofen, der Messer und Sensen, Schiffsklamp- fen, Krautmesser, Löffel sowie Pfannen vertrieb und mit Prag und Petersburg, Canberra und Casablanca korrespondierte. Da gab es die privilegierte Zunft der Schwertfeger und Kettenhemdenstricker und die kleinen Nagelschmieden. Gefährlich lebten Das Mostviertel in seinem liebsten Kleid die Flößer, die bei der Schneeschmelze im März mit ihrem Holz über „Fahrlöcher“ – der Obstbaumblüte – und mit den landschaftsbestimmenden Vierkanthöfen. und „Rutschbänke“ sausten. Die Bloche wurden in Hollenstein an der Ybbs gewässert und glitten über Wellen und Wogen bis zur Donau. Fast ebenso gefährlich lebten die Messerschleifer. Der Schleifstein löste sich gerne aus seiner Verankerung und es kam vor, dass er den davor sitzenden Arbeiter erschlug.

36 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 37 Rekonstruierte Holztrift: Rechen mit Triftanlage im Mendlingtal bei Göstling an der Ybbs. Das Zunftwesen, streng geregelt und in sich geschlossen, brachte über die Jahrhunder- te Wohlstand für die Meister der Hammerwerke. „Schwarze Grafen“ nannte man sie und ihr Reichtum manifestierte sich in behäbigen Herrenhäusern mit verspielten Rokokofassaden, in eigenen Trachten, die bis heute lebendig gehalten werden, und in dem städtischen Selbstverständnis der Bürger von Waidhofen an der Ybbs, dem Handelszentrum der gesamten Region. „Ferrum chalybsque urbis nutrimenta“ – „Eisen und Stahl ernähren die Stadt“ – steht über dem Ybbstor geschrieben.

Der steigende Holzbedarf machte Wasserweg es notwendig, das Holz aus Der steigende Holzbedarf schuf die Notwendigkeit, das Holz aus entlegenen entlegenen Bergwäldern zu holen. Bergwäldern zu holen. Das hat Flößer zu halsbrecherischen Manövern veranlasst Das hat Flößer zu halsbrecheri- und zu durchdachten Systemen geführt, um das Wasser zum Transport zu nutzen. schen Manövern veranlasst Das Zusammenspiel der Kräfte, die für die Eisenverarbeitung nötig waren, ist in und zu durchdachten Systemen der Schau-Triftanlage „Auf dem HOLZweg“ im Mendlingtal bei Göstling an der Ybbs geführt, um das Wasser zu sehen. Die 1951 errichtete Steinkastenklause war bis 1992 in Betrieb. Dann zer- zum Transport zu nutzen. störte ein Hochwasser die ganze Anlage. Sie wurde neu errichtet und 1998 wieder zugänglich gemacht. Aus dem Rohstoff Holz wurde die Holzkohle gewonnen. Sie diente zur Behei- zung der Schmelzöfen, Hammerwerke und Schmieden in Eisenerz. Als die Beschaffung von Holzkohle und Lebensmitteln in Eisenerz immer schwieriger wurde, verlegte man die Verarbeitung des Roheisens in nahe Täler wie das Ybbstal. In dieser waldrei- chen Gegend erlebte die Eisenindustrie einen großen Aufschwung. Für die Holzkohlen- erzeugung wurden einst sämtliche Holzarten verwendet. Erst mit dem Aufkommen der Nutzholzwirtschaft begann man zwischen einzelnen Holzsorten zu unterscheiden. Sobald das Holz abgemessen war, mussten die Scheiter oder Bloche zum nächsten Wasserlauf gebracht werden; das geschah im Winter mittels Holzschlitten und künst- lich angelegter Rutschbahnen, der Erd-, Holz- oder Wasserriesen. Nun begann die Dem Himmel ein Stück näher: gefährliche Tätigkeit des Triftens und Schwemmens. Durch den Bau von Klausen hatte Barocke Wallfahrtskirche Sonntagberg. Schon 1440 wurde man ein ausgeklügeltes System aufgestauten Wassers zum Weitertransport, dem hier die erste Kapelle gebaut. Schwemmen des Holzes, geschaffen. Insgesamt gab es in den Ötschergräben zehn

Leben, Alltag und Traditionen 39 Klausen, die perfekt aufeinander abgestimmt waren, um Wasserverluste und „Verklau- sungen“ (Stauungen) durch stecken gebliebene Hölzer zu verhindern. Mit der Errich- tung von Klausen nützte man auch jene Wasserläufe, die nur wenig Wasser führten. Klausen wurden immer in Talengen gebaut, um das Wasser auffangen und stauen zu können. Das zu triftende Holz, das unterhalb der Klause gelagert war, wurde beim Öffnen der Tore, dem „Schlagen der Klause“, unter ungeheurem Getöse fortgerissen. Mit Flößhaken, Sapinen und Triftstiefeln ausgestattete Holzknechte waren in bestimm- ten Abständen über die Triftstrecke verteilt. Oft verkeilten sich die Hölzer auf ihrem Weg zum Rechen. Die Holzknechte mussten nachhelfen, um das Wirrsal zu lösen. Zu diesem Zweck wurden Triftsteige errichtet. Manchmal führten sie durch steile Schluchten und fast senkrechte Wände. Das lose schwimmende Triftholz wurde beim Rechen aufgefangen. Der Mendlingrechen besteht aus mehreren den Bach querenden, starken Stämmen. Dazwischen sind quer und leiterartig Hölzer aufgenagelt. Die Holzknechte zogen das aufgestaute Holz mit ihren Flößhaken in die angrenzenden Holzkanäle.

Kirchen am Fluss Die Donau war bis zum Ausbau der Eisenbahnen ein Hauptverkehrsweg von West nach Ost. So liegen an den Ufern Ortschaften mit langer Geschichte und beson- dere Baujuwele. An der stillen Seite der Wachau, wo der Dunkelsteinerwald steil ins Donautal abfällt, finden sich zwischen den großen Klöstern Göttweig und Melk vielfach unbekannte sakrale Bauwerke. Als „Kirchen am Fluss“ laden Pfarrkirchen, Kapellen und Klöster zu einer Besichtigungstour ein. In Mautern befindet sich an der Stadtmauer die Margarethenkapelle. Die ältesten Teile stammen aus dem 9./10. Jahr- hundert, wobei Teile römischer Mauerzüge für den Sakralbau verwendet wurden. 1083 inkorporierte Bischof Altmann von Passau die Kapelle dem neu gegründeten Stift Göttweig. Um 1300 wurde ein neuer, spätromanischer Bau errichtet. An den Wänden des Langhauses befinden sich Fresken vom Beginn des 14. Jahrhunderts. 1571 wurde die Margarethenkapelle zur Bürgerspitalskirche umgewidmet, Ende des 18. Jahrhunderts jedoch profaniert. In Räumen der Kapelle ist heute das Wachauer Goldhauben- und Trachtenmuseum untergebracht. Die Reise führt stromaufwärts. In Hofarnsdorf trifft Gotik auf Barock – selten so schön zusammengefügt wie in der Kirche St. Rupert. Schon der Name Rupert (erster Bischof von , um 650–718) weist darauf hin, dass die Arnsdorfer Salzburger Besitz waren, was in einer Schenkungsurkunde von 860 belegt ist. Die Kirche ist zweigeteilt: An das spätgotische Langhaus mit dem reichen Stern- und Netzrippen- gewölbe schließt der barocke dreijochige Chor an. In der Apsis ist der hl. Rupert dargestellt, eine Arbeit, die dem berühmten Kremser Schmidt (1718–1801) zugeschrie- ben wird, und ein „hl. Rupert auf den Wolken“ in der durch barocke Scheinarchitektur erhöhten Kuppel. Inmitten einer Gartenlandschaft liegt die Kirche von St. Johann im Mauer- thale. Der vierseitige Turm, der nach oben hin in eine achteckige Form übergeht Blick von einem Gastgarten nach Hof- und mit einem spitzen steinernen Helm abschließt, vermittelt in Stein gefasste Würde. arnsdorf am rechten Donauufer Die Bestimmung der Kirche ist ungewiss – weder wurde sie als Pfarr- noch als Wall- und auf den Dampfer „Dürnstein“, 1935. fahrtskirche erbaut. Die Kirche St. Johann aus dem 15. Jahrhundert ist mit allerlei Mautern an der Donau mit der Sagen verbunden. Demnach haben Schiffsleute das Bild des hl. Albinus entwendet, Pfarrkirche zu St. Stephan. damit es sie bei Donaufahrten schütze; es soll auf wundersame Weise in die Kirche zurückgekehrt sein. Zum Dank dafür wurden Hufeisen der Pferde, die die Schiffszüge stromaufwärts zogen, an die Kirchenwand genagelt. Eine andere Sage erzählt, die Hufeisen erinnerten daran, dass der Teufel persönlich durch das offene Kirchen- tor habe sprengen wollen. Donauseitig ist an der Kirche ein Christophorus-Fresko vom Anfang des 16. Jahrhunderts erhalten geblieben. Der Heilige ist Schutzpatron der Reisenden. Melk kündigt sich von Weitem an. Das überragende, von Jakob Prandtauer geschaffene barocke Benediktinerstift Melk überwältigt nicht nur durch seine berühm- te Bibliothek, seinen goldleuchtenden Kirchenraum und seine Kunstschätze, sondern auch durch die baulichen Ausmaße. Mit den permanenten Instandhaltungsarbeiten ist man im Stift vertraut. Altabt Burkhard Ellegast kennt das „Haus“ mit 1.365 Fenstern und 2,2 Hektar Dachfläche besser als seine eigene Westentasche. Der gebürtige Melker kletterte schon „als Bub verbotenerweise in den Dachböden des Stiftes herum“. In „Erinnerungen und Gedanken eines geplagten ,Bauherren‘ wider Willen“, einem Beitrag zur Festschrift von 1995, die sich der großen Stiftsrenovierung widmete, hielt er fest: „Dem Abt kamen seine Erfahrungen, die er als Bub auf den Dächern des Stiftes gemacht hatte, zustatten. Es gab kein Gerüst, das er nicht erstiegen, wo er nicht mit Arbeitern gesprochen hätte. Die Abenteuerlust des Buben wandelte sich in echtes Interesse an der Bausubstanz und deren baulichem Zustand, aber dahinter auch deren

40 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 41 Die neuen Zuggarnituren der Mariazeller- bahn, die sogenannte Himmelstreppe.

Das Benediktinerstift Göttweig mit seiner außergewöhnlichen Lage über der Donau – im nächtlichen Scheinwerferlicht gleichwie im baugeschichtlichen Zusammenhängen. Mauern, deren Putz abgeschlagen werden Überlegungen zur Errichtung eröffneten Betriebszentrum der NÖVOG, sowie eine Bergstrecke unterteilen. Diese Mittagsdunst scheint es über dem musste, begannen zu sprechen, Ziegel gaben Rückschlüsse auf die Bauzeit, Farbreste einer Bahn von St. Pölten führt von Laubenbachmühle bis Gösing und weiter nach Mariazell. Die Bahn trifft auf Stromtal zu schweben. ließen der Phantasie die Zügel schießen.“ 17 Jahre dauerte die Renovierung des nach Mariazell gab es schon ihrem Weg auf drei Flusstäler: das Traisental bei St. Pölten, das Pielachtal und das Benediktinerstiftes. An einem Ende fertig geworden, tut sich am anderen Ende wieder seit der Eröffnung der Erlauftal. Die an Kunstbauten wie Brücken und Tunneln überaus reiche Bahnstrecke eine Baustelle auf. Das barocke Ambiente strahlt auf den Menschen aus. Altabt Westbahn im Jahr 1858. Durch hat eine maximale Neigung von 25 Promille und erreicht im 2.369 Meter langen Burkhard meint, Barock sei der Ausdruck für die Auferstehung Christi. „Im Barock hat die Wallfahrten war Maria- Gösingtunnel den mit 892 Metern höchsten Punkt der Strecke. Zwischen 1907 und 1911 man den lieben Gott heruntergeholt und ihm eine grandiose Audienzhalle gebaut. zell einer der meistbesuchten wurde die Mariazellerbahn als erste österreichische Bahnlinie vollständig elektrifiziert, Diese konnte nicht glänzend genug sein.“ So wie eben Melk. Fremdenverkehrsorte der die dafür von Krauss & Comp. in Linz hergestellten Lokomotiven der Baureihe E, Donaumonarchie. nunmehr Reihe 1099, sind heute noch im planmäßigen Betrieb – ein Weltrekord. Mariazellerbahn 30 Jahre lang war Wolfgang Krippl als Schaffner und Zugführer mit der Maria- Mit einer weiteren „Eisenstraße“ kann das Mostviertel aufwarten: der Maria- zellerbahn unterwegs. Er gibt einen kleinen Einblick in das Leben mit der Mariazeller- zellerbahn. Überlegungen zur Errichtung einer Bahn von St. Pölten nach Mariazell bahn: „Einer meiner liebsten Züge war der Zug 71541. Als ich 1980 zum Fahrdienst kam, gab es schon seit der Eröffnung der Westbahn 1858. Durch die Wallfahrten war Maria- fuhr dieser Zug um 3:28 Uhr von St. Pölten Hbf. ab und erreichte Mariazell um 7:32 Uhr. zell einer der meistbesuchten Orte der Donaumonarchie. Im Jahr 1896 wurde der 71541 war ein Gmp. – Güterzug mit Personenbeförderung. Das heißt, der Zug hatte Bau der Pielachtalbahn begonnen. Die Eröffnung der Stammstrecke von St. Pölten über zwei 2.-Klasse-Wagen, einen Postwagen und etliche Güterwagen. (...) In Obergrafendorf Kirchberg an der Pielach bis nach Mank erfolgte im Juli 1898. Fallweise sieht man auch bekam man einen Milchwagen für Annaberg dazu und leere Schotterwagen wurden heute noch alte Grenzsteine mit der Bezeichnung St.P.K.M. (Lokalbahn St. Pölten– in Kirchberg abgestellt. Der Rest der Wagen war meistens für die Säge in Gußwerk, Kirchberg/Pielach–Mank). Die ersten hier eingesetzten Dampfloks stammten aus den Steiermark, bestimmt. Das Schöne dieses Zuges war das Bügelfeuer des Stromabneh- Lokomotivfabriken Krauss & Comp., deren Gründer Georg Ritter von Krauss war. Anfang mers, das die vorbeiziehende finstere Landschaft in unwirkliches Licht verwandelte.“ des 20. Jahrhunderts wurde die einzige elektrifizierte Schmalspurbahn Österreichs Die um 2000 von einer Stilllegung bedrohte Schmalspurbahn wandelte sich zu einem mit bosnischer Spurweite bis Laubenbachmühle verlängert, der Bau der Bergstrecke modernen Verkehrsmittel für den Nahverkehr ebenso wie zu einer touristischen dauerte bis 1906. Zu Beginn verkehrten nur Güterzüge, der Personenverkehr nach Attraktion. Die Fahrzeiten der Mariazellerbahn wurden verkürzt, die Fahrpläne attrak- Mariazell wurde im Jahr 1907 aufgenommen, die Strecke in weiterer Folge bis Gußwerk tiver. Auf der Strecke sind die „Himmelstreppe“-Niederflurtriebwagen ebenso wie ausgebaut. Dieser steirische Abschnitt wurde Ende der 1980er-Jahre eingestellt. historische Garnituren als Nostalgiezüge unterwegs. 84 Kilometer schlängelt sich die Mariazellerbahn, auch Niederösterreichisch- Steirische Alpenbahn genannt, von St. Pölten zum steirischen Wallfahrtsort. Die Streckenführung lässt sich in eine Talstrecke bis Laubenbachmühle, dem 2013

42 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 43 Kleines niederösterreichisches Dialektlexikon Verwendete Literatur: Tatzberger, Josef: Mostviertler Lexikon. Dialekt macht die Sprache bunter als ein zwischenmenschliches Kontinu- Bruckner, Hubert: Weinviertlerisch Kematen a. d. Ybbs 2002 und vielschichtiger. Diese Seite ist ein um einer bestimmten Region. In einer von Arnt bis Zwidawurzn. kleiner Anstoß, Dialekt zu sprechen, globalisierten Welt schafft Dialekt Oberndorf a. d. Melk 2004 Tiefenbacher, Sepp: Entas Båch huckt und das nicht nur im Sinne der Ver- eine Heimat zum Hören. Zusammen- a Henn. Mundart zwischen Wienerwald wendung einzelner Wörter, sondern gestellt von Ingeborg Geyer. Bruckner, Hubert: Waldviertlerisch und Mariazellerland. Gösing a. von Aschlings bis Zweringst. Wagram 2006 Oberndorf a. d. Melk 2003 Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich. Hgg. von der Österr. Akademie der Wissenschaften. Wien 1963f.

Waldviertel Mostviertel n „Apfelbühne“, Stellage (Kirschen) entkernen Schlüsselblume Himmöschlissl Osterbleamö Waldviertlerisch Epfibi auskischpen Trachtal mittleres Weinviertel Schlisslbleamö Waldviertel, Mostviertel Baonschoadl Fisole Bucksbam Purzelbaum Eschpeal Erdbeere

Ötschergebiet Mostviertel, Ybbstal östliches Weinviertel verglühende Feuerfunken, Asche Gänserich Fußpilz Butänal | Frühling Lå(n)ßing Lentß Gaa Gaonesl Maugga

Niederösterreich Niederösterreich Mostviertel (vereinzelt) ein Stückchen Korb zum Umhängen nur Fruijår Frialing Låßing Migal Sumpa | Weinviertlerisch aglai

Bucklige Welt, Waldviertel (vereinzelt) Weinviertel, Kamptal n fortgehen n l anlügen n Bienenstock Ausweat | gähnen gåmaratßn austoa ao beu n Bai sumpa gåama Triestingtal gahn südöstliches Niederösterreich gea(n)maln Mostviertel Wachla Getreidesense Utscha Schwein, Sau gebéri bergauf

Ybbstal Kilb, Pielachtal Waldviertel Feistritz am Wechsel mühsam gehen gehacktes Stroh, Küchenreste mit Wasser vermischt als Viehfutter grantig ghasi faind gifti gremassi zwozln Luida

Sitzendorf, Waldviertel Kilb, Pielachtal Mostviertel Schmutz, Abfall, Staub entkernen schiach sekant | hinkend gehen humsln Muit | Mostviertlerisch auskischn schäweanggat ge(n) Mostviertel nuigatsn südliches Niederösterreich brostln bei der Arbeit drängen Doindl Quaste auf der Haube Gfaa Gerücht

Weinviertel Weinviertel Küchenabfall mit Wasser vermischt als Schweinefutter Tod b Rahmsuppe noppa scheckßna | Marienkäfer Marienkäfar, Gwaschd Lian Schto m -käfal allgemein verbreitet Fraunkäfal, Fraukäfal allgemein verbreitet schliwatzn mit den Schuhsohlen auf dem Eis rutschen Ritsch Felsrinne

Mostviertel, südliches Weinviertel, Puchberg am Schneeberg Fettauge auf der Suppe verkehrt Jungfraunkäfal Zinsal | Schneeberg-, Ötschergebiet awechan Liabfraunkäfal Mostviertel Himlskuisal Bucklige Welt Brassl Holzkohlenstück ehzait bald Gaa Funkenregen Klunschn Spalt, Rinne Mukuisal Waldviertel, Weinviertel Heargottnkalwl Pulkautal, Weinviertel Luada Küchenabfall, Getreideschrot mit Wasser vermischt als Schweinefutter macksln ein Wildtier verbotenerweise in Hoggakaiwal Weinviertel Muidakäfal Speisendorf, nordöstliches Waldviertel einer Drahtschlinge fangen Mugl ein großes Stück, ein Brocken Ritthaufa Wirrwarr, wirres Wollknäuel Fraunku-al Mostviertel Fraunkuasal Pöggstall, südliches Waldviertel schwoaben schwanken

44 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 45 Symbole in den Wappen niederösterreichischer Gemeinden Dass es in Niederösterreich um die Sicher- gebietes entstanden sind. Ähre und kaiserlichen Doppeladler. Den Binden- 36 heit seiner Bewohner lange nicht gut Traube repräsentieren die Fruchtbarkeit schild trifft man häufig für Siedlungen 47 25 bestellt war, zeigt die hohe Anzahl vieler Landstriche. Die zahlenmäßig in an, die bereits in der Babenbergerzeit von gekreuzten Schwertern sowie Mauern Gemeindewappen ebenfalls gut ver- entstanden sind. Richtige Wappen- und befestigten Türmen in den Gemein- tretenen Adler und Löwen symbolisieren verleihungen erfolgten aber in der Regel 8 dewappen. Türme und Mauern (oft oft einen königlichen oder kaiserli- erst in späteren Zeiten. Die meisten auch Mauerkronen) stehen vor allem für chen Herrschaftsanspruch oder eine stammen aus dem 20. Jahrhundert. S 7 die zahlreichen Städte des Landes. Privilegierung. So verweist etwa im Schon an zweiter Stelle der häufigsten Wappen von Melk der böhmische zwei- Q Symbole folgt der Baum, der oft von schwänzige Löwe auf König bzw. Herzog 133 Orten zum Wappensymbol gewählt wird, Otakar II. Přemysl. Kaiser Friedrich III. L die am Rande eines größeren Wald- verlieh seinen treuen Städten gerne den 21 G11 6 Z Industrieviertel Laab im WaldeNRb Weikersdorf J34 Golling an der ErlaufP St. Leonhard am ForstNc Hadres AchauPR Lanzendorf am SteinfeldeIRb Göpfritz an der WildB St. MartinGLC HagenbrunnCF AllandOB LanzenkirchenEL Weißenbach an GrafeneggEKPF St. Martin-KarlsbachR HaringseeY Altendorf LaxenburgGNBW der TriestingP c65 GrafenschlagEL St. OswaldKb HarmannsdorfN Aspangberg Sankt PeterG LeobersdorfE Wiener Neudorf GroßdietmannsQB SchollachEG HaugsdorfEF Aspang Markt LeopoldsdorfU Wiener NeustadtEGIK 5 Groß GerungsPB Schönbach HausbrunnE Au am LeithagebirgeW LichteneggEB Wiener Neustadt-Land Großschönau SchönbergJF HauskirchenE Bad Deutsch- LichtenwörthW WienerwaldRk e Groß-SieghartsV Schönbühel HausleitenEC AltenburgEGI MannersdorfW WiesmathLY F 7 GroßgöttfritzB SchremsW HeldenbergGF Bad ErlachYb Maria EnzersdorfS WillendorfP 15 Gutenbrunn Schwarzenau HerrnbaumgartenENF Bad Fischau-BrunnM Maria LanzendorfEW Wimpassing im T HardeggEU Schweiggers HochleithenC Bad Schönau Markt PiestingELZ SchwarzatalePC Hadersdorf-KammernL SenftenbergE Hohenau an der MarchEI Bad VöslauB Matzendorf-Hölles Winzendorf- HeidenreichsteinOY Sigmundsherberg Hohenwarth-MühlbachEJ BadenY Miesenbach MuthmannsdorfT M Hirschbach Spitz HollabrunnKP BergRFW Mitterndorf an der Fischa WolfsthalECc 49 Hofamt PrielGk Straning-GrafenbergF Jedenspeigen BerndorfCBX MödlingNU Wöllersdorf- 48 U Hoheneich Straß im StraßertaleK KorneuburgEGP BiedermannsdorfD MönichkirchenEJ SteinabrücklEH Horn StratzingEID KreuttalCF Blumau-NeurißhofE Moosbrunn WürflachLPc HürmPCU TexingtalD KreuzstettenD BreitenauC Muggendorf ZillingdorfPC Irnfritz-MessernC ThayaE Laa an der ThayaENb Breitenfurt bei WienE MünchendorfNY ZöbernLV JaidhofIC Unserfrau-Altweitrak LadendorfB BreitensteinH Natschbach-LoipersbachPC Zwölfaxingk JaponsU VitisEK LangenzersdorfOV BrombergEJC NeunkirchenE Karlstein an der ThayaX Waidhofen an der ThayaN LasseeC Bruck an der LeithaEGI OberwaltersdorfEHP Mostviertel KautzenCY Waidhofen LeitzersdorfCS Brunn am GebirgeN OtterthalB AbsdorfQC KilbNQB an der Thaya-Land NY LeobendorfV BuchbachB PayerbachHV AllhartsbergSF Kirchberg am WaldeEB WaldensteinOB Leopoldsdorf Bürg-VöstenhofEGIP PerchtoldsdorfEGN AltlengbachPBT 11 KirchschlagE WaldhausenCB im MarchfeldeNC EbenfurthEI PernitzB AmstettenPU Kirnberg an der Mank WaldkirchenEND MailbergN EbergassingPk Petronell-CarnuntumI AnnabergNY 34 Klein-PöchlarnMP Weitersfeld MaissauEGI EbreichsdorfMP PfaffstättenY ArdaggerB 6 Kottes-PurkEI Weinzierl am Waldec MarcheggVY EdlitzEPB PittenU Aschbach-MarktKMP P KremsK Weißenkirchen MarkgrafneusiedlEK H EggendorfC PottendorfGI AsperhofenC X Krems-Land in der WachauE Matzen-RaggendorfX EnzenreithEb PottensteinEG Atzenbrugg C42 Krumau am KampEP WeitenEGI MistelbachB Enzersdorf an der FischaC PrellenkirchenECF BehambergU 19 KrummnußbaumB WeitraEG Nappersdorf Enzesfeld-LindabrunnD PrigglitzEHP BiberbachV N LangauL Windigsteige Neudorf bei StaatzL FelixdorfEIY Puchberg am SchneebergJB BöheimkirchenEc LangenloisBW Ybbs an der DonauEGI Neusiedl an der ZayaCFD FischamendM Raach im HochgebirgeGO Brand-LaabenE 11 LangschlagDc YspertalEM NiederhollabrunnB Furth an der TriestingLC RauchenwarthEC EichgrabenHR LeibenOB Zelking-Matzleinsdorf NiederleisVD GaadenZ Reichenau an der RaxNUb EnnsdorfK LengenfeldKF ZwettlKN ObersiebenbrunnCD GießhüblOBb ReisenbergC ErnsthofenI 16 W Lichtenau im Waldviertel Orth an der DonauR GloggnitzW Rohr im GebirgeY ErtlU k LitschauL Weinviertel OttenthalLk 31 Göttlesbrunn-ArbesthalFU RohrauC EschenauB Y LoosdorfNc AderklaaCb Palterndorf- Götzendorf an der Leitha Sankt Corona EuratsfeldXY 20 Ludweis-AigenEY Alberndorf im PulkautalCF DobermannsdorfFb Grafenbach-St. ValentinU am WechselKBY Fels am WagramEFY Mank AltlichtenwarthE PernersdorfF Grammatneusiedl Sankt Egyden am SteinfeldR FerschnitzP Marbach an der DonauEGP Angern an der MarchNY PillichsdorfF Grimmenstein Scharndorf Frankenfels V Maria Lach am Jauerling Asparn an der Zaya Poysdorf ES EG O OW B KFY Grünbach am Schneeberg Scheiblingkirchen GablitzBY Maria TaferlER AuersthalCF ProttesCF GumpoldskirchenNF Schönau an der Triesting GamingN LangenrohrNE 21 MartinsbergL Bad PirawarthPB PulkauW GuntramsdorfF GKPC GerersdorfUZ Lilienfeld 24 R MauternEU BernhardsthalGb RabensburgGK KD Günselsdorf SchottwienEN Göstling an der YbbsD Loich MeiseldorfS BisambergIFV RavelsbachU GutensteinEKO SchrattenbachD GrafenwörthEG Lunz am See 26 MelkU BockfliesF RetzbachOS Hainburg an der DonauEU SchwadorfMc GrestenEY Maria AnzbachY E Moorbad HarbachR Deutsch-WagramC Ringelsdorf-Niederabsdorf Haslau an der DonauP Schwarzau am SteinfeldBS Gresten-LandLF Markersdorf-HaindorfOb I MühldorfQVb DrasenhofenK RußbachPB Heiligenkreuzb Schwarzau im GebirgeB GroßweikersdorfKF MauerbachN b Bischofstetten Neumarkt an der YbbsU DrösingE Schönkirchen-ReyersdorfEF Hennersdorf bei WienC SchwarzenbachKW GroßriedenthalCF MichelbachH O BlindenmarktJO NöchlingNB DürnkrutLN SchrattenbergF HernsteinEB SchwechatEY HaagLZa Mitterbach Brand-NagelbergB OttenschlagLQ EbenthalLU SchrattenthalEO Himberg bei WienO SeebensteinE HafnerbachN2 am ErlaufseeKQ 71 Brunn an der WildJB PaudorfBF EckartsauNU Seefeld-KadolzF HinterbrühlYZ SeibersdorfC HaidershofenCR Muckendorf-WipfingMC ReinsbergGI Burgschleinitz-KühnringK PerneggBX EngelhartstettenC SierndorfNC HirtenbergE SemmeringHB HainfeldEGIND Neidling Rohrbach an der Gölsenk DietmannsB Persenbeug-GottsdorfEP EnzersfeldCR Sitzendorfc Hochneukirchen- SollenauEB HaunoldsteinCU NeuhofenZY St. Aegyd am NeuwaldeBU Statzendorf DobersbergD PetzenkirchenEX Ernstbrunn SpannbergWb GschaidtEO Sommerein HerzogenburgK Neulengbach St. Andrä-Wördernc SteinakirchenD am ForstE DorfstettenB PfaffenschlagY FalkensteinKO SpillernU HochwolkersdorfN SooßE Hofstetten-GrünauW Neustadtl an der DonauEB St. Anton an der JeßnitzD StössingB DrosendorfEGIK PöchlarnMPY FallbachEPC StaatzEO Hof am LeithagebirgeP TattendorfKR HohenbergU Neustift-InnermanzingB St. Georgen am YbbsfeldeVY StrengbergBb DroßUD PöggstallLR Gänserndorf StetteldorfECF HöfleinED Teesdorfe Inzersdorf-GetzersdorfF NussdorfNR St. Georgen an der LeysVY TraisenV WieselburgEP Waldviertel DunkelsteinerwaldOBb PöllaEI GaubitschKF StettenF Höflein an der Hohen TernitzC Judenau-BaumgartenI Obergrafendorf St. MargarethenC TraismauerEP Wieselburg-LandEB AggsbachOP DürnsteinEGI Raabs an der ThayaEO GaweinstalNR StockerauNB WandD TheresienfeldK KapellnE Oberndorf an der MelkNU St. PantaleonPC Tulbingkb WilhelmsburgEIND AlbrechtsbergJLP EchsenbachC Rappottenstein Gerasdorf bei WienLP StrasshofB Hohe WandE ThomasbergEGI KarlstettenT Obritzberg-RustU St. Peter in der Au TullnKN WinklarnC AllentsteigEI EggenburgE Rastenfeld GnadendorfR StronsdorfE HollenthonBVD TraiskirchenE Kasten bei Oed-ÖhlingY St. Pöltenc TullnerbachPT WölblingE AltenburgEk Eggern RaxendorfJ GöllersdorfF Sulz im WeinviertelF Hundsheime TrattenbachP BöheimkirchenECc OpponitzU St. Pölten-Land TürnitzEPD Wolfpassingc AltmelonB Eisgarn ReingersKM GrabernE UlrichskirchenEY KaltenleutgebenR Trautmannsdorf an der KaumbergKD PressbaumB St. ValentinC ViehdorfD BWolfsbachQc Amaliendorf-AalfangMPB Emmersdorf an der Donau RöhrenbachEP GroßebersdorfF Velm-GötzendorfFW KatzelsdorfE LeithaHW KematenH Prinzersdorf St. Veit an der GölsenZ Waidhofen WolfsgrabenBc ArbesbachPBU ErlaufN RohrendorfKF GroßengersdorfCFT WeikendorfCY Kirchberg am WechselE TrumauL Kirchberg am WagramE PuchenstubenB Scheibbs an der YbbsEGIY WürmlaC Artstetten-PöbringK Furth bei GöttweigOb RöschitzF Groß-EnzersdorfY Wilfersdorfc Kirchschlag in der Buckligen VösendorfE Kirchberg an der PielachEP Purgstall an der ErlaufY Schwarzenbach an Wallsee-SindelburgM Ybbsitz Bad GroßpertholzKP Gars am KampBYe Rosenburg-MoldKC Großharrasb WullersdorfK WeltEY WaidmannsfeldE KirchstettenEKN PurkersdorfKBU der PielachEH Wangk Zeillernd Bad TraunsteinLBV GasternC Rossatz-ArnsdorfUW Groß-SchweinbarthEF ZellerndorfEJ Klausen-LeopoldsdorfG WaldeggGB Kleinzellk PyhraCc Seitenstetten WeinburgT Zeiselmauer BärnkopfB GedersdorfPFD RuprechtshofenN GroßkrutEc ZiersdorfCFd Klein-Neusiedlc WalpersbachM KlosterneuburgEG RabensteinKNS SieghartskirchenEIB Weißenkirchen WolfpassingEGIc Bergern im Geras SallingbergN GroßmuglKO ZistersdorfEI KottingbrunnL WarthNU KönigsbrunnUW RamsauBD Sitzenberg-ReidlingEMb an der PerschlingRT Zwentendorf DunkelsteinerwaldCBF GföhlBc St. Bernhard-Frauenhofen GroßrußbachJc KrumbachU WartmannstettenEC KönigstettenNU RandeggN SonntagbergE Weistrach an der DonauMC BerglandOB GmündKN St. Leonhard GuntersdorfG

46 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 47 Die „Via Sacra“ führt 125 Kilometer Pilgerwege In der Kirche des Zisterzienserstiftes von Rodaun bis Mariazell. Bei Eine Spur langsamer ist man auf der „heiligen Straße“, der „Via Sacra“, unter- Lilienfeld: Das barocke Grabmal mit österreichischem Herzogshut Kaumberg, an den Ausläufern des wegs. Ziel ist Magna Mater Austriae, die „große Mutter Österreichs“. Die Marienstatue des Babenbergers Leopold VI., Wienerwalds, beginnt die Etappe wurde 1157 vom Mutterkloster St. Lambrecht in der Steiermark in die einsame Wald- der 1202 das Stift gründete. durch das Mostviertel. gegend gebracht. Auf wundersamem Wege spaltete sie einen Fels, der den Weg dorthin versperrte. Die Marienstatue wurde zum berühmten Gnadenbild der Basilika von Mariazell, das bis heute verehrt wird. Die Pilgerreise nach Mariazell erlebte Mitte des 18. Jahrhunderts eine Renaissance. Der Schatzmeister von Mariazell, Berthold Sternegger (1713–1793), hat „Wallfahrtslegenden aus dem Mittelalter nach allen Regeln der damaligen historiographischen Kunst in die seinerzeitigen politischen Ereignisse eingebunden und damit als tatsächliche Geschehnisse festgeschrieben“, so der Volks- kundler Christian Stadelmann. Die Rekatholisierung nach der Reformationsbewegung förderte die Wallfahrten. Die „Via Sacra“ führt 125 Kilometer von Rodaun bis Mariazell. Bei Kaumberg, an den Ausläufern des Wienerwalds, beginnt die Etappe durch das Mostviertel. Über dem Ort findet sich die höchstgelegene Burg Niederösterreichs, die Araburg. Nach dem Übergang ins Gölsental erreichen die Pilgernden Hainfeld sowie Rohrbach und St. Veit an der Gölsen. Eine Bergroute führt zu einem wichtigen Etappenziel: dem Zisterzienserstift Lilienfeld. Lilienfeld ist die größte noch erhaltene zisterziensische Klosteranlage Mitteleuropas und zugleich die größte aus dem Mittel- alter in Österreich. Sei es eine Wanderung, eine Wallfahrt oder ein Pilgermarsch: Es ist auch die Landschaft mit ihren Weiden und Wäldern und den Blicken ins Tal oder hin zum Ötscher, die das Pilgern ins 21. Jahrhundert getragen hat. Die zahlreichen Bildstöcke, Kapellen, traditionsreichen Gasthöfe und Pilgerunterkünfte lassen wissen, dass schon viele zuvor auf diesem Weg gegangen sind. Vor Mariazell liegen die „drei heiligen Berge“ Annaberg, Joachimsberg, Josefs- berg. In Annaberg, und so wird es auch in manchen anderen Ortschaften entlang der Pilgerrouten gewesen sein, hielten die Kinder Ausschau nach den Wallfahrer- gruppen und berichteten es den Köchinnen in den Gasthöfen, damit die Suppe für alle reichte. Laut singend und betend, mit wehenden Prozessionsfahnen, zogen die Pilgernden herbei, manche mit Steinen in den Schuhen oder auf Knien den Berg hinauf rutschend.

Vier Viertel – vier Jahreszeiten 130 Jahren in Stockerau trotz Karwoche der Humor sein Recht. Die heitere „Gründonnerstagpartie“, an der Niederösterreichische Bräuche im Jahreslauf 150 Männer teilnehmen, geht durch die Au nach Tulln. Die erste Wanderung unternahm Karl Wasserburger 1884 mit dem Männergesangverein. Zu den Ritualen Helga Maria Wolf gehören die Begrüßung eines Rauchfangkehrers, die Initiation der Neulinge („Jungfrauen“), Labestatio- Die Natur und kirchliche Feiertage bestimmen den Frühling nen mit Schnaps und eine Begegnung mit den Ratscher- Jahreslauf. Ihre Feste und Bräuche sind die Würze In der „geschlossenen Zeit“ vor Ostern war nicht buben. im Einerlei des Alltags. Eigentlich sollte das Jahr im nur vorgesehen zu fasten, sondern auch auf Tanz Wenn die Glocken „nach Rom fliegen“, kündigen Frühling beginnen – wie Dionysius Exiguus anno und Geselligkeit zu verzichten. Bei den Bräuchen Lärmgeräte (Ratschen) die traditionellen Gebetszeiten 525 vorgeschlagen hat. Der Begründer der christlichen herrschte Kargheit vor. Damit auch die Augen darbten, an. Üblicherweise gingen Ministrantenbuben ratschen, Zeitrechnung sah Mariä Verkündigung (25. März) verhängte man Kreuze und Altarbilder mit Hunger- für diesen Dienst bildete sich eine eigene Hierarchie als passenden Jahresanfang. Sein „Annunciationsstil“ tüchern. Diese wurden in den vergangenen Jahrzehnten und Subkultur aus. 2015 brachte eine Regionalzeitung (von lat. annuntiatio = Verkündigung; Stil heißt oft von Künstler/innen neu geschaffen. Das welt- 77 Berichte von Leser/innen über den Brauch. Fast hier Kalendersystem) blieb in Deutschland bis ins größte Fastentuch, das 100 Meter misst, befindet sich im zwei Dutzend kamen aus Niederösterreich: Weil es in 13. Jahrhundert in Kraft, in England sogar bis 1752. Dominikanerinnen-Kloster Kirchberg am Wechsel. Maigen (Horn) an traditionellen Teilnehmern fehlte, Auch Ostern, das Hochfest der Auferstehung („Paschal- Sepp Jahn und Edith Hirsch gestalteten es im Jahr 2000 restaurierte man die 120-jährige Turmratsche, die nun stil“), wäre ein plausibler Jahresbeginn gewesen, aller- mit 40 biblischen Szenen. Das Stift Klosterneuburg Die Ratschenburschen Erwachsene in Gang setzen. Ein ähnliches Modell dings mit dem Nachteil verschieden langer Jahre. schrieb zu seinem 900-Jahr-Jubiläum einen Wettbewerb testen Ratschen und wurde 1989 in Berndorf wiederentdeckt. Es scheint, dass Klappern im Wald, um Denn das bewegliche Fest fällt zwischen 22. März und aus. Seit 2014 verhüllt das siegreiche abstrakte Werk 1966. Die speziellen In Wallsee-Sindelburg sind die mehrere Meter langen der Brauch, der vielerorts in den vergangenen Jahren 25. April und beeinflusst eine Reihe weiterer Termine: von Ernst Ferdinand Wondrusch den barocken Lärminstrumente, die an Palmstangen aus Reisig gebunden und mit Girlanden „pausierte“, neuerdings belebt wird. So sind, wie die Christi Himmelfahrt am 40. Tag (zwischen 1. Mai Hochaltar. Im gleichen Jahr präsentierte die Pfarre den Kartagen das Glocken- bunter Eier verziert. Nicht zu vergessen im vorösterli- Zeitung schreibt, auch in Hirtenberg und Purkersdorf geläut ersetzen, wurden und 4. Juni), Pfingsten am 50. (zwischen 11. Mai und Hinterbrühl ein von Rosa Jörger in Collagetechnik von südböhmischen chen Brauchkalender sind die Passionsspiele, wie wieder „Krawall-Kids“ mit ihren Instrumenten und 14. Juni) und Fronleichnam am 60. Tag nach Ostern angefertigtes Fastentuch. Glasmachern in die Wald- man sie in Kirchschlag in der Buckligen Welt (seit 1932), Sprüchen unterwegs. (zwischen 21. Mai und 14. Juni). Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche. Zur viertler Glasindustrieort- in Dorfstetten (seit 1990) oder in Eibesthal sehen Zu den wiederentdeckten Kirchenbräuchen der schaft Neunagelberg Prozession bringen die Gläubigen Palmkätzchenzweige gebracht. Dem Ratschen- kann. Dort wird die Leidensgeschichte seit 1999 mit Kartage zählen die Heiligen Gräber, das sind Ehren- (Weidenzweige) in die Kirche, die gesegnet werden. meister ist die Kreuzratsche Marionetten dargestellt. Hingegen verschafft sich seit gräber für Jesus Christus. Europaweit einmalig ist die vorbehalten.

48 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 49 Annaberg war lange Zeit ein eigenständiger Wallfahrtsort. Aus seiner Hochblüte stammt die gotische Anna-Selbdritt-Gruppe, geschnitzt 1440 von Jakob Kaschauer. Der hl. Anna, für alle Frauenangelegenheiten „zuständig“, wurden und werden Bitte und Dank ins Ohr geflüstert. Die Pilgermassen machten die Gründung des Kirch- leins am Saurüssel notwendig; es wurde 1644 dem hl. Josef geweiht und somit der Josefsberg begründet. Zwischen Annaberg und Josefsberg liegt eine weitere Anhöhe. Graf Joachim Slawata aus Böhmen wollte auf dem Wallfahrtsweg nach Mariazell die Andacht noch auf ein weiteres Mitglied der Heiligen Familie ausdehnen, nämlich Joachim, den Vater Marias. Kaiser Ferdinand III. bestimmte dafür den Berg „an der hohlen Tanne“, den heutigen Joachimsberg. 1679 wurde die barocke Kirche erbaut. In einem Wallfahrtsbuch aus der Zeit um 1817 wird die Landschaft als beson- deres Erlebnis dargestellt: „Das ganze Gebirge wird hier ernster und schauerlicher. Plötzlich öffnen sich zwey nicht weit voneinander liegende Thäler, von sanft aus- laufenden, mit Wiesen und Wäldern bedeckten Bergen geschlossen. Mannigfaltig verschlungene Baumreihen laufen hin und wieder, rauschende Bäche und zerstreute Hütten geben dem Ganzen Leben und Reiz. Fünfzehn kleine Kapellen, links der Straße vom Joachimsberg angebracht, erinnern, daß man sich dem Gnadenort nähert.“

Ötscher – der Vaterberg Nicht seine Höhe zeichnet ihn aus, vielmehr seine Breite und sein ebenmäßi- ges, edles Antlitz. Der Ötscher ist mit 1.893 Metern hinter Schneeberg und Rax der dritthöchste Berg Niederösterreichs. Wie kein anderer ist er jedoch vom ganzen Land aus zu sehen. An klaren Tagen erblickt man ihn von den Höhenzügen des Wein- und Waldviertels und sein Schneehaupt schwebt am Horizont. Steht man auf seinem Gipfel, überblickt man ein Drittel von Österreich. Viele Gasthöfe wetteifern untereinander mit dem „Ötscherblick“ und tragen dieses Versprechen auch in ihren Namen. Erste Reihe fußfrei ist der Blick von Gösing aus, wo Annoncen von Beginn des 20. Jahrhun- derts die „großartige Aussicht auf das Ötschergebiet, auf die Gemeindealpe und in das Erlauftal“ preisen. Die erste urkundliche Erwähnung fand der Berg als „mons Othzan“ zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Neben dem „Vaterberg“, so die Übersetzung seines slawischen Namens „ocàn“, wurde bis ins 18. Jahrhundert noch der benachbarte Kleine Ötscher als „Ötscherin“ bezeichnet. Von Gaming aus wurde die Wildnis rund um Die Eroberung der Mostviertler Alpen: Auf dem Gipfel des Ötschers. den Ötscher urbar gemacht. Die Kartäusermönche, die sich 1332 in Gaming niederlie- Handkoloriertes Diapositiv, 1909. ßen, begannen die bis dahin undurchdringlichen Ötscherwälder zu roden. Die erste

Anlage in Schönbühel. Dort ließ Conrad Graf Starhem- Zu einem richtigen Fest gehört nicht nur die Vorberei- saison, wenn der Hüter das Vieh auf die Gemeinde- berg in den 1660er-Jahren die Jerusalemer Grabkapelle tung, sondern auch eine „Nachfreuzeit“, bei Ostern weide trieb und bei den Bauersleuten seinen Lohn und die Geburtsgrotte von Bethlehem nachbauen. In sind das die 50 Tage bis Pfingsten. Während der Pente- einsammelte, war in weiten Teilen Europas verbreitet. den Kirchen gab es zur Barockzeit pompöse Aufbauten, coste waren Fasten und kniendes Beten verboten, im Seit einem guten Jahrhundert findet er (wieder) in und um die Jahrhundertwende konnte man Heilige Gottesdienst sang man häufig das Halleluja. Pfingsten Patzmannsdorf (Stronsdorf) statt. 1979 revitalisierte Gräber bei einer böhmischen Glasmanufaktur per gilt als Fest der Geistsendung. In manchen Kirchen, ihn das Heimatwerk in Göttlesbrunn-Arbesthal als Katalog bestellen. Erzeugnisse der Firma Eduard Zbitek wie in Mödling oder Laxenburg, verweisen „Heilig- „Brauchtumsfest“. In Wiesmath pflegt die Volkstanz- finden sich u. a. in Drosendorf, Ernstbrunn, Unterretz- Geist-Löcher“ im Gewölbe auf einen liturgischen gruppe seit 1983 das Pfingstschnalzen. Ihre Mitglieder bach und Scheibbs. Brauch: Zu Pfingsten schwebte aus diesen Öffnungen ziehen mit fünf Meter langen Peitschen durch die In der Osternacht wandelt sich die Trauer in Freude. an einem Seil eine geschnitzte Taube mit vergoldetem Hauptstraße und knallen im Drei- oder Vierachteltakt. In den Kirchen erklingen Orgeln und Glocken, die Strahlenkranz über den Köpfen der versammelten 60 Tage nach Ostern beendet Fronleichnam die Priester weihen Feuer, Wasser und Lebensmittel. Mit Gemeinde. Schon zehn Tage vorher gab es ein ähnliches Reihe der „Maifeiertage“. Prächtige Prozessionen ziehen Speisen wie Eiern, Schinken, Brot und Salz verbinden Schauspiel: Zu Christi Himmelfahrt zog der Mesner durch die Orte. Gläubige, Vereinsmitglieder und Kinder, Eierpecken auf der sich alte Vorstellungen und Bräuche: Wer sie gemeinsam Perchtoldsdorfer Heide, eine Statue des Auferstandenen empor. In Windhag die Blumen auf den Weg streuen, begleiten den Priester. isst, wird nicht „verloren gehen“. Eierpecken und um 1935. versammeln sich Pfarrangehörige um vier Uhr früh Er schreitet unter dem „Himmel“, einem von vier „Eiertitschgern“, wie man im Industrieviertel sagt, sind bei einer Kapelle, wo sie der Vorbeter erwartet. Mit Männern getragenen goldenen Baldachin, und präsen- beliebte Spiele für Groß und Klein. Das „Greangehen“, Laternen ausgerüstet, ersteigen sie betend einen nahen tiert das Allerheiligste in der geschmückten Monstranz. in Erinnerung an den Emmausgang der Apostel am Neben dem Maibaumaufstellen werden im nördlichen Berg, den sie bis zum Sonnenaufgang erreichen. An vier Altären wird aus den vier Evangelien gelesen Ostermontag, bleibt den Erwachsenen vorbehalten. Niederösterreich in der Nacht zum 1. Mai Maisteige Das „Heiligen-Geist-Fangen“ ähnelt einer Flurprozessi- und er erteilt den eucharistischen Segen. Der Weg ist Einst luden die Weinbauern ihre Helfer in die Keller- mit Kalk (oder auch mit schwierig zu löschender Dis- on. Der Brauch ist auch in Sonntagberg und Ybbsitz mit Birkenbäumchen markiert, die mitgebracht wurden, gasse ein und kredenzten ihnen roten Wein, weißes persionsfarbe) vor die Haus- und Hoftüren geschrieben. bekannt und soll gute Witterung für die Landwirtschaft sollen sie doch Segen für Haus und Hof bringen. Im Brot und schwarzes Fleisch (Geselchtes). Doch die Sie künden von (geheimen) Beziehungen oder anderen bewirken. Weinviertel sprach man die gleiche Wirkung dem Gras Weinviertler spotteten: „So mancher geht eben aus und Besonderheiten dieser Person. Eine andere Aktion Rein weltlichen Charakter hat hingegen das zu, mit dem man den Weg bedeckte. In Radlbrunn, kommt schief heim.“ In den 1970er-Jahren in Albern- ist das Ziehen von Strichen zwischen den Häusern von „Pfingstkini-Singen“, ein Heischebrauch der Jugendli- Lassee und Zellerndorf ist dies noch heute üblich. dorf im Pulkautal revitalisiert, ist der Brauch zum Verliebten. Es erfreut sich in letzter Zeit wieder beson- chen. Sie verkleiden einen der Ihren mit einer Laub- Besonders eindrucksvoll wirkt der „Umgang“ in Rohr touristischen Event der „Weinstraße Niederösterreich“ derer Beliebtheit. Wer in der jüngsten Vergangenheit maske und führen ihn durch den Ort. Wenn der am Gebirge. Dort tragen je zwei Burschen sechs geworden. Anfang Mai feldforschend im Weinviertel unterwegs Zug Halt macht, tanzen sie singend einen Reigen um hohe, mit Blumengirlanden umwundene Prangstangen, waren, konnte kilometerlange „Maistriche“ verfolgen. den grünen König. Der Brauch am Beginn der Weide- wie man sie sonst nur im Salzburger Land sieht.

50 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 51 Jedes Jahr im Mai: das Fest des Brotes. Fronleichnamsprozession um 1840 in einem Gemälde von Carl Schindler, um 1900 in Eggenburg und um 2000 in Wurmbrand bei Groß Gerungs, Waldviertel.

Beim Gemälde von Carl Schindler (ganz links) liegt der Fokus auf den Zaun- gästen der Prozession, was auf den feierlichen, gerade- zu pompösen Charakter des Festzuges hinweist: Ein Fest lockt Schaulustige an. Fronleichnam wird am Donnerstag gefeiert, der dem ersten Sonntag nach Pfingsten folgt. Das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“ hat keine biblische Grundlage, es geht auf Visionen der Klosterfrau Juliana von Lüttich (ab 1209) zurück. Eine besondere Rolle spielt die Monstranz am Fronleichnamstag, wenn der Priester (links) darin die Hostie unter einem Baldachin – dem „Himmel“ –, von einer Prozession festlich geklei- deter Gläubiger begleitet, durch den Ort trägt. Die Erstkommunionkinder (oben) folgen dem Himmel, Vereine wie die Feuerwehr und der Kameradschafts- bund schließen sich an.

52 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 53 dokumentierte Besteigung erfolgte im Jahr 1574 durch den Wiener Hofbotaniker Industrieviertel Carolus Clusius. Keine 20 Jahre später, 1592, war eine weitere hochrangige Expedition unterwegs, um die Magie des „Wetterlochs“ zu untersuchen und das sagenumwitterte Wienerwald „Geldloch“ – einen der Einstiege in das Ötscherhöhlensystem – mit gewissen Hoff- Dass die ausgedehnten Wälder Die Berge wölben sich rund und wohlgeformt, die Kastanienbäume sind nungen zu inspizieren. Laut Sage hat hier eine Witwe Zuflucht gesucht und in den am Rande von Wien nicht im großen festlich aufgereiht wie die Kerzenleuchter einer Kaffeetafel. Schönbrunngelbe Villen Ötscherhöhlen ihr Gold und Silber aufbewahrt. 1930 wurde erstmals die Nordflanke Stil abgeholzt wurden, verdanken stehen wie Nippes auf einer Anrichte. Sonntag ist’s im Wienerwald und die Wirtsfrauen durchstiegen. Auf dem Weg dorthin steht das Almhaus Hochbärneck und eine sie mehreren glücklichen Um- beugen sich über duftende Milchrahmstrudel. Zahlreiche Bankerl laden zur Rast, 150-jährige Linde spendet Schatten für die Rast. Nimmt man den Weg über den Reif- ständen, unter anderem der Unweg- pittoreske Landschaft und gut gelungenes Gemäuer zur gefälligen Bewunderung. Dass graben, ist das Freilichtmuseum beim Hof Weherberg mit Holzmühle, einem Troad- samkeit des Geländes und der die ausgedehnten Wälder am Rande der Großstadt Wien nicht im großen Stil abge- und Dörrkasten und einer Haarstube zu besichtigen. Jagdleidenschaft der Habsburger. holzt wurden, verdanken sie mehreren glücklichen Umständen. Zum einen der Unweg- Der landschaftlich spektakulärste Weg führt über die Ötschergräben. Dem, samkeit des Geländes, zum anderen der Jagdleidenschaft der Habsburger, die gerne der nicht gut zu Fuß ist, bietet die Panoramastraße von Trübenbach über Erlauf- vor den Toren der Residenz auf Pirsch gingen. Und dem Journalisten des „Wiener boden nach Puchenstuben Einblicke in die grandiose Gebirgslandschaft des Ötschers Tagblatts“ und Bürgermeister von Mödling, Josef Schöffel (1832–1910). Dank seiner und der Vorderen Tormäuer. Ein Gesteinslehrpfad vermittelt Wissenswertes über dramatischen Berichte entging der Wienerwald im Jahre 1870 dem Schicksal der die Gebirgsbildung. Beachtliche Gesteinsverwerfungen bei Gaming und Puchenstuben Privatisierung – der kaiserliche Hof hatte aus finanziellen Gründen bereits große Teile lassen die Entstehung der Alpen, den Druck, mit dem das Gestein aufgefaltet wurde, des Wienerwaldes zur Abholzung durch Schlägerungsunternehmen freigegeben. besser verstehen. Eine klimatische Besonderheit ist der Permafrostboden bei Puchen- Nach einer mehrjährigen Medienkampagne gelang es, die Schlägerungen zu stoppen. stuben, der 1987 entdeckt wurde. Solche Böden tauen in der Tiefe niemals auf. Die vorherrschende Baumart des Wienerwalds ist die Buche. Je nach Sie sind sonst nur aus Gebieten wie Sibirien bekannt. Zwischen Mariazellerbahn und Bodentyp, Höhenlage und Ausrichtung tritt sie in einer bestimmten Wald- oder Vege- Ötschergräben hat sich Wienerbruck über viele Jahre zum beliebtesten Einstieg in tationsgesellschaft auf. In einer Höhenlage von 400 Metern ist es der Waldmeister- den Naturpark Ötscher-Tormäuer entwickelt. Hier steht seit 2015 das neue Natur- Buchenwald. Eichen-Hainbuchen-Wälder wachsen auf den zentralen Höhenzügen der parkzentrum Ötscher-Basis, Informationszentrum und Ausgangspunkt für Unterneh- anschließenden Hügel im Osten. Eine Besonderheit ist der Schwarzföhrenwald auf mungen im Naturpark Ötscher-Tormäuer. den felsigen Kalksteinstandorten am Ostrand, wo der Wienerwald an die Thermen- region von Baden, Mödling und Gumpoldskirchen angrenzt. Das Verhältnis von Laub- zu Nadelholz beträgt im Wienerwald seit 1850 etwa 70:30 und die Walddichte entspricht jener um 1700. Wald und Kloster stehen in einem besonderen Naheverhältnis. Nicht nur als wirtschaftliche Grundlage war und ist der Wald von Bedeutung, sondern auch als Ort der Weltabgewandtheit sowie der Urbarmachung. Die Gründung von Klosterneu- burg beruht auf einem Gelöbnis. In einem Wald nahe der Donau versprach Markgraf Leopold III. (1073–1136) dort ein Kloster zu gründen, wo sich der verwehte Schleier seiner Frau Agnes wiederfinde. Diese Legende ist im kollektiven Gedächtnis Öster- reichs verankert. Der Schleier ward gefunden, das Kloster 1108 von Leopold III. gegründet. Der großzügigen Klosteranlage der weltlichen Kanoniker war die Burg

Ästen und Rinde befreit, wird am Wipfel geschmückt. die Gemeinden Waidhofen an der Ybbs, Sonntagberg, Das Freilichtmuseum „Germanisches Gehöft Elsarn“, Man bindet bunte Bänder und einen Kranz daran, Ybbsitz, Randegg und mehr als 30 Partnerbetriebe. das seit 2001 besteht, lädt zum Germanenfest und zu an dem Würste, Brezel und Weinflaschen hängen. Spektakulärstes Event bilden die rund 20 „Feuer am Workshops ein. Besonders reichhaltig ist das Programm Burschen, die den glatten Stamm erklettern, erhalten Berg“, die zur Sommersonnenwende am Panoramaweg im größten Freilichtmuseum Niederösterreichs, dem sie als Preis. Um das zu erschweren, reibt man den lodern. Eine längere Tradition haben die Sonnwendfeu- Museumsdorf Niedersulz: Spielefest, Frühschoppen, Stamm mit Seife ein. Nägel oder Zäune sollen – ebenso er, die sich in der Donau spiegeln. Schon 1835 schilder- „Waschtag“, Kirtag, Gartenfest und vieles andere werden wie nächtliche Bewachung – verhindern, dass der Baum ten sie Reisende als „unerwartet herrliches Schauspiel“. dort angeboten. Der Maibaum ist in der umgeschnitten oder gestohlen wird. Beim Aufstellen Heute inszenieren zwei Dutzend Orte in der Wachau Der wichtigste Feiertag des Sommers ist der Familie der Festbäume zu hilft heute oft der Traktor. Umso stolzer sind die Män- und im Nibelungengau zwischen Mitte und Ende 15. August. Damit verbinden sich die – fast allgemein Hause, zu denen auch ner, wenn sie es „mit Muskelkraft und Stangentechnik“ Juni Feste mit Feuerwerken und anderen Attraktionen. übliche – Kräuterweihe und die „Goldhauben-Wall- Kirtagbaum, Hüterbaum, Sonnwendbaum oder die schaffen, wie etwa in Mödling, Waidhofen an der Thaya Die warme Jahreszeit motiviert zum Einkauf fahrt“. Seit 1957 führt sie Angehörige von Goldhauben-, Bäumchen zur Dachgleiche oder Gaaden. Dort segnet der Pfarrer den Baum am unter freiem Himmel. Bekannt und bewährt sind der Kopftuch-, Hammerherren- und Trachtengruppen zählen. Maibaum-Feste Kirchenplatz. In manchen Gemeinden im Tullnerfeld Bauernmarkt in Schönberg am Kamp und jener in der zu verschiedenen Pilgerorten im Mostviertel. In der in den heute bekannten Formen sind eine Erfin- ist es üblich, Maibäume vor jene Häuser zu stellen, Röschitzer Kellergasse. Nun beginnt eine unüberseh- Barockzeit bildete die Kirche auf dem Annaberg dung des 19. Jahrhunderts. die im vergangenen Jahr den Besitzer gewechselt haben. bare Fülle an Kirtagen, Festen und Events. Erstmals eine wichtige Station der Via Sacra nach Mariazell. Und diese wissen sich für die Ehre gebührend zu 2007 luden die Almhütten am Wechsel im Juni zu ihrem Seit 2007 ist sie zum Ziel einer Familienwallfahrt samt bedanken. Die Ehrenmaibäume vor den Häusern der Festival „Schwaigen-Reigen“ ein. Seit mehr als 65 Jahren Kirtag geworden. Auch wenn man es oft anders hört: Der Maibaum hat Weinviertler Honoratioren sind in Zeiten befestigter feiern die Almbauern mit tausenden Gästen am nicht das Geringste mit einem „heidnisch-germani- Straßen Ehrentafeln an den Gartenzäunen gewichen. 15. August, an wechselnden Orten, den Almwandertag. Herbst schen Frühlingskult“ zu tun. Er ist einer aus der großen Die Saison der Themenfeste erstreckt sich bis in Kirtage gibt es das ganze Jahr über, in der schönen Familie der Festbäume, zu der u. a. der Kirtagbaum, Sommer den Herbst und macht vor den Museen nicht halt. Mitte Jahreszeit locken sie Gäste aus nah und fern an. Manche der Hüterbaum, der Sonnwendbaum oder die Bäum- Der Sommerbeginn am 21. Juni bildet einen Wen- Juni geht in der Römerstadt Carnuntum das Römer- haben kulinarische Spezialitäten zum Anlass. Seit 1950 chen zur Dachgleiche zählen. Die ersten bekannten depunkt. Auf Hügeln und Bergen entzündet man festival über die Bühne. Rund 200 Darsteller/innen gibt es den Marillenkirtag in Spitz, seit 1994 das Kürbis- Maibäume standen nicht im Dorf, sondern mitten in Holzstöße und bleibt in der kürzesten Nacht des Jahres – Legionäre, Handwerker und Händler – sind an fest im Retzer Land. Wer „flüssige Nahrung“ bevorzugt, der Stadt: Chronisten berichten dies 1230 vom Wiener lange beisammen. Im Jahr 2000 entstand an der Eisen- dem Spektakel beteiligt. Wenig später findet im Freilicht- wird beim Weitraer Bierkirtag, zahlreichen Kellergas- Hof. Maibaum-Feste in den heute bekannten Formen straße eine Arbeitsgemeinschaft „mit dem Ziel der museum in Schwarzenbach das Keltenfestival statt. senfesten und Weinkosten gut bedient. Freude, Dank- mit Volkstanz und Ähnlichem erfand man erst im Etablierung eines gemeinsamen touristischen Panora- Auch das Urgeschichtemuseum MAMUZ Schloss barkeit und Lebenslust fanden und finden Ausdruck 19. und 20. Jahrhundert. Ein hoher Nadelbaum, von maweges und dessen Vermarktung“. Mitglieder sind Asparn/Zaya verwandelt sich in ein Keltenfestgelände. in alten und neuen Bräuchen wie den Erntedankfesten.

54 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 55 Nur „Notwendiges und Nützliches“ des Markgrafen angeschlossen. Junge Orden hatten im 11. Jahrhundert das Mönchtum gilt es für die Kartäusermönche mit neuer Spiritualität reformiert. Man war der Ansicht, dass fern der Gesellschaft zu sprechen. Wie bei einer Kartause den Verführungen des Alltags besser zu widerstehen sei. Zwei Orden, die sich dieser üblich, wurden die Mönchszellen Lebensweise verschrieben hatten, siedelten im Wienerwald, und zwar die Zisterzienser in Mauerbach so angelegt, dass und die Kartäuser. Eigentlich hatte Markgraf Leopold III. seinen Sohn Otto (um 1112– kein Kontakt zu den Mitbrüdern 1158) als Propst des Stiftes Klosterneuburg vorgesehen. Doch dieser lernte in Paris den möglich war. neuen Geist der Gefolgsmänner des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux kennen. So kamen die Zisterzienser 1133 nach Heiligenkreuz. Nur „Notwendiges und Nützliches“ gilt es für die Kartäusermönche zu sprechen. 1313 wurden sie von Herzog Friedrich dem Schönen (1289–1330) in ein noch recht unzugängliches Tal berufen. Wie bei einer Kartause üblich, wurden die Mönchszellen in Mauerbach so angelegt, dass kein Kontakt zu den Mitbrüdern möglich war. Die Kartause Mauerbach war das erste Kloster von vielen, die Kaiser Joseph II. aufhob. Danach wurde es zum Altenheim, im Zweiten Weltkrieg zum Quartier für Bombenopfer. Seit 1978 sind in der Kartause die Lehr- werkstätten des Bundesdenkmalamtes untergebracht. Auch Eremiten ließen sich in der Einsamkeit des Wienerwaldes nieder. Ihre erste schriftliche Erwähnung findet sich 1285 mit der Gründung des Augustiner-Eremiten-Klosters in Baden. Einsiedeleien gab es in Laab im Walde, Breitenfurt, Perchtoldsdorf und um Baden. Das Bürgertum entdeckte im frühen 19. Jahrhundert die Romantik der Natur. Zuerst fuhr es nur „über die Linien“ nach Döbling, Dornbach oder Hietzing. Für eine Wanderung in den Wäldern rund um Hütteldorf empfahl es sich, einen kundigen Führer mitzunehmen. Eine Besteigung des Anninger glich einer Expedition, die man zum Zwecke naturwissenschaftlicher Studien, wie des Fangens von Schmetterlingen, antrat. Der Schuldirektor Franz Anton de Paula Gaheis war der Erste, der auf den neuen Trend reagierte und um 1800 eine Beschreibung von Ausflugsmöglichkeiten mit praktischen Hinweisen verfasste. Über den Weg von der Spinnerin am Kreuz in die Hinterbrühl hielt Gaheis fest: „Vor uns hatten wir die herrlichste Aussicht bis an die ungarischen und steyerischen Gränzen, hinter uns erhob sich die Kaiserstadt und der Kahlenberg aus einem dünnen Morgennebel empor. Welch ein Anblick, welche Eindrücke für ein fühlendes Herz.“

Blick von der Ruine Rauheneck ins Helenental, Baden bei Wien.

Gerade Niederösterreich zeigt, wie man Traditionen der „Dirndlgwandsonntag“. Nach Salzburger Vorbild Festivalstandort entwickelt, der alljährlich mehr als den Bewohnern/innen der einzelnen Häuser gesungene bewahren, kreativ damit umgehen und neue erfinden 2009 eingeführt, beteiligten sich im September 2014 110.000 Gäste zählt. Kaum ein Ort kommt ohne Christ- Wünsche und bekamen dafür Lebensmittel. Blasmusi- kann. Dafür ist das Erntedankfest ein gutes Beispiel: rund 770 Institutionen an diesem Tag der Tracht. kindlmarkt aus, wobei manche unter einem bestimmten kanten brachten Ständchen dar. Im Lauf des 20. Jahr- Der geistliche Volksbildner Leopold Teufelsbauer Wer in Niederösterreich singen und musizieren Motto stehen, wie „Schmiedeweihnacht“ (Ybbsitz), hunderts kamen Neujahrskonzerte als neuer Brauch (1886–1946) widmete ihm 1933 eine Broschüre, Heraus- möchte, kann es bei den zahlreichen Sänger- und „Kunstadvent“ (Baden) oder „Biedermeier“ (Markt dazu, etwa in Hollabrunn, Grafenwörth, Ziersdorf oder geber war das von Pius Parsch (1884–1954) geleitete Musikantenstammtischen. Bäuerinnenchöre präsentie- Piesting). Tatsächlich aus dem Biedermeier, wenn auch Laa an der Thaya. Volksliturgische Apostolat in Klosterneuburg. Teufels- ren sich im Frühjahr beim Kranzlsingen und im erneuert, stammt das Traismaurer Krippenspiel. Es steht Klassisch wurde die Nacht vor dem Dreikönigstag bauer schlug vor, das neue Fest am Quatembersonntag Herbst beim Leopoldisingen. Auch das Aufspielen im im Heimatmuseum und der Gesangsverein erweckt es von Perchtengestalten belebt. Im 21. Jahrhundert hielten (Mitte September) in Weinbaugemeinden wegen Wirtshaus stößt wieder auf Interesse. Wer lieber nur mit seinen Aufführungen zum Leben. alpenländische Masken in Niederösterreich Einzug. der Ernte aber an einem Sonntag im Oktober zu zuhört oder tanzt, findet dazu ebenfalls viele Gelegen- Aus der Fülle der weihnachtlichen Rituale sei nur Oft kommen sie schon als Krampusperchten oder noch begehen. Er gab detaillierte Anregungen für Lieder heiten. So heißt es etwa in Miesenbach regelmäßig der älteste liturgische Weihnachtsbrauch genannt: früher vorbei. Die recht professionellen Gruppen neh- und Texte, die Herstellung der Erntekrone und das „Singen, Tanzen, Musizieren“. Das ORF-Landesstudio Das „Kindelwiegen“ wurde bereits 1162, zwei Genera- men an Rauhnacht-Festen, Umzügen und Werbever- anschließende Dorffest. Als Direktor des bäuerlichen organisiert die „Lange Nacht der Volksmusik“. Bevor tionen vor der legendären Krippenfeier des hl. Franzis- anstaltungen in Einkaufszentren teil. An der - Fortbildungswerkes in Hubertendorf bei Blinden- Kathrein (25. November) den Tanz einstellt, steht eine kus, erwähnt. Genau 850 Jahre danach revitalisierte taler Rauhnacht in Payerbach beteiligen sich mehrere markt hatte Teufelsbauer großen Einfluss auf die Reihe herbstlicher Volkstanzfeste auf dem Kalender, wie Eberhard Kummer – bekannt als Pionier des Dreh- Gruppen aus dem Schwarzatal. Sternsinger ziehen, Verbeitung des Brauches. Die Elemente und Grund- das Mostviertler Volkstanzfest oder der Leopolditanz leierspiels und der Interpretation mittelalterlicher von der katholischen Jungschar gut organisiert, durch strukturen sind bis heute gleich geblieben. in Klosterneuburg, Brunn am Gebirge und Vösendorf. Epen – den Brauch. Schauplatz war die romanische die Orte. Inzwischen hat der Fasching begonnen. Zu Als Impulsgeberin für neue und wiederbelebte Kirche St. Gertrud in Klosterneuburg. Zum Gesang den traditionellen Bällen und Umzügen der „Faschings- Bräuche fungiert häufig die Volkskultur Niederöster- Winter „Resonet in Laudibus“ („Josef, lieber Neffe mein“) wurde narren“ gesellte sich „Karnevalsbrauchtum“ nach reich. In der Kultur.Region.Niederösterreich GmbH Im Advent zeigen Lichterketten und Christbäume eine Christkindfigur in der Wiege geschaukelt, ein rheinischem Vorbild. Seit 1962 besteht der „Bund bildet sie ein Netzwerk aus Institutionen und Personen, im öffentlichen Raum an, dass ein großes Fest bevor- mittelalterlicher Reigentanz bildete den Abschluss. österreichischer Faschingsgilden“ mit rund 130 Mit- die im Kulturbereich tätig sind. Als die „vier Säulen“ steht. Landauf, landab gibt es Adventkonzerte und 2013 brachte der Sänger den Brauch nach Ried am gliedsvereinen, davon 36 in Niederösterreich. Der erste werden Tracht, Brauch, Handwerk und Kulinarik Weihnachtsmärkte. Nikolaus stattet Familien, Pfarren Riederberg und Wien. 2014 wieder in Klosterneuburg, etablierte sich 1968 in Mödling. genannt. Das Volksmusikfestival aufhOHRchen fand und auch dem Brandlhof in Radlbrunn seinen Besuch übernahm 2015 Norbert Hauer die Leitung; davon In den vier Vierteln des größten österreichischen 2015 schon zum 23. Mal statt, alljährlich steht eine ab. Vorreiter der Adventmärkte war vor fast vier inspiriert führt er das Kindelwiegen inzwischen selbst Bundeslandes gibt es zu allen vier Jahreszeiten An- andere Region im Mittelpunkt. Unter das Motto „Wir Jahrzehnten der Grafenegger Advent. Seither hat sich in einigen Kirchen des Landes durch. lässe für frohe Feste – und noch viele mehr, als hier tragen Niederösterreich“ fallen publikumswirksame das historistische Schloss mit seinem Park und dem Am ersten Tag des Jahres war in vielen Orten das genannt wurden. Es lohnt sich, sie zu entdecken! Veranstaltungen wie der Ball „Nacht der Tracht“ oder Wolkenturm zu einem international renommierten Neujahrsansingen üblich. Buben oder Männer entboten

56 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 57 Genuss-Lexikon Dirndl Grubenkraut herausgefischt und in die Dirndlsträucher Um Kraut haltbar zu daneben hergestellte Ab-Hof-Verkauf, Bauernladen, Genuss- wachsen vorwiegend an machen, war es früher Grube geschleudert regionen, Schmankerln & Spezialitäten: Feldrainen – vorausgesetzt, gang und gäbe, die ganzen und eingestampft. (...) Ein Land definiert sich auch durch dass diese nicht der Köpfe zu kochen und in Geehrter Leser, der du regionale Besonderheiten. Das kleine Kommassierung zum einem Erdloch einzulagern. nicht aus der Gegend des niederösterreichische Genuss-Lexikon Opfer gefallen sind. Zu Nach einer Reifezeit Grubenkrautes stammst, von A bis Z. Stars wurden sie im war das Kraut im Winter du würdest jetzt davonlau- Pielachtal, wo Köchinnen ein lebenswichtiger fen und alle Eßlust würde und Schnapsbrenner Bestandteil der bäuerli- dir vergehen, denn die die Dirndlbeeren zu chen Ernährung. Im Geschichte stinkt grässlich. vielfältigen Produkten Dorfmuseum Roiten Doch da muß man wacker verarbeiten. Dirndl sind befindet sich noch ein standhalten, besonders auch unter den Namen Grubenkrautkessel die Köchin die hält aus Kornelkirsche (Cornus mit 460 Litern Inhalt. und tut alles ob sie keinen mas L.), Herlitze und Karl Kramler, Pfarrer Geruchssinn hätte, Arche Noah Blondvieh (Waldviertler) Blondvieh in Niederöster- Gelber Hartriegel bekannt. Elsbeere Die gerbstoffreichen von Pöggstall, berichtet entfernt die äußeren Wachauer Laberl Marille Alle finden Platz in der Entstanden ist die reich auf allen Weiden Die Früchte des Wildobst- Der Elsbeerbaum Früchte wirken adstringie- 1937 in den Blättern des letschigen Blätter sauber Das Wachauer Laberl Der „Blütensonntag“ Arche, die, umschlossen Rasse aus einer Kreuzung zu finden. Als Quantität strauches sind reich an (Sorbus torminalis) wird rend (zusammenziehend) Waldviertler Heimat- vom guten weißen Kerne ist ein semmelartiges eröffnet die Saison in der von alten Mauern, hoch von altillyrisch-keltischem und schnelles Wachstum Vitamin C und schmecken bis zu 20 Meter hoch und sind erst in der bundes: „In der Nähe des des Krautkopfes und Graugebäck aus Weizen- Wachau. Man genießt über dem Kamptal ankert: Rind mit dem ungarischen in der Rinderzucht immer saftig-säuerlich, leicht und wächst solitär auf Vollreife frisch verzehrbar. Hauses ist an einer schneidet diesen weißen und Roggenmehl. Die mit dem Auge, was später die ganze Sortenvielfalt Steppenrind. Am Hof wichtiger wurden, setzte grasig mit intensivem südlichen Hanglagen. Sie schmecken sandig- feuersicheren Stelle ein Krautkern entweder Zugabe von Gewürzen süße Frucht wird. von Obst und Getreide, von Kaiser Franz Joseph I. sich das Fleckvieh zu- Aroma und öligem Abgang. An keinem anderen mehlig, aber angenehm großer Kessel im Freien mit dem Krautstock, der wie etwa Kümmel, Die ersten größeren Gemüse und Blumen. durfte für den Tafelspitz sehends durch. Im Jahr Die traditionelle Verwen- Standort in ganz Europa säuerlich-süß. Getrocknet aufgestellt, in dem für gerade so wie ein Koriander, Fenchel, Anis, Marillenkulturen wurden Allein 170 Kartoffelsorten nur das Fleisch des 1982 war das Blondvieh dung der Kornelkirschen gibt es so viele freistehen- sind sie ein Volksheilmittel gewöhnlich die Wäsche Hächselstock ausschaut, Muskat ist regional sehr um 1890 gepflanzt. Die „bewirtschaftet“ die Arche Waldviertler Blondvieh- fast ausgestorben: zur Schnapsherstellung de Elsbeerbäume wie gegen Durchfall und gewaschen oder ge- oder nur mit der Hand unterschiedlich. Es hat „Klosterneuburger“ und die Noah. Alljährlich werden Ochsen verwendet Nur noch 23 Kühe und im Pielachtal geht – im östlichen Mostviertel Verdauungsstörungen. sotten wird. Zur Zeit unter Zuhilfenahme eines eine rissige Oberfläche, „Ungarische Beste“ sind Knollen aller Sorten in die werden. Um 1900 setzte drei Stiere standen in den schriftlich gesichert – bis und im angrenzenden Der Elsbeerbrand gehört der Krauternte wird er starken, scharfen Messers, ist außen knusprig und die häufigsten Sorten der Erde gelegt, um sie sich die einheitliche heimischen Ställen. Erst ins 18. Jahrhundert zurück. Wienerwald. 2007 haben zu den teuersten Edelbrän- gereinigt und mit so fein, als eben geht, innen flaumig. Wachau. Wirtschaftliche vegetativ zu vermehren. Bezeichnung Waldviertler ein intensives Zucht- Der heimische Strauch sich die Gemeinden den. Durch die „Wieder- Brunnenwasser gefüllt, und überantwortet dann 1905 erfand Rudolf Gründe zwangen viele Der alte Schlossgarten Blondvieh für die Rasse programm sicherte der diente vor allem als Asperhofen, Brand-Laaben, entdeckung“ der Elsbeere das durch darunter dieses Geschnitzel dem Schmidl aus Dürnstein das Bauern, Weinkulturen von Schiltern beherbergt durch. Die Tiere wachsen Rasse das Überleben. Grenzhecke. Das Holz hat Eichgraben, Kirchstetten, werden die Früchte gelegtes Feuer in Siede- Siedetopfe, worin man Wachauer Laberl. Inspiriert aufzugeben. An einem seit 1990 den Verein langsam, dadurch ist das Heute ist es nach dem eine so hohe Dichte, dass , Neuleng- heute auch für Müsli hitze erhalten wird. In die Art Kraut wohl gut vier wurde er dabei angeblich Liter Wein verdienten sie Nuss Arche Noah, die „Gesell- Fleisch stark marmoriert, Fleckvieh wieder die es im Wasser untergeht. bach, Böheimkirchen, sowie für Schokolade und diese heiße, wallende und Stunden sieden muß, von seinem Bruder, damals in der Zwischenkriegszeit Warum die berühmten schaft für die Erhaltung saftig und besonders zart. zweithäufigste Rasse Eine veredelte Form Kasten, Michelbach, Pyhra Mehlspeisen verwendet. brodelnde Flut werden welcher Vorgang sich noch Lehrer bei den Wiener 60 Groschen, an einem rosa verpackten Schnitten der Kulturpflanzenvielfalt Sie vertragen widriges im Rinderzuchtverband der Kornelkirsche wurde und Stössing zur „Region Übrigens: Der beste Häuptel hineingeworfen immer unter starkem Sängerknaben, der von Kilo Marillen einen Neapolitaner heißen? & ihre Entwicklung“. Vom Wetter, kommen mit der Region. Anfang der 1990er-Jahre Elsbeere Wienerwald“ Freund der Elsbeere sowie eben hineingehen, Gestanke abwickelt, daß einer Reise ein französi- Schilling. Rund ein Drittel Weil die Haselnüsse für Apfel aus Uelzen bis zur kargen Böden gut zurecht gepflanzt. Mittlerweile zusammengeschlossen. ist die Kornelkirsche – es eine Zeitlang darinnen einem allweil noch die sches Baguette mitbrachte. der damaligen Produktion die Creme aus der Gegend Zwerghirse sammelt, zieht und werden selten krank. stehen im Pielachtal Die kleinen Früchte gibt kaum eine Elsbeere, gebrüht, dann mit einer Eßlust vergehen könnte.“ Die Pariser Backware verlagerte sich zum um Neapel kamen. Das und bewahrt die Arche Die Tiere weideten geschätzte 11.000 Bäume sind bei Vollreife braun die nicht in Sichtweite Mistgabel oder -kralle weckte den Ehrgeiz des Obstbau. Allein um Spitz war um 1900. Heute Noah Saatgut. Den einst auf Rainen und bzw. Sträucher. 300 bäu- mit heller Punktierung. zu einem Dirndlstrauch Bäckers, und so wollte er standen 50.000 Obst- beziehen die Großbäcke- Schaugarten verlässt Hutweiden und trugen erliche und 15 weiter- steht … unbedingt ein Weißgebäck bäume, die Hälfte davon reien und Süßwarenher- niemand, ohne Anregun- so zur Landschaftspflege verarbeitende Betriebe erfinden, das mit seiner Marillen. Das Obst wurde steller sie vor allem aus der gen für ein Beet oder bei. Bis in die 1960er- bieten Dirndlprodukte an. Würzigkeit optimal zu mit der Bahn verschickt Türkei. auch nur fürs Balkonkis- Jahre war das Waldviertler Fisolen Honig Kürbis Wein passt. So entstand oder mit Zillen in einer Doch auch im klima- terl mitbekommen Fisolengulasch mit 33.000 Bienenstöcke „Türkisch Cucumber“ das Wachauer Laberl. Tagreise nach Wien tisch raueren Waldviertel zu haben. Inmitten des Rahm, Dille und Erdäpfeln; werden von 3.100 Imker/- wird der Kürbis in einem Das Originalrezept wird transportiert. Als in den gedeihen Haselnüsse. Gartens, der 1706 in Fisolen, geschwenkt in innen in Niederösterreich englischen Kräuterbuch heute noch von der 1960er-Jahren der Preis für 2008 begannen sechs einem Schiltener Urbar Butterbrösel – zwei betreut. Durch die fast aus dem 16. Jahrhundert Bäckerei Schmidl streng Obst durch Importe aus Bauern, erstmals in als „Hoffgärten“ erwähnt Gerichte, die mit Sommer, flächendeckende Bienen- genannt. Alles, was fremd gehütet. dem Ausland zusehends Österreich Haselnussplan- wird, liegt der barocke Kindheit und Landleben haltung ist die Bestäubung war und aus Übersee verfiel, wandelten die tagen anzulegen. Die Gartenpavillon. Die fest verbunden sind. und somit der Erhalt der kam, wurde als „türkisch“ Winzer die Marillen- Sorten heißen „Rote bis heute erhaltenen Fisolen galten lange Zeit Kultur- und Naturland- bezeichnet. In Österreich wieder in Weingärten um. Zeller“, „Corabelle“ und Seccomalereien im als „Arme-Leute-Essen“. schaft gesichert. Aussehen findet sich Kürbis erstmals Gegenwärtig stehen „Merville“. Nach sechs Inneren zeigen Garten- Für den Winter ließ man und Geschmack von Honig auf einem Speiseplan etwa 170 Hektar Marillen- Jahren konnte die erste szenen. Am schönsten ist die Bohnen ausreifen, aus Niederösterreich der Eggenberger Stifts- kulturen im marken- nennenswerte Ernte der Garten im Herbst, auf dem Dachboden sind von der vielfältigen schule erwähnt. Am geschützten Gebiet der der 3.000 Bäume ein- wenn die späte Blüte sich trocknen und drosch sie Vegetation und unter- 16. Januar 1596 gab es Wachauer Marille. gebracht werden. mit den Früchten vereint. im Winter mit dem schiedlichen Klimazonen „Kabaß“ (Kürbis) mit Die abgefallenen Nüsse 2014 wurde das „Drischel“ (Dreschflegel) geprägt. Charakteristik „Hienner, Vögl, Pasteten, werden mit einer „Wissen um traditionellen aus. Gekocht mit Roll- der Honigsorten: Raps – Turten und Ruben“. Erntemaschine, ähnlich Samenbau und Saatgutge- gerste reichte man sie säuerlicher bis scharfer Wahrscheinlich kein Zufall, einem Staubsauger, winnung“ in das Verzeich- als „Poa-Geascht“ oder Geschmack, kristallisiert dass sich dieses älteste eingeholt. nis des Immateriellen Fisolenritschert, was einst rasch aus; Bergahorn – Dokument über den Wo ein Weingarten, Kulturerbes in Österreich ein Sonntagsessen war. grünlich-gelb, mit zartem heimischen Kürbisverzehr da auch ein Walnussbaum aufgenommen. Bohnen mit gekochten Geruch und Aroma; ausgerechnet in der nicht weit: in Höfen, Apfelschnitten bzw. Akazie – wasserhelle Farbe, Steiermark findet. Um neben den Presshäusern Apfelkompott als Beilage Duft nach Akazienblüte, 1980 wurde auch in oder wo das „Hintaus“ in wurden als „Poa-Paaz“ intensiver Geschmack; Niederösterreich, allen den Weingarten übergeht. bezeichnet. Linde – grünlich-gelb, voran in der Region um Sie bieten nicht nur intensiver Lindenduft, Retz, der Kürbis (wieder-) wohltuenden Schatten mentholartiger Ge- entdeckt. „Der Wein wird bei der Gartenarbeit, man schmack; Sonnenblume – zum Überleben zu wenig schätzt vor allem ihre zitronengelb, feiner sein“, sagten sich die nährstoffreichen Früchte, Geruch und leicht Bauern, und mittlerweile die in Säcken auf dem säuerlicher Geschmack; beträgt allein die jährliche Dachboden gelagert Himbeere – wasserhell, Wertschöpfung des werden. Auch der fertige schwacher Geruch, Kürbisfestes im Retzer Wein verträgt sich gut sortenspezifischer Ge- Land etwa 500.000 Euro mit der Nuss – Weißwein schmack; Fichte – bei rund 20.000 Besucher/- und Nussbrot sind ein dunkelbraun-rötlich, innen. Rund um Retz Klassiker bei Agape oder würzig in Geschmack wird auf 500 Hektar Kürbis Vernissage. und Geruch, bleibt lange kultiviert, davon ein flüssig; Tanne – schwarz- Drittel im biologischen grünlich, malziger Landbau. Der Großteil sind Geruch und Geschmack. Ölkürbisse der Züchtung „Retzer Gold“, nur drei Prozent der Anbaufläche gehören dem Speisekürbis.

58 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 59 Genuss-Lexikon

Traubisoda Ysop In den 1930er-Jahren Das auch „Essigkraut“ hatte Lenz Moser V., der genannte Heilkraut mit Spross einer alteingesesse- schmalen Lanzenblättern nen niederösterreichi- und blauen Blüten wird schen Winzer-Dynastie, im Garten kultiviert. Die die Idee, ein herb-erfri- jungen Blätter werden schendes, alkoholfreies kleingehackt, in Salate und Getränk auf der Basis von Gemüse, Erdäpfelsuppen, Traubensaft herzustellen. Topfenaufstrich u. v. m. Da natürliche Verfahren gegeben. In der Küche zur Haltbarmachung sollte der Ysop (Hyssopus damals noch nicht aus- officinalis) aufgrund gereift waren, „stürmte“ seiner starken Würzkraft der Traubensaft leicht. stets frisch und sparsam Konkret bedeutet das, verwendet werden. Obstler Reichenauer Zwieback dass er einen geringen Urgetreide vollen Kleie aber und der Das Österreichische „Zweygebak" – der Alkoholgehalt entwickelte Immer größerer Keimling bleiben erhalten. Lebensmittelbuch Name ergab sich aus der und deshalb zunächst nur Beliebtheit erfreuen sich Hildegard von Bingen (Codexkapitel 23, Spirituo- Art der Herstellung, über Heurigenlokale alte Getreidesorten wie propagierte den Dinkel sen) definiert Obstbrand nämlich dem zweimaligen verkauft wurde. Erst in Emmer, Einkorn, Berg- wegen seiner wärmenden, bzw. Obstler als ein Backen. Die wesentlichen den 1950er-Jahren gelang weizen, Schwarzhafer und basischen Wirkung. Erzeugnis, das aus der Eigenschaften des es dem Winzer, das Dinkel. Durch schonendes Winteremmer-Reis ist gemeinsamen Destillation Zwiebacks sind lange Getränk ohne Konservie- Schleifen und Polieren Bestandteil alter, klassi- der Maische zweier oder Haltbarkeit, feiner rungsmittel haltbar zu von Getreidekörnern wird scher Risottorezepte mehrerer Obstarten Röstgeschmack und die Saumeise machen. Ab diesem „Reis“ hergestellt. Unter aus der Toskana. Einkorn entsteht. Der klassische gute Bekömmlichkeit. Aus In ein Schweinsnetz Zeitpunkt wurde Traubi- der Devise „So wenig wie stammt vom wilden Obstler ist eine Mischung diesen Gründen tat der gepacktes faschiertes und soda als alkoholfreies möglich, so viel wie nötig“ Weizen ab. Sein Ge- aus Apfel und Birne. Zwieback vom 17. bis ins gewürztes Fleisch, das Traubengetränk für Jung wird ein Teil der Kleie – schmack ist fein und Da die Konsument/innen 19. Jahrhundert als handgewickelt und über und Alt auch beim der äußeren Getreide- nussig. Emmer eignet in den vergangenen Marschverpflegung oder Buchenholz geräuchert Greißler ums Eck sowie hülle – entfernt, um den sich für die Herstellung Jahren vermehrt zu als Schiffsproviant wird. Auch für die im Supermarkt angeboten. Kochvorgang abzukürzen. von Grieß und für klassischen Geschmacks- wichtige Dienste. Der Saumeise hat uns Pfarrer 1957 wurde Traubisoda Der Großteil der wert- die Nudelproduktion. richtungen wie etwa Reichenauer Zwieback Karl Kramler eine schöne schließlich offiziell als Kirsche, Marille oder geht auf ein Rezept der Beschreibung hinterlassen: Marke eingetragen und Quitte greifen, ist Thalhofköchin zurück. „Ich bin ja schon weit in startete seinen internatio- das Brennen von Obstlern Prügelkrapfen Später wurde diese der Welt zwischen Wien nalen Erfolg. Basierend Weingartenknoblauch rückläufig. 95 Prozent Der Prügelkrapfen ist Rezeptur von den Reiche- und Linz herumge- auf Lizenzverträgen Die Zehen haben einen sind reine Destillate, die ein Hochzeitsgebäck. nauer Bäckermeistern kommen, aber von einer u. a. mit Kuwait sowie Ex- sehr scharfen Geschmack restlichen fünf Prozent Obwohl „nur“ aus einer übernommen und auch Saumaosn hatte ich Jugoslawien eroberte und eine blau-violette entfallen auf den Obstler. Art Palatschinkenteig, die kaiserliche Villa bislang nichts gehört; erst Traubisoda in den Schale. Bauern bauten ihn Ob dieser ein Revival zeugt er auch von Wartholz beliefert. Bis als mich der liebe Gott 1960er- und 1970er-Jahren früher in den Weingärten wie der Gemischte Satz Reichtum: 40 Eier sind zum heutigen Tag wird der ins Waldviertel schickte, von Österreich aus die zur Selbstversorgung an. im Weinbau erfahren darin verarbeitet. süße Biskuitzwieback mit da lernte ich die Saumoasn weltweiten Märkte. Nach Er pflanzt sich dort auch wird, bleibt abzuwarten. Der Prügelkrapfen wird Anis nach unverändertem nicht nur kennen, sondern 1980 nicht mehr am ohne das Zutun des Zweigelt Weinbauregionen über der offenen Glut Rezept in Reichenau auch schätzen und lieben.“ heimischen Markt, ist der Menschen fort, sofern Österreichische günstige Standorte – gedreht. Das war einst in an der Rax hergestellt. Traubensaft nun seit 2004 man ihm etwas Platz lässt. Neuzüchtung, die 1922 reicht ihr Spektrum von den „schwarzen Küchen“ wieder „original kellerkalt“. Doch durch den Einsatz durch Kreuzung der jung zu trinkenden, mit dem offenen Feuer von Maschinen zur Rebsorten Blaufränkisch ohne Holz ausgebauten kein Problem. Als diese aus Quitte Bodenbearbeitung wurde und St. Laurent entstand. Weinen bis zu kraftvollem den Bauernhäusern Die mit Pelz besetzte der Knoblauch von seinem Die Züchtung geht Barriqueausbau. Gerne verschwanden, wichen die Frucht ist aufwendig ursprünglichen Standort auf Friedrich Zweigelt wird die Sorte zudem Frauen in die Schmieden zu verarbeiten, aber sie zwischen den Reben (1888–1964) zurück. als Partner für Cuvées aus. Im Männerrefugium hat einen feinen, hocharo- verdrängt. Johann Peitl, Dieser wechselte kurz eingesetzt. Sie gedeiht übernahmen für einen Tag matischen Geschmack. Landwirt aus Unterstin- nach seinem Studium der auch in kühlen Klimage- die Frauen das Kommando. Und den kann man in kenbrunn, sammelte Naturwissenschaften bieten Niederösterreichs Der Prügel, ein Holzrund- Gläsern – als Gelee oder in den Weingärten rund an die Höhere Bundeslehr- und hat bei geringen ling auf einem Eisenstab, Mus – gut konservieren. um Laa an der Thaya und Versuchsanstalt für Bodenansprüchen gibt dem Gebäck seinen Der sogenannte Quitten- Knoblauch und wählte Wein- und Obstbau reichliche Erträge sowie Namen. Das konische Holz kas wird aus der gekochten, die besten Sorten aus. in Klosterneuburg. Nicht Widerstandsfähigkeit wird mit Backpapier passierten Frucht her- Verjus Mit dem Import von 1994 meldete er diese unerwähnt soll seine gegen Rebkrankheiten. In umwickelt, das mit einer gestellt, die mit Zucker Bis ins 17. Jahrhundert Zitrusfrüchten geriet unter dem Namen „Laaer Rolle als NSDAP-Ortspar- Anlehnung an ihren dichten Wickelung Spagat langsam gekocht, dann war der saure Saft aus Verjus in Vergessenheit. Weingartenknoblauch“ teiobmann ab 1938 in Herkunftsort Klosterneu- befestigt ist. Danach auf ein Blech gestrichen, unreif geernteten Weiß- Heute erobert er seinen für den EU-Sortenkatalog Klosterneuburg bleiben. burg wurde die Weinsorte kommt der Prügel über die gekühlt und in Würfel weintrauben weit ver- Platz in der Küche wieder an, 1997 erfolgte schließ- Als meistverbreitete zunächst „Rotburger“ glühende Holzkohle. Der geschnitten wird. Die breitet und als Säureträger zurück – zu Recht, denn lich die Eintragung. Seither Rotweinsorte Öster- und ab 1975 „Zweigelt“ Teig wird mit einem Schöp- apfel- oder birnenähnli- wesentlicher Bestandteil seine Säure ist milder findet der gezielte Anbau reichs – sie findet in allen genannt. fer auf den sich langsam chen Früchte wachsen vieler Gerichte. Der Name und runder als jene von des Laaer Weingarten- drehenden Prügel getropft. auf Büschen oder niederen kommt aus dem Fran- Essig und sein Aroma knoblauchs nicht im Für die Herstellung eines Bäumen und können roh zösischen, wird „wärschü“ feiner als das der Zitrone. Weingarten, sondern auf Prügelkrapfens bedarf nicht verzehrt werden. ausgesprochen und Im Kamptal wird Verjus dem Acker statt. Auch es eines ganzen Tages, da Der angenehme Duft bedeutet „grüner Saft“. wieder hergestellt. in Langenlois und der Teig kontinuierlich, beruht auf einem Gemisch Umgebung wurde in den Tropfen für Tropfen, von mindestens 80 Ge- vergangenen Jahren der aufgebracht werden muss. ruchsstoffen – wer ausgewilderte Weingarten- Die letzte Schicht kann sich also die Mühe des knoblauch gesammelt. aus einer mit Marmelade Einkochens ersparen Knoblauch aus dem eingefärbten Zuckerglasur will, kann die Quitte auch Weingarten ist Bestandteil bestehen. Ist der Prügel- einfach in einen Kasten einer Hauerjause. krapfen ausgekühlt, wird legen, wo sie über lange der Spagat langsam Zeit ihr Aroma verströmt. herausgezogen. Danach lässt sich das Hochzeits- gebäck vom Holz ziehen. Es wird an der Festtafel angeschnitten.

60 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 61 Der Erfolg der Papierfabrik Wiener Becken Kleinneusiedl basierte auch Das Wiener Becken gliedert sich in das Steinfeld, einen mit Föhren aufgefors- auf dem Privileg, Banknoten, teten kargen Boden rund um Wiener Neustadt, und die landwirtschaftlich intensiv Schuldverschreibungen genutzte „Feuchte Ebene“. Die Nähe zur Residenzstadt Wien, die Triester Straße – und staatliche Wertpapiere eine der fünf „Kaiserstraßen“ –, die unter Kaiser Karl VI. (1685–1740) als moderne herstellen zu dürfen. Chaussee gebaut wurde; die Flüsse Liesing, Mödling, Schwechat, Triesting, Kalter Gang, Piesting, Fischa, Schwarza und Leitha, die in der Ebene des Wiener Beckens träger, aber auch kontinuierlicher fließen, und schließlich das Holz aus den Voralpen: alles gute Bedingungen für die im 18. Jahrhundert aufkommenden Textilmanufakturen, für Papierindustrien und metallverarbeitende Werke. Papiermühlen, deren Gründungen bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen, siedelten sich an der Schwechat, der Fischa oder der Triesting an. Die Papierfabrik von Kleinneusiedl, ab 1790 errichtet, war zu ihrer Zeit die größte Kontinentaleuropas. Unter dem ausladenden Mansardendach wurden die handgeschöpften Bütten getrocknet. Der Erfolg der Papierfabrik Kleinneusiedl basierte auch auf dem Privileg, Banknoten, Schuldverschreibungen und staatliche Wertpapiere herstellen zu dürfen. Im 19. Jahrhundert entstanden weitere sieben Papierfabriken, wie in Guntramsdorf, Oberwaltersdorf, Biedermannsdorf, Ebenfurth oder Schlöglmühl. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in rascher Folge Baumwollspinnereien und -webereien in Pottendorf, Schwadorf, Teesdorf, Liesing, Fischamend errichtet – um 1840 waren es bereits 37 im Wiener Becken. Insgesamt beschäftigten sie 7.500 Men- schen, zu je einem Drittel Frauen und Kinder. Die über die Jahrhunderte gewachsene Zunftordnung verschwand und es entwickelte sich die Arbeiterklasse, die in fabriks- eigenen Unterkünften, oftmals unter misslichen Bedingungen, leben musste – und das immer abseits der bäuerlich strukturierten Ortschaften. In die Textilfabrik Teesdorf mit ihrem markanten Wasserturm kehrte, nachdem sie 1993 stillgelegt wurde, neues Leben ein: In den alten Fabrikshallen entstanden Wohnungen. Die Baumwollspinnerei Teesdorf wurde ab 1907 vom Fabrikantensohn und Schriftsteller Hermann Broch geführt. Broch leitete untertags die Fabrik und schrieb nachts. „Irgendwie ist das Alles, nämlich die Fabrik, unterhaltsam. Es geschieht in einemfort etwas, man muß immer- fort aufpassen: wird von so viel äußerlicher Bewegung so ,getragen’. Aber man wird eben deswegen, auf der Oberfläche notwendig bleibend, so dumm leicht davon.“ (Hermann Broch, „Teesdorfer Tagebuch“) 1927 verkaufte er die Baumwollspinnerei. Er begann Mathematik, Physik und Philosophie zu studieren und wurde ein bedeuten- der, wenn auch wenig bekannter Romancier der Moderne. Eine herausragende Stellung unter den Industriestädten nimmt Berndorf ein. Einst standen die Fabriks- Arthur Krupp (1856–1938) machte Berndorf mit seiner Metallwarenfabrik zur einzigen bauten des Industrieviertels Planstadt des Landes. Ein Theater sowie zwei Kirchen ließ der Industrielle erbauen, „wie Kathedralen in der eine Musterlandwirtschaft, Arbeiter- und Angestelltenhäuser und die Mädchen- und Wüste“, jetzt gleichen sie Knabenschule, deren Klassenzimmer unterschiedlichen Kunstepochen gewidmet gestrandeten Schiffen. sind – von Byzanz bis zur Gotik. In der Fachliteratur wird Berndorf als „Single Factory Town“ bezeichnet. Das meint eine Stadt, die im Zusammenhang mit einer einzigen Fabrik – oder besser gesagt: einer einzigen Firma – entstand. Mustergültig instandge- halten wirkt sie heute wie eine kleine Kurstadt. Der Architekturhistoriker Jan Tabor: „Man könnte das Berndorfer Modell als die private Monarchie des Königs von Berndorf bezeichnen, die auf dem klassischen Dreieck der autokratischen Staatsmacht basierte: Herrschaft–Religion–Besitz. Tatsächlich liegt dem Entwurf für die ideale Kruppstadt Berndorf die Dreieckform mit den drei genannten Punkten zugrunde, die gleichsam die unvollendete Stadt sowohl morphologisch als auch ideologisch tragen sollte. Es sind dies: die Fabrik(en), die Kirche und die Villa.“ Die Kruppvilla „Am Brand“, erbaut im neubarocken Stil von Ludwig Baumann (1853–1936), wurde 1945 von Einheimischen geplündert, niedergebrannt und 1957 abgetragen. Einst standen sie „wie Kathedralen in der Wüste“, so die Wirtschaftshistorikerin Andrea Komlosy über die Fabriksbauten Das Stadttheater Berndorf (ganz oben) im Industrieviertel. Jetzt gleichen sie gestrandeten Schiffen – Maschinenhallen, Lager- wurde vom Architekturbüro Fellner & Helmer entworfen und 1899 von Kaiser hallen, Schlote und Werkskanäle. Heute handelt es sich um Denkmäler einer Industrie- Franz Joseph I. eröffnet. Die metall- romantik, damals kündeten sie vom Aufbruch in ein neues Zeitalter. verarbeitende Industrie in Berndorf nahm mit der Krupp-Familie einen gewaltigen Aufschwung. Berndorf ist die einzige Zwischen Donau und Leitha Planstadt Niederösterreichs, mit Bauten Zwischen Donau und Leitha liegen Kleinstädte mit unterschiedlichen Charak- wie dem Theater und den Schulen teren: Da gibt es belebte Städtchen wie Schwechat, das trotz oder gerade wegen mit ihren „Stilklassen“ – von ägyptisch bis Rokoko. der Nähe zur Hauptstadt Wien sein eigenes Profil behalten hat. „Wiederbelebt“ ist die Römerstadt Carnuntum, wo rekonstruierte Häuser und Themenfeste das Leben an Schulunterricht in einer der Berndorfer der Grenze des Römischen Reiches anschaulich darstellen. Ausgrabungen bringen „Stilklassen“ (links) um 1950, Detail (oben). immer wieder neue Stadtteile und Erkenntnisse zutage. Hainburg, die östlichste Stadt Österreichs, liegt an der Porta Hungarica, einge- bettet zwischen der Donau, dem Braunsberg und den Hundsheimer Bergen. Hainburg

62 Wege in das weite Land 63 Beim Heurigen in Gumpoldskirchen, Im Schwefelbad in Baden bei Wien (oben). handkoloriertes Diapositiv, um 1910. Norbert Bittner, 1818: Promenade in der Hinterbrühl bei Mödling (oben rechts). an der Donau und die umliegenden Berge sind seit den ersten Besiedlungen strate- Künstler und Bürgertum. Die Kurgäste frequentierten die Bäder, separiert nach gische Schlüsselpunkte. Davon zeugt auch die Stadtmauer mit einer Länge von gesellschaftlicher Stellung: Für die Soldaten wurden Militärbadeanstalten errichtet, 2,5 Kilometern, drei erhaltenen Toren und 15 Türmen. Sie stammt aus dem 13. Jahrhun- für die Offiziere die k. k. Filialbadeanstalt, der Adel ging ins Frauenbad, die Armen dert und ist eine der ältesten und am besten konservierten Stadtbefestigungen besuchten das Johannesbad. In dessen Nachbarschaft befand sich das Bettlerbad, Europas. Das Wienertor ist das Wahrzeichen der Stadt. Der monumentale Torbau mit das von der glamourösen Vergangenheit gerne ausgespart wird. Betreut wurden die Buckelquadern entstand vermutlich zwischen 1240 und 1244 unter dem letzten Kurgäste unter anderem von Anton Rollett (1778–1842), dem berühmtesten Arzt Babenberger-Herzog Friedrich II. Badens. Er war es auch, der zum Krankenbett Ferdinand Raimunds (1790–1836) Die Bezirksstadt Bruck an der Leitha vereint in liebenswerter Weise die Ge- nach Pottenstein im Triestingtal eilte, als der Dichter sich nach einem Hundebiss aus schichte einer mittelalterlich befestigten Stadt mit den Annehmlichkeiten einer Angst vor Tollwut zu erschießen versuchte. Er starb wenige Tage später, am 5. Septem- modernen Kleinstadt. Bruck war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Garnison- und ber 1836. Ferdinand Raimund wurde in seiner geliebten Sommerfrische in Gutenstein Grenzstadt. Das unscheinbare Flüsschen Leitha trennte die Doppelmonarchie in begraben, seinen Kopf trennte Rollett ab, um ihn zu präparieren. Anton Rollett war ihre zwei Reichshälften Österreich und Ungarn – Cisleithanien und Transleithanien. ein besessener Sammler: Von den Bauplänen der Villen bis zu Totenmasken, Mineralien Die Brucker Pforte war von jeher von verkehrsgeografischer und militärischer Bedeu- oder Manuskripten versammelt das Rollettmuseum in Baden alles, was mit der Stadt tung. Bruck wurde 1806 zur regulären Garnison ernannt. 1866 erteilte Kaiser Franz im Zusammenhang steht. Mit dem Gründungsjahr 1810 ist es das älteste bestehende Joseph I. die Genehmigung zur Errichtung des Truppenlagers. Heute befindet sich Museum Niederösterreichs. der Truppenübungsplatz Bruckneudorf (vormals ungarisch Királyhida) im Als „göttlich Briehl“ schwärmte Ludwig van Beethoven (1770–1827) von der unmittelbar südlich von Bruck. Am größten war das Brucker Lager während des Hinterbrühl. Schroffe Felsen werden von Schwarzföhren gesäumt. Die aus dem Ersten Weltkriegs – zeitweilig mussten bis zu 26.000 Mann versorgt werden, unter Balkan stammenden südländischen Nadelbäume sind ebenso Wahrzeichen des Wie- ihnen Jaroslav Hašek (1883–1923), der auch den Roman rund um den braven Soldaten nerwaldes wie die heimischen Weißbuchen. Damit die Schwarzföhren auch wirklich Schwejk teils hier ansiedelt. malerisch wuchsen, hatte Fürst Johann I. Liechtenstein kräftig nachhelfen lassen. „Transleithanisch“ geht es nach Mannersdorf am Leithagebirge (zwischen In die Kalkfelsen mussten Löcher gesprengt und mit Erde gefüllt werden, ehe man sie Seibersdorf und Wilfleinsdorf fließt die Leitha nur auf niederösterreichischem Terrain). mit Föhren bepflanzte. Die von den Osmanen zerstörte Burg Liechtenstein erwarb Mannersdorf ist die jüngste Stadt des Landes (Stadterhebung 1989). Eine Blüte erlebte der Fürst und baute sie in mittelalterlichem Stil wieder auf. Er setzte ein Amphitheater es bereits einige Jahrhunderte zuvor. Im ersten Jahrzehnt ihrer Regentschaft ver- in die Landschaft, und schon hinfällige, archaische Wehranlagen wie den Schwarzen brachte Maria Theresia (1717–1780) die Sommerfrische im Schloss von Mannersdorf. Turm bei Maria Enzersdorf ließ er erneuern. In der Nachbarschaft der echten Ruine Johannstein ließ der romantische Fürst die Ruine Köhlerhütte bauen. Die Landschaft Thermenregion wurde zu einem Park zurechtgestutzt, und da und dort schufen künstliche Grotten Geologisch gesehen ist die Thermenlinie eine Störungszone, an der Thermal- Romantik. quellen zutage treten. Hier treffen die sonnenwarmen Ausläufer des Wienerwaldes mit Föhren, die pittoresk auf Kalksteinen balancieren, auf ordentlich gekämmte Rebzeilen. Bucklige Welt In die alten Winzerhäuser von Gumpoldskirchen sind Generationen von Heurigen- Die Landschaft Richtung Süden beginnt zu springen. Wiesen schlagen Wellen, gästen eingekehrt. Die Thermenregion ist für ihren Weinbau berühmt – und auch Bauernhöfe schwimmen obenauf. Man lässt sich treiben, einmal oben, einmal unten, Den Römern in Carnuntum das jüngste und kleinste Weinbaugebiet Österreichs, Carnuntum, hat sein eigenes und verliert bald die Orientierung. Die Straßen schwingen sich in der Buckligen Welt waren die heilbringenden Weinprofil entwickelt. auf und nieder, hier breitet sich das Panorama von Wechsel und Schneeberg aus, Quellen bekannt, die der Schon den Römern in Carnuntum waren die heilbringenden Quellen bekannt, da steht man auf den Abhängen der Rosalia und blickt zum Neusiedler See. Nie höher Siedlung den Namen „Aquae“ die der Siedlung den Namen „Aquae“ gaben. Nachrichten über Erfolge der Kuranwen- als 900 Meter sind die Berge, deren Gipfel kugeligen Bäuchen gleichen. Der höchste gaben. Nachrichten über dungen im späteren Baden und die Schönheit der Landschaft haben rasch Verbreitung ist der Hutwisch mit 896 Metern, auf dessen Kuppe eine Aussichtswarte steht. Man Erfolge der Kuranwendungen gefunden. Bald kam alles, was Rang und Namen hatte, in die Kurstadt Baden. verliert sich in den Rundungen der Welt, und dann weisen himmelhohe Lindenbäume im späteren Baden und Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kaiser Franz am Hauptplatz das sogenannte Kaiser- den Weg zu Einschichthöfen, die im Schatten der Bäume stehen. die Schönheit der Landschaft haus erwarb – in jüngster Zeit als Ausstellungsort adaptiert – und damit sein jährlicher „Nun ging ein Stern in dieser Gegend auf“, schrieb der Historiker Schweick- haben rasch Verbreitung Sommeraufenthalt garantiert war, wurde Baden der bekannteste und mondänste hardt von Sickingen, als Erzherzog Johann (1782–1859) 1807 Thernberg als Domizil, gefunden. Kur- und Sommerfrischeort der Monarchie. Im Glanz des Hofes sonnten sich Adel, man könnte auch Exil sagen, wählte. Der Bruder des regierenden Kaisers Franz konnte

64 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 65 hier dem strengen Hofleben entkommen. Das von ihm geliebte Tirol war durch Die Häuser wurden aus Holz gebaut, mit lehmverputzten Flechtwerkwänden, Schilf- die verlorene Schlacht von Austerlitz an Bayern gefallen. In Thernberg legte er, der die und Strohdächern – im nahe gelegenen Freilichtmuseum kann man die Bauweise Alpen und deren Menschen liebte, mit seiner naturwissenschaftlichen Sammlung detailgetreu sehen. Händler aus den umliegenden Regionen kamen hierher zum Markt. den Grundstock für das Joanneum in Graz. In Thernberg begann er gemeinsam Es ist anzunehmen, dass die Höhensiedlung von Schwarzenbach Zentrum eines mit Bauern eine Musterlandwirtschaft, die er später im steirischen Brandhof fortsetzte. keltischen Stammes war. Mit der Eroberung durch die Römer wurde die Befestigungs- Er verbesserte die Anbaumethoden, führte neue Getreidesorten ein, widmete sich anlage zerstört und die Siedlung aufgelassen. Zurück blieb neben den Spuren in Obstkulturen. Erzherzog Johann gilt als der „Vater des Mostes“ in der Buckligen Welt. der Erde auch die Malve, eine vitaminreiche Blume, die die Kelten aus dem Orient Anders als im Mostviertel wird hier vor allem Apfelmost gepresst. Große Mengen mitgebracht hatten. des Mostes gingen an die Arbeiterschaft in Fabrikstädten im Steinfeld. Der Erzherzog, Wir fahren weiter südlich. Das Haus Hochwolkersdorf Nr. 10 kann als eine der hier auch „Hanns der Thernberger“ genannt wurde, verschenkte an die Thernberger Geburtsstätte der Zweiten Republik bezeichnet werden. Karl Renner (1870–1950), Bürger Wald und Wiesen des Thernberger Riegels. „Unser Wald stammt vom Prinzen Ex-Staatskanzler und Ex-Nationalratspräsident, lebte als tarockspielender Pensionist in Johann“, können daher viele alteingesessene Familien sagen. Dass der Erzherzog auch Gloggnitz. Beim Einmarsch der Roten Armee im April 1945 begab er sich in die jovial war, beweisen nicht nur Anekdoten, die sich bis heute überliefert haben, sondern sowjetische Ober-Kommandantur nach Hochwolkersdorf zu Generaloberst Aleksey auch der Stammtisch im Gasthaus Thaler, der nach wie vor seinen Namen trägt. Über Zeltov und bot an, bei der Bildung einer Regierung mitzuwirken. Gleichzeitig war dem Tisch hängt ein Bild des „Hanns von Thernberg“. Im ehemaligen Mesnerhaus Stalin auf der Suche nach einem geeigneten Sozialdemokraten, der mit einer in Thernberg ist eine Erzherzog-Johann-Dokumentation zu sehen. provisorischen Regierungsbildung beauftragt werden konnte – und Karl Renner war Zwischen Seebenstein und Grimmenstein liegt eine Ortschaft, die einst angeblich der einzige Sozialdemokrat, an den er sich erinnern konnte. Auf Schloss den Namen Puchberg trug. Sie hieß so bei ihrer ersten Erwähnung im 12. Jahrhundert, Eichbüchl bei Katzelsdorf fand die Geschichte ihre Fortsetzung. Renner wurde mit der doch wegen der seltenen romanischen Rundkirche, deren Grundriss so rund ist Regierungsbildung beauftragt und Eichbüchl der erste provisorische Regierungssitz. wie eine Scheibe, nennt sich der Ort seit Mitte des 16. Jahrhunderts Scheiblingkirchen. „12 Tage mit fleißiger Arbeit an den Aufbauplänen für die Zweite Republik“, vermerkte Der Innenraum des Gotteshauses wurde barockisiert, im 19. Jahrhundert kam ein der ehemalige Staatskanzler der Ersten Republik. Der Wiener Neustädter Bürger- Glockenturm dazu. Liebevoll wird die Kirche auch „Pfefferbüchsel“ genannt. Wenn meister Rudolf Wehrl (1903–1965) brachte in seinem Rucksack jene Schreibmaschine die ungarischen Pilgernden auf dem Weg nach Mariazell hier vorbeikamen, hatten sie mit aufs Schloss, auf der die erste Proklamation der neuen österreichischen Regierung die halbe Wegstrecke bereits zurückgelegt. Aus dem ungarischen Raum kamen geschrieben wurde. Die staatstragende Schreibmaschine befindet sich heute im aber nicht nur Pilger. Eine Bedrohung für die Bucklige Welt waren die sogenannten Blick vom Schneeberg (2.076 m), Renner-Museum in Gloggnitz. Kuruzzeneinfälle im 16. Jahrhundert. Der „Kuruzzenrummel“ war die direkte Folge dem höchsten Berg Niederösterreichs, nach Puchberg am Schneeberg. der Türkenbelagerung. Das ungarische Bauernheer, die Kuruzzen, war im Jahr 1514 zur Verteidigung gegen die Osmanen aufgestellt worden. Da die Bauern schlecht behan- delt wurden, schlugen sie sich jedoch auf die Seite der Osmanen. Als die Osmanen bereits geschlagen waren, fielen die Kuruzzen immer noch in die Bucklige Welt ein. Wo keine Burg erreichbar war, baute man die Kirchen in befestigte Gotteshäuser um. 50 Wehrkirchen stehen in der Buckligen Welt, viele davon entlang der Wehr- kirchenstraße. In Edlitz, wo die Wehrkirchenstraße beginnt und ein Dokumentationsraum die Funktion der Kirchen erklärt, findet sich einer der beeindruckendsten Wehrkir- chenbauten. Schießscharten, ein Wehrobergeschoß und die Reste der Wehrmauer sind zu sehen. Die Kirche stammt aus der Zeit der Wende zum 16. Jahrhundert und wurde bereits wehrhaft gebaut. Bis 1820 hatte die Kirche von Krumbach eine zinnenbekrönte Wehrmauer. Schlüsselscharten und Schießfenster sind noch teilweise sichtbar. Bad Schönau war mit einer dreifachen Wallanlage befestigt. Ein Brunnen im Kirchschiff stellte die Wasserversorgung der Belagerten sicher. Versteckte Zugänge zum Wehr- obergeschoß und Schießscharten geben Zeugnis vom Verteidigungswillen. 1708 war die Kirche zum letzten Mal Zufluchtsort, und heute noch kann man die Scharten der Axt- und Säbelhiebe an der Sakristeitür sehen. Das Gotteshaus von Kirchschlag wurde nachträglich zur Wehrkirche ausgebaut. Der massige Turm, die karge Fassade machen die Kirche von Lichtenegg zu einer Festung. Sie ist im fast ursprünglichen Zustand erhalten. Zu sehen sind auch noch ein Backofen im Kirchturm sowie Polsterhölzer in den Schießscharten, auf die die Feuerwaffen aufgelegt wurden. Im Gegensatz dazu steht die Kirche von Hollenthon als Beispiel dafür, dass Gotteshäuser auch wieder rückgebaut wurden, nachdem sie ihre Schutzfunktion verloren hatten. In Wiesmath konnte man sogar die Haustiere bergen. Ein „Viehhof“ war ein befestigter Stall im Areal des Kirchhofes. Eine für Wehrkirchen einzigartige Einrichtung gibt es in Bromberg. In den schwer zugänglichen Obergescho- ßen befinden sich verborgene Tresorkammern. In ihnen konnten während Kriegszeiten wertvolle (Sakral-)Gegenstände versteckt werden. Ein Zeugnis ältesten christlichen Glaubens ist die Höhlenkirche in Pitten. Die Felsenhöhle liegt hinter der Kirche am Schlossberg. Eine Koch- und Schlafstelle zeigt, dass die Höhlenkirche auch Einsiedler beherbergte. In jüngerer Zeit wurde die Höhle in einen Karner umgewandelt. Die Malereien in der Höhlenkirche – die letzte Schicht stammt aus dem 14. Jahrhundert – haben sowohl durch die Rauchentwicklung beim Kochen der Einsiedler als auch durch die Aufbewahrung der menschlichen Gebeine gelitten. Als man noch gar nicht wusste, dass sich hier einst eine keltische Höhen- siedlung befunden hatte, war schon vom „Burgberg“ die Rede. Ein ausgedehnter Wall umschließt eine stadtähnliche Anlage östlich von Schwarzenbach. Menschliche Besiedelung reicht hier bis 3500 v. Chr. zurück. Den Schutzwall errichteten keltische Siedler, die hier im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. wertvolles Eisenerz verarbeiteten.

66 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 67 Die Semmeringbahn mit dem Kalte-Rinne-Viadukt und der Polleroswand, im Hintergrund die Rax. Für jene, die noch die Prä-Euro-Ära kannten, ist das der sogenannte 20-Schilling-Blick. Freibad Reichenau an der Rax, um 1912 Rückzugsort für Adel und Großbürgertum: (linke Seite oben), und Schlossgärtnerei der ehemaligen habsburgischen Villa Reichenau an der Rax. Wartholz (linke Seite unten) in Reichenau.

Hotel Thalhof mit Wald- und Hubertus- villa, Reichenau an der Rax, um 1905 (links). Thalhof-Wirtin Olga Waissnix (1862–1897) war Seelenfreundin und Muse des Schriftstellers Arthur Schnitzler (1862–1931).

Blindtext Pit parum verro tendelent Equosseque et unt as mo et qui adit, sinci Pit parum verro tendelent dolores equatur, sequate exceperunt laut aut ium adi consequ odicidit que re, sit

70 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 71 Wiener Alpen Der Anstieg führt auf den Wechsel mit seinen zahlreichen Hochalmen, die auch „Schwaigen“ genannt werden. Steil wird es am Alpenpass des Semmering und am markanten Hirschenkogel mit 1.340 Metern Höhe. Bereits alpin ist das Klima auf der Rax ebenso wie auf dem 2.076 Meter hohen Schneeberg, Niederösterreichs höchs- tem Berg. Die Wiener Alpen mit ihrer wunderbaren Natur und ihren wanderbaren Wegen entwickelten sich zum Sommerrefugium des Wiener Bürgertums und waren poetische Projektionsfläche der Literaten um 1900. „Kommen Sie nicht mit Ihrem Arbeiterl ein bisserl herauf? Wie nett wäre das. Es ist so ein schöner Moment in der Landschaft.“ (Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 1908) Gestreifte Tischtücher flattern im Wind. Zwei Kastanienbäume säumen die Einfahrt. Im Thalhof riecht es nach Kräutertee und strenger Ruhe. Hirschgeweihe und Kachelöfen verströmen gelebte Tradition. Nirgendwo verdichtet sich ein Ort zwischen Sommerfrische und Schriftstellerei so sehr wie im Thalhof bei Reichenau. Nestroy (1801–1862) und Schnitzler (1862–1931) waren hier, Richard Engländer alias Peter Altenberg (1859–1919) verlebte als Kind seine Sommerferien im Thalhof: „,Hier kenn ich jeden Steig!‘, sagte der Tourist. ,Hier kenn ich jeden Grashalm!‘, sagte der Dichter.“ (Peter Altenberg, „Semmering-Photogravüren“, 1915). Von Payerbach-Reichenau führt die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Bergbahn auf den Semmering. „Die Strecke wandte sich und bald immer wieder. Es war, als stiege man über eine gewundene Treppe zum Dach eines Gebäudes empor. Das kurze zischende Vorbeifliegen der Wand in gemauerten Einschnitten gab den Blick wieder frei für ein neues Bild, das jetzt in’s Treffen trat und sich in die Aussicht schob, die viele Male schwarz und verschluckt und verschlossen wurde von den Tunnels.“ (Heimito von Doderer, „Die Wasserfälle von Slunj“, 1963). Der Zug zieht sich in einem weiten Schwung den Berg hinauf. Bei Küb beginnt die eigentliche Bergstrecke. Der Pettenbach-Tunnel ist der Erste, dann folgen Viadukte und Tunnels in dichter Reihe.

Schein und Sein im Südbahnhotel: Durch die Eisenbahn war der Semmering ins urbane Blickfeld gerückt und zu einem Ferien- und Luftkurort ausgebaut worden. Auf exakt 1.000 Metern Seehöhe wurde 1881 das Südbahnhotel errichtet.

Einwanderungsland Niederösterreich scheinen die Roma auch in Niederösterreich eine stark marginalisierte, jedoch überwiegend tolerierte nomadi- Mary Kreutzer sche Lebensweise geführt zu haben. Als Scherenschleifer, Thomas Schmidinger Viehhändler oder fliegende Händler mit Waren aller Art fanden sie zu einer spezifischen Form der ökonomi- Migration ist Teil unserer frühesten Menschheitsge- tionsdiskurse sind meist jüngere Einwanderungsbewe- schen Symbiose mit der sesshaften Bevölkerung. Erst schichte. Bereits der Homo erectus verbreitete sich gungen, die auch im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen unter Maria Theresia (1717–1780) begann die Obrigkeit über Migration von Afrika aus nach Europa und Asien. werden. massiv gegen die nichtsesshafte Bevölkerung vorzuge- Und unsere Art, der Homo sapiens, verbreitete sich Bereits im 16. Jahrhundert wurden im Kontext hen. Die Städte mussten nun „zigeunerfrei“ sein, schließlich erneut von Afrika kommend nicht nur nach der Verwüstungen mancher Landstriche durch die ein Teil der Bevölkerung wurde zwangsweise sesshaft Asien und Europa, sondern auch nach Amerika und beiden sogenannten Türkenkriege kroatische Siedler/- gemacht, das Sprechen ihrer Sprache Romanes verboten. Australien. Dass es hierzulande überhaupt Menschen innen in Niederösterreich angesiedelt.1 Bis ins 19. Jahr- Damit setzte eine jahrhundertelange Repressionspolitik gibt, ist eine Folge prähistorischer Migrationsströme. hundert hinein existierten in Niederösterreich noch des Staates gegen die fahrende Bevölkerung ein, die Insofern besitzt streng genommen jeder Mensch kroatischsprachige, meist jedoch sprachlich gemischte im Genozid des Nationalsozialismus ihren Höhepunkt außerhalb Afrikas einen Migrationshintergrund. In Gemeinden. Die sogenannten Marchfeldkroaten fand, damit aber keineswegs beendet war. So wurden historischer Zeit lassen sich solche Migrationsbewegun- wurden allerdings im Gegensatz zu den kroatischen noch 1950 von der Sicherheitsdirektion des Landes gen auch für die Vorfahren der heutigen „Niederöster- Gemeinden in Westungarn, im heutigen Burgenland, in Niederösterreich Anweisungen erlassen, die sich dage- reicher/innen“ nachweisen, deren keltische, römische, Ungarn und der Slowakei im 19. und 20. Jahrhundert gen wendeten, „dass in einigen Gebieten Niederöster- awarische, hunnische, slawische und germanische an das österreichische Deutsch assimiliert. Die national- reichs wieder das Zigeunerunwesen im Zunehmen Vorfahren alle in historischer Zeit in jene Regionen sozialistische Germanisierungspolitik scheint hier begriffen ist und sich unangenehm bemerkbar macht“.2 eingewandert sind, die das heutige Niederösterreich zum endgültigen Verschwinden der letzten Reste dieser 1952 wurde in Niederösterreich noch eine Plakataktion bilden. sprachlichen Minderheit geführt zu haben. gegen „Hausierer“ in allen Gemeinden durchgeführt.3 In der späteren Geschichtsschreibung werden Eine weitere frühe neuzeitliche Migrationsbewe- Fast zeitgleich mit der Repression gegen die diese frühen Migrationsbewegungen allerdings genauso gung in das heutige Niederösterreich bildeten die Roma unter Maria Theresia kam eine weitere wichtige wenig als Teil der Migrationsgeschichte wahrgenommen Roma, hierzulande lange als „Zigeuner“ benannt, die Migrationsgruppe nach Niederösterreich, die bis Roma bei der Herstellung wie jene Bevölkerungsgruppen, die im Mittelalter spätestens seit dem 14. Jahrhundert, mit großer Wahr- heute viele Spuren in der Landesgeschichte hinterlassen von Wäscheklammern, um 1935. als Söldner, Handwerker, Priester oder Gelehrte große scheinlichkeit aus Indien stammend, über Kleinasien hat. Niederösterreich, dessen Adel und Bevölkerung Mobilität an den Tag legten. Thema heutiger Migra- nach Europa einwanderten. Bis ins 18. Jahrhundert sich während der Reformationszeit stark dem Protestan-

72 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 73 Die Landschaft beginnt dramatisch zu werden. Steile Schluchten, exponierte Wälder Der kubanische Schachweltmeister auf steilen Berghängen und Einblicke in die Tiefe wechseln einander ab. Der Zug fährt José R. Capablanca (1888–1942) beim internationalen Schachturnier in den Bahnhof Eichberg ein. Die Station ist und war die Wartestation für Lastzüge. des österreichischen Schachverbands Die Bahnlinie zieht sich im engen Bogen um den Gotschakogel. Noch einmal blickt im Grand Hotel Panhans auf dem man zurück ins Payerbacher Becken und auf die schroffen Wände des Gahnsabbruches. Semmering, 1937. Unten erkennen wir die Stadt Gloggnitz. Weiter im Osten liegen das breite Schwarza- tal und die Industriewerke von Ternitz-Pottschach. Noch weiter draußen, hinter dem Petersberg, findet sich Neunkirchen. Und bei guter Fernsicht geht der Blick übers Steinfeld sogar bis zum Leithagebirge. Die Bahn hat den Semmering erfunden. In alpiner Wildnis wurde 1882 das Südbahnhotel gebaut. Ringsum gab es damals nur vereinzelte Bauernhöfe. Vis-à-vis liegt der Hirschenkogel und zwischen den Bäumen verstecken sich Villen. Ebenso wie das Grand Hotel Panhans wurde auch das Palace-Hotel von einem Mitarbeiter aus der Gastronomie, Josef Deisinger, erbaut, der ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Vom Piccolo zum Millionär“ schrieb. Ein amerikanischer Traum, der in den Alpen seinen Anfang nahm. Historiker und Kulturpublizist Wolfgang Kos über den Villenbau am Semmering: „Die Hotelarchitektur der Jahrhundertwende, als man noch wagte, mit markanten Bauten offensive Eroberungszeichen in die landschaftliche Szenerie zu setzen (was etwa auf Kritik der beginnenden Heimatschutzbewegung stieß), ist ge- prägt von einem schroffen Abstandhalten zu Natur und Landleben. Man kann Verach- tung für die Wirklichkeit in solchen Strategien der touristischen Künstlichkeit orten, aber eben auch eine Haltung der Würde und Nichteinmischung. Der Reiz nobler Alpenhotels lag gerade in der Möglichkeit, der Natur im Abendkleid, mit dem Sektglas in der Hand, gegenüberzutreten. Die Künstlichkeit solcher Situationen wurde als romantischer empfunden als die eigentliche Bergwelt.“ Die mondänen Gäste liebten es ab und zu durchaus zünftig. So ging die Gesellschaft gerne vom Südbahnhotel zum Bauern Brosch und trank mit Vergnügen die „stallfrische“ Milch. Aus dem Bauernhof wurde eine Meierei und daneben entstand genützt, ebenso sausten die Schlitten vom Pinkenkogel bis zum Südbahnhotel. Doch es 1926 eine der ältesten Golfanlagen Österreichs. Sport wurde am Semmering groß kam noch abenteuerlicher: Neben der Bobbahn – einst englisch korrekt „Bobsleigh- geschrieben. Das Skifahren begann hier im Jahre 1890, als Max Kleinoschegg seine aus bahn“ genannt – und der Liechtensteinsprungschanze auf fürstlichem Grund versuch- Trondheim bezogenen Ski ausprobierte. Die Wirtsleute im „Erzherzog Johann“ auf ten Gleitflugzeuge auf der Meiereiwiese ihr Glück. Skeleton, Skijöring und Snörekjöring der Passhöhe schlugen die Hände über dem Kopf zusammen: „Jessas, jetzt kommen gehörten ebenso zum Sportvergnügen. Auch heute ist der Semmering als Winter- Das Kurhaus am Semmering: die Stadtleut schon im Winter mit so narrischen Hölzern.“ Bald trafen Sonderzüge voll sportort wieder attraktiv. Im Sommer locken zahlreiche Theaterabende, die sich vor- Halle und Frühstückszimmer, mit „Brettljüngern“ auf dem Semmering ein. Die alte Passstraße wurde als Rodelbahn zugsweise jenen Literaten widmen, die hier einst die Sommerfrische genossen. um 1914.

tismus zugewandt hatte, war zu diesem Zeitpunkt durch zu einer stärkeren Internationalisierung der Ökonomie. Tschechisch eine wichtige Umgangssprache in der Wie die Marchfeldkroat/innen wurden die nieder- die im 17. Jahrhundert erfolgte Gegenreformation Anfang des 19. Jahrhunderts eröffnete an den Fluss- Arbeiterschaft des niederösterreichischen Industrievier- österreichischen Tschech/innen Opfer der Germanisie- längst wieder ein katholisches Kernland der Habsburger- läufen des Wiener Beckens eine ganze Reihe von Baum- tels. Für die bahnbrechende Studie „Die Arbeitslosen rungspolitik. Waren unter Ersteren zum Zeitpunkt monarchie. Trotzdem konnte der grundbesitzende Adel wollspinnereinen und -webereien in Pottendorf (1801), von Marienthal“ von 1933 waren die Tschechisch- des „Anschlusses“ indes nur wenige, die neben Deutsch in einigen waldreichen Gebieten des Landes nicht Schwadorf (1802), Teesdorf (1803), Liesing (1805), kenntnisse von Marie Jahoda, Mitautorin der Studie, noch Kroatisch sprachen, mussten viele der böhmischen auf die Arbeitskraft und die Kompetenz von Holzfällern Fischamend (1809) etc. Um die Fabriken entwickelten von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine Auswer- Arbeiterkinder 1938 erst Deutsch lernen, um möglichst aus dem oberösterreichischen Salzkammergut verzich- sich eigene Fabrikdörfer mit Wohnsiedlungen, in denen tung der Arbeitsbücher der Bewohner/innen von unauffällig und unbeschadet die nationalsozialistische ten. So holten die katholischen Großgrundbesitzer die Arbeiter/innen untergebracht wurden. Die Migrati- Marienthal, einer Fabrikssiedlung im Gemeindegebiet Herrschaft zu überstehen. (Adelsfamilien und Stifte) ab 1740 lutherische Holzfäller onshistorikerin Sylvia Hahn weist darauf hin, dass von Gramatneusiedl, brachte die Grazer Soziologin Eine weitere Migrationswelle ist schließlich als aus dem Salzkammergut in das Gebiet Mitterbach, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Großteil Johanna Muckenhuber zum Ergebnis, dass über unmittelbare Folge der politischen Resultate der natio- Ulreichsberg, St. Aegyd, Lahnsattel und Naßwald. der Arbeiterschaft noch aus der Region rekrutiert 30 Prozent der Arbeitskräfte aus Böhmen stammten, nalsozialistischen Herrschaft zu betrachten. Nach Die Holzfäller und Holzknechte, die aus dem wurde, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast 13 Prozent aus Mähren, mehr als fünf Prozent der Niederlage Deutschlands 1945 wurden als Reaktion geheimprotestantischen Kerngebiet um Gosau, Goisern hingegen Arbeitskräfte aus weiter entfernten Regionen aus Schlesien und über zwei Prozent aus Österreichisch- auf die Kollaboration vieler „Sudetendeutscher“ und und der südlichen Dachsteinregion stammten, brachten Böhmens angeworben wurden.5 Schlesien.6 Kein Wunder, dass sich angesichts dieser Südmährer mit den deutschen Besatzern der Tschecho- auch ihren lutherischen Glauben mit in die niederöster- Parallel zur Textilindustrie entwickelte sich im Zusammensetzung das Tschechische als Umgangsspra- slowakei bis 1947 etwa 2,9 Millionen der etwa 3,1 Millio- reichischen Wälder. Mit Unterstützung des Holzhänd- selben Raum auch eine metallverarbeitende Industrie, che in der Arbeiterschaft durchsetzte. Selbst Anfang des nen Deutschen der Tschechoslowakei vertrieben. lers Franz Josef Giegl aus Oberwölbling gelang es die ihren Arbeitskräftebedarf ebenfalls nur durch 21. Jahrhunderts konnte man in Marienthal Nachkom- Rund 220.000 deutsche Staatsbürger/innen der Tsche- diesen Holzarbeitern, 1758 erstmals eine Kapelle und Zuwanderung decken konnte. Im Gegensatz zur Textil- men der damaligen Bewohner/innen finden, die noch choslowakei durften als Antifaschist/innen, als mit ein Pfarrhaus zu errichten.4 Nach der Verkündung des industrie wurden für die metallverarbeitende Industrie mit Tschechisch als Muttersprache aufgewachsen waren. Tschechen bzw. Tschechinnen Verheiratete oder Toleranzpatents von 1781 entstand in Mitterbach im und den Maschinenbau eher qualifizierte Arbeiter In einem Interview mit dem 1930 geborenen Walter aufgrund von ökonomischen Notwendigkeiten im Ötschergebiet ein Toleranzbethaus. Die Gemeinde benötigt. Wanderten zu den Textilfabriken ganze Dienstl erinnerte sich dieser daran, dass im 2008 ab- Land bleiben. in Mitterbach sollte zur Muttergemeinde aller evangeli- Familien zu, so war die Facharbeitermigration zu den gerissenen sogenannten Altgebäude der Siedlung Im Gegensatz zu den nach Deutschland vertriebe- schen Gemeinden im westlichen Niederösterreich Maschinenbau- und Metallverarbeitungsbetrieben 90 Prozent der Bewohner/innen Tschechisch sprachen. nen Sudetendeutschen fand die deutschsprachige werden und damit den Wiederbeginn der evangelisch- meist von jungen Männern geprägt. Dienstl ging, wie viele der Kinder aus Marienthal, sogar Bevölkerung Südmährens und der Stadt Brünn/Brno lutherischen Kirche in Niederösterreich einleiten. In beiden Fällen stammten viele der Arbeitskräfte noch in die tschechische Komenský-Schule in Wien, überwiegend ihren Weg über die Grenze in das geo- Mit der Entwicklung einer Papierindustrie in der aus den slawischsprachigen Teilen der Habsburger- ehe ihn die Nationalsozialisten 1938 dazu zwangen, grafisch wie kulturell nahe liegende Niederösterreich. Region südlich von Wien, die schließlich zum „Indus- monarchie, insbesondere aus Böhmen. Noch in in eine deutschsprachische Schule zu wechseln und Im August 1945 sollen sich laut einem Memorandum trieviertel“ wurde, kam es bereits im 18. Jahrhundert der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildete damit Deutsch zu lernen.7 des Staatsamtes für Inneres über 100.000 deutsch-

74 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 75 Wintersport am Semmering: Palace-Hotel, Postkarte um 1915 (links), und Hotel Panhans, Postkarte von Ernst Kutzer, um 1910 (oben).

Tschechoslowakei doch nach Deutschland und nicht stellung der Flüchtlinge fast ein Jahrzehnt nach ihrer genommen. Von den 18.000 in Österreich verbliebenen nach Österreich abgeschoben werden sollten. Neben der Vertreibung ermöglicht. Bereits zwei Jahre nach der Ungarnflüchtlingen zogen die meisten nach Wien. Frage der Versorgung stellten die Vertriebenen aufgrund Zuerkennung der Staatsbürgerschaft für die „Volksdeut- In Niederösterreich blieb von der Ungarnkrise 1956 vor ihrer früheren Begeisterung für den Nationalsozialis- schen“ kamen 1956 nach dem Ende des Ungarischen allem das Flüchtlingslager Traiskirchen, das seitdem mus ein politisches Problem für die Gründungsparteien Volksaufstandes rund 180.000 Ungar/innen nach als solches in Verwendung ist; es war erst 1955 von den der Zweiten Republik dar. Österreich, von denen allerdings nur 18.000 blieben. Sowjets geräumt worden.11 Von einer Einbürgerung der Menschen aus Süd- Der Großteil wurde von den USA und Kanada auf- mähren war 1945 noch keineswegs die Rede. Ein Teil von ihnen verließ demnach auch Österreich wieder in Richtung Deutschland. Nach Angaben des Innen-ministeriums hielten sich mit 1. Jänner 1948 39.011 „volksdeutsche“ Flüchtlinge und Vertriebene in Niederösterreich auf.9 Erst der mit dem Wiederaufbau des Landes verbundene Arbeitskräftemangel führte dazu, dass sich in einigen Bundesländern die Idee durch- setzte, die Flüchtlinge als Arbeitskräfte einzusetzen. Zunächst wurden immer noch befristete Aufenthaltstitel Vertreibung der Sudeten- deutschen aus der verliehen, die den Empfang vieler österreichischer Tschechoslowakei, 1945. Sozialleistungen ausschlossen. Erst am 2. Juni 1954 wurde vom österreichischen Parlament das Bundesge- setz betreffend den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch sprachige Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei in Volksdeutsche beschlossen, nach welchem „Personen Niederösterreich aufgehalten haben.8 Trotz der engen deutscher Sprachzugehörigkeit, die staatenlos sind oder historischen und kulturellen Bindungen der deutsch- deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist (Volksdeutsche) sprachigen Südmährer an Niederösterreich wurden (…) durch Erklärung, der österreichischen Republik diese keineswegs mit offenen Armen empfangen. als getreue Staatsbürger angehören zu wollen“10, die Ungarische Flüchtlinge im Lager Traiskirchen Regierungsmitglieder aus SPÖ, ÖVP und KPÖ drängten Staatsbürgerschaft einfach und unbürokratisch erhalten bei der Essensausgabe, darauf, dass die deutschsprachigen Bürger/innen der sollten. Damit wurde die rechtliche und soziale Gleich- November 1956.

76 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 77 Waldviertel

Granit und Gabbro Rundum Weite und Freiheit. Zartblaue Flachsfelder, klatschrote Mohnfelder und lackgelber Raps: Das Hochland wellt sich gemächlich dem Horizont entgegen. Auf einer Höhe zwischen 450 und 650 Metern ist es um „einen Rock kälter“ als anderswo. Der Grundstock des Hochplateaus ist Granit. Auch wenn der Wind zerrt und zupft, man steht auf festem Grund. Die Böhmische Masse ist dieser feste Grund und besteht aus dem, was nach der Abtragung vom Variszischen Gebirge übrig blieb: ein Rumpf- gebirge. Die Waldviertler Hochebene öffnet uns ein Zeitfenster in die Erdgeschichte und lässt uns 550 Millionen Jahre zurückblicken. Im Proterozoikum bildete sich die Granitmasse, die das Landschaftsbild, das Klima, Flora und Fauna des Waldviertels prägt. Und vielleicht auch die Menschen hier. Granit entsteht, wenn heißes Magma Gesteine zum Schmelzen bringt und diese mit großem Druck nach oben dringen, aber nicht ans Tageslicht gelangen. Dann erstarrt die Masse. Schmilzt aber nicht das gesamte Gestein, bleiben Einschlüsse in der grau-schwarz melierten Granitmasse bestehen. Wie dieser Granit aussieht, ist abhängig vom Grad der Umwandlung, also der Metamorphose durch Hitze und Druck. Wie von Riesenhand verstreut liegen die Härtlinge oder Restlinge in Wäldern und Wiesen. Durch die andauernde Verwitterung und Landhebung gelangten diese Stein- riesen an die Oberfläche. An anderen Stellen türmen sich Granite zu eigentümlichen Figuren. Es sind Formen der Wollsackverwitterung, wie beispielsweise Blockburgen, Blockströme, Blockmeere oder Streublöcke. Als Wollsackverwitterung werden die durch physikalische und chemische Erosion entstandenen Gesteinsblöcke mit den typischen abgerundeten Kanten bezeichnet. Wackelsteine sind ein Produkt Die Waldviertler Hochebene fortgeschrittener Verwitterung, die nur mehr an einer kleinen Stelle am Felsenunter- öffnet uns ein Zeitfenster grund aufliegen und somit zum Wackeln gebracht werden können. Manche wiegen in die Erdgeschichte und über 100 Tonnen, wie der Wackelstein im Schremser Wald bei Amaliendorf-Aalfang. lässt uns 550 Millionen Jahre In diesem Stein sind Bohrlöcher für eine geplante Sprengung zu sehen, die jedoch zurückblicken. nicht ausgeführt wurde. Seit 1927 steht der Stein unter Naturschutz.

Waldviertler Landschaft par exellence: seiner ursprünglichen Form und als Waldinseln in bewegter Wiesen- Bildstock bei Bruderndorf, Langschlag. landschaft mit Granit. Der Stein in

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 österreich vor allem Industriebetriebe aus dem Indus- gemeinden in St. Pölten, Wiener Neustadt, Krems und Die Abteilung Missing Link der Caritas Wien führt seit kamen schließlich laut UNHCR 162.000 tschechische trieviertel, die ab 1964 Arbeitskräfte aus der Türkei Amstetten. In allen größeren Städten und vielen Dörfern 2009 in Dutzenden Gemeinden Niederösterreichs und slowakische Flüchtlinge nach Österreich, ein und seit 1966 aus Jugoslawien eingestellt hatten. des Landes existieren unterschiedlich ausgerichtete unterschiedliche Aktivitäten durch, um Flüchtlinge, Großteil direkt über die Grenzen nach Niederösterreich. Bis heute hat die Region südlich von Wien, zwischen sunnitische Moscheen, in Wiener Neustadt, St. Pölten, Asylwerbende und Migrant/innen sowie schon 12.000 blieben in Österreich.12 Diese Zahlen sind heute Wiener Neustadt und Ternitz, den höchsten Anteil an Berndorf und Ternitz alevitische14 Kulturvereine mit länger hier lebende Menschen in Austausch und Dialog jedoch umstritten. Die Grazer Historikerin Silke Stern türkei- und jugoslawienstämmiger Bevölkerung. Versammlungs- und Gotteshäusern, den „Cemevleri“, zu bringen. Dazu gehören u. a. die preisgekrönte spricht allein für den Zeitraum bis Dezember 1968 Aus der Türkei kamen dabei allerdings keineswegs nur und in Leobersdorf gibt es den einzigen alawitischen Integrations-Debattenreihe „ZusammenReden“, Work- von knapp 210.000 tschechoslowakischen Flüchtlingen ethnische Türk/innen. Insbesondere in Ternitz ist der Kulturverein Österreichs. Mancherorts entwickelten shops an Berufsschulen für Lehrkräfte und Schüler/- in Österreich.13 Wie bereits während der Ungarnkrise Anteil an zazakisprachigen Kurd/innen aus der Provinz sich bei diesen für Niederösterreich neuen Religionsge- innen, Patenschaftsprojekte für unbegleitete minder- ließ sich die Mehrheit der in Österreich verbliebenen Dersim sehr hoch. Nach dem Militärputsch 1980 kamen meinschaften Debatten über deren Gotteshäuser. jährige Flüchtlinge oder Lerncafés im Wein- und Flüchtlinge in Wien, vergleichsweise wenige hingegen in zu den Arbeitsmigranten aus der Türkei auch politische Die Errichtung von Moscheen stieß immer wieder auf Industrieviertel.16 Im Westen Niederösterreichs ist vor Niederösterreich nieder. Flüchtlinge, die vielfach zu Gründern politischer Widerstand. Hatte im Toleranzpatent Kaiser Josephs II. allem die Diakonie im Flüchtlingsbereich aktiv. Nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen Vereine der türkischen und kurdischen Linken wurden. noch der Staat dafür gesorgt, dass die lutherischen Gerade in der aktuellen Flüchtlingsbewegung sind kamen ab 1981 schließlich polnische Flüchtlinge, zu Als Gegenpol dazu gründeten meist sehr konservative „Toleranzbethäuser“ durch Verzicht auf Kirchtürme jedoch auch zunehmend freiwillige lokale Initiativen denen sich nach der Wende auch Arbeitsmigrant/innen Sunniten Moscheevereine oder rechtsgerichtete nicht als Gotteshäuser erkennbar waren, so sind es wichtig geworden, die in vielen Städten und Gemeinden aus Polen gesellten. Heute hat Niederösterreich mit über Nationalisten Kultur- und Sportvereine. heute vor allem Bürgerinitiativen und rechtsgerichtete für ein begünstigtes gesellschaftliches Klima für die 8.000 polnischen Staatsbürgern den zweitgrößten Anteil Nach der Wende in Osteuropa trafen schließlich Lokalpolitiker/innen die sich über Minarette einer Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder an polnischer Wohnbevölkerung aller österreichischen noch weitere Migrantengruppen aus diesem Raum Moschee erzürnen. Somalia sorgen und damit die ersten Schritte in Nieder- Bundesländer. Zu den jüngsten Arbeitsmigranten in Niederösterreich ein, die im Pflegebereich, bei Zugleich zeigt sich allerdings, dass sowohl das Land österreich erleichtern. aus Polen in Niederösterreich zählen zahlreiche Priester, der Ernte oder in der Gastronomie eingesetzt wurden. Niederösterreich als auch seine Gemeinden das Thema ohne die viele katholische Pfarrgemeinden des ländli- Zu ihnen gesellten sich Flüchtlinge aus dem Kosovo „Integration“ zunehmend als Politikfeld begreifen chen Niederösterreich längst keine Gemeindepfarrer und Tschetschenien hinzu. und bewusst steuern möchten. In den ersten Jahren des mehr hätten. Wie einst mit den lutherischen Holzfällern kamen 21. Jahrhunderts wurden sowohl vom Land als auch Die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, mit den Menschen aus der Türkei und dem ehe- von den wichtigsten Städten Niederösterreichs Integrati- insbesondere aus Bosnien, die ab 1992 nach Österreich maligen Jugoslawien neue Religionsbekenntnisse ins onsleitbilder erarbeitet und 2008 das Integrationsservice kamen, trafen hier schließlich auf Landsleute, die Land. In St. Pölten, Tulln und Wiener Neustadt wurden der NÖ Landesakademie ins Leben gerufen.15 seit den 1960er-Jahren als „Gastarbeiter“ angeworben serbisch-orthodoxe Kirchengemeinden gegründet. NGOs sind mittlerweile wichtige Akteure für die worden waren. Einmal mehr waren es in Nieder- Die rumänisch-orthodoxe Kirche unterhält Filial- niederösterreichische Integrationspolitik geworden.

78 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 79 Der wunderbare Wackelstein bei Harruck, Fast alle diese Formationen haben Namen und bergen Legenden. Pyramiden- und der seit Jahrtausenden an dieser Stelle Franzosenstein in Bad Traunstein, die Druidenkanzel bei Altmelon, der Warzenstein bei mal leichter, mal schwerer vor sich hin gewackelt hat, ist nicht mehr. Engelbrechts, das Steinerne Kornmandel bei St. Oswald im Yspertal, Schalensteine Im Oktober 2011 hatten ein Wanderer bei Langschlag. Die Skorpionsteine bei Kautzen ziehen Menschen an, die eine besonde- und seine Familie großes Glück: Der Mann re Sensorik für Kraftorte in sich tragen. Manche dieser Steinformationen, die die setzte den Stein an der gekennzeichneten Stelle in Bewegung. Als sich die Familie Fantasie seit jeher beflügelt haben, wurden mittels Kapellen und Kreuzen „christiani- vom Platz entfernte, sah sie quasi aus dem siert“, wie der Kolomani-Stein bei Eisgarn oder der Arbesberg bei Arbesbach. Im Augenwinkel, dass sich der Stein weiter Naturpark Blockheide bei Gmünd stehen die bekanntesten Granitsteine des Wald- neigte, kippte und mit viel Lärm zerbrach. viertels. Die „Geburt der Wackelsteine“ wird dort in Dioramen anschaulich dargestellt. Granitsteine im Vorgarten, im Kreisverkehrsrondell und am Dorfplatz sind fester Bestandteil der Waldviertler Identität geworden. Der Granit bietet mehr Identifikation als der Wald, der dem Viertel seinen Namen gibt. Auch als Werkstoff ist er im Waldviertel allgegenwärtig – Zaunsteher, Futtertröge, Kornmetzen (Hohlmaß für Schremser Granit wurde für Getreide), Grabsteine, Bildstöcke, Pflastersteine. Die Waldviertler Steinindustrie be- die Pfeiler der Donaubrücken gann 1868 mit der Gmündner Steinmetzfirma Johann Pollak. Als dann Josef Widy 1886 von Tulln bis zum Eisernen sein Natursteinwerk von Hoheneich nach Schrems verlegte, war diese Gründungswelle Tor in Rumänien geliefert. von Steinmetzbetrieben im Raum Gmünd–Schrems vorläufig abgeschlossen. Die Wiener Stadtbahnbögen sind Schriftstellerin Lida Winiewicz hat das harte Leben der Arbeiter beschrieben: „Es hat, aus Schremser Granit, ebenso außer Steinmetz, für Männer keinen Beruf gegeben, wo sie was verdienen konnten, die Sockel vieler Denkmäler. bei uns in der Gegend. Steine waren genug da: Granit. Es war ein ganzes Tal, da sind die Steinmetze gesessen, jeder in einer Art Verschlag, viereckig, an zwei Seiten offen, und haben geklopft. Das waren die richtigen, die gelernten. Die anderen haben die Blöcke im Steinbruch herausgehaut. Die haben auch Steinmetze geheißen, aber nur dem Namen nach. Steinmetze sind jung gestorben. Das hat man gewusst, das hat niemand gewundert: die schwere Arbeit, der Steinstaub, das viele Bier. Staub macht durstig. Keiner meiner Brüder ist älter als vierzig Jahre geworden, und der Vater, den hat obendrein der Krieg invalid gemacht.“ Schrems taucht als „Schremelize“ in einer Urkunde von 1179 erstmals auf. Die slawische Ausgangsform bedeutet „Steinwasser“. Nomen est omen. Die Steinindustrie wurde durch den Bau der Franz-Josefs-Bahn begünstigt. Schremser Granit wurde für die Pfeiler der Donaubrücken von Tulln bis zum Eisernen Tor in Rumänien geliefert. Wiener Stadtbahnbögen sind aus Schremser Granit, ebenso wie die Sockel vieler Denkmäler und auch die dunkelgrauen Quader der Stiftskirche von Zwettl. Wie der Granit gehört der schwarze Gabbro zu den magmatischen Tiefengesteinen und bildet sich durch das langsame Abkühlen basaltischen Magmas. Er wird in Nonndorf im Landstrich nördlich von Raabs an der Thaya abgebaut. Für einige Jahre, zwischen 1885 und 1907, waren in Nonndorf bis zu 40 Arbeiter stationiert. Die Wiener Firma Sommer & Weniger, k. u. k. Hof-Steinmetzmeister, stellte Grüfte aus Gabbro her, die noch heute Mit Granit aus der Region gefertigt: auf zahlreichen Friedhöfen im Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie zu finden Das Brunnenhaus im Südflügel sind. Stein ist das Baumaterial der Burgen. Das Waldviertel wird gerne als „Burgenviertel“ des Kreuzgangs und die Kirche von Stift Zwettl.

80 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 81 Der Nebel entzieht dem bezeichnet. Die Höhenburgen wurden in der Neuzeit zu Wohnzwecken adaptiert, Land alle Farbe. Es bleibt eine oder es entstanden in Tallagen Herrschaftssitze. In beiden Fällen blieb die Burg in ihrer Skala an Grautönen. Das charakteristischen Form erhalten, was den Eindruck einer Burgenregion verstärkt. ist die Zeit, in der die Teiche „Vergleicht man aber die Anzahl der historisch, archäologisch sowie baulich überliefer- „zu kochen“ beginnen. ten Adelssitze der Regionen mit jener der anderen Landesviertel, so zeigt sich, dass die Dichte an Herrschaftssitzen im mittelalterlichen Waldviertel nicht höher war als in den Nachbargebieten. Der Eindruck der besonderen Burgenfülle dürfte zum einen im ‚Steinreichtum‘ des Waldviertels begründet liegen: Nach Aufgabe so mancher Burg fiel diese nicht wie in anderen Regionen dem Steinraub zum Opfer; das billige Baumaterial war für die Bevölkerung zum Teil aus näher gelegenen Steinbrüchen und anderen Quellen zu beziehen“, so der Historiker Thomas Kühtreiber. Als „burgen- reich“ kann wohl die Marktgemeinde Gars am Kamp bezeichnet werden. Sie umfasst 14 Katastralgemeinden und zählt auf ihrem Gebiet 15 Ansitze, die in unterschiedlichen „Stadien“ erhalten sind. Beispiel für eine Wohnburg – eine bewohnbare Burg – ist das in einer Kampschlinge gelegene Schloss Buchberg. Der Tabor nordwestlich der Burgruine Gars ist Beispiel einer Hausberganlage. In Loibersdorf am westlichen Abhang des Manhartsberges sind die Mauerreste eines gotischen Wohnbaus in das Anwesen eines Bauernhofes integriert. Die Burgruine von Gars am Kamp nimmt als landes- fürstliche Burg und temporäre Residenz der österreichischen Markgrafen eine Sonder- stellung ein.

Von Himmel- und Quellteichen Der Nebel entzieht dem Land alle Farbe. Es bleibt eine Skala an Grautönen. Das ist die Zeit, in der die Teiche „zu kochen“ beginnen. Das Wasser ist abgelassen und es bleiben Wasserlöcher, in denen die Karpfen Rücken an Rücken zappeln, zaudern, durch den Schlamm zuckeln. Die ersten Teiche des Waldviertels wurden im 13. Jahr- hundert angelegt. Südböhmische Teichgräber waren dafür gefragte Arbeitskräfte. Auf ihren Zügen von Teich zu Teich wurden sie von Handwerkern und Hirten begleitet. Aber auch Diebe und Kriminelle zogen mit. Die Wanderarbeiter kannten sich in Terrainarbeiten aus und wurden deshalb auch zum Bau von Gräben und Wällen in Kriegszeiten herangezogen. Die Teiche wurden nicht nur für die Fischzucht verwendet, sie waren auch Löschteiche und als Mühlteiche Energielieferanten für Schmieden, Mühlen, Sägewerke oder Glashütten, und schließlich Schwemmteiche, deren Wasser für die Holztriften benötigt wurde. Nicht zuletzt sind Teiche Erholungsgebiete und manchmal auch zum Baden ausgewiesen. Drei Möglichkeiten gibt es, wie ein Teich entstehen kann. Jene Variante, bei der das Wasser durch einen Damm gestaut wird, findet sich im Waldviertel am häufigsten. Diese Teiche werden durch einen Zufluss gespeist, der Abfluss wird durch einen „Mönch“ (einen Schacht mit Schleuse) geregelt. Dann gibt es die sogenannten Himmelteiche, die ausschließlich von Regen und Schnee gespeist werden. Schließlich sind die Quellteiche zu nennen: Sie erhalten ihr Wasser durch eine Quelle, die entwe- der im oder nahe dem Teich liegt. Höhepunkt der Waldviertler Teichwirtschaft war das 16. Jahrhundert. Auf den Fischmärkten wurden Karpfen, Schleien, Barsche, Hechte, Rotfedern, Grundeln, Karauschen, Aale, Krebse und Weißfische angeboten. Grund für den großen Fischkonsum waren die vielen Fastengebote der katholischen Kirche. Seit dem 18. Jahrhundert ging die Teichwirtschaft zurück. Billige Fischimporte aus Böhmen und Ungarn, steuerliche Maßnahmen sowie die Aufhebung der Untertänigkeit 1848 und bessere Preise für Getreide ließen die Fischproduktion sinken. Teiche wurden aufgelassen und in landwirtschaftliche Flächen umgewandelt. Manchmal erinnert ein Flurname noch an einen ehemaligen Teich. Im Waldviertel gibt es etwa 1.800 Teiche mit einer Gesamtfläche von 1.700 Hektar. Die Stifte und Gutsbetriebe sind die größten Karpfenlieferanten. Vom Ablaichen der Mutterfische bis zu einem stattlichen, drei Kilogramm schweren Karpfen benötigt es vier Jahre der Aufzucht und Pflege. Als Nahrung dient Plankton. Zugefüttert wird verschrotetes Getreide. 15 Grad Celsius ist die optimale Wasser- temperatur für Karpfen. Den Winter verbringen die Fische an den tiefsten Stellen in einer Art Winterschlaf, wobei sie nicht fressen und auch nicht wachsen. Mit der Eis- schmelze erwachen sie. Diese Winterruhe ist der Grund dafür, dass auf vielen Teichen das Eislaufen verboten ist. Das Kratzen der Kufen kann die Fische in den seichten Gewässern aufwecken, sie schwimmen an die Oberfläche und erfrieren. Im Oktober beginnt das Ablassen der Teiche. Wenn das Wasser zu schnell abfließt, „brennt der Teich ab“, wie es heißt, und die Fische verenden. Männer in „Die Teiche kochen“ heißt es, wenn Ölzeug und hüfthohen Gummistiefeln ziehen mit Netzen und Käschern die Ernte für das Abfischen das Wasser abgelassen wird und die Bewegung der Fische ans Ufer. Dort werden die Fische nach Größe sortiert, Bottiche dafür stehen auf Traktor- sichtbar macht (oben). Das Angler- anhängern bereit. Besatzfische – jene Fische, die für die Weiterzucht bestimmt paradies Hessendorf im Waldviertel. sind – werden für die Sportfischerei verkauft. Die Mutterkarpfen (sie können über

82 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 83 (oben) und Renaissanceschloss Rosenburg am Kamp (rechte Seite unten). zwölf Kilogramm schwer werden) und die Besatzkarpfen kommen in Teiche, in denen Das Kamptal wurde durch die Kamptal- sie überwintern. An den Ufern brennen Lagerfeuer. Hier halten sich die Arbeiter bahn 1889 erschlossen. Bahnhof warm, Gulasch und Bier werden als Stärkung gereicht. Es ist harte Arbeit, im kalten Hadersdorf, um 1910 (rechte Seite oben). Schlamm zu waten, wenn die Nässe von unten und oben eindringt. Die Speisekarpfen werden ab Teich verkauft oder kommen in die Fischhälter, wo sie im kalten, klaren Wasser ihren morastigen Geschmack verlieren. Der älteste noch in Betrieb befindliche Fischhälter aus dem Jahre 1664 steht am Gartenteich des Stiftes Geras.

Kamptal Nicht nur Hochflächen charakterisieren das Waldviertel, sondern auch Täler wie jene der Flüsse Kamp und Thaya. Der Große Kamp entspringt im Mühlviertel bei Liebenau und bildet auf einer kurzen Strecke die Grenze zu Oberösterreich. Bei der Ortschaft Ritterkamp, nahe der Burg Rappottenstein, vereinigt sich der Große mit dem Kleinen Kamp, der aus dem Weinsberger Wald kommt. Der Purzelkamp, der unterhalb von Bad Traunstein entspringt, fließt durch Waldschluchten und mündet unterhalb der Burg Rastenberg in den Ottensteiner Stausee, den größten der drei Der Zug, der samstags kurz Kampstauseen. Der Flusslauf reicht von der „waldviertlerischsten“ Landschaft, die sich nach drei Uhr in Wien abfuhr, durch Hochmoore und Nadelwälder, Granitblöcke und weite Hochflächen auszeichnet, wurde wegen der zahlreichen bis zu den Weinbergen des unteren Kamptals. Er bildet im Oberlauf Fjorde und die Begrüßungs- und Abschieds- stillen Wasserflächen der Kampstauseen, im mittleren Abschnitt pittoreske Fels- szenen entlang der Strecke als schluchten mit sonnenheißen Trockenrasen. Nach Zöbing verschwindet der Kamp in „Busserlzug“ bezeichnet. Auwäldern und hinter den großen Getreidemühlen von Hadersdorf und Etsdorf, bis er, wenig beachtet, in die Donau mündet. Mit „Kamptal“ ist meist der Abschnitt zwischen Rosenburg und Zöbing ge- meint. Die Entwicklung des Tals wurde durch den Bau der Kamptalbahn (Hadersdorf am Kamp–Sigmundsherberg) begünstigt. Nach der Eröffnung der Strecke im Jahr 1889 zog die Sommerfrischegesellschaft ins mittlere Kamptal. Die Gäste der Jahrhundert- wende verbrachten meist den gesamten Sommer auf dem Land, einquartiert in Zimmern der alten Bürgerhäuser von Gars oder in den neu erbauten Villen, die den Fluss säumen. Schon bald wurde jener Zug, der samstags kurz nach drei Uhr in Wien abfuhr, aufgrund der zahlreichen Begrüßungs- und Abschiedsszenen entlang der Strecke als „Busserlzug“ bezeichnet. Bis Hadersdorf fuhr er ohne Halt, im Kamptal blieb er in jeder Station stehen, wo den aus Wien ankommenden Vätern von der Familie ein „großer Bahnhof“ bereitet wurde. Der Alltag der viele Sommer lang – manchmal über Generationen hinweg – dem Ort treu bleibenden Stammgäste war

84 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 85 Die Thaya verläuft über lange durch Schwammerlsuchen, Marmelade-Einkochen, Ausflugspartien, Kartennachmitta- Strecken an der Grenze zu ge und natürlich Badefreuden geprägt. Eine gezielte Fremdenverkehrsmaßnahme Tschechien und wird sowohl war die Anlage von Flussbädern, auch Strandbäder genannt. Solche gab und gibt es in als trennendes wie auch Stiefern, Schönberg, Plank, Gars und Thunau. Es sind Holzbauten, mit fröhlichen als verbindendes Element rot-weißen oder grün-weißen Streifen wie in Plank und Gars oder Schönberg, dessen wahrgenommen. Badehaus 1908 zum 60. Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph gebaut wurde. Durch das langsame Fließen des Kamp erwärmte sich das Wasser rasch – einst bis auf 27 Grad Celsius. Das rotbraune, eisenhaltige Wasser war also ein idealer Platz zum Schwimmen, Bootfahren und für viele andere Wasservergnügungen. Nach Errichtung des Staudamms bei Thurnberg für das Dobra-Krumau-Kraftwerk, das seit den 1950er- Jahren den Kamp bis zu einer Wassertiefe von 69 Metern staut, kann sich das Wasser nicht mehr genug erwärmen, das Baden im Fluss ist mittlerweile Unerschrockenen vorbehalten. Heute steht das Kamptal im Abschnitt zwischen Altenburg und Grafen- egg für anspruchsvollen Gesundheits- und Kulturtourismus, der von ausgezeichneten Weinen und ambitionierten Küchen begleitet wird.

Thayatal Anders als der Kamp verläuft die Thaya über lange Strecken an der Grenze zu Tschechien und wird sowohl als trennendes wie auch als verbindendes Element wahrgenommen. Ihr Ursprung liegt allerdings im Inneren des Waldviertels. In Schweig- gers spannt sich eine große Brücke über einen kleinen Bach. Mit Stolz wird durch einen Schriftzug darauf hingewiesen, dass es sich um die erste Thayabrücke handelt. Bäckermeister Erich Kasses aus Und auf dem Geländer räkelt sich eine Frauengestalt: Thaya ist ihr Name. Sie schuf Thaya (oben). Die Thayabrücke, die bei Hardegg Österreich der im Ort ansässige Bildhauer Willi Engelmayer. „Thaya“ gehört zu den ältesten mit der Tschechischen Republik Flurnamen der Region. Das indogermanische Wort „Dûjas“ kann als „rauschender Fluss“ verbindet, war bis zum Fall übersetzt werden. Davon leitete sich das alttschechische Wort „Dyje“ ab, an das die des „Eisernen Vorhangs“ 1989/90 ein Symbol der Trennung Europas. deutsche Flussnamenendung „-aha“ angefügt wurde, um „Tiahe“ zu ergeben. Daraus entstand „Thaya“. Das althochdeutsche „aha“ ist im Wort „Ache“ lebendig geblieben. Der Bach gurgelt über Steine und läuft flüsternd durch weiche Wiesen. Kaum hat der Wasserlauf an Kraft gewonnen, säumen zahlreiche Mühlen sein Ufer. Die Dörfer liegen auf den Hochflächen oberhalb der Thaya, oft führt nur ein versteckter Waldweg zu den einschichtigen Mühlgehöften. Viele davon sind Wochenenddomizile geworden, Seminarzentren oder Hotels, manche Mühlen versinken langsam im feuchten Wiesen- grund, intakte Getreidemühlen sind die Ausnahme.

Von Fußbrechmaschinen Sportförderung soll Spitzensportler/innen bei Training und Vorbereitung auf Wettkämpfe unterstützen und und Ballesterern sicherstellen, dass der Nachwuchs bestmöglich geschult Die Einstocktechnik von wird. Insbesondere der Spitzensport ist ein wichtiger Mathias Zdarsky wird Johann Skocek erprobt: Skilaufende in Identitätsfaktor. Das Land partizipiert am positiven Lilienfeld, 1908. Image der Stars, die Sportler profitieren in Form Die Briefmarke trägt chinesische Schriftzeichen. Auf ihr wie das neue Fußballstadion und das Sportzentrum in von gesteigertem Marktwert, Subventionen und Infra- prangt das Porträt des Tischtennis-Weltmeisters Werner St. Pölten, Nachwuchsbetrieb und Spitzensport sollen struktur für Training und Wettkampf. Man kann Schlager. Der Wiener Neustädter gewann 2003 in die Bereitschaft stärken, Sport als genuine Lebens- und durchaus der Meinung sein, dass Niederösterreich im Paris den Titel und gilt seither in China als gottähnli- Exzellenzform anzuerkennen. Als Inhalt des eigenen Vergleich zu Wien mit seinen Fußballern und Tirol ches Wesen. Neben den zwei Goldmedaillen von Micha- Lebens und als repräsentativen Ausdruck des Landes im oder Salzburg mit seinen Skihelden weniger Sportstars ela Dorfmeister in der Abfahrt und im Super G der Spitzensport. mit globaler Reichweite aufweist. Doch die Frage ist: Olympischen Winterspiele von Turin 2006 und dem Die Geschichte eines Landes, einer Region oder Nach welchen Kriterien bewertet man die Bedeutung Weltrekord sowie den zwei olympischen Silbermedaillen einer Stadt ist die Geschichte der Menschen und ihrer eines Landes? des Rückenschwimmers Markus Rogan 2004 in Athen Werke. Seit Anfang der 1990er die Privat-TV-Sender Am Ende des 19. Jahrhunderts begann auch hier zeigt Schlagers Titel die Vielseitigkeit und Exzellenz auf den Markt drängten, erfolgte eine Intensivierung der die heute unter dem Sammelbegriff „Sport“ bekannte niederösterreichischer Sportler/innen im beginnenden Sportberichterstattung und damit einhergehend eine körperliche Tätigkeit populär zu werden. Das erste 21. Jahrhundert. Belebung der Veranstaltungsszene. So unterschiedliche aktenkundige Fußballspiel auf dem Gebiet der heutigen Das Land Niederösterreich blickt auf eine rund Unternehmungen wie das ATP-Turnier von St. Pölten Republik Österreich soll im Sommer 1891 im Badener 120 Jahre lange wechselvolle Sportgeschichte zurück. (1995–2004) oder die TV-Kommentatorenkarriere Gymnasium stattgefunden haben. Das müssen Schüler Viele Persönlichkeiten haben das Land geprägt, von der des früheren Slalom-Stars Thomas Sykora (Bronze bei oder Lehrer gewesen sein, denn Fußballklubs gab es einstigen Weltrekordlerin im Hochsprung Ilona Gusen- den Winterspielen in Nagano, 1998) sind auf die rasant noch nicht, erst drei Jahre später wurde der „First bauer über die Tennisspielerin Barbara Paulus, Rad- steigende Bedeutung des Sports für Einschaltquoten Football Club“ gegründet. Da Niederösterreich sportler und Steher-Weltmeister Roland Königshofer bis und Werbekunden zurückzuführen. Die Landesregie- damals noch zu Wien – oder umgekehrt – gehörte, hin zu Doppel-Olympiasiegerin Michaela Dorfmeister. rung reagierte auf den Zeitgeist unter anderem mit einer war die Vienna wohl auch der erste richtige Klub Das Land versucht seit Jahren, Sportler/innen für die Erhöhung der Sportförderung. Der Etat stieg seit Beginn Niederösterreichs. Außendarstellung Niederösterreichs im Land selbst und der 1980er-Jahre von umgerechnet rund 60.000 Euro Man mag es Zufall, Vorsehung oder Geschichte in den Medien zu nutzen. Investitionen in Infrastruktur (800.000 Schilling) auf 20 Millionen Euro (2014). Die nennen, jedenfalls erschien im selben Jahr, 1891, Fridtjof

86 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 87 In ihrem Lauf formte die Thaya tiefe Täler und schwemmte charaktervolle Felsforma- tionen aus. An den abgeschiedenen Ufern des Thayatales sind Eisvögel, Silberreiher, Säbelschnäbler und Schwarzstörche zu beobachten. Auf den Trockenwiesen an den Südhängen sonnen sich Smaragdeidechsen, Feuersalamander und Äskulapnattern. Aus den Flussmuscheln an den Sandbänken wurden Perlmuttknöpfe gedrechselt. In der Perlmuttdrechslerei in Felling werden nach wie vor Knöpfe hergestellt, das Material liefern allerdings Meermuscheln. Von Schweiggers fließt die Thaya in nördli- cher Richtung über Vitis nach Schwarzenau. Waidhofen ist die erste größere Stadt an ihren Ufern. Hier hatte die Thaya in den vergangenen Jahrhunderten wirtschaftli- che Bedeutung. Wirtschaftsbauten wie Mühlen, Hammerschmieden und eine ehemalige Brauerei stehen an ihrem Ufer. Nach Dobersberg ändert der Fluss seine Richtung und fließt südöstlich nach Karlstein. Der Ort erlangte in der Monarchie als „Horologenländchen“ Bekanntheit. Auf der Tradition der Uhrmacherei fußen die Entwicklung und Herstellung der Automatisierungstechnik in Karlstein. Wie ein Schiff steuert die Burg Raabs dem Wasser zu. Deren Bedeutung zur Verteidigung der Grenze im Norden beweist die tschechische Sprache. Um 1100 wird das „Castrum Ragkoz“ erwähnt. Dieses „Castrum Ragkoz“ war für Böhmen eine so wichtige Grenz- festung, dass sie dem Land dahinter ihren Namen gab. Bald verwendete man „Rakoza“ in Böhmen und Mähren als Bezeichnung auch für die hinter dieser Grafschaft liegenden Gebiete. So wurde Österreich in Tschechien zu „Rakousko“ und die Österrei- cher sind die „Rakouskany“. Unterhalb des Burgenbugs fließen in Raabs Deutsche und Mährische Thaya/Moravská Dyje zusammen. Nach Raabs rückt das Tal enger zusammen. Felshänge ziehen sich hinunter Nationalpark Thayatal mit Blick auf die zum Fluss. Die Burgruine Kollmitz steht auf so einem imposanten Felsen. Auch die Umlaufschlinge des Flusses (oben links) Stadt Drosendorf wurde auf einem Felsrücken gebaut, um den sich die Thaya schlingt. und die kleinste Stadt Österreichs, Hardegg, mit Burg und Pfarrkirche zum Zwischen der Quelle bei Schweiggers und der Mündung in die March in Hohenau Hinter Drosendorf verlässt die Thaya Österreich und fließt bis Hardegg auf dem Gebiet hl. Vitus (oben rechts). im Weinviertel liegen 235 Kilometer. Bei Raabs bekommt die Thaya Verstärkung, hier der Tschechischen Republik. In Hardegg wird die Thaya zum Grenzfluss. Hier spannt fließen Deutsche und Mährische Thaya zusammen. Der Fluss durchläuft auf der sich jene Brücke über die Thaya, die während der Teilung Europas in Ost und West gesamten Strecke ein Gefälle von 510 Metern. Deutlich kann man am Flussverlauf die als Symbol für diese Trennung stand: Von der Brücke stand nur mehr das nackte Eisen- Gesteinsformationen des Waldviertels ablesen. Der Granit wird mäanderfrei durch- skelett, die Bodenbretter waren herausgerissen. Der österreichische Teil der Brücke brochen, während die Thaya im östlichen Waldviertel im Bereich der weicheren bis zur Flussmitte wurde gepflegt und der Anstrich immer wieder erneuert, der tsche- kristallinen Schiefer starke Mäanderbildungen aufweist. Umlauf nennt sich die chische Teil war verrostet. Seit der Öffnung der Grenze dient die Brücke als Über- Landschaft, in welcher der Fluss lange Schlingen bildet: Den Nationalpark Thayatal, gang für Fußgänger und Radfahrer und verbindet den Nationalpark Thayatal mit dem der zehn Kilometer lang ist, durchziehen 25 Kilometer Flusslauf! tschechischen Nationalpark Podyjí.

Nansens Buch „Auf Schneeschuhen durch Grönland“ Bindung einen Plagiatsprozess gegen Zdarsky verlor. ausziehen hatte müssen. In der Südstädter Anlage den erst rund 30 Jahre nach der Gesetzeskundmachung, auf Deutsch. Das sich über Europa ausbreitende Thomas Sykora und Michaela Dorfmeister dürfen somit bildete ungefähr zur selben Zeit der Leichtathletiktrai- 2017 wird die Vereinsfreiheit in Österreich also 150 Jahre „Nansen-Fieber“ erreichte auch Lilienfeld, wohin sich als die modernen Held/innen einer glaubwürdigen, ner Gunnar Prokop aus seiner Frau Liese, der späteren alt. Turnvereine gehörten zu den ersten Organisationen der Turner, Erfinder, Maler und Privatgelehrte Mathias über mehr als 100 Jahre reichenden regionalen Tradition Landesrätin für Sport und österreichischen Innen- des sportiven Feldes. 1868 half der Kremser Turner Zdarsky umgehend ein Paar der langen, schweren verstanden werden. ministerin, deren Schwester Maria Sykora, der Speer- und Advokat Hans Stingl mit, in Weimar die Deutsche Norweger-Latten kommen ließ. Schon auf dem Weg Entwicklungen manifestieren sich auch im Sport werferin Eva Janko und der Hochspringerin Ilona Turnerschaft zu gründen. Deutschnationale und vom Bahnhof auf sein Gut soll er die Bretter abgeschnit- in Personen, Ereignissen und Institutionen, materiellen Gusenbauer eine erfolgreiche Damen-Leichtathletik- liberale, also alle nicht monarchistischen, Turnvereine ten haben. Am 31. März 1896 ließ Zdarsky beim Wiener wie immateriellen. Vielfach ist es eine Mischung aus Sektion. Liese Prokop eroberte bei den Sommerspielen waren eingeladen beizutreten. Antisemitismus Patentamt seine Skibindung (Nummer 31.366) eintragen. beidem. Sportförderung ist ein solcher Fall, materiell im 1968 in Mexiko die Silberne im Fünfkampf, Eva Janko und andere ideologische Widerlichkeiten führten zu „Die Zeitgenossen nannten sie ,Fußbrechmaschinen‘“, Sinn von Geldzuwendungen, und immateriell, indem holte dort die Bronzemedaille. Ilona Gusenbauer Spaltungsbewegungen. 1892 organisierten sich die schrieb 1951 Leo Schidrowitz, der „Propagandareferent damit Haltung und Überzeugung ausgedrückt werden. stellte mit 1,92 Metern beim Sportpressefest 1971 im Proletarier in der Arbeiter-Turn- und Sportbewegung. des ÖFB“ – so hieß damals der Pressesprecher –, in Niederösterreichs Vereinsanlagen, Sportzentren, Stadien Wiener Stadion einen Hochsprung-Weltrekord auf. Vereine, die dem freisinnigen englischen Ideal des seinem Standardwerk „Geschichte des Fußballsports geben Zeugnis von der Partnerschaft der Menschen Zum Ausgleich spielten die Damen Handball, doch da Sports folgten, wie die Vienna, feierten 2016 immerhin in Österreich“. Ein genialer Einstieg in eine Chronik des mit der Kulturtechnik der sportlichen Bewegung. Jede der Ehrgeiz zumindest in Gunnar Prokop niemals den 120. Geburtstag. Fußballs. Was die Menschen vor 125 Jahren über das dieser Institutionen, vom Bundessport- und Freizeit- schlief und die Damen besser beisammen waren als alle Wiens erwachende Sportszene strahlte in das Skifahren behaupteten – dass es nämlich „einen sinnlo- zentrum Südstadt über die Sportschule Lindabrunn, anderen Handballerinnen in Österreich, spielten sie niederösterreichische Umfeld aus, die Klubs und sen Umweg ins Spital“ darstelle –, kann man wohl das St. Pöltner Sportzentrum und Stadion oder die NÖ bald ernsthaft und überaus erfolgreich. Prokop führte Initiativen verschiedener, meist bürgerlich dominierter über das Sporttreiben im Allgemeinen sagen. Zdarsky Bergbahnen Beteiligungsgesellschaft m.b.H., hat ihre sie bis zum Europacup-Meistertitel und das Sport- Disziplinen fanden in den ersten Jahrzehnten des legte auf den Lilienfelder Hügeln das Fundament für eigene Geschichte. zentrum Südstadt etablierte sich als erste Adresse und 20. Jahrhunderts rasch Nachahmer. Die Vorbildwirkung den alpinen Skilauf in Österreich. Alle späteren Ent- Jene der Südstadt beispielsweise begann in der Internat für junge Spitzensportler/innen. verstärkte freilich auch den vor allem an den Zuschauer- wicklungen wie die Zweistocktechnik (Zdarsky fuhr mit zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, als der im Wiener Davon war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zahlen und der medialen Aufmerksamkeit ablesbaren einem langen Stock), Stahlkanten oder die Sicherheits- Vorort Jedlesee beheimatete traditionsreiche Fußball- lang keine Rede. Das sportive Geschehen fußte noch Primat der Hauptstadt. Leo Schidrowitz beschreibt bindung fußen auf Zdarskys Grundlagenarbeit. Später verein Admira in finanzielle Turbulenzen geriet. auf dem 1867 im Reichsgesetzblatt 134 veröffentlichten die erste „Meisterschaft von Niederösterreich als Ange- haben der Arlberg und der Tiroler Skiverband die Hauptsponsor NEWAG/NIOGAS sorgte für die Über- Vereinsgesetz, einem Akt der Liberalität von Gnaden legenheit, die sich Wiener Vereine untereinander Deutungshoheit übernommen und sich als Erfinder siedlung in die am Rande Mödlings liegende Südstadt. Kaiser Franz Josephs. Es überdauerte unverändert ausmachten“. Der herannahende Erste Weltkrieg und des Skifahrens feiern lassen. Tatsache ist allerdings, Ein neues Stadion und eine Leichtathletikanlage wurden den Ersten und Zweiten Weltkrieg, wurde 1951 und die damit verbundene Verhärtung des öffentlichen dass der Förderer des Militärskilaufs und Erfinder der gebaut, wenige Jahre später fusionierte die Admira anschließend noch einige Male minimal verändert und Diskurses führten auch dazu, dass die Zahl weiblicher Doppelstocktechnik, Oberst Georg Bilgeri, wegen seiner mit der Wacker, die ebenfalls eher unfreiwillig aus Wien erst 2002 grundlegend novelliert. Sportvereine entstan- Sportler in den Vereinen abnahm. Die Trias von

88 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 89 Wachau lerischen „Eroberung“ der Wachau durch die Maler gilt eine Exkursion der Maler- klasse der Wiener Akademie unter Eduard Peithner von Lichtenfels im Jahre 1888. Gefühlslandschaft Als Künstlerhauptquartier diente der Gasthof „Richard Löwenherz“ in Dürnstein, Die Kulturlandschaft der Wachau, die Terrassen mit den Wein- und Obst- der an dieses Ereignis der Vergangenheit bis heute liebevoll erinnert. Die pittoresken gärten, die Höfe mit Arkaden und Blumentöpfen, die Fassaden mit ihren Erkern und Winkel von Weißenkirchen oder Dürnstein begeisterten Landschaftsmaler/innen Fresken, die Dächer mit den mächtigen Rauchfängen, die Donau, die Schiffe und die wie Johann Nepomuk Geller, Max Suppantschitsch, Eduard Zetsche, Stefan Simony, Felspartien im Hintergrund verschmolzen zu einer Gefühlslandschaft. Die Maler waren Siegfried Stoitzner, Marie Egner und Elsa Kasimir. Was als pittoresk empfunden wurde, die Ersten, die dieses Landschafts- und Lebensgefühl transportierten. Sie schufen, war in Wirklichkeit oft ärmlich und rückständig. Doch die altertümlichen Motive wie die Heimatfilme später, ein Wachaubild, das bis heute wirkt. Als Beginn der künst- gefielen dem Publikum außerordentlich, sie bedienten den Hang zur Romantik und

Die Kirche des ehemaligen Augustiner- Chorherrenstifts in Dürnstein, seit 1745 auch Pfarrkirche (links).

Ruine Dürnstein in der Wachau, Photochrom, 1911 (rechts).

Weißenkirchen in der Wachau, Wiener Werkstätte, 1911 (rechts außen).

schwedischer Gymnastik, Turnen und Sportarten der Stadt- und der Land-Vereine setzte sich nur langsam Hauptverband für Körpersport seine Aufgaben wieder englischen Ursprungs wie eben dem Fußball wurde von durch und führte erst nach und nach zur Bildung wahr. Am 11. Dezember 1946 wurde das Österreichische neueren Entwicklungen wie dem Entstehen von Arbei- niederösterreichischer Fachverbände mit den entspre- Olympische Comité gegründet, die Dachverbände tersportvereinen ergänzt. Ein Zeichen, dass sich die chenden angeschlossenen Landesmeisterschaften. ASKÖ und Sportunion sammelten ihre Mitgliedsverbän- Sportszene nicht isoliert vom gesellschaftlichen Leben Manche, wie der Niederösterreichische Fußballverband, de, und ein neuer, dritter Breitensportverband, der rundherum entwickelte. Diese in den Anfangsjahren taten sich schwer, 1927 löste er sich wegen Mittel- Allgemeine Sportverband Österreichs, ASVÖ, holte die stark ideologisierten, gegen die bürgerlich-kapitalisti- losigkeit auf, viele Vereine traten wieder in den Wiener „unpolitischen“ Vereine unter sein Dach. Die Struktur sche Wettkampfidee ansportelnden Arbeitersport- Verband ein. besteht bis heute, in der 1969 gegründeten Bundes- vereine und ihre bürgerlichen, dem Wettstreit und dem 1934 markierte die gesetzliche Einführung der Sportorganisation sind sämtliche Vereine und Verbände Professionalismus eher zugeneigten Pendants mündeten Österreichischen Turn- und Sportfront die Eingliede- vertreten. Jede Organisation hat in jedem Bundesland in der Zweiten Republik in die parteipolitisch geprägten rung des Sportsystems in den Austrofaschismus. einen Landesverband. Dachverbände ASKÖ (sozialistisch) und Sportunion Der Sport wurde in 15 Fachverbände gefasst und nach Viele Sportler und Funktionäre waren im Zweiten (bürgerlich). Bis auf die Ebene kleiner Ortschaften drei Gesichtspunkten ausgerichtet: Er sollte christlich Weltkrieg gefallen, Sportanlagen waren zerstört, existen- hinunter wurde diese Zweiteilung durchgezogen, was und deutsch sein und dem Führerprinzip folgen. zielle Sorgen waren erst einmal wichtiger als sportlicher freilich auch ein positives Zeichen dafür war, dass Bei den Olympischen Sommerspielen in Berlin 1936 Ehrgeiz. Das alles konnte die nationale Begeisterung Sportvereine im ganzen Land als Kristallisationskerne gewann der Kremser Kanute Gregor Hradetzky zwei und Identifizierung mit dem Sport aber nicht lange der Geselligkeit und des Zusammenhalts dienten. Goldmedaillen. Nach der Eingliederung Österreichs in behindern. Österreichs Fußball-Nationalmannschaft 1920 trat die Bundesverfassung der Ersten Republik das Deutsche Reich im Frühjahr 1938 war also keine Eine Gruppe von Rodlern, und allen voran Toni Sailer mit seinen drei Goldmedail- Österreich in Kraft, sie definierte Wien als Bundesland. grundlegende Neuausrichtung erforderlich, die Sport- im Hintergrund Annaberg, len bei den Winterspielen 1956 in Cortina d’Ampezzo Ansichtskarte, um 1911. 1921 vollzog ein in Wien und Niederösterreich beschlos- vereine der „Ostmark“ gingen im „Nationalsozialisti- zeigten die ungebrochene Freude der Österreicher/- senes gleichlautendes Landesgesetz die verwaltungs- schen Deutschen Reichsbund für Leibesübungen“ auf. sowie die Teilnahme von Frauen. Es sollte, so Matthias innen am Sport. Bundesländer wie Niederösterreich technische und politische Trennung der Bundeshaupt- Regionale Zuschreibungen spielten kaum mehr eine Marschik in seinem historischen Abriss „,Provinz‘ ohne profitierten von der Nationalisierung der Bewerbe, stadt von dem sie umgebenden Land. Österreich hatte Rolle, alle Sportler und Vereine folgten einem Befehl Zentrum. Sport in Niederösterreich“, der Sport „ein der Einführung des Fußball-Cups und der Durchorga- (mit dem 1921 hinzugekommenen Burgenland) nun und einem Ziel. Erregten vor 1938 Veranstaltungen Angebot sein, bei dem man gar nicht mehr zum Denken nisation der Meisterschaft von der Ortsebene über neun Bundesländer, neun Landessportorganisationen, eher mehr Aufmerksamkeit, wenn Wiener Sportler kam, wobei für jede/n etwas dabei sein sollte“. die Landesebene bis zur obersten Eliteliga. neun Landeshauptleute, neun Landesligen. In Wien und Vereine involviert waren, so förderten die National- Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches Niederösterreich hat in den vergangenen Jahren und Niederösterreich lebte in den 1920er-Jahren sozialisten ihrer Ideologie gemäß die Bewegungserzie- im Frühjahr 1945 organisierte sich der österreichische auch begonnen, der wirtschaftlichen Bedeutung des die Hälfte der Bevölkerung Österreichs. Die Trennung hung und Sportausübung in den ländlichen Gebieten Sport rasch wieder. Schon im November nahm der Wintersports durch systematische Förderung Rechnung

90 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 91 die Vorstellung von einem „gemütlicheren Leben“ vor den Zeiten der Industrialisie- rung. Denn mit der Eröffnung der Westbahn 1858 verlor die Donau als Handels- weg endgültig an Bedeutung und in den Orten der Wachau wurde es immer stiller. Die Maler, von den Einheimischen respektvoll „Malherren“ genannt, betrachteten sich „von der ersten Pfirsichblüthe bis in die Tage der Novembernebel hinein offenbar als die eigentlichen Herren von Dürnstein“, so der Maler Eduard Zetsche 1902. Zetsche schreibt weiter: „Sie dürfen überall hin und kennen jedes Kind und jeden Stein. Eifersüchtig wachen sie über den Status quo des alten Nestes und sind unglücklich, wenn irgendwo ein schiefer Rauchfang wieder eingerenkt oder gar eine interessant verwetterte Wand neu übertüncht wird.“ Die Kombination aus mittelalterlicher Bausubstanz, Gärten und Lauben, aus anscheinend zufällig herumste- henden Arbeitsgeräten wie Butten und Körben, umgeben von der Donau einerseits und hochaufragenden Felspartien andererseits, ergaben jene „Malerwinkel“, die für die Wachaubilder typisch sind. Sie entstanden vorwiegend im Frühling und im Herbst, die mit der Baumblüte und der Weinlese auch die Hauptsaison der Wachautouristen geblieben sind. Alljährlich um den 21. Juni steht Das war unter Eduard Zetsche noch anders. Er musste für diese Jahreszeiten die Donauregion Wachau- Nibelungengau-Kremstal ganz im werben: „Auch die Wachau und mit ihr die Natur um Dürnstein, ist am schönsten Zeichen der Sonnwendfeiern: in jenen Jahreszeiten, in denen ,man’ nicht mehr, oder noch nicht reist, im Spätherbst Tausende auf dem Donaustrom und im Vorfrühling.“ Im Herbst warteten die Maler auf „das Verschwinden der ,bösen’ treibende Lichter, von Fackeln erleuchtete Weinrieden und Farbe, des harten Grüns. Leichter wird es in der zweiten, fast grünfreien Zeit des Jahres, eindrucksvolle Feuerwerke sind den Tagen der Baumblüthe, alle Stimmen für sich zu gewinnen. Aus den Weingärten zu sehen. schimmert nur das Rosenroth der Pfirsichblüthen, aus den Obsthainen der schneeige Glanz der blühenden Kirschen-, Aepfel- und Birnbäume gegen das Goldbraun und Grau der Mauern und Thürme – der Donaustrom zieht durch ein Blüthenmeer.“ Rasch identifizierte sich die Bevölkerung mit den Bräuchen, und viele Wachauklischees Das Festhalten am Althergebrachten wurde vor allem von außen in die haben daher ihren Ursprung in dieser Zeit: Tracht und Goldhaube, Sonnwendfeuer, Wachau hineingetragen. Die Gründung des „Spezialkomitees zur Einführung der Marille und Wein. Altwachauer Tracht“ 1905 wurde beispielsweise von dem aus Deutschland stammen- Entscheidend sowohl für die Erhaltung als auch für den ästhetischen Genuss den und in Wien tätigen Maler Wilhelm Gause unterstützt. Auch Goldhaubenvereine der Wachauer Kulturlandschaft war die Trassenführung der Donauuferbahn. Zunächst und die Sonnwend- oder Johannisfeuer haben in dieser Zeit ihren Ursprung. Nach wurde die Eisenbahnstrecke entlang der Donau geplant. Das hätte die Aufschüttung dem „Anschluss“ im März 1938 war als besondere Attraktion der Wachauer Frühlings- eines Dammes nach sich gezogen und die Ortschaften von der Donau abgeschnitten. wochen das „Lichtfest“ vorgesehen. „Tausende Eierschalen, mit brennbarer Flüssig- Das Projekt wurde durch den damaligen Landeskonservator Rudolf Pichler erfolgreich keit gefüllt, wurden angezündet und in die Donau gelegt. Lampionreihen am Ufer und verhindert. Ihm ist zu verdanken, dass sich die Bahnstrecke, die 1909 eröffnet wurde, Höhenfeuer auf den Bergen ergänzten das Lichterspektakel.“ (Klaus-Dieter Mulley) versteckt durch die Fels- und Weinlandschaften schlängelt.

zu tragen. Eine bisher zu wenig gewürdigte Einrichtung österreich St. Pölten. Mit der Spielzeit 2016 stiegen zusammenlaufen. Von der Imagebildung durch „Live“- sind nur die Burgenländer und die Steirer nachlässiger. ist die NÖ Bergbahnen-Beteiligungsgesellschaft. In ihr die St. Pöltner in die oberste Spielklasse des heimischen Werbung in Internet und Fernsehen über Bewegungsan- Nie Sport treiben 36 Prozent der Österreicher und sind Liftgesellschaften am Ötscher, in Mönichkirchen, Vereinsfußballs auf: die Bundesliga. reize vom Senior bis zum Schulkind bis hin zu Stimuli 43 Prozent der Niederösterreicher, „übertroffen“ allein Annaberg, St. Corona am Wechsel und am Hochkar Die jüngere Geschichte des St. Pöltner Renommier- für den Tourismus. Die Institution des Sportvereins von den Burgenländern (48 Prozent). Weitere Aussagen sowie das Höhentrainingszentrum Hochkar und vereins hatte in den 1950er-Jahren auf dem Voith- erweist sich in diesem Zusammenhang angesichts der der Befragten zeigen, dass das Sporttreiben trotz aller ein Hotel zusammengefasst. Dahinter steht neben der Platz begonnen, dort mühte sich der BSV Voith und rasanten Modernisierung und Digitalisierung der Bemühungen der Vereine und Politiker eher abnimmt, Erhaltung der mit dem Klimawandel und durch die wäre 1961 gern in die Staatsliga aufgestiegen. Doch Gesellschaft als ein erstaunlich stabiles und wirkungs- vor allem in den traditionellen Disziplinen wie Rad- Konkurrenz der großen Skigebiete im Westen Öster- reichte es in der Regionalliga nur für den zweiten Platz, volles Handlungszentrum. Niederösterreich verfügte fahren, Laufen, Skifahren und Schwimmen. Nur in den reichs kämpfenden Unternehmen auch der Gedanke, stattdessen durfte die Admira-Energie hinauf. Die als das größte und nach Wien bevölkerungsreichste Spezialsegmenten Fitnesscenter-Besuch und Nordic die touristische Infrastruktur in den strukturschwachen Admira komplettierte, vor allem nach der Fusion mit Bundesland Österreichs nach Angaben der Bundes- Walking ist ein geringer Zuwachs festzustellen. Tälern zu schützen. Zdarskys Vermächtnis, so könnte dem Wiener Verein Wacker, mit dem SCN Wiener Sportorganisation zum 1. Jänner 2016 über die meisten Der jährliche Sportbericht des Landes Niederöster- man sagen, wird bewahrt. Neustadt und den St. Pöltnern die bessere Fußballgesell- Vereine (2.239), wesentlich mehr als Wien (1.159). Die reich und die „Sportstrategie 2020“ zeigen, dass Sport Heute gilt Niederösterreich als „Kornkammer“ schaft des Landes. Die Südstädter wirkten immer Anzahl der Vereine ist relevanter als die der Mitglieder, als strategisches Instrument der Politik und Administra- des österreichischen Fußballs, Kicker wie Anton Pfeffer wieder im Europacup, in St. Pölten wiederum wurde für da viele Menschen bei zwei oder mehr Vereinen einge- tion eingesetzt wird. Die einst landauf, landab selbst (Austria Wien) oder Michael Hatz (SK Rapid) haben einige Jahre einer der berühmtesten Kicker, die je in tragen sind. In Oberösterreich, dem bevölkerungsmäßig organisierte Freizeittätigkeit ist nun ein Medium, so tragende Rollen in Meistermannschaften gespielt. Das Österreich spielten, heimisch, der Ex-Rapidler Antonín drittgrößten Bundesland, gab es 1.899 Vereine. Landes- unterschiedliche Ziele wie Volksgesundheit, Bewegung, war nicht immer so. Als 1911 der NÖ Fußballverband Panenka. Wer kann je seinen über den deutschen Goalie weit kommen dazu noch jene Vereine, die nur Fachver- Hebung des Lebensalters, Verlängerung der gesunden gegründet wurde, beteiligten sich ausschließlich Wiener Sepp Maier geschlenzten Elfer im Finale der EM 1976 bänden zugehörig sind. Insgesamt liegt die Gesamtzahl Lebensspanne, Senkung der Krankenstände und Vereine an der Meisterschaft. Die niederösterreichischen vergessen, mit dem sich die ČSSR den Titel sicherte? der Sportvereine in Niederösterreich bei rund 3.500. Kosten für das Gesundheitswesen, höhere individuelle Vereine waren noch nicht gut genug, und bis heute Moderne Spitzensportler/innen wie Markus Rogan Der hohe Organisationsgrad verrät zwar eine Mobilität und Bildung, sinnvolle Nutzung der Freizeit hat kein Verein aus Niederösterreich den Meistertitel (Schwimmen), Michaela Dorfmeister (Skifahren), intensive Vergemeinschaftung, doch bedeutet das nicht und gesunde Ernährung zu vermitteln. heimgetragen. Die besten Versuche unternahmen Bernhard Kohl (Radsport) oder Thomas Diethart automatisch eine hohe aktive Sporttätigkeit der Mit- Die strategische Ausrichtung erweist sich auch in Klubs aus St. Pölten. Erst der VSE, der unter Mitwirkung (Skispringen) spielen verschiedene Rollen gleichzeitig. glieder. Einer IMAS-Umfrage aus dem Jahr 2014 zufolge der Unterstützung des Behindertensports. Dieser Sektor von Stars wie Mario Kempes und Alfred Tatar in den Sportereignisse wie die Österreichrundfahrt oder geben 19 von 100 Östereicher/innen an, täglich Sport entwickelte sich von seinen Anfängen als Versehrten- 1980ern in die höchste Spielklasse aufstieg, jedoch bald der Ski-Weltcup auf dem Semmering sind nicht mehr zu treiben. In Niederösterreich sind es bloß 16 von 100, sport nach den beiden großen Kriegen zu einem globa- wieder von dort verschwand und sich auflöste. Zerfall wie in den 1950er-Jahren lokale, in den Zeitungen nur die Vorarlberger (5 Prozent) sind „fauler“. Einmal in len Betrieb. Im Winter und im Sommer werden jeweils und Namensänderung in FCN St. Pölten folgten, berichtete Ereignisse. Sie sind kommunikative Knoten, der Woche sind 23 Prozent der Österreicher aktiv, aber kurz nach dem Ende der Olympischen Spiele auf dann wieder Auflösung und Entstehung des SK Nieder- in denen in der „Echtzeit“ vielfache Handlungsfäden nur 20 Prozent der Niederösterreicher/innen. Auch hier denselben Wettkampfstätten die Paralympischen Spiele

92 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 93 Weinviertel

Nördliches Weinviertel Wahre Schönheiten drängen sich nicht auf. Sie wirken durch noble Zurück- haltung. So auch das nördliche Weinviertel. Das Land will genau angesehen werden. Oft versteckt sich der Zauber hinter den langgezogenen Ortschaften, im „Hintaus“, wie die Rückseiten der Dörfer heißen. Ab und zu schwingt sich das Land zu einer sanften Welle auf. Ab und zu zeichnet ein Bach Falten in die Landschaft. In Retz reichen die Weinberge bis an die Stadtmauer und die Weinkeller ziehen sich als unterirdisches System unter der gesamten Stadt durch. Weinbau und -handel schufen eine Stadt, die mit ihren kleinen Plätzen und Winkeln südliches Flair verströmt, verstärkt durch die Heidelandschaften auf dem Hausberg Golitsch und auf dem Kalvarienberg, der die Windmühle als Wahrzeichen der Stadt trägt. Vor der Gründung der Stadt Retz (ursprünglich „Recze“ oder „Rezze“) stand hier eine Siedlung auf dem Kreuzungspunkt zweier Handelswege. Daraus entstand die bäuerliche Sied- lung Wieden mit grünem Anger und Nussbäumen vor den Höfen. Um Mautstation und Freihof zu schützen, ließ Graf Berchthold von Rabenswalde (1278–1312) eine Burg an jener Stelle errichten, an der heute der Retzer Althof steht. Seine Mauer umschloss den rechteckigen weiten Platz und seine Häuserzeilen. Dominikaner wurden nach Retz berufen und gründeten das erste Kloster im Weinviertel. Die frühgotische Kloster- kirche war in die Wehranlage integriert, ein Zwinger, eine Grabenmauer und ein Graben schützten die Stadt. Die alte Burg (Althof) wie auch die ganze Stadt wurden von den Hussiten im Jahre 1425 zerstört. Die kriegerisch unzureichend gerüsteten Hussitenheere nützten eine List, gruben sich unter der Befestigung einen Gang und drangen durch die Keller in die Stadt. Um der zerstörten Stadt wieder Wirtschaftskraft zu geben, erließ Kaiser Friedrich III. wichtige Privilegien: den Handel mit Salz, Getreide und Wein. Damit wuchsen die Keller im Lauf der Jahrhunderte zu einem riesigen System. Retz ist auf den Meeresablagerungen des Tertiärmeeres erbaut. Die Keller Das Land will genau angesehen sind aus dem fest gepressten Quarzsand herausgeschält und verlaufen teilweise werden. Oft versteckt sich in einer Tiefe von bis zu 20 Metern. Sie durchziehen die gesamte Stadt in mehreren der Zauber hinter den lang- gezogenen Ortschaften, im „Hintaus“, wie die Rück- Winterliche Kellergasse seiten der Dörfer heißen. in Enzersfeld, Weinviertel.

Nutzen von etwa 17 Milliarden Euro pro Jahr. Rund aus dem Cupsieger-Cup ihr Gesicht wahrten. Drei Jahre 333.000 Menschen arbeiten direkt oder indirekt später gelang den Stockerauern im Finale des ÖFB-Cups in diesem Bereich, das sind beinahe acht Prozent der das Husarenstück, den SK Rapid (2:1) auszuschalten. Beschäftigten. Nimmt man für Niederösterreich Willi Kreuz, einer der besten und unterschätztesten nur ein Zehntel dieser Zahlen an, so lässt sich der Kicker Österreichs, trainierte die Stockerauer. Aus seiner ökonomische Wert des Sports eindrucksvoll belegen. großen Trainerkarriere ist zwar nichts geworden, Weitere positive Effekte betreffen die Gesundheit aber er fuhr mit der Mannschaft im Herbst zur ersten und den durch Vereine und Events gepflegten Zusam- Runde des Cupsieger-Cups nach London zu Tottenham menhalt der Gesellschaft. In einer Zeit, in der nur Hotspur. Und verlor 0:1. Zu Hause wieder. Bei Totten- rund ein Drittel der Bevölkerung sich einer halbwegs ham spielten drei der ganz Großen des englischen Nach dem Spiel SKN St. Pölten gegen FAC Wien regelmäßigen muskel- und kreislaufstärkenden Fußballs: Gordon Durie, Gary Mabbutt und Gary im Mai 2016: Tomasz Wisio Tätigkeit widmet und die Kosten des Gesundheitssys- Lineker. Wenn Willi Kreuz heute aus dem Fenster seines (SKN St. Pölten) präsen- tems stark steigen, kann der Sport wichtige präventive Hauses in Pottendorf schaut, sieht der alte Kicker tiert mit seiner Mann- schaft den Meisterteller der Impulse setzen. den Schneeberg. Dort, auf der Breiten Ries, zeigte vor Sky Go Erste Liga. Die Schönheit des Sports liegt freilich auch in 110 Jahren Mathias Zdarsky den Anhängern der seinen unplanbaren Stunden, wie sie sich alle paar norwegischen Skitechnik die Vorteile seiner alpinen Jahre einmal ereignen. So entwand 1988 der Kremser SC Methode. So kommt alles immer irgendwie zusammen, ausgetragen. Niederösterreich stellt mit der Skifahrerin Die niederösterreichische Sportstrategie ist der Beweis dem hohen Favoriten FC Tirol im damals noch in wenn auch in der Entfernung. Claudia Lösch einen Superstar. Fünf der elf Medaillen dafür, dass die Landespolitik den Wert und den Nutzen zwei Spielen ausgetragenen Finale den Cupsieg (2:0, 1:3). der Behindertensportler bei den Winter-Paralympics in des auf vielen Ebenen handelnden Sports ernst nimmt. Für die erste Runde des Europapokals der Cupsieger Vancouver eroberten Sportler/innen aus Niederöster- Das reicht von der touristischen bis zur Ebene der reisten die Kremser in die damals noch intakte DDR, reich. Lösch trug zwei Goldene, eine Silberne und eine Events, die mit den Special Olympics 2010 in St. Pölten zum FC Carl Zeiss Jena. In der grauen Stadt mit ihrem Bronzene bei. Der Niederösterreichische Versehrten- einen besonderen Höhepunkt boten. Und was das grauen Stadion wurden die Kremser von den Jenaern sportverband NÖVSV betreut neun Vereine, die jeweils Geld betrifft, so erbringen einer Studie des Instituts mit 5:0 auseinandergenommen. Trainer Karl Daxbacher, einen Teil des Landes abdecken. Der NÖVSV dient SportsEconAustria vom Frühjahr 2016 zufolge der Sport der im Herbst 2015 die St. Pöltner zu seriösen Aufstiegs- als Informationszentrale der Klubs und als Kontaktstelle und alle mit ihm zusammenhängenden Bereiche kandidaten in die erste Bundesliga aufbaute, zahlte zum Dachverband, dem Österreichischen Behinderten- vom Tourismus über den Handel bis zum Dienstleis- sein erstes erhebliches Lehrgeld – auch wenn die Krem- sportverband ÖBSV. tungssektor in Österreich einen volkswirtschaftlichen ser im Rückspiel 1:0 gewannen und beim Ausscheiden

94 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 95 Sportliche Höhepunkte UKJ Süba St. Pölten sorgt für eine Sternstunde im österreichischen Basketball Der Serienmeister der 1990er-Jahre (sechs Meistertitel) qualifizierte sich auch regelmäßig für den Eurocup im Basketball. Im Oktober 1996 sorgte die Mannschaft von Coach Hubert Schreiner für den größten Erfolg und die größte Sensation im österreichischen Basket- ball: Sie schlug die Bimbo Binder gewinnt Liese Prokop holt die Ilona Gusenbauer Hypo Südstadt wird 1990 erreicht der Fuß- litauische Spitzenmann- Thomas Sykora holt mit Rapid 1941 die Olympische Silber- Weltrekordlerin zum ersten Mal Hand- ballclub Admira Wacker schaft Schalgiris Kaunas, Olympia-Bronze im Deutsche Fußballmeister- medaille im Fünfkampf beim Sportpressefest ball-Europacupsieger das Viertelfinale im die stets zu den 15 besten Slalom schaft Die Fünfkämpferin Am 4. September 1989 holte die Europacup der Cupsieger Mannschaften Europas Thomas Sykora konnte Am 22. Juni 1941 Liese Prokop holte bei Eva Janko gewinnt die 1971 übersprang die in Damen-Handballmann- Unmittelbar nach dem zählt, in Litauen mit 71:51. fast nicht anders, als gewann Rapid Wien im den Olympischen Spielen Bronzene im Speerwerfen Gummersbach in schaft von Hypo NÖ neunten Meistertitel Bis dorthin hatte noch Skirennläufer zu werden, Berliner Olympiastadion 1968 in Mexiko die Silber- Eva Janko wurde Deutschland geborene erstmals den Titel in der übersiedelte der Fußball- nie eine österreichische denn sein Vater Ernst durch einen 4:3-Sieg medaille hinter der ursprünglich auch ihrer und in Breitenfurt Champions League. verein SK Admira Wien gegen eine litauische leitete das Skischulheim Mathias Zdarsky waren damit Richtungsän- die Deutsche Meister- Deutschen Ingrid Mickler- Körpergröße von 1,80 m heimisch gewordene Die Truppe von Gunnar 1966 in die Südstadt nach Mannschaft gewonnen. am Hochkar, seine Tanten organisiert derungen auf der Talfahrt schaft und den „Viktoria“ Becker. Im Jahr darauf wegen von Gunnar Hochspringerin Ilona Prokop besiegte die Niederösterreich. 1971 kam Liese Prokop und Maria den ersten Slalom möglich. Am 19. März genannten Pokal – und stellte sie mit 5.352 Prokop als Hochspringerin Gusenbauer im Straddle- als unschlagbar geltende es zum Verbund mit dem Sykora waren berühmte Der Lilienfelder 1905 organisierte Zdarsky das, obwohl Schalke schon Punkten einen Weltrekord entdeckt. Doch ihre Stil 1,92 m – Weltrekord. russische Mannschaft SC Wacker aus Wien und Michael Ludwig wird Leichtathletinnen. Privatgelehrte, Turner, den ersten Torlauf der 3:0 geführt hatte. Der auf und wurde in Athen Bestimmung sollte der Es war im Wiener Stadion, Spartak Kiew im Finale der daraus einhergehen- Europameister im Florett Thomas Sykora gewann Maler und Skipionier Skigeschichte auf dem 1,90 m große schlaksige Europameisterin. 1969 Speerwurf sein. Sie fuhr Österreichs National- 37:33. Dem Triumph den Umbenennung Mit 20 Jahren gewann zwei Mal den Slalom- Mathias Zdarsky rund 1.250 m hohen St. Pöltner Franz „Bimbo“ begann Prokop ihre 1968 als Weltbeste zu team kickte im Rahmen sollten sieben weitere des Vereins in FC Admira Michael Ludwig bei der Weltcup, bei den präsentierte 1896 die Muckenkogel. Zdarsky, der Binder erzielte drei politische Laufbahn als den Sommerspielen nach des Sportpressefestes Titel folgen. Die Erfolge Wacker. Ein Erfolg der EM in Lissabon den Titel. Olympischen Spielen von „Lilienfelder Stahlsohlen auch Zivilisten und der Tore, Georg Schors Landtagsabgeordnete, Mexiko und holte die gegen Schweden (1:0), wären ohne den Einsatz jüngeren Vergangenheit Es hatte sich abgezeich- Nagano holte er die Bindung“, die dem Fuß Soldaten Skikurse gab, gilt steuerte das erste bei. Landeshauptmann Bronzene. Eva Janko hält doch das war dann fast des Mentors, Trainers und war nach Siegen über AEL net, im Jahr davor in Wien Bronzemedaille. Sykora, den in steilem Gelände dank seiner „Lilienfelder Binder wurde einer der Siegfried Ludwig machte nach wie vor den Nebensache. Im Jahr Managers Gunnar Prokop, Limassol und Ferencvárosi war er Zweiter geworden. der fast so gut redet, notwendigen Halt verlieh. Skifahr-Technik“ als der berühmtesten Rapidler sie 1981 zur Landesrätin österreichischen Rekord darauf wurde Gusenbauer ohne das Know-how TC das Erreichen des Mit der Florett-Mann- wie er Ski fährt, ist heute Mit den im Vergleich größte Pionier des alpinen und einer der besten für Sport, 1992 avancierte von 61,80 m, wenig später im Olympischen und die Infrastruktur im Viertelfinales im Europa- schaft belegte er bei den als Manager und zu den Norwegerskiern Skilaufs. Goalgetter aller Zeiten. sie zur Stellvertreterin wurde aus Sicherheits- Hochsprungbewerb von Leistungszentrum cup der Cupsieger gegen Olympischen Spielen 1992 Vortragender aktiv. kürzeren Alpinskiern von Landeshauptmann gründen die Wicklung München übrigens Südstadt nicht möglich Anderlecht (0:2 und 1:1). in Barcelona, als das US Erwin Pröll, 2004 und damit der Schwer- „nur“ Zweite hinter Ulrike gewesen. Dream Team der Basket- übernahm sie das Amt punkt des Speers ver- Meyfarth (D ). baller mit Michael Jordan der Innenministerin. ändert, seither fliegen die und Magic Johnson Prokop erwarb sich große Geräte weniger weit. gewann, den elften Platz. Verdienste um die Vier Jahre später wurden Förderung des Sports in sie Vierter, am Ende der Niederösterreich. Saison beendete Michael Ludwig seine Karriere. Ein Jahr darauf erhielt er das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Benjamin Karl, Welt- meister und Olympia- Medaillengewinner auf dem Snowboard Werner Schlager Das Bewegungstalent Doris und Stefanie wird Weltmeister Benjamin Karl wurde in Schwaiger erkämpfen Am 25. Mai 2003 Österreichs differenzier- Europameistertitel besiegte der damals tem und hochwertigem 2013 im Beachvolleyball Thomas Diethart gewinnt Corinna Kuhnle ist Dominic Thiem spielt 30-jährige Werner Markus Rogan Michaela Dorfmeister Katrin Zettel bringt Olympischer Medaillen- Ausbildungssystem Die Schwestern die Vierschanzentournee zweifache Weltmeisterin sich in die Top Ten Schlager den Südkoreaner gewinnt zwei Silber- wird Doppelolympia- WM-Gold nach Hause regen für Behinderten- für Wintersportler groß. stammen von einem 2013/14 im Kanu Dass Dominic Thiem Joo Se Hyuk im Finale medaillen bei den siegerin Die Niederösterreiche- sportlerin Claudia Lösch Als der St. Pöltner Bub Bauernhof nahe Zwettl, Bis zur Vierschanzen- Man sollte meinen, in 2016 Niederösterreichs der Tischtennis-WM in Olympischen Spielen Als wichtigster Teil rin hat insgesamt neun Claudia Lösch sitzt die Skihandelsschule der oft als idyllisch tournee 2013/14 kannten Wiener Neustadt und Sportler des Jahres wurde, sechs Sätzen 11:9, 11:6, 6:11, in Athen 2004 des besten olympischen Weltcuprennen gewon- in einer Art Monocoque, Schladming besuchte, beschrieben wurde. Der den niederösterreichi- Umgebung würden die war kein Zufall: Immerhin 12:10, 8:11, 12:10. Markus Rogan opferte Damenskiteams aller nen, sieben davon im wenn sie Ski fährt. Seit hatte er schon einen Ehrgeiz der Älteren, Doris, schen Skispringer Thomas Wasser nicht so wild spielte er sich in den Der einzigartigen Stellung bei den Sommerspielen Zeiten holte Michaela Riesentorlauf, zwei einem Autounfall im Alter Riesen-Crash hinter sich, zwang die Jüngere und Diethart bestenfalls fließen. Und doch kommt Monaten davor in die Top Schlagers in seiner von Athen 2004 der Dorfmeister bei den im Slalom. Darunter auch von fünf Jahren ist sie bei dem er sich drei Größere, Stephanie, zuerst Eingeweihte. In Oberst- die zweifache Kanu-Welt- Ten der ATP-Weltrangliste Sportart, die auch auf Freundschaft eine Winterspielen von Turin zwei Heimsiege auf dem querschnittgelähmt. Ihren Brustwirbel gebrochen dazu, in der Schule mit dorf stand er als Dritter meisterin Corinna Kuhnle und schloss die Saison seinem Europameisterti- mögliche Goldmedaille 2006 die Goldene in der Semmering. Der größte Mut hat sie dadurch nicht hatte. Doch er ließ sich ihr in die Volleyball-Nei- zum ersten Mal auf einem von dort. Sie scheint 2016 auf Rang 8 ab. Der in tel im Doppel mit Karl im Schwimmen. Zwei Abfahrt und im Super G. Erfolg der Göstlingerin verloren. Sie fahre nach nicht beirren, gewann gungsgruppe zu kommen, Weltcup-Podest, das sich erst ihrer absoluten Lichtenwörth, einem Dorf Jindrak und dem Sieg Mal besiegte ihn nur sein Es war ihr letztes war das WM-Gold in der dem Motto, es werde drei Mal den Gesamtwelt- und führte einige Jahre Neujahrsspringen in Bestform zu nähern, was im Industrieviertel östlich in der Champions League Freund Aaron Peirsol, olympisches Rennen. Super-Kombination 2009, schon gut gehen, sagt sie. cup der Snowboarder, später zum EM-Titel im Garmisch-Partenkirchen sich auch in der Wahl von Wiener Neustadt, mit dem SVS Schwechat der nach einer leicht miss- „Auf die Goldene in der zudem errang sie Dafür wurde sie bei vier WM-Titel und eine Beach-Volleyball (2013) gewann er. Dann das zur Landessportlerin 2015 aufgewachsene Thiem ist beruht, verdankte sich glückten Wende disquali- Abfahrt hatte ich lange WM-Slalom-Silber 2011 den Winterspielen in Silberne (2010, Vancouver) und zum zweiten Titel als unangenehme Springen niederschlug. 2014 und der erste heimische die Werner Schlager fiziert hätte werden hingearbeitet. Im Super G und Slalom-Bronze bei Vancouver 2010 mit vier sowie eine Bronzene Landessportlerinnen. in Innsbruck, als nur ein 2015 gewann sie den Tennisspieler nach dem Tischtennis Academy können. Doch Rogan ver- habe ich es einfach Olympia 2014. Der Medaillen belohnt, (2014, Sotschi) bei Im Mai 2014 gewannen Durchgang gewertet und Gesamtweltcup. Bei den Steirer Thomas Muster, in Schwechat, die jedoch zichtete auf den Protest. mehr genossen", sagte sie. Schiclub Göstling/Ybbs darunter zwei Goldenen. Olympischen Winter- sie das Turnier in Baden, Diethart Fünfter wurde. Sommerspielen 2012 in der es ganz an die Spitze Ende 2016 ihre Tore „Freundschaft ist mehr „Schön, wenn man etwas brachte mit ihr nach Elfie In Sotschi vier Jahre spielen. Der dreifache eine Neuauflage des Mit dem Abschluss- London war die gelernte der Weltrangliste bringen schloss. wert im Leben als eine erleben darf, von dem Deufl, Thomas Sykora später lief es nicht ganz niederösterreichische EM-Finales 2013. Anschlie- springen in Bischofshofen Wirtschaftsingenieurin könnte. Goldmedaille“, sagte man immer geträumt hat.“ und Andreas Buder erneut so gut, aber zwei Silberne Sportler des Jahres fährt ßend beendete Doris gewann er schließlich Achte, 2016 in Rio Fünfte. er. Ohne das Training im eine Skisportlerin an die waren ja auch kein im Sommer übrigens ihre internationale die Vierschanzentournee, Leistungszentrum Weltspitze. wirklich schlechtes Mountainbike, unter Karriere, Stephanie spielte seither ist er ein un- Südstadt wäre er wohl Ergebnis. anderem mit Andreas weiter, bis 2016 im verzichtbares Mitglied nicht der Weltrekordler Goldberger. Damit Duo mit Barbara Hansel. der „Adler“. und beste Schwimmer ihm nicht fad wird. in Österreichs Geschichte geworden.

96 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 97 Das Weinviertel hat Täler, die als Ebenen und sind nicht an die oberirdischen Grundstücksparzellen gebunden, sondern solche wenig ins Auge fallen. führen ihr Eigenleben. Ursprünglich waren sie miteinander verbunden, wurden aber Das Land ist weitläufig und leicht immer wieder abgetrennt. Vom Wunsch geleitet, Fortschritt und Wohlstand zu gewellt, und erst bei genauerer repräsentieren, wurden viele Keller im 19. und 20. Jahrhundert mit Ziegeln ausgeklei- Betrachtung sind die Büsche det. Mit der Oberwelt sind sie durch Kellerabgänge in den Häusern und sogenannte und Bäume zu sehen, die den Dampflöcher verbunden, die auf dem Hauptplatz zu sehen sind. Durch diese wird Wasserlauf begleiten. die Feuchtigkeit reguliert. An kalten Wintertagen strömen weiße Dampfwolken heraus. In der Nähe des Kalvarienbergs von Retz entstand 1772 eine erste hölzerne Windmühle, lange bevor sich in den Kronländern der Monarchie die gemauerten Turmwindmühlen durchsetzten. Ihre Flügel werden nach dem Wind ausgerichtet und lassen sich samt der mit Schindeln gedeckten Dachhaube drehen. Mit einem Tram wird die bewegliche Dachkonstruktion im Boden verankert. In den 1850er-Jahren baute Windmüller Johannes Tobias Bergmann eine Turmmühle. Sie ist heute als Windmühlenmuseum zu besichtigen. Das Weinviertel hat Täler, die als solche wenig ins Auge fallen. Das Land ist weitläufig und leicht gewellt, und erst bei genauerer Betrachtung sind die Büsche und Bäume zu sehen, die den Wasserlauf begleiten. Da wäre das Flüsschen Pulkau, das sich durch das Pulkautal schlängelt und von Pulkau an den Abhängen des Waldviertels über Zellerndorf, Jetzelsdorf, Haugsdorf, Alberndorf, Hadres und Obritz westlich von Laa in die Thaya mündet. 1959 erklärte sich Alberndorf im Pulkautal zum „Europadorf“, das die Anliegen des Europarates vertritt, sich für die Menschenrechte öffentlich einsetzt und im Sinne der Europaidee Partnerschaften mit verschiedenen ausländi- schen Gemeinden eingeht sowie konsequent der Absiedlung entgegenwirkt (die nahe dem „Eisernen Vorhang“ verstärkt stattfand). Viel Spott und Ironie gab es zunächst, weil ein kleiner Ort „europareif“ werden wollte. Doch 1974 verstummten die Kritiker nach der großen Auszeichnung durch den Europarat: Alberndorf wurde die Europa- fahne verliehen. Östlich von Alberndorf erreicht man Laa an der Thaya. Das Städtchen liegt seit der Flussregulierung im 19. Jahrhundert nicht mehr an der Thaya, sondern am Mühlbach der Thaya. Das schmälert seinen speziellen Charakter nicht. In Laa sind keine lieblichen Barockfassaden oder mittelalterlich verwinkelte Gässchen zu finden. Laa hatte dank der Ebene viel Platz, sich auszubreiten. Die Straßen sind fast Boulevards und

Die „Weinkundschafter“ von Poysdorf.

Familienfest im Weingarten in Poysdorf.

Das Wahrzeichen von Retz: Die voll funktionstüchtige Windmühle aus den 1850er-Jahren in den Weinbergen.

98 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 99 Laienorden in Jerusalem gegründet. Er hat die Aufgabe, den Glauben zu schützen, Kranken und Armen zu helfen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Zahl- reiche Krankentransporte, Hospitaldienste und Pilgerfahrten werden von Malteser/- innen durchgeführt. Schloss Mailberg ist seit 1145 in den Händen des Ordens. Ein lohnender Aufstieg führt auf die Staatzer Klippe. Sie ist, so wie der Buschberg, die Falkensteiner und die Pollauer Berge, anschauliches Beispiel einer „Durch- spießungsklippe“ und eindrucksvoller Beweis alpin-karpatischer Gebirgsbildung. Die Klippen, die sich rund 100 Meter über die Ebene erheben, sind heute vom Untergrund – dieser liegt unter einigen kilometerdicken weichen Gesteinsschichten – abgetrennte riesige Gesteinsblöcke, die durch den Anschub der Alpen vor etwa 17 Millionen Jahren durch die überlagernden Gesteinspakete hindurchgedrückt wurden. Seither legte die Verwitterung die meist aus Kalk bestehenden Klippen endgültig frei.

Westliches Weinviertel Die Schmida entspringt bei Harmannsdorf im Waldviertel und nimmt ihren Weg durchs Weinviertel, um bei Stockerau in die Donau zu münden. Ebenso wie sich das Pulkautal als Tal versteht, ist das Schmidatal eine identitätsstiftende Land- schaft. Der Landschaftspark Schmidatal beginnt bei Roselsdorf, auf dessen Gemeinde- gebiet die keltische Stadt Sandberg liegt, die in den letzten Jahren intensiv beforscht wurde. Besonders sehenswert ist der historische Hauptplatz von Sitzendorf mit Bürgerhäusern von der Gotik bis zum Jugendstil und dem „Redlhaus“, dem einstigen evangelischen Pfarrhof und dem ehemaligen Schloss. In Ziersdorf steht das „Konzert- haus Weinviertel“, das als „schönster Ballsaal zwischen Wien und Prag“ bezeichnet und 1910 als Jugendstilsaal eines Gasthofes errichtet wurde. Der Brandlhof in Radlbrunn, Gemeinde Ziersdorf, ist mit seiner 800-jährigen Geschichte schönes Bei- spiel eines Freihofes und wird als volkskulturelles Zentrum des Schmidatales und des Weinviertels genutzt. Stockerau ist mit etwa 15.500 Einwohner/innen die größte Stadt des Weinvier- tels. Sie definiert sich nicht als „Hauptstadt“, kann aber mit Fug und Recht als „Kultur- stadt“ gesehen werden. In Stockerau verbrachte der Dichter Nikolaus Lenau (1802– 1850) seine Jugendjahre bei den Großeltern. Die Au von Stockerau soll Lenau zu seinen „Schilfliedern“ inspiriert haben. Gleich zwei Bühnen finden sich in Stockerau – das Lenau- und das Residenztheater. Im Sommer finden auf dem Platz unter der Pfarr- Ausfahrt mit einem Oldtimer-Traktor kirche die Stockerauer Festspiele statt. Im Belvedereschlössl sind das Kulturzentrum bei Poysdorf. und das Bezirksmuseum untergebracht, das u. a. eine frühgeschichtliche Sammlung das Rathaus, das unter Kaiser Franz Joseph erbaut wurde, könnte ob seiner Dimensio- Mit dem Bau der Laaer Ostbahn mit den Funden um den Tumulus von Großmugl beherbergt. Bis zur Donauregulierung nierung auch eine weitaus größere Stadt verwalten. Mitten im Ort liegt der Ziegel- entstand entlang der Bahn in den 1870er-Jahren zog sich ein schiffbarer Donauarm direkt durch die Stadt. Hinter bau, einer der ältesten Brauereien Österreichs. Hier wird seit 1454 gebraut – schon eine Sommerfrische-Kolonie. dem Rathaus erinnern die Donaustraße und der Donaubrunnen daran. Die Pfarrkirche erstaunlich, dass tief im Weinbaugebiet nördlich von Wien das Gerstengetränk so stark Es ist die Einzige dieser Art hl. Stephan steht auf einer Schotterterrasse und ihr 88 Meter hoher Barockturm verwurzelt ist. Das Braurecht stammt aus der Zeit der Hussitenkriege, als Laa – wieder im Weinviertel. zählt zu den höchsten Kirchtürmen in Niederösterreich. Der Turm ist begehbar und einmal – Sammelplatz für Militärtruppen war. bietet nicht nur einen schönen Ausblick, sondern beherbergt auch ein kleines Museum Um Poysdorf herum hat der Wein das Sagen. Poysdorf nennt sich, ebenso wie mit Reliquien und Gegenständen aus der Kirche. Eine Etage höher befindet sich Retz, Weinstadt. Doch im Unterschied zu Retz hat Poysdorf auch eine „Sektwelt“. die Turmwächterwohnung. Bei Feuer hatte der Wächter die Glocke zu läuten und die Neben der Weinerlebniswelt „Vino Versum“, die im ehemaligen Bürgerspital aus dem Richtung, in der der Brand lag, mit einer Fahne bzw. einer Laterne anzuzeigen. Jahre 1663 untergebracht ist. Unter diesem Namen widmet sich das Weinstadt-Muse- Der Vorstellung eines Tales wird am ehesten das Kreuttal gerecht. Menschen um dem Wein in Mythologie und Volkskunde sowie der Trinkkultur und zeichnet aus dem Weinviertel sprechen davon, wie Badener vom Helenental oder Waldviertler die Entwicklung Poysdorfs von einem Dorf mit Weinhauern zu einer Weinstadt nach. vom Thayatal schwärmen: Es klingt nach dem Paradies ums Eck. Der Kreuttalwald Auch der bedeutendste Fund der Gemeinde ist dokumentiert: Hockgräber aus der hat wie alle Weinviertler Wälder einen großen Eichenbestand. Im Sommer bleibt die frühen Jungsteinzeit, ein 7.000 Jahre alter Bestattungsplatz, der in einem Weingarten Hitze draußen und das Licht bringt die Luft zum Sprenkeln. Im Winter raschelt bei Kleinhadersdorf gefunden wurde. Die Sektwelt im Klosterkeller widmet sich der das harte Eichenlaub und es krachen die gefrorenen Lacken. Durch den Wald fließt der Sektproduktion und zeigt eine Sammlung von Sektkühlern. Die Kellergassen schließen Rußbach, der als Demarkationslinie zwischen dem österreichischen und dem preußi- das „Weinerlebnis“ rundum ab. Sei es in der „Langen Nacht der Kellergassen“, bei schen Heer 1866 bedeutsam wurde. Der Rußbach – man traut es diesem unscheinba- Traktorfahrten durch Kellergassen und Weingärten oder beim Bezirkswinzerfest in der ren Flachlandgewässer fast nicht zu – trieb in seiner „produktivsten“ Zeit bis zu 25 Müh- „Gstettn“ – hier regiert der Wein. Das Angerdorf am Poysbach nahm seinen Aufstieg len an. Die Kreuttal-Mühlen waren in einer Zunft mit eigener Handwerksordnung mit der Brünner Straße (die in Poysdorf Wiener Straße heißt). Hier wussten die Reisen- aus dem Jahre 1681 zusammengeschlossen. Die Luisenmühle ist die bekannteste unter den von passablen Gasthöfen zu berichten, die entlang der Straße ansonsten eine ihnen; wohl wegen ihres markanten Zwiebelturmes, aber auch wegen ihrer Lage Seltenheit waren. Zar Alexander I. verkostete hier Wein, und die Poysdorfer Winzer am Eingang des Kreuttals und ihrer Geschichte als weithin bekannte elegante Besonders sehenswert ist der lieferten dann Wein an den Zarenhof in St. Petersburg. „Restauration“ um 1900. Mit dem Bau der Laaer Ostbahn entstand entlang der Bahn historische Hauptplatz von Die Staatzer Klippe, der Kegel von Falkenstein, die behäbige Anhöhe von eine Sommerfrische-Kolonie. Es ist die Einzige dieser Art im Weinviertel. Die Villen Sitzendorf mit Bürgerhäusern Schloss Mailberg, die weißen Felsen der Pollauer Berge im benachbarten Südmähren, in den Ortschaften bilden die Reste dieser einstigen Urlaubskultur. Heute nähern von der Gotik bis zum Jugend- der mit 492 Metern höchste Berg des Weinviertels, der Buschberg – sie alle sind sich Ausflügler dem Weinviertel gerne radfahrend oder als Besucher/innen der Wein- stil und dem „Redlhaus“, Orientierungspunkte in der weiten, weichen, welligen Landschaft. Mailberg ist auch straßen und Kellergassen. dem einstigen evangelischen im geistigen Sinne ein Punkt der Orientierung und der Kontinuität. Das Schloss Pfarrhof und dem ehemaligen ist seit der Schenkung Chadolts des Älteren im Jahre 1146 der weltweit älteste Besitz Schloss. des Souveränen Malteser Ritterordens. Um das Jahr 1000 wurde der katholische

100 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 101 Rochuskapelle, auch „Wutzelburg“ genannt, inmitten der Weingärten am Rochusberg bei Mannersdorf an der March (oben). In der Mitte: Wand- Tausendundeinhundert Kellergassen Hinter Groß-Enzersdorf um die Kellergassen-Saison zu eröffnen. Man trifft sich vor den Presshäusern, malerei eines Hauses in Wultendorf- Der gemeinsame Nenner des Weinviertels ist die Kellergasse. An die gibt es viel Raum zum Schauen. wird mit bodenständigen Schmankerln bewirtet und darf vom jungen Wein kosten. Staatz. Das Marchfeld ist die Kornkammer 1.100 Kellergassen gibt es hier. Jene am Galgenberg bei Wildendürnbach verläuft mit Es riecht nach blühendem Ostergrean und Emmausgang werden z. B. in der Kellergasse am Beri in Hanfthal Niederösterreichs (rechts). 183 Kellern rund um einen Hügel. 2013 wurde die Kellergasse mit der erstmals vom Getreide und nach zerquetsch- gefeiert, ebenso in der Weinberggasse in Unterretzbach, am Galgenberg in Land Niederösterreich ausgelobten Auszeichnung zur „Kellergasse des Jahres“ ten Kirschen auf Asphalt. Wildendürnbach, in der Kellergasse Stoitzendorf bei Eggenburg und in Stetteldorf gekürt. Ausschlaggebend für die Wahl waren laut Juryvorsitzendem und Autor Alfred Der Stadtrand von Wien hat am Wagram. Komarek der „vielschichtige Dialog mit vorhandenen Gegebenheiten“ sowie „die sich zögernd verabschiedet, Mailberg hat gleich mehrere Kellergassen, eine davon ist denkmalgeschützt. Gemeinschaftsleistung der Menschen von Wildendürnbach über Generationen das Gemenge aus Groß- In der Unterstinkenbrunner „Loamgrui“ (für alle Bewohner/innen westlich der hinweg“. „Das vorgezogene Dach“, so der Kellergassenführer Manfred Monetti, „ist für stadtrand und Ackerflächen sogenannten Ui-Mundart: Lehmgrube) bilden die Presshäuser einen idyllischen Platz. unsere Presshäuser typisch. Darunter fanden die Zugochsen bei Sonne oder Regen ist entwirrt. Kleine Vordächer schmücken die Fassaden, und wie es sich für einen ordentlichen Schutz. Und das Türl, das im Giebel zu sehen ist – dahinter war das Heu für die Ochsen Dorfplatz gehört, steht ein Brunnen unter den Bäumen. Der Rochusberg von Manners- gelagert.“ Der Kellergassenführer hat seine „Arbeitskleidung“ an, die blaue Schürze – dorf an der March ist über und über mit Presshäusern bestückt, und die dahinterlie- „Fiata“ genannt – und einen Strohhut. genden Weinkeller bohren sich tief in sein Inneres. Auf seiner Hügelkuppe thront Als „Dorf ohne Rauchfang“ bezeichnet, sind die Kellergassen des Weinviertels die runde Rochuskapelle, auch Wutzelburg genannt. Der hl. Rochus ist einer der gro- zwar in den seltensten Fällen noch Produktionsstätten für Wein, aber oft das architek- ßen Pestheiligen und auf Darstellungen meist an seiner Pestbeule erkennbar, die er tonische Schmuckkästchen der Ortschaften. Sie werden auch als Kellertrift bezeichnet, warnend herzeigt. Oft wird er von einem Hund begleitet. Die Kapelle wurde 1637 wie etwa die Hadreser Kellertrift, die mit 1,6 Kilometern sowie 400 Presshäusern von Freiherr Rudolf von Teuffenbach, Eigentümer der Herrschaft Angern, aus Dankbar- und Kellerkappeln die längste Kellergasse des Weinviertels ist. Im Unterschied zum keit dafür errichtet, dass die meisten seiner Soldaten von der Pest verschont worden Presshaus ist beim Kellerkappel einzig der Türbereich gemauert. Der Arbeitsraum vor waren. Die Kapelle ist ein schönes Beispiel eines frühbarocken Baus. der Kellerröhre befindet sich bereits unter der Erde – wie es bei Kellergassen, die in Hohlwegen liegen, zu sehen ist. Kaum eine Kellergasse, die in den vergangenen Jahren Die Ebene des Marchfelds nicht liebevoll instandgesetzt wurde. Seit 1999 kann man sich in einem eigenen Hinter Groß-Enzersdorf gibt es viel Raum zum Schauen. Es riecht nach Lehrgang auch für die Kellergassenführung ausbilden lassen. In sechs Modulen werden blühendem Getreide und nach zerquetschten Kirschen auf Asphalt. Der Stadtrand von den Interessierten einerseits Geschichte, Architektur, Weinbau, Kellerwirtschaft und Wien hat sich zögernd verabschiedet, das Gemenge aus Großstadtrand und Acker- Degustation, andererseits aber auch Kenntnisse in Sachen Vermittlung und Tourismus flächen ist entwirrt. Es herrschen wieder klare ländliche Verhältnisse. Straßendörfer näher gebracht. Die Kellergassenführer/innen – über 500 gibt es mittlerweile – sind wieder Straßendörfer, rundum die große Ebene des Marchfelds. Die Landschaft sind Botschafter der Kellergasse, mit der Ausbildung geht eine Bewusstseinsbildung ist offen und großflächig. Bei Prottes, Matzen und weiter nördlich in Zistersdorf stehen einher, die auch bei der Erhaltung und Renovierung der Ensembles eine große Bohrtürme und Pferdekopfpumpen inmitten des Ackerlandes. Auf dem Hauptplatz Rolle spielt. von Matzen zeigt der Lebensbaum die drei „Standbeine“ des Ortes – Wein, Getreide Ein Vorzeigeprojekt ist die Kellergasse in Raschala bei Hollabrunn. Dort besitzt und Erdöl. Im nahen Raggendorf wurde 1917 nach Erdöl gebohrt, doch reichte die der Presshausexperte Helmut Leierer einen Keller, den er mit großem Fachwissen eingesetzte Technik noch nicht aus, um in jene Tiefen vorzustoßen, in denen Erdöl instandsetzte. Mit den Besitzern der übrigen Keller schloss er sich zum Verein später auch tatsächlich gefunden wurde. Das Matzner Erdölfeld wurde 1949 angebohrt. „D’Raschalaer Köllamauna“ zusammen. In einer beispielgebenden Gemeinschaftsleis- Die einander überlappenden Lagerstätten von Erdöl und Erdgas erstrecken sich tung konnten sie das Kellerensemble erhalten. Aber auch das Feiern kommt nicht zur über ein Gebiet von rund 150 Quadratkilometern. Ein Radweg verbindet Informatio- kurz: Der Kirtag, der stimmungsvolle Adventmarkt und die Pinkelsteinfeste (diese nen über Erdöl mit einer Tour durch die Landschaft. Die hl. Barbara, Schutzpatronin finden am Faschingssonntag statt, aber nur in den Schaltjahren) prägen seit Jahrzehn- der Bergleute, ist auf der Fassade der Kirche von Matzen zu sehen, die aus den ten das Vereins- und Gesellschaftsleben in Raschala. Ein Brauch, der wieder gepflegt 1950er-Jahren stammt. Auch der Hochaltar verweist auf das „schwarze Gold“: Er wird, ist die „Grean“ am Ostermontag. Das erste, zarte Grün des Frühlings wird genutzt, erinnert in seiner Gestalt an einen Bohrturm. Die Landmarks der Ölförderanlagen

102 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 103 Schloss Hof verkörpert einen wurden von einer neuen Energiequelle im wahrsten Sinne überflügelt – von Wind- Schloss Hof verkörpert einen der Höhepunkte barocker Schlossbaukunst in Nieder- der Höhepunkte barocker rädern, die das südöstliche Weinviertel dominieren. österreich. Daran beteiligt waren Architekt Johann Lucas von Hildebrandt, die Schlossbaukunst in Nieder- Im Westen und im Norden wird das Marchfeld durch eine 20 Meter hohe Stuckateure Alberto Camesina und Santino Bussi, der mit dem Interieur betreute österreich. Die beteiligten Geländestufe gegen das Weinland abgegrenzt. Das etwa 800 Quadratkilometer große Claude Le Fort du Plessy, der Gartenkünstler Dominique Girard und der Garten- Künstler konnten aus Gebiet stößt im Osten und im Süden an die Auwälder der March und der Donau. inspektor Anton Zinner. Sie konnten ungehindert aus dem Vollen schöpfen, war doch dem Vollen schöpfen, war Die ungeschützte Lage, die Grenze zu benachbarten Siedlungsräumen im Osten, die der Auftraggeber nicht nur der erfolgreiche Feldherr der Schlacht gegen die Osmanen, doch Prinz Eugen nicht Bernsteinstraße als alter Handelsweg von Nord nach Süd machten das Marchland sondern auch einer der wohlhabendsten Männer seiner Zeit. 1755 erwarb Regentin nur erfolgreicher Feldherr, auch zu einem Boden, auf dem Konflikte ausgetragen wurden. Zwei Mal zog Ottokar II. Maria Theresia das Anwesen von Eugens Erben und machte es ihrem Gemahl Franz sondern auch einer der Přemysl, König von Böhmen, zur Schlacht ins Marchfeld: 1260 gegen die Ungarn Stephan von Lothringen zum Geschenk. Der neue Besitzer wusste die noble Gabe wohlhabendsten Männer und 1278 gegen die deutschen Reichstruppen unter dem Habsburger Rudolf I. In der angemessen zu würdigen. Bis zu seinem Tod 1765 verbrachte Franz Stephan viel Zeit seiner Zeit. Schlacht von Dürnkrut fand Ottokar II. den Tod. 1809 traf Napoleons Grande Armée bei auf Schloss Hof, um auf einsamen Pirschgängen oder im engen Familienkreis mit Maria Deutsch-Wagram und Aspern auf die kaiserlichen Armeen. Theresia und der großen Kinderschar „die Seele von der Last des Herrschens zu erleich- Hinter den Ortschaften von Orth an der Donau, Eckartsau und Stopfenreuth tern“, wie es auf einer Inschrift an der Gartenseite der Schlossfassade heißt. Um aber beginnt die Au. Ihr entströmt der satte Geruch von Erde, Schlamm und Wasser. Im den gesamten Hofstaat unterbringen zu können – er umfasste an die 200 Bedienstete –, Frühjahr betäubt der Bärlauch, der wie ein grüner Teppich zwischen den dunklen, entschloss sich die mittlerweile verwitwete Maria Theresia um 1770, das Gebäude frisch gewaschenen Stämmen liegt. Die Au bietet auch ein Hörerlebnis. Der Pirol flötet, um eine Etage aufstocken zu lassen. Im Zuge dieser Arbeiten stattete der kaiserliche der Kuckuck ruft, es zwitschert und quakt, es unkt und tiriliert. Wie ein Singvogel Hofarchitekt Franz Anton Hillebrandt auch die Fassade und die Innenräume dem trillert die gelbgrün gefleckte Wechselkröte, die mit ihrem unlurchischen Gesang viele Zeitgeschmack entsprechend mit klassizistischem Dekor aus. Er gab damit Schloss Hof in die Irre führt. Das Wasser gluckert, der Schlamm schmatzt, der Wind klappert mit sein heutiges Erscheinungsbild. Am Beispiel von Schloss Hof – und an seiner gelunge- den Ästen und im Winter schrummt das Eis. Der Nationalpark Donau-Auen hat eine nen Präsentation für das Publikum von heute – lässt sich mustergültig nachvollziehen, Fläche von über 9.000 Hektar. Sandbänke und Schotterinseln, Alt- und Nebenarme, dass ein barocker Schlosskomplex zwar in erster Linie der Verherrlichung seines Uferabbrüche, Hartholz- und Weichholzauen, Feuchtwiesen, Sümpfe und steppen- Besitzers diente, dass ein solcher Komplex darüber hinaus aber mehr ist als nur eine ähnliche Heißländen bieten Tieren und Pflanzen ein breites Spektrum an Lebensraum. Ansammlung luxuriöser Wohn- und Festräume – wie sie üblicherweise im Rahmen Von den Auen der March und Donau ist es nicht weit zu den glanzvollen von Schlossführungen gezeigt werden. Der liebevoll revitalisierte Meierhof des Schlössern des Marchfeldes: Niederweiden und Schloss Hof. An ungeschützte Pracht- Schlosses – mit Küchen, Handwerksräumen, mit Tierhaltung und der hauseigenen bauten auf dem flachen Land, einem Präsentierteller gleich, an der Grenze zu Ungarn Gärtnerei – lässt die Besucher/innen den „Organismus“ eines Schlosses als wirtschaft- war vor dem Sieg über die Osmanen nicht zu denken. Doch die neue politische licher Einheit begreifen. Lage mit dem Frieden von Passarowitz 1718 begünstigte die Lage. Für seine Leistungen Schloss Niederweiden, das kleinere der beiden Marchfeldschlösser, wurde als als Feldherr hatte Prinz Eugen von Savoyen von Kaiser Karl VI. die Herrschaft Ober- Schloss Engelhartstetten 1693 erbaut. In seiner eleganten Formgebung, seinem siebenbrunn geschenkt bekommen. So lautete die offizielle Version. Das Geschenk exquisiten Interieur, seiner Durchlässigkeit zwischen der Kulturwelt im Inneren und war aber auch eine Entschädigung für den nicht ganz freiwilligen Verzicht des Prinzen dem umgebenden Naturraum ist es ein Kleinod. Bauherr war der Stadtkommandant auf den Statthalterposten in den Niederlanden. In Obersiebenbrunn fand er jedoch Wiens, Ernst Rüdiger von Starhemberg, der die Verteidigung gegen die osmanischen „keine Jagdbarkeit“. Prinz Eugen kaufte also die Herrschaft Hof an der March samt Angriffe bis zum Entsatz im September 1683 erfolgreich geleitet hatte. 1725 kam Stopfenreuth dazu. das Schloss in den Besitz Prinz Eugens, der es als Jagdschloss nützte. In den nahen Donauauen stand reichlich Wild. Die historische Wildbretküche ist bei einer Führung durch das Schloss einer der Glanzpunkte.

1725 kaufte Prinz Eugen ein Kastell aus dem 17. Jahrhundert und ließ es um zwei Flügel erweitern. 30 Jahre später erwarb Regentin Maria Theresia das nunmehrige Schloss Hof. Das Gebäude wurde aufgestockt und die Räume der ersten Etage wurden neu gestaltet. Der revitalisierte Barockgarten zieht sich über Terrassen bis an die Marchniederung.

104 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 105 Mit Weite und Großzügigkeit hebt sich die mittelalterlich angelegte Stadt Marchegg von Häusern.“ Gleichzeitig mit dem Wiederaufbau entstand eine große volkskundliche deutlich von anderen Stadtmauerstädten ab, deren verdichtete Bauweise durch Sammlung. Möbel und Objekte, die alle Aspekte des ländlichen Lebens im Weinviertel das beschränkte Platzangebot innerhalb der Fortifikationen über die Jahrhunderte abdecken, werden im Museumsdorf bewahrt. anwuchs. Nicht so in Marchegg: Mit beinahe 60 Hektar ist sie die größte befestigte 2010 wurde der Betrieb des Museumsdorfes Niedersulz vom Land Nieder- Anlage ihrer Zeit. Da, wo die March ein „Eck“ in der Landschaft formte, gründete österreich und der Kultur.Region.Niederösterreich GmbH übernommen. Das der böhmische König Ottokar II. Přemysl 1268 nach seinem Sieg gegen den ungari- Übertragen alter Weinviertler Bauten und das Bewahren der alten Bausubstanz waren schen König Bela IV. in der Schlacht bei Groißenbrunn im Jahr 1260 die Stadt Marchegg. die ursprünglichen Aufgaben. Seither sind weitere Aufgaben dazugekommen: die Die Stadtburg wurde an der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer errichtet. Versehen Dokumentation der Bauten, die Kulturvermittlung sowie die Betreuung eines großen mit drei Stadttoren, der Burg und einem riesigen Hauptplatz, war Marchegg als Gartenbereichs mit Schwerpunkt auf alten heimischen Blumen, Gemüse- und Obstsor- Truppensammelplatz für Feldzüge gegen den Osten geplant. König Ottokar II. Přemysl ten. Das Museumsdorf versteht sich auch als Kompetenzzentrum für Lehmbau. konnte seine Stadtgründung nicht zu Ende führen; zehn Jahre später, 1278, wurde er Der typische Baustoff des Weinviertels war der Lehm aus der „Loamgrui“ (Lehmgrube), in der Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen gegen Rudolf von Habsburg getötet. die in jedem Dorf zu finden war. Die in eine feuchte Holzform geschlagenen und Seit 2010 dokumentiert die Ausstellung „Es ist ein gutes Land“ in der zum Wasser- luftgetrockneten Lehmziegel werden im westlichen Weinviertel als „Loamziegel“ schloss umgestalteten Burg die historische Entwicklung der Stadt. Hinter dem Schloss bezeichnet. Im Osten und im Norden spricht man von „Erdziegeln“, im Donaugebiet ist die größte Storchenkolonie der Marchauen zu entdecken. Bei Hohenau an der und im Burgenland von „Kotziegeln“. Der Arbeitsaufwand zur Herstellung von Lehm- March mündet die Thaya in die March. Im ungewollten „Schutz“ des „Eisernen ziegeln war hoch, denn der örtlich gestochene Baustoff aus der „Loamgrui“ musste Vorhangs“, der Europa in Ost und West teilte, blieb die Natur unberührt. Die March- von gröberen Störstoffen gereinigt werden. Das Trocknen erforderte einen überdeck- Thaya-Auen sind heute ein artenreiches Biotop. Das Dreiländereck Österreich– ten Platz. Ein weiterer Ziegeltyp ist der Quaderstock. Für diesen wurden größere Slowakei–Tschechien wird in Hohenau mit einer einzigen Autobrücke verbunden. Über Holzmodel verwendet, die unten offen waren. Lehm wurde mit „G’hack“ (Strohhäcksel) Wilfersdorf, mit dem Liechtensteinschloss, und Mistelbach gelangt man wieder in oder „Åum“ (Spreu) gemischt. Mittelalterliche Bauten waren Massivlehmbauten: die Landschaft, die sich sanft bis in das Blau des Himmels wellt. Dort, wo der Zauber im Beim Stampflehmbau – als „g’steßene Mauer“ bezeichnet – wird der Lehm zwischen „Hintaus“ der Dörfer beginnt, im Land der tausendundeinhundert Kellergassen. Schalungsbrettern gestampft und nach einer Trocknungsphase die nächste Schicht eingestampft. Jene, die sich keine Bretter leisten konnten, hatten „g’satzte Mäuer“. Die gesatzte Mauer bedarf keiner Schalung, Lehm wird mit Spreu vermischt, gestampft Museumsdorf Niedersulz und getrocknet. Eine Schicht kann bis zu 60 Zentimeter hoch sein. Überhängendes wurde abgestochen. „Man könnte vom Lehmviertel sprechen“, so der Geologe Thomas Das ideale Dorf Hoffmann. In den Vorgärten glühen die Dahlien. Das Schnattern der Gänse ist aus dem Nicht nur das bäuerliche Leben wird anschaulich dokumentiert – etwa durch Hintaus des Dorfes zu hören. Die weiß gekalkten Häuser – ein wenig bucklig die die Streck- und Hakenhöfe mit den weinvierteltypischen „Trettn“, den Arkadengängen Mauern und manche so klein, dass die Fisolen bis über die Dachrinne stehen – strahlen im Innenhof –, auch Werkstätten sind im Museumsdorf zu finden. Die Dorfschmiede vor dem blauen Sommerhimmel. Am liebsten möchte man die Koffer packen und aus Patzenthal ist ein einräumiger Ziegelbau mit gemauerter Esse und Blasebalg, in dieses Idyll einziehen. Das Museumsdorf Niedersulz ist Niederösterreichs größtes Werkzeugen und Werkstücken. Über dem Tor hängt ein Blechschild mit der Aufschrift Freilichtmuseum. Der Grundstein wurde 1979 mit der Übertragung eines über „Martin Mosheimer, gepr. Huf- und Wagenschmied“. Der Schmied war ein wichtiger 200 Jahre alten Weinviertler Streckhofes aus Bad Pirawarth gelegt. Kontinuierlich Handwerker, schließlich musste ein Pferd als Zugtier etwa alle sechs Wochen neu wuchs das Dorf Hof um Hof, bis eine typische Dorfzeile entlang des Sulzbaches beschlagen werden. Außerdem führte der Schmied kleinere Reparaturen an landwirt- entstanden war. Im Lauf der Jahre wurde das Museumsdorf durch weitere Weinviertler schaftlichen Geräten durch. 2014 wurde die ehemalige Wagnerei Halmschlag aus Wohn- und Wirtschaftsgebäude ergänzt, es folgten Handwerkerhäuser, Kapellen, Hollabrunn, bestehend aus einer funktionstüchtigen Werkstatt und einem dazugehöri- Das Museumsdorf Niedersulz: Nieder- eine Mühle und Presshäuser, die eine Kellergasse bilden. Der gelernte Kirchenmaler gen Stadel, abgetragen und in den Sammlungsbestand des Museumsdorfs eingebracht. österreichs größtes Freilichtmuseum mit typischen Hakenhöfen, Presshäusern Josef Geissler hat mit seinen Mitstreitern das Dorf eigenhändig angelegt: „Es ist eines Nun befindet sich darin eine Ausstellung von Fuhrwerken. Jeder größere Bauer im und Scheunen aus dem Weinviertel. der wenigen Freilichtmuseen, das dorfartig aufgebaut ist. Es ist keine Anhäufung Weinviertel besaß zumindest einen schweren und einen leichteren Truhen- oder Waschtag wie anno dazumal in Nieder- Bretterwagen sowie einen Leiterwagen. Der Truhenwagen – aufgrund des donnernden sulz (rechts). Geräuschs beim Fahren „Dunnawågn“ genannt – diente zum Transport von Kartoffeln, Rüben, Klee oder der Weinernte, der „Load“, aber auch von Schotter, Erde oder Mist. Dörfliche Handwerker konnten ohne eigene kleine Landwirtschaft kaum überleben. In einem aus Mistelbach stammenden Kleinhäuslerhaus ist eine Schusterwerk- statt eingerichtet. Das Gebäude aus dem Jahre 1704 weist trotz seiner Kleinheit die für das Weinviertel typische L-Form auf. Vorführungen mit Pferden als Zugtieren, die Präsentation alten Handwerks und einstiger Alltagsarbeiten wie des Waschens am Waschtag halten die Erinnerung an die Zeit der Groß- und Urgroßeltern lebendig. Aus Gaiselberg stammt das Gebäude einer zweiklassigen Volksschule mit integrierter Lehrerwohnung. Sie ist eines der seltenen Beispiele einer dörflichen Schule vor der Errichtung der zahlreichen Kaiser-Jubiläumsschulen von 1908 zum 60-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs. Schulbänke, Tafel und Anschauungs- materialien zeigen den ländlichen Schulalltag von anno dazumal. Recherchen und Dokumentationen zur sozialen Stellung eines Lehrers im dörflichen Kleinverband stellen einen weiteren interessanten Aspekt dar. Ein Schul- und Lehrgarten – nach Plänen des Schricker Schulgartens aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – komplettiert die Dorfschule im Museumsdorf. Der Schulgarten diente dem Unterricht, wobei es strikt getrennte Beete für Mädchen mit küchenbezogenen Pflanzen und für Knaben mit feldbezogenen Arten gab. Der Dorflehrer hatte darüber hinaus die ehrenvolle Aufgabe, im Schulgarten unbekannte Pflanzensorten zu ziehen und die Dorfbevölke- rung über alternative Gartentechniken und Gemüsesorten zu informieren. So wurde beispielsweise bereits um 1900 der Brokkoli im Weinviertel eingeführt und angebaut. Der Spaziergang durch das Museumsdorf endet meist im Dorfwirtshaus. Bei den Festlichkeiten spielt oft eine Weinviertler Kirtagsmusik auf, und dann wird am Tanz- boden eifrig getanzt.

106 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 107 Menschenbilder – Ein Tag in Niederösterreich Gemeinde ein Kaffeehaus mit angeschlossener Rösterei zu betreiben. Geröstet wird dreimal pro Woche im Geschäft, wobei die Kund/innen zuschauen können. „Der Kaffee 1.665.815 Menschen. Das ist Niederösterreich. Das größte österreichische Bundesland ist eine Diva. Dieses Produkt braucht vom Anbau über die Ernte, Lagerung und Röstung reicht vom Hochwechsel in der Buckligen Welt bis zum Nebelstein im Waldviertel, bis zur Zubereitung zu 100 Prozent Professionalität“, erklärt die Jungunternehmerin. vom Ötscher im Mostviertel bis zur Staatzer Klippe im Weinviertel. Würden wir Die Hupe geht durch Mark und Bein. Kein Wohlklang, jedoch wirkungsvoll. mit geschlossenen Augen mit dem Finger auf die Landkarte tippen, er fiele auf eine „Das ist ein Spezialton“, erklärt Elfriede. Vier bis fünf Stunden ist die Bäckerin mit ihrem zufällig ausgewählte Ortschaft – eine von 573 Städten, Marktgemeinden und Dörfern Kastenwagen unterwegs. Seit 41 Jahren fährt sie „ins Gai“. So nennen die fahrenden in Niederösterreich. Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler ihre Touren durch die Dörfer. Der fliegende Handel ist vor allem für alte Menschen von Bedeutung. In den ersten Jahren ist Elfriede gemeinsam mit ihrem Mann gefahren, später, als sie dann den Führerschein Es ist 3 Uhr nachts. Die meisten Menschen schlafen. Durch den einfallenden Oktober- hatte, machte sie sich alleine auf den Weg. Obwohl, alleine war sie nicht. „Die drei nebel bohren sich die Scheinwerfer eines Lkw. Herbert wird auf seiner Tour Lebens- Kinder sind auf der Bank neben mir gesessen, die Jüngste – sie war gerade einen Monat mittel zu den Nahversorgern bringen. Dahinter steht eine komplexe Logistik, die alt – in der Trage neben mir.“ Die Hupe heult und die Hoftore öffnen sich. Über den niemals pausiert und auf neueste Technologie ebenso wie auf jahrelange Erfahrung regennassen Gehsteig trappeln alte Frauen herbei und lustig fliegt das Wort von angewiesen ist. Die großen Hallen an den Autobahnzubringern sind Lager und Labors einer zur anderen. Dazwischen, ganz ohne Pause, nennt Elfriede die Preise: „Grau heut’, gleichermaßen. Ausgestattet mit Schlüsseln und Codes betritt Herbert die geisterhaft zwei zehn, wie geht es der Schwiegertochter? Eins siebzig, für Samstag den Striezel? stillen Supermärkte, rumpelt mit den Transportwagerln über die Stufen der kleinen Drei fuffzig, da hätt’ ma dann sieben dreißig.“ Ein kleiner Tratsch ist immer dabei, Greißlereien, nimmt Leergut auf. Das Brummen des Lkw wird von jenen gehört, deren erklärt die fahrende Bäckerin. Schlaf nicht tief und fest ist. Da ist die Marketing- und Regionalberaterin Elisabeth, die noch spät nachts an einem Tourismusprojekt arbeitet. Ihrer Präsentation über die neuen Radwege entlang der aufgelassenen Nebenbahn will sie noch den letzten Schliff Zwölf-Uhr-Läuten. Jede Glocke hat ihren spezifischen Klang, jede Glocke ihre eigene geben. Wenn Herbert am Morgen ins Bett fällt, wird Elisabeth ins Geschäft gehen, Geschichte. Auch aus den Radioapparaten in den Küchen ist Glockengeläut zu hören. um ein stärkendes Frühstück zu besorgen. Das Schlafen verschiebt sie auf die Zeit nach Radio Niederösterreich überträgt täglich das Mittagsgeläut einer anderen Kirche ihrer Präsentation. im weiten Land. Das ist eine bewährte Tradition. Was sich allerdings ändert, ist, dass in den Küchen werktags immer seltener zu Mittag gegessen wird. Österreich liegt im europäischen Spitzenfeld, was die Ausgaben in Speiselokalitäten betrifft. Man gibt hier Schulkinder machen sich auf den Weg. Ihre erste „Unterrichtsstunde“ – das Pendeln. pro Kopf und Jahr 1.160 Euro für die Gastronomie und 2.400 Euro für Lebensmittel aus. 36,1 Prozent der Schüler/innen bzw. Studierenden sind Auspendler aus ihrem Zum Vergleich: In Deutschland werden 840 Euro für Gaststätten oder Take-aways Gemeindegebiet. Aus Niederösterreich pendeln 186.000 Menschen für ihren Job nach und 2.250 Euro für den Kücheneinkauf aufgewendet. In unserer Ortschaft duftet es Wien, insgesamt sind täglich 474.500 Frauen und Männer zu ihrem Arbeitsplatz nach wie vor in vielen Küchen. Ein Großteil der Kinder ist nach Hause gekommen unterwegs. Friedrich sitzt vor dem Computer in seinem Büro in der ehemaligen Milch- und nimmt am Esstisch Platz. Nur 15.000 Schüler/innen, die in Niederösterreich kammer des Bauernhofs. Finanzen, Verwaltung, Förderungen – all das nimmt immer öffentliche Schulen besuchen, nehmen die Nachmittagsbetreuung in Anspruch – das mehr Zeit in Anspruch, obwohl er lieber draußen bei den Teichen sein würde, um das bedeutet allerdings einen rasanten Anstieg, denn im Schuljahr 2003/2004 waren es kommende Abfischen vorzubereiten. Gemeinsam mit seiner Frau Anna hat er 2004 gerade einmal 200 Schüler/innen an 13 Standorten. Auch Senior/innen essen zu Hause. den Milchwirtschaft-Betrieb aufgegeben, um sich vermehrt der Fischzucht widmen zu Viele davon dank des mobilen Services „Essen auf Rädern“. Das Hilfswerk NÖ – eine können. Anna kümmert sich neben ihrer Arbeit als Lehrerin gemeinsam mit ihrer von drei Organisationen neben Volkshilfe und Caritas, die warme Mahlzeiten ausliefert – Tochter, die unter der Woche in Wien wohnt und arbeitet, um die Direktvermarktung hat im Jahr 2015 213.212 Essensportionen in die Häuser und Wohnungen gebracht. der Fischprodukte. Sie führen den Hofladen und bereiten Aufstriche zu. Elisabeth, Grete ist im Ruhestand, hat sich aber nicht zur Ruhe gesetzt. Sie stickt Gold- die sich um den Ausbau der Radwege kümmert, hat mit Anna und allen anderen hauben und gibt ihr Wissen und Können in Kursen weiter. Wenn Grete zu sticken Direktvermarkter/innen der Region in Arbeitskreisen und Workshops ein Konzept zur beginnt, schaut sie prinzipiell nicht auf die Zeit. Diese ist so und so nicht bezahlbar. In Vermarktung von regionalen Produkten und zu sanftem Tourismus ausgearbeitet. In einer Goldhaube stecken 300 bis 400 Arbeitsstunden. Die Goldhauben, die sich Niederösterreich gibt es 40.117 land- und forstwirtschaftliche Betriebe (Stand 2013). aus Kopftüchern entwickelten, sind Teil der bürgerlichen Tracht. Sie wären nach dem Deren Zahl nahm gegenüber der letzten Agrarstrukturerhebung im Jahr 2010 um 1.450 Zweiten Weltkrieg wohl in Vergessenheit geraten – „viele hatten sie in Kriegs- und oder 3,6 Prozent ab. Mit einem durchschnittlichen Rückgang von 1,2 Prozent lag der Besatzungszeit in Fässern bewahrt und vergraben“, erzählt Grete –, hätten die Frauen Strukturwandel in den letzten Jahren unter dem langjährigen Trend von jährlich aus Gresten im Mostviertel nicht ihre Goldhauben aufgesetzt und ein Foto an die zwei Prozent. Die Landwirtschaft und somit auch die Landschaftspflege und der Erhalt Organisatorin des Wiener Opernballes geschickt. Daraufhin wurden sie eingeladen, der Kulturlandschaft werden von Familien getragen – 94,3 Prozent der Landwirt- ihre Goldhauben beim Opernball des Jahres 1956 zu präsentieren. Zu einer Gold- schaft stehen im bäuerlichen Familienbesitz. Die Nebenerwerbsbetriebe sind gegen- haubengruppe könne man beitreten, wenn man eine Haube habe, erklärt die Obfrau über Haupterwerbsbetrieben in der Überzahl (19.613 zu 18.232). Hinsichtlich der des Vereins. 600 Haubenträgerinnen gibt es in Niederösterreich, vorwiegend im Dichte zeigen sich in Niederösterreich regional große Unterschiede. Der Anteil an Mostviertel und in der Wachau. Zum Vergleich: In Oberösterreich sind es 18.000 Haupterwerbsbetrieben ist besonders im Marchfeld, im nördlichen Wiener Becken, in Trägerinnen. Teilen des westlichen Weinviertels, rund um St. Pölten und im westlichen Most- viertel hoch. Im Gemeindeamt ist die Amtsstunde des Bürgermeisters. Die drei Gemeindebedienste- ten im Büro bewältigen tagtäglich eine Fülle von Aufgaben, die unterschiedlicher Es ist mittlerweile 9:30 Uhr. Angela, auch sie eine Pendlerin in die Bezirksstadt, trinkt nicht sein könnten: Das Budget muss abgeschlossen, Beschwerden müssen geschlich- XII in ihrer Vormittagspause einen Kaffee. Sie arbeitet als Pflegerin im Krankenhaus. Sie tet, Anfragen beantwortet, Bauverhandlungen durchgeführt werden, Verordnungen erlernte den Beruf im zweiten Bildungsweg, denn nach der Scheidung und dem damit sind umzusetzen, Veranstaltungen zu organisieren und Arbeiten der Grünraumpfleger verbundenen Ausscheiden aus dem Betrieb ihres Exmannes war sie genötigt, wieder zu koordinieren. Heute aber hat die Präsentation der neuen Radwege oberste Priorität, IX III auf eigenen Beinen zu stehen. Mithilfe guter Freundinnen, die ihre Tochter während und von den Räumlichkeiten bis zum Imbiss, von der Technik bis zum Ablauf ist der Ausbildung immer wieder betreut haben, ist sie nun wieder im Berufsleben: Angela alles zu koordinieren, um eine gelungene Veranstaltung zu gewährleisten. Die Marke- hat eine der 13 Gesundheits- und Krankenpflegeschulen des Bundeslandes besucht ting- und Regionalberaterin Elisabeth wird das 111 Kilometer lange Radwegsystem VI und ist eine von mehr als 8.462 Personen, die diese Schulen 2001 bis 2014 absolviert entlang der ehemaligen Nebenbahn vorstellen, für das sich 15 Gemeinden zusammen- haben. Während der Kaffee für Angela Pausengenuss und Gelegenheit zu einem geschlossen haben. Gasthöfe, Museen und Burgen, Direktvermarkter wie Anna und Plausch bedeutet, ist für Doris Kaffee Existenzgrundlage. Nach einem Aufenthalt in Friedrich mit ihren Fischspezialitäten sind in dieses Angebot eines sanften und nach- Mittelamerika bekam sie die Möglichkeit, im historischen Ortskern unserer kleinen haltigen Tourismus eingebunden. Bei Bioregionen wie jener um das Moorbad Harbach,

108 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 109 Kulturstraßen wie den Weinstraßen oder der Eisenstraße, Genussregionen wie Klingendes Niederösterreich – Musikschulen und Instrumente dem Pielachtal und Kulturlandschaften wie dem Semmering greifen Landwirtschaft, Rund 58.000 Schüler/innen werden von projekte mit Regelschulen und Kinder- Tourismus sowie Betriebe ineinander. Mit ständig steigenden Nächtigungszahlen 2.300 Lehrenden an 128 niederösterreichi- gärten und vieles mehr sind Teil können Niederösterreichs Tourismusbetriebe eine sehr erfreuliche Bilanz ziehen: schen Musikschulen unterrichtet. Sie der musikalischen Basisausbildung und alle prägen und gestalten das kulturelle nehmen auch in der Persönlichkeits- 6.902.456 waren es 2016 – was ein Plus von knapp 100.000 Nächtigungen bzw. Leben ihrer Region wesentlich mit. bildung junger Menschen eine wichtige 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Klassenabende, Konzerte, Kooperations- Rolle ein. Die Nachmittagssonne an diesem Oktobertag ist mild. Hasan arbeitet im Garten. Der Bauer aus der Nähe von Damaskus, Syrien, ist 60 Jahre alt. Auf einen ♪ Musikschüler/innen Arbeitsplatz kann er nicht mehr hoffen. Das Zusammenwirken von Privatpersonen Ensembles und Gemeinde hat es ihm ermöglicht, einen Garten zu bewirtschaften. Mit den Samen ♫ eines libanesischen Gärtners aus Wien, einer uns kaum bekannten Technik für das ♪ Anlegen von Beeten und deren Flutung sowie der Zusammensetzung der Mischkultu- 42 Zither ren wurde daraus ein interkultureller Landbau, der von Wolfgang, emeritierter 832 Elektronisches ♪Tasteninstrument Professor des Institutes für Ökologie und Naturschutz der Uni Wien, als Freund beglei- ♪ tet wird. Zwei Familien aus Afghanistan und Syrien leben in unserer Gemeinde. ♪ 93 Hackbrett Das Engagement zahlreicher Privatpersonen und die wohlwollende Bereitschaft von 141 Orgel Sportklubs und Schulen zeigen, dass Integration gelingen kann, wenn viele an ihr 2.068 Klarinette mitwirken. In 196 von 573 niederösterreichischen Gemeinden sind Asylwerber/innen ♪652 Horn untergebracht. Auch jene Gemeinde, die am meisten Asylwerber im Vergleich zur Gemeindegröße aufnimmt, liegt in Niederösterreich: Puchenstuben bietet mit ♪680 Tenorhorn ♪ 317 Einwohner/innen 53 Asylwerbern (Zahlen von 2015) eine Unterkunft. 1.240 Saxophon ♪ Die Messer aus Florians Werkstatt sind nicht nur überdurchschnittlich hart, ♪ 224 Harfe 2.815 Violine ♪ sondern auch von besonderer Schönheit. Wellenförmige Muster und florale Ornamen- ♪ 124 Fagott tik machen die Klingen zu Kunstwerken. Sie entstehen durch das Verfahren des 241 Tuba 3.207 Flöte Damaszenerstahlschmiedens. Dabei werden mehrere übereinandergelegte Stahlplat- ♪ 131 Viola ten in der Esse zum Glühen gebracht, ehe am Hammer das „Packerl“ dann geschmiedet, gefaltet und abermals geschmiedet, anschließend wieder in die Esse gelegt, nochmals 3.913 Blockflöte ♪ gefaltet und neuerlich geschmiedet wird. Aus 15 Lagen Stahl werden durch das Falten 30 Lagen, danach 60 und so fort. Um die Schärfe zu demonstrieren, reißt Florian 7.029 Gitarre ♪725 Violoncello ♪ sich ein Haar aus und spaltet es – solche Schärfe nennt man Romanschärfe. Der junge 2.191 Gesang TGM-Absolvent und Schmied hat Räume einer einstigen Eisengießerei für sein Unter- ♪584 Posaune ♪ nehmen gemietet. Der große Raum wird von einem tonnenschweren Federhammer 215 Oboe und einem zweimannhohen gusseisernen Kohleofen dominiert. Florian ist ein EPU, ein ♪ ♪ 1.205 E-Gitarre Ein-Personen-Unternehmen. Österreichweit sind nirgends so viele EPUs angesiedelt ♪657 Steirische Harmonika wie in Niederösterreich (65.419), gefolgt von Wien (64.538) und Oberösterreich ♪517 Akkordeon ♪ (46.557 – alle Zahlen von 2016). Exakt 50 Prozent der EPUs kommen aus dem Bereich ♪ ♪ Gewerbe und Handwerk. 218 Flügelhorn 158 Kontrabass

2.125 Trompete ♪348 E-Bass Herbert – wir erinnern uns, er fährt nachts die Lebensmitteltransporte durch Nieder- österreich – ist nun am Sportplatz. Es ist 17:30 Uhr. Im kleinen Supermarkt, den er 3.616 Schlagwerk beliefert, sind die Angestellten dabei, Waren, die nicht mehr verkauft werden, in ♪♪ Schachteln zu packen. Kurz vor Ladenschluss werden Freiwillige vom „Team Österreich 8.246 Klavier Tafel“ kommen, um diese Lebensmittel einzusammeln und sie dann an Mindest- lohn- und Mindestpensionsbezieher abzugeben. Die Ortsgruppe besteht aus zwei Teams mit je etwa zehn Personen. 945 Freiwilligenstunden hat dieses Team in ♪ einem Jahr geleistet und pro Ausgabetag durchschnittlich 300 Kilogramm Lebens- mittel verteilt. Auch Angela ist dafür alle 14 Tage ehrenamtlich tätig. 28 Ausgabe- stellen betreut das „Team Österreich Tafel“ in Niederösterreich.

19:00 Uhr, Gemeindesaal. Elisabeth freut sich über das rege Interesse während der Rad- 2.171 Holzbläserensembles wegpräsentation. Friedrich und Anna servieren dazu Brote mit Fischaufstrich. Zur selben Zeit erledigt Grete Hausarbeit. Hasan sitzt in seinem Garten und genießt die ♫ ♫884 Kammermusik letzten Strahlen der Abendsonne. Florian trifft sich mit seinen Freunden. Ein Tag 236 Akkordeonensembles ♫ neigt sich dem Ende zu. ♫271 Bläserensembles 2.189 Blasorchester Anmerkung: Die Zahlen und Daten sind eine Momentaufnahme. Sie stammen aus den Jahren 2013 bis 2016. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind gewollt, 1.327 Blechbläserensembles die niederösterreichische Gemeinde, die per „Zeigefinger auf der Landkarte“ angetippt ♫ ♫ wurde, ist jedoch eine Fiktion. ♫1.159 Chor-/Vokalensembles ♪ 1.913 Bands 1.387 Ensembles unterschiedlicher Besetzungen ♫800 Blockflötenensembles ♫ ♫1.422 Gitarrenensembles ♫ 110 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 111 Land der Freiwilligen 19.686 Vereine stärken das soziale Gefüge, leisten ehrenamtliche Arbeit für die Gesellschaft, sind Kulturträger und bringen Menschen mit gemeinsamen Interessen zusammen.

1.642 Freiwillige Feuerwehren 1.860 Sparvereine 90 Betriebsfeuerwehren Sparvereine mit dem Namen „Biene“ zählen zu den häufigsten, aber Feuerwehrmitglieder: 96.990 auch alle anderen Namensgebungen – Aktive Mitglieder, Männer: 72.550 von „emsig und fröhlich“ bis „zur Aktive Mitglieder, Frauen: 4.028 langen Nacht“, von „Neuer Welt“ Feuerwehrjugend, Burschen: 3.706 bis „Zapfsäule“ – zeichnen sich durch Feuerwehrjugend, Mädchen: 953 Fantasie und Humor aus. Reserve: 15.753 Der Sparvereinskasten ist eine mit mehreren Geldeinwurfschlitzen ausgestattete große und robuste Spardose zur Wandbefestigung. Jeder der nummerierten oder beschrifteten = 1.000 Feuerwehrmitglieder o= 1.000 Rot-Kreuz-Mitglieder Schlitze führt zu einem eigenen r Sparfach für Münz- oder Papiergeld. Sparkästen werden in Gaststätten ooooo ooooo an einer Wand angebracht und rrrrr rrrrr dienen dem geselligen „Club-“ oder ooooo ooooo „Vereinssparen“ einer festen Gruppe rrrrr rrrrr von Sparer/innen. ooooo oo rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr rrrrr

rrrrr rr

507 Tennis- und 0 Tischtennisvereine 0 8 Rudervereine

25 Unterstützungsvereine3

433 Ortsgruppen 1.400 Chöre und Vokalensembles, 25 Briefmarkenvereine xw Pensionisten: 79.473 Personen; 493 Blasmusikvereine, 69.107 zahlende und 960 Volkskulturgruppen, 26 Brieftaubenvereine 50 Fanclubs 10.366 betreute Mitglieder 400 Theatervereine und 600 Kulturvereine 2 26 Dart-Clubs 54 gemeinschaftliche Tiefkühlanlagen 30 Oldtimer-Clubs s74 Absolventenverbände z 433 46 Züchter, Kleintierzuchtverband 81 Modell-Clubs 1

48 Schach-Clubs 147 Arbeitervereine t

112 Wege in das weite Land u Leben, Alltag und Traditionen 113 Leben, Alltag und Traditionen – die wichtigsten Ereignisse

1192 Spätes 1569 1785 1830 1914–1918 1946 Richard Löwenherz, Dürnstein 13. Jahrhundert Schützengesellschaft Scheibbs Sparsarg Choleraepidemie Flüchtlingslager Gmünd Bildungs- und Heimatwerk Als der englische König Richard I. vom Teiche Schützengesellschaften entstehen ab dem Eine der bekanntesten Neuerungen des Die zweite oder asiatische Cholera- Im Herbst 1914 dringen russische Truppen noch einige Gebäude: Wasserreservoir, 1946 wird das Niederösterreichische dritten Kreuzzug heimkehren will – er ist 12. Jahrhundert in Städten zur Ausbildung Reformkaisers Joseph II. ist der Sparsarg. Pandemie (1829–1849) verbreitet sich in Galizien und der Bukowina ein. In Wachgebäude, Lagerverwaltung (heute Heimatwerk gegründet, mit dem Zweck „inkognito“ unterwegs –, wird er in In Urkunden finden sich ab dem späten wehrhafter Bürger. Scheibbs hat eine Mittels einer Klappe kann der Boden von Indien über Russland bis nach Gmünd wird ein Lager für Binnenflücht- Geschäftslokale) sowie die Schwestern- der Erhaltung und Förderung „wertvoller Erdberg bei Wien erkannt und festgenom- 13. Jahrhundert erste Eintragungen über bedeutende Tradition der Schützengilde. des Sargs geöffnet werden und die in Europa und Amerika. In den Jahren 1830 linge errichtet, in dem 200.000 Menschen heime und das Tor ins Flüchtlingslager. Volkskunst und des altüberlieferten men. Der Kuenringer Hadmar II. lässt Teiche im nördlichen Niederösterreich. Seit 1569 besteht die zünftig organisierte einen Leinensack gehüllte Leiche fällt ins und 1831 fordert die Cholera in Wien auf einem Areal von 550.000 m2 unter- Die Gmünder Neustadt entsteht aus dem Kunsthandwerkes“. Der Geschäftssitz liegt ihn in der Burg von Dürnstein einsperren. Die österreichische Teichwirtschaft hat „Schützengmein“. Nach Ende des Zweiten Grab. Nach einem halben Jahr muss, und Niederösterreich tausende Opfer. gebracht sind. Aus dieser Zeit existieren Lagerkomplex. in der Wiener Herrengasse. Das Heimat- Die Lösegeldverhandlungen bringen vermutlich ihre Ursprünge im nördlichen Weltkrieges werden durch Beschluss ausgelöst durch den Unmut der Bevölke- Cholerakapellen (wie in Baden bei Wien), werk ist eine Beratungseinrichtung dem Babenberger Leopold V. 11.690 kg Weinviertel, von wo sie sich auf das des Alliierten Rates alle Schützenvereine rung, die Weisung wieder zurückgenom- Cholerakreuze (wie in Walterskirchen) für die Pflege des Volkstanzes, des Silber ein. Mit diesem Kapital werden nordwestliche Waldviertel ausbreitet. aufgelöst und ihre Vermögen zugunsten men werden. Der Sparsarg ist keine oder Friedhöfe (wie in Seefeld-Kadolz) Volksliedes und eine Verkaufsstelle für u. a. Wiener Neustadt gegründet der Republik Österreich eingezogen. Erfindung der Josephinischen Zeit. erinnern daran. Trachten. Im Lauf der Zeit wird der sowie Burg und Stadtbefestigung von 1956 erfolgt die Wiedergründung des Seit dem 16. Jahrhundert ist die Form des Bereich der allgemeinen Erwachsenen- Hainburg an der Donau erweitert. „Landesschützenverbands für Wien und Klapp- oder Gemeindesargs bekannt. bildung ausgebaut. 1955 erfolgt die Kaiser Heinrich IV., der die andere Niederösterreich“. Umbenennung in „NÖ Bildungs- und Hälfte des Lösegeldes erhält, gibt es für 1861 Heimatwerk“, das 2014 in die Kultur. einen Feldzug aus. Freiwillige Feuerwehr Region.Niederösterreich eingegliedert wird. 1608 1818 Die erste Freiwillige Feuerwehr Niederös- Horner Bund Des Räuberhauptmanns Tod terreichs wird 1861 in Krems gegründet. Mittlerweile verfügen die Feuerwehren 1960er-Jahre 166 niederösterreichische Adelige Der lang gesuchte Räuber Johann Georg im gesamten Bundesland über fast schließen 1608 in Horn ein Bündnis zur Grasl wird 1818 hingerichtet. Nach 97.000 ehrenamtliche Mitglieder. Es gibt „Gastarbeiter“-Anwerbung Verteidigung ihrer Rechte, insbesondere ihm sind sowohl im nördlichen Waldvier- in ganz Niederösterreich keine einzige der Religionsfreiheit im Lande. Diese tel als auch in Mähren Höhlen benannt, In der Hochkonjunktur der 1960er-Jahre Berufsfeuerwehr, d. h., alle Einsätze werden „Gastarbeiter“ und „Gastarbeite- Bündnisse sollen das Auftreten gegen in denen er sich selbst oder seine Beute werden von Freiwilligen bewältigt. ihren Landesherrn absichern, sind sie doch versteckt hielt. Während er in Nieder- Um 1920 rinnen“ ins Land geholt: Anwerbeanträge werden 1964 erstmals mit der Türkei 1513 der Meinung, dass sie gemeinsam mit österreich eher als Volksheld gesehen Marillenanbau ihm das Land repräsentieren und regieren. wird, wird sein Name „Grázl“ im Tschechi- und 1966 mit Jugoslawien geschlossen. Poststraße Nach zähen Verhandlungen werden schen schimpfwörtlich gebraucht. In der Wachau gibt es derzeit rund zur Umstellung auf die reblausresistente Mangels Alternativen bringt man die 100.000 Marillenbäume auf einer Fläche amerikanische Unterlage erst in den ausländischen Arbeitskräfte, die in den Die erste Poststraße von Wien nach Prag Zugeständnisse erreicht. Allerdings siegt nach militärischen Niederlagen und dem von 350 ha. Die ersten großen Auspflan- 1920er-Jahren bzw. zur Anlage von großen Betrieben im Wiener Neustädter führt über Hollabrunn und Guntersdorf zungen beginnen um 1920, als Folge Marillengärten anstelle der alten Raum arbeiten, in den „Arbeiterkasernen“ nach Pulkau. Bei Drosendorf passiert Dreißigjährigen Krieg der Absolutismus. Die Rekatholisierung des Landes beginnt. der Reblauskrise, die ab 1890 Österreich Stockkulturen. Zwischen 1940 und 1960 aus dem 19. Jahrhundert unter. 1988 sie die Grenze nach Vratenín/Fratting. erfasste. Die Gerichtsbezirke Krems und wächst in der Wachau eine Million werden in Niederösterreich 12.300 in Als nach dem Straßenpatent Kaiser Spitz sind von der Reblaus weniger Bäume, die eine Ernte von 15 Millionen Jugoslawien und 8.800 in der Türkei Karls VI. aus dem Jahre 1720 die damalige befallen, daher sind noch kaum veredelte Kilo einbringen. Geborene gezählt. Kaiser- oder Reichsstraße von Hollabrunn Weinkulturen vorzufinden. So kommt es über Kleinhaugsdorf nach Znaim/Znojmo trassiert und 1746 dem Verkehr über- geben wird, verliert die alte „Böhmische Poststraße“ an Bedeutung. Um 1870 1922 1968 Zeitungswesen Arbeiter-Gebirgstrachten- Blühendes Niederösterreich Waren Periodika vorerst unpolitisch, Christlichsozialen Partei dient. Im selben erhaltungs- und Schuh- Seit 1968 werden in Niederösterreich beginnen um 1870 Zeitungen als Jahr erfolgt die Gründung des „Kremser plattlervereine Österreichs Blumenschmuckwettbewerbe durch- Um 1330 1516 Sprachrohre politischer Strömungen zu Volksblatts“ durch Pfarrer Josef Kienzl. geführt. Die Aktion „Blühendes fungieren. Der St. Pöltner Bischof Joseph 1870 erscheint die Zeitschrift „Gleichheit“ 1908 wird der „Österreichische Reichsver- Niederösterreich“ trägt viel zur Ortsbild- Anfänge der Wallfahrt Kollmitzberger Kirtag Feßler erwirbt 1869 den „St. Pöltner in Wiener Neustadt, ab 1874 als Organ band für alpine Volks- und Gebirgstrach- gestaltung bei. Die jährlichen Landes- ten-Erhaltungs-Vereine“ gegründet. Nach Ab 1330 sind größere Pilgerzahlen nach Am Kollmitzberg in der Gemeinde Boten“, der eine katholisch-konservative der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei sieger werden aus vier Kategorien (nach Haltung vertritt und später als Organ der Österreichs. dem Ersten Weltkrieg kommt es aus Einwohner/innen gestaffelt) ermittelt. Mariazell urkundlich belegt. Flurheilig- Ardagger wird nachweislich seit 1516 ein 1781 1824 politischen Gründen zu einer Aufspaltung tümer, kultisch aufgeladene Bergkuppen Kirtag abgehalten. Damit ist der zweitägi- Untertanenpatent Landeshymne in mehrere Dachorganisationen. Da viele und „Bründl“ sind Orte, zu denen sich ab ge Kirtag rund um die Wallfahrtskirche Mitglieder der örtlichen Vereine Arbeiter dem Mittelalter Wallfahrten entwickeln. hl. Ottilia der älteste in Niederösterreich. Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft Über 20 Jahre lang kommt Ludwig sind, entsteht 1922 die Bewegung der Am Sonntagberg lässt Abt Benedikt I. Alljährlich kommen Ende September 1781 durch Kaiser Joseph II. wird Bauern van Beethoven als Kurgast regelmäßig „Arbeiter-Gebirgstrachtenerhaltungs- und 1995 von Seitenstetten 1440 eine Kapelle bis zu 40.000 Gäste. Die volkstümliche erstmals gestattet, ihren Wohnsitz nach Baden. Auch in Mödling und Schuhplattlervereine Österreichs“. In Weltcup-Rennen erbauen, damit beginnt die Wallfahrt im Bezeichnung „Schusterkirtag“ hat sich im frei zu bestimmen und sich frei zu Gneixendorf hält er sich gerne auf. Es Niederösterreich ist Wiener Neustadt das Semmering Mostviertel. Der Zustrom der Wallfahrer 19. Jahrhundert eingebürgert und geht verheiraten. Ihre Kinder dürfen den Beruf passt also gut, dass eine Komposition von Zentrum, denn nahezu drei Viertel aller ist so groß, dass zunächst eine größere vermutlich auf marodierende napoleoni- frei wählen. Joseph II. sind in einigen Beethoven, sein 1824 komponiertes niederösterreichischen Arbeitertrachten- Zum ersten Mal findet in Niederöster- Kapelle gebaut werden muss, 1490 folgt sche Truppen zurück, die Kirchenbesu- niederösterreichischen Ortschaften Bundeslied op. 122, die Melodie für die vereine (26 von 36) liegen im Industrie- reich ein Weltcup-Rennen statt. Der die spätgotische Kirche und ab 1706 die cher/innen am Kollmitzberg Schuhe und Denkmäler gewidmet: in Bad Vöslau, niederösterreichische Landeshymne viertel. Slalom für Damen wird auf dem Hirschen- barocke Wallfahrtskirche. Stiefel raubten. Drösing, Edlach, Gmünd, Groß-Siegharts, bildet. Den Text „Oh Heimat, dich zu kogel ausgetragen. Vor allem der Nacht- Heldenberg, Krems, Langenlois, Press- lieben, getreu in Glück und Not“ verfasst slalom liefert beeindruckende Bilder baum, Poysdorf, Schrattenthal, Weitra, der Schriftsteller Franz Karl Ginzkey vom „Zauberberg“ in die ganze Welt. Wiener Neustadt und Ybbs an der Donau. nach dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 20.000 Zuschauer/innen sind am Semmering dabei.

1896 Alpiner Skilauf 2013 Der Lehrer und Begründer des alpinen Galgenberg bei Wildendürn- Skilaufs, Mathias Zdarsky (1856–1940), bach – Kellergasse des Jahres lässt 1896 beim Wiener Patentamt seine Skibindung (Nummer 31.366) eintragen. Ausschlaggebend für die Auswahl Es folgen die Herausgabe des ersten der „Kellergasse des Jahres“ waren laut praktischen Skilehrbuches, „Lilienfelder Juryvorsitzenden und Autor Alfred Skilauf-Technik“, sowie die Gründung des Komarek der „vielschichtige Dialog mit Internationalen Alpen-Skivereins (1900). vorhandenen Gegebenheiten“ sowie „die Gemeinschaftsleistung der Menschen von Wildendürnbach über Generationen hinweg“.

114 Wege in das weite Land Leben, Alltag und Traditionen 115 Im Lauf der Zeit Ernst Bruckmüller Ernst Lauermann Von der Urgeschichte Stefan Eminger bis zur Gegenwart Christian Rapp

Venus von Willendorf | Reiterkrieger | Situla von Kuffern | Limes | Awaren, Slawen, Magyaren | Koloman | Klostergründung | Babenberger | Die „Schwaben“ | AEIOU | Wiener Neustädter Blutgericht | Lutheraner | Türkenbelagerung | Bauernkrieg | Die Stände | Gegenreformation | Bauwurm | „Glückseligkeit des Staates“ | Toleranzpatent | Erdäpfel | Staatspleite | Aspern und Wagram | Revolutionsjahr | „Bauern- befreiung“ | Liberalismus | Parteitag von Hainfeld | Bauernbund | Kriegserklärung | Mangelwirtschaft | Aufmärsche | „Ständische“ Landesverfassung | „Anschluss“ | Vernichtungspolitik | Befreiung und Besatzung | Gemeindezusammenlegung | Dorferneuerung | AKW Zwentendorf | Neue Landeshauptstadt | Ostöffnung | Europaregion | Babenberger Stammbaum im Augustiner- Chorherrenstift Klosterneuburg. Mittelteil des dreiteiligen Gemäldes mit Rund- bildern aller Babenberger in Szenen aus ihrem Leben, 1489–1492. Von den Steinzeitjägern zu den Langobarden Im Lauf der Entwicklung der Menschheit lebten längere Zeit verschiedene Menschen-

Ernst Lauermann arten gleichzeitig auf der Erde. Die Neandertaler werden häufig als erste Europäer bezeichnet, handelt es sich doch um die einzige Menschenform, die sich vor etwa 250.000 Jahren unabhängig in Europa entwickelt hat. Noch vor 30.000 Jahren lebten Neandertaler und der heutige Homo sapiens nebeneinander. Die Lebensbedingungen in Mitteleuropa waren durch das wechselvolle eiszeitliche Klima jedoch schwierig. Das kühl gemäßigte Klima mit mehr oder weniger strengen Wintern verlangte spezielle Überlebenstechniken. Der bislang bedeutendste Fundplatz des Neandertalers in Niederösterreich ist die Gudenushöhle bei Hartenstein im Kremstal. Sie kann als echte Wohnhöhle bezeichnet werden und wird auf etwa 70.000 v. Chr. datiert. Zwischen 40.000 und 35.000 v. Chr. dürfte der aus dem Osten kommende Homo sapiens sapiens in unserem Raum den Neandertaler abgelöst haben. Die lange Urgeschichte Niederösterreichs hat begonnen.

Die Zwillinge vom Wachtberg, Venus und Fanny – Niederösterreich im Paläolithikum (bis ca. 10.500 v. Chr.) Die Jäger der letzten Eiszeit passten sich dem jahreszeitlichen Rhythmus der wandernden Wildtierherden an, die immer wieder Wasserstellen aufsuchten – so eben auch das Donautal. Hier errichteten die Menschen in der Nähe der Wildpfade Lagerplätze. Gejagt wurden hauptsächlich Mammut, Wildpferd und Riesenhirsch. Einer dieser temporär genutzten Wohnplätze lag bei Kammern, zwischen Hadersdorf am Kamp und Langenlois, wo auch das Fragment einer Knochenflöte aus Rentier- knochen entdeckt wurde. Von großer internationaler Bedeutung ist die Fundstelle am Wachtberg in Krems: Bei Grabungen von 2005 bis 2006 konnte die Doppelbestattung zweier Neugeborener freigelegt werden, eine Weltsensation: zum einen, weil es sich um Neugeborene handelt, zum anderen, weil das über die beiden Körper gelegte Schulterblatt eines Mammuts und die sorgfältige Gestaltung des Grabes zum ersten Mal die hohe Wertschätzung auch von jüngsten Mitgliedern durch die Gemeinschaft belegen. In Stratzing wurde 1988 eine einzigartige weibliche Statuette aus stark glänzendem Schiefer gefunden, die zehn Gramm schwere Fanny von Stratzing (auch „Venus vom Galgenberg“ genannt). Ihr Alter wird mit 38.000 Jahren angegeben. Weltberühmt ist Willendorf in der Wachau mit der 1908 dort gefundenen Venus von Willendorf. Sie wird, wie jüngste Lössuntersuchungen zeigen, auf zirka 29.500 v. Chr. datiert. Weder die Bedeutung der Venus noch jene der älteren Fanny sind bis heute geklärt. Bei der Venus von Willendorf verblüfft allerdings, wie eine nomadische Sammler- und Jägerkultur eine derart üppige Person, die eher für eine sesshafte Lebensweise sprechen würde, so realistisch darstellen konnte. Die mit dem Ende der letzten Eiszeit um 10.500 v. Chr. einsetzende Epoche, die bis zum Beginn der bäuerlichen Kultur in unserem Raum um 5500 v. Chr. dauerte, wird als Mesolithikum bezeichnet. Durch das langsame Ansteigen der Durchschnittstemperatur schmolzen die Gletscher, was zu einer grundlegenden Veränderung von Fauna und Flora führte. Wichtige Fundorte des Spätpaläolithikums sind der Galgenberg bei Horn und der Bisamberg.

Venus von Willendorf, Statuette aus Kalkstein, um 25.000 v. Chr. entstanden. Fotografie von Gerhard Trumler, 1990.

Die Knochenflöte vom Grubgraben bei Kammern, Langenlois.

118 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 119 Die erste Aufgabe der ankommen- Rasanter Wandel im Neolithikum (6. Jahrtausend–2300/2200 v. Chr.) den Bauern bestand darin, in Vor mehr als 10.000 Jahren begannen Jäger und Sammler im „Fruchtbaren den dichten Eichenmischwäldern Halbmond“ des Vorderen Orients, der von Jordanien bis zum Persischen Golf reichte, Platz für Siedlungen und Felder allmählich Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Mit dem Übergang zur produ- zu schaffen, denn die Anbau- und zierenden Wirtschaftsweise nahm auch die Viehhaltung ihren Anfang. Der Hund gilt Zuchtmethoden mussten dem als das erste Haustier des Menschen, er wurde bereits im Mesolithikum nachgewiesen. Klima und der Waldvegetation Der Wechsel von der – als Jäger – aneignenden zu der – als Bauer – produ- angepasst werden. zierenden Wirtschaftsweise ermöglichte den Menschen eine sesshafte Lebensweise in dorfähnlichen Siedlungen. Die Arbeitsmittel des Bauern wurden geschaffen: Ackerbaugeräte wie Erntemesser, Hacken und Pflug, Mahl- und Drescheinrichtungen, Mörser und Stampfer für die Aufbereitung der Nahrungspflanzen, keramische Gefäße für die Vorratshaltung und das Kochen, Backöfen für die Herstellung von Brot und geschliffene Steinbeile für die Holzbearbeitung. Die erste Aufgabe der ankommenden Bauern bestand darin, in den dichten Eichenmischwäldern Platz für Siedlungen und Felder zu schaffen, denn die Anbau- und Zuchtmethoden mussten dem Klima und der Waldvegetation angepasst werden. Um etwa 7000 bis 4000 v. Chr. herrschte ein angenehm warmes und auch feuchteres Rekonstruktion eines Hauses aus Klima. Die Tanne bildete mit der Buche und mit der Fichte Mischwälder. Im öst- der Zeit der älteren Linearband- keramik (5600/5500–4900 v. Chr.), lichen Flachland waren Wälder mit Eichen, Föhren, Fichten und Birken verbreitet. Asparn an der Zaya. Die neue Lebensart erlaubte eine veränderte Ernährung. Der Verzehr von Schaf- und Ziegenfleisch, von Einkorn, Emmer, Gerste, Hirse, Linse, Erbse und Leinsamen war für die einheimischen Jäger und Sammler völlig neu. Vieles spricht aufgrund der Ernährung und der Tierhaltung dafür, dass die ersten Bauern Einwanderer aus dem Südosten waren.

Der Übergang zur Landwirtschaft – die Zeit der Linearbandkeramik (5600/5500–4900 v. Chr.) Kreisgrabenanlage von Friebritz. Die ersten Bauern hatten 800 bis 1.000 Jahre lang eine relativ einheitliche „Venus von Falkenstein“, 13 cm hohe Kulturform. Nach der typischen Verzierungsweise ihrer Tongefäße wird sie als bemalte Statuette der Lengyel-Kultur, linearbandkeramische Kultur bezeichnet. Die bandkeramischen Fundstellen liegen um 4500 v. Chr. Die gelbe Bemalung durchwegs in unmittelbarer Nähe kleinerer Bäche und Flüsse, die Donau wurde der Haut und andere Details (Schürze, schwarze, gewellte Haare) sind zu hingegen gemieden. Über die flächenmäßige Ausdehnung und Größe der ersten erkennen. Der abstrakte Kopf sitzt auf Dörfer aus der Zeit der älteren Linearbandkeramik in unserem Raum ist man einem überlangen Hals. noch unschlüssig, da bisher nur die Siedlungen von Brunn (als wohl älteste), Strögen und Rosenburg teilweise ausgegraben wurden. Die Häuser hatten einen langrecht- eckigen Grundriss, waren 15 bis 20 Meter lang und rund sechs Meter breit. Eine Sie wurden vor allem in Siedlungen entdeckt und werden daher häufig als Magna jüngere Spielart der Linearbandkeramik, die sogenannte Notenkopfkeramik, gehört Mater interpretiert. Die Große Mutter gilt als Darstellung des beschützenden, zu den besterforschten Kulturen Europas. Das Siedlungsgebiet hatte sich noch schöpferischen Lebensquells und als Symbol des Geborgenseins in Liebe und Fürsorge. etwas erweitert. Asparn/Schletz und Franzhausen sind Beispiele für solche Siedlungen, Zu den herausragenden Hinterlassenschaften dieser Periode gehören die die eine Fläche von ein bis sechs Hektar umfassten. Klar erkennbare Hausgrund- Kreisgrabenanlagen, von denen allein in Niederösterreich 40 bekannt sind, beispiels- risse brachten Grabungen in Asparn/Schletz, Rosenburg, Franzhausen oder jüngst weise in Kammegg, Strögen, Rosenburg, Glaubendorf, Puch, Immendorf, Friebritz, in Saladorf, Pottenbrunn und Rannersdorf zutage. Michelstetten, Mühlbach, Simonsfeld, Steinabrunn, Wetzleinsdorf und Wilhelmsdorf. Im Zuge der Ausgrabung von Asparn/Schletz wurden auf der Sohle eines Kreisgrabenanlagen traten ab dem Beginn der Lengyelkultur um 4900/4850 v. Chr. Grabensystems zahlreiche stark fragmentierte menschliche Skelette gefunden. auf. Das Weinviertel und Südmähren können als Zentrum der Verbreitung angesehen Die Zahl der Individuen schätzt man auf über 100. Die Befunde sprechen für werden. Gemeinsame Merkmale der Anlagen sind der Grabenverlauf, die Anzahl ein gewaltsames Ende der Siedlung. Eine anthropologische Untersuchung stellte der Gräben, ein V-förmiger Querschnitt aller Gräben, die bis zu vier Eingänge über an 67 Skeletten tödliche Schädelverletzungen fest, die durch scharfe und stumpfe Erdbrücken aufweisen. Meist gibt es Palisaden entlang des Innengrabens sowie Gewaltanwendung hervorgerufen worden waren. Es ist anzunehmen, dass nahe- ein freies, unbesiedeltes Zentrum, das Einbauten enthalten kann. Welche Funktion zu die gesamte Population dieser Siedlung durch einen gewaltsamen Überfall die Anlagen hatten, ist unklar. Es könnte sich um gebaute Kalender, um Sternobser- ausgelöscht wurde. Die wissenschaftliche Auswertung ist jedoch noch nicht vatorien, um Marktplätze, um Zufluchtsorte in Krisenzeiten oder um allgemeine abgeschlossen. Der Befund von Schletz ist indes kein Einzelfall in Europa. Solche Versammlungsplätze für religiöse und politische Zwecke gehandelt haben. Der Kreis- Funde zeigen, dass die einst für so friedlich gehaltene Steinzeit durchaus auch graben in Friebritz gilt als älteste derzeit bekannte Anlage. In Schletz befindet sich eine massive Gewalt gekannt hat. einfache Kreisgrabenanlage mit zwei Toranlagen und Innenpalisade. Sie wurde im Zuge der Niederösterreichischen Landesausstellung 2005 in Glaubendorf rekonstruiert. Idolplastiken und Gefäße – die bemaltkeramische Kultur (4900–4300 v. Chr.) Von Rad und Reiterkriegern – Zwischen 4800 und 4700 v. Chr. entwickelte sich im Bereich des mittleren Spätneolithikum (4300–2300/2200 v. Chr.) Donauraumes eine neue mittelneolithische Kultureinheit, die sogenannte Lengyel- Mit der Zeit veränderten sich die Lebensbereiche der Menschen. Ihre Dörfer Kultur, die sich durch die farbige Bemalung der Gefäße und zahlreiche Idolplastiken wurden kleiner, und auch die Gesellschaften entwickelten sich nun kleinräumiger. charakterisiert. Als besonders gut erhaltenes Exemplar kann die Venus von Falken- Die Zähmung des Wildpferdes hatte Die Erfindung des Rades machte die Menschen aber auch mobiler. Im 4. Jahrtausend Zu den herausragenden stein angesehen werden. An dieser Plastik erkennen wir die gelbe Bemalung der „Haut“, zur Folge, dass sich der Typus des v. Chr. wurden in Mitteleuropa erstmals Holzscheibenräder verwendet. Neue Siedlungs- Hinterlassenschaften dieser die schwarze, aus schräg gestellten Mäandern gebildete Schürze, die schwarzen Reiterkriegers mit Pfeil und Bogen arten wie befestigte Höhensiedlungen und Ufersiedlungen traten auf, Tote wurden Periode gehören die so- gewellten Haare, die auch an Kinn und Hals abgebildet sind und möglicherweise einen entwickeln konnte. Er konnte nunmehr unter Hügeln bestattet, und die ersten Metalle – Kupfer und Gold – wurden genannten Kreisgrabenanlagen. Bart andeuten, einen roten Gürtel und eine große Doppelspirale unter der Brust. rascher angreifen, sich rascher bekannt. Die Zähmung des Wildpferdes hatte zur Folge, dass sich der Typus des Reiter- Allein aus Niederösterreich Auch auf dem abstrakten Kopf findet sich noch ein kleiner roter Punkt, der als zurückziehen und war damit den kriegers mit Pfeil und Bogen entwickelte. Er konnte rascher angreifen, sich rascher sind über 40 bekannt. Schmuck zu deuten ist. Die Bedeutung derartiger neolithischer Statuetten ist unklar. Fußkämpfern enorm überlegen. zurückziehen und war damit den Fußkämpfern enorm überlegen.

120 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 121 Die Kinder lagen in seitlicher Mit der Herausbildung der Aunjetitz-Kultur im ausgehenden 3. Jahrtausend v. Chr. Hockerlage, die Körper und nahmen die Ausbeutung der Lagerstätten und der Handel zu. Eine entscheidende Gesichter einander zugewendet. Rolle spielte dabei die Anlage von Horten. Darunter versteht man Gegenstände, die Sie hielten sich an Armen und absichtlich vergraben, niedergelegt oder versenkt wurden. Möglicherweise handelte Schultern, als ob sie sagen es sich um vorübergehende Hinterlegungen, sodass der Hort später wieder gehoben wollten: „Uns kann auch der werden konnte. Tod nicht trennen.“ Die Bevölkerung nahm vom 3. zum 2. Jahrtausend kaum zu. Die meisten Siedlungen lagen, ebenso wie in der Jungsteinzeit, in der Nähe fruchtbarer Böden, im Flachland, an Hängen oder auf Hügeln in Wassernähe. Es gab aber auch befestigte Höhensiedlungen an strategisch wichtigen Stellen, die für ihr Umland Zentrumsfunk- tion hatten, wie etwa der Buhuberg bei Waidendorf, der Michelberg bei Haselbach, das Hochfeld von Böheimkirchen oder Spielberg bei Melk. Auch waren Höhensiedlun- gen oft miteinander verbunden und bildeten so einen geschlossenen Verkehrsraum. Nicht weit von den Siedlungen entfernt lagen die Gräber. Über Landwirtschaft und Ernährung der Bronzezeit geben uns botanische und zoologische Untersuchungen Auskunft. Analysen in Stillfried ergaben eine Kombination von Getreide (Dinkel, Rispenhirse, Einkorn und Gerste), Hülsenfrüchten (Erbse, Linse, Saubohne) und Ölpflanzen (Schlafmohn, Leindotter). In der Viehwirt- Kupferzeitlicher Metallhortfund mit schaft spielte nunmehr das Rind eine wichtige Rolle, Schaf, Ziege und Hausschwein zwei Goldscheiben aus Stollhof. hatten dagegen eher untergeordnete Bedeutung. Auch die Nutzung des Haushundes Reiterkrieger der Glockenbecherzeit. In dieser Zeit wurde im Osten Österreichs erstmals Kupfer verarbeitet, wie Bruch- als Fleischtier ist noch belegt. Das Untere Traisental war in der Frühbronzezeit ein Umzeichnung nach Probst, 1996. stücke von Schmelztiegeln vom Bisamberg und aus Mitterretzbach belegen. Ein dicht besiedelter Kernraum der Unterwölblinger Kulturgruppe. So reiht sich etwa spektakulärer Metallfund wurde in Niederösterreich 1864 in Stollhof an der Hohen in Franzhausen in lockerer Folge Gehöft an Gehöft. Die Herren dieser Gehöfte müssen Wand gemacht. Der Depotfund enthält u. a. zwei Goldscheiben. In den folgenden wohl Großbauern gewesen sein, die auch eine Rolle beim Vertrieb des Metalls ein- jungneolithischen Trichterbecherkulturen breitete sich der Gebrauch des Kupfers aus. genommen haben. Hauptsächlich wurde das seltene Metall für Flachbeile, schwere Äxte und Dolche verwendet. Eine der seltenen Kupferäxte wurde in Bruderndorf im Bezirk Korneuburg Bestattungswesen der Frühbronzezeit gefunden. Typisch für die Aunjetitz-Kultur war es, Verstorbene in Hockerlage und in Der neue Rohstoff Kupfer kam aus dem Alpenvorland Niederösterreichs Flachgräbern zu bestatten. Die Toten wurden auf die rechte Körperseite gelegt, und aus den alpinen Gebieten Salzburgs, Tirols und der Steiermark. Kupfer wurde der Kopf nach Süden, das Gesichtsfeld nach Osten gerichtet. Das größte Gräberfeld in anfangs in reiner Form obertägig gewonnen. Gesteigerte Nachfrage machte bald Berg- Niederösterreich mit 42 Gräbern befindet sich in Unterhautzental. Dort wurde die werke notwendig. Dies erforderte enormes Spezialwissen: Nicht jeder konnte Erz überaus berührende Doppelbestattung eines zweijährigen und eines sechsjährigen abbauen und verarbeiten. In der Folge kam es zu gesellschaftlichen Unterschieden. Kindes gefunden. Sie lagen in seitlicher Hockerlage, die Körper und Gesichter einander Spezialisierte Handwerker verarbeiteten Kupfer zu Schmuck, schweren Äxten und zugewendet, und hielten einander an Armen und Schultern, als ob sie sagen wollten: Beilen. Weit reichende Handelsbeziehungen brachten aber auch andere Rohstoffe „Uns kann auch der Tod nicht trennen.“ nach Mitteleuropa: Bernstein etwa importierte man aus dem Ostseeraum und verarbeitete ihn zu Anhängern oder Perlen, Gold wurde am „Eisernen Tor“ in Sieben- bürgen gewonnen. An das Ende der Jungsteinzeit ist die sogenannte Glockenbecher- kultur zu stellen. Diese Periode kennzeichnet das an eine umgedrehte Glocke erinnernde, mit horizontalen Ornamenten versehene Gefäß. Die Glockenbecherkultur war um 2600/2500 v. Chr. in Bayern, Böhmen, Mähren, Ostösterreich und Ungarn heimisch. Sie entwickelte sich parallel zur Schnurkeramik. Zur Ausstattung der Männergräber gehörten, abgesehen von Gefäßen, kleine dreieckige Feuerstein- pfeilspitzen und sorgfältig aus Stein geschliffene rechteckige Armschutzplatten, die das Zurückschnellen der Sehne beim Abschießen des Pfeils verhindern sollten.

Hierarchische Gesellschaften in der Bronzezeit (2300/2200–800/750 v. Chr.) Die Verbreitung der Bronze über ganz Europa führte zu einer neuen Epoche. Die Bronzezeit ist durch das Entstehen einer „Oberschicht“ geprägt. Die Gliederung der sozialen Schichten – ob Handwerker, Bauer oder Krieger – lässt sich anhand spezifi- scher Grabbeigaben archäologisch gut nachweisen. Härte und Zähigkeit der Bronze und die Möglichkeit, das Metall in beliebige Formen zu gießen, ermöglichten die Produktion von überlegenen Waffen und Werkzeugen. Das für die Herstellung von Bronze notwendige Zinnerz ist in Europa nur an wenigen Stellen nachgewiesen, etwa in Cornwall oder im Erzgebirge. Deshalb wurde verstärkt Fernhandel notwendig, der auch für einen intensiveren Kulturaustausch sorgte. Der begehrte Rohstoff wurde als Barren gehandelt. Auch Werkzeuge oder Schmuck konnten die Funktion von Barren erfüllen. In der Frühbronzezeit (2300–1600 v. Chr.) gab es in Niederösterreich drei Das für die Herstellung von Bronze unterschiedliche Kulturen: Die Zone nördlich der Donau – Weinviertel und Ostrand notwendige Zinnerz ist in Europa des Waldviertels – hatte Anteil an der Aunjetitz-Kultur. Südlich der Donau und östlich nur an wenigen Stellen nachgewiesen, des Wienerwaldes sowie im nördlichen Burgenland entwickelte sich die Wieselburger etwa in Cornwall und im Erzgebirge. Kulturgruppe, die ihren Namen der deutschen Entsprechung für die ungarische Deshalb wurde verstärkter Fern- Stadt Mosonmagyaróvár verdankt. Im Alpenvorland zwischen Enns und Wienerwald, Frühbronzezeitliches Frauengrab handel notwendig, der auch für einen besonders aber an den Unterläufen der Nebenflüsse der Donau wie Enns, Ybbs, Melk mit Bronzekopfzier (Verf. 110) intensiveren Kulturaustausch sorgte. und Traisen lagen die Verbreitungsschwerpunkte der Unterwölblinger Kulturgruppe. aus dem Gräberfeld Franzhausen I.

122 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 123 Weitere wichtige Fundorte stellen Bernhardsthal, Ebendorf, Gaubitsch, Großweikers- dorf, Kleinhadersdorf, Laa/Thaya, Roggendorf und Schleinbach dar. Als Grabformen sind einfache Flachgräber, solche mit Steineinbauten, aber auch Gräber mit Holz- einbauten und Brandgräber bekannt. Die Toten wurden primär einzeln bestattet. Die Nekropolen der Unterwölblinger Kulturgruppe wie etwa Franzhausen I und II sind im Vergleich zu jenen im nördlichen Niederösterreich wesentlich größer und wurden oftmals über Jahrhunderte benutzt. 716 Bestattungen umfasst etwa die Nekropole Franzhausen I, hier wurden rund 600 Jahre Menschen aus der Umgebung bestattet. Geht man von einer Lebenserwartung von durchschnittlich etwa 25 Jahren aus, dann hätten die entsprechenden Siedlungsplätze nicht mehr als 30 Personen pro Generation beherbergt. Männer wurden etwas anders als Frauen beigesetzt. Tote beiderlei Geschlechts trugen Glas- und Bernsteinperlen. In männlichen Gräbern stieß man auch auf goldene Lockenringe. Im Grab 110 von Franzhausen I wurde eine etwa 25- bis 30-jährige Frau mit einer fein mit Bronzeblech besetzten Kopfbedeckung beigesetzt. Darunter lagen ein Stirnblech mit Perlenrand, drei Noppen- und ein Spiral- ring, die vielleicht als Zopfringe für eine aufwendig gestaltete Frisur gedient haben. Im Gegensatz zu diesem Reichtum in den Gräbern scheint die Ernährung zumindest eines größeren Teils der Bevölkerung mangelhaft gewesen zu sein. Die medizinisch- anthropologischen Untersuchungen der Kinderbestattungen ergaben, dass 45 Prozent der Kinder wiederholt Wachstumsstillstände infolge von Mangelerscheinungen durchgemacht hatten. Mehrfach wurden Knochenmarksentzündungen nachgewiesen, bei den Erwachsenen stellte man Karies, Gelenks- und Wirbelerkrankungen fest. Doppelbestattung von zwei Kindern Der Siedlungsraum der Wieselburger Kultur erstreckt sich östlich des Wiener- aus Unterhautzental. waldes zwischen der Donau im Norden und der Raab im Südosten. Siedlungen in Bronzediadem aus Grab 26a von Pitten. für die Befestigung der Siedlung in Stillfried könnte die Sicherung eines wichtigen Niederösterreich sind aus Fischamend, Mannersdorf, Schwechat und Sommerein Handelsplatzes der Bernsteinstraße gewesen sein; die Siedlung über dem Kamptal bekannt. Wichtige Bestattungsplätze liegen in Mannersdorf am Leithagebirge und vor bei Thunau zählt mit rund 23 Hektar Fläche zu den bedeutendsten Zentralorten allem in Hainburg/Teichtal. der Urnenfelderzeit im nördlichen Niederösterreich. Grundlage des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens waren die dörflichen Die Entwicklung von Waffen und Geräten – Strukturen, die aus den Gehöftgruppen der frühen und mittleren Bronzezeit Mittel- und Spätbronzezeit (1600–800/750 v. Chr.) hervorgegangen waren. Es kam zu einer Konzentration der Siedlungsplätze, aber Die mittelbronzezeitliche Hügelgräberkultur erstreckt sich von Ostfrankreich auch der Bevölkerung. Die Häuser in den urnenfelderzeitlichen Dörfern sind bis Westungarn. Die Fundlage in Niederösterreich ist eher bescheiden, was angesichts unterschiedlich groß und zum Teil auch mehrschiffig. In Pottenbrunn wurden drei- der reichen frühbronzezeitlichen Besiedlung unseres Gebietes verwundert. Eines schiffige Gebäude, in der Siedlung von Pixendorf zwei- und dreischiffige Häuser der wichtigsten mittelbronzezeitlichen Gräberfelder Mitteleuropas wurde in den sowie kleinere Hütten und Wirtschaftsbauten nachgewiesen. Auch stieß man 1960er- und 1970er-Jahren in Pitten ausgegraben. Es war an der Wende zur mittleren auf mehrere Brunnen, deren hölzerne Brunnenkästen im anstehenden Grundwasser Bronzezeit entstanden. 221 Gräber wurden freigelegt. Die Männer hatte man zumeist vollständig erhalten waren. unverbrannt, Frauen dagegen überwiegend verbrannt beigesetzt. Die Bestattungs- weise leitet zur späten Bronzezeit über, in der Brandbestattungen allgemein üblich Früher Bergbau in Niederösterreich wurden. Die jüngste Phase des Gräberfeldes von Pitten umfasst den Übergang von Österreich gilt als klassisches Land der urgeschichtlichen Bergbauforschung. der jüngeren Hügelgräberzeit zur frühen Urnenfelderzeit (1350 bis 1250 v. Chr.). Besonders groß ist die Bedeutung des Kupferabbaus für die Kulturen des 2. und 1. Jahr- In Pitten wurden auch besondere Schmuckstücke wie drei reich verzierte Diademe aus tausends v. Chr. Bronze gefunden. Die Diademe trugen Frauen, die wohl der Oberschicht zuzurechnen Die frühen Kupferkieslagerstätten befinden sich ausschließlich in der Grau- sind. In der Zeit der Hügelgräberkultur war es außerdem üblich, Tongeschirr in wackenzone Tirols, Salzburgs, der Steiermark und Niederösterreichs. So wurde im Großgefäßen zu deponieren. Zu nennen sind hier die Depots von Mistelbach, Herzo- Gebiet Prein-Payerbach mehrfach urnenfelderzeitliche Kupferverhüttung nach- genburg, Schrattenberg, Großmugl, Raschala, Maisbirbaum und Bad Pirawarth. Die gewiesen, etwa bei Hirschwang, auf dem Kulmberg, in Payerbach, Prigglitz, Reichenau, Tonwaren könnten nach ihrer vermutlich sakralen Verwendung im Boden vergraben Sieding und Stixenstein. In Prein an der Rax traten gleich mehrere Schmelzplätze worden sein, um eine weitere Benützung und „Entweihung“ zu verhindern. zutage. Zur Herstellung von Waffen, Werkzeugen und Schmuck verwendeten die Im 13. Jahrhundert v. Chr. entstand in Mitteleuropa ein neuer Kulturkreis, der Bronzeschmiede komplizierte Guss- und Treibtechniken. Es gibt sorgfältig gearbeitete nach der bevorzugten Bestattungsform, der Brandbestattung, Urnenfelderkultur Prunkstücke wie Schwerter und Bronzegefäße. Neue Gerätetypen der Spätbronze- genannt wird. Die Urnenfelderzeit war eine der blühendsten Epochen der mitteleuro- zeit sind einschneidige Bronzemesser und Sicheln. Fibeln, die „Sicherheitsnadeln der päischen Urgeschichte. Bis dahin dünn besiedelte Gebiete wurden infolge günstiger Urzeit“, lösten die einfachen Gewandnadeln ab und veränderten die Tracht. Bei der klimatischer Bedingungen verstärkt erschlossen. Bevölkerungsverschiebungen lassen Spindlersfelder Fibel aus einem Grab von Hollabrunn/Aspersdorfer Straße handelt es aber auch vermuten, dass es sich um unruhige Zeiten handelte. Dafür sprechen sich um ein besonders schönes Beispiel. nicht zuletzt zahlreiche sogenannte Verwahrfunde, die gesteigerte Waffenproduktion Von großer Bedeutung sind die Bronzedepots der Bronzezeit und der älteren sowie die Zunahme von Befestigungsanlagen. Für die Reise ins Jenseits wurden die Hallstattzeit. Der niederösterreichische Raum gehört zum östlichen Verbreitungs- Toten mit Speisen und Getränken ausgestattet; abgefüllt in Tassen, Schalen und Be- bereich, gemeinsam mit Südmähren, Ungarn und einem Teil des Balkans. Beispielhaft chern – gemeinsam mit persönlichen Habseligkeiten wie Waffen, Werkzeugen und genannt seien die Horte aus Haslau, Herrnbaumgarten, Stillfried, Rannersdorf und Schmuck – deponierte man diese auf dem Leichenbrand. In den vergangenen Jahren Wöllersdorf. Das erste Eisen gelangte in Form von Schmuckeinlagen auf Schwertern Bevölkerungsverschiebungen wurden bei groß angelegten Rettungsgrabungen immer wieder auch urnenfelder- und Gewandnadeln in unser Gebiet – noch war es zu kostbar, um für Werkstücke lassen vermuten, dass es sich zeitliche Gräberfelder entdeckt und dokumentiert, beispielsweise in Angern, Franz- verwendet zu werden. Erst gegen Ende der Urnenfelderzeit wurden auch im nieder- um unruhige Zeiten handelte. hausen, Inzersdorf, Hollabrunn, Michelndorf, Rannersdorf und jüngst in Plaika. österreichischen Raum Schwerter aus Eisen verwendet. Zahlreiche sogenannte Ver- In der jüngeren Phase der Urnenfelderkultur versuchten die Menschen, geschützte wahrfunde, die gesteigerte Lagen zu nutzen. Für die Siedlungen wählten sie schwer zugängliche Geländeteile und Waffenproduktion sowie sicherten sie mit Annäherungshindernissen ab. Die bedeutendsten befestigten die Zunahme von Befestigungs- Anlagen der ausgehenden Urnenfelderzeit waren die Siedlungen am Oberleiserberg, anlagen sprechen dafür. bei Stillfried an der March und auf der „Holzwiese“ bei Thunau am Kamp. Ein Grund

124 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 125 Sie wollten die Stadtstaaten des Zeit der Fürstenhöfe – In der Kunst dieser Zeit entstanden „sehen und gesehen werden“. Auch ließen sich manche Menschen gerne in der Nähe mediterranen Raumes nachahmen, die ältere Eisenzeit in Niederösterreich (800/750–500/400 v. Chr.) fantasievolle Tier- und Menschen- ihrer „Häuptlinge“ bestatten, wodurch es immer wieder zu Nachbestattungen waren eifrig bestrebt, möglichst Das Ende der Bronzezeit hing in Mitteleuropa mit den großen Wanderungen darstellungen mit Fratzen, Masken kam und die Hügel auch auf diese Weise vergrößert wurden. Über viele Jahrhunderte viel Glanz um sich zu sammeln, und kriegerischen Ereignissen im westlichen Mittelmeerraum um etwa 1200 v. Chr. und rätselhaften Zirkelmotiven; waren die Hügel Anziehungspunkte für die Menschen; sie dienten auch späteren und holten Künstler, Techniker und zusammen. Diese Wanderungen wirkten sich auch auf das Leben der Menschen die Fibeln wurden mit Vogel- Generationen als „loci sancti“, wie die Hügel von Bernhardsthal und Unterparschen- Schmiede mit besonderem Können in Mitteleuropa aus. Das Eisen gewann im Lauf der Zeit immer mehr Bedeutung für oder Menschenköpfen verziert. brunn beweisen, wo slawische Nachbestattungen aus dem frühen Mittelalter ent- an ihren Hof. Waffen und Werkzeuge. Der namengebende Fundort der älteren Eisenzeit ist Hall- deckt wurden. statt in Oberösterreich. Weit über Europa verbreitet sind Höhensiedlungen, die in unmittelbarem Um 800 v. Chr. begann ein neuer Klima- und Vegetationsabschnitt. Mit einer Zusammenhang mit den Grabhügeln stehen. Für das nördliche Niederösterreich allmählichen Klimaverschlechterung ging ein Feuchtigkeitsanstieg einher. Diese ist von kleinräumigeren Herrschaftsbereichen auszugehen. So könnte etwa der Prauns- Periode dauerte bis zirka 800 n. Chr. In Niederösterreich dominierte damals ein Hain- berg bei Niederfellabrunn in Zusammenhang mit den Grabhügeln von Niederfella- buchen-Fichten-Mischwald, bei dem in feuchten Lagen die Eiche hinzukam. Über brunn und Niederhollabrunn gesehen werden. die Besiedlungsgeschichte sind wir noch nicht ausreichend informiert, wenngleich die Der Großteil der hallstattzeitlichen Siedlungen liegt im freien Gelände. Der- Forschung in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht hat. zeit sind nur wenige dieser oft großflächigen Siedlungen archäologisch untersucht. Die Wohnbauten und die Anlage von Gräbern lassen eine soziale Vorrangstel- Von Bedeutung für die Siedlungsforschung ist die Fundstelle von Unterparschenbrunn, lung einzelner Fürstengeschlechter erkennen. Sie ließen riesige Hügelgräber errichten, die zwischen 1981 bis 1986 teilweise ausgegraben wurde. In Michelstetten wurden in denen sie auf einem vierrädrigen Wagen in einer fest gefügten Bohlenkammer im Rahmen der hallstattzeitlichen Siedlungsbefunde in nahezu jedem der Gebäude mit Schmuck und Bewaffnung ihre letzte Ruhestätte fanden. Sie wollten die Kultur Hinweise auf handwerkliche Tätigkeiten gefunden. Möglicherweise handelte es der Stadtstaaten im mediterranen Raum nachahmen, waren eifrig bestrebt, möglichst sich dabei um eine Kombination aus Werkstatt- und Wohngebäude auf zwei Ebenen. viel Glanz um sich zu sammeln, und holten Künstler, Techniker und Schmiede mit besonderem Können an ihre Höfe. Zwei Gruppen sind zu unterscheiden: der West- Kunst der Kelten – hallstattkreis und der Osthallstattkreis, der auch Niederösterreich umfasst und die jüngere Eisen- oder Latènezeit (500/450 v. Chr.–Christi Geburt) aus einer Vielzahl von heterogenen, an ihren unterschiedlichen Grabsitten erkenn- Lange bevor Rom zu einer Weltmacht aufstieg, war Europa von Kelten besie- baren Gruppen besteht. delt. Sie bewohnten ein Gebiet, das von Spanien bis in die Türkei reichte. Die keltischen Stämme verband eine gemeinsame Kultur und Sprache. Heute noch werden moderne Die Pyramiden des Weinviertels – keltische Sprachen wie Irisch, Gälisch-Schottisch, Walisisch oder Bretonisch gesprochen. Grabhügel der Hallstattkultur Keltoi nennen griechische Schriften die Kelten, bei den Römern heißen sie Galli. Heute noch zeugen mächtige Grabhügel im Weinviertel von einstiger Macht Sie sollen ein kriegerisches Volk gewesen sein, das Spaß am Morden und Plündern und Größe. Deren höchster ist der 14 Meter hohe Tumulus von Großmugl. Im Ost- gehabt habe; so jedenfalls behaupten es die Schriftsteller. hallstattkreis war es Sitte, die Verstorbenen mit all ihrem Schmuck, mit Waffen und Die jüngere Eisenzeit, die Zeit der Kelten, ist nach dem Westschweizer Fund- Werkzeugen zu verbrennen. Zerbrochenes Trink- und Speisegeschirr auf manchen ort La Tène benannt. Um 500 v. Chr., so vermutet man, hat eine kleine Gruppe der Gräbern legt ausgiebige Totenfeiern nahe. Der große Aufwand beim Bau der Großgrab- hallstättischen Oberschicht neue Ideen der mediterranen Welt kennengelernt und hügel und die reiche Ausstattung der Grabkammern lassen eine soziale Vorrangstel- übernommen. In der Kunst dieser Zeit entstanden fantasievolle Tier- und Menschen- lung einzelner „Herrschergeschlechter“ vermuten. Im Weinviertel sind noch weitere darstellungen mit Fratzen, Masken und rätselhaften Zirkelmotiven; die Fibeln Großgrabhügel erhalten, die meist einzeln stehen. In Gemeinlebarn, Langenlebarn, wurden mit Vogel- oder Menschenköpfen verziert. Die Fürstensitze Sloweniens Bernhardsthal, Rabensburg oder Oberweiden liegen je drei Großgrabhügel beieinander. müssen Zentren des Handwerks gewesen sein, in denen man besondere Fertigkeiten Oftmals nützte man topografische Gegebenheiten aus, um die Grabhügel noch in Bronze-Treibarbeiten besessen haben dürfte. Die Handwerker entwickelten einen höher und imposanter erscheinen zu lassen. Jene von Absdorf, Gaisruck, Niederholla- eigenen Stil, den „Situlen-Stil“. Eine Situla ist ein Bronzeblecheimer, der, oft relief- brunn oder Niederfellabrunn sind Beispiele dafür. Möglicherweise sollten die „Häupt- verziert, Zeremonien wiedergibt, die auf einem Fürstenhof stattfanden. Das nieder- linge“ auf diese Weise weiterhin den Überblick über ihr Dorf behalten. Sie wollten österreichische Paradebeispiel ist die Situla von Kuffern. In den Darstellungen lassen sich Aussehen und Ausstattung der Krieger des 5. Jahrhunderts v. Chr. gut erkennen. Sie waren mit Kurzschwertern bewaffnet und trugen oft einen hochgezoge- nen Bronzehelm mit Nackenschutz. Sie fuhren auf Streitwägen oder ritten mit Kurz- schwert und Lanze auf relativ kleinen Pferden. Neue technische Errungenschaften veränderten das Leben der Menschen: Tongefäße wurden auf einer schnell rotierenden Drehscheibe gefertigt, die auch neue Gefäßformen und Verzierungsweisen ermöglichte. Das Eisen setzte seinen Sieges- zug fort, und Schmiede und Gießer genossen hohes gesellschaftliches Ansehen. Im Osten Österreichs ist der Übergang von der Späthallstatt- zur Frühlatène- zeit in manchen Gräberfeldern fassbar, so in Franzhausen, Mannersdorf am Leitha- gebirge und Pottenbrunn. Vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. nahmen die Körper- bestattungen noch zu, erst im 3. Jahrhundert v. Chr. wurden Brandbestattungen häufiger. Die Gräber enthalten mehr Metallfunde und insbesondere auch Fibeln. In Pottenbrunn fanden sich Frauen- und Männergräber, die besonders reich mit Schmuck bzw. Waffen ausgestattet waren. Hervorzuheben ist Grab Nummer 520, auch als „Druidengrab“ bezeichnet. Druiden übten nicht nur die Funktion eines Priesters aus, sie waren auch zum Tragen von Waffen berechtigt. Dem Bestatteten waren eine überdurchschnittliche Waffenausstattung und Gegenstände beigegeben, die auf medizinisch-chirurgische, wenn nicht gar „magische“ Tätigkeiten hinweisen. Auch Leeberg von Großmugl. Der auf einer kreis- Schädeltrepanationen – dabei wurden zur Bekämpfung gewisser Leiden Löcher förmigen Fläche aufgeschüttete Tumulus in den Schädel gebohrt – weisen in diese Richtung. Eine Analyse von Trepanationen ragt 16 m aus der flachen Umgebung empor. Er ist einer der größten Grabhügel Mitteleuro- aus Guntramsdorf und Katzelsdorf gibt Hinweise auf die Lebensumstände der pas. Von diesem „großen Mugl“ (Hügel, Berg) Bevölkerung. So konnten etwa Mangelkrankheiten und starke physische Belastungen erhielt die nahe liegende Ortschaft ihren nachgewiesen werden. Bei drei der insgesamt sechs Trepanationen hat sich sogar Namen. Er wurde in der älteren Eisenzeit Stierkopfgefäß aus dem (Hallstattzeit, etwa 800/750–500/400 v. Chr.) ein Heilungsprozess manifestiert; die Betreffenden haben die sonst meist tödlichen Grabhügel von Langenlebarn. angelegt. chirurgischen Eingriffe überlebt. Die Sitte der Prunkgräber verschwand im Lauf

126 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 127 Die Situla von Kuffern gilt als besonders des 4. Jahrhunderts v. Chr. In der älteren Phase der mittleren Latènezeit wurden zu- prunkvolles Beispiel frühkeltischer Kunst. meist Flachgräber angelegt, später dann Brandbestattungen häufiger. Üblich waren bei der Ausstattung der Krieger Schwert mit Schwertkette, Schild und Lanzen. Bei den Frauengräbern ist die Mitgabe feiner Bronzegürtel mit Tierkopfhaken kennzeichnend. Der Fundort der bisher größten keltischen Zentralsiedlung Österreichs Im Laufe des 2. Jahrhunderts v. Chr. befindet sich in Roseldorf im Bezirk Hollabrunn. Die Siedlung fällt insbesondere durch setzen innerhalb der keltischen ihre Größe, ihren ungestörten Erhaltungszustand sowie durch außergewöhnliche Welt deutliche Veränderungen ein: Befunde und Funde auf. Mindestens sieben unterschiedliche Heiligtümer dokumen- Es entstanden Zentralorte, die tieren die Existenz mehrerer Kultbezirke. Weitere großflächige Prospektionen in in der Regel in geschützter Lage Haselbach, Stripfing und Etzersdorf erbrachten ausgedehnte Siedlungen mit zahl- angelegt und befestigt wurden. reichen Grubenhäusern. Zu erwähnen ist auch die Siedlung Inzersdorf-Walpersdorf Sie waren Mittelpunkte des wirt- im Traisental. schaftlichen, politischen und kulturellen Lebens. Keltische Münzen Keltische Söldner brachten bereits Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. Münzen nach Mitteleuropa. Die ältesten sogenannten boischen Münzen wurden ausschließ- lich aus Gold geprägt. Ab dem letzten Viertel des 2. Jahrhunderts v. Chr. traten kleine Goldmünzen auf, die „Regenbogenschüsselchen“. Später wurde dann Kleingeld auch aus Silber geprägt. Bei einigen Münzen, wie dem nach dem Oberleiserberg benannten Oberleisertyp, werden Einflüsse der sogenannten tauriskischen Prägung deutlich. Als neueste Münzprägestätte gewann Roseldorf immer mehr an Bedeutung. An die 1.500 Stück konnten bisher wissenschaftlich erfasst werden. Die Funde sind so wichtig, weil sich dort die älteste Münzproduktion auf heute österreichischem Boden be- fand und weil die Funde Einblicke in die Handelsbeziehungen und den Geldverkehr in keltischer Zeit gewähren. Im Lauf des 2. Jahrhunderts v. Chr. setzen innerhalb der keltischen Welt deutliche Veränderungen ein: Zentralorte entstanden, die in der Regel in geschützter Lage angelegt und befestigt wurden. Sie waren Mittelpunkte des wirtschaftlichen, Silbermünzen vom Typ politischen und kulturellen Lebens. Caesar bezeichnete diese Zentren als „oppida“. Oberleiserberg II. Im westlichen Mitteleuropa wurden die Anlagen mittels „Murus Gallicus“ befestigt, im östlichen Mitteleuropa findet sich eine andere Form der Befestigung, die sogenannte Pfostenschlitzmauer, wie sie in Schwarzenbach im südlichen Niederösterreich ent- deckt wurde. Bei dieser Bautechnik schüttete man einen mächtigen Erdwall an eine trocken aufgeschichtete Blendmauer an. Die am besten erforschte spätlatènezeitliche Höhensiedlung im nördlichen Niederösterreich liegt am Oberleiserberg. Mehrere in den Felsen eingetiefte, etwa fünf mal drei Meter große Grubenhäuser wurden in unmittelbarer Nähe der spätbron- zezeitlichen Wallbefestigung angelegt. Weitere bedeutende Höhensiedlungen nörd- lich der Donau befinden sich auf dem Umlaufberg bei Altenburg sowie in der Schanze von Gars/Thunau. Im Bereich der Wiener Pforte sind die Höhensiedlungen Bisamberg, Leopoldsberg und weiter stromabwärts der Braunsberg bei Hainburg bekannt.

Latènezeitliche Gürtelketten aus Oberrohrbach (oben) und Raggendorf.

Bohrtrepanation am Schädel von Katzelsdorf, Grab 1.

Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 129 Von den Römern zu den Franken

Ernst Bruckmüller Die römische Expansion Ernst Lauermann Um Christi Geburt wurden die Ostalpengebiete und das Alpenvorland bis zur Donau in das Imperium Romanum eingegliedert. Das keltische Königreich Noricum – ein Verband mehrerer Stämme, dessen Zentrum in Kärnten lag und der schon bis dahin in engster Verbindung mit Rom stand – wurde friedlich integriert. Unter Claudius wurden Rätien, Noricum und wohl auch Pannonien als Provinzen eingerichtet. Unter Trajan erfolgte 106 n. Chr. die Teilung Pannoniens; Hauptstadt der Pannonia Superior wurde Carnuntum. Die Römer verlagerten die Zentren der (keltischen) „civitates“ in die Ebene. Solche Siedlungsverlegungen begleiteten offenbar auch die Gründung von Carnuntum. Um 124 n. Chr. weilte Kaiser Hadrian in Pannonien und verlieh Die Zentren der (keltischen) Carnuntum das Stadtrecht (Municipium Aelium Carnuntum). In den folgenden Jahren „civitates“ wurden von den wurde es zur Großstadt. Gegen Ende des 1. und am Beginn des 2. Jahrhunderts wurde Römern in die Ebene verlagert. die Verteidigungslinie gegen die Germanen verstärkt. Tacitus bezeichnet diese Grenze Solche Siedlungsverlegungen als „Limes“. Zahlreiche Fundorte in Niederösterreich geben uns ein anschauliches begleiteten offenbar auch Bild der römischen Grenzbefestigungen. So konnten Legionslager in Carnuntum, die Gründung von Carnuntum. Vindobona, Albing (Gemeinde St. Pantaleon) und Lauriacum (Enns) nachgewiesen werden. Daneben gab es aber auch zahlreiche Kastelle und Kleinkastelle. Oft bestimm- ten geografische Gegebenheiten die Anlage dieser militärischen Stützpunkte. Auch auf germanischem Gebiet gab es römische Präsenz in Form von Militärstützpunkten wie in Stillfried oder Marschlagern wie z. B. in Engelhartstetten oder Kollnbrunn. Der überwiegende Teil dieser Anlagen lässt sich den Markomannenkriegen zuordnen, von denen noch die Rede sein wird. Das Vorfeld von Carnuntum und das Marchtal dürften zu den während dieser kriegerischen Ereignisse stärker betroffenen Gebieten gehört haben. In Ruhhof bei Laa an der Thaya wurde ein 36 Hektar großes Lager mit sechs Toröffnungen entdeckt. 35 Kilometer nördlich von Carnuntum liegt an der March die mächtige Befestigungsanlage von Stillfried. Von hier aus ließen sich sowohl die Umgebung als auch die germanischen Bündnispartner kontrollieren. Noch weiter nördlich findet sich das Marschlager von Bernhardsthal. Die frühesten germanischen Funde im nördlichen Niederösterreich liegen an der March und hängen mit der Ansiedlung der Gefolgschaften des Marbod und des Catualda zusammen, die beide um die Zeitenwende lebten. Durch die Einsetzung von König Vannius gab Rom den Quaden einen König („rex quadis datus“). Noricum war eine Grenzprovinz. Immer wieder war das Grenzland Schauplatz von Kämpfen. Das begann schon mit dem späteren Kaiser Tiberius, der 6 n. Chr. bei Carnuntum seine Ausgangsbasis für den geplanten Krieg gegen den Markomannenkönig Marbod errichtete. Lange Zeit herrschte dann relative Ruhe, wobei die umsichtige römische Diplomatie die unruhigen germanischen Völker stets achtsam im Auge behielt. Ein massiver Ansturm der Markomannen änderte die Situation grundlegend. Kaiser Mark Aurel führte von 171 bis 173 persönlich das Kommando an der Donau. Ausgangspunkt seiner Operationen gegen Markomannen, Quaden und Sarmaten war Carnuntum (Markomannenkriege, 166–180 n. Chr.). Hier schrieb er das zweite Buch seiner berühmten philosophischen Betrachtungen unter dem Titel „Eis heauton“ („An sich selbst“). Auf den 11. Juni 172 wird das auf der Mark-Aurel-Säule in Rom ver- ewigte Regenwunder im Quadenland datiert, das die römischen Truppen vor dem Verdursten in den trockenen Gefilden des nordöstlichen Niederösterreich rettete. Darstellung des sogenannten Heidentores Im Jahr 193 wurde in Carnuntum Septimius Severus (193–211) zum Kaiser ausgerufen, bei Petronell aus dem 4. Jahrhundert mit den Umrissen des ursprünglichen der von hier aus zum erfolgreichen Kampf um Rom aufbrach. Im Jahr 308 traf sich Zustandes. in Carnuntum Diokletian mit den beiden Kaisern Maximian und Galerius, um über die Zukunft des von Diokletian konzipierten Modells der „Tetrarchie“ (zwei Kaiser plus zwei unterstützende Caesares) zu beraten. Constantinus II. ließ um 360 das einzige bauliche Großdenkmal errichten, das im Landschaftsbild des Donaugebiets erhalten blieb: das sogenannte Heidentor bei Petronell, von dem nur sicher ist, dass es niemals ein „Tor“ war. Es wird als Siegesdenkmal aus dem 4. Jahrhundert interpretiert. Um 355 wurde Carnuntum durch ein Erdbeben schwer beschädigt. Als wahrscheinlich letzter Kaiser hielt sich Valentinian I. an der Donau auf und bekämpfte von dem in Trümmern liegenden Carnuntum aus die Quaden (364–375). Zahlreiche Bodenfunde informieren uns über die Kultur der römischen Städte. Große Tempelanlagen dienten der Verehrung der römischen Götterwelt. Zu nennen ist hier der Tempelbezirk auf dem Pfaffenberg bei Carnuntum, der von der Mitte des Als wahrscheinlich letzter Kaiser 1. Jahrhunderts bis ins 4. Jahrhundert als Kult- und Weihestätte genutzt wurde. Die hielt sich Valentinian I. an letzte datierbare Weihinschrift stammt aus dem Jahr 313. Allerdings setzte das Ende der Donau auf und bekämpfte der Anlage nicht abrupt ein. Nach ihrer Schließung dürfte sie über Jahrhunderte von dem in Trümmern liegen- als Steinbruch Verwendung gefunden haben. Daneben verbreiteten sich auch andere den Carnuntum aus die Quaden. Kulte, so jener der ägyptischen Göttin Isis (Carnuntum), vor allem aber die persische

130 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 131 In Mautern befinden sich die am besten erhaltenen Mauer- reste römischer Kastellanlagen in Österreich. Flankiert von einem mächtigen spätantiken Hufeisenturm und dem Rest eines älteren Fächerturms verläuft der Mauerzug im Nordwestteil des Lagers. wickelt hatte, im östlichen Weinviertel: in Mistelbach, Pillichsdorf, Schleinbach und Ulrichskirchen. Sie stammen aus der Zeit Kaiser Tiberius’ (14–37 n. Chr.). Als älteste geschlossene Fundkomplexe gelten die Gräber von Mannersdorf an der March. Grab- steine mit germanischen Namen aus Lichtenwörth und Katzelsdorf belegen, dass die Römer nach 50 n. Chr. die Gefolgschaft des Vannius in diesem Raum ansiedelten. Die Anlage der Gräber in provinzialrömischen Friedhöfen bezeugt die Assimilation der Germanen an die einheimische keltische Bevölkerung. An der Wende zum 2. Jahrhundert dürfte sich die Besiedlung des nördlichen Niederösterreich verändert haben. Zahlreiche Siedlungen sind belegt, Gräberfelder indes kaum bekannt. Für die letzte Phase der kaiserzeitlichen Besiedlung in der zwei- ten Hälfte des 3. Jahrhunderts und im 4. Jahrhundert ist von einem Bevölkerungs- rückgang auszugehen. Die Siedlungen bestehen vor allem aus Einzelgehöften, später sind es ge- schlossene Dorf- und Weilersiedlungen. Größere Ausschnitte germanischer Siedlungen wurden in Bernhardsthal, Zaingrub im Horner Becken, Zwingendorf und Pellendorf archäologisch untersucht. Ab der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts wuchs die germanische Besiedlung im nördlichen Niederösterreich stetig an. Carnuntum war das Produktions- und Vertriebszentrums römischer Waren, die im Marchtal und in der umgebenden Region Absatz fanden. In die Gegenrichtung wurden Güter aus dem Germanischen im Reich umgeschlagen: Häute und Felle, Bernstein, Frauen- haar zur Herstellung von Perücken, Seife als Nebenprodukt der Wollerzeugung, Schinken, Daunen, Honig, landwirtschaftliche Erzeugnisse und möglicherweise auch Sklaven. Mitte des 3. Jahrhunderts wurden sämtliche germanische Siedlungen entlang von Flusslandschaften aufgegeben. Offenbar hatten Klimaveränderungen wiederholte Überflutungen zur Folge. Die Bewohner/innen siedelten entweder ganz ab oder errichteten neue Gehöfte an erhöhten, hochwassersicheren Plätzen. Die Menschen lebten von Fleisch, aber auch vom Fischfang und bauten Gerste, Weizen sowie Flachs an.

Severin und die Germanen Das gesamte Fundensemble aus dem Mit dem Auftreten der Hunnen in Osteuropa (375) bekamen die Grenzproble- Brandgrab von Mannersdorf an me eine neue Dimension. Vor dem Einbruch der asiatischen Reiter, die zunächst die der March, das in die ersten Jahrzehnte des 1. Jahrhunderts n. Chr. datiert Mysterienreligion des Mithras (Mithräen in Carnuntum und an anderen Orten). Der Ostgoten unterworfen hatten, wichen die Visigoten („Westgoten“) über die untere werden kann. Körperpflege, dem Sport, dem Zeitvertreib ebenso wie dem Austausch von Informatio- Donau ins Reich aus. 410 eroberten sie unter Alarichs Führung sogar Rom. Die Grenz- nen dienten die Thermen, von denen eine 2010 in Carnuntum rekonstruiert wurde. sicherung wurde brüchig. Um 430 überließ man den Hunnen in der ungarischen Die Römer unterhielten bedeutende Überlandstraßen. Für unser Gebiet am Tiefebene Pannonien im Rahmen eines „foedus“ (Bündnisvertrag). Neue Stammes- wichtigsten war die gut ausgebaute Bernsteinstraße von Aquileia über Emona (Ljublja- namen begegnen im Grenzland oder nördlich davon: Rugier, Eruler, Langobarden. na), Celeia (Celje), Poetovio (Ptuj), Savaria (Szombathély) und Scarabantia (Sopron) Alte Stämme wie Markomannen oder Quaden verschwanden. Unter Attila nach Carnuntum bzw. Vindobona. Von hier führte sie weiter entlang der March nach (445–453) zogen sich die Hunnen nach der Niederlage auf den Katalaunischen Mähren und Schlesien bis an die Ostsee, woher das begehrte Mineral ja stammte. Feldern nach Pannonien zurück. Zu dieser Zeit siedelten in Niederösterreich nördlich Die Straßen dienten nicht nur dem Militär und der staatlichen Post, sondern der Donau die Rugier. Südlich der Donau lebten romanische Bevölkerungsgruppen auch dem Handel. Das wichtigste Exportprodukt Noricums war das norische Eisen. in früheren römischen Militärstützpunkten. Aus dem Mittelmeerraum wurden das unentbehrliche Olivenöl und Terra Sigillata, kera- Nach dem Ende des Hunnenreiches (454) wurden Alanen, Gepiden und Ost- mische Massenware, eingeführt. Aber auch bessere Stoffe und Gewürze kamen von goten selbstständig. Sie machten zunächst Pannonien und den Balkan unsicher, auswärts, meist aus den östlichen Provinzen des Reiches. Den Weinbau soll nach einer ehe sie, offiziell im Namen (Ost-)Roms, den in Italien seit 476 herrschenden König bekannten Überlieferung der Kaiser Probus (276–282) in das Donauland gebracht Odoaker bekämpften und besiegten. Das italische Gotenreich Theoderichs (493–526) haben – tatsächlich war er aber schon vor ihm hier heimisch. umfasste Binnennoricum. Ufernoricum dürfte nach den Rugiern von den Lango- Noch im 4. und 5. Jahrhundert entstanden starke Befestigungen, von denen barden beherrscht worden sein, die bis um 500 auch nördlich der Donau siedelten. sich Einiges in mittelalterlichen Stadtmauern erhalten hat – so die „Hufeisentürme“ Der wohl bedeutendste Grabfund des 5. Jahrhunderts stammt aus Unter- in Mautern, Tulln und Traismauer. Im 4. Jahrhundert erfolgte der Aufstieg von Aelium siebenbrunn: die Bestattung einer Frau und eines Kindes. Eine Rekonstruktion Cetium (St. Pölten). der Fundumstände ist nur beschränkt möglich, da die von Anrainern 1910 vorgenom- mene Ausgrabung nicht präzis dokumentiert wurde. Nach einer anthropologischen Leben und Siedlungen nördlich des Limes Untersuchung der Skelette handelt es sich um eine 20- bis 24-jährige Frau, das Die Geschichte der Besiedlung des nördlichen Niederösterreich in den ersten Kind dürfte sieben Jahre alt gewesen sein. Außergewöhnlich sind die Grabbeigaben: vier nachchristlichen Jahrhunderten ist geprägt von den Auseinandersetzungen Bei der Frau wurden u. a. ein goldener Halsreifen, das Reiterzubehör für zwei Wagen- zwischen Germanen und Römern. Die Frage nach der Identität der Germanen lässt pferde sowie ein Reitpferd, zwei goldene Halsketten und amphorenförmige goldene sich schwer beantworten. Die Römer unterschieden jedenfalls deutlich zwischen Ohrgehänge gefunden. Die Grabausstattung insgesamt weist auf eine enge Verbindung Kelten und Germanen. Vom südlichen Niederösterreich wissen wir, dass die hier mit dem Schwarzmeerraum hin. Ohne Zweifel waren die junge Frau und das Mädchen ansässige keltische Bevölkerung von den Römern nicht vertrieben, sondern lediglich Mitglieder einer Oberschicht. Die Geschichte der Besiedlung des „romanisiert“ wurde. Im Waldviertel hat möglicherweise in der jüngeren Eisenzeit Gewisse ethnische Gruppen hatten im 5. Jahrhundert das Schönheitsideal, nördlichen Niederösterreich eine kulturelle Überlagerung zwischen Kelten und Germanen stattgefunden. den Kopf turmartig zu verlängern. Dafür wurde im Säuglingsalter eine Schädeldefor- während der ersten vier nachchrist- Auch im Weinviertel gibt es eine größere Anzahl von Spätlatènesiedlungen, mation vorgenommen, indem man Binden um den Kopf wickelte, damit sich dieser lichen Jahrhunderte ist geprägt die zum Teil – wie auf dem Oberleiserberg – von germanischen Siedlungsschichten während des Wachstums entsprechend anpasste. 1995 wurden in Ladendorf die Reste von den Auseinandersetzungen überlagert sind. In Niederösterreich fanden sich die ältesten Spuren elbgermanischer einer reichen Frauenbestattung des späten 5. Jahrhunderts gefunden, deren auf- zwischen Germanen und Römern. Kultur, die sich im Einzugsbereich der Elbe von der Nordsee bis nach Mähren ent- fälligstes Merkmal die künstliche Deformierung des Schädels war. In Niederösterreich

134 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 135 tauchen solche Schädeldeformationen in erster Linie in ostgermanischen Gräbern Ebenso wie das Reich der Hunnen An manchen Orten ging das Leben einfach weiter. So wurde in Sommerein eine römi- auf. In Gräbern des 5. Jahrhunderts findet man immer wieder auch Kinder mit bestand auch jenes der Awaren sche Villa weit über die Mitte des 5. Jahrhunderts hinaus bewohnt. Nichtromanische Schädeldeformationen, in solchen des 6. Jahrhunderts kommen diese fast nur noch aus vielfältigen ethnischen Gruppen. Siedlungen sind bisher kaum erforscht. Neue Ergebnisse brachte die Auswertung bei älteren Individuen vor. Da etwa gleich viele mongolide wie europide verformte Ein „Aware“ war jeder Krieger, der Grabungen in Michelstetten, wo völkerwanderungszeitliche Siedlungsobjekte neue Schädel zu finden sind, dürfte es sich um eine polyethnische Population gehandelt dessen Kampfestüchtigkeit seinen Einblicke in die Siedlungstätigkeit rund um den Oberleiserberg gewähren. haben. Auch soziale Komponenten könnten bei der Kopfverformung eine Rolle Platz in der Gesellschaft sicherte. Seit den 1920er-Jahren werden auf dem Oberleiserberg bei Ernstbrunn archäo- gespielt haben. logische Grabungen durchgeführt. Herbert Mitscha-Mährheim und Ernst Nischer- In dieser trüben Zeit wuchs eine neue Kraft von größter historischer Bedeu- Falkenhof entdeckten römische Steinbauten, die sie ursprünglich für römische Militär- tung – das Christentum. Ab 391 galt es als Staatsreligion. Der außergewöhnliche bauten der Markomannenkriege hielten. Nach neuesten Untersuchungen handelt Aufschwung der neuen Erlösungsreligion beruhte zunächst auf der Faszination, die es sich bei der Anlage auf dem Oberleiserberg jedoch um einen germanischen Königs- deren Antworten auf die bangen Fragen der bedrückten Menschen ausübten. Seit sitz der Völkerwanderungszeit. Ein Herrenhof bildete das Zentrum der Siedlung; Konstantin kam eine immer engere Verbindung mit dem Reich dazu. Kluge und bei ihm wurden vier Bauphasen nachgewiesen. Mitte des 5. Jahrhunderts gestaltete tatkräftige Männer entfalteten in kirchlichen Ämtern schöpferische Initiativen. Für man ihn nach Vorbildern spätantiker Palastarchitektur um. Im Hauptgebäude wurde den norischen Bereich des 5. Jahrhunderts besitzen wir ein wunderbares Zeugnis über ein zweiter Raum mit einer Kanalheizung ausgestattet und ein Keller eingerichtet. das Wirken eines solchen Mannes: Severinus, gestorben 482 in Favianis (Mautern), Charakteristisch sind die symmetrische Anordnung der übrigen Bauten und ihre stammte aus einer Familie der Oberschicht. Nach einem Bekehrungserlebnis wurde Ausrichtung auf das Hauptgebäude. Die Ausführung der aus Holz errichteten Gebäude er zur Zentralfigur im noch römischen Noricum und in seinen rätischen Nachbargebie- erinnert an die Aufzeichnungen des Priscus, der als römischer Gesandter 449 die ten. Sein Biograf Eugippius berichtet von einer durchwegs christlichen Bevölkerung, Residenz Attilas aufgesucht und beschrieben hatte. Hier wie dort wurde offenbar von Fasten und Gebeten zur Abwehr feindlicher Einfälle oder Heuschrecken. Nach die Steinarchitektur spätantiker feudaler Villen und Paläste in Holz nachempfunden. einem Sieg Odoakers über die Rugier wurde (Ufer-)Noricum auch offiziell aufgegeben Um 490 nahmen langobardische Stämme, von Nordwesten über Böhmen und die romanische Bevölkerung zu einem großen Teil nach Italien geführt (488). kommend, das „Rugiland“ in Besitz – ein Gebiet, das mit dem heutigen westlichen Die sterblichen Überreste Severins nahmen seine Klosterbrüder nach Unteritalien mit. Weinviertel identisch ist. Etwa im Jahr 505 überschritten langobardische Gruppen die Das Christentum fasste zuerst in den Städten Fuß. In Lauriacum (Enns) Donau und besetzten das in ihrer eigenen Überlieferung „Feld“ genannte heutige ist ein Bischofssitz nachgewiesen. Möglich, aber nicht gesichert ist die Existenz eines Tullnerfeld. Drei Jahre später besiegten die Langobarden die ostgermanischen Heruler, solchen auch für Carnuntum. Ob es sich bei gewissen Befunden in Mautern um in der Folge eroberten sie das nordöstliche Weinviertel und die angrenzenden Land- Überreste des (schriftlich überlieferten) Klosters des hl. Severin handelt, ist nach wie striche. Ab 526 besetzten die Langobarden die Gebiete der ehemaligen römischen vor umstritten. Provinzen Pannonia Prima und Valeria, ohne dabei die alten Siedlungsgebiete aufzuge- ben. Doch ab 546 dünnte sich das langobardische Siedlungsgebiet in Südmähren und in Niederösterreich immer mehr aus. Ein wichtiges Gräberfeld wurde in Aspersdorf entdeckt. Die Grablegen waren alle bereits in den Jahrzehnten nach der Bestattung beraubt worden. Auf den einstigen Reichtum in den Gräbern lässt das ebenfalls beraubte Gräberfeld von Hauskirchen schließen. In einem dieser Gräber haben die Räuber nämlich Teile eines prächtigen Pferdezaumzeuges übersehen. Ein 2003 in Freundorf im Tullnerfeld entdecktes Grab besteht aus zwei parallel ausgerichteten Grabschächten, die innerhalb der Ruinen einer Villa rustica angelegt wurden. Im nördlichen Grabschacht stieß man auf die Skelette eines Pferdes und eines Hundes. Das Skelett eines erwachsenen Mannes im zweiten Grab hatte eine typisch fränkische Waffe bei sich, eine „Ango“ genannte eiserne Wurflanze mit Widerhaken – ein in unserer Region eher seltener Fund. Im Jahr 568 zogen die Langobarden endgültig aus dem Donauraum ab und eroberten Italien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verließen wohl auch die letzten elbgermanischen Gruppen Niederösterreich, um sich dem Zug nach Italien anzuschließen.

Die letzten Wanderungen Die um 555 in Europa auftauchenden Awaren waren vermutlich Steppen- nomaden, die nördlich der Chinesischen Mauer zwischen 520 und 550 ein be- deutendes Reich errichtet hatten. Ein Aufstand vernichtete dieses Reich. Die Awaren wandten sich daraufhin nach Westen und beherrschten bald große Teile des öst- lichen Mitteleuropa. Ebenso wie das Reich der Hunnen bestand auch jenes der Awaren aus viel- fältigen ethnischen Gruppen. Ein Großteil der pannonischen Bevölkerung der Frühawarenzeit dürfte noch germanischer Herkunft gewesen sein. Als „Aware“ galt jeder Krieger, dessen Kampfestüchtigkeit seinen Platz in der Gesellschaft sicherte. Im Jahr 626 erlitt das awarische Heer vor Byzanz eine vernichtende Niederlage, die das awarische Reich auch innerlich erschütterte. Die Schwäche des Awarenreiches nach 626 nutzen die unterworfenen Völker entweder zum offenen Aufstand, oder sie verließen einfach das Karpatenbecken, zumeist in Richtung Westen. Schon 623 wanderten slawische Gruppen, hauptsächlich aus der Gegend um Pécs, in das Nordwestgebiet des Awarenreiches ein, ins Wiener Becken, in die Südwestslowakei und ins Nordburgenland. Dieser Bereich wurde zwar von den Awaren seit 568 militärisch kontrolliert, aber niemals dicht besiedelt. Davon zeugen einige in die Frühawarenzeit zu datierende Gräber aus Zillingtal und Leobersdorf. Das Fundensemble aus dem Kindergrab von Untersiebenbrunn mit Goldflitter, Glasgefäßen und Zikadenfibeln.

136 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 137 Trense und mit Gold plattierte Phaleren Bronzene Gürtelgarnitur aus (Schmuckscheiben) vom Pferdegeschirr Leobersdorf, Grab 81. aus Drasenhofen. Nun also siedelten hier Slawen. Von Anfang an stand diese Nordwestgruppe des Die Frau trug außer einem Messer auch ihr Spinnzeug bei sich, oft treten Nadel- Awarenreiches in Verbindung mit anderen Slawen in Mähren, Böhmen und an der büchsen, kleine, aus Knochen angefertigte Behälter für Nähnadeln, zutage. Halsketten Elbe sowie in Slowenien. aus meist schwarzen oder grünen mandelkernförmigen Glasperlen gehören zum Diese Slawen könnten zum Königtum eines gewissen Samo gehört haben. gewöhnlichen Frauenschmuck. Er soll ein fränkischer Kaufmann gewesen sein, der elf Stämme vereinigte. Erst nach Der vornehme awarische Mann trug zum Zeichen seiner Würde Köcher mit Samos Tod wurde die slawische Nordwestgruppe dem Awarenreich wieder einge- Pfeilen und Bogen. Metallene Gürtelgarnituren gelten als eines der imposantesten gliedert. Von dieser militärischen Aktion zeugen awarenzeitliche Gräberfelder im Elemente ihrer Ausstattung. Der Gürtel ist als Würdesymbol zu sehen, den die Fami- Wiener Becken mit ihren Reitergräbern, die als solche awarischen Militärs identifiziert lienoberhäupter zu tragen pflegten. Am Gürtel hängt auch das Messer und oft ein werden können. Beutel mit dem Feuerzeug: Feuerschläger, Feuersteine und Zunder. Die Haare trug man Ab der Mittelawarenzeit, also nach 626, lässt sich eine offensichtlich von oben oft in zwei Zöpfen geordnet. angeordnete Verschmelzung und vor allem „Awarisierung“ beobachten, die alle nicht- Westlich des Alpenostrandes gab es praktisch keine awarische Dauersiedlung – awarischen ethnischen Gruppen mehr oder weniger zum Verschwinden brachte. In obwohl die Grenze zu den Bayern an der Enns lag. Um 700 dürfte ein awarischer der Spätawarenzeit war dieser Prozess abgeschlossen, es gab nur mehr eine awarische Vorstoß Lorch dem Erdboden gleichgemacht haben. Seither haben Bayern und Awaren Kultur. In dieser Phase verbesserte sich die Lebensweise durch die Umstellung von ihre Grenze an der Enns respektiert. Beutewirtschaft auf agrarische Produktion. Trotz ihrer Sesshaftwerdung behielten die Awaren aber ihre reiternomadischen Traditionen bei: Die berittenen Bogenschützen Donau- und Alpenslawen lassen sich nieder bildeten auch weiterhin den wichtigsten Teil des awarischen Heeres. Die charakteristi- Die slawische Besiedlung Niederösterreichs nördlich der Donau begann nach sche Waffe dieser Krieger war der sogenannte Reflexbogen, der eine effektive Reich- dem Abzug der Langobarden in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Die rasche weite von etwa 200 Metern erreichte. Die Pfeile mit dreiflügeligen Pfeilspitzen waren Ausbreitung der slawischen Kultur in Osteuropa zeigt, dass das „slawische Modell“ überaus durchschlagskräftig und weit verbreitet. Die Beschläge der Köcher aus der Lebensführung offenbar großen Anklang fand. Sowohl schriftliche als auch archäo- Bein bzw. Gold sind erhalten geblieben. Diese mit Recht gefürchtete Waffe konnten logische Quellen lassen darauf schließen, dass es sich um eine sozial wenig differen- die Bogenschützen vom Pferd aus verwenden, da sie durch den Steigbügel – eine zierte, dezentral organisierte und stark landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft mit Neuheit im damaligen Europa – mit dem galoppierenden Reittier verbunden waren. relativ „einfacher“ materieller Kultur handelte. Für den Nahkampf hatten diese Krieger Schwerter, einschneidige Säbel mit gerader Der Hauptstamm der Alpenslawen nannte sich im 8. Jahrhundert Karantaner. Parierstange, aber auch Streitäxte und Kampfmesser. Auch nördlich der nördlichen Kalkalpen tauchen immer wieder Hinweise auf slawische Die Tradition der berittenen Bogenschützen spiegelt sich in den Bestattungs- Siedler auf, so etwa bei der Gründung von Kremsmünster (777). sitten wider: In manchen Gräbern finden sich ganze aufgeschirrte Pferde, Teile Die frühesten slawischen Funde in Niederösterreich stellen Brandbestattun- von Pferden – meist der Kopf und die vier Extremitäten – oder, wie in Drasenhofen, gen in Urnen des „Prager Typs“ dar, die sich bislang vor allem im nordöstlichen Wein- Reitzubehör. Reich ausgestattete Männerbestattungen in Kombination mit den viertel und an der Donau, besonders zwischen Manhartsberg und Dunkelsteinerwald, entsprechenden Waffen lassen auf die hohe soziale Stellung der awarischen Reiter- nachweisen lassen. Zu nennen sind hier die Fundorte Hohenau, Poysdorf oder Velm- krieger schließen. Götzendorf. Diese Urnen wurden entweder in flachen Gruben deponiert, oder das Archäologisch sind die Awaren im Osten Österreichs fast nur durch ihre Knochenmaterial wurde ohne Urne in Gruben niedergelegt, die zum Teil durch einen Gräber fassbar, lediglich eine Siedlung aus Zillingtal ist zu nennen. Die Belegung Hügel gekennzeichnet waren. der Gräberfelder setzte im Viertel unter dem Wienerwald Mitte des 7. Jahrhunderts In den Jahren 1999 bis 2005 untersuchte die Niederösterreichische Landes- ein. Frauen trugen Ohrringe, Armreifen und Halsreifen. Eher selten finden sich archäologie die Überreste der Siedlung von Mitterretzbach. Typisch sind in den Boden aufwendige Diademe und Mantelschließen, die auf einen Umhang schließen lassen. eingetiefte Grubenhäuser mit Feuerstellen. Einblicke in das Alltagsleben liefern auch

138 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 139 Das bayerische Herrschaftsgebiet Siedlungsgrabungen wie jene in Michelstetten oder in Rosenburg am Kamp. So weisen Die Zentren der Karolingerzeit schlossen an die ehemaligen Limeskastelle an. Mautern, dehnte sich im 7. und 8. Jahr- dort Mühlsteine aus Granatglimmerschiefer und große Lehmwannen auf die Ver- Traismauer und Tulln wurden archäologisch erforscht. Bei archäologischen Grabungen hundert bis zur Enns aus. arbeitung von Getreide hin. Gelagert wurde das Saatgut in tiefen Speichergruben, die im Innenhof des Schlosses von Traismauer konnte eine mehrphasige Besiedlung Gegen Norden blieb zunächst sich luftdicht verschließen ließen. Später kam für die nördlichen Westslawen der des römischen Lagers nachgewiesen werden, ein spätantikes Restkastell kam zutage. die Donau die Grenze. Name „Böhmen“ in Gebrauch – man denke etwa an den Ortsnamen „Böheimkirchen“. Archäologische Hinweise auf das Christentum kennen wir aus Gräbern in Form In der Karolingerzeit dominierten slawische Dialekte im heutigen Niederösterreich von mitgegebenen Halsketten mit kleinen Bleikreuzchen, Fingerringen und Fibeln und in seinen Nachbargebieten. mit christlicher Symbolik. Emaillierte Scheibenfibeln tragen oft Kreuz- oder Adler- motive oder Abbildungen des Lebensbaumes. Die Bayern und ihre Nachbarn Traismauer wurde bereits 799 als „Treisma“ urkundlich genannt. Aus schrift- Der Name der Bayern soll mit „Boiohaemum“ (Böhmen – das Land der Boier) lichen Quellen ist der hiesige Grenzgraf Cadaloc bekannt, der 802 im Kampf gegen die zu tun haben. Ein traditionstragender Kern verschiedener germanischer Gruppen Awaren fiel und möglicherweise unter der heutigen Kirche von Traismauer bestattet im späteren Bayern kam wohl aus Böhmen (Boierland – Boiohemum – Bojovarii etc.). wurde. Traismauer wurde das Zentrum des Salzburger Besitzes in Niederösterreich. Das bayerische Herrschaftsgebiet dehnte sich im 7. und 8. Jahrhundert bis zur Enns aus. Im Jahr 833 fand hier die Taufe des mährischen Fürsten Pribina statt. Derartige Herr- Der mittlere Donauraum war im frühen Mittelalter eine Schnittstelle zwi- scherbekehrungen zeugen von der Verzahnung von Religion und Politik. schen dem Merowinger- bzw. Karolingerreich im Westen und dem Khaganat der Nun setzten Missionierung und Kolonialisierung in den neu eroberten Awaren im Osten. Den westlichen Kulturkreis prägen die mittel- bis spätmerowingi- Gebieten östlich der Enns ein. Salzburg hatte im Bereich der Mission in Karantanien schen Reihengräberfelder, auf die Kirchfriedhöfe folgten, der östliche Kulturkreis und Pannonien die zentrale Funktion inne. Doch kam es dabei zu Streitigkeiten wird archäologisch vor allem durch die charakteristischen Nekropolen des Awaren- zwischen den Bischöfen von Salzburg und Passau. Kirchenbauten dieser Zeit sind reiches fassbar. Ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts siedelten auch slawische vereinzelt nachweisbar. Bisher ließen sich in Niederösterreich nur Teile, nicht jedoch Gruppen im mittleren Donauraum, die Bayern in den Landschaften westlich der Enns. komplette Grundrisse von hölzernen Kirchen ergraben. Die steinernen karolinger- Zwar kann von keiner gezielten bayerischen Ostkolonisation zwischen Enns und zeitlichen Kirchen haben unterschiedliche Grundrisse. Die Kirche von Gaming, Wienerwald vor den Awarenkriegen gesprochen werden, aber der „limes certus“ erbaut im 9. Jahrhundert, ist eine Saalkirche mit annähernd quadratischem Saalbau, („Annales qui dicuntur Einhardi“ im Jahr 791) an der Enns stellte auch keine undurch- querrechteckigem Chor und angefügter Apsis. dringliche Grenze dar, wie ostösterreichische Gräberfelder belegen. Begehrt war Weingartenbesitz in der Wachau. Solchen erhielten nicht Die Bayern waren Christen. Schon im 8. Jahrhundert setzten Klostergrün- bloß Salzburg, sondern auch Passau und die Klöster Niederaltaich, Tegernsee und dungen ein, vor allem jene von Mondsee (748) und Kremsmünster (nach 777), Kremsmünster. Eine intensivere bayerische Besiedlung dürfte nur selten über die später reichen Besitz im Osten erhielten. Zum wichtigsten geistlichen Zentrum den Wienerwald hinausgegangen sein, auch wenn das Frankenreich bis zur Donau Bayerns wurde Salzburg. 739 organisierte Bonifatius die bayerische Kirche neu, Salzburg war spätestens ab diesem Zeitpunkt Bistumssitz. Daneben wurden Passau, Freising, Regensburg und Brixen zu stabilen Bischofsitzen. Karl dem Großen waren die Bayern unter ihrem Herzog zu selbstständig. 788 setzte er unter einem Vorwand den Bayernherzog Tassilo III. (788) ab. Nun gab es über längere Zeit keine bayerischen Herzöge.

Niederösterreich zur Zeit der Karolinger Zwischen 791 und 805 zerstörten die Feldzüge Karls des Großen das Awaren- reich. Der Goldschatz der Kagane wurde in 15 Wagenladungen von Gold, Silber und Edelsteinen nach Aachen ins Frankenreich abtransportiert. Ein Teil war jedoch zuvor „gerettet“ worden: der im Kunsthistorischen Museum Wien präsentierte Goldschatz von Nagyszentmiklós/Sânnicolau Mare, bestehend aus 23 Gefäßen. 1799 entdeckt, handelt es sich dabei wahrscheinlich um den letzten Überrest des Awarenschatzes. Nach der Niederlage empfingen die Unterworfenen die Taufe. Es wurde ein christlicher awarischer Klientelstaat des Frankenreiches gebildet. Awarenzeitliche Gräberfelder wurden bis um 830 belegt. Nach etwa 820 berichten schriftliche Quellen nicht mehr von ihnen. Sie hörten auf, als „Ethnos“ zu existieren – niemand hat sich mehr als Aware selbst bezeichnet oder bezeichnen lassen. Später begannen dann slawische Gräberfelder aufzutauchen, die jedoch teilweise in den Randbereichen des Awarenreiches schon seit der Mitte des 8. Jahrhunderts angelegt worden waren. Mit der Vernichtung des Awarenreiches durch Karl den Großen wurde Nieder- österreich südlich der Donau, aber auch Pannonien bis und nach Süden hin bis zur Drau und Save fränkisch. Das Aufgebot und die Gerichtsbarkeit bekamen einige Grafengeschlechter übertragen, die durchwegs aus Bayern kamen. Gegen Norden blieb zunächst die Donau die Grenze. Alle bayerischen Bistümer erhielten schon in der Karolingerzeit reichen Besitz in den Gebieten östlich der Enns. Doch im 9. Jahrhundert galten Bayern und das neu eroberte bayerische Ostland zusammen als „regnum“. Faktisch wurde es als Teilreich des Karolingerreiches In Traismauer, Zentrum des behandelt. Es umfasste „Bayern, die Karantanen, die Böhmen und die Awaren wie Salzburger Besitzes in die Slawen, die im Osten Bayerns wohnen“1. Niederösterreich, fand 833 Das eroberte Land galt zunächst als Besitz des Königs. Erhebliche Teile des die Taufe des mährischen Königsgutes gingen bereits in karolingischer Zeit an geistliche Institutionen über. Fürsten Pribina statt. Den Löwenanteil sicherte sich Salzburg. Die Schenkungen schlossen häufig an Derartige Herrscher- spätantike Siedlungen an. Aus Mautern sind zwei frühmittelalterliche Gräberfelder bekehrungen zeugen bekannt. In Tulln wäre nach momentanem Forschungsstand das Fortbestehen von der Verzahnung von einer Siedlung im Bereich des römischen Lagers im 6. und 7. Jahrhundert durchaus Bleikreuz der bayerischen Religion und Politik. als möglich anzusehen. Mission aus Gars/Thunau.

140 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 141 Schwerter und Flügellanzenspitzen aus dem Gräberfeld von Hainbuch. unterhalb von Budapest reichte. Westlich des Wienerwaldes weisen mehrere Ortsna- men auf karolingerzeitliche Siedlung hin, so etwa Gerolding auf den gegen die Awaren 799 gefallenen „praefectus“ Gerold, oder Wilhelmsburg auf den Grenzgrafen Wilhelm. Die Raffelstettener Zollordnung (904/906) spricht für die drei Grafschaften Arbos, die etwa von Linz bis Mautern reichten, von „Slawen und Bayern“ als Bewohner/innen „istius patriae“ (dieses Landes).

Die karolingerzeitlichen Fundorte Wimm und Hainbuch Vom karolingerzeitlichen Hügelgräberfeld von Wimm in der Nähe von Maria Taferl konnten 55 Grabbauten mit 79 Bestattungen dokumentiert werden. Nach- weisbar blieben in diesen Gräbern die Abdeckungen der Särge mit Rinderhäuten. Diese Sitte ist auch aus dem Bereich des Wiener Beckens und der kleinen ungarischen Tiefebene – also der „Avaria“ – bekannt. Das Fundmaterial von Wimm wie auch von Hainbuch weist Komponenten zweier Kulturtraditionen auf. Auf den awarischen Bereich verweisen punzierte Buntmetallarmreifen, Drahtohrringe mit seitenständiger Knöpfchenzier, Fingerringe und Tongefäße. Westlichen Einfluss zeigen sogenannte Mosaikaugenperlen, Kettchenohrgehänge und Kopfschmuckringe mit Schlinghaken- verschluss bei den weiblichen Bestattungen, westliche Waffen wie etwa Flügellanzen, Schwerter und Sporen bei den Männern.

Begegnungsraum vieler Ethnien Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden immer wieder Gräberfelder mit emailverzierten Schmuckstücken ergraben, die nach dem ersten in Niederösterreich entdeckten Gräberfeld dieser Art, jenem von Köttlach im Bezirk Neunkirchen, als Gräberfelder des Karantanisch-Köttlacher Kulturkreises bezeichnet werden. Vom Gräberfeld von Köttlach sind keine Grabzusammenhänge oder Pläne bekannt. Funde aus dem Gräberfeld von Köttlach: Lediglich die Funde sind überliefert. Im Frühjahr 2016 gelang es mithilfe der Geo- Halsreif, Kopfschmuckringe, herzförmige magnetik, den genauen Fundort festzustellen. Typisch sind „gemischte Inventare“: Anhänger und Scheibenfibeln.

142 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 143 Die Enns wurde wieder Emailscheibenfibeln und lunulaförmige Kopfschmuckringe aus dem westlichen Kultur- Um 896 erfolgte die endgültige Landnahme der Ungarn in der Donau-Theiß-Ebene zur Reichsgrenze und zur kreis, tordierte Halsreifen und herzförmige Anhänger als ungarische Komponenten. und in Pannonien, von wo sie Raub- und Plünderungszüge nach Italien, auf den Ostgrenze Bayerns. Man deutet diese Mischung als Anpassung an die neuen Machtverhältnisse. Allerdings Balkan und tief in fränkisches Gebiet hinein unternahmen. Den Zeitgenossen galten Allerdings siedelten die lassen sich die unter dem Begriff „Köttlacher Kultur“ zusammengefassten Schmuck- die Ungarn als „neue Hunnen“. Später, im 11./12. Jahrhundert, versuchte die ungarische Magyaren nicht bis dorthin. formen im gesamten mittel- und westeuropäischen Bereich finden. Abstammungssage von Hunor und Magor, die Magyaren in engere Verwandtschaft Ähnlich wie die Awaren Konkreter nachweisbar ist die Expansion der Mährer in Niederösterreich. mit den Hunnen zu bringen. So konnten die Ungarn ihre Landnahme im Karpaten- haben sie den Wienerwald Sie begann um 833/835, als Fürst Moimir den Fürsten Pribina aus dessen Herrschafts- bogen als Rückkehr in die angestammte Heimat begründen. mit Dauersiedlungen zentrum Neutra/Nitra in der heutigen Slowakei vertrieb. Der Nachfolger Moimirs, Um 900 wurde die Ennsburg errichtet – ein Indiz dafür, dass man bei den nach Westen hin kaum über- Rastislav (846–870), bat in Konstantinopel um Missionare. 864 kamen Konstantin Bayern die neue Bedrohung ernst zu nehmen begann. 907 rückte die gesamte bewaff- schritten. und Methodios in sein Reich. 867 reisten sie nach Rom, um die Genehmigung für die nete Macht der Bayern gegen die Ungarn aus. Bei Pressburg/Bratislava kam es zur slawische Liturgie einzuholen. Diese erfolgte 869. Rastislav wurde schließlich mit Schlacht, in der die Bayern eine katastrophale Niederlage erlitten. Markgraf Luitpold, fränkischer Hilfe abgesetzt (und geblendet), sein Sohn Svatopluk I. gelangte an die mehrere Bischöfe und der größte Teil des Adels fielen. Herrschaft (871–894). Er besiegte 872 Thüringer und Sachsen, die Ludwig der Deutsche Nun wurde die Enns wieder zur Reichsgrenze und zur Ostgrenze Bayerns. gegen ihn geschickt hatte, ebenso wie die Bayern an der Donau. Allerdings siedelten die Magyaren nicht bis dorthin. Ähnlich wie die Awaren haben Um 885/890 hatte Svatopluk die größte Ausdehnung seiner Herrschaft er- sie den Wienerwald mit Dauersiedlungen nach Westen hin kaum überschritten. Eine reicht: Sein Einflussbereich umfasste neben Böhmen und Mähren die heutige Slowakei nicht sehr dichte Kette ungarischer Wehrdörfer bildete im nördlichen Niederöster- und Südpolen sowie Teile Ungarns und Niederösterreichs. Method war Erzbischof reich die westliche Siedlungsgrenze. Davor lag – ähnlich wie bei den Awaren – ein von Pannonien, später von Mähren. Freilich wurde ihm mit Wiching ein fränkischer Glacis, in dem die Kontinuität mit der karolingischen Siedlung nicht völlig abriss. So (Unter-)Bischof in Neutra beigestellt. Unmittelbar nach dem Tode Svatopluks be- verunglückte der Freisinger Bischof 926 im Greiner Strudel auf der Anreise zum Besuch gannen sich die Ungarn in Pannonien und in der Donau-Theiß-Ebene festzusetzen freisingischer Güter in Niederösterreich. Die im „Nibelungenlied“ auftretende Figur (894–896). Ab 907 fehlt jede Nachricht vom Reich der Mährer. Markgraf Rüdigers von Bechelaren (Pöchlarn) könnte an einen bayerischen Amtsträger Im frühen 9. Jahrhundert unterstanden die Magyaren nördlich des Schwarzen der Ungarn zwischen Enns und Wienerwald erinnern. Einen anderen als diesen litera- Meeres den Chasaren. Von hier aus zogen sie nach Westen, wo 881 ein Zusammenstoß rischen Hinweis gibt es jedoch nicht. mit ostfränkisch-bayerischen Kräften „apud Weniam“ – also bei Wien – gemeldet wurde, wobei es sich im Übrigen um die erste mittelalterliche Nennung Wiens handelt. Thunau – Zentralort im Grenzgebiet In der Karolingerzeit gliederten sich die Gebiete südlich der Donau in Graf- schaften. Das nördliche Niederösterreich war dagegen eine politische „Grauzone“ zwischen (ost-)fränkischem Reich, mährischem Reich und dem Gebiet der böhmischen Stämme. Der fränkische Einfluss war hier geringer. Etwas weiter nördlich lag der große befestigte Zentralort Thunau. Für das Jahr 902/903 wird eine Schenkung von Gütern im unteren Kamptal durch einen „vir venerabilis“ namens Joseph an das Bistum Freising erwähnt. Möglicherweise handelte es sich bei ihm um einen durch die Taufe zu einem biblischen Namen gekommenen slawischen Adeligen mit Sitz am Schanzberg. Das Herzstück der Thunauer Anlage ist der von Palisadengräben umgrenzte Herrenhof. Er diente der herrschenden Familie zu Wohn- und Repräsentationszwecken. Ein anschließendes Gräberfeld enthält 215 Bestattungen, meist aus dem 9. Jahrhundert. Beigaben- und Bestattungssitten zeigen Einflüsse aus dem großmährischen wie aus dem karolingischen Bereich. Frauen und Mädchen wurden mit vergoldetem und silbernem Schmuck bestattet, wobei besonders die Ohrringe hervorzuheben sind. Kleine Textilreste geben Hinweis auf prachtvolle Gewebe, die zum Teil sogar aus impor- tierter Seide gefertigt waren. Bei den Männern verdeutlicht die Bewaffnung – etwa aus dem Westen importierte Schwerter mit damaszierten Klingen – den hohen sozialen Rang des jeweils Bestatteten.Auf der Schanze, einem westlich anschließenden Höhensporn, fanden sich mit dem Nord- und dem Südtor zwei Eingänge, die durch mehrstöckige hölzerne Tortürme gesichert wurden. Die Konzentration (politischer) Macht an diesem Zentralort zeigt sich auch anhand von Hinweisen auf einen „höfischen“ Lebensstil. Neben Schutz- und Re- präsentationszwecken diente die Anlage als Handels- und Produktionsplatz, wie etwa der Fund einer Waage oder eines Models für die Herstellung von Beschlägen zeigt. Die Mehrheit der Bevölkerung lebte in der Talsiedlung am Fuß des Schanzberges. Sie bestand auch nach dem Niedergang der Siedlung auf dem Schanzberg bis ins nächste Jahrhundert weiter und verlagerte sich dann möglicherweise in die Nähe der neu errichteten Babenbergerburg Gars. Nach 907 mehrten sich ungarische Überfälle und Beutezüge. In dieser Zeit der Unruhe wurde zwischen 926 und 930 eine kleine befestigte Höhensiedlung hoch über einer Thayaschlinge, in der Flur „Sand“ bei Raabs (?), erbaut. Archäologische Gegenstände des Alltags zeigen ungarischen Einfluss. Etwa 20 Jahre später fand die Siedlung in einer Brandkatastrophe ihr Ende. König Otto I. beendete die ungarischen Überfälle 955 durch den Sieg in der Schlacht auf dem Lechfeld. Nach der Niederlage wurden die Ungarn sesshaft, ihr Fürst Geza nahm das Christentum an. Zur Jahrtausendwende erhielt Stefan I. von Papst Silvester eine Königskrone – das christliche Ungarn war geboren. Stefan war mit Gisela vermählt, einer Tochter Heinrichs des Zänkers, des bayerischen Herzogs aus dem Rekonstruktion des Turmes des so- Geschlecht der Ottonen. Das führte zu einer engen Verbindung zwischen dem christli- genannten Nordtores als Teil der Befestigungsanlage auf der Schanze chen Ungarn und dem bayerischen Bereich. von Thunau.

144 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 145 Das Hochmittelalter – die Zeit der Babenberger im Kleinen Erlauftal, zeugt der Ortsname Steinakirchen von einem weiteren frühen Steinbau. Sonst hat man damals wohl durchwegs noch mit Holz gebaut. Ernst Bruckmüller Schicksal eines „Spions“ Auch andere Bischöfe, allen voran der tüchtige Pilgrim von Passau (971–991), Man schrieb das Jahr 1012. Ein Fremder erschien im östlichen Grenzgebiet sicherten sich ihren überlieferten Besitz durch Bestätigungen und Fälschungen. der Bayern. Die Leute verstanden nichts von dem, was er sagte. So wurde er angehalten Pilgrim wollte beweisen, dass der Bischof von Passau der Rechtsnachfolger eines bis in und festgenommen. Man machte ihm den Prozess – er sei ein Spion, vielleicht von die Frühzeit des Christentums zurückzuverfolgenden Bistums Lauriacum (Lorch bei den Mährern, hieß es. Der Mann wurde fürchterlich gequält, gab aber nichts zu Enns) gewesen sei. Pilgrim hatte nicht nur literarische Talente, sondern auch literari- (wie sollte er auch?) und wurde unschuldig an einem dürren Baum gehenkt. Als man sche Interessen: Er ließ jene Heldenlieder aufzeichnen, die später unter einem seiner später in das Fleisch des Toten schnitt, floss immer noch Blut heraus. Auch seine Nachfolger um 1200 als „Nibelungenlied“ zu einem der Höhepunkte mittelhoch- Nägel und Haare wuchsen weiter. Selbst der Baum – laut einer späteren Überlieferung Das Oktogon von Wieselburg ist der deutscher Dichtung ausgestaltet werden sollten. Die Diözese Passau reichte bis an die ein Holunderbaum – erblühte wieder, und so wurde immer klarer, dass es sich um erste erhaltene nachrömische Steinbau östliche Reichsgrenze an March und Leitha. In seinem Diözesangebiet erhielt der östlich der Enns (um 1000 n. Chr.). einen (Blut-)Zeugen Christi handelte. Als dies Markgraf Heinrich erfuhr, ließ er 1014 Es war ursprünglich ein selbstständiger Passauer Bischof nicht nur das Recht der Einhebung des Zehenten (zehnten Teils der den Leichnam feierlich nach Melk überführen und dort bestatten.2 Sakralbau. Im Spätmittelalter wurde Ernte), sondern auch weitere Besitzungen, etwa in Königstetten und Zeiselmauer. Der Justizmord geschah in Stockerau. Dort lebte man um 1012 offenbar eine Seite geöffnet und als Chorraum für die gotische Pfarrkirche verwendet. noch nahe der mährischen Grenze. Und man hatte Angst. Die Überstellung des Leich- nams (die „translatio“ im Beisein eines Bischofs) galt so viel wie eine Bestätigung der Heiligkeit des Toten. Koloman wurde bis ins 17. Jahrhundert als heiliger Landes- patron Österreichs verehrt. Jenes Grenzgebiet hatte für unseren Chronisten Thietmar von Merseburg keinen eigenen Namen. Die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandene „Passio Sancti Colomanni“ lässt Koloman „in orientalem Norice regionem“, im östlichen Noricum also, ankommen, „cui a plaga orientali Pannonia, ab aquilonari confinis adiacet Poemia“ (an dessen Ostgrenze Pannonien, im Norden aber Böhmen angrenzt)3. Das gesamte Fundinventar des Reiters Der alte römische Provinzname war also längst nach Westen gewandert und bezeich- von Gnadendorf, besonders hervorzu- heben ist der prachtvoll verzierte Säbel. nete das Land der Bayern. Die „Passio“ liefert auch eine Begründung für das Miss- trauen der Stockerauer: Die Bewohner jener bayerischen Grenzregion seien von ihren Nachbarn, den „Böhmen“ und den „Pannoniern“ (den Ungarn), immer wieder belästigt, ja sogar „erniedrigt“ worden, dabei sei es ihnen mitunter recht jämmerlich ergangen. Daher also die Angst vor Spionen! Nur wenig nördlich von Stockerau lag die Grenze gegen die Mährer, östlich jene gegen Ungarn. Vielleicht beherrschten die Ungarn damals noch das Gebiet östlich jenes Höhenrückens, der sich von den Pollauer Bergen im Südosten Mährens über die Falkensteiner Klippen und den Ernstbrunner Wald bis zum Bisamberg zieht. Wenn das Grab eines jungen ungarischen Reiters, den man bei Gnadendorf Die Überstellung des Leich- gefunden hat, wirklich in diesen Zeithorizont gehört, würde das diese Annahme nams galt so viel wie die unterstützen.4 Zwar soll es mit den Ungarn um 1012 friedliche Verhältnisse gegeben Bestätigung der Heiligkeit des haben. Im Norden aber hatte der Polenherzog Bolesław Chrobry Böhmen und Toten. Der hl. Koloman Mähren seinem rasch expandierenden Reich eingegliedert. Zwischen 1002 und 1018 wurde bis ins 17. Jahrhundert gab es zwischen dem ostfränkischen Reich und dem expansiven Polen laufend als Landespatron Österreichs kriegerische Auseinandersetzungen. Der schon genannte Markgraf Heinrich kämpfte verehrt. gegen die Gefolgsleute Bolesławs.

Die Babenberger und das Werden des Landes Zwei Heere lagen einander im Jahr 1105 bei Regensburg gegenüber. Eines folgte dem Vater, Kaiser Heinrich IV., eines dem Sohn, Heinrich V. Mit Leopold III., Markgraf von Österreich, wechselte einer aus der Gefolgschaft des alten Kaisers die Seiten. Heinrich V. hatte ihm nämlich die Hand seiner Schwester versprochen: Agnes, Witwe nach dem Schwabenherzog Friedrich.5 Ein Sohn aus dieser ersten Ehe, Konrad III., sollte später König werden, ein Enkel war der hoch berühmte Kaiser Friedrich I., der Rotbart. Der Seitenwechsel zwang den alten Kaiser zum Rückzug, es gab keine Schlacht. Leopold aber wurde reichlich belohnt. Seine Frau Agnes, die schon mehrere Kinder hatte, gebar ihm 17 Kinder; immerhin fünf Töchter und fünf Söhne sind namentlich bekannt, sieben Kinder verstarben früh.6 Leopolds Geschlecht stieg durch diese Heirat in die höchsten Kreise des Reiches auf.7 Leopolds Geschlecht – das waren die sogenannten Babenberger. Nach der berühmten Lechfeldschlacht von 955 war das ostfränkische Reich wieder nach Osten erweitert worden, über die Enns hinaus. Freilich nie mehr so weit wie zur Zeit der Karolinger – die neue bayerische Mark östlich der Enns war klein. Ein erster Markgraf, Burkhard, machte 976 einem „Luitpold“ (Leopold) Platz. Von ihm weiß man nicht viel. Er soll Melk erobert haben und starb 994 in Würzburg. Ihm folgte sein Sohn Heinrich I., Leopolds Geschlecht stieg den wir bereits als ersten Verehrer des hl. Koloman kennen. Der hl. Koloman, dargestellt auf dem durch diese Heirat in die Noch hatte man Angst vor ungarischen Einfällen. Daher bekam Bischof Wolf- Flügelaltar der Prälaturkapelle von Melk, 1526. höchsten Kreise des Reiches gang von Regensburg 979 einen Platz, an dem man zum Schutz der bayerischen Siedler auf. Leopolds Geschlecht – eine Burg bauen sollte: das spätere Wieselburg. Noch in der heutigen Pfarrkirche das waren die sogenannten ist einer der ältesten nachrömischen Steinbauten Niederösterreichs erhalten – das Babenberger. um 1000 errichtete Oktogon einer Kirche oder Kapelle.8 Unweit von Wieselburg, Prälaturkapelle, Stift Melk.

146 Im Lauf der Zeit Mit Ausnahme von Brixen Salzburg konnte seinen alten Besitz um Traismauer sichern. Der Bischof von Regens- Bischof Altmann von Passau. Aus dem waren alle bayerischen burg bekam Pöchlarn, aber auch Besitz weit im Osten. Die Zentren des Salzburger, Kodex „Explicatio symboli“, Stift Göttweig, Österreich. Illustriertes Manuskript, Bistümer im Osten reich Passauer und Regensburger Besitzes knüpften meist an römische Siedlungen an. Feder auf Pergament, um 1180. begütert. Dem Freisinger wurden reiche Schenkungen an der Ybbs, aber auch östlich von Wien (Groß-Enzersdorf) zuerkannt. Mit Ausnahme von Brixen waren alle bayerischen Bistümer im Osten reich begütert. Markgraf Heinrich erhielt 1014 eine größere Landschenkung vom Kaiser – weit im Osten, zwischen Liesing und Fischa. Damit war der Wienerwald überschritten. Als Heinrich 1018 starb, folgte ihm sein Bruder Adalbert (1018–1055). Mit ihm erst begannen die mittelalterlichen Chronisten die Reihe der österreichischen Markgrafen. Noch bot dieses Amt keine besondere Machtstellung. Der Markgraf führte das kriege- rische Aufgebot an und hatte einen gewissen Ertragsanteil am öffentlichen Gut. Der König bzw. Kaiser war zu dieser Zeit in unseren Breiten die politisch erheblich aktivere Figur. Immer noch machte er große Schenkungen an Bischöfe und Äbte. Kaiser Heinrich III. führte im Osten der Mark sowie im angrenzenden Ungarn Krieg, verwickelt in unangenehme Familienstreitigkeiten im ungarischen Königshaus, das enge Verbindungen mit Bayern hatte. Dabei ging es auch um Hainburg. Die alte „Heimenburg“ war um 1040 ungarisch, wurde 1042 erobert und zerstört. Die neue Burg wurde später einige Kilometer weiter östlich errichtet. Der Name wanderte mit. In Deutsch-Altenburg verblieb die Kirche und im Namen die Erinnerung an die alte Heimenburg.9 In diesen Kämpfen kristallisierte und stabilisierte sich die Ostgrenze der Mark. Ein Teil davon, die Grenze an der March, existiert heute noch. Bis 1922 war die Leitha die Grenze gegen Ungarn. Nun, im 11. Jahrhundert, zur Zeit Adalberts und seines Nachfolgers Ernst des Tapferen (1055–1075) wurden immer mehr Siedlungsnamen genannt, wichtigstes Zeugnis der Bevölkerungsverdichtung. Laufend stieg die Zahl der bayerischen Kolonis- ten, die in das Gebiet unter der Enns kamen, gerufen oder kommandiert von den geistlichen und weltlichen Herren aus Bayern, die im Osten Besitzungen hatten. Stift Göttweig in Niederösterreich, erbaut von Johann Lukas von Hildebrandt. Klöster – Stützpunkte der Macht, der Besiedlung und des Gebetes Um 1999. Die Bischöfe und die Äbte der großen Reichsklöster waren nicht nur Geist- liche, sondern verfügten auch über großen Grundbesitz und zahlreiche (leib-) eigene Landarbeiter und Bauern. Von den ostfränkischen (später: deutschen) Herr- schern bekamen sie weitere Herrschaftsrechte: Immunität (gegenüber dem Grafen und Markgrafen), Markt und Münze, Befestigungsrechte, Gerichtsrechte. So sollten sie die Herrschaft der Könige und Kaiser gegen den immer stark nach Selbstständigkeit drängenden Hochadel und auch gegen Mitglieder der Herr- scherfamilie stützen. (Ein Neffe Ottos des Großen, Heinrich, hatte den bezeich- nenden Beinamen „der Zänker“.) Die großen Reformbestrebungen, die von Cluny ausgingen, stellten diese Kooperationen infrage. Cluny, 910 gegründet, lag in Burgund, das Ausgangspunkt mehrerer Reformanläufe innerhalb der westlichen Christenheit war. Die Cluniazen- ser Reformer forderten eine von weltlicher Macht völlig unabhängige Kirche. Bischöfe oder gar Päpste sollten kanonisch – also durch Kirchenleute – gewählt und nicht, wie damals üblich, vom König oder Kaiser eingesetzt werden. Diese Forderung wurde virulent, als ein Geistlicher aus Cluny zum Papst gewählt wurde: Gregor VII. (1073–1085). Sein Gegner, Kaiser Heinrich IV., beantwortete die Forderungen des Papstes eher von oben herab, und schon war der schönste Streit im Gange – der sogenannte Investiturstreit. In unseren Breiten waren die Babenberger verlässliche Parteigänger der Päpste. Der Passauer Bischof Altmann (1065–1091), ein streitbarer Reformer, wurde hingegen von den Kaiserlichen aus Passau vertrieben. Er lebte dann, von den Markgrafen unterstützt, im Osten seiner Diözese. Aus Passauer Gütern stattete er seine wichtigste Gründung aus: Göttweig. Als Folge des Investiturstreits verminderten sich die königlichen Güter. Die Position des Kaisers oder Königs in der Mark war von da an erheblich geschwächt.10 Rede – „Chotansruti“, Kottes. Zur gleichen Zeit schenkte ein Herr Waldo dem Kloster Rasch änderte sich nun das Antlitz des Landes. Immer mehr Ortsnamen einen Wald nördlich von Kottes, den „Chotiwald“. Doch wieder eignete sich Markgraf zeugen von zunehmend dichterer Besiedlung.11 Zuerst wurden das Donautal und Leopold III. diesen Wald an. Die Mönche ließen indes nicht locker, und so erstattete das Alpenvorland besiedelt, bald griff man aber weiter aus. Auch nördlich der Donau er um 1121/22 schließlich den Wald zurück, jetzt aber schon mit Gütern, die dort neu lichtete sich der Wald. Aus dem jungen Kloster Göttweig haben wir genauere entstanden waren. Nur wenig später übergab er ihnen auf Bitten seiner Schwester, Nachrichten über einen kleineren Raum im südlichen Waldviertel: Der Gründerbischof der Herzogin von Böhmen, weiteren Besitz, der bereits aus Dörfern bestand – Voitsau, selbst hatte dem Kloster spätestens 1090 ein „desertum“ (einen Urwald) zu „Grie“ Dankholz, Kalkgrub und Purk. Sie lagen alle im Gebiet, das Waldo als Wald („silva“ – geschenkt. Grie war eine Landschaft nördlich des Spitzer Grabens, deren Herrschafts- nicht Urwald, sondern bereits nutzbarer Wald) an Göttweig gegeben hatte. Vom mittelpunkt vielleicht die Burg Ranna war. Markgraf Leopold II. (1075–1095) soll jene Urwald bis zum besiedelten Land war gerade eine Generation vergangen! An diesem Schenkung entfremdet haben. Um 1105 gab sie sein Nachfolger Leopold III. (1095–1136) Beispiel lässt sich der überaus rasche Fortschritt von Rodung und Besiedlung um wenigstens teilweise an Göttweig zurück. Nun war schon von einer Rodung die und nach 1100 verfolgen.12

148 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 149 Die großen Herren gründeten Klöster und Stifte. Im Streben nach strenger Befolgung der Lehre Christi und nach Kirchenreform entstanden neue Klöster und Orden. Gründungen der Reformbewegung als Mönchsklöster (Benediktiner) waren etwa Lambach 1056, Göttweig, gegründet als Kanonikerstift 1083 bis 1094, Melk 1089, Seitenstetten 1114, Altenburg 1144 und das Schottenstift in Wien 1155. Trotz der Gründungsdaten: Stiftung, Bau von Kirchen und Gebäuden, Besitz- Konsolidierung waren ein längerer Vorgang. Die weltlichen Herren spendeten großzügig. Man starb sicherer, wenn man große Klöster mit Dutzenden von Mönchen auf dieser Welt wusste, die für die Seele verstorbener Stifter und Wohltäter beteten … Auch die Weltpriester wurden in klosterähnlichen Verbänden (Kanoniker- stifte) zusammengefasst. Diese erfuhren häufig eine Umwandlung in Augustiner-Chor- herrenstifte, so St. Florian 1071, St. Pölten 1081 oder Klosterneuburg 1133. Neu gegrün- det wurde 1112 St. Georgen (später nach Herzogenburg verlegt). Eine weitere Welle von Reformern folgte mit den Zisterziensern. Zisterzienser- klöster wurden niemals auf gut sichtbaren Höhen, sondern in entlegenen, nicht selten unwirtlichen Tallagen errichtet. Der Verzicht auf jeglichen Herrschaftsanspruch äußer- te sich auch im Fehlen großer Kirchtürme. Die Zisterzienser waren zunächst auch nicht Grundherren, sondern bebauten durch Laienbrüder (Konversen) eigenes Land (Grangien). Die erste Zisterze in Niederösterreich entstand 1133 in Heiligenkreuz, ihr folgten Zwettl (1138) und Lilienfeld (1202). Prämonstratenser waren reformierte Chorherren, die ähnlich unwirtliche Örtlichkeiten aufsuchten wie die Zisterzienser. 1149/1159 erfolgte die Gründung von Geras und Pernegg als Herren- und Frauenstift. Die neu gegründeten Klöster boten frommen Menschen Zuflucht, vermehr- ten aber auch die Zahl der untertänigen Bauern. Und die Kirchen- und Klosterbauten wurden – wie die Stiftskirche Klosterneuburg – die ersten imposanten Zeugnisse der aus dem Westen importierten „romanischen“ Baukunst. Gleichzeitig entwickelten sich andere Künste: das Kunsthandwerk für die künstlerische Gestaltung der Altar- geräte, die Malerei für die Ausschmückung der Innenräume, schließlich die Buchmale- rei, die erste wunderbare Zeugnisse hervorbrachte. Zum bedeutendsten Kunstwerk des 12. Jahrhunderts aber wurde jenes Klosterneuburger Wunderwerk der Emailkunst, das Meister Nikolaus aus Verdun anfertigte – der Verduner Altar. Nicht nur die Fürsten gründeten Stifte und Klöster, sondern auch der nicht- fürstliche Adel und Ministerialen. Das waren an sich unfreie, dennoch aber mächtige Gefolgsleute der großen Herren. Am wichtigsten wurden die Ministerialen der Baben- berger, unter ihnen die berühmten Kuenringer, die Stifter von Zwettl. Das von Nikolaus von Verdun 1181 gestaltete Kunstwerk gehört zu den Meisterwerken Mächtige Dienstmannen mittelalterlicher Goldschmiedekunst. Es repräsentiert die Glanzzeit der Babenberger- Mit der Hilfe dieser Dienstmannschaft gelang es den Babenbergern, zu den dynastie und ihre internationalen Verbindun- unbestrittenen Herren des jungen Landes aufzusteigen. Schon im 12. Jahrhundert gen. Ursprünglich handelte es sich um die legte sich Leopold III. den Titel „Fürst“ zu. Sein Vater Leopold II. hatte Melk gegründet, Verkleidung einer Kanzel, erst im 14. Jahr- hundert wurden die Emailtafeln zum Altar Leopold III. vollendete diese Gründung, stiftete Klosterneuburg und betrieb auch umgearbeitet. die Gründung von Heiligenkreuz und Klein-Mariazell. Im 12. Jahrhundert erwarben die Babenberger mithilfe ihrer Dienstmannen die Vogteirechte über zahlreiche Besitzun- gen der Bischöfe von Passau, Salzburg, Freising, Bamberg und Regensburg. Der Vogt hatte das Kirchengut zu schützen, war aber auch Gerichtsherr auf den kirchlichen Besitzungen und bezog dafür gewisse Abgaben. Dabei ging es nicht immer ganz fried- lich ab. Im später geschriebenen „Landbuch von Österreich und Steier“13 finden sich schöne Belege dafür, wie die Markgrafen und ihre Leute die hochadeligen Konkur- renten langsam, aber beharrlich verdrängten, indem sie sich Rechte über das Kirchen- gut aneigneten. Die neuen Landesfürsten galten neben den Chefs der alten Herzogtümer als Fürsten des Heiligen Römischen Reiches, als Reichsfürsten. Tatsächlich geboten sie Klostergründungen hatten in den jungen Ländern wie Könige in ihrem Reich, hatten Recht zu sprechen und vor allem zwei Folgen: Sie boten die Kirche, die Kaufleute, die kleinen Leute, die Städte zu schützen. Ihre „Werkzeuge“ frommen Menschen Zuflucht, dafür waren, wir sagten es schon, ihre kriegerischen Gefolgsleute, die Ministerialen. vermehrten aber auch die Zahl der Wenn deren Chefs, die Markgrafen, zu „Landesfürsten“ aufstiegen, wurden aus ihren untertänigen Bauern. Und die Ministerialen, die vielfach an die Stelle des alten Adels traten, neue Herrschaftsträger. Kirchen- und Klosterbauten wurden Man sprach – schon mittelhochdeutsch – zunächst von „Dienstmannen“, später die ersten imposanten Zeugnisse aber bereits von „Dienstherren“ und im 14. Jahrhundert sogar von „Landherren“. Stiftungsurkunde für das Kloster Melk, der aus dem Westen importierten Ein neuer Herrenstand erwuchs aus dieser Gruppe. Wir werden ihn im späten Mittel- auf das Jahr 113 datiert, Datum verfälscht. („romanischen“) Baukunst. alter und in der frühen Neuzeit als politisch recht aktiv kennenlernen. Bischof Ulrich von Passau bestätigt darin die Ausstattung des Klosters durch die Markgrafen Leopold II. und Leopold III.

150 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 151 Kulturelle Blüte zur Zeit der Babenberger Zu den rasch wachsenden Markgraf Leopold III., genannt der Die Zeit der letzten Babenberger war eine Zeit der wirtschaftlichen und Klöstern und ihren Heilige (1073–1136), um 1290/1300. kulturellen Blüte. Die Klostergründungen wurden um und nach 1200 durch das Zister- Glasgemälde im Brunnenhaus Klostermärkten kamen zienserkloster Lilienfeld ergänzt. Und zu den rasch wachsenden Klöstern und ihren des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz. alte und neue Städte. Klostermärkten kamen alte und neue Städte. Hatte es um 1000 gerade einige wenige Burgmärkte an der Donau gegeben (Ybbs, Krems, Mautern, später Tulln), bestanden um 1200 schon zahlreiche Städte, von festen Mauern umgeben: Wien, St. Pölten, Tulln, Kloster- und Korneuburg etc. Dazu kamen Neugründungen wie Wiener Neustadt (nach 1194), Drosendorf, Eggenburg oder Laa an der Thaya. Der Gründungsvorgang von Wiener Neustadt ist gut belegt: Zur rechtlichen Ausstattung der „Neustadt“ wurde das Marktrecht von Neunkirchen hierher verlegt, ebenso die Münzstätte von Fischau; bald gab es Neustädter Pfennige. Von mehreren Städten – darunter Wien, Wiener Hainburg an der Donau, die östlichste Neustadt, Enns und Hainburg – heißt es, ihre Mauern seien aus den Mitteln jenes Stadt Niederösterreichs. Das Wienertor (13. Jahrhundert), Industrieviertel. Lösegeldes errichtet worden, das der englische König Richard Löwenherz hatte bezah- Handkoloriertes Glasdiapositiv, um 1900. len müssen, um aus seiner Gefangenschaft bei Leopold V. wieder freizukommen. Angeblich hatte König Richard den Babenberger am Kreuzzug vor Akkon beleidigt, bei seiner Rückreise im Mittelmeer aber Schiffbruch erlitten. Auf dem Landweg Richtung England war er 1192 durch Österreich gekommen, in Erdberg bei Wien erkannt und gefangen genommen worden. Leopold VI. und Kaiser Heinrich VI., ebenfalls ein Feind Richards, hatten sich die Freilassung teuer bezahlen lassen – 100.000 Mark Silber hatte das englische Königreich erlegen müssen, um seinen König freizubekommen. Nimmt man an, dass eine Mark Silber etwa 28 Dekagramm wog, dann ergab das ein Silbergewicht von stolzen 28 Tonnen. Kaiser und Herzog teilten sich die Beute. Beide wurden dafür vom Papst gebannt – Kreuzfahrer fängt man nicht ein und er- presst für sie Lösegeld! Leopold V. erlitt auch prompt einen Unfall, der ihn letztlich das Leben kostete; im letzten Moment löste ihn aber der Salzburger Erzbischof aus dem Kirchenbann. Ob das Lösegeld, wie vom Papst gefordert, zurückgezahlt wurde, ist eher fraglich. Wien wurde nun zum glänzenden Mittelpunkt des Landes – hier hielten die Babenberger Hof, seit Heinrich II. Jasomirgott seine Residenz von Klosterneuburg verlegt hatte. Binnen Kurzem wurde Wien zu einer richtigen Großstadt, im Reich nördlich der Alpen nur von Köln übertroffen. Zwar erhielt man erst relativ spät ein „richtiges“ Stadtrecht (1221), aber in seiner wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung überragte Wien alle anderen Städte bei Weitem. Sie erhielt besondere Begünstigungen: So durften die oberdeutschen Kaufleute aus Passau, Regensburg und den schwäbi- schen Städten nur zwei Monate verweilen und ihre Waren alleine an Einheimische verkaufen. In diesem blühenden Land entstand auch eine reiche Literatur: In Melk oder in Göttweig lebte Frau Ava, die erste Dichterin in deutscher Sprache. Und der Laien- bruder Heinrich von Melk verfasste die Dichtung „Von des tôdes gehugde“. Der bedeutendste Historiker des Hochmittelalters war Otto, einer der Söhne Leopolds III., der freilich nach seiner Kindheit meist außer Landes lebte: in Paris, Morimond, wo er Zisterziensermönch wurde, und in Freising, wo er von 1138 bis 1158 Bischof war. Schließlich erstand am oder um den „wonniglichen Hof“ der Babenberger zu Wien eines der Zentren der mittelhochdeutschen Minnedichtung. Hier lernte Walther von der Vogelweide „singen und sagen“. Das große Heldenepos der Zeit, das „Nibelungenlied“, wurde um 1200 im Umkreis Wolfgers von Erla, des Bischofs von Passau, geschrieben. Darin ist auch Bischof Pilgrim genannt, jener Vorgänger Wolfgers, Aufstieg zum Herzogtum der das gewaltige Epos wohl schon in lateinischer Sprache aufzeichnen ließ. Der Leopold III. und sein Geschlecht standen in den Kämpfen des 12. Jahrhunderts Dichter, eventuell ein Domherr von Passau, kannte sich im Donautal zwischen Regens- auf der Seite der ihnen eng verwandten Staufer. Als König Konrad den Welfen Bayern burg und Wien hervorragend aus. Pöchlarn, Melk, Mautern und Tulln kommen na- abnahm, verlieh er es seinem Stiefbruder Leopold IV. (1136–1141). Leopold starb bald, mentlich vor. Natürlich – Niederösterreich gehörte ja zum Bistumsgebiet von Passau. ihm folgte im bayerischen Herzogtum und in der Mark sein Bruder Heinrich II. „Jaso- Die Zeit der letzten Babenberger, vor allem die Leopolds VI. des Glorreichen mirgott“ (1141–1177). Aber die Welfen forderten unablässig Bayern zurück, und die (1198–1230), galt später als Goldenes Zeitalter des Herzogtums Österreich. Zwar Macht der Babenberger war nicht stark genug, sich dauernd gegen sie durchzusetzen. gründete Leopold VI. nur mehr ein wichtiges Kloster, die Zisterze Lilienfeld, umso Schließlich suchte der neue Kaiser, Friedrich I. Barbarossa, nach einem Aus- wichtiger war aber das Wachstum der Städte, besonders von Wien. Leopold, der gleich mit dem mächtigen Welfengeschlecht. Auf einem Reichstag zu Regensburg am selbst in der Reichspolitik engagiert war, starb in Italien nach einem Vermittlungsver- 17. September 1156 wurde Bayern dem Babenberger aberkannt und dem Welfen such zwischen Papst und Kaiser. Der letzte Babenberger, Leopolds Sohn Friedrich II. Heinrich dem Löwen übertragen. Als Trost behielt der Babenberger Heinrich II. den (1230–1246), trug den Beinamen „Bellicosus“, der Streitbare, bedauerlicherweise zu Herzogstitel und bekam noch einiges dazu: Seine Mark Österreich wurde endgültig Recht. Seine Politik war extrem konfliktträchtig. Mit seinem gleichnamigen Kaiser, dem Als Trostpreis behielt der von Bayern getrennt und zum Herzogtum erhoben. Die Gemahlin des Babenbergers, Staufer Friedrich II., stand er zuweilen auf Kriegsfuß. Dann gab es aber auch wieder Babenberger Heinrich II. den die oströmische Prinzessin Theodora, wurde gemeinsam mit dem Gatten belehnt. Versöhnung und einen besonderen Plan: aus Österreich und Steiermark ein Königreich Herzogstitel und bekam Sollte das Paar keine Kinder haben, würden sie das Recht haben, dem Kaiser einen zu machen. Dazu kam es nicht mehr. 1246 fiel der letzte Babenberger in einem an noch einiges dazu: Seine Mark Nachfolger vorzuschlagen. Die Heerfahrtpflicht des österreichischen Herzogs sich bedeutungslosen Kampf mit Ungarn an der Leitha. Österreich wurde endgültig wurde auf die Nachbarländer beschränkt, auch Hoftage des Kaisers musste er nur von Bayern getrennt und zum besuchen, wenn sie in Bayern stattfanden. Im Herzogtum sollte keine Gerichts- Herzogtum erhoben. barkeit geübt werden, die nicht vom Herzog verliehen wurde.14

152 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 153 Österreich als Kernland der Habsburger Mit der Urkunde vom 27. Dezember 1282 bekräftigte König Rudolf I. die Beleh- nung seiner Söhne mit Österreich, Die Schwaben kommen! Steiermark, Krain und der Windischen Die Wirren nach dem Tod des letzten Babenbergers fanden vorläufig ein Mark. Damit begann die Herrschaft Ende, als die österreichischen Dienstmannen, jetzt schon „Dienstherren“, 1251 einen der Habsburger in Österreich. tüchtigen Herrscher aus der Nachbarschaft ins Land holten – Ottokar II. Přemysl, damals Markgraf von Mähren, bald auch König von Böhmen. Er heiratete im Februar 1252 in Hainburg die schon etwas ältliche Babenbergerin Margarete und führte sich im Land gut ein. Städte und Klöster sangen sein Lob. Etwas anders die sehr selbst- bewussten Dienstherren, die sich auch schon „Landherren“ (Herrenstand) nannten. Ottokar begann, ihre Macht zu dämpfen.15 Mehrere Burgen wurden gebrochen. Der Unmut des neuen Adels stieg, in Österreich wie in Steiermark. Beim Kriegszug des neu gewählten römisch-deutschen Königs Rudolf gegen Ottokar donauabwärts im Jahr Ehemaliges Kartäuserkloster Gaming, 1276 liefen die österreichischen und steirischen Herren daher reihenweise zu Rudolf Klosterplan: Geistiges Gepräge und über. Die Klöster und Städte blieben eher auf der Seite Ottokars. Dieser nahm nun Eigenart des Kartäuserordens kennzeich- Böhmen und Mähren von König Rudolf zu Lehen, die babenbergischen Länder blieben nen auch dessen Klosteranlagen, was insbesondere in den Zellen (eigene in der Verwaltung des Königs. Nach dem Tod Ottokars in der Schlacht bei Dürnkrut am Häuschen mit Vorraum, Tages- und 26. August 1278 konnte Rudolf I. die beiden Länder – mit Zustimmung der wichtigsten Schlafraum, mit eigenem Gärtchen und Reichsfürsten – an seine eigenen Söhne, ein Jahr darauf an den Älteren, Albrecht I., Umfassungsmauer) zur Ausformung gelangt. allein verleihen. Albrecht I. (1282–1298 Herzog, 1298–1308 König) war nicht beliebt. Er war ein Fremder, ein „Schwabe“ – die Habsburger kamen ja aus der heutigen Schweiz, damals Teil Schwabens. Und in seinem Gefolge hatte er ebenfalls Schwaben. Ob sie auch schon so sparsam waren, wie man ihnen das heute nachsagt, wissen wir nicht. Aber sie hielten Ausschau nach Karrieremöglichkeiten – und nach Besitz. Albrecht führte ein strenges Regiment. Das hatte Aufstände zur Folge. „Der Herzog muoz gen Swâben wider, mit allen sînen Swaben!“ – so soll ein Kampfruf aufständischer Land- herren gegen Herzog Albrecht gelautet haben.16 Aber alle Aufstandsversuche scheiterten. Albrecht schlug rasch und entschlossen zu, noch bevor die Aufständischen sich richtig organisieren konnten. Auch zwei Verschwörungen in Wien, ausgehend von einer Gruppe wohlhabender Mitglieder der städtischen Oberschicht, scheiterten. Wien verlor seine Stellung als Reichsstadt und hatte sich dem Herzog zu unterwerfen. Nachdem Albrecht I. 1298 selbst König geworden war, übertrug er die Herzog- tümer seinem Sohn Rudolf III. (1298–1306, dann bis 1307 König von Böhmen). Schön langsam gewöhnte man sich aneinander – die Österreicher an die Schwaben, die Habsburger an Österreich. Man kann das an den Begräbnisstätten ablesen: Während Rudolf I. und Albrecht I. wie mehrere kaiserliche Vorgänger den Dom von Speyer als Grablege wählten, ließen sich drei der Söhne Albrechts in den östlichen Herzog- tümern bestatten: Friedrich der Schöne in der von ihm gegründeten Kartause Mauerbach, Otto der Fröhliche in der von ihm gegründeten Zisterze Neuberg an der Mürz und Albrecht II. in seiner Lieblingsstiftung, der Kartause Gaming.

Margarete, römische Königin, Tochter Herzog Leopolds VI. und Witwe nach König Heinrich (VII.), Sohn Kaiser Friedrichs II., heiratete 1252 den viel jüngeren Ottokar II. Přemysl, König von Böhmen, Herzog von Österreich und Steiermark sowie Markgraf von Mähren.

154 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 155 Mit dem Wachstum der habs- Ungefähr in diese Zeit fallen zwei wichtige Zeugnisse für das Selbstbewusstsein des Ein solcher Landtag durfte nur vom Landesfürsten, dem Herzog einberufen werden, burgischen Herrschaft Landes. Die Rede ist einerseits von der ältesten Aufzeichnung des Landrechtes ansonsten galt er zumindest als ungültig, wenn nicht gar als Ausdruck von Untreue nahmen auch die Konflikte zu, des Landes Österreich. „Was Landes Recht ist“ wurde im Spätmittelalter zur stehenden und Verschwörung. Immer ging es dabei ums Geld – Landtage seien Zahltage, hieß es. und damit die Rüstungsaus- Formel in zahllosen Urkunden aller Art, vor allem im Privatrecht. Die Formel setzt Herren und Ritter, später auch die Prälaten als Vorsteher der wichtigen Klöster gaben. Zwar waren die Herren voraus, dass es ein lebhaftes Bewusstsein davon gab, was das Recht des Landes war. waren zur Unterstützung des Herzogs verpflichtet. Bei den kriegstüchtigen Herren, und Ritter zur Verteidigung Das zweite ist eine Sammlung von Gedichten eines „sogenannten Seifrid Helbling“, Rittern und Städten konnte das auch direkt geschehen, durch das Aufgebot. Viel des Landes verpflichtet, aber nur die als „Kleiner Lucidarius“ bezeichnet werden. Darin wird männiglich kritisiert: lieber bekam der Herzog aber eine Summe Geldes, um sich professionelle Krieger zu auf zwei Monate. Für jeden der Herzog, der Adel, aber auch reiche Bauern, die Ritter werden wollen, und nicht mieten – Söldner eben. Dieses Geld mussten ihm die Untertanen der Prälaten, anderen Krieg ließen sie sich zuletzt die mangelnde Achtung der Österreicher vor ihrer „Landessitte“! Herren und Ritter abliefern. Auf sie hatte der Herzog jedoch keinen Zugriff, nur seine extra bezahlen. Albrecht II. überlebte seine fünf Brüder; er hatte auch als Einziger überleben- eigenen bäuerlichen Untertanen und die Bürger der landesfürstlichen Städte konnte de Söhne, trotz seiner Behinderung, die ihm den Beinamen „der Lahme“ verschaffte.17 er jederzeit rupfen. Steuern auf die Untertanen der feudalen Herren mussten aber Er starb erst 1358. eben jene Herren bewilligen! Zwar wurden die Kriege mit den Schweizern von den habsburgischen Besit- Katastrophen und Krisen zungen und Untertanen im Westen bestritten, im Elsass und im Breisgau, im Schwarz- Das 14. Jahrhundert gilt als Krisenzeit. Missernten und Hungersnöte traten wald und eben in der Schweiz. Aber auch im Osten gab es immer wieder größere auf. Drei Jahre lang fraßen enorme Heuschreckenschwärme die Ernte auf. Dann oder kleinere Händel. Erheblich ernster wurde hier das Problem ab etwa 1420, als der kamen strenge und lang andauernde Winter. 1349 brach erstmals die Pest aus. In Wien österreichische Herzog Albrecht V., der Schwiegersohn des Luxemburger Königs sollen täglich 500 bis 700 Menschen gestorben sein. Wie immer suchte man Schuldige, und Kaisers Sigismund, diesen in seinem Kampf gegen die böhmischen Hussiten zu und die waren schnell gefunden: die Juden. Schon 1338 ging es wegen der Heuschre- unterstützen begann. Große Summen waren notwendig, um den überaus kriegstüchti- ckenplage gegen Juden in Retz, Horn, Eggenburg, Zwettl und Klosterneuburg los. gen Böhmen etwas entgegenhalten zu können. Man hat damals sogar bäuerliche Infolge der Pest kam es im Herbst 1349 zur Ermordung von Juden in Krems, Stein, Aufgebote organisiert, wenn die Heeresmacht der ritterlichen Söldner wieder einmal Mautern und Langenlois. Die Täter und ihre Heimatstädte wurden streng bestraft. Eine Hussitenschlacht. Illustration aus nicht reichte. Und sie reichte immer weniger: Niederlagen der Ritterheere waren Eine andere Folge der Pest waren außerordentliche Bußübungen, um Gott zu dem „Buch von Kaiser Sigismund“ von an der Tagesordnung, so gegen die Schweizer bei Sempach 1386, gegen die Osmanen Eberhard Windeck, um 1430. besänftigen, dessen Zorn in der Pest so sichtbar geworden sei: Züge von Geißlern bei Nikopolis in Bulgarien 1396, mehrfach gegen die Hussiten. Neue Kampftechniken durchzogen das Land, die sich selbst peinigten, dabei seltsame Lieder sangen. Das war tauchten auf – die fürchterlichen Gewalthaufen der Schweizer Fußknechte, die auch Ausdruck einer antikirchlichen Haltung, da die Kirche offensichtlich nicht hussitischen Wagenburgen, die neuen Feuerrohre und Geschütze, die mit Schießpulver mehr imstande war, jene furchtbaren Strafen Gottes abzuwenden. „Richtige“ Ketzer- funktionierten. Man brauchte jetzt kriegstüchtige, geübte Söldner, Reiter und Fuß- gemeinden soll es in Steyr und im Traisental bei St. Pölten gegeben haben. knechte. Gestellt wurden sie von Söldnerunternehmern; meist waren das selbst Mit dem Wachstum der habsburgischen Herrschaft nahmen auch Konkur- ritterliche Herren, die solche Leute anwarben und dem zur Verfügung stellten, der sie renzsituationen und Konflikte zu, und damit die Rüstungsausgaben. Zwar waren die bezahlen konnte. In Niederösterreich war Ulrich Grafenecker ein solcher Herr – Herren und Ritter zur Verteidigung des Landes verpflichtet, aber nur auf zwei Monate. mit dem Geld kaufte er sich eine neue Herrschaft zusammen, deren namengebendes Für jeden anderen Krieg ließen sie sich extra bezahlen. Und das kostete, vor allem, Schloss bis heute Grafenegg heißt. wenn man die Leute monatelang unter Sold hielt, weil sich der Krieg hinzog. Man musste also Kredite aufnehmen, für die der Herzog seine Einnahmen als Garantie zu Konflikte im „Haus Österreich“ verpfänden hatte – Einnahmen aus feudalen Rechten, Gerichtsrechten, Maut und Rudolf IV. war der Älteste von drei überlebenden Söhnen Albrechts II. Zöllen. Wir haben über diese Einnahmen aus dem 13. bzw. frühen 14. Jahrhundert Er starb viel zu früh, schon 1365. Noch in seinem Todesjahr gründete er die Universität durch die damals angelegten landesfürstlichen Einkünfteverzeichnisse („Urbare“) eine Wien. Zu einem kontinuierlichen akademischen Leben kam es freilich erst ab 1384. recht gute Übersicht. Doch nun begannen die Ausgaben die Einnahmen fast ständig Damals gelang es Albrecht III. (1365–1395), Professoren aus Paris zu gewinnen, die von zu übersteigen. dort wegen der Kirchenspaltung auszogen. Nun erhielt die Wiener Universität auch Eine beliebte Möglichkeit der Steigerung der Einkünfte war die „Münz- eine theologische Fakultät. Leopold III. und Albrecht III. regierten zunächst gemeinsam. verschlechterung“. Die Münzen, sogenannte Pfennige, wurden Jahr für Jahr neu aus- 1379 beschloss man zu Neuberg an der Mürz eine reale Teilung. Albrecht III. erhielt gemünzt, wieder eingezogen, neuerlich ausgemünzt. Wenn man dabei den Silberanteil Österreich, Leopold III. alles Übrige. Man sieht: Österreich, also Ober- und Niederöster- immer ein wenig verringerte, merkte das niemand (so glaubte man wenigstens), reich, galt damals als ebenso wertvoll wie alles andere zusammen, also die Steiermark, und es blieb immer etwas mehr Silber im habsburgischen Schatz übrig. Aber natürlich Kärnten, Krain, Tirol und die Gebiete westlich davon, bis an den Rhein und ins Elsass. merkten die Menschen es, und daher erhöhten sie in dem Maße, wie die Münzen Die „Albertiner“ hatten in der Folge immer nur einen Nachfolger: Auf Albrecht III. weniger wert wurden, die Preise. Eine Inflation nahm ihren Anfang. folgte Albrecht IV., dann Albrecht V. und zuletzt Ladislaus (Postumus). Albrecht IV. starb Nun setzte sich Herzog Rudolf IV. mit den Landherren (dem hohen Adel), den schon 1404. Für dessen kleinen Sohn Albrecht V. musste ein Vormund bestellt werden. Rittern und den Vertretern der Städte zusammen, um ein „Gespräch“ zu führen (1359). Zwei „leopoldinische“ Vettern, Ernst und Leopold IV., stritten um die Vormundschaft. In dieser Zusammenkunft kann man einen frühen Landtag sehen. Der Herzog ver- Unterstützt wurden die streitenden Brüder von verschiedenen Fraktionen des Wiener sprach den Herren, in Zukunft keine Münzverschlechterung mehr vorzunehmen, Bürgertums. Ihre jeweiligen Gegner unter den Wienern fielen der Politjustiz des dafür aber konnte er eine Art Umsatz- bzw. Getränkesteuer einführen: den (oder das) gerade Stärkeren zum Opfer: Einmal waren es Vertreter der Handwerker, dann, bei „Ungelt“. Die Einhebung war einfach: Die durstigen Zecher bezahlten eine ganze geänderter politischer Konjunktur, der Bürgermeister Konrad Vorlauf und zwei andere Einheit, ihnen wurde aber weniger eingeschenkt – sie bekamen, wenn der Vergleich Ratsherren, die Herzog Leopold in einem äußerst dubiosen Verfahren verurteilen erlaubt ist, statt zwei Vierteln nur drei Achtel. Den Gewinn steckte der Herzog ein. und gleich hinrichten ließ (1408). Endlich setzten die Stände 1411 die Großjährigkeit Das war der Beginn einer langen Karriere der Umsatzbesteuerung, die ja bis heute des jungen Herzogs Albrecht V. durch. Herzog Leopold traf vor Wut darüber der einen Löwenanteil der Staatseinkünfte trägt! Schlag, Ernst zog sich in die Steiermark zurück. Nun regierte Albrecht V. im Herzogtum Österreich (also Nieder- und Ober- Das Ende der Ritterheere österreich) allein (1411–1439). Er heiratete Elisabeth, die Tochter des Luxemburgers Von „richtigen“ Landtagen spricht Bei solchen Zusammenkünften zeigte sich aber auch, wem so etwas wie poli- Sigismund, König von Ungarn, bald auch des Heiligen Römischen Reiches und theore- man ab dem späten 14. Jahrhundert. tische Mitsprache zukam. Schon Rudolf von Habsburg verkündete nach seinem Ober- und Niederösterreich tisch auch von Böhmen. Damit wurden Albrecht und Österreich in die unseligen Ein solcher Landtag durfte nur Einzug in Wien einen „Landfrieden“ für Österreich mit Zustimmung der „Landherren“ galten damals als genauso wert- Hussitenkriege hineingezogen, in denen der Herzog für den Schwiegervater um vom Landesfürsten, dem Herzog, (wir erinnern uns: Früher waren das einfache Dienstleute, Ministerialen!), dann voll wie alles andere zusammen, Mähren kämpfte. Die Hussiten fielen ab 1425 mehrfach in Österreich ein. Sie zerstör- einberufen werden, ansonsten auch der „Ritter“ und der „Städte“. Als Friedrich der Schöne eine aragonesische Prinzes- also die Steiermark, Kärnten, ten Retz, kamen im Jahr darauf bis Stockerau und brannten im Winter 1426/27 das galt er zumindest als ungültig, wenn sin heiratete, verlangte der Schwiegerpapa, dass die Stände des Landes eine Garantie- Krain, Tirol und die Gebiete west- Stift Zwettl nieder. In der Nähe von Zwettl erlitten die Österreicher im Frühjahr 1427 nicht gar als Ausdruck von Untreue erklärung für die Morgengabe des Herzogs abgaben. Da traten sie also wieder gemein- lich davon, bis an den Rhein eine vernichtende Niederlage. Erst 1431 siegte ein österreichisches Aufgebot, verstärkt und Verschwörung. sam auf.18 Von „richtigen“ Landtagen spricht man ab dem späten 14. Jahrhundert. und ins Elsass. durch 1.000 Bauern, bei Kirchberg an der Wild gegen ein Hussitenheer. Nach 1435

156 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 157 kehrte langsam Ruhe ein. Die beiden Viertel nördlich der Donau waren auf furcht- Leopold III. wird zum Heiligen bare Weise heimgesucht worden. Aber die damals aufgestellten Söldnerheere Wieder brach der Streit um Österreich aus – diesmal zwischen den überleben- – oder -banden – blieben noch jahrzehntelang eine Plage für das Land. den Habsburgern der leopoldinischen Linie, Kaiser Friedrich III., seinem Bruder Und wieder waren angeblich die Juden schuld. 1420 verschwanden in Wien Albrecht VI. sowie dem Tiroler Vetter Siegmund. Friedrich beharrte stets auf seinen drei Christenknaben, eine Frau soll außerdem Juden eine Hostie verkauft haben. Ansprüchen als Ältester des Hauses, meist aber ohne die Machtmittel, sie durch- Diesmal stand der Herzog aufseiten der Volksmeinung. Er ließ alle Juden in seinen zusetzen. Albrecht war hingegen sehr rührig und schaffte es auch, in Österreich Landen gefangen nehmen und ihre Güter einziehen. Zwischen 110 und 400 Juden Anhänger zu gewinnen. 1458 erhielt er das Land ob der Enns, der Kaiser Österreich fielen der Verfolgung zum Opfer. Sie erlitten 1421 in Wien-Erdberg den Feuertod unter der Enns. Erstmals hatten die Obderennser einen eigenen Herrscher! Damit („Wiener Geserah“). verstärkte sich die Sonderstellung des Landes ob der Enns. Österreich, das war ein Reichslehen, aber zwei Länder. Länder hatten eigene Landstände, so auch hier. Streit um Ladislaus Postumus Während der Adel noch öfter gemeinsam mit den Unterennsern tagte, bildeten Albrecht V. folgte 1437 seinem Schwiegervater als König von Ungarn und die Städte und die Klöster ob der Enns den Kern eines eigenständigen landständischen Böhmen, 1438 auch als römischer (deutscher) König. Aber schon im folgenden Wesens. Später kam ein eigenes Landhaus dazu. Jahr starb er. Missernten, Hungersnöte und schlechte Münzen („Schinderlinge“) bedräng- Neue Querelen folgten. Denn Albrecht hinterließ keinen Nachfolger, aber ten Land und Leute. Der überregionale Handel von Wien litt darunter ebenso wie das eine schwangere Witwe. Elisabeth gebar im Februar 1440 in Ungarn einen Sohn, bürgerliche Handwerk, die Grundherren, die Bauern. Dazu kamen die ständigen Ladislaus, den Nachgeborenen, lateinisch „Postumus“. Die tüchtige Witwe ließ in einer Verlobungsporträts von König Ladislaus Heimsuchungen durch böhmische und andere Söldner, die angeblich oder tatsächlich Postumus mit Magdalena von Frankreich. Nacht-und-Nebel-Aktion, nach Entwendung der Stephanskrone durch die Wiener Ladislaus starb am 23. November 1457, Kammerfrau Helene Kottannerin, den Säugling zum ungarischen König krönen. Die kurz vor der Hochzeit. Das Melker Kreuz enthält der Überliefe- Vormundschaft aber konnte sie nicht übernehmen. Schon begann der Streit darüber: rung nach ein Partikel vom Kreuz Christi, Neben dem ältesten Habsburger, Friedrich V., Herzog der Steiermark, meldete auch das von Markgraf Adalbert 1040 nach Melk gebracht worden ist. Die heutige dessen Bruder Albrecht (VI.) Ansprüche an. Friedrich aber wurde im selben Februar Fassung wurde von Rudolf IV. in Auftrag 1440 zum römischen (deutschen) König gewählt, war also nicht nur der älteste, gegeben. sondern auch der ranghöchste Habsburger. Dieser Friedrich (1439–1493), als Kaiser ab 1452 Friedrich III., war aber ein Steirer. Österreich interessierte ihn weniger, wohl fühlte er sich nur in Graz oder in Wiener Neustadt, das damals noch in der Steiermark lag. Die offenen Forderungen an den verstorbenen König Albrecht, Kreditrückzahlungen und Soldrückstände, sollte das Land Österreich decken, Friedrich kümmerte das nicht. Nun begann eine jahrzehntelange Leidenszeit. Söldnerführer mit offenen Forderungen machten das Land unsicher und setzten sich in festen Lagern (Tabore) im Marchfeld fest. Ehrgei- zige Emporkömmlinge wie Ulrich von Eytzing sagten dem König Fehde an und ent- schädigten sich am Gut einheimischer und fremder Kaufleute, landesfürstlicher Städte und Untertanen sowie von Klöstern. Es war die Blütezeit der Raubritter und Wegelagerer. Dies geschah unter dem Titel der Fehde – einer ritterlichen Art, gewalt- sam „sein“ Recht zu erkämpfen, was damals männiglich für erlaubt hielt. Unter den Ständen des Landes waren zu dieser Zeit die Städte die kapitalkräftigsten, am stärksten natürlich Wien, wo 1433 der hohe Turm von St. Stephan fertiggestellt worden war – damals der höchste Kirchturm Europas! Die Wiener lebten vom Zwischenhandel donauabwärts, vor allem aber vom Weinexport. Eine der seltsamsten Urkunden des Spätmittelalters verdankt ihre Entstehung dem Machtkampf zwischen Ständen und Landesherrn: die Mailberger Bundesurkunde. In Mailberg versammelten sich im Oktober 1451 die niederösterreichischen Stände und verlangten, neben anderen Forderungen, vor allem „ihren“ Ladislaus, den erblichen Landesfürsten. Man mochte den als geizig und untätig geltenden Kaiser nicht, und mit dem jungen Ladislaus würde man wohl nach Belieben umspringen können. Den Forderungen schlossen sich nach und nach fast alle Ständemitglieder an, am zweiten Exemplar hängen 253 Siegel der Unterzeichner! Friedrich zog inzwischen nach Rom, heiratete dort die portugiesische Prinzes- sin Eleonore und wurde vom Papst zum Kaiser gekrönt. Ladislaus war immer dabei. Zurück in Wiener Neustadt, wurde der Kaiser dort belagert – und gab den Ständen ihren Ladislaus heraus. Nun geschah etwas sehr Merkwürdiges. Ladislaus (1452–1457) wurde von seinem Onkel, Graf Ulrich von Cilli, bei der Wiener Neustädter „Spinnerin am Kreuz“ übernommen und musste zuallererst ein Bad nehmen: Alles „Steirische“ müsse von ihm abgewaschen werden, ehe er als Herzog von Österreich selbstständig auftre- ten könne. Seine „Befreier“ – der Eytzinger und der Cillier als Erste – ließen sich fürstlich entlohnen, gerieten aber bald selbst in Streit, wobei Letzterer den Kürzeren zog. Ladislaus war aber auch König von Böhmen und von Ungarn. In diesen beiden Reichen regierten de facto Statthalter, Georg von Podiebrad und der große Kriegs- mann Johannes Hunyadi. Ladislaus erfreute sich seiner königlichen Kronen nur kurz. Im November 1457 starb er in Prag, wo er auch im Veitsdom begraben liegt. Bei der Spinnerin am Kreuz wurde 1452 der junge Herzog Ladislaus den (nieder-) österreichischen Ständen übergeben und damit aus der Vormundschaft Kaiser Friedrichs III. entlassen.

158 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 159 Das Wappen von Österreich und Burgund, angebracht im Kreuzgang des Franziskaner- klosters von Schwaz in Tirol.

Klosterneuburg, Augustiner-Chorherren- stift, Schädel Herzog Leopolds III. des Heiligen, der um 1108 das Stift gründete, mit barocker Kopfhülle und Herzogshut.

Wappenwand an der St. Georgskapelle Corvinus-Becher, Silberpokal um 1458 in der Wiener Neustädter Burg, um 1453 in Wiener Neustadt, benannt nach König (Baumeister: Peter Pusika). Im Zentrum . unten Kaiser Friedrich III., in der Mitte nicht bezahlt wurden. Nichts konnte den Übeln beikommen, umso weniger, als der Freilich blieben die Zeiten unruhig. Zu den nach wie vor tätigen Söldnerhaufen und über dem Fenster die „Kirschenmadonna“. Konflikt zwischen dem Kaiser und seinem Bruder weiter schwelte und immer wieder Raubrittern kamen immer wieder Reibereien mit den Nachbarn. In Ungarn hatte offen ausbrach. Wien befand sich faktisch jahrelang im Zustand der Belagerung. sich nach dem Tod des Ladislaus der jüngere Hunyadi durchgesetzt, Matthias, mit dem Im Oktober 1462 wurde sogar der Kaiser samt Familie – Kaiserin Eleonore und der Beinamen „Corvinus“ – ein tüchtiger Feldherr, glänzender Renaissancefürst mit kleine Thronfolger Maximilian – in der Hofburg belagert. Da starb im Herbst 1463 italienischer Gemahlin, italienischen Architekten, Malern und Dichtern. Matthias Albrecht VI. Jetzt erst war der Kaiser auch der unbestrittene Landesfürst von Öster- verwies die Türken auf dem Balkan in ihre Schranken, aber ihn interessierten eher reich und dem Land ob der Enns. die Länder im Westen: Böhmen, Mähren, Schlesien, Österreich. So verwickelte er sich Dadurch wurde nichts besser. Die Unsicherheit blieb, zahllose Landtage in endlose Kämpfe, die ihm zu guter Letzt 1485 Schlesien, Mähren und Österreich fanden keine ausreichenden Mittel dagegen, der Kaiser sowieso nicht. Der „steirische“ einbrachten. Auch die „allzeit getreue“ wienerische Neustadt kapitulierte. Ob der Kaiser hatte ja auch viel am Hals – „sein“ Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain), berühmte Corvinus-Becher damit zusammenhängt? Einige Städte wie Krems hielten wo man immer öfter mit den Türken Bekanntschaft machte, Österreich, immer noch jedoch. Friedrichs Plan, die Helden kämpfen zu lassen und selbst ruhig abzuwarten, einen habsburgischen Vetter in Innsbruck, aber auch das Heilige Römische Reich ging indes auf: 1490 starb der große Ungarnkönig in Wien. Sogleich ging Friedrichs samt der ebenso heiligen katholischen Kirche, deren Beschützer man ja auch noch war. junger Nachfolger Maximilian (1486–1519), bereits römischer (deutscher) König, Wenigstens hatte Friedrich im Papst zeitweilig einen guten Bekannten – Pius II., mit an die Rückeroberung seines Erbes. Dabei wollte er auch Ungarn kassieren. Die Ungarn bürgerlichem Namen Äneas Silvius Piccolomini, war in jungen Jahren länger (1442 aber wählten den böhmischen König Wladislaw zu ihrem Regenten, Maximilian –1455) in Wien gewesen. Von Rom erhielt Friedrich endlich auch „eigene“ Bistümer – erreichte nur – wieder einmal – einen Erbvertrag. 1493 starb der alte Kaiser in Linz. Wien, Wiener Neustadt (beide 1469) und Ljubljana (1462) – und einen neuen Heiligen: Friedrichs Rezept, die Helden 1485 wurde, nach längerem Verfahren, der fromme Markgraf Leopold III. in Rom heilig- kämpfen zu lassen und selbst Kernland im Abseits – Habsburgs Schwerpunkt verlagert sich nach Westen gesprochen. Von Pius II. wird berichtet, dass ihn in Österreich besonders die damals ruhig abzuwarten, ging auf: Zweifellos der größte politische Erfolg Friedrichs III. war die Heirat seines modernen gotischen Hallenkirchen fasziniert hätten. Neben dem Dom zu St. Stephan 1490 starb der große Ungarn- Sohnes Maximilian (I.) mit Maria, der Erbtochter von Burgund (1477). Sie war nicht nur gab es solche Kirchen u. a. auch zu Eggenburg, Horn und Krems. Peter Pusika erbaute könig Matthias in Wien. schön, sondern auch Erbin des damals bedeutendsten Reiches der Christenheit: die St. Georgskapelle zu Wiener Neustadt mit ihrer berühmten Wappenwand. Sogleich ging Friedrichs junger Burgund. Das umfasste mehrere große Herzogtümer in Frankreich mit dem Zentrum Friedrich holte auch den bedeutenden Bildhauer Niclas Gerhaert van Leyden nach Nachfolger Maximilian an Dijon, aber auch die burgundischen „Niederlande“, die sich über Nordfrankreich Wien, der wohl das Grabmal für den Herrscher im Stephansdom entwarf. die Rückeroberung seines Erbes. und die heutigen Benelux-Staaten erstreckten. Diese Niederlande waren damals das

160 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 161 Zentrum der europäischen Wirtschaftstätigkeit, seine Städte ebenso wohlhabend wie Das rief die Gegnerschaft der Stände des Landes auf den Plan. Sie sahen sich als die selbstbewusst. Die niederländische Malerei war höchst angesehen. Maximilian erlebte rechtmäßigen Herren im Lande, die – wenn schon – solche Organe zu besetzen eine glückliche, aber kurze Ehe, seine junge Frau starb schon nach wenigen Jahren hatten. Maximilian setzte aber mit Bedacht Landfremde ein. In modernen Begriffen bei einem Jagdunfall. Für die gemeinsamen Kinder, Philipp und Margarete, durfte begann damit der Kampf der Länderautonomie gegen die übergeordnete zentrali- Maximilian nur als Vormund fungieren. Da aber auch die französischen Valois auf sierte Staatsgewalt. das burgundische Erbe spitzten, bedeutete das ein massives Engagement im Westen Noch einmal bewährte sich das diplomatische Geschick Maximilians. Über und eine neue Dauerfeindschaft der Habsburger, nun mit Frankreich. Maximilian sein Engagement im Westen vergaß er den Osten nicht. Den Erbvertrag von 1491 war ein tüchtiger Feldherr, der auch die eine oder andere Schlacht für sich entschied. hatten 1506 die ungarischen Stände bestätigt. Nun kam 1515 unter Einbeziehung des Ein neuer Titel tauchte für die Habsburger auf: „Haus Österreich und Burgund“! polnischen Königs ein Treffen der Herrscher in Wien zustande – die wohl glänzendste Für diese neue Konstellation lagen Österreich (Niederösterreich) und Wien Fürstenversammlung ihrer Zeit, mit einem Kaiser, zwei Königen, mehreren Herzögen, etwas abseits. Maximilian weilte lieber in Innsbruck, oft aber auch in Augsburg oder in anderen Fürsten, Kardinälen und Bischöfen, alle mit prächtigem Gefolge und tausen- anderen Reichsstädten. Dort saßen auch die wichtigsten Geldgeber, die Fugger. Ihnen den Reitern als Geleit. musste er u. a. die Silberbergwerke Tirols verpfänden, um kreditwürdig zu bleiben. Am 22. Juli folgte der Höhepunkt, die Hochzeit. Der Dom von St. Stephan 1496 heiratete Philipp (I.) von Burgund die spanische Prinzessin Juana. Da alle war prunkvoll geschmückt, auch der Kaiser, die Könige und die Kinder waren prächtig anderen Prätendenten vorzeitig starben, wurden die beiden Könige von Spanien. herausgeputzt. Der Bischof von Wien, Georg Slatkonja, zelebrierte, Paul Hofhaimer Philipp starb aber bald. Die Söhne aus dieser Ehe, Karl (V.) und Ferdinand (I.), erbten spielte auf einer neuen Orgel. Zuerst wurde noch Anna von Ungarn mit Maximilian ein weltweites Reich. selbst getraut, freilich per procurationem als Stellvertreter für einen der beiden Enkel, Maximilians Herrschaft in seinen Stammländern gestaltete sich dagegen Karl oder Ferdinand. Innerhalb eines Jahres sollte sich entscheiden, wer von den nicht so glorreich. Die Wiener forderten gegen den raschen Bedeutungsverlust des beiden zur Verfügung stand, im Notfall würde der Kaiser selbst die kleine Anna heira- Standortes, der gegenüber Augsburg, Nürnberg etc. enorm ins Hintertreffen geraten ten! Dann folgte die Trauung Marias von Österreich mit Ludwig von Ungarn. Nach Familie des Kaisers Maximilian I. war, eine Erneuerung der alten Privilegien, vor allem des Niederlagsrechts, worunter Hochzeit und Hochamt gab es 200 Ritterschläge, Turniere und natürlich ein solennes Ölgemälde von Bernhard Strigel, man den Zwang für fremde Kaufleute verstand, ihre Waren in der Stadt für eine Festmahl. Am 28. Juli klangen die Feierlichkeiten mit einer großen Schlusskundgebung nach 1515. Maximilian (links) hält seinen Enkel Ferdinand I. bestimmte Zeit „niederzulegen“ und heimischen Kaufleuten anzubieten. Maximilian aus. Eine Jagd in Wiener Neustadt folgte. im Arm. In der Bildmitte ist hatte dafür wenig Sinn. Ob vom Vertrag die Habsburger oder die Jagiellonen profitieren würden, der junge Kaiser Karl V. zu sehen. Außerdem weilte er selten im Land. Er brauchte eine dauerhafte Vertretung – war offen. Letztlich waren es die Habsburger. Der junge Jagiellone Ludwig wurde König das war die Geburtsstunde der modernen Bürokratie. Maximilian richtete erstmals von Ungarn und Böhmen. Erst 1521 wurde er für volljährig erklärt und die Ehe mit dauerhafte Behörden ein, die für den Herrscher die täglichen Geschäfte führen sollten. „seiner“ habsburgischen Maria vollzogen. Aber schon 1526 fiel ihr jugendlicher König Die althabsburgischen Länder wurden dafür in zwei Gruppen geteilt: zum einen in der Schlacht bei Mohács gegen die Osmanen. in die „oberösterreichischen Lande“, mit dem Zentrum Innsbruck für Tirol, samt den Die Ehe Annas mit Erzherzog Ferdinand wurde 1521 vollzogen. Nach dem Tod „Vorlanden“ (ein Fleckerlteppich von Besitzungen vom Arlberg über Teile Schwabens bis seines Schwagers wurde Ferdinand auch König von Böhmen, in Ungarn tat er sich in das Elsass). Die „niederösterreichischen Lande“ waren alle anderen: Österreich schwerer. Mit Ferdinand I. (1519/22–1564) begann die Geschichte der habsburgischen und das Land ob der Enns, Steiermark, Kärnten, Krain, Görz und Triest. Das „Regiment“ Donaumonarchie. dieser Länder hatte seinen Sitz in Linz, die Finanzbehörden in Wien, das Hofgericht in Wiener Neustadt.

Wie Österreich zu seinem Namen kam Die zweite Nennung von „ostarrîchi“ stammt aus dem Jahre 998, als Otto III. in Rom die Schenkung des Gutes Ernst Bruckmüller Nöchling im Yspertal bestätigte, das „in pago quoque Osterriche vocitato“ („in einer auch Ostarrîchi genann- In den frühen Quellen der Legende vom hl. Koloman, Oder doch nicht? Die Schenkung erfolgte auf Bitten ten Gegend“) lag. der um 1010 als Fremder in der Gegend von Stockerau des Herzogs Heinrich, eines Neffen des Kaisers und Die Bezeichnung „ostarrîchi“ wird in dieser Zeit im östlichen Gebiet der Bayern erschienen war und dessen späteren Nachfolgers. Die geschenkten „Sachen“ aber noch nicht für den Herrschaftsbereich eines feuda- dort als vermeintlicher Spion hingerichtet wurde, („res“) lagen „in regione vulgari vocabulo Ostarrîchi len Amtsträgers, des Markgrafen Heinrich, sondern war dieses Gebiet noch keine besondere politische in marcha et in comitatu Heinrici comitis filii Liutpaldi für eine nicht genau bestimmte Gegend verwendet – für Einheit mit eigener Bezeichnung. Erst späteren, marchionis in loco Niuuanhova dicto“ („in einer Ge- eine „Gegend im Osten“ sozusagen. Der Begriff „ostar- aus dem 14. Jahrhundert stammenden Fassungen der gend, im Volksmund Ostarrîchi genannt, in der Mark rîchi“ begegnet uns ja schon früher, und zwar bei dem Kolomans-Geschichte zufolge ist Koloman nicht und in der Grafschaft des Grafen Heinrich, des Sohnes Mönch Otfried von Weißenburg, der im 9. Jahrhundert in das östliche Gebiet der Bayern gekommen, sondern des Markgrafen Leopold, in einem Ort, der Neuhofen das ostfränkische Reich Ludwigs des Deutschen als „in Austriam“ – „nach Österreich“; ebenso in einer genannt wird“). Die Verwendung des Begriffs „Ostar- „Ostarrîchi“ bezeichnet hatte.4 Ludwig wurde auch „rex deutschen Fassung aus dem 15. Jahrhundert.1 Dieses rîchi“ in dieser Urkunde hat aber einen bestimmten orientalis“ genannt, und man stößt immer wieder auf „Österreich“ hatte es also um 1012 offenkundig noch Grund. Als Vorlage für die Urkunde diente nämlich eine die Begriffe „oriens“ („Osten“) und „plaga orientalis“ nicht gegeben. Freisinger Urkunde aus dem Jahre 973, in der Otto II. („östliche Region“) für ein Land, eine Region im Osten. Nicht gegeben? Aber wir haben doch die berühmte dem Bischof Abraham von Freising eine Schenkung im Als „Oriens“ wurden auch die karolingischen Marken Ostarrîchi-Urkunde, die auf den 1. November 996 heutigen Slowenien bestätigte. Jenes Gut lag „in regione im Südosten des Reiches bezeichnet. Das war aber In der auf das Jahr 966 datiert und vermutlich tatsächlich in diesem Zeitraum vulgari vocabuli Chreine et in marcha et in comitatu ein viel größeres Gebiet als die spätere Mark ab 955 datierten Urkunde bestätigte 5 Kaiser Otto III. dem Freisin- entstanden ist! Das Jubiläum des „Namenstages“ unserer Paponis comitis sitam“ („in einer Region, die im Volks- bzw. 976. Der Amtsbereich des Markgrafen wurde ger Bischof Gottschalk die Republik wurde sogar 1946 und 1996 feierlich zelebriert. mund Krain genannt wird und in der Mark und in hingegen immer nur mit dessen Namen, Mark und Schenkung von Besitzungen Die Urkunde bekräftigt eine Schenkung Kaiser Ottos III. der Grafschaft des Grafen Poppo gelegen ist“). Durch Grafschaft umschrieben. im Gebiet von Neuhofen, „in einer Gegend, im Volks- an den Bischof Gottschalk von Freising im Gebiet von die Verwendung der Vorlage sah man sich gezwungen, Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 11. Jahr- mund Ostarrîchi genannt“. Neuhofen im heutigen Niederösterreich. Und aus nun auch bei Neuhofen den umgangssprachlichen hunderts: Erstmals heißt es im Jahr 1055 „in comitatu „Ostarrîchi“ wurde „Österreich“, das ist doch sonnen- Namen der Gegend einzufügen.3 Ernestonis Osterich dicto“ („in der Grafschaft des Ernst, klar!2 Osterich geheißen“), dann wieder im Jahr 1058 „in marchia Osterriche et in comitatu Ernestes marchionis“

162 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 163 Niederlage der Stände – das Wiener Neustädter Blutgericht Die Kritik an den neuen Behörden war regelmäßig Thema der Landtage unter Maximilian (und nach ihm). Man hörte immer das gleiche Lied: Die neuen Behörden seien unzulänglich, man möge doch die alte Ordnung wieder herstellen, im Regiment sollten Ständerepräsentanten aus allen Ländern vertreten sein. Die Reaktion der Stände gebar jedoch auch Dauerhaftes: Wenn die Behörden des Landesfürsten ständig und stetig (wenngleich langsam und schlecht) arbeiteten, dann musste auch die eigene Organisation aktiver werden – es genügte nicht mehr, einmal jährlich oder auch öfter irgendwo zusammenzukommen und Beschlüsse zu fassen. Man brauchte ebenfalls ständige Organe und auch ein Haus, in dem die Unterlagen stets parat lagen, samt einem Archiv, damit man auch die älteren „Briefe“ schnell zur Hand hatte. 1513 erwarben die Stände des Herzogtums Österreich das Liechtenstein’sche Haus in der Wiener Hochstraße (heute Herrengasse 13), das zum Stände- oder Landhaus ausgestaltet wurde. Nun konnte man auch ein „Gültbuch“ anlegen, ein Besitzverzeichnis der „oberen Stände“, das jahrhundertelang als Grund- lage für die Besteuerung der Untertanen dienen sollte.19 Nach dem Tod Maximilians 1519 brachen die Gegensätze zwischen dem „Regiment“, das auch nach dem Tod des Herrschers weiterarbeiten wollte, und den Ständen offen aus. Unter der Führung eines hoch gebildeten und ehrgeizigen Professors der Universität, nach seiner Herkunft Martin Siebenbürger genannt, traten sie gegen das Regiment auf und richteten eine eigene ständische Landesregierung ein. Das Regiment Maximilians zog sich nach Wiener Neustadt zurück. Der ständische Ausschuss aus „Landräten“ wurde aus dem Kammergut, dem persönlichen Besitz des Herrschers, besoldet. Dieser Ausschuss gerierte sich wie ein Herrscher. Ein General- landtag aller niederösterreichischen Lande zu Bruck an der Mur beschloss die Am 11. August 1522 erfolgte auf dem Entsendung einer gemeinsamen Gesandtschaft zu den beiden Erben, Erzherzog Hauptplatz von Wiener Neustadt die Hinrichtung der sechs bürgerlichen Ferdinand (damals in den Niederlanden) und König Karl (damals in Spanien). Proponenten des ständischen „Auf- Noch ehe die Gesandtschaft in Spanien eintraf, wurde Karl am 28. Juni 1519 zum standes“ nach dem Tod Maximilians, römischen (deutschen) König gewählt. Er war nun unbestritten der mächtigste darunter Martin Siebenbüger. Die beiden adeligen Häupter waren schon Herrscher der Christenheit. Mit seinem Bruder Ferdinand einigte er sich 1522 darauf, am Tag davor hingerichtet worden. dass dieser die Herrschaft über die altösterreichischen Lande allein antreten sollte. Gemälde von Josef Ferdinand Wasshuber, Kaiser Ferdinand I. (1503–1564). 1. Hälfte 18. Jahrhundert. Bildnis in ganzer Figur, um 1560. Gemälde von Hans Bocksberger.

(„in der Mark Osterrich und in der Grafschaft des Mark Österreich in ein Herzogtum umgewandelt“), Der Letzte der Traungauer, Ottokar IV., dessen Gebiet Begriff „Austria superior“ für dieses Gebiet, für das Markgrafen Ernst“), und ähnlich 1074. Ab jetzt – erst – sagt Friedrich Barbarossa und fügt hinzu: „et eundem 1180 ebenfalls zum Herzogtum wurde, erkrankte un- 1452 erstmals ein eigener Landtag nachgewiesen ist. wurde die Mark mit dem Namen der Gegend benannt, ducatum cum omni iure prefato patruo nostro Heinrico heilbar am Aussatz. 1186 traf sich der Traungauer mit 1458 bekam Albrecht VI. bei einer Herrschaftsteilung in der sie lag! Das heißt aber nicht nur, dass die Mark et prenobilissime uxori sue Theodore in beneficium dem Babenberger am Georgenberg bei Enns, an der mit seinem Bruder Friedrich III. das Land ob der Enns damit einen eigenen Namen hatte, sondern auch, concessimus“ („und haben dieses Herzogtum mit allen Grenze des traungauischen und des babenbergischen übertragen, wodurch Oberösterreich als eigenständiges dass aus dem unbestimmten Gegend-Begriff der Name Rechten unserem Onkel und seiner überaus vornehmen Gebietes. Dort kam man überein, dass dem kranken Land seine heutige Gestalt annahm. So hatte sich der für ein ganz bestimmtes Herrschaftsgebiet geworden Gemahlin Theodora als Lehen übergeben“). Es ist Ottokar IV. der Babenberger Leopold V. (1177–1194) Geltungsbegriff des Namens „Österreich“ nach Westen war! Wie genau diese Entwicklung vor sich ging, wissen eine der seit Langem überlieferten Forschungsmeinun- nachfolgen sollte. Der Erbfall trat 1192 ein. Die gemein- ausgedehnt. wir nicht. Es könnte sein, dass mit dem Wandel vom gen, dass die schön klingende „Austria“ dieser Prinzes- same Herrschaft der Babenberger über Österreich Unter den frühen Habsburgern erreichte der Alt- zum Mittelhochdeutschen die Bedeutung des sin zuliebe erfunden worden sei.7 und Steier ab 1192 bedeutete aber keine Erweiterung des Name Österreich einen größeren Bezugsraum. Die aus althochdeutschen Wortes „ostarrîchi“ nicht mehr „Austria“ blieb die lateinische Bezeichnung für Landes Österreich! Denn die Ministerialen des steiri- Schwaben stämmigen Habsburger suchten einen verstanden wurde. Vielleicht konnte es gerade dadurch das Herzogtum Österreich und wanderte später schen Herzogs Otakar IV. hatten in der „Georgenberger zusammenfassenden Begriff für ihre zwischen den zu einem Landesnamen werden.6 Es entstand also auch in andere Sprachen (Italienisch, Spanisch, Eng- Handfeste“ die Zusicherung erhalten, auch nach dem Vogesen und der March bzw. Leitha weit verstreut etwas Neues, nämlich „Österreich“. Dies keineswegs im lisch), zuweilen etwas abgewandelt (frz. Autriche, Übergang des Landes an die österreichischen Babenber- liegenden Besitzungen – und fanden ihn im Namen Sinne des heutigen Landes, sondern im Sinne des slo. Avstrija etc.). ger bei ihrem bisherigen Recht verbleiben zu können. ihres wichtigsten Landes: Schon im frühen 14. Jahr- Herzogtums des 12. und 13. Jahrhunderts. Der Hinter- Das „Land“ Österreich hatte damit seine beiden Sie konnten also Steirer bleiben und mussten keine hundert stoßen wir auf einen neuen Begriff – „Herr- grund dieser Entwicklung lag sicher in der Kontinuität Namen, den deutschen und den lateinischen. Es war im Österreicher werden. schaft zu Österreich“, lateinisch „dominium Austriae“.8 der markgräflichen Herrschaft der Babenberger. Wesentlichen das heutige Niederösterreich, noch ohne 1192 umfasste das Land des steirischen Markgrafen Der bezog sich auf mehr und auf anderes als das Das seit 1156 rechtlich bestätigte Herzogtum die Bucklige Welt – die war damals noch steirisch. auch erhebliche Teile des heutigen Oberösterreich, bloße Herzogtum Österreich mit seiner damals längst verlangte nach einem ordentlichen lateinischen Namen. Apropos Steiermark: Die letzten Babenberger waren ja den Traungau und das Salzkammergut, aber auch das unumstrittenen Hauptstadt Wien. „Herrschaft zu „Oriens“ oder „marcha Orientalis“ (bei Otto von Frei- nicht nur Herzöge von Österreich, sondern auch Gebiet nördlich der Donau bis zur Mühl. Leopold VI. Österreich“ konnte als zusammenfassender Begriff für sing) war zu unbestimmt, so konnte man sich einfach von Steier(mark). Westlich der Enns und südlich der erweiterte dieses Gebiet durch den Ankauf von Linz alle habsburgischen Herrschaftsrechte und -gebiete nicht nennen. Nun tauchte ein neuer Begriff auf – „Aus- Nordalpen entstand im 12. Jahrhundert aus recht (1211), Lambach und Wels (1216) sowie Freistadt im verwendet werden. Das war kein neues Land, und schon tria“. Er wurde auch im Barbarossa-Diplom von 1156, bescheidenen Anfängen ebenfalls etwas Neues – die Mühlviertel (1217). Das inzwischen recht groß geworde- gar nicht war es ein neuer „Staat“. Es war schlicht dem „Privilegium minus“, verwendet, wo vom „dux Steiermark. Tüchtige Herren aus dem Traungau mit dem ne steirische Gebiet nördlich des Pyhrn erhielt unter eine praktische Kurzbezeichnung. Sie leitete sich ab vom Austrie“ die Rede ist, ebenso wie von der Umwandlung Herrschaftszentrum Steyr hatten sie durch verschiedene den letzten Babenbergern einen eigenen Landrichter, ranghöchsten und wirtschaftlich wichtigsten einzelnen der Mark in ein Herzogtum Österreich: „marchiam Herrschaftstitel, Erbschaften, aber mithilfe ihrer der auch unter König Ottokar II. Přemysl mehrfach Herrschaftsgebiet, dem Herzogtum Österreich – also Austrie in ducatum commutavimus“ („wir haben die Ministerialen – auch mit Gewalt – zusammengefügt. bezeugt ist. Schon im 13. Jahrhundert begegnet uns der Niederösterreich.

164 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 165 Inzwischen hatte Siebenbürger 1519 in Spanien die Sache der niederösterreichischen Zwischen Reformation und osmanischer Bedrohung Stände mit einer überheblichen Rede verschlechtert. Karl reagierte kühl. Man solle seinen Statthaltern Gehorsam leisten. Die Gesandtschaft schied, bedrückt, aber Die Thesen des Martin Luther auch zerstritten, da der steirische Vertreter, der bekannte Staatsmann Sigmund von Nur wenige Jahre davor, 1517, hatte der Wittenberger Mönch und Professor Herberstein, schon den Weg der Unterwerfung unter den königlichen Willen einge- Der Buchdruck verbreitete Martin Luther in seinen 95 Thesen zahlreiche schon seit Langem verbreitete Kritik- schlagen hatte. Die Österreicher unter Siebenbürger blieben aber halsstarrig. Karl Luthers Schriften rasch punkte an der damaligen Kirche zusammengefasst und zugespitzt. Der gesteigerten schickte seine Stellvertretung im Reich, das Reichsregiment, zwecks Entgegennahme im gesamten Reich. Ihr Erfolg Sehnsucht vieler Menschen nach einem guten christlichen Leben und Sterben stand der Huldigung durch die Stände nach Österreich (1520). Kärnten, Steiermark und beruhte einerseits auf eine Kirche gegenüber, die dieser spirituellen Sehnsucht in keiner Weise genügte. das Land ob der Enns huldigten. Die Unterösterreicher verweigerten dies immer noch, der verbreiteten Sorge um Die einfachen Geistlichen in den Dörfern waren ungebildet, die hohen Kirchenämter wurden aber doch langsam „weich“. Nur die radikale Wiener Gruppe unter Führung das eigene Seelenheil, wurden nur an Mitglieder höchster Adelskreise vergeben, und in Rom waren die Siebenbürgers verwehrte sich nach wie vor. Siebenbürger blieb auch bei einem Zusam- andererseits auf dem höchst Päpste in erster Linie an der Fertigstellung des Petersdomes interessiert. Luther fasste mentreffen mit Karl V. in Maastricht bei seiner Haltung und stellte neue Forderungen positiven Echo, das die die Kritik am Zustand der Kirche in mehreren eindrucksvollen Schriften zusammen. auf. Doch im Herbst 1520 wurden die ständischen Ausschüsse aufgelöst. Fast gleich- Forderungen Luthers bei den Der Buchdruck verbreitete Luthers Schriften rasch im gesamten Reich. Ihr Erfolg zeitig wählten die Wiener Martin Siebenbürger demonstrativ zum Bürgermeister, deutschen Fürsten und beruhte einerseits auf der verbreiteten Sorge um das eigene Seelenheil, andererseits als Chef eines mehrheitlich von seiner Partei gestellten Rates. 1521 kam Ferdinand beim Adel – auch beim öster- auf dem höchst positiven Echo, das die Forderungen Luthers bei den deutschen erstmals nach Österreich, heiratete im Mai in Linz die ihm seit 1515 versprochene Anna reichischen – fanden. Fürsten und beim Adel – auch beim österreichischen – fanden. Gegenüber der als von Böhmen und Ungarn und berief einen Landtag nach Ybbs. Die Forderungen der formalistisch, volksfremd (lateinisch!), ungebildet und geldgierig erscheinenden Stände wies er zurück, verlangte dafür hohe Steuerbewilligungen. Noch 1522 ver- Rom-Kirche erschienen das Wort Gottes in der Volkssprache und die Abschaffung der weigerten die Niederösterreicher dem neuen Landesfürsten die von ihm geforderte weltlichen Herrschaft der Geistlichkeit als erstrebenswerte Alternativen. Mit der Lehre, Unterstützung gegen einen Einfall der Osmanen in Krain und Kärnten. Im Juni 1522 dass man nur durch den Glauben allein die Gnade Gottes erlangen könne, nicht kam Ferdinand wieder nach Österreich. aber durch irgendeine formalistische Werkheiligkeit, wurde auch eine neue Basis für In Wiener Neustadt wurde über die rebellischen Ständevertreter Gericht die, wenn auch nie ganz sichere, Erlangung des ewigen Heiles angeboten. Durch gehalten. Sie hatten, so die Anklage und der Schuldspruch, dem maximilianischen die enorme Verbreitung der Lutherbibel erreichte die Idee des allgemeinen Priester- Regiment den Gehorsam verweigert, das landesfürstliche Gut (Kammergut) und die tums zunehmend auch bürgerliche und bäuerliche Schichten. Zumindest in den fürstlichen Hoheitsrechte zu Unrecht verwaltet. Zwar wurden die Stände im All- ersten Jahrzehnten war die Reformation primär von tiefem Glauben und ernsthaftem gemeinen amnestiert, aber die Köpfe der Rädelsführer fielen unter dem Schwert. Es Einsatz für ein erneuertes Christentum geprägt.21 waren dies die Wiener Bürger Martin Siebenbürger, Friedrich von Pieschen, Hans 1521 soll der erste Anhänger Luthers in Wien öffentlich gepredigt haben, 1522 Rinner, Stefan Schlagindweit, Hans Schwarz und Martin Flaschner. Von den Adeligen wurde ein Lutheraner in St. Pölten verhaftet, 1524 der Wiener Bürger Kaspar Tauber traf es Hans von Puchheim und Michael von Eytzing.20 als Ketzer verurteilt und hingerichtet. Er galt als Wiedertäufer. Diese Sekte wurde so Begann damit schon der fürstliche Absolutismus? Nein. Der ständische heftig verfolgt, dass sie bald ausgerottet war. Widerstand erwachte bald von Neuem, nun mit religiösem Hintergrund. Die Lehren Luthers aber fanden zunehmend Gehör: Schon 1526 verlangten die Stände aller österreichischen Länder auf einem gemeinsamen Landtag in Augsburg von Ferdinand I. die Zulassung der lutherischen Lehre. Eine Visitation von Kirchen und Klöstern dokumentierte 1528 triste Zustände: Die Geistlichen waren schlecht bezahlt

Dieses Herzogtum Österreich, das rechtlich und wirt- „Privilegium maius“, einer Sammlung von Urkunden, das Wappen des heutigen Niederösterreich.11 Das Her- schaftlich bedeutendste Land der Habsburger, sollte zu denen zwar auch das echte „Privilegium minus“ von zogtum Österreich hatte also zwei Wappen, die auch aber auch reichsrechtlich eine besondere Stellung 1156 gehörte, die aber um erfundene oder gefälschte sehr häufig gemeinsam zu sehen waren. erhalten. Rudolf IV. der Stifter (1358–1365), ältester Urkunden und Bestätigungen von Cäsar und Nero (!) Nun waren die Habsburger endgültig zu Österrei- Sohn Albrechts II., beanspruchte als Schwiegersohn bis König Rudolf ergänzt waren.9 Der Herzog von chern geworden. Rudolf IV. unterstrich die zentrale des großen böhmischen Königs und römischen Kaisers Österreich sollte den Titel „Pfalzerzherzog“ tragen, Stellung des Herzogtums und seiner Hauptstadt Wien: Karl IV. eine den Kurfürsten ebenbürtige Stellung. gleich nach den Kurfürsten die Reihe der Fürsten Die Aufwertung der Wiener Stephanskirche zur Kirche Dazu bediente er sich der komplexen Fälschung des anführen und so weiter. Dieses „Privilegium maius“ eines Kapitels von Weltpriestern und zu seiner Grablege, wurde von Karl IV. nicht bestätigt, hatte doch der große gleichzeitig die Verbindung dieser Kirche mit dem Dichter Petrarca Teile des Machwerks durchschaut, Landespatron Koloman sprechen eine ebenso deutliche zumal die Unmöglichkeit, dass Julius Caesar oder Nero Sprache wie die Gründung einer Universität in Wien schon Österreich verliehen haben sollten! Aber Kaiser im Jahr 1365 (übrigens der ersten durch einen Fürsten, Friedrich III. sollte im Jahre 1442 diese „Rechte und der nicht König oder Kaiser war). Freiheiten des Hauses Österreich“ mit Zustimmung der Im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts begegnet uns Kurfürsten bestätigen. Von da an waren die dort nieder- eine neue Kurzformel, die im 15. Jahrhundert den geschriebenen Bestimmungen geltendes Reichsrecht, Begriff „Herrschaft zu Österreich“ verdrängte: „Haus also auch der Erzherzogstitel und der Titel eines obers- Österreich“ (bzw. „Casa de Austria“, „Casa d’Austria“, ten Jägermeisters des Reiches.10 „Maison d’Autriche“). „Die neuen Ausdrücke ,Herrschaft‘ Rudolf IV. gelang 1363 mit dem Erwerb von Tirol und ,Haus Österreich‘ bezeichneten einmal die Dynastie ein ganz großer Schachzug. Der Herzog gilt auch als (mit allen ihren Zweigen), häufiger noch die Summe „Erfinder“ einer neuen Wappen-Kombination: Als Wappen von Alt-Österreich oder den Inbegriff ihrer Herrschaftsgewalt, und dienten „Neu-Österreich“ wurde der rot-weiß-rote Bindenschild (Fünf-Adler-Wappen), (…) mehr und mehr auch als territoriale Sammel- bezeichnet, den man schon seit dem 13. Jahrhundert Neu-Österreich (rot-weiß- begriffe an Stelle der umständlichen Aufzählung aller rot) und vom Land ob 12 Herzog Rudolf IV. für das Herzogtum Österreich verwendete. „Alt- der Enns (Oberösterreich) Länder und Herrschaftstitel der Habsburger.“ der Stifter (1358–1365). Österreich“ nannte man hingegen das aufgrund mit der berühmten Devise Dieses Porträt gilt blau-gelber Stoffreste im Grab des „frommen“ Mark- „AEIOU“ („Austria erit als eines der ältesten in orbe ultima“) aus der der europäischen grafen Leopold III. „rekonstruierte“ Wappen der fünf Handregistratur König Kunstgeschichte. auffliegenden goldenen Adler auf blauem Grund – Friedrichs IV.

166 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 167 und hatten wenig Ansehen, die Legate für Kirchen und Gottesdienste gingen rasch und Oberungarn – also die heutige Slowakei mit den wichtigen Bergbaustädten zurück. Die Klöster leerten sich. Um 1560 lebten in den 122 Klöstern Niederösterreichs und das Burgenland sowie ein Teil des heutigen Westungarn – blieben habsburgisch. nur mehr 340 Mönche, aber 199 Konkubinen, 55 Ehefrauen und 443 Kinder.22 Die Sicherung Restungarns bedeutete auch Sicherheit für Niederösterreich. Man Der Adel schickte seine Söhne zum Studium auf evangelische Universitäten musste daher für die Erhaltung der ungarischen Festungen Ungarisch-Altenburg/ im Reich. Die adeligen Grundherren holten als Patronatsherren zahlreicher Pfarren Magyaróvár, Raab/Győr, Komorn/Komárno/Komárom und Güns/Kőszeg enorme evangelische Prädikanten aus dem Reich. Die Habsburger aber blieben katholisch. Als Summen aufbringen. Die ungarischen Besatzungen dieser Festungen sollten von den Vögte der Kirche von Rom sahen sie sich in der Verantwortung für die Durchsetzung niederösterreichischen Ständen besoldet werden. des „wahren“ Glaubens. Dabei waren weder Ferdinand I. noch Karl V. blind gegenüber Wenn auch ab 1547 ein Waffenstillstand herrschte, konnte doch jederzeit der Reformbedürftigkeit der Kirche. Über viele Jahre drängten sie mehrere Päpste wieder ein offener Krieg ausbrechen. 1565 war es neuerlich so weit. Im Jahr darauf zur Einberufung eines allgemeinen Konzils, das alle Reformfragen beraten und die brach der inzwischen alt gewordene Sultan Süleyman noch einmal nach Ungarn auf. Einheit der Kirche wiederherstellen sollte. Erst 1545 hatten sie Erfolg. Das große Konzil Er starb während der Belagerung von Szigetvár, das von Miklós Zrínyi heroisch wurde nach Trient einberufen. Aber für die Wiedervereinigung war es schon zu spät. verteidigt wurde, zuletzt aber doch fiel. Der neue Sultan setzte den Krieg nicht fort. Allerdings bereitete das Konzil, das 1568 beendet wurde, eine grundsätzliche Reorganisation der „alten“ Kirche vor, die seither mit Fug und Recht als „römisch- Religionskonzession gegen „Leibsteuer“ katholisch“ bezeichnet wird. Die Stände Niederösterreichs bewilligten Kaiser Maximilian II. (1564–1576) Als Landesfürst der österreichischen Länder hätte Ferdinand I. nach den ein beträchtliches Notopfer zur Abzahlung von Schulden des Kaisers und zur Wieder- Grundsätzen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 seinen Untertanen ohne einlösung verpfändeter Besitzungen. Wieder wurden neue Steuern eingeführt, Weiteres seine Konfession aufzwingen können. Das tat er nicht. 1556 erreichte er in jetzt eine „Leibsteuer“ für alle Personen über zehn Jahren. Als Gegenleistung erhielten Rom für seine Länder den „Laienkelch“, also die Spendung der Kommunion unter die Stände 1568 eine recht weitgehende Anerkennung ihrer Forderungen: die „Reli- beiderlei Gestalten, womit eine alte evangelische Forderung erfüllt wurde. Das war gionskonzession“. Den adeligen Ständemitgliedern wurde der Gebrauch der augs- den Evangelischen aber zu wenig. Der größtenteils protestantische Adel hatte ja burgischen Konfession (und nur dieser!) auf ihren Schlössern, Häusern und Herrschaf- gegenüber seinem Landesherrn ein wichtiges Faustpfand in der Hand: das Steuer- ten gestattet – das schloss auch ihre bäuerlichen Untertanen ein. Ausgeschlossen bewilligungsrecht der Stände. Man brauchte die Herren also, da die finanziellen von der Konzession blieben die landesfürstlichen Städte und Märkte sowie die Unter- Sultan Süleyman I. der Prächtige Aufwendungen für die zahlreichen Kriege enorme Höhen erreichten. Das europaweite tanen der landesfürstlichen („vizedomischen“) Güter. Die Katholiken waren bestürzt. (1494/95–1566). Der Sultan, Engagement der Habsburger machte sich negativ bemerkbar: Kriege gegen die Allerdings gab es eine Bedingung für die Umsetzung der Konzession: Die Evangelischen der bei den Osmanen den Beinamen „der Gesetzgeber“ trug, initiierte Osmanen und die aufsässigen Ungarn im Osten, Kriege gegen Franzosen und Nieder- mussten sich eine Kirchenordnung geben. Das geschah auch 1571 durch Christoph die große Expansion des Osmanischen länder im Westen, in Italien (u. a. gegen die Päpste), in Nordafrika. Immer musste Reuter und den Rostocker Professor David Chyträus.23 Reiches im 16. Jahrhundert. Gemälde man rüsten, Kanonen gießen, Gewehre und Blei kaufen, den Nachschub für die zahl- Gegen Ende des Jahrhunderts machte sich auch eine calvinistische Strömung eines Malers der Tizian-Schule. reichen Heere organisieren, den Landsknechten den ausbedungenen Sold bezahlen. im österreichischen Adel bemerkbar. Die war erheblich aktivistischer und widerständi- Und gab es keinen Krieg, hatten die habsburgischen Kaiser dem Sultan jährliche ger, als es die Lutheraner waren. „Ehrengeschenke“ – also in Wahrheit Tribute – zu übermitteln, damit es einigermaßen Doch hatte inzwischen auch im katholischen Lager eine innere Reform begon- ruhig blieb. Keine Zeit war daher so erfinderisch im Hinblick auf neue Steuern wie nen. 1551 waren die ersten Jesuiten nach Wien gekommen. Ihr Kollegium hatte bald gerade das 16. Jahrhundert! starke Anziehungskraft, da die Jesuiten gelehrte Herren und hervorragende Lehrer waren, die in ihrem Unterricht „moderne“ Mittel verwendeten (Altersklassen, Wettbe- „Der Türk ist der Lutherischen Glück!“ werbe, Schultheater etc.). Übrigens gründeten auch protestantische Adelige Schulen. Seit dem Tod des jungen ungarischen Königs Ludwig bei Mohács 1526 strebte Am bekanntesten wurde das ständische Gymnasium zu Loosdorf bei Melk, das der Ferdinand I. nach der ungarischen Krone. Das lehnte ein Teil des ungarischen Adels ab, Herrschaftsinhaber von Schallaburg, Hans Wilhelm von Losenstein, errichten ließ. ein anderer Teil wählte ihn dennoch. Jedenfalls musste Ferdinand sich von nun an Die Loosdorfer Schulordnung stellte strenge Anforderungen an Lehrer und Schüler, nicht nur mit den innerungarischen Problemen herumschlagen, er erbte von den die Schule hatte einen hervorragenden Ruf und bestand bis zum Beginn des Dreißig- ungarischen Königen auch die Grenzen und die Kriege mit den Osmanen. Die wurden jährigen Krieges.24 Einige protestantische Adelige waren hervorragende und viel- für die folgenden zwei Jahrhunderte zum Dauerthema – auch für Niederösterreich. seitige Gelehrte, wie Job Hartmann Enenkel auf Albrechtsberg (1576–1627) oder Schon drei Jahre nach Mohács marschierte Süleyman der Prächtige wieder einmal in Ungarn ein, um den „nationalen“ Gegenkönig Johann Zapolyai zu unterstüt- zen. Dabei beließ es der große Feldherr aber nicht. Gegen Ende seines Feldzuges versuchte er gleich auch Wien zu erobern. Seine Truppen verheerten große Teile des südlichen Niederösterreich, die Belagerung Wiens wurde aber im Oktober 1529 abgebrochen. Die Jahreszeit war zu weit fortgeschritten, im Winter führte man damals noch keinen Krieg, schon gar keine Belagerung. „Der Türk“ zog also wieder ab, das Land südlich der Donau bis zur Enns hin war jedoch verwüstet, die Zahl der Opfer wird auf bis zu 100.000 geschätzt. 1532 drohte ein neuer Einfall, doch wurde der Sultan durch die Verteidiger von Güns/Kőszeg so lange aufgehalten, dass er den Zug auf Wien aufgab. Auch hatten Karl V. und Ferdinand diesmal rechtzeitig reagiert und um Wien eine für die damalige Zeit sehr starke Armee konzentriert. Aber schon wieder waren tausende Akindschi (osmanische Sturmreiter) in Niederösterreich eingebrochen und weit nach Westen gelangt. Im Wiener Becken wurden sie von der Streitmacht Kaiser Karls V. aufgerieben. Spanische Söldner des Kaisers wüteten in Niederösterreich freilich nicht weniger gräulich als die Türken selbst. Ähnliche Erfahrungen sollten sich in den folgenden 130 Jahren öfter wiederholen. Ferdinand wurde aber nach seinem Schwager Ludwig II. auch König von Böhmen – das war wiederum ein sehr erwünschter Titel, galt Böhmen doch dank seiner Silberbergwerke als ausgesprochen reiches Land. Außerdem war Ferdinand Stell- vertreter seines Bruders Karl V. im Reich, wo er ihm 1556 auch in der Kaiserwürde folgen sollte. 1541 wurde Ungarn in drei Teile geteilt – der Osten blieb als Fürstentum Siebenbürgen einigermaßen selbstständig, die zentrale ungarische Tiefebene stand fortan unter direkter osmanischer Herrschaft, nur ein schmaler Streifen im Westen Karl V. Gemälde von Jakob Seisenegger, 1532.

168 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 169 Landkarte des Erzherzogtums Österreich, entworfen von Wolfgang Lazius, 1635. Kaiser Rudolf II. (1552–1612). Gemälde von Melchior Khlesl (1553–1630) als Kardinal. Martino Rota, um 1576/80. Rudolf ver- Gemälde von Annibale Carracci, 1627. legte die Residenz nach Prag, wo er eine Khlesl war als Bischof von Wien und Wiener bedeutende Kunstsammlung begründete. Reichard Streun von Schwarzenau (1538–1600). Enenkel war ein unermüdlicher Neustadt sowie als Generalvikar für wurde zum wirkungsvollsten Vorkämpfer des katholischen Lebens in Niederösterreich. In Niederösterreich setzte er seine Sammler und durchforstete zahlreiche Archive. Richard Streun war Diplomat, Rechts- den niederösterreichischen Teil der Diözese Der hervorragende Prediger wurde 1579 Dompropst von St. Stephan, 1581 Offizial Brüder – zunächst Ernst, danach Matthias – gelehrter, ein Freund der Künste und Historiker. Er ließ in Freydegg bei Amstetten Passau jahrzehntelang ein wichtiger des Passauer Bischofs und Generalvikar des niederösterreichischen Anteils der Passauer als Statthalter ein. Matthias verdrängte Vorkämpfer der Gegenreformation. Zuletzt ihn im berühmten „Bruderzwist“ ein neues Schloss im Renaissance-Stil errichten. Erwähnung muss weiters Wolfgang riet er jedoch zum Frieden und wurde Diözese, später auch Bischof von Wien und Wiener Neustadt (beide Bistümer reichten als Herrscher von Österreich, Ungarn, Lazius (1514–1565) finden, der die erste Karte von Niederösterreich entwarf. Auch dafür beiseitegeschoben. kaum über diese Städte hinaus). Khlesl bereiste Pfarre um Pfarre, setzte unfähige Mähren und zuletzt auch aus Böhmen. andere Herren huldigten dem neuen Stil aus Italien: Zwischen 1576 und 1600 ließ der Priester ab und neue an ihre Stelle. Ab etwa 1580 setzte die Gegenreformation in den bereits genannte Hans Wilhelm von Losenstein die mittelalterliche Anlage der landesfürstlichen Städten und Märkten ein – das widersprach nicht der Religions- Schallaburg im Stil der Renaissance zum bedeutendsten Schloss dieser Zeit ausbauen. konzession, in die ja die landesfürstlichen Städte und Märkte nicht einbezogen waren. Modernisiert wurden auch die Rosenburg und die Schlösser von Greillenstein und Neu gewählte Stadtrichter und Räte mussten das katholische Glaubensbekenntnis Walpersdorf. ablegen, sonst wurden sie von der Regierung nicht mehr bestätigt. Mehrere Städte entließen ihre protestantischen Prediger. Wer sich nicht fügte, hatte das Land zu Der katholische Gegenstoß verlassen. Ferdinands Nachfolger Maximilian II. war an einem Ausgleich der Konfessio- nen interessiert. Aber sogar dieser eher tolerante Monarch untersagte den landesfürst- Türkenkrieg und Bauernkrieg lichen Städten, auf den Landtagen für sich die Reformation zu fordern – das stünde Der „Friede“ mit dem Osmanischen Reich hinderte lokale Befehlshaber beider ihnen nicht zu, da der Kaiser die Städte als sein „Kammergut“ (also seinen engeren Seiten nicht daran, von Zeit zu Zeit Beutezüge in das jeweils feindliche Gebiet zu Kronbesitz) betrachte, das sich politisch nicht äußern dürfe. 1564 wurden die habsbur- unternehmen. 1593 wurde die Beutetruppe eines bosnischen Paschas auf dem Rück- gischen Länder zum zweiten Mal geteilt. „Innerösterreich“ (Steiermark, Kärnten, marsch aus Krain bei Sisak an der Save in Kroatien vom Aufgebot der Innerösterreicher, Krain und Triest) und „Oberösterreich“ (Tirol und die Vorlande) regierten nun Brüder kaiserlichen Söldnern und Kroaten abgefangen und vernichtet. Diese Niederlage des Kaisers. Maximilian selbst herrschte über Ungarn, Böhmen und die beiden konnte man in Konstantinopel nicht auf sich sitzen lassen. Der Kleinkrieg ging in einen Österreich. offenen Krieg über, der bis 1606 dauern sollte. Nach dem Sieg an der Südfront began- Nach dem Tod Maximilians II. übernahm dessen ältester Sohn Rudolf II. nen aber schwere Zeiten an der ungarischen Front: 1594 eroberten die Osmanen (1576–1612) die Kronen des Reiches, Böhmens, Ungarns sowie die beiden österreichi- Stadt und Festung Raab/Győr – die wichtigste Festung vor Wien! 1598 wendete sich Ab etwa 1580 begann die Gegen- schen Erzherzogtümer. Rudolf lebte in Prag, seinen Bruder Ernst schickte er als das Kriegsglück wieder: Adolf von Schwarzenberg und Niklas Graf Pálffy konnten reformation in den landes- Statthalter nach Wien. Mit ihm begann der katholische Gegenstoß mit der Sperre der Raab in einem Handstreich zurückerobern. Daraufhin ließ Kaiser Rudolf zahlreiche fürstlichen Städten und Märkten – evangelischen Gottesdienste im Niederösterreichischen Landhaus und einigen Marterl („Raaber Kreuze“) mit der Aufschrift aufstellen: „Sag Gott dem Herren Lob das widersprach nicht der Kirchensperren. Die nach außen hin so mächtigen Protestanten waren theologisch und Dank, dass Raab wieder kommen in der Christen Hand!“ Niederösterreich konnte Religionskonzession, in die ja die und organisatorisch zerstritten – der Schwung der ersten Generation war vorüber. aufatmen. landesfürstlichen Städte und Gerade jetzt erhielt die katholische Seite eine neue Führungspersönlichkeit: Märkte nicht einbezogen waren. Der Bäckersohn Melchior Khlesl, von den Jesuiten zum Katholizismus bekehrt,

172 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 173 Unterdessen war ein anderer Konflikt mit einem Blutbad zu Ende gegangen – der einzige große Bauernaufstand in Niederösterreich. Begonnen hatte es schon 1596 in Steyr: Nach dem Fall von Raab dachte man daran, im Falle eines türkischen Vor- marsches nach Niederösterreich die Bauern zu mobilisieren, den 30., zehnten oder sogar fünften Mann. Im November 1596 wurden die Bauern aus Steyr und Umgebung zu einer Musterung zusammengerufen. Die Stimmung war erregt – die Bauern forderten, der Adel sollte seine ritterliche Pflicht tun und das Land beschützen, erst dann würden sie mit ausrücken. Zwei aufrührerische Bauern ließ der Burggraf zu Steyr, Ludwig von Starhemberg, ohne Gerichtsverfahren hinrichten. Diese Gewalttat löste einen allgemeinen Bauernaufstand aus, der von Steyr aus andere Teile des Landes ob der Enns erfasste. Nun erhoben sich auch die Bauern im Land unter der Enns. Zuerst organisier- ten sie sich und wählten nach den Pfarren ihre Hauptleute. Im November 1596 brach der Aufstand östlich der Ybbs, an der Erlauf und in den umliegenden Gegenden aus. Anlass war die harte Bestrafung eines den Auersperg untertänigen Bauern in Wolfpassing. Nach einigen Zügen durch das Mostviertel schlugen sie bei Wolfpassing ein Lager auf. Ende November breiteten sich die Unruhen auf das südliche Waldviertel aus. Langsam reagierte man auch in Prag und in Wien, wo den abwesenden Kaiser Rudolf II. gerade sein Bruder Matthias als Statthalter vertrat; doch der stand im Feld in Ungarn. Man bildete eine Kommission, welche die Beschwerden der Bauern aufneh- men sollte. Sie bestand aus mehreren Herren, unter ihnen der bekannte Staatsmann und Forscher Reichard Streun von Schwarzenau, dazu drei Juristen. Bis aber die „Raaber Kreuz“-Marterl und Kirche von Kommission ihre Tätigkeit aufnahm, hatte die Aufstandsbewegung schon weite Teile Frauenhofen bei Horn in Niederösterreich. des Waldviertels erfasst. Zu den Führern des Aufstandes zählten u. a. der Bauer Michael Peer im westlichsten Niederösterreich, Georg Prunner, ein Schneider aus Emmersdorf, der 75-jährige Bauer Andreas Schrembser aus Dobersberg und ein Schuster aus Pöggstall. Der Aktivste war zweifellos Prunner. Die Kommission setzte eine Unterkommission ein, bestehend aus Mitgliedern des „vierten Standes“, der landesfürstlichen Städte und Märkte. Ihnen vertrauten die Bauern mehr als den adeligen und geistlichen Herren. In der zweiten Jännerhälfte 1597 besetzten die Bauern Persenbeug, Spitz, Pöggstall und andere Orte, was ihr Selbst- Hinrichtung aufständischer Bauern nach bewusstsein gewaltig steigerte.25 dem niederösterreichischen Bauernkrieg 1596/97. Kolorierter Holzschnitt, 1597. Nun kam, was jeden Bauernkrieg beendete – das Strafgericht. Morakshy richtete ein Bauern belagern Schloss St. Peter Standgericht ein, das an jedem Ort, wo es hinkam, sofort die Rädelsführer einzog Am Lichtmesstag, dem 2. Februar des Jahres 1597, zogen mehrere tausend und zumeist hinrichtete. Anderen Bauern hieb man die rechte Hand ab (die Schwur- Bauern vor das starke Schloss St. Peter in der Au und begannen es zu belagern. Zwei hand, weil sie als eidbrüchig galten!), wieder anderen Nasen und Ohren. Der Zug Tage später öffnete der kranke Schlossherr und Herrschaftsbesitzer Wilhelm Seemann des rächenden Standgerichtes dauerte monatelang. Die Angst der Bauern war so groß, von Mangern die Tore. Er blieb bis Ende Februar Gefangener der Bauern. Erst Abge- dass sie die meisten ihrer Führer freiwillig auslieferten. Täglich ließ Morakshy einige sandten des „vierten Standes“, also der landesfürstlichen Städte und Märkte, gelang es, der etwa 140 Gefangenen, die er mit sich führte, hinrichten. Haupträdelsführer wie Seemann freizubekommen, der die frühere landesfürstliche Herrschaft im Jahr 1586 Prunner oder Markgraber wurden nach Wien gebracht, doch ihre Hinrichtung sollte an gekauft hatte. Seemann erhöhte seine Forderungen gegenüber den Untertanen; den Orten ihrer früheren Wirksamkeit stattfinden: Abschreckung durch demonstrative die aber folgten nicht oder nur zum Teil. Einer ihrer Anführer, Michael Peer, gab die Grausamkeit war angesagt. Und Erinnerung: Bis 1848 mussten sich Abgeordnete Losung aus: „Wir wollen frei werden wie die Schweizer.“ Das war also der Hintergrund der Bauernschaft und die Schuljugend alljährlich am Lichtmesstag, später am 1. Mai, des Aufstandes von St. Peter in der Au.26 vor dem Schloss St. Peter in der Au mit weißen Stäben in den Händen versammeln Als sich die Nachricht auf dem Land verbreitete, dass Kriegsvolk ins Land und ihre Abbitte wiederholen, die sie im April 1597 zu leisten gehabt hatten; jährlich käme, erhoben sich die Bauern erneut, besetzten Ybbs und schickten sich an, Melk zu wurden sie so intensiv an die Ereignisse von 1597 erinnert. Es gab dort keinen Auf- erobern. Die Bauernführer wollten möglichst viele feste Orte, Städte und Burgen stand mehr. in ihre Gewalt bekommen, um dem Militär die Besetzung des Landes nach Kräften zu Sucht man nach Erklärungen für den Ausbruch des Bauernaufstandes, so erschweren. Nun wurden auch die Bauern im voralpinen Gebiet unruhig, die unter ist zunächst auf die Brüchigkeit der traditionellen Feudalordnung zu verweisen. Eine der Führung des Wirtes Christian Haller aus Puchenstuben standen. Gegenleistung der (Grund-)Herren für die bäuerlichen Abgaben und Leistungen Bis 19. Februar hatten die Kommissare des vierten Standes immerhin einen war für die Bauern immer weniger zu erkennen: Ihre Herren konnten sie weder vor Vertrag mit einer größeren Zahl von Pfarren und Märkten geschlossen, in dem marodierenden Soldaten noch vor einfallenden Osmanen schützen und forderten die Bauern versprachen, den Aufstand zu beenden. Tatsächlich löste sich das Lager dennoch immer höhere Abgaben. Die Waisen und die Kinder der Bauern wurden zu bei Pöchlarn auf. Die Tätigkeit der Kommission wirkte also kalmierend. Gesindediensten angefordert, höhere Robotleistungen wurden verlangt, weitere Als aber die inzwischen versammelten Soldaten begannen, unter unsäglichen Gebühren erfunden. Gleichzeitig stieg die Belastung durch neue Steuern, die die Kaiser Gräueltaten das Land vom Tullnerfeld aus zu „pazifizieren“, brach der Aufstand für die Ausbildung eines modernen Staatswesens, besonders für das Militär, brauchten. erneut aus. Nach einigen Zusammenstößen bei Straß und Langenlois setzten sich die Dieses Militär war überaus lästig: Es war teuer, und wenn die eigenen Söldner durch „schwarzen Reiter“ des Obersten Wenzel Morakshy rasch gegen die Bauern durch das Land zogen, brauchte man keinen feindlichen Einfall mehr, weil das Land ohnehin und begannen überall mit ihrem Rachefeldzug. Der führte sie zunächst durch das von ihnen ausgeplündert wurde. Andererseits hatte der Landesfürst die Soldaten In der zweiten Jännerhälfte Waldviertel. Anfang April wuchs die Bauernrebellion im Viertel ober dem Wienerwald nicht gleich zur Hand. Zwischen der wachsenden Schwäche der feudalen Gewalten und 1597 besetzten die Bauern noch einmal an. Unter ihrem dortigen Anführer Hans Markgraber zogen sie durch der erst entstehenden staatlichen Gewalt tat sich eine gewisse Lücke auf. Vielleicht Persenbeug, Spitz, Pöggstall das Erlauf- und Traisental, die Klöster Gaming und Lilienfeld wurden geplündert. versuchten die Bauern also, diese historische Gelegenheit zu nützen, um zu einer Art und andere Orte, was ihr Am 5. April begannen die Bauern sogar St. Pölten zu belagern. Doch schon in der Nacht von Freiheit „wie die Schweizer“ zu kommen? Selbstbewusstsein gewaltig vom 5. auf 6. April zersprengte eine von Morakshy entsandte Kavallerie-Einheit die steigerte. Belagerer und verfolgte sie weit ins Traisental hinein.

174 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 175 Auf Anraten Khlesls einigten sich die habsburgischen Erzherzöge 1606 in einem Geheimabkommen, Matthias de facto als Haupt des Hauses Österreich anzuerkennen. Wollte Matthias aber wirklich Herrschaft ausüben, musste er sich mit den Ständen der Länder des Kaisers arrangieren. Damit bekam der „Bruderzwist“ eine völlig neue Dimension. Prompt nützte der protestantische Adel die Schwierigkeiten des Erzherzogs. Nicht mehr nur die protestantischen Ständemitglieder eines Landes, sondern gleich die mehrerer Länder verbündeten sich. Im Februar 1608 vereinbarten die Stände Ungarns sowie Ober- und Niederösterreichs eine „Konföderation“ mit Matthias zur Garantie des Friedens von 1606. Die Mährer traten bei. Böhmen blieb zunächst dem Kaiser treu. Rudolf musste einwilligen, Mähren, Österreich und Ungarn abzutreten. Matthias wurde König von Ungarn sowie Erzherzog von Österreich. Die Verhaftung eines protestantischen Adeligen, Hans Adam Geyers zu Inzersdorf, führte zu einem kräftigen Protest der Evangelischen. Im September 1608 versammelten sich in Horn 166 Mitglieder der protestantischen Adelsopposition („Horner Bund“). Führende Persönlichkeit war der oberösterreichische Adelige Georg Erasmus von Tschernembl, ein „Reformierter“, also Anhänger Calvins. Anders als die lutherischen Vertreter des „leidenden Gehor- sams“, die sich dem von Gott eingesetzten Fürsten verpflichtet fühlten, auch wenn er Unrecht tat, sahen die Anhänger Calvins in solchen Fällen auch die Möglichkeit zum gewaltsamen Widerstand vor. Das Horner Programm war identisch mit den schon früher von Tschernembl formulierten Forderungen der Oberösterreicher. Über die Konzession von 1568 ging man dabei hinaus – insbesondere sollten auch die landes- fürstlichen Städte die Augsburger Konfession frei ausüben können. Die Horner warben Truppen und versuchten, mit den Protestanten im Reich in Fühlung zu kommen. Das misslang. Außerdem vertraten die Protestanten nicht mehr den gesamten Adel: Die inzwischen erstarkten Katholiken huldigten Matthias, und in den Städten fand der Adelsaufstand wenig Widerhall. So wurde wieder verhandelt, Matthias lenkte ein, und im März 1609 kam es zu einem Vergleich, der sogar noch günstiger als der Vertrag von 1568 war. Der neue Landesfürst dachte indes ebenso wenig wie die katholische Partei daran, diesen Vertrag einzuhalten. Wie die Protestanten schlossen nun auch die katholischen Ständemitglieder ein eigenes Bündnis. Die Städte aber waren für die Reformation nicht mehr zurückzugewinnen. Bald verstärkten sich die Bemühungen des Hofes und der katholischen Partei neuerdings. Kaiser Rudolf starb, entmachtet, 1612 in Prag. Matthias war jetzt unbestrittener Alleinherrscher.

Blindtext Fero quas cusam et aut et, Ein Hardliner kommt an die Macht secepudi optata velent as sin nos ant Weder Rudolf noch Matthias noch deren Brüder hatten Söhne. So musste eturibustiur t, secepudi optata velent asTa delecto escitae nach dem Tode Kaiser Matthias’ 1619 wieder der steirische Zweig das Haus Österreich retten. Dem neuen Herrscher Ferdinand (später der II.) ging aber der üble Ruf des radikalen Gegenreformators voraus: In Innerösterreich war der Protestantismus bereits besiegt, wer nicht konvertierte, musste ins Exil. (Grillparzers Kaiser Rudolf sagt zu Ferdinand: „Mit Weib und Kind? Die Nächte sind schon kühl!“) Ferdinand, schon 1617 zum böhmischen König gewählt, wurde nach dem Tod Matthias’ auch römisch-deutscher Kaiser. Die protestantischen Stände Ober- und Niederösterreichs wollten ihm nur huldigen, wenn er ihnen die „Religionskapitulation“ Matthias’ neuerdings bestätigte und mit den Böhmen Frieden schloss – dort hatte es ja 1618 den berühmten (zweiten) Prager Fenstersturz gegeben, samt Absetzung Ferdinands. Böhmische Söldner rückten auch in Niederösterreich ein. Am 5. Juni 1619 bedrängten 50 evangelische Herren und Ritter Ferdinand in der Wiener Hofburg. Genau am Höhepunkt der hitzigen „Sturmpetition“ ritten kaiserliche Kürassiere in die Hofburg ein und überraschten die Herren und Ritter. Habsburg und seine Gegenreformation waren gerettet. Die Schlacht am Weißen Berg. Und wieder zog der protestantische Adel nach Horn, warb eigene Truppen und Gemälde von Pieter Snayers, 1620. schloss mit den böhmischen Ständen ein Bündnis. Während die Niederösterreicher Ein Bruderzwist in Habsburg – Zuspitzung der konfessionellen Gegensätze daneben auch noch mit Ferdinand verhandelten, waren die Oberösterreicher radikaler, Zurück zum „langen Türkenkrieg“. Er endete in einer Pattsituation, da nach verbündeten sich mit den Böhmen und Ungarn und marschierten nach Osten, zur vorübergehenden Erfolgen der Kaiserlichen der Versuch einer radikalen Gegenreforma- Eroberung Wiens. Diese scheiterte jedoch. Ferdinand schrieb einen neuen Huldigungs- tion wieder einmal zu einem Aufstand des reformierten ungarischen Adels unter landtag aus und verlangte die sofortige Aufgabe der ständischen Konföderation Stephan Bocskai führte, der die bisherigen Erfolge des Krieges wieder zunichtemachte. mit Böhmen. Die Religionsfreiheit sollte erhalten bleiben. Dieses Angebot spaltete Freilich, wie Franz Grillparzer Kaiser Rudolf im „Bruderzwist“ sagen ließ: „Allein die Protestanten – ein Teil hielt an der böhmischen Option fest, ein Teil huldigte. der Krieg in Ungarn der ist gut!“ Denn er verhinderte einen neuerlichen Ausbruch Die gemäßigten Herren und Ritter stammten eher aus den südlichen Landesteilen, der inzwischen wieder verschärften konfessionellen Gegensätze. Aber sein Bruder diejenigen aus dem Waldviertel blieben vorerst stur, wenngleich nicht wenige später Matthias und die anderen Erzherzöge setzten angesichts fehlender Mittel die die Huldigung nachholten. Am 12. September 1620 erschien die erste Proskriptions- Friedensschlüsse von Wien mit den Ungarn und von Zsitva-Torok mit den Osmanen liste – 31 Adelige wurden geächtet und ihre Güter konfisziert. Am 14. Oktober folgte (1606) durch. Der ungarische Adel erhielt weitgehende Religionsfreiheit. eine zweite. Die wichtigsten Führer der protestantischen Partei fanden sich darauf, aus dem Geschlecht der Puchheimer auf Horn allein sieben Personen. Wer sich zu viel

176 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 177 hervorgetan hatte und keine Gnade erwarten durfte, ging – wie Andreas von Thonradl, Ludwig von Starhemberg, Georg Erasmus von Tschernembl etc. – ins Exil, in der Regel in protestantische Gebiete Deutschlands. Mit der Niederlage der Böhmen am Weißen Berg bei Prag am 8. November 1620 kam auch die endgültige Niederlage der Stände Ober- und Niederösterreichs. Die Chancen auf eine eigenständige ständische Politik gegenüber dem Landesherrn waren vorüber. Der Absolutismus wurde ab jetzt voll durchgesetzt, ebenso die Einheit des katholischen Glaubens. 1626 wurden alle protestantischen Prediger und Schulmeister des Landes Hinrichtung Peter Zrínyis und Christoph Frankopans im Hof verwiesen, ein Jahr darauf wurde auch die öffentliche Abhaltung evangelischer des kaiserlichen Zeughauses in Gottesdienste verboten. Der protestantische Adel Niederösterreichs durfte zwar Wiener Neustadt am 30. April 1671. persönlich bei seinem Glauben bleiben, für die Ausübung des Kultes musste man aber ins (habsburgische!) „Ausland“, meist nach Ungarn (also häufig ins Burgenland), reisen. Dennoch blieben einige Geschlechter, wie die Auersperg auf Purgstall, bis ins 18. Jahrhundert evangelisch. Auch viele Bauern hielten an ihrer lutherischen Religion fest. Ab etwa 1650 wurde der Druck auf sie erhöht. Das Ziel lautete nun Bekehrung und nicht Exil, denn es fehlte an Arbeitskräften. Trotz aller Maßnahmen blieb ein relativ breiter Geheimprotestantismus bis zum Ende des Jahrhunderts lebendig. Dann erstarb er langsam. Zweier evangelischer Exulanten – einer Frau und eines Mannes – ist gesondert zu gedenken, weil sie im Geistesleben der Zeit eine wichtige Rolle spielten. Die Dame war Catharina Regina von Greiffenberg (1633–1694), die als bedeutendste deutsch- sprachige Lyrikerin des 17. Jahrhunderts gilt. Ihre „Geistlichen Sonette, Lieder und Gedichte“ wirken durch ihre ungewöhnliche Bildsprache bis heute. Nach dem Tod ihres Mannes Hans Rudolf emigrierte sie nach Nürnberg, wohin sie schon früher Kontakte gehabt hatte.27 Der Mann war Wolf Helmhard von Hohberg (1612–1688). Zuerst Kriegsmann, dann Inhaber einiger kleiner Herrschaften in Niederösterreich, publizierte er die epischen Dichtungen „Die unvergnügte Proserpina“ und „Der hapspurgische Ottobert“. Sein bedeutendstes Werk aber waren die „Georgica curiosa“ – ein Lehrbuch für den adeligen Hausvater, dessen Pflichten von der christlichen Lebens- und Fami- lienführung bis zur ordentlichen Wirtschaftsführung überaus detailliert beschrieben Belagerung und Entsatz der Stadt werden. Das Werk erfuhr schon zu Lebzeiten Hohbergs eine vermehrte Zweitauflage Wien 1683. Das vor 1689 entstandene Gemälde zeigt das Entsatzheer, und dann noch mehrere bis weit ins 18. Jahrhundert. Es markiert den Höhepunkt wie es vom Kahlenberg in die Stadt der „Hausväterliteratur“ in deutscher Sprache.28 1665 verkaufte Hohberg seine nieder- zieht und die Osmanen zurückwirft. österreichischen Güter und übersiedelte ins protestantische Regensburg, wo er auch starb. Der Wiederaufbau ging nur langsam vor sich. Die Stadtansichten der Topografie Der große Krieg – 30 Jahre Not und Zerstörung Niederösterreichs von Georg Matthäus Vischer, über Auftrag der Stände des Landes Der militärische Sieg des Kaisers führte zum Aufstieg einer neuen Adelsgrup- erarbeitet und 1672 im Druck erschienen, zeigen bescheidene Häuser, die darauf pierung. Kaiserliche Financiers und Generäle erwarben die Güter der geächteten hinweisen, dass hier keine großen Reichtümer erworben wurden. Protestanten. Unter den Neuen finden sich viele klangvolle Namen: Kinsky, Lobkowitz, Czernin, Montecuccoli, Schönborn, Seilern, Wilczek, Berchtold, Cobenzl, Stürgkh etc. Die zweite Türkenbelagerung und das Ende der osmanischen Bedrohung Niederösterreich wurde von den Böhmen nicht mehr bedroht, ungarische Aufständi- 1663 eroberte ein osmanisches Heer die wichtige Festung Neuhäusel (heute sche versetzten aber weiterhin den Osten des Landes in Unruhe. Ab 1624 blieb Nové Zámky, Slowakei). Zwar gelang es dem kaiserlichen Feldherrn Montecuccoli Niederösterreich durch lange Zeit frei von Feinden. Aber die unablässigen Steuerforde- im Jahr darauf, ein türkisches Heer bei Mogersdorf (oder St. Gotthard in Ungarn) zu rungen bedrückten das Land schwer, die Ernährung der Armeen verursachte Lebens- schlagen, doch folgte darauf rasch ein Friedensschluss, der den Türken ihre Erobe- mittelknappheit, Werbungen verminderten die Zahl der arbeitsfähigen jungen Männer. rungen beließ. Zahlreiche ungarische Herren waren damit äußerst unzufrieden – Doch das große Unheil kam erst: Im Winter 1631/32 musste Niederösterreich acht das ist der Hintergrund jener „Magnatenverschwörung“, die sich auch gegen die Regimenter Wallensteins in die Winterquartiere übernehmen – in die Städte und in Gegenreformation in Ungarn richtete. Die Häupter der Verschwörung, der ungarische ummauerte Märkte. Das wiederholte sich in den folgenden Jahren und bedeutete Palatin Ferenc Wesselényi, Peter Zrínyi, Christoph Frankopan, und einige andere eine enorme Belastung für die Bevölkerung. Die Werbungen wurden immer intensiver, wurden freilich verhaftet. Am 30. April 1671 richtete man Zrínyi und Frankopan in denn die Söldner verliefen sich nicht selten durch Desertion. Von den 3.500 Leuten, Wiener Neustadt hin. (Eine Tafel sowie immer wieder dort abgelegte frische Blumen die 1634 ausgehoben wurden, desertierten zehn Prozent noch als Rekruten! erinnern daran.) Nun begann eine radikale Phase der Gegenreformation in Ungarn, Die letzte Phase des Krieges war die schlimmste. Zu den kaiserlichen Kriegs- die letztlich in einen großen Aufstand, jenen der „Kuruzzen“ unter Imre Thököly, völkern, die das Land schon genug ausgeplündert hatten, kamen zu guter Letzt noch mündete. Thököly, der die Witwe nach Peter Zrínyi geheiratet hatte, wurde 1682 vom die Schweden. Im Frühjahr 1645 eroberten sie das Land nördlich der Donau fast zur Sultan als Fürst von Oberungarn anerkannt. Diese Konfiguration führte zur berühmten Gänze, Korneuburg wurde vorübergehend zum Hauptquartier des schwedischen zweiten Türkenbelagerung Wiens im Sommer 1683. Die letzte Phase des Dreißig- Feldherrn Lennart Torstenson. Da die mährische Hauptstadt Brünn der schwedischen Niederösterreich war noch von einer 1678 losgebrochenen Pestwelle erschüt- jährigen Krieges war die Belagerung standhielt, blieb die niederösterreichische Position der Schweden unsicher. Niederösterreich war noch von tert, die sich bis 1680 bemerkbar gemacht und tausende Tote gefordert hatte. Da schlimmste. Zu den kaiserlichen Sie zogen wieder nach Norden ab. Nicht wenige Erdställe, in denen die Bevölkerung einer 1678 losgebrochenen nahte das riesige osmanische Heer des Großwesirs Kara Mustafa. Schon Anfang Juli Kriegsvölkern, die das Land Zuflucht suchte, sind bleibende Zeugen jener schlimmen Zeit. Pestwelle erschüttert, die sich schwärmten die „Renner und Brenner“ ins südliche Niederösterreich aus. Die länd- schon genug ausgeplündert hatten, Am Ende des Krieges waren fast 30 Prozent der Häuser des Landes öde. bis 1680 bemerkbar gemacht liche Bevölkerung gab den Geistlichen und Adeligen die Schuld am völligen Versagen kamen zu guter Letzt noch die Die ärgsten Schäden gab es im Waldviertel, wo 58 Prozent aller Häuser betroffen und tausende Tote gefordert der Landesverteidigung – man hätte das Unheil durch die Gegenreformation in Schweden. Im Frühjahr 1645 waren; nur wenig besser war es im Weinviertel. Aber auch die südlichen Viertel, hatte. Da nahte das riesige Ungarn heraufbeschworen. Der Heiligenkreuzer Priester und Regens Chori Balthasar eroberten sie das Land nördlich in denen „nur“ die kaiserlichen Truppen hausten, hatten einen deutlich kleineren osmanische Heer des Kleinschroth schilderte diese Stimmung, die ihm auf der Flucht mit „seinen“ Sänger- der Donau fast zur Gänze. Bestand an aufrechten Bauernhäusern als vor dem Krieg. Großwesirs Kara Mustafa. knaben häufig entgegengeschlagen sei.29 Die niederösterreichische Bevölkerung

178 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 179 Die Einnahme von Perchtoldsdorf In der Not der Zeit verehrten Sachsen, dem fränkischen Reichskreis und Polen zwischen Krems und dem Tullnerfeld. durch die Osmanen, 1683. die Gläubigen vor allem Am 12. September traten diese Truppen vom Kamm des Wienerwaldes an und brachten Maria, die so etwas wie eine der osmanischen Armee die schlimmste Niederlage bei, die sie gegen die Kaiserlichen „Muttergottheit“ wurde, bisher erlitten hatte. an zahlreichen heiligen Orten. Dieses Mal war Niederösterreich südlich der Donau Schauplatz der ärgsten Verwüstungen. Tausende Häuser waren abgebrannt und ohne Bewohner/innen, ebenso viele wurden bewohnt, waren aber ruiniert, tausende weitere Häuser waren geplündert. Etwa 30.000 Menschen hatten die Tataren getötet. „Während dieses Feldzuges sollten 6.000 ältere Leute, 11.200 Frauen, 13.800 Mädchen, 204 adelige Fräulein und 56.000 Kinder aus Niederösterreich und Ungarn in Gefangenschaft geführt worden sein.“30 Die Wiederbesiedlung erfolgte zunächst vor allem durch Menschen aus der Steiermark, dann aus Oberösterreich, Bayern, Tirol, Schwaben und aus vielen anderen Gebieten. Schwaben kamen vor allem in den Brucker Bezirk. Unter den Zuwanderern befand sich auch der Tiroler Maurermeister Jakob Prandtauer, der aus Stanz ins Tullnerfeld gelangte; 1692 übersiedelte er nach St. Pölten. Der Krieg verlagerte sich anschließend nach Ungarn, wo er erst 1699 mit dem Frieden von Karlowitz/Sremski Karlovci (Serbien) ein Ende fand. Zentralungarn wurde jetzt habsburgisch. Im Krieg von 1717 bis 1719 eroberte Prinz Eugen Belgrad, nochmals wurden die ungarischen Grenzen nach Süden und Südosten vorgeschoben. Für Niederösterreich war damit die Türkengefahr vorbei.

Das barocke Niederösterreich

Vom „Bauwurm“ befallen Unmittelbar nach dem Ende der osmanischen Bedrohung entstand ein völlig neues Bild des Landes – das barocke Niederösterreich. Bis heute gehören ja die Klosterveduten von Melk, Göttweig, Klosterneuburg, Dürnstein oder Altenburg zu den „Ikonen“ des Landes. Es scheint so, als hätte das Ende der Türkenkriege eine gera- dezu befreiende Wirkung gehabt. Begonnen hat es eigentlich schon während des großen Krieges. Noch vor 1648 wurden in Niederösterreich 21 Männer- und zwei Frauenklöster gegründet, darunter sieben Kapuzinerklöster (Wien, Wiener Neustadt, Bruck, Korneuburg, Mödling, Tulln und Waidhofen an der Ybbs) sowie drei Klöster der Franziskaner (Stockerau, Ybbs, Neulengbach). Neben dem Kaiser traten katholische Adelige wie die Hoyos, Breuner oder Harrach als Klostergründer hervor.31 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts begann die katholische Kirche, die „politische“ durch eine mentale Rekatholisierung zu untermauern. Diese bot der wieder katholisch gewordenen Bevölkerung Hilfen für die Bewältigung des zumeist dürftigen Lebens an – durch die Anrufung Gottes, der Heiligen Dreifaltigkeit, der Heiligen, besonders aber der jungfräulichen Mutter Maria. Unterstützt wurde dieses „Programm“ durch Architektur, bildende Kunst, Musik und Theater. In allen Bereichen standen zunächst die Jesuiten an der Spitze, die nicht nur hervorragende Wissen- schaftler und Lehrer, sondern auch Architekten und Theaterdichter hervorbrachten. Etwas vereinfacht könnte man sagen: Der neue Katholizismus nahm dem Volk die Lesung der Bibel in seiner Sprache weg, bot dafür aber Ersatz durch beeindruckende Raumerlebnisse, Bilder, Statuen, feierliche Gottesdienste, Kirchenmusik und Wallfahr- Mariahilfberg in Niederösterreich, ten. In der Not der Zeit verehrten die Gläubigen vor allem Maria, die so etwas wie ab 1662 Wallfahrtsort mit Servitenkloster. eine „Muttergottheit“ wurde, an zahlreichen heiligen Orten. Neben das große Zent- Votivbild, 18. Jahrhundert. rum der Marienverehrung, Mariazell, reihten sich viele andere populäre, sozusagen „von unten her“ entstandene Wallfahrtsorte wie Maria Taferl, Maria Dreieichen oder der Mariahilfberg bei Gutenstein. Bei allen drei später viel besuchten Wallfahrts- Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736), der bedeutendste Heerführer der orten standen Wunderheilungen nach der Anrufung Mariens am Beginn einer zu- Habsburger. Anonymes Porträt, vor 1710. nächst bescheidenen Wallfahrtstradition zu den Gnadenbildern. Durchwegs erhielten diese Orte aber bis zum Ende des 17. Jahrhunderts eindrucksvolle barocke Wallfahrts- kirchen. Auch ältere Wallfahrtsorte erfuhren eine Wiederbelebung, so Maria Laach litt schwer. In Perchtoldsdorf, wo man kapitulationsbereit war, wurden am 16. Juli alle am Jauerling mit seinem bekannten gotischen Marienbild. wehrfähigen Männer zusammengerufen und niedergemetzelt, anschließend auch Alle habsburgischen Kaiser pilgerten häufig nach Mariazell. Kaiser Ferdinand III. die Frauen und Kinder, die in der Kirche Zuflucht gesucht hatten; Überlebende wurden ließ die gotische Wallfahrtskirche in großem Maßstab barock erneuern. Die „Via Sacra“ verschleppt. Noch im November lagen hunderte Leichen unbeerdigt auf dem Markt- von Wien über Heiligenkreuz, den Hafnerberg, Altenmarkt, Kaumberg, Lilienfeld und platz. Gut befestigte Städte und Schlösser griffen die tatarischen Scharen nicht an, Annaberg wurde systematisch mit Kapellen, Bildstöcken und Kirchen bereichert. So dazu waren sie zu schwach. Es gab auch Beispiele erfolgreicher Gegenwehr: So konnte entstand eine Kirche auf dem Josefsberg und 1652 die Kapelle auf dem Joachimsberg. der Abt von Lilienfeld sein Kloster mithilfe von Bauern erfolgreich verteidigen, (Annaberg hingegen war der Ort einer alten Annen-Wallfahrt!) Die schöne Kirche und auch das innere Erlauftal erreichten die Plünderer nicht, da die Enge zwischen auf dem Hafnerberg (1729) war die letzte in dieser Reihe. Sie ist schon jener hoch- und Scheibbs und Gaming gesperrt wurde. Während dieser Ereignisse ging es den Belager- spätbarocken Bauwelle zuzurechnen, die nicht mehr nur einige Regionen, sondern ten in Wien immer schlechter. Doch schon sammelte sich das Entsatzheer aus Bayern, das gesamte Land prägen sollten.

180 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 181 Das Werden des Melker Klosterplanes ist nicht sehr gut dokumentiert, die Bauge- schichte hingegen schon.35 1700 wurde der aus Scheibbs stammende Berthold Dietmayr zum Abt gewählt. Die Baufälligkeit des Turms der gotischen Stiftskirche erforderte eine Auseinandersetzung mit deren Bauzustand. 1701 entschieden sich Abt und Konvent für einen Neubau. Die Durchführung übertrug man dem St. Pöltener Maurer- und Baumeister Jakob Prandtauer. 1702 begann der Bau der Stiftskirche. Als Ausweichquartier für den Gottesdienst wurde zunächst die Sommersakristei erbaut, in der sich Antonio Beduzzi als Freskomaler verewigt hat. Er sollte noch zahlreiche Entwürfe für Melk liefern. 1706 – die Kirche war noch lange nicht fertig – wurde mit dem Umbau der Klostergebäude begonnen. Ab 1711 löste ein „neuer Klosterriss“ einen älteren Entwurf ab. Jetzt erst nahmen auch die Planungen für die Innenaus- stattung der Kirche ihren Anfang, für die Beduzzi Seitenaltäre und Fresken entwarf. Letztere wurden von Johann Michael Rottmayr ab 1716 gestaltet. Für die Architektur- malerei engagierte Rottmayr den Bologneser Ippolito Sconzani, Schwiegersohn Beduzzis. Nachdem die Freskierung der Kirche beendet war, ging es ab 1724 an die Inneneinrichtung. Für die Seitenaltäre existierten Pläne Beduzzis, der Hochaltar wurde hingegen von einem Galli-Bibiena, wahrscheinlich Giuseppe, geplant. Für die Umsetzung der Entwürfe des genialen Theaterarchitekten sorgte ein äußerst

Gartenfassade von Schloss Schönborn, erbaut 1712 bis 1717 von Johann Lukas von Hildebrandt unter dem Bauherrn Graf Friedrich Karl Schönborn-Buchheim. „(B)is 1720 entstehen allein um Wien und in den Vorstädten an die zweihundert Gartenpalais, Lustschlösser und Belvederes des Adels und vermögender Bürger. Wie nie zuvor beteiligen sich alle Künste am Zusammenspiel zum barocken Gesamt- kunstwerk von Architektur, Bildnerei, Stuckatur, wie es in solcher Verschmelzung und Harmonie keinem der großen Stile der europäischen Kunst gelingt.“32 Die Bauherren waren neben dem Kaiser sein wichtigster Feldherr, Prinz Eugen von Savoyen, mit den Landschlössern Schloss Hof und Niederweiden, einige andere Adelsfamilien wie die Schönborn in Göllersdorf oder die Harrach in Rohrau sowie eine Reihe von ebenso kunstsinnigen wie ökonomisch versierten Prälaten: Berthold Dietmayr von Melk, Gottfried Bessel von Göttweig, Placidus Much von Altenburg, Hieronymus Übelbacher von Dürnstein. Sie alle waren vom damals sprichwörtlichen „Bauwurm“ befallen. So schrieb Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn aus Wien an seinen Onkel, den Reichserzkanzler und Erzbischof von , während des Baues seines Schlosses in Göllersdorf: „Der teufelsbauwurmb (hat) mich weith tiefer hieneingeführet, als ich niemahlen geglaubt gehabt, gestalten das vorige jahr ahnstatt 12 mich über 27 000 Gulden“33 gekostet hat. Tatsächlich Vollendung fand eigentlich nur Melk. Von dem riesigen Entwurf Donato Felice d’Allios für Klosterneuburg wurde gerade einmal ein Bruchteil (samt Kaiserkrone als Kuppelbekrönung) fertiggestellt. In der großartigen, das Kremser Donautal beherrschenden Anlage von Göttweig, entworfen von Johann Lukas von Hildebrandt, wurde die Kirche „nur“ barockisiert, aber nicht neu gebaut, und der Westtrakt blieb überhaupt unvollendet.

„Rinnende Zapfen“ und „reisende Metzen“ Bleiben wir bei Melk. Das Benediktinerstift wetteiferte mit den Augustiner- Chorherren von Klosterneuburg durch Jahrzehnte, ja Jahrhunderte um den Vor- rang im Prälatenstand. Melk setzte sich schließlich politisch durch. Melk und Kloster- neuburg lagen auch in der Wirtschaftskraft etwa gleichauf: Beide bestritten im frühen 18. Jahrhundert etwa je 12 bis 14 Prozent der Wirtschaftskraft aller nieder- österreichischen Stifte und Klöster.34 An dritter Stelle stand zumeist Göttweig. Alle drei Stifte hatten schon im 17. Jahrhundert recht bezeichnende Beinamen erhalten: Göttweig wurde wegen seiner hohen Geldeinkünfte das Kloster „zum klingenden Abt Berthold Dietmayr (Abt 1700–1739). Pfennig“, Klosterneuburg wegen des Reichtums an Wein das Stift „zum rinnenden Porträt (wahrscheinlich) von Johann Kupetzky, nach 1706. Das Bild stellt den Zapfen“ genannt, und Melk erhielt wegen seiner reichen Zehentgetreide das Prädikat noch jungen Abt mit einem Plan des „zum reisenden Metzen“. (Der Metzen war ein Getreidehohlmaß von etwa 60 Litern.) Grundrisses der neuen Stiftskirche dar.

182 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 183 St. Pölten war durch Prandtauers qualitätsvoll arbeitender Einheimischer, der St. Pöltener Meister Peter Widerin, ein Die Grundlagen schufen kluge erneuert werden und erhielten jetzt ihre bis heute so typische elegante Form durch Ansiedlung zu einem wichtigen Schwiegersohn Prandtauers. Dieser hatte auch viele der als Tonmodelle vorgelegten und kaufmännisch tüchtige Josef Munggenast, der nach Prandtauers Tod 1726 dessen Stelle einnahm. Der Zentrum des Barock im westli- Statuen-Entwürfe des großen Bildhauers Lorenzo Mattielli zu realisieren.36 Äbte im 17. Jahrhundert. Man St. Pöltener scheint dabei von der Turmlösung in Zwettl und Dürnstein des Wiener chen Niederösterreich geworden. St. Pölten war durch Jakob Prandtauers Ansiedlung zu einem wichtigen hat damals, wenn möglich, Baumeisters und Bildhauers Matthias Steinl beeinflusst worden zu sein. Der Saal Zentrum des Barock im westlichen Niederösterreich geworden. Prandtauer baute ganze Herrschaften, vor allem der Prälatur erhielt ein neues Gewölbe mit Fresken von Gaetano Fanti und Paul Troger. vor allem in St. Pölten (Umgestaltung des Domes, Karmelitinnenkloster u. a.), aber Zehentrechte gekauft. Bei Letzterem gab man auch zwei Altarbilder in Auftrag, deren Ausführung durch aber auch in der Umgebung von Dürnstein. Die Pläne für die Wallfahrtskirche auf Rottmayr nicht mehr gefiel – so rasch wechselten auch im Barock die Moden. dem Sonntagberg, die Melker Pfarrkirchen von Ravelsbach und Wullersdorf etc. Auf Munggenast geht weiters die Verbindung von Bibliothek und Marmorsaal über gehen ebenfalls auf ihn zurück. Bis St. Florian reichte sein Radius. Prandtauers eine begehbare Altane zurück. Viele Dächer mussten erneuert werden. Abt Berthold Verwandter, Schüler und Nachfolger Josef Munggenast, ebenfalls aus Tirol, wirkte in starb bald darauf, tief getroffen. Erst unter seinem zweiten Nachfolger konnte Seitenstetten, Altenburg, Herzogenburg, Geras und St. Pölten, aber auch in Melk. die Kirche 1746 feierlich eingeweiht werden.38 Da war der Befall mit dem „Bauwurm“ Hier galten Kirche und Klostergebäude 1736 als vollendet – der Wiener Maler eigentlich schon wieder abgeklungen. und Architekt Franz Thomas Rosenstingl verfertigte daher einige große Gesamt- ansichten der eindrucksvollen Anlage. Es war ein einmaliges Gesamtkunstwerk ent- Woher das Geld gekommen ist standen, mit vollkommen einheitlicher Wirkung und zwei an einer Achse liegenden Bleibt die Frage, wie diese Explosion an Neubauten überhaupt möglich ganz unterschiedlichen Ansichten von Ost und West – obwohl der Bau sich auch war – das Land war ja durch den Dreißigjährigen Krieg und den Einfall der Osmanen vom Plan her erst allmählich entwickelt hatte. Der den Bau dirigierende Bauherr, Abt 1683 sowie die Kuruzzeneinfälle im Osten des Landes (1703 bis etwa 1706) ver- Der Innenraum der Stiftskirche von Melk. 37 Die Ausstattung geht auf Anregungen Berthold, blieb freilich durch fast 40 Jahre derselbe. Da beschädigte im August 1738 wüstet und verarmt. Außerdem waren die Kriege samt ihren ständigen hohen Steuer- des italienischen Architekten Antonio ein Brand das eben fertiggestellte Kloster schwer – die Turmhelme mussten komplett anforderungen, vor allem an den Prälatenstand, auch nach 1648 weitergegangen: Beduzzi zurück, wurde aber überwiegend gegen die Osmanen (1683–1699, 1717–1719), gegen Frankreich (1672–1677, 1688–1697 von heimischen Künstlern ausgeführt. und als Spanischer Erbfolgekrieg 1705–1713/14) sowie gegen die aufständischen Ungarn („Kuruzzen“, 1703–1711). Nach Böhmen und Schlesien und gemeinsam mit Mähren trug Niederösterreich den bedeutendsten Anteil an der Steuerlast der habsburgischen Länder.39 Immer neue kurz- und langfristige Anleihen mit Rückzahlungsanweisungen an Salz- oder Mautämter stopften die größten Löcher, dennoch wuchs die Staats- schuld in den Zeitgenossen unbekannte Höhen. Die Steueranforderungen an die einzelnen Länder schwankten, tendenziell stiegen sie. In besonderem Maße wurden die Prälaten gefordert, die dem Kaiser Darlehen und Geldgeschenke überlassen Jakob Prandtauer (1660–1726) stammte „durften“: 1713 ein Darlehen über 600.000 Gulden, 1723 über 125.000 Gulden, aus Stanz bei Landeck in Tirol, wanderte 1735 (wieder eine Kriegszeit) über 650.000 Gulden. Extra mussten die Prälaten für nach 1683 nach Niederösterreich aus 40 und wurde später Bürger in St. Pölten. die Befestigung von Belgrad und Temesvár bezahlen. Wie also war nun, neben Er leitete die Bauarbeiten in Melk, dieser starken Beanspruchung, die ungeheure barocke Bautätigkeit zu finanzieren? war aber auch in St. Pölten, St. Florian, am Sonntagberg etc. tätig.

Paul Troger. Selbstporträt, um 1728/30.

184 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 185 Bleiben wir bei unserem Melker Beispiel. Der Bau verschlang von 1701 bis 1749 eine Erstmals überlegte man, wie und Flachs aus. Und an den zahlreichen Verkehrswegen von und nach Wien, wo ab Gesamtsumme von 708.000 Gulden, im Schnitt also 14.750 Gulden pro Jahr. Zwar sich durch die Umwandlung von 1612 die Kaiser dauerhaft residierten, herrschte starke Nachfrage nach Transport- nahmen die Äbte immer wieder Darlehen auf, das aber nur für die kaiserlichen Rohstoffen in Fertigwaren und Verkehrsdienstleistungen. Jede Person, die nach Wien wollte – und das waren Forderungen. Dennoch standen am Ende dieser Periode den Passiva Forderungen in eine bessere inländische Wert- immer mehr –, musste das Land unter der Enns durchqueren, zu Wasser oder zu doppelter Höhe gegenüber – man konnte also noch Gelder herleihen! Die Grundlagen schöpfung und damit auch eine Land, zu Schiff (donauabwärts, eine beliebte Route von Regensburg her), zu Wagen, schufen kluge und kaufmännisch tüchtige Äbte im 17. Jahrhundert. Man hat damals, bessere militärische Position zu Pferd oder per pedes. Wien hatte samt den Vorstädten schon um 1700 mehr wenn möglich, ganze Herrschaften, vor allem aber Zehentrechte gekauft. Um die der Habsburger erreichen ließen. als 100.000 Einwohner/innen, um 1750 waren es bereits 175.000. Mitte des 18. Jahrhunderts kamen 70 Prozent der Einnahmen des Stiftes mit seinen Drei Personen und ein Buch prägten das neue Wirtschaftsdenken. Die drei mehr als 7.000 Untertanen aus dem Verkauf von Zehentwein und Zehentgetreide. Herren waren Wilhelm von Schröder (1640–1688), Johann Joachim Becher (1635–1682) Die Vermarktung erfolgte über Wien (Zentrale im Melker Hof) und Melk. Nun gilt aber und Philipp Wilhelm von Hörnigk (1640–1714). Sie gelten als die Erfinder des deut- in der Wirtschaftsgeschichte die Zeit zwischen etwa 1620 und 1750 als Phase einer schen (und österreichischen) „Merkantilismus“. Erstmals überlegte man, wie weniger Agrarkrise, also niedriger Getreidepreise. Allerdings gab es zwischen etwa 1680 Geld außer Landes gehen würde, wie sich durch die Umwandlung von Rohstoffen und 1730 eine Art „Zwischenhoch“.41 Und gerade in dieser Zeit wurden die meisten in Fertigwaren eine bessere inländische Wertschöpfung und damit auch eine bessere barocken Neubauten errichtet! Noch etwas darf nicht übersehen werden: Die Zeit militärische Position der Habsburger erreichen ließen. Philipp Wilhelm von Hörnigk des Barock war eine Phase außerordentlich geringer Löhne, wenn auch nicht bei den fasste diese Gedanken in seinem überaus erfolgreichen Buch „Österreich über alles großen Künstlern: Johann Michael Rottmayr erhielt mit etwa 10.000 Gulden ein wann es nur will“ (1684) zusammen. Das Werk erlangte bis 1784 16 Auflagen und wesentlich höheres Honorar als der „Maurer- und Baumeister“ Prandtauer, der jährlich bot Generationen von Wirtschaftspolitikern Grundlinien für deren Programme. Erste nur 300 Gulden verrechnen konnte. Die „kleinen“ Handwerker, Maurer, Zimmerleute, Umsetzungsversuche merkantilistischer Politik erfolgten schon im 17. Jahrhundert. Tischler, aber auch die vielen Taglöhner waren indes froh, wenn sie Arbeit hatten. So schuf ein Graf Kurz eine neue Webersiedlung in Horn. Hofkammerpräsident Graf Insofern fungierte der barocke „Bauwurm“ auch als eine Art produktiver Arbeitslosen- Sinzendorf richtete eine Seidenmanufaktur in Walpersdorf ein (1666–1682). Becher fürsorge. gründete u. a. eine (erste) Orientalische Handelskompagnie, die den Viehhandel Denkmal Karls VI. auf dem Semmering mit Ungarn betreiben wollte, aber auch ein „Manufakturhaus“ am Tabor in Wien. aus dem Jahre 1728. Es erinnert an die Die im Dunkeln sieht man nicht … Überhaupt litten die ersten merkantilistischen Betriebsgründungen daran, dass sie Errichtung der Fernstraße zwischen Wien und Triest, die den Transithandel von Dass die glanzvollen Barockbauten vielfach während der Kriegsjahre des eher Luxuswaren (Seidenstoffe, venezianische Spiegel) herstellten als Dinge, die Venedig abziehen und zu den Freihäfen späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts entstanden, wird dennoch immer ein man massenweise absetzen konnte. Triest und Fiume umlenken sollte. bisschen rätselhaft bleiben. Denn neben den großartigen Baustellen und grandiosen Kunstwerken eröffnet ein Blick auf die Alltagswelt des frühen 18. Jahrhunderts Neue Straßen und Fabriken düstere Dimensionen. Immer wieder kehrte die Pest zurück, ein besonders schlimmes Konsequenter war die merkantilistische Politik Kaiser Karls VI. (1711–1740). Er Pestjahr war 1713. In Wien starben damals mehr als 8.500 Personen. Die Landesgrenzen privilegierte die beiden Hafenstädte Triest/Trieste/Trst und Fiume/Reka/Rijeka als wurden gesperrt, 1714 erlosch die Seuche wieder. Auch die Sicherheitsverhältnisse Freihäfen (1718). Beide benötigten dazu aber erst gute Verbindungen mit dem Hinter- blieben unbefriedigend. Abgedankte oder invalide Soldaten sowie Deserteure durch- land, vor allem natürlich mit der Haupt- und Residenzstadt Wien. Daher wurde die streiften das Land und bildeten regelrechte Banden. Auf dem flachen Lande gab Triester Straße von Wien nach Süden als „Kommerzialstraße“ ausgebaut und 1728 es ja noch keine Polizei oder Gendarmerie. Die Grundherrschaften boten zuweilen fertiggestellt. Ähnliche Straßen wurden von Wien aus über St. Pölten, Amstetten und Bauern zur Bekämpfung der Räuberplage auf, das aber nicht sehr erfolgreich. Aus- Linz ins Reich (Richtung Regensburg) ausgebaut (die Straße hieß noch in der Kindheit gedehnte Wälder lieferten den Räubern hervorragende Rückzugsmöglichkeiten. des Autors die „Reichsstraße“), von Wien über Stockerau und Hollabrunn nach Prag In der Nähe der wichtigen Straßen von und nach Wien gelegen, wurden sie von den („Prager Straße“), über Wolkersdorf, Mistelbach und Nikolsburg nach Brünn/Brno, Banden gerne für Überfälle genützt. 1721 wurde sogar Militär eingesetzt, um dem Olmütz/Olomouc und Breslau/Wrocław, von Wien nach Pressburg/Pozsony/Bratislava Bandenunwesen zu begegnen. Schwere Strafen drohten: Überführte Verbrecher konn- und weiter in die Zips, ferner von Wien über Bruck an der Leitha nach Ofen/Buda ten sogleich standrechtlich verurteilt und hingerichtet werden, manche starken (Budapest), und schließlich von Wien über Achau, Hornstein und Ödenburg/Sopron Männer wurden auf Galeeren des Mittelmeeres geschickt. Und nicht zuletzt richtete nach Südungarn und Kroatien. Die Zeit Karls VI. hat „das Mittelalter im niederöster- man jetzt Zucht- und Arbeitshäuser ein, in denen „arbeitsscheue Elemente“ nicht nur reichischen Straßenbau überwunden“.44 straf- und zwangsweise untergebracht, sondern auch mit recht unfreundlichen Mitteln Nun erfolgten auch vermehrt Gründungen neuer Unternehmen: Papier- zur Arbeitsamkeit erzogen werden sollten. Das für Niederösterreich wichtigste Gefäng- mühlen, etwa in Rannersdorf, eine Tabakfabrik in Hainburg, Seiden- und Stofffabriken nis wurde in der Wiener Leopoldstadt gegründet, auch das frühere kaiserliche Schloss in Wiener Vorstädten, eine Gewehrfabrik in Hainfeld. 1719 wurde – nach dem Frieden Ebersdorf (Kaiser-Ebersdorf) diente zeitweilig als Zucht- und Arbeitshaus. Landstrei- von Passarowitz – eine zweite Orientalische Kompagnie gegründet, die 1723 eine cher konnten auch nach Oberungarn (Slowakei) zur Bergwerksarbeit geschickt werden. Baumwollwarenfabrik in Schwechat ins Leben rief. Die Kompagnie verlegte auch länd- Seit 1723 trieb man Bettler, abgedankte Soldaten und Handwerksgesellen ohne frische liche Spinnerinnen und Weber und verkaufte deren Produkte. Graf Ferdinand Mallen- Papiere an bestimmten Orten (Melk, Korneuburg, Horn, Baden) zusammen und schob thein gründete in Groß-Siegharts eine Siedlung mit 160 Arbeiterhäusern, Werkmeister sie, wenn sie nicht im Lande geboren waren, über die Grenzen ab. „Einheimischen“ kamen aus Schwaben, Färber und Schafwollarbeiter aus Brabant, Tuchmacher aus Armen kam dagegen das Recht zu betteln zu, einige hatten die Möglichkeit, in herr- Sachsen. Hier wurde Baumwolle verarbeitet, die der Graf über die Kompagnie bezog. schaftlichen oder dörflichen Armenhäusern unterzukommen. Aber auch diese boten Nach deren Ende war Mallenthein zahlungsunfähig und verlor sein gesamtes Ver- eher erbärmlichen Unterschlupf.42 mögen. Die Anfänge einer moderneren, „protoindustriellen“ Wirtschaft waren bis 1740 Die Idee, dass sich die Zucht- und Arbeitshäuser durch den Verkauf der von nicht besonders erfolgreich.45 Das „wirkliche“ Manufakturzeitalter begann in Nieder- den Zwangsinsassen erzeugten Produkte, meist Textilien, selbst erhalten könnten, österreich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. erwies sich allerdings als Illusion. Wie sich herausstellte, waren die meisten Menschen, die man in diese Anstalten einwies, zum überwiegenden Teil gar nicht arbeitsfähig – Eine Allegorie der Weltherrschaft im Landhaus von Niederösterreich Kinder, alte Menschen, Behinderte und Invalide.43 Karl VI., der ja als Karl III. spanischer König hätte werden sollen, sprach von zwei Monarchien, die das Haus Österreich beherrschte: der Monarchia Hispanica „Österreich über alles wann es nur will“ und der Monarchia Austriaca. Seine ihm zuletzt verbliebene „österreichische Monar- Die Idee, dass sich die Zucht- Nicht nur die Absicht, Menschen „in Nahrung“ zu bringen, die ansonsten Das namengebende zentrale chie“ war die Summe der von den Wiener Habsburgern erblich beherrschten Länder, und Arbeitshäuser durch der Allgemeinheit zur Last fielen, sondern auch die Beobachtung, dass durch die Land der Habsburgermonarchie, also Ungarns mit Kroatien und Siebenbürgen, Böhmens mit Schlesien und Mähren, den Verkauf der von den Zwangs- Einfuhr teurer Luxuswaren sehr viel gutes Geld außer Landes ging, führte in der zwei- das Erzherzogtum Österreich der Länder der österreichischen Hofkanzlei (das heutige Österreich ohne Salzburg und insassen erzeugten Produkte, ten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu neuen ökonomischen Einsichten. Nun war das unter der Enns, zelebrierte im Burgenland, aber mit fast ganz Slowenien, Triest, Südtirol und den vorländischen meist Textilien, selbst er- Land unter der Enns, wie bereits ausgeführt, keineswegs nur ein Bauernland – es gab Deckengemälde des Landhauses Besitzungen zwischen Bodensee und Oberrhein), dazu als Erbmasse nach den Spaniern halten könnten, erwies sich dichte Gewerbelandschaften wie die Eisenwurzen oder Teile des späteren Industrie- eine Weltherrschaftsfantasie Belgien/Luxemburg und Mailand (Neapel/Sizilien gingen 1735 verloren). als Illusion. viertels; in anderen Landesteilen breitete sich die Verarbeitung von Schafwolle des gleichnamigen Erzhauses.

186 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 187 Diese österreichische Monarchie war aber noch kein „Staat“. Nach wie vor standen und III. auch übereingekommen, dass die Königreiche und Länder des Hauses Öster- die einzelnen Länder jeweils für sich ihrem gemeinsamen Herrscher gegenüber. reich immer unter einem Erben beisammenbleiben sollten, wobei beim Fehlen Immerhin waren alle deutsch-österreichischen Erblande schon durch eine einzige männlicher Erben auch die weibliche Erbfolge eintreten würde: Zunächst sollten die „österreichische“ Hofkanzlei mit dem Hof verbunden. Aber überall existierten nach wie Töchter Karls VI. erbberechtigt sein, beim Tod aller Kinder Karls VI. die Töchter Josephs I. vor die Stände der verschiedenen Länder, mit ihren eigenen Landhäusern in Wien Diese unabänderlichen Hausgesetze wurden ab 1720 den Landtagen mit der Auf- (Erzherzogtum Österreich unter der Enns), Linz (Österreich ob der Enns), Graz (Steier- forderung mitgeteilt, sie ausdrücklich anzunehmen und anzuerkennen. Am wichtigs- mark), Klagenfurt (Kärnten), Laibach (Krain), Görz (Görz) und Innsbruck (Tirol). Die ten war dem Kaiser die Zustimmung des ungarischen Landtages, die 1722 erfolgte. Stände hatten von 1620 an nicht mehr die Möglichkeit für eine oppositionelle Politik. Immerhin hatte man ja erst 1711 mit den aufständischen Ungarn einen Frieden Sie konnten jedoch immer noch über die Steuerforderungen der Herrscher entschei- geschlossen. Der Niederösterreichische Landtag nahm die Pragmatische Sanktion den, wobei sie die Forderungen der Hofkammer häufig kräftig nach unten korrigierten. am 25. April 1720 an.49 Die Niederösterreicher regten bei dieser Gelegenheit auch eine Zusätzlich unterhielten die Stände Landschaftsärzte und Landschaftsapotheken, Erbverbrüderung der habsburgischen Länder untereinander an. Doch wurde dies wobei „Landschaft“ nur ein anderer Begriff für „Landstände“ war. Die Landschaft war nicht aufgegriffen. Immerhin blieb die Pragmatische Sanktion das allgemein anerkann- auch mit Aufgaben der Straßenerhaltung betraut. te Grundgesetz der Habsburgermonarchie bis in die letzten Oktobertage 1918. In der Barockzeit wurden fast überall auch die Landhäuser der Stände Unerwartet starb Kaiser Karl VI. am 20. Oktober 1740. Da kein männlicher „modernisiert“. Deren malerische Ausstattung unterstrich die Landestraditionen; so Nachfolger da war, erbte seine älteste Tochter, Erzherzogin Maria Theresia, die wurden etwa im Klagenfurter Landhaus die berühmten Szenen an Fürstenstein und Herrschaft über die Königreiche und Länder der österreichischen Monarchie. Herzogstuhl dargestellt. Ganz anders das Niederösterreichische Landhaus in der Wiener Herrengasse, das die Stände 1513 von den Brüdern Liechtenstein gekauft hatten. Den großen Saal richtete Hans Saphoy ein, der am Umbau des Landhauses zwischen etwa 1540 und 1572 entscheidend mitgewirkt hatte. Mehrere Portale und die schöne Verordnetenstube sind erhalten geblieben.46 Der Landhaussaal ist eigentlich der einzige noch vorhande- ne große Renaissancesaal in Wien. Er erhielt nach einem Beschluss der niederösterrei- chischen Stände von 1710 eine völlig neue malerische Ausstattung. Sie stammt von dem uns schon aus Melk bekannten Antonio Beduzzi. Der Maler setzte dabei ein Programm des kaiserlichen Geschichtsschreibers Giovanni Commazzi um.47 Und dieses Programm bot keine Illustration niederösterreichischer Landesgeschichte, wie es bei anderen Landhäusern üblich gewesen wäre – nein, es handelte sich um nichts Geringeres als die Weltherrschaft Österreichs! Natürlich ist dieses „Österreich“ – personifiziert in „Austria“, einer Frauenfigur, die der göttlichen Vorsehung huldigt – nicht Niederösterreich, sondern das Haus Österreich, also Habsburg. Das namen- Renaissance-Eingangstür im Alten gebende zentrale Land der Habsburgermonarchie, das Erzherzogtum Österreich unter Landhaus in Wien. der Enns, zelebrierte im Deckengemälde des Landhauses eine Weltherrschaftsfantasie des gleichnamigen Erzhauses. Diese Weltherrschaft war sicherlich Illusion, enthielt aber zum Zeitpunkt der Planung des Deckengemäldes 1710 einige realistische Elemen- te: Denn Kaiser Karl VI. hatte seine Karriere ja als Karl III. von Spanien begonnen und wurde erst nach dem Tod des Bruders 1711 zum Herrscher der „Monarchia Austria- ca“. Karl behielt selbst nach seinem Verzicht auf die spanische Krone Anspruch und Titel eines spanischen Königs. Auch seine wichtigsten Berater kamen aus Spanien bzw. den habsburgischen Besitzungen in Italien. Mit einer gewissen Großzügigkeit konnte man daher Europa und Amerika als „österreichisch“ sehen (bei Afrika geht’s nicht so gut); das „heidnische“ bzw. muslimische Asien liegt noch in Ketten und erfleht von „Österreich“ Macht und Freiheit, damit das „Vaterland Christi“ nicht länger unter der Herrschaft der Ungläubigen schmachte. Die Länder unter Habsburgs (spanisch- österreichischer) Herrschaft werden durch Flüsse personifiziert: den Sebethos bei Neapel, die Donau, den Rhein, die Save, den Tajo, die Elbe und den Río de la Plata (Silberfluss) in Südamerika.48 Der Landhaussaal spielte in der Folge nicht nur als Sitzungssaal der Stände eine wichtige Rolle, sondern diente auch für Hochzeiten, Bälle Deckengemälde im Sitzungssaal des Alten und Konzerte – Schubert, Haydn und Beethoven führten hier einige ihrer Werke auf. Landhauses von Antonio Beduzzi, 1710. In der Mitte zu sehen: Die Belehnung der Austria durch die Vorsehung. Großmacht Österreich? Die reale Macht des Hauses Österreich war bescheidener. Auch wenn in den Lehrbüchern zur österreichischen Geschichte nach wie vor vom „Aufstieg Österreichs zur Großmacht“ zu lesen ist, war doch tatsächlich das habsburgische Potenzial in Europa um 1720 durch den Abstieg Spaniens im 17. Jahrhundert und dessen Übergang an die Bourbonen als Folge der Friedensschlüsse von 1713 und 1714 eher kleiner als im 16. Jahrhundert. Immer noch war auch die Einheit der österreichischen Monarchie durch mögliche Erbteilungen bedroht. Dem wollte Karl VI. vorbeugen; die Monarchie sollte als Gemeinsames bestehen bleiben, auch wenn es mehrere mögliche Thronerben Die Monarchie sollte als Gemein- gab. Da sich nach dem frühen Tod eines Söhnchens abzeichnete, dass nach Joseph I. sames bestehen bleiben, auch wenn auch Karl VI. „nur“ Töchter haben würde, ging es bei dem Projekt, das man jetzt um- es mehrere mögliche Thronerben setzte, vorrangig um die Anerkennung der weiblichen Erb- und Thronfolge. Im Jahr gab. Vorrangig ging es bei dem 1713 verkündete der Kaiser vor seinen wichtigsten Räten, dass Kaiser Leopold, König Reiterbildnis Kaiser Karls VI. in der Projekt Pragmatische Sanktion um Joseph und er selbst 1703, ehe Karl zum Antritt seines spanischen Königtums abgereist Hofloge der Winterreitschule zu Wien. Den Karster Schimmel malte Johann die Anerkennung der weiblichen sei, einen Vertrag über die gegenseitige Erbfolge geschlossen hätten (Pactum mutuae Georg von Hamilton, das Herrscherporträt Erb- und Thronfolge. successionis). Dabei sei man unter Berufung auf frühere Testamente Ferdinands II. Johann Gottfried Auerbach, um 1735.

188 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 189 Aufklärung und Reformen – von Maria Theresia bis Joseph II.

Eine Herrscherin unter Druck Es gehört zu den Stehsätzen der österreichischen Geschichte, dass die junge Fürstin bei ihrem Amtsantritt leere Kassen und eine wenig schlagkräftige Armee vorfand. Die hohen Beamten waren durchwegs alte Herren; der Statthalter von Nie- derösterreich beispielsweise, Sigmund Reichsgraf von Khevenhüller, zählte 74 Jahre und war seit 1711 im Amt. Die fatale Situation wurde von den lieben Nachbarn weidlich ausgenützt – König Friedrich II. von Preußen fiel in Schlesien ein, besiegte eine österreichische Armee und ließ dieses große und wirtschaftlich so reiche Gebiet nie mehr los. In Oberösterreich drang Kurfürst Karl Albrecht von Bayern ein, Gemahl einer Tochter Kaiser Josephs I., der sich gern an die Stelle Maria Theresias gesetzt hätte. Die Stände Oberösterreichs huldigten ihm tatsächlich als Landesfürsten – das Reich Maria Theresias schien vor dem Zerfall zu stehen. Wenig später ließ sich Karl Albrecht in Prag als König von Böhmen huldigen, im Jänner 1742 wurde er auch zum römisch-deutschen Kaiser gewählt und gekrönt. Zur gleichen Zeit eroberten aber österreichische Truppen Linz und drangen anschließend in Bayern ein. Das wittelsbachische Intermezzo auf dem Kaiserthron währte nur kurz. Schon 1745 starb Karl Albrecht (als Kaiser Karl VII.), und Maria Theresias Gemahl Franz Stephan von Lothringen wurde als Kaiser Franz I. gewählt und gekrönt. Seither wird Maria Theresia, erbliche Königin von Böhmen, Ungarn und Kroatien, Erzherzogin von Österreich, Herzogin von Steiermark etc., eben auch „Kaiserin“ genannt. Für Niederösterreich bedeuteten die neuen Kriege, abgesehen vom bayerisch- französischen Einfall von 1741, vor allem wieder enorme Steuerforderungen. Dabei hatten die erst 1739 beendeten letzten Kriege Karls VI. das Land schon schwer finan- ziell belastet. Die ersten Reformen Maria Theresias entsprangen keiner speziellen Doktrin. Da man dringend Geld brauchte, Da man dringend Geld brauchte, wurden 1748 landesfürstliche Güter zum Verkauf wurden im Jahre 1748 landes- ausgeschrieben. Dabei eröffnete man untertänigen Märkten und Dörfern, aber auch fürstliche Güter zum Verkauf einzelnen Untertanen die Möglichkeit, sich freizukaufen – sie konnten sozusagen ihre ausgeschrieben. Dabei bot eigene Ortsobrigkeit werden. Das haben mehrere Märkte wie Stockerau, Pulkau, man untertänigen Märkten und Röschitz, Hohenruppersdorf, Gars, Aspang am Wechsel und Himberg, ferner die Dörfer Dörfern, aber auch einzelnen Dietmannsdorf, Großmugl, Ottendorf, Stiefern und andere genützt. So entstanden Franz I. Stephan und Maria Theresia mit elf Kindern. Gemälde aus der Untertanen die Möglichkeit, sich neben den „untertänigen“ (einer Herrschaft unterstehenden) und den „mitleidenden“ Werkstatt Martin van Meytens d. J., freizukaufen. (landesfürstlichen) als dritte Kategorie die „freien“ Gemeinden.50 um 1764/65.

Der erste große und zugleich wohl wichtigste Reformschritt Maria Theresias erfolgte auf Anraten eines tüchtigen Verwaltungsexperten, Graf Friedrich Wilhelm Haugwitz. Die Stände sollten dazu gebracht werden, dass sie die Steuern nicht mehr nur für ein Jahr, sondern auf zehn Jahre bewilligten (durch „Dezennalrezesse“); dafür würden sie nicht mehr extra für die Verpflegung oder die Stellung von Pferden herangezogen werden. Monatlich sollten die Länder ihre Zahlungen an die Hofkammer abliefern. Die Steuerfreiheit von Adel und Geistlichkeit sowie einzelner Städte wie Wiener Neustadt sollte abgeschafft werden. Gegen alle Einwände setzte die Herrscherin diese Pläne durch. Niederösterreichs „treue“ Stände versuchten noch einmal ein wenig Opposition. Zur Strafe erfolgte die Absetzung des Landmarschalls Graf Friedrich Harrach. Haugwitz wurde zum landesfürstlichen Kommissär ernannt und setzte jetzt sein Vorhaben um. Den Ständen wurde so ihre letzte Machtposition genommen. Sie blieben zwar bestehen, hatten aber keine realen Möglichkeiten mehr, über die Steuerbewilligung Druck auf den Herrscher auszuüben.51

Große Verwaltungsreform Die Steuerbasis wurde verbreitert. Nicht mehr nur die Untertanen sollten bezahlen, auch die Einkünfte der adeligen und geistlichen Herren unterlagen jetzt der Besteuerung. Landesweit wurden neue Verzeichnisse über die Leistungen von Bauern und Herren angelegt: für den bäuerlichen Besitz die „Rustikalfassionen“, für die Einkommen der Herren die „Dominikalfassionen“. Die Besteuerung der grundherrli- chen Einkünfte hatte zweierlei Folgen: Erstens würgte sie den barocken „Bauwurm“ endgültig ab. Zweitens veranlasste sie viele Grundherren, ihren Eigenbetrieb, der zu teuer wurde, aufzugeben und Ackerland an Bauern oder Kleinhäusler zu verpachten. Das ermöglichte so manche neue Hausstandsgründung. Und solche waren erwünscht, die Bevölkerung sollte ja wachsen. Die Truppen von Maria Theresia erobern die Stadt Linz zurück. Oberösterreich während des österreichischen Erbfolge- krieges, 1742.

190 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 191 Von der „Glückseligkeit des Staates“ Auch bei den Städten änderte sich manches. Die Wahlmöglichkeiten der Bürger wurden stark reduziert – man konnte nur mehr aus einer vom Kreishauptmann vorgeschlagenen kleinen Gruppe den Bürgermeister, einige Ratsmitglieder und den „Syndikus“ wählen, der die Aufgaben des früheren Stadtrichters übernahm. Der Staat Maria Theresias wollte nun auch genau wissen, wie viele Menschen in den einzelnen Ländern lebten. Aber erst ab etwa 1780 wurden diese Zählungen verlässlicher: 1781 wurden 987.000 Einwohner/innen gezählt, davon 190.000 in Wien, 1790 waren es 1,286 Millionen, wobei das Wachstum von Wien wohl den Ausschlag gab. „Peuplierung“ war eines der wichtigen Schlagworte der Zeit – eine größere Bevölkerung stellte mehr Soldaten, zahlte mehr Steuern, regte aber auch die Wirtschaft an, weil mehr Menschen Arbeit suchten und weil mehr konsumiert wurde; schließlich stieg auch die Produktion von landwirtschaftlichen und gewerblichen Gütern. Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren Werbungen als eine Folge des Bevölke- rungsrückganges sehr unsicher geworden. Man nahm daher Aushebungen vor. Unter Maria Theresia gliederte man die Länder in „Werbebezirke“, in denen es jeweils einem Regiment erlaubt war, Rekruten auszuheben. Ausnahmen von der Wehrpflicht gab es viele. Eigentlich ließen sich fast nur Bauernknechte bzw. Inwohner rekrutieren – in der Praxis schickten die Grundherrschaften häufig jene jungen Leute zum Militär, die durch renitentes oder gewalttätiges Verhalten aufgefallen waren. Beim Militär wurden sie dann unter Einsatz von Körperstrafen „abgerichtet“, wie das bis 1918 hieß. Soldat war man lebenslänglich, außer im Falle der Invalidität. Dann wurde man entweder aufs Land zurückgeschickt oder in das große Invalidenhaus in Wien (später Allgemeines Krankenhaus) gesteckt. Die „Glückseligkeit des Staates“ – so ein häufiger Slogan jener Jahrzehnte – bedeutete höhere Steuereingänge und eine größere Armee. Sie sollte aber auch ein besseres Leben für die Menschen bringen – besser ausgebildete Bauern, Handwer- ker, Gesellen, Unternehmer, insgesamt fleißige Leute, die sich mit ihrer Hände Arbeit einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten konnten. Dazu war aber ein bestimmtes Mindestmaß an Wissen notwendig, vor allem Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen. Zwar gab es in den Pfarrorten zumeist Pfarrschulen, in denen aber keine einheitliche Systematik herrschte – unterrichtet wurde, was halt der Lehrer, der ja auch keine spezielle Ausbildung hatte, zusammenbrachte. Um 1770 wurde eine niederösterreichische Schulkommission gegründet. 1774 erhielt die Schulordnung des Abtes Johann Ignaz von Felbiger die Genehmigung der Kaiserin. Auf dem Lande war der Schulbesuch auf die Zeit von Anfang Dezember bis Ende März beschränkt, weil die Eltern die Kinder zur (landwirtschaftlichen) Arbeit brauchten.52 1779 gab es in Wien eine Normalschule, neun Haupt-, 62 Trivial- und vier Klosterschulen mit 10.600 Kindern. Außerhalb Wiens existierten neun Hauptschulen (in Bruck, Klosterneuburg, Wiener Neustadt, St. Pölten, Melk, Waidhofen an der Ybbs, Ernstbrunn, Krems und Horn), 761 Trivial- und zwei Klosterschulen, nämlich die der Englischen Fräulein in Krems und St. Pölten. Die 22.500 Kinder waren freilich erst ein Drittel der schulpflichtigen Die Böhmische Hofkanzlei, um 1825. Landkinder!53 Zur Universität führten nur die wenigen Lateinschulen (Gymnasien), die zunächst von Jesuiten geführt wurden. Nach der Aufhebung des Ordens über- nahmen Piaristen diese Rolle (Akademisches Gymnasium in Wien, Gymnasium Klarerweise erzeugten diese Vorhaben eine Menge an Schreibarbeit. Die Anlegung in Krems). der neuen Verzeichnisse und die verschärfte Kontrolle von Religion, Stiftungswesen, Die neuen Anstalten in Wien (Theresianum, Orientalische Akademie, Real- Unterrichtswesen etc. erforderten eine völlig neue Verwaltungsstruktur und zahl- Handelsakademie) bzw. in der kaiserlichen Burg zu Wiener Neustadt (1752 Kriegsschule reiche neue Beamte. Maria Theresia und Joseph II. gelten daher mit Recht als die zur Ausbildung von Offizieren) können hier nur ergänzend erwähnt werden. Ebenfalls Urheber einer neuen, nur dem Staat ergebenen und von diesem bezahlten Bürokratie. nur ergänzend ist auf die Wiener Universität zu verweisen. Als staatliche Anstalt Bis dahin hatte es die Zentralstellen am Hof gegeben – die Hofkammer stand auch sie unter strenger staatlicher Kontrolle. Sie diente der Ausbildung von und Hofkanzleien, für Niederösterreich ebenso wie für die anderen alten Erbländer Beamten, Professoren, Juristen und Ärzten, sollte aber keine eigene Forschung die „österreichische“. Eine Etage darunter arbeitete, als Nachfolgeeinrichtung des durchführen. Die Professoren waren angehalten, ihre Vorlesungen wörtlich nach maximilianischen „Regimentes“, eine niederösterreichische Regierung unter einem approbierten Lehrbüchern zu gestalten. Statthalter, die aber Ober- und Niederösterreich gemeinsam verwaltete. Die „Glückseligkeit des Staates“ Mit der großen Staatsreform von 1749 wurden die alten Landesstellen Die Aufklärer und ihre Ideen sollte ein besseres Leben für zu neuen Verwaltungsorganismen umgestaltet. Sie hießen zunächst „Repräsentation Maria Theresia hat wohl kaum die Schriften der englischen, französischen die Menschen bringen – besser und Kammer“, später „niederösterreichische Regierung“, dann „Gubernium“, noch oder deutschen Aufklärer gelesen. Dennoch erlangten Gedanken der Aufklärung auch ausgebildete Bauern, Hand- später „Statthalterei“. Erstmals wurden nun eine Ebene tiefer vollkommen neue im Reich der Habsburger immer weitere Verbreitung, zuerst bei einigen adeligen werker, Gesellen, Unternehmer, staatliche Ämter eingerichtet – die Kreisämter. Die Sitze der Kreisämter lagen in Die österreichische Aufklärung Herren, dann bei Gelehrten wie Ignaz von Born oder bedeutenden Rechtsgelehrten insgesamt fleißige Leute, die sich St. Pölten (VoWW), Krems (VoMB), Gaunersdorf (Gaweinsthal) bzw. zuletzt Korneuburg war weniger als die „westlichen“ wie Karl von Martini. Der einflussreichste war zweifellos Joseph von Sonnenfels. Er hat mit ihrer Hände Arbeit einen (VuMB), Wien bzw. Traiskirchen (VuWW). Der Kreishauptmann war die Zentralfigur Strömungen von der Über- nicht nur in zahlreichen Schriften über fast alle Zweige von Wirtschaft und Staatsver- bescheidenen Wohlstand er- der mariatheresianischen und – fast noch mehr – der josephinischen Maßnahmen. zeugung individueller Freiheit waltung geschrieben, sondern stand auch hinter vielen Schritten der Kaiserin und ihres arbeiten konnten. Dazu war aber Er unterstand direkt dem Statthalter, von dem der Instanzenzug zur „böhmisch- und Vervollkommnung be- Sohnes Joseph II. Versucht man eine etwas allgemeinere Einschätzung, so war die ein bestimmtes Mindestmaß österreichischen Hofkanzlei“ weiterging. Sie war eine Art Innenministerium des stimmt als von der Idee gesell- österreichische Aufklärung vielleicht weniger als die „westlichen“ Strömungen von der an Wissen notwendig. böhmisch-österreichischen Kernstaates der Habsburgermonarchie. schaftlicher Nützlichkeit. Überzeugung individueller Freiheit und Vervollkommnung bestimmt als von der Idee

192 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 193 gesellschaftlicher Nützlichkeit. Die geistigen „Väter“ dieser Haltung waren Gerard Die Klosteraufhebung stand zumutbar.56 Jeder Pfarrort war zudem – auch schon bis dahin – ein Schulort. Wenn van Swieten, Leibarzt der Kaiserin und Berater in Fragen des medizinischen Studiums, im engsten Zusammenhang mit also neue Pfarren entstanden, entstanden auch neue Schulorte. Die Verdichtung Johann Heinrich Gottlieb von Justi, dessen Bücher über Staatswissenschaft, Polizei- einem anderen kirchenpoli- des Pfarrnetzes bedeutete demnach eine Verdichtung des Netzes an Trivialschulen. In wissenschaft und Finanzwesen lange Zeit als Standardwerke galten, und Joseph tischen Ziel Josephs II. – einer Wien wurden neun neue Pfarren eingerichtet, auf dem flachen Lande 263. Jene großen von Sonnenfels. Daneben wirkten aber auch andere Gelehrte. Für Niederösterreich Verdichtung des Pfarrnetzes. Stifte und Klöster, die schon zuvor eine Reihe von Pfarren zu unterhalten hatten, besonders wichtig wurde Franz Stütz, Chorherr zu St. Dorothea in Wien, der eine erhielten zahlreiche neue Pfarrstellen zugeteilt. Freilich hieß das nicht, dass man dort „Oryktographie von Niederösterreich“ verfasste, eine Geschichte der Mineralogie des alles neu bauen musste. Häufig waren Dorfkapellen oder Vikariatskirchen vorhanden, Landes. Im Fokus war das Interesse an nutzbaren Erzvorkommen. Damals standen zuweilen auch Pfarrhöfe; in solchen Fällen handelte es sich nur um eine rechtliche die Silbervorkommen am Annaberg im Mittelpunkt, auf die man große – allerdings Verselbstständigung einer bereits vorhandenen Gemeinde. übertriebene – Hoffnungen setzte. Die Neuorganisation des Pfarrnetzes ging Hand in Hand mit der völligen Neu- Übrigens verfasste damals Friedrich Wilhelm Weiskern eine dreibändige gestaltung der Diözesangrenzen. Bis dahin war der Bischof von Passau für den größten „Topographie von Niederösterreich“ in Lexikonform, in der die „Städte, Märkte, Dörfer, Teil Niederösterreichs zuständig gewesen. Die Bistümer Wien und Wiener Neustadt Klöster, Schlößer, Herrschaften, Landgüter, Edelsitze, Freyhöfe, namhafte Oerter waren klein. Immerhin war Wien schon unter Karl VI. zur Erzdiözese erhoben worden, u. d. g. angezeiget werden, welche in diesem Erzherzogthume wirklich angetroffen samt Ausdehnung des Bistumsgebietes auf einen Teil des Viertels unter dem Wiener- werden, oder sich ehemals darinnen befunden haben“.54 wald. Joseph II. gliederte 1782 den niederösterreichischen Teil der Erzdiözese Salzburg Die österreichischen Aufklärer hielten die christliche Religion durchaus für – im Wesentlichen die Bucklige Welt – an das Bistum Wiener Neustadt an. 1784 wurde gesellschaftlich nützlich, insofern sie den Menschen Trost spendete und mit ihren selbiges aufgehoben und der Neustädter Bischof nach St. Pölten versetzt, das Sitz eines Geboten deren sittliche Stabilisierung unterstützen mochte. Was darüber hinausging, neuen Bistums für die beiden westlichen Landesviertel wurde. Die beiden östlichen war ihnen weniger sympathisch. Und dazu gehörte die gewaltige Szenerie des baro- Viertel wurden der Erzdiözese Wien zugeschlagen. Auch Oberösterreich wurde von cken Katholizismus mit seinen Wallfahrten, seinem Reliquienkult, seinem Hang Passau getrennt – Linz war von da an Sitz eines Landesbischofs und also einer neuen zu ins Abergläubische hineinspielenden Ritualen, seinen prunkvollen Gottesdiensten Diözese. Diese drei Bistümer bildeten ab nun auch die stark vergrößerte Kirchen- und Begräbnissen. Die besondere Kritik der Aufklärer erregten die Mönche. Weltgeist- provinz Wien. Der St. Pöltener Bischof hatte seinen Sitz im eben dafür aufgehobenen liche – der „Säkularklerus“ – vertraten die gesellschaftliche Nützlichkeit des Christen- Chorherrenstift, die Stiftskirche wurde zur Kathedrale. Die prächtige barocke Umge- tums. Mönche hingegen saßen abgeschottet hinter Mauern, sie leisteten für die staltung unter Propst Johann Michael Führer mit Jakob Prandtauer als Baumeister und Gesellschaft nur dann etwas, wenn sie etwas für Arme und Kranke taten (wie die Bartolomeo Altomonte sowie Daniel Gran als Meistern der neuen bildnerischen Barmherzigen Brüder) oder Pfarrseelsorge betrieben (wie die großen Stifte der Augus- Gestaltung hatte ja schon vorher ein Gotteshaus hervorgebracht, das nun zu Recht tiner-Chorherren und Benediktiner) bzw. Schulen unterhielten. Die sogenannten als Domkirche dienen konnte. beschaulichen Orden und Klöster wie die Kartäuser waren der Aufklärung ein besonde- rer Dorn im Auge. 1765 zählte man in Niederösterreich 7.200 Mönche, davon allein Reformkaiser Joseph II. in Wien 1.500.55 Mit dem Namen Josephs II. bleibt das Toleranzpatent von 1781 verbunden. Allegorie auf das Toleranzpatent Josephs II. Noch Maria Theresia hatte ja widerspenstige Geheimprotestanten, vor allem aus vom 13. Oktober 1781. Aquarell, 1785. Sturm auf die Klöster, Aufwind für Pfarren dem Salzkammergut, ausgewiesen, aber nicht mehr nach Deutschland ziehen lassen, Maria Theresia stimmte schon 1773 der Aufhebung der Jesuiten zu, die einem sondern in „ihr“ Königreich Ungarn, genauer: nach Siebenbürgen deportiert, wo europaweiten Sperrfeuer der Aufklärer gegen den Orden zum Opfer fielen, bei dem sich einzelne „Landler“-Siedlungen bis in die Gegenwart erhalten haben. Joseph II. es auch um dessen Besitzungen ging. Dadurch wurde die Wiener Universität, bis dahin wollte Protestanten, Griechisch-Orthodoxe und Juden als nützliche Mitglieder von den Jesuiten geleitet, zur staatlichen Anstalt. Interessanterweise waren in der der Gesellschaft im Lande erhalten und gewährte ihnen daher eine begrenzte Reli- Folge gerade Exjesuiten oder Zöglinge der Jesuiten unter den intellektuellen bzw. gionsfreiheit. schriftstellerischen Exponenten der Aufklärung stark vertreten. Darüber hinaus Da passierte nun etwa Eigentümliches. Im Ötschergebiet meldeten sich dut- verschärfte sie bereits die staatliche Kontrolle über die Kirche. Der eigentliche „Kloster- zendweise Evangelische!57 Darunter waren aber kaum heimische Alt-Protestanten. sturm“ erfolgte indes erst unter Joseph II. 1782 beschwerten sich zwei Mönche der Es handelte sich vielmehr um Zuwanderer aus der nordwestlichen Steiermark, aus dem Kartause Mauerbach beim Kaiser über verschiedene Unzukömmlichkeiten in der Dachsteingebiet (Ramsau) und aus dem Salzkammergut, die als Holzknechte von klösterlichen Verwaltung. Der Kaiser griff diese Kritik freudig auf und verfügte unmit- niederösterreichischen Unternehmern im 18. Jahrhundert angeheuert worden waren, telbar danach die Aufhebung aller Kartausen, Kamaldulenser- und Eremitenklöster um den stetig steigenden Holzbedarf der Haupt- und Residenzstadt Wien zu decken. sowie zahlreicher Frauenklöster (Karmelitinnen, Franziskanerinnen, Klarissinnen u. a.). Dazu sollten die riesigen Wälder der Stifte Lilienfeld und Gaming herangezogen Bis 1790 stieg die Zahl der in Niederösterreich aufgehobenen Klöster auf 61, davon und das Brennholz für Wien über Ois (Ybbs), Erlauf und Traisen in die Donau und waren 50 Männerkonvente. Viele der aufgehobenen Institutionen stammten aus weiter nach Wien getriftet und geflößt werden. In den entlegenen Tälern konnte der Zeit der Gegenreformation, einige altehrwürdige Häuser waren aber mittelalterli- sich der Glaube der Holzknechte erhalten, auch wenn das Stift Lilienfeld in der Einöde che Gründungen wie die Kartausen Mauerbach, Gaming und Aggsbach, die Chorher- beim Hagenhof sogar ein Kirchlein „St. Johann in der Wüste“ errichtet hatte, das renstifte St. Pölten und St. Andrä an der Traisen, die Propstei Ardagger oder das Domi- seltsamerweise bald darauf abbrannte. Nun also meldeten sich diese Protestanten und nikanerkloster in Krems. Auch ein Benediktinerkloster war darunter: Mariazell „in begehrten die Gründung einer evangelischen Kirchengemeinde. So entstand die Österreich“ (Klein-Mariazell). Die älteren Insassen wurden auf andere Klöster verteilt. erste evangelische Toleranzgemeinde Niederösterreichs in Mitterbach (1784/85).58 Jüngere, geweihte Männer sollten in der Pfarrseelsorge tätig werden. Aber nur wenige Auch Juden wurden ab nun geduldet. Das änderte freilich nicht viel an ihrer Innenraum der evangelischen Kirche von waren dafür wirklich geeignet. Die Kultgegenstände, Altäre, Bücher, Archivalien Situation, da sie nach einem entsprechenden Gesetz Maximilians I. und einer neuerli- Mitterbach. Sie wurde 1785 zunächst als galt es zu verwerten. Altarbilder, ja ganze Altäre, Glocken oder Brunnen fanden ihre chen Vertreibung aus Wien in den 1670er-Jahren nach wie vor keine Ansiedlungs- Toleranzbethaus errichtet. Abnehmer, zum Teil in den neuen Pfarrkirchen. Die Archive sollten nach Wien wandern, erlaubnis in Niederösterreich erhielten. Trotzdem bildete sich in Wien um die dort ebenso die meisten Bücher. Der Umgang mit diesen wertvollen Kulturgütern war – prekär – ansässigen tolerierten jüdischen Hoflieferanten und Hoffinanciers eine zum Teil recht sorglos. Da die Straßen furchtbar schlecht waren, warf man dicke Kodi- Auch Juden wurden ab nun erste Gemeinde, nicht aber auf dem flachen Land. Erst nach 1848 ließen sich Juden zes einfach in die größten Löcher, damit die Wagen endlich drüberkamen. geduldet. Das änderte freilich – dauerhaft, wie sie erhofften – auch in den Städten und Landgemeinden außerhalb Die Vermögenswerte der aufgehobenen Klöster wurden in den niederösterrei- nicht viel an ihrer Situation, von Wien nieder. chischen Religionsfonds eingebracht. Die Erträge des Fonds sollten dem Unterhalt da sie nach einem entsprechenden Joseph II. hatte auch eine grundlegende Umgestaltung der Untertanenver- jener Priester dienen, die über keine anderen Einkünfte verfügten. Denn die Kloster- Gesetz Maximilians I. und einer hältnisse im Auge. Der Plan einer großen Steuer- und Agrarreform sah allgemein eine aufhebung stand im engsten Zusammenhang mit einem anderen kirchenpolitischen neuerlichen Vertreibung aus Abgabenlast von 30 Prozent des Bruttoertrages einer bäuerlichen Landwirtschaft vor, Ziel Josephs II. – einer Verdichtung des Pfarrnetzes. Niederösterreichs Pfarren stamm- Wien in den 1670er-Jahren nach die zwischen Grundherren (etwa 17 Prozent) und Steuern (etwa 13 Prozent) geteilt ten ganz überwiegend aus dem Hochmittelalter. Joseph II. legte nun fest, dass wie vor keine Ansiedlungs- werden sollte. Als Grundlage für dieses große Werk sah man eine neuerliche Erfassung jeder Christ die Möglichkeit haben sollte, innerhalb einer gewissen Zeitspanne seinen erlaubnis in Niederösterreich aller besteuerbaren Gründe vor, wobei die Vermessung durch die kurz angelernten Pfarrort zu erreichen. Damit war auch ein regelmäßiger sonntäglicher Messbesuch erhielten. Bauern selbst vorgenommen werden sollte.

194 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 195 Schon vorher hatte der Kaiser durch zahlreiche Patente die Stellung der Untertanen Die Wirkung Josephs II. ist damit nicht auch nur annähernd zureichend beschrieben. gegenüber ihren Herren zu sichern und diese Abhängigkeit immer stärker zu ver- Er befahl die Aufhebung aller zahlreichen Stiftungen und Fonds bei den einzelnen rechtlichen gesucht. Die bäuerliche Zwangsarbeit auf den Herrengründen, in Nieder- Pfarrkirchen – meist Messstiftungen – und deren Konzentration in einer einzigen österreich meist „Robot“ genannt, sollte möglichst verschwinden. Die Bauern sollten „Armenbruderschaft“. Diese Pfarrarmeninstitute sollten der Versorgung von Armen, dafür Geldabgaben leisten – das würde ihnen einerseits mehr Zeit für die Bewirt- Invaliden, Behinderten, vermögenslosen Witwen und Waisen dienen. Arbeits- schaftung der eigenen Gründe geben, sie andererseits aber auch zwingen, mehr Pro- fähige Bettler erhielten dagegen nichts außer Stock- und Peitschenhiebe. Also: Für- dukte auf den Markt zu bringen, damit sie ihren Herren Entschädigungen für die sorge für alle, die sich nicht selbst erhalten konnten, aber keine Gnade für „Sozial- entgangene Robot zahlen konnten. Das Ende der Robot sollte die Herren auch dazu schmarotzer“. Die sollten mit Gewalt zum erwünschten Arbeitsfleiß erzogen werden. bewegen, Herrschaftsgründe in Bauerngüter umzuwandeln. Siegeszug der Erdäpfel Tatsächlich zeigten die Reformen Wirkung. Neugründungen von Betrieben regten die gewerblich-industrielle Wirtschaft an und waren ihrerseits Ausdruck wachsender Nachfrage. Neben neuen Papierfabriken und Werken der Eisenverarbei- tung war es vor allem die baumwollverarbeitende Industrie, die sich in wachsen- dem Maße in Niederösterreich konzentrierte. Das Wachstum von Wien vergrößerte die Nachfrage nach Wohnraum und Nahrungsmitteln. Daher brauchte man Bauholz, Ziegel, Brotgetreide, Schlachtvieh. Die Rinder kamen wie schon seit Jahrhunderten überwiegend aus Ungarn, das Brotgetreide vielfach aus dem Umland, bald aber auch aus Ungarn oder aus Mähren. Ab dem Siebenjährigen Krieg gegen Preußen (1756–1763) setzte sich regional die Kartoffel als Nahrungsmittel durch. Sie brachte auch auf kleinen Flächen gute Erträge und bewahrte von nun an viele Menschen, insbesondere Kleinhäusler und Inleute mit gewerblichem Nebenerwerb (Spinnen, Weben etc.), vor dem bis dahin ständig drohenden Hunger. Ziegel wurden am Wienerberg gebrannt, der Kalk für die zahlreichen Neubauten stammte von Kalkbrennern am niederösterrei- chischen Alpenrand südlich von Wien. Bau- und Brennholz wurde aus Gegenden nach Kaiser Joseph II. (1741–1790) vor Wien gebracht, die an Nebenflüssen der Donau lagen. Immer entlegenere Wälder einer Statue des Mars. Gemälde wurden dafür herangezogen. Der spätere „Raxkönig“ Georg Huebmer, aus dem Gosau- von Anton von Maron, 1775. tal stammend, arbeitete als Holzknecht im Weinsberger Forst, dann im Ötscher- gebiet und im Urwald hinter dem Dürrenstein. Ab 1779 sollte er die entlegenen Wälder um die Rax abholzen, zwecks Gewinnung von Holzkohle für die Eisenverarbeitung im Gebiet von Reichenau. Huebmer und seine Leute machten das Höllental begehbar und richteten den Flusslauf für die Trift ein. Die Siedlung Nasswald geht auf diese Arbeiten zurück. Später wurde Huebmer beauftragt, auch die Wälder an der oberen Mürz und um Gippel und Göller auszubeuten. Dazu musste Huebmer 1822 bis 1827 einen Stollen durch das Gscheidl schlagen lassen, durch den dann, mit Wasser der Mürzquelle, Holz aus diesen abgelegenen Gegenden nach Niederösterreich geschwemmt wurde.59

Imageverluste Der Kaiser kümmerte sich um alles – etwa auch darum, wie viele Kerzen beim Gottesdienst zu verwenden seien, und dass Ablassbilder, Statuen und unnötiger Kirchenkitsch entfernt würden. Prozessionen und Wallfahrten wurden verboten, u. a. auch die Verwendung von „Palmeseln“ bei Palmsonntagsfeiern, wie sie mancher- orts üblich waren. Solche Kleinlichkeit verstörte die Menschen. Am meisten Ver- bitterung aber löste der „Sparsarg“ aus – die Leichen sollten unbekleidet in einen Papiersack gelegt und in Massengräbern bestattet werden. Bei der Zeremonie wurde die im „Sparsarg“ liegende Leiche durch eine an der Unterseite befindliche Klappe in das Grab fallen gelassen. Nicht nur solche Übertreibungen schadeten dem Prestige des Kaisers. Lang- sam gingen den Leuten die ständigen Neuerungen auf die Nerven. Außerdem ist nicht zu übersehen, dass Joseph II. die Zensur des gedruckten Wortes stark erleichterte – man durfte nun auch Person und Handlungen des Monarchen kritisieren. Das geschah weidlich. Rasch entstand in Wien eine völlig neue Literaturgattung, meist in broschier- ter Form, billig und weit verbreitet, in der nun tatsächlich alles und jedes gesagt und kritisiert wurde, eben auch der Kaiser selbst. Zu allem Überfluss begann der Kaiser in seinem letzten Lebensabschnitt an der Seite Russlands auch noch einen Krieg gegen das Osmanische Reich. Joseph stellte die größte österreichische Armee ins Feld, die es jemals gegeben hatte, verzet- Man darf nicht übersehen, telte sie aber entlang der langen Grenze, anstatt sie konzentriert und zielbewusst dass Joseph II. die Zensur des operieren zu lassen. Der ganze „Spaß“ war natürlich wieder sehr teuer. Teurer wurden gedruckten Wortes stark auch die Lebensmittel, was wiederum die Bevölkerung so gar nicht erfreute. Die erleichterte – man durfte nun Belgier rebellierten gegen die Kirchenpolitik Josephs. Ungarn, wo sich der Kaiser auch Person und Handlungen niemals hatte krönen lassen, stand knapp vor einem offenen Aufstand. Die Beliebt- Das „Toleranzpatent“ Kaiser Josephs II. des Monarchen kritisieren. heit Josephs II. sank. Als er 1790 starb – gerade hatte der alte Laudon noch Belgrad vom 13. Oktober 1781. Das geschah weidlich. erobert –, war die Trauer enden wollend.

196 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 197 Franzosenzeit und Biedermeier

Kaiser Franz und die Kriege gegen Frankreich Nachfolger Josephs wurde sein Bruder Leopold, zuvor Großherzog von Toska- na, ein durchaus aufgeklärter, in der Politik aber auch elastischer Fürst. Zunächst ging es ihm um die Beruhigung der aufgebrachten Gemüter. So erklärte er den nieder- österreichischen Ständen, die ihm unmittelbar nach dem Tod Josephs eine Denkschrift über die Schädlichkeit der großen Steuer- und Urbarialreform vorgelegt hatten, er werde sie aufheben – was er auch tat. Leopold gestattete den Ständen wieder die Wahl von Verordneten und anderen Amtsträgern, auch erhielten sie das Landhaus zurück. Die Polizei, 1782 zunächst nur für Wien errichtet und dem Landeschef Graf Johann Anton Pergen unterstellt, wurde von diesem allmählich ausgebaut. Neben der öffentli- chen Polizei richtete Pergen auch eine Geheimpolizei ein. Polizeidirektionen wurden nach und nach in allen Hauptstädten der Monarchie errichtet. 1793 wurde Pergen, schon von Kaiser Franz II., zum Polizeiminister für alle Erblande ernannt. Andererseits blieben grundlegende Reformen Josephs, etwa zur Robot oder zur Freizügigkeit der Untertanen, in Kraft. In kirchlichen Bereichen schloss Leopold die staatlichen Generalseminare, die Joseph II. eingerichtet hatte, und überließ die Die Erstürmung des Kirchhofs Priesterausbildung den Bischöfen. in Aspern, 21./22. Mai 1809. Handkoloriertes Glasdiapositiv. Leopold II. starb aber schon 1792. Ihm folgte sein Sohn Franz II., der schon vom kinderlosen Joseph nach Wien geholt worden war. Noch im selben Jahr erklärte die französische Nationalversammlung Österreich und Preußen den Krieg. Dass diese Kriegszeit – mit Unterbrechungen – bis 1815 dauern würde, war natürlich nicht ab- zusehen. Bei Hof herrschten Revolutions- und Franzosenfurcht. Intensiver wurde die Bevölkerung auf allfällige verdächtige Regungen hin kontrolliert. Pergens Geheimpoli- zei konnte ihre Funktionstüchtigkeit beweisen. Das gelang besonders mit der soge- nannten Jakobinerverschwörung. Einige wenige Männer wurden verdächtigt, mit einer Die Heimkehr des Landwehrmannes. Gruppe ungarischer Verschwörer unter Ignaz Martinovics den Sturz der Monarchie zu Gemälde von Johann Peter Krafft, 1817. planen. Man wusste zwar nicht sehr viel, und der Hauptinformant, ebenso wie die beschuldigten Freimaurer, blies die Sache zusätzlich auf. Aber das genügte. Da Joseph II. Dass diese Kriegszeit – mit Unter- die Todesstrafe (mit Ausnahme des Militärs) aufgehoben hatte, wurden die bürgerli- Der Krieg gegen Frankreich zog sich in Belgien, Nordfrankreich, am Rhein und in Italien brechungen – von 1792 bis 1815 chen „Jakobiner“ zu strengen und lang dauernden, in einigen Fällen sogar lebenslängli- dahin, bis 1796 ein junger französischer General, Napoleon Bonaparte, die Österreicher dauern würde, war nicht abzusehen. chen Haftstrafen verurteilt. Das einzige Todesurteil wurde in Wien an dem Offizier in Italien mehrfach besiegte und über Kärnten bis in die Steiermark vorstieß. Die Revolutions- und Franzosenfurcht Franz Hebenstreit vollzogen, der in Gedichtform zur Revolution aufgerufen hatte. österreichische Regierung versuchte nun, das Zaubermittel der Franzosen gegen sie herrschten bei Hof. Intensiver Die Jakobinerverschwörung beendete endgültig das geistige „Tauwetter“, selbst zu verwenden – die patriotische Mobilisierung der Massen. Da brauchte man wurde die Bevölkerung auf all- das vorübergehend unter Joseph II. geherrscht hatte.60 Die Zensur wurde dem Polizei- einmal eine Hymne. Der neue Regierungspräsident von Niederösterreich, Franz fällige verdächtige Regungen hin ministerium übertragen, alle Freimaurerlogen, in denen man die Zentren der Ver- Josef Graf Saurau, beauftragte den Dichter Lorenz Leopold Haschka mit der Abfassung kontrolliert. schwörung witterte, wurden verboten. eines Textes für eine neue Volkshymne, die dann Joseph Haydn vertonte. Am 12. Jänner 1797 wurde sie zum ersten Mal aufgeführt, Saurau sorgte für ihre rasche Verbreitung. Dem „Allons enfants de la Patrie!“ („Auf, Kinder des Vaterlandes!“) der Franzosen setzte man freilich den frommen Wunsch „Gott erhalte Franz den Kaiser“ entgegen – die kulturelle Distanz zwischen der Geistigkeit hinter den beiden Hymnen wird so überaus deutlich sichtbar. Neben der Hymne sollte auch eine allgemeine Volksbewaff- nung dem Feind Einhalt gebieten. Ein Wiener Freikorps wurde gebildet und auch tatsächlich auf den italienischen Kriegsschauplatz verlegt. Aber im April beendete ein Vorfriede bei Leoben den Krieg, der mit dem Frieden von Campo Formio im Oktober 1797 auch formal ein Ende fand.

Mehrfache Besetzung durch die Franzosen Aus den darauf folgenden Verhandlungen über eine Reichsreform, die 1798 in Rastatt begonnen hatten, entwickelte sich schon der nächste Krieg; er endete 1801 mit einer neuerlichen Niederlage (schon standen die Franzosen an der Erlauf). Zwar wollte Erzherzog Karl, ein Bruder des Kaisers, zunächst einmal eine friedliche Entwick- lung, samt Reformen bei der Armee, aber auf Drängen Englands setzte sich nach der Selbstkrönung Napoleons die Kriegspartei unter dem offenbar etwas großspreche- rischen Karl von Mack durch. Mack wurde schon im Oktober 1805 bei Ulm mit seiner Johann Anton Graf Pergen (1725–1814), ganzen Armee zur Kapitulation gezwungen. Die russischen Verbündeten der Österrei- Regierungspräsident und Landmarschall cher und die Reste der habsburgischen Armee wurden wenig später, am 2. Dezember von Niederösterreich (bis 1790), ab 1789 Staatsminister mit dem Auftrag der 1805, bei Austerlitz/Slavkov u Brna vor den Toren Brünns von Napoleon vernichtend Einrichtung der Geheimpolizei und 1792 geschlagen. bis 1804 Polizeiminister. Er gilt als Da hatten die Franzosen bereits weite Teile Niederösterreichs samt Wien „Erfinder“ der modernen Polizei in Österreich. Der Krieg von 1809 lief besetzt. Die Besatzungstruppen verlangten Pferde, Proviant, Wein und Vorspanndiens- aber doch wieder so te, die großen Klöster wie Melk, Lilienfeld, Göttweig und Herzogenburg mussten ihre Kaiser Franz I. (II.) (1768–1835) von ab wie damals immer: Bargeldvorräte abliefern, Marodeure belästigten die Landbevölkerung. Durch die Österreich im österreichischen Kaiserornat. Gemälde von Friedrich Napoleon und seine Armeen Besetzung stiegen die Lebensmittelpreise um ein Mehrfaches, sodass manche Bauern, Amerling, 1832. waren einfach schneller. die noch über Vorräte verfügten, gute Geschäfte machten.

198 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 199 Aber auch die Spargroschen Auf Druck Napoleons legte Kaiser Franz schließlich die römisch-deutsche Kaiserkrone der kleinen und mittleren Bürger, nieder. Schon 1804 hatte er sich aber zum erblichen Kaiser von Österreich erklärt – von von Handwerkern und und das blieb er auch jetzt, als Kaiser von Österreich, allerdings unter dem Namen Gewerbetreibenden waren Franz I. Wieder wurde an die Vergrößerung der Armee geschritten, der man nun auch entwertet. Zu allem Überfluss ein zweites Aufgebot anzuschließen gedachte: die Landwehr. Da Napoleon in Spanien Durch die Finanzkatastrophe von 1811 stiegen 1811 durch eine Miss- engagiert war, glaubte man, durch einen überraschenden Vormarsch nach Bayern wurde das Papiergeld entwertet. Erst durch die Gründung der National- ernte die Lebensmittelpreise. sowie die Auslösung eines Aufstandes im 1805 an Bayern abgetretenen Tirol, den Feind bank 1816 kam es zu einer Stabilisierung außerhalb der eigenen Grenzen bekämpfen zu können. Der Krieg von 1809 lief aber des Geldwertes. doch wieder so ab wie (damals) immer: Napoleon und seine Armeen waren einfach schneller, Erzherzog Karl wurde nach dem Einmarsch in Bayern sehr bald zum Rückzug genötigt. Wieder besetzten die Franzosen das Land samt Wien – aber an der Donau sollte Halt sein. Als Napoleon von der Insel Lobau aus über den Groß-Enzersdorfer Arm der Donau nach Norden vorstoßen wollte, hinderten ihn die Österreicher in einem zweitägigen Gemetzel am 21./22.Mai 1809 in den und um die Dörfer Aspern und Eßling daran. Aber nach dieser Niederlage gab man Napoleon Zeit, seine Truppen zu verstärken, und ließ sogar zu, dass er die Donau dann doch endgültig überschritt. Nach dem Sieg der Franzosen bei Wagram wurde wieder ein demütigender Friede geschlossen. Diesmal war die französische Besetzung wesentlich unerfreulicher als 1805. Der Schaden betrug nach Erhebungen der Kreisämter in ganz Niederösterreich 138 Millionen Gulden. Wer versuchte, sich gegen Übergriffe der Besatzungsmacht zu wehren, riskierte sein Leben: In St. Pölten wurden im Juni 1809 13 Untertanen, Wiener Kongress 1814/15: Europas Wieder- darunter neun Bauern, des Aufruhres und Mordes an französischen Soldaten angeklagt geburt durch den großen Herrscherverein 61 zu Wien 1814. Auf dem Bild u. a. zu sehen: und vier von ihnen hingerichtet. Im Gefolge des Krieges brach eine verheerende Kaiser Franz I. von Österreich (1), Zar Seuche aus, die Ruhr, verbunden mit einer Fieberepidemie. Die Säuglingssterblichkeit Alexander I. von Russland (2), König Friedrich stieg damals in St. Pölten auf 73 Prozent.62 Nur ein Viertel der Neugeborenen konnte Wilhelm III. von Preußen (3), Lord Castlere- agh für England (4) und Talleyrand für überleben. Frankreich (10). Zeitgenössischer Kupferstich.

Zwischen Staatspleite und Wiener Kongress Schon nahte die nächste Katastrophe. Der Staat hatte die Kriege bis dahin mit sogenannten Bancozetteln finanziert – Papiergeld, das auf die Wiener Stadtbank lautete. Es war anfangs recht gerne angenommen worden und stand im Kurs lange mit den Silbermünzen pari. Aber durch die Kriege von 1805 und 1809 wurde die Masse Brand von Wiener Neustadt 1834. Die des Papiergeldes so erhöht, dass dessen Kurs nur mehr einen Bruchteil des Münzgeldes Katastrophe vernichtete rund 500 Bürger- ausmachte. Da eine andere Sanierung ausgeschlossen schien, verkündete die Regie- häuser, den zweiten Stock des Rathauses, rung 1811 den Staatsbankrott und setzte den Wert der Papiergulden auf ein Fünftel und auch die Glocken des Doms stürzten herab. 47 Menschen kamen ums Leben, herab. Wer 100 Gulden in Papier in der Brieftasche hatte, besaß plötzlich nur mehr 20! Tausende wurden obdachlos. Kolorierte Wie immer litten unter der Inflation die Gläubiger, die nur einen Bruchteil ihrer Lithografie von August Kurz. Forderungen sahen, und natürlich die Bezieher fixer Gehälter, vor allem die Beamten. Aber auch die Spargroschen der kleinen und mittleren Bürger, von Handwerkern und Gewerbetreibenden waren entwertet. Zu allem Überfluss stiegen 1811 durch eine Salzburg zurück, dazu die Lombardei und Venetien, ebenso Illyrien (Osttirol, Oberkärn- Missernte die Lebensmittelpreise – der Preis von Rindfleisch verdoppelte sich. Dass ten, Krain, das Küstenland und Teile von Kroatien sowie Dalmatien). Im neu geschaffe- die Kriege neue Steuern mit sich brachten (Vermögenssteuern, Hauszinssteuern, nen Deutschen Bund führte Österreich das Präsidium im Frankfurter Bundesrat. Erwerbsteuern), muss man kaum extra erwähnen. Eine veritable Wirtschaftskrise war die Folge, auch wenn die mit der Pottendorfer Baumwollspinnerei 1801 begonnene Sehnsucht nach Sicherheit maschinelle Produktion von Baumwollgarnen nur wenige Einbußen erlitt. Als der Kongress im Mai 1815 zu Ende ging, als nach der Schlacht bei Waterloo Die letzten Kriege Napoleons (und gegen Napoleon) von 1812, 1813/14 ganz Europa aufatmete, weil der ewige Störenfried Napoleon die europäische Bühne und 1815 betrafen das Land nicht mehr direkt, aber natürlich belasteten es extrem für immer verlassen hatte, begann – unerwartet – eine lange Krisenphase. Ein überaus hohe Steuern und häufige Rekrutenaushebungen. fernes Ereignis, die Explosion des Vulkans Tambora in Indonesien (April 1815), führte Im September 1814 trafen sich Vertreter aller europäischen Mächte in Wien. durch die Verteilung von Asche in der Stratosphäre auch über der nördlichen Halb- Der nun beginnende Kongress musste versuchen, Europa eine neue Ordnung zu geben. kugel 1816 zu einem „Jahr ohne Sommer“, das um drei Grad Celsius kälter war als im Die Zahl der versammelten Herrscher, Diplomaten, eleganten Damen und Adabeis Durchschnitt. Missernten und Hungersnöte folgten. Noch immer waren die Finanzen war enorm. Der Kongress glich einem dauernden Fest – man unterhielt sich, man stritt, Europas, besonders aber die der Habsburgermonarchie in Unordnung; erst die Grün- schließlich einigte man sich auch über die strittigen Punkte. Die glänzenden Feste dung der Oesterreichischen Nationalbank im Jahre 1816 führte langsam zu einer wurden vom österreichischen Staat bezahlt, was die ständigen finanziellen Verlegen- gewissen Beruhigung und zu einer Stabilisierung der Währungsverhältnisse. Jahrzehn- heiten nicht erleichterte. Ein Bonmot machte die Runde: „Er liebt für alle: Alexander telang blieb aber eine Doppelwährung bestehen: das Papiergeld, die „Wiener Wäh- (von Russland); er denkt für alle: Friedrich Wilhelm (von Preußen); er trinkt für alle: rung“, und das Münzgeld, die „Conventionsmünze“, wobei 100 Gulden Wiener Maximilian (von Bayern); er frisst für alle: Friedrich (von Württemberg)“ und zuletzt: Währung 40 Gulden Münze entsprachen. Die Wirtschaft belebte sich erst ab etwa „Er zahlt für alle: Kaiser Franz“ (also seine österreichischen Untertanen).63 Wieder 1825 wieder ein wenig. wurde Papiergeld gedruckt. Freilich entwickelte der Kongress in Wien eine enorme Als Folge der Kriege und der hartnäckigen Krisen verbreitete sich, wie schon Nachfrage nach Wohnraum, Nahrungsmitteln, glänzenden Garderoben, Schneider- in früheren Zeiten, Unsicherheit. Wieder trieben Banden in Wäldern und Straßen ihr leistungen, Tanzsälen, Musik etc. Viel Geld wurde ausgegeben und manche Wiener Unwesen. Die bekannteste war die des Johann Grasl, der 1815 gefangen und 1818 (auch Wienerinnen!) machten gute Geschäfte. Sicher das Positivste, das man hingerichtet wurde. Um Grasl bildete sich ein gewisser Mythos: Ein Waldviertler Robin vom Kongress sagen kann, ist, dass Frankreich wieder als gleichberechtigter Partner Hood sei er gewesen, habe die Reichen bestohlen und beraubt, um das Geld den in das europäische „Konzert“ aufgenommen wurde. Österreich verlor seine uralten Armen zu geben. An diesen Geschichten ist sehr wenig wahr – an die wirklich Reichen Besitzungen westlich von endgültig, erhielt aber dieses Land, Tirol und und Mächtigen wagte er sich nicht heran, und die Beute verprasste die Bande schon

200 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 201 Als Folge der Kriege und der selbst. Das schützende Milieu für Grasl und sein Gefolge waren die „Outlaws“ der hartnäckigen Krisen ver- ländlichen Gesellschaft, die „Unehrlichen“, die Abdecker, Wasenmeister, Hundsschlager breitete sich, wie schon in und Vertreter ähnlicher wenig geachteter Gewerbe. früheren Zeiten, Unsicherheit. Massive Unsicherheit kennzeichnete auch die Jahre vor der Revolution von Wieder trieben Banden 1848. Während einer neuerlichen Teuerungswelle häuften sich wieder Hungerdemons- in Wäldern und Straßen ihr trationen, in Stockerau soll es sogar Tote gegeben haben. Die Regierung diskutierte Unwesen. die Schaffung einer Gendarmerie, aber vor 1848 konnte man sich zu keiner Maßnahme durchringen. Auch mehrere große Brandkatastrophen ereigneten sich, so in Tulln 1819 und 1838 oder in St. Pölten 1833. In Wiener Neustadt wurde 1834 ein großer Teil der Innenstadt und die Wienervorstadt ein Raub der Flammen, 47 Menschen kamen ums Leben.64 Nur langsam verbreitete sich der Versicherungsgedanke: 1819 gründete Georg von Högelmüller die erste Brandschadenversicherung für Niederösterreich. Wer sich versichern wollte, musste statt seinem Schindel- oder Strohdach ein Ziegel- dach auf das Haus setzen. Bis 1870 wurden allein in Niederösterreich 32.000 Stroh- dächer durch Ziegeldächer ersetzt.65 Das war in der Tat eine wichtige Innovation, die nicht nur mehr Sicherheit vor Brandkatastrophen bedeutete, sondern auch das Aus- sehen der Städte und Dörfer veränderte. Die Notlage breiter Bevölkerungsschichten regte den Geistlichen Johann Baptist Weber, Pfarrer zu St. Leopold in der Wiener Leopoldstadt, zur Gründung einer Sparkasse nach schottischem Vorbild an. Im Oktober 1819 entstand unter Mithilfe einiger Herren aus der Hochfinanz die Erste oesterreichi- sche Spar-Casse, um „dem Fabrikarbeiter, dem Landmanne, oder sonst einer gewerbe- fleißigen und sparsamen minderjährigen oder großjährigen Person, die Mittel an die Hand zu geben, von ihrem mühsamen Erwerbe von Zeit zu Zeit ein kleines Capital zurückzulegen, um solches in späteren Tagen zur Begründung einer besseren Ver- sorgung, zur Aussteuer, zur Aushülfe in Krankheit, im Alter oder zur Erreichung irgend- eines löblichen Zwecks zu verwenden“.66

Stilles Glück … Ab etwa 1825 kam die Industrie langsam in Schwung. Auch die Landwirtschaft verzeichnete einen etwas besseren Geschäftsgang. Nun entwickelte sich das Bieder- meier, die erste eigentlich „bürgerliche“ Kultur. Wir denken dabei an elegante Möbel, Herren im Zylinder mit bunter Oberbekleidung und ebensolchen Hosen, Damen in je nach Alter und Stand genau abgestimmten Kleidern, mit farbigen Seidenstoffen und ebenso kunstreichen wie natürlich wirkenden Frisuren. Wir denken an relativ bescheidene, dennoch elegante Einrichtungen – Vitrinen, Sofas, Fauteuils, Tische und Sessel, Schreibtische und Kommoden, und natürlich das obligate Klavier. Selbstver- ständlich wurde Hausmusik gemacht, man pflog aber auch harmlose Pfänderspiele (oder waren die gar nicht so harmlos, mit all den Küssen, die man zur Auslösung der Pfänder verteilen und empfangen musste?) und andere Unterhaltungen. Tatsächlich entwickelte sich in dieser Zeit jene bürgerliche „Häuslichkeit“, die wir bis heute mit „Biedermeier“ verbinden. Gerne wird davon geschrieben, das Bürgertum habe sich „zurückgezogen“, um, geschützt vor den Nachstellungen der Geheimpolizei, seinen geselligen und kulturellen Neigungen nachgehen zu können. Nur ist inzwischen auch bekannt, dass selbst private Gesellschaften von der überaus tüchtigen Geheimpolizei des Baron Hager bzw. seines Nachfolgers, des Grafen Sedlnitzky, überwacht wurden, sofern sich da nur einigermaßen wichtige Leute trafen. Aus solchen Berichten wissen wir beispielsweise vom ersten Christbaum in Wien, der in der Wohnung des Bankiers Arnstein aufgestellt wurde; aus diesem Anlass traf sich eine große Gesellschaft.67 Andererseits war Wien eine Stadt großer Geschäftigkeit und voll von Menschen. Die Flucht vor der Geheimpolizei war kaum für die Entstehung bürgerlicher Häuslichkeit verantwortlich. Es war eine andere, aber ebenso wichtige Neuigkeit: die Trennung von Arbeitswelt und Familienleben. Bis dahin waren beide Bereiche Bildbeilage „Wiener Moden“ aus der selbstverständlich zusammengefallen. Im Handwerkerhaus hatten Familien, Gesellen „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“. Kolorierter Kupfer- und Lehrlinge auf oft engem Raum zusammengelebt. Wir haben Ansichten solcher stich von Franz Stöber. Die wurde auch prompt geliefert, etwa von der Firma Danhauser, einer leistungsfähi- Handwerkerwohnungen, wo man in der Weberwerkstatt auch ein Bett sieht. Und gen Wiener Möbelfabrik, in der man schon nach Katalog bestellen konnte. (Der Sohn selbst auf der höchsten Stufe der gesellschaftlichen Leiter war es nicht anders gewe- Gesellschaftssalon 1834. Kolorierter Josef Danhauser war übrigens ein bedeutender Maler im damaligen Wien, leitete Stich von Andreas Geiger nach sen: Clemens Wenzel Fürst Metternich hatte noch in der Staatskanzlei gewohnt, Originalentwurf der Danhauser’schen aber selbst zeitweilig die Fabrik.) Ist es zu viel gesagt, wenn wir die Kultur des Bieder- Die Flucht vor der Geheim- sein Palais am Rennweg diente ihm als Sommerresidenz. Möbelfabrik (1804 gegründet, meier als erste industrielle Kultur bezeichnen? Die Möbel kamen aus Fabriken wie polizei war kaum für die Nun aber begann ein langsamer Prozess der Trennung beider Bereiche. Adal- bis 1838 von europaweitem Ruf). jener von Danhauser, die Stoffe für die hübschen Kleider von Fabrikspinnereien Entstehung bürgerlicher bert Stifter beschreibt diesen Vorgang im „Nachsommer“: Die Familie habe in der und mechanischen Webereien – nur die Konfektion gab es noch nicht, dafür ein Heer Häuslichkeit verantwortlich. Stadt gewohnt, aber da die Luft dort so schlecht gewesen sei, kaufte man schließlich von Weißnäherinnen, Schneidern, Putzmacherinnen etc., die die Wiener Vorstadt Es war eine andere, aber ein Haus in einer der Vorstädte. Der Vater fuhr nun täglich in die Stadt, um dort (und die Stücke Nestroys) bevölkerten. ebenso wichtige Neuigkeit: seinen Geschäften nachzugehen, die Mutter mit Kindern und dem Hausgesinde blieb die Trennung von Arbeits- draußen. Die vom Erwerbsleben getrennte Sphäre des Familienlebens erforderte welt und Familienleben. eine neue Einrichtung.

202 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 203 Kaiser-Ferdinand-Nordbahn zwischen Wien-Floridsdorf und Deutsch-Wagram, 1838. Kolorierte Lithographie.

Friedrich Gauermann, „Ein Schiffszug auf der Donau“, 1848. … und lärmende Maschinen Der „gute“ Kaiser Franz, dem man ja in der Politik nicht allzu viel Positives nachsagen kann, wehrte der Entwicklung von Technik und Industrie nicht. Im Gegen- teil. In seine Regierungszeit fällt z. B. die Gründung des k. k. polytechnischen Instituts (heute: Technische Universität Wien), das 1815 seine Tätigkeit aufnahm. Auch auf den zahlreichen Reisen des Kaisers, die penibel vorbereitet wurden und bei denen er sich ebenso penibel Notizen machte, spielte die Besichtigung von Industriebetrieben, Bergwerken, aber auch von Schulen oder Einrichtungen der Armenpflege eine bedeu- tende Rolle. So notierte der Kaiser im Jahr 1820 anlässlich seines ersten Besuches im später so berühmten Walzwerk des Andreas Töpper bei Scheibbs eher skeptisch, dass ihm die damalige Einrichtung des Werkes als „nicht besonders schien“.68 Die umfangreichen Bestände über die Hofreisen des Kaisers sind voll von solchen und ähnlichen Bemerkungen. Die – öfter vorgenommenen – Reisen in die ober- und niederösterreichischen Eisenwurzen nahmen übrigens ihren Ausgang meist von den kaiserlichen Schlössern Luberegg, Weinzierl oder Rotenhaus. Das waren recht bescheidene Behausungen, die offenbar dem Wunsch des Kaisers nach familialer Intimität besonders entsprachen. Schon seit 1818 experimentierte man mit einem Dampfschiff auf der Donau. Eine erste, 1823 gegründete Dampfschifffahrtsgesellschaft musste 1826 liquidiert werden. Erfolgreicher war der zweite Versuch der 1829 gegründeten Ersten k. k. Donau- Dampfschiff „Franz I.“, 19. April 1831. Straßen- und Bahnbau, aber auch Dampfschiffahrts-Gesellschaft (DDSG), die 1831 einen regelmäßigen Schiffsverkehr Kolorierte Kreidelithografie von Franz Wolf. die Donauschifffahrt reflektieren zwischen Wien und Ungarn, 1837 auch zwischen Linz und Wien einrichtete. Die DDSG die im Vormärz angesichts der wuchs später zur größten Binnenschifffahrtslinie der Welt an. Das Dampfschiff er- steigenden Zahl von Fabriken und leichterte vor allem die Fahrt flussaufwärts, die ja bis dahin nur als Treidelzug und nur des anhaltenden Stadtwachstums für teure Waren möglich war. von Wien schnell zunehmende Nun wurde auch schon die Dampfeisenbahn diskutiert. Im benachbarten Bedeutung funktionierender Ver- Oberösterreich baute man eine Pferdeeisenbahn von Linz nach Budweis. Sie wurde kehrswege. 1832 eröffnet. Wenig später, 1836, erhielt Anselm Salomon Freiherr von Rothschild das

204 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 205 Privileg für die Errichtung einer Bahnlinie nach Norden. Die Planung übernahm Von der Revolution bis zum Ende der Monarchie Franz Xaver Riepl, Professor am Wiener Polytechnikum. 1837 fuhr der erste Zug von Floridsdorf nach Deutsch-Wagram, mit Jahresbeginn 1838 begann der planmäßige Auch die Bauern wurden Im Hof des Landhauses begann es … Verkehr, und 1839 wurde Brünn/Brno erreicht. Um die Verbindung nach Ungarn unruhig: In Niederösterreich Am 3. März 1848 forderte Ludwig Kossuth auf dem ungarischen Landtag und nach Süden bemühte sich ein Konkurrent Rothschilds, Georg Simon Freiherr von wurden die Robot und der in Pressburg/Bratislava/Pozsony eine eigene ungarische Regierung und eine Ver- Sina, dessen Kapital den Bau der Linie nach Wiener Neustadt (1841) und weiter nach Auftrieb der herrschaftlichen fassung auch für den nicht ungarischen Teil der Monarchie. Die Kossuth-Rede wurde Gloggnitz ermöglichte. An der Planung für die Überquerung des Semmering – die Schafe auf die Gemeinde- rasch in Wien verbreitet. Dort rumorte es bereits, Gerüchte machten die Runde, erste Alpenüberquerung durch eine Adhäsionsbahn – arbeitete Carl Ritter von Ghega. weiden verweigert. Und vor Schriftsteller und Mitglieder des Niederösterreichischen Gewerbevereins feilten an 1847 war das Projekt fertigkonzipiert. Der Baubeginn erfolgte 1848, während der allem: Die Bauern begannen Petitionen. Revolution, u. a. um Arbeit zu schaffen und gleichzeitig arbeitslose Arbeiter von Wien zu jagen. Für den 13. März war die Vorlage derselben bei den niederösterreichischen wegzubringen. Ständen geplant. Die Organisation übernahmen die Studenten: Über die Aula der Nur knapp vor der Semmeringbahn war die neue Triester Straße über den Universität liefen die Verbindungslinien in die Vorstädte, wo Handwerker und Arbeiter Semmering fertig (1842). Auch die Verbindung von Lilienfeld über Annaberg und mobilisiert wurden, um Druck dahinterzusetzen. Der Tag war dafür günstig, es war Josefsberg nach Mariazell wurde nun erst zu einer festen Straße; viele andere nur ein Montag, nach langer Tradition arbeitsfrei („blauer Montag“). regional oder lokal wichtige Straßenverbindungen wurden gebaut, etwa von Zwettl Immer mehr Menschen versammelten sich in der Herrengasse und im nach Krems. Straßen- und Bahnbau, aber auch die Donauschifffahrt reflektieren Hof des Landhauses. Anfeuernde Reden wie jene von Kossuth wurden gehalten, diver- die im Vormärz angesichts der steigenden Zahl von Fabriken und des anhaltenden se Petitionen verlesen. Demonstranten drangen ins Innere des Landhauses vor. Wachstums von Wien schnell zunehmende Bedeutung funktionierender Verkehrswege. Eine Deputation wurde in die Hofburg entsandt. Nachdem die Stände das Haus bereits ­­ verlassen hatten, griff Militär ein, es gab Tote und Verletzte („Märzgefallene“). Den Die niederösterreichischen Stände erwachen Erfolg des Tages – die Entlassung Metternichs, das Versprechen einer Verfassung Leopold II. hatte den Ständen seiner Länder die Landhäuser wieder übergeben. am 15. März und das Ende der Zensur – sicherten die Arbeiter, die nun in den Vor- Sie sollten sogar gewisse Beratungsrechte gegenüber der Regierung erhalten. Doch städten die verhassten Maschinen demolierten und die ebenso verhassten Verzeh- Franz II. (I.) hielt davon nichts. Die Landstände blieben bestehen, mussten die Steuern rungssteuerämter an der „Linie“ (am heutigen Gürtel) zerstörten. Der Maschinensturm bewilligen, hoben sie ein und gaben der Regierung in den Nöten der Franzosen- breitete sich am 14. und 15. März auf die Vororte Meidling, St. Veit und Hacking bis kriege sogar große Darlehen (die nicht zurückgezahlt wurden). Sie durften aber keine nach Perchtoldsdorf, Mödling und Schwechat aus. Er bot den Anlass für die Aufstellung politischen Diskussionen führen. Der Tod des Kaisers 1835 beendete die Stille im bewaffneter Korps, der Nationalgarden, die in erster Linie Ruhe und Ordnung garantie- Landhaus. Die Stände traten zusammen und diskutierten die Probleme, die sich aus ren sollten, bis zu einem gewissen Grad aber zum bewaffneten Arm der Revolution den josephinischen Gesetzen, aber auch aus der Steuerproblematik ergaben. Da die wurden. Auch unter den Bauern machte sich Unruhe breit: In Niederösterreich wur- Einnahmen der Ständemitglieder, soweit diese Grundherren waren, besteuert wurden, den die Robot und der Auftrieb der herrschaftlichen Schafe auf die Gemeindeweiden überlegte man, ob nicht die Ablösung der Robot- und Zehentverpflichtungen verweigert. Und vor allem: Die Bauern begannen zu jagen. Die bäuerliche Jagd war durch die Bauern sinnvoller wäre. 1843 wurde eine Entschädigung der Grundherren sozusagen die zentrale symbolische Form der Auflehnung, denn die Jagd war bis dahin durch Abtretung von Bauernland diskutiert. Das lehnte die Regierung strikt ab. ein ausschließliches Herrenrecht gewesen.72 Außerdem waren sich die Stände darin gar nicht einig. Eine neue Regierung proklamierte am 25. April eine Verfassung. Nach heftigen Mit dem 1844 im Landhaus eingerichteten Lesezimmer ist der Name eines Protesten (vor allem gegen das Wahlrecht) im stürmischen Wiener Mai nahm die der bedeutendsten Ständemitglieder jener Tage, Anton Freiherr von Doblhoff-Dier aus Regierung sie wieder zurück. Nun sollte der neu zu wählende Reichstag eine Verfas- Baden, verbunden. Er gilt als Vertreter jener frühliberalen Strömungen, die 1848 im sung erarbeiten. Der Hof verließ das unruhige Wien am 17. Mai und begab sich Verlauf der Revolution für kurze Zeit eine gewichtige Rolle spielten. 1845 forderten die nach Innsbruck. Ein Sicherheitsausschuss aus Bürgern, Nationalgarden und Studenten Stände ganz offen die Mitwirkung an der Gesetzgebung Niederösterreichs. Das wurde übernahm die faktische Herrschaft in Wien. Die Ungarn werden am 30. Oktober 1848 „oben“ kühl abgelehnt: nur keine Änderungen! Aber die Stände ließen nicht locker. bei Schwechat in die Flucht geschlagen. Sie legten Vorschläge zur Förderung der Bodenkultur und zur Erleichterung des Loses Lithografie von Vinzenz Katzler. der arbeitenden Klassen vor – die Arbeiter, das „nützlichste Werkzeug“ in der Hand einer weisen Staatsverwaltung, könnten durch Elend und Verzweiflung zum ärgsten Feind der Ordnung und Sicherheit werden.69 Das klang nicht mehr nach dem bis dahin an den Tag gelegten engherzigen Egoismus der adeligen Herrschaftsbesitzer, sondern schon ein wenig mehr nach einem gewissen Verantwortungsbewusstsein für das Ganze. Die Stände bezogen daher auch die Vertreter der Städte und Märkte wieder stärker in ihre Beratungen ein, auf die man zuvor gar nicht geachtet hatte. Der Landtag von 1847 wies auf die im Lande herrschende Not hin und verlangte die gleiche Belastung aller Einkommen. Der Staatshaushalt müsse öffentlich publiziert werden, um so wieder das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten. Man hat das in der Regierung nicht einmal diskutiert.70 Die Stände zeigten ihr neues Selbstbewusstsein auch nach außen. 1827 be- schlossen sie den Neubau des Landhauses, der dann bis 1848 in drei Etappen durch- geführt wurde. Erst 1837 kam die kaiserliche Baubewilligung. Einen ersten Entwurf hatte Josef Kornhäusel geliefert, gebaut wurde aber nach dem Plan von Alois Ludwig Pichl. Acht mächtige Säulen, die über drei Stockwerke reichen, dominieren die Fassade Der Landtag von 1847 wies auf des eindrucksvollen Baus. Pichl ist es gelungen, die wichtigsten Teile des alten Land- die im Lande herrschende Not hin hauses – Verordnetenzimmer, Versammlungsräume der einzelnen Stände und vor und verlangte die gleiche Belas- allem den großen Sitzungssaal – in den Bau einzubeziehen. „Im ganzen betrachtet ist tung aller Einkommen. Der Staats- dieser Neubau ein Musterbeispiel wahrer Denkmalpflege.“71 Die Neueinrichtung haushalt müsse öffentlich publi- nahm Leopold Ernst vor, der u. a. Schloss Grafenegg im Tudor-Stil umgebaut hatte. Den ziert werden, um so wieder Isterbrunnen im Hof entwarf Josef Klieber. Von dem Holzgerüst aus, mit dem der das Vertrauen der Bevölkerung zu Brunnen im Winter gegen Schnee und Frost geschützt wurde, sprach am 13. März 1848 Die Revolution brach am erhalten. Man hat das in der Adolf Fischhof zu der im Hof und davor versammelten Volksmenge. Das Landhaus 13. März 1848 vor dem Niederösterreichischen Regierung nicht einmal diskutiert. wurde zum Ausgangspunkt der Revolution. Landhaus aus.

206 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 207 Die Grundherrschaften als In Niederösterreich wurde 1848 drei Mal gewählt: Zwischen Ende April und Anfang Regieren mit und ohne Verfassung Organe der Staatsverwaltung Mai fand die Wahl der Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung in Die Siege von Feldmarschall Radetzky gegen die Aufständischen in Ober- auf unterster Ebene gab es Frankfurt statt, fast gleichzeitig wurden zur Ergänzung des ständischen Landtages italien im Sommer 1848 belebten bei Hof die Hoffnung auf eine militärische Lösung nicht mehr. Hier wurde durch Abgeordnete aus den Städten und Märkten sowie aus der Bauernschaft gewählt, der Revolution. Nach dem Einmarsch des kroatischen Banus Joseph Jelačić in Ungarn die neuen Gemeinden Ersatz schließlich im Juni die Abgeordneten für den Reichstag. Unter den „Frankfurtern“ folgte der Krieg der kaiserlichen Armee gegen die Rebellen dort. Die Behinderung geschaffen, die mit dem findet sich als Abgeordneter von Klosterneuburg der damals bekannte Schriftsteller des Abmarsches eines Wiener Regiments nach Ungarn durch Garden führte zur Okto- provisorischen Gemeinde- Franz Schuselka. Der verstärkte Landtag trat niemals zusammen. Umso wichtiger berrevolution, zur Belagerung der Stadt durch das Militär unter Fürst Windisch- gesetz vom März 1849 ins wurde der Reichstag – das erste gewählte Parlament Österreichs. In 22 Wahlbezirken Graetz und schließlich zur Kapitulation der Hauptstadt (31. Oktober 1848). Eine neue Leben traten. konnten 174.000 Niederösterreicher (nur Männer!) 2.428 Wahlmänner wählen, Regierung unter Felix Schwarzenberg wurde installiert und am 2. Dezember 1848 die wiederum die Abgeordneten bestimmten. Die Wahlbeteiligung lag mit ein neuer Kaiser – der junge Erzherzog Franz Joseph, ein Enkel Franz’ I. Der Reichstag, 84.500 Stimmen knapp unter 50 Prozent. Gewählt wurden 13 Bauern (manche mit inzwischen wieder ins mährische Kremsier/Kroměříž einberufen, wurde am 7. März einem Gewerbe) und vier Stadtbürger als Vertreter von Handel und Gewerbe, auseinandergejagt, Todesurteile folgten. Jahrelang blieb der Ausnahmezustand in drei Wiener Schriftsteller (Ernst Violand, Franz Schuselka und Johann Umlauft), ein Wien aufrecht. 1851 hob Kaiser Franz Joseph I. die von ihm selbst erlassene Verfassung Gutsbesitzer und ein ehemaliger Professor an der Militärakademie.73 Niederösterreich vom 4. März 1849 wieder auf. Der neue Absolutismus (Neoabsolutismus) benötigte wählte anders als der Durchschnitt: Von den 383 Abgeordneten des Reichstages kein Parlament. entfiel der größte Teil (mindestens 55 Prozent) auf Vertreter des Besitz- und Bildungs- Immerhin bemühten sich nun mehrere sachkundige Herren um den Auf- bürgertums. 92 Abgeordnete (also 24 Prozent) waren Bauern. Sie interessierte nur bau einer vollkommen neuen Verwaltungsstruktur. Die Grundherrschaften als Organe das Ende der feudalen Lasten. der Staatsverwaltung auf unterster Ebene gab es nicht mehr. Hier wurde durch die neuen Gemeinden Ersatz geschaffen, die mit dem provisorischen Gemeindegesetz Die „Bauernbefreiung“ und ihre Folgen vom März 1849 ins Leben traten. Eine oder mehrere Katastralgemeinden bildeten eine Schon am 25. Juli 1848 brachte der junge Reichstagsabgeordnete Hans Kud- Ortsgemeinde. Dabei sollte man sich nach Möglichkeit an den vorhandenen Pfarren lich seinen berühmten Antrag ein: „Die hohe Versammlung möge erklären: Von nun an orientieren. Die Durchführung oblag den Kreisämtern. ist das Untertänigkeits-Verhältnis sammt allen daraus entsprungenen Rechten und Während man das Landhaus umgebaut und erweitert hatte, wurde das Regie- Pflichten aufgehoben, vorbehaltlich der Bestimmung, ob und wie eine Entschädigung rungsgebäude in der Herrengasse 11 vollkommen neu erbaut und dort im Juni 1849 zu leisten sei (…).“ Am 26. Juli wurde der Antrag auf die Tagesordnung des Reichstages eine neue Statthalterei eingerichtet. Ein repräsentativer Saal, der Marmorsaal, bot in gesetzt.74 Der Reichstag verhandelte darüber bis Ende August, dann war jenes Ge- Fresken Leopold Kupelwiesers einen schönen Überblick zur Geschichte des Landes.75 setz fertig, das – gegen den Willen der Bauernschaft! – Entschädigungszahlungen der Der Statthalterei sollten 17 Bezirkshauptmannschaften mit neun Exposituren unter- Bauern für das Ende der feudalen Lasten vorsah. Am 7. September erschien es als stehen. Die Stadt Wien wurde dem Statthalter direkt untergeordnet. Die Bezirkshaupt- kaiserliches Gesetz – obwohl die gesetzgebende Arbeit ausschließlich das Parlament mannschaften übernahmen die Konstituierung der Ortsgemeinden. Niederösterreich geleistet hatte. wurde in 1.545 Ortsgemeinden eingeteilt.76 An der Grundentlastung hielt auch der Neoabsolutismus fest. Die endgültige An die Stelle der aufgehobenen grundherrschaftlichen Gerichte traten Be- Durchführung regelte ein Patent vom 4. März 1849. Die Aufnahme der Lasten über- zirksgerichte, an der Spitze des Instanzenzuges stand im Land das Oberlandesgericht in nahm eine Grundentlastungs-Landeskommission, sie beendete ihre Tätigkeit 1853. Wien, darüber der Oberste Gerichtshof. Die Steuereinhebung wurde nun ebenfalls Die Entschädigung der Grundherren erfolgte durch die Ausgabe von Fünf-Prozent- staatlichen Ämtern, den Finanzlandesdirektionen, übertragen, mit Steuerämtern am Obligationen der Grundentlastungsfonds. In den Fonds zahlten sowohl die verpflichte- Sitz der Bezirksbehörden. Endlich beschloss man auch die Aufstellung eines Gendar- ten Bauern wie auch die Länder und der Staat ein. In Niederösterreich standen meriekorps. Damit ließ sich die Sicherheit auf dem Land deutlich erhöhen. Die 285.000 „Verpflichteten“ 2.654 „Berechtigte“, also bisherige Grund-, Gerichts- oder Gendarmerie unterstand zunächst aber der Armee. Zehentherren, gegenüber. Niederösterreichs Bauern mussten 16,3 Millionen Gulden Massive Veränderungen betrafen das Unterrichtswesen. Die Hochschul- und aufbringen – viel im Vergleich zu Oberösterreich (7,2 Millionen) und der Steiermark Gymnasialreform von Unterrichtsminister Graf Leo Thun-Hohenstein garantierte (8,3 Millionen), aber wenig im Vergleich zum benachbarten Mähren (30,6 Millionen). den Universitäten Autonomie, Selbstergänzung und Lehrfreiheit. Nun konnten sie sich In Niederösterreich hatten sehr hohe Robotverpflichtungen bestanden, deren zu Stätten von Lehre und Forschung entwickeln. Das philosophische Propädeutikum Ablösung verteuerte das Ganze. Wenn der Fonds liquid war, wurden die Obligationen wurde von den artistischen Fakultäten in das Gymnasium verlagert, das dadurch verlost und in Bargeld eingelöst. Das dauerte wegen der späten Zahlungen von von einer sechs- zu einer achtklassigen Schulform umgewandelt wurde. 1852 über- Staat und Ländern bis zur Jahrhundertwende. Die Bauern hatten bis um 1860 ihre nahm der Staat das akademische Gymnasium. Einige bis dahin sechsklassige Kloster- Zahlungen meist erledigt, wofür sich einige wenige allerdings verschulden mussten. schulen wurden in achtklassige Gymnasien umgewandelt, so beispielsweise auch Günstig waren für die Bauern die nach 1848 eher hohen Preise für Getreide. jene von Melk. Am Volksschulwesen änderte sich allerdings wenig. Erst der liberale Staat griff hier gründlich ein.

Glück und Ende des Neoabsolutismus Das neoabsolutistische Jahrzehnt schuf eine völlig neue Verwaltungsstruktur und zu guter Letzt 1859 ein neues, ziemlich liberales Gewerbegesetz. Man vergaß auch nicht, durch die Einrichtung von Handelskammern für die Vertretung der gewerblich- industriellen Interessen zu sorgen (1848). Ihr erster Präsident war der Wiener Groß- händler Rudolf von Arthaber. Wichtige neue Finanzinstitute entstanden, so 1853 die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft und 1855 die Österreichische Credit- Anstalt für Handel und Gewerbe. Letztere galt als Rothschild-Bank, wenngleich auch prominente Adelige an der Gründung beteiligt waren. Zahlreiche Sparkassen wurden im Jahrzehnt nach 1850 gegründet, so in Waidhofen an der Ybbs (1853), St. Pölten (1854), Krems (1855), Zwettl (1856), Scheibbs (1859), Zistersdorf, Wiener Neustadt, Retz, Poysdorf und Horn (1860). Telegrafenlinien zwischen Wien und den wichtigen Städten des Landes (Baden, Wiener Neustadt, St. Pölten, Stockerau, Krems) erleichterten und beschleunigten die Kommunikation mit der Reichs- und Landeshauptstadt. Bahnhöfe und Brückenanlagen der Mit dem Bau der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn (1856–1859) von Wien über St. Pölten, Kaiserin-Elisabeth-Bahn (Westbahn). Linz und Salzburg nach Bayern wurde endlich auch das westliche Niederösterreich Ansicht aus dem Album zur Er- öffnung der Strecke Wien–Salzburg, an das Bahnnetz angeschlossen. 1860.

208 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 209 Da die Ungarn forderten, Landgemeinden. Daneben gab es noch die hoch privilegierte Kurie der Großgrund- dass auch das österreichische besitzer. Drei „Virilisten“ waren aufgrund ihrer Funktion im Landtag vertreten: der Parlament dem Vertrag mit Erzbischof von Wien, der Bischof von St. Pölten und der Rektor der Wiener Universität. einem eigenen Gesetz zustimmen Natürlich war das keine demokratische Vertretung. Da es aber eine Steuer- müsse, gelang es den Liberalen, zahler-Vertretung war, durften auch steuerzahlende Frauen (ungefähr ein Zehntel aller dem Kaiser einige wichtige Steuerzahler/innen) wählen. Jede weitere Wahlreform reduzierte dieses Frauenwahl- „Staatsgrundgesetze“ abzuringen, recht, bis es im frühen 20. Jahrhundert ganz erlosch, und dies trotz der Aktivitäten die gemeinsam als „Dezember- der sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstituierenden Vereine der verfassung“ 1867 in Kraft traten. proletarischen und der bürgerlichen Frauenbewegung. Zu den Pionierinnen zählte die 1839 in Baden bei Wien geborene Marianne Hainisch; sie war 1866 Gründungsmitglied des Frauen-Erwerb-Vereins, der sich zum Ziel gesetzt hatte, in Not geratene Frauen zu unterstützen. 1902 rief sie den Bund Österreichischer Frauenvereine ins Leben und war 1905 maßgeblich an der Gründung des Frauenstimmrechtskomitees beteiligt. Erst 1919 durften alle erwachsenen Frauen wählen. Der Landtag hatte 66 Mitglieder, neben den drei Virilisten 15 Abgeordnete des Großgrundbesitzes, 28 Deputierte der Städte, Märkte und Handelskammern. 20 kamen aus den Landgemeinden, also zumeist aus der Bauernschaft. Bei den ersten Wahlen kandidierten nur Personen, keine Parteien. Praktisch alle Abgeordneten huldigten irgendeiner Spielart des Liberalismus – auch die Äbte so mancher Klöster, wie Wilhelm Eder (1861–1866) und später Alexander Karl (1878–1908) von Melk oder Othmar Helferstorfer (1861–1880) vom Wiener Schottenkloster. Der Letztere wurde 1870 sogar Landmarschall, vom Kaiser ernannter Chef der autonomen Landesverwaltung und Vorsitzender des Landtages. Der Landtag entsandte seinerseits Abgeordnete in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates, also in das Reichsparlament. Ab 1873 wurden diese direkt in eigenen Wahlen gewählt. Angelegenheiten des Landtages waren Landeskultur, öffentliche Bauten, soweit sie aus Landesmitteln errichtet wurden, die Verwaltung des Landesvermögens Das Februarpatent vom 26. Februar 1861 und der aus Landesmitteln dotierten Wohltätigkeitsanstalten, Gemeinde-, Kirchen- gilt als Verfassungsdokument der und Schulangelegenheiten, Vorspanndienste, Verpflegung und Einquartierung der Monarchie aus der Zeit des sogenannten Neuabsolutismus. Es löste das Oktober- Außen- und finanzpolitisch endete der Neoabsolutismus aber in einem Fiasko. Die Armee. Ausführendes Organ des Landtages war der Landesausschuss. Jederzeit konnte diplom von 1860 großteils ab. Rechts der gegen Russland vorgeblich neutrale, tatsächlich aber feindselige Haltung im Krimkrieg, der Statthalter als Vertreter des Kaisers im Landtag das Wort ergreifen. Samteinband mit dem kaiserlichen Siegel. die die Besetzung der Donaufürstentümer (Moldau und Walachei) einschloss, war ein teures Unterfangen, das den Zaren nachhaltig verärgerte und doch im Westen Die liberale Ära im Landtag keine Sympathien gewann. 1859 verlor Österreich den Krieg gegen Frankreich und das Schmerling gelang es nicht, die Ungarn von seiner Lösung zu überzeugen. Königreich Sardinien durch die Niederlagen von Magenta und Solferino. Das alte Sie boykottierten das Wiener Parlament. Erst ab 1865 zeichnete sich ein Kompromiss Finanzproblem der Monarchie, das sich schon 1848 verschärft hatte, schien jetzt fast ab, der sogenannte Ausgleich. Bevor er aber beschlossen werden konnte, wurde die unlösbar – Kredite wurden nur mehr zugesagt, wenn es eine öffentliche Budgetkon- „Deutsche Frage“ militärisch entschieden: 1866 siegten die Preußen bei Königgrätz/ trolle durch ein Parlament gab. So entschloss sich der Kaiser, das 1849 eingerichtete Hradec Králové in Nordböhmen über die Österreicher. Danach rückte die preußische Beratungsorgan des „Reichsrates“ durch ernannte Mitglieder aus Adel und Großbür- Armee bis ins nördliche Niederösterreich vor. Deren Soldaten brachten die Cholera mit, gertum zu „verstärken“. Zwei Gruppen standen einander hier gegenüber: die hochade- die ihrer siegreichen Armee mehr Verluste bescherte, als die Österreicher es taten. ligen konservativen Föderalisten und die meist bürgerlichen liberalen Zentralisten. Die Cholera forderte aber auch in der Zivilbevölkerung nicht wenige Opfer. Der Vorläufig siegten die Föderalisten. Auf ihre Vorarbeiten geht das „Oktoberdiplom“ von Friedensschluss betraf Niederösterreich nicht besonders, Österreich schied aus dem 1860 zurück, das ein relativ schwaches Reichsparlament vorsah. An diesem sollten Deutschen Bund aus, Venezien ging an Italien. auch die seit 1849 unterdrückten Ungarn beteiligt werden. Aber die Ungarn lehnten Nun erst konnte der ungarische Ausgleich fertig verhandelt und abgeschlos- ab. In einer seiner – später als typisch erkannten – heftigen Kehrtwendungen neigte sen werden. Da die Ungarn forderten, dass auch das österreichische Parlament sich der Kaiser nun den Liberalen zu und ernannte im Dezember 1860 Anton von dem Vertrag mit einem eigenen Gesetz zustimmen müsse, gelang es den Liberalen, Das Wahlrecht war ungleich: Schmerling zum „Staatsminister“. Der angesehene Jurist war die wichtigste Symbol- dem Kaiser einige wichtige Staatsgrundgesetze abzuringen, die gemeinsam als Die Wahlberechtigten wurden figur eines staatstreuen und patriotischen, aber antiabsolutistischen Liberalismus. „Dezemberverfassung“ 1867 in Kraft traten. Bei einem dieser Gesetze handelte es sich nach ihrer Steuerleistung Schmerling drehte die Absichten des Oktoberdiploms kurzerhand um und konstruierte um die erste Zusammenstellung der Rechte der Staatsbürger, den Grundrechtskatalog. in zwei oder drei Wahlkörper ein relativ starkes Zentralparlament, dafür schwächere, aber gewählte Landtage. Bis heute ist er einer der Grundpfeiler der Rechtsstellung der Österreicher/innen. geteilt. Im Extremfall konnten Sein Wahlrecht sollte auf Vorarbeiten früherer Minister aufbauen und in erster Linie Nach der Verabschiedung der Dezemberverfassung verfolgten die im Landtag ein oder zwei Großunter- eine bürgerliche und deutsche Mehrheit sichern (Februarpatent 1861). ebenso wie im Parlament herrschenden Liberalen das Ziel, das Konkordat von 1855, nehmer ein Drittel der Gemein- das sie als Kapitulation Österreichs vor Rom interpretierten, aufzuheben. Das gelang deräte wählen. Frauen dürfen wählen, sofern sie Steuern zahlen … nicht sofort. Erst die Verkündigung der Unfehlbarkeit des Papstes bot eine rechtliche Grundlage von Schmerlings Wahlrecht war das Gemeindewahlrecht: In einer Argumentationslinie zur Kündigung des Konkordates, die tatsächlich 1871 erfolgte. Gemeinde waren alle Menschen wahlberechtigt, die dort eine direkte Steuer (Grund- steuer, Erwerbs- oder Einkommensteuer, Hauszinssteuer) entrichteten. Der Steuer- Die neue Volksschule zensus ließ sich durch einen Bildungszensus ersetzen: Lehrer, Professoren, Doktoren, Einen weiteren Schwerpunkt setzten die Liberalen in ihrer politischen Arbeit Ingenieure, Ärzte etc. konnten unabhängig von ihrer Steuerleistung wählen. Das auf die Ausgestaltung der Volksschule. Noch 1866 konnte man hören: „Der preußische Wahlrecht war außerdem ungleich: Die Wahlberechtigten wurden nach ihrer Steuer- Schulmeister hat den österreichischen besiegt!“ Man musste also das eigene Volks- leistung in zwei oder drei Wahlkörper geteilt. Der erste Wahlkörper, der die wenigen schulwesen endlich gründlich reorganisieren. Das geschah mit dem Reichsvolksschul- großen Steuerzahler umfasste, wählte ebenso viele Vertreter wie der zweite oder gesetz von 1869. Der von den Liberalen beherrschte Landtag sah gerade in dessen dritte. Im Extremfall konnten so ein oder zwei Großunternehmer ein Drittel der vorbildlicher Umsetzung eine seiner Hauptaufgaben. Neben den Volksschulen widme- Gemeinderäte wählen. te sich der Landtag aber auch der Vermehrung der Zahl von Mittelschulen, vor allem Bei den Landtagswahlen waren nur die oberen zwei Drittel der Gemeinde- von Realschulen. wähler wahlberechtigt. Aber der Landtag umfasste nicht nur Vertreter der Stadt- und

210 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 211 Eine Liste der liberalen Landtagsabgeordneten liest sich wie das Who’s Who des Wiener Langsam organisierten sich auch die Konservativen. Außer einigen Großgrundbesitzern Liberalismus. Nur zwei Personen hatten schon im ständischen Landtag vor 1848 eine bestand die katholisch-konservative Opposition hauptsächlich aus dem Bischof von Rolle gespielt: Anton Ritter von Schmerling und Anton Freiherr von Doblhoff-Dier. St. Pölten Josef Feßler (Amtszeit 1864–1872), zwei weiteren Priestern und ab 1878 Nicht wenige waren bereits zu Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung dem Bauern Johann Oberndorfer aus St. Peter in der Au. Erst mit der Übernahme der gewählt worden: etwa Alfred Ritter von Arneth (der große Biograf Maria Theresias), Redaktion des im Besitz des Bischofs befindlichen „St. Pöltener Boten“ durch den Johann Nepomuk Berger und Ferdinand Dinstl, Schmerling und Doblhoff, Eugen jungen und wortgewaltigen Kaplan Josef Scheicher kam Schwung in die konservative Megerle von Mühlfeld und Franz Schuselka. Durchwegs handelte es sich um Juristen, Agitation. Spitzenbeamte und Anwälte. Aus ländlichem Umfeld stammte eigentlich nur Ferdi- 1870 war plötzlich ein Problem in aller Munde: der zwecks Sanierung des nand Dinstl, Abkömmling einer Feuersbrunner Bauernfamilie, Jurist und Advokat, Staatsbudgets geplante Verkauf des Wienerwaldes. Der an der Geologischen Reichsan- lange in Krems tätig, wo er auch Bürgermeister war. Dinstl hatte die früher tegern- stalt beschäftigte ehemalige Offizier Josef Schöffel griff im „Neuen Wiener Tagblatt“ seeischen und salzburgischen Weingüter in Ober- und Unterloiben erworben und zu Korruption und Misswirtschaft in der Verwaltung der Staatforste an. Der bereits einem großen Gut zusammengelegt. Nach dem Aussterben der Familie lebte das durchgeführte Verkauf der früheren freisingischen Besitzungen an der oberen Ybbs „Dinstl-Gut“ als Genossenschaft weiter. hatte schon ein unerfreuliches Bild von Geschäftemacherei und Waldverwüstung In den Landtag von 1869/70 kamen etwa der Geologe Eduard Suess, der Planer geboten. Das Echo war so stark, dass der Niederösterreichische Landtag den Beschluss der Ersten Wiener Hochquellwasserleitung, sowie der Wiener Bürgermeister Kajetan fasste, den Finanzminister aufzufordern, vom Verkauf des Wienerwaldes abzusehen. Felder. Josef Schöffel erlangte als „Retter des Wienerwaldes“ ungeheure Popularität. 1873 wurde er zum Bürgermeister von Mödling, im selben Jahr direkt in den Reichsrat Der Wienerwald soll verkauft werden gewählt (was gerade in diesem Jahr möglich wurde), von 1878 bis 1902 saß er auch im Die den Landtag beherrschenden Liberalen waren also hoch gebildete Vetera- Landtag. Schöffels Arbeitskraft veränderte nicht nur Mödling, er setzte auch im nen des politischen, wissenschaftlichen und publizistischen Lebens, sie gehörten Landtag wichtige Akzente: im Straßenbau, durch die Errichtung von Zwangsarbeits- durchwegs zur bürgerlichen Elite Wiens. Diese Stärke war auch ihre Schwäche: Zu den anstalten und Naturalverpflegsstationen zur Bekämpfung der Landstreicherei und bislang politisch wenig interessierten und mobilisierten „kleinen Leuten“ fehlte durch die Errichtung des Mödlinger Waisenhauses. Unabhängig, schroff und selbstbe- ihnen durchwegs der Zugang. wusst, wurde er 1902 nicht mehr in den Landtag gewählt. Die Zeit der politischen Individualisten ging zu Ende.

Wandel und Beharrung in Niederösterreichs Städten Mit der kaiserlichen Entschließung von 1857 wurden die Schleifung der Wie- ner Stadtbefestigungen und die Verbauung des Glacis angeordnet. Damit begann die Anlage der Ringstraße, die 1865 eröffnet wurde. Schon Joseph II. hatte den Städten aufgetragen, die Stadtbefestigungen zu beseitigen. An ihre Stelle traten Promenaden bzw. Parks. Die Stadttore verschwanden auch in anderen Städten. Nur wenige, wie das Steinertor in Krems, überstanden diese Modernisierungsphase. Wo sie wenig störten, haben die Stadtmauern überlebt, so etwa in Hainburg oder Weitra. Größere Städte erstellten Regulierungspläne, die aber oft nur teilweise umgesetzt wurden. Zumeist kam ein Stilgemisch heraus: Die neuen Häuser im Stil eines selbstbewussten Historismus passten in den Dimensionen nicht zum kleinteiligen, meist nur aus drei Fensterachsen bestehenden Althausbestand. Für die neuen großen Bauten, etwa von Kaufhäusern, wurden mehrere ältere Parzellen zusammengezogen. In vielen Städten entstanden Schulen, Krankenhäuser, Amtsgebäude, Kasernen und Sparkassen. Die Kasernenbauten beendeten endlich die unleidlichen Einquartierungen, die Bauten Wiener Neustadt, um 1900. Links der Sparkassen drückten den Stolz der Bürgerschaft auf ihre wirtschaftliche Sparsam- Reckturm und Stadtmauer keit und Tüchtigkeit aus. Die neu gegründeten Sparkassen waren jetzt durchwegs als charakteristische Merkmale der alten Stadt, rechts Staats- Stadt- oder Gemeindesparkassen, wobei insbesondere die Stadtsparkassen die Moder- Gymnasium und Babenberger-Ring nisierung „ihrer“ Städte nach Kräften unterstützten. als Elemente der modernen Stadt. Prälat Josef Scheicher (1842–1924). Das Stadtwachstum zeigte freilich keine Regelmäßigkeit. Während die hüb- schen, romantischen Waldviertler Landstädte wie Krems, Zwettl, Horn, Weitra oder Litschau nur wenig vom Aufschwung der neuen Zeit berührt wurden und ihr altertüm- liches Aussehen behielten, haben sich Wiener Neustadt und etwas später St. Pölten gründlich verändert. Wiener Neustadt zählte schon 1870 nahezu 18.000 Einwohner/- innen. Es war in vor- und frühindustriellen Zeiten zu einem Zentrum der gewerblichen Produktion geworden. Mit der Eisenbahn beschleunigte sich die Entwicklung. Die Stadt wurde Sitz einer der ersten Lokomotivfabriken Österreichs. Auch andere Städte südlich von Wien wie Baden, Mödling, Neunkirchen, Gloggnitz oder Vöslau wuchsen Das Stadtwachstum zeigte stark, ebenso wie die Hauptstadt und ihre Vororte, die schließlich 1890 mit Wien freilich keine Regelmäßigkeit. vereinigt wurden. Wien hatte nun schon mehr als 1,3 Millionen Einwohner/innen. Während die hübschen, Entscheidend war die Verkehrslage: Ohne Eisenbahnverbindung war eine romantischen Waldviertler Stadt oder eine Region zur Stagnation verurteilt. Der Wasserweg an der Donau verlor Landstädte wie Krems, Zwettl, an Bedeutung. Der Bahnbau-Boom in Niederösterreich setzte so richtig nach der Horn, Weitra oder Litschau Niederlage von 1866 ein – ihr folgten allerdings eine reiche Ernte und entsprechende Josef Schöffel (1832–1919). nur wenig vom Aufschwung Getreideexporte. Die erste wichtige Bahnlinie nach der 1859 fertiggestellten West- der neuen Zeit berührt bahn war die Franz-Josephs-Bahn, die ab 1870 eine neue Verbindung von Wien wurden und ihr altertümliches nach Prag durch das Waldviertel herstellte. 1866 hatte man an einer zweiten Alpen- Aussehen behielten, haben Transversale zu bauen begonnen, der Kronprinz-Rudolf-Bahn, die von Amstetten sich Wiener Neustadt über Waidhofen an der Ybbs nach Selzthal und von dort weiter ins Murtal, nach Villach und etwas später St. Pölten und Tarvis führen sollte. Unmittelbar darauf begannen die Arbeiten an der Nord- gründlich verändert. westbahn von Wien über Hollabrunn und Retz weiter nach Böhmen, um 1870 folgte

212 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 213 Das Helenental bei Baden, um 1900.

eine weitere Linie über Mistelbach nach Brünn/Brno, von Stadlau über Marchegg sollte der nördliche Zweig der Ostbahn die Verbindung nach Pressburg/Bratislava ver- kürzen. 1877 wurde die Hauptlinie der niederösterreichischen Südwestbahnen von Leobersdorf nach St. Pölten (über Berndorf, Kaumberg, Hainfeld, Wilhelmsburg) eröffnet, von der ab 1878 eine Abzweigung nach Lilienfeld und Schrambach führte, die man 1893 bis Kernhof verlängerte.

Eroberung der Landschaft Ab 1880 erfolgte eine weitere Verdichtung des Bahnnetzes, mit Verbindungen zwischen St. Pölten und Tulln bzw. Krems, mit der Kamptalbahn, mit Abzweigungen von der Franz-Josephs-Bahn ab Schwarzenau nach Norden und Süden. In der letzten Phase des Ausbaues des Bahnnetzes setzte man besonders im Gebirge, aber auch im Waldviertel auf Schmalspurbahnen, die oft erst im 20. Jahrhundert fertiggestellt wurden. Heute gibt es nur mehr wenige davon. Zweifellos die attraktivste dieser Schmalspurbahnen ist die Mariazellerbahn. Als niederösterreich-steirische Alpenbahn konzipiert, sollte sie einmal über Guß- werk bis Kapfenberg führen. 1898 wurde die Strecke von St. Pölten bis Kirchberg an der Pielach eröffnet, erst 1904 baute man weiter, 1906 wurde Mariazell erreicht, 1907 begann der fahrplanmäßige Personenbetrieb. Der Bahn war unerwarteter Erfolg beschieden – offensichtlich stiegen die Mariazell-Wallfahrer/innen auf die neue Plakat der Südbahn-Gesellschaft mit Bahn um. Die große Nachfrage führte schnell zu Überlegungen in Richtung eines Stadtansichten und Landschaften entlang elektrischen Betriebes. 1911 wurde die „Elektrisierung“ – so der zeitgenössische Begriff – der Bahnstrecken sowie ihren Hotel- anlagen auf dem Semmering (Mitte) und abgeschlossen, mit eigenem Kraftwerk im Erlauftal. Das bedeutete auch das Ende an der österreichischen Riviera, um 1898. der Holztrift auf der Erlauf.77

214 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 215 Jede neue Bahnlinie war auch Teil einer „Eroberung der Landschaft“ für die Augen und Bauern waren an sich nicht legen“ enorme Ausmaße an. Damit wurde der Aufkauf von Bauerngütern durch das Gemüt naturhungriger Städter. Diese „Eroberung“ gestaltete die Landschaft leicht organisierbar, schon gar wohlhabende, meist Wiener Industrie- und Finanzbarone bezeichnet, die auf diese ebenso um, wie es die Schlote der Fabriken im Industrieviertel oder im Traisental taten. nicht im Streusiedelgebiet. Weise ihre riesigen, meist gerade erworbenen Jagdgebiete arrondierten. Das Wild Zahlreiche Unterkünfte wurden gebaut, riesige Hotels wie das „Panhans“ oder das In allen diesen neuen Organi- sollte Ruhe haben. Man wollte vor allem keine Bauern im Wald mehr sehen. Der Südbahnhotel am Semmering, aber auch Pensionen und Gasthöfe. Das städtische sationsformen spielten daher Gerichtsbezirk Gaming war – neben Gutenstein – jener mit dem am stärksten ausge- Publikum errichtete sich aber auch eigene Häuser, um Sommer- oder Winterfrische in Lehrer, aber auch Pfarrer prägten Verlust an bäuerlichen Wirtschaften in ganz Niederösterreich. In diesen den eigenen vier Wänden zu verbringen. Von bescheidenen Behausungen bis zu oder Kapläne, selbst Kaufleute beiden Gerichtsbezirken gingen, lokal verschieden, zehn bis 23 Prozent der bäuerlichen schlossartigen Villen wurde auf jede erdenkliche Bau- und Stilform zurückgegriffen. eine nicht unerhebliche Rolle. Wirtschaften an den Großgrundbesitz verloren. Fast acht Prozent der Bodenfläche Nur selten kamen sie ohne „alpine“ Zitate aus. Nicht nur die Semmering-Rax-Schnee- des Gerichtsbezirkes Gaming wurden „durch den Großgrund- und Fabrikbesitz auf- berg-Gegend wurde von dieser Bebauung geprägt – man kann ruhig sagen, dass gesaugt“.79 Bis 1922 wurden in Niederösterreich ehemalige Bauerngründe im Ge- man derlei überall finden kann, wohin eine Eisenbahn führte. Damit setzte sich eine samtausmaß von zirka 45.000 Hektar als gelegte Bauerngründe zur Wiederbesiedlung Bewegung fort, die schon im Vormärz in den Vororten Wiens und bis Baden oder angemeldet. Im Bezirk Scheibbs waren es etwa 6.000 Hektar, im Bezirk Lilienfeld Vöslau eingesetzt hatte. Die Städter überformten das Land mit ihren eigenen Vorstel- mehr als 12.000 Hektar, im Bezirk Wiener Neustadt rund 7.500 Hektar (97 Bauern- lungen vom ländlichen Leben, während sie in Wahrheit doch nur ihre Gewohnheiten oder Kleinhäuslergüter), im Bezirk Amstetten 5.600 Hektar. Eine Eisenbahn sollte bis und ihre gesellschaftlichen Verbindungen im Grünen fortzusetzen gedachten.78 möglichst nahe an die Reviere führen. Die Reviere mussten außerdem alpinen Wahrscheinlich die wichtigste und grundlegendste Veränderung für das Charakter haben – nur Hirsche, Gämsen und Auerhähne ließen die Herzen der künfti- städtische Leben waren neue Kanalisations- und Wasserleitungssysteme, mit denen die gen Jagdherren höher schlagen! Die neuen Grundbesitzer erregten Unmut und Seuchengefahr bewältigt wurde. Das Vorbild bot wieder die Hauptstadt, wo endlich Kritik, antiliberale und antisemitische Stimmen wurden hörbar. eine umfassende Kanalisierung durchgeführt und mit den beiden Hochquell-Wasser- leitungen auch die Wasserversorgung auf eine bis heute vorbildliche Weise gelöst Selbsthilfemaßnahmen wurde. Schon hielt die elektrische Energie Einzug. Als erste Stadt der Habsburgermon- In Niederösterreich bemühte sich die 1812 gegründete Landwirtschaftsgesell- archie erhielt Scheibbs 1886 eine elektrische Straßenbeleuchtung. Bereits seit 1883 schaft schon ab dem Vormärz um eine Hebung der Landeskultur. Sie war aber in verkehrte die erste elektrisch betriebene Straßenbahn von Mödling in die Hinterbrühl, erster Linie ein Verein von Gutsbesitzern, Industriellen und Gelehrten. Erst nach 1848 auch die Lokalbahn nach Pressburg/Bratislava wurde noch vor dem Krieg elektrifiziert. wurden Bezirksvereine gegründet, die auch Bauern aufnahmen. Doch das liberale Georg Ritter von Schönerer (1842–1921). Modell des Vereins, wonach sich selbstbewusste Individuen treffen, um gewisse Neue- Das Bild zeigt Schönerer während seines Die Bauern organisieren sich rungen (Düngung, Saatgut, Zuchtvieh, Maschinen und Geräte) zu diskutieren und Aufenthalts im Gefängnis (vier Monate), zu dem er wegen seines tätlichen Angriffs Die Welt der Bauern berührte sich mit jener des Bürgertums kaum. Die Bau- zu erproben, war der Bauernschaft zu wenig. Angesichts der ab 1880 hereinbrechen- auf eine Wiener Zeitung im Jahre 1888 ern hatten ihre eigenen Probleme: In kleinen Gemeinden konnten sie zwar Selbst- den Agrarkrise forderte sie staatlichen Schutz vor der wachsenden Überschuldung, verurteilt worden war. verwaltung spielen, hatten aber nicht die Mittel, die Gemeindeaufgaben wirklich gut Agrarzölle und Subventionen. Die Verschuldung der niederösterreichischen Bauern, zu erfüllen. Das Interesse an dieser Selbstverwaltung war nicht berauschend. Wirt- um 1866 noch unbedeutend, stieg rasant, und damit mehrten sich die Zwangsverstei- schaftlich ging es zunächst ganz gut, die Getreidepreise blieben auch nach 1848 hoch gerungen. Staatlicher Schutz wurde noch lange nicht gewährt. Zwar diskutierte und die Absatzmöglichkeiten günstig. 1868 beseitigten die Liberalen die letzten man unter Ministerpräsident Eduard Taaffe (1879–1893) diverse gesetzliche Maßnah- Begrenzungen, die bis dahin für bäuerliche Besitztümer bestanden hatten. Auch auf men für die Landwirtschaft, umgesetzt wurde aber nur wenig. bäuerliche Güter konnte man jetzt Hypothekarkredite aufnehmen, so viel man Nun setzte man verstärkt auf Selbsthilfe: Die Vereinigung der Betroffenen in eben bekam. Und auch bäuerliche Güter konnten jetzt von jedermann aufgekauft, verschiedenen Genossenschaften galt als wichtigste Lösung. Das Kreditproblem sollten zerteilt oder „filetiert“ werden, wie man heute sagen würde. Neue Berufe kamen auf: Kreditgenossenschaften, das Absatz- und Preisproblem Ein- und Verkaufsgenossen- Neue Berufe kamen auf: etwa etwa der „Güterschlächter“, der überschuldete Bauerngüter aufkaufte und dann schaften lösen. Wanderlehrer des Landes sollten beratend wirken. Auch die Landwirt- der„Güterschlächter“, der wieder stückweise an Interessenten verkaufte. Kurz: Ein richtiger Markt für Bauerngü- schaftsgesellschaft förderte jetzt kleinräumige Organisationen, sogenannte Kasinos, überschuldete Bauerngüter ter entstand, der Immobilien-Kapitalismus war auf dem flachen Land angekommen. die auch mit dem gemeinsamen Ankauf von Betriebsmitteln begannen. Ältere Kredit- aufkaufte und dann wieder Der liberale Optimismus meinte, auf diese Weise würden die tüchtigsten Landwirte genossenschaften wurden ab etwa 1890 zunehmend von Spar- und Darlehenskassen stückweise an Interessenten zum besten Boden kommen – was wiederum der Landwirtschaft insgesamt nützen nach dem preußischen Modell von Raiffeisen abgelöst. Um die Jahrhundertwende verkaufte. Kurz: Ein richtiger würde. Erste Warnungen stießen auf taube Ohren: Ab den 1850er-Jahren war die gründete man genossenschaftliche Lagerhäuser, das erste in Pöchlarn. Das alles spielte Markt für Bauerngüter Zollgrenze zu Ungarn gefallen, nicht nur ungarisches Vieh (wie seit Jahrhunderten), sich bereits im gedanklichen Umfeld von Antisemitismus und katholischer Sozial- entstand, der Immobilien- sondern auch ungarischer Weizen und ungarischer Wein kamen jetzt ungehindert ins reform ab – weder der Liberalismus noch der klassische Konservatismus spielten dabei Kapitalismus war auf dem Land, per Dampfschiff und per Bahn. Der niederösterreichische Weinbau kämpfte eine Rolle. flachen Land angekommen. nicht nur mit dieser Konkurrenz, sondern auch mit der Konkurrenz des untergärigen Bauern waren an sich nicht leicht organisierbar, schon gar nicht im Streu- Bieres, das länger haltbar war und das ganze Jahr über verkauft werden konnte. siedelgebiet. In allen diesen neuen Organisationsformen spielten daher Lehrer, aber Es ist kein Zufall, dass erste Signale über wirtschaftliche Probleme gerade aus Weinge- auch Pfarrer oder Kapläne, selbst Kaufleute eine nicht unerhebliche Rolle. Jedenfalls genden kamen. Der Weinbauer Josef Steininger aus Gobelsburg organisierte im nahm so – langsam – auch die überregionale politische Vernetzung der bäuerlichen März 1868 die erste Bauernversammlung in Krems. Es folgten liberale Organisations- Bevölkerung zu. 1896 wurde ein Landesverband der Landwirte gegründet. Von dessen versuche ohne anhaltendes Echo. Steininger wollte eine Bauernpartei, die weder Viertelsvereinen blieb nach kurzer Zeit nur jener für das Viertel ob dem Wienerwald mit den Konservativen noch mit den Liberalen verbunden sein sollte. Seine Partei lebendig. Er war ein wichtiger Faktor bei der Gründung des Niederösterreichischen ebenso wie eine Zeitung, die er seit 1877 herausgab, nannte er daher „Mittelstraße“. Bauernbundes 1906. Die Bauern, die in Genossenschaften und Vereinen gelernt hatten, 1881 organisierte Steininger mit einigen Bundesgenossen den ersten niederöster- wurden die führenden Kräfte im neuen Bauernbund. reichischen Bauerntag in Wien. Die Initiative blieb aber folgenlos. Die rasche Mobilisierung der bäuerlichen Bevölkerung wollen wir abschlie- Zeitweilig mehr Erfolg hatte Georg Ritter von Schönerer, Gutsherr auf Ro- ßend am Beispiel des Gerichtsbezirkes St. Pölten illustrieren. Um 1850 bestand ein senau im Waldviertel. Schönerer war der Patron mehrerer Bauernvereine und zahl- landwirtschaftlicher Bezirksverein, 1876 wurde das erste Kasino gegründet, 1892 reicher Feuerwehren im Bezirk Zwettl, die er ausgiebig sponserte. Schönerer scheiterte die erste Raiffeisenkasse, 1900 das Lagerhaus der landwirtschaftlichen Genossenschaft letztlich an sich selbst, seiner rabiaten Art und seiner Preußenverehrung. Aber in St. Pölten, 1906 folgte eine Genossenschaftsmolkerei in Obergrafendorf, 1908 eine seinen Anfängen war er populär, und noch das spätere Linzer Programm der Deutsch- Pferdezuchtgenossenschaft. 1910 gab es bereits 18 Raiffeisenkassen mit 1.435 Mitglie- nationalen von 1882 enthielt zahlreiche demokratische und soziale Forderungen. dern, 1911/12 drei Braunviehzuchtgenossenschaften, 1912 28 Kasinos. 1913 hatte die Erst die Hinzufügung des Rassenantisemitismus durch Schönerer selbst (bis 1885) ließ 1906 gegründete Bezirksorganisation des Bauernbundes insgesamt 2.277 Mitglieder.80 das Programm zum Vademecum eines rassistischen Deutschnationalismus werden. Der Bauernbund wurde zum wichtigsten Pfeiler einer neuen, überaus erfolgreichen Inzwischen hatten sich die Probleme der Bauernschaft verschärft. Die Konkur- Partei, der Christlichsozialen. renz aus dem Osten und Nordosten (Mähren) wurde immer massiver spürbar. Ab etwa 1880 sanken die Getreidepreise rapide. In gewissen Berggegenden nahm das „Bauern-

216 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 217 Ein Einbruch der Nachfrage Die Arbeiter organisieren sich Gewerbeinspektoren eingeführt, 1887 folgte das Gesetz über die allgemeine Unfall- führte zumeist zur Die Industrialisierung Niederösterreichs war nach einem raschen Aufschwung versicherung, 1888 jenes über die Krankenversicherung der Arbeiter. Die bisherigen sofortigen Entlassung und in den 1830er-Jahren auch nach 1848 weitergegangen. Mit der Fabrikindustrie Vereins- oder Betriebskassen wurden vielfach in Bezirkskassen umgewandelt, kleine, damit in bittere Not. wuchs die industrielle Arbeiterschaft. Zum Unterschied vom gewerblichen Gesellen leistungsschwache Kassen zunehmend fusioniert. Die St. Pöltener Bezirkskranken- wohnte der Arbeiter nicht (mehr) im Haus des Chefs, sondern in einem eigenen Haus- kasse hatte um 1890 nur 3.500 Mitglieder, 1914 hingegen nach Eingliederung der halt. Wenn es das Einkommen oder eine kleine agrarische Basis erlaubten, konnte meisten Kassen im westlichen Mostviertel schon 26.000. Da konnte man freilich schon der Arbeiter auch heiraten (die Arbeiterin hörte dann meist mit der Fabrikarbeit auf, erheblich bessere Leistungen erbringen. Die erstarkten Kassen waren auch ein trug aber häufig durch Heimarbeit zum schmalen Familieneinkommen bei). Die wichtiger organisatorischer Ansatzpunkt für die junge Sozialdemokratische Arbeiter- Verbindung zu den nicht proletarischen Schichten blieb zunächst durchaus eng. Man partei – nicht wenige ihrer politischen Agitatoren und Abgeordneten waren beruflich war über Verwandt- oder Patenschaften insbesondere mit dem Bürgertum der in der Verwaltung der Krankenkassen tätig. kleineren niederösterreichischen Industrieorte verbunden. Das löste aber das grund- Ausgerechnet in der kleinen Industriestadt Hainfeld an der Gölsen erfolgte sätzliche Problem der Unsicherheit nicht, das mit der Industriearbeit einherging: die Gründung dieser Partei. Durch die Erholung der Wirtschaft waren wieder Ver- Ein Einbruch der Nachfrage führte zumeist zur sofortigen Entlassung und damit in einsgründungen möglich geworden. Der Wiener Arzt Victor Adler setzte sich in der bittere Not. Staatliche Hilfen oder Versicherungen gab es – mit wenigen Ausnahmen, sozialdemokratischen Zeitung „Gleichheit“ für eine Vereinigung der gemäßigten wie im Bergbau – nicht. Auch wo Bruderladen bestanden, die so etwas wie eine be- und der radikalen Richtung der Arbeiterbewegung ein. Seiner Vorarbeit war es zu triebliche Versicherung im Krankheits- oder Verletzungsfall waren, galten ihre Leistun- verdanken, dass sich zur Jahreswende 1888/89 in Hainfeld Vertreter beider Richtungen gen immer nur den Beschäftigten. Staats- oder Selbsthilfe war gefordert. Jedenfalls trafen und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei ins Leben riefen. 1890 folgten mussten sich die Betroffenen zuerst einmal organisieren. Das traditionelle Modell die ersten Maiaufmärsche, nicht nur in Wien. Das Bürgertum reagierte verschreckt, der Gesellenbruderschaft reichte angesichts der instabilen Arbeitsverhältnisse nicht. Militär wurde aufgeboten, die befürchteten Unruhen blieben aber aus. Man musste eigene Vereine gründen. Die Dezemberverfassung 1867 erlaubte das erstmals grundsätzlich, ein Vereins- und Versammlungsgesetz regelte die Details. Sozialdemokraten kämpfen für das allgemeine Wahlrecht Der erste niederösterreichische Arbeiterverein außerhalb Wiens dürfte 1867 Als wichtiges Kampffeld der jungen Sozialdemokratie galt das Feld der Politik – vom Badener Arzt Hermann Rollett in Baden gegründet worden sein. Diesem „Arbei- da konnte man aber nur reüssieren, wenn das Wahlrecht erweitert wurde. Die terbildungsverein“ folgten bald weitere, meist, aber nicht nur, im Industrieviertel. Sozialdemokraten entwickelten sich daher zu entschiedenen Vorkämpfern des allge- Bekannt sind solche aus Wiener Neustadt, Trumau, Korneuburg, Neunkirchen, Krems, meinen und gleichen Wahlrechts. Aber die Sozialdemokratie bestand nicht nur Unterwaltersdorf und Gloggnitz. 1869 folgten Ebergassing, St. Pölten, Teesdorf, 1870 aus ihrer politischen Organisation. Die zweite Säule bildeten die Gewerkschaftsvereine ein zweiter Verein in Wiener Neustadt, 1871 in Perchtoldsdorf, Schwechat, Sollenau, (auch Fachvereine genannt), deren Organisationsprinzip Betrieb und Branche waren. Hainburg, 1872 in Bruck an der Leitha und Stockerau, 1873 in St. Aegyd am Neuwalde Sie waren die Träger der Arbeitskämpfe – zäher Kämpfe um oft nur kleine Errungen- und Stockerau. Die große Krise ab 1873 führte zum Ende der meisten Vereine. Manche schaften, Kämpfe um Lohnerhöhungen, um den arbeitsfreien Sonntag, um eine kürze- wurden behördlich aufgelöst, andere lösten sich selbst auf. Die Krise hatte auch re Tages- und Wochenarbeitszeit. 1896 erregte ein sechswöchiger Streik der Neun- die Spaltung der jungen, damals noch weitgehend an Ferdinand Lassalle orientierten kirchner Fabrikarbeiter die Gemüter. Er endete mit einer Niederlage – noch waren die Bewegung in Gemäßigte und Radikale zur Folge. Verbreitete Arbeitslosigkeit be- Gewerkschaften zu schwach, um ihre Mitglieder über eine so lange Streikphase hin- hinderte jede Organisationstätigkeit. Auch das Auge des Gesetzes wachte scharf – die weg unterstützen zu können. Aber auch ein verlorener Streik führte zu breiter Solidari- Angst vor einer sozialistischen Revolution war durchaus lebendig. Anarchistische sierung und letztlich zu einer Stärkung der Organisationen. Schon erschienen allein Victor Adler setzte sich in Terrorakte wie das Attentat auf den Schuhwaren-Fabrikanten Merstallinger in Wien im Industrieviertel zwei Parteizeitungen – die Wiener Neustädter „Gleichheit“ und das der sozialdemokratischen 1882 oder auf mehrere Polizisten 1884 führten zur zeitweiligen Ausrufung des Aus- „Neunkirchner Volksblatt“. Für die ersten Wahlen in die 1897 neu eingerichtete fünfte, Zeitung „Gleichheit“ nahmezustandes in Wien, Korneuburg und Wiener Neustadt. Erst mit der wirtschaft- Freilich brauchte die Eroberung allgemeine Wählerklasse wurden sozialdemokratische Wählervereine gegründet – für eine Vereinigung der lichen Erholung in den 1880er-Jahren änderte sich das Bild. des Landtages eine gute Weile, vorläufig erfolglos, aber 88.000 Stimmen in Wien und 44.000 in den Landgebieten gemäßigten und der Erste Sozialgesetze, vorbereitet teilweise von den Liberalen, umgesetzt von weil sich die Liberalen verbissen verwiesen auf ein erhebliches Potenzial. radikalen Richtung der der Regierung Taaffe unter Einflussnahme katholischer Sozialreformer aus dem gegen jede Ausweitung Im jungen 20. Jahrhundert wurden vermehrt Arbeitskämpfe ausgefochten – Arbeiterbewegung ein. Vogelsang-Kreis, sollten die Lage der Arbeiterschaft positiv beeinflussen. 1883 wurden des Wahlrechtes wehrten. so allein im Jahr 1903 39 Streiks niederösterreichischer Metallarbeiter. 1905 streikten 400 Arbeiter in der Fischer’schen Weicheisengießerei in Traisen drei Monate lang. Die Erbitterung der Streikenden war so groß, dass 1.000 Mann Militär zur Verhinde- rung von Gewalttaten zum Einsatz kamen. Freilich verflachte die Konjunkturentwick- lung wieder, und damit sanken auch die Chancen auf erfolgreiche Arbeitskämpfe. Dafür konnte die politische Organisation bei den Landtagswahlen 1902 erstmals ein Mandat erringen (in Floridsdorf). Bei den ersten Reichsratswahlen nach dem allgemei- nen (Männer-)Wahlrecht wurden in Niederösterreich (mit Wien) 16 Sozialdemokraten gewählt. 1908 entsandten sie sechs Mandatare in den Landtag, der allerdings noch nach einem veränderten Kurienwahlrecht gewählt wurde. Gleichzeitig verdichtete sich das sozialdemokratische Vereinswesen immer mehr. Von großer Bedeutung für Nieder- österreich wurden insbesondere die Naturfreunde.

Von katholisch-konservativ zu christlich-sozial Trotz der geringen Zahl von Wählern konnten die Liberalen den Landtag lange beherrschen. Sie stellten die meisten Abgeordneten des Großgrundbesitzes, die Vertre- ter der Wirtschaft und der Städte. Katholisch-konservativ waren nicht einmal alle Äbte der großen Stifte, eher schon die Bischöfe sowie einige junge Kapläne und Redak- teure. Trotzdem sollte man die Konservativen, insbesondere einige adelige Herren, die sich an den sozialreformerischen Ideen Kettelers und Karl von Vogelsangs orientier- ten, nicht übersehen. In Schloss Viehofen etwa arbeitete Franz Graf Kuefstein an der berühmten Sozialenzyklika „Rerum novarum“ Leos XIII. mit. Aber die Herren der konservativen Fraktion blieben doch unter sich. Heftigere Töne gegenüber dem herrschenden Liberalismus kamen von Jüngeren wie Josef Scheicher. Scheicher war Victor Adler (1852–1918), Arzt und sozialdemo- Redakteur und Professor am St. Pöltener Seminar. 1891 zog er als einziger Nichtliberaler kratischer Politiker, um 1910. in den Gemeindeausschuss von St. Pölten ein, nachdem er schon 1890 ein Landtags-

218 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 219 Der aus Hannover stammende Der mächtige Kielmansegg Kielmansegg galt als exzellen- Der eigentliche Widerpart der Landtagsmehrheit war aber nicht die Oppositi- ter Verwaltungsfachmann, on, sondern der Statthalter Erich Graf Kielmansegg. Seine Amtszeit währte – mit reformierte die landesfürst- kleinen Unterbrechungen, als er Ministerpräsident war – von 1889 bis 1914. Als Vertre- liche Verwaltung, kümmerte ter des Kaisers konnte der Statthalter jederzeit im Landtag das Wort ergreifen. Heftige sich erfolgreich um die Polemiken im Landtag begleiteten sein wichtigstes Projekt: die Vereinigung Wiens Donauregulierung und die mit den Vororten außerhalb des Gürtels. Die Vertreter des flachen Landes hatten Angst, Regulierung des Wien-Flusses dass Kielmansegg die Verselbstständigung Wiens als reichsunmittelbare Stadt (wie sowie des Donaukanals. Der Triest) betreiben könnte. Damit hätten für die Landesvorhaben Niederösterreichs die dezidierte Gegner Luegers reichen Steuermittel Wiens gefehlt. Schließlich wurde die Stadterweiterung 1890 versuchte, letztlich vergeblich, doch gutgeheißen, der Landtag beschloss aber, dass eine Änderung des Landesgebietes zu verhindern, dass dieser (also die völlige Verselbstständigung Wiens) eine Dreiviertelmehrheit brauchen würde. Wiener Bürgermeister wurde. Gegen die Christlichsozialen konnte man solches daher niemals beschließen. Wien wuchs flächenmäßig von 38 auf 63 Quadratkilometer, die Bevölkerung stieg von 817.000 auf 1,364 Millionen. Der aus Hannover stammende Kielmansegg – die Familie war 1866 mit dem König ins Wiener Exil gegangen – galt als exzellenter Verwaltungs- fachmann, reformierte die landesfürstliche Verwaltung (Statthalterei und Bezirks- hauptmannschaften), kümmerte sich erfolgreich um die Regulierung der Donau, des Wien-Flusses und des Donaukanals. Als dezidierter Gegner Luegers versuchte er, letztlich vergeblich, zu verhindern, dass dieser Wiener Bürgermeister wurde. Die Arbeit der Christlichsozialen konzentrierte sich auf Wien, und auch Luegers „Kommunalsozialismus“ galt ausschließlich der Reichshauptstadt. Aber das Land Niederösterreich schuf unter den Christlichsozialen ebenfalls bedeutende Eine Sitzung des Niederösterreichischen Landtages 1908. Am Wort ist der Wiener Einrichtungen, so die Heil- und Pflegeanstalt am Steinhof, deren Kirche samt goldener Bürgermeister Karl Lueger (stehend). Kuppel bis heute den Ruhm ihres Planers Otto Wagner weithin verkündet. In Am Präsidium ist der Landmarschall Mauer-Öhling wurde zu dieser Zeit ebenfalls eine moderne Pflegeanstalt für Geistes- Prinz Aloys von und zu Liechtenstein (1846–1920) zu erkennen. Gemälde von kranke errichtet. An die Stelle der Ortsarmenhäuser traten ab 1895 Bezirksarmen- Josef Jungwirth. häuser bzw. -altersheime. Krankenhäuser und Kinderheime ergänzten das soziale Programm der Regierungspartei. 1905 kam es zu einer neuerlichen Erweiterung Wiens: Mehrere Gemeinden und Gemeindeteile wurden zum 21. Bezirk – Floridsdorf – mandat errungen hatte. Er gilt mit Karl Lueger und Albert Geßmann als einer der zusammengefasst. bedeutendsten christlichsozialen Agitatoren. Anders als die Altkonservativen war Die niederösterreichische Lehrerschaft polte Albert Geßmann, der wichtigste Scheicher demokratisch eingestellt. Seine sozialreformerischen Ansichten verweisen Organisator der Christlichsozialen, nach Kräften politisch um. Sozialdemokratisch auf Karl Freiherr von Vogelsang. Sein zuweilen abstoßend rüder Antisemitismus oder schönerianisch aktive Lehrer wurden einfach entlassen. Gleichzeitig errichtete schadete weder seinen politischen Erfolgen noch seinem Ansehen. Von 1897 bis 1909 man aber auch zahlreiche Schulneubauten. war er als Mitglied des Landesausschusses (einer Art Landesregierung der autonomen Landesverwaltung) für Gemeindeangelegenheiten, Straßenbau und Gesundheits- 1914–1918: Niederösterreich im Krieg wesen zuständig. Zweifellos ist der Aufstieg der Christlichsozialen in Niederösterreich Kriegserklärung und Mobilmachung als Reaktion auf die Ermordung des auf das Engste mit seinem Wirken verbunden. Scheicher kooperierte mit Robert Thronfolgers und seiner Frau, die ihre letzte Ruhestatt in der Krypta der Pfarrkirche Pattai bei der Gründung des antiliberalen Reformvereins (1882), dem 1886 Ludwig von Artstetten fanden, wurden auch in Niederösterreich begeistert begrüßt. Mit Psenners Christlichsozialer Verein folgte, mit Zweigvereinen in Krems, Neunkirchen klingendem Spiel zogen die Männer in den Krieg. Kurz und erfolgreich sollte er sein. und St. Pölten. Aber schon im Herbst näherte sich die Front nach den Niederlagen der k. u. k. Truppen Freilich brauchte die Eroberung des Landtages eine gute Weile, weil sich die Liberalen verbissen gegen jede Ausweitung des Wahlrechtes wehrten. Immerhin wurden schon 1884 die Landgemeinden von katholisch-konservativen Mandataren vertreten. 1890 errangen die Katholisch-Konservativen gemeinsam mit den Vereinig- ten Christen (also Antisemiten) Luegers und Scheichers schon 22 Mandate. 1896 wurde die Mandatszahl auf 78 erhöht; die folgenden Wahlen gerieten für die Liberalen zum Debakel.81 Christlichsoziale und gemäßigte Deutschnationale (Deutsche Volks- partei) koalierten gegen die Liberalen und Schönerers Extrem-Nationalisten. Neben Erich Graf Kielmansegg, langjähriger Scheicher zogen zwei weitere Geistliche in den Landtagssaal ein. Einer von ihnen und einflussreicher Statthalter von war Matthäus Bauchinger, der als Organisator der Bauernschaft und Genossenschafts- Niederösterreich. gründer Bekanntheit erlangt hatte. Die Landtagswahlen 1902 festigten die Stellung der Christlichsozialen. Mit 45 Mandaten verfügten sie jetzt über die absolute Mehrheit. Auch der erste Sozialdemokrat zog ein: Karl Seitz, der spätere Bürgermeister von Wien.82 Zwar hatte sich das Klima im Landtag verschlechtert, neben den unerfreulich Propagandapostkarte aus dem Ersten rauen Tönen gab es jedoch sachlich Nützliches, so im Schulbau und bei den Wohl- Weltkrieg: k. u. k. Munitionsfabrik in Wöllersdorf. Lithografie, um 1915. fahrtseinrichtungen. Bei den letzten Landtagswahlen vor dem Krieg wiederholten die Christlichsozialen ihren Sieg. Sie gewannen in Wien 43 Mandate, neun in der all- Die Kirche am Steinhof (auch: Kirche gemeinen Klasse außerhalb Wiens, die meisten Stadtmandate und alle Landgemeinde- zum hl. Leopold) wurde von 1904 bis 1907 nach Entwürfen von Otto Wagner erbaut mandate. Die Sozialdemokraten errangen sechs Sitze, davon fünf in Wien. Neue und gilt als eines der bedeutendsten Mandatare waren Julius Axmann, Leopold Kunschak und der spätere Bundespräsident Bauwerke des Wiener Jugendstils. Das Wilhelm Miklas bei den Christlichsozialen, bei den Sozialdemokraten kamen Albert römisch-katholische Kirchengebäude befindet sich auf dem Gelände des Sever und der spätere zweimalige Staatsgründer Karl Renner dazu. 1906 wurde Sozialmedizinischen Zentrums Baum- mit Aloys Prinz Liechtenstein erstmals ein Exponent der Christlichsozialen zum Land- gartner Höhe im 14. Wiener Gemeinde- marschall ernannt (bis 1918). bezirk Penzing.

220 Im Lauf der Zeit 221 Niederösterreich war aber in Galizien den Karpaten. Um Wien wurden Verteidigungsmaßnahmen ergriffen. Die nicht nur ein Land der Kriegs- Bedrohung endete aber im Frühjahr 1915 mit der Schlacht von Gorlice und Tarnów. Zur industrie, sondern auch ein gleichen Zeit wurde Niederösterreich – neben Böhmen und Mähren bzw. Schlesien – Land der Lager. Gefangenen- zum Zentrum der Kriegsindustrie. Besonders in und um Wiener Neustadt konzentrier- lager, zunächst hauptsächlich ten sich große Rüstungsbetriebe. Die Bevölkerung von Wiener Neustadt stieg in kurzer für russische Kriegsgefangene, Zeit auf 70.000 Einwohner/innen, die Munitionsfabrik in Wöllersdorf beschäftigte entstanden in Sigmundsher- bald 50.000 Menschen. Weitere große Rüstungsbetriebe bestanden in Felixdorf berg, Gneixendorf, Wieselburg und Hirtenberg, in Blumau, Berndorf und St. Veit. In St. Pölten entstand eine Torpedo- und Spratzern. fabrik, in Wien waren im Arsenal und in Floridsdorf Rüstungsbetriebe tätig. In den letzten beiden Kriegsjahren kam es hier zu katastrophalen Bränden und Explosionen (Blumau Juni 1917, Wöllersdorf September 1918) mit hunderten Todesopfern, viele von ihnen Frauen. Niederösterreich war aber nicht nur ein Land der Kriegsindustrie, sondern auch ein Land der Lager. Gefangenenlager entstanden, zunächst hauptsächlich für russische Kriegsgefangene, in Sigmundsherberg, Gneixendorf, Wieselburg und Spratzern. Andere Lager, wie jenes bei Gmünd, beherbergten Flüchtlinge, vor allem aus Galizien, später auch aus dem Frontgebiet am Isonzo. Italiener aus dem Trentino, denen man politisch nicht traute, wurden ebenso in Niederösterreich untergebracht. Die Sterblichkeitsraten in diesen Lagern waren vielfach stark erhöht, allein im Lager Gmünd starben etwa 30.000 Personen, in Wieselburg etwa 10.000. Sofort nach Kriegsbeginn kaufte die Heeresverwaltung hektisch alle Lebens- mittelvorräte auf. Das führte in kürzester Zeit zu einer Knappheit an Nahrungsmitteln. Schon im Dezember 1914 wurden Höchstpreise für Getreide und Mehl festgelegt. Ab April 1915 gab es Brot- und Mehlkarten, von 1916 an wurden auch Milch, Kaffee, Zucker, Fett und Kartoffeln, Kleider und Schuhe bewirtschaftet. „Da diese Maßnahmen immer erst dann erfolgten, wenn die Vorräte fast erschöpft waren, hatten sie keine vorsorgende Wirkung.“83 In die Anstrengungen zur Bewältigung des Mangels und der Not wurden sogar die Schulkinder, aber auch ihre Lehrkräfte einbezogen.84 Die Lehrer sollten als Vertrau- Erste Sitzung der provisorischen National- ensmänner bei der Erhebung der Vorräte mitwirken, die bei den Bauern auf wenig versammlung Deutschösterreichs am 21. Oktober 1918 im Niederösterreichischen Gegenliebe stießen. Lehrer mussten auch bei der Brotrationierung, bei der Saaten- Landhaus. Tee über Brennnesseln als Rohstoff für (schlechte) Kleiderstoffe bis zu Kleidung jeder bestandsaufnahme und bei der Sammlung von Metallgegenständen bereitstehen. Die Art wurde alles Mögliche gesammelt (im Oktober 1917 kam dabei fast nichts mehr Schulen dienten als Propagandastellen für die Zeichnung von Kriegsanleihen. Die herein). Im Jänner 1917 wurden die Kirchenglocken abgegeben, im April 1918 die Schulkinder sollten an diversen Sammlungen teilnehmen. Von Brombeerblättern für Orgelpfeifen. Barackenlager für Flüchtlinge 1914/15: Doch der Hunger und die Kälte als Folgen des Kohlenmangels ließen sich „Kartoffelschälerinnen“. nicht mehr bewältigen. Die österreichisch-ungarische Monarchie stand 1918 buchstäb- lich vor dem Zusammenbruch. Das mentale „Durchhalten“ wurde immer schwieriger – zuletzt ließen der Sieg der Deutschen und Österreicher in der 12. Isonzoschlacht (Oktober bis November 1917) und der Friedensschluss mit Russland (April 1918) noch einmal kurz die Hoffnung auf ein erfolgreiches Kriegsende aufblinken. Die Arbeiterschaft in der Kriegsindustrie litt genauso unter dem Hunger wie die gesamte Bevölkerung. Ihre Ernährung wurde zu einem kaum mehr lösbaren Problem. Man erzählte sich, dass auch der Direktor der Munitionsfabrik in Wöllersdorf gezwungen war, Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, da die riesigen Massen von Beschäftigten anders nicht mehr zu ernähren waren.85 Schon drohten Streiks wegen der schlechten Versorgungslage, die ersten brachen in Traisen, Ternitz und Neunkirchen aus. Die Nachricht von der Revolution in Russland verstärkte die Kriegsmüdigkeit. Im Jänner 1918 traten die Arbeiter der Daimlerwerke in Wiener Neustadt in den Streik. Rasch breitete sich die Streikbewe- gung über das ganze Industrieviertel, das Triesting- und Traisental nach Wien, in die Steiermark und bis nach Oberösterreich aus. Der dabei gebildete Wiener Arbeiter- rat sollte 1918/19 noch eine größere Rolle spielen.86 Im Sommer 1918 war die Widerstandskraft der Habsburgermonarchie end- gültig erlahmt, auch die bis dahin bewunderten Deutschen mussten nun ihre Niederlage eingestehen. Es ging zu Ende. Die Totenverluste des Landes, erreichten bis zum Herbst 1918 eine Zahl von mehr als 59.000, davon entfielen 25.000 auf Wien. Sie waren geringer als im Durchschnitt der Monarchie, weil aus den Zentren der Kriegswirtschaft weniger Männer eingezogen worden waren als aus stärker agrarisch geprägten Regionen.87 Ende Oktober begann die Auflösung der k. u. k. Armee, auch im Hinterland ging es drunter und drüber. Am 16. Oktober hatte Kaiser Karl (ohne das zu wollen!) mit seinem Manifest das Signal für die Entstehung neuer Staaten gegeben, am 21. Oktober versammelten sich im Niederösterreichischen Landhaus die deutschen Abgeordneten des 1911 gewählten Abgeordnetenhauses als provisori- sche Nationalversammlung Deutschösterreichs. Am 30. Oktober gaben sie sich eine provisorische Verfassung. Am 5. November konstituierte sich auch eine provi- sorische Landesversammlung. Jedes Ende ist ein neuer Anfang.

222 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 223 Der politische Neuanfang des hungerte. Auf der Suche nach Lebensmitteln überschwemmten „Hamsterer“ die Steiler Absturz, langsamer Aufstieg – Staates wie des Landes erfolgte im umliegenden Bauerndörfer. Die Mangelwirtschaft des Krieges erstreckte sich bis in die Politik und Gesellschaft in Niederösterreich seit 1918 Landhaus der niederösterreichischen frühen 1920er-Jahre. Im Überfluss gab es dagegen Waffen sowie viele Männer, die Stände in der Wiener Herrengasse. nichts anderes als das Kriegshandwerk gelernt hatten. Bürger und Bauern einerseits, Stefan Eminger Schwieriger Start Dort konstituierte sich die provi- Fabrikarbeiter und Lohnabhängige andererseits gründeten paramilitärische Selbst- Der Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 hinterließ ein (Nieder-)Österreich, sorische Nationalversammlung und schutzverbände, die je nach Sichtweise vorenthaltene Lebensmittel requirieren oder dessen Bevölkerung anfangs nicht recht wusste, wie ihr geschah. Eben noch Staats- gründete am 30. Oktober den Plünderungen verhindern sollten. Die schon im Krieg aufgerissenen Gräben zwischen bürger/innen eines 50-Millionen-Großreichs, fanden sie sich in einem 6,5-Millionen- neuen Staat, dort bildete sich am Produzent/innen und Konsument/innen vertieften sich weiter. Bald entwickelten Kleinstaat wieder. Weder stand fest, wie der neue Staat heißen würde, noch waren 5. November 1918 die provisorische sich aus den bewaffneten Gruppen straffer organisierte Wehrverbände der politischen seine Grenzen definiert. Erst der Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye beendete Landesversammlung und schuf Lager, die über weit mehr Waffen und Männer verfügten als die staatlichen Sicher- den Schwebezustand. Er wurde am 10. September 1919 unterzeichnet und trat am das Land Niederösterreich, das heitskräfte und das kleine Bundesheer zusammen. Die mangelnde Achtung vor dem 20. Juli 1920 in Kraft. Die Siegermächte untersagten darin den Anschluss an Deutsch- damals auch Wien miteinschloss. staatlichen Gewaltmonopol sollte sich als ein Hauptproblem der Ersten Republik land und die Führung des Namens „Deutschösterreich“. Die Republik sollte fortan erweisen. „Österreich“ heißen. Der politische Neuanfang des Staates wie des Landes erfolgte im Landhaus Die Hoffnungen der Österreicher/innen auf die Zuerkennung der deutsch- der niederösterreichischen Stände in der Wiener Herrengasse. Dort konstituierte Der Start in die neue Republik sprachigen Gebiete in Südmähren und der westlichen Teile Südböhmens erfüllten sich sich die provisorische Nationalversammlung und gründete am 30. Oktober den neuen war schwierig, die Folgen nicht. Sie waren von der Doktrin des US-amerikanischen Präsidenten Thomas Woodrow Staat, dort bildete sich am 5. November 1918 die provisorische Landesversammlung des Krieges waren unübersehbar. Wilson vom nationalen Selbstbestimmungsrecht der Völker genährt worden, die und schuf das Land Niederösterreich, das damals auch Wien miteinschloss. Die Landes- seitens Österreichs ausschließlich in ethnischem Sinne interpretiert wurde. Woodrow versammlung bestand aus 120 Mitgliedern und setzte sich aus Abgeordneten des Wilson dagegen zielte auf die Bildung wirklich lebensfähiger Staaten ab, was die letzten, 1908 gewählten Landtages und den niederösterreichischen Vertretern des 1911 Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes im Einzelfall nicht ausschloss, bei gleich- gewählten Reichsrates zusammen. Die Männer wählten den Christlichsozialen Leopold zeitiger Forderung nach Wahrung der Minderheitenrechte. So setzte sich die Position Steiner zum Landeshauptmann und stellten ihm Repräsentanten der führenden der tschechischen Verhandler durch, die im Wesentlichen die historischen Grenzen Parteien als Stellvertreter zur Seite: den christlichsozialen Bauern Johann Mayer aus der ehemaligen Kronländer zur Grundlage machten. Dennoch musste Niederöster- Bockfließ im Weinviertel, den sozialdemokratischen Krankenkassenbeamten Albert reich darüber hinaus aus verkehrstechnischen Gründen die Regionen um Feldsberg/ Sever aus Wien sowie den großdeutschen Gastwirt und Postmeister Karl Kittinger aus Valtice (rund 10.000 Personen auf 93 Quadratkilometern) und Gmünd/České Velenice Karlstein an der Thaya. (zirka 8.600 Personen auf 118 Quadratkilometern) an die neu geschaffene Tschecho- slowakei abtreten. Der Nachbarstaat erhielt auf diese Weise den Gmünder Kopf- Trennung von Wien bahnhof der Linien nach Prag und Pilsen/Plzeň sowie bei Feldsberg einen zusätzlichen Die ersten wirklich demokratischen Landtagswahlen beendeten die mehr als Ost-West-Schienenstrang, der bisher auf der Linie Lundenburg/Břeclav–Nikolsburg/ zwei Jahrzehnte andauernde Vorherrschaft der Christlichsozialen im Land. Sie wurden Mikulov über niederösterreichisches Gebiet geführt hatte. nach den Grundsätzen des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts Der Start in die neue Republik war schwierig, die Folgen des Krieges waren für beide Geschlechter am 4. Mai 1919 durchgeführt und bescherten den Sozial- unübersehbar. Die etwa 40.000 Kriegstoten und 38.000 Kriegsversehrten aus Nieder- demokraten die absolute Mehrheit (64 Mandate), gefolgt von den Christlichsozialen österreich fehlten ihren Familien und beim Neuaufbau. Die städtische Bevölkerung (45 Mandate) und den Deutschnationalen (sieben Mandate). Erstmals waren im Niederösterreichischen Landtag auch Frauen vertreten. Außerhalb Wiens handelte es sich bei diesen Pionierinnen sämtlich um Vertreterinnen der Sozialdemokratie: Marie Bock, Sekretärin der Kinderfreunde, Maria Brunner (verh. Kraichel), Beamtin aus Baden, und Katharina Graf, Gemeinderätin von Amstetten. Den sozialdemokratischen Wahlerfolg ermöglicht hatte freilich deren Dominanz in Wien, wo die Partei zu einer der erfolgreichsten Fraktionen der Welt werden sollte. Die Kür des Sozialdemo- kraten Albert Sever bescherte der Linken ihren einzigen Landeshauptmann in Nieder- österreich. Severs Amtszeit währte nur kurz (1919–1921) und blieb vor allem durch zwei Entscheidungen in Erinnerung. Zum einen machte Sever per Verordnung Geschie- denen aufgrund eines Dispenses des Landeshauptmannes die Wiederverheiratung möglich. Diese im Volksmund als „Sever-Ehen“ bezeichneten Eheschließungen wurden von der katholischen Kirche, der Christlichsozialen Partei (CSP) und dem Niederöster- reichischen Bauernbund (NÖBB) erbittert bekämpft. Zum anderen stand Sever für eine unnachgiebige Haltung gegenüber den etwa 25.000 jüdischen Kriegsflüchtlingen aus Galizien in Wien. Er verfügte kurzerhand deren Ausweisung, die allerdings nicht umgesetzt werden konnte. Der Antisemitismus war in den Anfangsjahren der Republik besonders spürbar. Bis 1945 blieb er integraler Bestandteil der politischen Kultur im Land. Die Judenfeindlichkeit war in den Programmen aller nicht sozialistischen Partei- en ausdrücklich verankert. Der Sieg der Sozialdemokraten brachte die Frage einer Trennung der Stadt Wien von Niederösterreich-Land wieder auf die Tagesordnung. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sowohl Liberale als auch Sozialdemokraten in Wien gehofft, dadurch die damalige konservative Landtagsmehrheit abzuschütteln. Nun war es umgekehrt, und insbesondere die mächtigen Bauernbundpolitiker begehr- ten die Trennung. Auch die Christlichsozialen der übrigen Länder drängten darauf, Die Sozialdemokratin Katharina Graf aus zumal ein „rot“ regiertes Niederösterreich (mit Wien) als das weitaus bevölkerungs- Amstetten – eine der ersten weiblichen reichste Gebiet die anderen Länder dominiert hätte. Die Fronten verliefen quer Landtagsabgeordneten in Niederösterreich. durch die Parteien. Die Wiener Christlichsozialen und die niederösterreichischen Sozialdemokraten argumentierten eher gegen eine Trennung, mussten sie doch beide Ausrufung des Staates Deutsch-Österreich ihre Marginalisierung befürchten. vor dem Niederösterreichischen Landhaus, 1918, Gemälde von Maximilian Sie konnten sich gegen ihre Parteifreunde nicht durchsetzen. In der Bundes- Frey, 1948. verfassung vom 10. November 1920 wurde Niederösterreich bereits in zwei weitge-

224 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 225 konsensual. Ein ganz anderes Bild bot sich auf lokaler Ebene. In keinem anderen Bun- desland war politische Gewalt derart verbreitet. Als „heißester Boden“ galten die Region rund um das „Rote Wien“, vor allem der Bezirk Mödling, sowie das Industrie- viertel mit seiner starken sozialdemokratischen Anhängerschaft. Tödlich endete etwa eine Auseinandersetzung zwischen Angehörigen des rechtsextremen Wehrver- bandes „Rheinland“ und sozialdemokratischen Arbeitern in Mödling in der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 1925. Die „Rheinländer“ machten dabei von ihren Schusswaf- fen Gebrauch, schlugen ihre Gegner in die Flucht und verletzten den sozialdemokrati- schen Gemeinderat Leopold Müller durch Spatenhiebe und Messerstiche so schwer, dass dieser wenige Tage später verstarb. Gewalt erzeugte Gegengewalt. Unmittelbar darauf wurde in Mödling ein Nationalsozialist von sozialdemokratischen Arbeitern angegriffen und schwer verletzt. Die Stimmung war derart aufgeheizt, dass am selben Tag ein Student, der fälschlich für einen Nationalsozialisten gehalten wurde, gleichfalls überfallen und erheblich verletzt wurde. Mitglieder des Bundesausschusses des Niederösterreichischen Bauernbundes, Die Lage spitzt sich zu um 1930. Sitzend, 3. und 6. v. li.: Obmann Josef Reither, Landeshauptmann hend autonome Landesteile (Stadt Wien und Niederösterreich-Land) getrennt. Am Der Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 markierte landesweit Karl Buresch, stehend, 1. v. re.: Bauern- 30. November 1920 gab sich Niederösterreich-Land eine eigene Verfassung, einen eine Verschärfung des politischen Klimas. Hintergrund war der Freispruch von Angehö- bunddirektor und Priester Josef Sturm. knappen Monat später folgte Wien. Die endgültige Trennung wurde am 29. Dezember rigen des rechtsextremen Frontkämpferbundes im sogenannten Schattendorfer Darbietung von Arbeiter-Turnern beim 1921 (Trennungsgesetz) beschlossen und trat mit Beginn des Jahres 1922 in Kraft. Prozess. Im Jänner des Jahres waren bei einer Demonstration von Sozialdemokraten Arbeiter-Kreisturnfest in St. Pölten, 1928. Bei den ersten Wahlen zum Landtag von Niederösterreich-Land am 24. April zwei Menschen, darunter ein Kind, erschossen worden. 1921 zeigte sich dann die ganze Stärke der Christlichsozialen auf dem flachen Land. Nach Bekanntwerden des Urteils zogen aufgebrachte Arbeiter demonstrie- Sie errangen die absolute Mehrheit (32 Mandate), gefolgt von den Sozialdemokraten rend in die Wiener Innenstadt, wobei der Justizpalast in Brand gesteckt und die (22 Mandate) und der weit abgeschlagenen Großdeutschen Volkspartei (sechs Redaktionsgebäude der christlichsozialen „Reichspost“ sowie der betont deutschnatio- Mandate). Der Bauernbund saß nun wieder „fest im Sattel“ und stellte mit Johann nalen „Wiener Neuesten Nachrichten“ verwüstet wurden. Die Wucht der Proteste Mayer und Josef Zwetzbacher sowohl den Landeshauptmann als auch einen der überraschte die sozialdemokratische Parteiführung ebenso wie die Wiener Polizei, die beiden Stellvertreter. mit unangemessener Härte gegen die Demonstranten vorging. 89 Tote waren die Der Preis für die klare Mehrheit war indes beträchtlich. Niederösterreich schreckliche Bilanz. Bürgertum und Bauernschaft sahen das Propagandabild des brand- verlor sein jahrhundertealtes Zentrum und seine Hauptstadt, wenn auch der Sitz der schatzenden Proletariers Wirklichkeit werden. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich Landesregierung bis 1997 in Wien verbleiben sollte. Auch finanziell gesehen wurde das warten. Landauf, landab wurden neue Heimwehrgruppen gebildet. Die Militarisierung Land ärmer, büßte es doch seinen potentesten Steuerträger ein. Sozialstrukturell der Gesellschaft trat in ein neues Stadium. Das massenhafte Auftreten der Heimweh- wurde Niederösterreich nun noch stärker zu einem Kleingemeinde- und Bauernland. ren förderte zunächst die Annäherung zwischen dem christlichsozialen Lager und deutschnationalen Gruppierungen. Gegen die „Roten“ rückten die „Bürgerlichen“ nun Zwei politische Sphären Das „Deutsche Haus“ des Deutschen enger zusammen. Turnvereines Laa an der Thaya im Die politische Landschaft in Niederösterreich war zweigeteilt. Im Landtag und Festschmuck anlässlich des Gaujugend- am Land dominierte die Christlichsoziale Partei, beherrscht vom Bauernbund und treffens, 1932. gestützt auf die katholischen Organisationen mit ihrem dichten Netz an Marianischen Jungfrauenkongregationen, katholisch-deutschen Burschenvereinen und christlich- deutschen Turnvereinen. Sämtliche Landeshauptleute der Ersten Republik (Johann Mayer, Karl Buresch, Josef Reither) wie auch alle von den Christlichsozialen gestellten Landeshauptmann- stellvertreter (Josef Zwetzbacher, Reither sowie der Priester Josef Sturm) kamen aus dem Bauernbund und bekleideten dort zumeist Spitzenpositionen. Dieses System des politischen Katholizismus blieb bis 1938 intakt, wenn auch die absolute Mehrheit der CSP 1932 verloren ging. Die meisten größeren Städte und das Industrieviertel waren Hochburgen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). In den wenigen Landgemeinden, in denen sich „rote Inseln“ bilden konnten, stützte sich die Sozialdemokratie vorwiegend auf Eisenbahner. Auch die SDAP kennzeichnete ein dichtes Netzwerk von Vorfeld- organisationen, in das die Parteimitglieder „von der Wiege bis zur Bahre“ eingebunden waren. Die Spitzenfunktionäre der niederösterreichischen SDAP – Karl Renner, Oskar Helmer, Leopold Petznek und Heinrich Schneidmadl – zählten zum rechten Flügel der österreichischen Sozialdemokratie. Die Partei vertraute vor allem auf ihre Stärke in den Gewerkschaften. Mit dem 1923 geschaffenen Republikanischen Schutzbund Das politische Klima in Nieder- verfügte sie über eine straff organisierte Wehrorganisation. Bei Landtagswahlen österreich differierte zwischen erreichte die SDAP stets mehr als ein Drittel der gültigen Stimmen. Landes- und lokaler Ebene. Die betont deutschnationalen Wähler/innen stammten vielfach aus dem Gefördert durch das in der Landes- Bürgertum der Bezirksstädte und Marktorte und waren auf mehrere Parteien zersplit- verfassung festgeschriebene tert: die zunächst noch dominierende Großdeutsche Volkspartei, die Bauernvertretung Proporzsystem, war das Verhältnis „Landbund“ und die NSDAP. Dieses Spektrum war im Waldviertel überdurchschnittlich zwischen den Parteien ins- stark vertreten, wo die von Georg Ritter von Schönerer herrührende radikal deutsch- besondere bis 1927 relativ konsen- nationale Tradition noch spürbar war. Zentrale Institutionen der betont Deutschnatio- sual. Ein ganz anderes Bild bot nalen waren die Deutschen Turnvereine. sich auf lokaler Ebene. In keinem Das politische Klima in Niederösterreich differierte zwischen Landes- und anderen Bundesland war politi- lokaler Ebene. Gefördert durch das in der Landesverfassung festgeschriebene sche Gewalt derart verbreitet. Proporzsystem, war das Verhältnis zwischen den Parteien insbesondere bis 1927 relativ

226 Im Lauf der Zeit ihre selbstständige Kandidatur bei den Nationalratswahlen 1930 bekannt gab, kam es in Niederösterreich zum Bruch. Der Raab-Flügel spaltete sich ab und kandidierte auf einer gemeinsamen Liste mit der CSP. Raab gründete danach eine „christlichsoziale Heimwehr“, die 1932 in den vom späteren Bundeskanzler Schuschnigg geschaffenen Ostmärkischen Sturmscharen aufging. Deren niederösterreichische Teilorganisation wurde vom jungen Bauernbunddirektor Leopold Figl geführt. Der Starhemberg-Flügel der Heimwehr hatte in Niederösterreich 1930 nur sechs Prozent der Stimmen erhalten. Als „NÖ Heimatschutz“ stand er danach unter dem Kommando des Amstettener Rechtsanwaltes Graf Albrecht Alberti. Die Blütezeit der Heimwehr war damals bereits vorüber. Die internen Streitigkeiten gingen weiter, und 1931 erfolgte der Bruch zwischen Alberti und dem Waldviertler Heimatschutz, der sich unter dem Kremser Zeitungsverleger Herbert Faber bald den Nationalsozialis- ten zuwandte. Ungeachtet seiner zahlenmäßigen Schwäche sollte der Heimatschutz auch in Niederösterreich politisch noch eine wichtige Rolle spielen. Die zunächst völlig unbedeutende niederösterreichische NSDAP wurde ab 1927 vom Langenloiser Bundesheeroffizier Josef Leopold geführt. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1932/33 wuchs sie stark an. Mit radikal antisemitischen, antimarxistischen, demokratiefeindlichen und deutsch-völkischen Parolen punktete sie damals vor allem bei den Mitgliedern der Deutschen Turnvereine. Bis 1932 saugte die NSDAP das gesamte betont deutschnationale Wähler/innen-Segment auf. Darüber hinaus war sie im sozialdemokratischen Lager erfolgreich, das seit dem Justizpalast- brand und durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise geschwächt worden war.

Aufmarsch der Heimwehr in Hauptmann Josef Leopold, Fraktionsführer Wahlerfolg der Nationalsozialisten St. Pölten, 5. Mai 1929. der NSDAP im Niederösterreichischen Bei den Landtagswahlen 1932 erreichte die NSDAP 14 Prozent der gültigen Landtag, um 1932. Stimmen und stellte fortan acht Mandatare. Im Waldviertel schnitten die Nationalso- zialisten besonders gut ab, vor allem in Josef Leopolds Heimatregion Krems-Langenlois. Die Hälfte der NS-Mandatare im Landtag stammte aus diesem Raum. Sozialstrukturell gesehen war die NS-Wählerschaft ausgeglichener als jene der Lagerparteien CSP und SDAP. Sie entsprach mehr dem Muster einer „Volkspartei“, allerdings mit einem überdurchschnittlichen Anteil an Angehörigen der Mittelschichten. Die meiste Unterstützung erhielt die NSDAP aus dem Dienstleistungssektor, von Beamten und Angestellten. Anders als in den Bundesländern Wien und Salzburg, in denen 1932 ebenfalls gewählt wurde, blieb die christlichsoziale Wählerschaft in Niederösterreich der NSDAP gegenüber weitgehend immun. Nur jeder 14. NS-Wähler hatte 1930 für die CSP gestimmt, fast jeder vierte kam dagegen von den Sozialdemokraten. Insgesamt hielt sich die Abwanderung für sie dennoch in Grenzen. Gegenüber 1927 büßte die SDAP ein Mandat ein. Der Siegeszug der Nationalsozialisten setzte sich bei den Gemeinderatswah- len 1932/33 fort. Sogar im „roten“ St. Pölten konnten sie kräftig zulegen, wenn auch Plakat von Christlichsozialer Partei und Heimwehr anlässlich die Sozialdemokratie ihre absolute Mehrheit verteidigte. Die St. Pöltner NSDAP unter der Nationalratswahl, 1930. dem Lungenfacharzt Hugo Jury steigerte ihren Mandatsstand von einem auf sechs Sitze und stellte fortan einen Stadtrat. In ihrer Hochburg Krems konnten die National- sozialisten mit den stimmenstärksten Sozialdemokraten mandatsmäßig gleichziehen. Bald aber zeigten sich Risse in der bürgerlichen „Einheitsfront“. Die Heimwehren Aufgrund der Unterstützung durch die Bürgerlichen stellten sie mit Karl Rohrhofer waren gespalten. Eine betont deutschnationale Richtung im Industrie- und Wald- fortan den Bürgermeister. Auch in den Waldviertler Gemeinden Zwettl und Gmünd viertel suchte als eigenständiger politischer Faktor Profil zu erlangen und huldigte sowie in einigen kleineren Orten erlangten sie den Bürgermeistersessel; teils mit immer deutlicher einem faschistischen Programm. Eine eher christlichsozial orientier- bürgerlicher, teils mit sozialdemokratischer Unterstützung. Am 10. Mai 1933 unter- te Fraktion sah sich als Parteigarde der CSP. Ihr Vertreter, der St. Pöltener Bauunter- sagte der mittlerweile diktatorisch regierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nehmer Julius Raab, konnte im September 1928 als Landesführer der niederösterrei- die Abhaltung weiterer Wahlen. chischen Heimwehr installiert werden. Er sollte u. a. die eigenständig operierenden, Nachdem Adolf Hitler Anfang 1933 die Macht in Deutschland ergriffen hatte, betont deutschnationalen Gruppierungen unter Kontrolle bekommen. Der Eintritt versuchten die niederösterreichischen Nationalsozialisten, den Anschluss regelrecht des Niederösterreichischen Bauernbundes mit seinen 100.000 Mitgliedern in die herbeizubomben. Terrorwelle folgte auf Terrorwelle. Als ein Handgranatenüberfall Heimwehr 1929 war auch zur Stärkung der Position Raabs gedacht, die durch seine am 19. Juni 1933 in Krems unter christlich-deutschen Turnern 17 Schwerverletzte und betont deutschnationalen Stellvertreter Hermann Kubacsek und Anton K. Zippe einen Toten forderte, setzte das Regime Dollfuß härtere Maßnahmen. Über Krems unter Druck geraten war. wurde der Ausnahmezustand verhängt. Einheiten des Bundesheeres besetzten alle Trotz innerer Spannungen gelang es der von Mussolini unterstützten Bundes- öffentlichen Gebäude, die Heime von SA, SS und Hitlerjugend sowie das Verlagshaus führung der Heimwehren, die uneinheitlichen Heimwehrgruppen im Frühjahr 1930 Faber. Noch am selben Tag erließ Dollfuß ein Betätigungsverbot für die NSDAP. Im in Korneuburg zu einem gemeinsamen Programm zu verpflichten. Auch Julius Raab, Niederösterreichischen Landtag fassten CSP und SDAP gemeinsam den Beschluss, den Landeshauptmannstellvertreter Josef Reither und andere Landtagsabgeordnete Nationalsozialisten auf Landes- und Gemeindeebene die Mandate abzuerkennen. leisteten am 18. Mai 1930 den „Korneuburger Eid“, der „den westlichen demokrati- schen Parlamentarismus und den Parteienstaat“ verwarf und „an seine Stelle Auf dem Weg in die Regierungsdiktatur die Selbstverwaltung der Stände (…) und eine starke Staatsführung“88 setzen wollte. Der gebürtige Niederösterreicher Engelbert Dollfuß war seit 1932 Bundes- Hitzige Debatten mit den Sozialdemokraten im Landtag waren die Folge, kanzler. Er kam aus der Agrarbürokratie, hatte 1922 die Niederösterreichische Landes- und auch die fragile Einigkeit der Heimwehren war nur von kurzer Dauer. Als die Landwirtschaftskammer mitbegründet und war 1927 deren Direktor geworden. Bundesorganisation des Heimatschutzes unter Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg Auch die Schaffung der Landarbeiterversicherungsanstalt für Wien, Niederösterreich

228 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 229 und Burgenland ging auf seine Initiative zurück; er wurde deren erster Präsident und In einigen Gebieten Nieder- Letztendlich erwiesen sich auch Reither und der Niederösterreichische Bauernbund blieb es bis zu seinem Tode. Am 4. März 1933 hatte Dollfuß den Rücktritt der drei österreichs wurde im Februar nicht als jene Kräfte, die Dollfuß von seinem antisozialistisch-autoritären Kurs Nationalratspräsidenten dazu genutzt, das Parlament auszuschalten. Drei Tage später 1934 dennoch gekämpft – abbringen konnten. Zudem war der gläubige Katholik und bäuerliche Patriarch Reither erfolgte die Einschränkung der Pressefreiheit, Mitte März wurde die Wiedereinberu- in Mödling, Neunkirchen, im von traditionell paternalistischen Gesellschaftsvorstellungen geprägt und konnte fung des Nationalrates durch Kriminalbeamte verhindert. Mit Unterstützung des Ybbs-, Traisen- und Gölsental. wohl einem autoritär-„ständischen“ dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalis- Heimatschutzes, großer Teile der Christlichsozialen, der katholischen Kirche und von Schwere Auseinandersetzungen mus/Liberalismus mehr abgewinnen als einem Bündnis mit der Sozialdemokratie. Unternehmerverbänden begründete Dollfuß eine Regierungsdiktatur, die von ihm trugen sich in St. Pölten zu. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (links) und seinen Anhängern als „Ständestaat“, von seinen linken Gegnern als österreichische Der gescheiterte Aufstand mit den Präsidenten Italiens und Ungarns, Benito Mussolini und Gyula Spielart des Faschismus, als „Austrofaschismus“, bezeichnet wurde. Ende März 1933 Der Aufstand des Republikanischen Schutzbundes am 12. Februar 1934 wurde Gömbös, 1934. wurde der Republikanische Schutzbund verboten, während der Heimatschutz zuneh- von der SDAP-Landesparteiführung nicht unterstützt, im Gegenteil: Helmer, Petznek mend Befugnisse der staatlichen Exekutive erhielt und weiter aufrüstete. Ende Mai und Schneidmadl unternahmen bei Landeshauptmann Reither einen letzten, ver- erfolgten das Verbot der Kommunistischen Partei und die Ausschaltung des Verfas- geblichen Versuch, die bereits begonnenen bewaffneten Auseinandersetzungen zu sungsgerichtshofes. Die christlichsozialen Eliten in Niederösterreich trugen diesen stoppen. Aus der Sicht der kämpfenden Truppe des illegalen Schutzbundes war Kurs letztlich mit, obwohl sich gerade unter ihnen namhafte Befürworter eines „Aus- Niederösterreich mit seinen 103 Bataillonen und nominell knapp 30.000 Mann eine gleichs“ zwischen Sozialdemokratie und CSP befanden. große Enttäuschung. Ausbleibende Einsatzbefehle, bereits im Vorfeld verhaftete Insbesondere der Niederösterreichische Bauernbund, mit Landeshauptmann Kommandanten, fehlender Zugang zu den Waffenverstecken waren nur einige Gründe Reither an der Spitze, war als Gegner des Heimatschutzes und dessen faschistischer dafür, dass lediglich ein kleiner Teil der Schutzbündler – unkoordiniert und isoliert Zielsetzung bekannt. Den niederösterreichischen Sozialdemokraten galt Reither von der Führungsspitze – den Kampf aufnahm. Die als Unterstützung für die Wiener als aufrichtiger Gesprächspartner. Jene wiederum hatten sich im SDAP-Bundespartei- Aufständischen vorgesehenen starken Verbände der „roten“ Hochburg Wiener Neu- vorstand gegen die härtere Linie des Parteitheoretikers Otto Bauer durchgesetzt stadt unter ihrem beim politischen Gegner gefürchteten Kommandanten Josef und inoffiziell sogar den Auftrag erhalten, mit den Christlichsozialen Vermittlungsge- Püchler kamen gar nicht erst zum Einsatz. Den Vorwurf von Parteikollegen, dass Püch- spräche zu beginnen. Ab November 1933 verhandelten die „rechten“ Sozialdemokraten ler seine wenige Tage vor dem Aufstand erfolgte Verhaftung provoziert hätte, konnte Helmer, Schneidmadl und Nationalrat Pius Schneeberger mit Landeshauptmann dieser nie entkräften. Püchler galt in der Sozialdemokratie fortan als „Verräter“, Reither, dessen ehemaligem Stellvertreter Josef Sturm und Nationalrat Josef Kollmann wie die „Arbeiter-Zeitung“ am 12. Februar 1946 schrieb. über Möglichkeiten einer bundespolitischen „Aussöhnung“. In einigen Gebieten Niederösterreichs wurde im Februar 1934 dennoch Dollfuß war dazu aber nicht bereit. Sein Bestreben war es u. a., das weitere gekämpft: in Mödling, Neunkirchen, im Ybbs-, Traisen- und Gölsental. Schwere Ausein- „Ausfransen“ des rechten Randes der CSP zu verhindern, der sich mehr und mehr andersetzungen trugen sich in St. Pölten zu; sie kosteten drei Aufständische das Leben. den Nationalsozialisten zuwandte. Ein Kompromiss mit der Sozialdemokratie war in Ein dort errichtetes Standgericht verurteilte überdies den 26-jährigen Maurergehilfen seinen Augen der beste Nährboden für den Nationalsozialismus. Dollfuß setzte Viktor Rauchenberger und den 43-jährigen Fabrikarbeiter Johann Hoys zum Tode zudem außenpolitisch auf das faschistische Italien als Schutzmacht gegenüber Hitler- durch den Strang. Rauchenberger wurde der Mord am Heimatschutzkommandanten Deutschland und innenpolitisch auf den Heimatschutz. Beide, Mussolini wie der Johann Lintner aus Rohrbach an der Gölsen zur Last gelegt, dem Schutzbundführer Heimatschutz, forderten vehement die Ausschaltung der Sozialdemokratie. Hoys versuchter Mord an Mitgliedern des Heimatschutzes. Die Urteile wurden bereits am 15. Februar vollstreckt. Die Einheitspartei übte vor Die 45-jährige Geschichte der Sozialdemokratie in Niederösterreich war allem auf öffentlich Bedienstete nun offiziell beendet. Noch am 12. Februar 1934 wurde die SDAP aufgelöst, das Partei- erheblichen Gesinnungsdruck vermögen eingezogen, sämtliche sozialdemokratische Mandate wurden für erloschen aus. Arbeitslose Mitglieder erklärt. Am 14. Februar verfügte die Landesregierung die Auflösung der 152 sozialde- der Vaterländischen Front wurden mokratisch geführten Gemeindeverwaltungen. An deren Stelle traten von den Bezirks- bei der Arbeitssuche in der hauptleuten eingesetzte regimetreue Gemeindeverwalter. Die führenden Funktionäre Regel bevorzugt, für Gewerbe- der SDAP, Helmer, Petznek, Schneidmadl und Schneeberger, wurden wie viele andere treibende war eine Mitgliedschaft verhaftet. Die einst für Verständigung eingetretenen Niederösterreichischen Bauern- Voraussetzung, um an öffentliche bündler stellten sich nun hinter die von Dollfuß etablierte Diktatur. Landeshauptmann Lieferaufträge zu kommen. Reither beschuldigte die SDAP, den Bürgerkrieg „15 Jahre lang zielbewusst vorbereitet“89 zu haben. Die bei Dollfuß kritisierte Allianz mit dem faschistischen Heimatschutz ging Reither nun selbst ein. Am 22. Februar wurde der geschäftsführende Stellvertreter Starhembergs im Niederösterreichischen Heimatschutz, Gutsbesitzer Eduard Baar- Baarenfels, als Landeshauptmannstellvertreter installiert.

Die „ständische“ Landesverfassung Am 30. Oktober 1934 verabschiedete der nur noch aus Christlichsozialen und Heimatschützern bestehende Rumpflandtag die neue „ständische“ Landesverfassung. Sie brachte die Reduktion auf 36 Abgeordnete und aufgrund des zentralistischen Charakters der Regierungsdiktatur eine politische Abwertung des Landtages. Ihm gehörten erstmals seit 1919 keine Frauen mehr an. An die Stelle der Parteien trat mit der im Mai 1933 gegründeten Vaterländischen Front (VF) eine gleichgeschaltete Einheitsorganisation. Ihr trat der NÖBB im Frühjahr 1934 geschlossen bei. Die Vater- ländische Front konnte zwar auf beeindruckende Mitgliederzahlen verweisen – 1935 sollen es 700.000 gewesen sein –, ein Indikator für die Zustimmung zum Regime waren sie aber nicht. Die Einheitspartei übte vor allem auf öffentlich Bedienstete erheblichen Gesinnungsdruck aus. Arbeitslose VF-Mitglieder wurden bei der Arbeits- suche in der Regel bevorzugt, für Gewerbetreibende war eine Mitgliedschaft Voraus- setzung, um an öffentliche Lieferaufträge zu kommen. Die halbherzigen Bemühungen des Regimes, die Loyalität der ehemaligen Sozialdemokraten zu erlangen, scheiterten Josef Püchler, Kommandant des Republikani- ebenso wie die wiederholten Versuche, die Nationalsozialisten in „Radikale“ und schen Schutzbundes und Vizebürger- meister von Wiener Neustadt, bei einer „Gemäßigte“ zu spalten und Letztere für die Mitarbeit am Aufbau des neuen Staates Versammlung, 1920er-Jahre. zu gewinnen. Die mit erheblichem Aufwand unternommenen Versuche, erstmals

230 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 231 seit 1918 auf breiter Basis ein integratives Österreich-Bewusstsein zu schaffen, zeitig- Auf dem Weg nach Wien: Adolf Hitlers ten bestenfalls bei der regimetreuen Klientel Wirkung. Bei den anderen Bevölkerungs- Ankunft in St. Pölten, März 1938. gruppen scheiterten sie an den starken Loyalitäten zu den politischen Lagern. Da- rüber hinaus schrieb der „ständestaatliche“ Entwurf einer Österreich-Identität die deutsche Prägung mit seiner Konstruktion der Österreicher/innen als „bessere“, weil katholische Deutsche weiter fort. Das Regime führte einen Zweifrontenkrieg gegen unterschiedlich aktive illegale Bewegungen. War die Kampfkraft der von Deutschland ideell und materiell unterstützten Nationalsozialisten weitgehend ungebrochen, agierte die Sozialdemo- kratie in Niederösterreich deutlich zurückhaltender. Nur ein kleiner Teil der Sozialde- mokraten betätigte sich etwa im Rahmen der illegalen Revolutionären Sozialisten. Manche wandten sich – zumindest vorübergehend – der Kommunistischen Partei zu. Die niederösterreichischen Nationalsozialisten waren am NS-Putschversuch und der Ermordung Dollfuß’ am 25. Juli 1934 nicht beteiligt; dennoch kam es zu erneuten Verhaftungswellen. Immer wieder gelang es den Behörden, die Organisations- strukturen der illegalen Nationalsozialisten zu zerstören, immer wieder rückten neue Kräfte nach. Im weitaus größten Anhaltelager des „Ständestaates“, in Wöllersdorf im Bezirk Wiener Neustadt, waren zwischen Oktober 1933 und März 1938 tausende politische Häftlinge aus ganz Österreich untergebracht. Nach den Februarkämpfen 1934 waren es vor allem Sozialdemokraten, nach der Ermordung von Dollfuß im Zuge des Juliput- sches 1934 füllte sich das Lager zu 90 Prozent mit Nationalsozialisten. Mit insgesamt 5.300 Gefangenen verzeichnete man damals den weitaus höchsten Häftlingsstand. Im Juli 1936 schlossen Österreich und das Deutsche Reich ein Abkommen, mit dem die angespannten Beziehungen zwischen den beiden Staaten verbessert werden sollten. Eine Folge dieses auf Druck Hitlers zustande gekommenen „Juliabkommens“ war die Vergrößerung des politischen Bewegungsraums der Nationalsozialisten. Ab Ende 1936 befanden sich stets mehr Sozialdemokraten und Kommunisten in Wöllers- dorf als Nationalsozialisten. Die Unterwanderung der VF mit Sympathisanten und Mitgliedern der NSDAP nahm weiter zu. In der Landesregierung entpuppte sich der Heimatschützer Julius Kampitsch als Sympathisant der NSDAP. Als Nachfolger Baar-Baarenfels’ im November 1935 in die Regierung gelangt, hatte sich der Hotelier aus Payerbach nach dem „Juliabkommen“ den Nationalsozialisten zugewandt und pflegte fortan Kontakte zum illegalen Landesleiter der NSDAP in Österreich, Josef Leopold.

Die Dämme brechen – Niederösterreich im Frühjahr 1938 Am Abend des 11. März 1938 beugte sich Bundeskanzler Kurt Schuschnigg dem Druck Hitlers und verkündete via Radio seinen Rücktritt. Auch in Niederösterreich schienen nun Dämme zu brechen. Innerhalb kürzester Zeit waren die Straßen der Städte voll mit begeisterten Menschen; allenthalben wurden Fackelzüge organisiert, vielerorts übernahmen bereits jetzt, Stunden vor dem Einmarsch der Deutschen Häftlinge im Anhaltelager Wöllersdorf, Wehrmacht, Angehörige der NSDAP die Kontrolle über die Gemeindegeschäfte. undatiert. Vor dem Niederösterreichischen Landhaus wehte bereits die Hakenkreuz- fahne. Julius Kampitsch amtierte für wenige Stunden als Landeshauptmann, um dann wieder als Stellvertreter zu fungieren. Der neue starke Mann in Nieder- österreich war der 29-jährige Rechtsanwaltsanwärter aus Spitz an der Donau Roman Jäger. Der vormals illegale NS-Gauleiter von Niederösterreich vereinte nun die parteiamtliche mit der öffentlich-rechtlichen Spitzenposition und war bis Mai auch Landeshauptmann von Niederösterreich. Während die einen jubelten, sahen sich die anderen Terror und Verfolgung ausgesetzt. Nationalsozialistische Funktionäre, Parteigänger und Sympathisanten wüteten in den Tagen des „Anschlusses“ vielerorts auch ohne Auftrag. Sie nahmen vermeintliche und tatsächliche Gegner/innen des Nationalsozialismus in „Schutzhaft“, beschmierten und verwüsteten sogenannte „Judengeschäfte“, misshandelten und demütigten deren Inhaber/innen. Gemeinsam mit dem Wirken der Gestapo erzeugten sie vor allem in den regimekritischen und rassisch diskriminierten Kreisen der Be- völkerung ein Klima der Angst. Oppositionelle Strömungen sollten so im Vorhinein verhindert, Juden und Jüdinnen zur Auswanderung gezwungen werden. Wenige Tage nach dem „Anschluss“ wurden in Wiener Neustadt und St. Pölten Außenstellen der Leitstelle Wien der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) errichtet. Wiener Neustadt war für die „politische Gegnerbekämpfung“ im Industrie- und Wein- viertel, St. Pölten für jene im Most- und Waldviertel zuständig. Nach der Annexion des „Sudetenlandes“ erhielt Niederdonau mit Znaim/Znojmo eine dritte Außenstelle; Juden werden beim „Anschluss“ in die räumlichen Kompetenzen wurden neu verteilt. Der kurzfristige Leiter der Laa an der Thaya gezwungen, Parolen des Außenstelle St. Pölten, Johann Sanitzer, galt als einer der effizientesten Täter der Schuschnigg-Regimes zu entfernen.

232 Im Lauf der Zeit Zeit und Geschichte 233 Leitstelle Wien. Der 1904 in Hundsheim, Bezirk Bruck an der Leitha, geborene Gestapo- Bald nach dem „Anschluss“ tigten, welche die Kriegswirtschaft am Laufen hielten und die Nahrungsmittelver- Beamte war seit 1931 Mitglied der NSDAP, Teilnehmer am NS-Juliputsch 1934 und organisierten die National- sorgung der einheimischen Bevölkerung sicherstellten. Im Mai 1944 war fast jede berüchtigt für seine rücksichtslose Vorgangsweise. sozialisten mit tatkräftiger dritte Arbeitskraft in Niederösterreich zwangsweise beschäftigt. Zivile ausländische Die Gestapo war u. a. für die Deportationen in die Konzentrationslager des Unterstützung von Teilen Arbeitskräfte, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und gegen Kriegsende auch ungarische „Dritten Reiches“ verantwortlich. Am 2. April 1938 kam der erste Transport österreichi- der örtlichen Bevölkerung die Juden und Jüdinnen hatten im gesamten Gaugebiet die fehlenden Arbeitskräfte scher Häftlinge im KZ Dachau an. Er umfasste führende Repräsentanten des ver- Ausplünderung, Verfolgung unter oft unmenschlichen Bedingungen zu ersetzen. gangenen Regimes, Juden und Sozialdemokraten. Neben Landeshauptmann Reither und Aussonderung von Juden, Die zumindest partielle Übereinstimmung der Vorurteile eines Großteils und dem Direktor des Niederösterreichischen Bauernbundes, Leopold Figl, befanden Sinti und Roma sowie „Asozialen“. der Bevölkerung mit den Zielen der NSDAP machten die monströsen Verbrechen sich auch Landesrat August Kargl aus Langenlois sowie der Kommandant des gegen die Menschlichkeit erst möglich. Bald nach dem „Anschluss“ organisierten die Anhaltelagers Wöllersdorf, Gendarmeriemajor Emanuel Stillfried, in diesem Transport. Nationalsozialisten mit tatkräftiger Unterstützung von Teilen der örtlichen Bevölke- Selbst diktatorische Regime können nicht ganz ohne Zustimmung der rung die Ausplünderung, Verfolgung und Aussonderung von Juden, Sinti und Roma Bevölkerung auskommen. Das NS-Regime ließ sich mit einer „Volksabstimmung“ am sowie „Asozialen“. Im Zusammenspiel von Parteiorganisationen, Treuhändern, 10. April 1938 seine Herrschaft von der „deutsch-arischen“ Bevölkerung bestätigen. kommissarischen Verwaltern, Gutachtern und „Ariseuren“ besorgte das Sonder- Politische Gegner/innen, „Juden“ und „Zigeuner“ waren von der Teilnahme ausge- dezernat IVd-8 als „Arisierungsbehörde“ des Reichsgaues die Enteignung der jüdischen schlossen. Das Regime erreichte auch öffentlichkeitswirksame Erklärungen prominen- Bevölkerung. Der NS-Staat war dabei der Hauptnutznießer, der sich über Gebühren ter Persönlichkeiten aus Kirche und Arbeiterschaft. Der Wiener Kardinal Theodor und Abgaben einen Großteil des geraubten Vermögens sicherte. Die jüdische Bevölke- Innitzer und die österreichische Bischofskonferenz wie auch die führenden Repräsen- rung wurde entweder zur Auswanderung gezwungen oder in bestimmten Wiener tanten der niederösterreichischen Sozialdemokratie, Karl Renner und Heinrich Bezirken ghettoisiert. Ab Ende 1941 wurde sie dann zumeist in die Vernichtungslager Schneidmadl, konnten auf diese Weise für die Legitimierung des „Anschlusses“ gewon- im besetzten Polen deportiert. Die Bilanz der NS-„Judenpolitik“ spricht eine deutliche nen werden. Gleichzeitig überrollte eine noch nie da gewesene Propagandalawine Sprache. Hatten sich 1934 in Niederösterreich noch 7.716 Personen zur jüdischen das Land. Die „Abstimmung“ erfolgte in einem Klima von Überwachung und politischer Religion bekannt, waren es 2001 nur noch 399. Druckausübung mitunter sogar öffentlich. 99,85 Prozent der gültigen Stimmen laute- ten auf „Ja“, lediglich 1.491 Personen stimmten mit „Nein“. NS-Vernichtungspolitik am Beispiel „Zigeuner“ und „Erbkranke“ Das Niederösterreichische Landhaus Die Diskriminierung der sogenannten „Zigeuner“ (Roma, Sinti, Lovara) hatte mit NS-Hoheitszeichen, um 1940. Niederösterreich wird Niederdonau Im Herbst 1941 erfolgte lange vor dem „Anschluss“ begonnen. In der Zwischenkriegszeit wurden diese Men- Die Nationalsozialisten begannen rasch und kompromisslos mit der Um- der Auftakt zur „Endlösung schen in speziellen „Zigeunerkatastern“ erfasst, der damals entwickelte „Zigeuner“- gestaltung des Landes. Aus dem Bundesland Niederösterreich wurde der Reichsgau der Zigeunerfrage“. Auf Begriff bildete die Grundlage für die Verfolgung der Bevölkerungsgruppe im NS-Staat. Niederdonau, der ab 1940 den Reichsministerien in Berlin direkt unterstellt war. Anordnung des Reichsführers Nach dem „Anschluss“ wurden die „Nürnberger Gesetze“ auch auf Roma und Sinti Abermals wurde die Spitze ausgetauscht. Der unerfahrene Gauleiter und Landeshaupt- SS und Chefs der Deutschen angewendet, die damit zu Staatsangehörigen zweiter Klasse wurden. Ab Mai 1938 war mann Roman Jäger wurde Ende Mai 1938 durch den deutlich älteren Hugo Jury Polizei, Heinrich Himmler, allen „Zigeunerkindern“ der Schulbesuch untersagt; Eheschließungen zwischen aus St. Pölten ersetzt. Jury war vor dem „Anschluss“ Stellvertreter des österreichischen wurden Roma und Sinti aus „Zigeunern“ und „Ariern“ wurden verboten. In Niederdonau konzipierte der spätere Landesleiters Josef Leopold und in der ersten NS-Regierung Österreichs kurzfristig ganz Österreich nach Polen Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP-Gauleitung Bernhard Wilhelm Sozialminister gewesen. Im Herbst 1938 musste Julius Kampitsch seinen Posten deportiert und ohne Aus- Neureiter die Grundlinien für die „Beseitigung der Zigeunerfrage“. Impulsgebend räumen. Er war manchen Nationalsozialisten als Opportunist verdächtig und wurde nahme im Vernichtungslager wirkten auch die Gemeinden, die für die Versorgung der etwa 2.400 „Zigeuner“ in von dem Reichsdeutschen Karl Gerland abgelöst. Chełmno/Kulmhof mit Gas Niederdonau zuständig waren. Bis 1939 wurden etwa 300 Männer und Frauen aus Niederösterreichs Grenzen wurden in der NS-Zeit verändert wie seit Jahrhun- getötet. Niederdonau in die KZ Dachau und Ravensbrück verschleppt. Mit Kriegsbeginn wurde derten nicht. Mit Wirkung vom 15. Oktober 1938 erfolgte die Eingliederung des die „Zigeunerpolitik“ abermals verschärft. Roma und Sinti durften ihren Aufenthalts- Nordburgenlandes mit den Bezirkshauptmannschaften Neusiedl am See, , ort nicht mehr verlassen und wurden „bis zu ihrem endgültigen Abtransport“90 in Mattersburg und Oberpullendorf, während dem Reichsgau Wien 97 ehemals niederös- Sammellager verbracht. Das größte dieser Lager im gesamten Deutschen Reich wurde terreichische Randgemeinden zugeschlagen wurden. Darüber hinaus wurde Nieder- im November 1940 im Reichsgau Niederdonau errichtet. Es befand sich in einem Der Bürgermeister und der Orts- gruppenleiter von Wolkersdorf bei der donau um die südmährischen Bezirke Neubistritz/Nová Bystřice, Auspitz/Hustopeče, ehemaligen Gutshof im vormals burgenländischen Lackenbach (Landkreis Oberpullen- „Volksabstimmung“ vom 10. April 1938. Mährisch-Krumau/Moravský Krumlov, Znaim/Znojmo und Nikolsburg/Mikulov dorf). In den Ställen und Scheunen fristeten dort ein Jahr später etwa 1.850 Roma und sowie um Theben/Devín und Engerau/Petržalka bei Pressburg/Bratislava erweitert. Sinti aus Niederdonau und etwa 500 aus anderen Reichsgauen unter primitivsten Auch das 1919 an die Tschechoslowakei abgetretene Gebiet bei Gmünd kam zu Umständen als Zwangsarbeiter/innen ihr Dasein. Im Herbst 1941 erfolgte der Auftakt Niederdonau. Mit der NS-Hochburg Krems sollte das Land eine Gauhauptstadt bekom- zur „Endlösung der Zigeunerfrage“. Auf Anordnung des Reichsführers SS und Chefs men. Krems wurde mit einem eigenen Statut ausgestattet, das Stadtgebiet um die der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, wurden Roma und Sinti aus ganz Österreich angrenzenden Städte Stein und Mautern sowie um weitere 15 Gemeinden erheblich nach Polen deportiert und ohne Ausnahme im Vernichtungslager Chełmno/Kulmhof erweitert. Die Umsetzung der großflächigen Ausbauplanungen wurde durch den Angehöriger der Wiener Kriminalpolizei mit Gas getötet. Im Frühjahr 1943 setzte die letzte Deportationswelle ein. Ziel war bei der Bewachung der ins Lager bald vom Zaun gebrochenen Krieg aber vereitelt. Lackenbach verbrachten Roma-Familien, das „Zigeunerfamilienlager“ im Sektor Birkenau des KZ Auschwitz. Nach Aussonderung Der Veränderungsanspruch der Nationalsozialisten war umfassend und total. 1940. der noch arbeitsfähigen Häftlinge wurden dort sämtliche Insass/innen in einer Er betraf sämtliche Bereiche des Landes und seiner Bevölkerung. Angestrebt wurde die einzigen Nacht (2. auf 3. August 1944) in Gaskammern ermordet. Schätzungen gehen Schaffung einer dem „Führer“ ergebenen „Volks-, Kultur- und Schicksalsgemeinschaft“ davon aus, dass 80 bis 85 Prozent der (nieder-)österreichischen Roma und Sinti die der „deutsch-arischen“ Bevölkerung, und zwar unter „Ausmerzung“ all jener, die nicht NS-Zeit nicht überlebt haben. den rassistischen, sozialen und politischen Vorstellungen der Nationalsozialisten Als „gemeinschaftsfremd“ wurden vom NS-Regime auch körperlich und entsprachen. Die zynische Strategie der Förderung der „Volksgenossen“ auf Kosten der geistig behinderte Menschen stigmatisiert. Bei deren Verfolgung waren die NS-Behör- „Gemeinschaftsfremden“ bei Ausplünderung der eroberten Gebiete Osteuropas den ebenfalls auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen. Grundsätzlich waren sicherte die teils widerwillig duldende, teils begeistert unterstützende Loyalität von alle „Volksgenossen“ verpflichtet, sogenannte „Erbkranke“ zu melden. Das galt insbe- Wehrmacht und Bevölkerung – bis zur totalen Niederlage. sondere für Hebammen, Fürsorgerinnen, Krankenschwestern, Gemeinde-, Amts- Das nationalsozialistische Aufbauprogramm in Industrie und Landwirtschaft oder Schulärzte, für Lehrerkräfte oder das Pflegepersonal in Altenheimen. Schulleiter beseitigte innerhalb kürzester Zeit die grassierende Arbeitslosigkeit; dass es die und Bürgermeister hatten entsprechende Listen zu erstellen und an die „Gesund- Schaffung einer Kriegswirtschaft zum Ziel hatte, interessierte zunächst noch wenige. heitsämter“ der Landräte (das waren die ehemaligen Bezirkshauptmannschaften) Rüstungskonjunktur und Krieg machten aus der Arbeitslosigkeit bald einen Arbeits- weiterzuleiten. Viele taten es nicht und meldeten „Fehlbericht“, andere aber füllten kräftemangel, der durch Einberufungen zur Wehrmacht noch verschärft wurde. die Formulare penibel aus. Für die Betroffenen konnte ihr Name auf so einer Liste den Der NS-Staat begegnete diesem Problem mit der massenhaften Beschäftigung auslän- Anfang ihres Endes bedeuten. Im Rahmen der von Berlin aus zentral gesteuerten discher Zwangsarbeiter/innen, die im Verlauf des Krieges mit immer brutaleren Aktion „T4“ wurden allein aus der „Heil- und Pflegeanstalt“ Gugging 675 Menschen in Mitteln ins Land geholt wurden. Spätestens 1943 waren es diese zwangsweise Beschäf- das Schloss Hartheim bei Linz in Oberdonau gebracht und dort vergast. Aufgrund

234 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 235 Bei der Aufdeckung von Bevölkerung mit dem Regime fast bis zur totalen Niederlage. Die Befreiung von der Widerstandsgruppen spielten NS-Herrschaft erfolgte nicht durch einen Aufstand der Bevölkerung, sondern durch gezielt eingeschleuste sowjetische Truppen im April 1945. Spitzel der Gestapo, sogenann- te V-Leute, eine verderbliche Befreiung und Besatzung im Jahr 1945 Rolle. Die Gruppe um den Die Befreiung im Frühjahr 1945 brachte für weite Teile der Bevölkerung nicht charismatischen Klosterneu- die erhoffte Erleichterung. Die Freude über das Ende von Krieg und NS-Herrschaft burger Augustiner-Chorherrn war vor allem in den östlichen Landesteilen mit Unsicherheit und der Angst vor den Roman Karl Scholz etwa sowjetischen Soldaten verbunden. Bereits ab Ende 1944 überzogen zahllose Trecks von wurde von Otto Hartmann, Flüchtlingen, Vertriebenen und Soldaten das Land. Ende März wurde Niederösterreich einem Burgschauspieler, Frontgebiet; Wehrmacht und Waffen-SS leisteten in manchen Regionen erbitterte verraten. Gegenwehr. Nach dem Sieg der Roten Armee wurde geplündert, geraubt, gemordet. Im Osten Niederösterreichs standen unzählige Vergewaltigungen auf der Tagesordnung. In den Dörfern und Städten entlang der zerbombten Hauptverkehrsstraßen jagte eine Einquartierung die nächste. Das Überleben organisierten in diesen Tagen vor allem Der Augustiner-Chorherr Roman Karl Scholz aus Klosterneuburg wurde 1944 die Frauen. Zwischen Davonlaufen und Verstecken sicherten sie gemeinsam mit hingerichtet. Alten und Kindern die Existenz der Familien. Erst im August 1945 kam es zu einer partiellen Entspannung der Situation. Die Sowjets halbierten ihre Truppenstärke auf 200.000 Mann. Die Kommandanten der Roten Armee griffen bei Ausschreitungen öffentlicher Proteste, vor allem vonseiten der katholischen Kirche, brach Hitler zunehmend härter durch, die ersten Heimkehrertransporte trafen ein. die Aktion im Sommer 1941 ab; die Tötungen aber gingen in den einzelnen Anstalten Die NS-Elite versuchte sich in den Westen abzusetzen. Sie fürchtete die Rache als „wilde Euthanasie“ weiter. Viele Ärzte und ein erheblicher Teil des Pflegepersonals der Sowjets, deren Heimat sie gemeinsam mit der Wehrmacht in einem rassistischen wirkten daran durch systematische Vernachlässigung der Patient/innen mit. Noch Angriffskrieg in Schutt und Asche gelegt hatte. Der Gauleiter und Reichsstatthalter weiter ging der Klosterneuburger Arzt Emil Gelny, der ab 1943 als Direktor aller Hugo Jury nahm sich am Tag des offiziellen Kriegsendes, am 8. Mai 1945, in Zwettl das „Heil- und Pflegeanstalten“ in Niederdonau fungierte. Er war für den Tod von mindes- Leben. Dem als Kriegsverbrecher gesuchten Massenmörder Emil Gelny gelang die tens 600 Personen in Gugging und Mauer-Öhling direkt verantwortlich. Noch knapp Flucht über Syrien in den Irak, wo er wieder als Arzt praktizierte und vermutlich 1961 vor Kriegsende, im April 1945, tötete er in Mauer-Öhling mit einem selbst umge- in Badgad verstarb. Der Gestapo-Spitzel Otto Hartmann schlug sich zu Kriegsende bauten Elektroschockgerät 150 Menschen. Die Effizienz dieses Instrumentes hatte nach Tirol durch, wo er zunächst seine Aufnahme in die Kriminalpolizei erwirkte, dann Gelny bei einer Tagung im Sommer 1944 in Gugging vor Direktoren von Heil- und aber verhaftet und Ende 1947 vom Volksgericht Wien zu lebenslanger Haft verurteilt Pflegeanstalten aus dem ganzen Deutschen Reich mit der Ermordung eines Kranken wurde. Zehn Jahre später kam er im Zuge der NS-Amnestie frei. Er verstarb 1994 in demonstriert. Wien. Der hoch dekorierte ehemalige Leiter der Gestapo-Außenstelle St. Pölten, Johann Trotz aller Bemühungen um Geheimhaltung drangen Informationen über die Sanitzer, flüchtete nach Salzburg. Er wurde dort verhaftet, konnte sich aber eine Zeit Krankenmorde an die Öffentlichkeit. Anders als im Falle der Verfolgung von Jüdinnen lang beim US-amerikanischen Geheimdienst CIC interessant machen. Zurück in Wien, und Juden, Roma und Sinti erhoben vor allem Vertreter der katholischen Kirche wurde er vom Volksgericht Anfang 1949 wegen Quälereien und Misshandlungen in ihre Stimme. Die wohl schärfste Verurteilung der „Euthanasie“ in Österreich stammte zahlreichen Fällen zu lebenslänglichem schweren Kerker verurteilt. Bald nach Sanitzers vom St. Pöltener Diözesanbischof Michael Memelauer. In seiner Predigt am Silvester- Das Überleben organisierten in Ankunft in der Justizanstalt Stein an der Donau holte ihn die sowjetische Besatzungs- abend 1941 fand er unmissverständliche Worte: „Vor unserem Herrgott gibt es kein diesen Tagen vor allem die Frauen. macht ab, um ihn in eine Haftanstalt nach Moskau zu bringen. Er wurde dort verhört unwertes Leben. (…) es ist und bleibt ein Eingriff in die hl. Gottesrechte und eine Zwischen Davonlaufen und und verübte einen Selbstmordversuch. Gleichzeitig gab es Gerüchte, dass er sich mit Verletzung der natürlichen Menschenrechte, einem Menschenleben gewaltsam ein Verstecken sicherten sie gemein- den Sowjets irgendwie hatte arrangieren können. Sanitzer kam 1955 nach Österreich Ende zu machen.“91 sam mit Alten und Kindern zurück und wurde trotz Protesten von NS-Opfern im Jahr darauf von Bundespräsident die Existenz der Familien. Theodor Körner begnadigt. Er starb 1957 in Salzburg. Im Widerstand Eine erste Bilanz des Krieges zeigte, dass Niederösterreich von den Zerstörun- Der politische Widerstand war zunächst nach parteipolitischen Richtungen gen überdurchschnittlich stark betroffen war. Mehr als ein Drittel aller Kriegsschäden gegliedert; gegen Kriegsende traten überparteiliche Widerstandsgruppen hervor. und mehr als 70 Prozent der Bauschäden der Industrie des gesamten Bundesgebietes Auch in Niederdonau wurde der Widerstand überwiegend von Kommunisten getragen. befanden sich in Niederösterreich. Fast 700 zerstörte Brücken, darunter sämtliche Sie hatten auch die höchsten Opferzahlen zu beklagen. Viele Verurteilungen und Donaubrücken, und ein durch Bombardements verwüstetes Straßennetz behinderten Zeitungsbericht über den als Kriegs- Hinrichtungen erfolgten wegen Spendenleistungen für die KPÖ oder für die „Rote verbrecher gesuchten „Euthanasie“-Arzt das Fortkommen. 7.500 Wohnungen waren total, 13.500 schwer und über 25.000 Hilfe“. Die Verbreitung regimekritischer Schriften war lebensgefährlich. Zellen des Emil Gelny. leicht beschädigt, das Industriezentrum Wiener Neustadt lag in Trümmern. Große Not kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstandes befanden sich in den Vertriebenentreck Berndorf, 1945. Großbetrieben des Industrieviertels, in der Region St. Pölten sowie bei der Deutschen Reichsbahn. Bei der Aufdeckung von Widerstandsgruppen spielten gezielt eingeschleuste Spitzel der Gestapo, sogenannte V-Leute, eine verderbliche Rolle. Die Gruppe um den charismatischen Klosterneuburger Augustiner-Chorherrn Roman Karl Scholz etwa wurde von Otto Hartmann, einem Burgschauspieler, verraten. Als Agent Provocateur hatte er die Gruppe zu immer waghalsigeren Aktionen animiert. Scholz und seine auf 100 Mitglieder angewachsene Gruppe wurden 1940 verhaftet. Vier Jahre später wurde Scholz wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet. Gegen Ende seiner Herrschaft steigerte sich das NS-Regime in einen Blut- rausch. In aller Eile wurden die acht Außenlager des KZ Mauthausen (St. Valentin, Amstetten I und II, Melk, St. Aegyd am Neuwalde, Hirtenberg, Wiener Neustadt I und II) und die zahlreichen Lager ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter/innen in Nieder- donau geräumt, die Häftlinge vielfach in regelrechten Todesmärschen nach Mauthau- sen getrieben. Mitglieder von SS, Volkssturm und Angehörige örtlicher Partei- dienststellen verübten noch in den letzten Wochen zahlreiche Massaker. Trotzdem hielt der durch Repression, Propaganda und Terror verstärkte Grundkonsens der

236 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 237 Der als rückständig wahr- Landespolitik verschlechterte sich. Obwohl die KPÖ laut Verfassung darauf keinen genommene ländliche Anspruch hatte, erhielt sie einen Sitz in der Landesregierung. Laurenz Genner wurde Raum sollte an städtische Landesrat; die Besatzungsmacht übte durch ihn eine gewisse Kontrolle aus. Als Standards herangeführt Hauptgeschädigte des Krieges machte die Sowjetunion ihren Anspruch auf Reparati- werden. Großen Nachhol- onsleistungen geltend. Bereits vor den Wahlen hatte sie die Erdölindustrie und die bedarf hatte Nieder- Donaudampfschifffahrtsgesellschaft in ihren Besitz gebracht. Mitte 1946 übernahm sie österreich im schul- und das gesamte ehemalige „Deutsche Eigentum“ und kontrollierte über die USIA (Ver- kommunalpolitischen waltung der sowjetischen Vermögenswerte in Österreich) etwa 30 Prozent der Indus- Bereich. Niederösterreich triebetriebe Niederösterreichs. Bisweilen arbeitete dort ein Viertel der Industrie- war das Land der beschäftigten des Landes. Die Arbeiter/innen waren dem Druck der sowjetischen Kleinstgemeinden und Propaganda in besonderem Maße ausgesetzt und überwiegend in kommunistischen der Kleinstschulen. Gewerkschaften organisiert. Sie bildeten den Kern der Streikbewegung gegen die neuerlichen Lohnkürzungen im Zuge des vierten Lohn- und Preisabkommens im Oktober 1950, die viele Zeitgenoss/innen als kommunistischen Putschversuch inter- pretierten. War das brüchige Bündnis der West-Alliierten mit Stalins Sowjetunion durch den gemeinsamen Feind Hitler-Deutschland notdürftig zusammengehalten worden, so traten nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ die Konflikte offen zutage. Der „Kalte Krieg“ warf seine Schatten voraus, die Teilung der Welt in „Ost“ und „West“ war in vollem Gange. An der 414 Kilometer langen Grenze Niederösterreichs zur wiedererrichteten Tschechoslowakei zogen die neuen kommunistischen Machthaber Von der deutschen Wehrmacht beim ab 1949 den „Eisernen Vorhang“ hoch, und auch in Niederösterreich veränderte Rückzug gesprengte Donaubrücke Tulln, sich das politische Klima. Der antifaschistische Grundkonsens der ersten Nachkriegs- 1945. herrschte in den städtischen Ballungsräumen. Es mangelte an Nahrung, Kleidung, jahre wich einer antikommunistischen Stoßrichtung. Die anfangs ernsthaften Be- Sowjetische Militärpolizisten in Baden, Wohnraum. 60 Prozent der niederösterreichischen Kinder litten 1946 an Unterernäh- mühungen um eine politische Entnazifizierung der Gesellschaft mündeten in den 1952. rung, wegen Vitaminmangels waren viele rachitisch. In der geschwächten Bevölkerung formal-bürokratischen Prozess einer Streichung aus den Registrierungslisten der breiteten sich immer wieder Seuchen aus: Typhus, Paratyphus, Darmkrankheiten ehemaligen NSDAP-Mitglieder. Aus den etwa 90.000 NSDAP-Mitgliedern in Nieder- und vor allem Tuberkulose. Bei der Linderung der Not der Kinder kam der Hilfe aus österreich waren Wähler/innen geworden, um deren Stimmen die Parteien nun dem Ausland besonderer Stellenwert zu. An der Unterstützung beteiligten sich wieder warben. Bei den Landtagswahlen 1949 durften die meisten ehemaligen Natio- nicht nur die Schweiz und die skandinavischen Staaten, sondern auch Belgien, Irland, nalsozialist/innen erstmals wieder mitbestimmen. Viele von ihnen waren bereits die Niederlande, Kanada, USA, ja sogar das Rote Kreuz Australiens und Südafrikas. in die ÖVP oder SPÖ integriert worden. Im Unterschied zu anderen Bundesländern Wie schon während der Kriegsjahre organisierten vor allem die Frauen das Überleben erreichte die vor allem aus dem Spektrum der „Ehemaligen“ schöpfende Wahl- ihrer Familien. partei der Unabhängigen, die Vorläuferorganisation der 1956 gegründeten FPÖ, in Bereits vor dem offiziellen Kriegsende wurde die politische Verwaltung Niederösterreich kein Mandat. wieder aufgebaut. Am 12. April 1945 gründete Leopold Figl den Niederösterreichischen Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft änderte das Land abermals Bauernbund neu und wurde abermals dessen Direktor. Am 18. April 1945 erhielt er seinen Namen und seine Grenzen. Aus Niederdonau wurde neuerlich Niederösterreich. von den Sowjets die Erlaubnis, gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Oskar Helmer Die südmährischen und südböhmischen Gebiete sowie Theben/Devín und Engerau/ und unter Zuziehung eines Kommunisten eine Landesregierung zu bilden. Bald danach Petržalka fielen wieder an die Tschechoslowakei. Am 1. Oktober 1945 wurde das Bur- erfolgte die Gründung der drei demokratischen Parteien ÖVP (unter Julius Raab), genland wiedererrichtet, das seinen nördlichen Teil zurückbekam. Die Rückgliederung SPÖ (unter Oskar Helmer) und KPÖ (unter dem Burgenländer Otto Mödlagl). Am der ehemals niederösterreichischen Randgemeinden Wiens wurde durch das Veto 11. Mai konstituierte sich der provisorische Landesausschuss als Vorläufer der späteren der Sowjets lange verzögert. Erst Anfang September 1954 war der Weg frei und 80 der Landesregierung. Figl fungierte als erster Landeshauptmann in der Zweiten Republik. 97 Kommunen kamen zu Niederösterreich zurück. Die Stadt Schwechat sowie einige Er verstand sich als „Platzhalter“ für den 1938 abgesetzten Josef Reither, der erst im der industriell und städtisch geprägten Gemeinden des nun wieder reaktivierten Juli – von der KZ-Haft sichtlich geschwächt – in seinen Heimatort Langenrohr zurück- Bezirks Mödling hätten allerdings einen Verbleib bei Wien vorgezogen. Mit der Rück- kehrte. Stellvertreter waren Helmer und Mödlagl. Im Oktober übernahm Reither gliederung ging die Schaffung des neuen Verwaltungsbezirkes Wien-Umgebung die Funktion des Landeshauptmannes. Mödlagl war kurz zuvor ins wiedererrichtete einher, der die räumlich nicht miteinander verbundenen Regionen um Gerasdorf, Burgenland gewechselt und durch Laurenz Genner aus Groß-Siegharts ersetzt worden. Klosterneuburg und Schwechat umfasste. Dieser Bezirk wurde 2017 wieder auf- Im Herbst 1945 war das niederösterreichische Landhaus Schauplatz der Bundesländer- gelöst, seine Gemeinden auf die Bezirke Korneuburg, Tulln, St. Pölten und Bruck an konferenz, bei der die ersten regulären Wahlen vereinbart und vorbereitet wurden. der Leitha aufgeteilt. Politik und Verwaltung, Presse und Rundfunk der Nachkriegsgesellschaft unterstanden der Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht. Bis 8. Juni 1953 gab es Die Zwei – Alleinherrschaft der Großparteien keinen freien Verkehr zwischen den von Sowjets und West-Alliierten besetzten Zonen. Mit dem Abzug der Sowjets setzte beinahe schlagartig eine Schrumpfung Erst im August 1953 beendete die Sowjetische Informationsbehörde in Wien ihre der KPÖ ein. Innerhalb eines Jahres halbierte sich die Zahl der Parteimitglieder. Bei den Zensur des Post-, Telegramm- und Telefonverkehrs wie auch des Rundfunkwesens. Die Wahlen 1959 fiel die KPÖ aus dem Niederösterreichischen Landtag und verlor alle Zensur der Presse wurde überhaupt erst nach dem Abzug der Roten Armee 1955 drei Mandate. Nun begann eine fast 30 Jahre andauernde Phase, in der nur die zwei Der antifaschistische Grund- abgeschafft. In den Gemeinden griffen sowjetische Ortskommandanten immer wieder Großparteien ÖVP und SPÖ im Landtag vertreten waren. konsens der ersten Nach- in die Lokalpolitik ein und setzten Bürgermeister nach eigenem Gutdünken ein oder Die relativ gute Zusammenarbeit der beiden Parteien rührte zum einen von kriegsjahre wich einer anti- wieder ab. Auf diese Weise wurde St. Pölten bis 1950 von einem kommunistischen der gemeinsamen Gegnerschaft zu KPÖ und sowjetischer Besatzungsmacht her, zum kommunistischen Stoßrichtung. Bürgermeister (Franz Käfer), der Bezirk Lilienfeld bis 1951 von einem kommunistischen anderen verzichteten die Regierungsparteien zumeist auf allzu pointierte ideologisch Die anfangs ernsthaften Bezirkshauptmann (Franz Starka) verwaltet. motivierte Angriffe. Die katholische Kirche trug ihren Teil zur Entspannung bei, Bemühungen um eine politische indem sie sich aus der Parteipolitik heraushielt. Der aus dem Mostviertel stammende Entnazifizierung der Gesellschaft Im Schatten des „Kalten Krieges“ Franz König, der 1956 Kardinal Innitzer als Erzbischof von Wien nachfolgte, bahnte mündeten in den formalbüro- Die ersten Landtagswahlen im November 1945 brachten der ÖVP die absolute einen Kurs der Versöhnung mit der SPÖ an. kratischen Prozess einer Streichung Mehrheit (32 Mandate). Die SPÖ kam auf 22 Mandate, die KPÖ erreichte magere In den großen Fragen der damaligen Zeit waren sich ÖVP und SPÖ weitge- aus den Registrierungslisten zwei Mandate, was wohl auch auf die zahlreichen Übergriffe der Roten Armee nach hend einig. Gemeinsam gingen sie daran, den massiv beschleunigten Strukturwandel der ehemaligen NSDAP-Mitglieder. der Befreiung zurückzuführen war. Die Sowjets waren enttäuscht, das Verhältnis zur mitzugestalten. Bereits während der 1950er-Jahre war der agrarische Bevölkerungs-

238 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 239 Neustart nach Skandal Mitten in diese Phase des Aufschwungs krachte der bislang größte Korrup- tionsskandal der Landesgeschichte. Er belastete das Klima zwischen den Großparteien und nährte das Misstrauen zwischen dem aufstrebenden niederösterreichischen Arbeiter- und Angestelltenbund (NÖAAB) und dem Niederösterreichischen Bauern- bund. Im Mittelpunkt stand einer der mächtigsten Männer Niederösterreichs: Viktor Müllner, Generaldirektor der NEWAG-NIOGAS, Landesobmann des ÖAAB, geschäftsführender Landesparteiobmann, ehemaliger Landeshauptmannstellvertreter, Finanzlandesrat und Landtagsabgeordneter, ÖVP-Nationalratsabgeordneter und Bundesrat. Der tatkräftige Müllner, im „Ständestaat“ Vizebürgermeister von St. Pölten und in der NS-Zeit bis 1942 im KZ, hatte 1945 den NÖAAB aufgebaut und die NEWAG wiedererrichtet. In einem harten Konflikt mit dem Bund hatte er der Landesver- waltung nach dem Abzug der Sowjets die Kontrolle über die niederösterreichischen Erdgasvorkommen und die Stromversorgung gesichert. Mit der Übersiedlung der NEWAG-NIOGAS von Wien nach Maria Enzersdorf 1963 und der Begründung der für 8.000 Einwohner/innen konzipierten Südstadt verlieh Müllner der vernachlässigten Region der ehemaligen Randgemeinden auch wirtschaftliche Impulse. Das architekto- nische Konzept der Südstadt von Gustav Peichl, Wilhelm Hubatsch und Franz Kiener war bundesweit einzigartig und machte Niederösterreich zum Standort einer der modernsten Städte Österreichs. Anfang 1966 deckte der Rechnungshof kriminelle Machenschaften Müllners auf. Mit illegalen Mitteln hatte sich der Politiker um die Aufbesserung der Finanzen der Landes-VP und teils auch seiner Familie bemüht. Die niederösterreichische Volkspartei stand vor einer Zerreißprobe. Während große Teile des ÖAAB an ihrem Gründungsobmann festhielten, verlangte der Niederösterreichische Bauernbund mit Landeshauptmann Hartmann an der Spitze die volle Aufklärung von Müllners Die Modernisierung des Verkehrs war Aktivitäten. Am 14. Oktober verstarb Hartmann überraschend. Sein Nachfolger, ein Hauptanliegen der Politik im Niederösterreich der 1960er-Jahre. der damals weithin unbekannte Bauernbündler Andreas Maurer, versprach gleich in Sonderheft 1969. seiner Regierungserklärung die Bereinigung des „NEWAG-NIOGAS-Komplexes“. Noch im Herbst musste Müllner sämtliche Funktionen zurücklegen, Mitte Dezember 1966 wurde er verhaftet, zwei Jahre später wegen Amtsmissbrauchs und Veruntreuung anteil um fast ein Drittel gesunken, im Gegenzug hatte die Zahl der Beschäftigten in von Landesgeldern zu vier Jahren Haft und zur Leistung von 20 Millionen Schilling den Sektoren Industrie und Dienstleistungen stark zugenommen. Der als rückständig Schadenersatz verurteilt. Müllner wurde aus der ÖVP ausgeschlossen, seine in mehre- wahrgenommene ländliche Raum sollte an städtische Standards herangeführt werden. ren Zivilprozessen versuchte Rehabilitierung scheiterte. Die Folgen der Affäre waren Großen Nachholbedarf hatte Niederösterreich im schul- und kommunalpolitischen gravierend. Finanzlandesrat Roman Resch musste seinen Posten räumen; ihm folgte Bereich. Im bundesweiten Vergleich war Niederösterreich das Land der Kleinstgemein- 1968 Siegfried Ludwig nach. Die NIOGAS war konkursreif und drohte die NEWAG den und der Kleinstschulen. Fast die Hälfte der einklassigen Volksschulen und gut mitzureißen. Mit Unterstützung durch Landesmittel gelang dem neuen Vorstand um 40 Prozent der Gemeinden mit weniger als 500 Einwohner/innen befanden sich in den erst 34-jährigen Rudolf Gruber die Sanierung. Niederösterreich. Unter den Landeshauptleuten Leopold Figl (1962–1965) und Eduard Turbulent verliefen auch die Gemeindezusammenlegungen. Sie stießen auf Hartmann (1965–1966) brachten die Regierungsparteien hier einschneidende teils heftigen Widerstand zahlreicher Kommunen, die um ihre Identität und Selbst- Reformen auf den Weg; unter Landeshauptmann Andreas Maurer (1966–1981) und ständigkeit fürchteten. Andererseits war der Reformbedarf gerade in Niederösterreich dessen SP-Stellvertreter Hans Czettel wurden diese Maßnahmen weiter vorangetrie- besonders groß. Die meisten Zwerggemeinden lagen im Bezirk Horn im Waldviertel, ben und mit einer modernen Raumordnung verknüpft. wo 91 Prozent der Kommunen weniger als 500 Einwohner/innen aufwiesen. Auch Schulreform, Gemeindezusammenlegung und Raumplanung waren die die kleinste Gemeinde befand sich in diesem Bezirk: Purgstall mit 36 Einwohner/innen. Hauptthemen. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren diese Neuerungen von Indus- Ziel der Reform war die Stärkung der Finanz- und Verwaltungskraft der trialisierung, Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung begleitet. Die Energieversorgung Gemeinden, damit diese die gestiegenen Anforderungen zu erfüllen vermochten. der Unternehmen und Haushalte wurde allmählich dem Niveau der westlichen Zwischen 1965 und 1973 wurde die Anzahl der Gemeinden von 1.652 auf fast ein Drittel Bundesländer angepasst. 1957 konnte mit Ottenstein im Waldviertel das damals (573) reduziert. Etwas mehr als die Hälfte der Zusammenlegungen erfolgte zwangs- drittgrößte Speicherkraftwerk Österreichs in Betrieb genommen werden, das Donau- weise. Sie führten u. a. zu abnehmender Identifikation mit dem Wohnort und zur kraftwerk Ybbs/Persenbeug lieferte erstmals Strom. 1961 wurde die ÖMV-Raffinerie Abwanderung des gesellschaftlichen Lebens in die Zentralgemeinden. Diesen Tenden- Schwechat eröffnet, 1963 markierte der Anschluss von Harmannschlag, Bezirk Gmünd, zen trachtete man ab den 1980er-Jahren u. a. mit der vom damaligen Landeshaupt- die Vollelektrisierung des Landes, und 1972 war mit Karlstein, Bezirk Waidhofen an mannstellvertreter Erwin Pröll ins Leben gerufenen Dorferneuerung zu begegnen. der Thaya, die flächendeckende Automatisierung des Telefonnetzes erreicht. Das Hatte die ÖVP nach dem Tod Hartmanns und der „Müllner-Affäre“ in ihrer Automobil hatte seinen Siegeszug angetreten und wurde zum erstrangigen Prestige- In manchen Bereichen des Natur- Führungsriege einen Generationswechsel vollzogen, zogen die Sozialisten bald objekt der Zeit. Rollten 1955 etwa 19.500 Pkw über Niederösterreichs Straßen, so und Umweltschutzes kam darauf nach. 1968 wurde der charismatische Hans Czettel aus Ternitz zum Landespar- waren es 20 Jahre später fast 320.000. 1954 war das niederösterreichische Straßen- Niederösterreich damals eine teiobmann gewählt. Im Jahr darauf verstarb der SP-Landeshauptmannstellvertreter netz noch in einem beklagenswerten Zustand; bei 85 Prozent handelte es sich Pionierrolle zu. So erhielt Otto Tschadek. Er hatte als konsensorientierter Politiker agiert, seine Tätigkeit als um Schotterstraßen. Bis 1970 waren sämtliche Bundesstraßen, bis 1980 ungefähr St. Pölten als zweite Stadt in „Blutrichter“ im Zweiten Weltkrieg aber zeitlebens verschwiegen. Czettel folgte Tscha- 90 Prozent der Landesstraßen staubfrei. Österreich und erste in Nieder- dek als Landeshauptmannstellvertreter nach und verstand es, die SPÖ als moderne, In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden die zahlreichen kleinen Dorf- österreich bereits Ende 1961 zukunftsorientierte Partei zu positionieren. Mit einem umfassenden Raumordnungs- schulen durch vierklassige Volksschulen in den größeren Ortschaften der jeweiligen eine Fußgängerzone – zehn Jahre konzept brachte er die ÖVP unter Zugzwang. Landeshauptmann Maurer konterte Region ersetzt. Der Neubau von Hauptschulen wurde ebenso vorangetrieben vor der probeweisen Einführung mit dem „Leitbild Niederösterreich“. Bei der Wahl 1969 konnte er die absolute Mehr- wie die Errichtung von Kindergärten. Das Niederösterreichische Kindergartengesetz in Wien. heit der ÖVP verteidigen. Das Kräfteverhältnis lautete 30 zu 26 Mandate. von 1964 legte die Unentgeltlichkeit des vormittägigen Kindergartenbesuchs fest und setzte damit für das gesamte Bundesgebiet neue Maßstäbe.

240 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 241 Die Mittel für den Hauptstadt- Auch in der ÖVP standen die Zeichen auf Veränderung. Anfang 1981 wurde der schon bau sollten durch den Verkauf von jahrelang als Nachfolger aufgebaute Siegfried Ludwig als Landeshauptmann bestellt. Landeseigentum in Wien sowie Als ehemaliger Obmann des NÖAAB sollte er bis 2017 der einzige Landeshauptmann durch die 1989 durchgeführte Teil- von Niederösterreich bleiben, der nicht dem Bauernbund entstammte. Der erst privatisierung der Energie 34-jährige Bauernbündler Erwin Pröll wurde Landeshauptmannstellvertreter, die Versorgung Niederösterreich ehemalige Spitzensportlerin Liese Prokop rückte als erste Frau der ÖVP in die Landes- AG (EVN) in einem Börsengang regierung auf. erfolgen, bei dem sich das Land 51 Prozent der Aktien Die neue Hauptstadt vorbehielt. Der Wahlkampf vor der Landtagswahl 1983 wurde mit ungewöhnlicher Schärfe geführt. Hauptthema war der Skandal um die ÖVP-nahe burgenländische Wohnbaugenossenschaft Ost (WBO ), die auch in Niederösterreich engagiert war. Es ging um Wirtschaftskriminalität und Parteienfinanzierung. Die Wahl endete mit einem historischen Erfolg Ludwigs. Er gewann von der SPÖ drei Mandate zurück und erzielte damit das beste Ergebnis der niederösterreichischen Volkspartei seit 1945. Schwerpunkte der Landespolitik der folgenden Jahre bildeten der Ausbau der Umwelt- und Raumordnungspolitik, und erstmals erlangte auch die Kulturpolitik zentralen Stellenwert. Zudem setzte Ludwig in der „Landesaußenpolitik“ neue Maß- stäbe. Untrennbar verbunden mit der Ära Ludwig ist jedoch die Schaffung einer Landeshauptstadt für Niederösterreich. Ludwig gelang es, sowohl die widerstrebende SPÖ als auch die niederösterreichische Bevölkerung dafür zu gewinnen. Der NÖBB gab sich in dieser Frage eher bedeckt. Eine von Landeshauptmann Maurer Mitte der 1970er-Jahre in Auftrag gegebene Umfrage hatte den Niederösterreicher/innen näm- lich geringes Interesse an einer eigenen Hauptstadt attestiert. Lediglich 20 Prozent Demonstration gegen das Atomkraft- der Befragten hatten damals Zustimmung signalisiert. werk Zwentendorf, 12. Juni 1977. Die Bedenken der SPÖ wurden vor allem durch zwei Momente gemindert. Verkündung des Landeshauptstadt- Neue Themen in der Politik Zum einen hatte unter den Kandidaten für eine künftige Landeshauptstadt das Beschlusses im Hof des Nieder- Vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Aufbruchsstimmung dieser traditionell sozialistisch regierte St. Pölten die besten Aussichten, zum anderen sah das österreichischen Landhauses in Wien, Jahre rückten neue Themen auf die politische Agenda, wie etwa Naturschutz, Um- Konzept die Koppelung von Landeshauptstadt und einem umfassenden Regionalisie- 12. Juli 1986. weltpolitik sowie verstärktes zivilgesellschaftliches Engagement. Die jahrelang disku- rungsprogramm vor. Überzeugend schien auch das Finanzierungsmodell. Die Mittel tierte neue Landesverfassung versuchte dem geänderten Demokratieverständnis für den Hauptstadtbau sollten durch den Verkauf von Landeseigentum in Wien (Ge- der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Sie wurde 1978 beschlossen und stärkte Minder- bäude und Liegenschaften) sowie durch die 1989 durchgeführte Teilprivatisierung heitsrechte und direktdemokratische Initiativen. Ganz vereinzelt rückten nun Frauen der Energie Versorgung Niederösterreich AG (EVN, Nachfolgerin der NEWAG-NIOGAS) in exponierte Positionen auf. Die SP-Landtagsabgeordnete Anna Körner aus Gmünd in einem Börsengang erfolgen, bei dem sich das Land 51 Prozent der Aktien vorbehielt. wurde 1969 als erste Frau Zweite Präsidentin des Niederösterreichischen Landtages, Die Volksbefragung vom März 1986 erbrachte bei der relativ hohen Beteili- 1970 wechselte sie als erste Frau in die Landesregierung. gung von 61,4 Prozent der Stimmberechtigten eine 56-prozentige Zustimmung für In manchen Bereichen des Natur- und Umweltschutzes kam Niederösterreich eine Hauptstadt. 45 Prozent aller Ja-Stimmen entfielen dabei auf St. Pölten, 29 Prozent damals eine Pionierrolle zu. So erhielt St. Pölten als zweite Stadt in Österreich und auf Krems. Der Rest der Stimmen verteilte sich auf Baden, Tulln und Wiener Neustadt. erste in Niederösterreich bereits Ende 1961 eine Fußgängerzone – zehn Jahre vor der probeweisen Einführung in Wien. 1962 wurde in Sparbach bei Mödling der erste Naturpark Österreichs eröffnet. Die Anfänge neuer sozialer Bewegungen in Nieder- österreich waren mit dem Thema Umweltschutz eng verbunden. Demonstrierten im Frühjahr 1971 noch etwa 30 Personen vor der NEWAG-NIOGAS-Zentrale in der Südstadt gegen das geplante Atomkraftwerk Zwentendorf, so wuchs der Widerstand in den folgenden Jahren bundesweit stark an. Am 5. November 1978 fand eine Volks- abstimmung über die Inbetriebnahme des Kraftwerkes statt. Sie erbrachte eine hauch- dünne Mehrheit der Atomkraftgegner/innen (50,47 Prozent). In Niederösterreich stimmte eine knappe Mehrheit (50,9 Prozent) dafür, obwohl die ÖVP die Anti-Atom- Bewegung unterstützt hatte und das Waldviertel zeitweilig als Endlagerstätte für den Atommüll im Gespräch war. Die Zwentendorf-Abstimmung war auch Teil parteipolitischer Strategien gewesen. In der Absicht, der SP-Alleinregierung unter Bruno Kreisky einen Denkzettel zu verpassen, hatte sich die Bundes-ÖVP ins gegnerische Lager begeben und auch den ursprünglichen Atomkraft-Befürworter Andreas Maurer dazu veranlasst. Die Rechnung ging aber nicht auf. Trotz gegenteiliger Ankündigungen trat Kreisky nach dem Nein zu Zwentendorf nicht zurück, und Maurer musste sich von der SPÖ im Landtagswahlkampf 1979 als „Wetterhahn, der sich im Atomwind dreht“92, bezeichnen lassen. Für die ÖVP sollte es noch schlimmer kommen. Im Windschatten der Re- formpolitik des „Sonnenkönigs“ Kreisky errang Hans Czettels SPÖ 1979 ihren bis heute größten Erfolg. Sie erreichte 45,4 Prozent der gültigen Stimmen, die ÖVP rutschte erstmals seit 1945 unter die 50-Prozent-Marke. Die ÖVP verfügte mit 29 von 56 Mandaten allerdings weiterhin über die absolute Mehrheit im Landtag, und im Jahr darauf erlag der populäre Czettel seinem dritten Herzinfarkt. Seine Nachfolger – Leopold Grünzweig (1980–1986), Ernst Landeshauptmann Siegfried Ludwig und sein Stellvertreter (und Nachfolger) Höger (1986–1999), Heidemaria Onodi (1999–2008) und Josef Leitner (2008–2013) – Erwin Pröll. Im Hintergrund Erhard Busek vermochten an seine Erfolge nicht mehr heranzukommen. und Alois Mock, um 1990.

242 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 243 Der Fall des „Eisernen Vorhangs“ Aus der politisch-ideologischen Zum Abschied als Landeshauptmann nahm Siegfried Ludwig 1992 den Spatenstich Mit der Landtagswahl 1988 ging die lange Phase des Zweiparteiensystems in Systemgrenze war eine zum Bau des neuen Regierungsviertels in St. Pölten vor. Mit seinem Nachfolger Niederösterreich zu Ende. Siegfried Ludwig musste sogar das schlechteste Ergebnis scharf bewachte Wohlstands- Erwin Pröll war die Dominanz des Bauernbund im Land wiederhergestellt. Liese Prokop der niederösterreichischen Volkspartei seit 1945 hinnehmen. Im Sog der Erfolge grenze geworden. gelangte als erste Frau in die Funktion des Landeshauptmannstellvertreters. Die Land- Jörg Haiders auf Bundesebene zog die reorganisierte FPÖ unter dem ehemaligen tagswahl 1993 endete für die Landeshauptmann-Partei mit einer historischen Nieder- Verteidigungsminister Helmut Krünes erstmals in der Zweiten Republik in den Nieder- lage. Erstmals in der Zweiten Republik ging der Volkspartei in Niederösterreich österreichischen Landtag ein. Den Freiheitlichen war es gelungen, über ihre traditio- die absolute Mehrheit verloren. Sie hielt nun bei 44,4 Prozent der Stimmen. Verluste nellen Hochburgen Krems, Langenlois, Mödling und Baden hinaus zu punkten. musste auch die SPÖ hinnehmen; sie schrumpfte um zwei Sitze. Große Siegerin des Die „Ostöffnung“ 1989 beendete die globale Nachkriegsordnung. Durch den Wahlganges war, wie schon 1988, die FPÖ. Sie stellte mit dem parteilosen Ex-SPÖ- Zerfall des sowjetischen Imperiums rückte nach 40 Jahren „toter Grenze“ Nieder- Mitglied Hans Jörg Schimanek aus Langenlois erstmals ein Mitglied in der Landes- österreich wieder ins Zentrum Europas. Die frisch gekürte Landeshauptstadt St. Pölten regierung. Es gab aber noch einen weiteren Sieger. Das erst wenige Wochen vor begründete 1990 eine Städtepartnerschaft mit der mährischen Hauptstadt Brno/ der Wahl gegründete Liberale Forum (LIF) errang auf Anhieb drei Mandate. Es hatte Brünn, und die unter Ludwig vorangetriebenen Bemühungen um Schaffung einer sich nach Jörg Haiders Ausländervolksbegehren „Österreich zuerst“ von der FPÖ „Arbeitsgemeinschaft der Donauländer“ kamen Mitte Mai 1990 zu einem erfolgreichen abgespalten und wurde insbesondere von Wähler/innen im suburbanen Umland Abschluss. Der Arbeitsgemeinschaft sollten bald 17 Donauregionen von Bayern bis Wiens unterstützt. zum Schwarzen Meer angehören, die eine Zusammenarbeit in Fragen von Raumord- In der Folge gelang es Pröll eine positive Arbeitsplatzbilanz und Investitionen nung und Umweltschutz, Wirtschaft und Fremdenverkehr, Kultur, Wissenschaft in Infrastruktur und Wohnungsbau vorzuweisen. Einen großen Erfolg feierte er 1994 und Sport anstrebten. mit der Eröffnung der bereits unter Ludwig angebahnten Donau-Universität in Krems. Die mit Jubel und fotogerechter Durchtrennung des Stacheldrahtes gefeierte Die Hochschule legte ihren Schwerpunkt auf postgraduale Ausbildung und trug zur Grenzöffnung wich aber schon bald der Angst vor Kriminalität, Billiglohnkonkurrenz stärkeren Positionierung des Landes im Wissenschaftsbereich bei. und zunehmender Verkehrsbelastung. Zu einem raschen Anknüpfen an die 1930er- Jahre, als noch sieben Brücken über die March für regen Austausch mit dem Nachbarn Europaregion Niederösterreich gesorgt hatten, kam es nach 1989 nicht. Erst ab 1994 verband eine Pontonbrücke Bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt 1994 erreichte Niederöster- Hohenau mit Moravský Svätý Ján in der Slowakei, seit 2001 verkehrt eine von slowaki- reich leicht überdurchschnittliche Resultate. Mit 67,9 Prozent Zustimmung (Bund: scher Seite betriebene Fähre zwischen Angern an der March und Záhorská Ves. Für 66,6 Prozent) fiel das Votum sehr deutlich aus. Mitte der 1990er-Jahre übersiedelten die Fertigstellung der auf österreichischer Seite fehlenden 22 Kilometer zur Autobahn Landtag und Landesregierung nach St. Pölten. In der Rekordzeit von vier Jahren war Wien–Bratislava benötigte man 18 Jahre. Ein weiterer Grund für die schleppende das neue Regierungsviertel für 2.700 Landesbedienstete bezugsfertig gemacht worden. Anbahnung engerer Kontakte zum Nachbarn war die mit dem bevorstehenden EU- Zum Landesfeiertag am 15. November (hl. Leopold) wurde es 1996 offiziell eröffnet. Beitritt Österreichs verbundene Westorientierung. Der 1997 vollzogene Beitritt zum In den folgenden Jahren wurde auch der Kulturbezirk mit Klangturm, Festspielhaus, Schengen-Raum mit dem Einsatz des Bundesheeres an der Grenze zur 1993 errichteten Landesmuseum, Landesbibliothek und Landesarchiv fertiggestellt. Slowakei wirkte als zusätzliche Abschottung gegenüber dem ehemaligen „Ostblock“. Angestoßen durch Bund und EU, markierten die 1990er-Jahre auch in Nieder- Aus der politisch-ideologischen Systemgrenze war eine scharf bewachte Wohlstands- österreich den Beginn einer eigenständigen Frauen- und Gleichbehandlungspolitik. grenze geworden. Nachdem 1993 in der Landesverwaltung ein Frauenreferat eingerichtet worden war, erfolgte 1997 die Verabschiedung des Gleichbehandlungsgesetzes, und 2004 bekannte Blick auf das Regierungsviertel sich die Landesregierung im Rahmen des Projektes „gender mainstreaming“ zu einer Das Regierungsviertel in St. Pölten mit Klangturm und Fußgängerbrücke wurde zwischen 1992 und 1997 errichtet. über die Traisen, 2017. Der Beitritt der Tschechischen umfassenden Gleichstellungspolitik. Zwischen 2000 und 2013 wurde der Frauen- Besuch auf Zweieinhalbjährige aus. Bis 2010 wurden rund 10.000 zusätzliche Kinder- Republik, der Slowakei und anteil bei den Abteilungsleitungen im Amt der Niederösterreichischen Landes- gartenplätze geschaffen. Verbunden damit waren der Aus- oder Neubau von mehr als Ungarns zur Europäischen Union regierung von drei Prozent auf 18 Prozent erhöht. Im Bereich der Bezirkshauptmann- der Hälfte der Landeskindergärten und die Aufnahme von etwa 1.000 zusätzlichen mit 1. Mai 2004 sowie die schaften trat mit Elfriede Mayrhofer in Melk 1997 die erste Frau an die Spitze Betreuungspersonen. Auf dem Bildungssektor wurde der Campus der Donau-Universi- Ausweitung des Schengen-Raumes dieser Behörde, 2013 wurden erstmalig vier der 21 Bezirkshauptmannschaften von tät Krems großzügig ausgebaut; 2008 waren erstmals mehr als 4.000 Studierende auf diese Staaten Ende 2007 Frauen geleitet. inskribiert. In Elitenausbildung und Grundlagenforschung positionierte sich Nieder- stimulierten eine aktivere Politik Die Repräsentanz von Frauen in Landes- und Gemeindepolitik nahm ab den österreich mit dem Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) in des Landes gegenüber seinen 1990er-Jahren ebenfalls zu. Waren im Landtag 1993 erstmals seit der Trennung von Maria Gugging bei Klosterneuburg. Von Bund und Land 2009 gegründet, leistet das Nachbarstaaten. Wien 1922 mehr als vier Frauen (nämlich sechs) vertreten, so hatten 2013 13 weibliche Institut Spitzenforschung in den Naturwissenschaften und der Mathematik. Bei der Abgeordnete ein Mandat inne. In der Gemeindepolitik erhöhte sich der Frauenan- Landtagswahl 2013 bestritt Erwin Pröll zum fünften Mal als Spitzenkandidat der teil zwischen 1990 und 2008 von neun auf 19 Prozent. Am schwächsten vertreten ÖVP eine Landtagswahl. Erklärtes Ziel war die Verteidigung der absoluten Mehrheit. waren die Frauen nach wie vor an der Gemeindespitze. Hier stieg die Anzahl im Zusätzliche Spannung brachte das erstmalige Antreten des Teams Stronach, das von selben Zeitraum von lediglich drei auf 34 Bürgermeisterinnen. dem austro-kanadischen Milliardär Frank Stronach persönlich angeführt wurde. Bei den Landtagswahlen 1998 vermochte Erwin Pröll gegen den Bundestrend Das Ergebnis brachte leichte Verluste der ÖVP, die mit 50,8 Prozent der gültigen ein Mandat zu gewinnen. Die SPÖ hingegen verlor weiter. Ernst Höger gab seinen Stimmen ihre absolute Mehrheit aber behaupten konnte. Das Team Stronach wurde Rücktritt bekannt. Siegerin war einmal mehr die FPÖ, die mit 16 Prozent der Stimmen auf Anhieb drittstärkste Partei und eroberte einen Sitz in der Landesregierung. ihr bis heute bei weitem bestes Ergebnis erzielte. Das LIF hatte sich durch Parteiaus- Im April 2017 übergab Erwin Pröll nach 25-jähriger Amtszeit das höchste tritte schon im Vorfeld geschwächt und fiel aus dem Landtag. Die Selbstdemontage Amt im Land an Johanna Mikl-Leitner. Knapp hundert Jahre nach Gründung des LIF kam den Grünen entgegen. Mit zwölfjähriger Verspätung gegenüber der der Republik steht damit erstmals eine Frau an der Spitze der niederösterreichischen Bundespartei schafften sie nun den Einzug in den Landtag. Hervorgegangen aus der Landesregierung. Anti-AKW-Bewegung 1978 und den Protesten gegen die Errichtung eines Kraftwerkes in der Hainburger Au 1984, hatten sich die niederösterreichischen Grünen nach vielen Richtungskämpfen als relativ moderate Kraft konsolidiert. Sie erreichten 4,5 Prozent der Stimmen und entsandten die ehemalige Sprecherin von Global 2000, Brigid Weinzinger (Gmünd), und den Gymnasiallehrer Martin Fasan (Neunkirchen) in den Landtag. Der Machtwechsel in der Bundes-FPÖ nach dem Parteitag von Knittelfeld 2002 leitete auch in Niederösterreich einen starken politischen Wandel ein. Die Landtagswahlen 2003 standen im Zeichen einer zertrümmerten FPÖ, die aus der Landesregierung fiel. Die ÖVP um Erwin Pröll profitierte davon am meisten. Sie holte nach zehn Jahren die absolute Mehrheit zurück. Erstmals seit 1979 legte auch die SPÖ wieder leicht zu; die Grünen gewannen ebenfalls. Die folgende Legislaturperiode stand im Zeichen der EU-Osterweiterung und der Umstrukturierung des Gesundheitswesens. Zwischen 2003 und 2008 wurden unter der Ägide von Landesrat 22 Gemeindespitäler in die Rechtsträger- schaft des Landes übernommen. In der eigens geschaffenen Niederösterreichischen Landeskliniken-Holding sind nun insgesamt 27 Krankenhäuser mit etwa 8.000 Betten und rund 19.000 Beschäftigten zusammengefasst. Der Beitritt der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarns zur Europä- ischen Union mit 1. Mai 2004 sowie die Ausweitung des Schengen-Raumes auf diese Staaten Ende 2007 stimulierten eine aktivere Politik des Landes gegenüber seinen Nachbarstaaten. 2005 wurde die Pontonbrücke bei Hohenau durch eine fest stehende, einspurig befahrbare Eisenbrücke ersetzt, 2012 folgte die Eröffnung der überwiegend mit EU-Mitteln errichteten „Fahrradbrücke der Freiheit“ zwischen Schlosshof und Devínská Nová Ves. Im Zuge der „Niederösterreichischen Sprachoffensive“ werden mit Unterstützung der EU seit 2003 in Kindergärten und Schulen muttersprachliche Pädagog/innen beschäftigt, die den Kindern die Sprachen der Nachbarstaaten vermit- teln. Bis 2014 erfasste dieses Programm rund 15.000 Kindergartenkinder und etwa 35.000 Schüler/innen. Das Bild vom Nachbarn hat sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends deutlich verbessert. Laut Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik schätzten 2001 nur 46 Prozent der Befragten in den Grenzregionen die Öffnung der Grenze positiv ein; zehn Jahre später waren es bereits 65 Prozent.

Politik im Zeichen der globalen Finanzkrise Die Landtagswahlen von 2008 brachten der SPÖ eine schwere Niederlage. Die konsensorientierte Spitzenkandidatin Heidemaria Onodi trat zurück; ihr Nach- folger, der Arbeiterkämmerer Josef Leitner aus Wieselburg, versuchte es mit einem Die 2012 eröffnete „Fahrradbrücke deutlich angriffigeren Kurs gegenüber der ÖVP. Vom Absturz der Sozialdemokratie der Freiheit“ zwischen Schlosshof und Devínská Nová Ves in der Slowakei profitierte vor allem die FPÖ. Sie erlangte mit Barbara Rosenkranz wieder einen (Rendering). Regierungssitz. Erwin Prölls Volkspartei konnte ihre absolute Mehrheit auf 54,4 Pro- zent leicht ausbauen. Die globale Finanzkrise seit 2008 bedingte auch in Niederösterreich weiter steigende Arbeitslosenziffern und wachsende Sozialausgaben. Die Landespolitik reagierte darauf u. a. mit Investitionen zur Wirtschaftsförderung und setzte weiterhin bedeutende Maßnahmen im Kultur- und Bildungssektor sowie auf familienpolitischem Gebiet. Das neue Kindergartengesetz von 2008 weitete den kostenlosen vormittägigen

246 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 247 Landtagswahlen 1919–2013 s Stimmen m Mandate p Parteien = 1 Prozent

CSP = Christlichsoziale Partei

DN = Deutschnationale 1919 (inklusive Wien) 1921 1927 1932 1919 (inklusive Wien) 1921 1927 1932 FPÖ = Freiheitliche Partei Österreichs s m p s m p s m p s m p 458.425 47 CSP 320.781 32 CSP 474.283 38 Einheitsliste (CSP+GDVP) 362.977 28 CSP GDVP = Großdeutsche Volkspartei 582.202 62 SDAP 241.015 22 SDAP 307.005 21 SDAP 272.595 20 SDAP 93.809 7 DN 82.072 6 GDVP 23.597 1 Landbund für Österreich 18.427 0 Großdeutsche Volkspartei KPÖ = Kommunistische Partei Österreichs 57.629 3 TS 5.477 0 KPÖ 4.012 0 NSDAP (Hitlerbewegung) 110.808 8 NSDAP (Hitlerbewegung) 16.183 1 Nationaldemokraten 1.909 0 NSDAP 4.875 0 Völkisch-sozialer Block 10.009 0 Ständische Bauernvereinigung NSDAP = Nationalsozialistische 19.248 0 Ver. demokratische Parteien 1.004 0 Demokratische 3.275 0 KPÖ 8.513 0 KPÖ Deutsche Arbeiterpartei 13.830 0 Jüdisch-nationale Partei Wirtschaftspartei 11 0 Sonstige 5.237 0 Schutzverband deutscher ÖVP = Österreichische Volkspartei Kriegsteilnehmer 711 0 Deutschösterreichische SDAP = Sozialdemokratische Arbeiterpartei Volkspartei SPÖ = Sozialistische Partei Österreichs

1945 1949 1954 1945 1949 1954 TS = Partei der sozialistischen und demokratischen Tschechoslowaken s m p s m p s m p 384.002 32 ÖVP 463.053 31 ÖVP 436.686 30 ÖVP 284.577 22 SPÖ 329.549 22 SPÖ 353.070 23 SPÖ 36.231 2 KPÖ 48.217 3 Linksblock (KPÖ ) 22.039 0 Wahlpartei der Unabhängigen 38.779 0 Wahlpartei der Unabhängigen 49.641 3 KPÖ 1.265 0 Demokratische Union 1.505 0 Vierte Partei

1959 1964 1969 1959 1964 1969 s m p s m p s m p 438.625 31 ÖVP 440.834 31 ÖVP 435.138 30 ÖVP 364.589 25 SPÖ 365.187 25 SPÖ 385.174 26 SPÖ 34.059 0 FPÖ 25.536 0 FPÖ 27.798 0 FPÖ 25.092 0 KPÖ 20.789 0 Kommunisten und Linkssozialisten (KPÖ ) 8.432 0 KPÖ 861 0 Parteifreie Bewegung Österreichs 5.202 0 Demokratische fortschrittliche Partei 2.053 0 Nationaldemokratische Partei

1974 1979 1983 1974 1979 1983 s m p s m p s m p 447.444 31 ÖVP 441.431 29 ÖVP 512.528 32 ÖVP 376.648 25 SPÖ 403.708 27 SPÖ 388.501 24 SPÖ 25.563 0 FPÖ 28.700 0 FPÖ 15.861 0 FPÖ 8.882 0 KPÖ 7.034 0 KPÖ 5.549 0 GRÜNE 7.725 0 Wahlgemeinschaft für Bürger- 9.274 0 Vereinte Grüne Österreichs initiativen und Umweltschutz 7.817 0 KPÖ 906 0 Nationaldemokratische Partei

1988 1993 1998 1988 1993 1998 s m p s m p s m p 452.874 29 ÖVP 412.730 26 ÖVP 405.900 27 ÖVP 354.746 22 SPÖ 316.516 20 SPÖ 274.980 18 SPÖ 89.373 5 FPÖ 112.433 7 FPÖ 145.514 9 FPÖ 23.266 0 GRÜNE 47.773 3 Liberales Forum 19.279 0 Liberales Forum 11.328 0 Vereinte Grüne Österreichs 29.589 0 GRÜNE 40.639 2 GRÜNE 7.934 0 KPÖ 11.242 0 Bürgerliche Grüne Österreichs 5.208 0 Bürgerliche Grüne Österreichs 5.460 0 Liste Pepi Wagner 2.170 0 KPÖ 7.060 0 Liste Pepi Wagner 4.746 0 Liste WIR 711 0 Österreichische Autofahrer- 5.811 0 KPÖ 1.656 0 Liste Herz und Bürgerinteressen-Partei 307 0 L.ZÖCH (Vernunft für Niederösterreich – Dr. Wolfgang Zöch)

2003 2008 2013 2003 2008 2013 s m p s m p s m p 491.065 31 ÖVP 549.510 31 ÖVP 495.557 30 ÖVP 309.199 19 SPÖ 257.770 15 SPÖ 210.504 13 SPÖ 66.543 4 GRÜNE 69.852 4 GRÜNE 78.678 4 GRÜNE 6.013 0 GRÜNÖ (Grünes unabhängiges 105.748 6 FPÖ 96.016 5 Team Stronach Österreich – Liste der EU-Opposition 2.174 0 Liste für unser Niederösterreich 80.122 4 FPÖ Gabriela Wladyka) 8.537 0 Die Christen 5.968 0 Die Mutbürger 41.391 2 FPÖ 8.661 0 KPÖ 841 0 Christliche Partei Österreichs 7.074 0 KPÖ 7.250 0 Bündnis Zukunft Österreich 7.559 0 KPÖ 187 0 Christliche Wählergemeinschaft 854 0 Tierrechtspartei Earth- 501 0 Piratenpartei Österreichs Human-Animals-Nature

248 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 249 Landauf, landab – Zur räumlichen Entwicklung Niederösterreichs seit den 1980er-Jahren

Christian Rapp Im Herbst 1987 kamen die ersten österreichischen Babys auf die Welt, die nach der Befruchtung, aber noch vor der Einpflanzung in die Gebärmutter, bei minus 196 Grad eingefroren worden waren. Auch wenn es sich um Embryonen handelte, die man tiefgekühlt hatte, so geisterte doch eine Zeit lang die Vorstellung durch die heimi- schen Medien, dass man bald auch erwachsene Menschen einfrieren und auf diese Weise ihre Lebenszeit anhalten könne. Diese Fantasie ist Anregung für ein Gedanken- experiment: Nehmen wir einmal an, dass man einen solchen Versuch in Nieder- österreich, zum Beispiel im Spital von Wiener Neustadt, gemacht hat und sich dafür eine Dame aus Mistelbach als Probandin zur Verfügung gestellt hat. 30 Jahre später, also im Herbst 2017, wird sie wieder „aufgetaut“ und mit einer neuen Gegenwart konfrontiert. Was sieht sie als erstes Neues? Wie hat sich das Land in ihren Augen verwandelt? Welche Veränderungen überraschen sie mehr, welche weniger? Was hat sich damals schon angekündigt und was konnte sie kaum vorhersehen? Im Spital von Wiener Neustadt fällt ihr gleich nach der Wiederbelebung zunächst wohl nicht viel auf. Den modernen Bettentrakt gab es schon damals und die Ausstattung von Krankenzimmern hat sich wenig geändert. Nicht unmittelbar sichtbar, aber bedeutsam ist hingegen der Umstand, dass das einst städtische Krankenhaus, wie viele andere ehemals kommunale Spitäler, inzwischen von der Niederösterreichi- schen Landeskliniken-Holding übernommen worden ist. Damit wurde einem Bedürfnis nach mehr Effizienz im Gesundheitswesen Rechnung getragen – „Synergien“ lautet seit den 1990er-Jahren das Zauberwort dafür, etwa durch die Zusammenfassung von Verwaltungsaufgaben, Personalmanagement und Materialeinkauf. Das Land Nieder- österreich ist seit der Übernahme zahlreicher städtischer Krankenhäuser der größte Spitalserhalter Österreichs. Aber die auffallendste Neuerung ist für unsere Probandin, nennen wir sie Julia, wohl der Umstand, dass sich nun Krankenschwestern, Patient/innen und Ärzt/innen Wiener Neustadt ist in den vergangenen immer wieder taschenkalendergroße Geräte ans Ohr halten, mit ihnen offensichtlich Jahrzehnten stark gewachsen. Seit dem telefonieren und dann auf dieselben Geräte mit ihren Fingern tippen – also Smart- 1997 wurde der Betrieb der Schneeberg- Jahr 2000 erhöhte sich der Gebäude- bahn von den ÖBB übernommen bestand um über 10 Prozent. Zu sehen ist und eine private Gesellschaft gegründet. die Wiener Straße im Norden der Stadt. In der Saison 1999 kamen, parallel phones benützen. Selbstverständlich zeigt man Julia so ein Wunderding und lässt zu den traditionellen Dampflokomotiven, es sie ausprobieren. Und es ist anzunehmen, dass sie den Umgang damit schnell ver- erstmals die neuen Salamander-Trieb- steht und ein Smartphone rasch selbst nutzen kann. Denn zum Bestechenden der wagen zum Einsatz. modernen Kommunikationstechnologie gehört ihre leichte Erlernbarkeit – die ent- scheidende Voraussetzung für den weltweiten Erfolg in allen Altersstufen und sozialen Schichten. Und mit einem Smartphone lässt sich sogleich all das vermitteln, was die Informationstechnologie seit den 1980ern geprägt hat: Internet, E-Mail, Digitalisierung von Fotografie, Film und Tonaufnahmen und das Entstehen der sozialen Medien. Nehmen wir weiter an, dass Julia eine medizinische Untersuchung in Krems absolvieren muss und sie ein gut informierter Einsatzfahrer begleitet, der ihr viele Neuerungen der letzten 30 Jahre in Niederösterreich zeigen kann. Wiener Neustadt ist in dieser Zeit um 6.000 Einwohner/innen gewachsen, und das schlägt sich in der Erweiterung des städtischen Siedlungsraumes nieder, wie Julia erkennen kann, da sie und ihr Chauffeur die Stadt über die Nordausfahrt verlassen. Auch das riesige und immer noch wachsende Gewerbegebiet, das in seiner Ausdehnung und Erscheinung bereits US-amerikanische Züge trägt, bleibt ihr nicht verborgen.

Geteilt, getrennt, vereint Über die Südautobahn geht es in Richtung Wien. Julia fällt auf, dass die einst sechsspurige Autobahn nun teilweise achtspurig ausgebaut ist. Auch nach 30 Jahren folgt die Verkehrsplanung, so hat man den Eindruck, den Bedürfnissen des motorisier- ten Individualverkehrs. In Niederösterreich hat sich der Bestand an Kraftfahrzeugen seit 1985 verdoppelt, sowohl bei den Pkw als auch bei den Lkw. Vermutlich wird ihr Chauffeur ergänzen, dass seit den 2000er-Jahren auch kräftig in den Schienenverkehr investiert wurde und der Anteil der Bahn am Personenverkehr seit einigen Jahren wieder leicht im Steigen begriffen ist. Allerdings haben sich die Österreichischen Denn zum Bestechenden der modernen Bundesbahnen seit den 1980er-Jahren aus der Fläche weitgehend zurückgezogen und Kommunikationstechnologie gehört dem Land Niederösterreich fast alle Nebenstrecken überlassen, von denen viele aus ihre leichte Erlernbarkeit – die ent- Rentabilitätsgründen ein- und auf Busbetrieb umgestellt wurden. Die Modernisier- scheidende Voraussetzung für den welt- ungen der Mariazellerbahn und anderer touristisch attraktiver Strecken sind Vorzeige- weiten Erfolg in allen Altersstufen projekte der 1993 gegründeten NÖVOG (Niederösterreichische Verkehrsorganisations- und sozialen Schichten. gesellschaft).

Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 251 Insgesamt steigt die Mobilität der Menschen zwar immer noch, aber zunehmend Die Wachstumsprozesse konnten Bereiche wie Architektur, Theater und das Musikleben aus und sorgte für eine Auf- 18. April – 1.November langsamer. Und trotz gestiegener Mobilität sanken die Unfallzahlen. Der Anteil der dezentral verteilt werden. bruchsstimmung im Land. Allerdings war der steirischen Kulturpolitik seit dem Ende NÖLANDESAUSSTELLUNG09 Todesopfer im Straßenverkehr in Niederösterreich betrug noch 1987 etwa 350 Perso- In funktionaler Hinsicht ergibt der 1990er-Jahre etwas der Atem ausgegangen, während die niederösterreichische HORN.RAABS.TELČ. nen pro Jahr, 2015 waren es etwa 130.1 Zum hohen Motorisierungsgrad, der nur vom St. Pölten erst im Zusammenspiel mit Kulturoffensive erst in die Gänge kam. Erfolgreiche Kulturpolitik in den Bundesländern Burgenland übertroffen wird, kommt der Durchgangsverkehr, der Julia am meisten diesen zusätzlichen Standorten setzt meist auf die Paarung „Tradition und Moderne“ und eine regionale Streuung überrascht – vor allem die vielen Fahrzeuge mit osteuropäischen Kennzeichen, die in sozusagen eine virtuelle Hauptstadt, der Investitionen. Ihr Fahrer überreicht ihr dazu die auf Seite 353 abgedruckte Karte den 1980er-Jahren so gut wie nie zu sehen waren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt die der Größe des Bundeslandes mit den zahlreichen neuen Kultureinrichtungen und – veranstaltungen. Ein gelegent- wird sie ihr Fahrer über die wohl bedeutendsten historischen Ereignisse der vergange- gerecht wird. lich übersehenes Spezifikum des Landes Niederösterreich ist die hohe Dichte an nen Jahrzehnte aufklären: den Zusammenbruch des „Ostblocks“, die Wiedervereini- bedeutenden archäologischen Fundstätten, vor allem entlang des Donautals und im gung Deutschlands, Österreichs EU-Mitgliedschaft und die Erweiterungen der Union. Weinviertel, die ebenfalls zum kulturellen Stellenwert des Landes beitragen. Noch zu Aufgrund dessen ist Niederösterreich vom Rand wieder in die Mitte Europas gerückt. Beginn des 20. Jahrhunderts diente insbesondere die ur- und frühgeschichtliche Nach einer euphorischen Phase – in Niederösterreich wurde überdurchschnittlich Archäologie eher einer regionalen Identitätsbildung, wie etwa das Krahuletz-Museum ÖSTERREICH.TSCHECHIEN. für einen EU-Beitritt gestimmt – kehrte in den späten 1990er-Jahren eine Ernüchte- in Eggenburg und das Höbarth-Museum in Horn belegen. In der Nachkriegszeit rung ein, verbunden mit Ängsten vor Lohndumping bei gleichzeitiger Freude über die übernahm das Land mit der Einrichtung eines Museums für Ur- und Frühgeschichte G ETE I L T billigen Einkaufsmöglichkeiten jenseits der Grenze. In den 2000er-Jahren wurden in Asparn (1967–1970) die Initiative. Bereits seit 1953 gehört ihm das Museum durch die Osterweiterung der Europäischen Union wichtige Umbauprozesse institutio- Carnuntinum. G ET R E N N T nalisiert, die Annäherung zwischen Ost- und Westeuropa ging daher relativ kontrolliert vonstatten. Eine Niederösterreichische Landesausstellung mit dem Titel „.Österreich. Chancen einer Landeshauptstadt VEREIN T Tschechien. geteilt – getrennt – vereint“, die 2009 in Zusammenarbeit mit dem Kreis Julia und ihr Chauffeur biegen bei Wiener Neudorf auf die A21 ab und fahren Vysočina grenzüberschreitend ausgerichtet wurde und über 400.000 Besucher/innen in Richtung St. Pölten. Schon vor ihrem Tiefkühlexperiment wusste Julia, dass St. Pölten anzog, zeigte die gegenseitige Neugier am Nachbarn und die Kooperationsfähigkeit nach einem Referendum im Frühjahr 1986 zur Landeshauptstadt ernannt worden war.

EUROPEAN UNION der Regionen. Als Weinviertlerin war Julia eher skeptisch, was die Entscheidung für die Stadt an European Regional Development Fund www.noe-landesausstellung.at Der Ostöffnung folgten gewaltige Kapitaltransfers und Investitionen in die der Traisen betraf. Wien lag für sie einfach verkehrsgünstiger. Aber die Entscheidung, Ausstellungsplakat der Niederöster- Länder Mittel- und Osteuropas, aber auch Wanderungsprozesse aus diesen, die so wird ihr Fahrer antworten, war wohl die richtige. Und er hat auch ein Alternativ- reichischen Landesausstellung, 2009. inzwischen gründerzeitliche Ausmaße erreicht haben. Der überwiegende Teil der szenario parat: Angenommen, Regierung und Verwaltung wären in Wien geblieben, nach Niederösterreich Zugewanderten kommt heute aus EU-Ländern, allen voran aus hätte man – weil in der Wiener Innenstadt keine Raumressourcen mehr zur Verfügung Deutschland, gefolgt von Rumänien, den ehemaligen jugoslawischen Teilstaaten, standen – vermutlich große Bürokomplexe irgendwo am Stadtrand, etwa in Simmering Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei. Den mit Abstand größten oder Liesing, errichtet. Die Investitionen des Landes von immerhin sechs Milliarden Prozentsatz unter Nicht-EU-Bürger/innen machen Menschen aus, die in der Türkei Schilling, aber auch die Macht- und Entscheidungsstrukturen hätten sich weiterhin in geboren wurden. Am höchsten ist der Anteil von Menschen mit Migrationshinter- Wien konzentriert, was dem ländlichen Raum Niederösterreichs sicher, vermutlich grund in Wiener Neustadt mit fast 25 Prozent, am geringsten in Zwettl mit nur aber sogar Wien nicht gut getan hätte. Aus dem „Land um Wien“, das hinsichtlich der drei Prozent. räumlichen Entwicklung lange Zeit als ein Überlaufbecken für die Metropole fungiert Die Geografin Elisabeth Lichtenberger sprach im Zusammenhang mit der hatte, versuchte man durch die Einrichtung einer Landeshauptstadt St. Pölten, aber In den 2000er-Jahren wurden Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftsdynamik in Österreich von einem „zweimal auch neue Wissenschaftsstandorte in Krems, Tulln und Wiener Neustadt, sowie Tech- durch die Osterweiterung gedrehten Staat“2. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich Bevölkerungs- und nopolen, Forschungs- und Kulturzentren ein System kommunizierender Gefäße zu der Europäischen Union wichtige Wirtschaftswachstum aufgrund der geopolitischen Lage in die westlichen Bundes- schaffen. Die Wachstumsprozesse konnten dezentral verteilt werden. In funktionaler Umbauprozesse institutionalisiert, länder verlagert, der Osten wurde abgehängt und ökonomisch marginalisiert. Mit der Hinsicht ergibt St. Pölten erst im Zusammenspiel mit diesen zusätzlichen Standorten die Annäherung zwischen Ost- Ostöffnung drehten sich die Verhältnisse wieder um. Nun ist es die Ostregion, die sozusagen eine virtuelle Hauptstadt, die der Größe des Bundeslandes gerecht wird. und Westeuropa ging daher relativ besondere Zuwachsraten aufweist. Das gilt auch für die Entwicklung jenseits der kontrolliert vonstatten. Grenzen. Ebenso rasant wie die Region um Wien entwickelt sich jene um Bratislava: das hat unmittelbaren Einfluss auf das östliche Niederösterreich im Umkreis um Hainburg. Schon ab den 1970er-Jahren wurden Kooperationen gegründet, die über Bundeslandgrenzen hinausgehen, wie die „Planungsgemeinschaft Ost“ zur gemeinsa- men Bearbeitung raumrelevanter Fragen, die „Vienna Region Marketinggesellschaft“ zur Bewerbung des gemeinsamen Wirtschaftsraums und die Europaregion Donau- Moldau (EDM), die aus Partnerregionen in Deutschland, Tschechien und Österreich besteht, und in der vor allem die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Bildung und Kultur forciert wird.

Rainer, Nitsch und Volksmusik Sicher fällt Julia auf ihrer Fahrt auf der Südautobahn vor der Ausfahrt Baden das große Hinweisschild für das Arnulf Rainer Museum auf, das 2009 eröffnet wurde. Ihr Fahrer ergänzt, dass Niederösterreich inzwischen auch ein Forum Frohner in Krems und ein Nitsch-Museum in Mistelbach (beide seit 2007) besitzt. Dass ausgerechnet Hermann Nitsch ein Museum in Niederösterreich gewidmet ist, wird Julia vermutlich überraschen. Immerhin wurde Nitsch noch im Jahr 1984 von der Landesregierung Das günstige Klima für zeitgenössi- die Zuerkennung des Landeskulturpreises verweigert, obwohl er von einer namhaft sche Kunst wirkte sich auf verwandte besetzten Jury einstimmig nominiert worden war. Die Verwunderung über die Nitsch- Bereiche wie Architektur, Theater Rehabilitierung bietet Anlass, sich über die beachtlichen Investitionen des Landes und das Musikleben aus und sorgte im Kulturbereich zu unterhalten. für eine Aufbruchsstimmung im Land. Niederösterreich schlug in den 1990er-Jahren einen Weg ein, den drei Jahr- Allerdings war der steirischen Kultur- zehnte zuvor die Steiermark als Erste beschritten hatte, nämlich jenen der umfassen- politik seit dem Ende der 1990er- den Imageerneuerung durch Investitionen in zeitgenössische Kunst. Unter der Ägide Jahre etwas der Atem ausgegangen, des stellvertretenden Landeshauptmanns Hanns Koren waren in den 1960er-Jahren während die niederösterreichische der Steirische Herbst und die internationalen Trigon-Ausstellungen ins Leben gerufen Blick in das nitsch museum im Kulturoffensive erst in die Gänge kam. worden. Das günstige Klima für zeitgenössische Kunst wirkte sich auf verwandte Museumszentrum Mistelbach.

252 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 253 Die neue Landeshauptstadt war lange belächelt worden, hat aber inzwischen eine Die ökologische Situation schaften erhalten, und trotz vielfacher Befürchtungen vor dem Beitritt Österreichs zur Imageerneuerung vollzogen. Galt St. Pölten einst als Inbegriff von Provinzialität hat sich in vielen Bereichen EU im Jahre 1995 ist auch das große Bauernsterben ausgeblieben, wiewohl die Zahl und Langeweile, durchdrungen vom strengen Geruch der Glanzstoffwerke, wird es entspannt; Entwarnung, der Betriebe seither noch einmal um ein Drittel gesunken ist. Die ökologische Situati- heute vor allem von jungen Leuten als durchaus quirlige Studenten- und Festivalstadt so wird ihr Fahrer sagen, on hat sich in vielen Bereichen entspannt; Entwarnung, so wird ihr Fahrer sagen, ist wahrgenommen. Und auch das zwischen 1992 und 1997 realisierte Regierungsviertel ist damit aber nicht gegeben. damit aber nicht gegeben. Die Umweltproblematik wird heute von Klimawandel und hat sich bewährt, vor allem was die Aufwertung des Traisenufers und die Architektur Kohlendioxidemissionen dominiert. Mit dem Klimawandel stehen auch die großen der großen Kulturbauten (z. B. Festspielhaus, Museum Niederösterreich, Landes- Hochwasser in Niederösterreich in den vergangenen 15 Jahren (2002 und 2006) und bibliothek) betrifft. Würde man das Areal heute konzipieren, hätte man es wohl die außerordentlich heißen Sommer und milden Winter in Zusammenhang. Zählte multifunktional angelegt und unterschiedliche Nutzungen wie Wohnen, Gewerbe man 1985 etwa sechs heiße Tage über 30 Grad Celsius im Jahr, waren es im Jahr 2015 und Gastronomie durchmischt, wodurch ein Zusammenwachsen mit der Kernstadt 43 Tage. Registrierte man am Semmering damals 150 Tage mit einer Schneedecke, erleichtert worden wäre. waren es 2015 nur mehr 30 Tage. Der Mangel an Schnee sowie die geringe Rentabilität haben inzwischen zur Aufgabe einiger kleinerer Skigebiete in Niederösterreich geführt. Vom Waldsterben zum Klimawandel Umso mehr wird es Julia erstaunen, dass 2017 um eine dritte Startbahn am Auf dem Weg nach Krems ruft sich Julia noch einmal die großen Themen Flughafen Schwechat gestritten wird, nun aber die Proteste für die Errichtung die der 1980er-Jahre in Erinnerung. Vor allem der Umweltschutz beschäftigte sie damals: Medien dominieren, und dass der Verfassungsgerichtshof das Urteil des Bundesver- Waldsterben, saurer Regen, Ölteppiche an den Meeresküsten, Tschernobyl. Einige waltungsgerichts gegen den Bau mit der Begründung aufgehoben hat, dass es dem Schreckensszenarien der Skeptiker von damals sind ausgeblieben: Die Flüsse haben Klimaschutz in unzulässiger Weise zu viel Bedeutung beigemessen habe. In den sich von den Phosphatbelastungen schon in den 1980er-Jahren allmählich erholt 1980er-Jahren, erinnert Julia ihren Fahrer, bestimmten die Gegner von Flughafen- gehabt, das Waldsterben etwa gilt seit den 2000er-Jahren als beendet, nachdem die Startbahnen (etwa in Frankfurt) den Diskurs. Doch das Standortargument, der Wett- Emissionen einiger besonders aggressiver Schadstoffe deutlich verringert werden bewerb mit den Flughäfen von Bratislava und München sowie die stets im Raum konnten. Aus der 1984 umkämpften Hainburger Au ist inzwischen der Nationalpark stehende Sorge um Arbeitsplätze wiegen offenbar schwerer als das Umweltargument. Donauauen (1996) geworden. Auch haben sich die niederösterreichischen Kulturland- Der Flugverkehr in Schwechat hat sich seit 1987 von etwa vier Millionen Fluggästen Open-Air-Kino. Cinema Paradiso am auf über 23 Millionen mehr als verfünffacht. Rathausplatz von St. Pölten. Erstaunen lösen bei Julia gewiss auch die riesigen Windräder aus, die in manchen Regionen Niederösterreichs die Landschaft beherrschen. Noch in den frühen 1990er-Jahren waren Meteorologen der Ansicht, dass in Österreich der Wind zu schwach sei, um ihn energetisch nutzen zu können. Doch nicht nur der Wind dürfte unterschätzt worden sein, sondern auch die technischen Möglichkeiten seiner Nutzung. 1994 wurde das erste Windrad in Wagram an der Donau in Betrieb genom- men, heute sind es über 600 alleine in Niederösterreich. Windräder ebenso wie Photovoltaikmodule auf vielen Hausdächern stehen als auffällige Zeichen für die angestrebte Energiewende, die bereits in den 1970er-Jahren postuliert worden war, sich aber immer wieder hinausgeschoben hat. Erst in den vergangenen Jahren gelang es, den Verbrauch von fossiler, nicht erneuerbarer Energie auf hohem Niveau leicht zu reduzieren. Vor allem aber konnte der Energieverbrauch vom Wirtschafts- wachstum entkoppelt werden, was noch in den 1980er-Jahren als praktisch un- möglich gegolten hatte. Dem grundsätzlich hohen Umweltbewusstsein in Niederösterreich, das vielfach im Alltag der Menschen Niederschlag gefunden hat (Stichworte: Beliebtheit biologischer Lebensmittel, sinkendes Abfallaufkommen, energiesparende Bauweisen etc.), steht eine „imperiale Lebensweise“ gegenüber, wie die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen den Lebensstil im „globalen Norden“ nennen. Hier sind die Fetische Steigerung und Wachstum tief im Denken der Menschen verankert, ein unbegrenzter und politisch abgesicherter Zugriff auf Ressourcen, Arbeitsvermögen und Raum wird vorausgesetzt.3 In Niederösterreich drückt sich diese Lebensweise u. a. in einem besonders hohen Motorisierungsgrad und einer beträchtlichen Vergrö- ßerung des Wohnraums aus. Noch in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre dominierten

173 Windkraftanlagen befinden sich im Windpark Bruck an der Leitha. Sie versorgen etwa 255.000 Haushalte.

255 Überraschend war für viele auch Es lebe der Widerspruch der radikale Umbau der ehemals Während ihrer Fahrt durch Niederösterreich und ihrer Ankunft in der Gegen- staatssozialistischen Nachbarländer wart wird Julia konstatieren, dass die von ihr „übersprungene“ Epoche von 30 Jahren Niederösterreichs in kapitalistische von einer Reihe langfristiger Prozesse geprägt ist, die bereits in den 1980er-Jahren Demokratien, der teilweise zu bekannt gewesen sind: das Älterwerden der Bevölkerung, niedrige Geburtenraten, gewaltigen sozialen Erosionen das Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung, die Abwanderung aus ländlich- geführt hat. Niederösterreich hat peripheren Regionen in die Städte, in der Wirtschaft der Aufstieg des Dienstleistungs- trotz seiner langen Ostgrenze sektors, die Tendenzen zur Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Liberalisierung von den negativen Effekten dieses und Deregulierung, damals als Thatcherismus und Reagonomics bekannt und um- Umbaus relativ wenig mitbekommen, stritten. Auch die steigende Bedeutung von Telekommunikation und Informations- hingegen von Anfang an von der technologie hat sich abgezeichnet. Überraschend war hingegen gleich zu Beginn Ostöffnung profitiert. dieser Periode die Ostöffnung, mit der kaum jemand gerechnet hatte und die zeigte, dass „die“ Geschichte immer noch Ereignisse parat hat, die in Prognosen und Analysen nicht vorhergesagt werden können. Überraschend war für viele auch der radikale Umbau der ehemals staatssozialistischen Nachbarländer Niederösterreichs in kapitalis- tische Demokratien, der teilweise zu gewaltigen sozialen Erosionen geführt hat. Niederösterreich hat trotz seiner langen Ostgrenze von den negativen Effekten dieses Umbaus relativ wenig mitbekommen, hingegen von Anfang an von der Ostöffnung profitiert. Es etablierte sich als Drehscheibe und Transferraum für Mittelosteuropa. Insgesamt wird Julia die Entwicklung der drei Jahrzehnte wohl positiv bilanzieren. Es ist gelungen, laufende Herausforderungen ebenso wie größere Krisen, trotz verschiedener Rückschläge, zu meistern. Und doch wird Julia das seltsam Unein- deutige und Widersprüchliche der Gegenwart aufgefallen sein. Man nehme zum Beispiel das Verhältnis der Menschen zu ihrem Lebensraum her, das in einem flächen- reichen Bundesland wie Niederösterreich von erheblicher Bedeutung ist. Zum einen gibt es eine klare Tendenz zur räumlichen „Entankerung“. Die steigende Mobilität Außenminister Alois Mock und steht mit einer Vielfalt von Lebensstilen in Verbindung; man erwartet ein breites Landeshauptmann Siegfried Ludwig Angebot an beruflichen Chancen und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und ist beim Durchschneiden des Drahtzauns dafür bereit, sich von seinem Herkunftsort dauerhaft oder temporär weit zu entfernen. bei Laa an der Thaya, rechts der tschechoslowakische Außenminister Jiří Dienstbier, 27. Juni 1989.

Wohnungen in der Größenkategorie von unter 90 Quadratmetern, heute sind es jene, die über 130 Quadratmeter Nutzfläche aufweisen. Entsprechend kritisch ist der Flächenverbrauch, zumal der intensiven Neubautätigkeit auf der „grünen Wiese“ eine „Unternutzung“ in vielen Ortszentren gegenübersteht. Julia fährt schließlich in Krems ein, wird von ihrem Chauffeur auf die neuen Kultureinrichtungen (Kunsthalle, Karikaturmuseum, Baustelle der Landesgalerie Niederösterreich) aufmerksam gemacht sowie auf den Campus Krems. Rund um die alte Tabakfabrik sind seit den 1990er-Jahren Institute der Donau-Universität Krems, die Fachhochschule IMC und die Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheits- wissenschaften entstanden. Angesichts der zahlreichen neuen Bildungseinrichtungen möchte Julia wissen, wie es um die Rolle der Frauen im wissenschaftlichen und wirt- schaftlichen Leben des Landes steht. Ihr Fahrer hat sich auch auf diese Frage vorbe- Bürgermeisterin Zenzi Hölzl und der reitet und kann ihr berichten, dass an den Universitäten Niederösterreichs 57 Prozent Gemeinderat von Gloggnitz, 1955. der Studienanfänger/innen und 60 Prozent der Absolvent/innen Frauen sind, wobei, Bahnstation Campus Krems mit der weniger überraschend, Frauen in Gesundheitswissenschaften dominieren und Männer Installation Loops der Künstlergruppe in den technischen Disziplinen. Auch unter den Selbstständigen, gemessen an den „Peanutz Architekten“ (oben). Mitgliedern der Wirtschaftskammer, gibt es mittlerweile fast gleich viele Frauen wie Männer (1987 war es ein Drittel), wobei Frauen vor allem Ein-Personen- sowie Kleinunternehmen führen. Doch täuschen die erfreulichen Daten nicht darüber hinweg, dass immer noch strukturelle Ungleichheiten bestehen; je höher die Einkom- In Niederösterreich sind 57 Prozent mensstufen, umso geringer der Anteil an Frauen. Nur im öffentlichen Sektor sind der Studienanfänger/innen und die Einkommen einigermaßen angeglichen worden. An dieser Stelle wird ihr Fahrer 60 Prozent der Absolvent/innen Julia damit überraschen, dass Niederösterreich seit 2017 eine Landeshauptfrau hat. Frauen, wobei, weniger über- Johanna Mikl-Leitner ist österreichweit erst die dritte Frau, die ein solches Amt raschend, Frauen in Gesundheits- innehat. Die erste Landeshauptfrau war Waltraud Klasnic 1996 in der Steiermark. wissenschaften dominieren Dafür kann Niederösterreich mit der ersten Bürgermeisterin Österreichs (Zenzi Hölzl und Männer in den technischen ab 1948 in Gloggnitz) und mit der ersten Polizistin (Elly Edinger aus Neunkirchen Disziplinen. im Jahre 1965) punkten.

256 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 257 Erst in der Nachkriegszeit versuchte Man müsste daraus den Schluss ziehen, dass ein lokales oder regionales Bewusstsein Vielfalt ländlicher Räume man dem räumlichen Leitbild eine immer kleinere Rolle spielt, was für die langfristigen Planungsaufgaben der Eine besondere Herausforderung der Landespolitik liegt seit den 1980er-Jah- Stadt ein genuines Leitbild des länd- Landespolitik höchst problematisch wäre. Doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. ren darin, Disparitäten zwischen wachsenden Stadtregionen einerseits und dem lichen Raumes entgegenzuhalten, Die emotionale Bindung an das Bundesland Niederösterreich ist in den vergangenen bevölkerungsmäßig schrumpfenden peripheren ländlichen Raum andererseits nicht doch je differenzierter man das tat, Jahrzehnten gestiegen. Noch im Jahre 1987 verstanden sich einer Untersuchung noch größer werden zu lassen. Denn die Verteilung der Menschen im gesamten umso deutlicher wurde, dass es zufolge Personen aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland überdurchschnitt- Bundesland ist auch ein Abbild sozialer Ungleichheiten zwischen Jung und Alt, bevor- „den ländlichen Raum“ gar nicht gibt. lich als „Österreicher/innen“ bei schwächer ausgeprägtem Landesbewusstsein – im zugten und benachteiligten Menschen. Unterschied etwa zu den glühenden Landespatrioten in Kärnten und Tirol.4 Eine Doch was ist der ländliche Raum? Die Raumplanung orientierte sich lange Landesumfrage im Jahre 2012 ergab indes, dass sich Niederösterreicher/innen zu Zeit am städtischen Raum, der ländliche Raum war eine residuale Kategorie, eine 92 Prozent mit ihrem Bundesland identifizieren und überzeugt sind, dass sich dieses Rest-, Reserve- und Ergänzungsfläche. Erst in der Nachkriegszeit versuchte man dem in vieler Hinsicht besser als der Bund entwickeln würde.5 Die Verstärkung des Landes- räumlichen Leitbild Stadt ein genuines Leitbild des ländlichen Raumes entgegenzuhal- bewusstseins verdankt sich allerdings nicht so sehr dem Einsatz von politischen ten, doch je differenzierter man das tat, umso deutlicher wurde, dass es „den ländli- Ritualen und Blau-Gelb-Symbolik als vielmehr der Fähigkeit der Menschen, verschiede- chen Raum“ gar nicht gibt. Auch war dieser nie nur ländlich, sondern hatte schon früh ne Erfahrungen, persönliche Erinnerungen und Bilder, die von Schulfreundschaften auch andere Funktionen eingelagert, gerade in Niederösterreich, wo das Land von über bestimmte Landschaftsausschnitte, das Sommerbad im Nachbarort, kreative Wien aus im Industriezeitalter mit Manufakturen und Fabriken überzogen worden war, Gastwirte, die Musikschule, Kulturveranstaltungen bis zu internationalen Erfolgen von wo durch Eisenbahnverbindungen neue Geografien entstanden sind, in denen nicht Spitzensportler/innen reichen können, territorial zu bündeln. Schon der Umstand, mehr die natürliche Entfernung, sondern die Nähe zu neuen Verkehrsadern über den 400 Kreisverkehre gibt es mittlerweile dass so unterschiedliche Fragmente einer eigenen Vorstellungswelt namens „Nieder- Anschluss an wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen entschied. Und je näher in Niederösterreich. Dieser stammt österreich“ zugerechnet werden, kann als Erfolg verbucht werden. man der Gegenwart kommt, umso vielfältiger bietet sich das dar, was formal als „länd- von Leo Schatzl, befindet sich in Unterstinkenbrunn und heißt licher Raum“ bezeichnet wird: Da gibt es die sogenannten Agglomerationszonen rund „Großes Zwiebelchen“, 2007. um Wien und um die niederösterreichischen Städte, da gibt es periphere Gebiete in Grenznähe etwa zur Slowakei, die mit der Boomregion Bratislava mitwachsen, aber auch solche, die trotz Grenzöffnung kaum an Wachstum zugelegt haben; da gibt es attraktive ländliche Räume für den überregionalen Fremdenverkehr wie das Ötscher- land und Räume in günstiger Lage zu Verdichtungsgebieten wie das Alpenvorland um Amstetten; weiters gibt es gering besiedelte ländliche Räume, aber mit wirtschaft- lichen Wachstumstendenzen, wie das Gebiet um Mistelbach und Räume mit günstigen Produktionsbedingungen für die Landwirtschaft wie das Marchfeld und die Wein- baugebiete entlang der Donau. Und schließlich existieren auch ländliche Räume mit ungünstigen Entwicklungsbedingungen, schlechten Verbindungen, niedriger Bevölke- rungsdichte und wenig außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen wie Teile des nörd- lichen Waldviertels, wo eingeleitete Maßnahmen nur punktuell gegensteuern können. Selbst wenn man sich an groben Unterscheidungen orientieren möchte, kann Niederösterreich je nach Perspektive sowohl als ein Land der Dörfer als auch als ein Land der Städte betrachtet werden. In Großsiedlungen und Städten über 5.000 Einwohner/innen leben immerhin 45 Prozent der Bevölkerung. Dazu kommt die historische Verflechtung mit der Bundeshauptstadt Wien, die diesen Raum gleich- falls mitprägt, sei es als Wachstumsmotor, als Investor oder Nutzer der Ressourcen des Landes. Wie überall in Europa besteht auch in Österreich zwischen der Metropole und ihrem Umland eine markante wirtschaftliche Disparität, die allerdings in anderen Ländern noch wesentlich deutlicher ausgeprägt ist, wie etwa in den Regionen um Bratislava, Budapest, Prag und Berlin. Fast überall bildet die jeweilige nationale Haupt- stadt das Arbeitsmarktzentrum für eine ganze Region, saugt Wertschöpfung und Arbeitskräfte ab, bietet aber auch eine Vielfalt an Arbeitsplätzen und hochwertigen Dienstleistungen. Außerhalb Wiens sind schon ab der Nachkriegszeit mehr oder weniger kontrolliert gewachsene suburbane Siedlungszonen entstanden, die oft als Speckgürtel bezeichnet werden, da sich dort Einkommen und regionale Wertschöp- fung konzentrieren und die reichsten Gemeinden des Landes befinden. Bis in die 1980er-Jahre entwickelte sich die Suburbanisierung hauptsächlich nach Süden, wo bereits im 19. Jahrhundert eine bandartige Siedlungsstruktur bis Wiener Neustadt und Neunkirchen entstanden war. Seit der Ostöffnung und der EU-Erweiterung etablieren sich neue Siedlungsachsen nach Norden in Richtung Brünn/Brno und Znaim/Znojmo sowie nach Osten. Die Siedlungsachse nach St. Pölten und St. Valentin ist durch die Hochgeschwindigkeitsstrecke der Eisenbahn seit 2012 bedeutend gestärkt worden.

258 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 259 Die digitale Kommunikation kann „Rettet das Dorf!“ Die Niederösterreichischen Zwischen Region und Union durchaus negative Folgen auf Weit außerhalb der prosperierenden Stadtregionen und Entwicklungsachsen Landesausstellungen sind in den Auf der nächsthöheren Ebene der operativen Regionalentwicklung hat sich kleine Gemeinden haben, wenn etwa in Niederösterreichs liegen Gemeinden ohne Infrastrukturausstattung, die schon vergangenen Jahren immer die Konzentration auf die historische Viertelteilung bewährt. Die Einrichtung von der elektronische Brief- und Paket- seit vielen Jahrzehnten gegen Abwanderungstendenzen anzukämpfen haben. Die stärker Bestandteil von Regional- viertelbezogenen Regionalmanagements nach dem EU-Beitritt 1995 hat dazu beigetra- verkehr Postämter entbehrlich macht Bemühungen, den Trend zu stoppen, sind zahlreich, Patentrezepte zeichnen sich aber entwicklungsprojekten geworden, gen, dass Niederösterreich heute stärker mit seinen Regionen assoziiert wird als früher. oder durch digitale Services Behörden- keine ab. So hat sich etwa die Hoffnung, durch moderne Kommunikationstechnologien bei denen die jeweilige Ausstellungs- Aber auch Landesausstellungen unterstützen das Vierteldenken und damit das Denken wege eingespart werden, die den würden sich neue Dienstleistungen in entlegene Gebiete verlagern lassen, nur teil- saison nur den Anlass darstellt in unterschiedlichen Ressourcen und Potenzialen. Die Niederösterreichischen Landes- sozialen Verkehr weiter reduzieren. weise erfüllt. Auch diese sind eben immer noch an physische Anwesenheit und ein und die entscheidenden Prozesse ausstellungen sind in den vergangenen Jahren immer stärker Bestandteil von Regio- hohes Maß an Sozialkontakten gebunden und diese lassen sich nur vorübergehend vorher und nachher stattfinden. nalentwicklungsprojekten geworden, bei denen die jeweilige Ausstellungssaison nur durch virtuelle Begegnungen ersetzen. Die digitale Kommunikation kann durchaus den Anlass darstellt und die entscheidenden Prozesse vorher und nachher stattfinden. negative Folgen auf kleine Gemeinden haben, wenn etwa der elektronische Brief- und Noch bis in die 1990er-Jahre reiste der Ausstellungsbetrieb von Schauplatz zu Schau- Paketverkehr Postämter entbehrlich macht oder durch digitale Services Behördenwege platz, ohne sich viel um ökonomische Energien in den Regionen zu kümmern. Nach eingespart werden, die den sozialen Verkehr weiter reduzieren. dem Abzug der Ausstellung war es meist auch mit den privaten und öffentlichen Auch die Motorisierung hat eine ambivalente Wirkung auf die Entwicklung Investitionen vorbei. Mittlerweile werden Bewerbungen für die Austragung einer des ländlichen Raumes. Das Auto stellt für das Dorf Fluch und Segen gleichermaßen Landesausstellung danach beurteilt, welche „endogenen“ Kräfte sie mobilisiert, welche dar. In der Nachkriegszeit hat es dazu beigetragen, die Landflucht zu verlangsamen langfristigen Investitionen in der Region aktiviert und welche Stärken gefördert und berufliche sowie soziale Optionen für die Menschen zu erhöhen. Die massive werden können. Die Nachnutzung einer Landesausstellung ist gewissermaßen zu ihrer Verschiebung der Arbeitsbevölkerung von der Landwirtschaft in Industrie- und Dienst- Hauptnutzung geworden. Das Beispiel der Niederösterreichischen Landesausstellung leistungsbetriebe erforderte eine Flexibilität, die praktisch nur durch das Auspendeln 2015 „ÖTSCHER:REICH. Die Alpen und wir“ mag dafür exemplarisch genannt sein. möglich gewesen ist. Die Landflucht wurde so quasi in eine Pendelbewegung umge- Große Kunstausstellungen spielten aber auch eine Rolle in der außenpoliti- wandelt. Zum anderen wurde durch die massive Subventionierung des Straßenbaus schen Positionierung Niederösterreichs. Ausstellungen auf der Schallaburg, etwa über im Lauf der Jahrzehnte ein eigenes autoorientiertes „Siedlungssystem“ geschaffen. bulgarische Kunst (1979), Kunstschätze des 18. Jahrhunderts in der DDR (1984), Polen Wohnbauten und Firmen wuchsen an den Dörfern und mittlerweile auch an Klein- im Zeitalter der Jagiellonen (1986) oder den Prager Barock (1989), waren Zeichen für städten vorbei, zogen soziales Leben und Geschäftsaktivitäten aus den Zentren ab und eine verstärkte kulturelle Zusammenarbeit mit Ländern jenseits des „Eisernen Vor- verlagerten diese an den Siedlungsrand. Auch die Pendlerbevölkerung zog es vor, hangs“. Schon 1982 wurde von Landeshauptmann Siegfried Ludwig die Gründung einer am Ortsrand neue Einfamilienhäuser zu errichten. Aus einer rein funktionalistischen ARGE Donauländer angeregt mit dem Ziel, im Donauraum eine „echte Friedenszone“ Perspektive könnte man sagen, dass entlang von Ortsumfahrungen und Kreisverkehren zu schaffen. Es folgten Vorbereitungsgespräche sowie eine „Gemeinsame Erklärung“, einfach neue Funktionsräume entstanden sind, die zunehmend die Rolle sozialer die mit den westlichen Partnerregionen aus naheliegenden Gründen schneller vonstat- Zentren erfüllen. Doch einer solchen Sicht widerspricht die Favorisierung der traditio- tengingen als mit jenen der östlichen Nachbarländer. Debattiert wurde über Umwelt- nellen Siedlungstypen, die man nicht einfach aufgeben möchte. Im Landesentwick- schutz, Kultur-, Wirtschaft- und Fremdenverkehrsfragen. 1987 waren erstmals auch lungskonzept von 2003 heißt es, dass in einem Ortszentrum Werte gehandelt werden Beobachter der Botschaften der UdSSR und ČSSR bei den Gesprächen anwesend. Zur müssten, sonst hätten die Zentren keinen Sinn mehr. „Wenn in den Zentren keine Öffnung der Grenzen im Herbst 1989 erfolgte im niederösterreichischen Landhaus relevanten Werte mehr getauscht werden, sind sie auch real nichts mehr wert und die offizielle Gründung der Arbeitsgemeinschaft. verkommen zu städtebaulichen Brachflächen oder zur historischen Kulisse.“6 Umso Einen supranationalen Zweck verfolgte das Europa-Forum Wachau im Stift wichtiger sind Maßnahmen zur Aktivierung des innerörtlichen Potenzials. Göttweig, 1995 im ersten Jahr der Mitgliedschaft Österreichs in der EU mit dem Zu ergänzen ist, dass Niederösterreich durch sehr unterschiedliche Siedlungs- Ziel gegründet, die „Bürgernähe zu Europa zu stärken und als Impulsgeber und Diskus- formen charakterisiert ist, von denen manche diese Prozesse besser als andere ver- sionsplattform für europapolitische Entscheidungen und deren Erweiterung zu die- kraftet haben. Vor allem die „urbanisierten“ Weinbaugebiete in der Wachau, die nen“. Ein Blick auf die Themenliste seit 1995 gibt recht gut die Stimmungsschwankun- schon im 19. Jahrhundert Kunstschaffende und Feriengäste angezogen und stets eine gen der vergangenen 20 Jahre in der EU wieder. Da ist in den ersten zehn Jahren besonders hohe Wertschätzung genossen haben, kamen vergleichsweise besser davon, von „Vision“, „Erweiterung“, „Chancen“ und „Perspektiven“ die Rede, in den letzten vor allem, weil dort die Bedeutung der Ressource Boden früher erkannt wurde. Ein entscheidender Vorteil der Jahren dagegen viel von „Krisen“ und „Grenzen“. Im Frühjahr 2017 lautete das Haupt- Der Geograf Gerhard Henkel hat 2016 ein Buch mit dem mahnenden Titel Region in ihrer Beziehung zur thema neuerlich „Bürgernähe“. „Rettet das Dorf!“ veröffentlicht, in dem er auf die Abwärtsbewegung und Existenzkrise Europäischen Union besteht darin, Insgesamt ist die Entwicklung der Europäischen Union eigentlich nie krisen- vieler Dörfer aufmerksam macht.7 Er betont aber auch, dass das Dorf mit dem Wandel dass sie sich jenseits der Spannungs- frei gewesen, vielmehr scheint eine gewisses Maß an Dissens sogar ein wichtiger manches gewonnen hat, dass die Bevölkerung im ländlichen Raum durch Bildung bögen zwischen Nationalstaaten Bestandteil dieser komplexen Gemeinschaft zu sein. Aus deutscher Perspektive einen und Mobilisierung wohlhabender, liberaler und weltoffener geworden ist. Umso mehr und Union bewegen kann und wesentlich größeren Zeitraum betrachtend, sind für den Historiker Andreas Rödder bleibt es zu wünschen, dass – trotz anderslautender Prognosen – die Entleerung ihre Politiker unangenehme Krisen der EU geradezu ein „Motor in einem Prozess der Fortschritte durch Rück- peripherer ländlicher Räume aufgehalten werden kann. EU-Entscheidungen „zu Hause“ schläge“.8 Ein Muster habe sich etabliert: europäische Krisen seien jeweils durch mehr Dass man seitens des Landes Niederösterreich nicht passiv zugesehen oder nicht rechtfertigen müssen. Europa gelöst worden. Auch die Euro-Schulden-Krise mit ihren Rettungsschirmen alles dem Zufall überlassen hat, dokumentiert das Langzeitprojekt Dorferneuerung, das 1984 in vier Testgemeinden in Niederösterreich seine Tätigkeit aufgenommen hat. Zu den Zielsetzungen der Dorferneuerung zählten von Anfang an nicht allein die Gestaltung und Verbesserung von Orten an sich, sondern auch die Qualität des Prozes- ses, die Ermutigung zur Selbsthilfe und Eigenverantwortung. Zu den Zielsetzungen der Dorf- Erfolgreich entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten auch die über- erneuerung zählten von Anfang an örtliche Zusammenarbeit, der Aufbau von Gemeindekooperationen etwa zur Abfallbe- nicht allein die Gestaltung und seitigung, in Sachen Klimaschutz oder bei kulturellen und touristischen Kooperationen. Verbesserung von Orten an sich, Dabei führen zwei gegenläufige Zielsetzungen zu einem Gegenstromprinzip: Zum sondern auch die Qualität des einen werden Ressourcen gebündelt und Entscheidungen auf einer Stufe „oberhalb“ Prozesses, die Ermutigung zur Selbst- der einzelnen Gemeinde getroffen, zum anderen werden Entscheidungskompetenzen hilfe und Eigenverantwortung. auf möglichst viele Menschen verteilt, die auf jeder Ebene mitbestimmen können.

In Wienerbruck, am Eingang zu den Ötschergräben, entstand in Zusammen- arbeit mit der Landesausstellung 2015 das Naturparkzentrum Ötscher-Basis.

260 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 261 Progressive Interpret/innen sehen und neuen Instrumenten zur Durchsetzung stabiler öffentlicher Finanzen folge die- Die gedehnte Gegenwart in der Stärkung der Regionen sem Muster. Jede Notlösung führe quasi zu einer weiteren Vergemeinschaftung. Für einen Menschen wie Julia, die aus den 1980er-Jahren direkt in die Gegen- die Möglichkeit, den politischen Doch was hält die EU zusammen? Den grundlegenden Werten im Dschungel wart katapultiert wurde und 30 Jahre übersprungen hat, ergibt sich vermutlich ein Diskurs um Europa wieder an- des europäischen Vertragsgeflechtes spricht Andreas Rödder nur wenig „Appellations- eigenartiges, vielfältiges, mitunter aber auch schwer begreifbares Bild der Gegenwart. zufachen und ein nachnationales kraft“ zu, und klassische Werte wie gemeinsame Sprache und Geschichte fielen weg, Es zeichnen sich für das vergangene Jahrzehnt keine revolutionären Umbrüche ab, Europa umzusetzen. weil sich Europa gerade durch die Vielfalt von Nationen, Sprachen und Geschichten aber viele spürbare Veränderungen, die sich verdichten und vielleicht gemeinsam auszeichne. Umso bedeutender sei das große gemeinsame Narrativ, das die EU als einen Wandel herbeiführen könnten. Gleichzeitig hat sich ein hohes Maß an Steuer- Umkehr einer Geschichte der Gewalt in eine des historisch einzigartigen Zustand eines barkeit von langfristigen Prozessen herausgebildet. Die Phase eines „desorganisierten langen Friedens, der Freiheit und des Wohlstands beschreibt. Kapitalismus“, wie die Soziologen Scott Lash und John Urry die politisch-ökonomischen Ein entscheidender Vorteil der Region in ihrer Beziehung zur Europäischen Erscheinungen der Gegenwart13 charakterisieren, ist zugleich von einer historisch Union besteht darin, dass sie sich jenseits der Spannungsbögen zwischen National- einmalig hohen Planungsintensität gekennzeichnet, einer Vielzahl von Gegenmaß- staaten und Union bewegen kann und ihre Politiker unangenehme EU-Entscheidungen nahmen und Ausgleichsmanövern, die die Konsequenzen der vermeintlichen Des- „zu Hause“ nicht rechtfertigen müssen. Dazu kommt, dass unterschiedliche Präferen- organisation zumindest wenig spüren lassen. Gesellschaften lernen laufend, externe zen von Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene, wie etwa geldpolitische Stabilität Störungen zu verkraften, ohne dass sich ihre wesentlichen Systemfunktionen ändern. für den einen und die soziale Wohlfahrt für den anderen, auf regionaler Ebene eine Auch kommt es zu einer Kombination von langfristigen und kurzfristigen Entwicklun- geringere Rolle spielen. Regionen stehen zwar immer in einem Standortwettbewerb, gen, zu Phänomenen der Beschleunigung bei gleichzeitiger Verlangsamung. Zum haben aber mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen, was die Kommunikation einen scheint alles schneller zu werden, zum anderen ist eine eigenartige Dehnung der sowohl mit der EU als auch untereinander erleichtert. Gegenwart festzustellen. Vieles wiederholt sich scheinbar in immer neuen Schleifen, Dabei sollte man sich vor Augen halten: Auch Nationalstaaten sind nicht anderes wird zur Daueraufgabe mit offenem Ende. Insgesamt hat man den Eindruck, mehr, was sie vor ihrer Integration in die EU waren. Wie die zähen Brexit-Verhandlun- dass der „globale Norden“ auf eine neue Art von „Longue durée“ zusteuern könnte, auf gen zeigen, ist eine Nation als EU-Mitglied keineswegs eine geschlossene Einheit eine Epoche einer „langen Dauer“, in der das Kurzlebige mit der Langlebigkeit zusam- geblieben, dazu sind die Verflechtungen zwischen den Entscheidungsinstanzen und menhängt, der langen Friedenszeit, der langen Prosperität, den Pfadabhängigkeiten, Rechtsnormen zu umfangreich und dicht geworden. Über 130.000 Seiten an Ver- dem geübten Interessen- und Konfliktausgleich, der auf eine historisch einmalig lange ordnungen und Richtlinien wurden mittlerweile in die nationalen Gesetzgebungen Erfolgszeit zurückblicken kann. Auch sind wohl noch nie so viele Akteur/innen einer übernommen. Auch auf regionaler Ebene sind die Beziehungen zur EU verbindlicher Gesellschaft ausdrücklich mit dem Denken, Planen und Evaluieren von Zukunft befasst geworden. Die EU bietet den einzelnen Regionen mehr Handlungsmöglichkeiten, gewesen. Die Zukunft ist gewissermaßen zur Gegenwart geworden, weil sie laufend fordert aber überregionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Diese unter- vorweggenommen wird. läuft wiederum die traditionelle Nationalstaatlichkeit. Dazu kommt, dass die Regional- Regionalpolitik hat gegenüber einer gesamtstaatlichen Politik den Vorteil politik im EU-Haushalt ein Drittel des Gesamtbudgets in Anspruch nimmt und damit längerer Kontinuität und Berechenbarkeit. Dass dieser Vorteil in Niederösterreich in den größten Einzelposten, also das wichtigste Investitionsinstrument der Union den vergangenen Jahrzehnten produktiv genutzt worden ist, konzedieren selbst darstellt. Allein im Zusammenhang mit dem EU-Förderprogramm von 2007 bis 2013 politische Gegner; zum einen, weil Politik und Verwaltung relativ zielorientiert zu- wurden in Niederösterreich rund 7.600 Projekte mit einem Investitionsvolumen sammenarbeiten, zum anderen aber auch, weil es gelungen ist, zivilgesellschaftliches von einer Milliarde Euro realisiert. Engagement zu mobilisieren. Weniger als die Mitgliedstaaten hätten also die Mitgliedsregionen einen Aber auch Regionalpolitik braucht Perspektiven und neue Pfade, die sie Grund, die Europäische Union zu verlassen (wenn sie es denn könnten), um dann betreten kann, braucht Meilensteine in der Zeit und Orientierungspunkte im Raum, wieder gänzlich vom Goodwill nationaler Verteilungspolitik abhängig zu sein. Umge- die man festlegen und die man erreichen kann. Im Sommer 2017 beschlossen das kehrt stellt die Region eine Basis dar, den Renationalisierungstendenzen entgegen- Land Niederösterreich und die Stadt St. Pölten, dass sich Letztere als Kulturhauptstadt zuwirken. Selbst Skeptiker wie der Staatsrechtler Josef Isensee, der den 1992 im für das Jahr 2024 bewirbt. Eine Entscheidung für diesen Titel könnte ein solcher Vertrag von Maastricht eingerichteten „Ausschuss der Regionen“ als „folkloristische nötiger Meilenstein sein, vor allem dann, wenn es gelingt, die Energien nicht nur in Schaubühne“ bezeichnet hat, die politisch wenig bewirke, betonen, dass die Regionen der Stadt zu bündeln, sondern in die Regionen hinaus wirken zu lassen. „vitale Elemente europäischer Identität“ darstellen, während die Union selbst eher ein „Konstrukt der politischen Vernunft“ sei.9 Ausgehend von einer Feststellung des Soziologen Daniel Bell, wonach Nationalstaaten zur Lösung der großen Probleme zu klein seien und zur Lösung der kleinen Probleme zu groß, meint der Europarechts- experte Christoph Perathoner, dass Regionen diese Lücke zu schließen vermögen.10 Unter den Befürworter/innen eines „Europa der Regionen“ bieten sich zwei unterschiedliche Deutungen an; zum einen die Vorstellung einer „Beheimatung“ europäischer Politik, die Landesbürger/innen das Gefühl gibt, die EU im überschau- baren und weniger konfliktträchtigen Rahmen der Region unmittelbar mittragen zu können; und zum anderen die Vorstellung eines entnationalisierten Europa, einer europäischen Republik, die direkt mit den Regionen als identitätsstiftenden Elemen- ten verbunden ist. Für die erstere Deutung könnte man eine Aussage von Landes- hauptmann Erwin Pröll aus dem Jahre 2012 heranziehen, wonach Regionen durch „die regional begrenzte, aber koordinierte Arbeit in der Lage sind, Europa Festigkeit zu geben in Zeiten mit Turbulenzen“. Progressive Interpret/innen sehen in der Stärkung der Regionen die Möglichkeit, den politischen Diskurs um Europa wieder anzufachen Regionalpolitik hat gegenüber und ein nachnationales Europa umzusetzen.11 Dafür mag ein Satz stehen, den Robert einer gesamtstaatlichen Politik den Menasse im Frühjahr 2017 anlässlich der Eröffnung des Departments für Europapolitik Vorteil längerer Kontinuität und und Demokratieforschung der Donau-Universität in Krems geäußert hat: „Die Antwort Berechenbarkeit. Das macht ihre auf das Europa der Nationalstaaten ist das Europa der Regionen unter dem Dach Stärke aus. Aber auch sie braucht einer europäischen Republik.“12 Perspektiven und neue Pfade, Die deutsche Künstlerin Valeska Peschke die sie betreten kann, braucht Meilen- realisierte im Rahmen des Europa- steine in der Zeit und Orientierungs- Forums Wachau 2017 in Stift Göttweig das Kunstprojekt Amikejo. Amikejo ist punkte im Raum, die man fest- Esperanto und bedeutet Ort der großen legen und die man erreichen kann. Freundschaft.

262 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 263 Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart – die wichtigsten Ereignisse

166–180 n. Chr. 5. Jahrhundert 955 11. und Um 36.000 v. Chr. Markomannenkriege des Die „Fürstin“ von Schlacht auf dem Lechfeld, 12. Jahrhundert 1156 1278 Fanny von Stratzing Kaisers Marcus Aurelius Untersiebenbrunn Errichtung von Grenzmarken Rasches Siedlungswachstum Privilegium minus Schlacht auf dem Marchfeld. Die Habsburger kommen! Vor mehr als 70.000 Jahren hinterlassen Die römischen Provinzen Noricum und Unter den Funden aus dem 5. Jahrhun- 881 erfolgt bei Wien (erste Nennung – Die neue Besiedlungswelle führt zur Leopolds Sohn wird auch Herzog von Nach dem Tod des letzten Babenbergers, und Leben. 1282 verleiht König Rudolf Neandertaler in der Gudenushöhle bei Pannonien liegen an der Donaugrenze dert nimmt das reich ausgestattete „apud Weniam“) der erste Zusammenstoß Gründung zahlreicher Orte, zunächst in Bayern. Doch die Konkurrenz der bis Friedrichs II., in einem Gefecht an der Österreich und Steiermark an seine Hartenstein im Kremstal erste Siedlungs- des Römischen Reiches. In Städten Grab einer jungen Frau mit ihrem Kind mit den Ungarn, die als neue Hunnen den Gunstlagen. Erst später kommen dahin dort herrschenden Welfen ist zu Leitha 1246 wird 1250 Ottokar II. Přemysl, Söhne, wenig später an Albrecht I. allein. spuren. Viele tausend Jahre später, wie Carnuntum hat sich die städtische eine besondere Stellung ein. Der Dame erlebt werden. Die Ungarn zerstören das die Voralpen und das Waldviertel an die stark. Kaiser Friedrich I. („Barbarosssa“) Markgraf von Mähren und König von Seither und bis 1918 sind die Habsburger um 36.000 v. Chr., entsteht die Statuette römische Kultur etabliert. Germanen wurden ein goldener Halsreifen, zwei mährische Reich. Reihe. Zahlreiche Klostergründungen sucht eine Kompromisslösung: Gegen Böhmen, auch Herzog von Österreich. Herzöge von Österreich, später Erz- der Fanny von Stratzing – neben der nördlich der Donau stehen lange in goldene Halsketten, goldene Ohrgehänge 907 erleben die Bayern in der (Göttweig, Melk, Klosterneuburg, Verzicht des Babenbergers Heinrich II. König Rudolf I. von Habsburg fordert herzöge. Der Landesname Österreich etwa gleich alten Venus vom Hohlefels (D) friedlichem Kontakt. Nun aber dringen sowie das Reiterzubehör für zwei Wagen- Schlacht bei Pressburg eine katastrophale Seitenstetten, Altenburg, Heiligenkreuz, („Jasomirgott“) auf das bayerische Österreich (und Steiermark) als erledigte wird zur Bezeichnung des Herrscher- die älteste weibliche Figurine der die Markomannen gewaltsam über pferde und ein Reitpferd mitgegeben. Niederlage. Die neue Westgrenze der Zwettl, Lilienfeld etc.) verändern das Land. Herzogtum wird die Mark Österreich Reichslehen zurück (1276), der König von geschlechts – Habsburger als „Haus menschlichen Geschichte. Die Figur die Donau nach Süden. Kaiser Marc Aurel Eine Zuordnung zu einem bestimmten Ungarn liegt seither an der Enns. Erst Bayerische Bistümer (Passau, Freising, zum Herzogtum erhoben. Damit sind Böhmen versucht nochmals sein Glück, Österreich“. erscheint in tänzerischer Bewegung, führt 171 bis 173 persönlich das Komman- „Stamm“ oder „Volk“ ist nicht möglich. nach dem Sieg der Ostfranken auf dem Regensburg, Salzburg) erwerben großen einige besondere Rechte verbunden. verliert aber am Marchfeld Schlacht daher auch der Beiname „Fanny“ do. Vorübergehend ist wieder Ruhe. Das Am Ende des Jahrhunderts Lechfeld bei Augsburg überschreitet man Grundbesitz. Im Zusammenhang mit nach der berühmten Tänzerin des Grenzgebiet ist auch Schauplatz wichtiger nehmen Langobarden das nordöstliche diese Grenze wieder nach Osten. Eine dem Kirchenbesitz erreichen wichtige Vormärz, Fanny Elßler. Sie wird 1988 bei politischer Ereignisse. Von hier bricht Niederösterreich in Besitz. zunächst kleine Mark wird eingerichtet, Adelsgeschlechter wie die Formbacher, Grabungen an der Gemeindegrenze Septimius Severus zum Kampf um Rom die als Teil Bayerns gilt. 976 wird in dieser die Sighardinger, die Poigener oder 1192 von Stratzing und Krems-Rehberg am auf, 308 trifft sich hier Kaiser Diokletian Markt der erste sogenannte Babenberger die Lengenbacher bedeutende Positionen Herzog Leopold V. wird auch sogenannten Galgenberg gefunden. mit zwei Mitherrschern. Um 360 ent- als Markgraf eingesetzt – Luitpold im Land. Die Gestalt ist 7,2 cm hoch. Das Material steht das „Heidentor“, wohl ein Sieges- (Leopold). 996 wird erstmals der spätere Herzog von Steiermark ist grüner Serpentin. denkmal. Wenig später beginnt die Landesname Österreich („ostarrîchi“) Schon 1186 bestimmt der unheilbar Mehrere tausend Jahre später folgt sogenannte Völkerwanderung. Nun sind für eine Gegend verwendet, in der Neu- kranke steirische Herzog Ottokar IV. die 1908 gefundene Venus von Willen- die „Barbaren“ nicht mehr abzuwehren. hofen an der Ybbs liegt. den Babenberger Leopold V. zu seinem dorf in der Wachau, die auf etwa 29.500 Nachfolger. Die steirischen Ministerialen v. Chr. datiert wird. Die vollplastische bekommen ihre Rechte bestätigt und Figur ist 11 cm hoch. Mit ihrer Leibesfülle, behalten sie auch unter den öster- aber dünnen Armen und einer bemer- 1012 reichischen Herzögen (Georgenberger kenswerten Frisur (oder Haube) wirkt Handfeste). 1192 stirbt Ottokar und die ursprünglich rot gefasste Frauenfigur Martyrium des hl. Koloman Leopold V. folgt ihm nach. Seither haben bis heute faszinierend. Die Bedeutung Österreich und Steiermark meist dieser frühen Kunstwerke ist nicht geklärt. In Stockerau, damals noch nahe der Grenze zu den Mährern und Ungarn, denselben Herren, bleiben aber zwei greift man einen Fremden auf. Da verschiedene Länder. man ihn nicht versteht, hält man ihn für einen Spion und richtet ihn hin. 1095–1136 6. Jahrtausend v. Chr. Um 460/70 Verschiedene Wunder geben ihn Leopold III. der Heilige Severin wirkt in aber als Pilger und Heiligen zu erkennen. bis um 2.300 v. Chr. Markgraf Heinrich I. lässt den Leichnam Im Konflikt zwischen Kaiser Heinrich IV. Rätien und Noricum und seinem Sohn Heinrich V. stellt sich Neolithikum (Jungsteinzeit) daraufhin nach Melk überführen. 568 Koloman wird bis ins 17. Jahrhundert als Leopold auf die Seite des Sohnes. Dafür In den Wirren der letzten Jahre des Landespatron Niederösterreichs verehrt. bekommt er eine Schwester des jungen In der Jungsteinzeit erfolgten revolutio- Weströmischen Reiches wirkt in Rätien Langobarden ziehen Kaisers, Agnes, zur Frau, die schon Witwe 1358–1439 1513 näre Veränderungen. Jagd und Sammel- und Noricum ein als Heiliger verehrter nach Italien ab. nach einem Staufer ist. Leopold hat Herzog Rudolf IV. Die niederösterreichischen wirtschaft wurden erstmals von Acker- Mann – Severinus. Wahrscheinlich Die Awaren kommen! mit Agnes zahlreiche Kinder, von denen der Stifter Stände erwerben bau und Viehzucht ergänzt. Die Men- von edler Abkunft, führt er ein Leben zwei seine Nachfolger werden. Einer aber schen der Jungsteinzeit entdeckten die im Geist des Christentums, hilft, Die Langobarden, die 505 die Donau wird ein berühmter Gelehrter, Otto von und die Albertiner das spätere Landhaus Möglichkeit, Lehm zu Keramik zu wo er kann, verhandelt mit Germanen- überschreiten und das Tullnerfeld Freising (wo er Bischof war), der wichtigs- In die kurze Regierungszeit dieses Herzogs 1513 kaufen die Stände, die Prälaten, brennen, sie entwickelten Geräte für fürsten und gilt den vielfach geplagten besetzen, siedeln später im Weinviertel te Historiker jener Zeit. Leopold gilt als fällt die Erwerbung Tirols (1363) sowie Herren, Ritter und Städte des Landes, ein den Ackerbau, Pflüge und Erntemesser Bewohner/innen dieser Provinzen und in großen Teilen Pannoniens. Nun frommer Mann, vollendet die Gründung die Aufwertung und der Ausbau von Haus in der später so genannten sowie Mörser zur Bearbeitung der Körner. auch als weltlicher Führer. Eine wichtige ziehen sie unter ihrem König Alboin des Klosters Melk und gründet selber St. Stephan, zunächst zum Sitz einer Herrengasse. Sie bauen es in der Folge Sie erfanden die Töpferscheibe, das Wirkungsstätte Severins ist Favianis nach Italien. Ihr Siedlungsgebiet überlas- das Chorherrenstift Klosterneuburg, Gemeinschaft von Geistlichen (Kapitel). zum Ständehaus (Landhaus) aus. Um 1570 Spinnen und Weben und hielten bereits (Mautern). 482 n. Chr. stirbt Severin sen sie ihren Verbündeten, den Awaren. zuletzt das erste Zisterzienserkloster, Mit dem raffiniert gefälschten „Privilegi- wird das Landhaus zu einem bemerkens- Hunde. Im 6. Jahrtausend erbaute in Favianis. Als König Odoaker 488 den Das Zentrum ihres Reiches liegt im Heiligenkreuz. Leopold nennt sich bereits um maius“ versucht Rudolf, eine den werten Renaissancebau umgestaltet. man schon feste Häuser, im 5. Jahr- Abzug der Römer befiehlt, nehmen heutigen Ungarn. Awaren siedeln nur bis „Fürst“. Kurfürsten gleiche Stellung zu erreichen. Einige Teile davon, vor allem der große tausend wurde das Rad erfunden. die Mönche seines Klosters den zum Wienerwald, die Grenze ihres Noch im Todesjahr 1365 gründet er die Sitzungssaal, geplant von Hans Saphoy, Leichnam Severins mit nach Italien. Reiches gegen die Baiern ist die Enns. Wiener Universität. Seine überlebenden bestehen bis heute. Mit der Herrschaft der Awaren be- Brüder teilen 1379 im Vertrag von ginnt auch die slawische Besiedlung Neuberg das Erbe. Niederösterreich fällt 5. Jahrhundert v. Chr. des heutigen Niederösterreich. 1180–1230 an Albrecht III. („Albertiner“). Unter Situla von Kuffern Höhepunkt der Albrecht V. wird 1420/21 in der „Wiener Stadtgründungen Geserah“ die Wiener Judengemeinde Die in Kuffern aufgefundene Situla, ein vernichtet. Albrecht V. wird nach Eimer aus Bronzeblech, zeigt in ihrer 791–805 Die Verdichtung der Siedlungen führt zur Albrecht I. der zweite römisch-deutsche reichen Verzierung Zeremonien auf einem Awarenkriege Karls des Großen. Gründung von immer mehr städtischen König aus dem habsburgischen Haus. Fürstenhof, aber auch Krieger mit Helmen Das bayerische Ostland entsteht Zentren. Bis um 1200 sind die alten Unter seiner Herrschaft wird 1433 und kurzen Schwertern. Sie benützen Donauburgen (Enns, Ybbs, Krems, Tulln, der hohe Turm oder Adlerturm (Südturm) Streitwagen und reiten auf relativ kleinen Die Awarenkriege Karls des Großen enden Wien) zu Städten geworden, inzwischen von St. Stephan in Wien vollendet, Pferden. Ob die Situla hier gefertigt wurde, mit der Zerstörung des Awarenreichs. Die auch Eggenburg, Hainburg oder Laa damals der höchste Kirchturm Europas. im Bereich des heutigen Slowenien Herrschaft der Franken dehnt sich entlang an der Thaya. Dazu kommen die Mittel- 1439 stirbt Albrecht. oder in Oberitalien, ist unklar. Diese Zeit der Donaugrenze bis an die untere Save punkte der großen Herrschaftskomplexe markiert den Übergang zu den ersten aus. Ein Teil des eroberten Landes unter- im Waldviertel (Zwettl, Weitra, Raabs). namentlich bekannten Stämmen oder steht bayerischen Grafen, andere Gebiete Eine wichtige Neugründung ist Wiener Völkerschaften, die zu den Kelten zählen. slawischen Fürsten, die den fränkischen Neustadt (wahrscheinlich 1192). Die letzte Erstmals werden Münzen geprägt. Am Königen zu Gefolgschaft verpflichtet sind Neugründung erfolgt um 1290 in Retz. Ende dieser sogenannten Latènezeit (Fürstentum des Pribina und Kocel Die Stadtmauern mehrerer Städte werden (jüngere Eisenzeit) dürften sich zahlreiche am Plattensee). Die bayerische Siedlung aus dem Lösegeld für Richard Löwen- keltische Stämme zum „Regnum Noricum“ erreicht den Wienerwald, östlich davon herz bezahlt. Stadtrechte (Wien 1221) mit dem Zentrum in Kärnten zusammen- bleibt sie relativ dünn. In der zweiten bestätigen den Bürgern ihre Stellung. geschlossen haben. Um Christi Geburt Jahrhunderthälfte brechen immer wieder Die neuen Städte sorgen für eine Blüte wird Noricum auf friedlichem Weg dem Konflikte mit dem Reich der Mährer von Wirtschaft und Kultur. Römischen Reich eingegliedert. aus, wo Konstantin (Kyrill) und Method erstmals die slawische Sprache für Mission und Kult verwenden.

264 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 265 Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart – die wichtigsten Ereignisse Ab 1710 1568/71 Barocke Neugestaltung 1837–1848 1849 1521 Religionskonzession 1620 des niederösterreichischen 1780–1790 Neubau des nieder- Neuer Absolutismus – Wiener Neustädter Blutgericht Kaiser Maximilians II. Schlacht am Weißen Berg Landhauses Alleinregierung Josephs II. österreichischen Landhauses neuer Staat Nach dem Tod von Kaiser Maximilian I. Zeit die Huldigung (formale Anerkennung Schon seit etwa 1525/30 breitet sich die Das evangelische Bündnis verliert die Der Sitzungssaal des niederösterreichi- Zahlreiche Reformen kennzeichnen die Der Neubau des niederösterreichischen Trotz der militärischen Niederschlagung 1519 haben die niederösterreichischen des neuen Herrschers) verweigern, wird Reformation aus. Zahlreiche Adelsge- Schlacht am Weißen Berg bei Prag. schen Landhauses erhält durch Antonio Regierungszeit des Kaisers. Nachhaltige Landhauses nach Plänen von Alois Pichl der Revolution im Oktober 1848 hält Stände unter Führung einer Wiener ihnen dies als Hochverrat angekreidet. schlechter, aber auch viele Stadtbürger Dadurch siegen in den habsburgischen Beduzzi ein völlig neues Aussehen. Im Wirkungen haben die Klosterauf- erfolgt unter Einbeziehung wichtiger die Regierung an der Durchführung der Bürgerfraktion die Verwaltung der landes- Sechs Wiener Bürger und zwei adelige folgen der Lehre Luthers. Auch die Ländern mit Ferdinand II. der Katholizis- Mittelpunkt der Neugestaltung steht die hebungen und die damit verbundenen Bestandteile des Altbaus, insbesondere Grundentlastung fest. Dadurch bleiben fürstlichen Einkünfte übernommen – Herren werden wegen Beteiligung an Ansiedlung der Jesuiten in Wien (1551) mus und die Gegenreformation. Noch Verherrlichung des „Hauses Österreich“. Neugründungen von Pfarren. Da jede des großen Saales. Der Neubau ist die Bauern ruhig. Ein neuer Staatsauf- nach Ansicht des neuen Herrschers, dieser Ständerevolte in Wiener Neustadt änderte daran zunächst wenig. Kaiser 1620 huldigen die katholischen Adeligen Diese Zeit von etwa 1700 bis 1740 ist Pfarre auch eine Schule haben muss, Ausdruck eines neuen, kräftigen Selbst- bau ist notwendig: Das Provisorische Ferdinands I. (1521–1564), widerrechtlich. hingerichtet. Maximilian II. erlaubt nun, gegen eine und ein Teil der Protestanten Ferdinand II. gleichzeitig der Höhepunkt der barocken wird die Zahl der Schulen erhöht. Das bewusstseins der niederösterreichischen Gemeindegesetz 1849 schafft erstmals Als die Niederösterreicher durch längere große Steuerbewilligung, Adeligen und Wer nicht huldigt, wird des Landes Neugestaltung zahlreicher Kirchen und Toleranzpatent führt zur Gründung Stände. autonome Gemeinden auch auf dem ihren Untertanen ein Leben nach der verwiesen. Mit Gegenreformation und Klöster (Melk, Göttweig, Klosterneuburg, der ersten evangelischen Gemeinden seit flachen Land. Die Errichtung von Augsburger Konfession. Das gilt aber nicht katholischer Reform beginnt eine Altenburg, Seitenstetten, Sonntagberg der Gegenreformation (Mitterbach). Bezirkshauptmannschaften (endgültig für die Städte des Landesfürsten. Hier neue Phase von Klostergründungen und etc.). Zahlreiche Patente enthalten Maßnah- 1868) und Bezirksgerichten vervollstän- beginnt ab etwa 1580 die Gegenreforma- barocken Kirchenbauten. Begleitet men für die Bauern – aber noch kein digt das Gerüst des neuen Staatsaufbaus. tion, verbunden mit dem Namen des ist der lange Krieg von Klimaverschlechte- Ende der feudalen Abhängigkeit. Verbote 1848 späteren Kardinals Melchior Khlesl. rung und einer langwierigen Wirtschafts- von Wallfahrten und Prozessionen Die Revolution krise. Nach den Bestimmungen des Um 1730 sowie der berüchtigte „Sparsarg“ erregen Westfälischen Friedens 1648 darf der im Volk Unwillen und Widerstand. Die Revolution beginnt am 13. März protestantische Adel Niederöster- Ausbau der Reichsstraßen im Hof des niederösterreichischen Land- Ab 1861 reichs bei seinem Glauben bleiben, hauses. Hier versammeln sich Bürger, Liberale Ära Um die Wirtschaftskraft seiner „österrei- Studenten und Arbeiter und unter- aber keine öffentlichen Kulthandlungen chischen Monarchie“ zu stärken, er- vornehmen. Viele Adelige emigrieren, stützen die Forderung nach Verfassung Nach den Niederlagen von 1859 (Solferi- hebt Kaiser Karl VI. Triest und Fiume zu 1792–1815 und Freiheit der Presse. Am Abend wird no) und Königgrätz (1866) ist der Kaiser darunter der Schriftsteller Wolf Helmhard Freihäfen, lässt koloniale Unterneh- von Hohberg. Sechs Kriege gegen das Metternich entlassen, bald folgt eine zu Zugeständnissen gezwungen. 1861 mungen vom belgischen Ostende aus provisorische Verfassung, im Mai und Juni tritt der erste gewählte Landtag von planen und zahlreiche moderne Unter- revolutionäre Frankreich werden erstmals demokratische Wahlen Niederösterreich zusammen. Er ist nach nehmungen (Manufakturen) privilegieren. und Napoleon abgehalten. Der dabei gewählte konstitu- einem komplizierten Zensus- und Für eine besser funktionierende Wirt- ierende Reichstag beschließt die Grund- Kurienwahlrecht zusammengesetzt, das schaft braucht man ein besseres Verkehrs- Franz II. (als österreichischer Kaiser entlastung der Bauern. Großgrundbesitzer und Stadtbürger system. Der Kaiser lässt daher von Franz I.) ist ein unversöhnlicher Feind der Gleichzeitig wird mit dem Bau der begünstigt. Die liberale Landtagsmehrheit Wien aus die Reichsstraßen nach Triest, Revolution. Seit 1792 steht Österreich Semmeringbahn begonnen. Kaiser setzt insbesondere das Reichsvolks- Prag, Brünn, Pressburg und ins Heilige fast ständig im Krieg gegen Frankreich. Ferdinand dankt ab, Franz Joseph wird schulgesetz von 1869 vorbildlich um. Römische (Deutsche) Reich ausbauen. Nach einem ersten Einfall 1797 besetzen im Dezember 1848 Kaiser. 1529 französische Truppen 1805 und 1809 Erste Türkenbelagerung Wiens Niederösterreich – immer verbunden mit erheblichen Forderungen an Geld und Ab den Nach dem Tod des böhmischen und nach Wien aus. Die Belagerung scheitert Material (Nahrungsmittel und Futter für ungarischen Königs Ludwig II. bei Mohacs an der späten Jahreszeit. Niederösterreich 1740–1780 die Pferde). 1811 kommt es zum Staats- 1880er-Jahren 1526 erbt sein Schwager, Erzherzog südlich der Donau wird verwüstet. 1532 Regierung Maria Theresias bankrott. Viele Menschen verlieren ihre Neue politische Kräfte Ferdinand I., dessen Kronen, vor allem fallen osmanische Truppen neuerlich Ersparnisse. aber auch das Hauptproblem Ungarns, in Niederösterreich ein. Eine erfolgreiche 1608 1683 Maria Theresia, Tochter Karls VI., ist in Erst die Niederlagen Napoleons Durch die große Wirtschaftskrise von den Krieg mit dem Osmanischen Reich. Abwehr gibt es bei Waidhofen an der Horner Bund des Zweite Türken- langwierige Kriege verwickelt. Sie muss bei Leipzig (1813) und Waterloo (1815) 1873 verliert der Liberalismus im Volk stark Schon 1529 dehnt Sultan Süleyman Ybbs. protestantischen Adels belagerung Wiens die Staatseinkünfte erhöhen und die ermöglichen eine Neuordnung Europas an Vertrauen. Besonders Bauern und seinen Feldzug gegen Ungarn auch Behörden reformieren. Ihre Staatsreform auf dem Wiener Kongress. Gewerbetreibende wenden sich antilibe- Im „Bruderzwist in Habsburg“ zwischen Aus einem von den Osmanen unter- schafft neue Behörden (in Niederöster- ralen Kräften zu. In den 1880er-Jahren Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias stützten antihabsburgischen Aufstand in reich vier Kreisämter) und führt zur gewinnen antisemitische Strömungen verbündet sich Matthias mit den Ungarn entspringt der Kriegszug des Besteuerung der Einkünfte von Adel und deutlich an Stärke. Etwa gleichzeitig protestantischen Ständen gegen den Großwesirs Kara Mustafa gegen Wien. Geistlichkeit. Diese neuen Steuern organisieren sich auch die Arbeiter. Zur Kaiser. Zur Absicherung ihrer Errungen- Zahlreiche Orte südlich der Donau beschleunigen das Ende der barocken Ab 1829 Jahreswende 1888/89 wird die Sozial- schaften versammeln sich die evangeli- werden dabei zerstört, die Bevölkerung Baulust. Durch die Einführung der Der Vormärz demokratische Arbeiterpartei (SDAP) in schen Adeligen in Horn. Erneuert einiger Städte und Märkte wie Hainburg allgemeinen Schulpflicht bekämpft die wird mobil Hainfeld gegründet. und erweitert wird dieser bewaffnete oder Perchtoldsdorf findet den Tod. Herrscherin den Analphabetismus. 1902 erobern die Christlichsozialen Bund 1619, als sich der protestantische Nach der Niederlage bei Wien verliert das Ihr Gemahl Kaiser Franz I. (1745– Im Jahr 1829 wird die „Erste k. k. Donau- 1837 verkehrt die erste Eisenbahn mit im Niederösterreichischen Landtag die Adel Ober- und Niederösterreichs Osmanische Reich in einem bis 1699 1765) ist ein tüchtiger Unternehmer und Dampfschiffahrts-Gesellschaft“ (DDSG) Dampfantrieb in Niederösterreich. absolute Mehrheit. Sie fördern insbeson- mit den Ständen von Böhmen und dauernden Krieg fast ganz Ungarn. Ein hinterlässt bei seinem Tod ein großes gegründet. Damit beginnt die Ära Die Strecke Floridsdorf–Deutsch-Wagram dere das Genossenschaftswesen. Mähren gegen den neuen Herrscher, neuerlicher Aufstand in Ungarn („Kuruz- Vermögen, das großteils zur Stabilisierung der Donauschifffahrt – erst jetzt kann steht am Beginn des Baus der Nordbahn Ferdinand II., verbündet. Damit zen“, bis 1711) bringt vielen Ortschaften der Staatsfinanzen eingesetzt wird. Seit man relativ kostengünstig auch die Berg- nach Brünn/Brno. 1842 folgt die erste beginnt der Dreißigjährige Krieg. im östlichen Niederösterreich neuerliche 1765 ist Sohn Joseph II. in den habsburgi- fahrt unternehmen. Die Schiffe bringen Ausbaustufe der Südbahn von Wien nach Zerstörungen. schen Ländern Mitregent. erstmals Getreide aus Ungarn billig Gloggnitz. 1914–1918 auf den Wiener Markt, ungarisches Weizenmehl wird zum Rohstoff für die Erster Weltkrieg Kaisersemmel. Die DDSG wird später Im Juli 1914 wird der Erste Weltkrieg aus- zu einer der größten Binnenschifffahrts- gelöst. Die österreichisch-ungarische gesellschaften der Welt. Armee hat enorme Verluste zu beklagen, immer mehr Männer werden eingezogen. Versorgungsschwierigkeiten steigern sich bis 1918 zu einer schweren Hungers- not. Die Konzentration der Kriegsindustrie im niederösterreichischen Industrie- viertel, besonders in und um Wiener Neustadt, erhöht die Versorgungsproble- me. Im Jänner 1918 geht von Wiener Neustadt eine Streikwelle aus, die die gesamte Monarchie erfasst. Erste Arbeiterräte entstehen.

266 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 267 Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart – die wichtigsten Ereignisse 1938 1922 „Anschluss“ an das Deutsche 1943–1945 1955 2017 Aus Niederösterreich Reich und „Reichsgau Bombenkrieg und „Annus mirabilis“ – 1978–1984 1989 Johanna Mikl-Leitner werden zwei Länder Niederdonau“ Endphasenterror das Jahr des Wunders Geburtsstunden der „Grünen“ Fall des „Eisernen Vorhangs“ wird erste Landeshauptfrau Die am 29. Dezember 1921 beschlossene Am 11. März 1938 tritt Schuschnigg auf Ab 1943 Jahr gibt es Bombenangriffe auch Mit dem Staatsvertrag von Wien, 1978 setzt Bundeskanzler Kreisky eine Durch die „Samtene Revolution“ in der Im April des Jahres wird Johanna Trennung von Wien und Niederösterreich Druck des nationalsozialistischen auf Ziele in Niederösterreich. Sie gelten unterzeichnet am 15. Mai 1955, in Kraft Volksabstimmung über das bereits Tschechoslowakei fällt im Herbst 1989 der Mikl-Leitner als Landeshauptfrau von tritt am 1. Jänner 1922 in Kraft. Die Teilung Deutschen Reiches zurück, die National- vor allem der in und um Wiener Neustadt getreten am 27. Juli 1955, wird Österreich errichtete Atomkraftwerk (AKW) „Eiserne Vorhang“ zu diesem Nachbarland Niederösterreich angelobt. des „Erbes“ ist schwierig. Die beiden sozialisten ergreifen die Macht. Noch konzentrierten Kriegsindustrie, insbeson- wieder souverän. In der Folge ziehen Zwentendorf an. Von einer Ablehnung – Landeshauptmann Siegfried Ludwig, Sie löst Erwin Pröll ab, der dieses Häuser Herrengasse 11 und Herrengasse 13 in der gleichen Nacht erfolgen Verhaftun- dere der Flugzeugproduktion. Wiener alle Besatzungstruppen ab, USIA-Betriebe erhoffen sich Kreiskys Gegner dessen Außenminister Alois Mock und der Amt 25 Jahre lang innehatte und bleiben im Besitz des Landes Nieder- gen von Jüdinnen, Juden und Funktionä- Neustadt wird in der Folge stark zerstört. werden österreichisch. Für Niederöster- Rücktritt. Doch der folgt nicht. Zwenten- tschechoslowakische Außenminister Jiří dessen Politik, vor allem die Kultur- österreich. Die Steuerkraft von Wien fehlt ren des „Ständestaates“. Am nächsten Von März 1945 bis zum Kriegsende reich wichtig ist der (Wieder-)Beginn des dorf steht heute noch als 1:1-Denkmal Dienstbier durchschneiden den Stachel- und Wissenschaftsförderung, das Land ab nun dem Land Niederösterreich. Tag marschiert die Deutsche Wehrmacht am 8. Mai 1945 fordert der Endphasen- Autobahnbaus. Schon 1954 kann am eines AKW im Tullnerfeld. Ebenso wie die draht bei Kleinhaugsdorf am 17. Dezember wesentlich geprägt hat. Dafür gibt es stabile Mehrheiten: Nieder- ein, von vielen Menschen begeistert terror der Nationalsozialisten zahlreiche Kraftwerk Ybbs-Persenbeug weitergebaut Proteste gegen den Bau eines Donaukraft- 1989. Seither liegt Niederösterreich österreich wählt mehrheitlich christlich- begrüßt. Am 13. März wird der „Anschluss“ Opfer unter Juden und Widerständlern. werden (Fertigstellung 1959). werks bei Hainburg im Dezember 1984 nicht mehr am Rande des freien Europa, sozial (später ÖVP), Wien sozialdemokra- Österreichs an das Deutsche Reich Bis zum 14. April 1945 erobert die gilt die Protestbewegung gegen Zwenten- sondern hat wieder seine traditionelle tisch (später SPÖ ). verkündet. Der Nationalsozialismus Rote Armee Wien. Das bedeutet die dorf als eine der Geburtsstunden der zentrale Lage in der Mitte Europas. herrscht mithilfe von Propaganda ebenso Befreiung vom NS-Terror für überlebende späteren „Grünen“. wie durch Repression. Der „Prominen- Gegner/innen und Gefangene – aber tentransport“ vom 1./2. April 1938 in auch schwere Belastungen für Menschen das KZ Dachau umfasst neben jüdischen in den Kriegsgebieten, nicht zuletzt 1930–1934 Prominenten und „linken“ Politikern durch die Besatzungsmacht. Krise und Ausschaltung auch Landeshauptmann Josef Reither, der Demokratie Landesrat August Kargl sowie den Bauernbunddirektor Leopold Figl. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 trifft 1938/39 wird aus Niederösterreich Niederösterreichs Industrie besonders der „Reichsgau Niederdonau“. Diesem schwer. Steigende Arbeitslosigkeit geht ist das nördliche Burgenland angegliedert, mit einer wachsenden Radikalisierung ferner die von der Tschechoslowakei in einher. Die bewaffneten Einheiten München (Oktober 1938) abgetretenen der bürgerlichen Seite (Heimwehren) und südmährischen Gebiete sowie Theben/ die ebenso bewaffneten Einheiten des Devín und Engerau/Petržalka. Letztere Republikanischen Schutzbundes (der Orte liegen heute in der Slowakei. SDAP) stehen einander kampfbereit gegenüber. Im Korneuburger Eid vom Mai 1930 verwerfen die österreichischen Heimwehren Parlamentarismus und Parteienstaat. Bei den Landtagswahlen 1932 er- 1945 1986–1996 1994–2009 2017 reicht die NSDAP acht Mandate (von 56) Neubeginn und Wiederaufbau Die Landeshauptstadt Niederösterreich wird St. Pölten eröffnet im Niederösterreichischen Landtag. Nach einem Terrorüberfall von Kaum aus dem Gefangenenhaus ent- Die „Kathreinwahlen“ 1945 (25. Novem- wird Wirklichkeit Universitätsstandort das „Haus der Geschichte“ Nationalsozialisten auf christliche Turner lassen, gründet Leopold Figl den Nieder- ber) erbringen für den Niederösterreichi- 1986 setzt Landeshauptmann Siegfried Durch die Gründung der später so be- das 2009 seine Arbeit in Maria Gugging Das niederösterreichische Landesmuseum bei Krems erklärt der Landtag mit den österreichischen Bauernbund wieder. schen Landtag eine absolute Mehrheit Ludwig eine Volksbefragung zur Frage nannten Donau-Universität Krems 1994 (Klosterneuburg) aufnimmt. Weitere hat eine lange Geschichte, die in das Stimmen von Christlichsozialen und Am 18. April erlauben die Sowjets Figl und der ÖVP. Leopold Figl wird Bundeskanzler, der eigenen Landeshauptstadt an. Eine wird Niederösterreich als Standort wichtige Forschungsstandorte in Nieder- 19. Jahrhundert zurückreicht. 1911 gibt es Sozialdemokraten die nationalsozialisti- Oskar Helmer (SPÖ ), unter Zuziehung Josef Reither wieder Landeshauptmann Mehrheit votiert für die eigene Haupt- für wissenschaftliche Forschung und österreich sind Seibersdorf (Atom- erstmals ein sogenanntes festes Haus schen Mandate für erloschen. eines Kommunisten eine Landesregierung von Niederösterreich. Bis heute wird stadt, eine relative Mehrheit der Lehre aufgewertet. forschung), Tulln und viele andere. in der Wiener Wallnerstraße und dann für Am 4. März 1933 nutzte die Regie- aufzubauen. Sie beginnt am 11. Mai der Landeshauptmann von der ÖVP Befürworter für den Standort St. Pölten. 2006 wird das Gesetz über das viele Jahrzehnte im Palais Mollard in rung Dollfuß eine Geschäftsordnungs- 1945 zu arbeiten. Leopold Figl ist erster gestellt. Entsprechend beschließt der Landtag am Institute of Science and Technology der Herrengasse. 2002 wird das von Hans panne des Nationalrates und schaltete (provisorischer) Landeshauptmann. 1946 beschlagnahmt die Sowjet- 10. Juni 1986 die Errichtung der Landes- Austria (IST Austria) beschlossen, Hollein geplante Museum in St. Pölten das Parlament aus. In Niederösterreich sind mehr als union das „Deutsche Eigentum“ in ihrer hauptstadt in St. Pölten. 1992 erfolgt eröffnet. 2009 widmet man erstmals Am Februaraufstand 1934 von Teilen 1938–1945 ein Drittel aller Kriegsschäden und Besatzungszone (Burgenland, Nieder- der Baubeginn des Regierungsviertels, einen ganzen Trakt der Landesgeschichte, des Republikanischen Schutzbundes mehr als 70 Prozent der Bauschäden der österreich, Mühlviertel) und bildet daraus Rassistische bis 1997 ist die komplette Verwaltung im Herbst 2017 wird das „Haus der gegen die diktatorische Regierung Dollfuß Industrie Österreichs zu verzeichnen. einen eigenen Wirtschaftsbereich (USIA). übersiedelt. Geschichte“ eröffnet, als eine Säule des nehmen in Niederösterreich Einheiten Vernichtungspolitik Im September und Oktober 1945 Niederösterreich ist davon besonders nunmehrigen Museum Niederösterreich. aus St. Pölten, Neunkirchen sowie aus finden im niederösterreichischen betroffen, denn hier liegen die österreichi- Die zweite Säule bildet das „Haus der dem Ybbs-, Traisen- und Gölsental teil. Im September 1938 werden die etwa Landhaus Länderkonferenzen statt, durch schen Erdölgebiete, die für die Sowjets Natur“. Nach der Niederschlagung wird die 7.700 niederösterreichischen Jüdinnen die das neue Österreich erst Wirklich- besonders wichtig sind. Der Wiederauf- SDAP aufgelöst. Am 1. Mai 1934 verkündet und Juden gezwungen, ihre Heimatorte keit wird, samt Anerkennung der bau in Niederösterreich ist beeinträchtigt Bundeskanzler Dollfuß eine neue zu verlassen, und nach Wien verbracht. provisorischen Regierung Renner durch durch relativ geringe Anteile an der „ständische“ Verfassung. Sofern sie nicht auswandern können, die Alliierten. Marshall-Plan-Hilfe der USA. erfolgt ab 1941 ihre Deportation nach Theresienstadt/Terezín und in Vernich- tungslager wie Auschwitz oder Treblinka. Gleichzeitig erfolgt die Ausgrenzung, 1934–1938 Deportation und Ermordung der meisten Bedroht durch Roma und Sinti. Hitlers Deutschland Am 25. Juli 1934 wird Engelbert Dollfuß bei einem gescheiterten Putschversuch von Nationalsozialisten getötet. Sein 2005 Nachfolger Kurt Schuschnigg sucht einen Kompromiss mit dem Deutschen Gemeindespitäler werden Landesspitäler Reich Hitlers. Das „Juliabkommen“ von Beispielhaft für die Reformprozesse der die Krankenhäuser von Krems, Melk, 1936 ermöglicht den Nationalsozialisten vergangenen Jahre ist die Übernahme Scheibbs, Waidhofen/Ybbs, Zwettl, die sukzessive Unterwanderung des von Gemeindespitälern durch das Land das Waldviertelklinikum mit den „ständestaatlichen“ Regimes. Im Februar Niederösterreich, womit eine stärkere Standorten Horn, Eggenburg und 1938 wird Schuschnigg von Hitler massiv Konzentration und Optimierung der Allentsteig sowie das Humanis-Klinikum unter Druck gesetzt. Schuschnigg will Verwaltung sowie eine verbesserte Auf- (Korneuburg, Stockerau). Die Spitäler daraufhin durch eine Volksbefragung gabenteilung zwischen den Spitälern sind unter dem Dach der Landeskliniken- die Selbständigkeit Österreichs bestätigen verbunden sind. Als erstes Spital wird Holding zusammengefasst; sämtliche lassen. jenes von Baden im Jahr 2003 eine Mitarbeiter/innen wechseln in den Landeseinrichtung. Es folgen bis 2007 Landesdienst.

268 Im Lauf der Zeit Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart 269 Schön, gut Barbara Sternthal Theresia Hauenfels Nina Schedlmayer und wirklich wahr Erich Klein Joachim Rössl Alexandre Tischer Kunst und Kultur

Carnuntum | Prinz Eugen von Savoyen | Joseph Haydn | Egon Schiele | UNESCO-Weltkulturerbe | Teatro Barocco | W. H. Auden | Museum Niederösterreich | Wachauer Nase | wellenklaenge | Kunst im öffentlichen Raum | Avantgarde | Viertelfestival | Offene Ateliers | Festspiele Reichenau | Con Anima | Theaterfest | Contemporary | Friederike Mayröcker | Dominikanerkirche Krems | Alfred Komarek | Kristallsaal | Grafenegg | Arnulf Rainer Museum | Sanatorium Purkersdorf | Kulturbezirk St. Pölten | Karikaturmuseum Krems | Wolkenturm | Julia | Sommerkino | Landesausstellungen | Ferdinand Georg Waldmüller | Hermann Nitsch | ÖTSCHER:REICH | Schallaburg | Wiener Neustadt | Sommerarena Baden | Kunsthalle Krems | Printmedien | Cinema Paradiso | Wolken um den Wolkenturm. Konzertabend in Grafenegg. Landestheater Niederösterreich | Festspielhaus St. Pölten | Přechody | donaufestival | morgen | Kunst und Kultur In der Rückschau betrachtet, hatte diese Art der Darstellung von Kunst und Kultur in Niederösterreich durchaus seine Richtigkeit: Das Land quillt förmlich über, was in Niederösterreich bedeutende und grandiose Kulturdenkmäler betrifft. Kein anderes Bundesland Öster- reichs kann sich so vieler Klosterbauten rühmen, dazu kommen zahlreiche Schlösser und Burgen, samt und sonders essenzielles Substrat niederösterreichischer Kunst- und Kulturgeschichte. Doch so sehr die Vergangenheit zu respektieren ist, so wesent- lich gerade die Kunst ein Metier ist, das sich zu nicht unerheblichen Teilen aus ihrer Geschichte entwickelt: Kunst und Kultur in Niederösterreich haben eine überaus lebendige Gegenwart, die längst kein Minderheitenprogramm mehr ist. Eppels noch 1976 diagnostizierte „Provinz“ hat sich einer profunden Transformation unterzogen und gibt nicht selten den Ton an, wenn es um die Gegenwartskunst geht. Es ist ein spannendes, oft kontroverses, immer aber höchst engagiertes Gewebe aus zeitgenössi- schen Positionen, die sich in allen Sparten präsentieren. Das Angebot ist enorm, der budgetäre Einsatz nicht minder beachtlich, ganz zu schweigen vom Engagement der Kunstschaffenden und Organisatoren. Angesichts der großen Investitionen sei die radikale Frage gestellt: Braucht man Kunst überhaupt? Oder, um das noch etwas tiefer auszuloten: Wozu braucht man sie? Wir leben in einer Zeit enormer gesellschaftlicher Umbrüche und damit ein- hergehender Problemstellungen für die Politik, die Wirtschaft, ganz besonders aber jeden Einzelnen. Stichworte: wirtschaftliche Stagnation, eine Generation junger Menschen, die sich mit Schlagworten wie Generation Z oder No-Future-Generation herumschlagen muss, eine Kluft zwischen Arm und Reich, die in jedem sozial rele- vanten Bereich erschreckend rasant immer tiefer und breiter wird. Ist Kunst, ist Kultur in der Lage, auch nur eines der hier in gebotener Kürze dargestellten und wohl aus diesem Grund fast schon trivial klingenden Problemfelder zu lösen?

Kunst & Funktionalität Ein beispielhafter historischer Exkurs: Als Franklin D. Roosevelt am 4. März 1933 seine Inaugurationsrede als 32. Präsident der USA hielt, war die Wirtschaft völlig desolat, befand sich sein Land in tiefster Not. Die vorherrschenden Gemütslagen der Bevölkerung waren Verzweiflung angesichts der Gegenwart und Angst vor der Zukunft. In dieser Situation prägte Roosevelt die geradezu philosophische Sentenz „… the only fear we have to fear is fear itself …“ – und nahm den New Deal in Angriff. Dieser – in welcher Hinsicht ex post umstritten oder nicht, tut hier nichts zur Sache – Im Jahr 1976 publizierte Franz beschränkte sich nicht allein auf eine umfassende Wirtschaftsreform, sondern förderte Eppel, Kunsthistoriker, Archäologe mit dem „Federal Art Project“ Kunst und Kunstschaffende ganz wesentlich. Ein Prob- lemsegment wurde damit zweifellos konkret gelöst (immerhin erhielten dank dieses und niederösterreichischer Landes- Programms mehr als 10.000 Künstler/innen bezahlte Arbeit), der Hintergrund für konservator, seinen letzten einer dieses nichts weniger als grandios angelegte Konzept jedoch war das Bewusstsein dafür, was Kunst zu leisten vermag: Sie schafft eine Brücke der Kommunikation, wo das beachtlichen Reihe von Kunst- direkte Gespräch logistisch nur in Ausnahmefällen möglich ist. Sie macht Mut zum führern durch Niederösterreich. Individualismus und damit begreifbar, dass aller Uniformismus der Untergang jeder Gesellschaft sein muss. Indem Kunst nicht nur gut und schön ist, sondern vor allem Im Vorwort dieses so kenntnis- auch wahrhaftig – oder, nach Theodor W. Adorno, das „Ergebnis einer rationalen reich zusammengestellten Vade- Konstruktion“ –, stellt sie sich den quälenden Themen der Gegenwart, macht diese an- und begreifbar und zähmt solcherart die jedes Handeln lähmende Angst. mecums konstatierte der Autor In diesem Zusammenhang sei auf eine erstaunliche demografische Erhebung abschließend, dass sich einerseits hingewiesen: Unter dem Titel „Art makes you smart“ berichtete die „New York Times“ im Spätherbst 2013 von einer groß angelegten Untersuchung im Crystal Bridges zeitgenössische Kunstströmungen Museum in Bentonville in Arkansas. Nahezu 11.000 Schüler/innen und Studierende in Niederösterreich weitaus sowie rund 500 Lehrkräfte nahmen an einer Studie teil, für die mit Losen jene aus- gewählt wurden, denen man Museumsbesuche „verordnete“, und jene, denen es schwächer auswirken würden als freigestellt wurde. Mit einer Reihe ausgeklügelter Methoden kamen die Soziologen in der Metropole Wien und dass und Psychologen, die die Feldstudie leiteten, zu dem eindeutigen Ergebnis, dass jene Schüler/innen, denen man Kunst gezielt nähergebracht hatte, signifikant mehr andererseits „Modernismen immer soziale Toleranz zeigten, ein höheres Maß an Einfühlungsvermögen und größere wieder steckenblieben“. Ähnlich Fähigkeiten hinsichtlich eines selbstständigen kritischen Denkens. wie andere Beiträge zum Thema endet Eppels Darstellung der Kunst in Niederösterreich irgend- wann im 19. Jahrhundert, das 20. Jahrhundert wird gerade noch Blick ins Kreuzrippengewölbe der gestreift. Spitalskirche in Perchtoldsdorf.

272 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 273 Zeitreise durch vier Viertel – Niederösterreichs kulturelles Erbe

Keine Kunstgeschichte Niederösterreichs kommt um sie herum: die gerade einmal elf Zentimeter hohe Kalksteinfigur mit ihren rundlichen Formen, die der Prähistoriker Josef Szombathy 1908 bei archäologischen Grabungen in der Wachau fand. Wobei – die Grenzen sind hier diffus, denn bei der sattsam bekannten Venus von Willendorf handelt es sich zwar zweifellos um ein von Menschenhand geschaffenes Artefakt (und ein durchaus künstlerisch ausgeführtes, worauf Rötelreste an der Oberfläche der Statuette und ebenfalls gefundene Werkzeuge schließen lassen), wahrscheinlich aber um keines, das explizit als Kunstwerk gedacht war. Bei solch uralten Stücken – und wir sprechen von immerhin knapp 30.000 Jahren – kann man mit modernen Techniken zwar das Alter ziemlich exakt bestimmen. Doch was den Sinn und Zweck der Figurine angeht, ist man auf Interpretationen angewiesen. Die allgemeingültige Lesart der Altertumsforschung, dass es sich bei der Venus um einen Kultgegenstand handle, gilt auch für andere weibliche Figuren, die man in Niederösterreich fand: die aus grünem Serpentin angefertigte Venus vom Galgenberg (auch als „Fanny vom Galgenberg“ oder „Fanny von Stratzing“ bekannt) in der Nähe von Krems, die auf ein Alter von gut 38.000 Jahren bestimmt wurde, und die im Vergleich dazu „blutjunge“ Venus von Falkenstein. Letztere, in den späten 1970er-Jahren auf dem Schanzboden zwischen Poysdorf und Falkenstein entdeckt, kommt gerade einmal auf ein Alter von 6.500 Jah- ren, ist der Lengyel-Kultur zuzurechnen und zeichnet sich durch Reste einer kunst- Große Oper vor grandioser Kulisse: Interpretiert wird die Venus vollen Bemalung aus. Interpretiert wird diese schlanke, 13 Zentimeter hohe Figurine Giuseppe Verdis „Don Carlo“, 2015. von Falkenstein als Magna als Magna Mater, als Große Mutter, und damit als Beschützerin des schöpferischen Seit 1990, dem Gründungsjahr Mater, als Große Mutter, und Lebensquells. Womit man der Kunst, dem Schöpferischen, wieder sehr nahegekommen des Festivals Oper Burg Gars, ist diese Burgruine im Waldviertler Kamptal damit als Beschützerin des ist. Die legendäre Venus von Willendorf befindet sich ebenso im Wiener Naturhistori- Schauplatz von Operninszenierungen. schöpferischen Lebensquells. schen Museum wie die Venus vom Galgenberg. In ihrer Weinviertler Heimat blieb

Kunst ist kein Allheilmittel, Künstler/innen sind keine Heilsbringer. Und dennoch trägt Kunst wesentlich zur Lösung rezenter Probleme bei. „Kunst“, sagte die Regisseurin und Autorin Anna Maria Krassnigg in ihrer Rede anlässlich der Verleihung der Nieder- österreichischen Kulturpreise 2015, „kann nicht Probleme lösen, aber Empathie erzeugen, die aller Lösung vorausgeht.“ Ja, lautet also die apodiktische Antwort, wir brauchen Kunst. Sie ist existenziell notwendig, weil sie einen kostbaren Raum schafft, in dem sich Individualität und Kreativität entfalten können, um uns, die wir zuhören und schauen lernen, jene Empathie zu lehren, die unbedingt notwendig ist, um für die Gegenwart gewappnet zu sein. Einen Glücksraum, wenn man so will, der keinem Eskapismus Vorschub leistet, sondern – ganz im Gegenteil – Wahrnehmung und Bewusstsein schärft, in dem Scheitern nicht Versagen, sondern Teil der Methode ist, in dem Repräsentation leere Hülle, Haltung jedoch alles ist.

Boulevard und Avantgarde Auf vorbildliche Weise zollt das Land Niederösterreich der „Notwendigkeit von Kunst“ (nochmals Krassnigg) Tribut. Dass dieses Engagement, dieses Mäzenaten- tum im besten Sinn des Wortes weder durch Vereinnahmung geschieht noch in wildwüchsiger Beliebigkeit, dass es darüber hinaus keinerlei Berührungsängste gibt – weder mit komplexer Avantgarde auf der einen Seite noch mit Boulevard auf der anderen –, wird in hohem Maß geschätzt und genützt. Eine Tour d’Horizon durch das gesamte Spektrum von bildender Kunst, Thea- ter, Musik und Literatur, von regionalen Traditionen bis zu internationaler Relevanz, von großen Festivals und einer erstaunlichen Vielzahl fantastischer Verwirklichungen jedes Genres in Niederösterreich kann im gegebenen Rahmen zwangsläufig kaum sämtliche vorhandenen Tiefen restlos ausloten. Dennoch soll der Versuch unternom- men werden, dem rezenten Kulturschaffen in Niederösterreich in einer Gesamtschau Reverenz zu erweisen. Die Struktur ist dabei gewissermaßen „kultur-darwinistisch“, indem sie sich von einer Ebene zur nächsten bewegt: Zu Beginn die unumgängliche und mit Vergnügen absolvierte Pflicht, die Kunstgeschichte des Landes kursorisch darzustellen; danach bildet die Landschaft eine Basis als inspirativer Prospekt, vor dem sich Künstler/innen und Kunstschaffen entwickeln; es folgt eine genauere Betrach- tung der einzelnen Regionen, bevor Gebautes in den Fokus rückt – zuerst die histori- Exakt am 23. September 1988 wurde sche Architektur mit einem Hauptaugenmerk auf ihre zeitgenössische Verwendung, die 7,2 Zentimeter hohe Fanny vom Galgenberg an der Gemeinde- gefolgt von der modernen Architektur, wobei jene Bauten, die für die Kunst ent- grenze zwischen Stratzing und standen, natürlich im Zentrum stehen und den Blick zu den großen Ausstellungen Krems-Rehberg entdeckt. Ihren und Kunstpräsentationen sowie zur Kunst im urbanen Umfeld leiten. Zu guter hübschen Vornamen verdankt die Figurine ihrer Haltung, die die Letzt gilt die Aufmerksamkeit der Idealkombination Kunst und Genuss, bevor die Archäologen an die legendäre Grenzen des Landes und ihre Überschreitung in den Fokus rücken. Tänzerin Fanny Elßler erinnerte.

274 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 275 Carnuntum macht den Anfang Von den Relikten einer fernen Vergangenheit zu einer Epoche, die bereits um vieles besser dokumentiert ist: An der Donau, der Nordgrenze ihrer beiden Provinzen Noricum und Pannonien, errichteten die Römer eine ganze Reihe militärischer Lager, darunter Asturis (Zeiselmauer), Comagena (Tulln), Augustianis (Traismauer), sowie Munizipalstädte mit größeren Zivilsiedlungen wie Vindobona (Wien), Cetium (St. Pölten) – und Carnuntum. Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Kunsthistoriker und Archäologe Eduard von Sacken, das Areal systematisch und wissenschaftlich zu ergründen. Zwei Jahre nach seinem Tod rief man 1885 die Gesellschaft der Freunde Carnuntums ins Leben, um nicht nur die archäologische Forschung zu finanzieren, sondern auch die Fundstücke in adäquatem Rahmen präsentieren zu können. Die Gesellschaft erwies sich als ebenso engagiert wie in ihrer Zusammensetzung hybrid. Was in der Hauptstadt gesellschaftlich kaum Berührungspunkte hatte, fand sich hier – verbunden durch gemeinsames Interesse an der Antike – unter einem Dach wieder: Hochadel, Haute Juiverie und Wissenschaft (unter anderem war Sigmund Freud, der bekanntlich ein Faible für Antiken hatte, Mitglied). Und als sich zeigte, dass sich aus den Spenden nicht nur die Grabungen finanzierten – 1887 hatte man mit dem Amphitheater eine wahre Sensation zutage befördert –, sondern auch ein Muse- um, bat man den Kaiser selbst an den geschichtsträchtigen Ort, der das Museum Carnuntinum am 27. Mai 1904 in einer angemessen feierlichen Zeremonie eröffnete.

40.000 Jahre unserer Entwicklungs- geschichte lassen sich im MAMUZ im Schloss Asparn an der Zaya im Rahmen der Dauerausstellung immerhin die außergewöhnliche Venus von Falkenstein, die seit 2009 im Urgeschichte- „Von der Urgeschichte bis ins museum im Schloss Asparn an der Zaya ausgestellt ist. Dieses Wissenszentrum Mittelalter“ nachvollziehen. für die Frühgeschichte Niederösterreichs trägt seit 2014 den Namen Urgeschichtemu- seum MAMUZ und besteht aus zwei Häusern: dem Museum Mistelbach, eingerichtet in einer ehemaligen Pflugfabrik (man teilt sich das Haus mit dem nitsch museum), und Schloss Asparn an der Zaya. 40.000 Jahre Menschheitsgeschichte sind es, die man hier sehen, begreifen und – im archäologischen Freigelände mit den Originalen und den nachgebauten Wohn- und Wirtschaftsgebäuden – auch angreifen kann. Bis zur Mittelalterarchäologie spannt sich der Bogen, und damit bis zu jenem berühmten „Schatzfund von Wiener Neustadt“, der hier seit 2015 ausgestellt ist: knapp 150 teils aus Fragmenten rekonstru- Zahlreiche Programmschwerpunkte und ierte, teils vollständige Objekte. Die Ringe, Gewandspangen, Gürtelschnallen – filigran vor allem das jährliche Römerfest in Carnuntum bieten eine Zeitreise in den gearbeitet und zum Teil mit Edelsteinen verziert – sowie Tafelgeschirrteile waren römisch-antiken Alltag einer Militärstadt. eine Zufallsentdeckung, die sich nach penibler Reinigung und eingehenden Untersu- chungen als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Schatzfunde Österreichs herausstellte.

276 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 277 Sechs Schauplätze umfasst die gesamte Rechts die Pfarrkirche von Schöngrabern Anlage der Römerstadt Carnuntum: mit den romanischen Reliefs an der Apsis, Römisches Stadtviertel, Amphitheater der Steinernen Bibel. Zivilstadt, Trainingsarena der Gladiatoren, Seit damals blieb in der Römerstadt Carnuntum, wie die gesamte Anlage samt Archäo- Bauern und Winzer im Weinviertel Amphitheater Militärstadt, Museum logischem Museum Carnuntinum in Bad Deutsch-Altenburg heute heißt, buchstäblich Prägend für das mancherorts herbe und doch so nährende Weinviertel sind Carnuntinum und das Wahrzeichen kaum ein Stein auf dem anderen. Das imposante Heidentor wurde zum Symbol für weniger die grandiosen Baudenkmäler (mit Ausnahmen selbstverständlich) als eine Carnuntums: das Heidentor. Wahrschein- lich wurde es zur Zeit Kaiser Constantius’ II. die Freilegung und die langsame Entschlüsselung einer ganzen Lebenswelt. Kontinu- Vielzahl kleiner, fast bescheiden wirkender Relikte einer langen Geschichte, eines (317–361) als Triumphbogen errichtet. ierliche Grabungen – mit Schwerpunkten in den 1950er- und 1980er-Jahren sowie bäuerlichen Alltags und einer allgegenwärtigen Volksfrömmigkeit. Ungezählt sind die zwischen 2005 und 2007 – trugen aufgrund ihrer Funde und Rekonstruktionen Marterln, die Bildstöcke, die Kapellen. Herausragend unter den Sakralbauten ist zwei- Wesentliches zur Erkenntnis darüber bei, wie römische Soldaten und Beamte mit ihren fellos die aus dem frühen 13. Jahrhundert stammende Pfarrkirche Maria Geburt in Familien in den Provinzen des riesigen Reichs lebten. Zugute kommen diese For- Schöngrabern mit ihrer steinernen „Biblia pauperum“: An der durch Pilaster und ein schungsergebnisse nicht nur der internationalen Wissenschaft, sondern vor allem den Kordongesims in sechs Rechtecke unterteilten Außenseite der halbrunden Apsis Besucher/innen des Freilichtmuseums: Mit dem Bürgerhaus, der Stadtvilla und der erzählen Reliefs vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, wofür auf Geschichten öffentlichen Thermenanlage, die auf der Basis vielfältiger Forschungsergebnisse exakt aus dem Alten und dem Neuen Testament, auf Fabeln und andere Erzählungen zurück- rekonstruiert wurden, lässt sich der römische Alltag in all seinen Facetten erstaunlich gegriffen wurde. Wer dieses Bildprogramm bestimmte, wer die Handwerker waren, gut nachvollziehen. Für diese wissenschaftliche Leistung, aber auch für eine besonders die dieses Unikat schufen (vergleichbare Gegenstücke gibt es nur in Italien und Frank- gelungene Kulturvermittlung wurde der Archäologische Park Carnuntum im Jahr reich), darüber ist nichts bekannt. Immerhin konnte man die zwischenzeitlich auf- 2014 mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet. Niederösterreich pflegt gestellte These, die Reliefs wären im späten 16. Jahrhundert unter reformatorischem sein kulturelles Erbe, so zeigt sich allein schon mit diesem Ausflug zu den beiden Einfluss entstanden, widerlegen: Die Kirche samt ihrem Figurenschmuck ist eindeutig großen Museumskomplexen, nicht pflichtschuldig, sondern mit großer Lust und romanisch. hoher – nicht zuletzt finanzieller – Einsatzbereitschaft. Ein nicht weniger grandioses Beispiel sakraler Kunst findet sich in der Schloss- Die Denkmalpflege hat, wie man an den im jährlich erscheinenden Kulturbe- kapelle von Sierndorf: der von 1518 stammende Sandsteinschrein mit den hölzernen richt veröffentlichten Zahlen ablesen kann, einen markanten Stellenwert. Dabei geht Flügeln, auf die der Künstler, der wahrscheinlich der Donauschule zuzurechnen ist, es um sehr viel mehr als um die Erhaltung der namhaften, weithin ge- und berühmten Szenen aus dem Leben Jesu gemalt hat. Zu den frühesten Renaissanceplastiken Öster- Sakral- und Profanbauten von der Romanik bis ins frühe 20. Jahrhundert. Denn wie reichs zählen die Porträtbüsten des Stifterehepaares Wilhelm von Zelking und Mar- so oft sind es die kleineren Strukturen, die das Gesamtbild schaffen: Zweckbauten wie garetha von Sandizell auf der linken Chorempore, die wahrscheinlich eine Arbeit des Weinkeller, Schüttkästen, Bauernhöfe, aber auch Wohnhäuser und Verwaltungsbauten Wiener Dombaumeisters Pilgram sind. im urbanen Ambiente prägen Regionen, dörfliche Strukturen und ländliche Städte. Die zwischenzeitlich aufgestellte Eng mit der Sozialgeschichte des Weinviertels hängt eine der architektoni- Um sich einen Überblick über Niederösterreichs Kulturerbe zu verschaffen, These, die Reliefs der Schön- schen Spezialitäten dieser Region zusammen: die Kellergasse. Man siedelte in diesem empfiehlt es sich, das nicht entlang einer Chronologie zu tun, sondern sich nach graberner Pfarrkirche seien im grenznahen und daher gefährdeten Landstrich vor allem in Anger- und Straßendörfern, Besonderheiten in den vier Vierteln des Landes umzusehen. späten 16. Jahrhundert unter die sich zumeist im Schutz von Burgen befanden. Bauten abseits dieser Dörfer ent- reformatorischem Einfluss standen nur dann, wenn sie aus praktischen Gründen unumgänglich waren – z. B. entstanden, wurde widerlegt. für den extensiv angebauten Wein, dessen Transport nach der Lese kurz sein und der

278 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 279 Ein solcher Kellerbau ist keine nach dem Keltern bei möglichst gleichbleibender niedriger Temperatur gelagert Die Zentren der Kunst waren und Obersiebenbrunn. Der Grund dafür, dass sich der Hochadel im Marchfeld ansie- Kleinigkeit und kaum allein werden sollte. Damit entstanden in unmittelbarer Nähe der Weingärten die Lager- und sind vielfach bis heute delte, lag allerdings nicht allein an der Schönheit der Landschaft. Vielmehr besaßen zu schaffen, weshalb die keller und Presshäuser, für die man sich die natürliche Modellierung der Landschaft die großen Klöster, die aufgrund sie alle, die Familien Schönborn, Pálffy, Liechtenstein, Kinsky und Prinz Eugen von Weinviertler Kellergassen nicht zunutze machte und sie direkt in die Hügel grub. So ruht der Wein unter dem ihrer Dominanz in der Region Savoyen, landwirtschaftliche Großbetriebe in dieser Region, die das fürstliche Dasein nur Marksteine einer ganz Wein – von außen betrachtet ein schlichtes Häuschen aus Lehmziegeln neben dem das kulturelle Gedächtnis dieses finanzierten. Die barocken Meisterwerke – errichtet unter anderem nach Plänen besonderen soziokulturellen anderen, dahinter oft weitreichende Erdkeller, deren Wände nicht selten kunstvoll Landstrichs wesentlich formten. von Vater und Sohn Fischer von Erlach (Niederweiden respektive Eckartsau), Lucas von Geschichte, sondern auch verziert sind. Röschitz, Falkenstein, Straning, Haugsdorf – die Anlagen bestehen Hildebrandt (Schloss Hof) und Nikolaus Pacassi (Umbau von Niederweiden) – entstan- Dokumente einer dörflich- zum Teil bereits seit Jahrhunderten, wurden immer wieder erweitert und umgebaut den erst mit dem dieser Ära eigenen Bedürfnis nach opulenter Prachtentfaltung. humanen Kultur gegenseitiger (was Jahreszahlen in Türstöcken und Pressbalken dokumentieren). Ein solcher Keller- Heute dienen die Marchfeldschlösser als Museen oder für große Ausstellungen. Schloss Hilfe sind. bau ist keine Kleinigkeit und kaum allein zu schaffen, weshalb die Weinviertler Hof etwa sah 2014 eine große Ausstellung zu Prinz Eugen, Schloss Niederweiden Kellergassen nicht nur Marksteine einer ganz besonderen soziokulturellen Geschichte 2016 eine zum 100. Todestag Kaiser Franz Josephs, und beide waren 2017 Standorte sind, sondern auch Dokumente einer dörflich-humanen Kultur gegenseitiger Hilfe. einer Jubiläumsausstellung zu Maria Theresia. Eine Ausnahme bildet Schloss Ober- Apropos Territorium, apropos damit konnotierte Kulturgeschichte: Bis in das siebenbrunn (ursprünglich ein Geschenk Kaiser Karls VI. an Prinz Eugen), das seit dem 12. Jahrhundert reicht die Geschichte des Brandlhofs in Radlbrunn zurück. Ursprüng- Jahr 2001 ein Kloster der koptischen Kirche ist. lich als Meierhof von Stift Lilienfeld errichtet, wurde der Bauernhof über Generationen von der Familie Brandl geführt. 1994 gingen die letzten Besitzer in Pension, und da Bürger und Mönche im Waldviertel sie keine Erben hatten, blieb der Brandlhof verlassen zurück. Ab 2002 wurde dieses Eine völlig andere kulturhistorische Prägung zeigt sich im Waldviertel. Zwar typische Exemplar eines Weinviertler Lehmbaus renoviert, und seit 2005 – anlässlich ist es auch hier die Geschichte als Grenzland, die sich bestimmend auf das Zusammen- einer Landesausstellung – ist der Brandlhof öffentlich zu besichtigen. leben und die regionalspezifische Architektur ausgewirkt hat. Die Zeugen dafür Bäuerliche Lebenskultur anschaulich bewahren: Diesem Anspruch folgt auch sind nicht zuletzt im Ensemble mit der einzigartigen Waldviertler Landschaft beein- das Museumsdorf Niedersulz mit seiner Sammlung typischer Weinviertler Wohn- druckend: verfallene Festungen, gut erhaltene Burganlagen, Schlösser, die die Burgen und Wirtschaftsgebäude. 80 Bauten sind es mittlerweile und eine große Sammlung später oft ersetzten, und die drei diese Region prägenden Klöster Zwettl, Altenburg volkskundlicher Möbel und Objekte, die sämtliche Aspekte des bäuerlich-ländlichen und Geras. Daseins im Weinviertel repräsentieren. Der seltene Fall einer gelungenen Über- Eine weitere Besonderheit des Waldviertels: Die mittelalterlichen Burgstädte tragung agrarischer Notwendigkeit in den urbanen Raum ist in Retz zu finden, und wuchsen nicht aus ursprünglich dörflichen Ansiedlungen, sondern wurden, vorwie- zwar unter dem (auch oberirdisch attraktiven) Hauptplatz, wo sich in Gängen von gend im 12. und 13. Jahrhundert, als Städte gegründet. Ihr spezielles Charakteristikum – über 20 Kilometern Länge mit zum Teil vier Geschoßen Mitteleuropas größter Wein- einen lang gestreckten, trichterförmigen Hauptplatz, in den auf der Schmalseite die keller findet. mit dem Stadttor verbundene Hauptstraße mündet – haben Zwettl, Horn, Eggenburg, Fast ist man geneigt, sich zu wundern, dass in dieser vorwiegend von Feldern, Gmünd oder Waidhofen an der Thaya weitgehend eingebüßt. Nur in Drosendorf hat Dörfern, massiven Festungen und wenigen kleinen Städten geprägten Landschaft sich der dreieckige Platz unverändert erhalten. Der Grund dafür, dass sich der lustvolle Beispiele barock-repräsentativer Baukunst zu finden sind. Es sind die Die Zentren der Kunst jedoch waren und sind vielfach bis heute (auch wenn Hochadel im Marchfeld eingangs angekündigten Ausnahmen, und sie stehen für eine Ära, zu der – zeitlich die Zeitläufte die Vorzeichen massiv verändert haben) die großen Klöster, die auf- ansiedelte, lag nicht allein in großzügig betrachtet – Versailles ebenso gehört wie Schloss Schönbrunn oder grund ihrer Dominanz in dieser Region – ihrer Rolle als Arbeitgeber aufgrund weitläu- der Schönheit der Landschaft. das Belvedere: die Marchfeldschlösser Hof, Niederweiden, Marchegg, Orth, Eckartsau figen Grundbesitzes, aber auch als Seelsorger – das kulturelle Gedächtnis der Region

Kulturlandschaft mit Charakter Künstler-Dynastien Niederösterreich und seine großen Kunstschaffenden Quelle des geistigen Lebens und zugleich auch wichtige Auftraggeber waren vor der Erstarkung des Theresia Hauenfels Bürgertums in erster Linie Kirche und Adelshäuser. Der große Reichtum an Klöstern, Burgen und Schlössern Kunstschaffen und Kulturproduktion nehmen in zurückgezogen zu haben und verstarb 1127. Ihr Wirken zeichnet Niederösterreich bis heute aus. Bedeutende Niederösterreich seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert wird im Raum Melk verortet, mutmaßlich im ehe- Architekten haben dieses nachhaltige Erbe gestaltet, so bis in die Jetztzeit eine überaus relevante Rolle ein, maligen Frauenkloster Göttweig (heute Klein-Wien). etwa Jakob Prandtauer (ab 1692 bis zu seinem Tod 1726 sowohl in gesellschaftlicher als auch in wirtschaftlicher Zentrale Bezugspunkte ihrer Dichtung (u. a. „Das Leben ansässig in St. Pölten) mit dem Neubau des Benedikti- Hinsicht. Diese Blüte wurzelt in der Tradition eines Jesu“, „Das jüngste Gericht“) waren Bibel und Spirituali- nerstiftes Melk oder sein Neffe Franz, Stammvater jahrhundertealten Kulturlebens. Viele berühmte Persön- tät. Ebenfalls stark im Zeichen von Religion stand das der St. Pöltener Baumeisterfamilie Munggenast, etwa lichkeiten der österreichischen Kunst- und Kulturge- Werk der Barocklyrikerin Catharina Regina von Greif- mit Stift Altenburg. Doch nicht nur die Munggenasts schichte wurden in Niederösterreich geboren bzw. fenberg (1633–1694), die auf Schloss Seisenegg nahe waren generationsübergreifend präsent: Die Steinmetz- haben sich hier niedergelassen. In einem Abriss, der nur Amstetten während des Dreißigjährigen Kriegs geboren Familien Haresleben und Steinböck, die beide aus fragmentarisch sein kann, werden entlang unterschied- wurde. Als Protestantin war sie schlimmen Repressalien Eggenburg/Umgebung stammten, waren im 17. und licher Kategorien des künstlerischen Ausdrucks bis ins ausgeliefert, letztlich wanderte sie 1679 nach Nürnberg 18. Jahrhundert an der Realisierung großer Bauwerke Mittelalter zurück außergewöhnliche Leistungen aus. Das Werk der Dichterin, das über Österreich – vom Wiener Stephansdom über Schloss Schönbrunn bezeugt. Dass bei den angeführten Namen nur wenige hinaus rezipiert wurde, basierte auf ihren theologischen, bis hin zur Hofburg – beteiligt. Dieses „Erbfolge“- Frauen in Erscheinung treten, spiegelt die historischen philosophischen sowie historischen Studien. Der Im September 2017 wurde Prinzip setzte sich bis zum 20. Jahrhundert immer Gegebenheiten in Bezug auf Produktionsbedingungen Zugang zu Bildung war vor allem für Mädchen in das neu gestaltete Haydn- wieder durch. Als Sohn eines Architekten wuchs Ernst Geburtshaus in Rohrau von Kunst bzw. ihre Überlieferung wider: umso früheren Jahrhunderten deutlich eingeschränkt. Bertha eröffnet. Ausgangspunkt ihres großen Engagements als Pazifistin. Anton Plischke (1903–1992) in Klosterneuburg in einer mehr ein Grund, bei der Literatur zu beginnen, denn von Suttner (1843–1914), geborene Kinsky, erhielt Ihr Hauptwerk, der Roman „Die Waffen nieder!“, Villa auf, die der Vater selbst entworfen hatte. Plischke, Niederösterreich ist die Heimat der ersten namentlich jedoch in ihrer Jugend umfassenden Unterricht, erlernte entstand auf Schloss Harmannsdorf im Weinviertel. der bei Josef Frank, einem herausragenden Vertreter bekannten Dichterin des deutschsprachigen Raumes. mehrere lebende Fremdsprachen und war vor ihrer Für ihre Aktivitäten, darunter die Gründung der der Moderne und ebenfalls gebürtiger Niederösterrei- Über das Leben von Frau Ava (* um 1060) ist damals skandalträchtigen Heirat mit dem Sohn des Österreichischen Friedensgesellschaft, erhielt die Schrift- cher, als Mitarbeiter tätig war, wurde nach seiner 1939 nicht allzu viel überliefert: Sie war Mutter zweier Söhne, Hauses als Erzieherin und Gesellschafterin bei Baron stellerin 1905 den Friedensnobelpreis. erzwungenen Emigration nach Neuseeland zu einem scheint sich nach einem weltlichen Leben ins Kloster Suttner tätig. Ihre liberale politische Haltung war relevanten Protagonisten des International Style.

280 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 281 wesentlich formten. Rein kunsthistorisch betrachtet sind sie ein fantastischer Bilder- bogen, auf dem sich Meisterwerke aus Romanik, Gotik und Barock präsentieren. Sowohl Zwettl als auch Altenburg und Geras sind Gründungen des 12. Jahr- hunderts – Zwettl eine der Zisterzienser, Geras der Prämonstratenser, Altenburg der Benediktiner. Zu einem Sakralbau allerersten Ranges macht Stift Zwettl, das unter diesen drei Klöstern von der Geschichte am gnädigsten behandelt wurde, der mittel- alterliche Architekturbestand: Kapitelsaal, Kreuzgang, Dormitorium und – als älteste erhaltene Latrinenanlage Europas – das Necessarium. Auf der anderen Seite sind es die barocke Bibliothek – ein Bau Joseph Munggenasts, freskiert von Paul Troger – und die hochgotische Stiftskirche, denen Stift Zwettl seinen Ruf verdankt. Ab den 1720er-Jahren wurde die Stiftskirche behutsam barockisiert und erhielt – ein Wahrzei- chen des Waldviertels – die vorgeblendete Einturmfassade mit dem reichen Figuren- schmuck. Auch im Inneren ging man sorgfältig mit dem hochgotischen Rahmen um und erhielt, was erhaltenswert schien, darunter den Bernhardi-Altar mit den Malereien von Jörg Breu dem Älteren, einem Hauptvertreter der Donauschule. Ganz anders Stift Altenburg, dessen Geschichte aus einer Aneinanderreihung von Katastrophen besteht und das sich unter Abt Placidus Much – Sohn eines Wein- bauern und Kind seiner Zeit: ein Ästhet mit Hang zur Prunkentfaltung – zu einer erlesenen spätbarocken Schöpfung entwickelte. Auch Much engagierte Munggenast und Troger, die innerhalb von 13 Jahren einen ebenso mächtigen wie exquisiten Komplex errichteten, in dem Licht, Farbe und Form zu bisher ungeahnter Perfektion verschmelzen: die Krypta mit der barocken Groteskmalerei, die darüberliegende Bibliothek als eine Raumschöpfung von seltener Harmonie, die Feststiege und der Marmorsaal mit Trogers Fresko „Triumph des Glaubens“, in dem das Licht selbst zum ikonografischen Element wird. Auch in Stift Geras wirkten Munggenast und Troger: Nach einem Großbrand 1730 entstand nach Plänen Munggenasts der als Neugebäude bezeichnete Barocktrakt mit dem Torpavillon (dessen Figurenschmuck von Jakob Schletterer stammt). Und das grandiose Deckenfresko im Marmorsaal schuf einmal mehr Paul Troger. Aus dem rezenten Kunstgeschehen im Waldviertel ist vor allem Stift Alten- burg nicht wegzudenken. Bijan Khadem-Missaghs Kammermusikfestival Allegro Vivo, die Altenburger Meisterkurse und Bernd R. Bienert, der mit seinem Teatro Barocco seit 2012 virtuos historisches Musiktheater in der Altenburger Bibliothek in Szene setzt, Die Bibliothek von Stift Altenburg – opu- Sie entstand zwischen 1740 und 1744. drei Kuppeln gekrönt, die Paul Troger wirken weit über die regionalen Grenzen hinaus. lenter Rahmen für delikaten Musikgenuss. 50 Meter lang ist der Saal und von mit Fresken ausstattete.

Nicht nur in der Baukunst, sondern auch in der Musik in der Kurstadt geborene Sängerinnen seien repräsenta- Schwejk“ bekannt gewordene Volksschauspieler Fritz treten Schlüsselfiguren vor dem Rahmen enger tiv genannt: Katharina Wallbach-Canzi (1805–1880) Muliar (1919–2009), der in Groß-Enzersdorf lebte familiärer Konstellationen in Erscheinung: Die Brüder war Schülerin Antonio Salieris und hatte Engagements und mit dem Ein-Personen-Stück „Sibirien“ von Felix Joseph Haydn (1732–1809) und Michael Haydn (1737– von Mailand über Parma bis Leipzig und Stuttgart. Mitterer große Erfolge feierte, stand bis zuletzt auf der 1806), als Söhne eines Wagenmeisters in Rohrau An der Hofoper in Wien und bei internationalen Gast- Bühne: mit einer Rolle in Peter Turrinis „Die Wirtin“. geboren, wurden als maßgebliche Vertreter der Wiener spielen brillierte Rosa Papier (1859–1932). Nach Ende In den vergangenen Dekaden erregten Filmproduk- Klassik zu weltberühmten Komponisten. Zu den ihrer Bühnenpräsenz wurde sie zu einer hoch angesehe- tionen österreichischer Regisseur/innen laufend inter- wichtigsten zeitgenössischen Komponisten zählt nen Gesangslehrerin ihrer Zeit. national großes Aufsehen: „Die Fälscher“ von Stefan Friedrich Cerha (*1926), der mit großer Konsequenz Ruzowitzky (*1961) erhielt 2008 – für Österreich eine in seinem Haus im Dunkelsteinerwald seine Werke Theatermacher, Filmemacher Premiere – den Auslands-Oscar. Mit an Bord war realisiert. Einen Meilenstein der Avantgarde stellte die Baden bei Wien war auch Geburtsort der Schau- Schauspieler Karl Markovics (*1963), der in Niederöster- Entwicklung der Zwölftonmusik dar, die gleich in spielerin Katharina Schratt (1853–1940), die am Hof- reich aufwuchs und dessen Regiedebüt „Atmen“ (2011) Michael Haneke, vielfach zweifacher Hinsicht mit Niederösterreich in Verbindung burgtheater große Erfolge feierte und darüber hinaus prämierter Filmregisseur und national und international ausgezeichnet wurde. steht. Der Wiener Neustädter Komponist Josef Matthias durch ihre enge Beziehung zu Kaiser Franz Joseph I. Theatermagier (u. a. „Don Nur fünf Jahre nach Ruzowitzkys großem Erfolg in Hauer (1883–1959) entwarf 1911 – und damit vor Arnold in die Geschichte eingegangen ist. Und noch ein Giovanni“, Paris 2006, sowie Los Angeles wurde im Jahr 2013 Michael Hanekes „Così fan tutte“, Madrid 2013) Schönberg – sein universales System, das er u. a. in Kind der Stadt gilt es zu würdigen: Schauspieler und mit ausgeprägter analytisch- Meisterwerk „Amour“ in der Kategorie „bester nicht rund 1.000 „Zwölftonspielen“, aber auch in Oratorien Regisseur Max Reinhardt (1873–1943), der auch in der psychologischer Begabung englischsprachiger Film“ mit einem Oscar prämiert. und einer Oper zum Ausdruck brachte. Im Zeitraum Rolle des Theaterleiters reüssierte und als Vater des in der Figurendeutung Und auch bei den Internationalen Filmfestspielen von und -führung, wuchs auf von 1918 bis 1925 war Mödling der Arbeits- und modernen europäischen Regietheaters gilt. Das von ihm einem Bauernhof in der Cannes konnte Haneke (*1942), der Kindheit und Lebensmittelpunkt von Arnold Schönberg (1874–1951), 1929 gegründete Max-Reinhardt-Seminar in Wien Nähe Wiener Neustadts auf. Jugend in Wiener Neustadt verbrachte, bereits zahlrei- und hier entstand seine Technik der Dodekaphonie genießt bis heute weltweit besten Ruf, und mit seiner che Preise entgegennehmen, zuletzt 2009 die Goldene im strengen Rahmen von zwölf Tönen, die aufeinander „Jedermann“-Inszenierung wurde 1920 der Grundstein Palme für „Das weiße Band“. Die Filme des internatio- Bezug nehmen. Sein ehemaliger Wohnsitz ist heute zu den Salzburger Festspielen in ihrer heutigen Form Karriere des Schauspielers O. W. Fischer (1915–2004), nal viel beachteten Regisseurs Ulrich Seidl (*1952) – wie Gedenk- und Forschungsstätte. Das südliche Niederös- gelegt. Der Zeichen der Zeit gewahr, emigrierte der aus Klosterneuburg stammte und in der Ära etwa seine „Paradies“-Trilogie – wurden bislang bereits terreich weist einen weiteren Kulminationspunkt des der Theaterdoyen jüdischer Herkunft bereits 1937 in des deutschsprachigen Nachkriegsfilms zum Star im Rahmen der Festivals von Cannes, Venedig und Musikgeschehens auf: Ab dem beginnenden 19. Jahr- die USA, wo er in Hollywood einen „Workshop for wurde. Mit seiner Darstellung des bayerischen Königs Berlin gezeigt. Die Einreichung Österreichs für den hundert brachte Baden im Bereich der Oper – und Stage, Screen and Radio“ etablierte. Die Ausbildung am „Ludwig II.“ (1954) feierte er seinen vielleicht größten Auslands-Oscar 2016 stammt vom Regie-Duo Severin später der Operette – klingende Namen ins Spiel. Zwei Wiener Max-Reinhardt-Seminar stand am Beginn der Erfolg. Der beliebte, durch die Filmfigur des „Soldaten Fiala und Veronika Franz: Die Filmemacherin siedelte

282 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 283 Kann ein Ort wie Stift Melk, Der südwestliche Saum des Waldviertels wird nur selten mit diesem assoziiert und an dem sich so massiv gehört dennoch dazu: die von der UNESCO als Weltkulturerbestätte ausgezeichnete Kreativität bündelte, je zum Wachau. Teil dieser Auszeichnung sind zwei der berühmtesten Stifte Österreichs – leblosen Relikt einer halb Melk und Göttweig – sowie die Altstadt von Krems. vergessenen Vergangenheit Gerade Stift Melk ist mehr als die Summe seiner Teile, auch wenn sich diese – werden, zu einer seelen- sattsam bekannt – respekteinflößend liest. Der im Alter von knapp 30 Jahren zum losen Hülle? Abt gewählte Berthold Dietmayr rief Anfang des 18. Jahrhunderts die damalige Crème de la Crème der bildenden Künstler an die Donau – und sie kamen alle: Jakob Prandtauer und sein Neffe Joseph Munggenast als Architekten, Antonio Beduzzi als Innenarchitekt, Johann Michael Rottmayr und Paul Troger als Maler der Fresken. Geistesgeschichtliche Analysen und kunsthistorische Würdigungen Melks füllen ganze Bibliotheken, deshalb an dieser Stelle eine Frage samt hypothetischer Antwort: Kann ein Ort, an dem sich Kreativität so massiv bündelte, je zum leblosen Relikt einer halb vergessenen Vergangenheit werden, zu einer seelenlosen Hülle? Wohl kaum. Den Beweis dafür tritt man in Melk mit einem vielfältigen Konzertprogramm (darunter die Internationalen Barocktage und die Sommerspiele Melk), dem Wachaulabor (einem ehrgeizigen Kunstprojekt von Schüler/innen des Stiftsgymnasiums sowie bildenden Künstler/innen) und wechselnden Ausstellungen an.

Es ist eine Metallspur, die sich Handwerker und Händler im Mostviertel durch das südliche Most- Obwohl die Stifte Melk, Göttweig, Herzogenburg, Lilienfeld und Seitenstetten viertel zieht: Die Eisenstraße das kulturelle Gedächtnis des Mostviertels prägen, wurde dessen Kulturgeschichte und mit ihr die Hammerher- dennoch wesentlich von der Verarbeitung des Eisens vom Erzberg bestimmt. Genug ren waren es, die dieser Region also der Klöster und Kirchen und Stifte, denn es ist eine Metallspur, die sich durch ihren Stempel aufdrückten. das südliche Mostviertel zieht: Die Eisenstraße und mit ihr die Hammerherren genann- ten Frühindustriellen waren es, die dieser Region in vielerlei Hinsicht ihren Stempel aufdrückten. Spuren dieser Kultur gehen zurück bis in das 12. Jahrhundert, werden besonders ab dem 16. Jahrhundert sichtbar und wirken so intensiv nach, dass man sich 1990 entschloss, den Kulturpark Eisenstraße zu gründen. Prunk und Stolz sakraler barocker Baukunst: Stift Melk, Hier überschneiden sich die Themen natürlich – Geschichte, Wirtschaftsge- gegründet im frühen schichte, Volkskultur, sie alle haben ihren Anteil (wahrscheinlich sogar einen weitaus 12. Jahrhundert, umgebaut größeren als die Kunstgeschichte), doch unerwähnt darf das kulturhistorische nach den Plänen von Jakob Prandtauer in den Jahren Phänomen an dieser Stelle nicht bleiben. Der Grund sind architektonische Zeugnisse 1702 bis 1746. der Montanhistorie und zahlreiche zeitgenössische Kunstprojekte, die sich auf die Seite 288 →

das Setting des Horrorfilms „Ich seh Ich seh“ im Wald- Vielstimmiger Kanon viertel an. Stellvertretend für die vielen großen Namen, die Fasziniert vom Waldviertel war auch der Fotograf Niederösterreich im Bereich der bildenden Kunst und gebürtige Ebreichsdorfer Franz Hubmann hervorgebracht hat, seien nun zwei genannt, die zeitna- (1914–2007), der seinen Blick auf das speziell (Nieder-) he in geografischer Nähe geboren wurden und deren Österreichische fokussierte und in Publikationen wie Schaffen die Kunst des 20. Jahrhunderts maßgeblich „Mohn und Granit“ verewigte. Ein gewisser Pioniergeist geprägt hat. Der aus Pöchlarn stammende Expressionist scheint dem Landstrich und seinen Kunstschaffen- Oskar Kokoschka (1886–1980) malte, angeregt durch den innezuwohnen. Anlässlich einer Landesausstellung zahlreiche Reisen und Aufenthalte im Ausland, die 1934 erstellte die ortsansässige Fotografin Lina Lux für ihn so charakteristischen Porträts von Städten und (1894–1989) die ersten Luftaufnahmen von Zwettl aus Landschaften. einem zweisitzigen offenen Flugzeug. Ausgehend von Luftfotografie und Vogelschau entwickelte Georg Riha (*1951), dessen Filmproduktion ihren Sitz seit 1995 in Tullnerbach hat, innovative Aufnahmesysteme. Seine hochwertig gestalteten Dokumentationen haben in den vergangenen Jahren verstärkt Niederösterreich zum Thema. Ebenso wie Riha wurde auch Peter Patzak (*1945) der Billy Wilder Award verliehen: für ihre internationalen Meriten um den österreichischen Film. Die Liste von Patzaks Auszeichnungen, darunter der Der Name Franz Hubmann Regiepreis der Biennale von Venedig, ist lang, sein Unter den aus Nieder- steht für sensible Porträts, Œuvre umfassend. In Klosterneuburg-Weidling findet österreich stammenden luziden Bildjournalismus Künstler/innen der und für eine in wunder- sich nicht nur sein Wohnsitz, sondern hier entstehen – vielleicht am vielfältigsten Oskar Kokoschka, „Liebes- baren Bildkompositionen genreübergreifend – seine Werke: von Filmen über Begabte: Oskar Kokoschka, paar. Brustbild einer ausgedrückte Zuneigung Bücher bis zu Malerei. Maler, Grafiker und Liebkosung. Alma Mahler zum Waldviertel. Schriftsteller, auf einer und Oskar Kokoschka“, Fotografie von Franz Kohle und weiße Kreide auf Hubmann, 1958. Papier, 1913.

284 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 285 Kaum ein Künstler hat sich selbst so oft porträtiert wie Schiele. Dabei wandte er dieselben Kriterien an wie bei seinen Modellen: mit den Mitteln expressio- nistischer Bild- und Formensprache psychische Entwicklungen und Befindlichkeiten sichtbar zu machen. Mit dieser Über- windung der traditionellen Porträtauffassung definierte Schiele das Genre völlig neu und wurde neben Gustav Klimt zum be- deutendsten Porträtmaler Wiens.

Egon Schiele, „Das Zimmer des Künstlers in Neuleng- bach“, Öl auf Holz, 1912. Im Herbst 1911 zogen Egon Schiele und seine Lebens- gefährtin Wally Neuzil nach Neulengbach. Ein junges Egon Schiele, Mädchen, das für Schiele „Selbstportrait mit schwärmte und von zu Hause gespreizten Fingern“, ausriss, war der Anlass für Öl auf Holz, 1911. die berühmte Neulengbacher Affäre, die Schiele für ins- Egon Schiele, „Der Lyriker“, gesamt 24 Tage ins Gefängnis Öl auf Leinwand, 1911. brachte und seinem eben beginnenden Erfolg einen empfindlichen Dämpfer versetzte.

Der gebürtige Tullner Egon Schiele (1890–1918) hat sich Sie waren und sind Chronisten ihrer Epoche, und durch seinen markanten Ausdruck dem kollektiven haben mit den ihnen ureigenen Ausdrucksmitteln das Gedächtnis eingeprägt. Wegen seiner Aktdarstellungen Zeitgeschehen dokumentiert, hinterfragt sowie von Minderjährigen wurde er verurteilt und in Neu- auch selbst Veränderungen bewirkt und Geschichte lengbach inhaftiert. Sein Schicksal führt vor Augen, geschrieben. Nicht jede einzelne Leistung ist über dass man nicht immer in der Geschichte des Landes der die Jahrhunderte bis ins Heute tradiert. Manches Freiheit der Kunst gegenüber aufgeschlossen war. Der ist in Vergessenheit geraten, manches wird wieder Paradigmenwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung entdeckt – denn auch die Rezeption von Kunst in Richtung Wertschätzung des zeitgenössischen Kunst- unterliegt Moden –, doch der Kanon ist und bleibt geschehens wurde durch großes Engagement aufbereitet. vielstimmig. Jede einzelne dieser großen Leistungen Impulsgebend waren zwei Künstlerinnen, die Orte bildet einen Baustein, der auf einem Fundament des Dialogs in Niederösterreich schufen: Broncia Koller- von historischer Dimension ruht und für die Fort- Pinell (1863–1934) in ihrem Haus in Oberwaltersdorf setzung einer Reihe sorgt: Und so entsteht Schicht und Christa Hauer-Fruhmann (1925–2013) mit Schloss um Schicht ein weit verzweigter, facettenreicher Lengenfeld. Komplex an Räumen unterschiedlicher Ausprägung, Seit vielen Jahrhunderten haben Künstler/innen der kontinuierlich wächst und sich als Träger durch ihr Leben und durch ihre Werke Niederösterreich und Generator der Identität Niederösterreichs in als das Kulturland, wie wir es kennen, geformt. die Zukunft fortsetzt.

286 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 287 Spuren dieser speziellen Vergangenheit beziehen. Die Hammerherren z. B., die Carl Ritter von Ghega setzte auf sich mit der Semmeringbahn ein erstaunliches Beispiel für die Kombination von Familien Töpper und Amon, die sich dank ihres Reichtums mächtige Häuser bauten. die Weiterentwicklung der Ingenieurkunst und intuitiver Kreativität. Diese offenbart sich in der Trassenführung, Fast durchwegs in massiv-schwerfälligem Renaissancestil errichtet, sind sie in ihrer Dampflokomotive und darauf, bei der ihr Schöpfer Carl Ritter von Ghega zweifellos in gewisser Hinsicht einem prächtigsten Gestalt – etwa im Ledererhaus in Purgstall – mit kunstvoller Sgraffito- dass sie in absehbarer Zukunft technischen Regelwerk folgte, dabei aber die Topografie derart kühn interpretierte, Malerei geschmückt. Zu den architektonischen Zeugen zählen aber auch die kompak- stark genug sein würde, dass sie bis heute – über 160 Jahre nach ihrer Fertigstellung – zu faszinieren vermag. ten Hammerwerke, die Schmieden wie beispielsweise der Fahrngruber-Hammer den Semmering zu bezwingen. Es passt ins Bild, dass sich Ghega damals gegen die Meinung führender Architekten in Ybbsitz. Eine Besonderheit der Spurensuche in dieser Region ist das Oral-History- und Ingenieure durchsetzte, die der Überzeugung waren, Steigungen wie jene Projekt „Dokumentation Eisenstraße“. Die Aufzeichnungen sind jedermann zugänglich, über den Semmering nur mittels Seilebenen oder einer Zahnradbahn überwinden zu und zwar dank der Eisenstraßen-Hörsessel, einer Art Audiokultur im öffentlichen können. Ghega jedoch setzte auf die Weiterentwicklung der Dampflokomotive und Raum: In den 13 metallenen Klangoasen kann man auf Knopfdruck altes Wissen über darauf, dass sie in absehbarer Zukunft stark genug sein würde, den Berg zu bezwingen. die Region abhören. Der Rest ist Geschichte – und wurde ebenfalls von der UNESCO als Weltkulturerbe Das geistige (und über weite Strecken auch wirtschaftliche) Zentrum des ausgezeichnet. südlichen Mostviertels bildete bis zu ihrer Aufhebung unter Kaiser Joseph II. Ein weiterer zeitlicher und geografischer Sprung in die direkte Nachbarschaft die Kartause Gaming. Mit ihren 24 heute noch bestehenden Mönchszellen war sie Wiens, nach Klosterneuburg und hier zu seinem weithin berühmten Stift. Die mittel- die größte Kartause Mitteleuropas. Den Mönchen verdankte die Region viel, denn alterliche Gründung war 1730 längst zu einem Zentrum der Kunst, Kultur und Wissen- sie waren es, die das Land ab dem 14. Jahrhundert urbar machten. schaft geworden (besonders die astronomisch-kartografische Forschungsstätte war ihrer hervorragenden Karten wegen gefragt), als sich Kaiser Karl VI. anschickte, die Chorherren und Ingenieure im Industrieviertel Anlage zu einer imperialen Residenz ausbauen zu lassen, die diesen Namen verdiente. Die viertelweise Spurensuche endet gegen den Uhrzeigersinn im Industrie- Karls Vorstellungen waren gelinde gesagt megalomanisch, doch sein Architekt Donato viertel. Gegen den Uhrzeiger, oder gegen die Chronologie der Zeit, ist hier durchaus Felice d’Allio entwarf, was der Kaiser forderte, darunter vier riesige Höfe und neun passend, da gerade diese Gegend historisch weit auseinanderliegende, aber gleicher- Trakte mit Kuppeln und den Kronen des Hauses Habsburg. Der Plan war vielleicht maßen bedeutsame Spuren des niederösterreichischen Kulturerbes birgt. Von realisierbar, aber nicht zu finanzieren, und als Karl VI. 1740 starb, stellte seine Tochter Carnuntum, den Römern und der Römerstadt Carnuntum war bereits eingangs die Maria Theresia die Bauarbeiten sofort ein. Es dauerte nahezu 100 Jahre, bis zwischen Rede. Am entgegengesetzten (südwestlichen) Ende des Industrieviertels findet 1834 und 1842 zumindest etwa ein Viertel der Anlage durch den Architekten Josef

Carl Ritter von Ghega, Schöpfer der 184 Meter lang, 46 Meter hoch, fünf beeindruckenden Bahntrasse zwischen Gewölbe in der unteren und zehn Gloggnitz und Mürzzuschlag, hatte Gewölbe in der oberen Etage – das sind drei unterschiedliche Trassenvarianten die nüchternen Zahlen zum Kalte- durch das komplizierte Gelände projek- Rinne-Viadukt der Südbahn zwischen tiert, ehe er sich für die ausgeführte Polleros-Tunnel und Adlitzgraben- entschied. Heute ist die Semmeringbahn Viadukt im Semmeringgebiet. UNESCO-Weltkulturerbe.

288 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 289 Zum Konzept des Gesamtkunstwerks gehören bei Hermann Nitsch die Malaktionen. Sie lassen Mitwirkende und Betrachtende den sinnlich-faszinierenden Entstehungsprozess von der weißen Leinwand bis zum vollendeten Kunstwerk erleben. Kornhäusel fertiggestellt wurde – bloß einer von vier Höfen und nur zwei statt neun Kuppeln. Sie tragen dafür die beiden wichtigsten Insignien der ehemaligen Monarchie: die römische Kaiserkrone und den österreichischen Erzherzogshut. Der Kaisertrakt mit der weithin sichtbaren Krone beherrscht die Silhouette Klosterneuburgs in schöner Eintracht mit den beiden Türmen der alten Stiftskirche. Der an die Stiftskirche grenzende Kreuzgang verbindet diese mit den Räumen des Chorherrenstifts, dessen kostbarster Kunstbesitz sich in der Leopoldskapelle befindet: der Verduner Altar, ein mittelalterliches Meisterwerk der Emailkunst, Foto Fahrradfahrer St. Pölten. das ursprünglich als Schmuck der Kanzelbrüstung diente und 1330 zum Flügelaltar Ingrun fragen umgebaut wurde.

St. Pölten: Die älteste Stadt des Landes Diese kunst- und kulturhistorische Spurensuche, die sich halbwegs kreisförmig durch Niederösterreich bewegt, kann nur exemplarisch sein, das beweist auch die Beschreibung des Zentrums, St. Pölten, mit den erstaunlichen historischen Eckpunkten, gleichzeitig die wahrscheinlich älteste Stadt und die jüngste Hauptstadt Österreichs zu sein. Ihr kulturelles Erbe ist denn auch überreich, beginnt ungefähr mit der vom Vor- gängerbau verbliebenen romanischen Doppelturmfassade des Doms, führt über einen anmutigen barocken Stadtkern, in dem Jakob Prandtauer und Joseph Munggenast ebenso ihre bewunderten Spuren hinterlassen haben (etwa das Institut der Englischen Fräulein oder die Rathausfassade) wie Paul Troger (Fresko in der Institutskirche der Englischen Fräulein) und Antonio Beduzzi (Mariensäule am Herrenplatz), bis hin zum Jugendstil: Angesichts so viel barocker Grandezza vergisst man leicht, dass in St. Pölten auch Architekten wie Joseph Maria Olbrich (Stöhr-Haus in der Kremser Gasse) oder Hans Ofner (Synagoge) wirkten und der Stadt einen Jugendstilstempel aufdrückten. Ein geschlossenes Ensemble zeitgenössischer Architektur schließlich stellt St. Pöltens Regierungsviertel dar, in dem die Kunst einen hohen Stellenwert genießt. Abgesehen von Klaus Kadas leuchtender Curtain-Wall-Fassade des Festspielhauses sind es das St. Pölten mit seinen erstaun- NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst und das Museum Niederösterreich lichen historischen Eck- (nach Plänen von Hans Hollein und dem Architektenteam RATAPLAN), die dazu St. Pölten im Jahr 1909: Unverkennbar punkten ist gleichzeitig die einladen, mit der Spurensuche noch einmal ganz von vorn zu beginnen – vor allem sind die hochbarocke Dreifaltigkeitssäule wahrscheinlich älteste im 2017 neu eröffneten Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich. und die Franziskanerkirche, die 1779 fertiggestellt wurde und bereits Anklänge Stadt und die jüngste Haupt- an das Rokoko zeigt. stadt Österreichs.

Kunst-Genuss gassen, strassen der lust, der daseinsüberhöhung, durch- Im Mistelbacher nitsch museum konnte Hermann ziehen das weinviertel. … dörfer der ekstase, der tiefen Nitsch, dessen Werke von zahlreichen großen Museen Barbara Sternthal seinstrunkenheit.“ Kaum ein Künstler hat sich mit und Sammlungen in aller Welt angekauft werden, den Begriffen Kunst, Genuss und Sein so intensiv einen Teilbereich seiner „schule des lebens, der wahr- Eine nährende Landschaft, der Geschmack von Wein und Diether Roth auch die legendären Eat-Art-Bankette auseinandergesetzt wie Hermann Nitsch (*1938), dessen nehmung und der empfindung“ verwirklichen. Dieses und Brot, lustvoller Genuss als existenzielles Begreifen stattfanden. Ungefähr zu dieser Zeit entwickelte Orgien Mysterien Theater als Überbegriff für sein größte monografische Museum Österreichs wurde des Daseins und Kunst. „Sinnlichkeit ist vielleicht Spoerri seine frühen „Fallenbilder“: Assemblagen aus Gesamtkunstwerk gilt, das sich aus Malerei, Musik und im Sinne Nitschs an den Idealplan einer Klosteranlage der eigentliche Kunstgenuss“, notierte Graf Harry halb leer gegessenen Tellern, Weingläsern, Besteck – Drama zusammensetzt. angelehnt und umfasst, entwickelt von archipel architek- Kessler, Mäzen und enger Freund Hugo von Hofmanns- Momentaufnahmen eines abgeschlossenen Moments tur + kommunikation (Johannes Kraus und Michael thals, in seinem Tagebuch und wies darauf hin, dass des Genusses, eine „Topographie des Zufalls“, wie Lawugger), Gebäudeteile, die an Langhaus, Seitenschiffe Sinnlichkeit auch der häufigste Antrieb dafür sei, Kunst Spoerri diese mit Kunstharz an eine Tischplatte und Krypta erinnern. Im Zentrum der wechselnden zu schaffen. geklebten Alltagsgegenstände nennt. Dabei versteht der Ausstellungen sowie der wissenschaftlichen Erforschung Das Kunsterlebnis als lebendige Erfahrung, zu der Künstler diesen Moment als Teil des Lebenszyklus, und Dokumentation seines Gesamtwerks steht der Wille auch etwas scheinbar so Simples gehört wie ein gutes zu dem Leben und Tod sowie Verwesung und Wieder- des Künstlers, zum realen Erlebnis, zur unmittelbaren, Glas Wein, steht im Zentrum des Programms der geburt ebenso gehören wie Kochen und Essen. intensiven sinnlichen Wahrnehmung vorzudringen. Loisiarte. Sie findet in Steven Holls faszinierendem Im Jahr 2008 erwarb Spoerri in Hadersdorf am Nitsch befasst sich seit seinem Beginn als Aktionist Kubus statt, dem Loisium, dessen Baukörper aus dem Kamp zwei am Hauptplatz gelegene Häuser: ein altes in den 1960er-Jahren damit, dass die körperliche Boden der Kamptaler Weinberge in Langenlois zu Kino und ein ehemaliges Kloster. Aus dem Kino Schöpfung – das Sein – nicht Schuld bedeutet, sondern wachsen scheint. Der weite Blick in alle Richtungen gibt wurde das Esslokal Eat Art, aus dem Kloster das Kunst- ein Fest des Hierseins sein sollte. Seine Aktionen, deren den programmatischen Rahmen vor: Musik und staulager und ein Ausstellungshaus. Kunst und Genuss – Höhepunkt das Sechs-Tage-Spiel ist, legen synästheti- Literatur an vier Tagen – aus vier Himmelsrichtungen. essen, trinken und sich dem Œuvre Spoerris und sche Bezüge zwischen Essen, Trinken, Rausch, Riechen, Das Spiel mit den Sinneserfahrungen gehört seit vieler seiner Künstlerfreunde zuwenden: Nahrung auf Sehen, Spüren offen, die in einzelne Motive zerlegt vielen Jahren zur Kunst Daniel Spoerris (*1930). 1967/68 allen Ebenen. und wieder zusammengesetzt werden, um sie ganz entstanden auf der griechischen Insel Symi 25 Objekte, auskosten zu können: „das dasein wird zum daseinsfest denen er den Titel „Gastronomisches Tagebuch“ gab, Das Daseinsfest verklärt. leben steigert sich (…) zum jubelrausch.“ 1968 eröffnete er in Düsseldorf das Restaurant der „das festspielhaus und der ort prinzendorf liegen Daniel Spoerri, „Kitchenware“, Sieben Sinne und die dazugehörige Eat Art Galerie, in inmitten von feldern, waldstreifen und weingärten. zwei Installation mit verschiedenen der neben Aktionen unter anderem mit Joseph Beuys kellergassen gehören zum dorf. Ein geäder von keller- Küchengeräten, 1964.

292 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 293 Landschaft als Prospekt – Kunstschaffende in Niederösterreich „Ich hätte mein Leben nicht geglaubt, bodentiefen Fenster gewährten sowohl idealen Lichteinfall als auch einen ungehinder- dass ich so faul sein könnte, ten Blick nach draußen – und dazu eine kaum sichtbare und diskrete Abgrenzung. „Die wahre Landschaft ist im Kopf“, behauptete der Kulturanthropologe Orvar Löfgren wie ich hier bin“, schrieb Beethoven Eine unabdingbare Voraussetzung, so erzählte er einmal, um konzentriert arbeiten und beschrieb damit die Definitionsmacht über einen zweispurigen Weg: außen einem Freund aus Baden. zu können. das Ambiente, die Natur, die gesuchte und vielleicht gefundene Idealumgebung, die Auf der Spurensuche nach den inspirativen Qualitäten der so unterschiedli- nach innen wirkt, Emotionen in Bewegung setzt und solcherart – das ist das Ziel – chen niederösterreichischen Landschaften mag es zulässig sein, Äpfel und Birnen in zu seelischen Höhenflügen und mithin zu inspirierter Kreativität führt. Natur und einen Korb zu werfen und nach Gusto herauszuziehen: verschiedene Epochen, Landschaft gleichermaßen als Motiv und als Inspirationsquelle, als Konzentrat, verschiedene Künstler/innen, verschiedene Gegenden. Ludwig van Beethoven bei- das – halb bewusst, halb unbewusst – Empfindung, Deutung und Produktivität auslöst. spielsweise, der zwischen 1804 und 1825 immerhin 15 Sommer in Baden verbrachte. Man sieht schon, die Begrifflichkeit bleibt vage, subjektiv, macht ungezählte Dem rastlosen, unter seiner Taubheit, seinem Tinnitus, seiner insgesamt labilen Definitionen möglich: „Blitz“, die „Entdeckung des Noch-Nicht-Bewussten“ und das physischen Verfassung enorm leidenden Komponisten war Baden von seinem Arzt „Latente in der Welt“ nannte Ernst Bloch die Inspiration, die Idee, die danach verlangt, empfohlen worden. Offenbar tat Beethoven das behagliche Biedermeierstädtchen mit dass man ihr Form gibt. Und Friedrich Nietzsche analysierte in „Ecce Homo“: „Man seiner beruhigten Umgebung wohl, denn er kam immer wieder, nahm Bäder, trank hört, man sucht nicht, man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt (…). Es scheint wirklich, Schwefelwasser und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Schwer hatte er es immer nur um an ein Wort Zarathustras zu erinnern, als ob die Dinge selber herankämen und damit, die richtige Wohnung zu finden: Hatte er einmal eine angemietet, die ihm sich zum Gleichnisse anböten.“ Viel öfter aber dürfte Inspiration, zumal von Landschaft konvenierte, bekam er es bald mit unmutigen Nachbarn zu tun, die sein unausgesetz- und einer – ihrer – speziellen Atmosphäre ausgelöst, weitaus unspektakulärer zu- tes Arbeiten am Klavier störte. Mindesten sieben Häuser sind als Interims-Wohnsitze stande kommen – beiläufiger, unbekümmerter, weniger reflektiert (oder vielleicht Beethovens in Baden bekannt, in drei aufeinanderfolgenden Sommern (1821–1823) erst lange im Nachhinein), selbstverständlicher. „Irgend etwas haucht dich an“, schrieb bewohnte er das Haus „Beym Kupferschläger“, das dem Badener Magistratsrat und Robert Musil in seinem „Mann ohne Eigenschaften“, doch es dürfte mehr sein als Kupferschmied Johann Bayer gehörte. „Ich hätte mein Leben nicht geglaubt, dass ich dieses „irgend etwas“, das bemerkenswert viele Künstler/innen in Niederösterreich so faul sein könnte, wie ich hier bin“, schrieb Beethoven einem Freund aus Baden. suchen und finden. Es mag die Ruhe zum Arbeiten sein, das Panorama, das wahl- Hatte der Rastlose auf Spaziergängen im Helenental endlich gelernt, dass Müßiggang weise und ganz nach Geschmack und Sehnsucht alpin ist oder sanft hügelig, eine mitnichten aller Laster Anfang ist, sondern ganz im Gegenteil der Humus jeglicher hitzeflirrende Ebene, eine wildromantische Waldgegend, in der morgens der Nebel produktiver Kreativität? Durchaus möglich, denn – ungeachtet enervierter Nach- zwischen den Bäumen hängt. Es ist aber auch die Lebensqualität des Landes, der barn – entstanden in Baden zahlreiche musikalische Miniaturen, hochkonzentrierte oft mögliche unmittelbare Zugang zu einer – gemessen am Zustand der Welt – Kammermusik und erhebliche Teile der „Eroica“, der „Missa solemnis“ und der Es mag die Ruhe sein, die bemer- in gewissen Bereichen noch unverletzten Natur. Es sind aber auch die Impulse, die Neunten Sinfonie. Nachzusehen, nachzuhören und nachzuspüren ist all das im Bade- kenswert viele Kunstschaffende sich einem reichen kulturellen Erbe verdanken. ner Beethovenhaus, das in ebendiesem Kupferschmiedhaus eingerichtet wurde. in Niederösterreich suchen Ebenso wesentlich wie der diffuse Begriff der subjektiv idealen, inspirierenden und finden. Oder das Panorama, Landschaft ist die schlichte Funktionalität des Raums. Maler mögen Licht und Produktive Sommerfrische eine hitzeflirrende Ebene, Kontrast brauchen, Poeten die Ruhe, Musiker eine gute Raumakustik. Wie immer die Eine ganz andere Form der Inspiration fand Beethovens größter Bewunderer, eine wildromantische Waldge- persönliche Ästhetik aussehen mag, eines ist sicher: Der Raum in der Natur bietet Franz Schubert, in Niederösterreich. Zur selben Zeit, als Beethoven beim Badener gend, in der morgens der Nebel gleichzeitig eine Grenze zu ihr. Der Maler Eduard Angeli etwa arbeitete jahrelang in Magistratsrat wohnte, verbrachte Schubert seine Sommer mit Freunden – den Schu- zwischen den Bäumen hängt. einem Glashaus im Gemeindepark von Bad Deutsch-Altenberg. Die riesigen, nahezu bertianern, wie sie sich selbst nannten – im Schloss Atzenbrugg in der Nähe Tullns.

Ein Gespräch mit Hermann Nitsch Nur der Zen-Buddhismus trennt Seele und Leib nicht. BS: The medium is the message. HN: Das Orgien Mysterien Theater ist bis zu einem Barbara Sternthal (BS): Wenn ich deine Arbeit Da gibt es die Möglichkeit, schon im Hier und Jetzt HN: Ganz genau. Diesem Satz von Marshall gewissen Grad ein Auskosten der Schöpfung durch richtig verstanden habe, so ist „Kunst und Genuss“ ein das Nirwana zu erleben. Ich bewundere z. B. den McLuhan schließe ich mich voll an. Diese „message“ sinnliches Erleben. Thema, das in deiner Arbeit einen wesentlichen Platz Buddhismus sehr, aber nicht dort, wo es um die entsteht nur durch die Form. Nimm nur zum Beispiel BS: Sinnliches Erleben ist ein sehr weiter Begriff. einnimmt, wenn nicht sogar im Zentrum steht. Verneinung der Sinnlichkeit und der Lebendigkeit geht. Schiele, Rembrandt, Velázquez oder Caravaggio, Denn sinnliches Erleben umfasst das Anschauen Hermann Nitsch (HM): Ich würde sagen, Kunst Schopenhauer hat den Buddhismus mit westlichem die ihre Themenstellungen, das, womit sie sich beschäf- von Bildern, das Hören von Musik ebenso wie Essen hat grundsätzlich mit Genuss zu tun, und zwar zu allen Intellektualismus durchdrungen. Für ihn ist der Wille tigt haben, in einer ganz bestimmten Form bewältigt und Trinken. Zeiten. Ich bin als ganz junger Mensch zweimal im zum Leben eher etwas Negatives. Geht es nach ihm, haben. Und darüber entsteht eben die „message“. Denk HN: Genau so ist es auch. Das Sublime einer Monat ins Museum gegangen, einmal ins Kunsthistori- sollte man sich davon loslösen und ins Nichts eingehen. nur etwa an Manet, der einmal gesagt hat, es sei ganz Beethoven-Sinfonie oder einer Passion von Bach sche Museum, einmal ins Obere Belvedere. Und dort Der Gegenpol dazu war Nietzsche, der auf großartige egal, ob man einen Kohlkopf oder eine Madonna ist etwas Großartiges. Doch das Essen oder das Trinken habe ich genossen – gelernt und genossen. Damals habe Weise den Willen zum Leben bejaht. Für mich ist malt – die Form, wie man das tut, ist das Entscheidende. steht nicht niedriger als das Hören einer Bach-Fuge. ich das Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Form das Sinnliche, um es nochmals deutlich zu sagen, eine Jede Form oder jedes Medium – Malerei, Musik – Man könnte vielleicht sagen, dass die Bach-Fuge auf alles ist. Der Inhalt ist bestenfalls Bestandteil der Form, geistige Angelegenheit, und die Form ist Geist und vermittelt das, was diese Form eben vermitteln kann. einer geistigen Ebene einfach noch differenzierter die Trennung zwischen Form und Inhalt ist Unsinn. Sinnlichkeit in einem. Ein anderes Beispiel: Interessieren uns heute die instrumentiert ist. Alle Kunst braucht den Genuss, alle BS: Ich versuche, nahe an der Eingangsfrage BS: Woraus sich deine Kunst entwickelt. historisch-politischen Inhalte der antiken griechischen Kunst ist kulinarisch. nach Kunst und Genuss zu bleiben. Wie ist die Form HN: Mit der Erfahrung von Nietzsches Philosophie Tragödien? Nein, überhaupt nicht. Trotzdem sind wir BS: Hat diese Prämisse etwas mit der Landschaft zu damit in Einklang zu bringen? ist es für mich klargeworden: Jeder sinnlich genießend fasziniert: Es ist die gewaltige Form, die diesen Dramen tun, in der du arbeitest? Das Weinviertel ist schließlich HN: Ganz einfach: über das Sinnliche. Das Geistige erlebte Augenblick transzendiert. Es gibt keine Tren- auch heute noch eine so starke Wirkung verleiht. eine nährende Gegend. sollte nicht mit dem Sinnlichen konkurrieren, denn nung zwischen Diesseits und Jenseits, daher auch BS: Das Narrative in der Kunst ist für dich also HN: Natürlich. Das Weinviertel ist trotz aller das wahre Sinnlich-Sein ist eine geistige Angelegenheit, die religionsähnliche Funktion der Kunst. Ich glaube zweitrangig? Veränderungen immer noch eine relativ unverdorbene da es sich über das Bewusstsein entwickelt. Die an das Leben – da ist jedes Ereignis Metaphysik. HN: Richtig. Andere sehen das vielleicht anders, Kulturlandschaft. Sie entspricht ebenso einem dionysi- Trennung zwischen Seele und Leib, zwischen Geist und Und die Form erst recht. aber mich interessiert nur die Form. Denn es ist auch schen Prinzip wie die anderen Weinlandschaften, Körper gibt es für mich nicht. Auch das Fleisch denkt, BS: Und die Form sind deine Bilder und die Form, die uns über alle Zeiten hinweg verbindet. in denen ich mich vorwiegend aufhalte – also Neapel denn es wird zur Lunge, zur Niere, zum Herzen. dein Theater. Über die Form dringt die Antike, die Renaissance bis und Asolo. Dem Weinviertel bin ich allerdings auf BS: Körper und Geist zu trennen hat doch eine HN: Sogar noch mehr das Theater, da die Bilder zu uns, bis in die Gegenwartskunst und wird lesbar. besondere Weise verbunden: In diese Landschaft gehört sehr alte Tradition? lediglich Bestandteil des Theaters sind. Die Aktions- BS: Gehen wir den Schritt weiter zum Höhepunkt mein Konzept, hierher gehört mein Prinzip Dionysos. HN: Ja, das sind die Relikte aus 3.000 Jahren malerei ist die erste Stufe des Vollzuges meines deiner Formschöpfung, zum Orgien Mysterien Theater. Religion – egal ob Buddhismus, Christentum oder Islam. Theaters, die einfachste Form der Aktionsrealisation.

294 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 295 Josef Derffel, ein Onkel von Schuberts engem Freund Franz von Schober, war Verwalter Analog zum erweiterten Prozent der gesamten jährlichen Landesbausumme von unterschiedlichsten Bau- des Schlosses und lud die jungen und die nicht mehr ganz so jungen Leute ein, den Kunstbegriff, der immer neue beteiligungen in einen Budgetpool einbezahlt werden. Das nun für Kunst im Sommer nicht im stickigen Wien, sondern in der Frische einer niederösterreichischen und andere Medien, Formen, öffentlichen Raum zur Verfügung stehende Budget wiederum ist an keinen Neubau Landschaft zu verbringen. Ausflüge, Spiele, gemeinsames Musizieren – ganz anders Themen umfasste, entstanden gebunden, sondern kann frei verwendet werden. Wobei „frei“ in diesem Fall heißt, als Beethoven fühlte sich Schubert wohl unter seinen Freunden, inspirierte ihn das auch im öffentlichen Raum dass eine Jury aus neun Fachleuten österreichische und internationale Künstler/innen, Getriebe. Und nicht nur ihn, wurde er doch unter anderem von den Malern Leopold performative und partizipato- Designer/innen und Architekt/innen empfiehlt. Das niederösterreichische Gesetz Kupelwieser und Moritz von Schwind sowie vom Dichter Eduard von Bauernfeld rische Projekte. für eine Emanzipation der Kunst im öffentlichen Raum übrigens machte Schule, begleitet. Kupelwieser und Schwind hielten denn auch die eine oder andere Szene der wird als Grundlage für ähnliche Gesetze in anderen Bundesländern verwendet und gemeinsam verbrachten vergnüglichen Landpartien in Skizzen und Zeichnungen fest. international als vorbildhaft gewürdigt. Eine ganz andere Qualität bot Niederösterreich dem britisch-amerikanischen Die bislang weit mehr als 600 verwirklichten Arbeiten reichen von autono- Lyrikgiganten Wystan Hugh Auden. Der homosexuelle Poet, der sich zwei Mal groß- men Skulpturen über Stadtmöblierungen, die Gestaltung von Plätzen und Konzepten zügig als Bräutigam anbot (1935 heiratete er Erika Mann, damit sie mit einem für Mahnmale bis hin zu temporären Interventionen und Installationen. Pars pro britischen Pass den Nazis entkommen konnte, 1970 bot er der eben verwitweten toto: Manfred Wakolbingers Skulpturenpaar in St. Pölten (2012), Paul Feichters Hannah Arendt die Ehe zum Trost an), verbrachte ab 1948 seine Sommer in Europa. „Kuh in der Käseglocke“ auf einer Wiese bei Prigglitz (1994), Franz Schwarzingers und Mit dem Preisgeld für eine italienische Literaturauszeichnung kaufte er sich in Josef Danners bemalte Volksschule in Traisen (1994), Uwe Hauenfels’ Skulptur in Kirchstetten bei St. Pölten ein altes Bauernhaus. Er habe Glückstränen darüber Ybbsitz (1996), Iris Andrascheks und Hubert Lobnigs „Wohin verschwinden die Gren- vergossen, so sein späterer Biograf Humphrey Carpenter, endlich und zum ersten zen? – Kam mizí hranice?“ in Fratres, Anna Artakers „Conceptus“ in Willendorf (2014). Mal ein eigenes Haus zu besitzen. Die Verbundenheit mit Haus, Grund und Boden Die Kunst ist dabei keine Zwangsbeglückung für die Bevölkerung, diese begleitete Audens Alterswerk und währte bis zu seinem Tod 1973. wird vielmehr in die Entstehung der Kunstwerke einbezogen. Manchmal kann das ein Haus, Grund und Boden – die Wörterkombination lässt, in ganz anderem Riesenspaß sein, wenn z. B. die Künstlergruppe Gelitin zur Nasenbeschau einlädt, Kontext, an Albert Drach denken. Er kam, anders als die bisher erwähnten Künstler, bevor sie damit beginnt, ihre „Wachauer Nase“, die Skulptur am Donauufer in als Halbwüchsiger nach Mödling, nachdem sein Vater den Marienhof an der Haupt- St. Lorenz, umzusetzen. Auch der Kunstvermittlung wird breiter Raum gegeben, Der Poet W. H. Auden an der straße erworben hatte. Hier richtete Drach nach vollendetem Studium der Rechts- und zwar mit den Landpartien: einem Dialog „on the road“, an dem Fachleute, Schreibmaschine in seinem wissenschaften seine von ihm ungeliebte Anwaltskanzlei ein. Der Schriftsteller, Kunstschaffende und Kunstvermittler/innen die Kunst auf verschiedenen Ebenen Haus in Kirchstetten, um 1970. der durch seinen distanzierten, nüchtern-protokollarischen Stil zwar die Anerkennung nahebringen – durch Gespräche, Vorträge, erkenntnisreiche Spaziergänge durch durch Kollegen, aber keinen Publikumserfolg errang, musste 1938 emigrieren und Niederösterreichs Landschaften, durch Musik, philosophische Dispute, Kulinarik. kehrte 1947 wieder nach Österreich zurück. Bis 1955 kämpfte er um die Restituierung seines Mödlinger Hauses, das heute, eine späte Würdigung, Drach-Hof heißt. Charakterlandschaften Einige Bände wären zu füllen mit all jenen Künstler/innen, die in den vergan- Die Landschaft Niederösterreichs inspiriert nicht nur, sie dient auch als genen Jahrhunderten in Niederösterreich einen Teil ihres Lebens verbrachten, die Kulisse – unaustauschbar und hoch geschätzt. Zum Beispiel für Festivals, die in ihrem Inspiration, Kommunikation, Ruhe, Trost, Abgeschiedenheit, Geborgenheit oder Programm dezidiert auf die Landschaft rekurrieren. Suzie Heger beispielsweise einfach den Kontrast des Ländlichen zur Stadt gesucht und gefunden haben: Arnold hat 1996 wellenklaenge gegründet, und zwar explizit, um „die Kunst aus dem Lärm Schubert, Schönberg, Wolf, Schönberg in Mödling, Hugo Wolf in Perchtoldsdorf, Ernst Krenek in Krems, Joseph der Großstädte in die Natur zu bringen“. Der Lunzer See bietet ihr dabei für experi- Krenek und viele mehr: und Michael Haydn in Rohrau, Ignaz Joseph Pleyel in Ruppersthal (wo man seit mentelles Theater, für Performances und Konzerte die unübertreffliche Naturkulisse. Einige Bände wären zu füllen 2016 über ein neues Pleyel-Kulturzentrum verfügt) oder Benedict Randhartinger in Buchstäblich auf die Spitze getrieben wird wellenklaenge mit den gipfelklaengen – mit all jenen Künstler/innen, Ruprechtshofen; dazu Egon Schiele in Tulln (nebst seinem Gefängnisaufenthalt Wanderungen hoch hinaus, von Hütte zu Hütte, mit Musik. Suzie Heger, trans- die in den vergangenen Jahr- in Neulengbach), Friedrich Gauermann in Miesenbach, der Niederösterreich intensiv disziplinär denkend, planend und handelnd, war es auch, die den aus Lunz stammen- hunderten in Niederösterreich verbundene Ferdinand Georg Waldmüller oder Emil Jakob Schindler, der Schloss den Künstler Hans Kupelwieser zum Entwurf der Seebühne am Lunzer See anregte. Inspiration, Kommunikation, Plankenberg ab 1885 für seine Sommeraufenthalte mietete. Der Vater Alma Mahler- Was entstand, ist ein definitiv praktikables Kunstwerk, gleichermaßen Bühne und Ruhe, Trost, Abgeschieden- Werfels scharte hier einen ganzen Malerkreis um sich: Carl Moll, Tina Blau, Marie Egner, Tribüne (die bei Bedarf durch Wasserkraft gehoben wird und 250 Sitzplätze umfasst) heit, Geborgenheit oder einfach Theodor von Hörmann und Hugo Darnaut zählten dazu. Und natürlich Anton Hanak, „Die Nase ist glücklich an ihrem Platz. Dort wie tagsüber Sonnenterrasse und Badeinsel. atmet sie die Donau, die Marillen und den Kontrast des Ländlichen der Wegbegleiter Josef Hoffmanns und Gustav Klimts, der zwei Jahrzehnte lang in den Wein.“ Gelitin, Erfinder und Gestalter zur Stadt gesucht und gefunden Langenzersdorf lebte und arbeitete, wo man ihm nun im Langenzersdorf Museum eine der „Wachauer Nase“, 2014. haben. große Ausstellungsfläche widmet.

Kunst auf Schritt und Tritt Landschaft und Inspiration haben in Niederösterreich eine weitere Dimension– eine, die sich nicht, wenn man so will, im privaten Raum vom Draußen abgrenzt: Kunst im öffentlichen Raum nimmt einen speziellen Stellenwert im Land ein. Seit den 1950er-Jahren wurde in Niederösterreich Kunst in Gebäude integriert. Das geschah zumeist dort, wo der jeweilige Architekt Interesse daran und einen mehr oder weniger großzügig bemessenen Budgetposten dafür übrig hatte. Dabei bekamen die Künstler- innen einen bestimmten Raum oder eine Fläche am Bau zugewiesen. In den 1960er- Jahren wurden die Objekte topografisch autonom und als Monumente in der Nähe von Neubauten aufgestellt. Bei beiden Varianten war die Kunst nur Beiwerk zur Architektur. Meist bestimmten die Architekt/innen den Raum für die Kunst, nur selten arbeiteten sie mit den Kunstschaffenden als gleichberechtigten Partnern zusammen. Die Kunst am Bau, wie man das damals nannte, war Dekor, Alibi, ein Surrogat der Kulturindustrie. Das änderte sich im Lauf der 1980er-Jahre. Man gab die von dem Kunst- historiker Jean-Christophe Ammann sogenannten „Drop-Sculptures“ der 1960er end- gültig auf. Analog zum erweiterten Kunstbegriff, der immer neue und andere Medien, Formen, Themen umfasste, entstanden auch im öffentlichen Raum performative und partizipatorische Projekte. Der öffentliche Raum begann seinen Namen als Kunst- raum zu verdienen. 1996 machte man in Niederösterreich schließlich den bahnbre- chenden Schritt, indem ein beispielhaftes Gesetz geschaffen wurde: Seither muss ein

296 Schön, gut und wirklich wahr Stefan Klampfer, „Der Michelberg – Analyse und Interpretation“, 2014. Der 1:1-Plan aus eingefärbten Betonflächen macht die Grundrisse von Bauten aus dem Mittelalter bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs sichtbar und erfahrbar.

Jitish Kallat, „Here After Here After Here“, 2015. Beim Kreisverkehr in Stockerau scheint sich die ganze Welt in einem Knäuel aus internationalen Autobahn- schildern zu ballen.

298 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 299 Ob im Land geboren und Natur, Musik und nochmals ein See: Das Schrammel.Klang.Festival im Waldviertler geblieben, ob zurückgekehrt Litschau bezog sich bei seiner Ortswahl zwar darauf, dass der Vater der berühmten zu den Wurzeln oder zu- Brüder Schrammel aus Litschau stammte, bezieht in seine Programmgestaltung gezogen, ob Dorf oder Stadt: aber die romantisch-idyllische ursprüngliche Landschaft des nördlichen Waldviertels Die Entscheidung der Kunst- bewusst ein. Es gibt Nachtwanderungen durch den Wald, Konzerte im Freien unter schaffenden für Nieder- Bäumen – auf den sogenannten Naturbühnen –, eine hölzerne Bühne auf dem österreich hat in jedem Herrensee, und selbst das altehrwürdige Strandbad wird bespielt. Spiritus Rector Fall einen Dialog zur Folge – dieses Festivals ist Zeno Stanek, der Jahr für Jahr die berühmtesten Interpreten des mit der Landschaft, Genres einlädt, darunter die Neuen Wiener Concert Schrammeln, Die Strottern den Gegebenheiten, dem und Ernst Molden. kulturellen Erbe. Niederösterreichs Landschaften haben Charakter. Jedes Viertel seinen eigenen, manchmal sogar jede Region. Künstler/innen, die es hierher zog oder die blieben, weil sie gar nicht weg wollten aus der Landschaft, die sie schon als Kinder erkundeten, haben hier durchaus die Möglichkeit zu finden, was sie für einer Suche wert erachten. Franz Traunfellner beispielsweise, der große Meister atmosphärisch ungeheuer dichter und dabei so einfach strukturierter Holzschnitte, wurde im Waldviertler Gerersdorf bei Pöggstall geboren, wuchs hier auf – und blieb. Woanders zu leben und zu arbeiten wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Sein gesamtes Œuvre stellt diese Behauptung unter Beweis. Manchen, wie dem Maler Wolfgang Böhm, passiert es, dass sie ein Zufalls- treffer ins Land bringt: Er hat beim Wandern sein Atelier entdeckt, das ihm die Ruhe und vor allem den Raum bietet, den er zum Arbeiten braucht. Andere wiederum fasziniert eine bestimmte Region von Kindheitstagen an und sie warten nur darauf, bis sich die richtige Gelegenheit ergibt. Hermann Nitsch, der im östlichen Weinviertel lebt, ist dafür ein Beispiel. Ob im Land geboren und geblieben, ob zurückgekehrt zu den Wurzeln oder zugezogen, ob in Abgeschiedenheit oder einem Dorf, einer kleinen Stadt lebend: Die Entscheidung der Kunstschaffenden für Niederösterreich hat in jedem Fall einen Ein hybrides Konstrukt ist die Seebühne Dialog zur Folge – mit der Landschaft, den Gegebenheiten, dem kulturellen Erbe. in Lunz am See, die Hans Kupelwieser 2004 schuf: Sie kann unter der Seeober- Und ist nicht letztlich das die Definition von Inspiration: der Austausch zwischen dem fläche ruhen und bei Bedarf mechanisch Innenleben und der Außenwelt? hervorgeholt werden. Tagsüber dient sie als Sonnendeck und abends – für die Festivals More Ohr Less und wellenklaenge – als Bühne.

Die Avantgarde auf dem Land ausrichtete – es war die erste, die einen breiten Über- wichtigen Künstler/innen seiner Generation zählt, hatte blick über ihr Schaffen aus 15 Jahren zeigte. Auch in der Kunsthalle Krems 2014 einen großen Auftritt. Die Entdeckungsfreude niederösterreichischer Kunstinstitutionen der 1976 geborene Constantin Luser, der mit seinen Und die Arbeiten von Constanze Ruhm (*1965), die in grandiosen Zeichnungen, schrägen Skulpturen ihren bezwingenden, bisweilen etwas unheimlichen Nina Schedlmayer aus Musikinstrumenten und feinen Mobiles zu den Filmen Topoi der Filmgeschichte, deren Orte, Produkti- Es ist merkwürdig: Wien ist überaus dicht mit Museen Kämpfende Ratten und weibliche Rollenbilder: onsbedingungen und (weibliche) Rollenbilder hinter- und Ausstellungshäusern bestückt. Und dennoch stellt Die mittlere Generation fragt, wurden 2015 in einer groß angelegten Schau in es eher die Ausnahme denn die Regel dar, dass Künstler/- Besonders die Kunsthalle Krems und die Zeit- der Zeitkunst Niederösterreich gezeigt: „RE: Rehearsals innen mittlerer Generation, die in Österreich leben, kunst Niederösterreich mit ihren beiden Standorten in (No such Thing as Repetition)“ präsentierte ihren eine groß angelegte Einzelausstellung in einem renom- St. Pölten (bis 2016) und der Dominikanerkirche in zwischen 2001 und 2014 entstandenen Werkkomplex mierten Haus zeigen. Viele Kunstschaffende, die bereits – Krems entwickelten sich in den vergangenen Jahren zu „X Characters“. Doch auch international wichtige auch international – auf einem hohen Level reüssiert guten Orten für erste große Werkschauen in Österreich Kunstschaffende hatten ihre großen institutionellen haben und auf zwei, drei Jahrzehnte künstlerischen lebender Künstlerinnen und Künstler. österreichischen Erstauftritte schon in Niederösterreich: Schaffens zurückblicken können, erhalten niemals die Zum Beispiel jener von Anna Jermolaewa. Die 1970 So sah man etwa die Arbeiten des deutschen Performers, Gelegenheit, in der Bundeshauptstadt auf breitem in St. Petersburg geborene Künstlerin zählt zu den Filmers und Bildhauers John Bock (*1965), der 2013 Raum ihr Œuvre darstellen zu können. Aushängeschildern der Wiener Szene: Schon 1999 bei der Biennale von Venedig mit einer Brachialperfor- Es scheint ein wenig so, als hätten manche Kunst- begeisterte sich Kuratorenlegende Harald Szeemann für mance Aufsehen erregte, in einer groß angelegten institutionen in Niederösterreich die anderswo ver- ihre Arbeiten und zeigte auf der von ihm kuratierten Einzelschau 2012 in der Kunsthalle Krems (sie trug gebenen Möglichkeiten ergriffen. Damit ziehen sie ein Biennale eines ihrer Videos, das „Hendltriptychon“ – übrigens den exzentrischen Titel „Krumme Verwirrun- anspruchsvolles und kundiges Publikum an, das nicht drei Monitore, auf denen sich Hühner auf Grillstationen gen im Zinszitzen, weiss“); und die in den USA lebende unbedingt vor der Haustüre wohnen muss und sich in Endlosschleife drehten. Später ließ Jermolaewa Britin Cecily Brown (*1969) zeigte ihre suggestiven, gern schon mal ins Auto oder in den Zug setzt, um eine Stehaufmännchen über einen Tischrand purzeln, er- opulenten Malereien 2012 im Essl Museum – es war die Ausstellung zu besuchen. Längst hat das niederösterrei- schoss ihre Kamera, während diese lief, und filmte erste große Museumspräsentation ihrer Werke in chische Kunstgeschehen eine Außenwirkung, die Ratten in einem Terrarium, wie sie verzweifelt heraus- Österreich. niemandem verborgen bleiben kann. Und nur Ignoran- zuklettern versuchten und dabei einander bekämpften. Manfred Wakolbinger, Anderswo findet eine Generation von Künstler/- ten sind so provinziell, dass sie niemals von Wien Jermolaewas Produktivität ist enorm, wie auch jene „resting – acting – stretching innen im Alter zwischen 35 und 50 Jahren ihren Ort, force“, drei Skulpturen aufs Land fahren, um Nachschau zu halten, was hier Ausstellung bewies, die ihr 2012 der damalige Direktor zum Zyklus „Forces“, Kupfer, nämlich in der Galerie Stadtpark in Krems. Wobei so los ist. Hans-Peter Wipplinger in der Kunsthalle Krems 2010/11. deren Leiter, David Komary, gern auch mal jüngere

300 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 301 Regional, überregional – Die kulturellen Nahversorger

Künstlerische Nahversorgung, Spezialitätenladen, regionale Delikatessen: Regional- kultur wird nicht selten mit Vokabeln belegt, die man eher im Zusammenhang mit kulinarischen Genüssen erwartet denn im Kontext der Kultur. Doch die Metapher hat ihre Richtigkeit, präsentiert sich Niederösterreichs Kulturszene abseits von Metropolen und Ballungsräumen doch de facto als genau das: mit Formaten in begreifbaren Größenordnungen, engagiert, dabei enorm vielfältig und innerhalb der jeweiligen Sparten von konzentrierter Konsequenz. Die Vielfalt definiert gleich auch die Unterschiede. Regionale Kunstinitiativen Die Veranstaltungen und schaffen markante Nischen, in denen Kunst entsteht und gezeigt wird, die einerseits Programme des Viertel- dezentral und also regional ist, andererseits aber auch transregional, ja immer wieder festivals konzentrieren sich sogar transnational agiert. Die wesentliche Plattform zur Förderung des regionalen weder auf einen einzelnen Kunstgeschehens ist seit 1996 der Verein Kulturvernetzung Niederösterreich. Mit Ort noch auf ein spezielles jeweils einem Büro pro Landesviertel versteht sich dieser Verein als Ansprechpartner Genre. sowohl für Kulturschaffende als auch für Kunstinteressierte, protegiert regionale Besonderheiten und unterstützt Gemeinden in ihren kulturellen Agenden. Die Grenzen sind dabei weit gesteckt und umfassen bildende Kunst in Ateliers, Galerien und im öffentlichen Raum ebenso wie Film, Literatur und Theater sowie darüber hinaus ein breitgefächertes Seminarprogramm. Letzteres hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, Kunstschaffende hinsichtlich administrativer und finanztechnischer Agenden zu unterstützen. Als Informationsmedium schuf man „kunstSTOFF“, eine dreimal jährlich erscheinende Zeitschrift. Die Kulturvernetzung Niederösterreich wickelt darüber hinaus aber auch eigene Programme ab, allen voran das jedes Jahr in einem anderen Landesviertel stattfindende Viertelfestival Niederösterreich. Man könnte es als eine Art Fraktal der übergeordneten Kulturvernetzung verstehen, denn auch das Viertelfestival versteht sich als Impulsgeber für dezentralisierte kulturelle Initiativen, die dazu dienen, die Identität der Regionen zu stärken. Die Veranstaltungen und Programme des Viertelfestivals konzentrieren sich weder auf einen einzelnen Ort noch auf ein Das 2006 gegründete Schrammel.Klang. spezielles Genre. Vielmehr gibt man dem Festival jeweils ein Motto, in das sich dann Festival zählt mittlerweile zu den die unterschiedlichsten Kulturprojekte an zahlreichen Orten fügen. sommerlichen Fixterminen von Musik- liebhabern mit Hang zu einem Crossover zwischen Tradition und Exzentrik. Ein Auftritt der Musikformation bratfisch.

Kunstschaffende solchen gegenüberstellt, die schon die Zeitkunst Niederösterreich 2015 eine Ausstellung in britischen Kunstmagazins „Frieze“ oder ebenfalls längst in die Kunstgeschichte eingegangen sind. Mit der Kremser Dominikanerkirche. Ebenso zeigte die im „Artforum“; 2014 zeigte dann – endlich – die Kunst- erhellenden Resultaten, wie etwa 2014 eine Ausstellung Zeitkunst Niederösterreich erstmals seit dem Jahr 1987 halle Krems eine große Jungwirth-Retrospektive. von François Morellet, Jahrgang 1926 – der Franzose ist eine große und viel beachtete Retrospektive des 1938 Ebendort konnte man, ebenfalls 2014, auch erstmals Martha Jungwirth, eigentlich bekannt für seine Lichtarbeiten, hier wurden geborenen Hermann Painitz, die sogar im US-amerika- „Porträt Alfred Schmeller“, Einblicke in das Werk des gleichaltrigen Dominik aber abstrakte Wandarbeiten gezeigt –, und dem 1978 nischen Kunstmagazin „Artforum“ besprochen wurde. 1990. Steiger gewinnen, der tragischerweise während der geborenen Manuel Knapp, der eine seiner soghaft Painitz’ Auseinandersetzung mit Themen wie Struktur, Ausstellungsvorbereitungen verstarb. In seinem viel- wirkenden Computeranimationen präsentierte, bewies. Ordnung oder Systematik drückt sich in verschiedenen gestaltigen Œuvre pflegte der Grenzgänger zwischen Auch der Paarlauf des 1976 in Teheran geborenen Medien – Malerei, Skulptur, Collage, Fotografie, aber Kunst und Literatur gerne sein Faible für den Nonsens: Navid Nuur, der mit einer Videoarbeit vertreten war, auch Literatur – aus; 1973 hatte er an der Biennale Er gründete einen Micky-Maus-Fanclub, verwandelte und des Deutschen Franz Erhard Walther, Jahrgang von São Paulo teilgenommen. Dennoch bekam er in den Schuhputzlappen in Bildträger und erfand, dadaistisch 1939, erwies sich als wechselseitig erhellend. Das vergangenen Jahrzehnten kaum jene Aufmerksamkeit, angehaucht, Worte aller Art. Seine heiter-schrägen Reflexionsniveau, das die Ausstellungen in der kleinen, die er eigentlich verdient hätte. Miniaturen zwischen Abstraktion und Gegenständlich- feinen Galerie Stadtpark begleitet, ist hoch. Ähnlich war es Martha Jungwirth (*1940) ergangen, keit waren bis zu seiner Kremser Ausstellung weit- der eine große Einzelausstellung, die ihr Œuvre von gehend unbekannt. Der Vergessenheit entrissen: Schräge Filme, ihrer Frühzeit bis heute beleuchtet, lange Zeit verwehrt meister/innenhafte Malerei blieb. Dabei zählen ihre Gemälde und Aquarelle, Konsequent gegenwärtig: Experimentelle Freiräume Darüber hinaus gelang es einigen Häusern in die den Raum zwischen Abstraktion und Gegenständ- Wenn es um die Neuentdeckung jüngerer Künstler Niederösterreich, Interesse mit künstlerischen Positio- lichkeit vermessen, zum Aufregendsten, das die und Künstlerinnen geht, dann kommt der Kunst- nen zu erregen, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten heimische Malerei zu bieten hat. Erst als Jungwirths raum Niederoesterreich ins Spiel. Er nimmt eine Aus- waren und denen sie große Retrospektiven widmeten, deutscher Kollege Albert Oehlen, prominenter und nahmeposition ein: Denn obwohl er zur Niederösterrei- teils ebenfalls erstmals in Österreich. So waren bestens vernetzter Maler, ihre Arbeiten in der chischen Kulturwirtschaft (siehe dazu auch den etwa die experimentell-schrägen, heiter-versponnenen Sammlung Essl entdeckte, ihnen in einer Gruppen- Beitrag von Joachim Rössl) gehört, wird er weder in Performances, Skulpturen und Installationen von ausstellung ebendort großen Raum widmete und sie Krems noch in St. Pölten, Wiener Neustadt oder Rudolf Polanszky (*1951) lange Zeit einem breiteren fortan auch international propagierte, wurde ein größe- Amstetten betrieben, sondern hat seinen Sitz in der Publikum weitgehend fremd, werden aber derzeit rer Kreis auf die 1940 geborene Malerin aufmerksam: Herrengasse in Wien, im Palais Niederösterreich. Seine von einer etwas jüngeren Kuratoren- und Galeristen- International wurde euphorisch über ihre Arbeit Leiterin, Christiane Krejs, setzt seit seiner Eröffnung generation wiederentdeckt. Dem Exzentriker widmete berichtet, etwa in der deutschsprachigen Ausgabe des 2005 konsequent auf die Kunstproduktion einer jungen

302 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 303 Die Idee hinter der Initiative Verdeutlichen lässt sich so viel Theorie am besten am konkreten Beispiel: 2015 stand für Volkskultur war und das Viertelfestival Niederösterreich unter dem Motto „Durchbruch“ und war dem ist nicht allein, die Besonder- Industrieviertel gewidmet. Zu den 60 Projekten, die man in diesem Rahmen verwirk- heiten niederösterreichischer lichte, zählten beispielsweise Konzerte, die das Motto musikalisch aufnahmen Regionen zu akzentuieren, (etwa indem sie die Entwicklung vom Handwerk bis zu den großen Industriebetrieben sondern der lebendige nachvollzogen), verschiedene Theaterprojekte und Installationen, die den fünf Sinnen Austausch zwischen den zum Durchbruch einer neuen Wahrnehmung verhalfen. Schulen wurden in das rund 270 Regionen Europas. Viertelfestival ebenso einbezogen wie Galerien, Theater und ein stillgelegtes Kohle- bergwerk. Insgesamt wurden in den ersten 15 Jahren seines Bestehens über 1.000 Pro- jekte realisiert, die alle eines gemeinsam haben: Sie befassen sich künstlerisch mit den Besonderheiten der jeweiligen Region. Neben diesem jährlich stattfindenden Großprojekt realisiert die Kulturvernet- zung Niederösterreich noch eine Reihe weiterer regionaler Kulturprojekte, darunter die NÖ Tage der offenen Ateliers. Ein Herbstwochenende lang öffnen Kunstschaffende und Kunsthandwerker/innen aller Genres die Türen ihrer Werkstätten und geben ihren zahlreichen Gästen die Möglichkeit zu einer ebenso persönlichen wie intensiven Auseinandersetzung mit Kunst. Workshops, Lesungen und Konzerte vervollständigen diese „größte Schau der bildenden Kunst in Österreich“. Und auch für junge nieder- österreichische Kunstschaffende unter 30 Jahren bietet die Kulturvernetzung seit 2007 wirkungsvolle Unterstützung an, und zwar in Gestalt des Förderprogramms „come on“. Den Besonderheiten regionaler Kunst und Kultur in eher traditionellen Ausformungen widmet sich das Haus der Regionen in Krems: 2004 gegründet, ist die Initiative für Volkskultur in einem altehrwürdigen Gebäude untergebracht, dessen Kern aus dem 15. Jahrhundert stammt. Die Idee dahinter war und ist nicht allein, die Besonderheiten niederösterreichischer Regionen zu akzentuieren, sondern einen lebendigen Austausch zwischen den rund 270 Regionen zu forcieren, aus denen sich Europa zusammensetzt. Die Kremser Kamingespräche – hochkarätig besetzte Diskussi- onsrunden, bei denen der Versuch unternommen wird, Traditionen und Innovationen ineinander zu denken – und die Vorträge am Kamin sind ebenso integrativer Be- Die Künstlergruppe ImagiE Nation lud im standteil wie Konzerte und Vorträge, die schwerpunktmäßig europäischen Regionen Rahmen des Viertelfestivals 2015 dazu ein, gewidmet sind. Das Programm gestaltet sich vielfältig und facettenreich, und es an kreativen performativen Prozessen setzt sich durch definierte Formate kluge Grenzen: Im Rahmen von „Connecting Tunes“ teilzunehmen, und setzte so eine faszinierende „Magie des Perspektiven- kann man im Kremser Haus der Regionen Musik aus tatsächlich allen Richtungen wechsels“ in Gang. erleben – aus den Karpaten ebenso wie aus der Provence, aus der irischen Provinz

Generation. Und mit dem Performancepreis H13 – be- der vier Wände eines White Cube machte das Land für andere Bundesländer; in Wien und in der Steiermark nannt nach der Adresse Herrengasse 13 –, der öster- Niederösterreich auf sich aufmerksam. Und zwar setzte man diesen Bereich der Kunstförderung später reichweit einzigartig ist, zeichnete man schon früh mit seiner – damals – ganz neuen Auffassung von Kunst ebenfalls neu auf. Und auch jenseits der österreichi- Künstler/innen aus, die heute teils auch international im öffentlichen Raum: Schon 1996 beschloss man, schen Grenzen kennt man das Konzept längst: Auf der reüssieren: So erhielt etwa 2008 die Auszeichnung einen prozentualen Anteil der Errichtungssummen ersten EU-weiten Konferenz zum Thema Kunst im Christian Falsnaes (*1980), der heute nicht nur in den öffentlicher Bauten in einen Topf fließen zu lassen, aus öffentlichen Raum in Den Haag 2005 hielt nicht etwa wichtigsten Häusern Österreichs, sondern auch im dem Projekte finanziert werden – die nicht mehr fix jemand aus dem österreichischen Kulturministerium Pariser Centre Pompidou, im Neuen Kunstverein Berlin, an die jeweiligen Gebäude gebunden sein müssen. einen Vortrag, sondern die Leiterin der Abteilung bei der Art Basel oder im ZKM/Zentrum für Kunst und Seit den 1980er-Jahren wurden mittlerweile insgesamt für Kunst im öffentlichen Raum in Niederösterreich, Medien Karlsruhe ausstellt. Und seine Kollegin Roberta weit mehr als 500 Arbeiten, viele davon temporär, Katharina Blaas-Pratscher. Lima (*1974), die den Preis 2007 überreicht bekam, finanziert; und in manchen Monaten, vor allem im Natürlich: Wenn internationale Kunstschaffende, kann seither auf Ausstellungen und Ausstellungsbeteili- Frühjahr und im Herbst, versendet die Abteilung bisweilen mit schwerem Theoriegeschütz im Gepäck, gungen in der Wiener Secession, im Museum der für Kunst im öffentlichen Raum in dichter Folge Einla- etwa auf die bodenständigen Bewohner/innen einer Moderne in Salzburg oder auf der ARCOmadrid ver- dungen zu Eröffnungen neuer Installationen oder Mostviertler Marktgemeinde treffen, gestaltet sich die weisen. Darüber hinaus erarbeitete sich der Kunstraum Skulpturen. Die Liste der Kunstschaffenden sowie der Kommunikation manchmal nicht so ganz einfach. Doch Niederoesterreich – gerade auch in der Wiener Kunst- Künstlergruppen, die stets von einer Jury ausgewählt die Kunst lebt eben auch nicht selten von Reibeflächen. szene – einen hervorragenden Ruf als Ort, an dem werden, ist eine wilde Mischung aus eher regional Experimentelles möglich ist, an dem junge und unkon- bekannten Positionen (Herbert Golser, Günter Wolfs- ventionell arbeitende Kurator/innen Ausstellungen berger), international renommierten Künstler/innen gestalten können, die sich so kaum woanders umsetzen aus Österreich (Franz West, Erwin Wurm, Heimo ließen; damit schuf man einen äußerst gegenwärtigen Zobernig, Iris Andraschek, Christine und Irene Hohen- Raum, dessen Beliebtheit, vor allem bei einer jüngeren büchler, Eva Schlegel) sowie solchen, die aus dem Generation, sich an den Eröffnungsabenden besonders Ausland kamen, um Werke in Spitz (Olafur Eliasson), deutlich zeigt. Ladendorf (Guillaume Bijl), Grafenegg (Marjetica Potrč, Doch nicht nur einzelne Museen und Ausstellungs- Mark Dion), Tulln (Dan Perjovschi), Krems (Katharina räume leisten hier eine Arbeit, die auch über die Grosse) oder Erlauf (Jenny Holzer, Sanja Iveković, Grenzen des Bundeslandes, manchmal über jene des Milica Tomić) zu realisieren. Längst wurde die „public Dominik Steiger, Landes hinaus wahrgenommen wird. Auch außerhalb art“ in Niederösterreich zum Best-Practice-Beispiel „Steiger“, um 1989.

304 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 305 1988 gründeten Peter und Renate Loidolt die Festspiele Reichenau. Von Beginn an haben die Intendanten einen Schwerpunkt auf die Theater- literatur des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gelegt. Für die Qualität des Festivals bürgen ausgezeichnete Inszenierungen und hochkarätige Schauspielerinnen und Schauspieler.

Eine außergewöhnliche Kulisse für Musical-Inszenierungen: Die Weinviertler Felsenbühne Staatz während einer Aufführung von Leonard Bernsteins „West Side Story“, 2014.

Peter Gruber – Nestroy-Preisträger 2014 und Intendant der Nestroy Spiele Schwechat – mit Christian Graf in Johann Nestroys „Umsonst“, 2008 (oben).

Festspiele Reichenau 2016: Beverly Blankenship inszenierte Tennessee Williams’ „Katze auf dem heißen Blechdach“. Stefanie Dvorak brillierte als Maggie, Stefan Gorski als ihr Mann Brick (rechts).

306 Schön, gut und wirklich wahr Musik zeigt sich als ein Leinster ebenso wie aus dem süditalienischen Kalabrien. Mit dem Format „Good Old anpassungsfähiges Medium – Europe“ widmet man sich alter Musik und in der Reihe „aufhOHRchen“, die bereits anpassungsfähig an eine seit 1993 besteht, gehen Jahr für Jahr an anderen Orten Niederösterreichs Über- vielfältige Palette von liefertes und Experimentelles innerhalb des weiten Felds der Volksmusik spannende Programmen und an Orte, Verbindungen ein. an denen man sie zum Klingen bringt. Musik in neuen Räumen Überhaupt zeigt sich die Musik als ein anpassungsfähiges Medium – anpas- sungsfähig an eine unendlich vielfältig scheinende Palette an Programmen, die über rein konzertante Darbietungen weit hinausgehen, anpassungsfähig aber auch an die Orte, an denen man sie zum Klingen bringt. Die Vielfalt landschaftsregionaler Möglichkeiten, außergewöhnlicher Plätze im Land und natürlich und vor allem der Musikkünstler/innen spiegelt sich im Programm des Musiksommers. Jedes Jahr zwischen April und Oktober sind es mehrere hundert Konzerte, die musikalische Nahversorgung bieten – und das sehr oft vom Allerfeinsten. Dahinter stehen enormes persönliches Engagement, wohl eine gute Portion notwendiger Starrköpfigkeit und die ungebrochene Lust, Jahr für Jahr das Besondere im Zahlreichen zu verwirklichen. So findet sich seit langem Geschätztes neben immer wieder auch neu Erdachtem, wird die Atmosphäre der jeweiligen Region zur Inspiration, die Musikfestivals wiederum potenzieren regionale Besonderheiten. Man bereichert einander, belebt Gebäude, die andernfalls wahrscheinlich leer stünden, und zieht Publikum an – aus der eigenen Region, aus anderen Regionen, aus den Metropolen. Jedes einzelne Format des Musik- sommers – jedes Festival also, jede Konzertreihe – ist Kommunikation im buchstäbli- chen Sinn: ein wechselseitiger Austausch, bei dem die Information jeweils das ist, worauf man seine Aufmerksamkeit richtet. Die Musik zuallererst, natürlich, aber auch die Region, in der man sie zu hören bekommt.

Zu den wohl inspiriertesten neuen Direkt aus dem Londoner Globe Theatre Festivals zählt Oper rund um. Das importierte Shakespeare-Inszenierungen, Künstlerkollektiv um Anna Katharina Gastspiele des Mailänder Piccolo Bernreiter präsentiert Oper und Teatro, Inszenierungen von Peter Brook, Operette am Hauptplatz, beim Friseur, Michael Cacoyannis und Peter Stein in der Apotheke oder, wie hier (links), (u. a. „Penthesilea“, 2002): Piero Bordins Johann Strauß’ „Die Fledermaus“ Art Carnuntum (rechts) ist ein Eldorado im Aschbacher Schwimmbad 2015. für Theaterliebhaber.

Niederösterreich literarisch im 20./21. Jahrhundert wo ich 20 Jahre gearbeitet habe, soll ich Dich nie mehr Lebendigen“ erschienen) die Hauptstadt. Weitaus wiedersehen?“ Franz Werfel starb 1945 im amerikani- moderner liest sich Hans Adlers sarkastisch böse Satire Erich Klein schen Exil. Für etliche seiner Erzählungen wie „Das Städtchen“ (1926) über St. Pölten. Dort verbrachte Der Semmering ist vermutlich Niederösterreichs weitgehend beraubt, erlebte die niederösterreichische „Der Tod des Kleinbürgers“ (1927) oder den Roman der Autor nach seinem Jus-Studium die Jahre 1906 prominentester literarischer Ort. In der keine 100 Kilo- Voralpenlandschaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg in „Der veruntreute Himmel“ (1939) wurden Bezüge bis 1911 als Konzeptspraktikant. Im kleinstädtischen meter von der Hauptstadt entfernten und seit dem Heimito von Doderers Romanen „Die Strudlhof- auf den Semmering nachgewiesen. Tanz auf dem Vulkan stehen neben politischen Querelen Ende des 19. Jahrhunderts beliebten Ausflugsdestination stiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“ (1951) und Explizit niederösterreichische Landschaften und politischer und vor allem sexueller Machtmissbrauch des Wiener Bürgertums fand sich alles ein, was in „Die Wasserfälle von Slunj“ (1963) ihre literarische Themen figurieren schon zu Beginn des 20. Jahrhun- auf der Tagesordnung. Der Satiriker und Librettist Adler der Literatur Rang und Namen hatte. Von Hugo von Restauration. Auch wenn sich nach 1945 unter den derts in den Romanen von Franz Nabl. Der Autor, wurde von der Gestapo verfolgt, sein kleines Meister- Hofmannsthal bis Egon Friedell und Peter Altenberg, Semmering- und Rax-Bewohnern prominente Namen wohlsituiertem Bürgertum entstammend und in Nieder- werk erst in den 2000er-Jahren wiederentdeckt. Inmit- der eines seiner Bücher mit „Semmering 1912“ (1913) wie jener des Kabarettisten und Schauspielers Karl österreich aufgewachsen, umging wie die Protagonisten ten der Wirren des Ersten Weltkriegs siedelt der Lyriker betitelte: „Wir steigen aus. Wir atmen rasiermesser- Farkas finden – der mondäne Glanz der Gegend war seiner umfangreichen, in bäuerlicher Umgebung Anton Wildgans das Versepos „Kirbisch oder Der scharfe Bergluft ein. Wir sind geborgen und im Waldes- durch die Nazis endgültig zerstört. spielenden Romane „Ödhof“ (1911) und „Die Ortlieb- Gendarm, die Schande und das Glück“ (1927) an. frieden. Hinter uns der Dunst des Getümmels, Getrie- Literatur von Weltgeltung nicht über, sondern am schen Frauen“ (1917 unter dem Titel „Das Grab des Hinter dem Ortsnamen „Übelbach“, Schauplatz einer bes. Alles kommt uns da unnötig vor, lächerlich. Semmering produzierte Franz Werfel in den Jahren diabolischen Idylle über Ehebruch und Korruption, Wir sind 1000 Meter über dem Dunkel der Großstadt.“ 1919 bis 1938. „Ich lebe hier das Leben der Mönche aus verbirgt sich Mönichkirchen am Wechsel. Wildgans, in Arthur Schnitzler, zwischen 1909 und 1912 zwölf Mal Spiegelmensch. Wahnsinnige Einsamkeit!“, klagte den Jahren 1921/22 und 1930/31 Burgtheaterdirektor, auf dem Semmering zu Gast, verewigte das ländliche der Prager deutsche Schriftsteller 1919 in einem Brief an verbrachte dort seinen Urlaub. Ob der antikisierenden Treiben der großstädtischen Jeunesse dorée in „Jugend seine Geliebte und spätere Ehefrau Alma Mahler, in Oberfläche der 4.600 Hexameter langen Versdichtung in Wien“ (1920). Am mondänen Glanz des kakanischen deren Haus in Breitenstein sich Werfel nach den Wirren – eines der populärsten literarischen Werke der Ersten Imperiums, der sich als Schatten über die Voralpen der Ausrufung der Republik zurückzog. Während der Republik – war die radikale Kritik an den ländlich- legte, bestanden allerdings auch Zweifel. Karl Kraus folgenden 20 Jahre entstanden dort Theaterstücke sittlichen Verhältnissen leicht zu übersehen. Der Mora- versetzte in „Die letzten Tage der Menschheit“ (1925) und Romane, von „Verdi“ (1924) bis „Die vierzig Tage lismus war ätzend: „Und eine billige, faule Lebe- und den „Getreuen des Semmering“ einen parodistischen des Musa Dagh“ (1933). Unmittelbar vor der Flucht aus Halbweltromantik / Elektrisierte die plumpen, die Todesstoß, wenn er diese über die neuesten Berichte dem von Nazitruppen besetzten Wien schrieb Werfel im bäurischen Vogelgehirne, / Daß sie zu fippern begannen von den Weltkriegsfronten schwadronieren lässt: März 1938 in sein Tagebuch: „Heute am Sonntag, dem nach ungeheurem Erleben!“ Eine ähnliche gemischte Die beredten Hände „Das Panorama war fabelhaft.“ Nach dem Ende 13. März, will mein Herz vor Leid fast brechen, obwohl Heimito von Doderers, Strategie aus hohem bis hohlem Pathos und Lob des der Monarchie seines gesellschaftlichen Hinterlandes Österr. nicht meine Heimat ist. Oh Haus in Breitenstein, um 1964. „Ordinären“ verfolgte auch der Lyriker Josef Weinheber.

308 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 309 Der Erfolg des Theaterfests Nieder- Con Anima ist ein solches Festival, das eine mittlerweile langlebige und durchaus österreich geht zurück auf beglückende Beziehung mit der Region rund um das Weinviertler Ernstbrunn eine Reihe von Theatermachern, am Fuß der Leiser Berge eingegangen ist. 1999 hat es der aus dem nahen Korneu- die sich mit viel Verve der burg stammende Arzt und passionierte Cellist Wilhelm Hübner mit Unterstützung Entwicklung und Verwirklichung befreundeter Instrumentalsolisten wie Christian Altenburger und Joji Hattori kleiner und großer Festivals gegründet. Mit namhaften Gästen wie Hildegard Behrens oder Peter Schreier hat widmeten. sich Con Anima fest in den frühsommerlichen Kulturkalender des südlichen Weinvier- tels eingeschrieben. Schloss Ernstbrunn, der Schüttkasten in Klement, eine Kirche und ein Pfarrhof dienen als Spielorte, und beim Schlossfest, das jeweils den Abschluss der Festivalwoche bildet, präsentiert sich die Region auch mit ihren kulinarischen Spezialitäten. Setzt Con Anima darauf, eine zu oft stiefmütterlich behandelte Region ins Rampenlicht zu stellen, kokettiert man am niederösterreichischen Zauberberg – „1000 Meter über dem Dunkel der Großstadt“, wie es Peter Altenberg formulierte – mit seiner von der Tradition geprägten Atmosphäre: Der Kultur.Sommer.Semmering ist weniger ein reines Musikfestival als eine Reverenz an die schillernden Gäste, die diese Region in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder besuchten. Max Reinhardt gehörte ebenso dazu wie Alban Berg, Arthur Schnitzler, Karl Kraus oder Franz Werfel. Und so hat sich Intendant Florian Krumpöck auch die Vielfalt auf die Fahnen geschrieben und präsentiert ein breit gefächertes Programm aus Literatur und Musik, Kabarett und Theater vor der Kulisse der UNESCO-Weltkulturerberegion Semmering, die hier im sommerlichen Festivalgeschehen ihre unverwechselbare Rolle spielt.

Theater landauf, landab Als der kulturelle Nahversorger par excellence gilt das Theaterfest Niederös- terreich. Die Geschichte dieses überaus erfolgreichen Formats geht zurück auf eine Reihe von Theatermachern, die sich mit viel Verve der Entwicklung und Verwirklichung vereinzelter kleiner (gemessen am administrativen Überbau) und doch großer Festivals (gemessen an der Qualität der Programme) widmeten. Hier können nicht pars pro toto einige wenige Festivals vorgestellt werden – zu stark und eindeutig sind die Konturen jedes einzelnen Formats. Doch um die Vielfalt, die das Theaterfest Nieder- Ruggero Leoncavallos „Bajazzo“ im österreich auszeichnet, begreifbar zu machen, kommt man kaum umhin, ein paar Rahmen der operklosterneuburg im barocken Ambiente des Kaiserhofs der Bühnen herauszuschälen. des Stiftes, 2016.

Nicht die neoklassizistische Lyrik von „Adel und veröffentlichten Gedichtbänden stellt nur einen kleinen Knechts, der um sozialen Aufstieg kämpft und im wo heute ein Gedenkraum an sie erinnert. Schon Untergang“ (1934) oder die 40 Oden „Zwischen Göttern Teil von Kramers 12.000 Texte umfassendem Œuvre dar. Zusammenhang mit Pferdeschmuggel aus der Slowakei ein Jahrzehnt vor der Waldheim-Affäre veröffentlichte und Dämonen“ (1938) machten ihn zum populärsten „Verbannt aus Österreich“ erschien 1943 im Londoner zur Kohlhaas-Figur mutiert, bewegt sich ästhetisch an Erika Mitterer mit „All unsere Spiele“ (1977) ihre Lyriker des Landes, sondern die vielfach wiederauf- Exil, wohin Kramer vor den Nazis geflohen war. Vor der Grenze zum „Ahnengau des Führers“. Bodmershof, rigorose Abrechnung mit dem Nationalsozialismus: gelegten Dialektgedichte in „Wien wörtlich“ (1935). seiner späten Rückkehr nach Österreich 1957 bemerkte die den Großteil ihres Lebens auf Schloss Rastbach „Mein Vater hatte doch, wie die meisten, auf der Straße Föderalismus aus dem Geist des „Ständestaates“ ging so: er resignierend: „ich schreib nur noch, was war, und bei Gföhl verbrachte, unternahm auch Versuche, das Heil Hitler! gesagt und in der Kirche Gelobt sei Jesus „se ham uns erobert, Bruck Gurgl und Gföhl“. Die nicht worum’s geht.“ Theodor Kramers schönstes, Haiku, die japanische Form des Kurzgedichts, ins Christus! Jedem das Seine und jetzt für unsere Befrei- Provinz hatte über die verpönte Literatur des Kaffee- gegen die Nazibarbarei gerichtetes Gedicht hebt an mit: Deutsche zu transferieren. Ihr kulturpessimistischer ung. Großer Gott wir loben dich … auf jeden Fall, denn hauses gesiegt. Leider vergessen ist Weinhebers „Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan.“ Briefwechsel mit dem Philosophen Martin Heidegger dein ist das Reich und die Macht, und wir loben immer früher, in der „Arbeiter-Zeitung“ abgedruckter Roman Seine Gedichte sind auch eine Art Enzyklopädie aus den 1960/70er-Jahren entbehrt bisweilen nicht den, der gerade die Macht hat.“ „Das Waisenhaus“ (1921/28) über die Gymnasialzeit in von Leben und Landschaft des Weinviertels. Niederös- der Skurrilität, wenn sie etwa die Mondlandung als Literarisch und politisch dem konservativen Lager Mödling in den Jahren 1903 bis 1908. Weinheber schrieb terreichs bedeutendster Lyriker der inneren Emigration „Mondkraxlerei“ tituliert. Eine persönliche Freundschaft zugehörig war auch Rudolf Henz. Unter seinen zahl- darüber: „Sechs Jahre Waisenhaus haben mich ver- war Wilhelm Szabo. Der gebürtige Wiener wuchs in verband die Waldviertler Schriftstellerin auch mit reichen Büchern ist die Autobiografie „Fügung und dummt wie einen Sträfling.“ Was sein Engagement für Lichtenau bei Gföhl auf, nach dem Krieg war er Lehrer der Lyrikerin, Dramatikerin und Erzählerin Erika Widerstand“ (1963) nach wie vor von außerordentlicher den Nationalsozialismus betrifft, sind die posthum in Weitra. Mit „Das fremde Dorf“ (1933) und „Im Mitterer, deren vielfältiges Werk heute zu Unrecht zeitgeschichtlicher Bedeutung. Henz erinnert sich an an ihn adressierten Zeilen des englischen Lyrikers W. H. Dunkel der Dörfer“ (1940) erwies er sich als spätexpres- vergessen ist. Auf den frühen Briefwechsel mit Rainer Kindheit in Göpfritz und Schulbesuch in Hollabrunn, Auden, der ab den 1960er-Jahren teilweise in Kirchstet- sionistischer Sänger des Waldviertels. Trotz kurzfristiger Maria Rilke (1924) folgten in den 1930er-Jahren deren beschreibt aber auch seine Tätigkeit als Funktionär ten lebte, noch immer bedenkenswert: „Ja, ja, es muß Lippenbekenntnisse zum „Anschluss“ distanzierte sich großer Roman „Wir sind allein“ (aus ideologischen des „Ständestaates“ und Programmdirektor des Rund- gesagt werden: / Männer großen Unheils / Und Übel- Szabo in apokalyptischen Sprachbildern bald vom Gründen erst nach 1945 erscheinen) und vor allem der funks sowohl in der Ersten als auch in der Zweiten wollens nahmen sich deiner an. (…) Aber Krethi und Nationalsozialismus. Ein Gedicht wie „Die Polenbuche“ Inquisitionsroman „Der Fürst der Welt“ (1940), der Republik. Sein monumentales Terzinenepos „Der Turm Plethi / Ziehen Skandale vor, und die Jungen / Verdam- macht schon in den ersten Versen alles klar: „Dies ist nur aufgrund eines „produktiven“ Missverständnisses der Welt“ (1951) stellt ein literaturhistorisches Kuriosum men dich ungelesen.“ der Baum, / an dem man den jungen Polen aufknüpfte, / zum Druck gelangte; die Nationalsozialisten lasen dar. Als Nazigegner während des Krieges im Stift Ideologischer und literarischer Counterpart zu weil er schlief mit einer deutschen Magd.“ Bedeutsam das Buch als Kritik an der katholischen Kirche. Der Klosterneuburg untergetaucht, schuf Rudolf Henz ein Weinheber war der Dichter Theodor Kramer. Der Sohn ist auch Szabos Prosa „Dorn im Himbeerschlag. Zwie- Wiener Politiker Viktor Matejka erinnerte daran, dass symbolträchtiges Bild für die „Stunde Null“ des Jahres des Gemeindearztes von Niederhollabrunn lebte als licht der Kindheit“ (2001). das Buch für ihn und befreundete Mithäftlinge im 1945 – im Zuge der Befreiung zertrampeln Rotarmisten Bibliothekar in Wien und wurde mit „Die Gaunerzinke“ Besonders karg stilisierte Waldviertellandschaft ist Konzentrationslager Dachau „eine Art gezielten Wider- die von ihm restaurierten Glasfenster. (1928) zum wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlich- ein zentrales Element in „Die Rosse des Urban Roithner“ stand“ darstellte. Erika Mitterer erlebte das Ende Der vielleicht bedeutendste niederösterreichische keit in Österreich. Das halbe Dutzend an zu Lebzeiten (1943) von Imma von Bodmershof. Die Geschichte eines des Zweiten Weltkrieges in Kritzendorf an der Donau, Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist Albert Drach.

310 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 311 Klassische Theaterliteratur Eines der ältesten Festivals sind die Nestroy-Spiele Schwechat, die das kleine Schloss verschrieben hat; der Kaiserhof des Stifts Klosterneuburg, wo eine perfekte natürliche besteht beim Theaterfest Rothmühle in Rannersdorf zu einem erstklassigen Nestroy-Zentrum gemacht Akustik die Produktionen der operklosterneuburg unterstützt; Stift Altenburg, dessen Niederösterreich problemlos haben. Denn mit Theater allein ist es hier nicht getan. Zwar bringt Intendant Peter prachtvolle Bibliothek die grandiose Umrahmung für das authentische barocke neben Boulevard, große Gruber – Nestroy-Preisträger 2014 und im Übrigen ein Großneffe Gustaf Gründgens’ – Musikspektakel des Teatro Barocco bildet; der Hauptplatz, die Apotheke, ein Friseur Oper neben Operette und Jahr für Jahr ein Nestroy-Stück auf die Bühne, doch daneben widmet man sich und das Freibad in Aschbach im äußersten Westen des Mostviertels, wo das Künstler- Musical, traditionelle Regiear- der Nestroy-Forschung und veranstaltet gleichzeitig die Internationalen Nestroy- kollektiv von „Oper rund um“ alltägliche Orte durch temperamentvolle Opern- beiten neben ungewöhnlichen Gespräche. Seit 1973 gibt es die Nestroy-Spiele, mehr als 40 Stücke des Namenspatrons inszenierungen veredelt. Auch wenn es, wie vorhin gesagt, bedauerlicherweise Inszenierungen. hat Gruber mittlerweile inszeniert, darunter so bekannte wie „Der Zerrissene“ (1982) an dieser Stelle unmöglich ist, jeder einzelnen Bühne die ihr angemessene Reverenz oder „Einen Jux will er sich machen“ (2012) und so selten gespielte wie „Unverhofft“ zu erweisen: Jedes einzelne Format hat seine ganz spezielle Prägung und Qualität. (1999) oder „Das Geheimnis des grauen Hauses“ (2007). Und jedes Mitglied des Theaterfests Niederösterreich versteht es, regional zu agieren Nur drei Jahre jünger sind die Sommerspiele Perchtoldsdorf, deren Geschichte und überregional wahrgenommen zu werden. weit weniger kontinuierlich verlief als jene der Nestroy-Spiele. Gegründet hat sie Beide bestehen seit rund 30 Jahren, und beide sind aus dem jeweiligen regio- der Autor und Regisseur Jürgen Kaizik, nachdem man bereits Ende der 1960er-Jahre nalen Kunstgeschehen unmöglich wegzudenken: das Theater Westliches Weinviertel den Versuch unternommen hatte, im Burghof ein Sommertheater zu etablieren. in Guntersdorf, rund zehn Kilometer nördlich von Hollabrunn, und das Wald4tler Zwei Produktionen wurden durchgezogen (1968 und 1969), danach war Stille, bis Kaizik Hoftheater in Pürbach bei Schrems. Harald Gugenberger, der 2015 verstarb, hatte 1976 den „Petersdorfer Jedermann“ zur Aufführung brachte, in den beiden darauf- eigentlich einen Ort gesucht, um mit seiner Musikband Revue Blamage in Ruhe pro- folgenden Jahren zuerst eine akklamierte „Mutter Courage“ und danach einen ebenso ben und Programme entwickeln zu können. Der alte Bürgermeisterhof im Waldviertler bemerkenswerten Schiller: „Die Räuber“. Damit war die Grundlage für die Programmie- Pürbach schien dafür bestens geeignet – und dann kam alles ganz anders. Denn rung geschaffen, die sich auf große Dramen der Theaterliteratur konzentrierte. So statt Musik machte Gugenberger ab 1986 Theater, zuerst im Innenhof des Gebäudes, sah ein begeistertes Publikum im Lauf der Jahre mehrere Intendanten (unter ihnen später im Theaterhaus, das seit 2002 als Ganzjahrestheater geführt wird. Das Pro- Gerhard Tötschinger, der sich ausschließlich Carlo Goldoni widmete, und seit 2014 gramm des Wald4tler Hoftheaters beschränkt sich nicht auf reine Bühnenkunst, Michael Sturminger), vor allem aber grandioses Theater und herausragende Schau- sondern bezieht Literatur, Musik und Tanz ein. Darüber hinaus verstand es Gugenber- spieler/innen. In der Perchtoldsdorfer Burg konnte man Karl Markovics, Vera Borek, ger immer, erfolgreich mit zahlreichen renommierten Bühnen im In- und Ausland Erni Mangold, Mercedes Echerer oder Fritz Hammel erleben, die Shakespeare, zu kooperieren und spannende Gastspiele ins Waldviertel zu holen. Für die Region war Horváth, Kleist und Goethe interpretierten. Gugenberger und ist das Wald4tler Hoftheater (dessen Intendanz Gugenbergers Das Besondere am Theaterfest Niederösterreich ist jedoch, dass sämtliche Sohn Moritz Hierländer übernommen hat) nicht nur als Bühne bedeutungsvoll. Als Sparten der darstellenden Kunst zu ihrem Recht kommen. Grenzen werden keine enorm fantasievoller Ideenspender und als Auftraggeber für Theaterproduktionen, gesetzt, ganz im Gegenteil: Klassische Theaterliteratur besteht problemlos neben bei denen vielfach die Menschen aus der direkten Nachbarschaft mitarbeiteten, Boulevard, große Oper neben Operette und Musical, traditionelle Regiearbeiten neben machte Gugenberger aus seinem Dorf eine Art Kulturmetropole des Waldviertels: fantastisch ungewöhnlichen Inszenierungen. Die mehr als 20 Bühnen des sommer- Das Wald4tler Hoftheater agiert regional und wirkt weit überregional. lichen Theaterfests Niederösterreich werden alljährlich für mehrere Wochen zum Gegen alle Wahrscheinlichkeit als Ganzjahrestheater etabliert hat sich Zentrum ihrer jeweiligen Region, der Spielort gleichermaßen Kulisse wie integrativer auch das in einem aufgelassenen Bauernhof eingerichtete Theater Westliches Wein- Bestandteil der Aufführungen. Und attraktiv sind sie alle: die Felsenbühne Staatz im viertel. Anfangs war es eine Gruppe passionierter Laienschauspieler/innen, mit nördlichen Weinviertel, wo sich Intendant Werner Auer ganz der Musicalproduktion denen Prinzipalin Franziska Wohlmann ihre Produktionen auf die Bühne brachte.

In Wien geboren und aufgewachsen, unterhielt Drach österreich einen jahrelangen Kampf um die „arisierte“ Moment passieren die beiden die Demarkationslinie.“ Gegend. Die Barockfassade hält alles noch ein wenig neben seiner frühen literarischen Tätigkeit (Theater- Anwaltskanzlei. Albert Drach erhielt 1988 den Georg- Hans Lebert, der ab 1956 in Baden lebte und sich aus der zusammen. Auch im Sterben ist Stil das letzte Gesetz.“ stücke, Prosa, Essays) in Mödling eine Anwaltskanzlei. Büchner-Preis. Seine Kindheitserinnerungen an Literatur zurückgezogen hatte, wurde Anfang der Die Wunden erschwindelter Versöhnung sollten in Auf der Flucht vor den Nazis begann er die Arbeit an den Beginn des Jahrhunderts erschienen posthum 1990er-Jahre wiederentdeckt. Ein weiterer Nachkriegs- der Folge bis in die Gegenwart immer wieder aufbre- „Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum“ (1964), unter dem Titel „Lunz“ (1991). roman, „Moos auf den Steinen“ (1956) von Gerhard chen. Jeannie Ebner, als Kind österreichischer Eltern in der Geschichte eines den galizischen Pogromen Wie Albert Drach wurde auch Hans Lebert erst Fritsch, wurde abfällig als „Staatsvertragsroman“ Australien geboren und in Wiener Neustadt aufge- des Ersten Weltkriegs entkommenen Juden, der in die später Ruhm zuteil. Seine Erzählungen der 1950er- (R. Urbach) tituliert; tatsächlich kommt die Darstellung wachsen, verarbeitet in „Figuren in Schwarz und Weiß“ Mühlen der Justiz gerät. Drachs wichtigste Bücher Jahre wurden lange Zeit ebenso ignoriert wie der große der damaligen österreichischen Gesellschaft nicht ohne (1964) traumatische Kindheits- und Jugenderlebnisse. sind Autobiografie, Zeitdokument und radikale Selbst- Roman „Die Wolfshaut“ (1960), der in der unmittel- Kitsch aus. Im Zentrum des Buches steht ein Marchfeld- In „Flucht und Wanderwege“ (1998) beschreibt sie die analyse zugleich: „Unsentimentale Reise. Ein Bericht“ baren Nachkriegszeit spielt. Das beharrliche Verleugnen Schloss als Symbol für die Auflösung aller Gegensätze: dramatische Flucht im März 1945 aus dem zerbombten (1966) behandelt die Flucht nach Frankreich und des Todes von sechs Fremdarbeitern während der „Das also ist Schloß Schwarzwasser. Langsam, melancho- Wiener Neustadt per Pferdefuhrwerk bis nach Tirol. Internierungslager; am Ende erfolgt gnadenlose Selbst- Nazizeit wird im Dorf „Schweigen“ zur Naturkatastro- lisch zerbröckelnde Vergangenheit in weltverlassener Neben 25 Büchern mit Gedichten, Erzählungen und anklage: „Meine Mutter habe ich nicht sterben sehen. phe überhöht – ein Spiegel des österreichischen Um- bedeutenden Tagebüchern sowie zahlreichen Überset- Ich habe sie bloß ermordet. Ich habe sie zurückgelassen gangs mit der Vergangenheit. In „Der Feuerkreis“ (1971) zungen aus dem Englischen war Ebner von 1968 bis 1978 unter den Hitlerbanden in dem Land, das einmal meine dekonstruiert der Wehrmachtsdeserteur und einstige Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift „Literatur Heimat war, für dessen Volk ich nur mehr tiefste Wagner-Sänger Lebert den Tristan-Mythos als Inzestge- und Kritik“. Verachtung aufbringe, wie jetzt in diesem Augenblick schichte einer ehemaligen KZ-Aufseherin und ihres Niederösterreichische Schauplätze (etwa die Thaya für mich selbst, der ich auch diesem Volk angehöre, Bruders in der Uniform eines englischen Besatzungssol- als Grenzfluss) finden sich auch in Alois Vogels Roman wenn ich auch außerdem ein Jude bin. Ich habe daten. Am Beginn des Romans passiert der Protagonist „Schlagschatten“ (1977), der die Bürgerkriegsgegner die Schreie nicht gehört, als sie starb.“ Drach hatte den einst mondänen Semmering: „Sie durchfahren des Jahres 1934 höchst differenziert darstellt; die Fortset- nach eigenem Urteil sein Judentum verleugnet (um zu den Kurort, der ein Heerlager ist, fahren in der Sonne zung „Totale Verdunkelung“ (1980) beschreibt das überleben) und seine Mutter verraten (weil er sie in unter einem Jahrmarktshimmel roter Sterne, sehen Ende des Zweiten Weltkriegs in Wien. Der gebürtige Österreich zurückließ). Eine nicht minder rigorose sekundenlang Stalins und Lenins Doppelprofil, halten Wiener Alois Vogel, 1971 Mitbegründer der Literatur- Selbstbefragung ist „,Z.Z.‘ das ist die Zwischenzeit. Ein beim Posten kurz an, der Schlagbaum öffnet sich ihnen, zeitschrift „Podium“ und von 1976 bis 1991 Herausgeber Protokoll“ (1968) mit der Beschreibung des autoritären der Sergeant gibt Gas; eine Rotarmistin, die auf dem der Reihe „Lyrik aus Österreich“, lebte ab 1976 in Pulkau. „Ständestaates“; in Mödling treiben „Hahnenschwanzler“ Parkplatz gestiefelt herumsteht, sehr lieblich, und Zwischen pastoralen Idyllen der „Pulkauer Aufzeich- und illegale SS ihr Unwesen. Im dritten Band, Zwetschken verspeist, schleudert den Waffenbrüdern Die Schriftstellerin nungen“ (1986) tauchen bisweilen Schreckenserinner- „Mitleid“ (1993), führt der Rückkehrer ins Nachkriegs- zum Andenken noch einen Kern nach; und in diesem Jeannie Ebner, 1978. ungen an den Krieg an der Ostfront auf: „Wie Hunde

312 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 313 Den Beweis, dass Gegenwarts- Mittlerweile sind es professionelle Schauspieler, die die breite Programmpalette vom Historische Architektur im zeitgenössischen Fokus kunst auf aufregende und Jugendtheater über Commedia dell’Arte bis zu Boulevard und Performances bestreiten. vielfältige Weise im ländlichen Was das Theater Westliches Weinviertel so anziehend macht, ist nicht zuletzt die An der Ostseite des dreieckigen Kremser Körnermarkts, dessen schöne Hausfassaden Bereich stattfindet, tritt Nähe, die dem Publikum zu den Theaterschaffenden gewährt wird. Allein der Weg Zeugnis für den Wohlstand des Bürgertums in Krems ablegen, befindet sich der seit 2007 die Plattform Lower durch den vorderen Wohn- und Stalltrakt (wo sich der Backstagebereich befindet) nach älteste Sakralbau der Stadt: Im Jahr 1236 erhielten die Dominikaner hier, außerhalb Austria Contemporary an. hinten zur Scheune mit der Hauptbühne erlaubt Begegnungen zwischen Schauspieler/- der Stadtmauer, einen Bauplatz zur Errichtung eines Klosters und einer Kirche. innen, Theatermitarbeiter/innen und dem Publikum. 1997 wurden Stadl und Haupt- In zwei Bauetappen entstand daraufhin die gotische Dominikanerkirche: Um 1265 bühne saniert, 2008 die baufälligen Gebäude im vorderen Grundstücksbereich abgeris- war das Langhaus fertiggestellt, um 1330 der Chor. Das Kloster und die ursprünglich sen und durch einen vom Architekturbüro t-hoch-n in die Weinviertler Bautradition mit farbenprächtigen Fresken geschmückte Kirche (Reste davon sind noch heute eingefügten Neubau ersetzt, in dem nun mehr Platz für die Studiobühne, die Gardero- zu sehen) zählten nach ihrer Vollendung zu den größten und repräsentativsten Raum- ben und Werkstätten ist. Markant leuchtet seitdem das Portal des Theaters Westliches schöpfungen des Landes, was vor allem das Kloster dazu prädestinierte, als zentraler Weinviertel seinen Gästen entgegen und beweist einmal mehr die Lebensfähigkeit Versammlungsraum für Landtage und regionale Handwerksgilden zu dienen. regionaler Kunstinitiativen. Etwa zur gleichen Zeit wie die Dominikaner nach Krems wurden die Minori- Die adäquate Sanierung von ten in das damals unmittelbar benachbarte Stein berufen. Auch die Minoriten Ein Netzwerk für die Kunst Minoritenkirche und errichteten ein Kloster und eine Kirche, deren Baustil allerdings – unverkennbar die, Den Beweis dafür, dass Gegenwartskunst auf aufregende und vielfältige Weise Dominikanerkloster wurde verglichen mit der Dominikanerkirche, weit gedrungenere Optik – noch sehr viel im ländlichen Bereich stattfindet und präsentiert wird, tritt seit 2007 die Lower erst begonnen, als man stärker der romanischen Tradition verbunden ist. Austria Contemporary – kurz LAC – an. Unter dieser Dachmarke haben sich Galerien, eine klar konturierte Nutzung Beide Kirchen wurden Ende des 13. Jahrhunderts geweiht, und beide rund Kunstvereine und Museen zusammengeschlossen, um das umfangreiche Ausstellungs- konzeptioniert hatte: Bei 430 Jahre später im Zuge der josephinischen Kirchenreform säkularisiert. Gemeinsam angebot in Niederösterreich ins Rampenlicht zu stellen. Die LAC fungiert dabei als beiden entschloss man sich, ist den ehemaligen Sakralbaukomplexen auch die darauffolgende Geschichte: Beide Plattform und bietet den unterschiedlichen Institutionen die Möglichkeit, sich selbst sie vor allem mit Gegen- wurden zu Nutzgebäuden umfunktioniert. Die Minoritenkirche diente jahrelang und ihre Programme zu präsentieren. Eine jährlich erscheinende Broschüre und wartskunst zu bespielen. als Salz- und später Tabaklager, Kirche und Kloster der Dominikaner waren – inklusive eine permanent aktualisierte Website geben Auskunft, was sich in diesem Zusammen- einigermaßen unsensibler baulicher Adaptionen – Speicher, Feuerwehrdepot, Fabrik, hang im Land tut – und zwar in jeder Region Niederösterreichs. So finden im Netz- Theater und Kino. 1892 wurde in der Dominikanerkirche das erste Kremser Museum werk der LAC große Namen wie nitsch museum, Arnulf Rainer Museum, Kunsthalle installiert, im Kloster richtete man Wohnungen ein. Krems oder Kunststaulager Spoerri Platz neben kleineren Formaten wie der Kunst- In den späten 1950er-/frühen 1960er-Jahren fanden hier kunsthistorische werkstatt Tulln, dem Kunstverein Horn oder der Mödlinger kunstraumarcade. Großausstellungen statt. Nach umfassenden Renovierungen wurde in den ver- Mitglieder sind jedoch auch Landesinstitutionen wie Kunst im öffentlichen Raum gangenen Jahrzehnten zeitgenössische Kunst präsentiert. Dank des gelungenen Niederösterreich oder das überaus aktive NÖ Dokumentationszentrum für Moderne architektonischen Konzepts von Friedrich und Lukas Göbl sowie Franz Gschwantner Kunst sowie hervorragende Galerien wie die Kremser Galerie Göttlicher oder, ergab sich ein interessantes Spannungsfeld, in dem die nach wie vor spürbare sakral- ebenfalls in Krems, die Galerie Stadtpark. kontemplative Atmosphäre eine besondere Konzentration auf die ausgestellte Die Sinnhaftigkeit der LAC ist längst unter Beweis gestellt, unterstreicht sie und dargestellte zeitgenössische Kunst zulässt, ja, sie geradezu fördert. Besonders bei doch nicht zuletzt das Selbstverständnis aller niederösterreichischen Regionen, den Ausstellungen in der Dominikanerkirche in Krems macht sich diese Empfindung das sich wesentlich auch durch das vorhandene künstlerische Potenzial definiert. bemerkbar – man denke nur an die Wirkung der leuchtenden Arbeiten Marianne

haben wir sie abgeschossen.“ Das in den 2000er- „Die großen Eisenbahnlinien führten einst durch dieses literarischen Avantgarde nicht nur in Österreich, son- Ein Sprachexperiment, das sich jeglicher konventionel- Jahren begonnene mehrbändige Projekt der Horner Niederösterreich nach Budapest, nach Preßburg, nach dern im gesamten deutschen Sprachraum zählt, nahm len Beurteilung von Literatur entzieht, sind die Texte „Edition Thurnhof“ mit Alois Vogels „Gesängen“ Krakau, nach Prag. Heute führen sie nach Parndorf, in ihrem Werk immer wieder auf ihre sommerliche von Ernst Herbeck. Der aus Stockerau gebürtige blieb unvollendet. nach Marchegg, nach Hohenau, nach Gmünd.“ Wie sich Kindheitslandschaft im Weinviertel bezug. In „Blumen- Herbeck, der als Patient der Niederösterreichischen Eine Darstellung von Kriegsende und beginnen- allerdings am Beispiel der nach 1945 aufgewachsenen werk: ländliches Journal/Deinzendorf“ (1992) ist Landesnervenklinik Gugging unter Anleitung seines der Besatzung in Niederösterreich findet sich beim Autor/innen herausstellte, hatte die einstige Opposition das gleichnamige Dorf bei Retz expliziter Gegenstand, Arztes Leo Navratil in den 1960er-Jahren unter dem deutschen Schriftsteller Peter Härtling in „Zwettl. Nach- Literatur der Großstadt gegen Naturbeschreibung und in „Magische Blätter I.“ bis „Magische Blätter VI.“ Pseudonym Alexander Gedichte zu schreiben begann, prüfung einer Erinnerung“ (1973). Härtlings Familie Landleben schon bald keinerlei Relevanz mehr. Ebenso (zwischen 1983 und 2007) taucht es als Sehnsuchtsort stieß vor allem bei Schriftstellerkollegen auf großes war aus Mähren ins Waldviertel geflohen, der Vater rasch, wie sich der Buchmarkt ausdifferenzierte, fanden und Projektionsfläche des „poetischen Wahnsinns“ Interesse. Es handelt sich nicht um dadaistische Exotik starb im russischen Kriegsgefangenenlager Döllersheim. „experimentelle“, sprachkritische oder modernistische gleichrangig neben Wien und allen anderen literarisier- aus dem „Irrenhaus“, die Grenzen von Herbecks Der israelische Autor Aharon Appelfeld ist einer Schreibweisen ihre Vertreter jenseits von Wien. baren Orten der Welt auf. Eine besonders ekstatische Sprache sind tatsächlich die Grenzen unserer Welt: der wichtigsten Autoren des Holocaust. In „Badenheim“ Zumindest die Literaturlandschaft war hinlänglich Beschwörung findet sich in „fleurs“ (2016): „damals in „Im Herbst da reiht der Feenwind / da sich im Schnee (2001) wird die Verfolgung jüdischer Kurgäste im integriert. Friederike Mayröcker, die seit den 1960er- D. auf der Schwelle zum Sommerhaus 1000 Schwertlili- die / Mähnen treffen. / Amseln pfeifen heer / im Wind Jahr 1939 beschrieben. Das fiktionalisierte Baden kannte Jahren zu den bekanntesten Vertreter/innen der en, Malven, Ringelblumen, Veilchen, Hyazinthen, und fressen.“ Eine umfangreiche Auswahl seiner der aus Sadhora bei Czernowitz (heute Ukraine) stam- Gauklerblumen, Lupinen, Carolinenrosen … ach wie Gedichte trägt den Titel „Der Hase!!!“ (2013). Matthias mende Autor aufgrund einer Österreichreise mit seinen lieblicher Film vor meinem Auge.“ Mander, lange Zeit literarischer Außenseiter, schrieb Eltern vor dem Krieg. Auch ein Autor wie Julian Schutting, dessen ab mit dem als Plädoyer für eine gerechtere Weltwirt- Der Wahlniederösterreicher Hans Weigel legte den 1970er-Jahren entstehendes umfangreiches Œuvre schaft angelegten Roman „Wüstungen“ (1985) ein Stück im Essayband „O du mein Österreich“ (1956), ein Jahr sich vor allem durch Sprachreflexion auszeichnet, Öko- und Regionalgeschichte des Marchfelds auf nach dem Staatsvertrag, ein zentrales Problem des ist auf keinerlei Regionalismus reduzierbar. Biografische internationalem Niveau. einstigen Landes unter der Enns auf höchst ironische Motive kommen in Schuttings Texten immer wieder Die größte Resonanz erlebten aber, entsprechend Weise dar: „Wo Niederösterreich aufhörte, war lange vor, der Geburtsort Amstetten wird aber erst in der These, dass alle wahren Revolutionen von unten Zeit eine unsichtbare Verwaltungsgrenze, wie um „Der Vater“ (1980) explizit abgehandelt; die dreitägigen erfolgen, die sozialkritischen Bücher der nächsten Wien, und jenseits war Inland.“ Nach Monarchie und Vorbereitungen auf dessen Begräbnis geraten zur Autor/innen-Generation. „Drittem Reich“ stellte sich nicht nur die Frage nach Auseinandersetzung mit der Heimat. Erinnerungen Helmut Zenker siedelt „Wer sind hier die Fremden“ dem „Eisernen Vorhang“ im Norden und Osten des an den Ort finden sich auch in „Der Tod meiner (1973) im Arbeitermilieu des Industrieviertels an; Landes, das für Weigel viel größere Problem war die Hans Weigel im Wiener Mutter“ (1997) und im poetologischen Essay „Tanz- „Kassbach oder Das allgemeine Interesse am Meer- intellektuelle Selbstbeschränkung, die Provinzialisierung: Antiquariat Schaden, 1962. spiele“ (2005). schweinchen“ (1974) thematisiert das lange Zeit

314 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 315 Madernas (2013), an Manfred Wakolbingers biomorphe, in sanftem Kupferton schim- mernde Skulpturen (2012) oder an Rudolf Polanszkys „Translineare Strukturen“ (2015) im Kontext des Kirchenraums. Davon profitiert natürlich auch das Museum Krems im angeschlossenen ehemaligen Kloster mit seinem rekonstruierten gotischen Kreuzgang. Ebenso gelungen sind Umbau und Umwidmung des alten Baukomplexes der Minoriten in Stein, den sich forum frohner, Ernst Krenek Forum und der Klangraum Krems teilen. Eindrucksvoll entfaltet sich vor allem in Letzterem die Raumqualität, wenn jedes Jahr zur Osterzeit das Festival Imago Dei über die Bühne geht. Mit der bestechend einfachen akustischen Modellierung des Raums – schwere Textilfahnen, die je nach Bedarf aufgehängt werden – und dem Lichtspektakel, das die Musik begleitet, lässt die intensive Raumwirkung kaum jemanden unberührt. Es war eine prominent besetzte Jury – unter anderem Friedrich Achleitner, Peter Baum und Hermann Czech –, die sich 1992 einstimmig für das Projekt Adolf Krischanitz’ aussprach: In Krems hatte man sich entschlossen, eine Kunsthalle zu bauen, und zwar auf dem Standort der alten Tabakfabrik, eines Baus aus dem frühen 19. Jahrhundert, der ein großes Eckgrundstück auf der Steiner Landstraße vor dem Kremser Tor und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Strafanstalt Stein besetzt. Was an Krischanitz’ Konzept bestach, war seine Einfachheit – die winkelförmi- ge alte Struktur sollte erhalten bleiben, im Hof ein Neubau hinzugefügt und die Raumorganisation auf die beiden Bauten aufgeteilt werden. Insgesamt also nicht nur eine fast schon simple Lösung, sondern auch eine, die ökonomisch begreifbar zu bleiben versprach. Das Resultat ist ein Dialog zwischen alter Bausubstanz und dem Zubau im Hof, die kommunikative Verlinkung zwischen beiden der glasüberdeckte Hof und die Rampe. Es ist eine ungewöhnlich uneitle, in hohem Maß funktionelle Architek- tur, die hier gelang – was wohl der Grund dafür ist, dass die Kunsthalle Krems auch nach mehr als zwei Jahrzehnten immer noch als herausragendes Ausstellungshaus gilt. Kein Eingriff in die bestehende Architektur, wohl aber eine Spiel mit Alt und Neu reizvolle optische Überblendung Kein Eingriff in die bestehende Architektur, wohl aber eine reizvolle optische der barocken Stiftspracht durch Überblendung der barocken Stiftspracht durch zeitgenössische Bühnenbilder ge- zeitgenössische Bühnenbilder schieht seit dem Jahr 2000 in Melk. Dank der Tatsache, dass sich die knapp 250 Qua- geschieht mit der Wachauarena dratmeter große Bühne der Wachauarena zum Stift Melk hin öffnet, entstehen Die gelungene Verwandlung eines Das forum frohner im ehemaligen in Melk. abhängig von der Theaterproduktion, vom Bühnenbild und der Beleuchtung sowie – Klosters in einen White Cube: Minoritenkloster in Krems.

tabuisierte Thema Neofaschismus („Ein Viertel Hitler Lauda-Air-Maschine und charakterisiert zugleich reichenden Romans „Die Töchter der Róza Bukovská“ Daß sie unbekannt war. Und sie hatte sich das ge- wäre bei uns schon genug“). Kommissar Kottan, der die Befindlichkeit des Landes. Im Jahr, als der „Eiserne (2006) ist das Wendejahr 1989; die Romane „Taubenflug“ wünscht. Weg von Baden. Weg aus diesem vertratschen später höchst erfolgreiche Fernsehserienheld, entstand Vorhang“ fällt, unternehmen im fiktiven Ort Komp- (2009) und „Der größte Fall meines Vaters“ (2013) Kaff. Und allein sein.“ in Romanform ab 1976. Episch breit und mit literari- rechts ein roter Bürgermeister und seine nicht weniger stellen vehemente, mit Elementen des Kriminalromans Als Krimis und als Milieustudien versteht Alfred scher Wucht analysiert Gernot Wolfgruber die Möglich- korrupten Parteigegner den Versuch, die Region durch versetzte Abrechnungen mit dem Sozialismus tschecho- Komarek seine im Weinviertel angesiedelten Polt- keiten sozialen Aufstieges aus dem Arbeitermilieu; sanften Tourismus zu retten. Das Jahr 1989 endet in slowakischer Prägung dar. Romane (sieben Bücher seit 1998). Der zeitweilig im Schauplatz ist die ökonomisch rückständige Grenzregi- Menasses Waldviertel mit Mord und Totschlag. Dazu Einen feministisch, politisch und ästhetisch radika- Weinviertel lebende Autor verfasste auch Sachbücher on des nördlichen Waldviertels um Gmünd. Innerhalb der Autor: „Was kann ich erzählen, wenn die Ordnung len Ansatz verfolgen die Bücher von Marlene Streeru- über Wald- und Weinviertel, über den Semmering von weniger als zehn Jahren entstanden „Herrenjahre“ zerfällt, wenn alles Stückwerk, Fragment ist?“ witz, einer der produktivsten Autorinnen der deutsch- und die Wachau. Der in Krems aufgewachsene Erwin (1976) und „Niemandsland“ (1978), schließlich als Die Bücher der in Waidhofen an der Ybbs gebore- sprachigen Gegenwartsliteratur. Anfänglich als Riess schickt seinen rollstuhlfahrenden Seriendetektiv fünfter Roman „Nähe der Sonne“ (1985). Mit diesem nen Evelyn Schlag, die seit 1981 Erzählungen, Lyrik Dramatikerin international erfolgreich, stellten die Groll, ein Alter Ego des Autors, in Begleitung seines Buch kam allerdings auch Wolfgrubers Autorenkarriere und Romane publiziert, kreisten lange Zeit um Frauen- ersten Prosarbeiten „Verführungen“ (1996) und „Dozenten“ durch die ganze Welt. „Herr Groll und das zu einem abrupten Stillstand. In der Grenzregion figuren und Geschlechterverhältnisse. Die Erzählungen „Lisa’s Liebe. Roman in drei Folgen“ (1997) eine besonde- Ende der Wachau“ (2014) erinnert auch an einen weißen des oberen Waldviertels angesiedelt und einer ähnlichen „Brandstetters Reise“ (1985) und „Die Kränkung“ (1987) re literarische Herausforderung dar: „Die Sprache Fleck im historischen Atlas von Niederösterreich: In Thematik gewidmet sind auch Josef Haslingers „Die erkunden die nähere Umgebung, in den 2000er-Jahren darf keine Einheit, keinen umfassenden Zusammenhang Gneixendorf wurde 1944 der russische Kriegsgefangene mittleren Jahre“ (1980) und „Der Tod des Kleinhäuslers wurden die Schauplätze von Schlags Büchern zuneh- vorgaukeln. Den gibt es nicht. Das ist weiß Gott keine Melichow von einem Mitglied der Lager-SS durch Ignaz Hajek“ (1985). In seinem großen Roman „Das mend international: „Das L in Laura“ (2003) spielt im neue Erkenntnis.“ Die immer wieder engagiert auftre- Genickschuss ermordet. „Nach wie vor liegt jeden Tag Vaterspiel“ (2000) handelt Haslinger nicht mehr die Mostviertel, in New York und im Internet, „Architektur tende Autorin greift mittlerweile auch mit ihren Roma- am Ort der Ermordung von Grigoris Vater an der Probleme von Nebenerwerbsbauern und Pendlern oder einer Liebe“ (2006) teilweise in St. Petersburg. Mit nen fast unmittelbar ins aktuelle politische Geschehe Zufahrtsstraße zum Kremser Flughafen eine rote Rose.“ Landflucht ab, ein Thema ist der Niedergang der einst „Die große Freiheit des Ferenc Puskás“ (2011) wird an ein – zuletzt mit „Die Reise einer jungen Anarchistin in Der in den 2000er-Jahren noch einmal einsetzenden kämpferischen Arbeiterpartei in Gestalt eines korrupten das Jahr 1956 der ungarischen Revolution erinnert Griechenland“ (2014). Der direkteste Bezug der in Wien intensiven Beschäftigung mit der Nazivergangenheit ist sozialdemokratischen Verkehrsministers mit Wald- und am Beispiel einer Flüchtlingsfamilie das österreichi- und Berlin lebenden Autorin auf die beklemmende auch „Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater“ viertler Wurzeln. Raum und Zeit des Romans öffnen sche System der Sozialisierung zur Diskussion gestellt. Enge ihrer Geburtsstadt Baden findet sich in der Inzest- (2004) des Journalisten, Übersetzers und Schriftstellers sich bis nach New York, ins Baltikum und in die Zeit A priori grenzüberschreitend sind die Bücher und geschichte „Partygirl“ (2002): „Es würde alles anders Martin Pollack geschuldet. Ein Schauplatz des Buches des Nationalsozialismus. Geschichte, die nicht vergehen Theaterstücke der aus der Tschechoslowakei gebürtigen werden. Zu Hause wäre immer jemand dagewesen. Ein ist Amstetten, wo die Familie des „Protagonisten“ lebte; will, wird in alle Richtungen beschleunigt. Der Titel Zdenka Becker, die 1974 nach Österreich übersiedelte Anruf. Und sie wäre nicht mehr allein. Aber jeder wußte der Großvater des Erzählers machte als Richter eine „Schubumkehr“ (1995) von Robert Menasses kleinem und seit 1986 auf Deutsch schreibt. Geheimes Zentrum auch alles. Von ihr. Von ihnen. Von allen. Jeder wußte lokale Nazikarriere. Der aus Krems gebürtige Historiker Wenderoman ist eine Anspielung auf den Absturz einer des weit in die tschechoslowakische Kindheit zurück- viel mehr, als zu wissen war. Sie mußte das erst lernen. und Schriftsteller Robert Streibel transformierte seine

316 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 317 in der Gesamtwirkung nicht zu unterschätzen! – davon, wie sich der Himmel, die Wolken, der Mond präsentieren, aufregende Impressionen, die bei den Produktionen bereits im Vorfeld mitgedacht werden. Anders als dieser quasi bloß periphere Rahmen um bestehende Architektur ist jener im Schloss Rothschild in Waidhofen an der Ybbs gleichermaßen konkret wie stark: Pritzker-Preisträger Hans Hollein hat hier 2007 den Kristallsaal integriert, dessen futuristische Gestaltung mit den gläsernen Wänden, der raffinierten Beleuchtung und der perfekten Akustik längst nicht nur Musikliebhaber zu dem von Thomas Bieber organisierten Klangraum Waidhofen lockt. Architekturinteressierte und -student/- innen aus der ganzen Welt reisen an, um den ungewöhnlichen Kammermusiksaal im Detail zu studieren. Dieses Erbe Hans Holleins – der Architekt starb 2014 – präsentiert sich als dezidierte Entscheidung, auf die mittelalterliche Baustruktur zwar sensibel Rücksicht zu nehmen, sie gleichzeitig aber auch charakterstark zu konterkarieren. Eine ähnlich gelungene Symbiose aus Alt und Neu gelang mit dem Auditori- um in Grafenegg. Die Architekten schröder schulte-ladbeck (bis 2007) und Dieter Irresberger entwickelten gemeinsam mit dem aus München stammenden Akustiker Karlheinz Müller (ab 2007) einen Anbau an die Reitschule, der von außen vor allem durch seine großzügige Glasfassade beeindruckt. Sie steht in reizvollem Gegensatz zur kompakten Optik der Reitschularchitektur des 19. Jahrhunderts. Was im Inneren besticht, sind die Details: Der Konzertsaal orientiert sich zwar an traditionellen Recht- eckformen, weist jedoch selbst kaum einen rechten Winkel auf, was dem flexiblen Raum, dessen Bühnengröße ebenso veränderbar ist wie die Dichte der Bestuhlung, jede Schwere nimmt. Das gilt auch für das verwendete helle Eichenholz und den Stuccolustro oder Marmorino, ein in venezianischer Handwerksmanier aufgetragener und polierter Kalksteinputz in einer zarten Elfenbeinnuance. „Neues aus Altem schaffen“ gilt als einer der Lehrsätze Arnulf Rainers. Architektonisch umgesetzt wurde er von den Architekten Lottersberger-Messner- Dumpelnik, die aus dem ehemaligen Frauenbad in Baden bei Wien – Rainers Geburtsstadt – ein modernes Museum schufen. Was hier gelang, ist äußerst interes- sant: Anstatt den von Charles de Moreau entworfenen klassizistischen Bau aus dem frühen 19. Jahrhundert auszuhöhlen und innen völlig neu zu gestalten, adaptierte man vorsichtig, sanierte alte Substanz und implantierte eine neue Infrastruktur – Schloss Rothschild in Waidhofen an der Ybbs – eine von Hans Hollein geschaffene Brücken, Rampen, Stiegenläufe –, die das ursprüngliche Interieur stark akzentuiert markante Symbiose aus Alt und Neu. und nicht in den Hintergrund drängt. Das historische Ambiente wird als authentisch

vorangegangenen zeitgeschichtlichen Arbeiten über das Von den zahlreichen Vertretern der jüngeren niederös- einer Familiengeschichte in den fiktiven Sporzer Alpen. Neuerscheinungen gegründet, es entstand auch SS-Massaker vom 6. April 1945 an Häftlingen des terreichischen Autor/innengeneration seien stell- Und Cornelia Travnicek: Auf „Chucks“ (2012), einen eine Reihe neuer Institutionen. An erster Stelle ist das Strafgefangenenlagers, an dem sich auch die Zivilbevöl- vertretend nur einige genannt: Thomas Sautner be- tragischen Punker- und Wienroman, folgten in der Unabhängige Literaturhaus NÖ (ULNÖ) in Krems kerung der Umgebung beteiligte, in den Roman „April schreibt in seinem Debütroman „Fuchserde“ (2006) die Reihe „Neue Lyrik aus Österreich“ der Gedichtband (mit der Autorin Sylvia Treudl als Mitbegründerin) zu in Stein“ (2015). Der früh verstorbene Norbert Silber- Welt der Jenischen und deren praktisch ausgestorbene „mindestens einen der weißen wale“ (2015) und zuletzt nennen, samt Gastateliers für internationale Autor/- bauer, Verfasser von Lyrik, Theaterstücken und Prosa, Professionen wie Scherenschleifer, Besenbinder und der Coming-of-Age-Roman „Junge Hunde“ (2015). Im innen und dem vom ULNÖ organisierten Festival hebelt – etwa in „Das elfte Gebot“ (2002) – seine im Pfannenflicker; „Waldviertel steinweich“ (2013) ist mittlerweile siebenten Buch von Cornelia Travnicek „Literatur und Wein“. Fixer Bestandteil des Literaturbe- Weinviertel angesiedelten Figuren (vom Bürgermeister ein literarischer Reise- und Heimatbegleiter. Martin geht es nicht zuletzt um die eigene niederösterreichische triebs sind mittlerweile die Festivals „Blätterwirbel“ in bis zur ehemaligen lokalen Sportlergröße) vollständig Prinz erzählt in „Der Räuber“ (2002) den Fall des Herkunft, und sei es eine aus China. St. Pölten, „Offene Grenzen“ in Retz (initiiert vom dort aus, indem er sie bei ihrer (katholischen) Moral wörtlich Bankräubers, Mörders und Marathonläufers Kastenber- Internationalisierung ist vielleicht das wichtigste ansässigen Dramatiker Peter Turrini), die „Europäi- nimmt. Silberbauers sarkastische frohe Botschaft lautet: ger; ursprünglich als Blog publiziert wurde die 161 Tage Charakteristikum der niederösterreichischen Literatur- schen Literaturtage in Spitz“ (geleitet vom Autor Walter „Die Gebote Gottes überfordern die Menschen.“ Litera- dauernde Fußwanderung von Triest nach Monaco landschaft im 21. Jahrhundert. Im Gefolge der Verle- Grond) sowie „Literatur im Nebel“ in Heidenreichstein, risch subtiler und psychologisch komplexer angelegt „Über die Alpen“ (2010). Als kometenhaft muss der gung der Hauptstadt nach St. Pölten wurde 1989 wo alljährlich ein internationaler Literaturstar – von sind die oft jugendlichen Protagonisten des aus Amstet- Aufstieg der literarischen Spätstarterin Gertraud Klemm, nicht nur das Literaturarchiv NÖ zur wissenschaftlichen Salman Rushdie bis Ljudmila Ulitzkaja – präsentiert ten stammenden Psychiaters und Schriftstellers Paulus die in Baden bei Wien aufwuchs und heute in Pfaffstät- Bearbeitung des Erbes und zur Dokumentation der wird. Für die junge Literaturszene von nicht geringerer Hochgatterer. In der Erzählung „Wildwasser“ (1997) ten lebt, bezeichnet werden. Klemms erzählerische Bedeutung sind der „Literaturpreis Wartholz“ und begibt sich der 17-jährige Jakob als Ich-Erzähler auf die Analysen weiblicher Befindlichkeit im Baden-Roman neben einem Klassiker wie der 1970 auf Schloss Neu- Suche nach dem offenbar in Wildwasserfluten umge- „Herzmilch“ (2014) und in „Aberland“ (2015) wurden lengbach vom Literaturkreis Podium initiierten gleich- kommenen Vater, eine Odyssee durch die Berg- und von der Kritik stürmisch gefeiert. Eine literarisch namigen Literaturzeitschrift „Podium“ die 2013 begrün- Tallandschaften südwestlich von Wien. In einer ähnli- experimentelle Auseinandersetzung mit Bildern von dete Reihe „Neue Lyrik aus Österreich“. Über Anton chen Gegend entfaltet sich Hochgatterers „Eine kurze Uta Heinecke ist „der geschälte tag. Ein Dialog“ (2014), Kuhs schnippische Feststellung, „Kierling bei Kloster- Geschichte vom Fliegenfischen“ (2003). Vom 11. Septem- das schon im Essay „Mutter auf Papier“ (2010) abgehan- neuburg ist durch Kafka in die Literaturgeschichte ber 2001, dem Tag, an dem die Story spielt, fällt mehr delte Thema Adoption und die damit verbundenen gekommen“, mag man noch immer schmunzeln. Aber als ein Schatten auf die Landschaft; mit dem Ver- emotionalen und bürokratischen Hindernisse tauchen Der aus St. Pölten stammen- ist allgemein bekannt, dass einer der größten Lyriker des hältnis von Hauptstadt und Umgebung hat dies längst in „Muttergehäuse“ (2016) abermals auf. In jüngster den Autorin Cornelia 20. Jahrhunderts lange Zeit in Niederösterreich lebte? nichts mehr zu tun, zumal das Land mittlerweile über Zeit feierten auch zwei aus St. Pölten stammende Autor- Travnicek wurde im Rahmen Die 2015 neu konzipierte Gedenkstätte für W. H. Auden des Ingeborg-Bachmann- eine „eigene“ Hauptstadt verfügt – ein Umstand, der innen spektakuläre Erfolge: Vea Kaiser mit „Blasmusik- Preises 2012 der Publikums- in Kirchstetten kann diesbezüglich Abhilfe schaffen. für die Literatur wiederum längst ohne Bedeutung ist. pop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ (2012), preis zugesprochen. Einer Reise in die Weltliteratur steht nichts im Weg!

318 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 319 Die Kunsthalle Krems 2011: Zu sehen war damals die Ausstellung „Von Engeln & Bengeln“, die sich mittels Gemälden, Skulpturen, Videos und Grafiken mit dem Wandel des Kinderporträts von der Renaissance bis zur Gegenwart ausein- andersetzte.

Hans Peter Kuhn, „Lineares Universum“, Klang-Licht-Installation in der Kremser Minoritenkirche, 2003.

320 321 Josef Hoffmann führte das hervorgehoben, die zeitgenössischen Interventionen treten dagegen dezent zurück, Sanatorium Purkersdorf ohne deshalb eine falsche Bescheidenheit zu vermitteln. Eine ideale Baulösung, zwischen 1904 und 1906 aus. die das Arnulf Rainer Museum zum Paradebeispiel einer geglückten Synthese von Alt und Neu macht.

Josef Hoffmann und Adolf Loos Jenseits der postmodernen architektonischen Interventionen in bestehende, zum Teil jahrhundertealte Baustrukturen finden sich in Niederösterreich auch zahlreiche hervorragende Exempel moderner Architektur. Am berühmtesten ist wahr- scheinlich das, was von Josef Hoffmanns Gesamtkunstwerk, dem Sanatorium Purkers- dorf, übrig blieb. Was sich nach larmoyanter Reminiszenz anhört, bezieht sich nicht auf die durchaus gelungene Sanierung des Baus im Jahr 2001, sondern darauf, dass von dem, was Hoffmann mit den Handwerkern der Wiener Werkstätte hier geschaffen hatte, nur noch die äußere Hülle besteht. Hoffmann, dessen Schaffen von seinen Anfängen im Atelier Otto Wagners Ende des 19. Jahrhunderts bis zum sozialen Wohnbau Wiens in den 1950er-Jahren reichte, führte diesen bis heute wesentlichsten Bau der Wiener Secession zwischen Arnulf Rainer vor einem seiner Selbst- 1904 und 1906 aus. Bauherr war der Industrielle Viktor Zuckerkandl, den Kontakt porträts aus der 1968 begonnenen Serie „Face Faces“. zwischen ihm und seinem Architekten vermittelt hatte wahrscheinlich dessen Schwä- gerin Berta Zuckerkandl-Szeps. Hoffmann schuf das neue Gebäude und verband Ein Museum im architektonischen Dialog es durch Wandelgänge mit Altbauten der bestehenden „Wasserheilanstalt“. Die mit dem Künstler: Wie bei Arnulf Rainers Übermalungen wurden für dieses gesamte Innenausstattung (die nach 1941, als das Sanatorium Kriegslazarett wurde, Museum neue Strukturen sensibel über „verschwand“) stammte von der Wiener Werkstätte, die Hoffmann im Jahr vor die alten Formen gelegt. dem Baubeginn mit Kolo Moser und Fritz Waerndorfer gegründet hatte. Und auch die Parkanlage geht auf Entwürfe Hoffmanns zurück. Zuckerkandl und Hoffmann zerstritten sich schon bald heillos über die weit überschrittenen Baukosten, sodass Leopold Bauer als Architekt für die Fertig- stellung des Baus verpflichtet wurde. Das stellte sich als wenig dienlich heraus, denn Bauer verstand es zielsicher, die Gesamtwirkung der Anlage zu vernichten, indem er im Park die Paula-Villa errichtete und zu allem Überfluss Hoffmanns Zentral- gebäude aufstockte. Das Sanatorium florierte dessen ungeachtet und wurde zu einem Treffpunkt der Wiener Intellektuellen, darunter Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Arthur Schnitzler, die sich hier Badekuren und physikalische Therapien verabrei- chen ließen. Heute ist der Bau, der in Sachen „Klarheit der Disposition, Folgerichtigkeit der formalen Durcharbeitung und vor allem in der äußersten Einfachheit seiner kubischen Formen für 1904 (…) bahnbrechend war“ (Eduard F. Sekler) und den man glücklicher- weise von seiner Aufstockung wieder befreit hat, eine Seniorenresidenz, für deren Entree sogar das Hoffmann’sche Mobiliar nach Originalentwürfen nachgebaut wurde. „Regeln für den, der in den bergen baut: baue nicht malerisch. Überlasse solche wirkung den mauern, den bergen und der sonne. Der mensch, der sich male- risch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein Hanswurst.“ Diesen Leitsatz für das Bauen im ländlichen Ambiente notierte Adolf Loos 1913, genau 16 Jahre, bevor er mit der Planung des Landhauses Khuner auf dem Kreuzberg bei Payerbach begann. Mit dem abgeschieden auf einem Waldhang errichteten Haus wurde Loos seiner eigenen Prämisse – „achte auf die formen, in denen der bauer baut, denn sie sind der urväter geronnene substanz“ – gerecht, indem er einen kompakten, rechteckigen Holzblock- bau auf einen Bruchstein-Unterbau setzte. Nur im Inneren nahm Loos Abstand von den selbstgewählten Grundsätzen traditioneller bäuerlicher Bauweise und entwarf eine helle, zweigeschoßige Halle, die auf beiden Ebenen von Räumen umgeben ist. Seit 1963 steht dieses einzigartige Landhaus unter Denkmalschutz, bereits seit 1959 wird es als Hotel geführt.

Soziale Architekturen Wie sehr sich die Architektur innerhalb nicht einmal eines halben Jahrhun- derts verändert hat, demonstrieren zwei Beispiele aus dem Bereich des Arbeiter- -wohnbaus. Da ist einerseits Berndorf, wo Arthur Krupp, Besitzer der Berndorfer Metallwerke, ab 1888 mit seinem Architekten Ludwig Baumann ein städtebauliches Wie sehr sich die Architektur Programm verwirklichte. Baumann, ganz dem Historismus verpflichtet (was ihn in weniger als einem halben zum Lieblingsarchitekten des in Stilfragen äußerst konservativen Thronfolgers, Jahrhundert verändert hat, Erzherzog Franz Ferdinand, machte), errichtete in Berndorf nicht nur ein vollständig demonstrieren zwei Beispiele neues Stadtzentrum mit Kirche, den berühmten Schulpalästen (mit den Stilklassen), für den Arbeiterwohnbau: darüber hinaus die Villa Krupp und vieles mehr, sondern auch – im Kontrast zum Berndorf und Ortmann bei damals üblichen Arbeiterwohnhaus mit vielen Wohnungen – die Krupp’sche Werk- Pernitz. siedlung im Stil englischer Reihenhäuser.

322 Schön, gut und wirklich wahr 323 Geradezu skulptural entwickeln sich Vestibül und Treppen im Festspielhaus St. Pölten, das nach Plänen des Architekten Klaus Kada errichtet wurde.

Zeitgenössische Architektur in Niederösterreich

Anything goes. Paul Feyerabends Diktum war eigentlich auf die Wissenschaftstheorie gemünzt, lässt sich aber auch auf die Architektur der Gegenwart im Allgemeinen und auf jene in Niederösterreich im Besonderen anwenden. Alles geht: Flachdächer, spitze Giebel, skulpturale Bauten, durchaus funktionell und dennoch Kunstwerke im öffentlichen Raum, gezackte Dachlandschaften, die einem ganzen Gebäude seinen Namen geben, ökologisch nachhaltiges Bauen in zeitgenössischer Formensprache, Solitäre und Reihenhäuser. Wo also ansetzen in dieser „Architekturlandschaft Nieder- österreich“ (Hauenfels/Krasny), um Schwerpunkte und Klammern zu setzen? Am besten vielleicht an jenem Areal, das als Leistungsschau zeitgenössischer Architektur betrachtet werden könnte: das Regierungsviertel samt angeschlossenem Kulturbezirk in St. Pölten. 1986 wurde St. Pölten Hauptstadt. Bereits im Jahr darauf stand auf jenem Areal am Ufer der Traisen, wo der Regierungsbezirk angesiedelt werden sollte, ein eleganter, wenn auch temporärer Ausstellungspavillon von Adolf Krischanitz – rund, Theophil Hansen, Architekt des Wiener Stahl, gewellter Kunststoff –, in dem man sich die Ideen zur Realisierung dieses Parlamentsgebäudes und weiterer Viertels im Modell ansehen konnte. Vorangegangen war dem die Gründung der wesentlicher Bauwerke an der Ringstraße, lieferte die Entwürfe für das Pompejani- Völlig anders realisierte ab 1919 der große österreichische Architekt Josef Frank Niederösterreichischen Landeshauptstadtplanungsgesellschaft, kurz NÖ-Plan, unter sche Lehrzimmer der Berndorfer Schulen. seine Arbeiterwohnkolonie in Ortmann bei Pernitz. Bauherr war Hugo Bunzl, Papier- deren Leiter Architekt Norbert Steiner der zweistufige Wettbewerb für das Regierungs- Industrieller und Philanthrop wie Krupp, dabei aber fortschrittlichen sozialen Ideen viertel und die Bauten des Kulturbezirks abgewickelt wurde. verpflichtet. Mit Frank engagierte er einen Architekten, der seinen Ruf nicht wie Die Entscheidung, die schließlich getroffen wurde, rief Zustimmung und Baumann repräsentativen Ringstraßenbauten verdankte, sondern der sich vielmehr Widerspruch hervor. Bedauert wurde beispielsweise das Ausscheiden des Projekts von intensiv mit der Arbeiterwohnungsfrage auseinandergesetzt hatte. Frank war ein Rudolf Prohazka und Ernst Hiesmayr: Die von ihnen geplante Überbauung der Traisen glühender Verfechter der Gartenstadtbewegung mit ihrem symmetrischen Konzept, hätte „ein präzise gerahmtes Stück Flusslandschaft zu einem urbanen Raum einzig- das dennoch differenzierte Möglichkeiten bot. Unter dieser Prämisse schuf Frank artiger Qualität gemacht“, wie Christian Kühn in der „Presse“ schrieb. Letzten Endes fiel in Ortmann unterschiedliche Haustypen, die es trotz ihrer geringen Wohnraumgrößen die Entscheidung zwischen zwei Projekten, dem monumentalen, 24 Stockwerke erlaubten, individuell zu wohnen – und zwar nicht nur innen, sondern dank Loggien, hohen Solitär von Wilhelm Holzbauer und dem Entwurf, der schließlich das Rennen Pergolen und Terrassen auch außen. Was mit Letzteren gleichzeitig erreicht wurde: machte: Ernst Hoffmanns flächige Stadtreproduktion, die sich parallel zur Traisen Der Gefahr der Monotonie bei diesem Siedlungsbau wurde a priori ein Riegel erstreckt. Sie umfasst das als aufgestelztes „schwebendes Schiff“ bezeichnete Land- vorgeschoben. tagsgebäude ebenso wie – als vertikalen Kontrapunkt zur breiten horizontalen Der Kreis schließt sich mit einem letzten Beispiel für den modernen Villenbau: Ausdehnung der Verwaltungsbauten – den Klangturm, Symbol dafür, dass hier nicht In der Hinterbrühl schuf Joseph Maria Olbrich 1898/99 für den Industriellen Max nur das politische, sondern auch das geistige Zentrum des Landes zu finden ist. Friedmann ein secessionistisches Gesamtkunstwerk, bei dem Olbrich – wie Hoffmann Was dessen Gestaltung angeht, verpflichtete man einige der namhaftesten in Purkersdorf – nicht das kleinste Detail aus seinem ästhetischen Konzept aus- Architekt/innen Österreichs: Gustav Peichl entwarf das ORF-Landesstudio, Hans schloss. Türgriffe, Stiegengeländer, die Glasmosaike der Fenster im Vestibül, die ver- Hollein das Landesmuseum, Klaus Kada das Festspielhaus, Michael Loudon das Landes- schiedenen Wandfarben für jedes Zimmer, sogar die Vorhänge im Schlafzimmer, archiv, Karin Bily und Paul Katzberger planten die Landesbibliothek. Die Tatsache, die wie das Gewand eines Engels über dem Doppelfenster wirkten, entwarf Olbrich Die Entscheidung, die schließlich dass es das Landesarchiv und die Landesbibliothek bis in die Endauswahl des Mies van selbst. Die romantische Sommervilla, die Loos’ Lehrsätzen von einem möglichst getroffen wurde, rief Zustimmung der Rohe Awards schaffte, beweist, dass die Architektur des Regierungsviertels auf auf das Funktionelle reduzierten Bauen in jeder Hinsicht widerspricht, wurde, nach- und Widerspruch hervor. internationalem Niveau agiert. dem ihr bereits der Abriss drohte, vom Hausherrn Erich Kotzab nach originalen Skizzen und historischen Fotos penibel rekonstruiert.

324 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 325 Ein glänzender Kupferrahmen umfasst die großzügige Glasfassade des Grafenegger Auditoriums, das sich ungeachtet seiner postmodernen Formensprache perfekt in die klassischen Flanken schmiegt. Innen sorgen akustisch modellierte Wandstrukturen für optimalen Klang und Eichenholz sowie in Stuccolustro-Technik aufgetragener Kalkputz für die helle Optik. Die Architekten, nach deren Plänen die Bauten des St. Pöltner Regierungsviertels mit dem angeschlossenen Kulturbezirk errichtet wurden, stehen für Vielfalt Beeindruckend und auch zwei Jahrzehnte nach ihrer Fertigstellung von unbestrittener Ein weiterer Baustein „regionaler Identität“, den das Land Niederösterreich als Bau- und Qualität zeitgenössischer österreichi- Gültigkeit sind die beiden anderen zentralen Kulturbauten, das Festspielhaus und herr in Auftrag gab, ist der Wolkenturm in Grafenegg. Das im 19. Jahrhundert im Stil scher Baukunst: Klaus Kada (Festspielhaus das Museum Niederösterreich, vormals Landesmuseum. Wie ein Opal leuchtet abends des romantischen Historismus errichtete Schloss, sein 31 Hektar großer Park und St. Pölten, oben links), Hans Hollein und RATAPLAN (Landesmuseum, rechts), Gustav die auskragende Fassade des Großen Saals im Festspielhaus, das die westlichste Eck- darüber hinaus engagierte Kulturprogramme sind seit vielen Jahren Gästeattraktio- Peichl (ORF-Landesstudio), Ernst Hoffmann bastion des Regierungsviertels bildet. Darunter und an den Seiten ist alles transparent – nen. Die Neupositionierung erfolgte im Jahr 2007 mit der Gründung des Grafenegg (Landhaus und Klangturm), Michael geht man auf das Gebäude zu, sieht man Galerien, Stege, Treppen und die Menschen, Festivals unter der Leitung von Rudolf Buchbinder. Und mit dem Ziel, sich in der Loudon (Landesarchiv) sowie Karin Bily und Paul Katzberger (Landesbibliothek). die sich darauf bewegen. Ein Blickfang ist auch Holleins Museum Niederösterreich, internationalen Festivallandschaft zu positionieren, schuf man auch architektonisch das für die Exponate der Natur- und Landesgeschichte insgesamt knapp 5.000 Quad- entsprechende Voraussetzungen. Noch bevor das Auditorium entstand, von dem ratmeter zur Verfügung stellt. Wenngleich einzelne Bereiche des Museums 2009 bereits zu lesen war, wurde mit dem Wolkenturm ein kunstvolles Klangobjekt geschaf- von der Architektengruppe RATAPLAN umgestaltet wurden, wird der Bau wohl immer fen – eine Bühne samt Tribüne, die durchaus als beeindruckend avantgardistische mit seinem markanten Vordach – einer leicht geneigten Riesenwelle, deren stützende Land Art rezipierbar ist. Säulen so schlank sind, dass sie zu schweben scheint – identifiziert werden. Und Den Bau konzipierte das Architekturbüro the nextENTERprise „Der Wolken- natürlich mit ihrem durch schräge Zacken ornamentierten Dach, das dem Gebäude turm interpretiert“, erklärten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs, „in seinen umgangssprachlichen Namen gab: Shedhalle. seiner topografischen Ausformung wesentliche Gestaltungsmerkmale des Landschafts- gartens – das Spiel mit Perspektive und Blickbeziehung, mit Enge und Weite, mit Land in Sicht Raumabschluss und Raumöffnung.“ Die Konstruktion aus Stahl und Glas hat eine „Niemals“, schrieb Theresia Hauenfels, „sind Identitäten eindeutig. Regionale Höhe von 23 Metern und ist von fast jedem Punkt des Geländes aus sichtbar: Identitäten werden erzeugt, erzählt, verändert, nicht zuletzt gebaut.“ Diese Sentenz, eine permanente Präsenz, die aus Blickachsen und der extravaganten Form des wenngleich im Zusammenhang mit zeitgenössischer Architektur im Mostviertel Wolkenturms resultiert. formuliert, ist durchaus auch auf Krems anwendbar. Die reizvolle Doppelstadt mit den beiden Altstadtzentren von Krems und Stein veränderte ihr Selbstverständnis im Aufholmanöver Zusammenhang mit der Neupositionierung St. Pöltens als Landeshauptstadt. Man Um den Umgang mit zeitgenössischer Architektur zu fördern, haben sich fühlte sich nämlich plötzlich in einer „neuartigen Konkurrenzsituation“ (Walter im Jahr 1994 vier niederösterreichische Architekten – Ernst Beneder, Paul Katzberger, Zschokke), der mit kreativer Baulust und einfallsreichen Konzepten begegnet wurde. Gerhard Lindner und Wolfgang Reinberg – zum Verein ORTE Architekturnetzwerk So erdachte man die Kunstmeile Krems, fand Lösungen für die Moderni- Niederösterreich zusammengefunden. Damals, vor mehr als zwei Jahrzehnten, war sierung alter Gebäude und erweiterte die Kunstmeile durch einen Museumsbau, „Der Wolkenturm interpre- Niederösterreich, um es einmal vorsichtig auszudrücken, nicht gerade ein Vorreiter, dessen Programmierung bereits an seiner äußeren Hülle abzulesen ist: das Karikatur- tiert in seiner topografischen was Gegenwartsarchitektur betrifft. Langsam gab es erste hoffnungsvolle Lebens- museum. Architekten waren Rudolf F. Weber und – in jeder Hinsicht Spiritus Rector – Ausformung wesentliche zeichen, und um diese zu hegen, um auszuloten, welche Trends zeitgenössische Gustav Peichl, der aufgrund seiner Arbeiten für das Städel-Museum in Frankfurt/M. Gestaltungsmerkmale des Architektur unterstützen können, begann man bei ORTE breitgefächerte Programme und die Bundeskunsthalle in Bonn viel Erfahrung mit der Handhabung von Aus- Landschaftsgartens – für Erwachsene und junge Menschen zu entwickeln und anzubieten. Schließlich stellungsräumen hat. Man sieht dem Bau an, dass da ein Karikaturist – Peichl in seiner das Spiel mit Perspektive und ging es ja nicht nur darum, Architektur verständlich zu machen, sondern auch darum, Eigenschaft als Ironimus – zugange war, trägt das eigentlich schlichte Gebäude Blickbeziehung, mit Enge potenzielle Bauherren mit jungen Architekt/innen zusammenzubringen. doch eine Narrenkappe. „Das Schwierigste“, konstatierte Liesbeth Waechter-Böhm, und Weite, mit Raumab- „dürfte wohl gewesen sein, das mit spitzem Stift skizzierte Museumsprojekt des schluss und Raumöffnung.“ Gustav Peichl in die Dreidimensionalität zu transformieren.“ the nextENTERprise.

328 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 329 Zeitgenössische Architektur Niederösterreichs Architekturlandschaft hat sich mittlerweile stark verändert. Nicht ist angekommen, sie wird allein das Land Niederösterreich als Auftraggeber, sondern auch Gemeinden und wahrgenommen, nicht mehr private Bauherren wagen zunehmend den Schritt zu einer oft extravaganten For- als elitärer Fremdkörper mensprache. Allen voran ist das vom Sammlerehepaar Agnes und Karlheinz Essl errich- verstanden, nur noch selten tete Essl Museum zu nennen (das seit dem 1. Juli 2016 geschlossen ist). Dafür ging zwischen Geschmacksfragen man eine fruchtbare Bau-Partnerschaft mit dem sensitiv auf inhaltliche Herausforde- und Ideologien aufgerieben. rungen reagierenden Architekten Heinz Tesar ein. Die Ergebnisse: das Schömerhaus, eine evangelische Kirche und schließlich der fast idealtypische Museumsbau für die Sammlung Essl. Was Tesar auszeichnet, ist nicht allein sein Umgang mit gleicher- maßen praktikablen wie flexiblen Innenraumkonfigurationen, sondern vor allem jener mit dem Licht. Fenster, Fensterbänder, Luken – in Tesars Räumen hat man das Gefühl, in Lichtinseln zu baden. Ein anderes faszinierendes, weit weniger streng wirkendes Beispiel aus der Kunst sammelnden Privatwirtschaft ist die Österreichzentrale des Montageunterneh- mens Würth direkt an der Westautobahn in Böheimkirchen. Ernst Huss hat ein in jeder Hinsicht transparentes Ensemble geschaffen – durchlässig gegenüber der Land- schaft, durchlässig auch innen, wo Sichtverbindungen zwischen Kopf- und Hand- arbeiter/innen vielfach ermöglicht wurden. Den Fokus bildet die biomorphe Form des knallroten Ovals, in dem sich die Konferenzräume und der „Art Room Würth“ befin- Erwin Steinhauer als Polt vor dem Tonkino den. Guter Architektur gelinge es, stellte Reinhold Würth bei der Eröffnung 1999 fest, Großkadolz im fünften Teil der Krimiserie. seine Mitarbeiter/innen „optimistischer und leistungsbereiter“ zu machen. Eine Architektur zu entwickeln, die eine ganz spezielle Arbeitsweise wider- spiegelt, sah Coop Himmelb(l)au als Aufgabe für den 1995 erfolgten Umbau einer bestehenden Halle in ein Bürogebäude auf dem Gelände des Forschungszentrums Seibersdorf an. Der skulpturale Bau bietet denn auch im Inneren höchste Flexibilität: Da, wo hoch qualifizierte Wissenschaftler/innen zum Teil im Team, zum Teil aber auch konzentriert allein arbeiten, können Büros offen in einer Loftstruktur oder unterteilt in Zellen genutzt werden – eine Raumorganisation, die in jedem Fall die Kommunikation fördert. Szene aus dem Film „Revanche“ mit Ein wesentliches Thema auch beim Wohnbau sind mittlerweile Nach- Johannes Krisch und Ursula Strauss, 2008. Nicht allein das Land Nieder- haltigkeit, der pflegliche Umgang mit den Ressourcen, die Energieeffizienz also. Ob Bewegung, und die Kinematografie fing die Fahrt durch die Landschaft ein, vermittelte österreich als Auftraggeber, Passivhaus oder Niedrigenergiehaus: Sinnvoll ist beides, und sowohl im urbanen Geschwindigkeit, Umgebung, Fortbewegungsmittel. Man war von dem neuen Medium, sondern auch Gemeinden Umfeld als auch im ländlichen Raum stößt man immer wieder auf formensprachlich von seinen Möglichkeiten derart beeindruckt, dass die Südbahngesellschaft bereits in und private Bauherren wagen bemerkenswerte architektonische Solitäre. Martina Feirers Passivhaus in Wiener den 1910er-Jahren Spielfilme in Auftrag gab. 1914 entstand „Zwischen zwei Feuern – zunehmend den Sprung Neustadt etwa, das sie für sich und ihre Familie gebaut hat; die Villa Ho in Klosterneu- eine Komödie in zwei Akten auf dem Semmering“. Dahinter stand bereits das Wissen zu einer oft extravaganten burg, ein Niedrigenergiehaus des Architekten Zoran Bodrožić; Juri Troys „Haus unter um die Nützlichkeit des Mediums an sich, das hier „im Rahmen einer harmlosen Formensprache. den Eichen“ in Eichgraben – ein ganz aus Holz errichtetes Low-Budget-Passivhaus Handlung die stärkste und wirksamste Propaganda für den Semmering“ machte. Man von faszinierender Schlichtheit; oder das „Reblaus“ benannte Passivhaus in den Wein- war sich sicher, dass der Film an sich dem Fremdenverkehr dienen und „auf die bergen des Kamptals, das die ah3 Architekten aus Horn als Wohnhaus für einen Arzt österreichischen Kleinodien“ aufmerksam machen würde. Die Übung gelang nicht und seine Familie errichteten. nur damals, sie hält in vielerlei Hinsicht bis heute an. Zeitgenössische Architektur ist angekommen, sie wird wahrgenommen, nicht Ziehen wir etwa die Wachau als Beispiel heran, jene Landschaft, die man mehr als elitärer Fremdkörper verstanden, nur noch selten zwischen Geschmacks- sofort und eindeutig mit Niederösterreich verbindet. Bereits in der Stummfilmzeit fragen und Ideologien aufgerieben. Die öffentlich relevanteste aller Kunstformen wird diente sie öfter als Filmkulisse, Filmruhm jedoch erhielt sie 1947 mit „Der Hofrat in ihrer zeitgenössischen Ausprägung nicht länger als Bedrohung gesehen, sondern Geiger“, der kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus den Ruinen der Städte in immer öfter als eine Bereicherung von hoher Qualität. eine heitere Idylle entführte. Eine Traumlandschaft war geboren, und vom Trost für kriegsgeschädigte Österreicher/innen wandelte sich der mehrfach verfilmte Stoff zur gelungenen Fremdenverkehrswerbung. Die Wachau wurde 1955 zum Naturschutz- Film & Kino & Fernsehen gebiet, als Filmkulisse blieb sie weiterhin attraktiv: Drei Verfilmungen von Johann Nestroys „Lumpazivagabundus“ wurden hier realisiert (die letzte, 1965, übrigens mit Über das Filmland Niederösterreich ließe sich problemlos ein ganzes Buch schreiben. Helmut Qualtinger als Knierim), Franz Antel drehte einige seiner schlichten Komödien Darin würde alles vorkommen, was sich Cineast/innen einerseits, das Medium in der Wachau, und auch Ernst Marischka ließ seine junge „Sissi“ auf der Schiffsreise vielleicht nicht ganz so differenziert betrachtende Kinogeher und Liebhaber/innen nach Wien zu ihrem Zukünftigen fremdenverkehrswerbewirksam an Dürnstein epischer Fernsehserien andererseits erwarten: Autoren- und Experimentalfilme, vorübergleiten. Kassenschlager, feinfühlige und aufwühlende Dokumentationen, legendäre Schau- spieler/innen und talentierte Newcomer/innen, sämtliche berühmte und weniger Wandelbare Kulissen berühmte internationale Filmfestivals und sogar der populärste aller Filmpreise, Apropos Sissi, apropos Romy Schneider: Ein weiterer historischer Drehort in der Oscar. Kurz gesagt: Verortet man den Film in Niederösterreich, ergibt sich Niederösterreich, der sich als höchst wandelbare Kulisse für unterschiedliche Filme eine kaum erwartete Vielfalt, die historische Betrachtung führt indes zurück bis zu erwies, war Schloss Laxenburg. Anders aber als die Wachau, die immer sie selbst bleiben den Anfängen des Mediums. durfte, übernahm Laxenburg so manche Rolle – als englischer Schauplatz beispielswei- Wann genau die Pioniere begannen, Filme in Niederösterreich zu drehen, se in „Frau Dorothys Bekenntnis“ (1921 gedreht unter der Regie von Mihály Kertész, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Sicher ist, dass der erste Hauptdarsteller der als Michael Curtiz zwei Jahrzehnte später mit „Casablanca“ Filmgeschichte schrieb) niemand Geringerer war als Kaiser Franz Joseph, von dem es eine dokumentarische und in „Die Frau in Weiß“ (ebenfalls 1921), als ungenannter, nichtsdestotrotz aber Filmaufnahme aus dem Jahr 1906 gibt, und zwar anlässlich seines Besuchs in St. Pölten. Die historische Betrachtung idyllischer Prospekt für die Verfilmung von Schnitzlers „Liebelei“: „Christine“ hieß der Es folgten weitere Dokumentaraufnahmen des Kaisers, doch vor allem wurde das des Films in Niederösterreich Film, eine österreichisch-französische Koproduktion (1958). Zwischen Schlossteich und Land in Szene gesetzt: Niederösterreichs infrastrukturelle Erschließung durch führt zurück bis zu den entfaltete sich die tragische Liebesgeschichte eines Offiziers und einer die Eisenbahn führte zu beeindruckenden Filmdokumenten. Alles war plötzlich in Anfängen des Mediums. jungen Frau, dargestellt von Alain Delon und Romy Schneider. Der Tatsache, dass Romy

330 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 331 eine zweite berufliche Karriere präsentiert. Völlig anders, nämlich jenseits jeglichen Idylls, stellte sich das Weinviertel als Kulisse für „Indien“ dar: Zwischen Resopal- Tischen in heruntergekommenen Gasthäusern und der tristen, nur von futuristisch anmutenden Bohrtürmen unterbrochenen Weite des Marchfelds schleppten sich Alfred Dorfer und Josef Hader durch ein Roadmovie und kamen doch nie von der Stelle. Ein besonders beliebter Weinviertler Drehort ist die im späten 19. Jahrhundert von Johann Graf Wilczek ausgestaltete . Gedreht wurde hier für „Der letzte Tempelritter“ (2011, mit Nicolas Cage), die deutsch-kanadische Fernsehserie „Die Säulen der Erde“ (2009, mit Eddie Redmayne) sowie die vom US-amerikanischen Fernsehsender ABC produzierte Reality-Show „The Quest“. Auch das Waldviertel, dessen viel zitierter Mystik die Spannung fast schon inhärent ist, hat sich zur beliebten Filmlocation entwickelt. Götz Spielmanns „Re- vanche“ (2008, nominiert unter den besten nicht-englischsprachigen Filmen für den Oscar 2009) ist hier ebenso angesiedelt wie Veronika Franz’ und Severin Fialas Thriller „Ich seh Ich seh“, der zwischen Venedig und Bilbao, Moskau und Seattle bei nahezu 80 Filmfestivals gezeigt wurde. Im Norden des Waldviertels, in Eisgarn, Heidenreich- stein und Litschau, drehte David Schalko die Kult-TV-Serie „Braunschlag“ (2012), während die Wälder rund um den Ottensteiner Stausee für „Der Fall Wilhelm Reich“ (2012, mit Klaus Maria Brandauer) eine kostengünstige Alternative zum nordameri- kanischen Maine waren.

Leinwand-Experimente Die Filmwirtschaft hat, das zeigte sich wie erwähnt bereits 1914 am Semme- ring, nachhaltige Effekte auf den Tourismus (und damit auf die Wirtschaft des Landes), da sich aus kurzfristigen Impulsen ein langfristiger Imagegewinn ergeben kann. Niederösterreich begegnet dieser Tatsache mit einer gut organisierten Filmförderung auf mehreren Ebenen. Eine davon ist die Lower Austrian Film Commission, kurz LAFC. Diese Servicestelle bietet auf ihrer Website Filmschaffenden umfassende Datenbanken zu Drehorten, Dienstleistern und Zulieferern. Rege ist auch Niederösterreichs finanzielle Förderung von Filmprojekten, wobei man sich hier besonders auch um die Verwirklichung von Projekten im Feld der experimentellen Filmkunst verdient macht. Tatsächlich setzt das Land Nieder- österreich nach der Bundesfilmförderung und nach Wien das höchste Budget im Rahmen der künstlerischen Filmförderung ein und ist damit zweitgrößte Regional- förderstelle. Der aus Mistelbach stammende und in Enzersfeld lebende Peter Tscherkassky beispielsweise verwirklichte seinen mit zahlreichen Preisen geadelten Kurzfilm „Outer Space“ (1999) wie auch andere Projekte mithilfe der niederösterreichischen Filmförderung. Tscherkassky wurde in Venedig ausgezeichnet, mehrfach nach Cannes eingeladen und sorgte mit „Dream Work“ (2001), dem dritten Teil seiner Cinema- Scope-Trilogie, in Paris für Schlangen vor der Cinématèque française. Tscherkassky ist Obmann von Sixpack Film, dem 1990 gegründeten österreichischen Non-Profit-Film- verleih, der als Schnittstelle zwischen dem experimentellen Filmschaffen in Österreich und einer internationalen Öffentlichkeit erfolgreich operiert. Auch Sixpack Film wird vom Land Niederösterreich gefördert. Zur Filmkultur gehört die Kinokultur. Doch was in den Metropolen eine Selbstverständlichkeit ist – Programmkinos etwa –, wird in dezentralen Räumen zur Ein wichtiger Ort der Auseinandersetzung Herausforderung. Früher verfügte fast jedes Dorf über einen Kinosaal. Ein Struktur- mit Filmkultur ist das 2005 gegründete wandel, zunächst in den 1960er-, später in den 1980er-/1990er-Jahren, ließ sie langsam Kremser Kino im Kesselhaus. Sein namenge- bendes Erkennungszeichen ist der schlanke Schneider zum Mythos wurde und die reale Liaison zwischen ihr und Delon allgemein Der Tatsache, dass Romy verschwinden. Neue Konzepte wurden notwendig, die langsam griffen. Man bettete Schornstein des Kesselhauses, das einst bekannt war, verdankt Schloss Laxenburg bis heute eine gewisse filmische Präsenz – Schneider zum Mythos wurde Kino in größere Events, fügte gastronomische Angebote, Barbetriebe und DJ-Lines dazu – ein Teil der Austria Tabakwerke war. Das sowohl als Filmlocation als auch durch zahllose Reprisen von „Christine“ im Fernsehen. und die reale Liaison zwischen und hatte damit Erfolg. Ebenso erfolgreich etablierten sich engagierte Filmklubs, Filmprogramm ist vielfältig und reicht von Autorenkino über Kooperationen mit Betrachtet man die Filmlocations Niederösterreichs nach geografischen ihr und Delon allgemein die das Bedürfnis nach gehobener Filmkost stillten. Dazu zählen etwa das 2002 gegrün- regionalen und überregionalen Kultur- Kriterien, so finden sich mehr filmische Aufnahmen aus Niederösterreichs Süden bekannt war, verdankt Schloss dete Cinema Paradiso in St. Pölten, das 2006 unter 500 europäischen Programmkinos initiativen (darunter donaufestival, als aus dem Norden des Landes, dennoch wurden vor allem in den vergangenen vier Laxenburg bis heute eine den Europa Cinema Award in der Kategorie Best Young Audience Activities gewann. Glatt&Verkehrt, Vienna Independent Shorts) bis zu Blockbustern. Jahrzehnten Filmproduktionen vielfach zwischen Wald- und Weinviertel realisiert. gewisse filmische Präsenz. 2005 startete in Krems die Österreichische Filmgalerie, die das Kino im Kesselhaus 1977 etwa reisten Maximilian Schell, James Coburn und James Mason am Waldviertler bespielt und dabei eine höchst niveauvolle Programmierung verfolgt. Im Jahr darauf Truppenübungsplatz Allentsteig an, um dort das Kriegsdrama „Steiner – Das Eiserne wurde das Sommerkino Niederösterreich ins Leben gerufen, das an über 20 Spiel- Kreuz“ zu drehen. Im selben Jahr bezog eine weitere Filmcrew – u. a. mit Elizabeth orten nicht nur Blockbuster präsentiert, sondern auch hochwertiges Autoren- und Taylor und Diana Rigg – Schloss Schönborn für „Das Lächeln einer Sommernacht“. Experimentalkino. Niederösterreichs Norden, martialisch für „Steiner“, vor allem aber malerisch Zu guter Letzt werden in Niederösterreich mittlerweile auch hochkarätige und mystisch, ist dank seiner unterschiedlichen Landschaften als Filmkulisse Filmfestivals organisiert, darunter das Kurzfilmfestival Shortynale in Klosterneuburg, geradezu prädestiniert. Das Weinviertel z. B., das in den Verfilmungen von Alfred dessen Jury unter anderem Stefan Ruzowitzky, Ulrich Seidl und Karl Markovics Komareks „Polt“-Romanen (1998–2009) eine Hauptrolle spielt. Oder Retz, das sich in angehörten, und das Internationale FRONTALE Filmfestival in Wiener Neustadt, der Fernsehserie „Julia – eine ungewöhnliche Frau“ (1998–2003) seiner Hauptdar- das seine Lebensfähigkeit bereits seit über fünf Jahren beweist. stellerin Christiane Hörbiger als attraktiver Ort für einen persönlichen Neubeginn und

332 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 333 Die großen Ausstellungen trotz allem zögerlichen und wenig glanzvollen Politik wegen gefallen lassen) als eine Art patriotische Identifikationsfigur: Friedrich III. war der Erfinder des rätselhaften Die Dekade, in der diese Zu den wichtigsten Kulturfaktoren Niederösterreichs zählen die Landesausstellungen. Wahlspruchs AEIOU, trug als erster Habsburger die Kaiserkrone, ebnete den Weg Landesausstellungen statt- Erste kulturgeschichtliche Großausstellungen gab es bereits ab 1951, noch während zum großdynastischen Aufstieg der Habsburger und ihres Reichs, und er war es fanden, war eine Zeit des der Besatzungszeit. „Der Kremser Schmidt“ lautete schlicht der Titel einer Schau, gewesen, der die Heiligsprechung von Leopold III., Niederösterreichs Landespatron, gesellschaftlichen Umbruchs, die die Stadt Krems veranstaltete. Sie gab im Wesentlichen einen Überblick über Leben, erwirken konnte. in dem konservative und Wirken und Werk dieses außerordentlichen niederösterreichischen Malers des Spät- Für die nächsten vier Landesausstellungen wechselten sich kunsthistorische progressive Konzepte barock. Die erste vom Land selbst organisierte kulturelle Großausstellung, und damit mit geschichtlichen Themen ab, die alle eines gemeinsam hatten: Sie reichten weit oft schmerzlich aufeinander- die erste offiziell als „echte“ Landesausstellung betrachtete, hieß „Jakob Prandtauer zurück in der Zeit und hatten mit aktuellen sozialen und politischen Problemen nichts prallten. und sein Kunstkreis“ und wurde 1960 in Stift Melk gezeigt. Ihr Kurator Rupert Feucht- zu tun. Auf Friedrich III. folgten unter anderem „Gotik in Österreich“ (Krems 1967), müller galt in der Folge als Mitbegründer und Motor der Landesausstellungen, was „Renaissance in Österreich“ (Schallaburg 1974) und „Groteskes Barock“ (Stift Altenburg insofern seine Richtigkeit hat, als der engagierte Kunsthistoriker nicht nur zwei der 1975) sowie „Die Römer an der Donau“ (Schloss Petronell 1973). vorangegangenen Schauen organisiert hatte, sondern bis 1975 auch die größtenteils in biennalem Abstand folgenden. Die Zeit, in der diese Landesausstellungen stattfanden, Neue Blicke in die Vergangenheit war eine des gesellschaftlichen Umbruchs, in dem konservative und progressive Als die Geschichtswissenschaft begann, sich von der reinen Herrschaftsge- Konzepte oft schmerzlich aufeinanderprallten. So ist es wenig verwunderlich, dass schichte weg- und zu einer Alltags- und Sozialgeschichte hinzuentwickeln, veränderte man vorwiegend dabei blieb, das Kunst- und Kulturland Niederösterreich möglichst dieser Paradigmenwechsel auch die Ausrichtung der Landesausstellungen. Da die friktionsfrei über seine Kunstgeschichte zu präsentieren: Auf Prandtauer folgten Kuratoren konzeptionell einen stark wissenschaftlichen Anspruch stellten (wobei das thematisch Friedrich Gauermann (Gutenstein und Miesenbach 1962), Paul Troger Ergebnis natürlich publikumstauglich aufbereitet wurde), folgte man diesem Trend. (Altenburg 1963) oder Ferdinand Georg Waldmüller (Hinterbrühl 1965). Abzulesen ist das beispielsweise an der zweiteiligen Landesausstellung „Das Zeit- Im Jahr 1966 begann man vorsichtig, Abwechslung in die reinen Kunstschau- alter Kaiser Franz Josephs“ (Schloss Grafenegg; Teil 1: 1984, Teil 2: 1987), bei der die en zu bringen und mit historischen Ausstellungen zu reüssieren. „Friedrich III.“ (wenn- Kuratoren Harry Kühnel und Adam Wandruszka versuchten, ein Hauptaugenmerk gleich in der Hauptsache von kunsthistorischen Objekten dominiert) war die erste auf das Zeitkolorit zu legen. Das äußerte sich in den beiden Schauen insofern, als man Landesausstellung, in deren Mittelpunkt ein politisch-historisches Thema stand. in authentisch eingerichteten Räumen vom Alltag der Handwerker, Beamten und Als die Geschichtswissenschaft Dass gerade dieser habsburgische Monarch gewählt wurde, hatte damals gute kultur- auch Schüler erzählte. begann, sich von der reinen politische Gründe, wie Regina Wonisch analysierte: Elf Jahre nach dem Abzug der Ansonsten blieb man der österreichischen Aristokratie treu und zeigte Herrschaftsgeschichte zu einer Alliierten war man auf der Suche nach einer nationalen Identität, wollte den Begriff „1000 Jahre Babenberger in Österreich“ (Stift Lilienfeld 1976), „Die Zeit der frühen Alltags- und Sozialgeschichte „national“ jedoch unter allen Umständen vermeiden, da er nach wie vor zu negativ Habsburger“ (Wiener Neustadt 1979), „Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II.“ zu entwickeln, veränderte besetzt war. Diese Figur aus der Frühzeit Österreichs zu wählen, war – nach damaliger Die Niederösterreichischen Landes- (Stift Melk 1980), „Prinz Eugen und das barocke Österreich“ (Schloss Hof und Schloss ausstellungen sind seit den frühen dieser Paradigmenwechsel Betrachtungsweise – einerseits unverfänglich, andererseits eignete sich „des Heiligen 1960er-Jahren einer der wesentlichsten Niederweiden 1986) oder „Adel im Wandel: Politik, Kultur, Konfession 1500–1700“ auch die Landesausstellungen. Römischen Reiches Erzschlafmütze“ (das spöttische Attribut musste er sich seiner Kulturfaktoren des Landes. An ihren (Schloss Rosenburg 1990). Abgesehen davon, dass man mit „Die Kuenringer – das Sujets lässt sich die Entwicklung gebrauchsgrafischer Plakatkunst ablesen.

334 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 335 Im Jahr 1989 fiel der „Eiserne Werden des Landes Niederösterreich“ (Stift Zwettl 1981) und „Der hl. Leopold – Landes- Vorhang“, 20 Jahre später fand fürst und Staatssymbol“ (Stift Klosterneuburg 1985) dezidiert auf das Land rekurrierte, anlässlich dieses Jubiläums probte man auch grenzüberschreitende Ansätze, die in der ansonsten so intensiven die erste Niederösterreichische Konzentration auf Österreichs Geschichte fast ein wenig untergingen: „800 Jahre Landesausstellung statt, die Franz von Assisi“ (Krems 1982) und „Peru durch die Jahrtausende“ (Schallaburg 1983). über die Grenzen hinausging. Der dominierende Trend, sich bei den Landesausstellungen gesamtstaatlicher Themen anzunehmen, führte zum Erfolg. Die Besucherzahlen stiegen: Ein erster Höhepunkt war mit einer halben Million bei der Babenberger-Schau 1976 erreicht, jene über die Kuenringer sahen 400.000 Interessierte, die beiden Ausstellungen zur Epoche Kaiser Franz Josephs I. mehr als 600.000. Der Grund für diesen anhaltenden Erfolg dürfte nicht zuletzt darin zu finden sein, dass die Landesausstellungen die einzige Möglichkeit schienen, große historische Bögen vermittelt zu bekommen. Unterstützt wird diese These nicht zuletzt durch die Tatsache, dass im Gefolge der niederösterrei- chischen Schauen auch in Wien historische Großausstellungen mit einigem Erfolg veranstaltet wurden. Was die Niederösterreichischen Landesausstellungen ab den späten 1980er- Jahren im Besonderen auszeichnete, war ein interdisziplinärer Ansatz, mit dem man nun über die wissenschaftliche Abgrenzung – Geschichte, Kunstgeschichte – hin- ausging und ganze Regionen oder Themenbereiche erfasste, die mit einer Region unmittelbar in Zusammenhang standen. Der Historiker Roman Sandgruber widmete sich der Industrialisierung („Magie der Industrie“, Pottenstein 1989), Elisabeth Vavra Gender- und Familienthemen („Familie – Ideal und Realität“, Schloss Riegersburg 1993; „aufmüpfig & angepasst – Frauenleben in Österreich“, Schloss Kirchstetten 1998), Wolfgang Kos nahm den Tourismus durchaus kritisch unter die Lupe („Die Eroberung der Landschaft – Semmering, Rax, Schneeberg“, Schloss Gloggnitz 1992) und der Thea- terwissenschaftler Wolfgang Greisenegger befasste sich im Hoheitsgebiet der Fest- spiele Reichenau mit dem weiten Themenbereich „Theaterwelt, Welttheater“ (2003). Im Jahr 1989 fiel der „Eiserne Vorhang“, 20 Jahre später fand anlässlich dieses Jubiläums die erste Niederösterreichische Landesausstellung statt, die über die Grenzen hinausging. „Österreich. Tschechien. geteilt – getrennt – vereint“ hatte „Jubel & Elend“ hieß die Ausstellung über sich das Ziel gesteckt, die wechselhafte Geschichte beider Länder von der Epoche der den Ersten Weltkrieg, die 2014 auf der Donaumonarchie bis in die Gegenwart darzustellen. Dass die Schauen an mehreren Schallaburg gezeigt wurde – sie war eines der umfassendsten Projekte zum Thema Ausstellungsorten stattfanden, kannte man bereits, doch 2009 lag mit dem tschechi- in Europa. schen Telč zum allerersten Mal einer außerhalb der Staatsgrenzen. Einen Schwerpunkt

Zeitenwende In zwei Jahrzehnten ist in Niederösterreich ein kultur- und Altenburg. Der 1986 gefasste Beschluss über die Er- politisches Modell entstanden und umgesetzt worden, hebung St. Pöltens zur Landeshauptstadt als exponierter Joachim Rössl Auf der mentalen Landkarte der Republik ist Nieder- Johannes Spalt, Johann Fruhmann, Christa Hauer, das europaweit als innovativ und einmalig zu bewerten politischer Akt und das 1988 erstmals stattfindende österreich als historisches Kern- und konservatives Erich Steininger, Albert Drach, Jeannie Ebner, Alois ist, wie im Schlussbericht der Enquete-Kommission donaufestival als ebenso künstlerische wie intellektuelle Agrarland, summiert als Klösterreich, verortet: Vogel, Erika Mitterer u. v. a. Sie haben jenen Boden „Kultur“ des Deutschen Bundestages bereits 2007 festge- Zeichensetzung haben das vorhandene Veränderungs- traditionsbewusst, schwarz, klerikal. bereitet, der ein Ereignis des Jahres 1984 zum Aus- stellt wurde. Am Anfang standen Persönlichkeiten potenzial wesentlich gewichtet. In St. Pölten ent- gangspunkt einer völlig neuen Kulturpolitik machen wie Wolfgang Hilger, der von 1978 bis 1985 den Sach- stand ein von namhaften Architekten (Hans Hollein, Kulturpolitischer Ausfluss sind seit 55 Jahren die das sollte: Die für die Sparte Bildende Kunst bestellte bereich Bildende Kunst auf der Höhe der Zeit führte, Klaus Kada, Paul Katzberger/Karin Bily, Michael Landesbewusstsein stärkenden Landesausstellungen, Jury (Adolf Frohner, Gerd Linke, Werner Rischanek, und Georg Schmitz, der ab 1984 als Leiter der Kulturab- Loudon) gestalteter Kulturbezirk, landesweit wurden deren inhaltliche Gesten stets mit der Sanierung be- Sigi Schenk, Hermann Walenta) nominierte einstimmig teilung mit seiner offenen Haltung die kulturpolitische „Bau(t)en für die Künste“ (Dokumentation: Springer deutender Baudenkmale einhergehen. Für das größte Hermann Nitsch für den Würdigungspreis des Landes Linie allmählich änderte. Verlag 2010) mit den Brennpunkten Krems und Grafen- Bundesland hat sich diese lange Zeit einzige wesentliche Niederösterreich. Kultursenat und Landesregierung Mit der Eröffnung der Blau-Gelben Galerie in der egg errichtet. Inhaltlich wurde mit dem von Wolfgang Kulturaktivität sowohl regional als auch international ignorierten jedoch die Empfehlung des Fachgremiums, Wiener Herrengasse am 19. November 1985 erhielt die Denk initiierten und realisierten Ausstellungsformat als erfolgreich und dienlich erwiesen. der Preis wurde nicht an Nitsch vergeben. Die Folge zeitgenössische Kunst die entscheidende Präsentations- „Balance.akte“, das 1988 im Rahmen des donaufestivals Eine ähnlich lange Tradition hat das Theaterfest war eine heftige Grundsatzdiskussion, die über fläche für die kommenden Jahre. Als die Galerie am erstmals umgesetzt wurde, ein überregionaler Beitrag Niederösterreich (ehemals Theatersommer), das die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit fand und 6. Dezember 1996 an diesem Standort schloss, waren geleistet. Daraus erwuchs eine ebenfalls von Denk bis heute dezentral im ganzen Land stattfindet; zumeist die Einschätzung der Bedeutung von Kunst für die mehr als 120 Künstler/innen präsentiert worden. Bei konzipierte Auslandspräsentation, die ab dem Sommer agieren Gemeinden als Partner vor Ort und das Land Politik nachhaltig veränderte. einer Pressekonferenz am 1. Juli 1986 initiierte die 1989 in Prag, Laibach, Belgrad, Skopje, Bratislava, unterstützt. In Fortsetzung der Sommerfrische des Im Jahr 2004 votierte der mit Martin Anibas, nunmehr für zeitgenössische Kunst zuständige Landes- Krakau, Erfurt und Brünn Station machte. In Zeiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts findet die oft leichte Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Helga Cmelka, rätin Liese Prokop in der Blau-Gelben Galerie den bis europäischen Wandels war Niederösterreich mit dieser Muse nach wie vor ihr Publikum. Susanne Neuburger und Helmut Swoboda besetzte heute so erfolgreichen Bereich Kunst im öffentlichen Initiative Avantgarde. Im Hintergrund dieser so befriedet wirkenden Fachbeirat abermals für die Auszeichnung von Raum und die Idee für das donaufestival. Prokop prägte Im Jahr 1989 begann man auch Überlegungen zur Kulturlandschaft, in der die verändernden Kräfte Hermann Nitsch. In einem positiven medialen Umfeld im folgenden Jahrzehnt die Kulturpolitik des Landes Errichtung einer Kunsthalle in Krems anzustellen. Land, der Kunst nicht zu wirken schienen, arbeiteten aber und lediglich gegen die politische Agitation der mit ihrer weltoffenen, sehr persönlichen Haltung. Die Stadt und Wolfgang Denk trieben das Projekt voran, immer schon Kreative von besonderer Qualität: Egon Freiheitlichen Partei wurde der Würdigungspreis Blau-Gelbe Galerie erlangte Präsenz im ganzen Land: sodass die NÖ Landesregierung am 18. Dezember 1990 Schiele, Oskar Kokoschka, Franz Kafka, Maximilian von Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll an den damals Viertelsgalerien entstanden in Mistelbach, Zwettl einen ersten Finanzierungsbeschluss für die Adaptie- Melcher, Ferdinand Stransky, Adolf Frohner, Rudolf 66-jährigen Künstler vergeben. und Weistrach, weitere Ausstellungsorte waren Otten- rung und Errichtung des Objektes Steiner Landstraße 8 Schwarzkogler, Gottfried von Einem, Otto M. Zykan, stein, Horn, Krems, Bad Pirawarth, Grafenegg, Baden fassen konnte. Ein Jahr später, am 7. Dezember 1991,

336 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 337 Für die Landesausstellungen bildete die Sozialgeschichte: Dazu wurde eine Sammelaktion initiiert, bei der Fotos, werden historische Bauten Dokumente und interessante Gegenstände zusammengetragen wurden, die vor von Grund auf saniert allem den Alltag in der Zeit zwischen 1945 und 1989 verdeutlichen sollten. Mehr als und nachhaltige Investitionen 1.000 Exponate kamen zusammen, darunter der Reisepass einer Tschechin mit einem in die Infrastruktur teils vom damaligen österreichischen Botschafter in Prag, Rudolf Kirchschläger, ausgestell- abgelegener Regionen getätigt. ten Visum. Ein solcher Sichtvermerk erlaubte nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zehntausenden Tschechen die Einreise in Österreich. Kirchschläger hatte sie entgegen der Weisung des Außenministeriums erteilt.

Anhaltend wirksam Zweifellos sind es diese bei den Landesausstellungen zu entdeckenden Kost- barkeiten, die ihre Attraktivität ausmachen. Es ist aber auch die Tatsache, dass zahl- reiche historisch relevante Bauten im Zuge ihrer Bereitstellung für eine Landesausstel- lung nicht nur adaptiert, sondern nachhaltig saniert werden. Dazu kommt der Ausbau von Infrastruktur in zum Teil eher abgelegenen Regionen. Für die Schau von 2009 etwa wurden in Raabs an der Thaya der ehemalige Pfarrhof – der Lindenhof – und der Schüttkasten renoviert. Man investierte gut sechs Millionen Euro, die sich insofern rentierten, als beide Bauten auch nach der Landesausstellung genutzt werden: der Schüttkasten als Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum, der Lindenhof als Zweig- stelle des Ludwig-Boltzmann-Instituts. Für „Brot und Wein“ (Weinviertel 2013) wurde das Urgeschichtemuseum in Asparn an der Zaya zum Kompetenzzentrum für Früh- geschichte ausgebaut; im Zuge von „ÖTSCHER:REICH. Die Alpen und wir“ (Mostviertel 2015) entstand das Naturparkzentrum Ötscher-Basis in Wienerbruck, wurde das Töp- perschloss in Neubruck saniert und das neu errichtete Betriebszentrum der Mariazel- lerbahn in Frankenfels-Laubenbachmühle zum Ausstellungsstandort umfunktioniert. Und nochmals zurück in das Jahr 2009: Angesichts einer Steigerung der Nächtigungs- zahlen im Raum Horn um gut 60 Prozent liegen auch die Vorteile für den regionalen Tourismus auf der Hand. Dass die Landesausstellungen ein willkommenes Surplus für die Regional- wirtschaft sind, bleibt unbestritten. Dafür jedoch ist ein nachhaltiges Konzept wichtig. „ÖTSCHER:REICH. Die Alpen und wir“ In den 1990er-Jahren kamen die Landesausstellungen unter Druck. Zahlreiche lautete der Titel der Niederösterreichi- neue Ausstellungshäuser und Museen traten als Konkurrenten auf. Die Nachnutzung schen Landesausstellung 2015. Ein Schauplatz war das Töpperschloss in der Ausstellungsorte war wiederholt eine große Herausforderung. Seit den 2000er- Neubruck bei Scheibbs. Jahren versucht man daher einen neuen Weg, wie etwa das Beispiel Heldenberg zeigt.

errichteten die Gesellschafter Landes-Hypotheken- – damals noch in der vagen Hoffnung auf Realisierung zur öffentlichen Diskussion gebracht. Die Befassung mündete am 19. Juni 1999 in die Gründung der gemein- bank Niederösterreich, Stadt Krems, Erste NÖ Brand- des Guggenheim-Salzburg-Projektes – wohl kaum des Landtages erfolgte im Jänner 2000. Fast alle darin nützigen NÖ Kulturwirtschaft GesmbH. (NÖKU), schaden Versicherungsgesellschaft, Franz Wittmann erkennen: Niederösterreich stand kurz vor dem genannten Vorhaben wurden umgesetzt: Artothek, die deutlich mit Holdingkompetenzen versehen wurde. Möbelwerkstätten Gesellschaft m.b.H. und Mierka Anfang einer Ära der neuen, expansiven Kulturpolitik, kulturelle Regionalisierung, mehrjährige Förderverträge, Wie richtig dieser Schritt war, zeigt das erfolgreiche Donauhafen Krems Gesellschaft m.b.H. & Co. KG die die zwischen 1992 (41,5 Mio. Euro) und 2010 (137 Mio. Polyzentrismus, Controlling/Consulting, New Public Wirken der NÖKU mit ihren zahlreichen Tochtergesell- Kunsthalle Krems Betriebsgesellschaft m.b.H. Von Euro) die Budgetmittel mehr als verdreifachen sollte. Management, Viertelfestival, Literaturhaus, Kultur- schaften in unterschiedlichsten kulturellen Feldern. 7. Juni bis 2. August 1992 wurden im noch nicht reno- Sie begann mit Erwin Pröll, der im Herbst 1992 vernetzungsstellen, NÖ Kulturwirtschaft GmbH etc. Derart organisiert können die Jahre ab 2000 wohl vierten Haus die „Balance.akte 92 – AnZeichen“ präsen- zum Landeshauptmann gewählt wurde. Er übernahm Am 20. Mai 1995 fand die Eröffnung der von Adolf als Zeit besonderer Qualität beschrieben werden. tiert und im Rahmen dieser Ausstellung die Ergebnisse im Kulturbereich die Kompetenzen seines Vorgängers. Krischanitz gestalteten Kunsthalle Krems statt. Werner Zahlreiche Projekte wurden baulich, inhaltlich und des Architektenwettbewerbes (Krischanitz, Podrecca, Politischer Mut, soziale Intelligenz und eine von Hofmann kuratierte zu diesem Anlass die Ausstellung wirtschaftlich realisiert: Karikaturmuseum Krems, Gschwandtner, Kneissl, Manikas, PAU/HOF) vorgestellt, Neugierde geprägte Offenheit ließen Pröll neue Wege „Wasser und Wein. Die Dinge des Lebens“, die auch Artothek, Archiv der Zeitgenossen, Klangraum Krems, aus dem Adolf Krischanitz als Erstgereihter einstimmig gehen und rasch die Wertschätzung der Kunst- die Minoritenkirche einbezog. Im Folgejahr präsentierte nitsch museum Mistelbach, Musikzentrum Grafenegg, hervorging. In der als Ausstellungsraum der Kunst- und Kulturschaffenden gewinnen. Oft fand man sich Johannes Gachnang „Chaos, Wahnsinn – Permutatio- forum frohner Krems, Archäologischer Park Carnun- halle fungierenden mittelalterlichen Minoritenkirche auf einer gemeinsamen emotionalen Ebene. nen der zeitgenössischen Kunst“. „In kürzester Zeit hat tum, Depot Hainburg, Arnulf Rainer Museum Baden, wurde vom 21. Juni bis zum 3. Oktober „Das andere Sehr rasch setzten die Vorarbeiten für ein neues, das Haus mit Architektur und Programm internationale Ausbau des Ur- und Frühgeschichtemuseums Asparn an Mittelalter“ gezeigt, ehe ebendort vom 6. bis 8. Novem- zeitgemäßes Kulturförderungsgesetz ein, das in elf Anerkennung gefunden“ („Neue Zürcher Zeitung“, der Zaya, Kunstdepot St. Pölten, Volkskulturzentrum ber das Jahresprogramm mit dem Musiker La Monte öffentlichen Veranstaltungen unter dem Titel „Kultur- 19. Mai 1995). Niedersulz, Übernahme des Stadttheaters Baden, Young und der Lichtkünstlerin Marian Zazeela einen positionen“ (7. Oktober 1991 bis 27. November 1993) Der Beschluss über eine eigene Landeshauptstadt Etablierung des Landestheaters St. Pölten, Haus der spektakulären Abschluss fand. mit Kulturschaffenden inhaltlich erarbeitet wurde. Der St. Pölten hatte viele Konsequenzen, deren grund- Regionen Krems, Revitalisierung der Gozzoburg. Durchgehend positive Pressemeldungen bestätigten Kultursenat beriet den Gesetzesentwurf am 21. April sätzlichste die Notwendigkeit, aber auch die Chance für In Realisierung befinden sich das Haus der Geschichte die von Internationalität und Qualität getragene Pro- 1994 eingehend, innerhalb des allgemeinen Begutach- Veränderung, Erneuerung und letztlich Neupositionie- Niederösterreich in St. Pölten und die Landesgalerie grammatik. tungsverfahrens wurden auch die Teilnehmer/innen der rung war. Lange anstehende strukturelle Probleme Niederösterreich in Krems. Im Sommer 1992 führte Liese Prokop über Vermitt- „Kulturpositionen“ zu einer Stellungnahme eingeladen. mussten in Abstimmung mit wesentlichen Bauentschei- In den 1990er-Jahren fand Kulturpolitik in Wien lung von Agnes Husslein mit Thomas Krens, Direktor Im Zuge des Landtagsbeschlusses am 25. April 1996 dungen (Festspielhaus, Landesarchiv, Landesbibliothek, statt: Kulturstadträtin Ursula Pasterk sprach vom des Guggenheim-Museums in New York, ein Gespräch forderten die Abgeordneten ein Landeskulturkonzept. Landesmuseum) gelöst werden. Die Dringlichkeit Ideologie-Ressort Kultur und Kunstminister Rudolf über Kooperationsmöglichkeiten mit dem Land Nieder- Der dazu erarbeitete Entwurf wurde am 17. Dezember neuer Organisationsstrukturen war evident. Als Modell Scholten gewann erfolgreich Sympathien in der Welt österreich. Welches „window of opportunity“ sich in 1997 an 1.355 Adressaten zur Stellungnahme versandt diente die seit Jahren erfolgreich laufende Kunsthalle der Kunst und Kultur. Im politischen Alltag der Folge- diesem Moment auftat, konnte der Gesprächspartner und zwei Monate später im Festspielhaus St. Pölten Krems Ges.m.b.H. Die ab 1998 geführte Diskussion zeit als Nischenthema bewertet, findet Kulturpolitik

338 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 339 Dieser schien nach der Landesausstellung 2005 wieder massiv an Besucher/innen zu Studie „Ehrenamtliche Tätigkeit für Kunst und Kultur in Niederösterreich“ verlieren, bis man das Museum ab 2010 neu aufstellte und mit einem Oldtimer- Freiwillig tätige Personen besitzen laut Bindung“ kommt mit 84,8 Prozent der Von geringerer Bedeutung (55,7 Prozent) mensschichten. Knapp zwei Drittel haben museum sowie dem „Urlaubsdomizil“ der Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule Studie einen sehr hohen Grad an sozialem Personen die zweitgrößte Bedeutung für erweisen sich Motive, die zur Selbster- Matura oder einen höheren Bildungsab- kombinierte. Bewusstsein und möchten mit ihrem ehrenamtliche Tätigkeit zu. „Lernen und fahrung und Selbstwerterhöhung führen. schluss. Das Haushalts-Nettoeinkommen Engagement soziale Verantwortung Kompetenzerwerb“ geben 80,1 Prozent Ehrenamtlich tätige Personen im Kunst- ist überdurchschnittlich hoch (bei etwa Von gerade einmal 30.000 steigerte man sich auf heute jährlich wieder übernehmen. Diese Motivdimension trifft der Befragten an. Es dient dazu, „die und Kulturbereich sind zumeist berufs- 64 Prozent: 2.000 Euro/Monat oder mehr). gut über 100.000 Besucher/innen. Inzwischen wird bei Planungen von Landes- mit 87,3 Prozent für die meisten Be- eigene Lebenserfahrung zu erweitern“ tätig (etwa 67 Prozent) und rekrutieren ausstellungen der Nachnutzung mindestens so viel Bedeutung eingeräumt wie der fragten zu. Dem Wunsch nach „sozialer und „um etwas dazulernen zu können“. sich aus höheren Bildungs- und Einkom- eigentlichen Veranstaltung. Das Konzept, nicht allein große Schauen zu veranstalten, sondern durch – im weitesten Sinn – interaktive Angebote das Publikum an die Substanz der gewählten = eine Kalenderwoche = 1.000 ehrenamtlich tätige Personen Themen heranzuführen, verfolgen auch die Ausstellungen auf der Schallaburg. Y Seit 1967 steht das Renaissanceschloss Schallaburg im Besitz des Landes KW 1 KW 2 KW 3 KW 4 KW 5 KW 6 KW 7 Niederösterreich, seit 1974 ist es ein zentraler Ausstellungsort. Nach einer Generalsa- nierung unmittelbar nach dem Kauf wird das Schloss Stück für Stück instandgehalten In Niederösterreich sind und so nachhaltig wie möglich saniert. Im Zentrum aber stehen natürlich die großen Ausstellungen, die die bedeutenden Kulturen der Welt ebenso in den Mittel- punkt rücken wie bestimmte Epochen. Dabei gibt man sich mit der bloßen Ausstellung von Objekten nicht zufrieden, sondern versucht durch Zusatzprogramme die Gäste Personen in mindestens einem Kulturverein ehrenamtlich tätig. KW77.863 8 KW 9 KW 10 KW 11 KW 12 KW 13 KW 14 einzubinden. Geschichten und Geschichte, so das Mission Statement der Schallaburg, Davon sind 41 Prozent Frauen im Durchschnittsalter von 43 sollen auf diese Weise begreifbar und durch die Exponate verortet werden. und 59 Prozent Männer im Durchschnittsalter von 50 Jahren. Große Ausstellungen partizipativ zu gestalten bedeutet im Wesentlichen, dass der Kulturraum zum Begegnungsraum wird, dass statt Konfrontation mit Exponaten ein Dialog zu den behandelten Themen in Gang gebracht wird. Das geschieht beispielsweise mit begleitenden Vermittlungsangeboten wie etwa dem Konfliktlabor im Rahmen von „Jubel & Elend. Leben mit dem Großen Krieg 1914–1918“, wo Besucher/innen jeden Alters die Hintergründe von Eskalationsmustern kennenler- KW 15 KW 16 KW 17 KW 18 KW 19 KW 20 KW 21 nen und erleben konnten, oder in den Debattenräumen, die die Diskussionskultur der 70er bei der gleichnamigen Schau 2016 aufleben ließen. Es bedeutet auch, Work- YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYY Chöre und Vokalensembles (Volkskultur) shops zu veranstalten oder Schulen einzuladen, an Projektarbeiten mitzuwirken. Kurz gesagt heißt es in jedem Fall, die herkömmlichen Grenzen musealer Darstellungs- YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYY Volkstanzgruppen formen aufzubrechen. YYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YY Blasmusikvereine KW 22 KW 23 KW 24 KW 25 KW 26 KW 27 KW 28 YYYYYYYYYY YYYY Kulturvereine, Kulturinitiativen, Festivals, Jugendkultur YYYYYYYYYY YYYY Theatervereine YYY Museen, Museumsvereine auf Bundesebene seit Jahren keinen Raum. Das von Empathie getragene Kulturpolitik führt KW 29 KWYY Musikschulen,30 Eltern-KW bzw. 31 Fördervereine derKW Musikschulen 32 KW 33 KW 34 KW 35 entstandene Vakuum nützen Kulturmanager/innen mit allen Kreativen ein kontinuierliches Gespräch unterschiedlichster Qualitäten zur oft peinlichen auf Augenhöhe. Innovation und Kreativität YBibliotheken, Büchereien persönlichen Profilierung. In Niederösterreich ist ein beleben alle Felder gesellschaftlichen Lebens. Denkmalpflege | Archive, Heimatforschung | Bildende Kunst anderer Weg beschritten worden: Eine engagierte, Y = 114.841 beobachtete Fälle von ehrenamtlichen Tätigkeiten, da jede zweite Person in einem weiteren Kulturverein ehrenamtlich aktiv ist.

Kunst- und Kultur-Förderungen seit 1971 In Millionen Euro KW 36 KW 37 KW 3 KW 39 KW 40 KW 41 KW 42 Seit den 1970er-Jahren wurde das Gemessen am Gesamtbudget des Landes Kulturbudget des Landes Nieder- Niederösterreich macht das Kultur- österreich kontinuierlich erhöht. Die budget ca. 1,5 Prozent aus. Die meisten Verwendung der Fördermittel Förderungen fließen in die Bereiche 122,41 leisten wird jährlich in einem Kulturbericht Musik und Musikschulen, Darstellende 2016 463.000 und auf der Homepage des Landes Kunst sowie in den vergangenen Jahren Niederösterreich veröffentlicht. zunehmend in Museen und Ausstellungen. 111,00 Arbeitsstunden/Woche 83,82 2011 KW 43 KW 44 KW 45 KW 46 KW 47 KW 48 KW 49 2006 51,47 45,17 2001 33,24 1996 15,91 1991 KW 50 KW 51 KW 52 12,00 1986

7,68 1981 1976 3,18 24.000.000 1971 Arbeitsstunden/Jahr

340 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 341 Ein Streifzug durch das Land der Städte

Was Kunst und Kultur Wie groß muss eine Stadt sein, wie viele Einwohner/innen muss sie zählen, damit betrifft, gibt es in Wiener man sie mit dem Begriff „Urbanität“ assoziiert? „Städte“, schrieb der Kunsthistoriker Neustadt eine bemerkens- Rainer Metzger, „verkörpern die Maximalisierung des Lebens. In Städten entstehen werte Infrastruktur. die Trends, die Moden, die Stile und die Konzepte der Veränderung.“ Und darüber hinaus, könnte man den Gedanken weiterführen, verfügen Städte über ein unver- gleichlich dichteres kulturelles Angebot als der ländliche Raum. Doch nichts lässt sich generalisieren, zumal zu Niederösterreich einerseits immerhin 80 Städte (auch sehr kleine) gehören und andererseits Kunst und Kultur im Land einigermaßen flächen- deckend auftreten. Akkumulierungen sind dennoch an einigen Orten festzumachen. Wiener Neustadt z. B. Die Stadt am südlichen Saum des Landes, die Standort der Niederösterreichischen Landesausstellung 2019 ist, steht ein wenig im Schatten St. Pöltens, positioniert sich dafür aber als hoch qualifizierter Technologie- und Wissenschaftsstandort. Was Kunst und Kultur betrifft, gibt es dessen ungeachtet eine bemerkenswerte Infrastruktur. St. Peter an der Sperr z. B., der aus Kloster und Kirche bestehende ehemalige Baukomplex der Dominikanerinnen, beherbergt nicht nur ein höchst interessantes Museum, das die oft tragische Geschichte Wiener Neustadts detailreich abbildet. Die gleichnamige Kirche mit ihrem für Österreich solitären spätgotischen Südportal ist ein atmosphärisch überaus beeindruckender Ausstellungsraum geworden. Bestechend ist die Schlichtheit, mit der dieser Raum adaptiert wurde: Wilhelm Zotti sanierte die Kirche bereits in den 1960er-Jahren, ohne – was damals oft gang und gäbe war – der substanziellen Optik Schaden zuzufügen. Der Boden wurde durch Granitplatten begradigt, das Dach neu gedeckt, die Wände wurden schlicht verputzt. Was daraus entstand, ist ein vielfältig nutzbarer Raum für die Präsentation von Gegenwartskunst. Zu schätzen wissen das die Kunst- Höhere Aufllösung schaffenden, die hier ausstellen – unter anderem Fritz Ruprechter, der hier 2007 eine beeindruckende temporäre Installation schuf, die mit den Perspektiven des alten Langhauses gekonnt spielte; oder Robert Hammerstiel, dessen autobiografisches Œuvre im Kontext des Kirchenraums noch an Dramatik zulegte; oder Ursula Heindl, deren 2014 gezeigte „Kulturdenkstätten“ mit ihrer intensiven Farbgebung dem Raum eine ungeahnte Lebendigkeit verliehen. Bereits 1794 wurde in Wiener Neustadt ein anderer sakraler Raum zum Kunstraum im weitesten Sinn umgestaltet: Nur wenige Jahre nach der Profanierung der Karmelitinnenkirche Ende des 18. Jahrhunderts richtete man hier das Stadt- Die 1906 errichtete Sommerarena in theater ein. Es blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück, auf legendäre Gast- Baden bietet sich aufgrund ihrer attraktiven Jugendstilarchitektur und spiele – unter anderem von Alexander Girardi, Johann Nestroy und Adele Sandrock –, der Möglichkeit, das Dach weit zu einige Skandale und agiert heute als Mehrspartenhaus. öffnen, für hochkarätiges Sommer- Aufgrund der geografischen Nähe und der ähnlichen Programmgestaltung theater an. bestanden im 19. Jahrhundert immer wieder Pläne, die Theater von Wiener Neustadt und Baden bei Wien zusammenzulegen. Das scheiterte an den Badenern, die sich – mit einigem Recht – darauf beriefen, mit einer der ältesten Bühnen des Landes und vor allem mit ihrem attraktiven Theaterbau die Federführung innezuhaben. So ging jeder seiner Wege. In Baden, wo man bereits seit 1716 über ein Theater verfügte, wurde 1811 ein Theaterneubau nach Plänen von Josef Kornhäusel errichtet. Mit den zahlreichen Kurgästen, die nach den tagsüber absolvierten Trink- und Badekuren abends nach Zerstreuung suchten, wurde aus dem Sommerspielbetrieb bald ein Ganzjahrestheater. Als auch Kornhäusels Bau zu verfallen drohte, riss man ihn kurzerhand ab und enga- gierte Hermann Helmer und Ferdinand Fellner, der Monarchie meistbeschäftigte und schnellste Theaterarchitekten. Innerhalb nur eines Jahres war das Theater fertiggestellt, und am 2. Oktober 1909 hob sich erstmals der Vorhang zur neuen Bühne. Das Pro- gramm der Eröffnung (das im Übrigen bei großen Anlässen bis heute traditionell auf die Bühne kommt) wies bereits symptomatisch auf die generelle Ausrichtung der Bühne Baden hin: Man spielte die von Ludwig van Beethoven in Baden komponierte „Weihe des Hauses“, inszenierte die Belehnungsszene aus Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ und gab danach jene Operette, deren Handlungsort immerhin Baden ist: Johann Strauß’ „Fledermaus“. Das große Haus in der kleinen Stadt hielt sich trotz aller Imponderabilien und ist heute ganz in der Tradition derartiger Institutionen ein Mehrspartenhaus, das Operetten und Opern, Schauspiel, Konzerte und Musicals Badens urbanster Hotspot auf seine Bühne bringt. ist zweifellos das Arnulf Den unterhaltungswilligen Kurgästen des Fin de Siècle verdankt sich auch die Rainer Museum mit seiner zweite Bühne des Badener Theaters, die Sommerarena. Ursprünglich als „Tagesschön- St. Peter an der Sperr in Wiener Neustadt: gelungenen architektonischen wettertheater“ – ohne Dach – errichtet, verfügt der reizvolle Jugendstilbau heute über Die säkularisierte Kirche zählt heute zu den spannendsten Ausstellungsräumen Verbindung von alter eine schützende Dachkonstruktion aus Stahl und Glas, die sich je nach Wetter öffnen Niederösterreichs für zeitgenössische Bausubstanz und rezenten oder schließen lässt. Sie ist der Hauptschauplatz gutgelaunter Operettenproduktionen Kunst. Adaptionen. im Rahmen des Theaterfests Niederösterreich.

342 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 343 Badens urbanster Hotspot ist zweifellos das Arnulf Rainer Museum, von dem bereits im Zusammenhang mit seiner außergewöhnlich gelungenen architektonischen Verbindung von alter Bausubstanz und rezenten Adaptionen die Rede war. Als Muse- umsbetrieb agiert man auf internationalem Niveau, kooperiert mit Museen in aller Welt, gewinnt Kuratorenlegenden wie Rudi Fuchs zur Zusammenarbeit und zeigt Kunstschaffende wie Georg Baselitz (2011), Damien Hirst (2014) oder Markus Lüpertz (2015) im Dialog mit Arbeiten des Spiritus Rector des Hauses. Darüber hinaus wird ein Vermittlungsprogramm geboten, das es mit jenen großer Museen aufnehmen kann.

Meilenweise Kunst Als außergewöhnlicher kultureller Ort hat sich die Stadt Krems etabliert. Hauptsächlich hängt das mit der Einrichtung der Kunstmeile Krems zusammen. 1995 von Wolfgang Denk initiiert, überzeugt die Kunsthalle Krems nun bereits seit über zwei Jahrzehnten mit ihrer richtungsweisenden Ausstellungstätigkeit. Dazu zählen monografische Präsentationen bekannter internationaler Künstler/innen – darunter Pipilotti Rist, Yoko Ono, Duane Hanson, Otto Dix, William Kentridge und Paula Modersohn-Becker – ebenso wie thematische Überblicksausstellungen, die einen Zeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart umfassen: insgesamt ein Programm, das man eher im Ambiente einer Metropole erwarten würde. Dies gilt auch für das an die Kunsthalle Krems angeschlossene, jedoch im ehemaligen Minoritenkloster in Stein untergebrachte forum frohner. Im Zentrum der Ausstellungstätigkeit steht hier der Namensgeber Adolf Frohner, dessen Werk jenem nationaler wie internationaler Kunstschaffender gegenübergestellt wird. Die klassische White-Cube-Architektur des forum frohner ist ein gleichermaßen charakterstarker wie zurückhaltender Rahmen für vielfältige Auseinandersetzungen, hauptsächlich mit Positionen der Gegenwartskunst. Im Verband der Kunstmeile Krems steht auch das Karikaturmuseum – Als außergewöhnlicher kultureller Österreichs einziges Museum für Karikaturen, Cartoons, Comic und Bildsatire. Unter Ort hat sich die Stadt Krems dem markanten Dach des Hauses werden die Werke zeitgenössischer Karikaturist/- etabliert. Das hängt hauptsächlich innen und Cartoonist/innen in wechselnden Schauen präsentiert, gleichzeitig mit der Einrichtung der Kunst- pflegt man ein beachtliches Archiv satirischer Originalgrafiken und versteht sich als Drastisch, bissig, scharf – das sind meile Krems zusammen. europäisches Kompetenzzentrum für Zeichenkunst und Bildliteratur. die Karikaturen des 2016 verstorbenen Manfred Deix. Ihm ist eine Dauer- ausstellung im Karikaturmuseum Krems gewidmet.

„Die Mühlen der Zeit(ung)“ Fünf Versuche im Jahr 1934 waren der Katholisch-Patriotische einer eigenen Tageszeitung Pressverein der Diözese St. Pölten und der private Entwicklung der Printmedien in Niederösterreich für Niederösterreich Faber-Verlag.8 Im Jahr 1901 erfolgte mit dem „Wiener Neustädter Eine Wende in der Presselandschaft bedeutete der Alexandre Tischer Tagblatt“ ein erster Versuch, eine niederösterreichische „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Tageszeitung einzurichten, der jedoch nur 34 Aus- Deutschland. Dem Pressverein wurden alle Printmedien gaben beschieden waren.5 Das Scheitern lag sowohl im entzogen und bis 1945 den „Gauwerken Niederdonau“ Ein wesentlicher Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit in schaffte es nicht zu „überwintern“ und stellte bereits zu kleinen Absatzmarkt als auch in der mangelnden unterstellt. Der Kremser Faber-Verlag muss als maßgeb- allen Bereichen ist abseits der klassischen Werbe- am 30. September 1848 sein Erscheinen ein. Dem Druckereiausstattung begründet. Im Zuge des Ersten licher Exponent der deutschnationalen Bewegung plakate und -drucksorten die Berichterstattung durch „Traisenblatt“ bescherte die Einführung der Inseraten- Weltkrieges versuchten zwei niederösterreichische gelten; er konnte mit der „Donauwacht“, die der „Land- Printmedien, Radio, TV und Internet. Wie haben steuer 1850 ein jähes Ende.1 Zeitungen dem Bedürfnis nach Kriegsberichterstattung zeitung“ folgte, als privates Pendant zum Gauverlag sich die Medien als demokratische Kraft eines Landes Bis 1867 entfalteten sich an vier niederösterreichi- gerecht zu werden: die „Wiener Neustädter Nachrichten“ bestehen.9 In der Nachkriegszeit kam es unter dem in Niederösterreich entwickelt? schen Orten Zeitungen: das „Kremser Wochenblatt“ und die „Österreichische Landzeitung“ in Krems.6 Einfluss der verschiedenen Besatzungsmächte zu zwei in Krems, der „St. Pöltener Boten“ in St. Pölten, Während in der Ersten Republik regionale Tages- unterschiedlichen Entwicklungen: In Westösterreich Pressefreiheit ab 1848 der „Wr. Neustädter Anzeiger“ in Wiener Neustadt und zeitungen in anderen Bundesländern durchaus konnten Verlegerpersönlichkeiten Landeszeitungen Wie vieles andere ist auch die Herausbildung eines das „Korneuburger Wochenblatt“ in Korneuburg.2 reüssieren konnten, mussten in Niederösterreich auch aufbauen, während in Ostösterreich eher Parteien freien, eigenständigen Pressewesens eine Nachwirkung In den weiteren Jahrzehnten bildeten sich verschiedene diese beiden Blätter bald die Segel streichen bzw. federführend waren. Dem für seine ausführliche Sport- des Revolutionsjahres 1848. Bis zu diesem Zeitpunkt, Vereine und Parteien, die Zeitungen herausgaben. auf einen wöchentlichen Rhythmus umstellen, was berichterstattung bekannten Globus Verlag stand die da Pressefreiheit gewährt wurde, gab es in Nieder- Mit Josef Faber, der 1883 die Kremser Druckerei erwarb, unter anderem auf ein stark ausgeprägtes Lokalinteresse Kommunistische Partei vor. Dessen Zeitungen erschie- österreich außerhalb Wiens keine Zeitungsherausgeber. etablierte eine Einzelperson einen Verlag, der fortan zurückgeführt werden kann. Am längsten bestand nen von 1948 bis in die 1990er-Jahre in Wiener Neustadt Die ersten niederösterreichischen Zeitungen erschienen über mehr als 100 Jahre bestehen sollte.3 Neben dem das „St. Pöltener Tagblatt“, das 1919 gegründet wurde und St. Pölten, aber auch in den Industriegebieten in jenen beiden Städten, die auch in weiterer Folge Faber-Verlag spielte die katholische Kirche eine wichtige und bis 1922 an sechs Wochentagen erschien. Niederös- im Südosten und Südwesten Wiens.10 Die Sozialistische Knotenpunkte der weiteren Entwicklung auf dem Rolle im Zeitungsverlagswesen. Ab 1889 wurde in terreich, seit dem Zerfall der Monarchie das bevölke- Partei bündelte ihre publizistischen Tätigkeiten in der Mediensektor darstellten: Krems und St. Pölten. Ab einer eigenen Druckerei in St. Pölten produziert, rungsreichste Bundesland der neuen Republik, war Landeszeitung „Volkstribüne“, die in vier Mutationen Mai 1848 kamen dreimal wöchentlich das Kremser was als Geburtsstunde des heutigen NÖ Pressehauses wieder ohne Tageszeitung.7 Als Folge der Trennung für die einzelnen Landesviertel gedruckt wurde.11 Die Blatt „Der Unabhängige“ sowie die St. Pöltener Wochen- gelten kann.4 von Niederösterreich und Wien verlagerten die Verlage ebenfalls neu gegründete Stadt- und Landverlags GmbH, zeitung „Das Traisenblatt“ heraus. Beide Zeitungen ihren Schwerpunkt immer mehr auf lokale und regiona- die im Einflussbereich der damals stärksten Partei, hielten sich nur für kurze Dauer. „Der Unabhängige“ le Berichterstattung. Die beiden größten Herausgeber der ÖVP, stand, brachte Zeitungen im Südbahngebiet

344 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 345 Urbanität lässt sich nicht Einer der kulturellen Brennpunkte des Landes ist fraglos St. Pölten, wo sich in der Ab 1966 wurde das Theater von Grund auf saniert, erhielt eine Probebühne im Haus über die Summe einzelner schönen barocken Altstadt und an ihrem Saum ein reges urbanes Leben entwickelt hat. (die damals auch als Studiobühne jungen Dramatikern Raum bot) und wurde 1975 Elemente definieren. Ihre Lange setzte man St. Pölten mit Provinz gleich, doch ein Streifzug durch die Stadt auf einen Intendanzbetrieb umgestellt. Drei Jahrzehnte später übernahm das Land Substanz entwickelt sich belehrt eines Besseren. Niederösterreich das Theater und positionierte es unter der Intendantin Isabella auf der Grundlage sozialer Mit ebendiesem Vorurteil zu kämpfen hatten ursprünglich Alexander Syllaba Suppanz (ihr folgten Bettina Hering und anschließend Marie Rötzer) ganz neu als und historischer Prozesse. und Clemens Kopetzky, die sich 1994 in den Kopf setzten, ein Open-Air-Kino zu reines Sprechtheater. organisieren. „Film am Dom“ sollte es heißen – und fast jeder hat über das scheinbar Mit einer Auslastung von mehr als 90 Prozent zählt das Landestheater Nieder- vermessene Vorhaben den Kopf geschüttelt. Doch bereits das erste Festival erwies österreich zu einer der erfolgreichsten Bühnen Österreichs. Das Programm ist viel- sich als durchschlagender Erfolg, und seit man auf den größeren Rathausplatz über- fältig und geht über die reine Guckkasten-Schau weit hinaus. Mit dem „Bürgertheater“ siedelt ist, sehen an vier sommerlichen Festival-Abenden jährlich durchschnittlich hat die Regisseurin Renate Aichinger eine partizipative, publikumsnahe Theaterform 10.000 Personen eine ausgewogene Mischung aus Blockbustern und Arthaus-Filmen. etabliert, deren Produktion „Glanzstoff“ nach einem Text von Felix Mitterer 2015 Ebenfalls 1994 starteten die beiden im alten C2-Kino am Rathausplatz eine mit dem Nestroy-Spezialpreis ausgezeichnet wurde. Beim Kinder- und Jugendtheater Programmkinoreihe und erreichten damit eine Auslastung von nahezu 90 Prozent. setzt man neben Klassikern auch auf junge Dramatiker/innen, und der Programm- Dem Bedarf St. Pöltens nach internationalem Kino endgültig vertrauend, eröffneten punkt „Blätterwirbel“ widmet sich zeitgenössischer Literatur. Prominente Gastspiele, Syllaba und Kopetzky 2002 schließlich das Cinema Paradiso (nach Giuseppe Tornatores darunter vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wechseln sich mit Eigenproduk- gleichnamiger filmischer Hommage an das Kino) am Rathausplatz und schlossen tionen ab, wobei Klassiker von Maxim Gorki, William Shakespeare oder Molière ihm ein Café an. Das Ganze ist mittlerweile eine Institution, ein integratives Element ebenso inszeniert werden wie Prosaadaptionen (etwa von Stefan Zweig) oder Werke im urbanen Geschehen St. Pöltens. des 20. Jahrhunderts wie etwa von Eugène Ionesco und Alan Ayckbourn. Eine in jeder Hinsicht urbane Aura verströmt auch das Landestheater Nieder- Auch das Festspielhaus St. Pölten bildete von Beginn an den Rahmen für österreich, dessen Wurzeln auf das Jahr 1820 zurückgehen. Man nutzte das alte ein Mehrspartenkonzept, bei dem Musik und zeitgenössischer Tanz eine wesentliche Haus als Bühne und als Ballsaal, sah eine Menge junger Schauspieler/innen, die später Rolle spielen. Jeder Intendant, jede Intendantin prägte das Profil des Hauses: am Wiener Burgtheater reüssierten, und engagierte sich ganz unzeitgemäß bereits Mimi Wunderer, die 1995 die Bühne im Hof gegründet hatte, initiierte das Festival früh für Kindertheater. Nach dem Ringtheaterbrand 1881 in Wien und den darauffol- „Österreich tanzt“; Michael Birkmeyer, ehemaliger Solotänzer der Wiener Staats- genden strengen Sicherheitsvorschriften für Theater entschloss sich St. Pöltens Ge- oper, rief ein hauseigenes Tanzensemble ins Leben, das erfolgreich internationale meinderat, das Haus zu schließen, da die notwendigen Umbauten zu teuer waren. Tourneen unternahm; mit Joachim Schloemer begann man engagiert, das Publikum in Fünf Jahre später bespielte man es wieder – ohne Umbauten und mit dem Bestreben, künstlerische Prozesse einzubeziehen, bevor Brigitte Fürle das Haus mit der Saison den Begriff „Theater“ in Verbindung mit dem Haus und dem, was darin stattfand, 2013/14 übernahm. tunlichst zu vermeiden. 1888 schließlich entstand der Theaterunterstützungsverein, Urbanität lässt sich nicht über die Summe einzelner Elemente definieren. der fünf Jahre später den Theaterumbau finanzieren sollte. Das 20. Jahrhundert Ihre Qualität, ihre Substanz entwickelt sich auf der Grundlage sozialer und historischer Lange setzte man St. Pölten erwies sich als turbulente Epoche, in der das Haus immer wieder geschlossen werden Prozesse. mit Provinz gleich, doch musste, als Kino, SS-Quartier und Lagerraum zweckentfremdet und nach dem Sie ist darüber hinaus an die Heterogenität ihrer Bürger/innen gebunden – ein Streifzug durch die Stadt Zweiten Weltkrieg unter freiem Himmel wieder eröffnet wurde: Ein Bombentreffer und an jene eines weltläufigen kulturellen Angebots, das wahrgenommen und belehrt eines Besseren. auf das Nebenhaus hatte das Dach völlig zerstört. genützt wird. Parameter also, die auf jede der vier hier beschriebenen Städte Nieder- österreichs zutreffen.

heraus, die in weiterer Folge ab 1963 an den Faber- Reichweite erhöhte sich auf gegenwärtig 527.000 wö- für Inserenten attraktiv macht.17 Sehr aktiv in diesem Im Rückblick betrachtet kann das Fehlen einer Tages- Verlag übergingen.12 Die im Zweiten Weltkrieg chentliche Leser/innen bundesweit (Mediaanalyse 2016). Sektor sind die „Bezirksblätter“ der Regionalmedien zeitung in Niederösterreich auf zwei wesentliche entzogenen Titel des Pressvereins kamen nach jahre- Unter dem Titel „Guten Tag Niederösterreich“ Austria AG, die oberösterreichischen „Tips“ des Gründe zurückgeführt werden. Einerseits ist dies langem Tauziehen mit dem vorübergehenden wurde im Jahr 1990 der bislang letzte Anlauf unternom- Medienhauses Wimmer sowie „Unser Niederösterreich“ in der Finanzierung einer Zeitung durch Inserate Eigentümer, der NEWAG, im Jahr 1956 wieder nach men, eine Tageszeitung in Niederösterreich einzuführen. des NÖ Pressehauses.18 Darüber hinaus liegt dem begründet, die zu einem ganz wesentlichen Teil von St. Pölten zurück.13 Der Versuch brachte lediglich 25 Ausgaben hervor, Wochenmagazin „NEWS“ seit 2003 eine eigene Nieder- regionalen Unternehmen kommen. Im Vergleich Der Pressverein, fortan Niederösterreichs Zeitungs was die kürzeste Lebensdauer einer niederösterreichi- österreich-Mutation bei. zu Ballungsräumen wie Linz–Wels–Steyr bzw. Graz GesmbH, konnte daraufhin auf zwölf Titel expandieren schen Tageszeitung bedeutete.16 gab es, abgesehen von Wien, keine zentrale Agglo- und 1965 mit der „Hollabrunner Zeitung“ erstmals meration, der ein wesentlicher Bevölkerungsanteil in außerhalb der Diözese St. Pölten in Erscheinung treten.14 Identitätsbewusstsein Niederösterreich zugewiesen werden konnte. Für die Mit diesem 13. Titel wurde eine neue Ära eingeleitet: Die tagesaktuelle Berichterstattung über Nieder- Sämtliche Ausgaben erhielten den Übertitel „Nieder- österreich wird seit jeher primär von den in Wien österreichische Nachrichten“15, ergänzt um die Angabe ansässigen Tageszeitungen abgedeckt. Vor allem die der jeweiligen Lokalausgabe im Untertitel. Diese Kom- „Kronen Zeitung“ und der „Kurier“ ergänzen ihre bination aus Landesidentität und Lokalpatriotismus österreichweite Berichterstattung um regionale Nach- erwies sich langfristig als Schlüssel zur erfolgreichen richten in ihrem Chronikteil, zu dessen Zweck der Weiterentwicklung der „Niederösterreichischen Nach- „Kurier“ eigene Regionalredaktionen in Niederösterreich richten“ . Die Bedeutung der „NÖN“ – dieses Kürzel aufgebaut hat. Am beständigsten erwiesen sich regiona- wurde 1970 ins Leben gerufen – nahm in den 1970er- le Wochenzeitungen mit ihrer neutral gehaltenen und 1980er-Jahren merklich zu und gipfelte in der Vor- und Nachberichterstattung. Wie Bernd Semrad in Übernahme des wirtschaftlich unter Druck geratenen seinem Beitrag über Printmedien in der Geschichte Mitbewerbers, des Faber-Verlags, im Jahr 1987 und Niederösterreichs ausführlich behandelte, setzte Ende der Fusionierung von deren Blättern 1990. Auch journa- des 20. Jahrhunderts neben der Verkaufspresse der listisch erfuhr die Zeitung eine Aufwertung, war der Trend zur Einführung von Gratiszeitungen ein, die in Kurt Welther, „Wir damalige Geschäftsführer Herbert Binder doch von einem genau bestimmten Gebiet an alle Haushalte gratulieren Kamerad 1987 bis 1991 zugleich Präsident des Verbandes Österrei- verteilt werden. Sie zeichnen sich durch eine große Schniertzer zum 80sten“, aus dem Zyklus chischer Zeitungen. Der Verlag deckte fortan mit Reichweite aus, die auf ihre meist lokale und regionale „Festspiele“, Öl auf 28 Lokalausgaben das gesamte Bundesland ab, seine Ausrichtung zurückzuführen ist, was sie wiederum Leinwand, 1986.

346 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 347 Grenzenlos

Niederösterreich hat von allen österreichischen Bundesländern nach Tirol die längste Außengrenze. Was diese so besonders macht, ist die Tatsache, dass es sich dabei bis 1989 um den „Eisernen Vorhang“ handelte: Niederösterreich lag an der politischen Trennlinie zwischen Ost und West, zwischen totalitärem Regime und Demokratie. Stacheldraht und Wachtürme prägten von 1945 bis 1989 die Regionen entlang des Grenzverlaufs – das nördliche Waldviertel und das östliche Weinviertel. Der Anfang vom Ende des „Eisernen Vorhangs“ kam mit Ungarns Grenzöff- nung für geflohene DDR-Bürger am 11. September 1989 und der Samtenen Revolution. Am 17. Dezember 1989 durchtrennten Österreichs Außenminister Alois Mock, sein tschechoslowakischer Amtskollege Jiří Dienstbier und der damalige niederösterreichi- sche Landeshauptmann Siegfried Ludwig in der Nähe von Laa an der Thaya den Stacheldraht. Für Niederösterreich bedeutete dieser Akt von ungeheurer Symbolkraft, dass es aus einer Randzone in das Zentrum Europas rückte. Für die seit Jahrzehnten in Agonie liegenden Regionen an der Grenze ergaben sich nun einmalige Chancen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Und sehr bald wurden Konzepte realisiert, die das Trennende aufzuheben versuchten und Begegnungen auf künstlerischen und kommunikativen Ebenen forcierten. Eine der ersten Initiativen war die Kulturbrücke Fratres. 1992 kaufte der Journalist Peter Coreth in Fratres an der nördlichen Grenze des Waldviertels einen alten Gutshof und gründete die Kulturbrücke, die sich vor allem die österreichisch- tschechische Verständigung zum Ziel setzte. Das Programm, um der „kulturellen Verödung im Umfeld des Eisernen Vorhangs ein Ende (zu) setzen“, ist vielfältig und reicht von Lesungen über Ausstellungen bildender Kunst bis zu Musikfestivals, Podiumsgesprächen und Vorträgen. Direkter Partner der Kulturbrücke ist das Galerie- haus im knapp zwei Kilometer entfernten südmährischen Slavonice. Die Möglichkeit, Für die über Jahrzehnte in Agonie nun ohne Hürden in einen Dialog treten zu können, förderte das Bewusstsein liegenden Regionen an der dafür, wie wenig man diesseits der ehemals fast hermetischen Grenze über Kunstschaf- Grenze ergaben sich nach fende im tschechischen und slowakischen Raum wusste. Künstler wie Olbram Zoubek, Seit dem Jahr 2004 organisieren und Fallen des „Eisernen Vorhangs“ Jiří Anderle oder der Biennale-Teilnehmer Ivan Kafka folgten Coreths Einladung konzipieren Thomas Samhaber und Brigitte Temper-Samhaber „Übergänge – einmalige Chancen – nicht nach Fratres ebenso wie Václav Havel oder die Autorinnen Eva Kantůrková und Daniela Přechody“, ein biennales grenzüber- nur wirtschaftlich, sondern auch Hodrová. Grenzüberschreitung und Brückenschlag sowie die „Verortung von Kultur schreitendes Kulturfest in der Doppel- kulturell. im dezentralen Raum“ (Coreth) waren und sind die Leitmotive der Kulturbrücke Fratres. stadt Gmünd/České Velenice.

regionalen Wirtschaftstreibenden bedeutete dies, dass Publikation von regionalen Informationen als eine Bestandteil der regionalen Berichterstattung.21 Gerade die Preise für landesweite Inserate in keinem Ver- Art niederösterreichische Presseagentur für die Medien. die kulturellen Errungenschaften der jüngeren hältnis zum Einzugsgebiet der in Betracht kommenden Darüber hinaus gibt es neben den informativen Vergangenheit verhalfen Niederösterreich auch zu kaufkräftigen Bevölkerung standen. Zum anderen häuserübergreifenden Programmbroschüren der überregionaler Strahlkraft und damit verbundener fühlte sich die Bevölkerung schlichtweg jahrhunderte- Kulturabteilung und der Niederösterreichischen Kultur- Aufmerksamkeit. Mit dem Donaufestival, dem lang als „Österreicher“, mit Wien im Zentrum.19 Nach wirtschaft (NÖKU) sowie attraktiven Magazinen Musikfestival Grafenegg oder den Ausstellungen der der Trennung 1922 von Wien musste sich ein eigenes der NÖ Werbung fortlaufend eigene Publikationen zu Kunstmeile Krems seien nur einige wenige Bei- Landesbewusstsein erst entwickeln, dem durch die Spezialthemen, die auch über die Grenzen hinaus spiele für eine Entwicklung genannt, die dazu führte, Ernennung St. Pöltens zur neuen Landeshauptstadt 1986 großen Anklang finden. Stellvertretend sollen einige dass Niederösterreich in einem Atemzug mit ein enormer regionaler, kultureller, aber auch gesell- davon genannt werden: „Denkmalpflege in Nieder- anderen internationalen Schauplätzen genannt schaftlicher Impuls gegeben wurde.20 Neben dem neuen österreich“ der Kulturabteilung, „GestalteN“ der Baudi- und rezipiert wird. Kulturbezirk eröffnete 1998 mit dem ORF-Landesstudio rektion, „Schaufenster Kultur Region“ der Kultur.Region. Niederösterreich, das seinen Sitz von 1967 bis zu diesem Niederösterreich sowie „kunstStoff“ der Kulturvernet- Zeitpunkt in Wien gehabt hatte, ein eigenes, von zung. Die kostenlose Zusendung respektive deren Gustav Peichl entworfenes Studiogebäude für Fernseh- kostenlose Verteilung soll ein besonderes Service für und Radioberichte aus und für Niederösterreich. die Landesbürger/innen darstellen. Die Bevölkerung Zudem liefern private TV- und Radiosender lokale über das Kulturgeschehen in Niederösterreich regel- Berichte in einigen Regionen des Landes. mäßig zu informieren und zur Teilnahme daran zu Zu Beginn der 1990er-Jahre gab es in Niederöster- motivieren, ist das hehre Anliegen der Kulturzeitschrift reich einen Paradigmenwechsel mit einem neuen „morgen“. Hervorgegangen aus dem intellektuellen Schwerpunkt auf Öffentlichkeitsarbeit. Mit der regelmä- „Morgen-Kreis“ widmet sich der „morgen“ seit 1977 der ßigen Herausgabe von landeseigenen Publikationen, Vermittlung von Kunst, Kultur und Wissenschaft die die Besonderheiten und Aktivitäten in allen Regio- allgemein und wird von einer Stammleserschaft von nen des Landes hervorheben und der Bevölkerung Kulturinteressierten für seine tiefgründigen Diskus- näherbringen, wird das Bewusstsein der eigenen sionen und Interviews geschätzt. Identität gestärkt. Die Niederösterreichische Landes- Konzert- und Theaterereignisse sowie Ausstellun- Kunst, Kultur und Wissen- korrespondenz veröffentlicht viermal jährlich die gen waren und sind in den Medien Niederösterreichs schaft vermittelt seit 1977 die Kulturzeitschrift „morgen“ „NÖ Perspektiven“ und fungiert durch die tägliche vor allem seit Beginn der 1990er-Jahre wichtiger (Cover der 1. Ausgabe).

348 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 349 Modern Dance im Festspielhaus St. Pölten (hier die Akram Khan Company mit „Desh“) und die unvergleichliche Atmosphäre beim Musikfestival Glatt&Verkehrt (links oben und links).

So gelang der Aufbau neuer nachbarschaftlicher Beziehungen und es traten die Konturen einer Region wieder in den Vordergrund, die lange ein zusammenhängendes Ganzes gebildet hatte. Ein biennales Kulturfest der Extraklasse, das keines Mottos bedarf, sondern selbst Thema ist: Seit 2004 konzipieren und organisieren Thomas Samhaber und Brigitte Temper-Samhaber „Übergänge – Přechody“, das grenzüberschreitende internationale Kulturfestival in der Doppel- stadt Gmünd/České Velenice. Längst geadelt durch wesentliche Auszeichnungen, hat sich „Über- gänge – Přechody“ mittlerweile einen festen Platz unter Europas kreativsten Kulturbiennalen erarbeitet. Was bis vor ein paar Jahren noch Geheimtipp war, das verzaubert heute seine zahlrei- chen Gäste mit fantastischen Programmpunkten – Straßentheater, Ausstellungen, Konzerten, Performances, Lesungen, Filmvorführungen und vielem mehr. Alles in allem tritt dieses engagierte und ebenso kenntnisreich wie liebevoll kuratierte Programm alle zwei Jahre den Beweis an, dass Kunst und Kultur Grenzen überwinden und Menschen verbinden können, dass sie einstige politische Bruchlinien zu heilen vermögen. Grenzüberschreitende Programme und Dialoge zwischen europäischen Kunstschaffen- den vor allem aus der bildenden Kunst fördert auch die 2005 gegründete Galerie grenzART in Hollabrunn. Lag hier der Schwerpunkt zu Beginn auf Künstler/innen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, so wurde man sich nach und nach dessen bewusst, von einer Rand- Das Landestheater Niederösterreich lage ins Herz Europas vorgerückt zu sein. Es folgten Kunstschaffende aus weiteren europäischen zeichnet sich durch ein vielfältiges Staaten, darunter Bulgarien, Lettland, Slowenien, Niederlande und Italien. Und so kann man Programm und fantastische Inszenierun- sich heute in den Hollabrunner Galerieräumen bei den jährlichen zumindest sieben Ausstellun- gen aus – beispielsweise von Johann Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ gen einen Überblick über Tendenzen in Malerei, Grafik, Design und Installationen in nahezu (oben rechts). ganz Europa verschaffen.

Kunst und Kultur 351 Wie die Maschen eines Strick- Genauso offen agiert man gegenüber Angeboten zu einem interkulturellen Dialog Kultureinrichtungen in Niederösterreich (Auszug) musters aus glatten und aus dem ehemaligen Osten. Das im Rahmen der Europäischen Territorialen Zusammen- verkehrten Maschen gehören arbeit (ETZ) geförderte Projekt „Porta culturae“ wird in besonderem Maß von der B Bildende Kunst g Kulturelles Erbe ♪ Musik f Programmkino Tradition und Neuerung Kulturvernetzung Niederösterreich wahrgenommen. Kultur in dezentralen Räumen 1. Arnulf-Rainer-Museum (Baden) 1. Burg Hardegg 1. Allegro Vivo (Waldviertel) 1. Cinema Paradiso (Baden) 2. Ausstellungshaus Spoerri (Hadersdorf 2. 5-Elemente-Museum Waidhofen/Ybbs 2. Arnold-Schönberg-Haus (Mödling) 2. Cinema Paradiso (St. Pölten) zusammen – nur beides findet auch hier statt, wenn Exkursionen zu Tagen der offenen Ateliers in Südböhmen am Kamp) 3. Haus der Regionen (Krems) 3. Beethovenhaus Baden 3. Filmclub Drosendorf gemeinsam macht ein Ganzes. oder Südmähren veranstaltet werden, wenn österreichische Jazzmusiker an der 3. Egon-Schiele-Museum (Tulln) 4. Krahuletz-Museum (Eggenburg) 4. Benedict-Randhartinger-Museum 4. Kino im Kesselhaus (Krems) „Jazzbrücke Vysočina“ teilnehmen oder transregionale Symposien künstlerische oder 4. Forum Frohner (Krems) 5. MAMUZ Mistelbach und Asparn/Zaya (Ruprechtshofen) 5. Gauermann-Museum (Miesenbach) 6. Museum Niederösterreich (St. Pölten) 5. Chopin-Festival (Kartause Gaming) d Theater kunsthandwerkliche Themen in den Mittelpunkt stellen. 6. Karikaturmuseum Krems 7. Museumsdorf Niedersulz 6. Donaufestival (Krems) 1. Bühne Baden 20 Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ fand die Niederösterreichi- 7. Kunsthalle Krems 8. Römerstadt Carnuntum (Petronell) 7. Festspielhaus St. Pölten 2. Bühne im Hof (St. Pölten) sche Landesausstellung „Österreich. Tschechien. geteilt – getrennt – vereint“ grenz- 8. Kunstmuseum Waldviertel (Schrems) 9. Ruine Aggstein 8. Ernst-Krenek-Forum (Krems) 3. Felsenbühne Staatz 9. Landesgalerie Niederösterreich 10. Schloss Artstetten 9. Franz-Schubert-Museum (Schloss 4. Festival Retz überschreitend im Waldviertel und in der südböhmischen UNESCO-Welterbestadt (Krems) 11. Schloss Hof Atzenbrugg) 5. Festspiele Berndorf Telč statt. Dieses Großereignis im Jahr 2009 brachte eine Aufwertung der Region mit 10. Museum Gugging 12. Schloss Laxenburg 10. Glatt&Verkehrt (Krems) 6. Festspiele Reichenau sich, indem die Infrastruktur erweitert und der Tourismus angekurbelt wurde. 11. Nitsch Museum (Mistelbach) 13. Schloss Pöggstall 11. Grafenegg 7. Festspiele Stockerau 12. NÖ Dokumentationszentrum für 14. Schloss Schallaburg 12. Haydn-Geburtshaus (Rohrau) 8. Kulturszene Kottingbrunn moderne Kunst (St. Pölten) 15. Stift Altenburg 13. Hugo-Wolf-Haus (Perchtoldsdorf) 9. Landestheater Niederösterreich Musik-Stoff 13. Kokoschka-Haus (Pöchlarn) 16. Stift Göttweig 14. Internationale Barocktage Stift Melk (St. Pölten) „Eine Weltreise für die Seele“ wurde es in der Presse genannt: Niederöster- 17. Stift Heiligenkreuz 15. Klangraum Dobra 10. Märchensommer NÖ 18. Stift Herzogenburg 16. Klangraum Waidhofen (Schloss Poysbrunn) reichs vielleicht berührendstes Festival, das es wie kaum ein anderes versteht, seine 19. Stift Lilienfeld 17. Klangturm St. Pölten 11. Nestroy-Spiele Schwechat Gäste glücklich zu machen: Glatt&Verkehrt. 1997 wurde es gegründet und verursachte 20. Stift Klosterneuburg 18. Konzerthaus Weinviertel (Ziersdorf) 12. Oper Burg Gars in diesem ersten Jahr seines Bestehens gehörige Aufregung in Krems. Mehr als 21. Stift Melk 19. Loisiarte (Langenlois) 13. Oper Klosterneuburg 22. Stift Seitenstetten 20. Pleyel-Kulturzentrum (Ruppersthal) 14. Raimundspiele Gutenstein 100 Musiker/innen aus 17 verschiedenen europäischen Ländern bevölkerten damals 23. Stift Zwettl 21. Schrammel.Klang.Festival 15. Sommerspiele Melk die Stadt, traten auf der Bühne der Winzer Krems auf, besuchten in Scharen die (Herrensee bei Litschau) 16. Sommernachtskomödie Rosenburg Kunsthalle Krems und okkupierten eine Woche lang ein ganzes Hotel. 22. Wellenklaenge (Lunz am See) 17. Theatersommer Haag 18. Sommerspiele Perchtoldsdorf Mittlerweile sind mehr als zwei Dekaden vergangen, man verfügt über das 19. Teatro Barocco (Stift Altenburg) Know-how einer halbwegs geordneten Organisation und hat trotzdem Glatt&Verkehrt 20. Theater Westliches Weinviertel zum Glück nichts von seiner Atmosphäre und seinem Temperament genommen. 21. (Guntersdorf) ♪ 21. Wald4tler Hoftheater (Pürbach) Neben der Bühne der Winzer Krems, die immer noch zentraler Schauplatz des Festivals ist, werden nun auch der Hof des Schlosses zu Spitz sowie mehrere Heurige und Winzerhöfe in der Wachau und auch die Donau selbst bespielt, wenn f3. die „Schönbrunn“, ein 100-jähriger Schaufelraddampfer, zur schwimmenden Bühne Burg Hardegg g1. für die Festivaleröffnung wird. Kunstmuseum Waldviertel B8. d10. Der Name Glatt&Verkehrt ist übrigens Programm: Wie die glatten und d d4. 21. d3. verkehrten Maschen eines Strickmusters gehören Tradition und Neuerung zusammen – d19. Stift Altenburg g15. nur beides gemeinsam macht ein Ganzes. Originalität ist gefragt und die Ausein- g4. Stift Zwettl g23. ♪15. d20. MAMUZ Mistelbach andersetzung mit den eigenen musikalischen Wurzeln. Ob sich diese in ihrer zeit- 18. und Asparn an der Zaya g5. ♪1. ♪ genössischen Ausformung als Jazz präsentieren, als traditionelle Volksmusik, als Avant- Rosenburg d16. B11. garde oder Klassik, ist zweitrangig, solange Authentizität und Aufrichtigkeit jeden d12. einzelnen Gig charakterisieren. Der interkulturelle Dialog, der hier auf höchst musikali- B2. ♪6. f4. ♪20. sche Weise geführt wird, ist übrigens über Europa längst hinausgewachsen. g3. ♪19. B4. ♪8. Landesgalerie B9. Grafenegg ♪11. ♪10. Sondierung der Gegenwart Kunsthalle Krems B7. Karikaturmuseum d7. Krems B6. B3. Museumsdorf Sechs Tage im Frühsommer, bei denen kaum ein Stein des traditionellen d13. Niedersulz g7. g13. 9. Kunstverständnisses auf dem anderen bleibt, ein Crossover aus Kunstformen und ♪ g20. Stift Göttweig g16. Popkultur, aus Underground und sozialpolitischen Auseinandersetzungen, aus Ruine Aggstein g9. Museum Gugging B10. bildender Kunst, Performance und Musik: Das alles kennzeichnet die Neupositionie- Schloss Artstetten g10. Stift Herzogenburg g18. rung des donaufestivals, das von 2004 bis 2016 unter der Leitung Tomas Ziernhofer- d15. d f Wien B13. 14. 2. 2. Kins stand. Sein Ziel war es, „ein radikal anderes Festival für zeitgenössische Kunst- ♪ Schloss Hof g11. Museum Niederösterreich g6. formen zu entwickeln“. Die neue Avantgarde aber, so sein implizites Postulat, sei nicht Festspielhaus Landestheater d17. Stift Melk g21. St. Pölten ♪7. in der Hochkultur zu finden, sondern in jenem spannungsgeladenen Bereich, der Niederösterreich d9. d11. 13. d18.♪ Römerstadt Worum es beim donaufestival sich zwischen Sub- und Popkultur entspannt. „Redefining arts“ lautete folgerichtig das B12. 2. Carnuntum g8. nicht geht, ist Geschmack. Motto, unter dem sich in den vergangenen Jahren ein Festival entwickelte, das Schallaburg g14. ♪ 12. Worum es sehr wohl geht, hierzulande ohne Vergleich ist. In den Medien heißt es, es könnte gut und gerne auch Klangturm St. Pölten ♪17. Schloss Laxenburg g12. ♪ 4. Stift Heiligenkreuz g17. 3. ist der Zustand der Welt, auf den in den großen Metropolen der Welt stattfinden, es sei eines der progressivsten Stift Seitenstetten g22. ♪ ♪ f1. d5. d 1. Kunstschaffende mit starken Festivals Europas – und tatsächlich wird es unter den internationalen Top-Ten-Festivals d8. 5. „Störgeräuschen“ reagieren. gehandelt. ♪ Stift Lilienfeld g19. d Arnulf Rainer Museum 22. 14. B5. Worum es beim donaufestival nicht geht, ist Geschmack. Worum es sehr wohl g2. ♪ BadenB1. geht, ist der Zustand der Welt, auf den Kunstschaffende mit starken „Störgeräuschen“ ♪16. reagieren. Kunst wird nicht als Panazee gegen Turbo-Kapitalismus, Xenophobie, Unterdrückung, Ausbeutung, Naturvernichtung verstanden und auch nicht als Kom- pensation fehlender „politischer und spiritueller Utopien“ (Zierhofer-Kin), wohl aber d6. als Inspiration zu einer neuen Haltung. Mut und Konsequenz haben aus dem donaufestival einen so auf- wie anregen- den Katalysator für neue, noch unentdeckte und radikale Positionen gemacht. Es bleibt also höchst spannend, welche Tendenzen und Innovationen im Rahmen dieses Festivals, das seit 2017 Thomas Edlinger leitet, in Zukunft noch präsentiert werden.

352 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 353 Kunst und Kultur – die wichtigsten Ereignisse

1716 1820 1951 1960 2014 Niederösterreichs ältestes St. Pöltens erstes festes Geburtsjahr der Die erste Verleihung des 1986 2007 Ein weiter Blick zurück in die Theater wird gegründet Theater wird eröffnet Landesausstellungen Kulturpreises Niederösterreich Start für Regierungsviertel und Kulturbezirk Klang trifft Kulisse Geschichte der Menschheit Ursprünglich als Sommertheater Es ist ein Militärgefängnis auf dem In Krems findet – noch zur Zeit der Nachdem sowohl Landtag als auch Landes- Mit der Etablierung St. Pöltens als Teil herausragender Beispiele zeitgenössi- „Es genügt nicht, die Erwartungen des Aus dem Zusammenschluss des seit 1967 gegründet, wird das Badener Theater heutigen Rathausplatz, das der Baumeis- alliierten Besatzung – die erste Landes- regierung die Etablierung eines Kultur- Hauptstadt des Landes Niederösterreichs scher Architektur. Verwirklicht haben Publikums zu erfüllen – man muss sie bestehenden Urgeschichtemuseums aufgrund des Bedürfnisses der zahlrei- ter Josef Schwerdtfeger zu einem ausstellung statt. Sie widmet sich preises ratifiziert haben, werden am erfolgt die Ausschreibung für die Bauten sie u. a. Hans Hollein (Landesmuseum), übertreffen!“ Mit diesem Leitsatz im Schloss Asparn an der Zaya und eines chen Kurgäste nach Zerstreuung im Theater umbaut. Nach einer wechselvol- ganz dem spätbarocken Maler Kremser 10. Juni 1960 die Kulturpreise zum ersten sowohl des Regierungs- als auch des Gustav Peichl (ORF-Landesstudio) und übernimmt der Pianist Rudolf Buchbinder Teils des Museumszentrums Mistelbach frühen 19. Jahrhundert in einen Ganz- len Geschichte und weiteren Umbauten Schmidt. In den folgenden Jahren und Mal verliehen. Einer der vier Preisträger: Kulturbezirks. Im darauffolgenden Jahr- Klaus Kada (Festspielhaus). die künstlerische Leitung der Sommer- entsteht MAMUZ, das neue Kompetenz- jahresbetrieb umgewandelt. Nach dem wird das Haus 2005 vom Land Nieder- Jahrzehnten wird das Konzept „Landes- der Maler und Grafiker Franz Traunfellner. zehnt entsteht ein Konglomerat zum konzerte und des Grafenegg Festivals. zentrum für Ur- und Frühgeschichte Abriss des Theaterbaus von Josef österreich übernommen und trägt ausstellung“ weiterentwickelt, was Völlig neu organisiert, entwickelt sich sowie Mittelalterarchäologie. Im April Kornhäusel um 1900 entsteht ein Neubau seit der Spielzeit 2005/06 den Namen zu beeindruckenden Schauen – z. B. „1000 Grafenegg dank ideenreicher Programm- öffnen die beiden Häuser mit der nach den Plänen von Fellner & Helmer, Landestheater Niederösterreich. Mit Jahre Babenberger“ in Stift Lilienfeld punkte und der außergewöhnlichen Ausstellung „40.000 Jahre Mensch“ ihre den meistbeschäftigten Theaterarchitek- seiner ideenreichen Programmierung, (1976) oder „Erobern – Entdecken – Spielorte – vor allem des Wolkenturms – Pforten. ten der Monarchie. Heute ist die Bühne das Klassiker, Gastspiele, zeitgenössische Erleben“ in Hainburg et al. (2011) – und zu einem der gefragtesten Festivals ganz Baden ein Mehrspartenbetrieb, der Theaterliteratur und Kindertheater ebensolchen Besucherzahlen führt. Österreichs. u. a. die Operettentradition auf hohem ebenso umfasst wie partizipative 2017 rückt mit „Alles was Recht ist“ Niveau pflegt und Sommertheater in Theaterprojekte, zählt es zu einem der Schloss Pöggstall ins Zentrum des der reizvollen Jugendstilarchitektur der renommiertesten Häuser Österreichs. Interesses. Sommerarena auf die Bühne bringt.

1988 1996 Schauspielertheater Kunst im am Fuße der Rax öffentlichen Raum 1974 Mit einem Schwerpunkt auf der österrei- Der Niederösterreichische Landtag Geschichten und Geschichte chischen Theaterliteratur des späten verabschiedet ein neues Landesgesetz: Ein 19. und frühen 20. Jahrhundert gründen Prozent der jährlichen Landesbausumme Das Renaissanceschloss Schallaburg wird Peter und Renate Loidolt die Festspiele muss in einen Pool einbezahlt werden, nach einer Generalsanierung (ab 1967) Reichenau. Die Besetzung setzt sich vor der in weiterer Folge als Budget für Kunst ein zentraler Ausstellungsort des Landes allem aus Ensemblemitgliedern des im öffentlichen Raum dient. Eine 2009 Niederösterreich. Mit dem Konzept 1904 Wiener Burgtheaters und des Theaters in Expertenjury empfiehlt internationale Internationale Kunst partizipativer Ausstellungen wird seit der Josefstadt zusammen. Mit einer Künstler/innen, deren Verwirklichungen 1725 Kaiser Franz Joseph eröffnet einigen Jahren ein Begegnungsraum Auslastung von 100 Prozent und einer von Neubauten, welcher Art auch immer, im Badener Frauenbad Ein barockes Lustschloss das Museum Carnuntinum in geschaffen, in dem Besucher/innen mit Eigenwirtschaftlichkeit von 90 Prozent völlig unabhängig sind. Nach dem Abschluss der sensibel vor- den Exponaten nicht einfach nur entsteht Bad Deutsch-Altenburg zählen die Festspiele Reichenau zu genommenen Adaptierung des histori- konfrontiert werden, sondern dank eines Niederösterreichs erfolgreichsten schen Frauenbades zu einem Ausstel- Nachdem Prinz Eugen, einer der erfolg- Es ist die 1885 gegründete Gesellschaft innovativen Vermittlungsprogramms in kulturellen Unternehmungen. lungshaus erster Güte wird im September reichsten österreichischen Feldherren, der Freunde Carnuntums (Mitglied einen anregenden Dialog treten. Die 2000 mit der Schau „Aller Anfang ist schwer. 2016 Ausstellungen widmen sich internationa- das alte Renaissancekastell und den Markt ist u. a. auch Sigmund Freud), die nicht 1957 Weltkulturerbe Wachau Frühe Arbeiten 1949–1961“ das Arnulf Spatenstich für die Hof erworben hat, beauftragt er Johann nur Grabungen in Carnuntum finanziert, len Themen ebenso wie österreichischen Rainer Museum in Baden eröffnet. Als Lucas von Hildebrandt mit dem Um- sondern auch das Museum. Seit Der angloamerikanische Schwerpunkten. Mit der Begründung, dass die „wesentli- internationales Ausstellungszentrum – zu Landesgalerie Niederösterreich und Ausbau des Kastells. Innerhalb damals haben Archäologen zahlreiche Lyriker W. H. Auden lässt sich chen Zeugnisse ihrer langen historischen sehen sind seither Arbeiten von Georg In Krems beginnen im Juni die Bauarbei- weniger Jahre entsteht mit Schloss Hof Artefakte und Gebäudeteile gefunden, in Niederösterreich nieder Evolution“ hervorragend erhalten sind Baselitz (2011), Damien Hirst (2014) ten zu einer neuen Landesgalerie, die das größte und vielleicht auch anmutigste freigelegt und zum Teil rekonstruiert, und speziell die Weinterrassen „lebhaft und Markus Lüpertz (2015) – und mit nach Plänen der Vorarlberger Architekten- der Marchfeldschlösser. was die Römerstadt Carnuntum Mit dem Preisgeld eines renommierten eine mittelalterliche Landschaft, die einem innovativen Vermittlungspro- gruppe marte.marte errichtet wird. zu einem Kompetenzzentrum für die italienischen Literaturpreises erwirbt W. H. sich im Laufe der Zeit organisch und gramm hat sich das Haus mittlerweile als Es geschieht dies im Rahmen einer Neu- römische Antike macht. Auden in Kirchstetten ein altes Bauern- harmonisch entfaltet hat“, veranschauli- niederösterreichischer Hotspot etabliert. organisation von Niederösterreichs haus. Bis zu seinem Tod 1973 entsteht hier chen, wird das fruchtbare Terrain am Ausstellungs- und Museumslandschaft: sein enorm tiefgehendes und sprachlich Nordufer der Donau mit all seinen Das Museum Niederösterreich erhält fulminantes Alterswerk. Seit einigen kulturhistorisch bedeutsamen Denkmä- ein Haus der Geschichte, die Kunst- Jahren sind hier Audens Arbeitszimmer lern in die Welterbeliste der UNESCO sammlung wandert in die neue Landes- und ein Dokumentationsraum zu seinem aufgenommen. Bereits seit 1998 galerie Niederösterreich in Krems. Œuvre zu besichtigen. 1995 UNESCO-Weltkulturerbe ist die Semme- Ein Haus für ringbahn. die Avantgarde 1979 Am 31. März wird die Kunsthalle Krems Internationale Kammer- eröffnet. In den folgenden Jahren musik auf höchstem Niveau entwickelt sich das Haus zu einer international beachteten Plattform 1804 Bijan Khadem-Missagh, gefeierter innovativer medienübergreifender Beethoven in Baden Violin-Solist, gründet nach dem Eurasia Ausstellungen und kunstspezifischer Quartett (1971) und dem Tonkünstler Beiträge. Themenausstellungen Nicht zum ersten Mal, doch ab nun mehr Kammerorchester (1977) das Kammermu- und Personalen wechseln einander ab. oder weniger kontinuierlich verbringt sikfestival Allegro Vivo. Die Konzerte – Seit 2017 verfügt die Kunsthalle mit Ludwig van Beethoven auf Empfehlung sie stehen unter einem jährlich wechseln- der Dominikanerkirche in Krems seines Arztes den Sommer in Baden. den Leitthema – finden an verschiedenen über einen weiteren Ausstellungsort. Jahre später mietet er sich in drei aufein- Orten im Waldviertel statt. Gleich- anderfolgenden Sommern (1821–1823) zeitig werden Meisterkurse, geleitet von im Haus „Beym Kupferschläger“ ein, wo renommierten Solisten, angeboten. wesentliche Passagen seiner 9. Sinfonie entstehen. 2014 wird in dem Haus ein innovatives Museum für diesen Giganten der Musikgeschichte eingerichtet.

354 Schön, gut und wirklich wahr Kunst und Kultur 355 Ernst Langthaler Großer Übergang Andrea Komlosy Charlotte Natmeßnig Andreas Resch Gerhard A. Stadler in kleinen Christian Helmenstein Schritten Wirtschaft und Gesellschaft

Niederösterreich ist ein Agrarland. Nicht nur, aber auch. Unter allen Bundesländern verfügt Nieder- österreich wohl über die größte Vielfalt an Agrarlandschaften: vom pannonischen Weinbau bis zur alpinen Almweide. Kernland | Urproduktion | Donau | Maria Theresia | Nachholende Entwicklung | Merkantilismus | Müßiggang | Erdäpfel | Rückständigkeit | „grüne Revolution“ | Manufakturen | Abwanderung | Industrialisierung | Handarbeit | Andreas Töpper | Sommerfrische | Agrarisches Hinterland | „Ziegelböhm“ | Fleisch | Rüstungsindustrie | Umbruchsjahre | Bauernschutz | Zwangsversteigerungen | Alpendollar | Spanische Grippe | Inflationszeit | Marienthal | „Hamstern“ | „Erzeugungsschlacht“ | „Reichsluftschutzkeller“ | Zwangsarbeit | Wiederaufbau | USIA-Betriebe | „Völkischer Wohlfahrtsstaat“ | „Eintopfsonntag“ | Kalorien | Agrarrevolution | Milchseen | Wirtschaftswunder | Investitionswelle | Gastarbeiter | „Austrokeynesianismus“ | Shopping City Süd | Baby-Boom | Lebensstil | EU-Beitritt | Themenpark | Globalisierung | Wachstumspol | Esskulturen | Wirtschaft und Gesellschaft seit 1750

Wirtschaft gibt es, seit es menschliche Gesellschaften gibt. Immer und überall suchen Die Große Transformation Um die Mitte des 18. Jahrhunderts setzte im Nordwesten und später in anderen Teilen verwandelte die traditionelle Europas ein weit reichender und tief greifender Übergang von Wirtschaft und Gesell- Menschen ihr (Über-)Leben mittels verschiedener Formen von Arbeit zu sichern – Agrargesellschaft zunächst schaft ein. Dieser Übergang verwandelte die traditionelle Agrargesellschaft zunächst zunächst in Jäger- und Sammlergesellschaften, dann in Agrar- und schließlich in Indus- in eine Industrie- und in eine Industrie- und schließlich in eine Dienstleistungsgesellschaft. Er erfolgte in schließlich in eine Dienst- „Teilübergängen“: etwa von der Nutzung erneuerbarer Ressourcen (Sonne, Wasser, trie- und Dienstleistungsgesellschaften. Neben der Erzeugung von Gütern – Waren leistungsgesellschaft. Holz etc.) zum Verbrauch fossiler Ressourcen (Kohle, Erdöl, Erdgas etc.); von agrarisch und Dienstleistungen – gehören auch deren Verteilung und Verbrauch zum Aufgaben- und gewerblich tätigen Haushalten zu Industrie- und Dienstleistungsbetrieben; vom lokalen und regionalen Austausch zu (wohlfahrts-)staatlicher Umverteilung sowie feld der Wirtschaft. Dabei geht es nicht allein um die rein technische Umwandlung nationalen und globalen Märkten; von häuslicher und kommunaler (Teil-)Selbstver- von Produktionsfaktoren (Land, Arbeit, Kapital etc.) in verschiedene Produkte – sorgung zum Marktkauf von täglichen Bedarfsgütern; von der alltäglichen Erfahrung zum professionalisierten Expertentum. Dieser Übergang vollzog sich nicht in einem etwa um den Anbau von Getreide zur Selbstversorgung mit Brot, das Weben von Baum- großen Sprung von heute auf morgen, sondern in kleinen Schritten – einmal rascher, wollhemden zum Verkauf im Warenhaus oder die Errichtung einer Kegelbahn für ein andermal langsamer – über zwei, drei Jahrhunderte. das Freizeitvergnügen der „Sommerfrischler“. Über formelle und informelle Institutio- Schauplatz mit Besonderheiten nen, die den Fluss der Als einen Schauplatz des „Großen Übergangs in kleinen Schritten“ betrachten wir hier den niederösterreichischen Raum. Niederösterreich war ab Mitte des 18. Jahr- Produkte von der Erzeugung hunderts als habsburgisches Kronland, österreichisches Bundesland und großdeutscher bis zum Verbrauch regeln, Reichsgau zwar eine Verwaltungseinheit mit festgelegten, wenn auch mehrmals verschobenen Grenzen. Doch bildete das Land keinen einheitlichen Wirtschaftsraum, ist die Wirtschaft in die sondern bestand aus einem bunten Konglomerat von Regionen. Ob eine Region Gesellschaft eingebettet: eher eine zentrale oder eher eine periphere Stellung im wirtschaftsräumlichen Gefüge einnimmt, hängt einerseits von den äußeren Macht- und Austauschbeziehungen, etwa über die Dorfgemeinde, andererseits vom inneren Entwicklungspotenzial ab. Das Erzherzogtum Österreich die den Ablauf der Feld- unter der Enns mit der Haupt- und Residenzstadt Wien als überragendem Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum bildete jahrhundertelang das Kernland des Habsburger- arbeiten im Arbeitsjahr reiches; dementsprechend zählte es – bei allen regionalen Unterschieden – zu den koordiniert, die Sozialpolitik, vergleichsweise privilegierten und entwickelten Kronländern. Niederösterreich zeichnet sich durch eine breite Palette an Landschaften aus, die Möglichkeiten und die die Arbeits- und Lebens- Grenzen der „Urproduktion“, der unmittelbaren Nutzung des Landes durch Land- bedingungen der Fabrik- und Forstwirtschaft sowie Fischerei und Bergbau, festlegten. Die landwirtschaftlichen Produktionsgebiete innerhalb der Landesgrenzen – Voralpen, Alpenostrand, Wald- arbeiter/innen regelt, oder viertel, Alpenvorland sowie nordöstliches Flach- und Hügelland – zeigen vielfältige die Tourismuswerbung, Formen der Landnutzung, von der Forst- und Grünlandwirtschaft bis zum Acker- Niederösterreich zeichnet sich und Weinbau. Neben den Klima-, Boden- und Reliefbedingungen des Landes bildeten die mit Bildern wildromanti- durch eine breite Palette an die Gewässer Niederösterreichs entscheidende Wirtschaftsbedingungen: die Donau scher Landschaften Sehn- Landschaften aus, die Möglich- als überregionale Verkehrsverbindung in den süddeutschen und, seit dem späten keiten und Grenzen der Nutzung 18. Jahrhundert, auch in den ungarischen Raum sowie die ihr aus den niederschlagsrei- sucht nach einem Sommer- durch Land- und Forstwirt- chen Alpen zuströmenden Nebenflüsse als vor- und frühindustrielle Energiequellen. frische-Urlaub weckt. schaft, durch Fischerei und Zudem schlummerten im Wiener Becken und im Weinviertel Erdöl- und Erdgasvorräte Kurz, Wirtschaft und Gesell- Bergbau festlegten. im ansonsten an Bodenschätzen armen Land. schaft sind untrennbar miteinander verwoben.

Inszenierung obrigkeitlicher Volksverbundenheit: Kaiser Joseph II. am Pflug, Slavikovitz in Mähren, 1769.

358 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 359 Industriestandorte in Niederösterreich um 1840 Habsburgs Aufholversuch (1750–1830) Die Verteilung der Industriestandorte etwa die Walz- und Hammerwerke im um die Mitte des 19. Jahrhunderts lässt Ybbs-, Erlauf- und Traisental, die Die innere und äußere Lage des Habsburgerreiches um 1750 war zwiespältig: Zwar die industriellen Verdichtungsräume Spinnereien und Webereien im Wiener stand die Monarchie infolge territorialer Erweiterungen seit Ende des Dreißigjährigen in den nach Norden und Osten geöffne- Becken und im Waldviertel sowie ten Alpentälern, im Wiener Becken die Ziegeleien im Umkreis der Haupt- Krieges 1649 politisch gestärkt da – und das trotz des Verlustes Schlesiens im Erb- und im Oberen Waldviertel erkennen. und Residenzstadt Wien. folgekrieg nach dem Regierungsantritt Maria Theresias. Wirtschaftlich jedoch wirkten Regionale Schwerpunkte bildeten Kriegszerstörungen, Steuerlasten und Rekatholisierung, die Teile des Adels und des Bürgertums zur Emigration zwang, langehin schwächend. Dazu kam die wirtschaftliche Schwerpunktverlagerung vom oberitalienischen und vom süddeutschen zum nord- westeuropäischen Raum – und mit diesem Zentrum stand Niederösterreich nur in losem Kontakt (während das angrenzende Böhmen über die Elbe damit fester verbun- den war). Innerhalb des Habsburgerreiches spiegelte sich das gesamteuropäische O Q K K Q K K K Entwicklungsgefälle von West nach Ost im Kleinformat wider: von den böhmischen K K Q bK K K Q Q K T T K b K und den Alpenländern – einschließlich Niederösterreichs mit der Residenzstadt Wien – KK K K P PT M K T TK T am entwicklungsstärkeren Pol bis zu den östlich und südlich liegenden Gebieten T X K Q Z K b am entwicklungsschwächeren Pol. Entsprechend verliefen die Hauptströme des Han- K KK K T P O bK bb b a a Y O dels: (Halb-)Fertigprodukte von West nach Ost, Nahrungsmittel von Ost nach West. K b X a TK TT ObQ Tb b Die Reformen folgten In der spätfeudalen Gesellschaft wurde das nach politischer Beteiligung strebende K T Q T T dem Grundsatz, Wohlstand und vor allem im Industrie- und Handelsbereich engagierte Bürgertum zurückge- YYQ T Q a VV O b X b und Macht des Reiches drängt. Die adeligen und geistlichen Grundherren, die sich zunehmend auf ihre Eigen- TTP O Q V Y K K Q Y S bKT T O V XY zu vermehren; so sollte mehr wirtschaft konzentrierten, beschnitten Rechte der bäuerlichen Untertanen und K a b V Y O K bb T Y YY L b Q Q S YY YY KK Q O K T Tb Y b Steuergeld in die durch legten ihnen – zusätzlich zu den immer drückenderen Steuerforderungen des Landes- K K WK Q Qb Q N O K Pb T K T bbbQ SU aP V V Y XXX die vielen Kriege chronisch fürsten – weitere Lasten auf; folglich flammten wiederholt kleinere und größere K K Q V V VV K K T Y V KK QT bb T b Y leere Staatskasse gespült Bauernaufstände auf. K T b QXK T V P K V Q Y b XYV werden. Die absolutistischen Landesfürsten Maria Theresia und Joseph II. sowie ihr XY V O K K Y XXYX T V YY X aufklärerischer Beraterkreis erkannten, dass das Habsburgerreich weder militärisch M UVV YYY bY VO K V K b YN Y noch wirtschaftlich konkurrenzfähig war. So erfuhr das Programm einer nachholenden K Q SSbY U K b K Q Q T Q QSQ b b b Entwicklung, dessen Ansätze in die Regierungszeit Leopolds I. und Karls VI. zurück- PaO bM Y K K QVW T b V Tbb V Y reichten (Unternehmensprivilegien, Straßenbau, Freihafen Triest etc.), einen markan- K Q U b T U T b K a V a V Q V U QO V b QO S Q T b T ten Schub. Die theresianisch-josephinischen Reformen folgten dem merkantilistischen XX Y S L XXX T T V Y P b L V LO Grundsatz, den Wohlstand – und damit die Macht – des Reiches zu vermehren; so Q W VV V T Y Y O T TT V b T W N W a Q S YV SSTTS sollte letztlich mehr Steuergeld in die durch die vielen Kriege chronisch leere Staats- Q U S a Y T Q XWX O Q U Q Y kasse gespült werden. Im Zuge dieses Entwicklungsprogramms wollte man die regiona- Q Q bQ N b K S SS P N T S a U X L W O YY O b Mb U K T K L b YY le Arbeitsteilung im Habsburgerreich ausbauen: „Nach diesem Programm sollten V V Y b N bQ T O L O U P Y VT M T b b b b U Q bOXNWP b K T T Y b SS Y Q die westlichen Kronländer das industrielle Kernland des Reiches werden und die T W T T Q Q V O Y S Y b V a T P V VO O b b c V T X U T Q V YYYY S VVV X b Q Q XXTT T YYY T b ST Gebiete im Osten die agrarische Versorgung übernehmen.“ (David Good) b Q b T S Q bO TOTYYYY bP T Y V X P P SS U TT YYT T O T U XV QQ O Q T NQ T b b T b Die theresianisch-josephinischen Reformen hatten mehrere wirtschafts- und Y QM Q TT b P Q Y K XT T O NbT P W X XV T T V Q Q Q YQ b bO XX P P bY M P T b gesellschaftspolitische Schwerpunkte: Erstens sollte das „Humankapital“ der Bevölke- Q Q Q Q Q S K X XTT PT T T PT Q O Q Y S QQ QQ QQ TS T V O b O Y b Q Q Q Q Q S V XU W X T T rung mobilisiert werden – einerseits durch die Disziplinierung mittels der allgemeinen Q Q SSM QSSS QOS X WO T T T VVV TT Q QP QQV Q O P T T XT Q V Q Q X Q a Q S Q T T XTT T V VVb V U Qb K b Q U Q W UX S Q QK Y Tb P T VVV Schulpflicht 1774 sowie der Abschaffung kirchlicher Feiertage, andererseits durch Q VV Q b Q S aQ Q S O TSbX QT T V T QQ QQ SQ Q S Q QS bb T P S QQ QQ V QQ Q SQ Q Q QQ Q SXX TPTT T b V die Toleranz gegenüber nichtkatholischen Konfessionen (Protestanten, Orthodoxen Q Q S aQQ Q Q Q QQQ K OQS TT QT O QQS Q Q Q X a Q S Q S S Q T T T Qbb Q U Q Q W Q QQ T b Q Q SQ a QSS b Q S T T und Juden) 1781/82 sowie den Zuzug fachkundiger Unternehmer/innen und Arbeits- V Q S V b V Q a X T T T Q Q R X b Q T T Q W Q Q S b V WQS b O kräfte aus dem Ausland. Insgesamt suchte das obrigkeitsstaatliche Disziplinierungspro- Q Q a QS Q QQS QQS Q TQ T a W Q Q QQ Q Q T T T P T QQ SS K Q QO Sa T jekt den Untertanen den „Müßiggang“ auszutreiben und den „Fleiß“ einzuimpfen. Q Q X QQQ O Q Q V OTb Q Q V T T T ST P QQ Q Q Q Q Q U T S Zweitens wurden rechtliche und wirtschaftliche Hemmnisse der regionalen Arbeits- QQ QQ V K S P TT Q Q T Q Q Q S teilung beseitigt. Das geschah zum einen 1775 durch den Abbau der Zollschranken S Q T T Q a zwischen den meisten österreichischen Ländern – so auch an den Grenzen Niederös- Q S Q S U a TT SS Q O Q a a b a S S T TQ a terreichs –, zum anderen durch den Ausbau der Land- und Wasserstraßen. Drittens a W O a U VQ V Q Q wurden „alteuropäische“ Institutionen durch die Beschneidung der Grundherrschaft Xa Q Q Q V PTXQQ a a Q a (Aufhebung der Leibeigenschaft 1781, Begrenzung bäuerlicher Dienste und Abgaben, VX Q XQ PS Q O Besteuerung des Herrenlandes etc.), aber auch durch das weitere Aufbrechen der U S Q Handwerkszunftordnung mittels Unternehmensprivilegien zurückgesetzt oder ersetzt. a Das Reformprogramm führte nicht unmittelbar zur Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft; es schuf jedoch institutionelle Voraussetzungen für anhaltendes a Wirtschaftswachstum und eine staatsbürgerliche Zivilgesellschaft im 19. Jahrhundert. a Wenig Freude mit Reformen Q Walz- und Hammerwerke R Erdölgewinnung Y Ziegeleibetrieb Gemessen am Beschäftigtenanteil waren die habsburgischen Länder an L Roh- und Raffinadezuckererzeugung S sonstige Eisen- und Metallbearbeitungsbetriebe Q Kupferwalz- und Kupferhammerwerke der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nach wie vor von der Landwirtschaft N Keramik- und Gipswarenerzeugung T Spinnereien und Webereien (Seide, Schafwolle, Z Holzuhrenerzeugung geprägt – selbst das bereits ansatzweise industrialisierte Niederösterreich. Während K Glaswaren- und Spiegelerzeugung Baumwolle, Leinen und sonstige Textilindustrie) W Erzverhüttung der Merkantilismus bis Mitte des 18. Jahrhunderts auf den gewerblich-industriellen M Lederherstellung und -verarbeitung U Kohle- und Graphitbergbau a Blei-, Gold-, Silber-, Kupfer-, Zinkbergbau Bereich fokussierte, wurde unter dem Einfluss physiokratischer Ideen, die davon O chemische Betriebe (Alaunsiederei, Farbenerzeugung, V Steinbruchbetrieb (nur Baustein) a Alaun-, Antimon-, Bernstein-, Eisenbergbau ausgehen, dass allein Grund und Boden für den Reichtum eines Landes verantwortlich Kerzenfabriken, Pulvermühlen, Pulverstampfen, W holzverarbeitende Betriebe (Knopfwaren, b Bierbrauereien seien, in der theresianisch-josephinischen Ära der mit dem Gewerbe noch eng ver- Salitereien, Terpentinerzeugung etc.) Pfeifen- und Stockerzeugung) c Tabakfabrikation knüpfte Agrarbereich vermehrt gefördert. Dies diente nicht allein dem Ackerbau P Papierherstellung und -verarbeitung X Gips- und Kalkgewinnung (auch Brüche) und der Viehzucht, sondern auch der Industrie: feinwollige Schafe für besseres Tuch,

360 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 361 Holz war in der Frühindustrialisierung eine wichtige Energiequelle. Seine Gewinnung war arbeitsaufwendig und für die Holzfäller gefährlich, vor allem im Gebirge: Höllental, um 1910, handkoloriertes Glasdiapositiv.

Der Transport der Stämme vom entlegenen Waldstandort zum triftfähigen Fluss erforderte ausgeklügelte technische Hilfsmittel: Holzseilbahn, Schwarzau im Gebirge, um 1910, handkoloriertes Glasdiapositiv.

Nicht Belehrung, sondern baltischer Flachs für bessere Leinwand. Manche Grundherrschaften begannen die zu ernähren. Trotz der günstigen Wachstumsbedingungen im niederösterreichischen das praktische Beispiel bei den bäuerlichen Untertanen noch gängige Dreifelderwirtschaft durch Neuerungen Flach- und Hügelland hinkte die „grüne Revolution“ hierzulande gegenüber den des Gutsbetriebs – vermehrte wie Kleeanbau auf dem Brachefeld, ganzjährige Stallhaltung des Viehs, Einführung Entwicklungen in anderen Kronländern nach – etwa in Oberösterreich, wo 1830 nur Futter- und Milcherzeugung – neuer Kulturpflanzen (Erdäpfel, Mais, Runkelrübe etc.) aufzubrechen. Diese Reformbe- mehr 16 Prozent der Ackerfläche gegenüber 28 Prozent in Niederösterreich brach- bewog die Bauernschaft mühungen stießen nicht überall auf Zustimmung, sondern entfachten mancherorts lagen. Dies lag wohl auch am höheren Lohnniveau im Umfeld des gewerblich-indus- zum Umdenken. bäuerlichen Widerstand. So etwa klagte der dem Fortschritt verschriebene Verwalter triellen Zentrums Wien, das arbeitsaufwendige Intensivierungsschritte hemmte. der Herrschaft Oberwaltersdorf 1771 über die Rückständigkeit der bäuerlichen Unter- tanen: „Ihr Urvatter, Großvatter und Vatter hätten es nicht anders gemacht.“ Nicht Blüte der Manufakturen theoretische Belehrung, sondern das praktische Beispiel des Gutsbetriebs – vermehrte Im Lauf des 18. Jahrhunderts entstanden in Wien und seinem Umland indus- Futter- und Milcherzeugung – bewog die Oberwaltersdorfer Bauernschaft schließ- trielle Großbetriebe, oft auch als „Manufakturen“ oder „Fabriken“ bezeichnet. Diese lich zum Umdenken. Reformmaßnahmen von oben wie etwa Robot-, Untertanen- Privatunternehmen waren dank staatlicher „Fabriksprivilegien“ aus den Fesseln der und Steuerpatente, Erleichterung des Marktzugangs oder Verbreitung von Fachwissen Zunftordnung befreit. Nach dem Erlöschen des ausschließlichen Privilegs für die sowie Neuerungsansätze von unten setzten eine „grüne Revolution“ in Gang, die Schwechater Baumwollmanufaktur 1762 entstanden in Ebreichsdorf, Fridau, Himberg, mittels verbesserten Nährstoffmanagements die Bodenproduktivität erheblich steiger- Kettenhof und St. Pölten weitere Großbetriebe, die zusammen als die „sechs k. k. priv. te; hingegen verzeichnete die Arbeitsproduktivität wegen des erhöhten Aufwands Zitz- und Kattunfabriken“ oder, noch achtungsvoller, „erbländischen Hauptkotton- auf dem Feld und im Stall kaum Steigerungen. Die Zuwächse im Bereich der Pflanzen- fabriken“ bezeichnet wurden. „Kommerzialgewerbe“, die für den Export arbeiteten, und Tierproduktion in Niederösterreich – so etwa der Getreideernte von 246.300 wurden von den zünftischen Regeln ausgenommen; hingegen verblieben die (1770) auf 291.700 Tonnen (1789) und des Ochsenbestands von 55.000 (1766/69) „Polizeigewerbe“, die der Nahversorgung dienten (Fleischhauer, Bäcker, Rauchfang- auf 84.700 Stück (1789) – dienten dazu, die wachsende Bevölkerung in Stadt und Land kehrer etc.), unter rigider Kontrolle.

362 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 363 Die Arbeit in den zentralen, oft mehrere hundert Beschäftigte umfassenden Textil- manufakturen war meist kombiniert mit der Heimarbeit von hunderten bis tausenden Spinner- und Weberfamilien („Protoindustrie“), die vielfach in Randlagen wie dem Waldviertel lebten (siehe den Beitrag von Andrea Komlosy). Das Wiener Becken bot der Textilindustrie mehrere Standortvorteile: die Fließgewässer der „feuchten Ebene“ als Antriebskraft; die Lage an der Fernstraße Wien–Triest, über die Rohbaumwolle aus Übersee kam; das trockene Steinfeld, das die Schafhaltung begünstigte; die Nähe zu Wien und Ungarn als Absatzmarkt für Textilien. Zudem bestand in Wien, unter anderem wegen Vorbehalten gegen die Entstehung eines städtischen Proletariats, langehin ein Verbot für die Ansiedlung von Großbetrieben. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gerieten die noch weitgehend manuell betriebenen Manufakturen durch die Mechanisierung von Fertigungsschrit- ten mehr und mehr unter den Konkurrenzdruck der Fabriken. Die erste mechanische Spinnfabrik, die dem englischen Stand der Technik und des Wissens entsprach, ent- stand 1801 in Pottendorf. Weitere derartige Gründungen im Viertel unter dem Wiener- wald, mit entscheidender Beteiligung ausländischer – meist britischer - Fachleute und Technologien, führten im Waldviertel und in anderen agrarischen Randgebieten zum Niedergang der Handspinnerei und zur Abwanderung in die Industriezentren. Die Verlagerung auf die Heimweberei bot vorübergehend eine Alternative, ehe die Mechanisierung auch die Weberei erfasste. Neben der Textil- und Druckerei- fasste auch die Eisen- und Metallwarenindustrie, vor allem für Militärgüter sowie für Arbeits- und Haushaltsgeräte, im Wiener Becken und in einigen Voralpentälern Fuß (siehe den Beitrag von Charlotte Natmeßnig und Andreas Resch). Die hohe Betriebsdichte im bald „Industrieviertel“ genannten Landesteil an der Wende vom 18. zum 19. Jahr- hundert veranlasste manch damaligen Beobachter dazu, Parallelen zu den englischen Industrierevieren zu ziehen. Tatsächlich bildete das Industrieviertel ein regionales Zentrum der industriellen Revolution im Habsburgerreich: „Die niederöster- reichischen Zentralräume und ihre Unternehmen waren in der Lage, die regionalen Disparitäten in eine für sie vorteilhafte Wachstumsdynamik zu verwandeln.“ (Andrea Komlosy)

Der Einzelhandel war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein kleinbetrieblich geprägt: Geschäftshaus mit Eisen- warenhandlung und Korbflechterei, Stockerau, 1914.

Die niederösterreichischen Eisenwurzen blicken auf eine jahrhundertelange Tradition der Metallverarbeitung zurück, die bis in die Gegenwart reicht: Die Brüder Fahrn- gruber beim Hackenschmieden, Ybbsitz.

365 Auslaufmodell Kleineisenindustrie: Hammerschmiede bei St. Anton an der Jeßnitz, Federzeichnung, 1830.

Spinnmaschinen, handkoloriertes Glasdiapositiv, um 1910. Tendenziell sanken die Die Zunahme der Beschäftigtenzahlen in den niederösterreichischen Manufakturen stadt, doch über jener im restlichen Gebiet des heutigen Österreich (0,2 Prozent). Reallöhne der Unterschichten von 19.727 (1762) auf 182.473 (1790) verweist nicht nur auf erhebliches Produktions- Das rasche Bevölkerungswachstum Wiens drückt nicht nur positive Geburten-, sondern im frühen 19. Jahrhundert. wachstum, sondern auch auf einen – trotz des Mehrbedarfs der Landwirtschaft – auch positive Wanderungsbilanzen aus. Die rechtliche Lockerung der Mobilitätsbe- Dies förderte die Abwande- funktionierenden Arbeitsmarkt. Die Beschäftigten in der Textilindustrie, die in den schränkungen der Landbevölkerung, etwa das Untertanenpatent 1781 mit freier Wohn- rung vom Land und die Zentralbetrieben wochentags jeweils 14 bis 16 Stunden meist mühevolle, monotone ort- und Berufswahl, und der wirtschaftliche Zwang oder Anreiz, einem außeragrari- Bildung eines großstädtischen und ungesunde Arbeiten leisteten, waren überwiegend weiblich: 1790 arbeiteten schen Erwerb nachzugehen, regten die Abwanderung aus agrarischen Peripherien Proletariats umso mehr. in den Manufakturen nicht weniger als 80 Prozent Frauen und Mädchen, die am in industrielle Zentren an. Tendenziell sanken die Reallöhne der ländlichen und unteren Ende der Betriebshierarchie – unterhalb von Direktion, bürgerlichen Werks- städtischen Unterschichten nach einem Anstieg im späten 18. Jahrhundert im frühen beamten und meist männlicher Facharbeiterschaft – rangierten. Trotz der ausbeu- Die Revolution des Fleißes, 19. Jahrhundert unter dem Druck der Geldentwertung wieder. Dies förderte die terischen, für die Unternehmen profitablen Löhne, die die (Heim-)Arbeiterfamilien die vom 18. bis zum frühen Abwanderung vom Land und die Bildung eines großstädtischen Proletariats – und durch landwirtschaftliche Selbstversorgung zu kompensieren suchten, besserte 19. Jahrhundert eine befeuerte auch die Furcht der Mittel- und Oberschichten vor der damit assoziierten die (heim-)industrielle Tätigkeit, vor allem der Frauen und Mädchen, die Familien- Reduzierung der Freizeit Revolutionsgefahr. Trotz Massenarmut und gelegentlicher Hungerkrisen vermochte einkommen auf und begünstigte somit Hausstandgründungen. und eine Verlagerung sich die arbeitsteilig organisierte Gesellschaft des Habsburgerreiches langsam aus der Wünsche auf über den der Klemme von Nahrungsknappheit und Bevölkerungswachstum zu befreien. Die Bevölkerung wächst Markt erwerbbare Güter So begannen sich die Umrisse einer Konsumgesellschaft abzuzeichnen: „Die Revolu- Die Neuerungen im Agrar- und Industriebereich im späten 18. und frühen brachte, war die Folge tion des Fleißes, die vom 18. bis zum frühen 19. Jahrhundert eine Reduzierung der 19. Jahrhundert, die Teilen der Bevölkerung mehr Überlebenssicherheit boten, regten einer neuen, stimulierenden Freizeit und eine Verlagerung der Wünsche auf über den Markt erwerbbare Güter auch das Bevölkerungswachstum im Land unter der Enns an. Wiens Einwohnerzahl Warenwelt. brachte, war die Folge einer neuen, stimulierenden Warenwelt.“ (Roman Sandgruber) stieg von 380.100 (1790) auf 550.900 Personen (1830); das entsprach einem jährlichen Wachstum von einem Prozent. Im niederösterreichischen Hinterland wuchs die Be- völkerung im selben Zeitraum von 759.800 auf 881.500 Personen (0,4 Prozent jährlich). Damit lag die Wachstumsdynamik des Landes zwar deutlich unter jener der Haupt-

366 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 367 Anhaltendes Wachstum (1830–1914)

Der niederösterreichische Wirt- Die Wachstumsimpulse der theresianisch-josephinischen Ära wurden im Zuge der schaftsraum erfuhr seine bis heute Napoleonischen Kriege und der damit verbundenen Wirtschaftsturbulenzen gedämpft. charakteristische Vielgestaltig- Doch um 1830, also lange vor der 1848er-Revolution, setzte im Westen des 1804 be- keit, die sich auch in den Viertels- gründeten Kaisertums Österreich – so auch in Niederösterreich – trotz der reaktionä- bezeichnungen ausdrückt. ren Herrschaft des „guten“ Kaisers Franz I. ein lang anhaltendes Wirtschaftswachs- tum ein. Im Zuge dessen erfuhr Niederösterreich eine massive Industrialisierung, die sich auf Wien, das Wiener Becken und einige Voralpentäler konzentrierte. Abgesehen vom institutionellen Erbe der theresianisch-josephinischen Ära beruhte der Wachs- tumsschub auf mehreren Triebkräften: dem Ausbau eines weitverzweigten Eisenbahn- netzes, das die Industriestandorte mit den wichtigsten Märkten verband und selbst neue Industrien schuf; der Abwanderung aus entlegenen Agrarregionen dies- und jenseits der Landesgrenze, die billige Fabrikarbeitskräfte heranführte; der Entstehung leistungsfähiger Banken in Wien, die den Firmen Finanzkapital für Investitionen bereitstellten; der nach Gründung der österreichisch-ungarischen Zollunion 1850 und dem Ausgleich 1867 vertieften Arbeitsteilung zwischen den beiden Reichshälften, die der (nieder-)österreichischen Industrie den ungarischen Absatzmarkt öffnete; Leben auf engstem Raum: Arbeitswohnhaus der zunehmenden Kaufkraft, vor allem der städtischen Bevölkerung, die den Massen- („langes Haus“) in Pottendorf. konsum anregte; schließlich auch dem staatlichen Protektionismus als antiliberalisti- scher Reaktion auf die 1873 einsetzende Wirtschaftskrise, der österreichische Industrielle und ungarische Agrarier vor ausländischer Billigkonkurrenz auf dem Binnenmarkt beschützte. Die Vertiefung der regionalen Differenzierung im 19. Jahrhundert verlieh dem niederösterreichischen Wirtschaftsraum seine bis heute charakteristische Vielge- staltigkeit, die sich auch in den Viertelsbezeichnungen – Wald-, Wein-, Most- und Industrieviertel – ausdrückt. Parallel zur agrarischen Arbeitsteilung – einerseits die mit ungarischer Konkurrenz kämpfenden Marktfruchtbetriebe rund um Wien und im verkehrsmäßig gut erschlossenen Flach- und Hügelland, andererseits die stärker auf Selbstversorgung ausgerichteten Betriebe in den Rand- und Gebirgslagen – entstanden mehrere gewerblich-industrielle Schwerpunkte. Die Großindustrie konzentrierte sich neben Wien vor allem im Wiener Becken und entlang der 1842 bis Gloggnitz eröffneten Südbahn und strahlte in die einmündenden Seitentäler des Ostalpenrandes aus. Zunächst siedelten sich an den Wasserläufen mit Privilegien ausgestattete Textil- fabriken und Stoffdruckereien an. Später folgte die Metall- und Rüstungsindustrie, so etwa mit der Lokomotivfabrik in Wiener Neustadt 1842 und dem Stahlwerk in Ternitz 1867. Schließlich stiegen die Fahrzeug-, Maschinen-, Elektro-, Lebensmittel- und chemische Industrie zu Leitsektoren auf. Im nördlichen Waldviertel wie auch in den südböhmischen Nachbarregionen, seit 1869 über die Kaiser-Franz-Josephs-Bahn erschlossen, hatte sich seit dem 18. Jahrhundert die hausgewerbliche Textilverar- beitung konzentriert. Diese Textilregion diente seit Mitte des 19. Jahrhunderts zuneh- mend als verlängerte Werkbank von Firmen aus dem Großraum Wien, die aus Kosten- gründen die arbeitsintensiven Schritte der Weberei und Druckerei an Billig-standorte verlagerten. Im Schatten der dominanten Nord-Süd-Achse zwischen den durch die Kaiser-Ferdinand-Nordbahn seit 1838 erschlossenen mährischen und schlesischen Kohlerevieren und dem am Ende der Südbahn gelegenen Seehafen von Triest standen die Landstriche entlang der 1858 eröffneten Kaiserin-Elisabeth-Westbahn. Hier knüpfte sich kein geschlossenes Industrieband. Das lag auch am Niedergang der jahrhundertealten Kleineisenindustrie in den Eisenwurzen durch die großindustrielle Konkurrenz des Wiener Beckens, den nur einige Industriestandorte im Ybbs- und Erlauftal überlebten, wie etwa Waidhofen an der Ybbs. Einzig das spät industrialisierte St. Pölten und das Traisental bildeten eine Nord-Süd-Achse der Eisen- und Metall- erzeugung. Die übrigen Regionen Niederösterreichs, vor allem das Wein- und große Teile des Waldviertels sowie die nun deindustrialisierten Abschnitte des Mostviertels, wiesen weiterhin ein agrarisches Gepräge auf.

368 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 369 Die „Bauernbefreiung“ war ein bleibendes Die Maschinen der Bauern Ergebnis der Revolution von 1848/49. Das Hinterland Wiens blieb bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs zutiefst Ihre Bedeutung wird vielfach überschätzt: Weder hatte die Grundherrschaft landwirtschaftlich geprägt. Die im (west-)europäischen Vergleich späte „Bauernbefrei- Neuerungen grundsätzlich verhindert, ung“, die Aufhebung der Grundherrschaft im Zuge der 1848er-Revolution, spielte noch beschleunigte ihre Aufhebung die keine entscheidende Rolle: Weder verhinderte das Fortwirken feudaler Institutionen Agrarentwicklung entscheidend. bis 1848 die Übernahme agrarischer Neuerungen, noch beschleunigte deren Auf- hebung die Agrarentwicklung. Die Bauernschaft musste kein Land an die Grundherren abtreten und vermochte sich in den günstigeren Lagen ihrer aus der Grundent- lastung resultierenden Zahlungsverpflichtungen in der folgenden Agrarkonjunktur der 1850er- und 1860er-Jahre – sichtbar am Ausbau der mächtigen, teils prunkvollen Vierkanter im Alpenvorland – rasch zu entledigen. Dagegen häuften sich in den un- günstigeren Gebirgs- und Randlagen die bäuerlichen Schulden. Die „Agrarrevolution“ ging im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert vom Wachstum der Bodenproduktivität mittels Arbeitseinsatzes zum Wachstum der Arbeitsproduktivität mittels Maschinen- einsatzes – bei anhaltender Bedeutung der Handarbeit – über. Fortschrittsbewegte Versuche, die Dampfmaschinentechnologie, etwa in Gestalt des von zwei Lokomobilen über den Acker gezogenen Pfluges, auf dem Feld einzusetzen, kamen über spektaku- läre Vorführungen auf Gutsbetrieben kaum hinaus. Und doch fanden arbeitssparende Maschinen am Hof, etwa die durch eine Lokomobile betriebene Dreschmaschine, auch in Bauernbetrieben weite Verbreitung. Durch die Abgabe von Landarbeitskräften und Industrierohstoffen und die Abnahme von Landmaschinen und Mineraldünger traten „Agrarrevolution“ und industrielle Revolution in ein dynamisches Wechselspiel. Die beginnende Industrialisierung der Landwirtschaft beschränkte sich jedoch auf Guts- und großbäuerliche Betriebe in Gunstlagen, etwa im Marchfeld, wo der mit slowakischen Saisonarbeitskräften betriebene Zuckerrübenbau boomte. In den kleineren Betrieben sowie in Rand- und Gebirgslagen herrschte weiterhin die tägliche Handarbeit der Bauernfamilien und ihres Personals – vorwiegend Gesinde in den Viehhaltungsgebieten der Voralpen und des Waldviertels, vorwiegend Taglöhner/innen in den Getreidebauregionen des Flach- und Hügellandes – vor. Die Agrarkrise im Zuge der Globalisierungswelle seit den 1870er-Jahren und die darauf reagierende konservative „Mittelstandpolitik“ ab den 1880er-Jahren begünstigten die Gründung bäuerlicher Genossenschaften und ver- wandter Organisationen mit antiliberalistischer und antisozialistischer Orientierung. Die Politisierung der Bauernschaft unter vorwiegend christlichsozialen, ansatz- weise auch deutschnationalen Vorzeichen, denen „der Jude“ als mobilisierungsfähiges Feindbild diente, verstärkte auch die antisemitische Stoßrichtung. Niederösterreich blieb im 19. Jahrhundert „Bauernland“; zugleich wandelte es sich mehr und mehr zu einem Industrieland: „Statt Handwerk Industrie – statt Industrie Technologie“ (Peter Eigner). Zwar stellte das expandierende Fabrikwesen eine übermächtige Konkurrenz für viele Gewerbezweige dar; doch vermochten sich flexible Klein- und Mittelbetriebe in Nischen zu behaupten oder an Neuerungen anzupassen. Zudem ließ die Industrialisierung neue Gewerbe wie Installateur, Elektri- ker und Fotograf entstehen. Neben der Konkurrenz zwischen (Klein-)Gewerbe und (Groß-)Industrie entwickelten sich auch Formen der Koexistenz und Kooperation zwischen den beiden Bereichen. Das zeigt etwa die Betriebszählung von 1902: Mehr- heitlich großbetrieblich organisiert waren Bergbau- und Hüttenbetriebe, etwas schwächer auch Papier- und chemische Industrie. Mittelbetriebe herrschten in Leder- erzeugung und grafischem Gewerbe vor; kleinbetrieblich geprägt waren Holz- und Bekleidungsindustrie. Sowohl klein- als auch großbetriebliche Schwerpunkte zeigten Metallverarbeitung, Maschinenbau, Textilerzeugung sowie Nahrungs- und Genuss- mittelindustrie. Die Liberalisierung der Gewerbeordnung 1859 verschärfte den Wettbewerb zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen, oft Zuwanderer- innen von jenseits der Landesgrenzen.

Aufruhr gegen die Symbole der industriellen Revolution: Sturm auf die Baumwolldruckerei Granichstaedten in Sechshaus bei Wien, Gemälde von Franz Kaliwoda, 1848.

370 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 371 Landarbeit ist Handarbeit: Bei der Heuernte wurden viele Hände benötigt – auch die der Kinder –, um die Ernte trocken unter Dach zu bringen. Niederösterreich, um 1910.

372 373 Rascher Auf- und langsamer Abstieg: Andreas Töpper (1786–1872) und seine erste Frau Helena (1774–1858), unbekannter Künstler.

Beispiel Andreas Töpper Die dem Börsenkrach von 1873 folgende Wirtschaftskrise bewirkte nicht nur viele Welch wichtige Rolle der Unternehmerpersönlichkeit für den Industrialisie- Firmenzusammenbrüche, sondern drängte auch die überlebenden Unternehmen zu rungsboom zukam, belegt der Fall von Andreas Töpper aus Neubruck bei Scheibbs, Kostensenkungen – einerseits durch arbeitssparende Maschinisierung, anderer- der ab 1817 mithilfe eines leistungsfähigen, bis ins Kaiserhaus reichenden Netzwerks seits durch Verlagerungen an ländliche Billiglohnstandorte wie Böhmen und Mähren, den raschen Aufstieg zum Großindustriellen schaffte. Sein Habitus vereinte „alt- die Voralpentäler, Wald- und Weinviertel. In den Zentralräumen verlagerte sich die europäische“ Tradition – „Hausvater“-Mentalität, katholische Frömmigkeit, Nobilitie- Wachstumsdynamik auf neue Leitsektoren, etwa die Maschinen-, Elektro- und Chemie- rungsstreben – mit modernem Unternehmertum: Erfindergeist, Organisationstalent, industrie (Automobilfabrik Fischer in Wiener Neustadt, Reifenfabrik Reithoffer in Marktorientierung. Der wirtschaftliche Erfolg seines technisch innovativen und Wimpassing und Traiskirchen, Siemens-Schuckert-Werke in Wien etc.). Vor allem staatlich privilegierten Eisen- und Stahlwalzwerkes zeigte aber auch die sozialen und das Industrieviertel entwickelte eine hohe Standortdichte von Großbetrieben mit ökologischen Schattenseiten der Industrialisierung auf: Wenig wettbewerbsfähige enger Verflechtung vor- und nachgelagerter Branchen. Die wachsende, vorwiegend Nagelschmieden im Erlauftal gingen zugrunde und die umliegenden Wälder wurden sozialdemokratisch mobilisierte Arbeiterschaft multinationaler Herkunft in Wien und Die Krise nach dem Börsenkrach zur Holzkohlengewinnung abgeholzt. Trotz unternehmerischen Talents vermochte anderen Industriezentren vermochte zunächst durch Gewerkschaftsgründungen, von 1873 drängte auch die Töpper das Verkehrs- und das Energieproblem nicht zu lösen: Die Eisenbahn kam erst Streiks und andere Protestaktionen, später auch durch die Anfänge staatlicher Sozial- überlebenden Unternehmen zu nach seinem Tod in die Region; und trotz vieler Versuche fand er kein großes Kohle- politik (Begrenzung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden, Nachtarbeitsverbot für Frauen, Kostensenkungen – etwa vorkommen. Auch erzielten die vom ihm erzeugten Rohre wegen des Verzichts Unfall- und Krankenversicherung 1887/88 etc.) ihre tristen Arbeits- und Lebens- durch Verlagerungen an ländliche der Armee auf Raketenwaffen und der britischen Konkurrenz auf dem Inlandsmarkt verhältnisse langsam zu verbessern. Hingegen blieben die Lehrlinge und Gesellen im Billiglohnstandorte wie die keinen Absatzerfolg. Nach Töppers Tod 1872, kurz vor dem Wiener Börsenkrach, ereilte Gewerbe dem meist christlichsozial orientierten und von der staatlichen „Mittel- Voralpentäler oder das Wald- das kleine Firmenimperium ein ähnliches Schicksal wie die Eisenwurzen im Großen: standspolitik“ geschützten Milieu ihrer Meister noch stark verhaftet; sie waren aber und Weinviertel. Es wurde verkauft, zerschlagen und in Papier- und Holzstofffabriken umgewandelt. arbeits- und sozialrechtlich weniger geschützt als die Fabrikarbeiter/innen.

374 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 375 Die Zuwanderer – etwa die in Der Dienstleistungssektor war in Niederösterreich (ohne Wien) noch vergleichsweise Wirtschaftliche Zugehörigkeit der Berufstätigen der boomenden Baubranche schwach ausgeprägt; doch erfuhr der ländliche Tourismus im Fin de Siècle eine Trotz industrieller Verdichtungszonen beschäftigten „Ziegelböhm“ – Glanzzeit. Ein zunächst adeliges, dann zunehmend auch bürgerliches Publikum suchte und touristischer Zentren überwog Niederösterreich kamen vor allem aus den nicht- Erholung vom geschäftigen Treiben der Großstadt in wildromantischer Landschaft – im niederösterreichischen Wirtschaftsraum Y Primärsektor (Landwirtschaft) Y Sekundärsektor (Industrie) Y Tertiärsektor (Dienstleistungen) bis in die Spätzeit der Monarchie das deutschen Kronländern der und fand diese in den Voralpen. Zum alles überstrahlenden Zentrum des aristokra- agrarische Hinterland. Der Übergang zur österreichischen Reichshälfte. tisch-großbürgerlichen Sommerfrische-Tourismus avancierte das Semmeringgebiet, das Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft Österreich YY die Südbahn 1854 an das Hauptverkehrsnetz der Monarchie band. Die imposanten setzte erst mit dem Wirtschaftsboom Y Primärsektor (Landwirtschaft) Y Sekundärsektor (Industrie) Y Tertiärsektor (Dienstleistungen) YY ab Mitte des 20. Jahrhunderts ein. Viadukte und Tunnels der Bahn sowie die prunkvollen Hotels und Villen verliehen YY der dergestalt „eroberten“ Landschaft ein bizarres Gepräge. Weniger mondäne, dafür Y = 1 Prozent YY erschwinglichere Sommerfrische-Destinationen entstanden in von Nebenbahnen YY YY erschlossenen Regionen, etwa entlang der 1889 eröffneten Kamptalbahn und der 1907 Y YY fertiggestellten Mariazellerbahn. YY YY YY YY Die Landwirtschaft bleibt bestimmend YY YY YY YY Trotz industrieller Verdichtungszonen und touristischer Zentren überwog im YY YY niederösterreichischen Wirtschaftsraum bis in die Spätzeit der Monarchie das agrari- Y YY YY sche Hinterland: Niederösterreich ohne die Stadt Wien war im Zeitraum 1869 bis 1910 Y Y YY YY mit 60 bis 52 Prozent land- und forstwirtschaftlich Erwerbstätigen im Vergleich zu Y Y YY YY 54 bis 39 Prozent auf dem Gebiet des heutigen Österreich ein Agrarland; der Anteil der Y Y YY YY gewerblich-industriell Beschäftigten lag mit 27 bis 29 Prozent im Durchschnitt von Y Y YY YY Y YY YY YY 25 bis 32 Prozent; und der Dienstleistungsbereich fiel mit 14 bis 19 gegenüber 21 bis Y Y Y YY YY YY 29 Prozent deutlich ab. Freilich würde der Vergleich unter Einbezug des Industrie- YY Y Y YY YY YY und Dienstleistungszentrums Wiens anders aussehen. Dieses Profil – übergewichtiger YY Y Y Y YY YY YY Primär-, durchschnittlicher Sekundär- und untergewichtiger Tertiärsektor – blieb YY Y Y Y Y YY YY YY im Großen und Ganzen während des gesamten 20. Jahrhunderts prägend. Gleichwohl YY Y Y Y Y YY YY YY heben sich zwei Entwicklungsphasen ab: eine vergleichsweise statische bis zur Jahr- YY YY Y Y Y YY YY YY hundertmitte und eine dynamische in den Jahrzehnten danach. In die dynamische YY YY Y Y Y Y Y YY YY YY YY YY Y Y Y Y Y YY YY YY Phase fiel der – in Niederösterreich gegenüber Österreich um etwa ein Jahrzehnt ver- YY YY Y Y Y Y Y YY YY YY zögerte – Übergang von der Agrar- zur Industrie- und schließlich zur Dienstleistungs- YY YY Y Y Y Y YY YY YY YY gesellschaft. In dieser Übergangsphase näherte sich das wirtschaftssektorale Profil YY YY Y Y Y Y Y Y YY YY YY YY Niederösterreichs langsam an das gesamtösterreichische an, freilich ohne es bis zur YY YY YY Y Y Y Y YY Y YY YY YY YY YY YY YY Y Y Y YY YY Y Y YY YY YY YY Jahrtausendwende gänzlich einzuholen. YY YY YY Y Y YY YY YY Y Y YY YY YY YY Niederösterreich als administrative und – nach Böhmen, Mähren und Schle- YY YY YY Y Y Y YY YY YY Y YYYY YY YY YY sien – industrielle Kernregion der Habsburgermonarchie befand sich ab Mitte des YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YY YY YY 19. Jahrhunderts nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich im Übergang. YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YY YY YY Einerseits hatte der „demografische Übergang“ – die zeitverschobene Abnahme YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YY YY YY zunächst der Sterbe-, dann der Geburtenraten – eingesetzt: Die Jahrzehnte zwischen YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY Y YY YY YY YY YY YY YY Y Y YY Y YY YY Y YYYY YYYY YY YY bereits gesunkenen Sterbe- und noch hohen Geburtenraten bescherten dem Land YY YY YY YY Y Y YYYY YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY einen massiven Geburtenüberschuss. Die Cholera- und Pockenepidemien, die das Land YY YY YY Y YY Y YY YYYY Y YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY noch 1850, 1855, 1866 und 1870/71 heimgesucht hatten, klangen ab; dafür forderte YY YY YY Y YYY Y YY YYYY Y YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY die „Volksseuche“ Tuberkulose vermehrt Opfer. Insgesamt aber wurden die Infektions- YY YY Y YY Y YYY Y YY YYYY Y YY Y YYYY YYYY YYYY YY YY krankheiten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert durch die Verbesserung der YY YY Y YY Y YYY YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYY YY sanitären Verhältnisse (Fäkalienentsorgung, Fließwasserversorgung, Hygienemaß- YY YY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY YY YY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY nahmen etc.) eingedämmt. Andererseits fand in den Jahrzehnten vor und nach 1918 YYY YY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY ein „Mobilitätsübergang“ – der Wechsel von starker zu schwacher Wanderung – YYY YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YY statt: So etwa hatten sich 1905/10 von 1.000 Einwohner/innen 352 fünf Jahre zuvor YYYY YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY YY noch nicht in Niederösterreich aufgehalten – eine Zuwanderungsrate, die bis heute YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY YYY YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y Y YYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY nicht übertroffen worden ist. Die Zuwander/innen – etwa die in der boomenden YYYY YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY Baubranche beschäftigten „Ziegelböhm“ – kamen vor allem aus den nicht deutschen YYYY Y YYYY YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY Kronländern der österreichischen Reichshälfte auf der Suche nach Lebensunterhalt YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY in Gewerbe- und Industriebetrieben sowie Privathaushalten Wiens und anderer Städte YYYY Y YYYY Y YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYY Y YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY Niederösterreichs. Die Überschüsse der Geburten- und Wanderungsbilanz am Vor- YYYYYY YYYY Y YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY abend des Ersten Weltkriegs machten Niederösterreich, einschließlich der Haupt- und YYYYYY YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY YYYYYY YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY Residenzstadt Wien, zu dem am dichtesten besiedelten Kronland der Habsburger- YYYYYY YYYY Y YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYY monarchie; auch bezogen auf das heutige Gebiet belegte das Land mit 74 Einwohner/- YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYY YYYY YYYY YYYY innen pro Quadratkilometer unter den österreichischen Alpenländern den Spitzen- YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY platz. Bis zur Gegenwart unübertroffene Spitzenwerte zeigten 1851 bis 1910 auch die YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY Y Y Y Y YY Y YYY YYY YYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY Y jährlichen Wachstumsraten der Bevölkerung Niederösterreichs mit 0,5 bis 0,8 Prozent YYY Y YYY Y YYY YYY YYY YY Y YY und Wiens mit 1,7 bis 2,8 Prozent. Die Residenzstadt erreichte nach einem mehr YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY als ein Jahrhundert währenden Wachstumsschub 1910 mit 2.038.600 Personen ihren YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY Höchststand. YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY YYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY Y YYYY Y YYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY YYYYYY 1869 1890 1900 1910 1934 1951 1961 1971 1981 1991 2001 2011

376 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 377 Abgewandert und zugewandert Welche herausragende Stellung der Bevölkerungsentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit starkem Bevölkerungswachstum aufgrund positiver Geburten- und Wanderungsbilanzen zukam, zeigt sich erst im Vergleich mit dem 20. Jahrhundert. Der gesellschaftlichen Dynamik vor 1914/18 folgte eine lange Stagnation, bevor in den 1960er-, vor allem aber in den 1990er-Jahren erneut Dynamik einsetzte. Während sich die Bevölkerungszahl Niederösterreichs wie jene Österreichs bis in die 1930er-Jahre kaum veränderte, schieden sich in den 1940er- und 1950er-Jahren die Entwicklungspfade zwischen Niederösterreich mit erheblichen Verlusten und dem Rest Österreichs mit deutlichen Zugewinnen. Erst seit den 1960er-Jahren verzeichnet das Bundesland ein nachholendes Bevölkerungswachstum, freilich ohne den Rück- stand ganz aufzuholen. Lange Stagnation, zwischenzeitliche Schrumpfung und verspä- tetes Wachstum im 20. Jahrhundert speisten sich aus den wechselnden Bevölkerungs- bilanzen. Die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse katapultierten die Sterberate nach oben und drückten die Geburtenrate nach unten; einen Ausgleich bot die Zuwande- rung, vor allem aus dem hungernden Wien, aber auch aus den Nachfolgestaaten der Monarchie. Dem darauf folgenden Geburtenüberschuss – auch ein Effekt des vorangegangenen Geburtendefizits sowie der Eindämmung der Säuglings- und Kinder- sterblichkeit – stand eine massive Auswanderung gegenüber. Die Kriegs- und Nach- kriegszeit schlug – trotz des Baby-Booms mit einer Fertilitätsrate von 93 Lebendgebur- ten pro 1.000 Frauen zwischen 15 und 44 Jahren nach dem „Anschluss“ – in negativen Geburten- und Wanderungsbilanzen zu Buche. Die 1950er-Jahre brachten einen Geburtenüberhang, der jedoch von der Abwanderung, vor allem nach Wien, weit über- troffen wurde. Der Baby-Boom der 1960er – die Fertilitätsrate schnellte 1961/63 auf den Spitzenwert von 98 – bewirkte zusammen mit ausgeglichenen Wanderungs- bilanzen die Trendwende von der Bevölkerungsschrumpfung zum -wachstum. Seit den 1970er-Jahren, nach der Schließung der Schere zwischen hohen Geburten- und niedrigen Sterberaten, befinden sich die Geburtenbilanzen im Minus, werden jedoch vom Wanderungsplus weitaus übertroffen. So verzeichnete Niederösterreich als „Einwanderungsland“ im Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende ein Rekordwachstum von 72.000 Personen. Obwohl die eingesessene Bevölkerung seit Jahrzehnten

Geburten- und Wanderungsbilanz in Niederösterreich 1869–2011 (Y = 1.000 Personen) Y Geburtenbilanz (Lebendgeburten minus Todesfälle) Y Wanderungsbilanz (Zu- minus Abwanderungen) Bevölkerungsbilanz (Geburten- plus Wanderungsbilanz)

-100 -50 0 50 100

1869–1880 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

1880–1890 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

1890–1900 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

1900–1910 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

1910–1923 YYYYYYYYYYYY Y YYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYY Y YYYYYYYYYYYYYY

Lebensader des Voralpentourismus: 1923–1934 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Elektrolokomotive der Mariazellerbahn, YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY handkoloriertes Glasdiapositiv, um 1910. 1934–1951 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

1951–1961 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

1961–1971 Y YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Y Y YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Y

1971–1981 YYYYYYYYYYYYY YYY YYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYY YYY YYYYYYYYYYYYYY

1981–1991 YYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYY YYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYY

1991–2001 YYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYY YYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYY

2001–2011 YYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYY YYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYY

378 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 379 Bevölkerungsgröße in Niederösterreich, Wien und im restlichen Österreich 1790–2011 Wien wuchs im 19. Jahrhundert, vor Im 20. Jahrhundert verlagerte sich die Index (1790 = 100, logarithmisch) allem ab der Jahrhundertmitte, rasch zu Bevölkerungsdynamik nach West- einer Zwei-Millionen-Stadt. Auch österreich. Wien und Niederösterreich Niederösterreich verzeichnete in diesen hingegen schrumpften bis zur Jahr- Jahrzehnten ein stärkeres Wachstum hundertmitte, bevor gegen Ende als der Rest des heutigen Bundesgebiets. eine neue Wachstumsphase einsetzte.

Wien (heutiges Gebiet) Niederösterreich (heutiges Gebiet) Rest von Österreich (heutiges Gebiet)

1000

500

100 1790 1851 1910 1951 2011

Obwohl die eingesessene schrumpft, wächst die Gesamtbevölkerung dank des Zuzugs von auswärts, durch Bevölkerung schrumpft, Arbeitssuchende und Flüchtlinge, sowie vom „Inneren“ des Landes, durch Wiener wächst die Gesamtbevölke- „Häuslbauer“ im niederösterreichischen „Speckgürtel“ rund um die Stadt. Die rung dank des Zuzugs Verbreitung industrieller Produktionsverhältnisse im 19. Jahrhundert begünstigte von auswärts und aus dem die Entstehung gesellschaftlicher Klassen mit entsprechendem Bewusstsein. Inneren des Landes, Die (Industrie-)Arbeiterschaft und das (Besitz-)Bürgertum, ansatzweise auch durch Wiener „Häuslbauer“. die Angestellten und Beamten, kaum aber die weiterhin dem Standesdenken ver- hafteten Gewerbetreibenden und die Bauernschaft unterschieden sich durch eigene Konsummuster voneinander. Jede Klassenlage – die Menge und Art der verfügbaren Ressourcen – korres- pondiert mit einem Lebensstil, mit der Weise zu essen, sich zu kleiden, zu wohnen, zu kommunizieren, seine Freizeit zu verbringen und so fort. Nachdem im Vormärz noch Massenarmut geherrscht hatte, begannen ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Real- einkommen der Beamten- und Angestelltenhaushalte, aber auch der Arbeiterschaft zu steigen. So formierte sich langsam eine Konsumgesellschaft, vor allem in den wachsenden Städten. Nach wie vor trennte Ober-, Mittel- und Unterschichten ein krasses Wohlstandsgefälle, das engagierte Beobachter/innen in düsteren Reportagen über die vorstädtischen und ländlichen Elendsquartiere anprangerten; doch der Konsum von auf dem Markt gekauften Produkten des täglichen Bedarfs zog immer weitere Kreise. An der Ernährung lässt sich der – freilich ungleich verteilte – Wohl- standszuwachs zeigen: Auf dem Speisezettel der Lohnabhängigen wurden pflanzliche Lebensmittel nach und nach durch tierische verdrängt. Das war keine bloße Frage der monetären Kaufkraft, sondern auch der kulinarischen Vorlieben, die durch gesell- schaftliche Diskurse mitgeformt wurden. Eiweißreiche Kost wurde nicht nur von Ernährungsfachleuten, sondern auch in der Medienöffentlichkeit mit Wohlstand und Stärke – folglich auch mit Männlichkeit – assoziiert. Eine Konsumerhebung über Auswandern, um zu überleben: Ziegel- Wiener Arbeiterfamilien 1912/14 belegt diesen Zusammenhang: je ärmer, umso mehr arbeiterpartie mit einem sogenannten Brot, je wohlhabender, umso mehr Fleisch. Der vergleichsweise hohe Fleischkonsum Lehmscheiberhund, der die Scheib- truhe gezogen hat, um 1910 an in den Städten kontrastierte mit der fleischarmen Kost auf dem Land; selbst in Bauern- einem Schlagtisch. Darauf wurde der haushalten bildeten Fleischgerichte meist die Ausnahme von der Regel getreide- Lehm mit einem Streichbrett in basierter Alltagsspeisen. die Form „geschlagen“ und dann glattgestrichen.

380 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 381 St. Pölten wurde vergleichsweise spät Gemischtwarenhandlungen – wie jene industrialisiert, dann dafür umso rascher. von Maria Habicht, hier mit Familie Die Lage an der Westbahn, zunächst um 1910 – gab es auch in kleineren Orten Kaiserin-Elisabeth-Bahn, bot einen Niederösterreichs. Das vielfältige enormen Standortvorteil: Kremser Gasse, Warenangebot verband das Dorf, den wichtigste Geschäftsstraße der Stadt, Marktort oder die Kleinstadt mit mit Blick auf den Bahnhof, 1909, hand- überregionalen, teils über die Landes- koloriertes Glasdiapositiv. grenzen hinausreichenden Märkten.

382 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 383 Lähmende Dauerkrise (1914–1938)

Im Ersten Weltkrieg suchte die Obrigkeit alle agrarischen und industriellen Kapazi- täten in den Dienst der Kriegsführung zu stellen. Je weniger Agrarprodukte von Ungarn nach Österreich gelangten, umso mehr war die Nahrungsversorgung der Zwei- Millionen-Metropole Wien von der Erzeugung seines niederösterreichischen Hinter- landes abhängig. Der Mangel an Arbeitskräften, Zugvieh und Betriebsmitteln sowie der Anreiz, Nahrungsmittel statt zu amtlichen Fixpreisen zu lukrativen Schwarzmarkt- preisen zu veräußern, ließ die Versorgungskanäle der offiziellen Bewirtschaftung nach und nach versiegen. Die Rüstungsindustrie konzentrierte sich in Wien und im Wiener Becken; dieser Standortcluster wurde zu einer der großen Waffenschmieden der Monarchie ausgebaut. Neben den vom Armeedienst zurückgestellten Männern griffen die unter Militärverwaltung stehenden Rüstungsbetriebe zunehmend auf Frauen als Arbeitskräfte zurück. Die Beschäftigtenstände vervielfachten sich, so etwa in der Pulverfabrik Blumau und in der Munitionsfabrik Wöllersdorf von 5.000 (1914) auf über 50.000 (1917). Um die vom Militär vorgegebenen Produktionsziele zu erreichen, suchten viele Betriebe die alltägliche „Reproduktion“ ihrer Belegschaften, wie etwa die Ernährung durch Sonderrationen in den Werkskantinen, zu verbessern. Steigende Kriegsmüdigkeit und sinkende Lebensmittelrationen in den Arbeiterfamilien, deren Versorgung von der täglichen Improvisationsfähigkeit der Frauen und Kinder abhing, befeuerten eine gegen Kriegsende hin anwachsende Protestbewegung. So etwa mobilisierte der „Jännerstreik“ 1918 allein in Wien und Niederösterreich 280.000 Menschen. Die „Opfergemeinschaft“ an der „Heimatfront“ wurde immer brüchiger; anstelle der Opferbereitschaft verbreitete sich in den Städten das Gefühl, selbst zum Opfer raffgieriger Bauern, „jüdischer“ Schleichhändler und korrupter Beamter zu werden.

Unterkapazitäten bei der Kohle-, Zu viel und zu wenig: Die Situation nach 1918 Eisen- und Glasversorgung Die angesichts wachsender Gefallenenzahlen und sinkender Kalorienmengen standen Überkapazitäten in der schwindende Legitimität des Vielvölkerstaates entfesselte auseinanderstrebende Metall- und Maschinen- Kräfte. Der folgende Zerfall der Habsburgermonarchie verschob auch Niederöster- industrie gegenüber; so etwa reichs Außengrenzen. Die Vorstellung der maßgeblichen politischen Parteien, das lagen vier von fünf Lokomotiv- deutschsprachige Restgebiet („Deutschösterreich“) werde sich Deutschland anschlie- fabriken der Monarchie in ßen, musste wegen des Anschlussverbots im Friedensvertrag von Saint-Germain- Niederösterreich. en-Laye 1919 aufgegeben werden; damit wurde der Kleinstaat Österreich zum Bezugs- rahmen des Wirtschaftens. Die Gründung der Tschechoslowakei und die Ablösung Ungarns 1918 hatten im Norden und im Osten des Bundeslandes neue Staats- und damit Zollgrenzen zur Folge; mit der Angliederung des Burgenlandes, des ehemaligen Deutsch-Westungarns, an Österreich 1921 verschob sich die Staatsgrenze immer- hin ein Stück nach Osten. Schließlich zog die Abtrennung Wiens 1922 eine Landes- grenze im Inneren Niederösterreichs – und lud den ökonomischen Stadt-Land-Gegen- Winterparadies Semmering: satz auch parteipolitisch auf. Die neuen Staats- und Landesgrenzen beeinträchtigten Werbebroschüre, 1931. oder kappten die gewachsenen, aufeinander abgestimmten Wirtschaftsbeziehungen niederösterreichischer Regionen zu anderen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie; dies führte zu schwerwiegenden Ungleichgewichten. Den Wegfall der ungarischen Intensivagrarregionen, die einen Gutteil des österreichischen, vor allem des Wiener Bedarfs an Getreide, Fleisch und Milchprodukten gedeckt hatten, konnte die vergleichsweise extensive Landwirtschaft (Nieder-)Österreichs nicht sofort aus- gleichen. Um seine hungrige (Stadt-)Bevölkerung zu ernähren, war Österreich zunächst auf ausländische Hilfslieferungen angewiesen und musste in weiterer Folge Nahrungs- mittel importieren. Im gewerblich-industriellen Bereich standen Unterkapazitäten bei der Kohle-, Eisen- und Glasversorgung Überkapazitäten in der Metall- und Maschi- nenindustrie gegenüber; so etwa lagen vier der fünf Lokomotivfabriken der vormali- gen Monarchie in Niederösterreich. Verwickelter war die Situation der Textilindustrie: Hier bestand zum einen ein Überhang im Bereich der Spinnerei im Großraum Wien und zum anderen ein Mangel im Bereich der Weberei, die in den böhmischen Ländern konzentriert war; dies verbesserte zunächst die Auftragslage der Waldviertler Weber- Hightech für den Krieg: Flugmotoren- eien, verstärkte aber auch deren Abhängigkeit. Desaströs war die Lage der im Ersten produktion im Austro-Daimler-Werk, Weltkrieg – mit zeitweise 120.000 Arbeitskräften allein im Raum Wiener Neustadt – Wiener Neustadt, 1917. aufgeblähten Rüstungsindustrie, darunter der 1915 gegründeten Oesterreichischen Flugzeugfabrik AG (Oeffag), der Wöllersdorfer Munitionsfabrik und der Austro- Daimler-Werke; der Friedensvertrag hatte Österreich die Waffenproduktion untersagt. zwiespältig aus: Einerseits war die Umstellung auf den kleinstaatlichen Rahmen ein Auch die Zentren der Sommerfrische im alpinen Niederösterreich wurden durch Hemmschuh für die weitere Entwicklung. Auf der anderen Seite verschaffte der Weg- die Verarmung von Teilen der Ober- und Mittelschichten im Zuge der galoppierenden fall der Konkurrenz – der ungarischen im Agrar-, der böhmischen und mährischen Geldentwertung hart getroffen. Davon profitierten die touristischen Nebenschau- im Industriebereich – veralteten Betrieben eine Atempause und innovativen Betrieben plätze, und alpine Vereine erfuhren regen Zulauf. Die Bilanz der Umbruchsjahre fällt bessere Marktchancen.

384 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 385 Viele Gewerbetreibende Dem verbreiteten Pessimismus der Umbruchsjahre 1918/19 stand der Optimismus Rüstungsschmiede Steyr, die zunächst erfolgreich auf die Fahrrad- und Automobiler- stützten sich auf ihr gegenüber, mit dem das offizielle Niederösterreich Ende der 1920er-Jahre auf zeugung umstellte. Während hier die Arbeitslosigkeit grassierte, waren dort hoch- zweites Standbein, den geleisteten „Wiederaufbau“ zurückblickte. So suchte ein als „Heimatbuch“ titu- qualifizierte Fachkräfte mit der Fahrzeugproduktion beschäftigt. Etwas weniger trist die Landwirtschaft. lierter Prachtband in Text, Zahl und Bild das Vertrauen seiner Leserschaft in das Land stellte sich die Lage im Raum St. Pölten dar. Die 1903 gegründete Voith AG stieg mittels und dessen Verwaltungs- und Wirtschaftseliten zu stärken. Tatsächlich konnte der bahnbrechender Innovationen zu einer Firma von Weltrang auf. Mit der marktgängi- durch Landwirtschaftskammer, Bauernbund und Genossenschaften straff organisierte gen Erzeugung von Papier- und Zündholzmaschinen sowie Wasserturbinen – darunter Agrarbereich mit Erfolgszahlen aufwarten: Anbauflächen, Viehstände und Erträge auch die erste Kaplan-Turbine, eine Flügelradturbine mit verstellbaren Schaufeln – stiegen und überschritten bald das Vorkriegsniveau; die vormals extensive Land- und stieg der Beschäftigtenstand auf 1.500. Die Erste Österreichische Glanzstoff-Fabrik, die Viehnutzung wurde – im Rahmen einer zunächst liberalen Markt- und Preispolitik – Chemiefasern aus Zellulose herstellte, wurde mit 3.000 Beschäftigten zum personal- intensiviert. Zudem hatte die Nachkriegsinflation die bäuerlichen Schulden weitge- stärksten Betrieb der Region. Die Harlander Zwirnfabrik konsolidierte sich nach hend aufgefressen und die „Schattenwirtschaft“ im und nach dem Krieg zusätzliche einem Eigentümerwechsel. Auch das Gewerbe suchte sich flexibel den veränderten Einkünfte eingebracht. Jedoch zeigten die landwirtschaftlichen Einkommen ein Bedingungen anzupassen; so gründeten die Einzelkaufleute der Region St. Pölten deutliches Gefälle von den Getreide- und Hackfruchtwirtschaften in der Ebene zu den bereits 1918 eine Großeinkaufsgenossenschaft. Neben St. Pölten verzeichneten auch Grünland- und Waldwirtschaften in den Bergen. Die moralisch abgesicherte Versor- andere Standorte Erfolge, so etwa die Berndorfer Metallfabriken mit der Glocken- gung des Gesindes als Teil der bäuerlichen „Hausgemeinschaft“ wurde, auch durch die gießerei als ihrem Herzstück. Die Nahrungsmittelindustrie, vor allem die Mühlen-, Agitation sozialdemokratischer Landarbeitergewerkschaften, zunehmend ausgehöhlt. Brauerei- und Zuckerrübenindustrie, erfreute sich guter Geschäfte. Die steigende Zugleich waren die Landarbeiter/innen, die im östlichen Niederösterreich in Konkur- Nachfrage nach Elektrizität und das Angebot an ausbaufähigen Gewässern kamen der renz zu slowakischen Saisonarbeitskräften standen, bis zur hindernisreichen Ein- 1922 durch Fusion gebildeten Niederösterreichischen Elektrizitätswirtschafts AG führung der Krankenversicherung 1921/28 (nach Zuordnung der Sozialversicherungs- (NEWAG) zugute; sie verdreifachte bis 1929 die Stromerzeugung. Nachdem die Grenz- agenden von den Ländern zum Bund) noch kaum arbeits- und sozialrechtlich ab- ziehungen 1918/19 die monarchieweiten Wirtschaftsbeziehungen gekappt hatten, gesichert. Folglich kennzeichnete eine mitunter krasse Ausbeutung – die freilich kam der Handel mit den Nachfolgestaaten der Monarchie langsam wieder in Gang; auch bäuerliche Familienangehörige betraf – die ländlichen Arbeitsverhältnisse. bereits 1930 entfielen 41 Prozent der Einfuhren und 31 Prozent der Ausfuhren Österreichs wieder auf „altösterreichische“ Märkte wie Tschechoslowakei, Ungarn, Zwischen Inflation und Wirtschaftskrise Jugoslawien und Polen. Vor allem die niederösterreichische Industrie besaß in diesen Weitaus problematischer als der Agrar- entwickelte sich der Gewerbe- und Staaten wichtige Bezugs- und Absatzmärkte. Industriesektor in den 1920er-Jahren. Nach kurzem Aufschwung durch eine infla- tionsbedingte „Kaufwut“ städtischer Mittel- und Oberschichten und durch Aufträge Die Doppelkrise der 1930er-Jahre mittel- und großbäuerlicher Betriebe verschlechterte sich mit dem sanierungsbe- Die niederösterreichische Tourismuswirtschaft erholte sich nach dem Rück- dingten Kaufkraftrückgang seit Mitte der 1920er-Jahre die Auftragslage der Gewerbe- schlag in den ersten Nachkriegsjahren überraschend schnell. Neben der Sommer- treibenden merklich; so stützten sich viele Gewerbetreibende mit ausschließlich frische des (groß-)bürgerlichen Wiener Publikums in den Nobelkurorten warben Familienarbeitskräften zunehmend auf ihr zweites, landwirtschaftliches Standbein. rührige Fremdenverkehrsvereine in Kleinstädten und Marktorten um die Gäste mit Der überregional orientierten Wiener Neustädter Eisen- und Metallindustrie, einem kleinerem Portemonnaie. Der Skisport, etwa auf dem Semmering, im Schneeberg- der wichtigsten Rüstungszentren im Ersten Weltkrieg, misslang die Umstellung Rax-Gebiet und in den Voralpen, gewann zunehmend Anhänger. Gemessen an von der Kriegs- zur Friedensproduktion – ganz im Gegensatz zur oberösterreichischen den Zahlen der Fremdenbetten (66.000) und Nächtigungen (5,178 Millionen) war

Es war einmal dem Handwerk und dem textilen Verlagswesen eine Textilindustrie – Auf- und Abstieg des Waldviertler Leitsektors über Generationen tradierte textile Erfahrung auf- Stoffkollektion von Back- wiesen und aufgrund der Verankerung der Arbeitskräfte hausen: Die Möbel- in der Selbstversorgung besonders kostengünstig und Andrea Komlosy und Dekorstoffe des Wiener flexibel waren.2 Neben den Möbel- und Dekorstoffen Unternehmens werden Der Heimatforscher Karl Zimmel wies in seinem 1912 jung und alt.“ Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich seit 1870 in Hoheneich und den Wirkwaren gab es in der Waldviertler Textil- erschienenen Litschau-Buch auf den erfolgreichen in Heidenreichstein. Während sich die Unternehmen (Bezirk Gmünd) hergestellt. region zwei weitere Produktsorten mit regionaler Strukturwandel hin, den die Stadt in den 1880er-Jahren entlang der Franz-Josephs-Bahn auf Kleider-, Schal-, Schwerpunktsetzung: Bänder in Groß-Siegharts und vollzogen hatte. Bis in die 1860er-Jahre war in bäuer- Möbel- und Dekorstoffweberei spezialisierten, entstand Frottiergewebe im Raum Kautzen–Gastern–Frühwärts. lichen wie kleinhäuslerischen Haushalten die textile im nordwestlichsten Teil des Waldviertels ein klein- Hausindustrie weit verbreitet gewesen. „Jedes Haus räumiger Cluster der Strick- und Wirkwarenerzeugung. 250 Jahre Textilviertel Waldviertel in der Stadt und Umgebung hatte seine zwei oder drei Beiden Sparten gemeinsam war der Typus der Die Anfänge der textilen Massenproduktion im Webstühle. Mann und Weib, alt und jung, jedermann Verlagsfabrik. Von einem Fabrikstandort aus, wo mit Oberen Waldviertel gehen auf die Baumwollmanufak- verstand sich auf das Weben.“1 Im Zuge der Errichtung Kraftmaschinen produziert wurde – oft wurden turen zurück, die im 18. Jahrhundert die bäuerliche mechanischer Webwarenfabriken, die sich insbeson- dafür ehemalige Mühlen und Sägewerke umgenutzt –, Bevölkerung für Spinn- und Webarbeiten heranzogen. dere seit dem Ausbau der Franz-Josephs-Bahn (1870) vergab man Heimarbeit an Handweber/innen und Um den Mangel an Arbeitskräften zu überwinden, entlang der Achse Schrems–Hoheneich–Gmünd–Weitra Heimstricker/innen. Damit konnten die Unternehmer wurde die Familiengründung gefördert und wurden konzentrierten, verloren die hiesigen Handweber ihre Auftragsschwankungen ausgleichen und dabei Lohnkos- neue Kleinhausstellen angelegt, deren Bewohner/- Aufträge. Sie waren zu weit von den regionalen Zentren ten einsparen, weil Heimarbeiter/innen sich in der innen sich nun in erster Linie der Textilarbeit widmen der Textilindustrie entfernt. Zimmel konstatierte für Regel mit Lebensmitteln selbst versorgten. Viele Spezial- konnten. Die regionalen Zentren des Textilverlags, die folgenden Jahre Verarmung der Bevölkerung, bereiche bedurften in jedem Fall der händischen der geschätzte 20.000 Personen – etwa ein Drittel der Landflucht und immer mehr leer stehende Häuser. Eine Bearbeitung: Bei Möbelstoffen war das zum Beispiel das Bevölkerung – erfasste, waren Groß-Siegharts und Stabilisierung brachten ab den 1880er-Jahren Betriebs- Anfertigen unregelmäßiger Teile, das Fransenknüpfen, Waidhofen. Diese Verlagsorganisation wurde hinfällig, ansiedlungen von Wiener Strickwarenfabrikanten. Besticken oder Annähen von Bordüren, bei Strickwaren als das besonders arbeitsintensive Spinnen ab 1800 „Alle diese Fabriken beschäftigen 800 bis 900 Arbeiter, das Ausfertigen, Anstricken und Zusammennähen in die mechanischen Spinnereien transferiert wurde, die teils in der Fabrik, teils mit entlehnten Maschinen von Stoffteilen. Ausschlaggebend für die Ansiedlung der die an den Wasserläufen des südöstlichen Nieder- zu Hause arbeiten. Was einst am Webstuhl saß, das mechanischen Produktion in der Waldviertler Textilre- österreich lagen. sitzt jetzt an der Strickmaschine, Mann und Weib, gion waren die Arbeitskräfte, die aus der Hausindustrie,

386 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 387 Gemeinden wie Mank, Maria Taferl Niederösterreich 1928 unter allen Bundesländern führend. Eisenbahnen, Autobusse und Scheibbs fassten den Beschluss, und immer häufiger auch Privat-Personenkraftwagen, deren Zahl in Niederösterreich dass jüdische Gäste vor Ort von 895 (1922) auf 3.419 (1929) stieg, erhöhten die Mobilität der Erholungssuchenden. unerwünscht seien. In Baden forder- Die Gastfreundschaft stieß jedoch angesichts der verbreiteten Judenfeindschaft im ten Plakate jüdische Kurgäste katholisch-konservativen und deutschnationalen Milieu an Grenzen. Allein in Nieder- zum Verlassen des Kurortes auf – österreich fassten 13 Gemeinden, darunter Mank, Maria Taferl und Scheibbs, den und zur Auswanderung nach Beschluss, dass jüdische Gäste vor Ort unerwünscht seien. In Baden forderten Plakate Palästina. jüdische Kurgäste zum Verlassen des Kurortes und zur Auswanderung nach Palästina auf. Der Antisemitismus war auch in Niederösterreich verwurzelt – lange bevor ihn die Nationalsozialisten in der „großen Krise“ der 1930er-Jahre radikalisierten. Viele der Lösungsansätze, die in der problematischen Umstellung der 1920er- Jahre erfolgversprechend waren, scheiterten in der 1929 einsetzenden Weltwirt- schaftskrise und der damit verknüpften Krise der Demokratie, die 1933/34 in die Regie- rungsdiktatur unter dem niederösterreichischen Agrarfachmann Engelbert Dollfuß mündete. Die politisch-ökonomische Doppelkrise der 1930er-Jahre veränderte auch die Außengrenzen des niederösterreichischen Wirtschaftsraumes: Einerseits ging das Handelsvolumen mit den Nachfolgestaaten insgesamt zurück; andererseits wurden diese zunehmend in die deutsche „Großraumwirtschaft“ als Lieferanten von Agrar- gütern und Empfänger von Industrieprodukten einbezogen. Folglich sanken die Import- und Exportanteile der Nachfolgestaaten am österreichischen Außenhandel drastisch; zudem scheiterte der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion 1931. Schließlich schottete Österreich angesichts der internationalen Agrarkrise seinen Binnenmarkt gegenüber billigen Nahrungsmittelimporten ab; protektionistische Gegenmaßnahmen anderer Staaten verteuerten jedoch die Exporte der österreichi- schen Industrie. Alles in allem verengte sich der Manövrierraum des Wirtschaftens – wobei der bäuerliche Agrarsektor gegenüber anderen Wirtschaftszweigen zunächst die besseren Karten in der Hand hatte.

„Bauernschutz“ und „Gewerbeschutz“ Um den Absatz der langsam, aber beständig wachsenden Agrarproduktion Maschinen erfordern zahlreiche Hände: zu sichern, drängten Agrarvertreter auf handelspolitische Barrieren gegen Importe aus Motorgetriebene Dreschmaschine und landwirtschaftliche Arbeitspartie auf dem Ausland, die sich – vor allem nach der Berufung Dollfuß’ als Landwirtschafts- großbäuerlichem Hof, Haag, 1925. minister 1931 – in Zollerhöhungen und bilateralen Handelsverträgen niederschlugen.

garn mit dem Weben beauftragt wurden, das weiterhin Die in schwer erreichbaren Ortschaften an der böhmi- Arbeitskräfte auszeichneten. Die Volkszählung von auf Handwebstühlen erfolgte. Die dazu bereiten Weber- schen Grenze gelegenen Heimweber verloren damit 1869 wies im Bezirk Waidhofen (der damals das gesamte innen fand man, vermittelt über sogenannte Faktoren, den Anschluss an die Güterkette. Es sollte jedoch nicht Obere Waldviertel umfasste) 12.707 Personen in der die als Mittelsmänner zwischen Auftraggebern und lange dauern, bis auch für sie neue Einsatzfelder in „Webe-Industrie“ aus. Das entsprach 67 Prozent der ländlichen Arbeitskräften fungierten, in der Waldviert- einer Sparte der Textilindustrie gefunden wurden, in im Verarbeitungssektor Berufstätigen.4 Diese Prägung ler Textilregion. Lediglich im Luxussektor der Wiener der die Mechanisierung etwas später einsetzte als in der des Oberen Waldviertels als Textilviertel blieb trotz Seidenweberei arbeitete man schon im Vormärz mit Weberei: der Erzeugung von Strick- und Wirkwaren. einer gewissen Diversifizierung der Branchenstruktur mechanischen Webstühlen. Die textile Fläche wird hier nicht durch das Verkreuzen für die nächsten 100 Jahre bestehen. Der wachsende Mit der Einführung mechanischer Webstühle kam von Kett- und Schussfäden gebildet, sondern durch Bedarf an Arbeitskräften brachte in den 1960er-Jahren ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Unternehmens- Maschen. Mit der Einführung von schweren Kotton- eine zweite Welle von Betriebsgründungen und Erweite- organisation zum Tragen. Nun zentralisierte man wirkmaschinen in der Fabrik und leichten Handstrick- rungen mit sich, die auch den Elektrosektor wachsen auch das Weben in Fabriken mit mechanischem Antrieb. maschinen in der Heimarbeit wurde auch diese Sparte ließen. Zur organisatorischen Abhängigkeit vom Groß- Diese wurden entweder an die Spinnereistandorte für die mechanische Produktion erschlossen. raum Wien trat nun die Abhängigkeit von multinatio- angeschlossen, die es bereits im südlichen Niederöster- Der zeitliche Abstand in der Mechanisierung der nalen Konzernen, die das Waldviertel gleichfalls als reich oder in Nordböhmen gab, oder man eröffnete Masche hatte zur Folge, dass Heimweber der bahn- Niedriglohn-Peripherie erschlossen. 1971 waren in den Produktionsstätten in ehemaligen Heimweberregionen fernen Gebiete, die durch die Konkurrenz der Fabrik- Bezirken Gmünd und Waidhofen 41 Prozent der Berufs- Belegschaft der Textilfabrik wie dem Waldviertel. Einen Impuls zur Aufschließung weberei an den Rand gedrängt wurden, in einer zweiten tätigen in der Textilindustrie sowie sechs Prozent in Hackl in Weitra, um 1900. des Waldviertels als Fabrikstandort gab der Ausbau Welle als Fabrik- und Heimarbeiter/innen im Strick- der Bekleidungsindustrie beschäftigt. Damit war der der Franz-Josephs-Bahn. Ein Teil der örtlichen Weber und Wirkwarenbereich gefragt waren. Die Unternehmer, Zenit allerdings bereits überschritten. wanderte als Textilarbeiter in die Fabrik, von der aus die ihre Wirkwarenfabriken in Litschau und Heiden- In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Wald- weitere Heimarbeiter/innen im Umkreis beschäftigt reichstein ansiedelten, fanden eine Marktnische, die Das Ende der industriellen Ära viertler Heimweber von sogenannten Wiener Fabrikan- wurden. Beschleunigt wurden die Mechanisierung und aufgrund der Einsatzmöglichkeiten von Maschenwaren Die Verlagerung der „verlängerten Werkbänke“ von ten mit Aufträgen versorgt worden. Diese hatten ihre Verlagerung der Weberei ins Waldviertel durch die für Bekleidung bald an Terrain gegenüber Webwaren den inneren Peripherien der alten Industrieländer in Zentralen im 6. oder 7. Wiener Gemeindebezirk, Wirtschaftskrise von 1873. Wer als Fabrikant weiterhin gewinnen sollte.3 die Newly Industrializing Countries (NIC) in Osteuropa wo viele Straßennamen heute noch an die Textilindus- konkurrenzfähig bleiben wollte, musste auf mechani- Die fabrikmäßige Industrialisierung des Wald- und der Dritten Welt setzte die alten Industriestandorte trie erinnern. Eigentlich handelte es sich um Werkstätten sche Produktion umsteigen, und dies war mit der viertels ging demnach maßgeblich von der Suche der ab den 1970er-Jahren einem gnadenlosen Verdrän- und Niederlagen, von wo Heimarbeiter/innen mit Erschließung kostengünstiger ländlicher Standorte Textilfabrikanten nach „verlängerten Werkbänken“ gungswettbewerb aus. Beharrung und Modernisierung, dem aus dem Industrieviertel bezogenen Maschinen- verbunden. aus, die sich durch gleichermaßen billige wie erfahrene regionalpolitische Förderungen, die Verbundenheit

388 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 389 Unterstützte Arbeitslose in Niederösterreich und Österreich 1919–1937 Die hohen Weizenpreise Da die Außenschutzmaßnamen den Agrarpreisverfall – der durchschnittliche Rein- Arbeitslosigkeit grassierte in der Zwischen- die Personen, die Anspruch auf Arbeits- Unterstützte Arbeitslose bescherten den Acker- ertrag pro Hektar Kulturfläche verfiel von 65 (1928) auf minus neun Schilling (1931) – kriegszeit nicht nur in Niederösterreich. losenunterstützung hatten; die Zahl (Index 1919 = 100) wirtschaften im Flachland nicht einzudämmen vermochten, setzten die Befürworter eines „agrarischen Kurses“ Doch hier wog sie schwerer als im jener zahlreichen „Ausgesteuerten“ Einkommensvorteile – auf die Regulierung des Binnenmarktes. Neben dem Vieh- und Milchmarkt (Viehver- Rest Österreichs. Die Grafik zeigt nur ohne Unterstützung sind nicht erfasst. sie gingen auf Kosten der kehrsstelle 1931, Milchausgleichsfonds 1931) wurde auch der Getreidemarkt (Roggen- Grünland- und Waldwirt- preisstabilisierung 1933) zunehmend staatlich gelenkt. Dieser Kurs zielte darauf ab, den schaften im Bergland, „Bauernstand“ nicht der krisenanfälligen kapitalistischen Entwicklung anzupassen – Y Niederösterreich Y Österreich die von Getreidezukäufen ihn „gesundzuschrumpfen“ –, sondern aus dem kaum kalkulierbaren Spiel der Markt- abhingen und unter kräfte herauszulösen und in einen Schutzmantel zu hüllen; dies sollte „gerechte“ 400 dem Verfall der Milch- Agrarpreise zur Sicherung der betrieblichen Rentabilität gewährleisten. Gewerbe- und und Holzpreise litten. Industrievertreter sowie die sozialdemokratische Arbeiterbewegung warfen der 350 Bundesregierung die Begünstigung der „Agrarier“ auf Kosten ihrer jeweiligen Klientel vor. Der „agrarische Kurs“, der unter Dollfuß’ Nachfolger Kurt Schuschnigg deutlich zurückgefahren wurde, verfehlte letztlich sein Ziel: „Das Gros der österreichischen 300 Bauern und die Mehrzahl der berufsständisch organisierten Interessenpolitiker fühlten sich von der Agrarpolitik Schuschniggs düpiert.“ (Ulrich Kluge) Zwar wurden Produk- tivitätsfortschritte bei der Pflanzen- und Tierproduktion sowie ein erhöhter Selbstver- 250 sorgungsgrad bei den wichtigsten Nahrungsmitteln verbucht. Doch die vergleichs- weise hohen Getreide-, vor allem aber die über das Niveau von 1929 gekletterten Weizenpreise bescherten den Ackerwirtschaften im Flachland Einkommensvorteile 200 auf Kosten der Grünland- und Waldwirtschaften im Bergland, die von Getreidezukäu- fen abhingen und unter dem Verfall der Milch- und Holzpreise litten. Gegen die 150 wachsende Schuldenlast, die sich in einer Welle von Zwangsversteigerungen äußerte, boten der Bergbauernhilfsfonds 1934 und die Besitzfestigungsaktion 1937 wenig Abhilfe. Trotz aller Produktivitäts- und Produktionssteigerungen vermochte das staat- 100 lich regulierte Agrarsystem in den 1930er-Jahren weder der Gesamtheit der Produzen- ten angemessene Einkommen noch den Konsument/innen eine angemessene Nah- rungsmittelversorgung zu erschwinglichen Preisen zu sichern. 50 Der protektionistische Kurs unter christlichsozialen Vorzeichen zielte neben dem „Bauernschutz“ auch auf den „Gewerbeschutz“. Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime 0 suchte mit dem Untersagungsgesetz den Zugang zur Gewerbeberechtigung auf ein „gesundes“ Maß zu begrenzen – und verwies die Ausgegrenzten auf prekäre Überlebens-

1919 1921 1923 1925 1927 1929 1931 1933 1935 1937 strategien dies- und jenseits der Legalität. Während sich Großgewerbetreibende enger mit Industriebetrieben verflochten, ließen schlechte Auftragslage und Kapitalmangel viele mittlere Gewerbetreibende auf den Status der meist ärmlichen Alleingewerbe- treibenden abrutschen. Familienwirtschaftliche Flexibilität – Mehrarbeit, Konsum- verzicht, agrarisch-gewerbliche Mischwirtschaft und so fort – erwies sich nun, wie in anderen Krisenzeiten auch, als überlebenswichtig. Der Anspruch der „Qualitätsarbeit“ der Arbeiter/innen mit ihrem Betrieb, aber auch die Leer stehende Fabriken gemahnen als industriekultu- ließ sich angesichts desolater, schwach motorisierter Betriebsstätten, schlecht aus- Abhängigkeit von diesem, konnten den Niedergang relles Erbe an die einstige Blüte.6 gebildeter, allein aufgrund von Verwandtschaft oder Versorgungsbedarf ausgewählter der Waldviertler Textilindustrie eine Zeit lang hinaus- Die Textilregion Waldviertel ist dabei keine Aus- Lehrlinge und Gehilfen sowie überalterter, abgearbeiteter Meister kaum mehr ein- zögern, nicht jedoch aufhalten. Es kam laufend zu nahme. Vielmehr kommt ihr durch die brennglasartige lösen. Die paternalistische „Hausgemeinschaft“ wurde im Zuge von Nebentätigkeit der Schließungen. Mit dem Ende des Staatssozialismus bot Verdichtung der sozialen Problemlagen eine Pionier- Meister, Gesellenentlassungen und Lehrlingsausbeutung brüchig. Die Aufsplitterung sich das Outsourcing der Produktion in das noch rolle zu. Durch die bahnbrechende Studie „Die Arbeits- in Land- und Stadtgewerbe, Groß-, Mittel- und Alleingewerbe sowie Männer- und günstigere Tschechien als Möglichkeit an, die Waldviert- losen von Marienthal“ hatte die Industriearbeiterge- Frauengewerbe erschwerte den Aufbau einer geschlossenen, schlagkräftigen Interes- ler Standorte zu halten. Doch die Hoffnung war trüge- meinde südlich von Wien 1933 internationale Aufmerk- senvertretung, wie sie etwa im Agrarbereich bestand. risch. Von den 39 im Jahr 1989 existierenden Betrieben samkeit erlangt. Eine 2012 bis 2014 in den ehemaligen bestanden 20 Jahre später nur noch neun.5 Textilstädten Heidenreichstein und Schrems durch- Und trotzdem Abstieg Wo die Spezialisierung, zum Beispiel auf Heim- geführte soziologische Studie hat gute Chancen, „Ma- Der wirtschaftspolitische Protektionismus sollte dem agrarischen und ge- oder technische Textilien, gelang, blieben die Hallen rienthal“ den Rang abzulaufen.7 Die Verlierer der neo- werblichen „Mittelstand“ in der „großen Krise“ mehr Spielraum auf dem Binnenmarkt aufgrund der durchwegs maschinellen Produktionsweise liberalen Globalisierung sind abgestumpft, apathisch sichern; er beschnitt jedoch auch die Spielräume der mit den Auslandsmärkten ver- menschenleer. Konkurse, Übernahmen, Stilllegungen oder pragmatisch, eine Reaktivierung des industriellen flochtenen, international aber wenig wettbewerbsfähigen Großindustrie. So führten begleiteten den Niedergang der Branche, für die Arbei- Potenzials ist nicht in Sicht. Einen unmittelbaren äußere und innere Bedingungen in die Krisenphase, die für Herzstücke der nieder- ter/innen bedeutete dies Kurzarbeit, Umschulung, Eindruck der monotonen Gleichförmigkeit vermittelt österreichischen Industrie das Aus brachte. Angefacht wurde die Krise durch die Arbeitslosigkeit, Pendeln, Abwanderung – ein Circulus der Film „Über die Jahre“8 (2015). Regisseur Nikolaus Zurückhaltung der christlichsozialen Bundesregierung mit öffentlichen Aufträgen, vitiosus, der mit Identitätsverlust, Vereinzelung und Geyrhalter hat darin über einen Zeitraum von entsprechend dem Ziel der Geldwertstabilität des Schillings als „Alpendollar“. Apathie einherging und nach wie vor einhergeht. zehn Jahren in behutsamen Szenen die Erfahrung von Erst im „Ständestaat“ folgten öffentliche, propagandistisch verwertete Maßnahmen Die alten textilen Hochburgen sind davon in be- Waldviertler Textilarbeiter/innen in der Erwerbs- zur Arbeitsbeschaffung, von denen vor allem Niederösterreich – zu Lasten des sonderem Maße betroffen. Der Strukturwandel brachte arbeit, im Umgang mit Schließung, Arbeitslosigkeit Roten Wien – profitierte. Die Industrieproduktion sank 1929 bis 1933 österreichweit das Ende der industriellen Ära. Anders als in den und Prekarität festgehalten. um 38 Prozent; zu den Krisenbranchen zählten in Niederösterreich vor allem die 1870er-Jahren, als die Erschließung des Waldviertels Metall-, Maschinen- und Textilindustrie. Im Gegenzug verdoppelte sich im selben als „verlängerte Werkbank“ Fabrikgründungen in Zeitraum die Zahl der Arbeitslosen in Niederösterreich; extreme Arbeitslosenraten Gang setzte, und anders als in den 1960er-Jahren, als die von bis zu 60 Prozent verzeichnete der Raum Wiener Neustadt. Verschärft wurde die Region als Billiglohngebiet in globale Güterketten Situation 1931 durch die Insolvenz der größten österreichischen Bank, der Credit- integriert werden konnte, hat die Textilregion heute Anstalt für Handel und Gewerbe (CA), mit ihren zahlreichen Industriebeteiligungen ihre Funktion als Industriestandort verloren. in Niederösterreich. Sie wurde von der Regierung mit Steuermitteln und einer inter-

390 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 391 Eine Reihe von Gemeinden nationalen Anleihe saniert und setzte angesichts überbordender Verluste – allein 1931 im Raum Wiener Neustadt – verbuchte die CA bei 21 niederösterreichischen Unternehmen 107 Millionen Schilling Neunkirchen, Hirtenberg, Ternitz, Abgänge – harte Einschnitte: Austro-Daimler wurde mit Steyr und Puch fusioniert Enzesfeld, Gramatneusiedl, und aus Niederösterreich abgezogen; die Sigl’sche Lokomotivfabrik in Wiener Neustadt Nadelburg, Marienthal und so musste zusperren; zusätzlich zu Fusionierungen und Liquidierungen erfolgten Ver- fort – wurden zu „Ruinen käufe. Eine Reihe von Gemeinden im Raum Wiener Neustadt – Neunkirchen, Hirten- ehemaliger Industrieorte“, berg, Ternitz, Enzesfeld, Gramatneusiedl, Nadelburg, Marienthal und so fort – wurden so die zeitgenössische Presse. zu „Ruinen ehemaliger Industrieorte“, so die zeitgenössische Presse. Das Industrie- viertel, seit dem 18. Jahrhundert gewachsenes Zentrum der Industrialisierung Nieder- österreichs, erfuhr in den 1930er-Jahren eine schockartige Deindustrialiserung. Im Zuge von Agrar-, Gewerbe- und Industriekrise geriet auch der Tourismus in einen Abwärtssog. In der Saison 1932/33 erreichten die Nächtigungszahlen ihren Tiefpunkt; doch danach erholten sie sich rasch wieder. Der niederösterreichische Tourismus stützte sich überwiegend auf inländische Reisende; daher war er von der Tausend-Mark-Sperre, mit der das nationalsozialistische Deutschland 1933 den österreichischen Auslandstourismus zu schädigen trachtete, kaum betroffen. Diese – vor allem in Westösterreich schmerzliche – Wirtschaftssanktion wurde 1936 im österreichisch-deutschen „Juliabkommen“ aufgehoben; darin verpflichtete sich Öster- reich zu einem „deutschen Weg“, der geradewegs zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich führte.

Gewinner und Verlierer Der Erste Weltkrieg hinterließ erstaunlich flache Spuren in der niederösterrei- chischen Bevölkerungsentwicklung: Die Zahl von rund 35.000 gefallenen Soldaten war – auch aufgrund der Freistellungen kriegswichtiger Industriearbeiter vom Militär- dienst – vergleichsweise gering. Die Spanische Grippe – eine Pandemie, der 1918 fast ein Fünftel aller Verstorbenen zuzuzählen war – verschwand so rasch, wie sie aufgetaucht war. Der Geburtenrückgang während der Kriegsjahre wurde in den ersten Nachkriegsjahren wieder wettgemacht. In den 1920er- und 1930er-Jahren setzte sich der Abwärtstrend der Sterbe- und Geburtenrate im Zuge des „demografischen Übergangs“ weiter fort: Erstere sank von 18 (1919/20) auf 13 von 1.000 (1936/38), Letztere von 20 (1919/20) über ein kurzes Zwischenhoch mit 22 (1921/25) auf 14 von 1.000 (1936/38). Alle Altersgruppen profitierten von der gestiegenen Lebenserwar- tung; herausragend war das Absinken der vor dem Krieg noch exorbitanten Säuglings- sterblichkeit – von 216 (1909/11) auf 78 von 1.000 Lebendgeborenen (1934) – durch die Eindämmung der Infektionskrankheiten mittels besserer Trinkwasser- und Medikamen- tenversorgung sowie Fäkalienentsorgung. Nach dem Heirats- und Geburtenboom In der Inflationszeit mussten der Nachkriegszeit pendelte sich in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit die Trauungs- große Teile des „Bürgertums“ und damit auch die Geburtenrate auf niedrigem Niveau ein. Die Zahl ehelicher Kinder Einbußen hinnehmen; da- sank, auch in den bislang kinderreichen Bauern- und Arbeiterfamilien: von 5,5 bzw. gegen kamen Selbstständige, 5,1 in den vor 1904 geschlossenen Ehen auf 3,1 bzw. 2,7 in den 1920/24 geschlossenen Arbeiter/innen und die Ehen. Anders als in Wien setzte sich in Niederösterreich die Eltern-Kinder-Kernfamilie ihre Schulden abschüttelnde nicht vollends durch; 1934 bestanden die Haushalte noch zu einem Zehntel aus Bauernschaft ganz gut über familienfremden Personen – Dienstboten, Untermietern, Bettgehern. die Runden. Die positive Wanderungsbilanz der 1910er-Jahre resultierte überwiegend aus der „Stadtflucht“ aus dem unter Mangelversorgung leidenden Wien, aber auch aus der Ein- und Rückwanderung aus den Nachfolgestaaten. Die anschließende Umkehrung der Wanderungsbilanz ins Negative hing einerseits mit dem versiegenden Zustrom aus dem nunmehrigen Ausland zusammen: Die Grenzziehungen der neuen National- staaten durchschnitten jahrzehntelange Wanderrouten; nur die Saisonwanderung der jährlich etwa 12.000 tschechoslowakischen Landarbeiter/innen in die niederöster- reichischen Getreide- und Zuckerrübenanbaugebiete blieb bis in die 1930er-Jahre aufrecht. Andererseits setzte sich die Abwanderung nach Wien, vor allem aus den Umlandbezirken sowie dem Wein- und Waldviertel, wie in den Vorkriegsjahren fort. Dagegen fiel die Auswanderung der etwa 10.000 Niederösterreicher/innen nach Übersee kaum ins Gewicht. Kriegs- und Nachkriegszeit hatten die Grenzen zwischen Reich und Arm ver- schoben, die „Klassen“, „Stände“ oder „Schichten“ – Gruppen mit gleichartigen materiellen und/oder mentalen Merkmalen – durcheinandergewirbelt. In der Inflati- onszeit mussten Rentenbezieher/innen, Hausbesitzer/innen und Beamte – also große Teile des „Bürgertums“ – Einbußen hinnehmen; dagegen kamen Selbstständige und Der „Schnitter“ – ein meist mit konserva- Arbeiter/innen in Gewerbe und Industrie sowie die ihre Schulden abschüttelnde tiven Bedeutungen aufgeladenes Motiv Bauernschaft ganz gut über die Runden. Mit dem Sanierungskurs ab 1922 und schließ- der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, lich der Weltwirtschaftskrise ab 1929 änderten sich die Klassenhierarchien: Renten- das nicht nur in Malerei und Grafik, sondern auch in der Fotografie häufig bezieher/innen profitierten von hohen Zinsen und der stabilen Währung; Hausbesit- Verwendung fand. zer/innen zogen Vorteile aus der Lockerung des Mieterschutzes; Beamte, die in

392 Großer Übergang in kleinen Schritten erheblicher Zahl abgebaut wurden, trugen die Lasten der Sanierung; Getreidebauern und -bäuerinnen profitierten vom Agrarprotektionismus, während Viehzüchter/- innen und Milcherzeuger/innen zunehmend verarmten; Gewerbetreibende litten unter der sinkenden Massenkaufkraft; Arbeiter/innen und Angestellte mussten Kürzungen von Lohn- und Sozialleistungen hinnehmen – wenn sie nicht überhaupt ihre Anstellung verloren. Letztlich schwächten die materiellen und mentalen Ver- werfungen den Rückhalt der parlamentarisch-demokratischen Ordnung in den bestim- menden Gesellschaftsklassen: „Weniger der Überhang an Beamten als ihre Haltung, weniger der relativ große Agrarsektor als seine präkommerzielle Gestaltung (und seine daraus resultierende Neigung zu autoritärer Hausväterherrschaft), weniger das Bürgertum an sich als seine Furcht vor weiterem Statusverlust, weniger die Arbeiter- schaft als ihre furchterregende Ablehnung des bürgerlichen Staates (den man ja dann als das kleinere Übel verteidigen wollte) sind für das Manko an pluralistisch- demokratischen und österreichisch-nationalen Inhalten verantwortlich zu machen.“ (Ernst Bruckmüller)

Die Arbeitslosen von Marienthal Das wohl schwerwiegendste Problem der (nieder-)österreichischen Gesell- schaft in den 1920er- und 1930er-Jahren stellte die Arbeitslosigkeit dar (siehe Grafik auf Seite 390); von ihr waren fast alle Gesellschaftsklassen wenn nicht direkt – als un- selbstständige Lohnempfänger/innen –, so zumindest indirekt – als von der Massenkauf- kraft abhängige Selbstständige – betroffen. Neben der sichtbaren Arbeitslosigkeit gab es auch eine versteckte. Diese äußerte sich vor allem – entgegen allen Klagen über die „Landflucht“ – in wachsenden Zahlen mithelfender Familienangehöriger in Bauern- haushalten, denen der Wechsel zum gewerblich-industriellen Erwerb versperrt war. Zeitlich lassen die Arbeitslosenzahlen drei Spitzen erkennen: 1919, als die demobilisier- ten Soldaten nicht sofort in die Arbeitswelt eingegliedert werden konnten, ver- zeichnete man 17.087 Arbeitslose in Niederösterreich; 1926, auf dem Höhepunkt der Stabilisierungskrise, waren es 38.278 und 1933, auf dem Höhepunkt der Weltwirt- schaftskrise, 67.447 Arbeitslose. In räumlicher Hinsicht vollzog die Arbeitslosigkeit in Niederösterreich einen steileren Anstieg als im Rest Österreichs; darin äußert sich das regionale Übergewicht der krisenanfälligen Schwerindustrie. Nicht in diesen Zahlen enthalten sind jene, die – wie die Altersfürsorgerentner/innen – den (Lohn-) Arbeitsmarkt verlassen oder, wie zigtausende Jugendliche ohne Lehrstelle, gar nie betreten hatten. Zudem erfassen die Zahlen nur jene Arbeitslosen, die aufgrund der 1920 im Windschatten der Revolutionsangst eingeführten Arbeitslosenversicherung Unterstützungen bezogen. Wer keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld und, daran anschließend, Notstandsaushilfe hatte, galt als „ausgesteuert“, fiel der regionalen und kommunalen Armenfürsorge anheim und musste sich und seine Angehörigen meist durch Gelegenheitsarbeiten und mehr oder weniger verkleideten Bettel durchbringen. Die offiziellen Zahlen der unterstützten Arbeitslosen müssten auf das Zwei-, wenn nicht Dreifache erhöht werden, um auch die inoffizielle Dimension der Massenarbeits- losigkeit annähernd zu erfassen. Die Einschränkung der Unterstützungsleistungen ab 1933/34 erscheint als „zunehmende Privatisierung oder Familialisierung des sozia- Die lang anhaltende Vereinzelung len Risikos von Erwerbsarbeitslosigkeit“ (Gerhard Melinz) durch die „Ständestaat“- veränderte auch die Sicht von Diktatur. Wie die Betroffenen die Arbeitslosigkeit erfuhren, zeigt die inzwischen welt- sich selbst; man war nicht mehr berühmte, auf Anregung Otto Bauers 1931/32 durchgeführte Sozialstudie von „Mechaniker“, „Weber“ oder Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel über Marienthal bei Gramatneusiedl, „Drucker“, sondern „Arbeitsloser“. 20 Kilometer südöstlich von Wien gelegen. Die 2.000 Einwohner/innen umfassende Industriesiedlung wurde 1930 nach der Schließung der dortigen Textilfabrik mit zuvor 1.200 Arbeitern und 90 Angestellten zu einem Dorf von Arbeitslosen. Die Erfahrung von lang andauernder Arbeitslosigkeit veränderte die dörflichen Sozialbe- ziehungen, aber auch die Identitäten: Die Armut zwang zur Einschränkung auf das Lebensnotwendigste; Gasthaus- und Kinobesuche, Zeitungslektüre, Radiohören und Vereinsaktivitäten wurden vermieden. Die lang anhaltende Vereinzelung veränderte auch die Sicht von sich selbst; man war nicht mehr „Mechaniker“, „Weber“ oder „Drucker“, sondern „Arbeitsloser“. Dabei registrierten die Sozialforscher/innen deutli- che Unterschiede nach dem Geschlecht: Die Männer, aus der Rolle des Familienerhal- ters gefallen, wussten wenig mit der ungewohnten Freizeit anzufangen; viele flüchte- ten sich in Suff und Selbstmord. Hingegen übernahmen die Frauen zunehmend die Versorgungsrolle für Mann und Kinder, indem sie Haus-, Heim- und Gelegenheits- arbeiten flexibel kombinierten. Marienthal war aber in Niederösterreich eher die Ausnahme als die Regel; Arbeitslose anderswo erlagen nicht der Apathie, sondern waren durchaus in der Lage, sich mit Protesten Gehör zu verschaffen. In langwierigen „Arbeit – Brot – Friede“: Sozial- demokratische Wahlpropaganda Korrespondenzen mit den Behörden suchten sie ihre Ansprüche wortreich geltend in der Weltwirtschaftskrise, 1930. zu machen – allerdings mit wechselndem Erfolg.

Wirtschaft und Gesellschaft 395 Hungern oder Hamstern Konsumausgaben Wiener Arbeitnehmerhaushalte 1912–1990 Nahrung wurde in der Kriegs- und Nachkriegszeit zum herausragenden Kenn- In den Konsumausgaben der Wiener Arbeit- zeichen gesellschaftlicher Ungleichheit. Im Ersten Weltkrieg gehörte Mangel- und nehmerhaushalte bildet sich das Auf Unterernährung zur täglichen Erfahrung von Angehörigen der unteren und zum Teil und Ab des Lebensstandards von Herrn und Frau Österreicher im 20. Jahrhundert ab, auch der mittleren Gesellschaftsklassen – nicht nur in den Städten, sondern auch so etwa im Anteil der überlebensnot- auf dem Land. Das zeigen etwa Untersuchungen des Ernährungszustands von Schul- wendigen Nahrungsausgaben: Sie stiegen kindern kurz nach Kriegsende, die nicht nur für niederösterreichische Industriestädte oder stagnierten in der Krise, etwa in den 1930er-Jahren, und fielen rasant im wie St. Pölten und Wiener Neustadt, sondern auch für die Voralpen und das Alpen- Wirtschaftsboom, etwa in den 1950er- vorland katastrophale Ergebnisse zeigten. Ob man über Land, Geld oder Wertgegen- bis 1970er-Jahren. stände verfügte, entschied darüber, ob man Lebensmittel selbst erzeugen, zu Schwarz- marktpreisen kaufen oder beim „Hamstern“ eintauschen konnte – oder eben auf ■ = 1 Prozent die offiziellen Lebensmittelrationen, die in Wien 1918 auf etwa 800 Kalorien gefallen ■ Nahrungsmittel ■ Genussmittel waren, angewiesen blieb. Der tägliche Kampf um die Nahrung versetzte der verordne- ■ Bekleidung ten „Opfergemeinschaft“ von Heimat und Front tiefe Risse; die Hungernden an der ■ Wohnungszins „Heimatfront“ sahen sich nun selbst als Opfer einer profitgierigen Bauernschaft, eines ■ Wohnungseinrichtung ■ Heizung, Beleuchtung korrupten Verwaltungsapparats und der nationalistischen Ungarn, die ihre Lebens- ■ Gesundheit, Körperpflege mittellieferungen nach Österreich von Jahr zu Jahr zurückschraubten. ■ Urlaub, Erholung, Sport Konsumerhebungen von Wiener Arbeiter- und Angestelltenhaushalten ■ Verkehr ■ Sonstiges skizzieren die groben Entwicklungslinien in den unteren Gesellschaftsklassen in der Zwischenkriegszeit, die wohl auch für Niederösterreichs Industriestädte zutrafen: Was die Haushaltsausgaben betraf, war der Anteil der Nahrungsmittel in den späten 1920er-Jahren rückläufig, in den frühen 1930er-Jahren leicht steigend. Darin zeigt sich ein häufig beobachtbarer Zusammenhang: je höher bzw. niedriger das Einkom- men, desto niedriger bzw. höher der Anteil der Nahrungsausgaben. Feinere Abstufun- gen fördert die Marienthal-Studie zutage: Zwar waren in den Arbeiterfamilien drei Tagesmahlzeiten die Regel, Fleischspeisen – üblicherweise Pferde- oder Kaninchen-, im Zwar waren in den Arbeiter- Extremfall Katzen- oder Hundefleisch – bildeten jedoch die sonntägliche Ausnahme. familien drei Tagesmahlzeiten Die Studie unterscheidet Minimal- und Durchschnittsfamilien mit 57 bzw. 98 Groschen die Regel. Fleischspeisen – für Nahrungsmittel pro Person und Tag. An einem Wochentag hatte eine Minimal- üblicherweise Pferde- oder familie zum Frühstück Kaffee und Brot, zum Mittagessen Erbswurstsuppe und Grieß- Kaninchen-, im Extrem Katzen- schmarren und zum Abendessen Kaffee und Schmalzbrot; die Durchschnittsfamilie oder Hundefleisch – bildeten verzehrte in der Früh Kakao und Semmeln, zu Mittag Linsen und Knödel, zur Jause jedoch die sonntägliche Kaffee und Schmalzbrot und am Abend wiederum Linsen und Knödel. Am Sonntag gab Ausnahme. es in der Minimalfamilie zum Frühstück Kaffee und Weißbrot, als Mittagessen Suppe und Mohnnudeln und zum Abendessen wiederum Kaffee und Weißbrot; die Durch- schnittsfamilie nahm am Sonntag in der Früh Tee und Semmeln, zu Mittag Rind- suppe mit Leberknödel, Faschiertes und Salat, zur Jause Tee und am Abend wiederum 1912/14 1925 1930 1935 1946 1950 Faschiertes, Salat und Kaffee zu sich. Der wichtigste Tag für die Ernährung war in Marienthal nicht der Sonntag, sondern der zweiwöchentliche Tag der Unterstützungs- auszahlung: Laut Aufzeichnungen des Lehrers hatte am Tag vor der Auszahlung die Hälfte der Schulkinder nichts oder nur trockenes Brot zum Frühstück; am Tag danach bekamen fast alle eine ausreichende Morgenmahlzeit. Alles in allem verschob sich die Ernährung der Arbeiterschaft Ende der 1920er-, Anfang der 1930er-Jahre von Fleisch- zu Getreide- und Kartoffelgerichten, vom Weizen- zum Roggenmehl und von Butter zu Margarine, kurz: von teureren zu billigeren Zutaten. Der Notwendigkeitsgeschmack der unteren und verarmten mittleren Gesell- schaftsklassen hob sich scharf von den kulinarischen Wahlmöglichkeiten der Mittel- 1955 1960 1965 1970 1975 1980 und Oberklasse ab. Im gehobenen Bürgertum war die proletarische Ausnahmenahrung – Rind- und Schweinefleisch, Fisch, Mehlspeisen und so fort – die Regel. Freilich be- standen in Sachen Essen weitere gesellschaftliche Kontraste, etwa zwischen Stadt und Land, Männern und Frauen, Erwachsenen und Kindern. Der Spruch „Der Mensch ist, was er isst“ (Ludwig Feuerbach) traf im 20. Jahrhundert wohl auf kaum etwas besser zu als auf die mehrfach gespaltene Gesellschaft zwischen den Weltkriegen. Aus diesen Mangelerfahrungen suchten linke und rechte Parteien, „Sozis“ wie „Nazis“, in der Wahlagitation und nach den Parteienverboten 1933/34 in der illegalen Propaganda politisches Kapital zu schlagen – mit der bezeichnenden Parole „Arbeit und Brot“. 1985 1990

396 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 397 Totalitäre Großräume (1938–1955) seinen Zusammenbruch 1945 hinaus – im Agrarbereich gelang, war eine nachhaltige Umorientierung der Agrarentwicklung: Der Agrarsektor wurde zu einem staatlich- Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 führte Niederösterreich vom planerischen Megaprojekt, das auf den „produktiven“ bäuerlichen Familienbetrieb im kleinstaatlichen in einen „großdeutschen“ Bezugsrahmen. Die Außengrenzen des Dienst der Versorgung der Industriegesellschaft mit billigen Arbeitskräften und Le- Wirtschaftens erweiterten sich auf die europäische „Großraumwirtschaft“, die Hitler- bensmitteln abzielte. So etwa wurde die „Hofkarte“ des Reichsnährstandes als statisti- Deutschland zunächst durch bilaterale Verträge, schließlich durch militärische Er- sches Herrschaftsinstrument 1945 von der Landwirtschaftskammer fast unverän- oberung vor allem nach Ost- und Südosteuropa – als agrarischen „Ergänzungsraum“ dert übernommen. Weniger auf technischer als auf institutioneller Ebene stellte die wie Absatzgebiet der deutschen Industrie – auszudehnen trachtete. Der Horizont des NS-Ära – als „Sattelzeit“ der Agrarmodernisierung – die Weichen in Richtung des Wirtschaftens rückte in weite Ferne und bot Raum für gigantomanische Planungs- durchgreifenden „Strukturwandels“ der Nachkriegsjahrzehnte. fantasien, die weite Teile Ost- und Südosteuropas – nach Enteignung, Vertreibung und Frappierende Ähnlichkeiten mit der Agrarentwicklung kennzeichneten die Vernichtung der dortigen Zivilbevölkerung – als „deutschen Lebensraum“ bean- gewerbliche Entwicklung in der NS-Zeit. Wie im Agrarbereich, wenngleich radikaler, spruchten. Die schrittweise Errichtung dieses „Großraums“ im deutschen Eroberungs- suchten die Behörden im Rahmen der „Berufsbereinigung“ Klein- und Kleinstbetriebe Der Horizont des Wirtschaftens und Vernichtungskrieg entgrenzte auch die Raumvorstellungen der Niederöster- stillzulegen und damit die Betriebskonzentration im Gewerbebereich voranzutreiben; rückte in weite Ferne und reicher/innen – sei es als im Westen, Süden und Osten Europas kämpfende Soldaten so galten ab Kriegsbeginn alle länger als sechs Monate nicht ausgeübten Gewerbe- bot Raum für gigantomanische im Frontdienst, sei es als flexibel eingesetzte Arbeitskräfte an der „Heimatfront“. berechtigungen – mithin vor allem jene von Ein-Personen-Betrieben – als zurückge- Planungsfantasien, die weite Nicht nur die Außen-, sondern auch die Binnengrenzen des Wirtschaftens wurden legt. Ebenso waren technokratische und rassenideologische Momente eng verzahnt: Teile Ost- und Südosteuropas – neu justiert: Der um südmährische Gebiete und das nördliche Burgenland erweiterte Im Zuge der „Entjudung“ wurden die Betriebe der als „Juden“ geltenden Alleinge- nach Enteignung, Vertrei- Reichsgau Niederdonau fügte sich – zusammen mit dem um einige Umlandgemein- werbetreibenden meist aufgelassen; Mittel- und Großbetriebe in jüdischem Besitz bung und Vernichtung der den aufgestockten Reichsgau „Groß-Wien“ – als Industrieraum, vor allem als Standort wurden hingegen überwiegend von Nicht-Juden „arisiert“, das heißt unter Ausnützung dortigen Zivilbevölkerung – der Grundstoff- und Rüstungsindustrie, in die „großräumliche“ Arbeitsteilung ein. staatlichen Zwangs zu günstigen Konditionen erworben. Schließlich richtete sich als „deutschen Lebensraum“ Der in den Augen von Planern als rückständig erachtete Agrarraum sollte teils auch in den Gewerbeplanungen der Horizont auf den zu schaffenden „Großraum“; beanspruchten. durch nachholende „Strukturverbesserung“, teils durch Umsiedlung von Teilen der so suchte das NS-Regime aufkeimenden Unmut über die Betriebsauflassungen durch berg- und kleinbäuerlichen Bevölkerung in den „deutschen Osten“ entwickelt werden. den Verweis auf die tragende Rolle des Handwerks in der geplanten „Ostsiedlung“ Die Erhebung von Krems zur Gauhauptstadt signalisierte einen weiteren Schritt einzudämmen. Die Auslese im Gewerbebereich, die sich zunehmend an der Kriegs- und der Entkoppelung von Wien. Ungeachtet regionaler Entwicklungsprogramme, etwa Versorgungswichtigkeit – und damit am Zugang zu Arbeitskräften, Rohstoffen und des „Hugo-Jury-Plans“, verlagerte sich die Steuerungskompetenz der Wirtschaft Maschinen – orientierte, erfasste die Branchen in unterschiedlichem Maß: Am ehesten Niederdonaus über die Gaugrenzen nach Berlin und in die Konzernzentralen im profitierte das Metallverarbeitungs- und Bauhilfsgewerbe, das der boomenden Rüs- „Altreich“. tungs- und Bauindustrie zulieferte; auch versorgungswichtige Sparten wie Bäcker und Das Deutsche Reich erbte von der 1938 einverleibten „Ostmark“ einen Agrar- Fleischer konnten sich einigermaßen behaupten; die stärksten Einschnitte verzeich- sektor, der hinter den Produktivitätsmaßstäben des „Altreiches“ nachhinkte; zum neten das Holz-, das Schneider- und das Schustergewerbe. Während der geplante Kapitalmangel kam 1938/39 die massenhafte „Landflucht“ im Gefolge des Bau- und „Strukturwandel“ im Agrarbereich nur ansatzweise griff, kam er im Gewerbebereich Rüstungsbooms verschärfend hinzu. Ambitionierte Aufbauprogramme suchten das durchgängig zum Tragen: Die Zahl der niederösterreichischen Gewerbeberechtigungen agrarische Leitungspotenzial der Alpen- und Donaureichsgaue für das seit dem Vierjah- sank von 36.972 (1937) auf 30.622 (1944); die Zahl der Meister/innen schrumpfte resplan 1936 auf Autarkie – im Rahmen der kriegerischen „Erweiterung des Lebens- Kriegsproduktion in Wiener Neustadt: prozentuell stärker als die Gesamtzahl der gewerblich Beschäftigten. Die Rax-Werke stellten während des raums“ – ausgerichtete Agrarsystem umfassender auszuschöpfen; die jährlich ausge- Zweiten Weltkriegs Tender (Kohlenwagen) Trotz der Kunstdünger- und rufenen „Erzeugungsschlachten“ zielten vor allem auf die Schließung der „Eiweiß- für Dampflokomotiven her. Landmaschinenoffensive, und Fettlücke“. Auffassungsunterschiede bestanden in den Führungsetagen hinsicht- trotz des Einsatzes zehntau- lich der Entwicklungsfähigkeit der berg- und kleinbäuerlichen Landwirtschaft: Wäh- sender Kriegsgefangener rend Berliner Zentralstellen scharfe Einschnitte im Rahmen von „Agrarstrukturbereini- sanken die Erträge unter das gung“ im Reich und „Germanisierung“ des Ostens forderten, propagierten regionale Vorkriegsniveau ab. Funktionsträger wie der Landesbauernführer Anton Reinthaller die Förderung gerade der im Kampf mit widrigen Umständen gestählten Bergbauern als „Ernährer und Blutquell des Volkes“. Diese Spannung zwischen technokratischen und rassenideologi- schen Momenten äußerte sich in einer Vielzahl von teils ineinandergreifenden, teils widersprechenden Steuerungsinstrumenten, mit denen der Agrarapparat die Gesamt- heit der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe wie einen Hof zu führen trachtete: der Betriebsstatistik des Reichsnährstandes zur Leistungskontrolle; dem Erbhofrecht, das den betreffenden Höfen zur Festigung einer mittelbetrieblichen Grundbesitz- verteilung ein Teilungsverbot auferlegte; der Entschuldungs- und Aufbauaktion zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit; dem „Gemeinschaftsaufbau im Bergland“ als pionierhafter Technisierungsoffensive; der Sondergerichtsbarkeit zur Eindämmung der „Schattenwirtschaft“; der „Arisierung“ jüdischen (Groß-)Grundbesitzes zur „Neubildung deutschen Bauerntums“ und so fort.

Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ Mit dem Übergang vom Blitz- zum Abnützungskrieg 1941/42 gewann die öko- nomische gegenüber der „rassischen“ Leistungsfähigkeit des „Landvolkes“ an Gewicht; das zeigt etwa die Kampagne für den preis- und prämienbegünstigten Ölfruchtan- bau, die nicht den sippen- und volksverbundenen, mit widrigen Standortbedingungen ringenden „Bauern“, sondern den unternehmerischen „Landwirt“ in den Gunstlagen des Flach- und Hügellandes ansprach. Gemessen an den Produktionszahlen erscheint die nationalsozialistische „Erzeugungsschlacht“ in Niederdonau als glatte Nieder- lage: Trotz der Kunstdünger- und Landmaschinenoffensive, des Einsatzes zehntausen- der Kriegsgefangener und ausländischer Zivilarbeiter/innen sowie rigider Überwa- chungs- und Bestrafungsmaßnahmen sanken Hektarerträge, Schlachtgewichte und Milchleistungen unter das Vorkriegsniveau ab. Was dem „Dritten Reich“ jedoch – über

398 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 399 Strategische Bedeutung für den Krieg Einen fundamentalen Wandel erfuhr die niederösterreichische Industriestruk- tur in der NS-Zeit, stand dieser Industriestandort doch im Blickpunkt der politisch- ökonomischen Interessen: „Das Land hatte für die von den nationalsozialistischen Machthabern und der deutschen Großindustrie verfolgten imperialistischen Groß- raumplanungen strategische Bedeutung für die Aufrüstung des Reiches.“ (Klaus-Dieter Mulley) Diese strategische Bedeutung bestand in mehrfacher Hinsicht: Erstens hatte sich im traditionsreichen Metall- und Maschinenindustrie-Cluster des Industrie- viertels entsprechendes Know-how angesammelt; zweitens boten die Firmen mit Kontakten nach Südost- und Osteuropa eine Operationsbasis für die Durchdringung des geplanten „Großraums“; drittens versprachen die brachliegenden Erzeugungs- kapazitäten und das Heer arbeitsloser Facharbeiter eine Entlastung der an die Leistungsgrenzen gestoßenen Rüstungsindustrie im „Altreich“; viertens waren Grund- stückspreise und Arbeiterlöhne in Niederdonau vergleichsweise niedrig; fünftens schlummerten im Land noch ungenutzte Energiekapazitäten wie die Wasserkraft der Donau und anderer Flüsse sowie die noch wenig erschlossenen Erdöllager im Wiener Becken und im Weinviertel; sechstens galt Niederdonau als „Reichsluftschutzkeller“ als vergleichsweise sicher vor feindlichen Bombardierungen; und siebentens witterten deutsche Industriekonzerne die Chance, sich mittels politischer Interventionen österreichisches – auch in jüdischem Besitz befindliches – Firmenkapital kostengünstig einzuverleiben. Unter diesen Bedingungen begann mit dem „Anschluss“ 1938 ein Wettlauf der deutschen Großindustrie um österreichische Industriebetriebe. Davon betroffen waren vor allem die zahlreichen Industriebeteiligungen der von der Deutschen Bank übernommenen Creditanstalt: Die Reichswerke AG Hermann Göring Der Raum Wiener Neustadt wurde übernahm die Feinstahlwerke Traisen, die DDSG-Schiffswerft Korneuburg und die mit den Wiener Neustädter Steyr-Daimler-Puch AG; die Friedrich Krupp AG bekam die Aktienmehrheit der Bern- Flugzeugwerken, dem Flugmoto- dorfer Metallwarenfabrik fast geschenkt; die Henschel & Sohn GmbH. eignete sich renwerk Ostmark in Wiener die Wiener Lokomotivfabrik AG mit ihrem Zweigwerk in Wiener Neustadt an; der Neudorf und den Rax-Werken Deutsche Stahlverein kam in den Besitz der Werke der Gebrüder Böhler AG, einschließ- zur Raketenproduktion lich der Enzesfelder Metallwerke AG – um nur die wichtigsten Übernahmen zu nen- zum Zentrum der Luftrüstung nen. Neben der Filetierung des CA-Imperiums benützten deutsche Firmen auch das ausgebaut. Instrument der „Entjudung“. So „arisierten“ etwa die Wilhelm-Gustloff-Werke mit- hilfe von Interventionen des Gauleiters Fritz Sauckel der IG Farben die Hirtenberger Patronenfabrik vor der Nase weg. Neben die „Germanisierung“ bestehender Industriebetriebe trat eine Reihe von deutschen Neugründungen. Der Raum Wiener Neustadt, eine ehemalige Waffen- schmiede der Monarchie, wurde mit den Wiener Neustädter Flugzeugwerken – mit 23.000 Beschäftigten der größte Industriebetrieb des Landes –, dem Flugmotoren- werk Ostmark in Wiener Neudorf und den für die Raketenproduktion vorgesehenen Rax-Werken in Wiener Neustadt zum Zentrum der Luftrüstung ausgebaut. Neben dem Rüstungsindustrie-Cluster entlang der Südbahn-Linie bildete die Donau – in Verbin- dung mit dem geplanten Rhein-Main-Donau- und Donau-Oder-Kanal – eine strategi- sche Verkehrsachse. Das Chemie-Großkombinat der IG Farben AG („Donau-Chemie“) in Moosbierbaum sollte zusammen mit dem geplanten Leichtmetallwerk im benachbar- ten Pischelsdorf das aus Rumänien auf dem Wasserweg angelieferte Rohöl zu Flug- benzin verarbeiten, der Wiener Neustädter Flugzeugindustrie Spezialmetalle zuliefern und die eroberten „Ostgebiete“ mit Mineraldünger versorgen. Weitere Betriebs- gründungen im Donauraum umfassten das Nibelungenwerk zur Panzerproduktion in St. Valentin und die Hütte Krems; zudem erfolgten an anderen Standorten, etwa im Ybbs-, Erlauf- und Traisental, Betriebsgründungen und -erweiterungen. Neben den industriellen Kernzonen gewannen durch die Verlagerung von Produktions- stätten wegen alliierter Bombenangriffe in den letzten Kriegsjahren auch dezentrale und unterirdische Standorte – etwa die Stollenanlagen in Melk und Hinterbrühl – Wiederaufbau auf Sowjetisch: Eröffnung an Bedeutung. der wiedererrichteten Donaubrücke durch Bundespräsident Karl Renner und Marschall Iwan Stepanowitsch Konew, Jeder Vierte ein Zwangsarbeiter Krems-Mautern, 1945. Das enorme Ausmaß des Rüstungsbooms zeigt die Zunahme der Betriebe, die dem für Niederdonau zuständigen Rüstungskommando Mödling unterstanden, von 29 (1939) auf 130 (1944). Um die dafür nötige Energie bereitzustellen, schufen die Von den etwa 180.000 Industriebe- Gauwerke Niederdonau ein einheitliches Verbundstromnetz, begann die Rhein-Main- schäftigten in Niederdonau 1944 – Donau AG mit dem Bau des Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug und schraubten deut- einem bis dahin unerreichten sche Erdölfirmen die Fördermenge von 33.000 (1937) auf 1.200.000 Tonnen (1944) Spitzenwert – waren 28 Prozent hinauf. Die benötigten Industriearbeitskräfte wurden wegen der Einberufung immer Zwangsarbeiter/innen; in manchen größerer Teile der deutschen Stammbelegschaften zum Militärdienst zunehmend Rüstungsbetrieben stellten sie mittels Zwangs rekrutiert. Die stacheldrahtumzäunten Lager der Kriegsgefangenen über 70 Prozent der Belegschaft. und ausländischen Zivilarbeiter/innen entlang der Betriebsgelände gehörten zum

400 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 401 alltäglichen Erscheinungsbild; schließlich wurden auch Häftlinge des Konzentrations- Die Existenz eines Wirtschafts- Besitzer vor den Sowjets geflüchtet waren, sowie „arisierte“ Agrar- und Industriebetrie- lagers Mauthausen in den Außenlagern Melk, Wiener Neustadt, Wiener Neudorf, sektors, der österreichischen be wurden zunächst unter öffentliche Verwaltung gestellt. In dem Maß, in dem sich Hinterbrühl, Hirtenberg, Schwechat, Amstetten, St. Valentin und St. Aegyd eingesetzt. Kontrollen entzogen war und die Bindungen an Deutschland lockerten, lebten die Handelsbeziehungen zu den Nach- Die Zwangsarbeiter/innen mussten unter mörderischen Bedingungen Betriebsanlagen rege Beziehungen zur Sowjetunion folgestaaten, vor allem zur Tschechoslowakei, wieder auf. Da die Sowjets die Verstaatli- aus dem Boden stampfen – so etwa in Melk, wo 14.000 KZ-Häftlinge 1944/45 eine unterhielt, führte zur Benach- chung des ehemaligen „deutschen Eigentums“ durch die Republik Österreich nicht sieben Kilometer lange Stollenanlage zur Kugellagerproduktion für Steyr-Daimler-Puch teiligung gegenüber dem Westen anerkannten und dieses für den Wiederaufbau im eigenen Land heranziehen wollten, in den Berg trieben –, überzogenen Leistungsvorgaben bei ungenügender Versorgung Österreichs im Rahmen des unterstellten sie es 1946 der „Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich“ nachrennen und unter Lebensgefahr Bombenschäden reparieren. Von den etwa Marshall-Plans. (USIA). Die Existenz eines Wirtschaftssektors, der österreichischen Kontrollen entzogen 180.000 Industriebeschäftigten in Niederdonau 1944 – einem bis dahin unerreichten war und rege Beziehungen zur Sowjetunion und zu ihren osteuropäischen Verbünde- Spitzenwert – waren 28 Prozent Zwangsarbeiter/innen; in manchen Rüstungsbe- ten unterhielt, führte zur Benachteiligung der sowjetischen Besatzungszone gegen- trieben stellten sie über 70 Prozent der Belegschaft. über dem Westen Österreichs im Rahmen des US-amerikanischen European Recovery Die abhängige Eingliederung der niederösterreichischen Industrie in die „groß- Program (ERP), des Marshall-Plans. Aufgrund des damit verbundenen Embargos deutsche“ Kriegsmaschinerie hinterließ in der Wirtschaftsstruktur deutliche Spuren: gegen die Ostblockstaaten mussten sich Niederösterreich, das Burgenland und Wien Erstens wich die enge Kooperation der Firmen mit den Nachfolgestaaten der Habs- mit mageren 19 Prozent der gesamten in Österreich eingesetzten ERP-Mittel zu- burgermonarchie der Abhängigkeit von Deutschland; zweitens wurde die in der friedengeben. Zwischenkriegszeit forcierte Leicht- und Konsumgüterproduktion durch die Schwer- und Rüstungsindustrie überlagert; drittens erreichten Betriebsgröße, -ausstattung und Wiederaufbau in Varianten -organisation ein bislang ungekanntes Niveau. Das Ausmaß des „großdeutschen“ Die niederösterreichische Landwirtschaft hatte gegen Kriegsende, vor allem Entwicklungsschubs sollte indes nicht überschätzt werden: Einerseits fielen zahlreiche im Osten des Landes, Schäden an Gebäuden und Fluren erlitten; zudem mangelte Industrieanlagen den Bombardierungen und Kampfhandlungen gegen Kriegsende es an Arbeitskräften und Betriebsmitteln. Dennoch begann der „Wiederaufbau“ nicht zum Opfer; 71 Prozent der österreichweiten Schäden betrafen Niederösterreich, vor bei Null, sondern knüpfte an einen gesteigerten Mechanisierungsgrad an. Der Arbeits- allem den Raum Wiener Neustadt. Andererseits lag der Standort im Schatten des kräftemangel entspannte sich zunächst durch die Mithilfe von zumeist „volksdeut- Reichsgaues Oberdonau; dort konzentrierte sich der Großteil der Investitionen in die schen“ Flüchtlingen, später durch die Heimkehr der Kriegsgefangenen. Die Land- „ostmärkische“ Grundstoff- und Rüstungsindustrie: Hermann-Göring-Werke Linz, und Forstwirtschaft bildete bis in die 1950er-Jahre, als die wiederauflebende Industrie Aluminiumwerk Ranshofen, Linzer Stickstofffabrik und so fort. Dennoch erfolgten in Arbeitskräfte anzuziehen begann, einen Beschäftigungspuffer; ihr Anteil an der der NS-Ära wichtige Weichenstellungen für die niederösterreichische Industrieent- Gesamtheit der Beschäftigten blieb mit 47,9 (1934) und 47,5 Prozent (1951) über zwei wicklung nach 1945, die nach zehnjähriger sowjetischer Besatzung US-amerikanischen Jahrzehnte hinweg konstant. Wegmarken folgte. Der Zusammenbruch des „Dritten Reiches“, die kriegsbedingten Ein Vergleich der Förderungsmaßnahmen zweier Bezirksbauernkammern Zerstörungen der Verkehrs- und Betriebseinrichtungen, Arbeitskräfte- und Roh- enthüllt regional unterschiedliche Pfade der Betriebsentwicklung. Entsprechend den stoffmangel, die Aufteilung Österreichs in vier Besatzungszonen und die Errichtung unterschiedlichen Agrarstrukturen und Kriegsfolgen – Grünlandbetriebe und geringe des „Eisernen Vorhangs“ an der Nord- und Ostgrenze führten nach 1945 zu einer Schäden in Gaming, Ackerbaubetriebe und erhebliche Zerstörungen in Schwechat – deutlichen Verkleinerung der Wirtschaftsräume. Niederösterreich bildete zusammen zeigten die Aktivitäten der Bezirksbauernkammern vom „Wiederaufbau“ in der unmit- mit einem Teil Wiens, dem Burgenland und dem oberösterreichischen Mühlviertel telbaren Nachkriegszeit 1945/46 bis zum Erreichen des Vorkriegsstandes der Agrar- die sowjetische Besatzungszone. Unternehmen in deutschem Besitz, Firmen, deren produktion 1951/52 unterschiedliche Schwerpunkte: In Gaming standen die Steigerung

Von den Hammerwerken zu den „Hidden Champions“ älteste Gewerberegion des Landes, in der man seit dem für die moderne Massenproduktion.6 Damals wurde Mittelalter Eisen vom steirischen Erzberg verarbeitete. Wiener Neustadt mit zahlreichen Industriegründungen Industrielle Entwicklung in Niederösterreich Kleine Eisenvorkommen (sogenanntes Waldeisen) zu einem Zentrum von überregionaler Bedeutung am Beispiel der Maschinen- und Metallwarenindustrie wurden auch in anderen Tälern der Region ausgebeutet. und in der Region siedelten sich u. a. die Brevillier Im Lauf des 19. Jahrhunderts erwies sich jedoch die Schraubenfabrik in Neunkirchen, die Munitionsfabrik verkehrsungünstige Lage an den Oberläufen der Flüsse in Hirtenberg oder Schoeller (ab 1924 Schoeller- Charlotte Natmeßnig verarbeitung in den Eisenwurzen2, danach wurde als Standortnachteil und zahlreiche Werke gingen Bleckmann) in Ternitz an. Diese Entwicklungen werden Andreas Resch im 19. Jahrhundert das Wiener Becken3 zu einem Motor verloren. Zum Beispiel brachen die Unternehmungen eingehend anhand der Unternehmensgeschichten der österreichischen Industrialisierung, und in der des Gewerken Andreas Töpper im Jahr 1873 zusammen.4 der Berndorf AG und der Leobersdorfer Maschinen- jüngeren Vergangenheit haben auch das Wein- und das Hochqualifizierte Arbeitskräfte und innovative Unter- fabrik (LMF) illustriert. Waldviertel von Industrieansiedlungen profitiert. nehmer schufen aber durchaus auch weiterhin die Die ökonomische Entwicklung des Weinviertels war Im Rahmen dieser historischen Entwicklung vermoch- Basis für erfolgreichere Entwicklungen. So vermochten bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts traditionell ten sich zahlreiche Unternehmen der niederöster- sich Unternehmen wie Riess, Welser und Sonneck in von der Landwirtschaft gekennzeichnet.7 In den ver- reichischen Maschinen- und Metallwarenindustrie in Ybbsitz sowie die Böhler-Standorte im Ybbstal bis in die gangenen Jahrzehnten haben aber Betriebsverlagerun- komplexen Netzwerken von Zulieferern und weiterver- Gegenwart zu behaupten, und auch neue Unternehmen gen aus Wien und die „Ostöffnung“ nach 1989 zu arbeitenden Betrieben (Wertschöpfungsnetzwerken) kamen hinzu. Als Beispiel für ein traditionsreiches neuen wirtschaftlichen Impulsen geführt. Das Land zu positionieren. Vielen gelang es, in einzelnen Markt- Unternehmen in dieser Region wird Worthington Cylin- Niederösterreich fördert mit dem Programm ecoplus Relikt einer einst blühenden segmenten eine führende Position zu erlangen. Da ders (Kienberg) und als Exempel für eine Neugründung gezielt den Aufbau neuer Industriestandorte. Als Kleineisenindustrie: Fahrngruberhammer in diese Geschäftsbeziehungen vonseiten der Konsument/- im 20. Jahrhundert CNH (St. Valentin) porträtiert. Beispiele für erfolgreiche Betriebsverlagerungen Ybbsitz. innen am Ende der Wertschöpfungsketten kaum wahr- Das Viertel unter dem Wienerwald wurde im von Wien in die Region dienen die Rupert Fertinger genommen werden, verliefen diese Prozesse oft ohne 19. Jahrhundert dank einer dynamischen Entwicklung GmbH und die Haas Unternehmensgruppe. viel öffentliche Aufmerksamkeit – die Firmen wurden neuer Industriebetriebe (insbesondere Metallverar- Ähnlich wie im Mostviertel wurden auch im Wald- Niederösterreich ist nicht nur ein fruchtbares Agrar- „Hidden Champions“. Die historischen Entwicklungen beitung und Textilindustrie) zum sogenannten Indus- viertel in der frühen Neuzeit einige regionale „Wald- land, sondern umfasst auch einige der bedeutendsten in den vier Vierteln Niederösterreichs werden in trieviertel. Die Nähe zu Wien und der Bau der Süd- eisen“-Vorkommen genutzt und es entstanden mehrere Industriestandorte Österreichs, welche die wirt- diesem Beitrag jeweils anhand zweier ausgewählter bahn erwiesen sich als wichtige Wachstumstreiber.5 Bis Schmiedebetriebe. Diese Strukturen konnten jedoch schaftliche Entwicklung vom Mittelalter bis ins Unternehmen der metallverarbeitenden Branche zum Ersten Weltkrieg schufen der wissenschaftsbasierte der Industrialisierung im 19. Jahrhundert nicht stand- 21. Jahrhundert mitprägten.1 Im Mittelalter und in der dargestellt. Das Mostviertel umfasst mit den um das Maschinenbau sowie Innovationen in der Eisen- und halten. Ähnlich dem Weinviertel konnte auch das frühen Neuzeit florierte insbesondere die Metall- Ybbs- und Erlauftal gelegenen Eisenwurzen die Stahlerzeugung und der Elektrotechnik die Grundlagen Waldviertel nach dem Fall des „Eisernen Vorhanges“

402 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 403 Die öffentliche Agrarförde- der Futtererzeugung, die Erhöhung der Viehstände und der Einsatz arbeitssparender gegenüber. So hatte das weitaus flexiblere „Handwerk“ als fast alleiniger Anbieter rung vertiefte die regionalen Technik im Vordergrund; in Schwechat wurden neben der Viehzucht vor allem die „goldenen Boden“. Nicht der Produzent musste sich um den Konsumenten bemühen, Unterschiede: Die für die Getreideproduktion und der Einsatz ertragssteigernder Betriebsmittel gefördert. sondern Letzterer warb um Ersteren. Folglich wuchsen auch wieder die Beschäftigten- städtische Nahrungsmittelver- An den beiden Bauernkammerbezirken lassen sich einige überregionale Entwicklungen zahlen im niederösterreichischen Gewerbe nach dem Einbruch in der NS-Ära von sorgung wichtigeren Betriebe darstellen: In den ersten Nachkriegsjahren waren die bäuerlichen Familienbetriebe 55.000 (1944) auf 89.000 (1947). Erst die Dämpfung der Flucht in Sachwerte durch in den „Kornkammern“ noch auf ihre Improvisationsfähigkeit angewiesen; nachbar- und verwandtschaftliche die Währungsreform 1947, die den Schilling auf ein Drittel abwertete und größere des östlichen Flach- und Tauschnetzwerke sowie lukrative Geschäfte auf dem „Schwarzmarkt“ sicherten das Sparguthaben abschöpfte, und die wachsende Konkurrenz durch die wiederaufgebaute Hügellandes erhielten Überleben. Erst ab 1947/48 konnte die Landwirtschaftskammer vereinzelte Aktivitäten, Industrie verengten in den 1950er-Jahren wieder die Spielräume des Wirtschaftens. mehr Förderungsleistungen – etwa die Verteilung von Maschinen, Saatgut und anderen Lieferungen der internatio- und gewannen einen nalen Hilfsorganisation UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Admini- Vorsprung auf dem Weg zur stration), zum flächendeckenden „Wiederaufbau“ ausweiten. Ab 1947 deckte der beim weiteren Modernisierung. Landwirtschaftsministerium eingerichtete „Wiederaufbaufonds“ einen Gutteil der ausbezahlten Fördergelder ab; bis 1948 wurden allein aus Niederösterreich und Wien 5.714 Unterstützungsanträge eingebracht. Dazu kamen ab 1949 mehr und mehr die ERP-Gelder, die als günstige Kredite für Maschinen, Betriebsmittel und andere Anschaf- fungen an die Betriebsinhaber vergeben wurden. Nach dem allmählichen Versiegen der „Wiederaufbau“- und ERP-Gelder in den frühen 1950er-Jahren begannen verstärkt Bundes- und Landesmittel sowie Kammer- und sonstige Kredite für die Agrarförderung zu fließen. Die öffentliche Agrarförderung vertiefte die regionalen Unterschiede: Quantitativ gesehen erhielten die von den Kriegszerstörungen stärker betroffenen und für die städtische Nahrungsmittelversorgung wichtigeren Betriebe in den „Korn- kammern“ des östlichen Flach- und Hügellandes mehr Förderungsleistungen als anderswo – und gewannen einen Vorsprung auf dem Weg zur weiteren Modernisie- rung. Qualitativ gesehen sorgten die regionalen Förderungsschwerpunkte – Ackerbau in der Ebene, Rinderzucht im Gebirge – dafür, dass sich die „Körndl-“ und die „Hörndl- bauern“ mehr und mehr auf ihre jeweiligen Hauptbetriebszweige spezialisierten. Im Gewerbebereich bestanden zu Kriegsende regional unterschiedliche Startbedingungen: Während das Stadtgewerbe von Kriegszerstörungen stark betroffen war, stützte sich das Landgewerbe auf seine agrarische Existenzgrundlage, die weitge- hend unversehrt geblieben war. Wie im Agrarbereich bildeten Fachkenntnis, Improvisa- tionsfähigkeit und persönliche Netzwerke jene Ressourcen, die das Überleben der Gewerbetreibenden und ihrer Familien in der Mangelgesellschaft der Nachkriegszeit Wiederaufbau auf Amerikanisch: sicherten. Dem über die Kriegsjahre aufgestauten Nachfrageüberhang der Bevölkerung Werbeplakat zum Marshall-Plan, stand kein entsprechendes Angebot der darniederliegenden Konsumgüterindustrie um 1950.

wieder an industrieller Dynamik gewinnen, was an- von Granaten auf. Von dieser „neuen“ Produktionsspar- entwickelt hatte, brachte Innovationen wie Azetylen- nutzten die Sowjets bis 1955 die noch brauchbaren hand der MKE Metall und Kunststoffwaren Erzeugungs- te aus ging man Anfang der 1920er-Jahre zur Erzeugung und Hochdruckstahlflaschen auf den Markt. Wenige Gebäude für die Erzeugung von landwirtschaftlichen ges.m.b.H. und der voestalpine am Standort Krems von Stahlflaschen über. Aufgrund der regen Abnahme Jahre später ergänzten aus Verbundstoffen und Geräten. 1955 ging das Unternehmen in das Eigentum exemplifiziert wird. Letztere steht auch für die zahlrei- folgte 1927 die Errichtung eines eigenen Flaschenwerks.9 aus asbestfreiem Material hergestellte Gasflaschen das der Republik Österreich über und wurde 1957 in chen Betriebe der ehemals Verstaatlichten Industrie, Das Unternehmen wurde 1938 „arisiert“ und ab Produktsortiment. Um die Jahrtausendwende über- den Steyr-Daimler-Puch-Konzern (SDP) eingegliedert.13 die sich seit der Privatisierung im späten 20. Jahrhun- 1939 zu einem Rüstungsbetrieb des nationalsozialisti- nahm der US-amerikanische Spezialist für Nieder- Während man in Steyr Traktoren produzierte, speziali- dert erfolgreich weiterentwickelten. schen Regimes. Nach Kriegsende integrierte die sowjeti- druckflaschen, Worthington Industries, das Kienberger sierte sich St. Valentin auf Zusatzgeräte wie Hubwerke, sche Besatzungsmacht die als „deutsches Eigentum“ Unternehmen, das in der Folge trotz schwieriger Markt- Mähbalken etc. Ab 1963 entstand hier der Ladewagen Mostviertel eingestufte Josef Heiser KG, vorm. J. Winter’s Sohn lage seine Position als weltweit wichtigster Lieferant „Hamster“, von dem insgesamt rund 70.000 Stück Worthington Cylinders Achsen und Stahlflaschenfabrik, in ihren USIA-Konzern, von Stahlflaschen bewahren konnte. Eine enorme erzeugt wurden. So entwickelte sich der Betrieb zum Die Geschichte des als „Achsenhammer“ in Kien- und der Betrieb stand bis 1955 unter sowjetischer Ver- Umsatzsteigerung und eine Exportrate von 99 Prozent, größten Landmaschinenwerk in Österreich.14 1974 berg gegründeten Familienunternehmens reicht bis in waltung. Lediglich das Flaschenwerk erreichte während aber auch der Einzug einer amerikanisch geprägten verlegte der Konzern auch die Traktorenproduktion das Jahr 1817 zurück8, als der k. u. k. Hufschmiedemeister dieser Jahre die volle Auslastung seiner Produktions- Unternehmensführung kennzeichnen die Jahre vor der nach St. Valentin. SDP war bei den technischen Josef Winter seinen Betrieb eröffnete. Nach dem Tod kapazitäten, wobei gegen Ende der Besatzungszeit Finanzkrise von 2008. Das Unternehmen war von Neuerungen dieser Zeit, wie hydraulischen Hubwerken, seines Sohnes Carl ging der Betrieb an Josef Heiser über, 85 Prozent der Stahlflaschen in die Länder des Ostblocks der Krise schwer betroffen. Angesichts leerer Auftrags- Allradantrieb, Regelhydraulik, Gesundheitssitzen, der 1849 die Witwe von Carl Winter heiratete. Seitdem gingen. 1955 wurde das Werk restituiert. Daraufhin bücher kam es zu Kündigungen, ehe 2011 eine „Gene- sicheren Fahrerkabinen etc., stets vorne dabei. Der firmierte das Unternehmen unter dem Namen Josef folgten Modernisierungs- und Rationalisierungsinvesti- sungsphase“ einsetzte.11 SDP-Konzern insgesamt geriet jedoch in eine schwere Heiser. Modernisierung der Produktion und Expansion tionen; unrentable Produktionssparten wurden einge- Krise.15 Im Werk St. Valentin (seit 1990 Steyr Land- kennzeichneten die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhun- stellt.10 Seither werden die aus Stahlblöcken gezogenen CNH Industrial Österreich GmbH maschinentechnik GmbH) griffen die dort vorgenom- derts: Eine Weicheisen-, Grau- und Metallgießerei Stahlflaschen stetig verbessert und ihre Anwendungsbe- Die CNH Industrial Österreich GmbH in St. Valen- menen Rationalisierungsmaßnahmen, 1996 wurde kam hinzu. Das Unternehmen zählte kurz vor Ausbruch reiche fortwährend erweitert. Das Unternehmen konnte tin ist heute das größte europäische Traktorenwerk das Werk von der Case IH-Gruppe erworben und aus- des Ersten Weltkriegs bereits an die 400 Beschäftigte aufgrund der steigenden Nachfrage und der Einzig- der global tätigen CNH Industrial Gruppe. Der Indus- gebaut. 1999 fusionierte Case IH mit New Holland zur und das Werksareal war in paternalistischer Manier artigkeit seiner Produkte die Stahlkrise der 1970er- und triestandort geht auf das ab 1940 errichtete Nibelungen- CNH Global N.V. und wurde zum weltgrößten Land- mit Wohnungen für Mitarbeiter, einer Großküche und 1980er-Jahre gut bewältigen. Gegen den allgemeinen werk12 zurück, in dem in Fließfertigung tausende maschinenhersteller. Das Unternehmen befindet einem Werksspital ausgestattet. Die Exporte des auf Trend wurden antizyklische Investitionen getätigt. Panzer gebaut wurden, unter massivem Einsatz von sich mehrheitlich im Eigentum des Fiat-Konzerns. In Achsenherstellung spezialisierten Unternehmens gingen Der mittlerweile zum größten und modernsten Herstel- Zwangsarbeit. Zu diesem Zweck errichteten die Macht- St. Valentin wurden umfangreiche Investitionsprogram- bis nach Russland. Als Rüstungsunternehmen nahm ler auf seinem Gebiet in Europa aufgestiegene Betrieb, haber ein eigenes Nebenlager des KZ Mauthausen. me umgesetzt, 2008 gelang mit 11.000 Traktoren ein das Werk während des Ersten Weltkriegs die Erzeugung der sich zum bedeutendsten Arbeitgeber der Region Nach alliierten Bombardements und Demontagen Produktionsrekord. Seither erfolgten weitere massive

404 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 405 Alles in allem verlagerte sich das Die Industrie wandert nach Westen Die nicht dem Sowjet-Imperium offenbar nicht in der dauerhaften Sowjetisierung Österreichs, sondern in der zeitlich Schwergewicht der Großindustrie Im Vergleich zum Agrar- und Gewerbebereich war der Zustand der nieder- angehörende Industrie Nieder- beschränkten Nutzung der Industrie- und Bergbaukapazitäten. Daher fanden kaum von Wien, Niederösterreich österreichischen Industrie zu Kriegsende desaströs. Durch Kriegseinwirkungen waren österreichs steckte in einer nennenswerte Investitionen statt; nur die Erdölförderung, deren Erträge fast zur und dem Burgenland in die westli- 140 Industriebetriebe völlig zerstört, 120 stark in Mitleidenschaft gezogen; manche Zwickmühle: Einerseits musste Gänze in den „Ostblock“ flossen, wurde massiv ausgebaut. Die USIA-Verwaltung suchte chen und südlichen Bundesländer. Betriebe, etwa die Wiener Neustädter Flugzeugwerke und das Flugmotorenwerk sie Nachteile bei der Vergabe ihre Betriebe den österreichischen Steuer- und Zollbestimmungen zu entziehen; Der Anteil der Ostregion an in Wiener Neudorf, wurden nie wieder aufgebaut. Etwa 60 Prozent der Bahnstrecken der ERP-Mittel in Kauf nehmen, daher beanspruchte sie einen gleichsam exterritorialen Status. Dieses von Zeitgenos- den in Großbetrieben Beschäftig- waren unpassierbar; viele Brücken, darunter sämtliche Donaubrücken, lagen in andererseits den Handel mit sen beklagte „Loch in Österreichs Ostgrenze“ nährte das Misstrauen der US-Stellen ten halbierte sich von 63 (1930) Trümmern. Rohstoffe, Facharbeitskräfte und Energie fehlten an allen Ecken und Enden. den ehemaligen Nachfolge- und hinsichtlich ERP-Leistungen an die sowjetische Besatzungszone Österreichs; zudem auf 31 Prozent (1948). Verschärfend wirkten oft unsachgemäß durchgeführte Demontagen von Industrie- nunmehrigen Ostblockstaaten förderten diese gezielt Industrien im Westen Österreichs, um die branchenweise anlagen durch die Sowjets, die zur Reparatur von Kriegsschäden im eigenen Land einschränken. marktbeherrschende Stellung von USIA-Betrieben zu brechen. So steckte die nicht dienen sollten; deren Schätzwert von 950 Millionen Reichsmark entsprach dem Wert dem Sowjet-Imperium angehörende Industrie Niederösterreichs in einer Zwickmühle: der gesamten Warenausfuhr Österreichs 1937. Das Verhältnis zwischen den Investitio- Einerseits hatte sie als Teil des „Ostens“ Nachteile bei der Vergabe der ERP-Mittel nen in der NS-Ära einerseits und den kriegsbedingten Abnützungen und Schäden in Kauf zu nehmen; andererseits musste sie als Teil des „Westens“ den Handel mit den andererseits ist schwer zu bestimmen. Ob man nun – unter Vernachlässigung des ehemaligen Nachfolge- und nunmehrigen Ostblockstaaten einschränken. Folglich Verlusts an „Humankapital“ – von einem Nullsummenspiel ausgeht oder nicht, ändert errichteten größere Firmen Filialen in den Westzonen; die übrigen beschränkten nichts am Ergebnis: Alles in allem verlagerte sich das Schwergewicht der Großindus- ihren Wirtschaftshorizont auf das Bundesland. Notstandgebiete entstanden dort, wo trie von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland in die westlichen und süd- weder Investitionen im Rahmen des Marshall-Plans erfolgten noch größere USIA- lichen Bundesländer; der Anteil der Ostregion an den in Großbetrieben Beschäftigten Betriebe als Arbeitgeber vorhanden waren. Dazu zählten einige ehemals von der halbierte sich von 63 (1930) auf 31 Prozent (1948). Rüstungsindustrie eingenommene Voralpentäler sowie die Randgebiete des Wald- Niederösterreichs Industrie war während der zehnjährigen Besatzung gespal- und Weinviertels. Auch der Nachkriegstourismus im Osten Österreichs litt gegenüber ten: in den sowjetisch dominierten USIA-Komplex, der privilegierte Beziehungen zur jenem im Westen unter einem Startnachteil: Nur 7,5 Prozent der ERP-Mittel für Sowjetunion und zu den übrigen Ostblockstaaten unterhielt, und den Rest, der sowohl touristische Zwecke seit 1950 flossen in die Sowjetzone. Das österreichweite West- im Ost- als auch im Westgeschäft Nachteile in Kauf nehmen musste. Die 117 industriel- Ost-Gefälle, das in der NS-Zeit entstanden war, vergrößerte sich während der len und gewerblichen USIA-Betriebe – darunter klingende Namen wie Böhler, Voith, zehnjährigen Besatzungszeit; erst der Abzug der Sowjets 1955 öffnete den Weg Enzesfelder, Berndorfer, Glanzstoff und so fort – gehörten überwiegend der Grundstoff- zur Umkehr – in Richtung Westen. und Schwerindustrie an, konzentrierten sich in den industriellen Hochburgen des Wiener Beckens, der Voralpentäler und der Westachse und zählten zwischen 23.000 Flucht, Vertreibung, Genozid (1946) und 40.000 Beschäftigte (1955). Daneben umfasste die sowjetische Besatzungs- Die Nationalsozialisten hatten nach dem „Anschluss“ auch im Reichsgau wirtschaft auch die Sowjetische Mineralölverwaltung (SMV) und die Donau-Dampf- Niederdonau einen „völkischen Wohlfahrtsstaat“ zu errichten gesucht, der auf dem schifffahrts-Gesellschaft (DDSG). Zusätzlich zur Versorgung der in Österreich statio- Einschluss der „Volksgenossen“ durch den Ausschluss der „Gemeinschaftsfremden“ nierten Truppen der Roten Armee war es ihre Aufgabe, die Ostblockstaaten mit aufbaute. Dieses totalitäre Megaprojekt hinterließ tiefe Spuren in der Bevölkerungs- Rohstoffen, Mangelprodukten und Waren zu beliefern, die unter das US-Außenhan- entwicklung, in der Geburten-, vor allem aber in der Wanderungsbilanz. Die Sterberate delsembargo fielen; um Devisen zu beschaffen, wurde aber auch für den österreichi- der Wohnbevölkerung – ohne die Todesfälle durch Krieg und Vernichtung außerhalb schen und den westeuropäischen Markt produziert. Das Interesse der UdSSR lag der Landesgrenzen – stieg mit Ausnahme des „Trümmerjahres“ 1945 nur moderat an.

Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen des soge- weitgehend zum Erliegen. Nach dem „Anschluss“ wurde „Rundumversorgungspaket“, das parallel zum rasanten nannten „World-Class-Manufacturing“-Umbaus. CNH das Werk von einem deutschen Konzern übernommen; Aufstieg des Werks seit seiner Gründung im Jahr 1843 erwies sich immer wieder auch durch Nachfrage bei für die kriegswichtige Produktion wurden zahlreiche zu einem der bedeutendsten Industrieunternehmen Zulieferern als regionaler Wirtschaftsfaktor und Inno- Zwangsarbeiter eingesetzt. Nach 1945 stand der Betrieb Österreichs ausgeweitet wurde. Wohnhäuser, Theater, vationspartner. Ein wichtiges Beispiel dafür ist etwa die unter sowjetischer Verwaltung, wurde 1955 an die eine Volksschule mit nach historischen Epochen mit dem nahe gelegenen ZF-Getriebewerk gemeinsam Republik Österreich übertragen und stillgelegt. Der ausgestalteten Räumen, eine Arbeiterkrankenkasse, durchgeführte Entwicklung eines neuen Kompakt- Wiener Unternehmer Egon Strager nutzte die Chance, medizinische Versorgung und vieles mehr standen getriebes, die 2013 einen Auftrag für den Zulieferer im das Areal zu erwerben und mit der Verlagerung seiner der Belegschaft zur Verfügung, die damit an das Gesamtvolumen von 30 Millionen Euro nach sich zog. Produktionsstätten aus Wien und Mödling einen Unternehmen gebunden wurde.20 Das Unternehmen Neuanfang zu wagen. 1963 verkaufte er sein Unterneh- stellte in den beiden Weltkriegen seine Produktion Industrieviertel men an den global tätigen Babcock-Konzern. In den in den Dienst der Rüstungsindustrie, wurde nach LMF Leobersdorfer Maschinenfabrik 1970er- und 1980er-Jahren gelangen wesentliche Berndorfer Metallwaren- 1945 als „deutsches Eigentum“ von der sowjetischen Die Leobersdorfer Maschinenfabrik (LMF) blickt Innovationen im Bau von Hochdruckkompressoren und fabrik Arthur Krupp, Besatzungsmacht in den USIA-Komplex integriert um 1900. auf eine erfolgreiche Geschichte zurück,16 die immer mobilen Hochdruckanlagen.18 Nach weiteren Eigen- Berndorf AG und gehörte von 1955 bis Ende der 1980er-Jahre zur wieder auch von Neuanfängen und Restrukturierungen tümerwechseln ist heute die deutsche Equita Holding, Fällt heute der Name Berndorf AG, so verbindet Verstaatlichten Industrie Österreichs. Danach erfolgte gekennzeichnet war. Der 1850 gegründete Betrieb hinter der die Familie Quandt steht, Haupteigentümer man ihn fast automatisch mit dem an dem gleichnami- die erfolgreiche, beispielgebende Privatisierung im ging nach mehreren Eigentümerwechseln 1887 an das des Unternehmens. Von 2004 bis 2007 schaffte die gen Standort aus Alpacca-Silber hergestellten Besteck, Rahmen eines Management-Buy-out-Modells. Norbert ungarische Maschinenbauunternehmen Ganz & Comp. LMF eine beachtliche Ausweitung des Umsatzes von das heute aber nur noch einen sehr kleinen Produktions- Zimmermann kaufte 1988 gemeinsam mit neun Füh- Der günstig an der Südbahn gelegene Standort 36 auf 85 Millionen Euro und der Beschäftigtenstand zweig des international renommierten Konzerns rungskräften 50 Prozent des Unternehmens, weitere wurde zu einem klassischen Fabrikensemble ausgebaut,17 stieg von 220 auf 440 Mitarbeitende. Das Unternehmen darstellt. Seine Geschichte ist auf das Engste mit dem 24 Prozent gingen an die Beschäftigten von Berndorf das neben den Produktionsstätten auch Arbeiter- und behauptete sich als der „führende österreichische Gründer des Unternehmens Alfred Krupp verbunden. über, 26 Prozent erwarb das Management.21 Beamtenwohnhäuser, Direktionshaus, Fabrikrestau- Hersteller von Hochdruck-Kolbenkompressor-Systemen Der Ort repräsentiert eines der besten Beispiele für Dieser Schritt markiert den Beginn des Aufstiegs ration, Werksspital etc. umfasste. Die Produkte (Trans- für Luft, Erdgas sowie technische und industrielle eine Single Factory Town, die von einem einzigen zu einem Global Player: Gegenwärtig beschäftigt die missionen, Elektromotoren und Dynamos, Dampf- Gase“19. Großunternehmen bestimmt wird. Berndorf spiegelt Berndorf-Gruppe (über 60 Unternehmen) an die 2.550 maschinen, Turbinen, Hartgussräder etc.) trugen zum eine typische Facette der Industrialisierung in Öster- Personen (1988: 600), die weltweit in acht Geschäfts- Ausbau zahlreicher weiterer Industrieunternehmen bei. reich wider und ist zugleich optischer Ausdruck feldern tätig sind, vom Werkzeugbau über Automotive, Um 1910 beschäftigte man bereits 1.200 Arbeiter. der damals vorherrschenden paternalistischen Unter- Stahlbandtechnik, Oberflächentechnik bis hin zu In der Krise der 1930er-Jahre kam die Produktion nehmenskultur. Krupp bot seiner Belegschaft ein Verfahrenstechnik und Mechatronics. Mit dem von

406 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 407 Ein Großteil der etwa 8.000 Personen Die Zahl von 36.900 im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten bewegte sich anteils- jüdischen Glaubens im ehemaligen mäßig in den Dimensionen des Ersten Weltkriegs. Der bis knapp vor Kriegsende Niederösterreich wurde gezwungen, vergleichsweise moderaten Sterblichkeit innerhalb der „Volksgemeinschaft“ stand ein nach Wien zu übersiedeln. Von Geburten-Boom in den ersten Jahren der NS-Herrschaft gegenüber. 1939/41 betrug dort gelang zwei Drittel die Flucht ins die Fertilitätsrate 93 Lebendgeburten pro 1.000 Frauen zwischen 15 und 44 Jahren. Ausland, wo ein Teil wiederum Hier wirkten einerseits ein Nachholeffekt gegenüber dem Geburtenaufschub in von NS-Schergen eingeholt wurde, der Weltwirtschaftskrise, andererseits die geburtenfördernde (pronatalistische) Bevöl- während ein Drittel im Zuge kerungspolitik der Nationalsozialisten zusammen. Ehestandsdarlehen, Kinderbeihilfen der „Endlösung der Judenfrage“ und die leichter auflösbare Zivilehe ließen die Heirats- und damit die Geburtenzahlen nach Osten deportiert, ghettoisiert kurzzeitig hochschnellen. Den pronatalistischen Privilegien für den „arischen“ Teil und ermordet wurde. der Bevölkerung standen jedoch antinatalistische Einschnitte – Zwangssterilisierung, Zwangsabtreibung und Krankenmord („Euthanasie“) – für die als „gemeinschafts- fremd“ geltenden Bevölkerungsgruppen gegenüber. Das NS-Regime leitete groß angelegte Bevölkerungsverschiebungen in die Wege, die – im Hinblick auf die Errichtung einer „rassereinen“ Gesellschaft – zu wider- sprüchlichen Ergebnissen führten: Einerseits wurde ein Großteil der etwa 8.000 Per- sonen jüdischen Glaubens im ehemaligen Niederösterreich gezwungen, nach Wien zu übersiedeln; von dort gelang zwei Drittel die Flucht ins Ausland, wo ein Teil wieder- um von NS-Schergen eingeholt wurde, während ein Drittel im Zuge der „Endlösung der Judenfrage“ nach Osten deportiert, ghettoisiert und ermordet wurde. Auch die etwa 2.700 Roma und Sinti im ehemaligen Burgenland wurden in Arbeits-, Konzentra- tions- und Vernichtungslagern interniert. Andererseits wurden seit Kriegsbeginn Kriegsgefangene und Zivilpersonen aus den abhängigen und besetzten Gebieten, zum Großteil aus Osteuropa, als Ersatz der zum Militärdienst einberufenen Österreicher zur Zwangsarbeit eingesetzt; im Mai 1944 befanden sich 47.578 Kriegsgefangene und 144.223 zivile Ausländer/innen in Niederdonau im „Arbeitseinsatz“. Die Einsatzorte fielen je nach Rechtsstatus und Geschlecht unterschiedlich aus: Kriegsgefangene und Zivilarbeiterinnen wurden überwiegend der Land- und Forstwirtschaft zugeteilt; Zivilarbeiter kamen vor allem in Industrie und Gewerbe zum Einsatz. Nach den Einsatzvorschriften war der Einschluss der „Fremdvölkischen“ in die Betriebe an deren „Wir marschieren gemeinsam“: Ausschluss aus der „Betriebsgemeinschaft“ geknüpft. Ließ sich diese Trennung in „Serbenhalle“ der Rax-Werke, ehemals größeren Betrieben mittels Kolonneneinsatzes und Lagerunterkunft weitgehend Arbeitslager des Konzentrationslagers Mauthausen, unter USIA-Verwaltung, durchsetzen, begünstigten Einzeleinsatz und -unterkunft in kleineren Familienbetrie- Wiener Neustadt, um 1955. ben engere, wenngleich als „verbotener Umgang“ gebrandmarkte Alltagskontakte

Norbert Zimmermann vorgegebenen Expansionskurs auch Rupert Fertinger mit seinem Betrieb aufgrund der serienfertigung von Baugruppen in Produktion, etwa verlagert. An diesem Ort kam Franz Haas, der mit und der 1997 erfolgten Akquisition des deutsch-öster- mangelnden Expansionsmöglichkeiten die Stadt24 und für Kondensatoren oder Verdampfer in der automotiven dem Betrieb mit übersiedelt war, erstmals mit dem Bau reichischen Industrieanlagenbauers Aichelin setzte verlegte die Produktion sukzessive nach Wolkersdorf im Klimaanlage; der Kunde erhält nun eine einzige Bau- von Waffeleisen in Berührung. 1948 ging die Familie Berndorf bewusst den Schritt ins Ausland und entwi- Weinviertel. Fertinger war der erste Industriebetrieb gruppe, die direkt an das Löt-Montageband geht, womit wieder zurück nach Wien, Franz Haas arbeitete erneut ckelte sich seither zu einem international ausgerichteten am Standort Wolkersdorf. Er nutzte sowohl die Vorteile zahlreiche weitere Arbeitsschritte entfallen.27 Infolge im Floridsdorfer Betrieb mit. Neben dieser Tätigkeit Hochtechnologiekonzern.22 Die Finanzkrise von der Nähe zum Ballungsraum Wien als auch ein großes der Finanzkrise von 2008 verwarf man die geplante entwickelte er im Auftrag des Süßwarenfabrikanten 2008 stellte auch die Berndorf-Gruppe vor eine beson- Einzugsgebiet für Mitarbeitende. Die Beschäftigtenzahl Errichtung einer neuen Werksanlage in Südmähren Carl Manner den Prototypen einer Waffelmaschine. dere Bewährungsprobe. Der wirtschaftliche Ein- stieg nunmehr rasch auf über 100 Personen an.25 Mit der und konzentrierte sich auf die Weiterentwicklung der Seine Ehefrau Maria Haas engagierte sich intensiv für bruch war jedoch aufgrund ihrer Diversifizierung und strategisch ausgerichteten Übernahme von drei Werken, Internationalisierung des automotiven Sektors. Im die Vermarktung der neuen Maschine, und tatsächlich weltweiten Präsenz rasch überwunden. Nach der die die Herstellung der wesentlichen Produktkompo- Rahmen des ecoplus-Programms wurde im Industrie- konnten bald Aufträge aus dem In- und Ausland er- Übernahme von drei Unternehmen ist der Konzern seit nenten konzentriert am eigenen Standort gewährleistete, gelände von Wolkersdorf ein neues Werk errichtet, langt werden. 1952 entstand der erste Waffelvollautomat 2011 wiederum auf Expansionskurs. Die den Erfolg wurden in den 1980er-Jahren die Kompetenzen im Be- das Anfang 2013 in Betrieb ging.28 Heute ist die Unter- WA 18, bald folgten Maschinen für alle Teilschritte des der Gruppe mitbestimmende Unternehmenskultur arbeitungs- und Drehbereich verstärkt, und gleichzeitig nehmensgruppe Fertinger zum einen als bedeutender Produktionsprozesses. In den 1960er-Jahren wurde basiert auf der Möglichkeit für die Belegschaft, Anteile wurde der Fokus der Erzeugung auf die Sparte Auto- Lieferant des Großhandels im Sanitärbereich auf das Unternehmen Franz Haas Waffelmaschinen-Indus- am Unternehmen zu erwerben, und sie wird stetig motive gelegt. Bereits in der zweiten Hälfte der 1990er- dem österreichischen Markt präsent, zum anderen ist trie gegründet und die Erzeugung vom bisherigen durch Schulungsprogramme, Initiativen zur Vernetzung Jahre konnte Fertinger kundenspezifische Entwicklun- sie mit den Erzeugnissen der automotiven Sparte gemeinsamen Familienunternehmen separiert. Dank der Beschäftigten der einzelnen Unternehmensgruppen gen sowie Großserienproduktion anbieten.26 Kurz für Firmen wie Volvo, Mercedes, die VW-Gruppe und der überlegenen Qualität der Haas-Waffelmaschinen sowie die Förderung der Forschung weiterentwickelt.23 nach der Jahrtausendwende übernahm die Schmid- BMW international gut positioniert. Da großer Wert folgten Jahrzehnte stürmischen Wachstums. Bald Schmidsfelden BeteiligungsgmbH den Betrieb, rüstete auf die Ausbildung der Mitarbeiter/innen gelegt wird, erwiesen sich die Betriebsanlagen in Floridsdorf als zu Weinviertel diesen in den Folgejahren mit vollautomatischen kam es über Initiative der Rupert Fertinger GmbH eng und 1975 wurde die Fertigung nach Leobendorf Die Rupert Fertinger GmbH Fertigungsanlagen für Klimakomponenten auf und zur Errichtung der WMA (Weinviertler Mechatronik nördlich von Wien verlegt. Die nächste Unternehmer- Im Jahr 1944 gründete Rupert Fertinger in Wien konnte schon kurz darauf als TIER2-Lieferant für Akademie), die 2014 ihr Schulungsprogramm startete.29 generation setzte den innovationsgetriebenen interna- eine mechanische Werkstätte, die ihre Tätigkeit mit Kondensatorenbauteile eine führende Position ein- tionalen Wachstumskurs fort – in den 1970er- und ersten Aufträgen von der deutschen Wehrmacht nehmen. Es folgte die Anpassung sowohl des Manage- Haas Food Equipment 1980er-Jahren entstanden Niederlassungen in Brasilien, aufnahm. Von den Reparaturaufträgen der Nachkriegs- mentsystems an den globalen Qualitätsstandard der Die Familie Haas betrieb ab dem Jahr 1905 einen den USA und Hongkong, und es wurden über 100 Pa- zeit ausgehend, entwickelte sich der Betrieb bis Anfang Automobilindustrie als auch die der Entwicklungsabtei- Schlosserbetrieb in Wien-Floridsdorf und gründete 1937 tente angemeldet. Bis heute behauptet sich die Haas- der 1960er-Jahre zu einem in Österreich anerkannten lung und des Projektmanagements an die Ansprüche die Gebrüder Haas OHG, Fenster und Eisenwaren- Gruppe, bei der seit den 1990er-Jahren bereits die Armaturenwerk. Wie viele andere Unternehmer verließ der internationalen Kunden. Zuletzt ging die Groß- fabrik. Diese wurde 1943 teilweise nach Kaplice/Kaplitz dritte Generation der Familie tätig ist, auf diese Weise

408 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 409 1939 bis 1951 verlor Niederösterreich mit Einheimischen. Persönliche Beziehungen der Ausländer/innen zu Dienstgeber/- etwa 55.000 Einwohner/innen. innen, wie sie etwa in bäuerlichen Familienbetrieben gemäß der Konvention „gemein- Neben dem Wald- und Weinviertel sam arbeiten – gemeinsam essen“ gang und gäbe waren, verbesserten oft die verzeichneten auch die Standorte Arbeits- und Lebensbedingungen, bargen aber auch das Potenzial für gewaltsame der weitgehend zerstörten Übergriffe vonseiten der Dienstgeber/innen. Rüstungsindustrie, vor allem Wiener Die Kolonnen von KZ-Häftlingen und als „ungarische Juden“ Bezeichneten Neustadt, St. Pölten und das kamen durchwegs in größeren Betrieben und Projekten zum Einsatz: Über 20.000 Wiener Umland, erhebliche Bevölke- Häftlinge mussten in den Außenlagern des Konzentrationslagers Mauthausen für die rungsverluste. Rüstungsindustrie schuften. Etwa 15.000 „ungarische Juden“ wurden 1944 über das Durchgangslager Strasshof diversen Landwirtschaftsgütern, Industriebetrieben und Baustellen mit angeschlossenen „Judenlagern“ zugewiesen. Weitere 30.000 kamen bei Schanzarbeiten am „Südostwall“ zum Einsatz. Beide Gruppen standen auf der untersten Stufe der rassistischen Rangordnung der Nationalsozialisten und waren an ihren Einsatzorten entsprechend unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt; im Zuge von „Todesmärschen“ und Massakern von NS-Schergen verloren 1945 Hunderte ihr Leben. Das Endergebnis der nur teilweise umgesetzten national- sozialistischen Bevölkerungsverschiebungen stand im Widerspruch zur anfänglichen Absicht: Kurz vor Kriegsende war die Gesellschaft Niederdonaus alles andere als „rasse- rein“, nämlich ein buntes Gemisch von Menschen verschiedener Nationalitäten aus allen Teilen Europas. Sie fanden sich nach Kriegsende – zusammen mit Evakuierten aus dem „Altreich“ sowie deutschsprachigen Flüchtlingen und Vertriebenen aus Ost- und Südosteuropa („Volksdeutschen“) – als „versetzte Personen“ (Displaced Persons) wieder.

Bevölkerungsverlust Zu Kriegsende 1945 stieg die Sterblichkeit der Zivilbevölkerung infolge von Bombardierungen, Kriegshandlungen, Mangelversorgung, Krankheiten sowie Übergrif- fen deutscher und sowjetischer Truppen an, um jedoch bald wieder auf ein moderates Niveau zu fallen. Wie nach dem Ersten Weltkrieg setzte auch nach dem Zweiten Weltkrieg nach der Heimkehr der Kriegsgefangenen im Zuge eines Nachholeffekts ein kurzfristiger Heirats- und Baby-Boom ein. Die wesentliche Komponente der Bevölke- Unter dem Sowjetstern: Böhler-Ybbstal- rungsentwicklung im ersten Nachkriegsjahrzehnt war aber nicht die Geburten-, son- werke unter USIA-Verwaltung. dern die stark defizitäre Wanderungsbilanz. In den Wochen vor und nach Kriegsende und auch noch in den Monaten danach begann ein Wanderungsstrom nach Westen, in die Besatzungszonen der Westalliierten; 1939 bis 1951 verlor Niederösterreich

als Technologieführer, der in Teilbereichen der Waffel- hochwertige Feuerzeuge um und erzielte große Export- dass auch in der Industrie der Dienstleistungsanteil und Keksmaschinenerzeugung weltweit einen erfolge. Daraufhin wurde in Waidhofen an der Thaya an der Wertschöpfung zunimmt Marktanteil von bis zu 90 Prozent erzielt. Zusätzlich ein zweiter Fertigungsstandort eingerichtet, an dem 1971 trugen Akquisitionen und neue Standorte (seit 200 Personen arbeiteten. Zur gleichen Zeit waren in voestalpine am Standort Krems 2006 auch in China) zum Wachstum bei. Haas ist somit Heidenreichstein etwa 700 Personen beschäftigt. Um die Das heute zum weltweit tätigen Konzern der weltweit der wichtigste Ausrüster der Waffel- und starke Position durch gute Mitarbeiterausbildung weiter voestalpine gehörende Kremser Werk geht auf die 1941 Keksindustrie. Im Jahr 2014 beschäftigte die Gruppe zu stärken, errichtete die Eisert AG 1974 eine neue in Betrieb genommene Schmidhütte Krems zurück, etwa 1.600 Mitarbeitende, davon 600 in Leobendorf. Lehrwerkstätte. Gerade zu dieser Zeit brach der Absatz für deren Errichtung auf der grünen Wiese auch jedoch konjunkturbedingt ein. Das Unternehmen Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Nach Ende des Waldviertel wurde 1978 an neue Eigentümer verkauft und musste Zweiten Weltkriegs demontierte die sowjetische Besat- MKE Metall und Kunststoffwaren 1979 Konkurs anmelden. Danach wurde das Werk unter zungsmacht große Teile des völlig unbeschadet geblie- Erzeugungsges.m.b.H. dem Namen MKE Metallund Kunststoffwerke GmbH benen Betriebs, den sie als „deutsches Eigentum“ Die Wiener Lederwarenfabrikanten Josef und in den Konzern der Österreichischen Länderbank in den USIA-Komplex eingliederte. Im Jahr 1955 ging Wilhelm Eisert begannen in Heidenreichstein in eingegliedert und 1989 an die Haas Beteiligungs- und das Unternehmen gemäß dem 1. Verstaatlichungsgesetz den 1880er-Jahren mit der Erzeugung von Metallbügeln Management GmbH verkauft, die zur Gruppe des von 1946 in den Besitz der österreichischen Republik für Börsen und Taschen. Bald entstanden hier auch erfolgreichen Waffelmaschinenerzeugers Haas gehört. über und wurde der VÖEST unterstellt. Die 1950er- Feuerzeuge, Aschenbecher etc. Vor dem Ersten Welt- Es erwies sich, dass der Betrieb dank der langjährigen Jahre standen im Zeichen von Abgleichung mit und krieg waren in der Fabrik bereits 700 Arbeiter be- Erfahrung in hochpräziser Metall- und Kunststoff- Ergänzungen zum Produktionsprogramm des Linzer schäftigt. 1932 ging die Mitarbeiterzahl krisenbedingt verarbeitung viel Potenzial hatte. Heute ist die MKE Standorts, begleitet von Restrukturierungen und auf 120 zurück, und nach dem „Anschluss“ Österreichs mit vier Produktschienen auf dem Markt: Hydranten Modernisierungen im Rahmen der Eingliederung als an NS-Deutschland wurde das Unternehmen im und Schwerarmaturen, Ventile, Stangenlader für Tochtergesellschaft im folgenden Jahrzehnt.31 Den Wege eines „Arisierungs“-Verfahrens entzogen. Nach CNC-Drehmaschinen und Eisenbahntechnik. Zu den Grundstein für die kommende Spezialisierung und den dem Krieg wurde die Gesellschaft zwar den recht- Erfolgsprodukten gehört u. a. der elektrohydraulische Aufstieg zum heute international aufgestellten Global mäßigen Eigentümern zurückgegeben, konnte sich aber Weichenantrieb AH950-USV, der in Deutschland Player bildete die Errichtung eines Werkes für kaltge- in der Besatzungszeit nicht günstig entwickeln. Nach mit dem Privatbahn Magazin Innovationspreis 2012 walzte Profile. Bis zur Krise, in die der gesamte VOEST- 1955 verbesserten sich die Perspektiven und 1957 ausgezeichnet wurde.30 Neben der reinen Erzeugung Alpine Konzern (1973 aus der Fusion der VÖEST Linz Bohr- u. Fördermeister- schule in Zistersdorf, wurde die Eisert AG an einen angloamerikanischen führt die Gesellschaft auch Aufträge für Entwicklung mit der Alpine Montangesellschaft entstanden) während Niederösterreich, um 1955. Konzern verkauft. Dieser stellte die Erzeugung auf und Prototyping durch. Sie folgt damit dem Trend, der 1980er-Jahre schlitterte (u. a. auch aufgrund von

410 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 411 etwa 55.000 Einwohner/innen. Neben dem Wald- und Weinviertel verzeichneten auch in der „Volksgemeinschaft“ sogar ein modernisierendes Element, mit dem der Natio- die Standorte der weitgehend zerstörten Rüstungsindustrie, vor allem Wiener Neu- nalsozialismus zwar ungewollt, aber wirkungsvoll den Weg zum Wohlfahrtsstaat stadt, St. Pölten und das Wiener Umland, erhebliche Bevölkerungsverluste. Ein Groß- der Nachkriegszeit bereitet habe. Diese Ansicht unterschätzt zweifellos die gesell- teil der „Volksdeutschen“ wurde gemäß dem Potsdamer Abkommen von 1945 nach schaftlichen Trenn- und Konfliktlinien im „Dritten Reich“, doch die Tendenz zur Westen abgeschoben; ein Rest an „Sudeten-“ und „Karpatendeutschen“ verblieb auf Mobilisierung der Gesellschaft – sektoral, regional und vertikal – ist offensichtlich. Ersuchen der Bundesregierung an die Sowjets als Arbeitskräfte. Die ost- und südost- Die im „völkischen Wohlfahrtsstaat“ umverteilten Sach- und Geldwerte europäischen Zwangsarbeitenden wurden – auch gegen deren Willen – von den stammten in erheblichem Maß aus dem Besitz der als „gemeinschaftsfremd“ ausge- Sowjets rasch in ihre Heimatländer verbracht. Mit 39.011 Personen war der nieder- grenzten jüdischen Bevölkerung, aber auch jenem kirchlicher und „ständestaatlicher“ österreichische Anteil an den 1948 in Österreich noch anwesenden Displaced Persons Einrichtungen. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ begann ein Wettlauf um das unter den Bundesländern am geringsten. In den 1950er-Jahren verstärkte sich die jüdische Vermögen, das in der „Ostmark“ etwa zwei Milliarden Reichsmark umfasste. Binnenwanderung von den agrarischen Randgebieten im Norden und Osten des Bald wurden die „wilden Arisierungen“ in die geordneten und für die Reichskasse Bundeslandes in die industriellen Zentralräume, vor allem nach Wien. höchst einträglichen Bahnen des „Entjudungs“-Verfahrens gelenkt. Unternehmen, Grundstücke, Geschäftslokale, Wohnungen, Möbel, Schmuck, Kunstwerke: All das war Der „völkische Wohlfahrtsstaat“ nun auch für Leute mit einigen Ersparnissen, den „Mittelstand“, zu günstigen Preisen Nach dem Willen der nationalsozialistischen Machthaber sollte die rassistisch zu haben. Dieser Markt war kein freier, sondern vom NS-Staat gelenkt; die Staatsgewalt konturierte „Volksgemeinschaft“ die Klassenspaltung der vorangegangenen „System- entzog den „Juden“ die Verhandlungsmacht und übertrug sie den „Ariern“. Im Ver- zeit“ überwinden. Die Regie offizieller Feiern, etwa des „Reichserntedankfestes“ teilungskampf prallten die Interessen österreichischer „Volksgenoss/innen“ auf oder des Ersten Mai als „Tag der nationalen Arbeit“, setzte die „Volksgemeinschaft“ die Interessen von Funktionären, Reichsstellen und Unternehmen. Während „arisierte“ effektvoll in Szene. Betriebsausflüge der Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“, Gewerbe- und Industrieunternehmen oft in private Hände gelangten, wurden land- einer Einrichtung der pseudo-gewerkschaftlichen Deutschen Arbeitsfront, suchten den und forstwirtschaftliche Güter meist von öffentlichen Stellen übernommen; sie sollten Gegensatz zwischen „Betriebsführern“ und „Gefolgschaft“, den „Schaffenden der nach dem „Endsieg“ parzelliert zur „Neubildung deutschen Bauerntums“ vergeben Stirn und der Faust“, zu beseitigen. Der Hitler-Kult vermochte kraft des „Führer“-Cha- werden. Wie auch immer diese Jagd ausging, wurden die Profiteure zu Komplizen rismas die gesellschaftlichen Trennlinien weit über den Kreis der NSDAP-Mitglieder des Regimes: „Denn die ‚Arisierung‘ war letztlich eine Spekulation auf den Sieg der hinaus zu überdecken. Doch die Aufweichung der Klassengegensätze war nicht bloß Nationalsozialisten, und das wussten die Nutznießer und verbanden damit ihre Inter- schöner Schein; sie war auch in vielfältiger Weise alltäglich erfahrbar: in beruflichen essen mit denen des NS-Regimes.“ (Dieter Stiefel) Zwar hatten sich die „Ariseure“ Ein-, Um- und Aufstiegsmöglichkeiten, in betrieblichen und öffentlichen Sozialleistun- verspekuliert, was den Ausgang des Krieges betraf; doch die mit Berufung auf den gen, in Land- und Fabrikarbeiterwohnungen, in der selektiven Förderung von Land- österreichischen „Opfermythos“ schleppende, komplizierte und verwässerte Rückstel- wirtschaft und Gewerbe, in einer – entgegen der Erfahrung von 1914/18 – geregelten lung nach 1945 erschwerte es den Geschädigten – sofern sie überhaupt in den Nahrungsmittelversorgung im Krieg, allerdings auf Kosten der von der Wehrmacht Lagern oder im Exil überlebt hatten und ihr Vermögen noch vorhanden war –, zu besetzten Gebiete. Zudem wirkte die männerbündische Erfahrung der „Kameradschaft“ ihrem Recht zu kommen. in Arbeits- und Wehrdienst egalisierend auf Angehörige bäuerlicher, proletarischer Der Aufbau des „völkischen Wohlfahrtsstaates“ war untrennbar mit Krieg, und bürgerlicher Milieus; ähnliche Angleichungserfahrungen machten dienstverpflich- Vertreibung und Völkermord verbunden. Und er endete 1945 in einem Trümmerfeld. tete Frauen in Betrieben. Manche sehen in der Herauslösung des Einzelnen aus traditi- Nun ging die Nachkriegsgesellschaft an den „Wiederaufbau“, wobei sie teils an onell-autoritären Bezügen – Adel, Kirche, Familie etc. – und dessen „Gleichschaltung“ die Erste Republik und den „Ständestaat“, teils an die NS-Ära anknüpfte. Der (Wieder-)

missglückten Spekulationsgeschäften), war die Entwick- dank voller Auftragsbücher geglückten Expansions- Industrien und der massenhafte Einsatz von Zwangs- lung des Kremser Standortes mit seinem Hauptumsatz- kurs der Division Profilform (Niederlande, Russland, arbeit die Entwicklung. In den letzten Kriegsjahren träger, dem Profil- und Rohrwerk, von konstantem Frankreich, Brasilien und China). Die mittlerweile wurden die strategischen Bombardements der Alliierten Wachstum geprägt. Die Krise ging nicht spurlos an der durch die Zusammenlegung der Divisionen Profil und immer fühlbarer. Nach 1945 beeinträchtigten sowjeti- damaligen VOEST-ALPINE Krems GmbH vorüber. Automotive entstandene Metal Forming Division sche Besatzung und teilweise unklare Eigentumsverhält- Es folgten ein massiver Abbau von Personal bei gleich- erwirtschaftete mit ihren weltweit 11.500 Beschäftigten nisse die Investitionsneigung. Die Maschinen- und zeitiger Forcierung der Hightech-Produktion mit zuletzt einen Umsatz von 280 Millionen Euro und Metallwarenindustrie war in einem überproportionalen den entsprechenden Investitionen in die weitere Spezia- trägt damit ein Viertel zum Gesamtergebnis des voest- Ausmaß von der Eingliederung in die sowjetische lisierung der Profilerzeugung sowie die Einstellung Konzerns bei.32 USIA-Verwaltung betroffen. nicht rentabler Sektoren des Werks bzw. die mit der Nach dem Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 stellten Restrukturierung des Konzerns einhergehende Resümee sich wieder förderlichere institutionelle Rahmenbedin- Ausgliederung einzelner Sparten. Ab den 1990er-Jahren Die ausgewählten Unternehmensgeschichten gungen ein. Die privaten Investitionen nahmen zu, schlug die VOEST-ALPINE Krems-Gruppe mit der lassen charakteristische Muster und Aspekte der nieder- zahlreiche Betriebe wurden von Wien nach Niederöster- Übernahme von renommierten ausländischen Spezia- österreichischen Industrieentwicklung erkennen. reich verlagert, die meisten vormaligen USIA-Betriebe listen in der Profilherstellung und der Gründung Im 19. Jahrhundert bildeten sich dynamische Zentren gingen in die verstaatlichte Wirtschaft über. von Tochterunternehmen im Ausland den Weg der industriellen Wachstums heraus. Oft wurden neue Ab den 1980er-Jahren setzten umfangreiche Privati- Expansion ein und verstärkte damit ihre bereits führen- Standorte „auf der grünen Wiese“ errichtet, wo neben sierungen ein und alle Bereiche der Industrie mussten de Position in Europa. Ebenso erfolgreich verlief Fabrikgebäuden auch Wohnunterkünfte, Arbeiter- sich auf die veränderten Rahmenbedingungen der Die voestalpine produ- die Entwicklung der zweiten Sparte Lagerbau. Struktur- spitäler, Großküchen, Schulen und Fabrikantenvillen – globalisierten Wirtschaft einstellen. Diese bot Unter- ziert am Standort Krems kaltgewalzte Rohre reformen, neues Logo und Verkürzung des Namens also komplette Fabrikensembles – entstanden. Diese nehmen große Chancen, sofern sie es verstanden, sich und Profile aus Stahl leiteten das 21. Jahrhundert für die nunmehrige voestal- boten den Rahmen für eine paternalistische Unter- auf Segmente zu spezialisieren, in denen sie zu Markt- sowie Fertigerzeugnisse pine AG ein: Die Kremser Unternehmen wurden in nehmenskultur, nach der die Beschäftigten in all ihren bzw. Technologieführern werden konnten. Ausschlag- wie Hochregallager und Systemregale. der Division Profilform zusammengefasst. 2003 folgte Lebensbereichen in umfassender Abhängigkeit von gebend dafür waren eine Besinnung auf die eigenen die letzte Etappe der 1995 begonnenen Privatisierung den Fabrikanten lebten und arbeiteten. historischen Stärken sowie auf innovationsorientierte des Konzerns und seit 2005 befinden sich alle Aktien in Die Zwischenkriegszeit war von Stagnation und Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Privatbesitz, etwa 14 Prozent in Händen von Mitar- chronischer Industriekrise gekennzeichnet. Während beiter/innen. Die jüngsten Krisen (2005 Stahlknappheit, der NS-Herrschaft prägten gewaltsamer Entzug von 2008 Finanzkrise) unterbrachen nur kurzfristig den Unternehmenseigentum, Investitionen in kriegswichtige

412 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 413 Landwirtschaftszonen in Niederösterreich um 1950 Die NS-Machthaber, denen Aufbau einer alltäglichen Lebensgrundlage erfolgte in den ersten Wochen und Mona- Niederösterreich ist von einer reichen Ende befinden sich die Wald- und Grün- die Angst vor Hungerprotesten ten nach Kriegsende vorrangig nicht von oben, sondern von unten – in den über- Vielfalt an Agrarlandschaften geprägt. landzonen der Kalkalpen. Aus dieser wie im Ersten Weltkrieg wiegend von Frauen geknüpften Netzwerken von Familie, Nachbarschaft und Bekannt- Am einen Ende des Spektrums stehen die bunten Gemengelage ergaben sich um Acker- und Weinbauzonen im pannoni- 1950 agrarpolitische Interessenkonflikte, im Nacken saß, registrierten schaft, die überlebenswichtige Ressourcen mobilisierten. Die kriegswirtschaftliche schen Flach- und Hügelland. Am anderen etwa zwischen Berg- und Flachlandbauern. Stimmungsschwankungen Marktlenkung blieb bis Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahr aufrecht; daneben in der „Rationengesellschaft“ blühte der inoffizielle „Schwarzmarkt“, auf dem jene, die Wertgegenstände oder mit großer Nervosität. Ersparnisse besaßen, offiziell nicht verfügbare Güter weit über dem amtlich festgesetz- ten Preisniveau erwarben. Diese „duale Ökonomie“ von Ordnung und Chaos verschärf-

E E E E E E E E E E E E E E E E te die materiellen und mentalen Gegensätze zwischen Arm und Reich. In fünf Lohn- E E E E E E E E E E E E E E E E E E EE E E E E E E E E E E Preis-Abkommen suchten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zwischen 1947 und E E E E E E E E EE E E E E E E E E E E E E E E EE 1951 vergeblich, der Spirale vorauseilender Preis- und nachhinkender Lohnsteigerungen E E E E E E E E E E EE E E E E E E E E E E Herr zu werden. Gegen den schleichenden Einkommensverlust der Lohnabhängigen E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E richtete sich 1950 eine kommunistisch instrumentalisierte, letztlich aber gescheiterte E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E Streikbewegung, an der sich allein in Niederösterreich einige zehntausend Beschäftig- E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E EE E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E te beteiligten. Erst der 1952/53 eingeschlagene Sanierungskurs stabilisierte den Geld- E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E wert, ließ jedoch die Arbeitslosigkeit – in Niederösterreich weit über das Bundesniveau E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E EE E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E von 8,7 Prozent – hinaufschnellen. Der Wohlfahrtsstaat, der in der NS-Ära in seiner E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E rassistischen Spielart am Erwartungshorizont aufgeblitzt war, hatte im Nachkriegsjahr- E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E zehnt im Erfahrungsraum der Bevölkerungsmehrheit (noch) nicht Fuß gefasst. E E E E E E E E E E E E E E E E E E E E EEE E E E E E E E E E E E E E E E E E E E EE E E E E E E E E Vom „Eintopfsonntag“ zur Minimalration E E E E E Die Klassenbeziehungen in Kriegs- und Nachkriegszeit wurden auch über die Ernährungskultur verhandelt. Das Essen spielte in der rituellen Inszenierung der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ eine tragende Rolle; so appellierte der Wien jährlich stattfindende „Eintopfsonntag“, an dem NS-Funktionäre demonstrativ gemein- sam mit dem „kleinen Mann“ ein einfaches Mahl einnahmen, an die Solidarität der wohlhabenderen „Volksgenossen“ mit den bedürftigeren. Weitaus mehr Wirkung als E E E E derartige Inszenierungen hatte die Rationierung des Nahrungskonsums mittels Lebensmittelkarten ab Kriegsbeginn. Sie ging mit einem Ablieferungszwang aufseiten der Nahrungsproduktion einher. Vertreten durch die Ernährungsämter auf Gau- und Kreisebene, wurde der Staat zum zentralen Regulator der Ernährung; seine Arme umspannten die Ställe der Erzeuger/innen ebenso wie die Küchen der Verbraucher/- innen. Art und Menge der zugeteilten Nahrung orientierten sich am – je nach Versor- gungslage schwankenden – Satz für „Normalverbraucher“ von etwa 2.600 Kalorien zu Kriegsbeginn; auf diese Weise wurden traditionelle Klassenunterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Unterschichten eingeebnet. Die Unterschiede in der „Rationen- gesellschaft“ (Rainer Gries), die die Menschen in Bezugsklassen einteilte, folgten Leistungsmerkmalen (so gab es etwa Zulagen für „Schwer-“ und „Schwerstarbeiter“ sowie Wehrmachtsangehörige), sozialen Kriterien (z. B. auch Schwangere, stillende Mütter und Kinder bekamen Zulagen) sowie nationalistischen und rassistischen Wertungen (z. B. ausländische Zwangsarbeitende und „Juden“ etc. hatten Abzüge hinzunehmen). Ausgenommen von der Lebensmittelrationierung waren die „Selbst- versorger“, zu denen etwa bäuerliche Familien und deren Gesinde zählten; sie hatten größere Spielräume hinsichtlich Art und Menge des Nahrungsverbrauchs. Die NS-Machthaber, denen die Angst vor Hungerprotesten wie im Ersten Weltkrieg im Nacken saß, registrierten Stimmungsschwankungen in der „Rationen- gesellschaft“ mit großer Nervosität. Kürzungen wurden so lange wie möglich auf- geschoben und, falls unabwendbar, propagandistisch von der Aussicht auf baldige Zone der Wald- und Wiesennutzung mit starker Viehwirtschaft in den Viehzucht-Milchwirtschafts- Anhebungen begleitet. Die Ausplünderung der besetzten Teile der Sowjetunion trug Kalkalpen und Voralpen und Ackerbauzone des Alpenvorlandes wesentlich dazu bei, dass die Versorgungslage im Deutschen Reich jahrelang stabil ■ Alp- und Weidewirtschaftstypus ■ Voralpen-Grünland-Getreidewirt- ■ Acker-Wiesenwirtschaftstypus des Alpenvorlandes (Strengberger Typus) blieb. Dennoch geriet mit dem Rückzug der deutschen Wehrmacht, der Zerstörung der niederösterreichischen Kalkalpen schaftstypus (Typus der Viehwirtschaft von Transportwegen und den Flüchtlingsströmen die Nahrungsversorgung im Reichs- (Göstlinger Typus) auf Grünlandbasis mit Getreidebau ■ Acker-Futteraufbauwirtschaftstypus des Alpenvorlandes der Voralpen) (östlicher Alpenvorlandtypus) gebiet 1944/45 mehr und mehr aus den Fugen. So etwa war bis Kriegsende der „Normal- ■ Waldwirtschaftstypus der verbraucher“-Satz um 40 Prozent auf 1.600 Kalorien gesunken – und lag tatsächlich niederösterreichischen Kalkalpen ■ Wiesen-Garten-Ackerwirtschaftstypus vielerorts noch weit darunter. Nach der Befreiung Österreichs führte die unter alliier- (Lilienfelder Typus) des Wienerwaldes (Wienerwaldtypus) ter Aufsicht stehende österreichische Verwaltung die Bewirtschaftung der Lebens- mittel fort. Die 800 Kalorien, die im Sommer 1945 „Normalverbrauchern“ zustanden, Zone der Wald-Wiesen-Ackerwirtschaft und Rinderhaltung Zone der intensiven Ackerkultur, der Abmelkwirtschaft umfassten 25 Dekagramm Brot, 3 Dekagramm Grütze, 2 Dekagramm Fleisch, 7 Gramm im Waldviertel und in der Buckligen Welt und des Weinbaues Fett, 15 Gramm Zucker, etwas Kaffee-Ersatz und ein wenig Salz. Der Nahrungsmittel- ■ Typus der Waldvierter ■ Typus der Ackerwirtschaft ■ Zone IV bedarf wurde in den ersten Nachkriegsjahren nur zu rund einem Drittel aus der Bergwirtschaft des nordöstlichen und östlichen inländischen Erzeugung gedeckt; eine Massenhungersnot ließ sich nur durch ausländi- Waldviertels ■ Weinbautypus (Gumpoldskirchner Typus) ■ Waldviertler Ackerwirtschafts- sche Hilfslieferungen der Alliierten und der Vereinten Nationen (UNRRA) verhindern. typus mit Kartoffel-Roggenbau ■ Bergwirtschaftstypus mit starkem ■ Ackerbautypus des Weinlandes (Mistelbacher Typus) Langsam und von Rückschlägen begleitet besserte sich die Versorgungslage: Bei und Butter-Käseerzeugung Getreidebau in der Buckligen Welt Tagessätzen von 500 bis 800 Kalorien ab Frühjahr 1945, 1.550 Kalorien ab Herbst 1945, (Gmündner Typus) ■ Typus der Zuckerrübenwirtschaftsgebiete (Marchfelder Typus) 1.200 Kalorien ab Frühjahr 1946, 1.550 Kalorien ab Herbst 1946, 1.600 Kalorien ab ■ Steinfeldtypus Sommer 1947, 1.700 Kalorien ab Herbst 1947 und 1.800 Kalorien ab Sommer 1948

414 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 415 wurde erst im Herbst 1948 der als Normalbedarf geltende Tagessatz von 2.100 Kalorien erreicht – was immer noch unter dem „Normalverbraucher“-Satz von 1939 lag. Die im Zweiten Weltkrieg eingeführte staatliche Steuerung der Nahrungsflüsse war zwar wirkungsvoller als jene des Ersten Weltkriegs, aber nicht perfekt. Indem Erzeugende, Verteilende und Verbraucher/innen deren Lücken zu nutzen suchten, entstand abseits der offiziellen Sphäre der Bewirtschaftung die inoffizielle Sphäre der Schatten- wirtschaft, in der „Schwarzschlächter“, „Schleichhändler“ und „Hamsterer“ regen Austausch trieben. Der Bogen spannte sich von alltäglichen, nunmehr kriminalisierten Tauschbeziehungen bis zum organisierten, arbeitsteiligen Schleichhandel im großen Maßstab. Die deutsche Sondergerichtsbarkeit verfolgte diese Delikte auf Basis des Kriegswirtschaftsrechts, das für schwere Verbrechen – etwa das antisemitisch aufgela- dene Delikt der „Kriegsschieberei“ – die Todesstrafe vorsah. Die Klassenunterschiede, die die Lebensmittelrationierung einebnete, traten in der Schattenwirtschaft umso krasser hervor: Nur wer etwas Wertvolles einzutauschen hatte – Geld, Schmuck, Zigaretten etc. –, konnte sich auf dem „Schwarzmarkt“ mit dem Lebensnotwendigen eindecken; wer weniger wertvolle Tauschgüter besaß, ging auf das Land „hamstern“; und wer nichts einzutauschen hatte, musste seinen Bedarf erbetteln oder ander- weitig – legal oder illegal – „organisieren“. Aufgrund der Abwesenheit der zum Militär Zugpferd des „Agrarstrukturwandels“: Traktor Steyr Typ 180 mit 26 PS, gebaut zwischen 1947 und 1964.

In der Zeit der Vollbeschäftigung stieg auch die Erwerbsarbeit der Frauen: Glanzstoff-Fabrik St. Pölten, um 1955.

416 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 417 Die Abwanderung der Arbeits- eingerückten Männer übernahmen meist Frauen und Kinder die Aufgabe, ihre Famili- kräfte war nicht mit dem Sinken, en durch Tauschen, „Hamstern“ und Betteln zu versorgen. Das Kriegsende brachte sondern mit einer enormen die Schattenwirtschaft nicht zum Erliegen; im Gegenteil: Obwohl sie den gesetzlichen Steigerung der Agrarproduktion Bestimmungen widersprach, mussten die Gesetzeshüter zwecks Aufrechterhaltung verbunden. Möglich wurde von Ruhe und Ordnung eine gewisse Grauzone tolerieren, gestatteten sogar den diese „Agrarrevolution“ durch „Rucksackverkehr“ zur Aufbesserung der amtlichen Tagessätze. Vermutlich trug die arbeitssparende Technologien extreme Risikoerfahrung auf dem „Schwarzmarkt“ in der Kriegs- und Nachkriegszeit wie Traktor und Mähdrescher sowie zur Erwartungshaltung breiter Bevölkerungsgruppen nach gesicherter Existenz ertragssteigernde Technologien im Wohlfahrtsstaat bei. Erst die schrittweise Aufhebung der Lebensmittelrationierung wie Mineraldünger und Hoch- 1949 bis 1953 signalisierte das Ende der entbehrungsreichen „Rationengesellschaft“ ertragssaatgut. und den Beginn einer Zeit, in der sich „Herr und Frau Österreicher“ täglich sattessen konnten.

Nachholende Westorientierung (1955–1989)

Nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen und der Übertragung von USIA, SMV und DDSG – mit Ausnahme kleinerer Betriebe und der vor 1938 in ausländischem Besitz stehenden Mineralölunternehmen – in das Eigentum der Verstaatlichten Industrie begab sich Niederösterreich auf den Weg einer nachholenden Westorien- tierung. Die 1938 „Groß-Wien“ einverleibten Randgemeinden waren bereits 1954 wieder nach Niederösterreich zurückgekehrt. In der Folge tätigten die Großbetriebe der niederösterreichischen Grundstoff- und Schwerindustrie bislang zurückgestellte Investitionen und engagierten sich – gemäß der durch den Marshall-Plan vorge- zeichneten internationalen Arbeitsteilung – zunehmend auf den westeuropäischen, vor allem den westdeutschen Exportmärkten. Die Handelsbeziehungen mit den Ostblockstaaten gingen dagegen deutlich zurück – mit Ausnahme der Erdöllieferun- gen, zu denen sich Österreich im Staatsvertrag als Ablöse für das sowjetische Eigen- tum verpflichtet hatte, und der Transitrolle, die Niederösterreich als Teil eines neutra- len Staates ab den 1970er-Jahren im Erdöl- und Erdgashandel zwischen Ost- und Westeuropa spielte. Im Zuge der Umorientierung von Ost nach West kamen vermehrt ausländische Investoren ins Land, die hier – zunächst im Industrieviertel, dann auch in ländlichen Regionen – kostengünstige Standortbedingungen vorfanden. Im Ge- folge dieses Investitionsschubs wuchs der gewerblich-industrielle Bereich, gemessen am Anteil an der Gesamtbeschäftigung, in den späten 1950er-Jahren zum vorherr- Rauchende Schornsteine als Ikonen schenden Wirtschaftssektor an und behielt diese Stellung bis in die frühen 1970er- des Fortschritts: Wahlplakate der Jahre; Niederösterreich hatte sich in den „langen 1960er-Jahren“ zum Industrieland beiden Großparteien ÖVP und SPÖ, 1953. gewandelt. Das Wachstum des Industrie- und Dienstleistungssektors setzte die Schrump- fung des Agrarsektors voraus; dessen Anteil an der Gesamtbeschäftigung sank binnen zweier Jahrzehnte auf weniger als die Hälfte, von 47,5 (1951) auf 21,6 Prozent (1971). Zunächst verließen die familienfremden Arbeitskräfte – Knechte, Mägde, Taglöhner/- innen etc. – die Höfe auf der Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen; dann suchten die nicht für die Übernahme vorgesehenen Kinder und Geschwister der Betriebsbesitzer Jobs im Industrie- und Dienstleistungsbereich; schließlich nahmen auch immer mehr Bauern und Bäuerinnen eine Neben- oder Hauptbeschäftigung außerhalb der Land- und Forstwirtschaft auf. Verblüffenderweise war die Abwanderung der Arbeitskräfte nicht mit dem Sinken, sondern mit einer enormen Steigerung der Agrarproduktion verbunden. Möglich wurde diese „Agrarrevolution“ durch den Ersatz menschlicher und tierischer Arbeit durch arbeitssparende Technologien wie Motor- mäher, Traktor, Mähdrescher; dazu kamen ertragssteigernde („landsparende“) Techno- logien – Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel, Hochertragssaatgut. Die „Agrarrevolu- tion“ äußerte sich nicht schlichtweg in der Mehrproduktion, sondern im Mehr an Produktion bei weniger Faktoreinsatz an Land und Arbeit, in wachsender Land- und Arbeitsproduktivität. Dies zog die völlige Umkehrung der Energieflüsse nach sich: Das vorindustrielle Agrarsystem, das vor allem auf Sonnenenergie und – über deren Umwandlung in Pflanzen- und Tierwachstum – auf Muskelkraft basierte, brachte mehr Ertrag an Energie, als die Menschen aufwenden mussten; hingegen bedurfte das industrialisierte Agrarsystem eines weitaus höheren Aufwandes an vor allem fossiler Energie im Vergleich zum Energieertrag der Pflanzen- und Tierproduktion. Kurz, die „Agrarrevolution“ der Nachkriegszeit ersetzte die nachhaltige Nutzung der Biosphäre durch den Verbrauch der Lithosphäre mit Ablaufdatum.

418 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 419 Der Agrarsektor sollte Fleischberge und Milchseen sozialpolitisch abgefedert Der revolutionäre Umbruch der bäuerlichen Arbeits- und Lebensweise ab an den „Strukturwandel“ den 1950er-Jahren ging erstaunlich ruhig, ohne revolutionäre Gegenbewegungen, angepasst werden. über die Bühne; das lag auch an der politischen Abfederung des „Strukturwandels“. Die Agrarpolitik auf Bundes- und Landesebene trachtete nicht mehr, wie noch in den 1930er-Jahren, den „Bauernstand“ vor der bedrohlichen Industriegesellschaft abzu- schotten oder gar zum Leitbild einer gesellschaftlichen „Reagrarisierung“ zu erheben. Vielmehr sollte der Agrarsektor, sozialpolitisch abgefedert, an den als unvermeidlich betrachteten „Strukturwandel“ angepasst werden. Rückblickend – und im Ausblick auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – sprach Niederösterreichs Landwirtschafts- kammerpräsident Alois Scheibenreif Mitte der 1960er-Jahre Klartext: „Noch nie in der Geschichte hat die Landwirtschaft derart umwälzende Aufgaben zu lösen gehabt, wie dies seit dem Ende des letzten Krieges der Fall war. Dieser gewaltige Umstellungs- prozess betrifft nicht nur die österreichischen Bauern, im ganzen europäischen Raum und darüber hinaus stehen wir vor dem Problem, die Landwirtschaft der Indus- triegesellschaft anzupassen.“ Die „Kombination aus Markt- und Preispolitik, welche die Landwirtschaft sukzessive schützte und unterstützte, und zunehmender Struktur- politik, mit welcher der Sektor optimiert und modernisiert werden sollte“ (Melanie Kröger), markierte die agrarpolitische Leitlinie Österreichs, wie sie im Marktordnungs- und Landwirtschaftsgesetz 1958/60 festgeschrieben wurde. In den 1960er-Jahren begann sich angesichts der Sättigung der Agrarmärkte – die in den sprichwörtlichen „Getreidebergen“, „Fleischbergen“ und „Milchseen“ Ausdruck fand – und des scheinbar unersättlichen Arbeitsmarktes im Industrie- und Dienstleistungsbereich der politisch abgefederte „Strukturwandel“ gewissermaßen zu verselbstständigen: Die durch Intensivierung, Spezialisierung und Betriebskonzen- tration rasch wachsende Produktion traf auf einen langsamer wachsenden – und sich zudem von Getreide- auf Fleisch- und Milchprodukte verlagernden – Konsum; die landwirtschaftlichen Überschüsse drückten auf die sozialpartnerschaftlich regulier- ten Preise; der Preisdruck wurde aufgrund des sozialpartnerschaftlichen „Zwangs zum Kompromiss“ zum Teil auf die Konsument/innen, zum Teil auf die Produzent/- innen abgewälzt; die sich öffnende „Preisschere“ zwischen Agrar- und Industriegütern drückte auf die landwirtschaftlichen Einkommen; dies drängte die Betriebe zum Wachsen (zu weiterer Intensivierung, Spezialisierung und Betriebskonzentration), zum Weichen (zur Verpachtung der Flächen, Verringerung des Viehstandes und völligen Betriebsaufgabe) oder zum Weitermachen (zur flexiblen Anpassung an widrige Um- stände, etwa durch agrarisch-industrielle Erwerbskombination im Familienverband – „Nebenerwerbslandwirtschaft“); dadurch stieg die Produktionsmenge weiter an, und der Kreislauf begann sich selbst zu verstärken. Wie ein Hamster im Laufrad, der trotz aller Mühe nicht von der Stelle kommt, trachtete die Mehrheit der Betriebs- besitzer/innen in der „landwirtschaftlichen Tretmühle“ vergeblich, ihr Einkommen durch Produktivitäts- und Produktionssteigerungen zu erhöhen. Hingegen profitierten von der überschusssteigernden Agrarpolitik die vor- und nachgelagerten Industrien für Landmaschinen, Düngemittel, Nahrungsmittel etc. sowie die dazwischengeschalte- ten Genossenschaften, die im Raiffeisenverband, personell und finanziell eng mit Bauernbund und Landwirtschaftskammer verflochten, organisiert waren. Wie sich im „Agrarstrukturwandel“ die Landnutzung spezialisierte, zeigen die Beispiele der ehe- maligen Gerichtsbezirke Matzen und Kirchberg an der Pielach: Die entscheidenden Verschiebungen – die „Verackerlandung“ im einen Fall, die „Vergrünlandung“ im anderen Fall – erfolgten in den „langen 1960er-Jahren“. Angesichts des beschleunigten „Strukturwandels“ justierte die Agrarpolitik ihre Ziele neu: von der flächendecken- den Erhaltung eines „gesunden Bauernstandes“ zur selektiven Förderung des leistungs- fähigen („entwicklungsfähigen“) Betriebes.

Bewegung im Gewerbe Wie im Agrar- verschärfte sich auch im gewerblich-industriellen Bereich ab den 1950er-Jahren die Konkurrenz zwischen Klein und Groß. Das niederösterreichische „Handwerk“ war auf den Wettbewerbsdruck vonseiten der Industrie schlecht vorbe- Auch die Frau sagt „Ja!“ zum Bier: reitet; zum verbreiteten Kapital- und Facharbeitermangel traten die Überalterung und Werbeplakat der Wieselburger Selbstgenügsamkeit vieler Meister/innen. Ähnlich der Agrarpolitik anerkannte die Brauerei, um 1960. Gewerbepolitik die Notwendigkeit des „Strukturwandels“, suchte diesen aber politisch abzufedern: Einerseits wurde die Gewerbeordnung, etwa durch Aufhebung des protek- tionistischen Untersagungsgesetzes 1952, liberalisiert; andererseits ermöglichte die in zwei Schritten 1953/57 eingeführte Alterssicherung betagten Gewerbetreiben- den den Ausstieg. Wie die Landwirtschaftskammer, nur früher und klarer, propagierte die Handelskammer einen unternehmerischen Typus – einen „neuen Typ des Hand- werkers“, der bereits sei, „das unternehmerische Risiko bewusst auf sich zu nehmen,

420 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 421 der aufgeschlossen, wendig zeitnahe und anpassungsfähig ist“. Teils als Bedingung, Wirtschaftswunder teils als Folge der Gewerbepolitik schritt die Betriebskonzentration im niederöster- Eine Triebfeder der Wirtschaftsentwicklung bildete die (Groß-)Industrie, reichischen Gewerbe voran: Zwischen 1955 und 1975 verringerte sich die Zahl der die über die zunehmende Nachfrage an Arbeitskräften und das wachsende Angebot Fachgruppenmitglieder – vor allem der Frauen – um ein Drittel; währenddessen stieg an Massenprodukten den „Strukturwandel“ im Agrar- und Gewerbebereich anfachte. die Zahl der pro Betrieb unselbstständig Beschäftigten von 4,1 (1964) auf 7,5 (1976). Nach den im Staatsvertrag 1955 geregelten Eigentumstransfers besaß Niederösterreich Betriebswachstum und räumliche Verdichtung hingen eng zusammen; Werkstätten, einen gewichtigen verstaatlichten Sektor, dessen Schwerpunkte in der Mineralöl-, Wirtshäuser und Geschäfte verlagerten sich von kleineren zu größeren Gemeinden. Metall- und Maschinenindustrie lagen. Die Herzstücke bildeten die Raffinerie Schwe- Möglichkeiten und Grenzen gewerblichen Wirtschaftens waren eng mit der Agrar- und chat, das Schoeller-Bleckmann-Stahlwerk in Ternitz, die Rax-Werke in Wiener Neu- Industrieentwicklung verflochten: Sowohl die Technisierung der Bauernhöfe als auch stadt, die Enzesfelder Metallwerke, die Hirtenberger Patronenfabrik, die Berndorfer die Massenfertigung in den Fabriken entzogen traditionellen Sparten – Schmied, Metallwarenfabrik, die Böhlerwerke in Waidhofen/Ybbs und St. Aegyd, das Stahl- Sattler, Wagner – den Boden und boten neuen – Landmaschinenmechaniker, Elektro- gusswerk Traisen, die Krems-Chemie und die Hütte Krems, um nur die wichtigsten zu techniker, Heizungsinstallateur – ein Betätigungsfeld. Eine klare Bilanz lässt sich kaum nennen. Nach dem Abzug der Sowjets setzte eine Investitionswelle ein, um den ziehen: Nicht alle, die den „Strukturwandel“ überlebten, waren „Gewinner“; und nicht Rückstand gegenüber dem Westen Österreichs aufzuholen. Dafür kamen zurückge- alle, die aufhörten, waren „Verlierer“. Tendenziell verengten sich die Spielräume für haltene Eigenmittel, ERP-Mittel und öffentliche Förderungen zum Einsatz, die sich das Alleingewerbe; die in der NS-Ära mit außerökonomischen Eingriffen angestoßene zunächst auf die industriellen Kernräume im Süden und Südosten des Landes konzen- „Berufsbereinigung“ setzte sich mittels marktwirtschaftlicher Mechanismen fort. trierten. Neben Um- und Ausbauten erfolgten auch Neugründungen, etwa auf den Zwiespältig war die Lage der mittleren Gewerbetreibenden: Einerseits griff die Strate- stillgelegten Flächen der zerstörten Rüstungsbetriebe in Wiener Neustadt und Wiener gie der lokalen, auf persönlichen Netzwerken basierenden Marktkontrolle nicht mehr; Neudorf. In der Folge schnellten die Anteile des gewerblich-industriellen Sektors an andererseits errangen jene, die sich den neuen Spielregeln anzupassen vermochten, den Beschäftigten von 34,2 (1951) über 41,8 (1961) auf 44,2 Prozent (1971) in die Höhe. den – von der prekären Existenz des Alleingewerbetreibenden abgehobenen – Unter- In engem Zusammenhang mit internationalen Konjunkturwellen weiteten nehmerstatus. Tendenziell konnten sich die Großgewerbetreibenden, auch durch sich die Betriebs- und Arbeitsplatzgründungen räumlich um die Kernzone aus – die Kooperationen mit Industrie- und Handelskonzernen, behaupten. Alles in allem in den 1960er-Jahren in das verkehrsmäßig gut erschlossene Umland Wiens, in den erwiesen sich die großteils familienwirtschaftlich organisierten Gewerbebetriebe 1970er-Jahren in die entwicklungsschwachen Randgebiete des Waldviertels, der im „Strukturwandel“ der „langen 1960er-Jahre“ als erstaunlich flexibel; das Gewerbe Eisenwurzen und der Buckligen Welt. Etwa die Hälfte der Neugründungen bildeten verschwand nicht von der Bildfläche, sondern sicherte sich mit dem Leitbild des Auslagerungen von Betrieben im Raum Wien, getrieben von der Suche nach Lohn- und „dynamischen Unternehmers“ seinen Platz in der Industriegesellschaft. Grundstückspreisniveaus, die unter jenen der Zentralräume lagen, und angelockt von kommunalen Förderungen. Die Träger der Neugründungen waren vielfach multi- nationale und -regionale Konzerne, die bestimmte Fertigungsschritte in Zweig- Die großteils familienwirt- und Tochterfirmen auslagerten: Triumph in Wiener Neustadt, Ergee in Schrems, Huber schaftlich organisierten in Neunkirchen und Pottendorf, Eumig in Wiener Neudorf, Brown Boveri in Wiener Gewerbebetriebe erwiesen Neudorf und viele mehr. Fast zwei Drittel des zwischen 1950 und 1973 in Nieder- sich im „Strukturwandel“ österreich investierten Auslandskapitals stammten aus Westdeutschland. Dafür kamen der „langen 1960er-Jahre“ zurückgehaltene Eigenmittel, ERP-Mittel und öffentliche Förderungen zum Einsatz. als erstaunlich flexibel. Die Neugründungen konzentrierten sich auf die Branchen Textil, Bekleidung, Leder,

Unbequemes Erbe – Industriedenkmale

Gerhard A. Stadler

Das Zeitalter der Industrialisierung hat ein umfassendes verankert zu werden. Denn die „Einsicht, dass zu den kulturelles Erbe hinterlassen: Elektrizität, Nylonstrümp- Ressourcen eines Landes nicht nur seine Wirtschafts- fe und Einwegflaschen, Automobile und Autobahnen, kraft und die Effizienz seines Sozialsystems gehören, Arbeitsmigration, Streiks, großzügige Sozialleistungen sondern auch seine Geschichte und deren bauliche und einen viel beneideten Wohlstand, erschöpfte Hinterlassenschaft, hat noch wenig Resonanz.“1 Agrarflächen und versiegelte Böden, eine kontaminierte Der behördliche Schutz von technischen oder Umwelt, Computer, Klimawandel und tausende leer Industriedenkmalen reicht in Österreich zurück in stehende Produktionsanlagen, die wir als Industrie- die 1920er-Jahre, als das Bundesdenkmalamt eine eigene denkmale zu bewahren versuchen. Sie repräsentieren Abteilung für die Bewahrung dieser Kategorie von eine Epoche, in der kein Stein auf dem anderen Denkmalen schuf. Gegenwärtig verzeichnet das Amt in blieb und sowohl wirtschaftliche Strukturen als auch Niederösterreich 644 Industriedenkmale.2 Allerdings ist soziale Verhältnisse und Lebensbedingungen grund- die bescheidene Anzahl der bis dato definitiv unter Denkmal der einstigen Rüstungsindustrie: legend, nämlich unumkehrbar, verändert wurden. Schutz gestellten Denkmale des Industriezeitalters nicht Munitionsfabrik Tritol, Im Unterschied zu den Kunstdenkmälern, zu Kirchen, geeignet, die Bedeutung der gewerblichen und industri- Eggendorf. Schlössern oder Bürgerhäusern, die bereits auf eine ellen Produktion wie auch die sozio-ökonomische jahrhundertealte Tradition ihrer widerspruchslosen Entwicklung des Landes zu repräsentieren. Zu den Anerkennung zurückblicken, erweisen sich die Indus- frühesten Unterschutzstellungen in Österreich, die das Der Bestand an historischen Wassermühlen ist trotz Aussehen der nun als Kunstmühlen die Landschaft triedenkmale als baukünstlerisch schlicht, sperrig, Referat für wirtschaftsgeschichtliche Denkmale vor- der enormen substanziellen Verluste in jüngster Ver- beherrschenden Mehlfabriken, wie etwa die Vereinigten grob, kontaminiert oder ideologisch belastet, vielfach als nahm,3 zählt die Holländer-Windmühle auf dem gangenheit beachtenswert. Seit dem Mittelalter entstan- Walzmühlen von Ludwig Polsterer in Enzersdorf an der unbequem. Daher bedürfen sie anderer, etwa ihrer Kalvarienberg bei Retz, die 1924 den Betrieb einstellte. den an den Flussläufen in allen Regionen des Landes Fischa oder die Steinfeld-Mühle in Lichtenwörth. besonderen Konstruktion oder ihrer produktionstechni- Seit ihrer Unterschutzstellung im Jahr 1930 ist die Mühlen, um Getreide zu vermahlen. Im 19. Jahrhundert Obzwar dampfbetriebene Mühlen nur eine Episode schen Funktion gerecht werdender Klassifizierungs- landesweit einzigartige Windmühle zu einem weithin veränderten der technische Fortschritt und die nach im Industrialisierungsprozess des Landes abbildeten, merkmale, um im Bewusstsein der Öffentlichkeit sichtbaren Wahrzeichen der Stadt Retz geworden.4 amerikanischem Vorbild übernommene Bauweise das übernahmen Dampfbäckereien und Brotfabriken die

422 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 423 Eröffnung und Einweihung der ÖMV- Raffinerie in Schwechat am 27. Juni 1961 mit Bundespräsident Adolf Schärf und Kardinal Franz König.

Elektrotechnik und Elektronik. Im Zeitverlauf wiesen die neu gegründeten Betriebe immer weniger Beschäftigte auf: Anfangs waren es oft mehrere hundert, am Ende manchmal nur wenige Dutzend. Manche Betriebe tendierten dazu, ihre Standorte immer weiter aufzusplittern, um weitere Kostenvorteile zu lukrieren; so etwa er- öffnete Ergee nach Schrems weitere Standorte in Groß-Siegharts, Nondorf und Zwettl. Alles in allem handelte es sich überwiegend um eine abhängige Industrialisierung, „Gastarbeiter“ gegen Arbeitskräftemangel: die das Gefälle zwischen Zentren und Peripherien weiter verstärkte; die Zweig- und Ankömmlinge am Wiener Südbahnhof, um 1970. Tochterfirmen waren verlängerte Werkbänke der Zentralen.

Versorgung der Menschen in den Ballungszentren Holzschliff umgerüstet worden war. Einblicke in die sollte. In Schwadorf konstruierten die Mechaniker mit Backwaren. Die Dampfbäckerei in Mistelbach, vorindustrielle Papierherstellung aus Hadern bietet ein William Tyler und Edward Royce die Maschinen für die Magermilchbrotfabrik in Pottenbrunn oder die Besuch in der Papiermanufaktur Mörzinger in Groß- die 1802/03 errichtete Baumwollspinnerei, und in Tees- mächtigen, 1907 bis 1909 nach Plänen von Hubert pertholz, und im nur wenige Kilometer entfernten dorf koordinierte der Franzose Louis Hermitté zur Gessner errichteten Hammerbrotwerke in Schwechat Weitra kann man eine im späten 17. Jahrhundert errich- gleichen Zeit den Bau einer viergeschoßigen Spinnfabrik erinnern an die weitreichenden Neuerungen im tete Papiermühle mit ihrer charakteristischen Dach- sowie deren Ausstattung mit Mules und Waterframes. Bäckereiwesen. Selbst die traditionsbewusste Bierbraue- konstruktion besichtigen. Der Übergang zum Fabrik- Weitere Spinnereien etablierten sich in Münchendorf, Einst eine der größten Papierfabriken Europas: die rei vermochte sich der Mechanisierung und Rationali- system führte auch bei der Papierproduktion zur Ebenfurth, Unterwaltersdorf und Eggendorf sowie 1793 gegründete Papier- sierung nicht zu verschließen. Dampfmaschinen Ausbildung neuer Bautypen. Als Prototyp der modernen in Ebreichsdorf, Oberwaltersdorf, Steinabrückl und fabrik Kleinneusiedl. Hier betrieben Schrotmühlen und Elevatoren in den Mälze- Papierfabrik galt österreichweit die 1793 bis 1797 in Felixdorf. Die meisten dieser einst so bedeutenden wurde viele Jahrzehnte lang Papier für die Noten- reien, Rührwerke in den Sudhäusern, und in den spätbarocken Bauformen errichtete Fabrik von Ignaz Spinnfabriken wurden jedoch nach ihrer Stilllegung im bank hergestellt. Aquarell Gär- und Lagerkellern sorgten Kältemaschinen für eine Theodor Pachner in Kleinneusiedl. Als Stammwerk 20. Jahrhundert zerstört, die zugehörigen Arbeiter- von Erwin Pendl, um 1900. gleichbleibende Temperatur. Aus Herrschaftsbrauereien der Neusiedler Aktiengesellschaft für Papierfabri- kolonien geschleift. Die 1869 nach Plänen des Architek- oder bürgerlichen Brauhäusern wurden Bierfabriken, kation zählte sie in den 1840er-Jahren zu den größten ten Carl Tietz ausgeführte Felixdorfer Weberei stand an wie etwa die ausgedehnten Werksanlagen der Brauerei Maschinenpapierfabriken Europas.6 der Wende zu einer neuen Ausprägung des Fabrikbaus, in Schwechat. Begünstigt durch Bodenfruchtbarkeit Die Herstellung von Tuch und Baumwollwaren war die durch vermehrte Anwendung von Eisen, Stahl und die prosperierende Rübenzuckerproduktion im im 17. und 18. Jahrhundert in dezentralen Manufakturen und Glas gekennzeichnet war.7 benachbarten Mähren entstanden ab den 1830er-Jahren organisiert, wie etwa den sechs „k. k. priv. Zitz- und Das Holz, der Universalrohstoff der vorindustriel- im östlichen Weinviertel Zuckerfabriken in Staatz, Kattunfabriken“ mit Standorten in Schwechat, Fridau, len Gesellschaft, verlor zunächst im Industriebau an Dürnkrut, Niederabsdorf und Hohenau an der March. St. Pölten, Ebreichsdorf, Kettenhof und Himberg. Ein Bedeutung, schließlich auch als Brennstoff, den Kohle, Während von der Fabrik in Dürnkrut, die 1977/78 imposantes Baudenkmal dieser Epoche ist das „Thorn- später auch Erdöl ersetzten. Von der Mechanisierung ihre letzte Kampagne betrieb,5 einige bauliche Überreste ton-Haus“ in Ebreichsdorf, das die Baumwollmanu- der Holzverarbeitung zeugen nur noch wenige bäuer- entlang des Schienenstrangs der Nordbahn erhalten faktur von Franz Xaver Lang aufnahm. Im südlichen liche Sägemühlen mit Venezianergatter, wie etwa die geblieben sind, erinnert an den anderen Standorten Wiener Becken entstanden am Beginn des 19. Jahr- alte Brettersäge in Kirchbach.8 Als bemerkenswerte nichts mehr an die Zuckererzeugung. hunderts zahlreiche mechanische Baumwollspinnereien: Denkmale der Holzbringung gelten der Triftkanal im Papiersäcke für die Verpackung des Zuckers pro- In Pottendorf leitete seit 1802 der Mechaniker John Nasswald mit dem Tunnel im Gscheidl sowie die Holz- duzierte man erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- Thornton aus Yorkshire den Bau einer Spinnfabrik, fäller-Kolonie mit dem protestantischen Bethaus in hunderts, als die Papierherstellung auf der Basis von die jahrhundertelang die größte in Österreich bleiben Nasswald, die an jene Zeit erinnern, als Georg Huebmer

424 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 425 Anfangs speiste sich das Arbeitskräftereservoir der städtischen und industriellen Wegen des anhaltenden Kapital- Die Ernüchterung Ballungszentren aus den rein agrarischen oder gemischt agrarisch-gewerblichen mangels zehrten die Tourismus- Die 1973 einsetzende Weltwirtschaftskrise bereitete dem „Wirtschaftswunder“ Regionen des Landes. Die sektorale und regionale Arbeitsmigration, die noch bis in betriebe vom Glanz vergangener der Nachkriegszeit in den USA, Japan und Europa ein Ende. Die „Neue Internationale die 1950er-Jahre unter dem Kampfbegriff „Landflucht“ für Untergangsszenarien Jahrzehnte. Mit steigendem Arbeitsteilung“ war durch die Verlagerung der industriellen Massenproduktion gesorgt hatte, galt seit den 1960er-Jahren allseits als unabwendbarer, ja notwendiger Wohlstand litten die niederöster- von den alten Industriestaaten in die Newly Industrialized Countries (Hongkong, Süd- Entwicklungsschritt. Doch die dauerhafte Land-Stadt-Wanderung sowie das tage- reichischen Destinationen korea, Taiwan etc.) und die Abkehr von der staatlichen Wohlfahrtspolitik westlicher und wochenweise Pendeln zwischen Dorf und Fabrik vermochten den Bedarf an zunehmend unter der Konkurrenz und östlicher Prägung gekennzeichnet. Wie in den meisten übrigen westeuropäischen Arbeitskräften für den wachsenden sekundären und tertiären Sektor nicht zu decken. der west- und südösterreichischen Gesellschaften äußerte sich auch in Niederösterreich die weltwirtschaftliche und Daher bemühten sich Industrievertreter im Bunde mit der Politik ab den 1960er- Alpen- und Seenregionen -politische Neuordnung in der zunehmenden „Tertiärisierung“, im Führungswechsel Jahren um die Anwerbung billiger Arbeitskräfte aus Jugoslawien und der Türkei. sowie der nördlichen Adriaküste. vom sekundären zum tertiären Sektor. Während der Industriebereich von 44,2 (1971) Die „Gastarbeiter/innen“ fanden vor allem im Bau- und Gastgewerbe, im Reinigungs- über 41,9 (1981) auf 36,0 Prozent (1991) der Beschäftigten abrutschte, legte der wesen, bei landwirtschaftlichen Saisonarbeiten und in einigen Industriebereichen Dienstleistungsbereich von 34,3 (1971) über 44,8 (1981) auf 54,7 Prozent (1991) zu; Beschäftigung. Das Anzapfen des südosteuropäischen Billiglohnsegments trug wesent- währenddessen schrumpfte der Agrarsektor weiter, von 21,6 (1971) über 13,3 (1981) auf lich zum niederösterreichischen Industrialisierungsboom dieses Jahrzehnts bei; 9,3 Prozent (1991). Niederösterreichs Industriestandorte bekamen verstärkt die Kon- die Anwerbung der „Gastarbeiter/innen“ riss auch nicht ab, als im Zuge der krisen- kurrenz kostengünstigerer Standorte in Ost- und Südosteuropa und in der Dritten haften 1970er-Jahre die Arbeitslosigkeit wieder anstieg. Welt zu spüren; dies unterminierte nicht nur die Arbeitsplatzsicherheit der Industrie- Der Massentourismus lebte erst mit dem Wirtschaftsaufschwung in den beschäftigten, sondern schwächte auch das außeragrarische Standbein der klein- späten 1950er-Jahren wieder auf. Zunächst waren es Wanderungen und Ausflugstou- und mittelbäuerlichen Familienbetriebe. ren; dann wurde auch die Sommerfrische für die Ober- und Mittelschichten erneut In dem Maß, in dem Gewerbe und Industrie Arbeitsplatzverluste erlitten, attraktiv. Mangels entsprechender Kaufkraft genossen jedoch Privatzimmer und verloren sie auch ihre Ventilfunktion für die abwandernde Agrarbevölkerung. einfache Hotels Vorrang gegenüber Kurbädern und den Luxushotels des Fin de Siècle. Der außeragrarische Nebenerwerb, der durch das in den Betrieb fließende Lohnein- Nicht nur die Nachfrage, sondern auch das Angebot war begrenzt: Wegen des anhal- kommen – meist des Mannes, manchmal auch der Frau – den „Agrarstrukturwandel“ tenden Kapitalmangels zehrten die Tourismusbetriebe vom Glanz vergangener gebremst hatte, stieß an Grenzen; folglich suchten jene, die die Betriebe leiteten, Jahrzehnte. Mit steigendem Wohlstand litten die niederösterreichischen Destinatio- ihr Einkommen und das ihrer Familien vermehrt aus der Agrarproduktion selbst zu nen zunehmend unter der Konkurrenz der west- und südösterreichischen Alpen- schöpfen. Da sich die „Preisschere“ zwischen wachsenden Kosten und – aufgrund und Seenregionen sowie der nördlichen Adriaküste. Großglockner, Wörthersee und übersättigter Märkte – stagnierenden Erlösen öffnete, kam die „landwirtschaftliche Mittelmeer vermittelten „exotische“ Erfahrungen, die Niederösterreichs Ebenen, Tretmühle“ voll zur Wirkung: Die landwirtschaftlichen Einkommen zwischen größeren, Hügel und Mittelgebirge kaum versprachen. Kurz, Urlaub in Niederösterreich galt in günstiger gelegenen und spezialisierten Betrieben einerseits sowie kleineren, rand- der entstehenden, zunehmend motorisierten Freizeitgesellschaft als „altmodisch“ ständig oder gebirgig gelegenen und gemischten Betrieben andererseits klafften und „langweilig“. mehr und mehr auseinander. So betrug 1991 das Jahreseinkommen pro Familienar- beitskraft im Flach- und Hügelland 208.254 Schilling, im Alpenvorland 143.622 Schilling, am Alpenostrand 130.240 Schilling, im Voralpengebiet 122.572 Schilling und im Wald- und Mühlviertel lediglich 112.877 Schilling. Während die Agrarförderung weiter- hin am mengenorientierten Grundsatz der Preisstützung festhielt – und damit die

mit seinen Holzknechten die Aufschließung der Ur- ofen erweitert wurde.11 Nicht minder spektakulär prä- anzutreffen, so etwa jene in Lunz am See, Hollenstein Schwemmkanälen transportierten und an großen Holz- wälder im Raxgebiet in Angriff nahm.9 sentiert sich die „Erlacher Kalkburg“, ein um 1890 und Göstling an der Ybbs. Zu einem beeindruckenden rechen anlandeten. Der enorme Holzbedarf der Frisch- Die reichen Lehm- und Lössvorkommen des Wiener für die Gebrüder Kattinger errichteter Kalkbrennofen, Fabrikensemble wurde die seit 1817 von Andreas feuer zum Einschmelzen und Entkohlen des Roheisens Beckens bildeten die Grundlage für die Ziegelproduk- der mit seiner Bauform an die massigen Fluchtburgen Töpper am Zusammenfluss von Jeßnitzbach und Großer sowie der Essen führte vielerorts zu Kahlschlag. tion. Bis weit in das 19. Jahrhundert fertigte man Ziegel des Mittelalters erinnert.12 Erlauf errichtete „Erste Österreichische Eisen-, Stahl- Überschwemmungen, Muren- und Lawinenab- im sogenannten Handschlagverfahren und brannte Ideale Standortbedingungen für die Glasmacherei und Walzblechfabrik“ ausgestaltet, die 1838 als das gänge waren die Folge. Für die Flößerei wurden Stau- sie in Feld- oder Wanderöfen, die den Lehmvorkommen bot das Waldviertel mit seinem Holzreichtum und größte Streck- und Walzwerke der Monarchie genannt wehre errichtet und Floßgassen in der Ybbs eingebettet, folgten. Mit steigender Nachfrage entwickelte man den Lagerstätten von Quarzsand. Die Blütezeit der hier wurde.15 für die Einlagerung von Lebensmitteln entstanden Mehrkammeröfen und schließlich Brennöfen mit zumindest seit dem 14. Jahrhundert nachgewiesenen Wenn das Denkmal nicht mehr bloß Teil der große Proviantstadel entlang des Flusslaufs. Straßen kontinuierlichem Betrieb wie etwa den von Friedrich Waldglashütten fiel in das 17. und 18. Jahrhundert, ihre Landschaft ist, sondern diese Landschaft im Wesentli- wurden verbreitert, Brücken neu gebaut oder verstärkt, Hoffmann patentierten Ringofen.10 Das Prinzip Konzentration in dem Unternehmen von „C. Stölzle’s chen bildet, sprechen wir von einer Denkmalland- um den Warenverkehr unabhängig von den Launen dieses Ziegelbrennofens bestand in der Verwertung Söhne“ mit Standorten in Nagelberg und im benachbar- schaft.16 In der Industrielandschaft werden Industrie, der Ybbs zu bewerkstelligen. der bei den Einkammeröfen ungenutzt abströmen- ten Böhmen erfolgte schließlich im 19. Jahrhundert.13 Mensch und Natur zu einem untrennbaren Ganzen, wie Die Stahlerzeugung war alsbald in der Theresien- den Wärme. Während die Waldglashütten mit der Fertigung von etwa ein genauer Blick auf die Eisenwurzen sichtbar hütte am Ternitz konzentriert, die im Besitz von Die Massenproduktion von genormten und qualita- Waren des alltäglichen Gebrauchs befasst waren, macht. Hier zeichnete sich ab dem 16. Jahrhundert ein „Martin Miller & Sohn“ stand. Müller, der von einer tiv homogenen Ziegelsteinen bildete die Basis für blieb die Herstellung von Luxusware wie Spiegelglas merklicher Aufschwung in der Eisenverarbeitung ab: Studienreise in England als Miller zurückgekehrt den raschen Ausbau von Fabrikanlagen und Werks- einigen wenigen Betrieben vorbehalten, wie etwa Er gipfelte in der Ausformung einer Kleineisenindustrie, war, ließ das Stahlwerk als Frischerei mit Hammerbe- kolonien. Bis in das 20. Jahrhundert hinein bestimmte der um 1700 in Schloss Neuhaus eingerichteten Spiegel- die bis in das 19. Jahrhundert eine lange Blütezeit trieb einrichten. 1850 kam ein erster Puddelofen die Sichtziegelbauweise das Erscheinungsbild von manufaktur.14 erlebte.17 Die im Schatten des steirischen Erzberges – zur Aufstellung und 1868 wurde mit dem Bau eines Produktionshallen und Werkstätten, von Kraftzentralen Die Zentren der alpenländischen Eisenverhüttung der selbst ein prominentes Landschaftsdenkmal des Bessemer-Stahlwerks begonnen. Da englisches Roheisen und Gaswerken, von Heizhäusern und Stationsge- lagen zwar in Kärnten und in der Steiermark, aber Bergbaus darstellt – sich etablierenden Hammer- billiger als inländisches Eisen bezogen werden konnte, bäuden. Auch beim Kalkbrennen markierte der Über- auch in Niederösterreich befanden sich Eisenhütten, wie werke, Sensen- und Pfannenschmieden, Schleifen und verblies die Ternitzer Bessemerhütte vorwiegend gang zum kontinuierlichen Brand den Beginn der etwa in Edlach an der Rax, Aue oder Harmanschlag. Sägemühlen erforderten einen umsichtigen Wasserbau, importiertes Roheisen und verfügte alsbald mit sechs industriellen Massenproduktion. Um dem steigenden Charakteristisch für die Hütten waren die mit Holz- um den kontinuierlichen Antrieb ihrer Produktions- Konvertern über die bei weitem größte Kapazität an Kalkbedarf für die Bauvorhaben in Wien nachzukom- kohle befeuerten Floß- oder Hochöfen. In Frischhütten stätten zu gewährleisten. Für den Unterhalt der Bessemerstahl in Österreich.18 Nirgendwo sonst be- men, ließ Heinrich Drasche 1869 im Steinbruch am und Zerrennhammerwerken erfolgte die Weiterver- Schmiedeessen sorgten Köhlereien. Sie speisten ihre stimmte ein Unternehmen die Erwerbs- und Lebens- Eichkogel bei Gumpoldskirchen einen zweischächtigen arbeitung des Roheisens zu Schmiedeeisen und Stahl. Meiler mit dem Holz der Region, das sie mithilfe von grundlage der ansässigen Bevölkerung so umfassend Hochofen erbauen, der 1875 um einen dritten Schacht- Diese waren nicht selten als eigene Betriebsstätten Holzriesen oder Seilbahnen, von Triftklausen und wie in der Single Factory Town Berndorf, in der

426 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 427 Überproduktion anfachte –, führte die SPÖ-Bundesregierung parallel dazu produktions- Angesichts der Vervielfachung „Auf amol a Streik“ (1978) über einen mehr als dreiwöchigen Arbeitskampf im Semperit- unabhängige Direktzahlungen für das Berggebiet mit dem Ziel einer eigenständigen der Problemlagen – zunächst in Werk Traiskirchen, „Ö-Norm A1“ (1989) über die Arbeitslosigkeit auf dem Land oder Regionalentwicklung ein. Kurz, die Agrarpolitik trat gleichzeitig das Gas- und das den Billiglohnbranchen der „Postadresse 2640 Schlöglmühl“ (1990) über die Schließung der dortigen Papierfabrik Bremspedal. Stärker als den äußerst flexiblen Gewerbebereich betraf die internationale Randgebiete, dann auch in den die grassierende Industriekrise ins Bild; auch Bezüge zur Weltwirtschaftskrise der Gewichtsverschiebung den Industriebereich, vor allem arbeitsintensive Leicht- Paradebetrieben der Verstaat- 1930er-Jahre, so in der Verfilmung der Marienthal-Studie „Einstweilen wird es Mittag“ industrien wie Bekleidung, Textil und Elektro sowie Teile der holz- und papierverarbei- lichten Industrie – stieß das (1988), klangen dabei an. tenden und der Eisen- und Metallwarenindustrie. Wo sich diese Industrien konzen- Krisenmanagement rasch an die trierten, wurde die internationale Flexibilisierung durch gehäufte Arbeitsplatzverluste Grenzen der Steuerbarkeit. Schöner Shopping zuerst spürbar; das war vor allem im nordwestlichen, aber auch gebietsweise im Eine regionale Ausnahmeerscheinung, die aber dem internationalen Trend südöstlichen Niederösterreich der Fall. So verlegten zwei Waldviertler Unternehmen, der Konzentration im Einzelhandel folgte, bildete die 1976 eröffnete Shopping City Süd die standardisierte Massengüter erzeugten, Teile ihrer Produktion in südwest- (SCS) in Vösendorf, knapp vor der Stadtgrenze Wiens. Die gewaltigen Dimensionen – und südosteuropäische Billiglohnländer: Der Feuerzeugproduzent Eisert eröffnete 100.000 Quadratmeter verbaute Fläche, 5.000 Parkplätze, 160 Einzelgeschäfte – mach- ein spanisches Werk und schloss das in Heidenreichstein bestehende; beim Strumpf- ten die SCS zum größten Einkaufszentrum Österreichs und zu einem der größten warenerzeuger Piering-Patria setzte die Eröffnung eines Werkes in Rumänien die Europas im US-amerikanischen Mall-Stil. In den Folgejahren entstand rund um die SCS ratenweise Schließung der Waldviertler Standorte in Gang. Auch im Industrieviertel ein Cluster von Verkaufs- und Unterhaltungsstätten (1988: SCS-Zubau, 1994: Multiplex- häuften sich die Problemfälle in Gestalt von Textil- und Bekleidungsunternehmen, Kino, 1992/97: Fertigteilhauspark „Blaue Lagune“, 1997: Motorcity), dessen Kombi- den Papierfabriken Stuppach, Breitenau und Schlöglmühl, dem Bleistiftproduzenten Angebot aus Shopping und Entertainment den Besuch zum Erlebnis stilisierte. Die SCS Brevillier-Urban, Semperit-Wimpassing, den Elektrounternehmen Eumig und Klima- wurde zum Einfallstor internationaler Handelsketten, die von Vösendorf aus den technik. Die internationale Stahlkrise 1981 traf auch die bisher durch staatliche ostösterreichischen und, nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, auch den ungarischen, Konjunkturprogramme und den Ausbau des Finalbereichs stabile Verstaatlichte slowakischen und tschechischen Markt eroberten. Die Zahl der jährlich registrierten Industrie; nach geschäftlichen Misserfolgen und erfolglosen Restrukturierungsversu- Autoeinfahrten wuchs von anfangs etwa 300.000 bis 1990 auf über 600.000 und chen leitete 1986 eine ÖIAG-Reform die schrittweise Privatisierung ein. So befanden durchbrach 1995 die Millionengrenze; dementsprechend spitzte sich zu den Stoßzei- sich Ende der 1980er-Jahre nicht nur die in den 1960er-Jahren industrialisierten Die Abwanderung aus der Land- ten – auch mangels einer leistungsfähigen Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz Randgebiete, sondern auch die traditionsreichen Kernzonen der Industrie in der Krise. wirtschaft und die Krise der Wiens – die Verkehrssituation auf den Zubringerautobahnen und -straßen dramatisch Der verschärften Standortkonkurrenz suchten die SPÖ-Bundesregierung in den industriellen Massenproduktion zu. Die SCS in Vösendorf bildete gemeinsam mit der als Gartenstadt geplanten Süd- 1970er- und frühen 1980er-Jahren mit einer krisenbekämpfenden Konjunkturpolitik sollten in den 1980er-Jahren stadt in Maria Enzersdorf und dem auf den Trümmern der Flugmotorenwerke Ostmark im Bereich der Verstaatlichten Industrie („Austrokeynesianismus“), das ÖVP-dominier- mit tatkräftiger Unterstützung in Wiener Neudorf errichteten Gewerbegebiet „Industriezentrum Niederösterreich te Land und diverse Gemeinden mit regionalpolitischen Offensiven zu begegnen; des Landes Niederösterreich Süd“ einen dynamischen Hotspot der Wertschöpfung – und damit auch der Steuerleis- Unternehmen sollten mittels Förderungen zum Bleiben oder Kommen animiert im Tourismus abgefangen werden. tung – in Niederösterreich. werden. Angesichts der Vervielfachung der Problemlagen – zunächst in den Billig- Dabei konnten vor allem Die Abwanderung aus der Landwirtschaft und die Krise der industriellen lohnbranchen der Randgebiete, dann auch in den Paradebetrieben der Verstaatlichten Regionen punkten, die nicht – Massenproduktion sollten in den 1980er-Jahren mit tatkräftiger Unterstützung Industrie in den städtischen und industriellen Kernzonen – stieß das konjunktur- wie der Semmering und des Landes Niederösterreich im Tourismus aufgefangen werden; dabei konnten vor und regionalpolitische Krisenmanagement rasch an die Grenzen der Steuerbarkeit. die Voralpen – von touristischen allem Regionen punkten, die nicht – wie der Semmering und die Voralpen – von Als populärkultureller Seismograf diente der Dokumentarfilm. Er setzte etwa in Klischees besetzt waren. touristischen Klischees besetzt waren. Im Waldviertel wurden das Moorbad Harbach, die Bäder in Großpertholz und Groß Gerungs, das Feriendorf Litschau, das Gesund- heitszentrum Dungl in Gars und der Schüttkasten in Geras errichtet. Im Weinviertel entstanden das Großhotel Althof in Retz und die Kurklinik in Bad Pirawarth. Aus- stellungen, Museen, Seminare, Theateraufführungen und Konzerte kamen der zuneh- Produktions- und Reproduktionsbereich zwar räumlich Silhouetten von Städten und Dörfern. Die Denkmale menden Aktivitätsorientierung der entwickelten Freizeitgesellschaft entgegen. getrennt, jedoch ausschließlich von der Metallwaren- des Eisenbahnzeitalters reihen sich entlang der Bahn- Trotz aller Erfolge vermochte die Belebung des „sanften Tourismus“ den Verlust an fabrik Krupp initiiert und realisiert wurden. trassen und reichen von frühen Tunnelbauten und Arbeitsplätzen in den übrigen Wirtschaftszweigen bestenfalls regional und auch Die sozialen Verhältnisse der Industriegesellschaft kühnen Brückenkonstruktionen über Lokschuppen und hier nur teilweise abzufangen. Die Regionen Niederösterreichs waren dem Globalisie- wurden in der baukünstlerischen Ausgestaltung der Heizhäuser bis hin zu vornehmen Aufnahmegebäuden rungsdruck in unterschiedlichem Maß gewachsen; dementsprechend gewannen Unternehmervilla und in der sowohl schlichten als auch und schlichten Rottenunterkünften. Als spektakulär ihre jeweiligen Stärken und Schwächen an Bedeutung: „Mit der Globalisierung der seriell wiederholten Formulierung der Arbeiterquartiere und gewagt zugleich galten die Kunstbauten der 1854 Produktionsstandorte brach das Zeitalter der Regionalisierung an.“ (Andrea Komlosy) sichtbar. Zu den ältesten Arbeiterkolonien des Landes eröffneten Semmeringstrecke zwischen Gloggnitz und zählt die um 1750 entstandene „Nadelburg“ bei Lichten- Mürzzuschlag. Die weltweit erste Gebirgsbahn wurde Baby-Boom und Baby-Blues wörth. Von den ursprünglich 56 bestehenden Häuschen 1998 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt.20 Das „goldene Zeitalter“ der „langen 1960er-Jahre“ äußerte sich in Geburten- konnten zwar viele erhalten werden, allerdings wurden Diese Auszeichnung wird vermehrt Investitionen in überschüssen: Einerseits stagnierte die Sterberate bei jährlich 13 bis 14 Todesfällen sie durch Zusammenlegungen sowohl außen als auch den Erhalt der Bahnstrecke sowie in die touristische pro 1.000 Angehörigen der Wohnbevölkerung; die Lebenserwartung bei der Geburt innen stark verändert. Infrastruktur der Region ermöglichen. von Frauen und Männern stieg von 66 und 73 Jahren (1961) auf 68 und 76 Jahre (1980) Traurige Berühmtheit erlangte die Werkskolonie Das industrielle Erbe Niederösterreichs ist viel- sanft an. Andererseits setzte Ende der 1950er-Jahre ein – auch zeitgenössisch so der Baumwollspinnfabrik Todesco durch die sozial- fältig, mitunter einmalig. Doch die Bewahrung von bezeichneter – Baby-Boom ein, der bis zu den frühen 1970er-Jahren wieder abflaute. wissenschaftliche Studie von Marie Jahoda über die Industriedenkmalen ist nach wie vor eine große Heraus- Die Fertilität erreichte 1961/63 mit jährlich 98 Geburten pro 1.000 15- bis 44-jährigen Arbeitslosen von Marienthal.19 Viele der ursprüng- forderung für eine Gesellschaft, die zwar ihren Wohl- Frauen einen bis heute nicht übertroffenen Spitzenwert für die Zeit seit 1918; bis lichen Arbeiterwohnhäuser der Kolonie Marienthal stand der Industrialisierung verdankt, die Wirkstätten 1980/82 sackten sie auf 56 ab. Die Geburtenrate sank im selben Zeitraum von jährlich sind mittlerweile zerstört worden, aber es gelang, einen dieses Prozesses aber nicht zu schätzen vermag. 18 auf 11 Geburten pro 1.000 Personen. Der Baby-Boom war Ausdruck der Erweiterung Baubestand entlang der Hauptstraße von Gramat- Obzwar das Bundesland noch einen beachtenswerten bislang beschränkter Möglichkeiten breiter Bevölkerungsschichten zur Familiengrün- neusiedl zu bewahren. Bestand an Industriedenkmalen besitzt, läuft es dung in der entstehenden Wohlstandsgesellschaft. Der rasante Geburtenrückgang Als genuine Schöpfung der industriellen Revolution Gefahr, dieses Erbe in absehbarer Zukunft zu verlieren. ab Mitte der 1960er-Jahre stand im Zusammenhang mit medizinisch-technologischen wurde die Eisenbahn zum Katalysator der Industrialisie- und gesellschaftlich-mentalen Veränderungen: Die seit 1961 verfügbare „Anti-Baby- rung. Rasch entstand ein Schienennetz, das Zentren Pille“ half, Sexualität und Fortpflanzung voneinander zu entkoppeln, und ermöglichte mit der Peripherie, Verbraucher mit Produzenten die „sexuelle Revolution“ der „1968er-Generation“, die Befreiung vor allem der Frauen verband. Bahndämme schufen neue Barrieren auf dem und Jugendlichen von einer autoritären Sexualmoral – freilich um den Preis zuneh- flachen Land, Eisenbahnbrücken überquerten Fluss- mender Kommerzialisierung im Zuge der „Sexwelle“. Mit wachsendem Lebensstandard läufe und Täler, Bahnhöfe und Remisen veränderten die orientierte sich die Familienplanung an der Zwei-Kind-Familie; zugleich wurde die

428 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 429 Ein Konsumtempel mit überregionaler Strahlkraft ist die 1976 eröffnete Shopping City Süd (SCS) in Vösendorf, knapp vor der Stadtgrenze Wiens. Bevölkerungsveränderung nach niederösterreichischen Bezirken 1910–2011 verbürgerlichte Kernfamilie – ohne Großeltern oder sonstige Verwandte im selben Die bezirksweisen Bevölkerungsbilanzen des Wald- und des Weinviertels, wobei der Achse mit dem Spitzenwert von 76 Prozent Haushalt – zum milieuübergreifenden Standard. Gegenüber der Geburtenbilanz 1910 bis 2011 belegen innerhalb Nieder- Bezirk Hollabrunn mit 34 Prozent den in Mödling. Dazwischen lagen die Rand- nimmt sich die Wanderungsbilanz in den „Wirtschaftswunder“-Jahren vergleichsweise österreichs ein steiles Süd-Nord-Gefälle stärksten Bevölkerungsverlust hinnehmen bezirke des Industrie- und des Mostviertels. bescheiden aus; sie war in den 1960er-Jahren fast ausgeglichen, verzeichnete in neben dem österreichweiten West-Ost- musste. Die Gewinner fanden sich entlang Gefälle des Bevölkerungswachstums: der Nord-Süd-Achse zwischen Wien den 1970er-Jahren aber ein deutliches Plus. Die Zuwanderung im Zuge der Flüchtlings- Auf der Verliererseite standen weite Teile und Wiener Neustadt sowie der Ost-West- wellen des „Kalten Krieges“ – Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968 und Polen 1981 – über das Flüchtlingslager Traiskirchen war vergleichsweise gering; sie konzentrierte YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY sich in Wien. Im Zuge des Industrialisierungsbooms bis zur Wirtschaftskrise 1973 YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY setzte sich die Abwanderung von den ländlichen Regionen Niederösterreichs, vor YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY allem den Grenzbezirken nahe dem „Eisernen Vorhang“, nach Wien fort, wenn auch YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY mit verminderter Stärke. Zunehmend wurde das Wiener Umland zum Ziel zunächst YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Mangels Zugangs zu Genossen- der niederösterreichischen „Land-“, dann auch der Wiener „Stadtflüchtigen“. Die YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY schafts- und Gemeindewohnungen bezirksweisen Bevölkerungsbilanzen 1910 bis 2001 belegen innerhalb Niederöster- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY waren die „Gastarbeiter/innen“ reichs ein steiles Süd-Nord-Gefälle neben dem österreichweiten West-Ost-Gefälle des YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY auf den privaten Wohnungsmarkt Bevölkerungswachstums: Auf der Verliererseite standen weite Teile des Wald- und YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY angewiesen, wo sie sich als des Weinviertels, wobei der Bezirk Hollabrunn mit 35 Prozent den stärksten Bevölke- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 32,6 Prozent Arbeitskräfte im Billiglohnsegment rungsverlust registrierte; die Gewinner fanden sich entlang der Nord-Süd-Achse YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYWaidhofen nur Substandardwohnungen zwischen Wien und Wiener Neustadt sowie der Ost-West-Achse mit dem Spitzenwert YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYan der Thaya leisten konnten. von 64 Prozent in Mödling; dazwischen lagen die Randbezirke des Industrie- und YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 28,8 Prozent des Mostviertels. Gmünd YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 24,3 Prozent Zur Bewältigung der sich verschärfenden Arbeitskräfteknappheit im sekundä- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYHorn ren und tertiären Sektor wurden in der Hochkonjunktur der späten 1960er- und YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 34,4 Prozent frühen 1970er-Jahre „Gastarbeiter/innen“ aus Jugoslawien und der Türkei angeworben; YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYHollabrunn sie siedelten sich vor allem im Wiener Umland und im Industrieviertel an. Mangels YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 24,5 Prozent Zugangs zu Genossenschafts- und Gemeindewohnungen waren die Ausländer/innen YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 30,1 Prozent Mistelbach auf den privaten Wohnungsmarkt angewiesen, wo sie sich als Arbeitskräfte im Billig- Zwettl - 6,8 Prozent YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYKrems-Land lohnsegment nur Substandardwohnungen leisten konnten. So etwa waren die aus- ländischen Arbeitskräfte bei Schoeller-Bleckmann in Ternitz in den 1970er-Jahren in YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+7,3 Prozent + 31,6 Prozent YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYKrems an der Korneuburg heruntergekommenen „Arbeiterkasernen“ aus dem vorigen Jahrhundert einquartiert; YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYDonau (Stadt) vier bis fünf Personen lebten in 20-Quadratmeter-Räumen ohne Wasser, Bad und YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY WC. Insgesamt trug die „Gastarbeiter“-Wanderung nur wenig zur Wanderungsbilanz + 39,5 Prozent + 57,1 Prozent YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYTulln Wien Umgebung bei: 1988 wurden in Niederösterreich lediglich 12.300 in Jugoslawien und 8.800 in YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 14,2 Prozent der Türkei Geborene registriert. Dessen ungeachtet wurde in der Wirtschaftskrise der Melk + YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 45,7 Prozent 22,8 Prozent 1970er-Jahre die an den altösterreichischen Antislawismus anknüpfende Fremden- Gänserndorf YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYSt. Pölten (Stadt) Wien feindlichkeit geschürt; dagegen richtete sich 1973 eine Plakatkampagne der Werbe- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY wirtschaft: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogns zu dir Tschusch?“ YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 30,4 Prozent St. Pölten (Land) + 7,4 Prozent YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 43,5 Prozent + 76,3 Prozent Fahrstuhl-Effekte Mödling Bruck an YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYAmstetten der Leitha Was die Boomjahre als „goldenes Zeitalter“ erscheinen ließ, war das Ver- + 16,1 Prozent schwinden der Widrigkeiten, die den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung in YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYScheibbs YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 37,9 Prozent der ersten Jahrhunderthälfte gedrückt hatten: Weltkriege, Massenarbeitslosigkeit, + 6,1 Prozent Baden YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYWaidhofen - 14,8 Prozent + 33,5 Prozent Lohnkürzungen, Geldentwertung, Nahrungsmangel und so fort. Nach und nach bildete an der Ybbs (Stadt) Wr. Neustadt (Land) YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYLilienfeld sich für – vorzugsweise männliche – Arbeiter, Angestellte und Beamte ein standardi- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY siertes Lebenslauf-Modell heraus: Der junge Mensch wächst über die schulische und YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY+ 25,6 Prozent berufliche Ausbildung in einen Beruf hinein, in dem er (oder sie) bei einem oder YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYWr. Neustadt einigen wenigen Arbeitgebern Aufstiegsmöglichkeiten nutzt, um sich einen gehobe- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY(Stadt) nen Lebensstandard – Eigenheim, Familienurlaub, Automobil und so fort – zu erarbei- YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY ten, bevor er (oder sie) nach mindestens 35 Versicherungsjahren mit 55 bis 60 Jahren YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY- 0,4 Prozent die Pension antritt, die ihm (oder ihr) bei wachsender Lebenserwartung einen YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYNeunkirchen gesicherten Lebensabend bietet. Dieses Modell wies dem in der Produktionssphäre YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY erwerbstätigen Mann über – nominell und real – wachsende Lohneinkommen YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY und staatliche Transferzahlungen die Rolle des Familienerhalters zu. Die Ehefrau YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY verwies es auf die Hausfrauen- und Mutterrolle in der Reproduktionssphäre, wo sie YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY sich um Ehemann und Kinder kümmerte. Die Grundlage dieses „modernen Lebensstils“ YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY bot die – in Abgrenzung zur sozialistischen Planwirtschaft des Ostens – als „soziale YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Marktwirtschaft“ bezeichnete Wirtschaftsordnung. Demgemäß speise sich das YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Wirtschaftswachstum aus der Wechselwirkung von standardisierter Massenproduktion, YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY sozialstaatlicher Umverteilung und standardisiertem Massenkonsum. Das von ÖVP YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY wie SPÖ propagierte Leitmotiv der sozialen Marktwirtschaft versprach Arbeit und YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY Wohlstand für alle. In der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky) YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY ebneten Aufstieg von unten und Abstieg von oben die Klassenunterschiede ein. YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY YYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYYY

432 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 433 Je mehr die groben Unterschiede Sie verschwanden zwar nicht, wurden aber im Zuge eines „Fahrstuhl-Effekts“ allesamt Globale Standortkonkurrenz (seit 1989) der Gesellschaftsklassen aus auf ein höheres Niveau angehoben. Je mehr die groben Unterschiede der Gesell- dem Bewusstsein schwanden, umso schaftsklassen aus dem Bewusstsein schwanden, umso bedeutsamer wurden die feinen Der Fall des „Eisernen Vorhangs“ 1989, die Auflösung der Sowjetunion und der Zerfall bedeutsamer wurden die feinen Unterschiede der Lebensstile, mittels derer sich „die Oberen“ und „ die Unteren“ des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) bedeuteten für (Nieder-)Österreich Unterschiede der Lebensstile, mittels voneinander abgrenzten: Familienlimousine von Volkswagen oder Mercedes-Benz? vor allem in politischer Hinsicht eine Zäsur; ökonomisch gesehen wirkten die bis- derer sich „die Oberen“ und „die Familienurlaub in Caorle oder Capri? Familienfeier mit Sekt oder Champagner? herigen Globalisierungstendenzen fort, jedoch mit erhöhter Geschwindigkeit. Für die Unteren“ voneinander abgrenzten: international orientierten Unternehmen Niederösterreichs hatte der Zerfall des Familienlimousine von Volks- Die Fresswelle „Ostblocks“ zwiespältige Folgen: Einerseits fiel die Marktnische weg, die sie als Akteure wagen oder Mercedes-Benz? An der Ernährung lassen sich die materiellen und mentalen Umschichtungen eines neutralen Staates im Ost-West-Handel seit den 1970er-Jahren besetzt hatten; Familienurlaub in Caorle oder Capri? der Gesellschaft im „goldenen Zeitalter“ genauer fassen. Mit steigendem Wohlstand andererseits verschafften ihnen genau diese Beziehungen Startvorteile beim Erwerb nahm der Anteil der Ernährung an den Haushaltsausgaben ab: So etwa sanken die ehemals staatssozialistischen Eigentums. Der EU-Beitritt Österreichs 1995 schuf Nahrungsmittelausgaben niederösterreichischer Arbeiterhaushalte 1955 bis 1975 von zusätzlich eine supranationale Ebene, die den politisch-ökonomischen Manövrierraum 47 auf 31 Prozent; demselben Zusammenhang folgend schwankten sie 1975 bei von Bund und Land erheblich einschränkte; doch dieser war bereits Jahre zuvor niedrigen und hohen Haushaltsbudgets zwischen 41 und 28 Prozent. Indem sich der an die von der Globalisierung gesetzten Grenzen gestoßen. Bundes- und Landespolitik Schwerpunkt von den „Zwangsausgaben“ (Ernährung, Mietzins, Beheizung und begannen sich Mitte der 1980er-Jahre vom Ziel des Ausgleichs der regionalen Ent- Beleuchtung) zu den „Wahlausgaben“ (Wohnungseinrichtung, Bekleidung, Freizeit- wicklungschancen zu verabschieden; stattdessen forcierten sie eine Regionalpolitik, aktivitäten etc.) verlagerte, erweiterte sich der Spielraum für die Ausprägung von die ausgewählte Standorte im internationalen Maßstab wettbewerbsfähig machen Lebensstilen jenseits des Notwendigkeitsgeschmacks. Obwohl die zeitgenössische sollte – und damit den Interessen in- und ausländischer Investoren besser entsprach. Statistik die Nahrungsmittelkosten zu den „Zwangsausgaben“ zählte, diente auch die Wichtigstes Instrument der niederösterreichischen Standortpolitik war die landes- Ernährung als Mittel der Stilbildung. Das zeigt etwa der Fleischkonsum: Bis zur eigene Wirtschaftsagentur ecoplus. Ausdruck der wettbewerbsorientierten Standort- Jahrhundertmitte, vor allem in der „Rationengesellschaft“ der Kriegs- und Nachkriegs- politik stellte 1986 der Beschluss der niederösterreichischen Landesregierung dar, zeit, galt regelmäßiger Rind-, Schweine- und Geflügelfleischkonsum als Ausweis Wien den Rücken zu kehren und St. Pölten zur Landeshauptstadt aufzuwerten. Die der Zugehörigkeit zu den Mittel- und Oberklassen; die „bessere Gesellschaft“ besorgte Konzentration öffentlicher und privater Mittel im Raum St. Pölten – etwa 13 Milliarden sich auf dem „Schwarzmarkt“, was auf den Lebensmittelkarten fehlte. Mit steigen- Schilling während der zehnjährigen Bauzeit des Regierungsviertels – sollte durch dem Einkommen in der sich entwickelnden Wohlstandsgesellschaft konnten sich auch ein begleitendes, mit 3,4 Milliarden Schilling dotiertes Regionalisierungsprogramm Arbeiterfamilien beim Lebensmitteldiskonter das allwöchentliche, gar alltägliche gerechtfertigt werden. Die zügige Umsetzung der Hauptstadtidee in die Tat bedeutete Fleischgericht in gebratener oder gebackener Variante leisten – und damit ihren einen Kraftakt der Regionalpolitik, der deren Scheitern beim regionalen Ausgleich gesellschaftlichen Aufstieg aus der „Unterschicht“ signalisieren. Zeitgenössische in den Schatten stellte. Der regionalpolitische Horizont dehnte sich nach der EU- Beobachter/innen sprachen in den 1950er-Jahren von einer „Fresswelle“, in der aufge- Osterweiterung 2004, die auch Österreichs Nachbarn Tschechien, Slowakei, Ungarn schobene Konsumwünsche im Eiltempo nachgeholt und alte durch neue Ernährungs- und Slowenien einschloss, zur bis nach Brünn, Bratislava und Sopron gedachten „euro- stile überformt wurden: Schwarzbrot, Kartoffeln und Frischgemüse traten zurück; päischen Metropolitan-Region“ aus. Nicht mehr der regionale Ausgleich im Land, Fleisch, Wurst, Eier, Süßigkeiten, Südfrüchte, Softdrinks und Alkoholika wurden forciert. sondern die Schaffung landesübergreifender, möglichst hochrangiger Standort-Cluster Vermittels Urlaubsreisen, Arbeitsmigration und Massenmedien wurden „exotische“ bildete die regionalpolitische Leitlinie in der Globalisierungsära. Speisen und Getränke heimisch. Coca-Cola, Pommes Frites und Hawaiitoast fanden sich auf der Speisekarte selbst des entlegensten Dorfgasthauses. Der quantitative Bauernsterben? und qualitative Wandel des alltäglichen Speisezettels – von kohlehydrat- zu eiweiß- Unter Globalisierungsdruck geriet zunehmend auch der Agrarbereich, vor und fettreicher Nahrung – kam vor allem aufseiten der Männer zum Tragen; Frauen allem durch die seit 1986 vorangetriebenen Bestrebungen, im Rahmen des Allgemei- ernährten sich ausgeglichener. Die nach Geschlechtern ungleichen – und mehr nen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), der späteren Welthandelsorganisation oder weniger gesunden – Ernährungsstile dürften auch im etwa siebenjährigen Gefälle (WTO ), den Handel mit Agrargütern zu liberalisieren. In der Klemme zwischen über- zwischen der Lebenserwartung niederösterreichischer Frauen und Männer ihren sättigten Binnenmärkten und den Liberalisierungstendenzen auf dem Weltmarkt Ausdruck finden. Nicht zuletzt das ernährungsbedingte Gesundheitsrisiko zeigt die propagierte die 1987 begründete „Sanierungspartnerschaft“ von SPÖ und ÖVP die Zwiespältigkeit des „modernen Lebensstils“. „ökosoziale Marktwirtschaft“ als Ausweg, durch Überschussabbau bei Getreide, Fleisch und Milch sowie Nischen- und Qualitätsproduktion das Budget zu entlasten. Einen Paradigmenwechsel in der Agrarförderung von der preis- zur flächen- und tierbe- zogenen Direktförderung brachte mit dem EU-Beitritt 1995 die Gemeinsame Agrar- politik (GAP), die diesen Schritt unter dem Druck der GATT-Verhandlungen bereits 1992 vollzogen hatte; dabei wurden auch ein umfangreiches Umweltförderprogramm (ÖPUL) und zeitlich befristete Ausgleichszahlungen vereinbart. Das EU-Förderregime vertiefte den dualen Charakter des österreichischen Agrarsystems: Einerseits ermun- terte es mangels Förderobergrenzen die Besitzer/innen größerer Betriebe in den Gunstlagen zur weiteren Intensivierung und Spezialisierung; andererseits ermöglichte es Klein- und Mittel- sowie Bergbauernbetrieben ein extensives und diversifiziertes Wirtschaften. Im Rahmen von ökosozialer Agrarpolitik und ÖPUL erfuhr der Bio-Land- bau seit den 1990er-Jahren einen Aufschwung. Die wertschöpfungsgenerierende Kombination von Produktveredelung, Direktvermarktung und Tourismus – gemäß dem Leitbild der „multifunktionalen Landwirtschaft“ – bot den Bio-Betrieben einen Ersatz für das Wegbrechen gewerblich-industrieller Nebenbeschäftigungen. In einer prekären Lage befanden sich jene Wirtschaften, die zu klein zur Spezialisierung und zu abge- schnitten von gewerblich-industriellen Produktions- und Konsumzentren waren; sie stellten früher oder später – vor allem dann, wenn niemand verfügbar war, der übernahm – die Bewirtschaftung ein. Führte der „Agrarstrukturwandel“ zum „Tod des Bauern“, wie viele Kommenta- re behaupten? An zwei für Niederösterreich charakteristischen Agrarregionen, den ehemaligen Gerichtsbezirken Kirchberg an der Pielach in den Voralpen und Matzen im Flach- und Hügelland, lassen sich übergreifende Entwicklungen erkennen: Im Lauf des 20. Jahrhunderts näherten sich die zunächst unterschiedlichen Grundbesitzvertei-

434 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 435 Alles in allem führten Europäi- lungen der beiden Regionen merklich einander an: Im Kirchberger Umland konnten Aktive Betriebsstandorte 2014 nach Sparten und Verwaltungsbezirken sierung und Globalisierung auch in die Mittelbetriebe bis 1990 ihre Stellung behaupten; hingegen gewannen im Matzener Die Verteilung der Industriestandorte ist Entwicklungen. Trotz regionaler Schwer- Anmerkung: Die Statutarstädte Niederösterreich nicht zum Umland die Betriebe zwischen 20 und 50 Hektar und, mit einigem Abstand, auch einerseits ein Erbe älterer Muster, punkte ist der Spartenmix in den ein- sind in den Zahlen der jeweiligen flächendeckenden „Bauernsterben“, jene zwischen 50 und 100 Hektar – auf Kosten der Gutsbetriebe über 100 Hektar – andererseits auch Ausdruck jüngerer zelnen Regionen ziemlich ausgewogen. Verwaltungsbezirke enthalten. sondern eröffneten Manövrier- an Gewicht. Freilich sind die Zeichen des „Strukturwandels“ unverkennbar, wie abneh- räume für vielfältige Landwirtschafts- mende Betriebszahlen und zunehmende Betriebsgrößen zeigen. Doch der „Struktur- stile – auch für bäuerliche. wandel“ im 20. Jahrhundert bewirkte weder hier noch dort eine grundlegende Umwälzung der Grundbesitzverteilung. Alles in allem führten Europäisierung und Gmünd Waidhofen an der Thaya Tulln Korneuburg Globalisierung auch in Niederösterreich nicht zum flächendeckenden „Bauern- 2.114 1.389 4.640 4.967 sterben“, sondern eröffneten Manövrierräume für vielfältige Landwirtschaftsstile – auch für bäuerliche. Die stückweise Privatisierung der Verstaatlichten Industrie und die Ver- Horn Hollabrunn Mistelbach schiebung von der Ausgleichs- zur Wettbewerbsförderung verstärkte die Internatio- 2.123 2.654 nalisierung der niederösterreichischen Industrie, aber auch von Teilen des Gewerbes. 4.540 „Hongkong oder Taiwan lagen nun plötzlich vor der Haustür“, so der Manager eines internationalen Elektrotechnikkonzerns im Waldviertel. Geschulte Arbeitskräfte und ein steiles Lohn- und Preisgefälle jenseits der Grenze trieben die Unternehmens- strategien an. Nicht nur multinationale Konzerne, sondern auch größere Gewerbebe- triebe verlagerten Teile der Fertigung ins Ausland – so etwa die Firmen Respo aus Weitra und Groß Gerungs, Ergee aus Schrems und Zwettl, Stummer aus Heidenreich- stein, Eybl aus Krems und Groß-Siegharts sowie Steilmann aus Horn und Dietmanns ins benachbarte Tschechien. Der Verlust an Arbeitsplätzen im niederösterreichischen Billiglohnsegment wurde durch neu geschaffene Arbeitsplätze in innovations- und wertschöpfungsintensiven Sektoren teilweise ausgeglichen. Diese forderten jedoch meist hochqualifizierte Arbeitskräfte und ließen sich nur selten in den von Schließungen betroffenen Regionen nieder; folglich verstärkte die Standort- Zwettl verlagerung über die Grenze die regionalen Unterschiede im Land. 2.513

In Textil-, Bekleidungs- und Drehscheibe zwischen West und Ost Krems 5.061 Lederindustrie kommen Die Horizonte der Konzernstrategen reichten weit über Österreichs Nach- Gänserndorf schätzungsweise auf einen barstaaten hinaus. Die Konsumgüterindustrie erweiterte ihren Aktionsradius von 5.375 Arbeitsplatz in Nieder- Osteuropa bis Ostasien, wo niederösterreichische Unternehmen auf eigene Rechnung österreich fünf Arbeitsplätze oder durch Vergabe von Lohnveredelungsaufträgen engagiert sind. In Textil-, Be- in ausländischen Ablegern kleidungs- und Lederindustrie kommen schätzungsweise auf einen Arbeitsplatz in Wien Umgebung 9.111 des jeweiligen Unternehmens. Niederösterreich fünf Arbeitsplätze in ausländischen Ablegern des jeweiligen Wien Unternehmens. Der Horizont niederösterreichischer Energiekonzerne reicht über Kapitalbeteiligungen, Erkundungs- und Förderungsaktivitäten, Transiteinrichtungen und Lieferverträgen bis nach Norwegen, Rumänien, Russland und die Ukraine. Mödling Die Drehscheibenfunktion Wiens und Niederösterreichs zwischen west- und osteuro- 10.092 päischen Wirtschaftsräumen spielte bei den Standortentscheidungen internationaler Bruck an der Leitha Konzerne, etwa hinsichtlich der Errichtung von Konzernzentralen, eine Rolle. Der 2.616 (außer-)europäische Aktionshorizont der niederösterreichischen Industrie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur ein Teil der Unternehmen eine wertschöpfungs- Baden 9.232 generierende Rolle im globalen Wettbewerb zu spielen vermochte; andere blieben auf regionale Märkte beschränkt, wurden zu Zuliefersatelliten von Weltkonzernen – oder fielen der Schließung zum Opfer. Die aufsehenerregende, von hektischen Rettungsversuchen der Politik begleitete Verlagerung der Reifenproduktion von Wiener Neustadt Traiskirchen nach Tschechien, in die Slowakei und nach Rumänien in mehreren 8.236 Tranchen von 1996 bis zur endgültigen Schließung 2002 stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Der Reifenmulti Continental, der Semperit 1985 von der damals noch Amstetten Melk verstaatlichten Creditanstalt erworben hatte, handelte schlicht im Rahmen der 7.290 4.528 globalisierten Profitlogik – jener Logik, auf die sich die Regionalpolitik mit ihrer wettbewerbsorientierten Standortförderung bereits seit Mitte der 1980er-Jahre Scheibbs St. Pölten eingestellt hatte. 2.440 9.529 Das Wechselspiel von Globalisierung und Regionalisierung kennzeichnete nicht nur Agrar- und Industriebereich, sondern auch den Tourismus. „Themenpark“ lautet das touristische Zauberwort seit den 1990er-Jahren. Nicht herausragende Sehenswürdigkeiten standen im Mittelpunkt, sondern ein Leitthema prägte das regio- Scheibbs Neunkirchen nale Image und verknüpfte einzelne Standorte zu einer „Kulturregion“. Die Notwen- 2.440 5.075 digkeit der Besucher/innen, sich in diesem Netzwerk zu bewegen, entsprach der wachsenden Erlebnisorientierung. Das Land Niederösterreich konzentrierte sich auf Sparte drei Großprojekte: Der Archäologiepark, heute: „Römerstadt Carnuntum“, inszeniert ■ Gewerbe und Handwerk ■ Industrie seit 1985 anhand antiker Baureste zwischen Petronell und Bad Deutsch-Altenburg ■ Handel das zivile und militärische Leben zur Römerzeit. Die Niederösterreichische Eisenstraße ■ Bank und Versicherung führt seit 1990 die historische Eisenverarbeitung zwischen Waidhofen/Ybbs, Ybbsitz, ■ Transport und Verkehr ■ Tourismus und Freizeitwirtschaft Gresten und Scheibbs vor Augen. Der Kulturpark Kamptal mit Eingangstoren in ■ Information und Consulting

436 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 437 Die ersten Planungen für das Kraftwerk Ybbs-Persenbeug begannen in der Zwischenkriegszeit. Neben der Energie- produktion sollte damit auch für die Schifffahrt der Wasserspiegel angehoben werden. Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich übernahm die Rhein- Main-Donau AG das Projekt mit dem Ziel, das Kraftwerk in Betrieb zu nehmen. 1938 setzten vorbereitende Bauarbeiten ein, die 1943 – nach grundlegenden Umplanungen – eingestellt wurden. 1954 begann nach der Umplanung auf Kaplan-Turbinen die Österreichische Donaukraftwerke AG mit dem Bau. Bereits 1959 erfolgte die Eröffnung des ersten Donau-Wasserkraftwerks – es wurde zum Symbol des österreichischen Wiederaufbaus nach dem Krieg.

438 1961, nicht lange nach dem Abzug Eggenburg, Horn und Langenlois vermittelt seit 1992 Erd-, Ur- und Frühgeschichte. Die aus der Vergangenheit ohne erkennbare Erfolge der Gegensteuerung. Zwar konnte das Land in den vergan- der Sowjettruppen und dem Ein- Frühe Gründungen von Themenstraßen und -wegen waren auch die Industriestraße fortwirkende Pfadabhängigkeit genen beiden Jahrzehnten seinen Rückstand zum Österreich-Durchschnitt, gemessen setzen des Wirtschaftsaufschwungs, NÖ-Süd (1989), die Waldviertler Textilstraße (1990) und der grenzüberschreitende der niederösterreichischen am Pro-Kopf-Einkommen, etwas verringern; doch das änderte nichts am bundes- lag das Bruttoregionalprodukt Industrie-Kultur-Pfad Mühlviertel – Waldviertel – Südböhmen (1995). Im Zuge Wirtschaftsentwicklung stellt weiten Ranking. Der Blick auf das gesamte 20. Jahrhundert zeigt aber auch, dass deutlich unter dem Österreich- dieser Aktivitäten erweiterte sich das Spektrum ausstellungs- und museumswürdiger eine nicht geringe Herausforde- Niederösterreich nicht erst in der Globalisierungsära ins Hintertreffen geriet; bereits Durchschnitt auf dem viertletzten Artefakte auf Ensembles des agrarischen, gewerblichen und industriellen Alltagslebens rung für die Regionalpolitik der chaotische Zerfall Österreich-Ungarns, die desaströse Weltwirtschaftskrise, der Rang. Bis 1975, nach dem Ende vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte (siehe den Beitrag von Gerhard Stadler). der Zukunft dar. nationalsozialistische Rüstungsboom und die lähmende Sowjetbesatzung hatten die des „Wirtschaftswunders“ und dem Die Musealisierung der Agrar- und Industriekultur ist wohl eines der stärksten Gewichte in Österreich von Ost nach West verschoben. Gleichzeitig war das Land Beginn der Wirtschaftskrise, populärkulturellen Zeichen für den Gestaltwandel Niederösterreichs zu einer post- zwischen Enns und March durch enorme, tendenziell wachsende Entwicklungsunter- änderte sich daran wenig – von einer agrarischen und -industriellen Erlebnisgesellschaft. schiede seiner Regionen geprägt. Die aus der Vergangenheit fortwirkende Pfadab- „Aufholjagd“ konnte keine Rede sein. hängigkeit der niederösterreichischen Wirtschaftsentwicklung stellt eine nicht geringe Der scharfe Wind der Globalisierung Herausforderung für die Regionalpolitik der Zukunft dar. Wie hat sich Niederösterreichs Wirtschaft seit der Verschärfung des globalen Wettbewerbs in den 1970er-Jahren im österreichweiten Vergleich behauptet? Nehmen Die „Risiko-Gesellschaft“ wir das Primäreinkommen pro Kopf als Maßstab, macht Niederösterreich im Bundes- Niederösterreichs Bevölkerung wächst seit den 1980er-Jahren, und zwar ländervergleich eine gute Figur: Gegenwärtig rangiert es, vor allem wegen der in rascher als im Österreich-Schnitt: Die jährliche Wachstumsrate zwischen 1991 und Wien berufstätigen Landesbewohner/innen, hinter Vorarlberg und Salzburg an dritter 2001 betrug 0,5 Prozent im Vergleich zu bundesweit 0,3 Prozent. Die aufgrund Stelle. Das Bild trübt sich jedoch, wenn wir das für einen längeren Zeitraum fassbare des anhaltenden Geburtenrückgangs negativen Geburtenbilanzen wurden durch die Bruttoregionalprodukt, den Wert aller vermarkteten Waren und Dienstleistungen, positiven Wanderungsbilanzen mehr als aufgewogen. Nach dem Fall des „Eisernen pro Kopf betrachten. 1961, nicht lange nach dem Abzug der Sowjettruppen und dem Vorhangs“ nahm der Zuzug aus dem Ausland zu, teils durch Familienzusammenführun- Einsetzen des Wirtschaftsaufschwungs, lag Niederösterreich deutlich unter dem gen der „Gastarbeiter/innen“, teils durch Flucht vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien Österreich-Durchschnitt und belegte vor der Steiermark, Kärnten und dem Burgenland und vor anderen Krisenherden dieser Welt. Die Fluchtbewegung aus dem Bürgerkrieg den viertletzten Rang. Bis 1975, nach dem Ende des „Wirtschaftswunders“ und dem in Syrien in die EU seit 2015 betrifft (Nieder-)Österreich vorwiegend als Durchzugs- Beginn der Wirtschaftskrise, änderte sich daran wenig. Bereits 1989, nach dem land, schlägt sich aber auch in steigenden Zahlen von Asylsuchenden nieder. Der Scheitern des regionalpolitischen Krisenmanagements und der Verschärfung des EU-Beitritt 1995 und die EU-Osterweiterung 2004 verstärkten den Zuzug aus den alten internationalen Standortwettbewerbs, war das Pro-Kopf-Bruttoregionalprodukt und neuen EU-Staaten, von dem vor allem das Wiener Umland zahlenmäßig profitierte. im Vergleich zu Gesamtösterreich im Sinken begriffen – im Widerspruch zur veröffent- Rechtspopulistische Bewegungen suchten immer wieder mittels Anti-Ausländer- lichten Meinung, die das Land nach der „Ostöffnung“ auf der Überholspur wähnte. Kampagnen aus der – teils ökonomisch, teils ideologisch getriebenen – Fremdenangst Seit dem EU-Beitritt 1995 rangiert Niederösterreich, trotz leichten Aufholens in den der inländischen Bevölkerung politisches Kapital zu schlagen. Trotz der Benachteili- 2000er-Jahren, an vorletzter Stelle aller Bundesländer; zudem wird der Abstand gung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt integrierten sich ausländische Familien in zum Letztplatzierten, dem von EU-Förderungen überdurchschnittlich profitierenden erstaunlichem Maß in die Aufnahmegesellschaft. Neben der Auslands- spielte auch Burgenland, immer kleiner. Diesen Zahlen zufolge wehte dem Wirtschaftsstandort die Inlandsmigration eine wichtige Rolle: Die Suburbanisierung rund um Wien hielt an, Niederösterreich mit seinem Erbe an „alten“, großteils in Staatseigentum befindlichen verlagerte sich aber vom südlichen Niederösterreich in die verkehrsgünstig gelegenen Industrien seit den 1970er-Jahren der scharfe Wind der Globalisierung entgegen, Teile des Wein- und Waldviertels. Die niederösterreichische Alterspyramide bietet

Wachstumspol Niederösterreich Im Hinblick auf die Anzahl der neu gegründeten einander sowie mit Ausbildungs- und Forschungsein- Unternehmen führt Niederösterreich im Jahr 2015 richtungen. Die Cluster und Technopole sind in ver- Christian Helmenstein im mehrjährigen Vergleich erstmals das Feld im schiedenen Teilräumen des Bundeslandes angesiedelt, Bundesländervergleich an, gefolgt von Wien und der was zu einer multipolaren wirtschaftlichen Entwicklung Die niederösterreichische Wirtschaftsleistung über- statistisch bedingt und auf die Auspendlerströme Steiermark. Niederösterreichs beiträgt. Eine solche ist in mehrfacher schritt, gemessen am sogenannten Bruttoregionalpro- nach Wien, zum Teil auch nach Oberösterreich, zurück- Flankiert durch verschiedene handelspolitische Hinsicht vorteilhaft, sorgt sie doch für eine gleich- dukt, 2013 erstmals die Marke von 50 Milliarden Euro zuführen, da die Leistung der Auspendler an ihrem Maßnahmen hat die niederösterreichische Wirtschaft mäßigere Verteilung von Einkommenschancen sowie pro Kalenderjahr. Wäre Niederösterreich ein eigener Arbeitsort und damit in den benachbarten Bundes- ihre Exportaktivität im Zeitraum von 2010 bis 2014 kürzere durchschnittliche Pendeldistanzen, welche Staat, nähme das Bundesland Rang 70 unter allen ländern erfasst wird. Hingegen wird das verfügbare weiter ausgebaut. Rund drei Viertel der niederösterrei- die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern Volkswirtschaften weltweit ein. Innerhalb der Euro- Einkommen der privaten Haushalte nach Maßgabe des chischen Gesamtexporte waren im Jahr 2014 für die und der Umwelt zugutekommen. päischen Union läge Niederösterreich für sich allein Wohnortes zugeordnet. Bei dieser Kennzahl erreicht EU-Staaten bestimmt, wobei hiervon der größte Teil an Insgesamt scheint es Niederösterreich zu gelingen, betrachtet auf Rang 19. Damit übersteigt die Wirt- Niederösterreich inzwischen die zweithöchste Position Deutschland (29,4 Prozent), Tschechien (5,6 Prozent), den Pfad des nachhaltigen wissensorientierten Struktur- schaftskraft von Niederösterreich nicht nur die von gleich hinter Vorarlberg und vor Salzburg. Italien (5,5 Prozent) und Ungarn (5,1 Prozent) floss. wandels einzuschlagen und durchzuhalten, obwohl Luxemburg oder Slowenien, sondern sogar jene Auf dem Arbeitsmarkt vermag sich Niederöster- Auf dem fünften Rang lag mit der Schweiz (4,7 Prozent) dieser teilweise erhebliche Wirkungsverzögerungen auf- von Kroatien oder Uruguay. reich der bundesweiten Entwicklung nicht zu ent- die erste Exportdestination außerhalb der EU, gefolgt weist. Dafür wird dem Bundesland internationale Aufschlussreich ist auch ein längerfristiger ziehen. Auch hierzulande steigt die Arbeitslosigkeit von den USA (4,1 Prozent). Im Vergleich zu letzterer Anerkennung zuteil, etwa durch den Europäischen Aus- Vergleich der Wirtschaftsleistung Niederösterreichs trotz wachsender Beschäftigung an. Selbst ein kräftiger Destination erreicht China (2,0 Prozent) exportseitig schuss der Regionen, der jüngst Niederösterreich im Zeitablauf. Sein Anteil an der gesamtwirtschaft- Beschäftigungszuwachs von fast einem Prozent gegen- rund die Hälfte des Gewichts. neben zwei weiteren von insgesamt 280 EU-Regionen lichen Leistung in Österreich beträgt derzeit rund über dem Vorjahr in Niederösterreich reicht nicht Niederösterreich hat seit dem Beitritt Österreichs zur „Europäischen Unternehmerregion 2017“ gekürt hat. 15,7 Prozent. Absolut gesehen haben im Jahr 2013 aus, um das wachsende Arbeitskräfteangebot vollstän- zur Europäischen Union einen bemerkenswerten Die „Niederösterreichische Wirtschaftsstrategie lediglich die Bundesländer Wien und Oberösterreich dig zu absorbieren. Allerdings hat die Beschäftigungs- Transformationsprozess von einem urproduktionsnahen 2020“ lässt auch für die kommenden Jahre fortgesetzte ein höheres Bruttoregionalprodukt erzielt. zunahme dazu beigetragen, dass Niederösterreich Bundesland zu einem Hightech-Standort durchlaufen. Wachstumsimpulse für die heimische Wirtschaft Inflationsbereinigt ist die Wirtschaftsleistung des bei der Arbeitslosenquote in der Ostregion noch am Um die regionale Entwicklungsdynamik weiter voranzu- erwarten. So bergen der Auf- und Ausbau des Wissen- Bundeslandes seit dem Beitritt Österreichs zur Euro- besten abschneidet. Deutlich niedrigere Arbeits- treiben, bietet Niederösterreich unterstützende Pro- schaftsstandortes IST Austria in Klosterneuburg, des päischen Union 1995 um knapp 15 Milliarden Euro losenquoten verzeichnen nur die westlichen Bundes- gramme, die Unternehmen vor allem bei wissens- und Forschungs- und Behandlungszentrums MedAustron gewachsen. Beim Bruttoregionalprodukt pro Kopf liegt länder, allen voran Salzburg und Oberösterreich. technologieintensiven Vorhaben fördern. Darüber in Wiener Neustadt und des jüngsten Technopol- Niederösterreich derzeit jedoch lediglich an achter hinaus unterstützen Cluster und Technopole Unterneh- standortes in Wieselburg erhebliche wirtschaftliche Stelle der Bundesländer. Dieses Ergebnis ist weitgehend men in Niederösterreich bei der Kooperation unter- und technologische Potenziale.

440 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 441 ein anschauliches Abbild der vergangenen Bevölkerungsentwicklung: Die Geburten- Niederösterreich ist durch eine Ausländer/innen als „Kriminelle“. Andererseits wurde auch das standardisierte Lebens- defizite seit den 1970er-Jahren schlugen sich 2011 in einer sich nach unten ver- Gemengelage von internationalen lauf-Modell in der Mitte der Gesellschaft brüchig: Lang andauernde 40-Stunden- schmälernden Basis nieder. Ein Vergleich mit früheren Konstellationen führt die Moden und regionalen Esssitten Beschäftigungen – vorzugsweise von Männern – werden seltener; Teilzeitarbeit, Ein- gegenwärtige Sonderstellung vor Augen: 1971 sorgte die Baby-Boom-Generation der charakterisiert. Der Grundsatz Personen-Unternehmen („Ich-AGs“) und andere prekäre Beschäftigungen in raschem „langen 1960er-Jahre“ für eine verbreiterte Basis. 1951 stachen die Männerdefizite „gut essen, gut trinken“ genießt Wechsel – vorzugsweise von Frauen – nehmen zu. Nicht nur im Arbeits-, sondern durch die im Zweiten Weltkrieg Gefallenen ins Auge. 1934 hatte der Geburtenausfall hier unter allen Bundesländern auch im Familienleben brechen starre Muster auf: Die verbürgerlichte Eltern-Kinder- im Ersten Weltkrieg tiefe Kerben in die Frauen- und Männerseite gebohrt. 1869 die höchste Wertigkeit. Kernfamilie tendiert angesichts steigender Scheidungsraten – in Niederösterreich und 1900 signalisierte die Dreiecksform eine Gesellschaft mit hoher Fertilität bei noch von 33 (1991) auf 47 Prozent (2011) aller Eheschließungen – in Richtung „Lebensab- erheblicher Sterblichkeit. Spätestens in den 1980er-Jahren wurde offensichtlich, schnittspartnerschaft“; getrennte Elternteile mit oder ohne Kinder vereinigen sich dass das „goldene Zeitalter“ nicht die Regel, sondern eine Ausnahme darstellte. Dem wiederum zu „Patchwork-Familien“, die in Niederösterreich 2011 etwa ein Zehntel aller Wohlfahrtsstaat, der die 1973 einsetzende Wirtschaftskrise noch mittels Konjunktur- Paare mit Kindern ausmachten. Die durchgreifende Flexibilisierung der Gesellschaft belebungsprogrammen durchzutauchen trachtete, ging im Sog des globalisierten schafft Freiräume gegenüber den Kollektiven von Betrieb und Familie; sie zwingt aber Neoliberalismus nach und nach die Luft aus. Wirtschaftliche und militärische Krisen, auch das Individuum, selbst ein gelungenes Arbeits- und Familienleben aufzubauen – die seit den 1950er-Jahren als überwunden galten, kehrten an Österreichs Außengren- und macht es für das Misslingen dieses „Projekts“ persönlich verantwortlich. Manche zen oder im Land selbst wieder. Auch Niederösterreich geriet im Gefolge der interna- postulieren angesichts dieses Individualisierungsschubs eine „Risikogesellschaft“ tionalen Stahlkrise in die österreichweiten Turbulenzen auf dem Arbeitsmarkt; die (Ulrich Beck) jenseits von Stand, Klasse oder Schicht; andere begreifen das „Prekariat“ bezirksweisen Arbeitslosenquoten kletterten von 2,0 bis 4,3 Prozent (1980) auf 4,5 bis als Klasse der „neuen Armut“ gegenüber den Privilegierten der „Zweidrittelgesell- 7,3 Prozent (1995). In der Gesellschaft begannen sich Spaltungstendenzen abzu- schaft“. Zumindest eines ist klar abzusehen: Die Gesellschaft ist unübersichtlicher zeichnen: Einerseits gerieten gesellschaftliche Randgruppen zunehmend unter Aus- geworden, auch in Niederösterreich. grenzungsdruck – Arbeitslose als „Sozialschmarotzer“, Obdachlose als „Asoziale“, Fast Food, Slow Food Dass die Flexibilisierung der Gesellschaft nicht geradlinig, sondern in viel- fältiger Weise gebrochen verläuft, zeigen unter anderem Niederösterreichs Ess- kulturen. Einerseits setzt sich der Trend zu industrialisierten Nahrungsketten mit langen Transportwegen fort. Dabei eignet sich die Ernährungsindustrie immer mehr Verarbeitungsschritte an; die Erzeuger von Lebensmitteln werden zu bloßen Rohstoffproduzenten, die Verbraucher/innen zu Convenience- und Fast-Food- Konsument/innen im und außer Haus. Andererseits gewinnen als Neben- und Gegen- bewegung biologische und kurze Nahrungsketten – „vom Acker auf den Teller“ – an Bedeutung; sie versprechen „Natürlichkeit“ und „Regionalität“ als Mehrwert jenseits des Nährwerts. Männer besuchen exotische Kochkurse und zelebrieren ihr Können bei Grillpartys; die alltägliche Essensversorgung liegt dagegen noch immer weitgehend in weiblichen Händen. Neben die familiäre Tischgemeinschaft tritt das zwischendurch in Minutenschnelle aufgewärmte Tiefkühlgericht oder der hastig im Vorbeigehen verspeiste Snack. Diese etwas überspitzten Beispiele zeigen: Die Flexibilisierung der Gesellschaft schlägt sich auch auf den Magen. Doch ist gerade Niederösterreich durch eine Gemengelage von globalen und internationalen Moden sowie nationalen und regionalen Esssitten charakterisiert. Einer österreichweiten Ernährungsstudie von 1996 zufolge genießt der Grundsatz „gut essen, gut trinken“ hier unter allen Bundesländern die höchste Wertigkeit. „Gut“ heißt: zu fixen Zeiten, zu Hause, gemeinsam mit Familie und Freunden, in ausreichender Menge, in bodenstän- diger Zusammensetzung. Diese Erkenntnis schafft ein positives Gegengewicht zum Kulturpessimismus: „Das niederösterreichische Lebensprinzip des ‚Gut Essens‘ dürfte für viele gesellschaftliche Trends ein starker Gegner sein.“ (Karl-Michael Brunner) Gegenwärtige Ernährungsstile bergen folglich ein zweifaches Potenzial in Bezug auf die gesellschaftliche Flexibilisierung: als deren Bestandteil und als Gegengewicht. Hier wie in vielen anderen Arbeits- und Lebensbereichen gilt: Die Zukunft ist keine von der Vergangenheit ausgehende Einbahnstraße, sondern offen für alternative Wege.

Herstellung von Drohnen, Helikoptern und Fluggeräten bei der Firma Schiebel in Wiener Neustadt.

443 Wirtschaft und Gesellschaft – die wichtigsten Ereignisse

1747 1801 1918 1954 Gründung der „Nadelburg“ Gründung der ersten 1838 „Jännerstreik“ in den 1929 Übernahme des Flughafens zu Lichtenwörth mechanischen Spinnfabrik Eröffnung der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn Industrierevieren Beginn der „Großen Krise“ Wien-Schwechat durch Der Hammerwerksbesitzer Johann An der Wende vom 18. zum 19. Jahr- Die Industrialisierung im Habsburgerreich und schlesischen Kohlereviere erschließt. Im Ersten Weltkrieg wird Niederösterreich, Viele der erfolgversprechenden Lösungs- schließungen häufen sich, Arbeitslosen- Österreich Christian Zug kauft 1747 die Winkelmühle hundert geraten die noch weitgehend erfordert ein leistungsfähiges Eisen- Es folgen 1842 die Südbahn (bis Gloggnitz), vor allem das Industrieviertel, zur Waffen- ansätze der problematischen Umstellung zahlen schnellen in die Höhe. Ver- Der Flughafen Wien-Schwechat, ur- in Lichtenwörth und errichtet mithilfe manuell betriebenen Manufakturen bahnnetz, das Rohstoffe, Fertigwaren und 1858 die Kaiserin-Elisabeth-Westbahn schmiede der Monarchie ausgebaut. in den 1920er-Jahren scheitern in der schärft wird die Situation 1931 durch sprünglich ein Fliegerhorst der deutschen eines Staatskredits eine Nadelfabrik. durch die Mechanisierung von Fertigungs- Personen kostengünstig über weite und 1869 die Kaiser-Franz-Josephs-Bahn. Steigende Kriegsmüdigkeit und sinkende 1929 einsetzenden Weltwirtschafts- die Insolvenz der größten österreichi- Wehrmacht und nach Kriegsende in Nachdem die Anlagen in den Besitz des schritten mehr und mehr unter den Strecken transportiert. Die Stadt Wien Diese Hauptbahnen werden nach und Lebensmittelrationen in den Arbeiter- krise (Great Depression) und der damit schen Bank, der Creditanstalt für britischer Verwaltung, entwickelt Staates übergehen, entsteht neben Konkurrenzdruck der Fabriken. Die erste bildet den zentralen Verkehrsknoten. nach durch Nebenbahnen, etwa 1889 familien, deren Versorgung von der täg- verknüpften Krise der Demokratie, Handel und Gewerbe (CA) mit ihren sich nach der Übernahme durch Öster- der Fabrik auch eine Wohnsiedlung mit dem englischen Stand der Technik und Den Beginn macht 1838 die Kaiser- die Kamptalbahn und 1907 die Maria- lichen Improvisationsfähigkeit der die 1933/34 in die Regierungsdiktatur zahlreichen Industriebeteiligungen reich 1954 zu einem Knoten des inter- eigener Schule und Kirche für die des Wissens entsprechende mechanische Ferdinand-Nordbahn, die die mährischen zellerbahn, ergänzt. Frauen und Kinder abhängt, befeuern des „Ständestaats“ mündet. Betriebs- in Niederösterreich. nationalen Verkehrsnetzes. An der großteils aus Nürnberg und Aachen Spinnfabrik entsteht 1801 in Pottendorf. eine gegen Kriegsende hin anwachsende 1953 gegründeten Betriebsgesellschaft angeworbenen Fachkräfte. Für die Weitere derartige Gründungen im Viertel Protestbewegung. Der „Jännerstreik“ ist auch das Land Niederösterreich durch eine Umfassungsmauer vom Ort unter dem Wienerwald mit Beteiligung 1918 mobilisiert allein in Wien und Nieder- beteiligt. 1957 erhält Österreich mit getrennte Siedlung wird bald die ausländischer Fachleute und Technologi- österreich 280.000 Personen. Die „Opfer- den Austrian Airlines auch eine eigene Bezeichnung „Nadelburg“ gebräuchlich. en führen in agrarischen Randgebieten gemeinschaft“ an der „Heimatfront“ Fluglinie. wie dem Waldviertel zum Niedergang wird immer brüchiger; anstelle von der Handspinnerei und zur Abwanderung Opferbereitschaft verbreitet sich in den in die Industriezentren. Städten das Gefühl, selbst zum Opfer raffgieriger Bauern, „jüdischer“ Schleich- händler und korrupter Beamter zu 1973 werden. „Ölschock“ und Welt- wirtschaftskrise 1848 1886 Die abrupte Drosselung der Erdölzufuhr Aufhebung der Grundherr- Gründung der ersten Raiffei- 1922 aus dem Nahen Osten 1973 offenbart schaft („Bauernbefreiung“) senkasse in Mühldorf bei Spitz Gründung der NEWAG die Störanfälligkeit des Wirtschaftswachs- tums auf Basis fossiler Energieträger. Die im (west-)europäischen Vergleich Nach dem Beschluss des niederösterrei- Nachdem an verschiedenen Orten Nieder- In Österreich werden Tempolimits, ein späte „Bauernbefreiung“, die Auf- chischen Landtags zur Einrichtung von österreichs Wasserkraftwerke entstanden „autofreier Tag“ und „Energieferien“ hebung der Grundherrschaft im Zuge Spar- und Darlehenskassen-Vereinen 1886 sind, schließen sich diese 1922 zur Nieder- in den Schulen (später „Semesterferien“) der 1848er-Revolution, spielt keine wird noch im selben Jahr in Mühldorf österreichischen-Elektrizitätswirtschaft eingeführt. Der folgende Wirtschafts- entscheidende Rolle: Weder verhindert bei Spitz eine Raiffeisenkasse gegründet. AG (NEWAG) zusammen. Die NEWAG 1945 1948 einbruch führt zur Verlagerung von das Fortwirken feudaler Institutionen Dadurch bekommt – nach den durch betreibt Ende der 1920er-Jahre bereits Befreiung European Recovery Program Industriestandorten von Europa und den bis 1848 die Übernahme agrarischer die Sparkassen bedienten städtischen 17 Kraftwerke, besitzt ein Hochspannungs- und Besetzung („Marshall-Plan“) USA nach Asien und Lateinamerika. Neuerungen, noch beschleunigt deren Wirtschaftstreibenden – auch die netz von 2.100 Kilometern Länge und In den alten Industrieländern, so auch 1763 1803 Aufhebung die Agrarentwicklung. bäuerliche Bevölkerung Zugang zum versorgt 860 niederösterreichische Der Zusammenbruch des „Dritten Ein groß angelegtes Hilfsprogramm der in Niederösterreich, werden die Dienst- Gründung des Inbetriebnahme Die Bauernschaft muss kein Land an die Kreditmarkt. Die Betreiber hoffen, Gemeinden mit elektrischem Strom. Reiches“, die kriegsbedingten Zerstörun- USA, European Recovery Program (ERP) leistungen zum vorherrschenden Kolonistendorfes des Wiener Neustädter Grundherren abtreten und vermag auf diese Weise der nach der Liberalisie- gen der Verkehrs- und Betriebsein- oder „Marshall-Plan“, soll ab 1948 auch in Wirtschaftssektor („Tertiärisierung“). sich in den günstigeren Lagen ihrer aus rung des Bodenmarktes 1868 grassieren- richtungen, Arbeitskräfte- und Rohstoff- Österreich den wirtschaftlichen und Die SPÖ-Bundesregierung sucht Theresienfeld Kanals der Grundentlastung resultierenden den Verschuldung, Versteigerung mangel, die Aufteilung Österreichs politischen Wiederaufbau fördern – und die Wirtschaftskrise durch eine offensive Der merkantilistische Staat versucht, Nach langjährigen Planungen und Zahlungsverpflichtungen in der folgenden und Zerschlagung von Bauerngütern in vier Besatzungszonen und die das Land in die kapitalistisch-demokrati- Budgetpolitik zur Ankurbelung der die Produktivkräfte des Landes bestmög- schwierigen Bauphasen – zeitweilig Agrarkonjunktur rasch zu entledigen; Einhalt zu gebieten. Errichtung des „Eisernen Vorhangs“ an sche Hemisphäre eingliedern. Die Nachfrage („Austrokeynesianismus“) lich zu nützen. So wird 1763 unter der werden Gefängnisinsassen zur Arbeit dagegen häufen sich in den ungünstige- der Nord- und Ostgrenze führen 1945 Existenz der USIA führt zur Benachteili- einzudämmen. Leitung von Franz Anton Ritter von Raab eingesetzt – geht 1803 der Wiener ren Gebirgs- und Randlagen die bäuer- zu einer deutlichen Verkleinerung der gung der sowjetischen Besatzungszone bei Wiener Neustadt die aus mehreren Neustädter Schifffahrtskanal in Betrieb. lichen Schulden. Wirtschaftsräume. Zwischen der bereits gegenüber dem Westen Österreichs Häusern bestehende „k. k. Ackerbau- Zweck des Großbauvorhabens ist es, 1903/06 fast aufgelösten reichsdeutschen im Rahmen des ERP. Aufgrund des damit Verwaltung und der noch nicht voll verbundenen Embargos gegen die kolonie Theresienfeld“ gegründet. Auf- den Transport von Kohle, Ziegeln und St. Pölten wird Industriestadt 1989 gabe der – teils aus Tirol stammenden – sonstigem Material nach Wien zu etablierten österreichischen Verwaltung Ostblockstaaten müssen sich Niederöster- Kolonisten ist es, das öde Steinfeld gewährleisten. 52 Schleusen sichern die 1873 Nach Abschluss eines Zollvertrags bildet sich ein chaotisches Vakuum, in reich, das Burgenland und Wien mit Fall des „Eisernen Vorhangs“ fruchtbar zu machen. Trotz wirtschaft- Befahrbarkeit durch Transportschiffe. Wiener Börsenkrach zwischen Deutschland und Österreich- dem die Bewältigung der Alltagsprobleme mageren 19 Prozent der gesamten auf den Schultern der – vielfach männer- in Österreich eingesetzten ERP-Mittel Der Fall des „Eisernen Vorhangs“ 1989, licher und rechtlicher Erleichterungen Durch den Ausbau der Eisenbahn („Gründerkrach“) Ungarn, der die Einfuhr von Industrie- verlassen aber viele Siedler den unwirt- verliert der Kanal bald an Bedeutung. waren erschwert, errichten mehrere losen – Familien ruht. Die Sowjetbesat- zufriedengeben. die Auflösung der Sowjetunion und der lichen Ort bald wieder. Der Wiener Börsenkrach von 1873 deutsche Großbetriebe Zweigwerke 1938 zung übernimmt das „Deutsche Eigentum“ Zerfall des Rats für gegenseitige Wirt- beendet die „Gründerzeit“, eine Phase in der Habsburgermonarchie. Zwei davon „Anschluss“ an das am Firmenbestand und unterstellt schaftshilfe (RGW) bedeuten für (Nieder-) es 1946 der „Verwaltung des sowjetischen Österreich vor allem in politischer vermehrter Banken- und Firmengründun- entstehen in St. Pölten: die Voith-Werke Deutsche Reich gen. Vorausgegangen ist eine von der 1903 und die Glanzstoff-Fabrik 1906. Vermögens in Österreich“ (USIA). Hinsicht eine Zäsur. Ökonomisch gesehen 1774 wirtschaftlichen Wachstumseuphorie In beiden Fällen bemüht sich Bürger- Die Nationalsozialisten stellen die wirkt der bisherige Globalisierungs- Einführung der und der politischen Freizügigkeit meister Wilhelm Voelkl um die Betriebs- niederösterreichische Wirtschaft wettbewerb fort, jedoch mit erhöhter Geschwindigkeit. Die wirtschafts- allgemeinen Schulpflicht genährte Spekulationsblase. Die auf den ansiedlungen. Während die Voith- nach dem „Anschluss“ 1938 voll in den Einbruch der Aktienkurse folgende Werke Turbinen und sonstige Maschinen Dienst der Kriegswirtschaft – durch politische Strategie Österreichs zielt auf Eine der wichtigsten Reformen unter Wirtschaftskrise bewirkt nicht nur viele erzeugen, widmet sich die Glanzstoff- Ausbau und Gründung von Rüstungsbe- einen EU-Beitritt, der 1995 erfolgt. den absolutistischen Herrschern Maria Firmenzusammenbrüche, sondern Fabrik der Kunstfaserherstellung. Beide trieben, die Förderung der Agrarpro- Ausdruck der wettbewerbsorientierten Theresia und Joseph II. ist die Einführung drängt auch die überlebenden Unterneh- Großbetriebe prägen nachhaltig duktion, den Einsatz von ausländischen Standortpolitik ist auch der Beschluss der allgemeinen Schulpflicht 1774. Die men zu Kostensenkungen – einerseits das Bild St. Pöltens als Industriestadt. Zwangsarbeitskräften. Dabei werden der niederösterreichischen Landes- Verbreitung der Lese-, Schreib- und durch arbeitssparende Maschinisierung, auch die Eigentumsverhältnisse zuguns- regierung 1986, Wien den Rücken Rechenfähigkeit dient dem Aufbau eines andererseits durch Verlagerungen an ten von Banken und Großkonzernen zu kehren und St. Pölten zur Landes- bürokratischen Zentralstaats sowie ländliche Billiglohnstandorte. aus dem „Altreich“ umgewälzt. Die hauptstadt aufzuwerten. des für das Wirtschaftswachstum nötigen „Germanisierung“ der Wirtschaft geht „Humankapitals“. Neben den Grund- Hand in Hand mit der „Arisierung“, der schularten – Trivialschule, Hauptschule Enteignung jüdischer Betriebsbesitzer/ und Normalschule – gibt es die Latein- innen. Österreicher sind an der wirt- 2015 schule, die allein den Zugang zu schaftlichen „Neuordnung“ unter höheren Karrieren ermöglicht und mit nationalsozialistischen Vorzeichen Breitbandoffensive einem hohen Schulgeld verbunden ist. führend beteiligt. Land, Telekom und EVN unterzeichnen Pakt zum Breitband-Ausbau. Bis 2030 sollen flächendeckend alle niederöster- reichischen Haushalte und Betriebe mit einem Glasfaser-Internetanschluss ausgestattet sein.

444 Großer Übergang in kleinen Schritten Wirtschaft und Gesellschaft 445 „Im Rauschen Ortrun Veichtlbauer Erich Steiner Gert Dressel deiner Wälder …“ Gerhard Strohmeier Natur und Landschaft

Wachtelkönig | Fischotter | Perlfischerei | Elch | Luchs | Steppenflora | Ziesel | Streber | Alpendohle | Braunbär | Gartenstadt | „Gemüsegrenze“ | Dampfpflug | Spargel | Smonitza | Flugsand | Düngermangel | Kiefer | Minen | Zuckerfabrik | Berliner Rieselfelder | Pferdekopfpumpen | Kohlennot | Holzsucher | Rotbuche | Biosphärenpark | Shoppingmall | Ziegelöfen | Südstadt | Roland Rainer | Massenmotorisierung | Victor Gruen | Mitterndorfer Senke | Nomadenleben | Urlaubsanspruch | Sonntagsausflug | Grüner Tourismus | Distelverein | Golfplatz | Edelweiß | Heimito von Doderer | Serpentine | Skizug | Zweithaus | Teufelsbett |

Ein Rudel Hirschkühe im Wasser in Schönau an der Donau. Was ist Niederösterreich? Eine Annäherung aus naturkundlicher Sicht

Erich Steiner

Niederösterreich liegt im Schnittfeld europäischer Großlandschaften und somit tatsächlich im Zentrum des Kontinents. Heterogene Teilgebiete bilden die variations- reichen niederösterreichischen Landschaften aus, die sich in erdgeschichtlicher, klimatischer und biologischer Hinsicht deutlich voneinander unterscheiden. Als einziges Bundesland beheimatet Niederösterreich mit Donau-Auen und Thayatal gleich zwei Nationalparks, Letzteren als grenzüberschreitendes Projekt mit der Tschechischen Republik. Quer durch das ganze Land, von West nach Ost, zieht der Donaustrom, der von großartigen Landschaften wie Struden- und Nibelungengau, der Wachau sowie unterhalb Wiens von weitläufigen Augebieten begleitet wird. Von Nordwesten her greift das böhmische Massiv vom Waldviertel weit nach Süden über die Donau bis in den Dunkelsteinerwald. Die Tiefländer im Osten mit Tullner-, March- und Steinfeld stellen Vorposten der großen eurasischen Tiefebene dar. An den Hainburger Bergen endet nach 1.200 Kilometern Längserstreckung die Bergkette der Alpen, die mit ihren Ausläufern den südlichen Teil des Bundeslandes bedeckt und sich bis über die Waldgrenze erhebt. Diese Landschafts- und Lebensraumvielfalt schlägt sich in einem entsprechen- den Reichtum an Pflanzen- und Tierarten nieder. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass in Niederösterreich nicht weniger als 82 von 94 der in Österreich insgesamt nachgewiesenen Säugetierarten und 218 von 250 Vogelarten leben (bzw. lebten), wie- Blick über das Donautal, wohl die Fläche des größten Bundeslandes nicht einmal ein Viertel der Gesamtfläche im Vordergrund die Wallfahrtskirche Maria Taferl. Österreichs beträgt. Recht ähnlich liegen die Verhältnisse bei den meisten anderen Dennoch bietet die teilweise nach wie vor strukturreiche, von Grünland domi- Organismengruppen. nierte Kulturlandschaft Lebensraum für Vogelarten, die aus anderen Gebieten längst verschwunden sind. Hier kommen Braunkehlchen und Wiesenpieper ebenso vor Ein detaillierter Blick auf die Tierwelt Niederösterreichs lohnt sich allemal. wie die Wachtel. Mit der Wiesenweihe ist erst vor wenigen Jahren eine lange abwesen- Im Folgenden kann lediglich schlaglichtartig auf einige Arten und Lebensräume de Art als Brutvogel in die Region zurückgekehrt. Lange Zeit waren die zahlreichen Fischteiche ein wahres Paradies für eine Vielzahl verschiedener Wasservogelarten. eingegangen werden, die sich aufgrund spezieller ökologischer Anpassungen, Die Brutbestände von Haubentaucher, Schwarzhalstaucher, Schnatterente, Krickente, faszinierender Verhaltensweisen oder ihrer Beziehung zum Menschen dazu eignen, Reiherente und Tafelente waren von überregionaler Bedeutung. Der vielfache Wechsel zu biologischer Teichwirtschaft verringerte den Nährstoffeintrag in die Teiche und den „Lebensraum“ Niederösterreich in seiner Vielfalt zu repräsentieren. dadurch auch das Nahrungsangebot für Vögel, was letztendlich zu einem Rückgang der Wasservogelbrutbestände führte. Im Bereich des Truppenübungsplatzes Allentsteig, seit 2009 Europaschutz- gebiet, haben sich großflächig Feuchtwiesen und Brachflächen erhalten, auf denen Über erstarrtem Magma – das Hochland des Waldviertels Birkhuhn, Wachtelkönig, Karmingimpel und Raubwürger Lebensraum finden. Der Mit seinen Teichen, Hochmooren, Wiesen, ausgedehnten Wäldern und roman- Wachtelkönig gilt weltweit als bedroht, sein Brutbestand im Waldviertel ist eines der tischen Flusstälern erweckt das Waldviertel einen „naturnahen“ Eindruck wie kaum wichtigsten Vorkommen in Österreich. Ähnliches gilt auch für den Raubwürger, dessen eine andere Landschaft Niederösterreichs. Viele Besucher/innen der Region wähnen österreichischer Brutbestand sich weitgehend auf das Waldviertel konzentriert. sich tatsächlich in unberührter Natur – nicht zuletzt macht ja auch die Tourismus- Verbuschte Feuchtbereiche am Truppenübungsplatz sind Lebensraum für den Karmin- wirtschaft reichlich Gebrauch von diesen Begriffen. Selbstverständlich haben die gimpel, eine Vogelart, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei uns modernen Zeiten aber auch vor dem Waldviertel nicht haltgemacht und die Land- eingewandert ist. Das Brutvorkommen des Birkhuhns ist das einzige außeralpine schaft erfuhr einen dramatischen Wandel: Artenreiche Mischwälder wurden in Vorkommen in Österreich. Seit 2004 brütet auch der Seeadler im Gebiet des Truppen- Fichtenmonokulturen umgewandelt, Moore und Feuchtwiesen trockengelegt, Flüsse übungsplatzes. Der größte europäische Adler galt in Österreich bereits als ausge- und Bäche reguliert und Tausende der die Landschaft prägenden Granitrestlinge storben. Heute leben wieder mehrere Paare im Waldviertel, er brütet aber auch in den zur Gewinnung von Baumaterial oder der besseren Bearbeitung der Felder wegen Donau- und March-Thaya-Auen. Der Gesamtbestand in Niederösterreich ist mittler- ganz einfach gesprengt. weile auf rund 20 Paare angewachsen.

448 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 449 Damhirschkuh mit Kalb Die Oberläufe des Kamps und der Thaya waren lange Zeit die letzten Rückzugsgebiete im Nationalpark Donau-Auen. des Fischotters in Österreich. Wegen seines Pelzes, aber auch wegen seiner vermeintli- Otter in der Nähe von Schrems. chen Fischereischädlichkeit wurde er jahrhundertelang gnadenlos verfolgt. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es gebietsweise zu Bestandszusammen- brüchen. Neben der Verfolgung – er wurde auch als Fastenspeise sehr geschätzt – sorgten Wasserverschmutzung und die Zerstörung der Lebensräume für ein Erlöschen der Otterbestände in weiten Teilen Mitteleuropas. Dabei hatte der Otter noch im vorigen Jahrhundert einen großen Teil der Gewässer Österreichs besiedelt. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte er sich aber lediglich an manchen Gewäs- sern des Wald- und des Mühlviertels halten. In diesen Gebieten liegen auch heute die besten Otterlebensräume Österreichs. Der Otter wurde zu einem Symbol für den Naturschutz und gilt als Weiser für den ökologischen Zustand von Gewässern. Seit etwa Mitte der 1980er-Jahre kam es zu einer starken Zunahme der Bestände im Wald- viertel und von dort ausgehend zur Ausbreitung in andere Regionen. Der Otter ist keineswegs ein ausschließlich auf Fische spezialisierter Beutegreifer, sondern frisst auch Krebse, Frösche, Würmer, Schnecken, Vögel, Mäuse und Ratten. Er jagt bevorzugt jene Tiere, die er am einfachsten erbeuten kann. Besonders leicht wird ihm der Fischfang in dicht besetzten Fischzuchtanlagen gemacht, wo er, was das Nahrungs- angebot anbelangt, geradezu paradiesische Verhältnisse vorfindet. In Gebieten Europäischer Luchs mit intensiver Teichwirtschaft, wie im Waldviertel, kann der Otter Ertragseinbußen im Tierpark Stadt Haag. in der Teichwirtschaft verursachen. Hier wird seit 1984 versucht, die Otterschäden Braunkehlchenweibchen. durch Ausgleichszahlungen und Schadensprävention (Ablenkteiche, Elektrozäune) in Grenzen zu halten. Ein Kleinod der Region ist die Flussperlmuschel. Sie besiedelt die Ober- und Mittelläufe kalk- und nährstoffarmer, sauerstoffreicher und kühler Bäche und Flüsse. In Österreich beschränkt sich ihr Vorkommen auf die geologische Formation des Kristallins, also das Wald- und Mühlviertel sowie deren Ausläufer südlich der Donau (z. B. Sauwald, Dunkelsteinerwald). Die Muschel wird mit rund 15 bis 20 Jahren ge- schlechtsreif und bleibt zeitlebens fortpflanzungsfähig. Die Flussperlmuschel wächst ihr Leben lang – das älteste bekannte Exemplar erreichte ein Alter von 116 Jahren. Erst im 18. Jahrhundert wurde erkannt, dass Perlen nichts anderes sind als in Kugelgestalt umgewandelte Schalen. Auslöser der Bildung von Schalenperlen sind Fremdkörper, die zwischen Mantel und Schale gelangen und von Schalenmaterial überlagert werden. Seit der Mensch von den Perlen weiß, versucht er sich diese anzu- eignen. In Europa lässt sich die systematische Nutzung der Perlmuschel urkundlich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Perlfischerei regelten damals landesherr- schaftliche Verordnungen, deren Zweck es war, die Perlerträge für den Hof sicher- zustellen, während dem Volk die Nutzung bei strengsten Strafen (z. B. Abhacken einer Hand oder gar Hinrichtung) verboten war. Vereidigte Perlfischer wurden bestellt, die für Pflege und Nutzung der Perlgewässer zuständig waren. Zum Öffnen der Schalen entwickelte man besondere Muschelzangen, die es erlaubten, Perlen ohne Wachtelkönig in Völtendorf bei Verletzung der Muschel zu entnehmen. Lange Zeit war die Perlfischerei ein nicht St. Pölten. Das Gelände des unbedeutender Wirtschaftszweig und die Perle ein Symbol der Macht. So stammen die ehemaligen Garnisons-Übungsplatzes ist zum Biotop für gefährdete Arten Perlen der österreichischen Kaiserkrone aus heimischen Gewässern. Obwohl mancher- geworden. orts die Bestände bereits im 19. Jahrhundert durch Perl- und Perlmuttgewinnung stark dezimiert wurden, kam es erst im 20. Jahrhundert zu dramatischen Einbrüchen. Haubentaucher. Wasserbauliche Maßnahmen, Überdüngung der Gewässer und hohe Abwasserbelas- tung führten in vielen Gebieten Europas zum Erlöschen der Flussperlmuschelbestände. Nur in wenigen Landstrichen Mitteleuropas, so auch im Waldviertel, konnte die Flussperlmuschel bis heute überleben. Als sich im Herbst 1990 Berichte über Elchbeobachtungen im Wald- und Mühlviertel häuften, reagierte die österreichische Öffentlichkeit überaus erstaunt. Niemand konnte sich so recht vorstellen, dass dieser mächtige Hirsch durch unsere Wälder streifen sollte. Einerseits war weitgehend unbekannt, dass der Elch bis ins Mittelalter Standwild in Österreich gewesen war, und andererseits hatte man verges- sen, dass auch in den Jahrzehnten davor einzelne Elche nach Österreich eingewandert waren. Ausgehend von polnischen Reservaten waren ab den 1950er-Jahren immer wieder Elche weit nach Mittel- und Westeuropa vorgestoßen, bis 1980 gelangten drei Tiere bis nach Niederösterreich. Schon damals sorgte ihr Auftauchen für erhebli- ches Aufsehen, und die Bevölkerung nahm regen Anteil am Schicksal der einsamen Wanderer. Heute ist der Elch aus unseren Wäldern als Standwild längst verschwunden und tritt hier nur mehr gelegentlich auf. Ins Waldviertel heimgekehrt ist indes der Luchs. Ursprünglich war er in Nie- derösterreich hauptsächlich in den Alpen verbreitet, er kam aber auch im Waldviertel und im Raum Wiener Neustadt vor. Die große Katze mit den langen Haarpinseln an den Ohren und dem stummelförmigen Schwanz ist in Niederösterreich vermutlich

450 „Im Rauschen deiner Wälder …“ 451 in den 1830er-Jahren ausgestorben. Die letzte Meldung stammt aus dem Jahr 1837 Wesentliche Voraussetzungen für sein Vorkommen sind neben günstigen klimatischen aus der Gegend um Weitra im Waldviertel. Danach kam es nur zu vereinzelten Fest- Bedingungen eine geringe Höhe des Pflanzenbewuchses (z. B. durch Beweidung), stellungen umherwandernder Tiere. Die Wiedereinbürgerung in Österreich begann tiefgründiger Boden (zur Anlage der Baue), ein niedriger Grundwasserspiegel und 1977 damit, dass Tiere aus den slowakischen Karpaten in den Gurktaler Alpen im Gebiet fehlende oder seltene Bearbeitung des Bodens. Bis in die 1950er-Jahre kamen Ziesel der Turrach ausgesetzt wurden. Von dort gelangte der Luchs nach Niederösterreich, stellenweise in beträchtlichen Siedlungsdichten vor; wegen möglicher Ernteschäden nachweislich z. B. bis zum Rothwald. Ausgehend von den wachsenden Luchspopu- in Getreidefeldern fanden von den Gemeinden finanzierte und von den Schul- lationen Böhmens und Mährens, die auf ein überaus erfolgreiches Wiedereinbürge- behörden organisierte Bekämpfungsaktionen statt. Die Tiere wurden in Fallen gefan- rungsprojekt im Nationalpark Böhmerwald zurückgehen, wanderten Luchse ab gen oder „ausgetränkt“, Prämien für abgelieferte Schwänze bezahlt. So wurden Ende der 1980er-Jahre in die angrenzenden Wälder des Mühl- und Waldviertels ein. beispielsweise in der Gemeindekanzlei von Atzenbrugg, das heute vollkommen Die böhmisch-bayerisch-österreichische Luchspopulation im Böhmerwald und „zieselfrei“ ist, im Jahr 1926 innerhalb von vier Wochen 500 Zieselschwänze abgeliefert. in den angrenzenden Gebieten erstreckt sich von der Oberpfalz bis in die Wachau In Wolkersdorf erhielt die Schuljugend noch 1950 Prämien für Zieselschwänze. Neben und zählt rund 60 bis 80 selbstständige Tiere. der direkten Verfolgung waren aber vor allem die einschneidenden Veränderungen in der Landschaft hauptverantwortlich für den dramatischen Einbruch der Ziesel- Orient am Alpenrand – das Steppenland im Osten bestände in Niederösterreich in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Die Vorkommen Die pannonische Zone umfasst in Niederösterreich das Wiener Becken, beschränken sich heute einerseits auf regelmäßig gemähte Flächen wie Flughäfen, das Marchfeld, das Weinviertel, das Tullnerfeld, die südexponierten Hänge der Wachau, Kasernen, Golfplätze und Fabrikgelände, wo Ziesel völlig von der Duldung der mensch- den Alpenostrand, den Ostrand des Waldviertels, die Hainburger Berge und die lichen Nutzer/innen abhängig sind, und andererseits auf oft winzige Restflächen Randbereiche des Leithagebirges. Die natürliche Pflanzendecke bestand einst aus ehemals dicht besiedelter Lebensräume, wie z. B. Trockenrasen, Böschungen, Wein- Eichenmischwäldern, an besonders warmen und flachgründigen Standorten auch aus gärten. Vielfach bestehen diese Bestände nur mehr aus wenigen Tieren. Flaumeichen-Buschwald. Über Fels, Sand, stark salzhaltigen Böden und steilen Löss- Obwohl die Größe seines Bestandes stets starken Schwankungen unterworfen kanten – also dort, wo die Bedingungen für Waldbewuchs ungünstig waren – wuchsen war, war das Wildschwein in den tieferen Lagen Österreichs wohl „schon immer“ natürliche Steppenrasen, bei starker Bodenvernässung entstanden Flachmoore. und in den östlichen Landesteilen sogar häufig verbreitet. Wie verschiedene Abschuss- Da der Mensch schon in der Jungsteinzeit begann, das Pannonicum zu entwalden, verordnungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigen, konnte das Tier bereits damals konnten Pflanzenarten aus dem Osten einwandern. Artenreiche Steppenlandschaften zur Plage werden. Zu den ersten Verwaltungshandlungen der jungen Regentin Maria entstanden, die durch großflächige Weidewirtschaft offengehalten wurden. Von Theresia zählte die Ankündigung, die Wildschäden durch die Reduktion der Bestände dieser einstigen Lebensraumvielfalt sind heute nur mehr wenige Reste vorhanden. von Rot- und Schwarzwild zu vermindern. 1770 folgte ein Wildabschusspatent, nach Dadurch ist auch das Vorkommen vieler Pflanzen der Steppenflora, so beispielsweise dem Schwarzwild nur mehr in Tiergärten gehalten und von jedermann erlegt werden des Tartarischen Meerkohls, der Europa-Hornmelde, des Löss-Löwenzahnes, auf wenige durfte. In der Folge kam es praktisch zur Ausrottung des Wildschweins in freier Wild- kleinräumige Standorte beschränkt, die heute größtenteils Naturschutzgebiete sind. bahn. Abgesehen von Gattern existierte im 20. Jahrhundert lediglich im Leithage- Die Ebenen wurden praktisch zur Gänze in Ackerland und Weingärten umgewandelt. birge ein kleiner Wildschweinbestand. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte Landschaftsausräumung, Pestizideinsatz, das Absinken des Grundwasserspiegels das Wildschwein von Norden kommend wieder in Österreich ein. In den vergangenen sowie ein stark eingeschränkter Fruchtwechsel haben zu einer Verarmung von Flora Jahrzehnten erfolgte geradezu eine Explosion des Bestandes. Belief sich die öster- und Fauna geführt. In den vergangenen Jahrzehnten durchgeführte Projekte zur reichische Gesamtstrecke im Jahr 1948 auf 102 Tiere, wurden im Jagdjahr 2014/15 Verbesserung des Lebensraumes (z. B. Flächenstilllegungen, Grünbrachen) können 32.599 Wildschweine erlegt – davon 20.620 in Niederösterreich. die in der Vergangenheit erlittenen Verluste leider nur teilweise ausgleichen. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass viele ehemals weit verbreitete Tierarten Lebensader Donau heute massiv bedroht oder sogar ausgestorben sind. Die Grauammer findet sich nur Ein Blick auf die Karte von Niederösterreich macht deutlich: Niederösterreich mehr in Restbeständen, der früher nicht seltene Schwarzstirnwürger ist seit 1970, ist ein Land der Fließgewässer. Flüsse und Bäche mit einer Gesamtlänge von 28.000 Kilo- der Ortolan seit Anfang der 1990er-Jahre und der Rotkopfwürger spätestens seit den metern durchziehen das Land, während die Anzahl natürlicher stehender Gewässer 1960er-Jahren als Brutvogelart aus Niederösterreich verschwunden. gering ist. Das Gewässernetz der Region ist von der europäischen Hauptwasserscheide Im Weinviertel lebt die letzte niederösterreichische Population der weltweit geprägt, die quer durch das nordwestliche Waldviertel verlaufend die großen Ein- gefährdeten Großtrappe. Der Bestand dieses großen Steppenvogels, der erst im zugsgebiete von Donau und Elbe trennt. Mit einer Wasserführung von 2.000 Kubikme- Zuge großflächiger Waldrodungen nach Mitteleuropa einwandern konnte, ist indes tern pro Sekunde und mehr ist die Donau die ökologische Lebensader der Region. trotz laufender Schutzprojekte stark bedroht. Durch den geringen Bruterfolg – In ihrem niederösterreichischen Abschnitt vollzieht sich in einem raschen Wechsel von Nester und Junge gehen durch landwirtschaftliche Tätigkeit verloren – sind kaum engen Durchbruchstälern und aufgeschütteten Ebenen der Übergang vom unruhigen Bestandszuwächse zu erwarten. Der niederösterreichische Gesamtbestand sank Oberlauf zum Mittellauf bzw. zum Tieflandfluss. Die Donau-Auen, wie wir sie etwa von rund 300 Exemplaren im Jahr 1942 auf gegenwärtig etwa 50 Tiere, deren Brut- im Tullnerfeld und in besonders charakteristischer Ausprägung unterhalb Wiens finden, plätze im Marchfeld und im westlichen Weinviertel liegen. stellen eine der letzten Urlandschaften Österreichs dar. Der Auwald in seinen verschie- Einer der wenigen Brutvögel offener Agrarlandschaften ist das Rebhuhn. denen Ausprägungen (Weichholzau mit verschiedenen Weidenarten, Silber- und Kleinräumig gegliederte Gebiete mit unterschiedlichen Kulturen, begrenzt von insek- Schwarzpappel; Hartholzau mit Esche, Ulme, Stieleiche, Hainbuche und Feldahorn) tenreichen Feldrainen, Hecken, Brachen, Büschen, wie sie einst im Wiener Becken, kann sich aber nur dort optimal entfalten, wo der Strom noch ungehindert Zugang hat im Weinviertel, im Alpenvorland und in den tieferen Lagen des Waldviertels überall und regelmäßig nährstoffreichen Schlamm ablagern kann. Der Wald, die Augewässer, zu finden waren, sind seine Hauptbrutgebiete in Niederösterreich. Die Intensivierung ausgedehnte Röhrichtzonen und Wiesen verschiedenen Feuchtigkeitsgrades bieten der Landwirtschaft führte auch bei dieser Art zur deutlichen Verringerung des einer Vielzahl von Tierarten Lebensraum. Einen besonderen Reiz dieser Landschaft Bestandes. Die Abschusszahlen sprechen eine besonders deutliche Sprache: Wurden stellen die vielfältigen Wasserflächen dar, die vom nur kurzzeitig existierenden Tümpel in Niederösterreich 1968 noch über 75.000 Exemplare erlegt, waren es im Jagdjahr über Altwässer mit offener Verbindung zum Strom bis hin zu tiefen, mit dem Strom 2013/14 nur mehr 340. nur über das Grundwasser in Verbindung stehenden Auseen reichen. Ein weitgehend unbekannter Bewohner des Tieflandes im Osten ist der Die eindrucksvollste Erscheinung des Auwaldes ist der Rothirsch. Seine Ver- Steppeniltis. Seinen typischen Lebensraum bildeten offene, steppenartige Land- breitung beschränkt sich aber nicht auf diesen Lebensraum, vielmehr kommt er schaften, so z. B. die ausgedehnten Hutweiden im Seewinkel, im südlichen Wiener auch im gesamten alpinen Bereich des Bundeslandes, im Wienerwald, im Leithagebirge, Becken und im Marchfeld. Wichtige Nahrungsquelle waren Ziesel und Hamster. in Teilen des Waldviertels sowie in den großen Waldinseln des Weinviertels (z. B. Ernst- Der Steppeniltis legt Erdbauten auf freier Fläche an – nicht selten, indem er brunner Wald, Hochleitenwald) vor. Wegen des guten Äsungsangebotes konnten die Behausungen seiner Beutetiere erweitert. Das Verbreitungsgebiet des oben sich Auhirsche zu besonders mächtigen Exemplaren entwickeln; im 18. Jahrhundert erwähnten Ziesels ist auf den unter pannonischem Klimaeinfluss stehenden wurden Hirsche mit einem Körpergewicht von mehr als 350 Kilogramm erlegt. Bis Nordosten beschränkt und spannt sich in einem Bogen vom östlichen Waldviertel zum Wechsel vom Mittelalter zur Neuzeit war der Rothirsch in Niederösterreich von über das Weinviertel, das Marchfeld, das Tullnerfeld bis ins südliche Wiener Becken. den Alpen bis in die Ebenen flächendeckend verbreitet. Infolge intensiver Bejagung,

452 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 453 u. a. um Wildschäden hintanzuhalten, gingen die Bestände in den folgenden Jahr- Die Bioregionen Niederösterreichs hunderten stark zurück. Auch Maria Theresia sah sich bald nach ihrem Amtsantritt Eine Bioregion wird von typischen Niederösterreich Anteil an folgenden Südlich der Donau hat das Land Anteil Landes dominieren die Kalkalpen mit 1740 veranlasst, eine Reduktion der Rotwildbestände anzuordnen, um die wegen Lebensgemeinschaften besiedelt, deren sechs: Nördlich der Donau am Granit- am bayerisch-österreichischen Alpen- ihren schroffen Felsen und steilen Tälern. der Wildschäden entstandenen Unruhen in der Bevölkerung zu dämpfen. Kriegswirren Zusammensetzung und funktionelle Gneis-Gebiet der Böhmischen Masse, vorland, einem fruchtbaren Hügelland In der Buckligen Welt hat Niederöster- Struktur innerhalb einer Bioregion das dem Waldviertel sein Gepräge gibt, aus jungtertiären Sedimentgesteinen, reich auch einen charakteristischen und vor allem die Revolution 1848 ließen die Bestände weiter schrumpfen. Bis zur mehr Ähnlichkeit aufweist als zwischen und an den östlichen Flach- und Hügel- sowie an den Flysch- und Sandstein- Anteil an den Bergrückenlandschaften Wiederherstellung der jagdlichen Ordnung durch Patente und Verordnungen verschiedenen Bioregionen. Von ins- ländern, wie sie für das Weinviertel, aber Voralpen, die sich bis in den Wienerwald der Zentralalpen. von 1849 bis 1852 war das Rotwild in vielen Gebieten ausgerottet. Die durch gezielte gesamt 15 Bioregionen in Österreich hat auch das Wiener Becken typisch sind. fortsetzen. Den gebirgigen Teil des Hegemaßnahmen unterstützte Erholung der Bestände dauerte in vielen Revieren bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts. Mitte der 1970er-Jahre wurde der österreichische Bestand auf rund 156.000 Stück geschätzt, die Jagdstrecken entwickel- Bayrisch-österreichisches Alpenvorland Granit-Gneis-Gebiet der Böhmischen Masse Östliche Flach- und Hügelländer ten sich von 8.670 Stück im Jahr 1948 auf gegenwärtig rund 51.000 Stück Rotwild. Langsam fließende oder stehende Gewässer mit vegetationsreichen Ufern und einem reichen Angebot an Weichhölzern (Weiden, Pappeln, Hartriegel) sind der Lebensraum des Bibers. Diese Bedingungen findet er in den Auen an der Donau in geradezu idealer Weise verwirklicht. Ursprünglich beschränkte sich sein Vorkommen in (Nieder-)Österreich aber keineswegs auf die Donau. Bis ins 17. Jahrhundert kamen Biber an allen großen Flusssystemen Österreichs vor, wurden aber in den folgenden 150 Jahren bis auf kleine, ebenfalls stark sinkende Bestände an Donau und Salzach ausgerottet. Im Jahr 1869 galten die Bibervorkommen in Österreich als erloschen. Das hoch geschätzte Fell, das Fleisch als Fastenspeise und das für medizinische Zwecke verwendete Sekret der Analdrüse („Bibergeil“ oder „Castoreum“) einerseits, des Bibers Tätigkeit als Landschaftsgestalter und Holznutzer sowie die damit verbundenen Folgen für Land- und Forstwirtschaft andererseits waren die Gründe für seine Verfol- gung. Ab den 1960er-Jahren unternahm man europaweit Wiedereinbürgerungs- versuche. Zwischen 1976 und 1985 wurden in den Donau- und Marchauen 65 Tiere, darunter auch zwölf kanadische Biber, ausgesetzt. Seit damals ist die Zahl der Biber zunächst langsam, bald aber rasch und kontinuierlich angewachsen. Er kommt mittlerweile in den meisten geeigneten Lebensräumen vor. Ist ausreichend Nahrung vorhanden, können Biber sogar regulierte und verbaute Gewässer besiedeln, die sie – wenn man sie nur lässt – innerhalb kurzer Zeit in passende Lebensräume verwan- deln. Einerseits stellt die Rückkehr des Bibers eine wohl einmalige Erfolgsgeschichte dar, andererseits werden damit uralte „Nutzungskonflikte“ akut. Vielerorts fordert man heute vehement die Reduktion des „Schädlings“. Ein wahres Kleinod der Aulandschaft an der Donau ist die Europäische Sumpf- schildkröte. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts noch als Fastenspeise geschätzt und auf Wiener Fischmärkten als Lebendware verkauft, stellt heute die Einengung Wien ihres Lebensraums die größte Bedrohung dar. Die Europäische Sumpfschildkröte steht als vom Aussterben bedrohte Art auf der Roten Liste gefährdeter Tiere Österreichs und ist streng geschützt. Ein verantwortungsbewusster und achtsamer Umgang mit ihr soll dafür sorgen, dass sie auch in Zukunft erhalten bleibt. Ein Artenschutzprogramm im Nationalpark Donau-Auen forciert seit 1997 Schutzmaßnahmen. Bei einem Besuch in der Au beeindrucken neben der durch das üppige Pflan- zenwachstum entstehenden urwaldähnlichen Unzugänglichkeit vor allem die reiche Amphibienfauna und die vielfältige Vogelwelt. In den Auwäldern an Donau und March brütet der Schwarze Milan und sehr selten auch der bussardgroße Sakerfalke. In der Weichholzau finden sich die typischen Nester der Beutelmeise, im Auwald trifft man auch auf den prächtig gefärbten Pirol. Obwohl er auch noch an anderen nicht regulierten Gewässern Niederöster- Bergrückenlandschaft reichs vorkommt, weisen die Landstriche entlang der Tieflandflüsse Donau, March und Flysch Kalkvoralpen und Ausläufer der Zentralalpen Thaya die höchsten Siedlungsdichten des Eisvogels auf. Er legt seine Bruthöhlen in Steilabbrüchen und Uferanrissen an, wie sie nur an Abschnitten mit natürlicher Fließ- gewässerdynamik vorkommen. In großen Schilfflächen brütet die Rohrweihe, der es in den vergangenen Jahren zunehmend gelingt, sich an die Lebensbedingungen im Agrarland anzupassen. Verschiedene Entenarten sind hier ebenso beheimatet wie Taucher, Rallen, Rohrsänger, Schwirle und Reiher. Neben dem in den Augebieten und in ganz Niederösterreich weit verbreiteten, meist in Kolonien lebenden Graureiher hat hier bis Ende der 1980er-Jahre auch der heimlich lebende Nachtreiher gebrütet. Ebenso erloschen ist das Vorkommen der Großen Rohrdommel, während der Bestand der Zwergrohrdommel, die noch im 19. Jahrhundert in den Donau-Auen unterhalb Wiens allgegenwärtig war, auf wenige Paare geschrumpft ist. In einer großen Kolonie bei Marchegg horstet auch der Weißstorch, der sonst nur selten auf Bäumen brütet. Trotz aktuellen Zuwachses seines Bestandes, so z. B. im Waldviertel, gilt „Meister Adebar“ durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die damit in Zusammenhang stehende Zerstörung seiner Nahrungsgebiete als bedroht.

454 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 455 Ein Naturgarten in Eggendorf im südlichen Niederösterreich. Das breite Spektrum verschiedener Gewässertypen ist die Ursache für den außeror- dentlichen Fischartenreichtum in Niederösterreich. Insgesamt wurden hier (mit heute ausgestorbenen Arten) 62 Arten nachgewiesen. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Arten, die in unseren Gewässern eingebürgert wurden, hier also ursprünglich nicht vorkamen. Fischarten, die wir namentlich kennen, sind in erster Linie jene, die uns irgendwann in kulinarischem Zusammenhang untergekommen sind. Was fällt uns aber bei Bezeichnungen wie Aland, Moderlieschen, Quappe, Rapfen, Schneider, Schrätzer, Steingressling, Streber, Strömer, Zingel, Zobel oder Zope im ersten Augenblick ein? Als besonders spektakulärer Vertreter unserer Fischfauna wäre der Huchen, ein Verwandter der Bachforelle und des Lachses, zu erwähnen, der wegen seiner Größe und seines manchmal rötlichen Fleisches auch Donaulachs genannt wird. Noch um die Jahrhundertwende bevölkerte der bis über einen Meter große und an die 50 Kilogramm schwere Fisch die obere Donau und viele ihrer Nebenflüsse. Die intensi- ve Befischung und die Zerstörung seines Lebensraumes durch Gewässerverschmut- zung und -regulierung brachten den einstigen Stolz der Donaufischer an den Rand des Aussterbens. Intensive Bemühungen um Zucht und Renaturierungsmaßnahmen sollen seinen Fortbestand sichern. Aus unseren Gewässern verschwunden sind einige Vertreter aus der Familie der Störe. Diese urtümliche Fischgruppe – Störe weisen ein Knorpelskelett auf und sind daher entfernte Verwandte der Haie und Rochen – nimmt unter den heimischen Fischen in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung ein. Es waren gewaltige Fische, wahre Riesen, die vom Schwarzen Meer aus die Donau aufwärts bis Wien und gele- Rebhuhn im Feld. gentlich sogar bis Passau zogen. Das Kraftwerk am Eisernen Tor bildet heute den Endpunkt dieser Laichwanderungen. Der größte Stör, der Hausen, soll Körperlängen Hirschkuh im Morgengrauen in Schönau an der Donau. von neun Metern, ein Gewicht von bis zu 1.500 Kilogramm und ein Alter von 100 Jahren erreicht haben. Ihre Größe und ihre wirtschaftliche Bedeutung insgesamt – ihre Eier finden als wertvoller Kaviar Verwendung – machten sie zu einem begehrten Objekt der Fischerei. Neben dem Hausen kamen einst auch Glattdick, Waxdick und Sternhausen in der österreichischen Donau vor. Heute lebt hier nur mehr der Sterlet, der ein Gewicht von 16 Kilogramm erreichen kann. Hausen, Waxdick und Sternhausen sind Meeresfische, die zur Laichzeit Flüsse aufwärts wandern, während Sterlet und Glattdick als Süßwasserarten Laichwanderungen innerhalb der Fluss- systeme vornehmen. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Regulierungstätigkeit und die energiewirtschaftliche Nutzung im 20. Jahrhundert besiegelten den endgültigen Niedergang der wandernden Störarten im oberen Donauabschnitt. Im Wiener Raum wurde der letzte Glattdick im Jahr 1936 gefangen.

Hügelland und niederösterreichische Voralpen Niederösterreich wäre ohne die jahrhundertelange Einflussnahme des Menschen fast zur Gänze von Wald bedeckt. Beim Blick von oben, etwa auf einer Satellitenaufnahme, fällt das grüne Band südlich der Donau auf, das sich von Wildschwein in den Donau-Auen. den Ybbstaler Alpen im Westen über Ötscher, Dürrenstein und Hochkar, die Kalkhoch- Europäisches Ziesel. alpen mit Schneeberg und Rax bis hin zur Buckligen Welt, zum Hochwechsel und zum Leithagebirge erstreckt. Die landschaftliche Vielfalt reicht von dicht bewaldeten Bergketten, Tälern unterschiedlichster Ausprägung und markanten Schluchten bis zu Seen, die während der Eiszeit entstanden (Erlaufsee und Lunzer Seen). Dagegen nimmt das eigentliche hochalpine Areal, also die baumfreie Zone, in Niederösterreich nur relativ kleine Flächen ein – auf Rax, Schneeberg, Dürrenstein, Ötscher, Schnee- alpe und Wechsel. Mit den im Hochgebirge herrschenden Umweltbedingungen kommen nur wenige Tierarten zurecht, so z. B. das Murmeltier, das als geradezu typisch für diesen Lebensraum angesehen wird. Dabei gehen die Vorkommen in Niederösterreich (wie auf Rax und Dürrenstein) ausnahmslos auf Aussetzungen zurück. Denn mit zunehmender Bewaldung nach der letzten Eiszeit war der große Nager bei uns ausge- storben. Mit Verbesserung des Klimas verschob sich die Verbreitung zunehmend nach Westen in höhere Gebirgsmassive. Im Zuge dieser Prozesse starb das Murmeltier in Niederösterreich aus. Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine intensivere Nutzung der Bergwelt ein, durch Rodung und Almwirtschaft wurden Gebiete sekundär waldfrei. In solchen Gebieten versuchte man – vielfach erfolgreich –, das Murmeltier heimisch zu machen. Es wurde nicht nur wegen seines Fleisches, sondern auch wegen seines medizinisch vielseitig wirksamen Fettes bejagt. Die vom Murmeltier bewohnten alpinen Matten und die Zwergstrauchheiden in den höchsten Lagen werden auch vom Alpenschneehuhn und vom Wasserpieper bevölkert. Etwas talwärts, in der Krummholz- zone und im Kampfwald, brüten Birkhuhn und Ringdrossel, die steilen Felshänge sind Lebensraum der Alpendohle und der Felsenschwalbe, die erst in den vergangenen Männliche Großtrappe. Jahrzehnten den niederösterreichischen Alpenanteil besiedelt hat.

458 Natur und Landschaft 459 Im Übergangsbereich zwischen Wald und alpiner Fels- und Mattenregion, westlich der Rax, ist die Gämse beheimatet. Im Jahresverlauf kann ihr Vorkommen einem großen Wechsel unterliegen. Wo Fels oder felsdurchsetztes Waldgelände der Gämse entspre- chende Bedingungen bietet, steigt sie auch in tiefe Lagen ab, unternimmt weite Junge Waldohreule in der Umgebung von Wiener Neustadt. Wanderungen und wird auch weitab ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes beobach- tet. Der Steinadler, der seine Horste in unzugänglichen Felsabbrüchen baut, ist in Braunbär im Tierpark Stadt Haag. Österreich im gesamten Alpenraum verbreitet. In Niederösterreich brüten etwa 15 Paare. Ein Steinadlerrevier umfasst rund 100 Quadratkilometer, die Horste werden in 600 bis 1.200 Metern Seehöhe errichtet, oft in steilen, felsdurchsetzten Hängen, seltener auf Bäumen. Die Brutzeit beginnt in der zweiten Märzhälfte, meist werden zwei Eier gelegt. In ähnlichen Lebensräumen brüten auch Wanderfalke, Uhu und Kolkrabe. Dem Kolkraben gelang es in den vergangenen Jahren, auch in Gebiete außerhalb der Alpen vorzudringen. Er ist heute regelmäßig im Kamp- und im Thayatal anzutreffen. Zu den eindrucksvollsten Erscheinungen der niederösterreichischen Fauna zählt zweifellos der Braunbär. Einst über ganz Europa verbreitet, beschränkt sich sein heutiges Vorkommen auf wenige kleine Rückzugsgebiete. Als Gefahr für das Weidevieh oder gar des Menschen, als vermeintlicher Konkurrent um das Jagdwild angesehen und selbst begehrte Jagdbeute, wurde der Bär über Jahrhunderte erbarmungslos verfolgt. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert hatte man ihn in Europa aus weiten Teilen des Flachlandes verdrängt, die unzugänglichen Waldhänge der Gebirge blieben sein letztes Rückzugsgebiet. Mitte des 19. Jahrhunderts war er aus weiten Teilen des Kontinents verschwunden, und mit ihm nicht nur ein wichtiges Glied intakter Lebensgemeinschaften, sondern auch eine Tierart, die in unseren Kultu- ren – von Sagen und Märchen über Ortsnamen und Wappen bis hin zum Stofftier – vielfältige Spuren hinterlassen hat. In Wien wurde am 23. Juni 1788 ein Hofdekret betreffend die Ausrottung von Bär und Wolf erlassen. Die „letzten“ Bären Niederösterreichs wurden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erlegt. Österreich insgesamt war jedoch vermutlich niemals vollständig „bärenfrei“, vor allem aus der Steiermark und Kärnten wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder Bärensichtungen gemeldet. Einzelne Exemplare des slowenischen Bestandes wanderten weit nach Norden. Ein Tier gelangte 1919 bis nach Niederösterreich, überwinterte hier und wurde im Jänner 1920 bei St. Aegyd am Neuwalde erlegt. 1952 setzte die Wanderung einzelner Bären über die Steiermark nach Nieder- österreich und ins Burgenland ein. So wurde z. B. 1966 ein Bär bei Böheimkirchen im Wienerwald gefährtet, und 1972 sollte sich ein dreijähriger männlicher Bär, der „Ötscherbär“, auf die Reise machen, um zwischen niederösterreichischem Dürrenstein und steirischer Kräuterin eine neue Heimat zu finden. Er war aber nicht der einzige Artgenosse, der zu dieser Zeit nach Niederösterreich gelangte. Aus den Karpaten stießen Bären bis ins Wein- und Waldviertel vor und wurden z. B. bei Weitersfeld (1972), Marchegg (1982; führende Bärin mit Jungen), abermals in Marchegg, Eggenburg, Horn, Geras und Pernegg (1986) beobachtet. Ab 1991 gewährte Slowenien dem Braunbären eine ganzjährige Schonzeit, um eine Wiederbesiedlung der Alpen zu ermöglichen. Tatsächlich wanderten vermehrt Bären nach Österreich ein. Gemeinsam mit drei Wildfängen aus Slowenien und Kroa- tien, die im steirisch-niederösterreichischen Grenzgebiet freigelassen wurden, sowie deren Nachwuchs lag der österreichische Gesamtbestand zwischen 1994 und 1997 bei etwa 20 bis 25 Exemplaren. Zeitweise dürften es rund 30 Bären gewesen sein, von denen etwa 15 im niederösterreichisch-steirischen Grenzgebiet lebten. Mittlerweile ist der Braunbär aus Niederösterreich wieder verschwunden, wobei die Ursachen dafür nicht ganz klar sind. Zumindest ein Tier wurde illegalerweise erlegt. Das Präparat, das sich im Landesmuseum Niederösterreich befindet, ist stummer Zeuge für den Umgang des Menschen mit den Großraubtieren der heimischen Fauna. Ähnlich dem Waldviertel weist die Hügellandschaft des Mostviertels mit seinen typischen, von Streuobstwiesen umgebenen Einzelhöfen und eingesprengten Waldparzellen einen zum Teil ursprünglichen Charakter traditionellen Bauernlandes auf. Allerdings haben die Mechanisierung der Landwirtschaft, Bewirtschaftungs- umstellungen, ausufernder Maisanbau sowie Drainage ihre Spuren hinterlassen. Besonders betroffen waren davon die Bestände von Vogelarten wie Steinkauz, Wiede- Europäischer Biber in den hopf, Brachvogel, die massiv im Schwinden begriffen sind. Donau-Auen bei Groß-Enzersdorf. Niederösterreichs Fauna präsentiert sich insgesamt in einer erstaunlichen Europäische Sumpfschildkröte Vielfalt. Das darf jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass gerade in in der Lobau. den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Tierarten verschwunden und viele weitere massiv vom Aussterben bedroht sind.

460 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Marchfeld und Wienerwald – nützliche Landschaften um Wien

Ortrun Veichtlbauer „Für Wien aber bildete das fruchtbare Marchfeld ebenso ein die Approvisionierung förderndes, leicht erreichbares Hinterland wie der nahe fruchtreiche ,Wiener Boden‘ und wie die sonnigen Rebenhänge am Ostrande des Wienerwaldes.“ 1

Frisch gestochener Weißspargel aus dem Marchfeld.

„Aus der Marchfeldebene“. Vorzeichnung von Julius von Blaas (Tiere) und Jakob Emil Schindler (Landschaft) zum „Kronprinzenwerk“, Kohle und Bleistift aquarelliert, 1888. Spargelernte in Enzersfeld, Weinviertel.

Im Mittelalter entwickelte sich städtische Kultur inmitten dörflicher Agrarräume. Die Herkunftsorte der nach Im heutigen Stadtgebiet lebten zu dieser Zeit etwa 1,4 Millionen Menschen. Wiens In der Versorgung waren Städte auf das Umland angewiesen. Auch wenn in einer Wien strömenden Nahrungs- zweite große Stadterweiterung der 1890er-Jahre erfasste die westlichen und südlichen weitgehend globalisierten Welt die wirtschaftliche Abhängigkeit der Stadt von den mittel für Menschen (und Vororte. Mit einer Zukunftsprognose von vier Millionen Einwohner/innen dehnte agrarischen Produktionsflächen der Umgebung bis zu einem gewissen Grad obsolet Tiere) waren über die gesamte sich Wien nach Abschluss der Donauregulierung mit seiner dritten Eingemeindung geworden ist, spielt der direkte Austausch zwischen Stadt und Land bis heute Monarchie verstreut. Der 1904 weit in damals noch großteils unbesiedeltes Gebiet nordöstlich der Donau eine Rolle, wie man etwa an den Beziehungen zwischen Wien und seinem niederöster- Spargel kam auch damals aus aus. Doch wie weit reichten die „Fangarme“ zur Versorgung der Stadt vor dem Ersten reichischen „Hinterland“ sehen kann. Adelheid Gräfin Dohna-Ponińska, die Pionierin dem Marchfeld. Weltkrieg? der städtischen Grüngürtelplanung, betonte bereits 1874 im Zusammenhang „Bis auf 1000 Kilometer Entfernung von Wien läßt sich ein Netz zeichnen von mit Wiens erster gründerzeitlicher Expansion die Naherholungsfunktion stadtnaher Punkten, die alle ihre vegetabilischen Specialitäten dahin senden und sie dort ver- ländlicher Flur; sie sei für die Reproduktion städtischer Arbeitskraft und die „Feier- werthen“,4 skizzierte Nagy die damalige „Gemüsegrenze“ der Stadt. Die Herkunftsorte abendsbedürfnisse“ der „Massen“ unentbehrlich.2 der nach Wien gelieferten Nahrungsmittel für Mensch und Tier waren über die In der Phase der Hochurbanisierung wurden neue Verknüpfungen von Grün- gesamte Monarchie verstreut. Das Acker- und Gartenbaugebiet unmittelbar vor den gürtel und Stadt konzeptuell diskutiert, in der praktischen Umsetzung sollten die Toren der Stadt sicherte deren Versorgung in keiner Weise. Der Spargel kam auch Utopien dieser Zeit zur Dekonstruktion von Stadt und zur Entstehung von Suburbia damals aus dem Marchfeld. Doch mehr als die Hälfte des Getreides wurde zumeist aus im 20. Jahrhundert beitragen. Das Modell einer Gartenstadt von Ebenezer Howard Ungarn eingeführt und dank der Dampfschifffahrt vergleichsweise billig donauauf- war auch im gründerzeitlichen Wien, in dem der systematische Rückgriff auf fossile wärts gebracht. Niederösterreich spielte nur in der Milchversorgung eine besondere Städte waren früher in Energieträger eine enorme Wachstumsdynamik in Gang gesetzt hatte, für viele Rolle. Ab den 1890er-Jahren schlossen sich die Milchbauern im Einzugsbereich der der Versorgung vom Umland ein Vorbild. In diesem Modell sind Stadt und Agrargürtel eng verflochten. Die Land- boomenden Großstadt zu kommerziell erfolgreichen Genossenschaften zusammen5, abhängig. Bis heute noch wirtschaft sollte nicht nur Lebensmittel produzieren, sondern gleichzeitig als Anfang des 20. Jahrhunderts stammten bereits rund 70 Prozent der Wiener Milch spielt der direkte Austausch Senke der Stadt dienen und deren Abfallstoffe zu beiderseitigem Nutzen aufnehmen. von niederösterreichischen Kühen. zwischen Stadt und Land eine Am Ende des 19. Jahrhunderts beschrieb Ludwig von Nagy das Verhältnis Niederösterreich, das erst knapp vor Beginn des Ersten Weltkriegs seine Rolle, wie man etwa an den Wiens zu seinem Hinterland folgendermaßen: „Wien streckt, wie jede große Stadt, strukturellen landwirtschaftlichen Schwächen weitgehend aufholen konnte, erlitt in Beziehungen zwischen Wien ihre Fangarme aus in die fruchtbaren Gefilde des umliegenden Landes, um den den Kriegsjahren einen massiven Rückschlag. Die bebauten Flächen gingen durch und seinem niederöster- gewaltigen Tagesbedarf für ihren ungeheueren Magen an sich zu raffen. Tausende den Abzug menschlicher wie tierischer Arbeitskraft ebenso zurück wie die Erträge.6 reichischen „Hinterland“ und Abertausende sind Tag und Nacht thätig, um den unermeßlichen Bedarf Die wesentliche Energiequelle der landwirtschaftlichen Produktion der Vorkriegszeit sehen kann. an Fleisch und vegetabilischer Nahrung zu decken.“3 waren Zugtiere gewesen, in der Hauptsache Pferde. Ein erheblicher Teil der Pferde

462 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 463 Niederösterreichs Bauern kehrte nicht mehr aus dem Krieg zurück, hinzu kam, dass demobilisierte Pferde aus verdienten trotz Produktions- Futtermangel und Hunger geschlachtet wurden, der Rest war unterernährt und rückgangs gut am Krieg leistungsschwach. Um die Jahrhundertwende hatte es in ganz Niederösterreich erst und der Zeit danach. Bis zum zwei Dampfpflüge gegeben.7 Höhepunkt der Inflation Niederösterreichs Bauernschaft verdiente trotz Produktionsrückgangs gut am war die Landwirtschaft Nieder- Krieg und an der Zeit danach. Bis zum Höhepunkt der Inflation war die Landwirtschaft österreichs durch die steigen- Niederösterreichs durch die steigenden Preise und den zusätzlichen „Rucksackverkehr“ den Preise und den zusätzlichen praktisch schuldenfrei.8 In der Zwischenkriegszeit schob sich Wiens westliche Stadt- „Rucksackverkehr“ praktisch grenze immer weiter in den Wienerwald und verdrängte die Landwirtschaft. Am linken schuldenfrei. Donauufer in Richtung Marchfeld blieb die Stadtentwicklung in einem Zwischensta- dium zwischen „Stadt“ und „Land“ stecken. In der NS-Zeit diskutierte man im Reichs- gau Groß-Wien neue Wege der Begrenzung zum nunmehrigen Niederdonau. In einem Erweiterungsplan des Stadtbauamts wurden neben den Industriegebieten an der Südbahn und im St. Pöltner Raum auch der Wienerwald und das Marchfeld mitein- bezogen.9 Die Agrarstruktur des Marchfelds galt als „Nährfläche“ der Stadt, mit einer auf den Tagesbedarf an Gemüse ausgerichteten Gartenkultur, deren Zukunft in einer Intensivierung und gänzlichen Umstellung auf den Wiener Markt durch Beriese- lung mit Wiener Abwässern gesehen wurde.10 Land- und forstwirtschaftliche Flächen des gesamten Grüngürtels sollten gleichzeitig als städtischer Erholungsraum wie der Versorgung Wiens mit Gemüse, Obst, Wein, Holz, Wasser und Baumaterial dienen.11 Werbeplakat für die Nationalrats- wahl 1920 nach einem Entwurf Marchfeld – Erntefeld von Mihály Biró. „Das Feld, das rings sich breitet, heißet Marchfeld. Ein Schlachtfeld, wie sich leicht kein zweites findet, doch auch ein Erntefeld, Gott sei gedankt!“ 12 Nach dem Ersten Weltkrieg betrug der Ackeranteil an der Gesamtfläche Ballod war offenbar über die bereits seit mehr als einem Jahrhundert diskutierten Niederösterreichs 43,4 Prozent.13 Die niedrigen Erträge und der geringe Anteil Pläne zur Hebung der Landwirtschaft des Marchfelds gut informiert. Die Region an Hackfrüchten wie Kartoffeln oder Zuckerrüben wurden zumeist auf die Trockenheit zählte zu den Ackerbauzonen größter Fruchtbarkeit, fortwährend als Kornkammer der Ebenen an der Donau und die große Rückständigkeit der Wirtschaftsweise mythisiert, von kritischen Zeitgenossen jedoch stets als entwicklungsbedürftig zurückgeführt. Der lettische Agrarökonom Carl Ballod, ein Mitglied der ersten deut- und voller Hemmnisse jedweden Fortschritts beklagt. schen Sozialisierungskommission von 1918, hielt eine österreichische Nahrungseigen- Die eigentliche Marchniederung im Osten der March lag nach dem Ersten produktion bei richtiger Verwendung vorhandener Mittel für realistisch – allein, Weltkrieg nicht mehr auf österreichischem Boden, sodass das heutige Marchfeld ein Niederösterreich „unter [agrarischer] Hochkultur“14 könne vier Millionen Men- eigentlich ein „Donaufeld“ ist. Sein Südteil liegt im Niveau der jüngsten Schotterterras- schen ernähren. Neben der Trockenlegung des Neusiedler Sees empfahl Ballod in se der Wiener Donau (Praterterrasse) und ist hinter der Auenzone mit fruchtbaren einem Vortrag vor Wiener Publikum eine staatliche, „50 Mill. Dollar“ teure Moderni- Schwarzerden (Tschernosemen) über Löss und Silt, im Bereich der Anschwemmungen sierung des Marchfelds: „Vor den Toren liegt das etwa 100.000 Hektar große, zum von Stempfel- und Rußbach, die diesen Raum schräg durchziehen, mit Smonitza, Teil wenig fruchtbare, weil stark sandige Marchfeld, das auch dünn besiedelt ist und einem schwarzerdeähnlichen Auboden, bedeckt. Das nördliche Marchfeld umfasst billigen Grund und Boden hat (…). Wie wäre es, dieses Marchfeld auszukaufen Das Marchfeld zählte zu den Schotterkörper der Gänserndorfer Terrasse, der durch die etwa zehn Meter hohe und es zu einer Brot-, Zucker-, Kartoffelfabrik für die Wiener Bevölkerung auszugestal- den Ackerbauzonen größter Stufe des Kleinen Wagram abgegrenzt ist. Der Nordteil der Gänserndorfer Terrasse ten? Die Wiener Ratsherren haben, als es sich um die Beseitigung der Fäkalien der Fruchtbarkeit, wurde als trägt ebenfalls Tschernoseme auf Löss und entlang des Weidenbachs Smonitza. Wiener Bevölkerung handelte, die ideale Idee gehabt, die städtischen Abwässer (…) Kornkammer mythisiert, von Ein Teil des mittleren Marchfelds ist von Flugsand bedeckt, der in einem breiten in den Donaustrom zu leiten und die Fische zu vergiften, anstatt diese Fäkalien kritischen Zeitgenossen Streifen zwischen Schönfeld und Seyring bis ins 18. Jahrhundert eine große, bewegliche durch eine Rohrleitung unter dem Donaustrom hindurch auf die Sandgebiete des jedoch stets als entwicklungs- Dünenzone bildete. Die durch den Wind vertragenen (äolischen) Sande nahmen Marchfeldes zu leiten und Getreide und Kartoffeln zu produzieren.“ 15 bedürftig beklagt. große Flächen auf der Gänserndorfer Terrasse bis zur Schlosshofer Platte ein, die nicht zum Landbau taugten und damit jahrhundertelang Wissenschaft und Praxis herausforderten. Auf Basis der ökonomischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts kam es zur Formulierung agrarischer Reformprogramme für das Marchfeld, deren Umsetzung allerdings, meist aus Kostengründen, immer wieder stagnierte. Zu den Hauptursa- chen der „geringen Kultur“ des Marchfelds zählte man die jährlichen Überschwem- mungen der nur unzulänglich gebändigten Gewässer sowie die Baumlosigkeit der pannonischen Steppe. Doch auch die Produktionsweise des Bauernstandes, die lokale Erntepraxis mit der Sense, die allzu verschwenderische Dreschweise (das „slawische“ Austreten des Getreides mit Pferden), der Mangel an Futterpflanzen- bau und die großteils fehlende Stallhaltung des Viehs wurden angeprangert. Während die unregulierte Donau sich, dem Oberlauf entsprechend, in viele Flussarme verzweigte (Furkationstyp), war die unverbaute March mit ihrem Unter- laufcharakter von breiten Mäandern geprägt. Beide führten zu regelmäßigen Überschwemmungen. Das Marchfeld stellte in der allgemeinen Wahrnehmung ein „Risikogebiet“ dar, dessen ökonomisches Potenzial stets bedroht schien. Aus ökologi- scher Perspektive war es auf den angeschwemmten Ebenen längs der Donau im Lauf der Geschichte sukzessive zur Beseitigung des Auwaldes und zu einem Ersatz durch Pionierpflanzen (Getreide) gekommen. Diese Veränderung der Vegetation stellt den grundlegenden anthropogenen Eingriff dar, der mit erheblichen Folgen ver- bunden war und bis heute ist. Das Marchfeld gehört mit einem Jahresniederschlag Das Marchfeld spielte in der Versorgung Wiens nach dem Ersten Weltkrieg eine von durchschnittlich etwa 550 Millimetern zu den trockensten österreichischen entscheidende Rolle. Landschaften. Hohe Sommertemperaturen und reichlich Luftbewegung fördern die

464 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 465 Das Marchfeld gehört zu Verdunstung, sodass die Böden stark austrocknen und die Vegetation eine sommer- den trockensten österreichischen liche Trockenruhe einlegt. Deshalb war – und ist – die Kontrolle des Ökofaktors Landschaften. Hohe Sommer- „Wasser“ zentral, sei es in Form der „Bändigung“ der Gewässer, vereinzelter Trocken- temperaturen und reichlich legungen, sei es insbesondere durch die Bewässerung von Ackerflächen. Aufwendige Luftbewegung fördern die Verduns- Eingriffe lohnten sich auch in früheren Jahrhunderten nur, wenn ihnen hohe tung. Die Böden trocknen stark Erträge gegenüberstanden – also bei hoher Produktivität. aus und die Vegetation legt Die erste niederösterreichische Drainage fand um 1857 in Angern an der eine sommerliche Trockenruhe ein. March statt. Vor dem Wasserrechtsgesetz von 1869 und den Gründungen von Wasser- genossenschaften blieben Entwässerungen fast ausschließlich auf den Großgrund- besitz beschränkt. Auf der anderen Seite diskutierte man bereits im 18. Jahrhundert die Möglichkeit einer künstlichen Bewässerung des Marchfelds, dessen Ackerland bis zur Kommassierung in zusammenhängende Flurteile, die sogenannten Gewanne, gegliedert war. Die Aufteilung der Feldstücke unter den Höfen erfolgte in Form schmaler, lang gestreckter Streifen („Hosenträgerparzellen“). Daraus ergab sich die charakteristische Gestalt der Langstreifen- oder Riemenflur. Etwa zwei Drittel der Fläche des Marchfelder Bodens entfielen im 19. Jahrhundert auf Ackerland16, das mit Getreide im Rhythmus des klassischen Dreifeldersystems mit ausgedehnten Brachen bebaut wurde. Der Anbau konzentrierte sich auf Weizen, der nur auf den schlechteren Böden durch Roggen ersetzt wurde. Im Flugsandbereich wurde Buchweizen angebaut, den die Imker des gesamten Wiener Raums alljährlich während der Blüte aufsuchten.17 Gartenkulturen mit Feldgemüsebau gab es vor allem in Wien-nahen Dörfern mit grundwassernahen Ackerflächen. In der Randzone zur wachsenden Stadt entwickelte sich eine Versorgungslandschaft, die sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch Suburbanisierungsprozesse teilweise wieder auflöste. Die Großviehhaltung – bis zu fünf Kühe und vier Pferde pro Hofstelle – beschränkte sich im Wesentlichen auf die Selbstversorgung mit Milch, Fleisch und Zugkraft. Im unteren Marchfeld waren Ochsen als Zugtiere in Gebrauch. Bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche war der Rinderbesitz im Marchfeld der niedrigste im vormodernen Niederösterreich.18 Der daraus resultierende Düngermangel führte zu sinkenden Erträgen und in der Folge zu einem Wertverlust des Ackerlands – „dieß in einer guten Gegend, und so nahe bey Wien“19. Gleichzeitig stieg die Not- wendigkeit intensiverer Bodenbearbeitung und damit die Tendenz zu kleinen, gut kontrollierbaren Fluren. Als der Niederösterreichische Landtag 1871 die Förderung der Landwirtschaft des Marchfelds zu seiner Spezialaufgabe erklärte, kam es zu weiteren Aufforstungen durch die öffentliche Hand. Bis 1913 wurden im Rahmen sogenannter Wohlfahrts- aufforstungen zum Schutz des Marchfelder Bodens vor Erosion etwa 1.328 Hektar mit Kiefern bepflanzt.20 Die Zunahme der Waldflächen im mittleren Marchfeld ist also auf eine Aufforstung ehemaliger Weideflächen im Flugsandbereich zurückzuführen. Offene Sandflächen gab es in der Folge nur mehr kleinräumig. Erst als die meisten landschaftsprägenden Sandgebiete bereits verschwunden waren, richtete man

Überschwemmung des Weidenbachs bei Gänserndorf, Fotografie von Edmund Aigner, 1912.

Blühendes Korianderfeld.

466 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 467 Naturschutzgebiete ein, so im Jahr 1927 am Nordrand der Bucht von Obersiebenbrunn die Weikendorfer Remise, die das ältestes Naturschutzgebiet Niederösterreichs ist. Alle erhaltenen Sandgebiete sind heute Teil des Europaschutzgebiets „Pannonische Sanddünen“ und werden durch spezifische Pflegemaßnahmen in einem bestimmten Zustand konserviert. Auch der Bewässerungsfrage widmete der Niederösterreichische Landtag im ausgehenden 19. Jahrhundert vermehrt Aufmerksamkeit. Im Jahr 1870 arbeitete der Zivilingenieur Otto von Altvater ein Vorprojekt aus.21 Die Cholera und die Wirt- schaftskrise des Jahres 1873, aber auch der Widerstand der Marchfeldbauern, die sich gegen die arbeitsintensive Herrichtung der Felder für die Bewässerung sperrten, machten diesem Kanalprojekt ein Ende. Fünf Jahre später projektierte der Ingenieur Johann Podhagsky ein Bewässerungssystem unter Verwendung der Wiener Abwässer.22 Doch erst im Jahr 1892 trat eine vom Ackerbauministerium einberufene Experten- kommission zusammen, die sich mit der landwirtschaftlichen Verwertung der Wiener Abwässer beschäftigte. Vergleiche mit den Berliner Rieselfeldern wurden angestellt und Exkursionen organisiert, denn Bewässerung, Stadthygiene und landwirtschaftliche Verwertung städtischer Fäkalstoffe waren nicht einfach unter einen Hut zu bringen. In den 1920er-Jahren waren es zunächst Großgrundbesitzer, die auf eigene Kosten Bewässerungsanlagen errichten ließen. Die Wasserbereitstellung für diese Beregnungssysteme erfolgte allerdings aus dem Grundwasser. Die Ebenheit und die tiefgründigen Böden prädestinierten das Marchfeld für eine mechanisierte Arbeitsweise. Die erste Flurbereinigung der Monarchie wurde in einer Marchfelder Gemeinde durchgeführt, nämlich 1889 bis 1891 in Obersiebenbrunn. Bis 1918 war bereits der größte Teil des Marchfelds kommassiert. Es folgte ein sprung- hafter Anstieg des Hackfruchtanbaus, der nun in die Brachfelder vordrang. Mit den Phänomenen des Strukturwandels durch die Flurbereinigung setzte sich die frühe Naturschutzbewegung bereits in den 1920er-Jahren kritisch auseinander: „Nichts zeigt besser als das Beispiel des Marchfeldes bei Wien, wohin einseitige rücksichtslose Wirtschaftspolitik führt. Man hat dort übereifrig kommassiert, Grundstücke zusam- mengelegt und dabei alle Hecken, Raine und Sträucher entfernt. Man hat im weiteren Gefolge auch ebenso rücksichtslos melioriert, alle feuchten Stellen trockengelegt. Das Ergebnis ist eine übermäßig ausgedehnte hemmungslose Kultursteppe mit stellen- weise sehr tief gelegtem Grundwasserstand.“23 Bis heute stößt man in Bezug auf das Marchfeld auf den ideologisch unterleg- ten Begriff der „Versteppung“, wie er von Alwin Seifert – als Teil der globalen Reaktion auf die US-amerikanische Dust Bowl, die großen Sandstürme in der Grassteppe der Great Plains – ab den 1930er-Jahren popularisiert wurde. Als Reichslandschaftsanwalt kritisierte Seifert das „kahlgeschlagene Marchfeld“, in dem die vom Wind verfrachtete Schwarzerde „tischhoch“ von den Straßen geschaufelt werden musste.24 Die während der NS-Zeit zunächst forcierte Modernisierung der Landwirt- schaft ließ sich angesichts des kriegswirtschaftlichen Primats nur teilweise ver- wirklichen. Im Jahr 1939 waren zwar die meisten vollbäuerlichen Betriebe im March- Bewässerung einer Gemüsekultur feld mit Traktoren und Kartoffelrodern ausgestattet, mit Fortdauer des Krieges traten bei Raasdorf im Marchfeld. durch den Mangel an Treib- und Schmierstoffen sowie an Arbeitskräften dennoch erhebliche Produktionsschwierigkeiten auf. Schließlich kam die agrarische Produktion im Jahr 1945 fast völlig zum Erliegen. Der Rückschlag, den Niederösterreichs Land- wirtschaft durch den Zweiten Weltkrieg erleiden musste, war noch schlimmer als jener nach 1918.25 Weite Äcker waren zerfurcht von Panzerspuren, Blindgänger und Minen behinderten die Feldarbeit.26 Abermals waren die Marchfelder Bauern gefordert, die Versorgung Wiens zu sichern. Mit der Industrialisierung des Agrarsystems, die im Marchfeld, wie in vielen Regionen Mitteleuropas, erst nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand, entstand eine neue Form der Landwirtschaft mit hohem technischen Aufwand und Betriebsmit- teleinsatz. Die enge Kopplung von Viehhaltung und Ackerbau löste sich in den 1950er- Jahren endgültig auf, da sie durch den massiven Einsatz von nun auch im Inland erzeugtem Kunstdünger – die Linzer Stickstoffwerke produzierten ab 1952 Ammon- sulfat, ab 1954 Superphosphat – obsolet geworden war. Binnen weniger Jahrzehnte verschwanden Grünland und Vieh (1970 waren nur mehr 30 Prozent der Kühe von Die Ebenheit und die tief- 1952 vorhanden) aus dem Marchfeld, das sich zunehmend auf wenige Betriebszweige gründigen Böden prädestinier- spezialisierte: Weizen, Zuckerrüben, Feldgemüse.27 ten das Marchfeld für eine Das südwestliche Marchfeld, insbesondere die Region um Raasdorf, wurde ab mechanisierte Arbeitsweise. den 1940er-Jahren zum Hinterland von Konserven- und Tiefkühlgemüse-Fabriken. Die erste Flurbereinigung Die Intensivierung des Acker- und Feldgemüsebaus veränderte den Wasserhaushalt. der Monarchie wurde in Der dramatische Abbau des Grundwassers durch den steigenden Wasserverbrauch in Mit Zapfwelle angetriebene Beregnungs- einer Marchfelder Gemeinde der Landwirtschaft erforderte eine neue technische Infrastruktur. In rund 20-jähriger pumpe in den 1950er-Jahren. durchgeführt. Bauzeit errichtete die Planungsgesellschaft Marchfeldkanal ein Kanalsystem aus

468 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 469 Dampfbetriebene Dreschmaschine, um 1900.

Spatenstich für den Marchfeldkanal 1986 in Gerasdorf, v. l. n. r.: Landwirtschaftsminister Erich Schmidt, Bautenminister Heinrich Übleis, Präsidialchef im Bautenministerium Ludwig Schuberth und Niederösterreichs Landeshauptmann Siegfried Ludwig.

mehreren Wasseradern und hydraulischen Nebenanlagen: Seit Beginn der 1990er- Jahre wird Donauwasser oberhalb von Wien entnommen und in ein Kanalnetz geleitet, das sich aus Marchfeld- und Obersiebenbrunner Kanal sowie den adaptierten Ge- wässern Rußbach und Stempfelbach zusammensetzt. Gegenwärtig verzeichnet man zum einen in der Marchfelder Grundwasserbilanz weiterhin ein Unverhältnis von Erneuerung und Nutzung mit einem Defizit von etwa fünf Millionen Kubikmetern pro Jahr28, andererseits wird regional wegen 400 nasser Keller auch wieder an einer Grundwasserabsenkung gearbeitet29. Die Umwandlung des Marchfelds in eine maschinengerechte „totale Land- schaft“30, aus der lokale Formen und Strukturen der Landschaft verschwunden sind, wirft zudem nicht nur Folgeprobleme wie die Verschmutzung des Grundwassers durch Herbizide, Pestizide und Nitrate auf, sondern auch ökologische Probleme des Artenschwunds. Der Ausräumung der Agrarlandschaft fielen beispielsweise auch die Ruhe- und Futterplätze des Feldhasen zum Opfer, der heute zu den bedrohten Arten zählt. Doch nicht nur der landwirtschaftliche Strukturwandel hat die Marchfelder Landschaft maßgeblich verändert. In den 1950er-Jahren ließ die Niederösterreichische Landesregierung einen Raumordnungsplan für das Marchfeld erstellen, der auch die Auswirkungen der Erdölförderung abhandelte, die im Jahr 1914 mit ersten Schür- fungen begonnen worden war. Man befürchtete zukünftige Verschmutzungen der durch die Zuckerfabriken (Hohenau, Dürnkrut, Leopoldsdorf) ohnehin bereits stark geschädigten Gewässer; der zu erwartende Schaden für Fischerei und Vegetation wurde als „nicht abschätzbar“ eingestuft.31 Die Marchfelder Landschaft, die „endlosen Weiten gegen Osten“, in denen die „große Waagrechte der Ebene“ einst den „vom Übermaß des Senkrechten gepeinigten Städter“ beruhigte32, wie es in einer für den auf- keimenden Nationalsozialismus typischen Grenzland-Apotheose heißt, schien ohne die wippenden Pferdekopfpumpen des Erdölzeitalters kaum mehr vorstellbar. Das Die Umwandlung des Marchfelds Nebeneinander agrarischer Flächen mit Bohrtürmen und Pumpen zeichnete der in eine maschinengerechte Sachbuchautor Othmar Franz Lang in seinem historischen Kolportageroman über die Landschaft wirft Folgeprobleme lokale Erdölgewinnung als in Österreich seltenes Bild einer „vergessenen“ Landschaft wie die Verschmutzung des ohne jeden Fremdenverkehr.33 Grundwassers durch Herbizide, Das Marchfeld der Gegenwart liegt zwischen zwei Hauptstädten, den Twin Pestizide und Nitrate auf, Cities Wien und Bratislava, deren Verbindung künftig durch eine neue Schnellstraße aber auch ökologische Probleme verstärkt werden soll. Der spannungsreiche Kontrast zwischen urbaner Dichte des Artenschwunds. und stadtnaher Landwirtschaft muss in Zukunft einen doppelten Bogen schlagen.

Bau des Marchfeldkanals, 1988.

Brücke über den Marchfeldkanal, 2012.

470 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Am Donau-Oder-Kanal, 1962. Die Idee für einen Donau-Oder-Kanal stammt aus dem 19. Jahrhundert. Damals als Konkurrenz zur Nordbahn kritisiert, wurde sie in der Zeit des Nationalsozialismus wieder aufgegriffen. Von der in Österreich geplanten Strecke von Wien bis Angern an der March wurden bis 1940 nur Teile gebaut. Am Groß-Enzersdorfer Teilstück stehen heute Badehäuser. Der abgeholzte Wienerwald „So groß auch die Waldcomplexe, so endlos die hochstämmigen Forste auf den langen Bergrücken dem Wanderer auch erscheinen mögen, so ist denn doch der Wienerwald ein forstlich überall gut cultivirtes, von Wegen und Straßen durch- zogenes Gebiet – ein großer Naturpark, ein wilder Prater für die Wiener (…).“34 Der Wienerwald musste in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder als Objekt für wirtschaftliche Experimente und konkurrierende forstliche Reformideen herhalten, darüber hinaus war er als „Grenzwald“ immer wieder Schauplatz unter- schiedlichster Nutzungskonflikte. Dennoch ist der Wienerwald heute im Vergleich zu anderen der mit Abstand „naturnaheste“ Laubwald Österreichs. Holz war noch im 18. Jahrhundert nahezu die einzige Energiequelle, aber auch wichtiger Werkstoff und Baumaterial. Der 28.000 Hektar große Wienerwald, der ausgehend vom nördlichen Kahlenberg die Stadt halbkreisförmig umschließt, lieferte Brennholz für die Hofburg und die Hofkanzleien, der größte Teil stand jedoch der Bevölkerung zur Verfügung. Im Jahr 1761 stammten rund 30.000 des auf 613.800 Kubik- meter geschätzten Brennholzjahresbedarfs aus dem Wienerwald, der kurz davor, im Jahr 1755, zu einer Staatsdomäne geworden war.35 Auch das holzarme Marchfeld verwendete Stecken, Schindeln und Holzkohlen aus dem Wienerwald. Am Ende des 18. Jahrhunderts wurde Holz als Rohstoff zunehmend knapp, die ausgedehnten Waldgebiete im Einzugsgebiet Wiens drohten durch Übernutzung zu schwinden. Mit der Eröffnung der Nordbahn im Jahr 1838 wurde der Kohletransport wirtschaftlich, das Brennholz verlor an Bedeutung. Die großen Kohlevorkommen in Böhmen, Mähren und Schlesien wurden am Ende des 19. Jahrhunderts zur wichtigsten Energiequelle Wiens. Die Forstwirtschaft reagierte auf diesen strukturellen Wandel mit einer Umstel- lung von Brennholz- auf Nutzholzerzeugung. Niederwälder wurden zu Hochwäldern, das Holz, das zum täglichen Gebrauchsgut des Menschen gehört hatte, war nunmehr Handelsware. Auf der anderen Seite veränderten sich im 19. Jahrhundert auch das öffentliche Verständnis und die Wahrnehmung von Natur. Der Wienerwald, die „wiene- rische Schweiz“36, in der im frühen 19. Jahrhundert die „Sommerfrische“ als Imitation bukolischen Landlebens des Adels begann, lockte als außerhalb des Verzehrungs- steuer-Rayons (1829) gelegene Erholungslandschaft, in der das schöne Leben zudem noch deutlich billiger war. Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen von 1866 plante das Finanzminis- terium, dem der Wienerwald zu dieser Zeit unterstand, Teile davon über ein „Staats- güter-Verschleißbüro“ zur Budgetkonsolidierung zu verkaufen. Die Verhandlungs- verträge basierten auf dem Reichsgesetz über die „Veräußerung von Staatseigenthum“ Abgeholzter Wienerwald, um 1919. von 1870, das dem Wiener Holzhändler Moritz Hirschl zu vorteilhaften Bedingungen Der Wienerwald musste in den ermöglicht hätte, fast ein Viertel des Wienerwalds – u. a. das beliebte Ausflugsgebiet vergangenen Jahrhunderten immer um den Anninger sowie das Areal von der Krainerhütte bei Baden bis Alland – wieder als Objekt wirtschaftlicher kahlzuschlagen.37 Die folgende öffentliche Auseinandersetzung wurde unter Beteili- Experimente und forstlicher gung von Politik, Wissenschaft, Praxis und lokaler Presse mit leidenschaftlicher Polemik Reformideen herhalten. Dennoch geführt. Josef Schöffel, selbst kein Forstmann, aber Mitglied des Reichsforstvereins, ist der Wienerwald heute der mobilisierte die Gegner über Zeitungsartikel im „Neuen Wiener Tagblatt“; daraufhin mit Abstand „naturnaheste“ Laub- zwang eine Unzahl an Petitionen den Wiener Gemeinderat zum Handeln. Im Jahr 1872 wald Österreichs. wurde der Vertrag mit Hirschl aufgelöst. Diese erste erfolgreiche, von Karl Kraus unterstützte Medienkampagne im Dienste des Naturschutzes wird heute zum Beginn modernen Gebietsschutzes stilisiert. Da sich Schöffel („der Retter des Wienerwalds“) als Reichsratsabgeordneter neben Georg Schönerer für die antisemitische Bewegung engagierte, war diese Kampagne allerdings auch von antijüdischem Ressentiment begleitet. Der staatliche Wienerwald wurde nach der Rettung dem Ackerbauministe- rium unterstellt. Die Großkahlschläge dieser Zeit, von denen besonders Gebiete an der Westbahn betroffen waren, forstete man meist mit Nadelholz auf.38 Die Forst- verwaltungen experimentierten dabei auch mit der Douglasie. Im Jahr 1905 wurde unter dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger die Schaf- fung eines mit Bauverbot belegten „Wald- und Wiesengürtels“ beschlossen. Der international beachtete Wiener Grüngürtel war nicht nur ein Meilenstein für den Schutz eines Teils des Wienerwalds, sondern auch ein Akt symbolischer Repräsentation in traditioneller Ausformung öffentlicher Ästhetik, der „die Erfüllung einer schon Holzsammler im Wienerwald, um 1919. Generationen währenden österreichischen Idealisierung des ,Gartens‘ darstellte“39. Nach dem verlorenen Krieg Der Stadtplaner und Architekt Heinrich Goldemund konzipierte die Erholungszone in gegen Preußen von 1866 den Worten seiner späteren Biografen als einen „Hymnus der Liebe zur Vaterstadt plante das Finanzministerium, und ihren Kindern“40. Teile des Wienerwalds Mit dem Kriegsausbruch 1914 kamen nicht nur die Grundkäufe für den zur Budgetkonsolidierung Wald- und Wiesengürtel durch die Stadt ins Stocken, vielmehr wurde eine eigene zu verkaufen. Kommission mit dem Ausbau von Befestigungsanlagen beauftragt. Dafür wurden

474 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 475 Skispringen auf der Wienerwaldschanze in Hadersdorf-Weidlingau, 1938. 41 Die Wienerwaldwarte am Jochgrabenberg 60.000 Festmeter Holz im Wienerwald geschlägert. Doch dabei blieb es nicht. Im bei Pressbaum, um 1910. Jahr 1917 gab es etwa im Wiental schachbrettartige Kahlhiebe („Ruckensteiner Kastel“) mit künstlichen Aufforstungen zugunsten von Nadelhölzern.42 Aufgrund der Notlage Verschneiter Wienerwald in der Morgendämmerung. weiter Bevölkerungsteile kam es 1918 zu ersten illegalen Rodungen am Wolfersberg. Dort ebenso wie auf Laaerberg, Satzberg und Schafberg entstanden „Brettldörfer“ ohne Baugenehmigung. Der Erste Weltkrieg führte auch nach seinem Ende zu großem Mangel. Die Brennstoffversorgung Wiens gestaltete sich im ersten Nachkriegswinter als äußerst schwierig. In Anspielung auf die Karawanen der Holzsucher und deren illegale Schlägerungen zur Beschaffung von Heizmaterial bezeichnete das satirische Volksblatt „Kikeriki“ den umliegenden Wienerwald als bewegliches und die Wiener Tramway als unbewegliches Vermögen der Stadt Wien: „Wienerwald, du bist der einzige, der für uns durchs Feuer geht!“43 Die Wiener Kohlennot erreichte im Winter 1919 erschreckende Ausmaße. Ganze Waldparzellen wurden ihrer Holzbestände beraubt, übrig blieben Stumpen von einem halben Meter Höhe: „So wandert der schöne Wiener Wald in die Stadt.“44 Es kam nicht nur zu unerlaubten Schlägerungen, im ersten Halbjahr 1919 wurden aus dem Lainzer Forstgut, das als Teil des enteigneten habsburgischen Vermögens an den neu gegründeten Kriegsgeschädigtenfonds Förster im Wienerwald, im Hintergrund gefallen war, auch rund 30.000 Raummeter Brennholz geholt. Für die Bringung baute gepechte Schwarzföhren, um 1910. man eigens eine Feldbahnanlage mit rund sieben Kilometern Schienenlänge.45

Natur und Landschaft 477 Dem Wohlfahrtsargument Die Wiener Kleingartenbewegung forderte im Bewusstsein der Versorgungssituation Die Naturschutzgebiete Niederösterreichs des NS-Naturschutzes folgend Wiens illegal gerodete Flächen für sich: „Der Wienerwald ist gefallen und wir wollen Das allererste Naturschutzgebiet Nieder- den 1990er-Jahren zum Naturschutz- in den 1950er-Jahren versucht, traditio- gleichzeitig Biogenetische Reservate, sollten „Volksgenossen“ ihm, trotzdem wir als Naturfreunde seinen Fall schmerzlich empfinden, kein Klagelied österreichs – und zugleich das älteste gebiet „Wildnisgebiet Dürrenstein“ zu- nelle Kulturlandschaften als etablierte bei denen ein ganzes Ökosystem unter im Wienerwald Erholung anstimmen – hat er uns doch vor dem Erfrieren geschützt –, sondern wir wollen überhaupt in Österreich – wurde 1927 sammengefasst. Dies ist heute Öster- Markenzeichen für den Tourismus Schutz gestellt wird. Naturschutz- gegründet, die „Weikendorfer Remise“ reichs einziges „Strenges Naturreservat zu erhalten. Etliche Landschaftsschutz- gebiete dienen der Erhaltung möglichst und neue Kraft finden. untersuchen, wie der Schaden wieder gut gemacht werden könnte. (…) Wir werden bei Obersiebenbrunn. Es handelt sich um der Kategorie Ia“ der International gebiete erhielten zusätzlich das Prädikat ursprünglicher Lebensräume bzw. nicht ruhen, bis jeder Wiener, der eines guten Willens ist, vor den Toren der Stadt sein einen letzten Rest einzigartiger Sand- Union for Conservation of Nature „Naturpark“. Derzeit gibt es in Nieder- solcher von besonderer Bedeutung Gärtchen hat. Im abgeholzten Wienerwald ist für viele Zehntausende Platz. Heraus dünen. Bis in die 1940er-Jahre geht and Natural Resources (IUCN). Mit der österreich 71 Naturschutzgebiete mit (z. B. Standorte seltener Pflanzen- oder 46 die Unterschutzstellung des Rothwaldes Ausweisung von Landschaftsschutz- einer Gesamtfläche von rund 14.500 ha. Tierarten). mit diesen Gründen!“ Holzdiebstähle zogen sich bis in die Nachkriegsjahre, allein in den niederösterreichischen Kalkalpen gebieten wie etwa Wachau, Wienerwald, Zehn Naturschutzgebiete und damit im Wirtschaftsbezirk Purkersdorf dürften dabei etwa 50.000 bis 60.000 Raummeter zurück. Verschiedene Teile wurden in Kamptal, Rax und Schneeberg wurde eine Gesamtfläche von 2.060 ha sind gerodet worden sein.47 Im „Ständestaat“ der Zwischenkriegszeit wurde die bereits im Projekt ■ Landschaftsschutzgebiet „Wald- und Wiesengürtel“ konzipierte Höhenstraße im Rahmen eines Programms ■ Vogelschutzrichtlinie ■ Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit realisiert. Aus dem Blick von den Höhen ■ Naturpark des Wienerwalds auf die Weite des Marchfelds leitete der NS-Schriftsteller Bruno ■ Nationalpark Brehm den Unterschied zwischen einer „Landschaft der Freude“ (Wienerwald) 4 ■ Naturschutzgebiet 5 2 und einer „Landschaft der Pflicht“ (Marchfeld) ab, deren Glück nicht im Wandern, sondern im Marschieren liege.48 3 Dem Wohlfahrtsargument des NS-Naturschutzes folgend, sollten „Volksge- 6 nossen“ im Wienerwald Erholung und neue Kraft finden. Die Ausweitung der Kriegs- schauplätze und der Verlust von Erdölquellen wie -lieferanten erzwangen in den letzten Kriegsjahren die Nutzung anderer Energiequellen. Ein großer Teil militärischer und ziviler Kraftfahrzeuge wurde ab 1943 auf Holzgeneratorbetrieb umgebaut. Für 7 Holzgas benötigte man vor allem Rotbuche als „Tankholz“. Kilometerlange Holzstöße 8

stapelten sich im Lainzer Tiergarten, der 1941 ins Reichsnaturschutzbuch eingetragen 9 worden war, um von der Wehrmacht abgeholt zu werden. Wie nach dem Ersten Weltkrieg war die Energiesituation Wiens nach Kriegs- ende im Jahr 1945 katastrophal. Der zusätzlich durch Kampfhandlungen beschädigte Wienerwald „wanderte“ neuerlich in die Stadt; abermals gingen Waldflächen durch illegale Siedlungen mit 450 unerlaubten Bauten verloren.49 Als 1948 die ersten Mittel aus dem „Marshall-Plan“ flüssiggemacht wurden, war es der Wienerwald, wo 10 sofort mit dem Bau von Autostraßen begonnen wurde. In Alland am Buchberg 11 entstand ein Steinbruch, der den Straßenbau im Wienerwald versorgte. Zwischen 1948 und 1967 wurden 360 Kilometer Autostraßen und 55 Kilometer Traktorwege gebaut. 12 Der Wienerwald wurde an die motorisierte Forstwirtschaft angepasst. Wien Der Wiener Bürgermeister Franz Jonas hielt im Februar 1955 eine Radiorede mit dem Titel „Schutz dem Wienerwald“, und am Ende desselben Jahres kam es zur Bildung eines Gemeinsamen Planungsausschusses für Wien und Niederösterreich, 13 1 der sich mit dem Schutz des Wienerwalds befasste. In der Folge wurde das Landschafts- schutzgebiet Wienerwald beschlossen. Erst in den 1960er-Jahren begann man, die Erholungsfunktion des Wienerwalds wissenschaftlich zu untersuchen, aber auch die 14 15 Nutzungskonflikte mit Forstwirtschaft und Jagd öffentlich zu thematisieren. Die typischen Säulenhallen aus Buchenwald, eine Folge forstlicher Schirm- 16 schlagwirtschaft – d. h. einer Hiebsführung, bei der „Standbäume“ zur Besamung 17 des Bodens stehen bleiben, bis der Nachwuchs eine gewisse Höhe erreicht hat –, entsprechen heute dem gewohnten Idealbild von den Aussichtswarten des populären 18 Sonntagsausflugsgebiets.50 Der Rotbuche des Wienerwalds, deren Vordringen auch mit 20 19 der Schlägerung von Tannen für die Schwemmbetriebe auf Wienfluss und Schwechat ab 1720 zusammenhängt, wollten Forstexperten immer wieder zu Leibe rücken. 21 Um 1910 gab es Bestrebungen, den Buchenreinbestand mit Sägen und Hacken zu 22 dezimieren.51 In den 1960er-Jahren empfahl der Forstwissenschaftler Hannes Mayer die Anwendung von „Tormona 80“ im vorderen Wienerwald, einem heute verbotenen Nationalparks Naturparks Herbizid, verwandt mit dem im Vietnamkrieg eingesetzten Entlaubungsmittel 1 Donau-Auen 3 Geras 52 2 Thayatal 4 Dobersberg-Thayatal Agent Orange. Daraus entwickelte sich ein medial ausgetragener Professorenstreit. 5 Heidenreichsteiner Moor Anton Kurir, Insektenkundler und Naturschützer, warnte in zahlreichen Publikationen 6 Hochmoor Schrems vor einer „Verfichtung“ und in Anspielung auf Rachel Carson vor einem „stummen 7 Nordwald 53 8 Leiser Berge Frühling“ ohne Insekten und Vögel vor den Toren Wiens. Der Wienerwald befindet 9 Kamptal-Schönberg sich also schon lange im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Nutzungsdruck. 10 Jauerling-Wachau Auch wenn der Wienerwald Auf Grundlage der Wienerwald-Deklaration von 1987 formulierten die 11 Eichenhain 12 Purkersdorf-Sandstein Wienerwald durch Kriege, Bestandsum- Mitglieder der Planungsgemeinschaft Ost (Burgenland, Niederösterreich und Wien) im 13 Föhrenberge und Sparbach wandlung, Suburbanisierung Jahr 2002 mit der „Wienerwald-Deklaration 2002“ ein Maßnahmenpaket, das den 14 Buchenberg und Verkehrserschließung Wienerwald auch für künftige Generationen als Erholungsraum erhalten soll. Seit 2005 15 Mannersdorf-Wüste 16 Ötscher-Tormäuer verändert wurde, ist er heute ist er als Biosphärenpark anerkannt. Auch wenn er durch Kriege, Bestandsumwandlung, 17 Hohe Wand das größte Schutzgebiet Suburbanisierung und Verkehrserschließung verändert wurde: Der Biosphärenpark 18 Eisenwurzen dieser Art in Österreich. Wienerwald ist heute das größte Schutzgebiet dieser Art in Österreich. 19 Falkenstein-Schwarzau/Gebirge 20 Sierningtal-Flatzer Wand 21 Seebenstein und Türkensturz 22 Landseer Berge

478 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 479 Die Attraktivität der Peripherie Südlich von Wien Wo sich heute ein für die Region südlich von Wien so typisches Nebeneinan- Das südliche Wiener Becken als Labor der von Wohn-, Gewerbe- und Industriebauten sowie massiver Verkehrsinfrastruktur Siedlungen und Bauwerke gliedern Kulturlandschaften und bestimmen erstreckt, lagen noch vor 250 Jahren Straßen- und Angerdörfer inmitten ausgedehnter die Muster gesellschaftlicher Organisation. Das betrifft nicht nur das Spannungsfeld Weingärten und Ackerfluren. Die Gemeinden des südlichen Wiener Umlands ver- Wohnen und Arbeiten, sondern auch Fragen der Mobilität, des Konsums, der Ver- anschaulichen einen umwälzenden Suburbanisierungsprozess, der eine komplexe und Entsorgung, des Freizeitverhaltens und des grundsätzlichen Umgangs mit Natur. Raumstruktur in stetem Wandel entstehen ließ: Das Bauen ist neben der Landwirtschaft die am stärksten landschaftsprägende „Die Vermischung des Städtischen und des Ländlichen – der Einfamilienhaus- gesellschaftliche Aktivität. Die Errichtung von Bauwerken ist ressourcenintensiv, siedlungen mit den Shoppingmalls und alten Dorfkernen, Autobahnen und Alleen, verbraucht Energie, Flächen und Baumaterial. Grundsätzlich haben Bauwerke, denen Gewerbe- bzw. Büroparks und landwirtschaftlichen Flächen, Golfanlagen und Wein- eine Gesellschaft Sinn zuschreibt, eine größere Chance auf Dauer. Trotz ihrer relativ gärten, Villen und Bauernhöfen, von Flughafen und Bahnstationen, Bade- und langen Nutzungszyklen sind Bauten dennoch der Zeit unterworfen, werden zu Ziegelteichen, grasenden Kühen und jugendlichen Scatern, Erlebnisparks und Schutz- Zeichen einer Zeit. gebieten, inszenierten Wohnwelten und Authentizität – dies alles ist nicht über- Die Südstadt in Maria Enzersdorf und die Shopping City Süd (SCS) in Vösen- schaubar und wird daher als chaotisch empfunden.“1 dorf können als paradigmatische Beispiele der „Kolonisierung“ städtischen Umlands an Die frühindustrielle Entwicklung eines der ältesten industrialisierten Räume der Epochenschwelle der 1960er/70er-Jahre betrachtet werden. Sie fallen in eine Mitteleuropas2 konzentrierte sich auf die sogenannte Feuchte Ebene und den Zeit planungseuphorischer Modernisierungsschübe und der Umwandlung einer Indus- Raum entlang der Thermenlinie. Das Umland der Flüsse des südlichen Wiener Beckens trie- in eine Dienstleistungsgesellschaft. Auf der Schattenseite des Wohlstands und Wo sich heute ein für die und dessen benachbarter Alpentäler (Schwechat, Triesting, Piesting, Schwarza, Leitha, des Konsums steht der Müll, dessen Umweltbelastung sich ebenfalls an die Peripherie Region südlich von Wien Fischa) erfüllte in idealer Weise die Standortanforderungen der Wachstumsindustrie verlagert hat. Die Skandale um die Deponien der Mitterndorfer Senke, eines der so typisches Nebeneinander des beginnenden 19. Jahrhunderts, die von Wasser zur Energiegewinnung und für größten Grundwasserreservoirs Europas, haben – beispielhaft für eine weit verbreitete von Wohn-, Gewerbe- und die Produktion abhängig war. Die zentralen Energieträger der Frühindustrialisierung Praxis – gezeigt, welche Folgen der gesellschaftliche Umgang mit den Resten haben Industriebauten sowie Ver- hatten eine Gemeinsamkeit: Der Transport von Holz, Wasser und Kohle war schwierig kann, die durch die moderne Produktions- und Konsumweise anfallen. kehrsinfrastruktur erstreckt, und teuer. Man war deshalb gezwungen, Betriebe in der Nähe von Energieträgern Südstadt, SCS und die Altlasten der Mitterndorfer Senke liegen alle im südli- lagen noch vor 250 Jahren und Verkehrswegen zu gründen. Der erste wichtige – und mit sehr hohen Investitions- chen Wiener Becken. Die Geschichte der Region ist ein Spiegel und ein Speicher Straßen- und Angerdörfer kosten verbundene – Verkehrsbau des 19. Jahrhunderts war der Wiener Neustädter unserer „gesellschaftlichen Naturverhältnisse“ und steht, stellvertretend für viele inmitten ausgedehnter Wein- Kanal (1803), auf dem in erster Linie Brennholz für Wien und Braunkohle für die Stadtrandzonen, für ein zugleich gescheitertes und erfolgreiches Experiment. gärten und Ackerfluren. Ziegelöfen am Wienerberg transportiert wurde. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts

Weinberge zwischen Baden und Gumpoldskirchen.

Aussichtsterrasse „Skywalk Hohe Wand“, Blick über die Neue Welt und das Wiener Becken.

Natur und Landschaft 481 Ihr ganz eigenes Gepräge eröffneten die Eisenbahnen neue Möglichkeiten: Südbahn (1842), Pottendorfer Linie erhielt die Landschaft im (1873), Aspangbahn (1881) und Badner Bahn (1886). Sie beschleunigten die Entwicklung Süden Wiens durch die vielen in ihrer unmittelbaren Umgebung, sorgten aber auch für wachsende regionale Unter- Ziegeleien, die von Maria schiede der Erwerbsentwicklung in Niederösterreich. Theresia aus der Stadt Ihr ganz eigenes Gepräge erhielt die Landschaft im Süden Wiens jedoch durch verbannt worden waren. die vielen Ziegeleien, die nach einer maria-theresianischen Resolution vom 13. August 1757 aus dem Weichbild der Stadt verwiesen worden waren und sich danach außer- halb des Linienwalls auf bis dahin landwirtschaftlich genutzten Flächen ansiedelten. Im Jahr 1775 wurde die erste staatliche Ziegelei in Inzersdorf am Wienerberg gegrün- det: der sogenannte k. k. Fortifications-Ziegelofen3, aus dem die heute global tätige Wienerberger AG hervorging. Die tertiären Tonmergel und Ziegeltone des südlichen Wiener Beckens waren die natürliche Voraussetzung für die Entwicklung der größten Ziegelindustrie Europas im 19. Jahrhundert, notwendig für die rasch wachsende Großstadt und die enorme Bautätigkeit der Gründerzeit. So reihte sich bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts Ziegelofen an Ziegelofen, und es entstand eine vom Wienerberg bis ins südliche Wiener Becken reichende „Ziegelgrubenlandschaft“, die ab 1886 durch den Vorläufer der heutigen Badner Bahn, eine Dampftramway von Gaudenzdorf nach Wiener Neudorf, mit der Stadt verbunden war. Bereits 1888 hatte Victor Adler die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedin- gungen der Wienerberger Ziegelarbeiterschaft öffentlich angeprangert – wenige Wochen danach kam es am Hainfelder Parteitag zur epochalen Gründung der Sozial- demokratischen Arbeiterpartei. Der wachsenden Stadt mangelte es nicht nur an billigen Arbeitskräften, sondern auch an nahem Baugestein. Stärker als der enorme Brennstoffverbrauch der Ziegeleien, die Immissionsbelastung oder das Ausufern der Grubenlandschaft stand die soziale Frage im Vordergrund. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts produzierten bereits sieben Stein- kohlenwerke ausschließlich für die Wienerberger Ziegelei, die zu dieser Zeit etwa 700.000 Zentner Steinkohle im Jahr verbrauchte.4 Mit dem Kauf des Ringofen- patents von Friedrich Hoffmann konnte am innovationsbereiten Wienerberg ab 1865 nicht nur ein kontinuierlicher Brennvorgang im Industriemaßstab verwirklicht, sondern auch Holz als knapper Brennstoff aus der Ziegelfabrikation gänzlich eliminiert werden. Die wenigen zur Verfügung stehenden Quellen zur zeitgenössischen Wahr- nehmung der Luftverschmutzung zeichnen allerdings ein düsteres Bild: „Ich besteige manchmal einen nahen hohen Berg, an dessen Fuß gegen Westen und Norden zu viele Tuilerien [Ziegeleien, Anm.] liegen, welche mit ihrem schwarzen, übelriechenden Rauche unsere durch den Athem zahlloser Fabriks- und Lokomotiv-Schlote ohnehin Aufgelassener Ziegelteich am oberen schon genug verpestete Luft noch mehr verpesten.“5 Wienerfeld, Wienerberg, 1939. Die seit der Wende zum 20. Jahrhundert bekannten Vegetationsschäden durch die Immissionen von Ziegeleien6 wurden erst 100 Jahre später zu einem öffentli- chen Thema, als im Zuge der Waldsterbensdebatte neue Erkenntnisse über die Staubbelastung und Säureschäden durch Ziegeleien gewonnen wurden. Erst in den 1980er-Jahren kam es zu konkreten umweltpolitischen Maßnahmen. Die Spuren der Arbeit in der Ziegelgrubenlandschaft des 19. Jahrhunderts blieben bis zur Einstellung des Tonsteinabbaus in den 1970er-Jahren erkennbar. Die unrentabel gewordenen Abbaugruben wurden aufgelassen und füllten sich nach dem Abstellen der Pumpen mit Grund- und Regenwasser. Ein Großteil der Ziegelgru- ben und -teiche im Wiener Umland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgefüllt und Ein Großteil der Ziegelgruben infolge des zunehmenden Siedlungsdrucks und der Ansiedlung von Gewerbe und und -teiche im Wiener Um- Industrie trotz schlechter Baugrundverhältnisse und daher hoher Fundamentierungs- land wurde nach dem Zweiten kosten in Bauland umgewandelt oder als Müll- und Bauschuttdeponien genutzt. Weltkrieg aufgefüllt und in Heute gibt es noch 44 Ziegelteiche in Wien und Umgebung. Sie sind beliebte Nah- Bauland umgewandelt oder als erholungsräume und „Rückzugsgebiete“ für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen. Müll- und Bauschuttdeponien Der an der Grenze der Gemeindegebiete Guntramsdorf, Wiener Neudorf und Mödling genutzt. gelegene Figurteich wurde in den 1990er-Jahren sogar zum „Naturdenkmal“ erklärt.

Die Südstadt Während in den 1960er-Jahren die dichte Bebauung im südlichen Wiener Becken lediglich bis Mödling reichte, gibt es heute kaum mehr unverbaute Lücken entlang der Südbahn: Von Wien bis Baden erstreckt sich eine fast geschlossene Stadt- landschaft. Konzepte der Stadtentwicklung sind immer Spiegel der Zeit und der ihr Erholungsgebiet Wienerberg, 2012. innewohnenden Vorstellungen von der Steuer- und Planbarkeit aller gesellschaftlichen Prozesse. Viele der Gemeinden im Umland Wiens, in denen in der Nachkriegszeit das Leben noch gleichsam vormodern gewesen war, sind, weil sie im Gegensatz zur Großstadt über ausgedehnte, meist landwirtschaftlich genutzte Flächenreserven verfügten, heute zu einem Teil des „Netzwerks Stadtregion“ mit eigenen regionalöko- nomischen Nischen geworden.7 Diese reichen von großen Einkaufszentren wie der

482 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 483 Lufttemperaturen im Juli Das Wiener Becken gewann Shopping City Süd über nutzungsgemischte Business- und Industrieparks an verkehrs- Die Karte zeigt die mittleren Luft- der Kalkklippenzone der Leiser Berge Mit Jahresniederschlagsmengen von zwischen ozeanischem und kontinenta- ab den 1960er-Jahren durch den günstigen Standorten (Schwechat, Brunn am Gebirge, Wiener Neudorf) bis hin zu temperaturwerte im Juli (°C) entlang herrscht pannonisches Klima. Dieser weniger als 700 mm zählt auch lem Klima. Zu allen Jahreszeiten gibt Prozess der Suburbanisierung spezifischen Wohnangeboten. Für die Metropole Wien gilt wie für die meisten der Fließgewässer Niederösterreichs Klimatyp ist kontinental und daher von das Wiener Becken zu den trockensten es Niederschläge, die im Westen an Bedeutung – also die west- und mitteleuropäischen Agglomerationen, dass Stadt und Umland zu einer während der Jahre 1961 bis 1990. großen Temperaturgegensätzen geprägt. Gebieten Österreichs. Die Böhmische niederschlagsreicher sind als im Osten. Das Klima der Großlandschaften Die Winter sind kalt, die Sommer sehr Masse (Waldviertel) und das Alpen- Den Süden von Niederösterreich prägt Wanderung von Bevölkerung dynamischen und funktional vernetzten Raumstruktur zusammengewachsen sind. Niederösterreichs ist sehr unterschied- heiß, und es gibt ganzjährig nur geringe vorland, vom Beginn der Alpen bis zur alpines Klima. Im Winter kommt es oft und Arbeitsplätzen in Die demografische Entwicklung im Wiener Raum war bis zum Ende der lich: Im Wiener Becken und im Karpaten- Niederschläge, im Marchfeld etwa Donau im Tullner Becken, haben zur Temperaturumkehr, bei der es das Umland der Großstadt. 1980er-Jahre geprägt von einem kontinuierlichen Rückgang der Bevölkerung Wiens vorland zwischen Manhartsberg und etwa 550 mm im Jahresdurchschnitt. mitteleuropäisches Übergangsklima auf den Bergen wärmer ist als im Tal. (1961: 1,62 Millionen, 1981: 1,53 Millionen Einwohner/innen) und einiger Gebiete Berechnung und Grafik nach Niederösterreichs, wie etwa des Marchfelds. Das Wiener Becken hingegen gewann ab Mathias Dattler, 2012. den 1960er-Jahren durch den Prozess der Suburbanisierung an Bedeutung, unter dem man im Allgemeinen die Wanderung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen in das Umland von Großstädten und eine Siedlungsentwicklung in die Fläche versteht. In der Phase der Planungseuphorie der 1960er- und 1970er-Jahre wurden in vielen Ortschaften siedlungsstrukturelle Grundsteine gelegt, die das Bild des südlichen „Speckgürtels“ bis heute prägen. Die Kernstadt Wien ist über ihre administrativen Grenzen hinaus- und weit in das niederösterreichische Umland hineingewachsen. Die bedeutendste Achse der suburbanen Siedlungsentwicklung verläuft entlang der Südautobahn, deren Spatenstich 1959 bei Laxenburg erfolgte, bzw. der Bundesstraße 17 und der Südbahnstrecke in Richtung Wiener Neustadt. Die Weinbaugemeinde Maria Enzersdorf, die bis 1999 Maria Enzersdorf am Gebirge hieß, war von 1938 bis 1954 ein Teil von Groß-Wien (24. Bezirk). Die Süd- bahn führt durch das Ortsgebiet, der Bahnhof wird heute mit der Nachbargemeinde Brunn am Gebirge geteilt.

Wien

Die Südstadt in Maria Enzersdorf, Luftaufnahme um 1965.

Die beiden Hochhäuser der Südstadt < 16 °C 16–18 °C 18–19 °C 19–20 °C 20 °C in der Wienerbruckstraße, Ende der 1960er-Jahre.

484 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 485 Auch in den 1950er/60er-Jahren Das bereits 1946 vom Nationalrat und von den Landtagen Wiens und Niederöster- Das Land Niederösterreich kaufte im Rahmen eines Förderprogramms für ehemalige gab es trotz wiederholter Kritik reichs als Verfassungsgesetz beschlossene Gebietsänderungsgesetz konnte aufgrund Randgemeinden in der 1955 zur Marktgemeinde erhobenen Ortschaft das damals bis auf wenige Ausnahmen eines sowjetischen Vetos erst 1954 in Kraft treten. Ein Jahr zuvor waren in Nieder- unverbaute Gebiet zwischen der einstigen Triester Bundesstraße (heute B17) und dem noch keine niederösterreichische österreich detaillierte Bestimmungen über Ortsplanungen erlassen worden, die Art Missionshaus St. Gabriel. Die Südstadt hätte ursprünglich zum Nukleus einer späteren Regionalplanung. und Ausmaß der Bestandsaufnahme zur Flächennutzung, Verkehrsorganisation Hauptstadt des Bundeslandes heranwachsen sollen. Die Verlegung der Zentralstellen und städtebaulichen Entwicklung regelten und den Flächenwidmungsplan als neues von NEWAG und NIOGAS, der landeseigenen Elektrizitäts- sowie Gasgesellschaft, Planungsinstrument einführten. Maria Enzersdorf profitierte wie alle anderen heute zusammengefasst zur EVN AG, von Wien in den als „Gartenstadt Süd“ konzipier- Randgemeinden mit hohem Zweitwohnungsbesitzeranteil bis in die 1990er-Jahre ten Trabanten läutete den Beginn der Dezentralisierung öffentlicher Einrichtungen von einem begünstigten Steuerschlüssel („7er Schlüssel“), durch den diese mehr Niederösterreichs ein. Die einzige planmäßig angelegte Satellitenstadt der Wiener Geld aus dem Finanzausgleich zugesprochen bekamen. Agglomeration, deren städtebauliches Konzept auch durch die Ideen des Architekten, Versuche, eine Regionalplanung zwischen der Stadt Wien und dem Land Raumplaners und späteren Wiener Stadtrats für Raum- und Stadtplanung Rudolf Niederösterreich zu etablieren, gehen bereits auf die 1920er-Jahre zurück. Ein erster Wurzer beeinflusst war, erinnert ein wenig an die städtebauliche Utopie der Reißbrett- Planungsvorschlag für die Regionalentwicklung des Wiener Raums des Architekten stadt Brasília, aber auch an Metanopoli, das in ähnlicher Mischbauweise (Hochhäuser, Walther Raschka datiert aus dem Jahr 1926. Raschka präsentierte im Rahmen Wohnblocks, Reihenhäuser) Anfang der 1950er-Jahre außerhalb Mailands errichtete der Sonderausstellung des Internationalen Wohnungs- und Städtebaukongresses im Parallelprojekt des italienischen Erdöl- und Energiekonzerns Eni. Wiener Künstlerhaus ein Konzept mit dem Namen „Stadt-Land-Wien“. In den 1930er- Während der alte Ortskern der verkehrstechnisch gut erschlossenen Wall- Jahren kamen Pläne zur Gründung eines Verbandes der Südbahngemeinden unter fahrtsgemeinde Maria Enzersdorf (ab 1730 Hauswallfahrt der Wiener) im westlichen Beteiligung von Mödling, Hinterbrühl, Maria Enzersdorf, Rodaun und Mauer auf, Teil des Gemeindegebiets am Abhang des Wienerwalds liegt, wurde die Südstadt um städtebauliche Fragen der Bauentwicklung, Wasserversorgung und Abwasserbesei- am östlichen Rand in unmittelbarer Nähe zur alten Triester Bundesstraße in der tigung, der Führung von Hauptverkehrsachsen und des Ausbaus der öffentlichen Ebene des Wiener Beckens angelegt. Einen Bebauungsplan wie heute gab es zu dieser Verkehrsmittel gemeinschaftlich zu lösen. Zu konkreten Planungen kam es damals Zeit noch nicht. Der erste Spatenstich erfolgte am 12. September 1960 unter dem allerdings nicht. damaligen NEWAG-Generaldirektor und Landeshauptmannstellvertreter Viktor Müll- Auch in den 1950er/60er-Jahren gab es trotz wiederholter Kritik bis auf ner. Auf einer Gesamtfläche von rund zwei Quadratkilometern wurden bis 1975 wenige Ausnahmen (Marchfeld, Wienerwald, Wachau) noch keine niederösterreichi- rund 2.000 Wohneinheiten geschaffen sowie das Einkaufszentrum Südstadtzentrum sche Regionalplanung und auch keine am Reißbrett konzipierte Raumordnung. errichtet und die Anlage durch das zu deren Versorgung aufgebaute Fernheizkraftwerk Diese wurde erst mit dem Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz des Jahres Mödling (heute ein Biomasseheizkraftwerk) beheizt. Die Straßen der Siedlung sind 1969 sowie mit der Institutionalisierung der Raumordnung (und damit der Regional- nach NEWAG-Kraftwerken benannt. Im Juli 1963 übersiedelten NEWAG und NIOGAS politik) als eigene Fachabteilung der Landesverwaltung im Jahr 1972 geschaffen. in das neue Verwaltungsgebäude. Während die Gemeinde Maria Enzersdorf 1961 Die weitere Besiedlung des Wiener Beckens, für die Architekt Roland Rainer 3.800 Einwohner/innen hatte, verdoppelte sich die Zahl bis 1971 auf 8.100, Ende 2015 bereits 1942 eine „Siedlungskette“ geplant und nach dem Zweiten Weltkrieg eine zählte die Gemeinde 8.744 Personen. „Bandstadt Wien“ bzw. eine „Kette von Gartenstadt-Trabanten“8 vorgeschlagen hatte, erfolgte mehrheitlich unkoordiniert und ungeplant. Die einzige Ausnahme bildete die Maria Enzersdorfer Südstadt, die ihre Entstehung einer damals noch möglichen Baulandwidmung auf der grünen Wiese ohne Anschluss an bebautes Gebiet verdankt.

Zwentendorf und Hainburg Erinnerungsorte (nicht nur) der österreichischen Umweltbewegung

Gert Dressel

Prolog Die Geschichte der österreichischen Umweltbewe- gung seit den 1970er-Jahren ist bis heute nicht akade- misch erfasst worden. Mag sein, dass der zeitliche Abstand dafür noch zu gering ist. Wobei, so klein ist diese Zeitspanne auch wieder nicht. Immerhin ist im Lauf der vergangenen vier Jahrzehnte die österreichi- sche Umweltbewegung mitsamt ihren NGOs, lokalen und regionalen Initiativen sowie Mitstreiter/innen aus Universitäten und Wissenschaften zu einer relevan- ten zivilgesellschaftlichen und politischen Akteurin geworden. Auch die Partei der Grünen, seit 1986 durch- Pro-Zwentendorf-Plakat gängig im Nationalrat vertreten, gehört dazu. Freilich zur Volksabstimmung über das Atomkraftwerk, erschöpft sich die österreichische Ökologiebewegung 1978. Bruno Kreisky und anderen forcierte Inbetriebnahme zu verhindern. Die Besetzung hatte einen massiven nicht in den Grünen, aber die Konstituierung und des bereits fertiggestellten Atomkraftwerks Zwentendorf Polizeieinsatz zur Folge, was wiederum selbst die das Wirken der Partei sind ohne Neue Soziale Bewegun- Schlagzeilen der österrei- bei Tulln (Volksabstimmung 1978) und generell gegen Boulevardpresse empörte. „Die Schande von Hainburg“ chischen Tagespresse gen, insbesondere ohne Umweltbewegung, nicht zu zur Au-Besetzung, 1984. die „friedliche“ Nutzung der Kernenergie in Österreich; titelte damals die „Neue Kronen Zeitung“. denken. Ebenso ist die Geschichte der österreichischen zweitens auf den ebenfalls erfolgreichen Widerstand Grünen und der österreichischen Ökologiebewegung gegen den Bau eines Wasserkraftwerks bei Hainburg, Demonstration gegen die nicht ohne den Hinweis auf zwei zentrale Ereignisse der sich etwa darin ausdrückte, dass die Stopfenreuther Inbetriebnahme des Atom- zu denken und zu schreiben: erstens auf den erfolgrei- Au im Dezember 1984 durch tausende Menschen kraftwerks Zwentendorf, 26. Oktober 1977. chen Protest gegen die vom damaligen Bundeskanzler friedlich besetzt wurde, um die Rodung der Auwälder

486 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 487 Der Funktionalismus der Süd- In ihrem Funktionalismus gilt die Südstadt, geplant und gebaut von den Architekten Die „verkehrsgerechte Stadt“ Die „verkehrsgerechte Stadt“ entwickelte sich zur „Hauptsünde“13 der 1950er-Jahren, stadt gilt heute als baulicher Wilhelm Hubatsch, Franz Kiener und Gustav Peichl, heute als baulicher Meilen- entwickelte sich zur „Haupt- der Verkehr zum „Moloch“ des Wiederaufbaus, der „in die Städte eingebrochen [war] Meilenstein; im Ganzen stein und Zeugnis typologischer, sozialer und räumlicher Innovation; im Ganzen sünde“ der 1950er-Jahre, wie der Wolf in die Schafherde“14. Mit mehr als 30-jähriger Phasenverschiebung gesehen blieb die Siedlung gesehen blieb die Siedlung jedoch Stückwerk, ohne Bezug auf eine etwaige der Verkehr zum „Moloch“ des zu den „fordistischen“ USA kam es auch in Niederösterreich zur Massenmotorisierung. jedoch Stückwerk. Gesamtkonzeption für das Wiener Becken. Wiederaufbaus. Betrachtet man als Ausgangsposition das Jahr 1920 mit insgesamt 575 zugelassenen Im Jahr 1967 wurde die Planungsgemeinschaft Wien-Niederösterreich Personenkraftwagen in Niederösterreich15 und vergleicht diese Zahl mit dem Stand gegründet – ein weiterer Versuch zur Schaffung einer Koordinationsstelle für Raum- von 2014, als das Bundesland mit 627 Pkw auf 1.000 Einwohner/innen den zweithöchs- ordnungsfragen zwischen Wien und Niederösterreich: „Aufgrund des Fehlens ten Pkw-Motorisierungsgrad Österreichs nach dem Burgenland aufwies16, werden eines politischen Beschlussgremiums blieb es bei der Diskussion raumordnerischer die Ausmaße der automobilen Revolution ersichtlich. Probleme, aber es erfolgte keine praktische Umsetzung.“9 Das städtebauliche Pendant zum autobezogenen Stadtumbau war der Bau Bis in die 1980er-Jahre basierten die regionalpolitischen Strategien in Nieder- von Großsiedlungen an der Peripherie, denen großflächige Einzelhandelseinrichtungen österreich auf einem top-down durchexerzierten „Zentrale Orte“-Modell des deut- auf der grünen Wiese folgten. Erst als die negativen Folgen auch für den Handel schen Geografen Walter Christaller aus den 1930er-Jahren. Die Suburbanisierung des erkennbar wurden, richtete man innerstädtische Fußgängerbereiche ein. Als zweite südlichen Wiener Beckens hat dieses zentralörtliche Konzept jedoch bald unterlaufen, österreichische Stadt eröffnete die heutige Landeshauptstadt St. Pölten im Dezember denn durch die Entwicklung in die Fläche konnte das Prinzip der sogenannten dezen- 1961 eine Fußgängerzone. tralen Konzentration, d. h. der Schwerpunktbildung von Siedlungen an zentralen Standorten („Mittelpunktsorten“), nicht wirklich greifen. Der Wohnsuburbanisierung Shopping City Süd im südlichen Wiener Becken folgte die Gewerbesuburbanisierung, angetrieben durch Mit dem Übergang zum Postfordismus haben sich auch die Standortstruk- das Baulandpreisgefälle von der Kernstadt Wien in das Umland. Grundsätzlich gilt: turen des Einzelhandels grundlegend verändert. Nach den in den 1970er-Jahren Je ungeordneter eine Suburbanisierung („Siedlungsbrei“) erfolgt, desto gravierender entstandenen Selbstbedienungs- und Verbrauchermärkten waren es ab Mitte der sind Verkehrs- und Umweltprobleme. Die raumplanerischen und bodenrechtlichen 1980er-Jahre die sogenannten Fachmärkte, die eine beispiellose Dynamik entwickelten. Instrumente der 1970er-Jahre erwiesen sich als kontraproduktiv: „Raumordnung Vergleichsweise unproblematische Planungsverfahren und fehlende Vorschriften galt in den 1970er-Jahren plötzlich als ,Wunderwaffe‘, niemand dachte ans Sparen. (…) zur baulichen Gestaltung führten zu den heute landläufigen Bildern, die man mit Die Gemeindefunktionäre und -beamten standen neuen Aufgaben weitgehend un- Suburbia verbindet: weitgehend homogene, kostengünstige und vor allem flächen- vorbereitet gegenüber. Sie erhofften sich durch Baulandwidmungen einen kräftigen extensive Leichtbauweise. Im Speckgürtel von Umlandgemeinden reichern sich Wirtschaftsaufschwung und die Siedlungsentwicklung lief aus dem Lot.“10 heute Megastrukturen des Einzelhandels kombiniert mit Freizeitanlagen an. Der Der Beginn der Suburbanisierung sowie des Booms an Wochenendhäusern Konflikt „kleiner“ Kaufleute gegen Einkaufszentren auf der grünen Wiese am Ortsrand im südlichen Wiener Becken ist mit dem starken Anstieg des gesellschaftlichen beschäftigt Politik und Raumordnung. Am Beginn dieser Entwicklung standen die Stellenwerts von Mobilität ab den 1950er-Jahren verbunden. Die „langen Fünfziger Warenhäuser des 19. Jahrhunderts, die einen sozialen und kommerziellen Raum Jahre“ 11, die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den ausgehenden 1960ern, neuer Art etablierten, den modernen „Konsumtempel“. Die ökonomische Logik des und das „1950er-Syndrom“12 beschreiben eine historische Epochenschwelle, an der in Warenhauses setzte die standardisierte Massenproduktion vieler Gebrauchsgüter erster Linie die Verfügbarkeit von billigen Energieträgern dafür sorgte, dass sich die voraus. Sie war eine notwendige Begleiterscheinung der Industrialisierung und Lebens- und Produktionsweise im westlichen Europa durch eine beispiellose Steige- Globalisierung der westlichen Warenwelt, in der Konsumangebote immer rationeller rung der industriellen Produktion und des privaten Konsums tiefgreifend veränderte. gestaltet und vermarktet wurden.

Geschichten über sich selbst Erinnerungsorte gegeben, authentisch zu berichten. Wobei schon einmal Ohne Geschichte und Geschichten geht es nicht, Erinnerungen und Geschichten erschöpfen sich bemerkenswert ist, was denn überhaupt als erinne- das gilt auch für die österreichische Umweltbewegung. meist nicht in Texten, sondern können zahlreiche rungswürdig gilt. „Zwentendorf“ und „Hainburg“ sind So wie in modernen und spätmodernen Gesellschaften nonverbale, aber umso wirkungsvollere Diskurselemen- gerade dadurch zu Erinnerungsorten geworden, dass Individuen Narrationen über sich selbst brauchen, te wie Fotos, Denkmäler und Erinnerungsorte beinhal- Zeitzeug/innen sich an runden Jahrestagen an die benötigen auch Kollektive bzw. kollektive Akteur/innen, ten. Spezifische Erinnerungsorte sind identitätsstiftend Ereignisse erinnern. „Kein Kernkraftwerk in Zwenten- Gemeinschaften und Gruppen1 Erinnerungen, Erzäh- für Nationen, aber auch für andere Kollektive. Sie sind dorf! 30 Jahre danach“6 heißt einer der ersten Sammel- lungen und Geschichten – letztlich eine Geschichte mehr als eine reine Örtlichkeit; in ihnen verdichten bände, in denen sich zahlreiche, zum Teil prominente über sich selbst, die identitätsstiftend ist und erläutert, und verkoppeln sich symbolhaft Vergangenheit, Gegen- Vertreter/innen einer österreichischen Neuen Sozialen wie man zu dem geworden ist, was man heute ist wart und Zukunft, Erinnerung und (moralischer Bewegung – hier konkret der Umwelt- bzw. Anti- und was man in Zukunft (sein) will. Einerseits also als oder politischer) Auftrag, was stets etwas Mythisches, AKW-Bewegung – erinnern. Die Publikation war Selbstvergewisserung, andererseits als Botschaft nach Verklärendes und damit auch Tabuisierendes hat,3 zugleich Begleitband zu einer Ausstellung im Grazer außen und als permanenter Versuch, die Erinnerungen weshalb Erinnerungsorte geradezu (säkularisierte) Joanneum, in der Erinnerungen und Privatfotos und Geschichten über sich selbst aus dem Status „Heilige Orte“4 sein können. Einige Autor/innen damaliger Aktivist/innen im Zentrum standen. Über- eines interpersonalen, mündlichen „kommunikativen haben übrigens darauf hingewiesen, dass Zwentendorf haupt sind die Neuen Sozialen Bewegungen und diverse Gedächtnisses“ in jenen eines überpersonalen, instituti- und Hainburg inzwischen zu den beiden zentralen zivilgesellschaftliche Protestbewegungen der 1970er- onalisierten, festgehaltenen, gespeicherten „kulturellen identitätsstiftenden Erinnerungsorten der österreichi- und 1980er-Jahre inzwischen in bedeutenden Museen Gedächtnisses“ einer Gesellschaft zu überführen.2 schen Umweltbewegung und der Partei der Grünen Zeltlager der Au-Besetzer Österreichs angekommen.7 2014 fanden sich zum Die akademische Geschichtsschreibung hat – trotz geworden sind.5 Und vielleicht sind Zwentendorf in der Stopfenreuther Au, 30-jährigen Jubiläum der Besetzung der Stopfenreuther 21. Dezember 1984. behaupteter Distanz zum Forschungsgegenstand – und Hainburg sogar Erinnerungsorte darüber hinaus. Au in zahlreichen österreichischen Medien – unter immer schon auch diese Funktion gehabt, ebenso Wieso das? anderem in „Neuer Kronen Zeitung“, „Kurier“ und wie zahlreiche andere gesellschaftliche Instanzen für ORF – Berichte unter dem Aufmacher „30 Jahre Geschichte und Geschichten, z. B. Medien oder Jubiläen, Zeitzeug/innen und Medien Hainburg“. Prominente Kraftwerksgegner/innen wie die Publizisten von Erinnerungen von Zeitzeug/innen. Erinnerungen werden durch Jubiläen wachgehalten Bernd Lötsch und Freda Meissner-Blau kamen darin und immer wieder aktualisiert. Und wenn runde ausführlich zu Wort und damalige Protest- und Jahrestage so gegenwartsnah sind, dass sie von Noch- Ausdrucksformen wie die „Pressekonferenz der Tiere“ Lebenden, die dabei gewesen sind, kommentiert (Mai 1984) wurden nachgestellt. werden können, wird diesen Zeitzeug/innen auch Raum

488 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 489 Einkaufszentren bilden heute den ökonomischen und kulturellen Kristallisationskern Zur Zeit der Eröffnung galt die 1990er-Jahre, auf einem 40 Hektar großen, durch eine ehemalige Mülldeponie jedoch eines konsum- und mobilitätsgeprägten Lebens. Sie funktionieren selbst in der SCS als größte Shoppingmall kontaminierten unverbauten Grundstück in Wiener Neudorf einen teils unterirdi- Peripherie nicht nur als Konsummaschinen, sondern auch als Orte urbanen Lebens. Europas. Vösendorf wurde zu schen Themenpark um den mythischen Ort Agarta zu errichten („Agarta Universe“), Ein dramatisch angewachsener motorisierter Individual- und Güterverkehr ist jedoch einer der reichsten Gemeinden ließen sich nicht realisieren. Im Jahr 2007 wurde die SCS an den niederländischen die Folge. Wenngleich 50 Jahre nach Beginn des landesweiten Einkaufszentrums- Österreichs. Die Kehrseite Immobilienkonzern Unibail-Rodamco verkauft. rausches die Trends allmählich in eine andere Richtung weisen, sind die gesellschaftli- des Projekts waren übervolle Hauptargumente für die Etablierung der Peripherie als idealer Shopping- chen und landschaftlichen Auswirkungen dieser Jahrzehnte doch nicht mehr Parkplätze, riesige Werbe- standort waren entscheidende Logistikvorteile und niedrige Grundstücks- und rückgängig zu machen. wände und Staus. Erschließungskosten, vor allem aber die vorhandenen Flächenreserven, u. a. für Park- Unweit der südlichen Stadtgrenze Wiens gelangt man zu einem der größten plätze. Die SCS hat davon mehr als 10.000. Einkaufszentren Europas, der Shopping City Süd (SCS). Sie ist mit einem großen Namen Trotz der Novelle zum Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz (2006), verbunden: Victor Gruen, „Vater der Einkaufszentren“. Der 1938 zwangsemigrierte die die Neuerrichtung von Einkaufswelten auf der grünen Wiese stark einschränkt, Wiener Stadtplaner und Architekt konzipierte im Jahr 1954 in Detroit mit dem North- sind die Zeiten für den innerörtlichen Einzelhandel nicht unbedingt einfacher land Center das erste Einkaufszentrum am Stadtrand, das zur Blaupause für die geworden. In der Handelslandschaft regieren die großen Einkaufszentren sowie ganze Welt werden sollte. In den Folgejahren befasste sich Gruen zunehmend auch Fachmärkte mit Parkplatzgarantie und einer Atmosphäre mit „Erlebnisfaktor“. Das mit der Kehrseite der von ihm angestoßenen Entwicklung, mit der Problematik der letzte große „Shoppingparadies“, das Niederösterreich erhielt, war jenes in Gerasdorf Suburbanisierung, der Verödung städtischer Zentren durch die Verlagerung von bei Wien (2012). Wohn- und Einkaufsmöglichkeiten an die Peripherie sowie mit den Herausforderungen des zunehmend wachsenden Verkehrs. Ende der 1960er-Jahre kehrte Gruen nach Fischer-Deponie Wien zurück und lehnte das Angebot ab, die Shopping City Süd zu entwerfen. Gruen Der Müll der Industrie- und Konsumgesellschaft bildet eine wesentliche versuchte, allerdings ohne Erfolg, ein europäisches Modell eines Einkaufzentrums Komponente des Lebenszyklus aller materiellen Güter. Der Umgang mit Müll hat eine mit stärkerer Funktionsmischung und verbesserter Einbindung in die Umgebung zu mentalitätshistorische Indikatorfunktion für unser modernes Verhältnis zu den entwickeln. Letztlich wurde Georg Frankl, ein früherer Mitarbeiter von Victor Gruen „Dingen“. Eine Beschreibung für die Symmetrie zwischen der Welt des Mülls und der International, mit der Planung beauftragt. Finanziert vom österreichischen Unterneh- Welt der Waren (der „Dinge“) in der bereits gut entwickelten Konsum- und Weg- mer Hans Dujsik, entstand die SCS auf ehemaligen Ackerflächen in sechsjähriger werfgesellschaft der 1970er-Jahre bot der Schriftsteller Michel Tournier: „Für mich ist Bauzeit, 1976 wurde sie eröffnet. 2.000 Menschen arbeiteten auf dem Gelände, nicht der Müllplatz eine Parallelwelt zur anderen, ein Spiegel dessen, was das eigentliche nur österreichische, auch französische, schwedische und Schweizer Unternehmen Wesen der Gesellschaft ausmacht.“ 18 mieteten sich von Anfang an ein. Zur Zeit der Eröffnung galt die SCS als größte Shop- Im Jahr 1972 beschloss der Niederösterreichische Landtag ein Müllbeseiti- pingmall Europas. Vösendorf selbst wurde binnen kürzester Zeit zu einer der reichsten gungsgesetz, die bisherigen Regelungen hatten nur auf die Abfuhr fokussiert. Das neue Gemeinden Österreichs. Die Kehrseite des Projekts waren übervolle Parkplätze, Gesetz sah die Verpflichtung zu einer kontrollierten Ablagerung vor, „geordnete metergroße Werbewände und samstägliche Staus auf den Zubringerstraßen. Nach Deponien“ bezogen sich in erster Linie auf den Hausmüll. Die Industrie war angehalten, einem Zubau erfolgte 1989 die Anbindung an die Südautobahn (A2). Im Lauf der Jahre ihre Produktionsabfälle auf eigenem Grund zu deponieren. ist die SCS – ohne die Fläche der umliegenden Fachmärkte – auf 192.500 Quadrat- Ein Jahrzehnt später, als mehr als 50 Prozent der betriebenen Deponien 17 meter vermietbare Verkaufsfläche angewachsen. Jährlich besuchen etwa 25 Millionen Luftbild der Fischer-Deponie in immer noch keine wasserrechtliche Genehmigung hatten, begann der Skandal Menschen die SCS, 150.000 Autos fahren sie täglich an. Erweiterungspläne der Theresienfeld bei Wiener Neustadt, 2004. um die rund 70.000 Quadratmeter große Fischer-Deponie Öffentlichkeit, Medien

Nun verweisen Erinnerungen, Erinnerungsorte und unter sich“. „Es war mehr eine Bürgerbewegung. Es Heute kämpfen Gewerkschaft und GLOBAL 2000 inszenierte Jubiläen aber nicht nur auf die Vergangen- waren viele Bürgerliche dabei“, sagt Andrä Rupprechter, gemeinsam für nachhaltige Zukunftsinvestitionen“, heit, sondern stets auch auf die Zukunft, gelten als der heutige österreichische ÖVP-Landwirtschafts- teilte der ÖGB 2014 mit. Handlungsauftrag für die Zukunft. 30 Jahre nach minister, über die Proteste gegen das Wasserkraftwerk Zwentendorf und Hainburg bieten gerade in Zwentendorf pochten die Grünen etwa in einer APA- vor mehr als 30 Jahren. Auch Rupprechter war damals der zeitlichen Distanz einen Stoff, aus dem moderne, Aussendung auf einen österreichischen Euratom- in der Au. „In der Au war ja ein breites Spektrum demokratische Heldengeschichten gestrickt sein Ausstieg, und 30 Jahre nach Hainburg forderte vertreten“, meint Freda Meissner-Blau in ihren 2014 können: ein kollektiver und erfolgreicher ziviler Unge- der österreichische Umweltdachverband die „rasche erschienenen Lebenserinnerungen, „von ganz links bis, horsam und Widerstand von Menschen verschiedener Erfüllung der Klimaziele“. na ja, sehr viel Rechte werden es nicht gewesen sein, ideologischer und sozialer Herkunft gegen politisch aber doch einige Konservative. Wie haben wir immer und wirtschaftlich Mächtige. Ob dann die retrospektiv Moderne Heldengeschichten gesagt? ‚Lodenmantelkinder‘.“9 erzählte „Gemeinschaft“ nicht doch eher – um einen Dass Zwentendorf und Hainburg als Erinnerungs- Hainburg wird 30 Jahre „danach“ mit einem für Begriff Max Webers zu bemühen – eine „geglaubte orte des Umweltschutzes und der Ökologiebewegung Österreich außerordentlichen „Gemeinschaftsgefühl“ Gemeinschaft“ war11, ob womöglich und zum Beispiel fungieren, mag nun nicht wirklich verwundern. assoziiert – als politisches, emotionales und soziales die Konfliktlinien innerhalb der Protestbewegungen Interessant sind aber vor allem jene Aspekte, die weit Erlebnis und als wirksame politische Strategie. Noch größer waren, als sie heute erinnert werden, wäre darüber hinaus weisen und die diese beiden Orte, einmal Meissner-Blau: „In ein paar Nächten habe eine von vielen spannenden Fragen für die noch zu insbesondere Hainburg, in der Erinnerung geradezu ich mehr Gemeinschaft erlebt als im Rest meines schreibende Geschichte der österreichischen Umwelt- „zu einem kleinen österreichischen ‚Mythos‘“ haben Lebens. Kein Mensch hätte ein Stück Brot oder ein Stück bewegung. werden lassen.8 Die Proteste gegen das Atomkraftwerk Schokolade genommen, ohne zu sagen: ‚Willst du auch?‘ Zwentendorf und den Bau des Wasserkraftwerks Das war ein anderes Österreich dort in den Zelten. (…) bei Hainburg brachten Menschen aus verschiedenen Man stand füreinander ein. Wir hatten alle dasselbe Ziel: Milieus und mit unterschiedlicher politischer Welt- Diese Au, dieser Auwald darf nicht für ein Wasserkraft- anschauung – über die Grenzen der traditionellen werk kaputt gemacht werden.“10 „Es gab das wärmende politischen Lager Österreichs hinweg – auf die Straße Gefühl des Zusammenstehens“, meint auch Andrä bzw. in die Au-Wälder. Vor allem dieser Umstand Rupprechter. Sogar ehemalige Befürworter/innen des Besetzung der Baustelle wird Jahrzehnte später noch erinnert, wenn von Zwen- Wasserkraftwerks lassen sich 30 Jahre später in diese für die Ostautobahn (A4) durch Aktivisten der tendorf und Hainburg die Rede ist: „,Mütter, Ärzte, Gemeinschaft und in diesen Konsens integrieren: Umweltschutzorganisation Wissenschafter und Maoisten‘: KernkraftgegnerInnen „30 Jahre Hainburg: Aus Gegnern wurden Verbündete. Global 2000, 15. Juni 1990.

490 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 491 Modell der Wasseraufbereitungsanlage Exportgut Landschaft – Tourismus in Niederösterreich zur Sicherung des Grundwassers in der Mitterndorfer Senke. Im Bild links Umweltministerin Marilies Flemming, „Ich glaube oft, schon etwas gesehen zu haben, was ich erweislich zum erstenmal sehe, daneben Landeshauptmannstellver- namentlich Landschaften.“ 1 Friedrich Hebbel, 1873 treter Erwin Pröll, 1989. Eine historische Kurzreise Der Tourismus in Niederösterreich ist heute nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Bundesländern. „Beherbergung und Gastronomie“ steuerten 2012 etwa drei Prozent zur Brutto-Wertschöpfung des Landes bei.2 Auch wenn es in den vergan- genen Jahren zu deutlichen Zunahmen der Nächtigungen in einigen Regionen – wie etwa in der Weltkulturerberegion Wachau – gekommen ist, gibt es, anders als in anderen Bundesländern, keinen eigentlichen Massentourismus, der auf Sensationen und laute Spektakel setzt. „Romantik“, „Wein“ und „Gemütlichkeit“ sind Stereotype, die heute genauso wie im 19. Jahrhundert untrennbar mit der Vorstellung einer Donaureise durch die Wachau verbunden sind. Der gering ausgeprägte Tourismus hat aber den Vorteil, dass die Kulturlandschaften im Großen und Ganzen vor den Aus- wirkungen eines „Turbotourismus“ verschont geblieben sind, wie man sie in westlichen Bundesländern Österreichs beobachten kann. Ist der Fremdenverkehr deshalb eine vernachlässigbare Größe in Niederösterreich? Dagegen spricht die große historische Bedeutung, die Ausflugstourismus und Sommerfrische bis über die 1960er-Jahre hinaus im Alltag der niederösterreichischen und Wiener Bevölkerung gespielt haben.

Das bedeutendste Grund- und zuletzt die Gerichte zu beschäftigen. Das größte Grundwasserreservoir Öster- wasserreservoir Österreichs reichs im Grabenbruch der Mitterndorfer Senke war durch ungeschützte Ablagerung war durch ungeschützte von Industriemüll mit chlorierten Kohlenwasserstoffen (CKWs) verschmutzt, das Ablagerung von Industriemüll Grundwasser für Menschen ungenießbar geworden, obwohl es bereits seit 1969 eine verschmutzt, das Grundwasser Verordnung zum Schutz des Grundwasservorkommens in der Mitterndorfer Senke für Menschen ungenießbar gegeben hatte. Die 1972 in einer ehemaligen Schottergrube östlich von Theresienfeld geworden. Die Folge war einer angelegte Privatdeponie führte zu einem der größten Umweltskandale der Zweiten der größten Umweltskandale Republik. Die Skandalisierung der Folgewirkungen der Grundwasserverschmutzung war der Zweiten Republik. Ausdruck einer geänderten gesellschaftlichen Wahrnehmung der gesamten Müll- problematik, insbesondere in dieser Region. Es bestehe „Gefahr von Krebs und Erbgut- schädigungen für eine halbe Million Ostösterreicher“, berichtete der „Kurier“ am 2. Dezember 1988. Einem jahrzehntelangen Rechtsstreit folgte schließlich die 130 Milli- onen Euro teure Sanierung der „Altlast N 01“. Im Jahr 1989 wurde auf öffentlichen Druck die politisch heiß diskutierte „Lex Mitterndorfer Senke“, das Altlastensanierungs- gesetz, erlassen. Von 2002 bis 2006 wurden die gesamten Ablagerungen von etwa 550.000 Quadratmetern sowie der als kontaminiert klassifizierte Untergrund geräumt und entsorgt. Die Geschichte der Fischer-Deponie im Südwestteil des Wiener Beckens ist heute ein wesentlicher Bezugspunkt im kollektiven Gedächtnis der österreichischen Ökologiebewegung.

Quo vadis Wiener Becken? Im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung Niederösterreichs ist es wichtig zu fragen, wie sich räumliche und landschaftliche Strukturen verfestigen oder unter welchen Bedingungen sie radikal verändert und durch neue ersetzt werden. Die gegenwärtigen Wandlungsprozesse haben politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, aber auch historische sowie natürliche Ursachen. Viele wirken wie Treiber, die die Transformation in Gang halten: der Prozess der Verstädterung mit sich verselbstständi- genden Randzonen, der anhaltende Trend zu individueller Mobilität, die gut ausgebau- te Verkehrsinfrastruktur, die immer noch relativ billige Energie, das für viele ökono- misch möglich gewordene Wohnen im Grünen, die technologischen Entwicklungen im Bereich der Kommunikation und die globalen Prozesse, mit denen Niederösterreich durch vielfältige Austauschprozesse verbunden ist. Dennoch ist das landschaftliche Ausflugsschiff auf der Donau bei Krems/ Territorium, das wir Niederösterreich nennen, begrenzt. Es ist ein nicht beliebig Stein. Im Hintergrund sind die Frauenberg- kirche und die Nikolauskirche zu sehen. vermehrbares Gut, sondern unmittelbare Lebensgrundlage aller Bewohner/innen. Eine historische Bilanz ist unvermeidlich mit der Frage „Wohin gehst du?“ Rudolf Alt, „Holzschiff auf der Donau vor verbunden. Es ist durchaus möglich, dass sich weite Teile des Bundeslandes in einen Dürnstein“, Bleistift aquarelliert, um 1845. Das landschaftliche Territorium, heterogenen Ballungsraum verwandeln, ähnlich wie er heute schon südlich von das wir Niederösterreich nennen, Wien besteht. Dabei würden bestehende städtische, ländliche und landschaftliche ist begrenzt. Es ist ein nicht Strukturen überformt werden. Das südliche Wiener Becken, schon seit dem Industrie- beliebig vermehrbares Gut, sondern zeitalter eine Avantgarderegion der Modernisierung, die stets gleichermaßen unmittelbare Lebensgrundlage deren Chancen wie auch deren Probleme widerspiegelte, würde dann das Muster Donautal bei Dürnstein, Ausflugsschiff, aller Bewohner/innen. dieser Entwicklungen darstellen. um 1935.

492 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 493 In Niederösterreich gehören Bis heute gelten etwa das niederösterreichische Alpenvorland und ein Großteil des Semmering, Rax und Schnee- Weinviertels durch geringe Reliefunterschiede, Schnee- und Badegewässermangel berg sowie die Kurstädte sowie intensive agrarische Nutzung weitgehend als touristisch ausbaufähig. Dennoch der Thermenregion zu den liegen mit Semmering, Rax und Schneeberg sowie den Kurstädten der Thermenregion ältesten Tourismusregionen die ältesten Tourismusregionen der heutigen Republik in Niederösterreich. Abgesehen der heutigen Republik. von den touristischen Wurzeln in der barocken Massenmobilität der Wallfahrt trug vor allem der sukzessive Ausbau des Eisenbahnnetzes ab Mitte des 19. Jahrhun- derts zu diesem Pionierstatus bei. Auf die Kurorte Baden und Bad Vöslau folgte mit der Errichtung der Südbahn, deren erste Teilstrecken 1842 in Betrieb genommen wurden, die touristische Erschließung der Wiener Hausberge. Im Jahr 1854 wurde die Semmeringbahn eröffnet. Ende des 19. Jahrhunderts waren mit dem Bau der Nebenbahnen im Wald- und Mostviertel auch das Kamptal und das Ötscherland leicht erreichbar und auf die Bedürfnisse der großstädtischen Sommerfrischler ausgerichtet. Die Eisenbahn hat, so ein Schneeberg-Führer von 1842, die Berge „in den Bereich der Umgebungen Wiens gezogen“3. „Das Nomadenleben, welches die unterste Stufe der Zivilisation bezeichnet, Alpenverein, Naturfreunde findet sich auf der höchsten im allgemein gewordenen Touristenleben wieder und Österreichischer ein“, heißt es bei Arthur Schopenhauer: „Das erste ward von der Not, das zweite von Touristenclub erschlossen der Langeweile herbeigeführt.“4 Die „ästhetische Landschaft“ war seit ihrer Entstehung die „Wiener Alpen“ durch immer auch ein politisches Projekt, die ästhetische Wahrnehmung schärfte den ein Wegenetz und Selbst- Blick für bestimmte Praktiken, Landschaften zu erhalten, zu verändern und zu gestal- versorgerhütten. ten.5 Vergnügungsreisen zur Erholung waren bis zur Einführung eines gesetzlichen Urlaubsanspruchs durch das Arbeiterurlaubsgesetz vom 30. Juli 1919 in erster Linie vermögenden Kreisen vorbehalten.6 Der Ursprung des Massenmarkts und die Ent- privilegierung bestimmter Reiseziele lagen im Sonntagsausflug und der organisierten Bergwanderung begründet. Alpenverein, Naturfreunde und Österreichischer Touris- tenclub erschlossen die „Wiener Alpen“ durch ein Wegenetz und Selbstversorger- hütten. Mit der wachsenden Aufmerksamkeit, die eine zunehmend urbanisierte Gesell- schaft der „Landschaft“ widmete, stieg deren Eignung als Identifikationssymbol, gerade in Phasen starker nationaler Selbstzweifel wie zu Beginn der Ersten Republik.7 Der Kollaps der Monarchie und die Inflationsjahre entzogen weiten Teilen der bürgerlichen Klientel des gründerzeitlichen Tourismus die finanzielle Basis. Die Rah- 8 Eduard Gurk, „Der Ötscher von menbedingungen „gepflegter Erholung“ waren tiefen Veränderungen unterworfen. Annaberg aus“, Aquarell, 1833. In den 1920er-Jahren wurde der Fremdenverkehr erstmals als nennens- werter Wirtschaftsfaktor zur Entlastung der stark defizitären Handelsbilanz wahrge- nommen. 1924 kam es in der Niederösterreichischen Landesregierung zur Gründung einer eigenen Abteilung für Fremdenverkehr. Weit über 60 Prozent der Gäste stammten aus Wien. Auf 4.517.600 Inländerübernachtungen kamen im Jahr 1929/30 nur 643.000 von Personen aus dem Ausland.9 In den 1930er-Jahren verschlechterte sich die Lage des Tourismus durch die internationale Weltwirtschaftskrise und die zunehmende politische Unsicherheit. Das Bundesland Niederösterreich lag fremden- verkehrsstatistisch mit 27,8 Prozent aller Nächtigungen (1937) an der Spitze aller Bundesländer.10 Durch den hohen Inländeranteil war der niederösterreichische Frem- denverkehr von den Auswirkungen der 1.000-Mark-Sperre des Deutschen Reichs 1937 lag Niederösterreich (1933–1936) weniger betroffen als westliche Bundesländer. Die inländischen Sommer- fremdenverkehrsstatistisch an frischler wanderten lediglich in billigere Gaststätten ab, blieben im Sommer jedoch der Spitze aller Bundesländer. durchschnittlich 11,1 Tage.11 Diese Tendenz hielt bis zum Jahr 1938 an. Nach dem „Anschluss“ präsentierte Kurzzeit-Landeshauptmann und Gauleiter Roman Jäger das Arbeitsprogramm, in dem die Hebung des Fremdenverkehrs „durch großzügige Veranstaltungen echt deutscher Festkultur“ einen wichtigen Platz ein- nahm.12 Den nationalsozialistischen Verheißungen von ökonomischer Besserstellung im „völkischen Wohlfahrtsstaat“13 folgte das bittere Erwachen im Krieg. Während des Zweiten Weltkriegs waren mindestens zehn Prozent der Hotels für Lazarettzwecke beschlagnahmt, im Jahr 1945 gab es nur noch 1.600 Beherber- gungsbetriebe mit etwa 39.000 Betten14 (zum Vergleich: 67.700 Betten in der Sommer- In der Nachkriegszeit verzögerte saison 2016).15 Die Kurstadt Baden war russische Garnisonsstadt. Investitionen in sich die Modernisierung der den Tourismus standen in Niederösterreich, anders als in den westlichen Bundes- touristischen Infrastruktur – ländern, wo Marshall-Plan-Gelder großzügig in diesen Sektor flossen, in wesentlich Lifte, Seilbahnen, wintersichere geringerem Ausmaß zur Verfügung. Dadurch verzögerte sich die Modernisierung Straßen – und damit der der touristischen Infrastruktur – Lifte, Seilbahnen, wintersichere Straßen – und damit Aufbau einer „zweiten Saison“. der Aufbau einer „zweiten Saison“.

Anton Schiffer, „Ankunft des ersten Zuges in Gloggnitz“, Öl auf Leinwand, 1842.

Natur und Landschaft 495 Eine Cabriofahrt entlang des Erlaufstausees In den 1960er-Jahren entwickelte sich die moderne europäische Konsumgesellschaft, mit Blick gegen den Ötscher von Südosten, der Ressourcenverbrauch stieg rasant, gleichzeitig vollzog sich ein Wandel von um 1930. der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Wachsende Mobilität, kürzere Arbeits- zeit und höhere Einkommen sind für diesen Prozess mitverantwortlich. Viele Urlaubsorte Niederösterreichs zehrten noch von den touristischen und landschaftli- chen Strukturen der Gründerzeit, während sich in den westlichen Bundesländern die Gestaltung der „Freizeit“ zu einem zunehmend kommerzialisierten Massen- phänomen auswuchs; Landschaften verwandelten sich in regelrechte Sportarenen. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts galt eine Landschaft dann Ab den 1990er-Jahren boomte als schön, wenn sie kultiviert und ökonomisch genutzt wurde. Die gepflegte Kultur- der „grüne Tourismus“, und landschaft war das Maß der Schönheit, später trat „die Natur“ in Konkurrenz dazu. eine intakte Natur wurde zum Ab den 1990er-Jahren boomte der „grüne Tourismus“, und eine intakte Natur „Rohstoff“ des touristischen („Umwelt“) wurde zum „Rohstoff“ des touristischen Angebots an Landschaft.16 Auf Angebots an Landschaft. regionaler bzw. kommunaler Ebene findet sich in Niederösterreich eine Reihe von Initiativen für eine Integration der unterschiedlichen Ziele und Interessen von Tourismus, Landwirtschaft, Ökologie und Naturschutz, wie etwa der 1987 gegründete Deutsch-Wagramer Distelverein mit seinen Programmen (Ökowertflächen, Organisationsmodelle bäuerlicher Landschaftspflege, Marchwiesenprogramm). Insbesondere im Umland der Städte zeichnet sich gegenwärtig ein Übergang von fordistisch strukturierten agro-industriellen zu „pluralistischen“ Landschaften17 ab. Vor allem im niederösterreichischen Umland Wiens entstanden hybride „Erholungs- landschaften“, in denen sich agrarische Landnutzung mit Freizeitorientierung und Naherholungstourismus mischen. Im Wiener Becken und im Marchfeld entwickelten sich „avantgardistische Mischlandschaften“18 mit Golfplätzen, künstlichen Gewässern, Einkaufs- und Unterhaltungszentren, mit Erlebnisgastronomie (Marchfelder Spargel) und Reitställen. Der allgemeine Landschaftsverbrauch war in den vergangenen Jahrzehnten groß, auch viele Berggebiete Niederösterreichs blieben hiervon nicht verschont. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg Vielfach werden agrarische Ungunstlagen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Hier prangerten Heimat- und Natur- kommt der Wald wieder zurück. Ohne gezielte „Landschaftspflegearbeit“ gehen schutzvereine Touristen als Land- touristisch attraktive Ausblicke vergangener Tage verloren. schaftszerstörer an und traten Fremdenverkehr und Naturschutz standen einander von Beginn an kritisch gegen den Verlust des „Landschafts- gegenüber, wurden durch ihre enge Wechselbeziehung jedoch bald in einem Atemzug typischen“ auf. genannt. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg prangerten Heimat- und Naturschutz-

Grenzlandschaften Niederösterreichs Die 1875 errichtete höl- suburbaner Siedlungsraum bilden, gesäumt von Land- zerne Marchbrücke schaftsschutzzonen und vom Nationalpark Donau- Zwölf Vignetten bei Dürnkrut, die 1947 vom Eisstoß zerstört Auen, der bis an die „fließende Grenze“ March reicht. wurde, um 1930. Die Auwälder an beiden Ufern begleiten kontrastreiche Landschaften: hochproduktive Landwirtschaft neben Gerhard Strohmeier einer barocken Erlebniswelt, moderne Industriegebiete neben alten Dörfern. Aus dem barocken Ensemble Niederösterreich, „ein Land – viele Grenzen“1. Tatsäch- vermitteln, Bilder und Atmosphären skizzieren und von Schloss Hof auf die Terrassengärten zur March hin lich hat Niederösterreich eine lange Außengrenze Neugierde hinsichtlich der Dynamik wecken, in der tretend, fällt an klaren Tagen der Blick auf die wenige zu mehreren Nachbarländern und die Binnengrenze zur sich ihre Grenzen verändern. Kilometer entfernten Industrieanlagen von Devínska Enklave Wien, dem „weißen Fleck“2 inmitten Nieder- Der Grenzübergang Berg–Petržalka markiert Nová Ves, die ein Montagewerk des Volkswagen- österreichs. Es sind dies Grenzen in weitläufigen Wald- Niederösterreichs Grenze zur Slowakischen Republik, Konzerns beherbergen. Am slowakischen Ufer folgt eine gebieten und durch dünn besiedelte Gebirgsregionen, eine ehemals „tote“ Grenze am „Eisernen Vorhang“, bunte Mischung von Plattenbauten, zersiedelten Dör- in intensiv genutzten Agrarlandschaften und in subur- viel beachteter Abschnitt der niederösterreichischen fern, kleinteiligen Gartensiedlungen und einem slowaki- banen Agglomerationen, keine natürlichen, sondern Außengrenze und heute Teil des Grünen Bandes schen Lieu de mémoire: Devín. Der Felsen über der gesellschaftliche, räumliche Arrangements von jeweils Europas.3 Verfallende Gebäude der ehemaligen Grenz- March, auf dem die Burgruine Devín liegt, ist ein historischer, politischer und sozioökonomischer station säumen die Straße, erinnern an die Zeit markanter Blickpunkt von niederösterreichischer Seite, aufnehmen, zum Schutzgebiet laut Ramsar-Konvention Dynamik. Waren mittelalterliche Grenzsäume zwar strikter Grenzkontrollen und langer Wartezeiten bei weithin sichtbar und besonders relevant für die nationa- erklärt. Es wurden Vogel- und Natura-2000-Land- immer umstritten, aber prinzipiell durchlässig, Grenzübertritten vor 1989. Hier quert heute der slowaki- le Identität der Slowaken. Für die deutsche Kolonisie- schaftsschutzgebiete eingerichtet, etwa zur Erhaltung so wurden im Laufe der Staatenbildung Grenzlinien sche Linienbus 901, der Hainburg und Bratislava in rung im Mittelalter wurden die March und ihre Auen, der einzigartigen Sanddünen-Landschaften bei Drösing gezogen, die mit politischer und ökonomischer Ein- 25 Minuten Fahrzeit verbindet, die Grenze. Die Subur- die zuvor inmitten des Zentralraums des Großmähri- und Oberweiden. Es ist eine schwer zugängliche und Ausgrenzung einhergingen. Aktuell erscheinen banisierung Bratislavas ist in einem engen Korridor schen Reiches gelegen waren, um das Jahr 1000 als Aulandschaft geblieben, auf beiden Seiten der Grenze Grenzen in der Folge von Globalisierung und neuen zwischen Bratislava, Kittsee und Hainburg bereits im Grenze angesehen. Befestigungsanlagen des slawischen von Jägern, Fischern und Naturschützern bewacht. Regionsbildungen als fluide Arrangements von Gange, auf dem grenzüberschreitenden Immobilien- Herrschaftsgebietes, etwa auf dem Felsen von Devín, Die Thaya begleitet die nördliche Grenze Öster- Grenzräumen mit offenen Übergängen und fragmen- markt der Grenzregion sind immer mehr slowakische waren vermutlich bereits im 7. Jahrhundert errichtet reichs, obwohl diese nur in kleineren Abschnitten direkt tierten Landschaften. Die folgenden zwölf Vignetten Käufer aktiv; Bratislava wird zum Zentralraum worden. Die March ist Grenzsaum geblieben. In den dem Flusslauf folgt, durch agrarindustrielle Landschaf- von niederösterreichischen Grenzräumen sollen für die niederösterreichischen Dörfer an der Grenze. vergangenen Jahrzehnten wurden die Feuchtgebiete, ten des Weinviertels und des Waldviertels, Südmährens Eindrücke charakteristischer Grenzlandschaften Zukünftig wird sich von Bratislava bis Wien ein die die regelmäßigen Überschwemmungen der March und Südböhmens. Nach dem Zweiten Weltkrieg und

496 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 497 vereine Touristen als Landschaftszerstörer an und traten im Sinne Ernst Rudorffs19 Im Verlauf des 19. Jahrhun- Wiener Alpen – mystisches Waldviertel gegen den Verlust des „Landschaftstypischen“ und für die Erhaltung der „Stimmungs- derts strebten immer mehr In ganz Europa gibt es kaum eine Landschaft, die bis heute mit vergleichbar werte einer Landschaft“ ein.20 Der 1903 unter der Federführung von Karl Giannoni adelige und gutbürgerliche starken kulturellen und mentalen Bildern besetzt ist wie die Alpen. Zu den nieder- gegründete Verein für Denkmalpflege in Niederösterreich vertrat bald nach Kreise, für die lokale Bevölke- österreichischen Alpen zählen neben dem klassischen Rax-Schneeberg-Semmering- seiner Gründung die Ideale des Heimatschutzes: Naturschönheiten sollten von der rung zunächst mitunter Gebiet und der visuellen Landmark des Ötschermassivs auch die weniger prominenten „Fremdenindustrie“ nicht zu einem „lärmenden Panoptikum“ degradiert werden.21 unverständlich, ins Gebirge. Gutensteiner Alpen, die Traisen-Alpen, die Ybbstaler Alpen, die Bucklige Welt und Zu den ersten echten Naturschutzbestimmungen Niederösterreichs der Wechsel. Bereits im Biedermeier etablierten sich standardisierte „Aussichten“ auf zählte jedoch das Gesetz zum Schutz einiger Alpenblumen, insbesondere des Edelweiß. diese Landschaften, die anfänglich nur von wissenschaftlichen Beobachtern, Künstlern Der institutionalisierte Schutz der Alpenflora entwuchs in erster Linie dem Umfeld und einer privilegierten Avantgarde frequentiert wurden, bevor eine breitere, über des Alpinismus, doch auch forstliche Kreise engagierten sich. Natur- und Heimatschutz, Reiseliteratur und Landschaftsabbildung geleitete touristische Bewegung sich ihrer die ab den 1920er-Jahren im Bundesdenkmalamt über eigene Fachstellen verfügten, ebenfalls bemächtigte. griffen ineinander über und überlagerten einander dort, wo beide sich über den Im Lauf des 19. Jahrhunderts strebten immer mehr adelige und gutbürgerli- Schutz einzelner Arten oder Objekte hinaus zum Schutz ganzer Landschaftsbilder che Kreise, für die lokale Bevölkerung zunächst mitunter unverständlich, ins Gebirge. ausdehnten.22 Günther Schlesinger, Leiter der Niederösterreichischen Landessammlun- Die Auftragsmalerei thematisierte diese Umwertung als neues Verhältnis zwischen gen und ab 1923 „Konsulent“ der neu geschaffenen Fachstelle für Naturschutz, ließ Wahrnehmung und begrifflicher Konstruktion. Reiseschriftsteller bemühten sich in in seinen Publikationen frühzeitig seine ideologische Ausrichtung erkennen: „Wer ihren Texten um assoziationsstarke Bilder. Der touristische Blick folgte dem künstleri- heute auf den Semmering kommt, sieht eine Menge von Hotels, die – ich glaube kaum, schen, den Künstlern folgten die Sommerfrischler. daß ich bei Menschen mit gesundem Empfinden auf Widerspruch stoße – fast durch- Um die Jahrhundertwende erlebte der 950 Meter über dem Meeresspiegel wegs zu dem Scheußlichsten gehören, was sich der Hotelbau geleistet hat. (…) ,Ver- gelegene Luftkurort Semmering seine Hochblüte. Zu seinen Stammgästen zählten schönerungsindustrie‘ schlimmster Sorte, Ankündigungen und aller Krimskrams einer Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Felix von Salten, Stefan Zweig, Jakob ,fremden-industriell‘ kitschig erschlossenen landschaftlichen Schönheit macht sich Wassermann, Alfred Polgar, Egon Friedell, Heimito von Doderer, Karl Kraus, Franz allenthalben breit, so daß man voll Staunen den vielgepriesenen Semmering sucht.“23 Werfel, Alma Mahler, Oskar Kokoschka und Alban Berg. Ob die Semmering-Euphorie Schlesinger wurde 1938 kommissarischer Leiter sämtlicher Naturschutz- einer Flucht in eine von urbaner Modernisierung unberührte Landschaft entsprach vereine, zu denen damals auch alle Verschönerungs- und Fremdenverkehrsvereine oder mehr gesellschaftliches „Ereignis“ gewesen ist, lässt sich heute schwer beurteilen. gehörten. Die „Ostmark“ sah er „allem zuvor“ als „Reichserholungsgebiet“.24 Am Die kulturellen Eliten, die einst den Semmering besuchten, betrachteten „Natur“ Semmering wurden 1938, wie auch in anderen Urlaubsorten, antisemitische Tafeln jedenfalls mehrheitlich als gegebene Selbstverständlichkeit oder schöne Kulisse. mit „Der Semmering ist judenfrei!“ aufgestellt – eine Intervention, die den traditions- Heimito von Doderer, der in Prein bei Reichenau den „Riegelhof“ bewohnte, machte reichen Kurorten einen wesentlichen Teil des Stammpublikums entzog25 und das sich über den Wiener Drang zur Wochenendfahrt auf den Semmering lustig: „Die „langsame Sterben“ des einstigen Geisteszentrums um den Kristallisationspunkt der ,Natur‘ war nun einmal erfunden worden (ja eigentlich fuhr man ja ihretwegen „Akropolis zwischen Tannen“26, wie Heinrich Noë das Südbahnhotel 1885 genannt am Samstag hier heraus), man blieb dieser Erfindung verpflichtet (…) es klopft da hatte, einleitete. einer beim anderen an, in solchen ländlichen Umgebungen, indem man einander auf Naturschönheiten aufmerksam macht. Würde jemand sagen, diese spinatgrüne Erhabenheit mugel-auf und mugel-ab sei ihm schon ein Brechmittel: man hielte ihn für einen bösen Menschen.“ 27

bis 1989 war es die weitgehend undurchlässige, militä- ven Bauwerke in dieser Landschaft, mit einer prächtigen Tschechiens und Österreichs. Es wurde 1998 von einem technologischen Werdens. Die Beseitigung kleinteiliger risch befestigte Grenze des „Eisernen Vorhangs“, die Aufschrift auf sie hingewiesen. 1919 wurde im Rahmen tschechisch-österreichischen Joint-Venture-Unter- Wirtschaftsstrukturen jenseits der Grenze erfolgte viele für die Randlage der Region verantwortlich mach- des Friedensvertrags von Versailles die Grenze nach nehmen errichtet. Zusammen mit funktionalen Hallen parallel zur Einrichtung landwirtschaftlicher Genossen- ten. Seit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Süden verschoben, an die Kolonnade am Reistenberg für Handels- und Dienstleistungsbetriebe entstanden schaften und staatlicher Agrarbetriebe in der land- EU und der Integration in den Schengen-Raum hat nördlich des kleinen Dorfs Schrattenberg. Das mächtige Bauwerke bizarrer Architektur in der mährischen schaftsprägenden Modernisierung der Landwirtschaft. sich wieder ein breiter, offener Grenzraum gebildet, der Bauwerk mit rein repräsentativem Zweck wurde 1817 Agrarlandschaft: Drachen, Ritter und Ritterburgen aus Die Unterschiede zwischen Mähren und Niederöster- strukturell an den Grenzsaum der mittelalterlichen nach Entwürfen von Joseph Hardtmuth und Josef Sagen- und Märchenwelten, ein umbautes Flugzeug reich sind deutlich: Trotz industriell betriebener Kolonisation erinnert. Dörfer diesseits und jenseits des Kornhäusl in Anlehnung an die Schönbrunner Gloriette als Restaurant, Casinos als Zitate eines imaginierten Landwirtschaft seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- großen Nordwaldes wurden entweder vom Norden, fertiggestellt. Die Landschaft, die sich von der Kolonna- Las Vegas. Das postmoderne Landschaftsfragment auf derts auf beiden Seiten bestehen die ungleichen acker- aus Böhmen und Mähren, oder vom Osten oder Süden de nach Nordwesten erstreckt, ist eine durchkompo- etwa 30 Hektar zeigt durch verbliebene Ruinen eines baulichen Strukturen weiter. Aus der Vogelperspektive aus von Sachsen, Franken und Bayern gegründet und nierte großräumige Parklandschaft – eine „ornamented Großbrands im Jahre 2006 bereits Anzeichen von sind die unterschiedlichen Feldgrößen nördlich und in deren jeweilige Herrschaftsverbände eingegliedert.4 landscape“, in deren Blickachsen Schlösser und deko- Verwahrlosung. Auf niederösterreichischer Seite liegen südlich der Grenze noch immer deutlich erkennbar. Dabei waren die frühen mittelalterlichen Herrschaftsge- rative Bauwerke gestellt wurden. Die Wälder, Wiesen kleinteilige Landschaften des Weinbaus. Die Weingärten biete zumeist ohne klare räumliche Abgrenzungen und und Weiden dienten der Jagd und der Viehzucht, deren um Haugsdorf und Retz zählen zu den besten Rieden offen für Erweiterungen unter günstigen klimatischen Erfolge sich in einer eigens dafür errichteten Menagerie der Region, und das jenseits der Grenze bei Znojmo/ und politischen Bedingungen. Die Grenze war dadurch dem adeligen Publikum vorführen ließen. Znaim gelegene Hnanice/Gnadlersdorf war bis immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzung, Die Landschaften der Nordgrenze sind vielfältige, zum Zweiten Weltkrieg bekannt für intensiven Gemüse- Streit und Krieg. Sie war weder eindeutig festgelegt noch überwiegend landwirtschaftlich geprägte Kulturland- (Znaimer Gurken), Obst- und Weinbau.5 Mit der tatsächlich relevant. Wichtig dagegen waren die sozialen schaften. Das Grüne Band verläuft hier durch ein Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung Zugehörigkeiten zu Herrschaftsverbänden, die zwar „goldenes“ Ackerbaugebiet, die Grenzbefestigungen des nach 1945 und der Ansiedlung von Tschechen wurde wechseln konnten, aber klar geregelt waren. Die Güter „Eisernen Vorhangs“ wurden nach 1989 rasch abgetragen diese zwischen Gartenbau und kleinstrukturierter der Fürsten Liechtenstein in Valtice/Feldsberg und und der Grenzstreifen wurde wieder unter den Pflug Landwirtschaft gelegene Wirtschaftsweise weitgehend Lednice/Eisgrub etwa lagen bis in die Zeit der Habsbur- genommen. Heute führen Radwege durch die Getreide- aufgegeben. Heute fallen in Hnanice da und dort germonarchie diesseits und jenseits der Grenze zwi- felder, Ölsaaten, Rüben-, Kartoffel- und Zwiebeläcker, wieder kleinere und vielfältigere Strukturen im Wein- schen Böhmen und Niederösterreich. In einer Parkland- um das Grüne Band touristisch zu nutzen. Ein Radweg und Obstbau auf; Weinschenken und Restaurants schaft entlang einer Reihe von Teichen verlief diese passiert das merkwürdig deplatziert anmutende Der Grenzübergang widmen sich dem Tagestourismus aus Niederösterreich zwischen Österreich und Grenze, die im Alltag nicht wahrgenommen worden Shopping- und Vergnügungscenter Excalibur City im der Tschechoslowakei und Znojmo. Die Kulturlandschaft trägt hier deutliche wäre, hätte nicht das Grenzschloss, eines der dekorati- Niemandsland zwischen den Grenzkontrollstellen in Berg, Dezember 1989. Zeichen ihres politischen, ökonomischen und

498 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 499 Blick vom Wolfsbergkogel auf die Hochschneeberg im Sommer mit Ausblick Polleroswand und das Kalte-Rinne- auf die Rax von Nordosten, um 1935. Viadukt der Semmeringbahn. Die Möglichkeit einer derartigen Ausweitung des Fremdenverkehrs war erst durch von der rund 100 Kilometer entfernten Metropole Wien nunmehr in zweistündiger eine infrastrukturelle Veränderung möglich geworden, deren durchschlagender Bahnfahrt erreichbar: Der Semmering wurde zum Naherholungsgebiet. Bis dahin Erfolg darin bestand, dass das hergestellte Landschaftsbild eine ästhetische Symbiose war die Kutsche das einzige Transportmittel gewesen, ungeeignet indes für die Beför- von Technik und Natur suggerierte28, kulminierend im steinernen Viadukt über derung von großen Menschenmengen und deren Gepäck. Von der Reisegeschwindig- die Kalte Rinne. Durch den Bau der Semmeringbahn wurde nicht nur die Trassierungs- keit abgesehen gewann die Eisenbahn zusätzliche Attraktivität, weil die Fahrt an technik bedeutend erweitert, sondern auch gezeigt, dass Dampflokomotiven auf sich schon als Erlebnis wahrgenommen wurde. Dabei war eine der Natur entsprechen- eisernen Schienen in Gebirgslandschaften funktionierten.29 Mit dem im Juli 1854 de „ondulierende Linie“, die Serpentine, ein zwingendes Erfordernis. Die Semmering- aufgenommenen Zugbetrieb zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag war die Region bahn entsprach diesen landschaftsphilosophischen Kriterien. So vermittelte eine

auf einer Fläche von 63 Quadratkilometern, eingerich- und das Biosphärenreservat Třeboňsko in Südböhmen Beispielsweise wurde eine Klostergründung bei Alt- tet. Österreich fasste erst 1992 den offiziellen Beschluss säumen die Grenze. Die Teichlandschaft von Třeboň/ Melon, „Maylan“, um 1330 nach etwa 15 Jahren Kampf für einen Nationalpark, und es sollte ein zögerlicher, Wittingau ist eine bis in die Renaissance zurückreichen- gegen die schwierigen natürlichen Verhältnisse auf- langer und schwieriger Weg zum grenzübergreifenden de wasserbautechnische Anlage mit Dutzenden Teichen gegeben und das Kloster nach St. Bernhard bei Horn Nationalpark werden. Zu lange hatte die Waldesruhe und Verbindungskanälen, die die Ernährungssituation verlegt.8 Wenige Kilometer vom Ort der gescheiterten im Schatten des „Eisernen Vorhangs“ gewährt, als dass in der Region deutlich verbessert und ein der Land- mittelalterlichen Klostergründung entfernt finden eine Öffnung des Gebietes für den Tourismus und wirtschaft nützliches Mikroklima geschaffen hat. Vom wir heute ein Asyl für Bären. 1998 von Tierschützern Einschränkungen der Nutzung von den Waldbesitzern Turm der Brauerei in Třeboň ist rundum eine Land- gegründet, bietet der „Bärenwald“ Zirkus- oder Tanz- widerstandslos akzeptiert worden wären. Erst im Jahr schaft aus glitzernden Wasseroberflächen wahrnehmbar, bären artgerechte Unterkunft und Pflege. Im Gehege 2000 wurde der österreichische Teil mit einer Fläche die Teiche tragen sprechende Bezeichnungen wie sind die Landschaften des Nordwaldes en miniature von 1.330 Hektar in den Nationalpark Thayatal inte- „Die Welt“ oder „Undank“. vertreten: Laub- und Nadelbäume mit viel Unterholz, griert. Das Gebiet liegt im dünn besiedelten nördlichen Das Grüne Band verlässt westlich von Karlstift, im Beerensträucher, Moose, Farne und Höhlen unter Waldviertel, in flachwelligen Landschaften, die von Freiwald, die niederösterreichische Grenze in Richtung Granitrestlingen sind das ursprüngliche Habitat etwa 400 auf 600 Höhenmeter ansteigen, mit größeren Böhmerwald. Der Nordwald bestimmt den Landschafts- der Braunbären, die zur Zeit der Kolonisierung im geschlossenen Waldgebieten gegen Westen. Auch charakter auf beiden Seiten der Grenze zwischen dem Mittelalter eine der vielen Gefahren für die Siedler Jahrzehnte nach dem „Eisernen Vorhang“ ist es eine niederösterreichischen Wald- und dem oberösterreichi- darstellten. Ortsnamen in der Umgebung wie Bärnkopf, periphere Region, von Bevölkerungsrückgang und schen Mühlviertel: Das fast geschlossene Waldgebiet Bernreith und Pernedt erinnern uns daran. Nicht nur zerfallender Infrastruktur gezeichnet. Die Dörfer auf ist ein breiter Grenzsaum vom Freiwald bis zum Königs- schwierige natürliche Bedingungen, sondern vor beiden Seiten der Grenze wirken verlassen, mancherorts wiesener und Weinsberger Wald.7 Fichten-Monokultu- allem die sozioökonomische Benachteiligung prägten Staatsgrenze zur Tschecho- nutzt jeder zweite Bewohner sein Haus nur als Neben- ren werden von Herrschaftsbetrieben, etwa dem Habs- diese Region nachhaltig. Heute wird abgegangen slowakei in Laa an der wohnsitz.6 Erst im Nordwesten ändert sich die Land- burg-Lothring’schen Gut Persenbeug, forstwirtschaftlich von Zielen der Regionalentwicklung der 1980er-Jahre, Thaya, Dezember 1978. Die Grenze im Nationalpark Thayatal liegt in einem schaft: Zwischen Heidenreichstein, Nagelberg und intensiv genutzt. Die „Herrschaft“, wie sie hier um- die gegen regionale Disparitäten gerichtet waren. nahezu geschlossenen Waldgebiet mit steilen und Gmünd tauchen Reste der alten Glasproduktion und gangssprachlich genannt wird, ist im Alltag der Bewoh- Zunehmend wird von „selektiver Schrumpfung“, felsigen Abhängen zur Thaya. Schritte zu einem Natio- Textilindustrie auf, der Siedlungs- und Verkehrsknoten ner/innen der Grenzdörfer noch immer gegenwärtig. vom Rückbau der Infrastruktur und bestenfalls von nalpark wurden auf tschechischer Seite bereits sehr Schrems, Gmünd und České Velenice unterbricht Die mittelalterliche Kolonisation verlief nicht immer der Aufrechterhaltung der bereits ausgedünnten früh gesetzt: Schon 1979 stellte man ein Gebiet von auf wenigen Kilometern die einsamen Waldlandschaf- erfolgreich; so manche Rodungsinsel konnte nicht Wirtschaftsstrukturen der Region gesprochen.9 103 Quadratkilometern an der Thaya unter Naturschutz. ten des Grünen Bandes an der Grenze im Nordwald. langfristig besiedelt werden, und Wüstungen (aufgege- Die Grenze zu Oberösterreich südlich des Wald- 1991 wurde der Národní Park Podyjí, ein Nationalpark Ramsar-Schutzgebiete auf niederösterreichischer Seite bene Siedlungen) sowie Ruinen sind zahlreich. und Mühlviertels verläuft im Strudengau bis zur

500 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 501 Skiläufer vor der Bergstation der Raxbahn, 1932.

Wegweiser auf der Rax.

Offener Aussichtswagen der Semmering- bahn, Ansicht vom Bahnsteig bei der Bergfahrt, 1934.

Fremdenverkehrswerbung, Plakat der Raxbahn, 1926.

Enns-Mündung entlang der Donau, folgt anschließend wichtigste Erwerbsmöglichkeit in der Grenzregion. naturbezogenen Tourismus – in einer Region mit Streitgegenstand und ist bis heute in politischen Aus- der Enns bis Steyr und quert im offenen Grenzraum Teils hat er ja Tradition, wie etwa in Mariazell. Der geringer Bevölkerungszahl und sehr eingeschränkten einandersetzungen – wie in der Entscheidung über den wichtigsten österreichischen West-Ost-Verkehrs- in der Steiermark gelegene Wallfahrtsort war schon im wirtschaftlichen Möglichkeiten eine gut umsetzbare den Eisenbahn-Basistunnel – relevant. Verkehr über korridor. Offen zu den Zentren Linz und Amstetten, mit Barock Ziel von Pilgerfahrten aus Niederösterreich Strategie. Selbst die Holzgewinnung, einer der historisch den Semmering ist seit dem 12. Jahrhundert belegt, auch den Kleinstädten St. Valentin, Haag, Waidhofen an und, über die Via Sacra, aus Wien. wichtigsten Wirtschaftszweige der Region, ist in man- durch Berichte über Räuberbanden, die Reisende der Ybbs und Steyr auf oberösterreichischer Seite, zeigt Entlang der niederösterreichisch-steirischen chen Landschaften durch steiles Gelände und fehlende überfielen; jedenfalls war bis in das 19. Jahrhundert die die Landschaft diesseits und jenseits der Grenze die Grenze wurden auf beiden Seiten Schutzgebiete der Transportmöglichkeiten erschwert, etwa am Dürren- Bewertung überwiegend negativ: „rauhes Gebirge“, gleichen Formen: Hügel mit großen Bauernhöfen – den Gebirgslandschaften eingerichtet, etwa der Naturpark stein. In der NS-Zeit wurde ein Gebiet von 277 Hektar „grausamer Berg“ bis zu „unentwegte Todesangst“.13 Ein Vierkantern – in Einzellagen, Streuobstwiesen und in Eisenwurzen und der Naturpark Steirische Kalkalpen, unter Naturschutz gestellt, doch schon zuvor hatte es auf Hospiz auf steirischer Seite in der heutigen Gemeinde den flachen Landschaftsteilen intensive Landwirtschaft, nahe der Grenze der Naturpark Ötscher-Tormäuer etwa 400 Hektar kaum forstliche Eingriffe gegeben.11 Spital am Semmering, gegründet 1160, sollte für den zumeist mit Viehhaltung. Im Frühling verwandeln und das Wildnisgebiet Dürrenstein. Die Schutzgebiete Eine Fläche von 23,7 Quadratkilometern ursprünglicher „schrägen Alpendurchgang“, wie er im Mittelalter die blühenden Apfel- und Birnbäume den profanen sind integriert in die Entwicklung eines sanften, Waldlandschaft erhielt 2003 den offiziellen Status einer genannt wurde, Unterkunft und Schutz bieten.14 Immer agrarischen Produktionsraum in eine romantische „Wildnis“. Heute besteht das Schutzgebiet Rothwald größere Fuhrwerke transportierten immer größere Landschaft; die Mostschenken laden ihre Stammgäste aus der strikt abgegrenzten Zone „Urwald“, einem eher Mengen an Gütern auf der Semmeringstraße, die auch zur Eröffnung der Saison ein. Nach Süden hin verengen flachen und sumpfigen Waldgebiet, und zwei äußeren nach der Inbetriebnahme der Semmeringbahn 1854 sich die Täler zwischen den Mittelgebirgslagen des Zonen Wildnis.12 Die Gipfel und Höhenlagen an der weiter ausgebaut wurde. Mit der Semmeringbahn wurde Alpenvorlands. Ihre Besiedelung bis in die Kalkalpen Grenze liegen zumeist auf steirischem Gebiet, die nicht nur eine zusätzliche Verkehrsverbindung geschaf- erfolgte langsam, über Jahrhunderte hinweg: „Gebirgs- Grenze verläuft durch Täler (Lassingbach, Erlauf, Kalte fen, sondern auch die Wahrnehmungsgrundlage der wälle und ungeheure Wälder“10 wurden überwunden Mürz), am Erlaufsee entlang und über Pässe (Lahn- für das Wiener Bürgertum so wichtigen Semmering- und erschlossen. In den Tälern der Eisenwurzen sattel, Naßkamm, Preiner Gscheid, Semmering). Auch landschaft, des Idealbilds einer Gebirgslandschaft. Die wurden Wasser und Wälder als die wichtigsten Ressour- der Gipfel der Rax befindet sich in der Steiermark. Architektur der gründerzeitlichen Villen und prächtigen cen genutzt: Erz aus der Steiermark wurde in den Die pittoresken Landschaften der östlichen Kalkalpen Hotels des späten 19. Jahrhunderts gab der Landschaft Hammerwerken und später in den Fabriken der Metall- mit spektakulären Felsformationen und großartigen eine städtische Prägung; gleichzeitig wurden der industrie verarbeitet. Lange schon ist der Betrieb der Ausblicken sind als Fauna-Flora-Habitat „Nordöstliche Blick und die Aufmerksamkeit auf die Gebirgskulisse Hammerwerke eingestellt, die „Eisenstraße“ versucht Randalpen: Hohe Wand – Schneeberg – Rax“ geschützt. der Umgebung gelenkt. Es ist eine Kulissenlandschaft nun, die regionalwirtschaftliche Tradition für touristi- Terz auf dem Lahnsattel, Der Semmering ist seit dem Hochmittelalter des Nahen und Fernen, der felsigen Abgründe und „Gasthaus zur österreichi- sche Wertschöpfung zu nutzen. Neben der berg- schen Grenze“ auf dem ein wichtiger Pass und Verkehrsweg der Nord-Süd- erhabenen Gebirge: Im Zug von Wien nach Süden setze bäuerlichen Landwirtschaft wurde der Tourismus die Weg nach Mariazell, 1893. Verbindung Europas. Als Grenze war er historisch man sich an die Fenster an der linken Seite. Heute

502 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 503 Im Jahr 1906 wurde die Bahnfahrt auf den Semmering eine sich in die Höhe schraubende Erwartungshaltung; „Skivereinigung der Sektion am Ziel mündete sie in Ergriffenheit, die auch aus dem Gefühl der Sicherheit entstand, Austria“ gegründet, sie setzte dass man mit den Mitteln der Technik imstande sei, die Natur zu bezwingen. Die sich für den Bau einer Ski- Überquerung des Semmerings wurde zum Test einer neuen Wahrnehmungsfähigkeit: hütte am Semmering und die „Man sollte nie mit dem Automobil über den Semmering fahren.“30 Erst durch die Anbindung und Ausgestaltung Verwandlung in eine Verkehrslandschaft entwickelte sich der „touristisch zugerichtete“ des Skigebiets ein. Semmering zu einem Schlüssel für die niederösterreichische Identität. Die sommerliche Erschließung der niederösterreichischen Alpen war gegen Ende des 19. Jahrhunderts abgeschlossen, als der Skilauf Einzug fand und sich neue Möglichkeiten eröffneten. Das setzte jedoch auch eine gewisse Infrastruktur voraus. Viele Sektionen des Alpenvereins sahen sich daher gezwungen, ihre Hütten – wenn- gleich zunächst widerstrebend – den Wintersportler/innen zugänglich zu machen. Schließlich gab es ab 1905 in vielen Hütten unversperrte Winterräume mit Heiz- und Schlafmöglichkeiten. Im Jahr 1906 wurde die Skivereinigung der Sektion Austria gegründet; sie setzte sich für den Bau einer Skihütte am Semmering und für die Anbindung und Ausgestaltung des Skigebiets ein. Noch im selben Jahr eröffnete man den ersten „Skisportplatz“ in Puchberg am Schneeberg31, und der erste „Sportzug“ fuhr von Wien nach Lilienfeld, mit einem eigenen Gepäckwagen für die Skier32. Ob- wohl zahlreiche Alpenvereinssektionen den neuen Wintersport unterstützten, wurde Skifahren als Selbstzweck, als rein sportliches Vergnügen oder gar Wettkampf mehr- heitlich abgelehnt.33 Dennoch förderten etwa die Sektion Reichenau und insbesondere der Hüttenwirt des Erzherzog-Otto-Schutzhauses, Camillo Kronich, bereits um 1900 das Skispringen und -fahren. Der gebürtige Kamptaler Guido Eugen Lammer wandte sich zeitlebens vehement gegen jeden Ausbau der Berge, der eine Ausblendung früherer körperlicher Mühen ermöglichte: „Darum erschienen und erscheinen mir alle menschlichen Werke droben in der Ödnis, besonders Bergbahnen, Versicherungen, Luxushütten, immer als Tempelschändung.“34

Plakate der Fremdenverkehrswerbung aus den 1950er-Jahren: Entwürfe von Sepp Gamsjäger und August Schmid.

schiedlichen Konzepten ein neues Image zu geben – gelegenen Linienwall. Die Mauern und Tore der Stadt vom „Zauberberg“ über eine Sport- und Vergnügungs- waren markante und alltagsstrukturierende Architektu- landschaft bis hin zur Jahrhundertwende-Nostalgie ren, die nachts versperrt wurden und an denen es der großen Hotels. Strategien, der Landschaft neuerlich sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts bei der morgendli- hohe Attraktivität zu verschaffen, waren bisher mäßig chen Öffnung staute und drängte. Sicherheit und erfolgreich, der Semmering bleibt eine Problemregion. Kontrolle, Regulierung des Verkehrs, Besteuerung von Die Grenze entlang der Oststeiermark und des Waren machten die Grenze zur vielleicht wichtigsten Burgenlands führt durch die Bucklige Welt, wie diese Einrichtung der Stadt. Eine Stadt ohne Mauer war Region bezeichnet wird. Sie hat klare Ausrichtungen: keine Stadt. Wien wuchs zunächst innerhalb der Grenze Der Norden mit Aspang und Krumbach ist nach Wiener durch Verdichtung. Als die Dichte zu groß wurde, Neustadt bzw. Wien orientiert, während der Süden wuchs es außerhalb weiter. In einer idealtypisch konzen- im steirischen Hartberg und auf burgenländischer Seite trischen Bewegung bildeten sich Ringe von Stadtgren- in Pinkafeld und Oberwart seine zentralen Orte findet. zen zum Land hin. Der heute letzte konzentrische Ring, Die Grenze verläuft auf Höhenrücken, an kleinen das Autobahnnetz der „Tangente“, ist keine Stadtgrenze Landwirtschaften, Weilern und Dörfern vorbei. Die mehr, sondern verschmilzt in den breiten suburbanen „Wehrkirchen-Straße“ entlang der Grenze weist auf Sowjetischer Kontroll- Randlandschaften mit dem Umland. War schon der deren historische Bedeutung hin, auf Kriege und posten am Grenzübergang historisch älteste innerste Ring, die Grenze Vindobonas, der Semmering-Bundes- Semmeringgrenze zwi- Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Ungarn, straße von der sowjetischen suburbane Schlafsiedlungen nach Wien ausgerichtet nicht gleichmäßig um das Zentrum gelegt, so werden in schen Niederösterreich und auf die Verwüstungen der Türkenkriege, aber auch in die britische Besatzungs- sind. Die Stadt liegt in einer Entfernung, die tägliches der aktuellen Stadterweiterung viele unterschiedliche der Steiermark während zone, 1952. der Besatzungszeit, 1952. zeugen die übrig gebliebenen Hotels vom wirtschaftli- auf die Bedeutung des Tourismus in der Region. Nach Pendeln erlaubt. Zersiedelte Landschaften sind ent- und nicht immer leicht zu entschlüsselnde Landschaften chen Niedergang der Region in der Nachkriegszeit. Norden folgt die Grenze der Hügelkette des Rosalienge- standen, deren Ortskerne zerfallen, wo Siedlungsachsen geformt. Das Lager Vindobona war ein Arrangement In variierender räumlicher Ausdehnung hat die Semme- birges mit seinen höchsten Erhebungen um 500 Meter. mit loser Bebauung in offenen Ebenen verlaufen. mit der Natur. Der Fluss hatte in Jahrmillionen der ringregion einige Konjunkturen öffentlicher Auf- Die Grenze an der Leitha – seit der mittelalterlichen Wien hatte historisch eine deutliche und im Alltag Erosion eine Terrasse geschaffen, die eine relativ sichere merksamkeit und Bewertung durchgemacht. Versuche Ostkolonisation einer der beständigsten Grenzräume der jeweiligen Zeit unterschiedlich wirksame Stadt- Besiedlung ermöglichte. Die Entwicklung des Stadt- zur wirtschaftlichen Belebung umfassten Straßenausbau, Niederösterreichs und lange Zeit auch Österreichs – grenze, nämlich die Stadtmauer als Grenze zum randes, seine Erweiterungsräume und letztlich Bau und Verbesserung der Liftanlagen sowie Renovie- ist heute kaum wahrnehmbar. Im Norden folgt sie Umland. Nach der Türkenbelagerung 1683 verstärkt die Form der Stadt sind auch heute noch Resultat des rung der Hotels, gefolgt von einer Strategie in den teilweise dem Fluss, in einem Grenzsaum mit willkürli- und militärisch aufgerüstet, wurde sie wenig später Zusammenwirkens naturhafter Voraussetzungen und 1990er-Jahren, der gesamten Landschaft mit unter- chen Ein- und Ausgrenzungen von Dörfern, die als durch eine zweite Stadtgrenze ergänzt, den weiter außen gesellschaftlicher Prozesse.

504 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 505 Großstädtische Eliten leiste- Nichtsdestotrotz wurde 1926 die Raxseilbahn eröffnet. Die bergbegeisterte Reise- ten sich ab den 1960er-Jahren journalistin Alice Schalek schrieb wenige Tage nach dem Festakt: „Seit vorgestern kann anstelle der Sommerfrische man in elf Minuten mit einer Schwebebahn auf das Raxplateau hinauffahren. ein Zweithaus in den da- Das ist ein Ereignis für Wien und ganz Oesterreich, vor allem aber für uns Bergsteiger, mals touristisch noch kaum die wir bisher in der Rax unsere unbestrittene Domäne gesehen haben. Das berg- erschlossenen, struktur- frohe Wien wird umlernen müssen. ,Ich war gestern auf der Rax‘ wird nicht mehr wie schwachen Grenzregionen bisher heißen: ,Ich habe eine Leistung vollbracht‘. Jedermann wird es sagen können, Niederösterreichs. der fünfundzwanzig Schilling daranwenden kann, auf 2000 Meter Höhe eine Tasse Tee zu trinken. Mit einem heiteren, einem nassen Auge begrüßen wir die neue Bahn.“ 35 Aus reinen Sommerreisezielen konnten durch die Erfindung des Wintersports und die Schaffung der dafür notwendigen Infrastrukturen Winterreiseziele werden. Lackenhof am Ötscher, Annaberg und der Semmering sind bis heute beliebte Winter- destinationen skifahrender Wiener/innen. Infolge des globalen Klimawandels hat sich die saisonale Verteilung in Niederösterreich jedoch in manchen Mittelgebirgs- regionen durch geringeres Schneeaufkommen bereits geändert und wird sich voraussichtlich weiter verändern. Liftruinen und die Spuren alter Schneisen erzählen eine Geschichte von Aufstieg und Fall winterlicher Attraktivität. Ab den 1960er-Jahren begannen die Semmering- und Wachaubilder als Fremdenverkehrsikonen zu verblassen, der Blick in der Landschaftspräferenz verschob sich insbesondere zwischen den Generationen, so Wolfgang Kos.36 Großstädtische Eliten leisteten sich anstelle der Sommerfrische nun ein Zweithaus in den damals touristisch noch kaum erschlossenen, strukturschwachen Grenzregionen Niederöster- reichs: „Die schlichte Ländlichkeit des niederösterreichischen Weinviertels mit seinen typischen Kellergassen wurde (…) zur heftigen dionysischen Sinnenlandschaft für Zivilisationsmüde. Ähnliches galt für die granitharten und dunklen Einsamkeitsgegen- den des Wald- und Mühlviertels, mit denen bald Nebelschwaden und mystische Urkräfte assoziiert wurden.“ 37 Lothar Machura, Hauptproponent der niederösterreichischen Naturschutz- bewegung und Nachfolger Schlesingers nach 1945, propagierte „Naturparks“ als „kons- truktive Methode des Naturschutzes“ und eine „echte Chance des Fremdenverkehrs“.38 Die Bildungsexpansion der 1970er-Jahre und ein zunehmendes Unbehagen angesichts der entfesselten Moderne verhalfen dem romantischen Blick auf „Natur“ zu weiterem Auftrieb. Die Ökologiebewegung, ein Kind dieser Zeit, belebte die neoromantische Entfernungsanzeiger für Niederösterreich, um 1955. Sehnsucht nach unberührter Landschaft. Die Authentizitätsversprechen touristischer

Im Osten Wiens führt die Grenze entlang der Lobau, Hagenbrunn und Stammersdorf verläuft die Grenze Region um eine besondere Peripherie der Stadt handelt. als 50 Prozent wird erwartet.17 Der Flughafen Wien, von der Donau bis Groß-Enzersdorf, gleichzeitig als in Richtung Bisamberg an den „Schanzen“ des Rendez- Mit einem hohen Anteil an Zweitwohnsitzen und direkt an der Grenze von Wien und Niederösterreich Grenze des Nationalparks Donau-Auen: keine Wildnis vousbergs vorbei – geschützten Biotopen, die aus Arbeitspendler/innen sind die meisten Wienerwald- gelegen, entwickelt sich zu einem relevanten Knoten mehr, aber in der Freizeit intensiv genutzter ursprüngli- Verteidigungsanlagen des 19. Jahrhunderts entstanden Gemeinden nämlich deutlich nach Wien ausgerichtet, des internationalen Flugverkehrs mit den Folgen cher Auwald. Der Nationalpark grenzt scharf an eine sind, Waldinseln inmitten von Wiesen und Feldern. mit tendenziell dünner werdender Infrastruktur in zusätzlichen Verkehrsaufkommens und vor allem intensive Agrarlandschaft, was keine einfache Nachbar- Das Schutzgebiet Bisamberg besteht aufseiten Wiens seit Dörfern, deren Kerne sich zunehmend leeren. Beinahe Lärmbeeinträchtigung der Umgebung. schaft ist und das Management des Nationalparks den 1960er-Jahren im Rahmen des geschützten Wald- übergangslos grenzt an das Schutzgebiet der Agglomera- Obwohl die Grenzen Niederösterreichs heute zu- oft herausfordert. Die Dörfer auf niederösterreichischer und Wiesengürtels. Niederösterreich hat 1998 die tionsraum südlich von Wien. In Perchtoldsdorf beginnt nehmend einer konkreten, alltäglichen Wahrnehmung Seite sind noch immer durch Landwirtschaft geprägt, Landschaft an der Grenze zu einem Natura-2000-Gebiet ein östlich der Thermenlinie bis Wiener Neustadt entzogen sind, sich in breiten Grenzsäumen der großflächige agrar-industrielle Produktion von Getreide erklärt; heute gelten etwa 700 Hektar als „Europaschutz- verlaufender suburbaner Raum mit hoher Siedlungs- Peripherie oder in Zonen dynamischer Stadterweite- und Gemüse dominiert. Eine klare Regulierung der gebiet“. Die Grenze quert unterhalb des Bisambergs die dynamik, mit Resten intensiver Landwirtschaft in der rung verlieren, sind die abstrakten Grenzlinien des Flächennutzung sichert den Landbau, wo sich auch Donau an der „Nase“, dem Abhang des Leopoldsbergs, Ebene und Weinbaugebieten an den Hängen des Landes von einer stillen, deutlichen Wirksamkeit. Sie Reihenhaussiedlungen ausbreiten könnten. Beispielhaft einem historischen Aussichtspunkt über Wien und Wienerwalds. Hier findet eine rasante, große Flächen ordnen nach wie vor das staatliche administrative kann auf Raasdorf verwiesen werden, dessen Bewohner/- zugleich Beginn der Kette der Wienerwaldberge. Sie konsumierende Expansion statt. Räumlich geregelt ist Handeln, die wirtschaftlichen und politischen Räume, innen stolz darauf sind, noch immer ein traditionelles begleitet den Wienerwaldkamm, verlässt die Berghöhen die Erweiterung der Stadt durch Entscheidungen der sie legen Zuständigkeiten fest und ebenso die sozial- Dorf mit barocker Kirche in der Mitte ihr Eigen zu auf Wiens Territorium, trifft nach Mauerbach bei Raumplanung, die bereits über die formalen Zuständig- räumlichen Zugehörigkeiten, mit ungleichen Lebens- nennen, während sich am westlichen Horizont die Purkersdorf–Gablitz auf die Verkehrsschneise Wiens keiten hinaus grenzübergreifend erfolgt. Es sind bedingungen und erzwungener Mobilität. Als Staats- Kräne der Seestadt Aspern drehen. In der Mehrheit sind Richtung Westen und führt entlang des Lainzer Tiergar- Wachstumsräume einer Metropolregion, die 2030 drei grenzen sind sie von langer Dauer und können jederzeit die Dörfer an der Grenze Niederösterreichs nicht so tens in den Süden. Es sind die Landschaftsräume des Millionen Einwohner/innen zählen wird.15 Nicht wieder restriktiv wirksam gemacht werden, wie aktuelle unversehrt dem Siedlungsdruck der Großstadt davon- Wienerwalds, deren Unterschutzstellung mit einem nur die Siedlungsräume werden wachsen, sondern das Erfahrungen zeigen. gekommen. In Gerasdorf, Seyring und Kapellerfeld, Gemeinderatsbeschluss Wiens im Jahre 1905 den Beginn Stadtumland wird der Agglomerationsraum von entlang der Verkehrsachse B7, der Brünner Straße, des Landschaftsschutzes auch für Niederösterreich technischen Infrastruktureinrichtungen wie Umspann- wachsen Reihenhaussiedlungen, Genossenschafts- markiert. Genau 100 Jahre später wurde der Biosphären- werken und Logistikzentren, dem Zentralverschiebe- wohnbauten und Einfamilienhäuser in die Landschaft, park Wienerwald in 51 niederösterreichischen Gemein- bahnhof der ÖBB und vor allem Straßen. Während begleitet von einer breiten Schneise mit Verkehrs-, den und sieben Bezirken Wiens mit etwas mehr als Wien bis 2030 um 12,7 Prozent mehr Einwohner/innen Gewerbe- und Industriebauten. 100.000 Hektar Fläche offiziell eingerichtet. Die euphe- haben wird, ist für das Umland eine Bevölkerungszu- Unmittelbar neben der suburbanen Achse der mistische Bezeichnung „Lebensregion“ täuscht leicht nahme von deutlich über 20 Prozent prognostiziert:16 Brünner Straße ändert sich die Landschaft, zwischen darüber hinweg, dass es sich bei großen Teilen dieser Ein Anstieg des Verkehrsaufkommens von mehr

506 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 507 „Weltalte Landschaft“ nannte Randlagen, die Teile der urbanen Intelligenzija nun ins Waldviertel strömen ließen, Tourismus im Wandel der vergangenen 20 Jahre Wilhelm Franke das Wald- wurden selbst durch die massiven Landschaftsveränderungen vor Ort nicht getrübt. Die Rahmenbedingungen für den Mostviertel, Donau Niederösterreich, Teilen durch den Urlaubs-, Gesundheits- Zu einem touristischen Aushängeschild viertel, „eine Landschaft mit Die in den 1950er-Jahren angelegten Kamptalstauseen spielten in der touristischen niederösterreichischen Tourismus haben Wienerwald und Wiener Alpen. Sie und Wirtschaftstourismus erreicht. ist Niederösterreichs „fünfte Jahreszeit“, Geheimnis“ meinte Wilhelm Selbstdarstellung des Landes nur kurz eine Rolle, freilich eine markante. Das Handbuch sich in den vergangenen 20 Jahren durch entwickeln und vermarkten gemeinsam Die Nächtigungszahlen stiegen in den der Weinherbst, geworden. Weitere EU-Beitritt, Öffnung der Grenzen und mit der Niederösterreich-Werbung vergangenen Jahrzehnten von rund wichtige touristische Impulse setzen die Szabo. des ÖAMTC der 1970er-Jahre vermerkt: „Größter Kamptalstausee, inmitten dichter die Verbreitung des Internets beträchtlich das touristische Angebot. Das touristische 5,4 (1997) auf 6,9 (2016) Millionen Aktion „Niederösterreichische Wirtshaus- Wälder. Durch den Ausbau der Kamptalwerke der NEWAG hat der so entstandene geändert. In diese Zeit fiel auch die Leitbild setzt auf Landschaft und Natur, Nächtigungen. 60 Prozent der Wert- kultur“, die Gärten Niederösterreichs Stausee Ottenstein die einst fast unzugängliche Waldgegend in eine Fjordlandschaft Neuorganisation des niederösterreichi- Kunst und Kultur, Wein und regionale schöpfung werden im Ausflugstourismus mit zahlreichen Schaugärten und die 39 schen Tourismus. Aus einer großen Produkte sowie Gesundheitsangebote. erreicht, wozu die Niederösterreich- neun Bergerlebniszentren im alpinen verwandelt.“ Zahl von Verbänden wurden sechs 40 Prozent der Wertschöpfung werden CARD, die 49 Top-Ausflugsziele und die Süden Niederösterreichs. Ein Energieunternehmen als Tourismusgestalter? Jedenfalls war die „Natur Destinationen: Waldviertel, Weinviertel, im Nächtigungstourismus zu gleichen Kulturbetriebe wesentlich beitragen. zum Inbegriff möglicher Produkte der Technik geworden“.40 Auch das „ursprüngliche“ Kamptal, vom Hofschauspieler und späteren Kammerdiener Johann Reil im Vormärz landschaftlich „entdeckt“, erlebte erst durch einen Bahnbau seinen touristischen Waldviertel Durchbruch. Mit der 1889 eröffneten Kamptalbahn zogen auch dort die Wiener 1.232.083 Nächtigungen Sommerfrischler ein, allerdings im Vergleich zum Semmering eher der konservativere Weinviertel und christlichsozial orientierte Mittelstand. 576.401 Nächtigungen „Weltalte Landschaft“ nannte der Dichter Wilhelm Franke das Waldviertel, „eine Landschaft mit Geheimnis“ meinte sein Kollege Wilhelm Szabo. Moosbewachsene 17. Gmünd „Wackelsteine“ aus Granit und düstere Forste prägen bis heute das Bild einer „Sehn- suchtslandschaft“, in das der Ökokonservatismus der 1980er-Jahre zivilisationsskepti- sche Naturmystik und Esoterik miteinflocht. Geologische Verwitterungsprozesse 4. Moorbad Harbach 20. Laa/Thaya haben die Geländeform der Granitrestlinge geschaffen. Als Kaiblloch, Teufelsbett, Pilzstein, Teufelsbrotlaib, Vogelstein, Bettelweiberl etc. wurden sie zu landschafts- prägenden Wahrzeichen des „zauberhaften, urtümlichen Waldviertels“41. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren im Rahmen der Flurbereinigung allerdings bereits viele 12. Groß Gerungs dieser einst über die Felder verstreuten „mystischen“ Restlinge gesprengt worden. Fast jeder Waldviertler Bauer hat heute Gerätschaften, mit denen er die bei der 10. Bad Pirawarth Arbeit hinderlichen Steine ausgraben oder zertrümmern kann. Der Naturschutzbund Niederösterreich bemüht sich, weitere Sprengungen zu verhindern. 3. Krems/Donau Im März 2002 gründeten einige Unternehmer der Stadt Heidenreichstein Österreichs und Europas ersten Themenpark, die „Anderswelt“. Bis zu ihrer Schließung Donau 16. Tulln/Donau Niederösterreich im Herbst 2004 konnten Besucher/innen in keltischem Ambiente die „Mystik des 1.591.839 11. Klosterneuburg Moores“ durchleben. Bis in die 2000er-Jahre bestimmte die ökologisch-esoterische Nächtigungen Welle fast jedes touristische Konzept des Waldviertels, später konzentrierten sich Marketingstrateg/innen wieder mehr auf die regionale Produktion von Kultur in der Wien „Funktion als ergänzende(r) Abendunterhaltung“42. 7. St. Pölten Das Waldviertel positionierte sich für die Zukunft als „ökologische Ausgleichs- 2. Schwechat region“, in der Landwirtschaft, Kulturlandschaftspflege, Fremdenverkehr und Kultur 5. Vösendorf eng miteinander verzahnt sind.43 Landschaft und Kultur wechseln sich dabei in der 1. Baden Vermarktung ab, die Sicht der Städter/innen bleibt der Maßstab. Ein Blick von einer der 9. Bad Vöslau zahlreichen Aussichtswarten des Landes kann auch als ein aus der Gegenwart heraus- 18. Gaming Donau gelöster Blick in die Geschichte gedeutet werden. So ist stets nicht die eine Landschaft Niederösterreich zu sehen, sondern eine Summe von Landschaften, als Projektion aller in ihr manifes-

tierten kulturellen Ideen und gesellschaftlichen Ideale. Mostviertel 14. Wiener Neustadt Wienerwald 1.026.797 13. Göstling/Ybbs 1.505.675 Nächtigungen 19. Puchberg/ Nächtigungen Schneeberg

8. Reichenau/Rax Wiener Alpen 969.661 15. Grimmenstein Nächtigungen bis 600.000 Nächtigungen 600.000 bis 1 Million Nächtigungen über 1 Million Nächtigungen

Nächtigungsstärkste Gemeinden von 1. bis 20. 6. Bad Schönau

Beschäftigte 1999/2016 Nächtigungen 1997/2016 Marktanteile 1997/2016 in Tourismus- und Freizeitbetrieben 1999 2016 1997 2016 1997 2016 1997 2016 Betriebe NÖ gesamt Inland CEE-Länder 5.261 5.963 5.446.579 6.902.456 65 Prozent 67 Prozent 3 Prozent 7 Prozent (Ungarn, Polen, Tschechische Republik, 1999 Unselbstständig 2016 1997 2016 1997 2016 Inland gesamt Deutschland Slowakische Republik, Beschäftigte 28.428 46.479 3.559.327 4.664.797 19 Prozent 12 Prozent Rumänien)

1997 2016 1997 Sonstiges 2016 Der Ottensteiner Stausee, Ausland gesamt Ansichtskarte um 1965. 1.887.252 2.237.659 13 Prozent Ausland 14 Prozent

508 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 509 Natur und Landschaft – die wichtigsten Ereignisse 1871 1897 1926 1949 2000 1816 Letzter getreidelter Schiffszug Touristische Erschließung Investitionen Erster Sessellift in 1987 Eröffnung des Das „Jahr ohne Sommer“ durch den Strudengau des Schneebergs in den Tourismus Niederösterreich Erste Wienerwald-Deklaration Nationalparks Thayatal Das Jahr 1816 geht als das „Jahr ohne sprechen die Menschen von einer Dampfkraft ersetzt nun die Zugpferde. Der Wiener Börsenkrach von 1873 1926 wird die Raxseilbahn, Österreichs Bis zur Eröffnung des Sessellifts im Juni Die Landeshauptleute von Wien und Der 13,3 km2 große grenzüberschreitende Sommer“ in die kollektive Erinnerung ein. Gottesstrafe. Heute weiß man, dass der Vor der Dampfschifffahrt werden beendet die „Gründerzeit“, eine Phase älteste Personen-Seilschwebebahn, 1949 besteigen nur wenige Menschen Niederösterreich unterzeichnen die Nationalpark Thayatal liegt im niederös- Hagel, Gewitter und Regen suchen viele Ausbruch des indonesischen Vulkans zum Stromaufwärtsziehen der Schiffe vermehrter Banken- und Firmengründun- eröffnet. In den Gondeln haben den Himberg. In den Jahren nach der Er- 1. Wienerwald-Deklaration zum Schutz terreichischen Grenzgebiet zu Tschechien, Regionen Kontinentaleuropas beinahe Tambora im April 1815 die Hauptursache („Bergfahrt“) Menschen eingesetzt, gen. Vorausgegangen ist ihr eine von 27 Personen Platz, in der Bergstation richtung legt man neue Wanderwege des Wienerwaldes. Diese Deklaration wird umfasst 44 km Flusslänge der Thaya und täglich heim. Getreideernten fallen für das „Jahr ohne Sommer“ ist. Mit dem ab dem 14. Jahrhundert meist Pferde. wirtschaftlicher Wachstumseuphorie und befindet sich das höchstgelegene und einen Naturpark mit verschiedenen im Jahr 2000 erneuert und erweitert. schließt an den tschechischen Národní katastrophal aus, Erdäpfel verfaulen im damaligen Pferdesterben infolge der Für dieses sogenannte Treideln ist politischer Freizügigkeit genährte Restaurant Österreichs. Zur gleichen Tiergehegen an. Von da an ist der Himberg Für die Verwaltung des seit 2005 aner- park Podyjí an. Seit den 1990er-Jahren feuchten Boden. Ernterückgänge um Futtermittelknappheit hängt übrigens die die Erhaltung der Saum- oder Treppel- Spekulationsblase. Die auf den Einbruch Zeit investiert die Südbahngesellschaft, neben dem Schneeberg einer der meist- kannten UNESCO-Biosphärenparks ist hier das Vorkommen der Europäischen mindestens 75 Prozent lassen die Preise Entwicklung der Draisine, eines Vorläufers pfade entlang der Wasserwege besonders der Aktienkurse folgende Wirtschafts- Betreiberin der Semmeringbahn, in besuchten Berge der Region. Ende Wienerwald wird von beiden Bundes- Wildkatze nachgewiesen. Wildkatzen explodieren. Die Folgen: Subsistenzkrisen des Fahrrades, zusammen. wichtig. Bei größeren Schiffszügen sind krise bewirkt nicht nur viele Firmen- die Anlage des ersten Golfplatzes des 20. Jahrhunderts wird der Sessellift ländern eine gemeinnützige GesmbH gelten in Österreich seit den 1950er- und vermehrte Auswanderung. Weil man bis zu 60 Menschen und ebenso viele zusammenbrüche, sondern drängt auch Österreichs. Rund um die Meierei des wegen Sicherheitsmängeln abmontiert, mit Sitz in Tullnerbach gegründet. Jahren als ausgestorben bzw. ausgerottet. sich das Phänomen nicht erklären kann, Pferde beteiligt. Als Schiffstypen kommen die überlebenden Unternehmen zu 1882 gegründeten Südbahnhotels die Bergstation entfernt, die Gehege 2010 errichtet hier der Naturschutz- ein oder mehrere Kelheimer zum Einsatz Kostensenkungen – einerseits durch steckt ein englischer Golfarchitekt neun werden aufgelassen. Die Talstation bund Österreich eine Koordinations- und sowie mehrere Zillen und Plätten als arbeitssparende Maschinisierung, Löcher aus. Im Zweiten Weltkrieg als ist nun Stützpunkt des Österreichischen Meldestelle für die Wildkatze. Funktionsschiffe für Tauwerk, Pferde und andererseits durch Verlagerungen an Acker und Viehfutterwiese genutzt, Bergrettungsdienstes. Vorräte. Wegen des verästelten Flusssys- ländliche Billiglohnstandorte. wird der Golfplatz in den 1950er-Jahren tems mit wechselnden Untiefen kommt wieder in den Originalzustand versetzt. ein getreidelter Schiffszug an einem Tag oft nur wenige Kilometer voran. 1959 Eröffnung des Donau- 1927 Kraftwerks Ybbs-Persenbeug Naturschutzgebiet Nach der Übergabe der Baustelle des Weikendorfer Remise während der NS-Zeit begonnenen Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug durch Die Weikendorfer Remise, auch Sieben- die sowjetische Besatzungsmacht wird brunner Heide genannt, ist das erste nach neuen Planungen und fünfjähriger 1988/89 Naturschutzgebiet Österreichs. Das Bauzeit im Jahr 1959 das erste Lauf- Skandal in der 2002 Gebiet befindet sich im Marchfeld südlich kraftwerk der Österreichischen Donau- von Gänserndorf. Das Besondere sind kraftwerke AG (DoKW) eröffnet und Mitterndorfer Senke „Jahrhundert-Hochwasser“ Binnendünen und Steppenpflanzen wie als Symbol des österreichischen Wieder- Niederösterreichs Altlast Nr. 1, die Das mitteleuropäische Hochwasserereig- das Steinröschen oder das Federgras. aufbaus gefeiert. Fischer-Deponie, ist eine 800.000 m2 nis vom August 2002 wird durch tage- Heute gehört die Heide zu den Europa- große Deponie im gut durchlässigen lange schwere Regenfälle verursacht. Die schutzgebieten Pannonische Sanddünen Schotterbett der Mitterndorfer Donau und zahlreiche Nebenflüsse treten sowie Sandboden und Praterterrasse. Senke in Theresienfeld (Wiener Becken). über die Ufer. Besonders betroffen sind 1830 1866 1873 1961 Industrie- und Gewerbemüll ist dort das oberösterreichische Machland, Eisstoß Donauregulierung Rettung des Wienerwalds Fertigstellung der trotz der Lage inmitten eines der größten das südliche Mühlviertel und das nieder- Grundwasserreservoirs Mitteleuropas österreichische Kamp- und Kremstal. Ende Februar 1830 bildet Treibeis auf In diesem Jahr kommt es im Wiener Josef Schöffel („Retter des Wienerwalds“) 1899 1930 ÖMV-Raffinerie Schwechat ohne Vorkehrungen zum Grundwasser- der Höhe von Stadlau einen sogenannten Gemeinderat zum Beschluss der großen verhindert durch eine Pressekampagne in Erster österreichischer Erdöl aus dem Die Raffinerie Schwechat, 1938 auf dem schutz abgelagert worden. Der Skandal Eisstoß, einen Damm aus Eisschollen, Donauregulierung. Der Bauauftrag geht den Jahren 1870–1872 den Verkauf eines Radfahrweg Bezirk Gänserndorf Gelände einer ehemaligen Ziegelfabrik beschäftigt in den 1980er- und 1990er- der das kalte Donauwasser aufstaut. Als an das französische Unternehmen Castor, Viertels des staatlichen Wienerwalds, den errichtet, kommt nach Kriegsende Jahren immer wieder österreichische der Eisstoß bricht, rollt eine eiskalte Hersent und Couvreux, das über einschlä- der Wiener Holzhändler Moritz Hirschl Seit 1897 ist das Fahrrad per Erlass Im Jahr 1930 entdeckt das deutsche unter die Sowjetische Mineralölverwal- Gerichte und Medien. Die Deponie wird Flutwelle über die Stadt, richtet enorme gige Erfahrungen von der Errichtung erwerben und schlägern will. Heute sind des Statthalters von Niederösterreich Unternehmen Raky-Danubia nordwest- tung (SMV). Nach dem Abschluss des zwischen 2001 und 2008 um 140 Mio. € Schäden an und kostet allein in der des Suezkanals verfügt. Das am Reißbrett über 100.000 ha des Wienerwaldes als vollwertiges Verkehrsmittel auf lich von Zistersdorf Erdöl, genauer gesagt Staatsvertrags wird sie in die neu saniert. Leopoldstadt 70 Menschen das Leben. konstruierte neue Strombett ist 284,5 m UNESCO-Biosphärenpark. Am 3. Juli 1873 öffentlichen Straßen anerkannt. bei der Bohrung „Windisch-Baumgarten 1“ gegründete Österreichische Mineral- Durch die überfluteten Senkgruben breit und erhält am linken Ufer ein wird für Josef Schöffel ein Denkmal am Im Juni 1899 wird ein mehr als 20 km in 729 m Tiefe am südlichen Hang des ölverwaltung (ÖMV) eingegliedert. und das dadurch verseuchte Grundwasser 474,5 m breites Überschwemmungsgebiet. Schöffelstein enthüllt. langer Radfahrweg von Wien nach Steinberges. Geologen haben so einen Im Jahr 1958 beginnt der Neubau der kommt es zu einer Cholera-Epidemie. Am 30. Mai 1875 wird der Schiffsverkehr Bockfließ im Marchfeld eröffnet. Zum Fund schon länger prognostiziert. größten und bis heute wichtigsten 1994 Anfang März 1830 wird die March- im neuen Donaubett feierlich eröffnet. Festakt finden sich mehr als 600 Rad- Wenig später, 1934, erreicht die österrei- Raffinerie Österreichs. Mit der Auto- felder Gemeinde Kimmerleinsdorf, Festgäste fahren im Beisein des Kaisers an fahrer ein, darunter Erich Graf von chisch-schweizerische Erdölproduktions- mobilisierung der Gesellschaft und der Die ersten Windkraftanlagen etwa 6 km östlich von Groß-Enzersdorf, Bord der „Ariadne“ von der Reichsbrücke Kielmansegg, Landmarschall Baron Gesellschaft (EPG) mit der Bohrung Mechanisierung der Landwirtschaft Im Jahr 1994 kommt es in Österreich zu vom Hochwasser zerstört. Der an der nach Nußdorf. Die Kosten der Donau- Gudenus sowie der Präsident „Gösting 2“ eine Tagesproduktion von ab den 1950er-Jahren werden Versor- ersten Förderregelungen für die Strom- alten Stelle neu errichtete Ort erhält den regulierung belaufen sich auf rund 25 Mio. des Wiener „Bicycle-Clubs“. Arthur 30 t Erdöl und damit erstmals wirtschaft- gungsinfrastrukturen des Verbrennungs- erzeugung aus Windkraft. So unter- Namen Franzensdorf, da er mit Unter- Gulden, von denen je ein Drittel die Schnitzlers Frau Olga berichtet in liche Mengen. In den 1930er-Jahren motors immer wichtiger. Im Jahr 1960 stützt etwa das Umweltministerium die 2015 stützung des damaligen Kaisers Franz I. Stadt Wien, das Land Niederösterreich ihrem Erinnerungsbuch „Spiegelbild herrscht im Weinviertler „Öldorado“ gibt es in Niederösterreich erstmals Errichtung von Windkraftanlagen Anbauverbot für gentechnisch von Österreich gebaut wird. und der Staat zahlen. der Freundschaft“: „Das Bicycle- eine Art Goldgräberstimmung. mehr Traktoren (über 50.000) als Pferde mit 30 Prozent Investitionskostenzu- veränderte Pflanzen fahren beginnt eine neue Freizügig- (47.000). Was die Anzahl an Pkw betrifft, schuss. Die erste größere netzgekoppelte keit aufzuschließen.“ wird die 100.000er-Marke in Nieder- Windkraftanlage Österreichs mit Eine EU-Richtlinie, die sogenannte Opt- österreich im Jahr 1963 überschritten. einer Leistung von 150 kW entsteht in out-Richtlinie 2015/412, erlaubt Mitglied- 1891 1949 Wagram/Donau im Marchfeld. staaten oder einzelnen Regionen, ein Anbauverbot für gentechnisch veränderte Erste Flurbereinigung 1924 Spatenstich für ein Pflanzen in der Landwirtschaft zu erlassen. Österreichs in Erstes Naturschutzgesetz Kamptalkraftwerk 1973 Als erstes österreichisches Bundesland Obersiebenbrunn/Marchfeld Ölkrise und „Pickerl“ macht Niederösterreich, das schon im Das erste Naturschutzgesetz der Republik Im Jahr 1949 erfolgt der Spatenstich Jahr 2005 ein Gentechnik-Vorsorgegesetz Die planmäßige Flurneuordnung Österreich wird in Niederösterreich zum ersten Kamptalkraftwerk durch Die Erdölminister der OPEC reagieren beschlossen hat, von dieser Möglichkeit verändert die ursprüngliche Aufteilung erlassen. Es stellt bestimmte Arten, Natur- die NEWAG (Niederösterreichische im Herbst 1973 auf den Jom-Kippur- Gebrauch. Ein solches Freisetzungsverbot der Kulturlandschaft, um sie modernen denkmäler, Gebiete und auch das Land- Elektrizitätswirtschafts AG) in Thurnberg- Krieg und drehen den Ölhahn (ein wenig) kann nicht damit begründet werden, agrartechnischen Erfordernissen anzu- schaftsbild unter Schutz. Das Gesetz Wegscheid. Das Kraftwerk wird 1952 zu. Rohöl wird um 70 Prozent teurer. dass die Pflanze Gefahren für Gesundheit passen. Kritiker monieren damals schon geht auf den Zoologen und Paläontologen von Bundeskanzler Leopold Figl feierlich Ab Jänner 1974 gilt in Österreich ein oder Umwelt birgt, da alle zugelassenen den ästhetischen Verlust durch die Günther Schlesinger und den Juristen in Betrieb genommen. autofreier Tag pro Woche. Von den gentechnisch veränderten Organismen „Ausräumung“ und Vereinheitlichung der Adolf Merkl zurück. Schlesinger beeinflusst niederösterreichischen Bezirkshaupt- (GVO ) bereits eine Sicherheitsüber- Landschaft, indem Hecken, Bäume maßgeblich die Gründung einer Fachstelle mannschaften werden 31.140 „S-Pickerl“ prüfung durch die Europäische Behörde und andere natürliche Bewirtschaftungs- und eines Fachbeirates für Naturschutz (Sondergenehmigungen) ausgegeben, für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und hindernisse beseitigt werden. Zahlreiche und beruft 1923 die erste österreichische davon 90 Prozent für Fahrten zwischen die Mitgliedstaaten durchlaufen haben. lokale Besonderheiten des Landschafts- Naturschutzkonferenz in Innsbruck ein. Wohnort und Arbeitsplatz. Infolge Vielmehr müssen davon unabhängige bildes gehen dabei verloren, verbunden Er initiiert aufgrund der Dezimierung der Energiekrise kommt es vorüberge- Gründe angeführt werden. Hierzu zählen mit einer starken Reduktion der des Wienerwalds nach dem Ersten Welt- hend zu einem Sinken des Kfz-Bestands. etwa umweltpolitische Ziele, beispiels- Anzahl der Bewirtschaftungseinheiten krieg die Gründung lokaler Verbände weise der Schutz der biologischen Vielfalt und Fruchtarten. zu seinem Schutz (Verein Praterschutz, oder der Erhalt bestimmter Natur- und Verein Tiergartenschutz, Naturschutz- Landschaftselemente. verein Schöffel).

510 „Im Rauschen deiner Wälder …“ Natur und Landschaft 511 Wo man Martin Haidinger Sigrid von Osten Joachim Rössl Wissen schafft Matthias Kafka Andreas Weigl Bildung und Forschung

Forschung im Labor der IMC-Fachhochschule Krems. Marc Aurel | Superheld | Metaphysik | Hl. Severin | Ava von Melk | Analphabeten | Lateinschulen | Bibelauslegung | Hebräisch | Rhetorik | Aristoteles | Heuschreckenplage | Mondfinsternis | Nullmeridian | Himmelskarten | Universität | Avignon | Bettelstudent | Humanismus | Osmanen | Bildungstouristen | Reformation | Landschaftsschulen | Jesuitenkollegium | Gymnasium | Kukuruz | Tierspital | Klosterneuburger Mostwaage | Reblaus | Seidenraupenzucht | Kerzenlicht | Archivkatakomben | Atomenergie | Ionentherapie | Gladiatorenschule | Observatorium | Anstandslehre | Wachstäfelchen | Schulpflicht | Kinderarbeit | Matura | Prügelstrafe | Otto Glöckel | Napola | Gratisschulbuch | Neue Mittelschule | IST Austria | Krebsforschung | Das Wissen der Klöster Fakt ist trotzdem, dass die antike Gelehrsamkeit durch die Barbarenstürme zunächst einmal verschwunden ist, und wenn wir ehrlich sind, war sie in unserem Raum auch vorher nicht eindeutig nachweisbar. Daran ändert auch nichts, dass der große Beginnen wir unsere Reise durch das Bildungs- und Wissenschaftsland Niederösterreich stoische Philosoph und nebenbei auch römische Kaiser Marc Aurel während des Feldzugs gegen die Germanen 180 n. Chr. ausgerechnet in Vindobona/Pannonien starb. im Mittelalter, in den „dunklen Jahrhunderten“, wie sie traditionell genannt werden. Dennoch wird es wohl auch in Noricum und Pannonien weise Menschen gegeben Sie setzen im überkommenen Bewusstsein mit der „Völkerwanderung“ ein. Längst hat haben. Der Althistoriker Peter Brown bringt sie mit der Autorität heiliger Männer in Zusammenhang, mit Referenz auf vorchristliche gesellschaftliche Traditionen.1 sich indes die Geschichtswissenschaft darauf geeinigt, dass es die feierlich ausgerufene Die Spätantike kannte drei Idealtypen. Da war erstens der Patronus, der Völkerwanderung, bei der die Barbaren alles kurz und klein geschlagen hätten, Herrscher oder sein Stellvertreter bis hinab zum Gutsherrn; zweitens der Gladiator, also der Kämpfer bis zum Tod; und schließlich der Sanctus, der weise Heilige, der meist so nicht gegeben hat. Sie ist ein Konstrukt späterer Geschichtsschreiber, um nationale außerhalb des Dorfes im Wald oder in der Wüste lebte und aus seiner Entrückung Mythen mit packenden Geschichten von sagenhaften Landnahmen und helden- nur herbeigeholt wurde, wenn die Menschen Ratschläge brauchten, wenn es Streitig- keiten zu schlichten gab und es galt, einen Sündenbock oder eine Sau durchs Dorf mütigen Eroberungen ihrer eigenen Völker zu unterfüttern. Vergessen Sie also die zu treiben. Fortan waren eben Patronus durch Gottvater, Gladiator durch Christus und alten gemalten Schautafeln aus dem Schulunterricht von anno dazumal, auf denen Sanctus durch den Heiligen Geist repräsentiert. Ein für die frisch getauften Christen der Zeit leicht fassliches und taugliches Trio, an das sie gerne glaubten, da sie solche pausbäckige germanische Rotschöpfe blasse Römerlein verprügelten, und das Bilder ohnehin schon kannten. Das galt auch für die christliche Version des Arianismus, pünktlich von 375 bis 568. Die Durchdringung der Austria Romana mit außerrömischen die besonders unter Germanen populär war und Jesus vor allem als Menschen und nicht als Gott betrachtete. Dieses System bildete die Heilige Dreifaltigkeit auf der Erde Menschen und Einflüssen hat schon vorher begonnen, und dank des Christentums ab und überdauerte den Untergang der antiken Welt. wurden auch antike Werte weiter ins Mittelalter tradiert. Friedrich Nietzsche hat Im Mittelalter wurden aus dem Patronus der Fürst und der Bischof, aus dem Gladiator wurde der aufopfernde Ritter und Soldat, und aus dem Sanctus, der uns einmal gemeint, dass die antike Bildung als „Reizmittel zur Annahme des Christentums“, hier besonders zu interessieren hat, der Mönch, der moderne intellektuelle Superheld als „Draufgeld für die Bekehrung“ gedient hätte. Die Begriffe „Römer“ und „Christ“ mit Durchblick und Wissen. Die neuere Zeit brachte schließlich die Teilung des Patro- nus in eine weltliche und eine geistliche Macht, den für alles Mögliche streitenden seien identisch geworden. Gladiator, der für Gott, Herrscher und Vaterland, eine gerechte oder lediglich die Sache einer Streitpartei in die Schlacht zog, und den gar nicht mehr unbedingt so heiligen Sanctus, der aus der Mönchsklause heraustrat und vom Schreiber über den Alchemis- ten oder Wissenschaftler bis zum tätigen oder auch nur schwatzhaften Intellektuellen „Der Alchimist“, Gemälde des den Berater abgab und noch abgibt. Bei dieser Dreifaltigkeit ist es lange geblieben. von Erzherzog Leopold Wilhelm Sie hatte mit Kirchenglauben nicht mehr viel zu tun, machte aber die Politik. sehr geschätzten Malers David Ryckaert III., 1634. Ein Arzt untersucht den Harn und prüft dessen Farbe: Gerard Dou, „Der Arzt“, 1653.

515 Die sieben Freien Künste Wien hatten die Habsburger bereits als Hauptstadt des Herzogtums vorgefunden, wurden vom Christentum als doch auch das, was die Babenberger zuvor schon an anderen Residenzen begründet unbedenkliche Fächer aus und belebt hatten, konnte sich sehen lassen: Pöchlarn, Melk und Klosterneuburg dem antiken Kanon übernommen: waren zu Zeiten ihrer großen markgräflichen Politkarriere nicht nur Zentren welt- Grammatik, Logik, Arithmetik, licher Macht, sondern im Wortsinn Hochburgen geistlicher und geistiger Leistung. Rhetorik, Geometrie, Musik und „Klösterreich“ war Österreich vor allem hier, im Kernland, und wer im Mittelalter Astronomie. Würdige Studien „Hotspots“ der Wissenschaft gesucht hätte, wäre dort fündig geworden. Wo Stifte und waren es deshalb, weil sie nicht auf Klöster standen, wurde nicht nur Bier gebraut und Wein gekeltert, sondern auch schnöden Gelderwerb abzielten. Wissen in Schreibstuben und Schulen gemehrt und gelehrt. Erst das 17. und vor allem Außerhalb des von den Klostermauern geschützten Bereichs gediehen die das 18. Jahrhundert sollten mit Wissenschaften freilich schlecht, da weder im Lebenskreis der Bauern noch in diesem mittelalterlichen jenem der Adeligen Schutz und Muße dafür vorhanden waren – und niemand die Wissenschaftssystem brechen. grundlegenden Kulturtechniken, Lesen und Schreiben, beherrschte. Abgesehen von dem einen oder anderen Fürstenhof kamen dafür eben nur klösterliche Gemein- schaften infrage, doch auch dort vertrugen sich die Erfordernisse gelehrten Verhaltens mitunter nicht so gut mit den bischöflichen Aktivitäten oder mit mönchischer In- brunst. Deshalb schälte sich aus den geistlichen Einrichtungen nach und nach der Kreis der Gelehrten heraus.2 Ihr wichtigster Leitstern war die Metaphysik als Inbegriff der Philosophie, als „Magd der Theologie“, waren das Forschen und Wissen um Tatsachen und Zusammenhänge höchster Ordnung. Als „Philosophia“ bezeichnete man aber auch die sieben Freien Künste („Artes liberales“), die das Christentum als unbedenkli- che Fächer aus dem antiken Kanon übernommen hatte: Grammatik, Logik, Arithmetik, Rhetorik, Geometrie, Musik und Astronomie. Sie dienten dem freien Mann als würdige Studien, die im Gegensatz zu den „Artes mechanicae“ (wie Landwirtschaft, Kleider- machen, Bauen und Architektur, Landvermessen, Handel, Kochen und Schmieden) nicht auf schnöden Gelderwerb abzielten. Die Freien Künste bildeten die Vorschule der theologischen Philosophie, in weiterer Folge auch jene der Jurisprudenz und der akademischen Medizin, die sich erheblich von der mittelalterlichen Chirurgie unter- schied. Studierte „Medici“ waren zunächst Geistliche, denen seit dem Konzil von Tours 1162/63 der Kontakt mit Blut verboten war. Chirurgen dagegen galten als „Laien“, denen die niederen, schmutzigen Behandlungen des Körpers oblagen. Erst das 17. und vor allem das 18. Jahrhundert sollten mit diesem mittelalterlichen Wissen- schaftssystem brechen.3 Im Kreuzgang des Zisterzienser- Stiftes Zwettl. Vor 1.600 Jahren, ab dem späten 4. Jahrhundert, der Zeit der Völkerwanderung, war die Religion im unübersichtlichen Mitteleuropa eine Frage des Überlebens. Religiöses Bekenntnis und Wohlverhalten wurden zum Gebot der Political Correctness. Wer sich gegen sie verging, verriet die Gemeinschaft und wurde als Bedrohung für die Existenz aller empfunden. Nicht Gut und Schlecht bildeten die beiden Pole solchen Lebensentwurfs, sondern Richtig oder Falsch. Ein letzter Nachhall dieser Zweiheit klingt noch in den alten Volksmärchen nach, in denen das Brutale richtig und das Duldsame falsch sein kann. Das – unter anderem – ist eine Wurzel der gottgewollten Gesellschaftsordnung und das Fundament des Mittelalters. Nach den Awaren-, Slawen- und Ungarnstürmen konnte der ostfränkische König Otto I. am 10. August 955 die magyarische Armee auf dem Lechfeld bei Augs- burg besiegen. Als Otto der Große ging er in die Geschichtsbücher ein. Das Land östlich der Enns befreite er von den Magyaren und errichtete die Marcha orientalis neu – jene Mark, der sein Sohn und Nachfolger Otto II. 976 einen besonders treuen kaiserlichen Ordensmänner und Mönche Gefolgsmann namens Luitpold als Grafen vorsetzte. Angeblich stammt sein Geschlecht gründeten als Stützpunkte aus Bamberg; ein echter Babenberger also. Bis 1063 rauften die Babenberger noch Klöster. So entstanden Klöster mit den Magyaren um Wien und Umgebung, dann stand die Grenze gegen die Ungarn und Abteien wie Melk, aber einigermaßen fest und die Schwerter wurden zu Pflugscharen. Vorerst … Göttweig, Klosterneuburg, Dass die Babenberger das Land bleibend übernehmen konnten, verdankten Heiligenkreuz und Zwettl. sie der vom Bistum Passau ausgehenden bairischen Ostsiedlung und der damit verbundenen zweiten Christianisierung. Pfadfinder und Vordenker der Baiern waren katholische Ordensmänner und Mönche wie Benediktiner und Zisterzienser, die als Stützpunkte Klöster gründeten und dabei halfen, nördlich der Donau und südwärts bis ins Steirische hinunter Wälder zu roden und neues Land urbar zu machen. So ent- standen Klöster und Abteien wie Melk, Göttweig, Klosterneuburg, Heiligenkreuz und Zwettl. Andere landesfürstliche Gründungen waren das Wiener Schottenstift, die Klöster von Lilienfeld und Klein-Mariazell. Die Früchte dieser Kultivierung ernteten dann – nach dem durchaus geistvollen Zwischenspiel des Böhmenkönigs Ottokar – die Habsburger als neue Herren. Das Zisterzienser-Stift Lilienfeld wurde 1202 vom Babenbergerherzog Leopold VI. dem Glorreichen gegründet.

516 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 517 Bewährtes und Neues Die Wissenschaft vom Menschen stand in der monastischen Welt des frühen Bis Theorie und Praxis zusam- und hohen Mittelalters in direktem Zusammenhang mit der Pflege in den Infirmarien, menfanden und 1404 die erste den Spitälern der Klöster. Vor allem die Benediktiner, deren Regula in Kapitel 36 die öffentliche anatomische Pflege der kranken Mitbrüder vorsah, widmeten sich der Krankenfürsorge und legten Sektion auf österreichischem Kräutergärten an, in denen Heilpflanzen nach der „Materia medica“ – der Arznei- Boden stattfinden durfte, mittellehre – des Dioskurides oder des Pseudo-Apuleius gezogen wurden. Die Heilung war es aber noch ein langer diente der Verwirklichung der Imitatio Christi: Sie machte sozusagen Gottes Heils- Weg, der entlang schmaler werk offenbar, hatte also eine tiefe Verankerung im Glauben. Auch die Zisterzienser Grate und geistiger Saumwege setzten die benediktinische Tradition fort und leisteten über die Klostermauern Allegorische Darstellung des Hl. Severin führte, umringt von Aber- hinaus medizinische Hilfe. In diesem Sinn wirkte z. B. vom 13. Jahrhundert an das aus dem 19. Jahrhundert. Severin leistet glauben und Einschränkungen. Hospiz bzw. Spital in Zwettl segensreich für die Bevölkerung des gesamten Umlands. Dienste als „Ombudsmann“, Berater Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden dabei höchstens theoretisch angestellt. und Nothelfer in Zeiten der gotischen Bedrängnis in „Pannonia inferior“. Die wenigen erhaltenen, aus dieser Zeit stammenden medizinischen Schriften, die sich in der Zwettler Stiftsbibliothek finden, dürften mehr zur literarischen Bildung auf naturkundlichem Gebiet denn als Anleitung für die medizinische Praxis angeschafft worden sein. Kleine Exzerpte daraus fassten die Ärzte für sich höchstens in Rezept- aufzeichnungen oder „Vademeca“ zusammen, die sie für die eigene praktische Tätigkeit anlegten und stets bei sich trugen. Es sollte noch bis 1404 dauern, dass Theorie und Praxis zusammenfanden und in Wien unter der Leitung des aus Padua berufenen Galeazzo di Santa Sofia die erste öffentliche anatomische Sektion auf österreichi- schem Boden stattfinden durfte.4 Unter Galeazzos Schüler, dem aus Korneuburg stammenden Johann Aigel, wurden Sektionen dann immer häufiger; sie erweiterten die Kenntnis über den Aufbau des menschlichen Körpers.5 Bis zu einem aktiven chirurgischen Eingriff in den lebenden Körper war es aber noch ein langer Weg, der entlang schmaler Grate und geistiger Saumwege führte, umringt von Aberglauben und Einschränkungen. Das „Neue“ oder gar der „Fortschritt“ spielte vorerst in der klösterlichen Gelehrsamkeit keine Rolle. Es galt vielmehr, das Erbe verehrter geistiger Autoritäten der Vergangenheit zu verwalten. Deshalb hatten auch die Vertreter der neuen Seit dem 9. Jahrhundert Methoden der Scholastik (also der wissenschaftlichen Beweisführung) im 12. und besaßen diesseits der Alpen des Nominalismus im 14. Jahrhundert (im Zuge des Streits um die Grundbegriffe die Kleriker die alleinige des Daseins als bloße kulturelle Erfindungen) gegen gefährliche Verdächtigungen Oberhoheit über die Bildung, der Ketzerei zu kämpfen. Gerade in Niederösterreich haben wir es in erster Linie mit da sie ja als Einzige des großen Bewahrern, nicht mit Neuerern zu tun. Aber es gab auch Ausnahmen, wie Lateinischen mächtig waren, wir sehen werden. der Lingua franca, der Welt- Ab dem 9. Jahrhundert besaßen diesseits der Alpen, anders als in Italien, sprache. die Kleriker die alleinige Oberhoheit über die Bildung, da sie ja als Einzige des Lateini- schen mächtig waren, der Lingua franca, der Weltsprache. Das änderte sich erst Otto von Freising, Sohn des Babenberger- im 12. und 13. Jahrhundert, da Laien als Mitbewerber um das lateinische Bildungsgut herzogs Leopold III. Seit 1138 war er Bischof von Freising. In seiner „Chronica“ auftraten. Trotzdem: Einen Dante (der ja Laie war) hätte Niederösterreich niemals schildert er die Geschichte der Mensch- hervorbringen können, wie der Historiker Alphons Lhotsky so trefflich bemerkt.6 heit einschließlich einer Vision bis zum Dafür hatten die großen Lehrer von Bewährtem in einer Welt der sie umgebenden Jüngsten Gericht in acht Büchern. Darstellung im Brunnenhaus des Stiftes Analphabeten mehr als genug zu tun. Heiligenkreuz, um 1290. Die ersten „Bücher“ – in Wirklichkeit handgeschriebene Codices – erhielten die in Niederösterreich ansässigen Mönche, indem sie entliehene Vorlagen ihrer Mutterklöster jenseits der Enns, wie Kremsmünster und St. Florian, vor allem aber Passau, abschrieben. In Passau entstand im 6. Jahrhundert auch die für Nieder- österreich so wichtige „Vita Sancti Severini“ des Eugippius, das Lebensbild des hl. Severin. Wichtiger Bezugspunkt zu Passau wurde das 1070/80 gegründete Stift Göttweig, damals mit Augustiner-Chorherren und erst später mit Benediktinern besetzt. Dort finden sich außerdem Spuren eines frühen Kontakts mit dem Wissen Ostroms, der byzantinischen Bildung. Manche Bücher gelangten auch nach Wien; die letzten Babenberger-Herrscher gelten schon als gebildete Herren. Einer von ihnen, Markgraf Leopold III., und seine Frau Agnes schenkten einem genialen Sohn das Leben. Er kam 1112 in Klosterneuburg zur Welt und wurde einer der bedeutendsten Ge- Abseits des Ausnahmetalents schichtsschreiber des abendländischen Mittelalters: Otto von Freising. In seinem Otto von Freising mehrten die Hauptwerk, der Weltchronik „Historia de duabus civitatibus“ („Geschichte der beiden Klöster und Stifte ihr Wissen Reiche“), beschrieb er die Zielrichtung der Geschichte zum Gottesreich. beständig. Prächtig und Abseits des Ausnahmetalents Otto mehrten die Klöster und Stifte ihr Wissen bedeutend ist bis heute vor beständig. Prächtig und bedeutend ist bis heute vor allem die Stiftsbibliothek von allem die Stiftsbibliothek Klosterneuburg, von der wir schon aus der Zeit um 1200 ein kleines Bücherverzeichnis von Klosterneuburg, von der kennen. Bis 1300 wuchs sie rapide an, obwohl nur die für den Unterricht notwendigs- wir schon aus der Zeit ten Bücher angeschafft wurden, darunter Abschriften antiker Werke. Ob man sie Hans Part, Bischof Otto, im Hintergrund Freising mit dem Dom, 1489–1492. um 1200 ein kleines Bücher- wohl als Zeugnisse eines Vor-Humanismus ansehen kann? In Zwettl wiederum ent- Aus dem Babenberger Stammbaum, verzeichnis kennen. stand ein kostbarer Codex, eine Geschichte der Päpste. In der Theologenschule Stiftsgalerie in Klosterneuburg.

518 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 519 Der Bibliothekssaal von Stift Zwettl wurde zwischen 1730 und 1732 von Joseph Munggenast erbaut. Die Buchbestände der Stiftsbibliothek reichen bis ins 11. Jahrhundert zurück, denn im Kloster Zwettl bestand bereits ab dem 12. Jahrhundert ein produktives Scriptorium, in dem Mönche Bücher für den liturgischen Gebrauch, Geschichtswerke oder auch naturwissenschaftliche und astronomische Nachschlagewerke anfertigten. Stift Heiligenkreuz wurde im Jahre 1133 vom hl. Leopold gegründet, auf Anraten seines Sohnes, des sel. Otto von Freising.

Der Verduner Altar im Stift Klosterneu- burg wurde 1181 von Nikolaus von Verdun gefertigt und gilt als Höhepunkt der mittelalterlichen Goldschmiedekunst. von Klosterneuburg, die eine handfeste, sehr konservative Glaubensvermittlung Er zeigt Szenen aus dem Alten und betrieb, regte sich zunächst einmal Widerstand gegen das neue Denken der Scholastik. Neuen Testament. In dieser Zeit entstand 1181 der Verduner Altar als Ausdruck konservativen Geistes – aber mit einem ausgesprochen modernen Bildprogramm. Wie sich die anderen niederösterreichischen Stifte in diesem Zwiespalt positionierten, weiß man nicht, aber in Zwettl und sogar in Klosterneuburg selbst finden sich Schriften von umstrittenen modernistischen Autoren wie Gilbert de la Porrée, einem Nachfolger Abaelards, der als kämpferischer Vor-Aufklärer den Vorrang der Vernunft in die Glaubenslehre eingeführt hatte. In einer „Zwettler Summa“ signalisiert der Autor, ein gewisser Petrus Pictaviensis, eine stückweise Abkehr vom altbayerischen Lehrgut. Haben bei den Chorherren schon so früh französische Einflüsse zu einer Emanzipation von Passau geführt? Jeden- falls siegt bald die Scholastik auf der ganzen Linie, und mit ihr hält eine Frühform des wissenschaftlichen Denkens mit Thesenbildung und Beweisführung Einzug. Im 12. Jahrhundert verfasste ein Heinrich von Melk (wahrscheinlich der dortige Abt Erkenfried, gest. 1163) großartige asketisch-satirische Reimdichtungen, die zu den besten ihrer Zeit zählen: „Von des tôdes gehugde“ („Vom Denken an den Tod“) und „Vom Priesterleben“. Schon vor ihm hatte Ava von Melk (auch Ava von Göttweig, gest. um 1127) als erste bekannte Frau in deutscher Sprache gedichtet. Ihre Werke über das „Leben Jesu“, „Die sieben Gaben des Heiligen Geistes“, „Antichrist“ und „Das Jüngs- te Gericht“ sind in der Vorauer Handschrift erhalten. An die Spitze wissenschaftlichen Tuns setzten sich Melk, Klosterneuburg, An die Spitze wissenschaft- Heiligenkreuz, Klein-Mariazell, Zwettl, später auch Lilienfeld. Es waren dies wirt- lichen Tuns setzten sich im schaftlich erfolgreiche „Nobelklöster“, die im Spätmittelalter immer mehr gut Vorge- 12. Jahrhundert Melk, Kloster- bildete in ihre Gemeinschaften holten, während bescheidenere Häuser wie Göttweig neuburg, Heiligenkreuz, vorwiegend Bauernbuben aufnahmen, denen sie das Nötigste selbst beibringen Klein-Mariazell, Zwettl, später mussten.7 Für Kandidaten der Theologie außerhalb der Klöster wurde außerdem schon auch Lilienfeld. im 11. Jahrhundert eine Schule in St. Pölten errichtet, der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine weitere in Wien folgte. Dort, sowie an der Schule von Prag, wurde der Unterricht bereits als „studium“ bezeichnet – ganz so wie die Ausbildung an einer Universität. Aus alldem kann man folgern, dass die Weltkleriker in Niederöster- reich nicht weniger gebildet waren als ihre Kollegen anderswo. Nach 1200 weitete sich durch dynastische Verbindungen der Babenberger Nach 1200 weitete sich der Blick mit Byzanz und durch ihre Teilnahme an Kreuzzügen der Blick, außerdem sickerten durch dynastische Verbindungen Elemente orientalischen Wissens in unseren Raum. Am Wiener Hof sollen schon der Babenberger mit Byzanz Menschen aus dem deutschen Raum und aus Polen aus- und eingegangen sein. Nach Mit mehr als 270.000 Bänden ist die und durch ihre Teilnahme an den Babenbergern und dem gebildeten König Ottokar von Böhmen übernahm 1278 Stiftsbibliothek in Klosterneuburg die größte Privatbibliothek Österreichs. Kreuzzügen, und Elemente mit Rudolf von Habsburg ein – so wird vermutet – Analphabet das Ruder. Erst orientalischen Wissens sickerten im 14. Jahrhundert lernten die Habsburger dazu, und Friedrich der Schöne besaß sogar in unseren Raum. Bücher, deren eines, einen Augustinus-Auszug, er der Abtei Heiligenkreuz schenkte.

522 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 523 Im 13. Jahrhundert Kompetente Köpfe entstanden wegweisende Ein Sympathisant Ottokars, Gutolf von Heiligenkreuz, hatte schon im 13. Jahr- Werke der Grammatik, hundert wegweisende Werke der Grammatik, der Geschichte und der Jurisprudenz der Geschichte und der verfasst. Er gilt als der erste Philologe Niederösterreichs. Ein ähnlich wacher Geist Jurisprudenz. zeichnete den Zisterzienser-Frater Christian von Lilienfeld aus, auch er ein profunder Philologe. Vermutlich sogar ein gebürtiger Niederösterreicher war der Mönch und Autor Nikolaus Vischel (gest. um 1330), und sein Zeitgenosse Frater Ambrosius von Heiligenkreuz, ebenso ein Geschichtsschreiber, gab ein erstes Gutachten über die „Judenfrage“ seiner Zeit ab. Viele der „Hotspots“ der Gelehrsamkeit standen in enger Verbindung mit- einander. So tauschte sich Klosterneuburg mit den Wiener und den Kremser Domini- kanern, den Zisterziensern in Zwettl und in Heiligenkreuz aus. Von Herzogenburg ist für diese Zeit ebenso wenig bekannt wie von den Benediktinern in Melk, Göttweig, Seitenstetten und Altenburg. Bei den Zisterziensern in Zwettl blühte im 14. Jahr- hundert die Geschichtsschreibung. Zur selben Zeit übernahmen in Wien die Augusti- ner-Eremiten die scholastische Bildung von den Franziskanern und Dominikanern. Wie ein roter Faden zieht Dort wurde im Vorfeld der Gründung der Wiener Universität der Nominalismus, sich durch die Wissen- das philosophische Ringen um das Wesen der Begriffsbildung, entriert. Immer wieder schaftsgeschichte des Mittel- waren an der Wiener Studienanstalt bei St. Stephan Unruhen ausgebrochen, weil alters das Ringen um die Studenten die Inkompetenz von Rektoren und Professoren beklagten. Aus diesem Bibelauslegung und die damit Haus, dessen Qualität dennoch stetig stieg, wurde dann eine „Bürgerschule“, die verbundene Notwendigkeit Nachahmer in Wiener Neustadt (wo schon 1228 ein gewisser Godefridus eine höhere des Studiums alter Sprachen. Lehranstalt begründet hatte), Krems und Stein (beide 1305) fand. Weltliche Latein- schulen entstanden auch in Melk, Klosterneuburg, Ravelsbach, Leobersdorf, Weikers- dorf und Horn. Bemerkenswert scheint, dass man sich in Klosterneuburg bereits ab 1300 dem Studium des Römischen Rechts gewidmet hat – weit mehr als 100 Jahre, bevor das in Melk oder bei den Wiener Dominikanern der Fall war. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Wissenschaftsgeschichte des Mittel- alters das Ringen um die Bibelauslegung und die damit verbundene Notwendigkeit des Studiums alter Sprachen, des Hebräischen, vor allem aber auch des Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments. Darum bemühten sich die Zisterzienser in Heili- genkreuz und in Zwettl. Dort, am Kamp, betrieb man auch ab 1400 Rhetorik im lateinischen Stil, besonders unterfüttert durch den großen Lehrer Andreas Santperg.8 In der Philosophie, in der trivialen Dialektik (also dem allgemeinen „Wissenserwerb“) vorchristlicher Autoren wie Aristoteles machte sich die Tendenz bemerkbar, dass die Originaltexte eher in der etwas ruhigeren Atmosphäre der Klöster studiert wurden als in den hektischeren Universitäten Prag (ab 1348) und Wien (ab 1365), wo zusehends nur mehr die Kommentare dieser Klassiker Gegenstand von Studium und Diskussion waren. So kam es zu der paradoxen Situation, dass die Hauslehranstalten der Klöster in dieser Periode mehr zur Pflege paganer – also heidnischer – antiker Autoren beitrugen als die Fakultäten in Prag und Wien.

Mit seinem zwischen 1348 und 1350 verfassten „Buch der Natur“ schuf der in der Nähe von Nürnberg geborene Den Marktbrunnen neben der Konrad von Megenberg ein Werk, Marienkirche und dem das als erstes systematisches deutschspra- Rathaus in Königsberg, Bayern, chiges Kompendium des Wissens über ziert eine Statue des in die Natur angesehen wird. Titelblatt eines Wien und Melk tätigen Astronomen frühen Drucks aus dem 16. Jahrhundert. Regiomontanus (Johannes Müller).

524 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 525 Eine wichtige Rolle für die höhere Gelehrsamkeit nahmen im 14. Jahrhundert Die Universität Wien belebt das Land wirkende Weltgeistliche wie Johannes Parisiensis oder Otto Gnemhertl ein, die ihre Universalbibliotheken Stift Zwettl vermachten. Woran es Niederösterreich in dieser Ehrgeiz und Aufbruch Ära aber mangelte, war ein bedeutender geistiger Mittelpunkt, ein Zentrum vom Blicken wir zurück in das Jahr 1365. Herzog Rudolf IV. von Österreich war ein Rang Paris’ oder Prags etwa. Dazu trugen sicherlich die Katastrophen des 14. Jahrhun- Die Stiftung der Universität ehrgeiziger junger Mann, verheiratet mit der Tochter von Kaiser Karl IV. – jenem derts bei: Überschwemmungen ab 1317, Kriegsverheerungen 1314 und 1322, eine in Wien durch Rudolf IV. Luxemburger, der in Prag saß und dort 1348 die erste Universität im Deutschen Reich Heuschreckenplage 1338, die Pestepidemie 1348 … Da hatten die meisten Menschen im Jahr 1365 belebte das ganze gegründet hatte. Rudolf wollte seinen Schwiegervater übertrumpfen und tat daher wohl andere Sorgen als das Streben nach Gelehrsamkeit. Land enorm. mehrerlei: Er forcierte den Weiterbau des prestigeträchtigen Stephansdoms, ließ Trotzdem kam die von wohlhabenden Bürgern betriebene Stadtschule bei so manche Urkunden fälschen, die ihm Macht und Ehre bringen sollten, und stiftete St. Stephan in Wien gerade in dieser Zeit, noch vor Gründung der Wiener Universität, seinerseits eine Universität in Wien! Das belebte das ganze Land enorm, vor allem zu besonderer Blüte. Dort wirkten der Mathematiker Wurmbrecht oder der Schöpfer nach der ersten, schwierigen Anlaufphase des Universitätsbetriebs bis in die 1380er- der ersten Naturgeschichte in deutscher Sprache, Konrad von Megenberg.9 Der Jahre. Anders als in Frankreich, wo die Pariser Sorbonne seinerzeit die einst so geniale Astronom Johannes Müller von Königsberg (in Franken), genannt Regio- bedeutenden Schulen des Umlandes geradezu erwürgt hatte, trug die Alma Mater montanus, hörte die Vorlesungen Georg von Peuerbachs noch im 15. Jahrhundert Rudolfina dazu bei, die wissenschaftlichen Einzelinitiativen in Niederösterreich an dieser Schule – und nicht etwa an der Universität. Gemeinsam betrachteten zu koordinieren. Die Prälaten schickten ihre jungen Mitbrüder gerne zum Studieren Peuerbach und Regiomontanus von einem Turm des Klosters Melk aus die Mond- nach Wien und schufen ihnen eigene Unterkunftshäuser, wie etwa Heiligenkreuz. finsternis vom 3. September 1457 und stellten Berechnungen mithilfe eines Das führte zu einer akademischen „Infektion“ des niederösterreichischen Landes mit selbst konstruierten wegweisenden Astrolabiums an, mit dem der sich drehende gelehrten Wiener Scholaren, Magistern und Doktoren. Zwar war die „universitas“ Himmel nachgebildet werden konnte. auch in Wien eine überregionale und übernationale Einrichtung, sie hatte aber vor Schon im 14. Jahrhundert, am Vorabend der Universitätsgründung, war allem auf das unmittelbare Umland große Sogwirkung. Zumal nach dem Großen Wien ein Zentrum der Naturlehre und der Astronomie. Der aus Ostfalen stammende Abendländischen Schisma von 1378 das Herzogtum Österreich unter Albrecht III. sowie Nikolaus Seyringer, ab 1401 Rektor der Albert von Rickmersdorf, vormals Rektor der Sorbonne und dann erster Rektor Böhmen, und damit die Universitäten Wien und Prag, auf der Seite des römischen Universität Wien, von 1418 an Abt der Universität Wien, sowie sein Nachfolger in diesem Amt, der Naturwissenschaftler Papstes Urban VI. standen, wohingegen die von Herzog Leopold III. verwalteten Länder von Melk. Er gilt als Initiator der Melker Reform. Porträt aus dem „Chronicon und harte Kämpfer gegen astrologischen Aberglauben Heinrich von Langenstein, Steiermark (mit Wiener Neustadt), Kärnten und Tirol die Partei des Gegenpapstes Mellicense“ von Anselm Schramb, 1702. bildeten mit Johann von Gmunden als Drittem im Bunde die astronomische „Wiener Clemens VII. ergriffen, der in Avignon residierte. Dieses so weit zurückliegende Ereignis Schule“. Alle drei Herren waren selbstverständlich Kleriker, die hohe Wissenschaft bildet sich bis heute in den alten Beständen diverser Klosterbibliotheken ab! So fanden befand sich noch fest in der Hand der Geistlichkeit. Entsprechend bedeutsam gerieten sich die zeitgenössischen Schriften des berühmten Wiener Theologen Thomas Eben- auch kirchliche Reformbestrebungen für die Wissenschaften. Eine von Melk aus- dorfer in den Stiftsbibliotheken zwischen Schwaben und Siebenbürgen, kaum aber in gehende Reformbewegung brachte 1418 den bedeutenden, aus Matzen (heute Bezirk den innerösterreichischen (also steirischen) Sammlungen. Gänserndorf) stammenden Abt Nikolaus Seyringer ans Ruder, der als Literat so Die österreichische Gesellschaft war nach wie vor streng ständisch gegliedert; bekannt war, dass er auf dem Konzil von Konstanz sogar als Papstkandidat gehandelt eine Aufstiegsmöglichkeit bot die Karriere als Kleriker, zu gut Mittelhochdeutsch: worden sein soll. als Angehöriger der „pfafheit“. Das bedeutete nicht notwendigerweise, dass man Neben Wien und Melk, wo Abt Leonhard von Straubing sachverständig astro- es bis zum Priester brachte, denn auch andere Teile der Gesellschaft genossen so etwas nomisch in den Himmel blickte, war Klosterneuburg im Spätmittelalter die wichtigste wie einen niederen Weihestatus – z. B. eben die Angehörigen der Universität, vom Pflegestätte der exakten Wissenschaften. Der aus Petronell gebürtige Propst Georg Studenten bis zum Professor oder gar zum Rektor, der zeitweilig automatisch nobili- Muestinger betrieb hochmoderne Forschungen auf dem Gebiet der Mathematik tiert, also durch sein Amt zum Adeligen wurde. und der Geografie, aber auch Planetenstudien. Regiomontanus fertigte dort Abschrif- Student in Wien – das war etwas! Auch wenn fallweise Arme als „pauperes“, ten von Abhandlungen über die Herstellung von Nürnberger Sonnenuhren an, quasi als Bettelstudenten, immatrikulieren konnten, gehörte der Student zu einem „aus denen sogar ersichtlich ist, dass der Sinussatz des sphärischen Dreiecks in Öster- Die „universitas“ in Wien stolzen Stand, der es dem Aristokraten gleichtun wollte. Rebellischen Geist drückte er reich schon 1431 bekannt war“10. An der hier ansässigen kartografischen Schule hatte große Sogwirkung auf vor allem über seine Kleidung aus, 1513 kam es zu einem regelrechten Studenten- wurde die älteste Landkarte Mitteleuropas (mit Nullmeridian durch Klosterneuburg) das unmittelbare Umland. aufstand, dem „lateinischen Krieg“. Anlass bot eine blutige Rauferei mit Toten und entworfen, und auch ein Globus wurde dort konstruiert – nebst Himmelskarten auf Pergament. Sie sind Vorläufer der Nürnberger Sternkarten von 1503. Ein weiterer prominenter Vertreter dieses Strangs der Wissenschaft war Johannes Schindel, der sich mit der Konstruktion von Instrumenten zur Berechnung der Sonnenhöhe und der Zeitmessung befasste. Der beste Schüler des früh verstorbenen Peuerbach war der schon erwähnte Regiomontanus. Zwölf Jahre, und damit länger als anderswo, wirkte der große Astronom in Wien, ehe er Hofastronom des ungarischen Königs Matthias Corvinus wurde. Danach widmete er sich in seiner fränkischen Heimat wieder Mathematik, Physik, Chronologie und Technik, bis er 1476 in Rom starb. Er gilt als Wegbereiter des Kopernikus und markiert wie dieser durch sein Wirken und sein Leben den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Quasi als Abgesang auf das mittelalterliche Niederösterreich lässt sich eine Schrift des Burgpfarrers und Beichtvaters am Wiener Hof, Thomas Peuntner (gest. 1439), lesen: In seiner „Kunst des heilsamen Sterbens“ kommt neben einer mystischen Gottesliebe eine besonders zarte und liebevolle Einstellung zu den Mitmenschen zutage. Sie bringt einen Vorgeschmack auf die Geisteshaltung der Humanisten: „Es ist kein Werk der Barmherzigkeit grösser, als dass dem kranken Menschen in seinen letzten Nöten geistlich und sein Heil betreffend geholfen wird.“ Der Holzschnitt aus dem Jahr 1496 zeigt eine Armillarsphäre mit dem Tierkreis (Ekliptik) und dessen Pol. Darunter sitzen Ptolemaios (links) und Regiomontanus Herzog Rudolf IV. gründete (rechts). 1365 mit seinen Brüdern Albrecht III. und Leopold III. die Universität Wien. Idealisierte Darstellung von Karl Ruß, 19. Jahrhundert.

526 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 527 Verletzten zwischen Studenten und Knechten eines Weinbauern aus der Umgebung von Wien, aber der eigentliche Grund war die Revolte der Studenten, die keine bescheidene Kutte mit Cingulum (Gürtel) mehr tragen wollten, sondern bunte Kleider, spitze Schuhe oder Stiefel und vor allem schwere, am Boden schleifende Blankwaffen – wie die „Actionhelden“ dieser Zeit, die Landsknechte! Mit oder ohne fesche Kleidung – um 1500 war die Alma Mater Rudolfina die bestbesuchte deutsche Universität. Bis 1520 wurden pro Jahr um die 6.000 Stu- denten in den Matrikeln geführt. (Heute ist sie mit 93.000 Studierenden erneut die größte des deutschen Sprachraums.) Wahre Größen der Zeit gaben hier ihr Wissen weiter. Seit Petrarca den Renaissance-Humanismus begründet und ihn der spätere Papst Pius II., Enea Silvio Piccolomini, am Hof Friedrichs III. bekannt gemacht hatte, rückte die Wissenschaft immer mehr den lebenden Menschen und nicht das Jenseits in den Mittelpunkt. Piccolomini sollte als Erster nördlich der Alpen die Dichter- krone erhalten – mehr als vier Jahrzehnte vor dem Poetiker und Rhetoriker Conrad Celtis, dem ersten deutschen Poeta laureatus. Celtis, der 1497 an die Universität Wien kam, schöpfte aus einer reichen Erfahrung an Bildung, die er in Florenz, Padua, Bologna und Rom erworben hatte. In Heidelberg, Buda und Wien gründete er die humanistische Gelehrtengesellschaft Sodalitas Danubiana Vindobonensis. Durch Celtis entwickelte sich, was später einmal die Philosophische Fakultät werden sollte. Trotzdem nahm bald darauf die Studentenzahl dramatisch ab.

Glaubens- und Wissenskampf Neben den Wirren der Reformationszeit lag der Grund für den Niedergang der Universität vor allem in der Bedrohung durch die Osmanen. Die Zusammen- 1513 kam es zu einem setzung der Studentenschaft änderte sich. War sie anfangs noch zur Hälfte aus Studentenaufstand in Wien, Schwaben und dem Rheinland gekommen, handelte es sich nun fast nur mehr um dem „lateinischen Krieg“. Studiosi aus den habsburgischen Ländern, und auch sie wurden weniger. In der frühen Neuzeit waren die Zeiten wirtschaftlich härter, die Bildungstouristen blieben aus. Da gab es Jahre, in denen nur mehr zehn bis zwölf Studenten eingetragen waren – eine intellektuelle und finanzielle Katastrophe.11 In der Folge sprang die staatliche Obrigkeit ein, rettete die ausgeblutete Universität, übernahm aber auch mehr und mehr den Betrieb und gewann an Einfluss. Der große Lesesaal der Universität Wien Sie wurde von der gelehrten zur fürstlichen Anstalt. Gerade hier wurden aber mit wurde 1884 fertiggestellt und ist in seinem der Reformation auch Lehrer und Studenten zusehends protestantisch. Dennoch kam ursprünglichen Aussehen weitgehend erhalten.

Das Alchemistenlaboratorium komplett oder teilweise restauriert (und zeichnerisch rekonstruiert) werden; dazu gehören über 300 Schmelz- von Oberstockstall tiegel (verschiedener Größe, von 1,5 bis 20 Zentimeter Höhe; Herstellungsort Obernzell bei Passau) und Sigrid von Osten etwa 100 Aschkupellen (aus Knochenasche gepresste Näpfe). Der Fund bietet die einmalige Gelegenheit, Betritt man den Hof des Schlosses Oberstockstall, ist In dieser „Sakristei“ wurde von der Autorin im Jahre ein durch in der Praxis verwendete Objekte abgesicher- man auch heute noch beeindruckt von diesem En- 1980 ein Depotfund archäologisch ausgegraben und tes Bild von der Tätigkeit eines Alchemisten (oder semble, das von der gotischen Kapelle beherrscht wird. geborgen, der in einer mittelalterlichen Vorratsgrube wohl besser: Alchemikers) der Renaissancezeit zu Seit dem 12. Jahrhundert war dies der Pfarrhof zu (mit Keramik an der Sohle datierbar ins 14. Jahrhundert) gewinnen, wie sie Georg Agricola (1555), Lazarus Ercker Kirchberg am Wagram und Sitz der Grundherrschaft zusammen mit Bauschutt und Holzkohleresten „ent- (1574) und Andreas Libavius (1597) beschrieben haben. des Passauer Domkapitels. Den Haupttrakt ließ der sorgt“ worden war. Das geborgene Material erwies Wenn man zum Vergleich die zeitgenössische Pfarrherr Christoph von Trenbach (Pfarrer von 1538 bis sich als das Inventar eines alchemisch-metallurgischen Fachliteratur oder die Inventarverzeichnisse aus histo- 1552) im Jahre 1548 errichten, verrät ein in der Halle Laboratoriums, das sich in die Zeit um 1586 bis 1590 risch-archivalisch belegten Laboratorien heranzieht, über dem Eingang zur Wendeltreppe in situ erhaltenes datieren lässt. Wie sich bei der Restaurierung und muss dieses Laboratorium hervorragend ausgestattet Wappen. Auf ihn geht auch die sogenannte Sakristei Bearbeitung herausstellte, handelt es sich bei diesem gewesen sein. Die Labor- und sonstigen technischen zurück, die westlich an die um 1300 erbaute Schloss- weltweit einzigartigen Inventar um eine chemie- und Geräte sind hauptsächlich aus Keramik und Glas, kapelle anschließt. Die tonnengewölbte „Sakristei“ kulturgeschichtliche Sensation, nicht zuletzt deswegen, aber auch aus Metall und anderen Materialien gefertigt. und ein darüber liegender, über eine gemauerte Treppe weil ausnahmslos an allen Objekten Spuren und An keramischen Geräten gibt es unter anderem Alem- zugänglicher, ursprünglich ebenfalls tonnengewölbter Rückstände chemischer Prozesse vorhanden sind. Das biks (Destillierhelme), Glockenhelme, Aludeln (Subli- Raum bilden eine außergewöhnlich massive Einheit, lässt darauf schließen, dass eine Katastrophe zur mierhelme), Retorten, Cucurbiten (Destillierkolben), die im Zuge des Umbaus von 1548/49 in den Gebäude- Zerstörung des Inventars geführt hat, und zwar den Eine Auswahl von Objekten: Blasen und Schmelzgefäße, Muffeln (Hauben zum komplex aus dem 14. Jahrhundert integriert wurde. Befunden zufolge das Neulengbacher Beben vom Schmelztiegel, Probierscher- Schutz der Tiegel und Kupellen) und anderes Zubehör ben, Helme, Destillierkolben Die Datierung der Errichtung dieser explosions- und 15. auf den 16. September 1590 mit einer Stärke von etwa (Cucurbiten), Aludeln, zu den Laboratoriumsöfen, wozu auch zwei Blattkacheln feuerfesten (aber nicht erdbebensicheren) Räume, 6,5 nach Richter im nur rund 25 Kilometer entfernten „Sandbad“, „geschwänzte mit alchemistischen Motiven gehören. Die Glasgeräte des Laboratoriums, wird durch einen Türstock erleich- Epizentrum. Flasche“ (Durchlaufkühler), umfassen Alembiks, Schalen, Destillierkolben und Aschkupellen ... tert, der nach Jahresringen auf 1549 zurückgeführt Dieser Fund zeichnet sich durch Umfang und Phiolen, Deckel und Flaschen sowie metallene Kolben, werden konnte.1 Geschlossenheit aus: Mehr als 1.000 Objekte konnten Schaber, Unterlagsplatten und Folien, Drähte, ein Sieb,

528 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 529 Die Landschaftsschulen aus dem evangelischen Teil des Reichs kaum noch jemand, da die neu gegründeten bevölkerten vor allem die Kinder lutherischen Hochschulen wie jene in Wittenberg um einiges attraktiver waren des Adels, die städtischen und vor allem nicht im Herrschaftsgebiet katholischer Erzherzöge lagen. In der Gegen- Lateinschulen wurden von den reformation wurde das protestantische Niederösterreich jesuitisch zurückkatholisiert. Bürgerlichen besucht. Zu spüren bekamen das vor allem die sogenannten Landschaftsschulen („Adeliche Landt-Schuel“)12, so die Bezeichnung für die im 16. und 17. Jahrhundert in Österreich von protestantischen Adeligen (also den Ständen, daher auch „Landschaft“) im Geist von deutschen Reformatoren wie Melanchthon betriebenen höher organisierten Lateinschulen. In Niederösterreich gab es sie außer in Wien auch in Horn, Mistelbach und Loosdorf. Sie orientierten sich an deutschen evangelischen Schulstrukturen und Lehrplänen und beschäftigten vor allem Lehrer von außerhalb Österreichs. Der Stoff war anspruchsvoll, die Schüler wurden in drei „Hauffen“, eine Vorform der Schulklassen, eingeteilt. In den Städten gab es weiterhin auch die städtischen Lateinschulen, die vierklassig (Wien, Horn) oder fünfklassig (Loosdorf, Krems) geführt wurden. Wenn sie zusätzlich auch Griechisch lehrten, wie jene in Krems ab 1579, nann- te man sie bereits „Gymnasien“. Die Landschaftsschulen bevölkerten vor allem die Kinder des Adels, die städtischen Lateinschulen wurden von den Bürgerlichen besucht. Da sie unter anderem als Kaderschmieden für den protestantischen (Prediger-)Nach- wuchs dienten, wurden sie die erste Zielscheibe für die katholische Gegenreformation, zunächst in den Städten. Wiener Neustadt erhielt 1579 eine erneuerte katholische Jesuitenkirche und rechts davon das Akademische Kolleg in Wien im Schulordnung, Krems 1585 und Korneuburg 1586. Wegen diverser Zugeständnisse der Jahr 1628. Kupferstich nach einer Habsburger an die protestantischen Stände hatten deren Landschaftsschulen da Zeichnung von Salomon Kleiner, 1724. und dort noch eine Gnadenfrist. Doch am 14. September 1627, also schon während des großen Ringens der Konfessionen, des Dreißigjährigen Kriegs, erging der Erlass Kaiser Ferdinands II., dass protestantische Lehrer und Geistliche das Land unter der Enns Bereits in den 1720er-Jahren dachte man erstmals laut über eine Entmachtung binnen 14 Tagen zu verlassen hätten. der Jesuiten als Träger der Universität nach. Neben aufgeklärten Aristokraten, denen 1623 ordnete Ferdinand II. an, die Universität Wien mit dem Jesuitenkollegium die scholastische Ausbildung zu verzopft erschien, sägte auch die innerkirchliche zu verschmelzen. Die Universität wurde neu gebaut, samt Hörsälen, einem Festsaal Konkurrenz, der Benediktinerorden, am Stuhl der Jesuiten. Vor allem aber brauchte und einem repräsentativen Platz, dem heutigen Ignaz-Seipel-Platz, der bis heute man modern ausgebildete Juristen als Beamte. Maria Theresia holte aus den Nieder- architektonisch von der Jesuitenkirche dominiert wird. In Geltung gesetzt wurde die landen den Mediziner und Aufklärer Gerard van Swieten nach Wien – als Leibarzt 1623 wurde auf Geheiß Kaiser „Ratio studiorum“ des 1599 verlautbarten jesuitischen Lehrplans. Ihn darf man sich und als Reformer des österreichischen Gesundheitswesens und der Hochschulaus- Ferdinands II. die Universität zwar nicht als Ausbund verknöcherter Gegenreformation finsterster Prägung vor- bildung. Das Ende der Jesuitenuniversität war gekommen. Van Swieten errichtet u. a. Wien mit dem Jesuiten- stellen, da waren schon Top-Intellektuelle am Werk; allerdings wurde hier nicht neues einen botanischen Garten und ein chemisches Labor, und er führte den klinischen kollegium verschmolzen. Wissen geschaffen, ein- und derselbe Lehrplan bleibt über 100 Jahre lang in Kraft. Unterricht ein, die Medizin am Krankenbett. Daraus entstand die sogenannte Ältere

Röhren und eine Buchschließe. Besonders umfangreich verbleiendes Schmelzen, Scheiden im Guss und durch Beide kommen sowohl als Alchemiker als auch als Und es muss sehr bekannt gewesen sein, wie eine ist das schmelztechnische Inventar, darunter Schmelz- die Quart sowie Amalgamationsverfahren (alles Auftraggeber infrage. Ihnen folgten als Pfarrherren Nennung an einem weit entfernten Ort zeigt: Der kleine tiegel, Probierscherben, Kupellen und Aschkupellen. Trennverfahren zur Gewinnung des reinen Edelmetalls), Viktor August Fugger (1573–1586) und Sigmund alchemistische Betrüger Michael Polhaimer, der aus Dazu kommen Mineralien und Erzproben, die alle- um den Feingehalt von Edelmetallen zu bestimmen.2 Friedrich Fugger (1586–1595, Bischof von Regensburg Braunau am Inn stammte, sagte bei seinem Verhör samt edelmetallführend sind und von unterschiedlichen Dass auch Transmutationen versucht wurden, also die 1598–1600). in Weikersheim an der Tauber aus, dass er in „Kirchberg, Lagerstätten stammen. Umwandlung von Blei und anderen unedlen Metallen in Christoph von Trenbach hinterließ bei seinem 7 meil ober Wien“ bei dem Domherrn Sigmund Viele der Formen, vor allem bei der Laborkeramik, Gold und Silber, lässt sich am archäologischen Material plötzlichen Tod 1552 Schulden in Höhe von 22.000 Gul- Friedrich Fugger ein Dreivierteljahr „gekunstelt“ habe.3 sind weder archäologisch nachgewiesen noch in der allein nicht ablesen, darf aber vermutet werden. Bei den, davon allein 4.000 bei dem Kremser Arzt und Ein Grund für das Geheimnisvolle der Alchemie Fachliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts zu finden. solchen Versuchen, die über Monate und Jahre laufen Apotheker Wolfgang Kappler, „in Alchemistenkreisen liegt wohl darin, dass keiner der Alchemisten zugeben Ihre Zuweisung konnte nur anhand von Benutzungs- konnten, wurden beispielsweise auch die großen kein Unbekannter“. (Zum Vergleich: Der Um- und mochte, dass ihm die Transmutation wieder nicht spuren und chemischen Rückständen versucht werden, Phiolen verwendet, die mit Helmen zu einem sogenann- Neubau des Schlosses hatte 1.900 Gulden gekostet, gelungen war. Heute wäre dies im Übrigen vorstellbar, wie im Fall der Sandbäder (schüsselförmige Gefäße ten Adler, einer Apparatur für einen geschlossenen und die Herrschaft Winkl und Winkelberg hatte er für und zwar dank der Atomphysik. für höhere Temperaturen, die mit Sand gefüllt wurden), Destillierkreislauf, zusammengefügt bzw. -geschmolzen 4.500 Gulden erworben.) In Oberstockstall konnte man aber immerhin einer Bodenkolonne (Zwischenteil für spezielle Destilla- wurden. Die vielen unterschiedlich geformten Helme Die Trenbacher hatten auch Beziehungen zu Gold „machen“. Mit den hier entwickelten verfeinerten tionen) oder der Aludeln (Dampfhauben) mit hoher aus verschiedenen Materialien zeigen, dass auch auf den Herren von Rosenberg, die ihrerseits als Förderer Methoden ließen sich auch kleinste Mengen rein Tülle. Es dürfte sich dabei um Sonderanfertigungen den Gebieten der Destillation und der Sublimation, der von Alchemisten bekannt sind. Und Prag mit den darstellen – wenn Gold in den Erzen und Mineralien für dieses Laboratorium gehandelt haben. Nichts an bevorzugten Verfahren zur Arzneimittelherstellung, Forschungslaboratorien Rudolfs II. lag nicht allzu weit vorhanden war, etwa in Bleierzen vom Bleiberg dem Inventar ist zufällig. Viele der Geräte passen in geforscht wurde. Da die Pfarrherren von Kirchberg entfernt. Die Fugger besaßen eigene Bergwerke, in Kärnten, in Arsenopyriten aus der Tauernregion ihren Maßen zusammen und können zu Apparaten gleichzeitig die Oberkellermeister des Bistums Passau beispielsweise in Schwaz in Tirol und in Bleiberg in oder in Silbermineralen aus der Nähe von Spitz für bestimmte Destillations- und Sublimationsvorgänge für Österreich waren, wird man hier wohl auch die Kärnten. an der Donau. All diese Erze sind im Inventar von kombiniert werden. Beachtlich sind auch die großen „Quintessenz“ des Weines (sprich: den Weinbrand) Das Alchemistenlaboratorium Oberstockstall war Oberstockstall vertreten. Stückzahlen in den einzelnen Gruppen der Labor- und hergestellt haben. nach dem Stand der bisherigen Forschungen und technischen Keramik sowie der technischen Glasobjekte. Im 16. Jahrhundert war Schloss Oberstockstall im nach Vergleichen mit der zeitgenössischen Fachliteratur Die am Archäologischen Institut des University Besitz des Domkapitels Passau, das hier auch umfang- zum Berg- und Hüttenwesen, zur Probierkunst und College London durchgeführten naturwissenschaftli- reichen Grundbesitz hatte. Es war zugleich der Sitz zur Kunst der Destillation ein „Hightech-Labor“, das an chen Untersuchungen zeigen, dass alle um 1580/90 der Pfarrherren von Kirchberg, deren bedeutendste die der Schwelle zur neuzeitlichen Chemie stand und mit gängigen chemischen Verfahren zur Anwendung kamen, Brüder Trenbach waren: Christoph (1538–1552) und dem, was man heute landläufig unter Alchemie versteht, wie Destillation, Sublimation, Kupellation, Zementation, Urban (1552–1561, Bischof von Passau 1561–1598). kaum etwas zu tun hatte.

530 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 531 Von Praktikern und Theoretikern

Von Hörndln und Körndln … Dass man sich im 18. Jahrhundert am Praktischen orientierte, manifestierte Die 1765 in Wien gegründete sich in neu geschaffenen Einrichtungen. Wie modern die Landwirtschaft ab der Lehrschule zur Heilung Jahrhundertmitte organisiert wurde, zeigt das Beispiel der „Agrarsocietäten“. Adelige der Viehkrankheiten gilt als und geistliche Herren riefen diese reformistischen Klubs ins Leben. Die Vereins- Vorläuferin der Veterinär- mitglieder waren vor allem am Anbau von Rohstoffen interessiert, die sie in ihren medizinischen Universität. Betrieben weiterverarbeiten wollten. Denn wenn man die Gesellschaft weiterbringen will, so ihr Credo, muss man landwirtschaftlichen Fortschritt erzielen: Erträge steigern, neue Kulturpflanzen einführen und Forschung betreiben. Zunächst wurden Flachs und Hanf angebaut, um daraus Stoffe zu erzeugen, dann folgten Kartoffeln und der „Kukuruz“ genannte Mais. Die ersten Versuche der Agrarsocietäten galten Verbes- serungen des Flachsanbaus, um Spinnschulen als Winterarbeit für Kinder und Gesinde zu entwickeln. Die daran beteiligten Aristokraten nahmen für etwa 150 Jahre die Rolle von Mäzenen ein. In der Viehwirtschaft hatten die Rinder damals nicht einmal das halbe Gewicht von heute, der Milchertrag war minimal. Auch hier begann man zu forschen und zu züchten. Unterstützung kam von der 1765 in Wien gegründeten Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten, die als Vorläuferin der Veterinärmedizi- nischen Universität neben den Milchkühen auch die wichtigsten Tiere im Militär beforschte und behandelte: die Pferde. Den Anfang machte die Pferde-Curen- und Operationsschule in der heutigen Von Anfang an war die Tier- Favoritenstraße 3 im vierten Wiener Gemeindebezirk. Wenngleich am Beginn dieser medizin immer auch und vor Institution der Siebenjährige Krieg stand, wurden doch die europaweiten Viehseuchen allem auf ihre Auswirkungen der Zeit bald zum Hauptthema der jungen Einrichtung. 1775 wurde ein Lehrstuhl auf den Menschen bezogen. für Viehseuchen eingerichtet, und 1777 eröffnete das k. k. Thierspital für Schmiede, Mediziner und Chirurgen im heutigen dritten Wiener Bezirk. Den Lehrstuhl hatte Paul Adami inne, ein Humanmediziner. Von Anfang an war die Tiermedizin immer auch und vor allem auf ihre Auswirkungen auf den Menschen bezogen. Erster Chef des Tierspitals wurde Johann Gottlieb Wolstein, ebenfalls ein Humanmediziner aus Neben den einschneidenden Universitäts- Schlesien, der in Paris an einer Veterinärschule studiert hatte. Ursprünglich war ihm reformen standen die maria-theresianische der Lehrstuhl versprochen worden, den sein Kollege Adami innehatte. Ein Streit unter und die josephinische Zeit vor allem auch im Zeichen der visuellen Neugestal- Wiener Medizinische Schule. Zugleich endete aber auch die Autonomie der Universität, Gelehrten entstand. Wolstein nahm darin die Rolle des Reformers ein und setzte tung der Universität Wien. Die Feder- sie wurde zur staatlichen Einrichtung. So griff also der Staat nach der Bildung. Der sich durch. Bald übernahm er die gesamte veterinärmedizinische Lehre in Wien – und zeichnung (rechts) aus dem Jahr 1743 zeigt Neubau der Universität neben der Jesuitenkirche brachte das deutlich zum Ausdruck. damit die für die Ernährung des Volkes so wichtige Bekämpfung der Seuchen des Regentin Maria Theresia beim Empfang eines Rektors der Universität Wien. Dort zeigte sich das neue Programm im Deckenfresko des Festsaals, wo nicht mehr Nutzviehs. 1781 schrieb der Schlesier das praktische Lehrbuch „Von den Viehseuchen“ Gott im Mittelpunkt eines Welttheaters steht, sondern die Porträts von Maria Theresia als Hilfe zur Selbsthilfe; es wurde in zehn Sprachen übersetzt und in der gesamten und Franz Stephan. Genialer Helfer dabei war van Swieten gewesen. Monarchie und darüber hinaus zum Bestseller. So sollten allmählich die alten Hausmit- Der schlesische Augustiner-Chorherr Ignaz Felbiger entwarf, nachdem er telchen und Zaubersprüche – wie die diversen Pferdesegen gegen den Wurmbefall – selbiges schon für Preußen getan hatte, auch für Österreich eine Schulordnung. Alle Kranke Tiere zu isolieren durch aufgeklärte Tiermedizin verdrängt und ersetzt werden. Das machte Schule. Kinder vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr mussten Schulen besuchen, die nun oder gar zu töten – davor Wolsteins Schüler schwärmten in alle Winkel der Monarchie aus und versuchten, die Im Deckenfresko des Festsaals im ganzen Land entstanden und sogar mit Schulbüchern in allen Volkssprachen schreckten die armen Bauern neuen Methoden zu verbreiten. Trotzdem gelang es damals nicht, die Seuchen, vor der Universität steht nicht ausgestattet wurden. Der Lehrplan orientierte sich am Ziel, pünktliche und gehorsame zurück, denn das war ein allem die Rinderpest, einzudämmen. Kranke Tiere zu isolieren oder gar zu töten – mehr Gott im Mittelpunkt Diener des Staates, ob zivil oder im Militär, hervorzubringen.13 Im Vordergrund wirtschaftlicher Aderlass, davor schreckten die armen Bauern zurück, denn das war ein wirtschaftlicher Aderlass, eines Welttheaters, sondern stand das Auswendiglernen. Erst später setzte sich unter dem niederösterreichischen der ihre Existenz gefährdete. der ihre Existenz gefährdete. die Porträts von Maria Schulaufseher (und späteren Bischof von Linz) Joseph Anton Gall die sokratische Theresia und Franz Stephan. Methode durch, also das Fragen und Ableiten von Erkenntnissen.14 Im 19. Jahrhundert sollte dann die Säkularisierung so weit voranschreiten, dass sogar im höheren Schul- wesen ehrwürdige und besteingeführte kirchliche Bildungseinrichtungen vom Staat übernommen wurden: das 1657 für knapp 100 Schüler gestiftete vierklassige Piaristengymnasium in Horn etwa, das 1872 in ein staatliches Landesreal- und Untergymnasium umgewandelt wurde, welches zwei Jahre danach auch eine Ober- stufe erhielt und heutzutage als Bundesgymnasium und Aufbaugymnasium 1.000 Schüler/innen zählt; oder das 1616 in Krems errichtete Jesuitengymnasium, Nach Berechnungen und das ab 1776 von den Piaristen, die von St. Pölten nach Krems übersiedelten, geführt vorsichtigen Schätzungen von und 1871 ebenfalls zum achtklassigen staatlichen Gymnasium wurde. Historikern konnten Mitte Was den Bildungsstand der Menschen dieser Zeit betrifft, braucht man sich des 18. Jahrhunderts im allerdings keinen Illusionen hingeben. Nach Berechnungen und vorsichtigen Schätzun- deutschsprachigen Mitteleuropa gen von Historikern15 konnten Mitte des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen nur etwa zehn Prozent der Mitteleuropa nur etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung lesen (nicht unbedingt Gesamtbevölkerung lesen. schreiben), um 1770 waren es etwa 18 Prozent und um 1800 rund 25 Prozent.16

Die Veterinäre hielten die wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der bäuerlichen Welt in Schuss, die Nutztiere. Erst die Revolution der landwirtschaftlichen Maschinen ab den 1950er-Jahren änderte ihre Rolle.

532 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 533

Auch unterhalb der akademischen … Weinkulturen … Ebene hat sich manch landwirt- Aber auch unterhalb der akademischen Ebene hat sich manch landwirt- schaftlicher und handwerklicher schaftlicher und handwerklicher Bildungsweg nach und nach zur hochqualifizierten Bildungsweg nach und nach Disziplin entwickelt. Wie das geht, zeigt sich am Beispiel der heutigen Höheren zur hochqualifizierten Disziplin Bundeslehranstalt und Bundesamt für Wein- und Obstbau Klosterneuburg, der einzi- entwickelt. gen Bundeslehranstalt auf diesem Gebiet in Österreich, die nach ihrem ersten Direktor, August Wilhelm Freiherr von Babo, auch „Alma Mater Babonensis“ genannt wird. Begonnen hat sie 1859 als Praktische Schule für Wein und Obstzucht. Im institutseigenen Fachblatt „Weinlaube“ hieß es 1877 retrospektiv: „In der Vollversammlung der k. k. Landwirthschafts-Gesellschaft in Wien am 19. Jänner 1859 hat Freiherr von Hohenbruck den Antrag wegen Gründung einer Wein- und Obst- bauschule gestellt, denselben in kurzen, schlagenden Worten, wie es seine Gepflogen- heit war, begründet und die Annahme desselben in der gestellten Weise, trotz mancher Einwürfe, erzielt.“17 Das Chorherrenstift Klosterneuburg übernahm 1860 die Patronanz über diese, wie es heißt, „niedere Stiftsweinbauschule“ zu Lasten der „k. k. Landwirthschafts- Gesellschaft“. Am 12. April fand die feierliche Eröffnung der „Obstzucht“ statt. Die Oberleitung der Anstalt wurde dem Propst des Stiftes, Adam Schreck, übertragen, die fachliche Leitung August Wilhelm Freiherr von Babo (1827 Wein- heim–1894 Weidling). Der studierte Agrarwissenschaftler (Heidelberg und Freiburg) August Wilhelm Freiherr lief in seiner Funktion zur Hochform auf. Bereits 1863 war die Schule durch ihre von Babo gilt als der Begründer Leistungen so interessant geworden, dass sie vom Land Niederösterreich übernommen des neuen Weinbaus und und 1879 zu einer dreijährigen Fachmittelschule erhoben wurde. Babo gründete der modernen Kellerwirtschaft eine önochemische Versuchsstation. Ackerbauminister Anton Banhans schrieb in Niederösterreich. anerkennend an den Klosterneuburger Propst Schreck: „Durch die enge Anlehnung an die (…) von Baron von Babo so trefflich geleitete Weinbauschule soll die öno- chemische Versuchsstation in Klosterneuburg eine Förderungsanstalt für einen der wichtigsten Produktionszweige ins Leben führen, wie kaum ein anderes Land sie besitzt.“ Zur Leitung der Versuchsstation wurde ein Landsmann des Gründers berufen, Johann Gottlieb Wolstein, Begründer Leonhard Roesler, Professor an der Großherzoglich-Badischen Polytechnischen der Tierheilkunde und eines Tierhospitals, Schule zu Karlsruhe. aus dem die Veterinärmedizinische Universität Wien hervorging. Gravur von C. Kohl nach G. Kneip, um 1780.

Es ist eindrucksvoll, wie sich die Erfolgreicher ist die Veterinärmedizinische Universität Wien heutzutage. Es mag an Tiermedizin innerhalb von dieser Stelle als weiter Vorgriff in die Gegenwart erscheinen, aber es ist schon 200 Jahren zur ausgetüftelten eindrucksvoll, wie sich die Tiermedizin innerhalb von 200 Jahren zur ausgetüftelten Wissenschaft gemausert hat. Wissenschaft gemausert hat! In Niederösterreich unterhält die Veterinärmedi- zinische Universität Wien heute das Lehr- und Forschungsgut Kremesberg (LFG) im Bezirk Baden, das aus vier Höfen besteht, auf denen verschiedene Nutztiere gehalten werden. Im Rahmen ihrer klinischen Ausbildung erhalten die Studierenden am LFG praktische Einblicke in die Nutztierhaltung. Eine Mobilklinik sorgt für die ambu- lante Betreuung von auswärtigen Tieren. In Wieselburg betreibt das LFG noch ein Forschungszentrum für Studien zum Thema Rinderreproduktion, das Reproduction Center Wieselburg. Das Interuniversitäre Department für Agrarbiotechnologie – kurz IFA Tulln – ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität für Bodenkultur Wien, der Veterinär- medizinischen Universität Wien sowie der Technischen Universität Wien, an der Mitarbeiter/innen aller drei Universitäten gemeinsam forschen. Die Abteilung Bio- technologie in der Tierproduktion will die Zucht gesunder und fruchtbarer Tiere vorantreiben. Ergebnisse molekular- und zellbiologischer Forschung sollen dafür direkt mittels moderner reproduktionstechnischer Methoden umgesetzt werden. Hier schließt sich ein Kreis, der einst mit den Agrarsocietäten seinen Anfang genommen hatte. Im Jahr 2010 wurden die Verträge zur Errichtung eines neuen Forschungszent- rums unterzeichnet, das von der Schweizer Messerli-Stiftung wesentlich finanziert wird. Unter Federführung der Veterinärmedizinischen Universität Wien und in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien sowie der Universität Wien entstand das Messerli Forschungsinstitut – ein fächerübergreifendes Kompetenz- zentrum zur Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung, in dem Tierschutz, Ethik, Recht, Biologie und Medizin im Umgang mit Tieren interdisziplinär betrachtet werden. Das reicht bis zur Beforschung von Exoten wie den Keas. Die aus Neuseeland stammenden Der Ausschnitt aus einem Ölgemälde In dieser Anzeige aus dem Jahr 1876 Bergpapageien werden an der Forschungsstelle Haidlhof der Veterinärmedizinischen von Hans Pühringer aus dem Jahr 1904 wird das Studienprogramm der zeigt die Reblausbekämpfung mit „k. k. önologischen und pomologischen Universität Wien mit der Universität Wien intensiv beforscht, weil sie als besonders Schwefelkohlenstoff. Lehranstalt“ in Klosterneuburg intelligente Vögel gelten, die sogar Werkzeuge benutzen. Die Keas gehören somit wohl präsentiert. zu den exotischsten Bewohnern Niederösterreichs.

534 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 535 Die 1861 eingeführte Kloster- Freiherr von Babo war nicht weniger als der Begründer des neuen Weinbaus und der neuburger Mostwaage (KMW) modernen Kellerwirtschaft in Niederösterreich. Er steht für den Ausbau von Forschung ist bis heute offizielles und Lehre in Klosterneuburg. Auf ihn geht unter anderem die 1861 eingeführte Maß für das Mostgewicht Klosterneuburger Mostwaage (KMW), genannt „Saccharimeter“, zurück. Sie ist bis in Österreich. heute offizielles Maß für das Mostgewicht in Österreich (20° Balling = 17° KMW bzw. Babo-Grade). Seit Ausbruch der verheerenden Reblaus-Katastrophe 1858 in Frankreich und 16 Jahre später in der österreichischen Donauebene und in anderen deutschen Ländern kämpfte Babo gegen diese Gefahr an. Die erste Nachricht vom Auftreten des Schädlings in Klosterneuburg, das nicht großflächig betroffen war, stammt vom Juli 1867.18 Nach Babos Vorschlag wurde der Weinbau auf eine Unterlage aus reblausresis- tenten nordamerikanischen Reben umgestellt. „Jedoch wollte es ein ironisches Schick- sal, daß die Reblaus auf eben den speziellen Reben über Großbritannien nach Europa eingeschleppt wurde, die Baron Babo 1868 für Versuche zur Bekämpfung des Mehltau nach Österreich eingeführt hatte. Zeitweilig waren daraufhin die Anfeindungen gegen ihn so groß, daß er den Weg von seinem Heim zu seiner Arbeitsstätte in der Weinbauschule nur mit Gendarmeriebegleitung zurücklegen konnte.“19 Trotzdem bekam man die Sache nach und nach in den Griff: mit Schwefelkohlenstoffinjektionen in den Boden, einer „Kulturalverfahren“ genannten Methode, die von Frankreich übernommen wurde. Das Schülerleben im Dienst der Reben war streng reglementiert. Von Anfang an war die Anzahl der Eleven mit 24 statutenmäßig festgelegt. Zwölf wurden alljähr- lich aufgenommen, und ebenso viele verließen die Anstalt. Der Lehrkurs dauerte zwei Jahre und umfasste theoretischen (im Sommer täglich zwei, im Winter täglich drei Stunden) und praktischen Unterricht. Das Alter der Schüler lag zwischen 17 und 22 Jahren. Sie wohnten gemeinschaftlich in der Wein- und Obstbauschule und standen unter der speziellen Aufsicht des Direktors und des Rebmannes, also des Winzers. Spezialitäten wie Seidenraupenzucht wurden in den Lehrplan aufgenommen und Einrichtungen wie ein Versuchsweinberg, ein pomologischer Garten, eine Baum- schule, eine Rebschule, ein Gemüsegarten, eine Hopfenanlage, ein Spargelfeld und ein Versuchskeller angelegt. 1882 wurden die Lehrer zu Professoren ernannt. 1922, schon nach dem Ende Durch DNA-Analysen trägt die der Monarchie, legte mit Frieda Peter die erste Frau die Matura an der Höheren Staats- Höhere Bundeslehr- und Versuchs- lehranstalt für Wein- und Obstbau ab, wie sie mittlerweile hieß. Die Klosterneuburger anstalt für Wein-, Obst- und Hefereinzuchtstation wurde ausgebaut und zur Zentrale der Reinhefeerzeugung Gartenbau in Klosterneuburg zur für große Gebiete Mitteleuropas. Und schließlich entstand auch eine neue Abteilung, Erforschung der Abstammung die Bundes-Rebenzüchtungsstation. Ihr Leiter war ein gewisser Friedrich Zweigelt, der Rebsorten bei. der Züchter der später nach ihm benannten Rebsorte. Als überzeugter Nationalsozia- list übernahm er 1938 auch die Leitung der Schule … Nach 1945 setzte die Höhere Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau ihre Erfolgsgeschichte fort. Im 21. Jahrhundert umfasst das LFZ Lehr- und Forschungszentrum Klosterneuburg 150 Mitarbeiter/innen in allen Auf- gabenbereichen. Pro Jahrgang wird an der Lehranstalt jeweils eine Klasse mit 25 bis 35 Schüler/innen geführt. Durch DNA-Analysen trägt die Institution zur Erforschung der Abstammung der Rebsorten bei. Wichtige Erfolge sind die Bestimmung der Vatersorte des Müller-Thurgau sowie der Eltern des Grünen Veltliners und der Nach- weis der Bedeutung der sogenannten Fränkischen und Heunischen Rebsortenfamilien für viele in Europa weit verbreitete Rebsorten. Das ist also die Weinwissenschaft in Klosterneuburg in all ihrer Breite! Ebenfalls ehrwürdig ist die Tradition der Weinbauschule Krems, die 1874 das wissenschaftlich veredelte Klosterneuburger Institut als Winzerschule abgelöst hat. Mit Fachschule, „VinoHAK“ und Weinmanagement stellt sie heute das Wein- und Obstbau Kompetenzzentrum Krems dar.

… und qualifiziertem Bauerntum Ein Mensch des 18. oder 19. Jahrhunderts würde die landwirtschaftliche Aus- bildung in Niederösterreich heutzutage kaum wiedererkennen. Klarerweise musste sie sich mit der Zeit weiterentwickeln: Automatisierung und ökologische Nachhaltig- keit haben die Abläufe in der Land- und Forstwirtschaft, in der Viehzucht, im Wein- Die Ausbildung zum landwirt- und Obstbau verändert. Dazu kommt, dass moderne Bauern und Bäuerinnen vor allem schaftlichen Facharbeiter auch unternehmerische Kenntnisse haben müssen. Die demografische Entwicklung und Betriebsführer muss tut ein Übriges. Waren im Jahr 1981 noch 13,3 Prozent der Erwerbspersonen in Nieder- für eine Wettbewerbssituation österreich in der Land- und Forstwirtschaft tätig, schrumpfte der Anteil bis 2012 mit taugen, der die Menschen rund 39.000 Personen auf nur noch 4,7 Prozent. Das hat die Strukturen verändert. früher bei Weitem nicht in Heute wird nicht mehr in Kleinregionen gedacht, sondern überregional und internati- diesem Maß ausgesetzt waren. onal. Die Ausbildung zum landwirtschaftlichen Facharbeiter und Betriebsführer muss Weinlese einst und jetzt.

536 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 537 Regierungsarchiv in der Wiener Herrengasse, um 1930.

für eine Wettbewerbssituation rüsten, der die Menschen früher bei Weitem nicht in diesem Maß ausgesetzt waren. Ein Best-Practice-Beispiel aus dem Mostviertel: Melk-Kurs der Landwirt- Die Landwirtschaftliche Fachschule in Pyhra bietet die Ausbildung zum Landwirt- schaftlichen Fachschule schaftlichen Facharbeiter in den beiden Richtungen Land- und Forstwirtschaft sowie Pyhra (Jahrgang 1942/43). Landwirtschaft mit Lebensmitteltechnik und Ernährung an. Danach kann man eine Zweitausbildung zu Einzelhandelskaufmann/-frau bzw. Lebensmitteltechniker/in anhängen. Das ergibt ein Bildungsanbot von der Grundproduktion über die Verarbei- tung bis zur Vermarktung von Lebensmitteln. Mit dem Schwerpunkt Rinderzucht und Milchwirtschaft hat das Bildungszentrum Pyhra zudem in der Erwachsenen- bildung internationales Ansehen erreicht. Die Gesamtschau der einschlägigen Bildungseinrichtungen im ganzen Land zeigt einen breiten Fächerkanon: An den 18 Landwirtschaftlichen Fachschulen (LFS) und zwei Berufsschulen in Niederösterreich beginnt die Ausbildung mit dem neunten Schuljahr und dauert drei bis vier Jahre. Die Fachrichtungen reichen von der Land- wirtschaft bis zum Haushaltsmanagement. Neben den klassischen Fachrichtungen Landwirtschaft sowie Betriebs- und Haushaltsmanagement werden auch noch Garten- bau, Pferdewirtschaft und Weinbau gelehrt. Die im Anschluss angebotene „mehrberuf- liche Ausbildung“, die allen Absolvent/innen einer dreijährigen Fachschule offensteht, führt innerhalb eines Jahres zur Lehrabschlussprüfung in den Berufen Zimmerei, Tischlerei, Maurer/in, Maschinenfertigungstechnik, IT-Technik und Metallbearbeitung. Die Berufsreifeprüfung kann an der LFS Gießhübl und der LFS Hollabrunn abgelegt werden. Die Absolvent/innen der Landwirtschaftsschulen sind im Lauf der Zeit mehr oder weniger von reinen Praktikern zu Allroundern in Theorie und Praxis geworden.

Archive künden vom Land Vieles, wie z. B. diese vorliegende Publikation, hätte nicht geschrieben werden können ohne Rückgriff auf einen reichen Schatz an Archivmaterial. Wer heute arglos Eine Schulklasse der Landwirtschaftlichen und bequem das Niederösterreichische Landesarchiv benutzt, ahnt meist nicht, Fachschule Pyhra beim Obstbaumschnitt welch bewegte Geschichte die Einrichtung samt ihren Vorläufern hat. Das erste Archiv (Jahrgang 1954–1956). der niederösterreichischen Landesregierung geht immerhin auf Kaiser Maximilian I. zurück (1501). Vieles, wie auch diese Chronik Seit Conrad Celtis – wir haben von ihm schon im Zusammenhang mit der Niederösterreichs, hätte Universität Wien gehört – und später dem Hofhistoriker Kaiser Ferdinands I., Wolfgang nicht geschrieben werden Lazius, wurde Niederösterreich im Sinne einer wissenschaftlichen Landeskunde können ohne Rückgriff und Kartografie wissenschaftlich beforscht. Träger des Archivs waren die Stände, die auf einen reichen Schatz an von 1518 an im Landhaus in der Wiener Herrengasse saßen. 1580 ist erstmals ein Archivmaterial. ständischer Registrator nachweisbar.20 Das im Archiv gespeicherte Wissen war kostbar,

538 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 539 Wissenschaftsstandort Niederösterreich seit 1990 (Auszug) Beginnend mit den frühen 1990er-Jahren Die angeführten Jahreszahlen beziehen entwickelte sich kontinuierlich eine sich auf die Gründungen der angeführten stattliche Riege an wissenschaftlichen Wissenschaftseinrichtungen. Diese Einrichtungen in Niederösterreich. Grafik ist als Einblick in die Entwicklung Die Bandbreite reicht von Ausbildungs- der Wissenschaftslandschaft gedacht stätten wie Fachhochschulen oder und deckt nicht die Gesamtheit aller Privatuniversitäten über Forschungsein- gegründeten Wissenschaftseinrichtungen richtungen bis zu Außenstellen der in dieser Zeitperiode ab. Wiener Universitäten.

2012 Karl Landsteiner Privat- universität für Gesundheits- wissenschaften in Krems 1994 1995 IMC Interuniversitäres Fachhochschule Department für Krems Agrarbiotechnologie (IFA Tulln)

Die Sammlungen der niederösterreichischen Landesbibliothek in St. Pölten umfassen mehr als 360.000 Bücher, 4.000 Zeitungen und 2011 2006 zigtausende Zeitschriften, 100.000 historische 1717 verfügte nur jeweils ein Vertreter der Prälaten, der Herren und Ritter über einen Universitäts- Institute of Science and Ansichten und 22.000 Landkarten. Schlüssel zum Archiv. Es war nicht luftdicht, dafür finster – das Fensterglas war so und Forschungs- Technology Austria (IST alt und dick, dass man schon ab drei Uhr nachmittags bei Kerzenlicht arbeiten musste, zentrum Austria) Klosterneuburg Tulln (UFT) weshalb es auch oft brannte.21 Immerhin erstellte trotz aller Widrigkeiten 1723 ein Registrant namens Fischer den „Codex provincialis“, ein vierbändiges, alphabetisch geordnetes Aktenverzeichnis. In den 1780er-Jahren tauchte erstmals der Begriff „Landeskunde“ auf.22 In der Romantik und im Vormärz wurde daraus die „vaterländische Betrachtung“ der Ge- schichte. 1860 wurde der Platz in der Herrengasse knapp, die Akten schimmelten in feuchten Kellern, und nach und nach wurden ausgerechnet die ältesten und kost- barsten von ihnen ausgeschieden! Gott sei Dank hatte man schon früher viele ins Haus-, Hof- und Staatsarchiv ausgelagert … Erst Erich Graf Kielmansegg, 1889 bis 1911 1995 Statthalter von Niederösterreich, gründete das staatliche Archiv für das Kronland Donau- unter der Enns. Archivare wie Albert Starzer, Franz Wilhelm und Theodor Mayer Universität systematisierten ab 1894/96 das k. k. Archiv für Niederösterreich, das sogar elektrisches Krems Licht bekam.23 Die Arbeitsbedingungen im Souterrain des Statthaltereiarchivs, in den „Archivkatakomben“, blieben „gruftig“ und für die meisten Archivare nur eine Durch- gangsstation auf ihrem Karriereweg.24 Bis 1967 war das Ständearchiv in der Wiener Herrengasse untergebracht, an-

schließend übersiedelte es in die Teinfaltstraße in das Gebäude der ehemaligen Wien Bodencreditanstalt. In den Jahren 1923 bis 1940 war das Landesarchiv, wie auch die Landesbibliothek und das Landesmuseum, Bestandteil der Niederösterreichischen Landessammlungen, während das Archiv der Landesregierung selbstständig blieb. Im Jahr 1940 ordnete das Deutsche Reichsinnenministerium an, alles mit dem Landes- regierungsarchiv zum „Archiv des Reichsgaues Niederdonau“ zusammenzulegen. Die reichhaltige Buchsammlung stammte aus der Statthalterei und bestand haupt- sächlich aus Gesetzesbüchern und Festschriften. Sie diente bis 1950 überwiegend als Amtsbibliothek. In den Jahren von 1943 bis Kriegsende wurden wertvolle Bestände wegen der anhaltenden Bombenangriffe auf Wien in provisorische Außenlager wie Klöster und Schlösser verbracht. Seit 1945 führen die beiden zusammengelegten Archive die heutige Bezeich- nung. Allerdings blieben wegen der räumlichen Trennung die zwei Begriffe Regierungs- archiv und Ständisches Archiv nicht nur historisch, sondern auch administrativ weiterhin relevant. 1978 wurde das Institut für Landeskunde installiert und sechs Jahre später ebenfalls mit dem Landesarchiv vereinigt. 1986 beschloss der Landtag im 2007 Zuge der Hauptstadtplanung die Schaffung des Kulturviertels in St. Pölten, das auch Pädagogische Hochschule das Niederösterreichische Landesarchiv beherbergen sollte. 1991/92 begannen 2007 Niederösterreich die Planungen für ein eigenes Archivgebäude durch die Architekten Paul Katzberger, WasserCluster (Baden) Karin Bily und Michael Loudon. 1997 wurde das Niederösterreichische Landesarchiv Lunz – Biologische Station in St. Pölten eröffnet. Gleich gegenüber liegt das Gebäude der Landesbibliothek. 2002 Conrad- 2007 Sie wurde 1813 gegründet, als der damalige Landmarschall Josef von Dietrichstein Observatorium MedAustron einen Landschaftssyndikus beauftragte, die Bücher der Landstände aufstellen und ein in Muggendorf Wiener Neustadt Bücherverzeichnis anlegen zu lassen. Von da an wuchs die Bibliothek kontinuierlich an und wurde eine unentbehrliche Quelle für die landeskundliche Forschung – nicht 2004 New Design 1996 1994 zuletzt durch die umfangreiche topografische Sammlung, die über 100.000 historische University Fachhochschule Fachhochschule Ansichten und 20.000 Landkarten umfasst. St. Pölten (NDU) St. Pölten Wiener Neustadt

540 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 541 Ein Wissenschaftsland im Aufschwung

In der Zweiten Republik haben Forschung für Mensch und Tier, Technik und Kultur sich in Niederösterreich In der Zweiten Republik haben sich in Niederösterreich neue und weite neue und weite Forschungs- Forschungsperspektiven eröffnet. 1958 erwarb die Österreichische Studiengesellschaft perspektiven eröffnet. für Atomenergie (SGAE) etwas mehr als 100 Hektar Grund in der Gemeinde Seibers- dorf mit der Absicht, dort Forschung zu betreiben, die Österreich ins Atomzeitalter katapultieren sollte. 1960 nahm das Reaktorzentrum Seibersdorf seinen Betrieb auf, und zu Instituten für Elektronik, Physik, Chemie, Metallurgie und Strahlenschutz gesellten sich der erste Forschungsreaktor in Österreich, der Adaptierte Schwimmbe- cken-Tank-Reaktor Austria (ASTRA), und ein Zwischenlager für niederradioaktive Abfälle. Nicht zuletzt nützt auch die in Wien ansässige Internationale Atomenergie- Organisation IAEA seit 1962 Laboratorien in Seibersdorf. Indes verwirklichten sich Österreichs Kernenergiepläne nicht, und es blieb der Forschungsreaktor übrig. 2004 war auch der Kernreaktor Geschichte, und nach einer Zwischenphase als Austrian Research Centers ist das Zentrum seit 2009 ein Standort des Austrian Institute of Technology (AIT). Mit der Seibersdorf Labor GmbH und der Nuclear Engineering Seibersdorf GmbH bereichern zwei Tochterunternehmen des AIT den Standort. Ausgebildet werden u. a. Strahlen- und Laserschutzbeauftragte. Geforscht wird auch über Radiopharmaka, Biomarker und Positronen-Emissions-Tomo- grafie (PET). Prüfstellen für Laser und LED-Lampen, für elektromagnetische Ver- träglichkeit (EMV) und Labors für Hochfrequenztechnik sowie für chemische Analytik (Umwelt- und Geoanalytik, Wirkstoffprüfungen, Dopingkontrollen und Forensische Analytik) ergänzen das Angebot. Aus Seibersdorf kommen wichtige Erkenntnisse zu natürlichen wie anthropogenen Schadstoffbelastungen in Österreich. Das „haus- eigene“ Atommülllager dient lediglich kleinen minderradioaktiven Mengen aus der radiologischen Medizin.

Zufahrt zur Baustelle des Forschungs- reaktors Seibersdorf, 1960. Im selben Jahr nahm das Reaktorzentrum Seibersdorf seinen Betrieb auf. Es umfasste mit ASTRA den ersten Forschungsreaktor in Österreich.

Spielende Kinder auf der Baustelle des Forschungsreaktors in Seibersdorf, um 1960. Der unbekümmerte Umgang mit der Kernenergie wich in den 1970er-Jahren einer fundamentalen Skepsis.

542 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 543 Das Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung befand sich bis 2013 in Altenberg, in der ehemaligen Lorenz’schen Familienvilla.

Das IST Austria in Klosterneuburg widmet sich der naturwissen- schaftlichen Grundlagenforschung und der Postgraduiertenausbildung. 1990 wurde in Niederösterreich unter der Leitung des bekannten Zoologen Rupert Riedl das Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung (KLI) errichtet, das sich mit Fragen der Theoretischen Biologie beschäftigt. Es fördert die Artikulation, Analyse und Integration von biologischen Theorien und die Erforschung ihrer wissenschaftlichen und kulturellen Bedeutung. Bis 2013 war es in Altenberg in einer Villa angesiedelt, die der Vater von Konrad Lorenz dort hatte erbauen lassen. Heute ist es in Klosterneuburg beheimatet. Ebenfalls in Klosterneuburg befindet sich das Institute of Science and Techno- logy Austria (IST Austria), das 2009 seinen Betrieb aufgenommen hat und mittler- weile über 500 Mitarbeiter/innen aus mehr als 50 Ländern beschäftigt, darunter über 300 Wissenschaftler/innen. Schon vor seiner Gründung war das Konzept einer gerne so genannten „Elite-Uni“ umstritten. Denn im Unterschied zu den Universitäten werden keine Grundstudien angeboten, sondern ausschließlich ein interdisziplinäres PhD-Programm. Vorbild sind internationale Einrichtungen wie das Weizmann-Institut für Wissenschaft oder die Rockefeller University. Grundlage des Instituts ist ein Das Architekturbüro COOP HIMMELB(L)AU gestaltete in den 1990er-Jahren das eigenes Gesetz aus dem Jahr 2006. Mit den Jahren hat sich die politische Diskussion Bürogebäude in Seibersdorf. über die „Elite-Uni in Gugging“ weitgehend entkrampft …

544 Wo man Wissen schafft Die wissenschaftlichen Methoden von heute lassen sich mit jenen von damals (links zu sehen ein Labor mit Gasbehältern im Jahr 1935) nicht mehr vergleichen. In Wiener Neustadt wurde ab 2011 mit MedAustron eines der modernsten Krebs- zentren für Ionentherapie und Forschung in Europa errichtet, das Protonen und Kohlenstoffionen verwendet, um Patienten zu behandeln. Ein zentraler Punkt der Wissenschafts- und Forschungspolitik des Landes Niederösterreich ist seit 2004 das Technopolprogramm, das an vier Standorten – Wieselburg, Krems, Tulln und Wiener Neustadt – angesiedelt ist. So beschäftigt sich Krems mit Gesundheitstechnologien, Tulln mit natürlichen Ressourcen und bio- basierten Technologien, Wieselburg mit Bioenergie, Agrar- und Lebensmitteltechno- logie und Wiener Neustadt mit Medizin- und Materialtechnologien.

546 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 547 bitte ein Foto von MedAustron.

Am Universitäts- und Forschungszentrum MedAustron ist ein österreichweit Der Campus des IST Austria wird stetig Tulln findet eine enge Zusammenarbeit einzigartiges Krebsbehandlungs- und ausgebaut. Hier zu sehen ist das 2015 der Universität für Bodenkultur mit Forschungszentrum in Wiener Neustadt. eröffnete Lab Building West. dem Austrian Institute of Technology Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat einen Standort in Seit 2016 betreut es die ersten Patient/- (AIT) statt. Niederösterreich, und zwar in Krems. Dort befindet sich die Außenstelle der For- innen. schungsgruppe Quartärarchäologie des Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie. Sie befasst sich mit der interdisziplinären Erforschung altsteinzeitlicher Gesellschaften – vom Ende der letzten Eiszeit bis zum sechsten vorchristlichen Jahrtausend. Im Fokus stehen Fundstellen in Niederösterreich, dessen Fundlandschaft qualitativ und quantitativ zu den bedeutendsten in Europa gehört. Besonders im Donauraum finden sich Schlüsselstellen der Entwicklung frühester Kulturen. Einer der

In Europas Mitte – Gründerzeit um 2000 Universität waren die Folgen der 2007 öffentlich ausge- Die Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheits- tragenen Auseinandersetzungen: Vordergründig wissenschaften mit Sitz am Campus Krems wird von ging es um die Zukunft des Hauses, dahinter standen der Medizinischen Universität Wien, der Universität für Joachim Rössl aber persönliche Ambitionen und damit verbundener Weiterbildung Krems und der Fachhochschule Krems Einfluss. getragen. Als erste tertiäre Bildungseinrichtung in Karl Landsteiner, Konrad Lorenz, Bertha von Suttner: theologische Lehranstalten (1791 St. Pölten, 1802 Heili- Mit großem Engagement trat Niederösterreich Österreich bietet sie erfolgreich Bologna-konforme drei mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Persönlich- genkreuz), der Verein für Landeskunde (1864), in das Bewerbungsverfahren um den Standort für eine Studien im Bereich der Medizin und Gesundheits- keiten, die viel mit Niederösterreich zu tun haben, aber Landesarchiv, Landesbibliothek, Biologische Station Forschungseinrichtung internationalen Formats wissenschaften an. Sie wurde Ende 2013 akkreditiert noch mehr mit Europa und der Welt. Denn Wissen- Lunz (1906), Museen (z. B. Landesmuseum, 1911), ein – und erhielt mit Klosterneuburg gegenüber Wien und verzeichnete im Jahr 2016 bereits die ersten schaft verlangt und bedeutet Internationalität. das Forschungszentrum Seibersdorf (1956), das Lehr- (Asparn) den Zuschlag. Entschieden hat wohl der Absolvent/innen des Bachelorstudiengangs Health Wien und Niederösterreich, Stadt und Land im und Forschungsgut Kremesberg (1957), das Institut Umstand, dass Niederösterreich das bewährte Modell Sciences. Zentrum Europas, bilden auch nach 1921 (politische für Realienkunde (1969), das Internationale Institut für der Donau-Universität (deren Infrastruktur und Erhal- Die traditionellen theologischen Lehranstalten Trennung) und 1986 (Beschluss über die Landeshaupt- angewandte Systemanalyse in Laxenburg (IIASA, 1975) … tung das Land gewährleistet) ins Feld führte. Inzwischen wurden in St. Pölten (1971) und Heiligenkreuz (2007) in stadt St. Pölten) in vielfacher Hinsicht eine feste Mit der Eröffnung der Wissenschaftlichen Landes- ist das 2007 begründete und 2009 eröffnete Institute den Rang von Philosophisch-Theologischen Hoch- Einheit. Größen wie Ludwig Wittgenstein verkörpern akademie für Niederösterreich am 7. Oktober 1988 of Science and Technology Austria (IST Austria) ein schulen erhoben. Ebenfalls 2007 wurden die Pädagogi- die Interaktion zwischen ländlichem und städtischem in Krems wurde der erste Schritt zu einer Universität im international anerkanntes Erfolgsprojekt, das im Voll- schen Lehrstätten in Baden und Krems zu Pädagogi- Umfeld. Schon seit 1976 findet jährlich das internationa- Land gesetzt. Die Vorbereitungsarbeiten machten 1995 betrieb etwa 1.000 Mitarbeiter/innen beschäftigen soll. schen Hochschulen. le Ludwig Wittgenstein Symposium mit Teilnehmer/- die Etablierung der Donau-Universität Krems möglich. In Krems und St. Pölten wurde die Möglichkeit Als Erfolgsgeschichte stellt sich das Fachhochschul- innen aus rund 30 Ländern in Kirchberg am Wechsel Die in der gesetzlichen Regelung bewusst geminderte der Gründung von Privatuniversitäten genutzt. Bereits wesen in Niederösterreich dar. Im Jahr 1994 wurde statt. Wie zahlreiche Publikationen1 belegen, bestehen Rechtsstellung als „Universitäres Zentrum für Weiter- 2004 riefen Wirtschaftskammer und WIFI in St. Pölten die Fachhochschule Wiener Neustadt mit den Schwer- vielfache personelle und institutionelle Ebenen des bildung“ macht die zunächst überaus reservierte die New Design University ins Leben. Sie bietet punkten Wirtschaft und forschungsgeleitete Technik Austausches zwischen Niederösterreich, Wien, Europa Haltung des zuständigen Ministeriums deutlich. Der Ausbildungen in den Bereichen Design, Technik und eingerichtet. Als erste Fachhochschule österreichweit und Wissenschaftszentren auf anderen Kontinenten. Studienbetrieb konnte im September 1995 mit drei Wirtschaft an. Über 500 Student/innen zählt die erhielt sie 1999 die staatliche Anerkennung. Dislozierte Ausgehend vom Gebiet des heutigen Nieder- Lehrgängen und 93 Student/innen aufgenommen in Krems/Stein beheimatete, auf privater Initiative und Studiengänge werden in Wieselburg (seit 1999) und österreich können die Jahre ab 1990 als Gründerzeit werden. Der Aufschwung der Donau-Universität führte Finanzierung beruhende Danube Private University. Tulln (seit 2002) angeboten. Ebenfalls 1994 eröffnete bezeichnet werden – und die baute auf einer gewachse- 2004 zum Status „Universität für Weiterbildung“ 2015 gab es die ersten Absolvent/innen des Studiums die IMC Fachhochschule Krems, die sich den Bereichen nen, aber doch heterogenen Landschaft der Wissen- und dem seit 2014 bestehenden Angebot von Doktorats- der Zahnmedizin. In diesem Jahr erfolgte auch Wirtschaft und Gesundheitswissenschaften widmet. schaft und Bildung auf: Klöster als geistige Zentren, studien. Wesentlich für die weitere Entwicklung der die Reakkreditierung, also die erneute Zulassung. Die Akkreditierung als Fachhochschule erfolgte 2002.

548 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 549 Grabungen im ehemaligen Mit Bodenradargeräten wurde 2011 eine römischen Lager Carnuntum, 1935. Gladiatorenschule in Carnuntum gefunden, deren Fundamente unter der Erde so gut erhalten sind wie kaum eine vergleichbare Einrichtung der Antike. Lokale Positionierung mit GPS-System in Carnuntum.

Zwei Jahre später erhielt die Fachhochschule St. Pölten Die 1906 von Carl Kupelwieser gegründete Biologische Eine weitere internationale Organisation wurde nach Als vorläufig letzter Baustein wurde 2011 in der Landes- die Zulassung. Sie hatte ihren Betrieb 1996 aufge- Station Lunz wurde um das Jahr 2000 von der Öster- dem International Institute for Applied Systems verwaltung die Abteilung Wissenschaft und Forschung nommen und hat die Themen Soziales, Medien, Infor- reichischen Akademie der Wissenschaften geschlossen. Analysis (1975) in Laxenburg angesiedelt: die Interna- mit starker landesweiter Koordinationskompetenz mationstechnologie und Gesundheit zum Schwerpunkt. Auf Initiative des Landes Niederösterreich konnten tional Anti-Corruption Academy (2011). ins Leben gerufen. Auf dieser neuen Plattform begann Im Jahr 1994 eröffnete in Tulln das Interuniver- in Kooperation mit der Stadt Wien die Universität für Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung rasch die Entwicklung einer Forschungs-, Technologie- sitäre Department für Agrarbiotechnologie (IFA), Bodenkultur Wien, die Universität Wien und die und Betreuung dieser vielen Projekte war die gleichzei- und Innovationsstrategie für das Land Niederösterreich, ein kooperatives Projekt der Universität für Boden- Donau-Universität Krems dafür gewonnen werden, tige Entwicklung einer tragfähigen Managementstruk- gemeinsam mit über 500 Expert/innen aus Wissen- kultur Wien, der Technischen Universität Wien und diese bedeutende Institution ab 2006/07 als Wasser- tur. Dass die Bewältigung der Herausforderungen nicht schaft, Gesellschaft und Wirtschaft. Damit wurde ein der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Ab 2011 Cluster Lunz GmbH weiterzuführen. Die internationale allein mit den Instrumenten der Landesverwaltung neues Kapitel auf dem Weg vom Agrar- zum Wissen- wurde der Standort um das Universitäts- und For- Bedeutung der Forschungsstation wurde nicht nur erfolgen konnte, war rasch klar. Die Abteilung Kultur schaftsland aufgeschlagen. schungszentrum Tulln erweitert. Auf dieser Plattform gewahrt, sondern deutlich gehoben. und Wissenschaft übernahm daher die strategische findet eine enge Zusammenarbeit der Universität für Einen Schwerpunkt im Bereich der Geisteswissen- Führung, für die operative Arbeit wurde im Jahr 2000 Bodenkultur mit dem Austrian Institute of Technology schaften setzte das Land in Carnuntum, einer über- die Niederösterreichische Bildungsgesellschaft m.b.H. (AIT) Seibersdorf statt. Die Infrastruktur stellt das regional bedeutenden ehemaligen römischen Siedlung. (ab 2011 NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H.) Land Niederösterreich zur Verfügung. Ab 2001 wurden mehr als 25 Millionen Euro in Grabun- gegründet. Für die Begleitung und Verwaltung Seit 2004 läuft das Technopolprogramm, das gen, Forschung, Rekonstruktionen und Präsentation der entstehenden Infrastrukturen (Campus Krems, zum Teil auf bestehenden Infrastrukturen aufbaut und investiert. Die Früchte der engagierten Arbeit konnten IST Austria Klosterneuburg, Universitäts- und erfolgreich Verbindungen zwischen Wissenschaft der Öffentlichkeit in der Römerstadt Carnuntum Forschungszentrum Tulln etc.) wurde mit der FM Plus und Wirtschaft herstellt. Standorte sind Krems (Medizi- mit dem Museum Carnuntinum und auch bei der Ges.m.b.H. im Jahr 2007 eine qualitativ hochstehende nische Biotechnologie), Tulln (Agrar- und Umwelt- Niederösterreichischen Landesausstellung 2011 zugäng- Organisationseinheit geschaffen. biotechnologie), Wiener Neustadt (Tribologie, internati- lich gemacht werden. onale Forschungskooperationen) und Wieselburg (Biomasse, Bioenergie, Energiesysteme, Agrar- und Lebensmitteltechnologien, Wasserwirtschaft). Ebenfalls in Wiener Neustadt wurde 2011 der Grundstein für das Krebsforschungs- und Behandlungszentrum zur Protonen- und Ionentherapie, MedAustron, gelegt.

550 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 551

Die Gladiatorenschule in wohl berühmtesten Funde wurde in Krems-Wachtberg im Jahr 2005 gemacht: ein Wissenschaftspreise nach wissenschaftlichen Disziplinen Carnuntum ist laut Befunden Säuglings-Doppelgrab und das Einzelgrab eines weiteren Neugeborenen aus der Mit der Vergabe von Wissenschaftspreisen schaftler/innen. Diese Grafik zeigt die der Expert/innen in manchen Zeit von vor rund 30.000 Jahren. Der Fund wird von Fachleuten der ÖAW am Natur- würdigt das Land Niederösterreich seit Vielschichtigkeit der Preisträger/innen. Details sogar interessanter historischen Museum in Wien freigelegt. Neben Krems-Wachtberg gräbt die For- über 50 Jahren herausragende Wissen- als vergleichbare Funde in Rom. schungsgruppe auch an anderen Orten in Niederösterreich, z. B. in Großweikersdorf oder Gösing am Wagram. 2011 machten Archäologen des Ludwig Boltzmann Institute for Archaeological sik Prospection and Virtual Archaeology unter der Leitung von Wolfgang Neubauer in Würdigungspreise | Anerkennungspreise (ab 1995) und Förderungspreise (bis 1994) der antiken Metropole Carnuntum bei Petronell eine sensationelle Entdeckung. Im mittlerweile als „Römerstadt“ der Öffentlichkeit präsentierten Carnuntum erspähten

sie mittels Bodenradargeräten eine Gladiatorenschule, deren Fundamente unter 22 | 37 Geschichte und Archäologie P h y der Erde so gut erhalten sind wie kaum eine vergleichbare Einrichtung der Antike. Das 10 | 30 Biologie Besondere am Fund von Carnuntum: Er markiert den ersten vollständig erhaltenen 08 | 05 Medizin Grundriss einer römischen Gladiatorenschule außerhalb Roms. Es war ein feudaler Bau – 06 | 09 Physik vom üppigen Portal über die Abwasserkanäle bis zur Fußbodenheizung einer antiken 04 | 09 Geowissenschaften Hauptstadt mit 50.000 Einwohner/innen wohl würdig. 40 bis 60 Gladiatoren lebten 03 | 09 Kunstwissenschaften und trainierten hier auf 11.000 Quadratmetern ihr blutiges Gewerbe, hatten ein 03 | 04 Rechtswissenschaften eigenes Mini-Amphitheater und ein Gehege für die wilden Tiere zur Verfügung. Das 02 | 05 Geografie und Raumplanung

große Amphitheater aus dem 2. Jahrhundert kannte man schon lange. Es war immer- 0 03 | 01 Chemie und hin das viertgrößte des Römischen Reiches. Die Gladiatorenschule hingegen ist laut 2 | 02 Philosophie Befunden der Expert/innen in manchen Details sogar interessanter als vergleichbare 02 | 02 Soziologie Funde in Rom selbst. 00 | 10 Mathematik Niederösterreich ist für alle Formen der Kultur- und Geisteswissenschaft 00 | 10 Sprach- und Literaturwissenschaften eine wahre Fundgrube.25 Im Forschungsnetzwerk Interdisziplinäre Regionalstudien 0 00 | 07 Wirtschaftswissenschaften Über 13.000 Studierende nutzen bereits (FIRST) arbeiten verschiedene niederösterreichische geistes-, sozial- und kultur- 0 | 06 Bauwesen das Angebot der am Campus Krems beheimateten Hochschulen: Donau- wissenschaftliche Institute vernetzt zusammen, wobei man derzeit (2017) Schwer- 00 | 03 Elektrotechnik/Informationsmechanik Universität Krems, IMC Fachhochschule punkte auf die Themen „Migration“ und „Nahrung“ setzt. 011 | 29 Sonstige Krems und Karl Landsteiner Privat- universität für Gesundheitswissenschaften. B auwesen

Medizin K unstwissenschaften

Philosophie

Rechtswissenschaften ologie Elektrotechnik/Informationsmechanik M athematik

Soziologie Biologie ä Sprach- und Literaturwissenschaften C hemie Geografie und Raumplanung

Geowissenschaften rch

Wirtschaftswissenschaften G eschichte A

Bildung und Forschung 553 Hohe Schulen und die Zukunft Das Land Niederösterreich hat nicht nur enge Verbindungen zur Universität für Bodenkultur Wien, zur Veterinärmedizinischen Universität Wien und zur Techni- schen Universität Wien, sondern nach wie vor auch zur Universität Wien. Nach den Student/innen aus Wien machen jene aus Niederösterreich an der Alma Mater Rudolfina die größte innerösterreichische Gruppe aus. 2015 studierten rund 18.000 niederösterreichische Landeskinder an der Universität Wien. Dazu kom- men 1.500 Mitarbeiter/innen aus Niederösterreich. Die Forschung der Universität Wien ist teilweise auch in Niederösterreich beheimatet, so u. a. (neben der schon erwähnten Forschungsstation Haidlhof) am Leopold-Figl-Observatorium in Altenmarkt an der Triesting, am Wolf Science Center Ernstbrunn oder am WasserCluster Lunz.26 Eine eigene niederösterreichische Hochschule, die Donau-Universität Krems, wurde offiziell 1995 eröffnet und nahm mit 93 Student/innen ihren Studienbetrieb auf. Heute verzeichnet sie über 9.000 Studierende und ist die einzige öffentliche Universi- tät für Weiterbildung im deutschsprachigen Raum. 2014 erhielt sie das Promotions- recht, 2015 wurden die beiden ersten PhD-Studiengänge, „Regenerative Medizin“ und „Migration Studies“, implementiert. Ein europäischer Erfolg: Gegenwärtig ist die Donau- Universität Krems die einzige österreichische Universität, die zwei internationale „Erasmus Mundus Joint Master Degree“-Programme durchführt. 1994 öffneten in Österreich die ersten Fachhochschulstudiengänge ihre Pforten, u. a. in Wiener Neustadt mit einem technischen und einem wirtschaftlichen Zweig. Mittlerweile ist diese FH auf über 30 praxisorientierte Bachelor- und Master- studiengänge an Standorten in Wiener Neustadt, Wieselburg und Tulln angewachsen. Rund 10.000 Absolvent/innen kann die Fachhochschule bis heute verzeichnen. Ähnlich expandiert hat die IMC FH Krems (International Management Center), die 1994 mit 45 Student/innen begann und heute mehr als 2.500 Studierende in 28 Studiengängen in den Bereichen Wirtschaftswissenschaften, Gesundheitswissen- schaften und Life Sciences sowie neun transnationalen Programmen hat. Die über 2.800 Student/innen an der Fachhochschule St. Pölten, die seit über 20 Jahren besteht, erhalten eine hochwertige Ausbildung in den Bereichen Bahntechnologie

Der Lunzer See ist eines der am intensivsten beforschten Gewässer Österreichs. Es ist also naheliegend, dass hier seit über zehn Jahren der WasserCluster Lunz von Donau-Universität Krems, Universität für Bodenkultur Wien und Universität Wien betrieben wird.

2007 konnte die 1906 von Carl Kupelwie- ser gegründete Biologische Station Lunz als WasserCluster Lunz wiedereröffnet werden.

554 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 555 Entwicklung der Studierenden- Studierende im Studienjahr 2016/17 zahlen in Niederösterreich Hochschulen Studenten Studentinnen 1 Donau-Universität Krems 4.558 4.509 2005/06–2016/17 2 FH Wiener Neustadt 1.668 2.010 3 IMC FH Krems 843 2.016 4 FH St. Pölten 1.195 1.226 5 Pädagogische Hochschule NÖ 115 505 6 Kirchliche Pädagogische Hochschule Krems 72 432 7 Danube Private University 344 270 8 New Design University 151 263 9 Phil.-Theol. Hochschule Heiligenkreuz 189 26 10 Phil.-Theol. Hochschule St. Pölten 51 48 11 International. Theol. Institut Trumau 30 30 12 Karl Landsteiner Privatuniversität 71 137 13 Ferdinand Porsche Fern-Fachhochschule* 342 347 Studierende gesamt in Niederösterreich: 21.448

2005/06

1

2016/17 2 2006/07

3

4

5

6

2015/16 7 2007/08

Im Leopold-Figl-Observatorium am 8 Schöpfl befindet sich das größte Spiegel- teleskop Österreichs. Der Haupt- spiegeldurchmesser beträgt 1,5 Meter. 9

10

11

12

13 2014/15 2008/09

Am Wolf Science Center in Ernstbrunn erforschen Wissenschaftler/innen die kognitiven Fähigkeiten von Wölfen und Hunden.

und Mobilität, Gesundheit, Informatik und Security, Medien und Digitale Technologien, Medien und Wirtschaft sowie Soziales. Seit 2004 besteht auch die New Design Uni- versity, die akademische Lehrgänge für Grafik, Design sowie Raumgestaltung anbietet – 2013/14 und 2014 ein neues Gebäude erhalten hat. 2009/10 Niederösterreich ist ein Wissensland, dessen Aufbruch noch nicht abgeschlos- sen ist. Ein dichtes Netz von Fachhochschulen, Hochschuleinrichtungen und For- schungsinstitutionen spannt sich mittlerweile über die 19.000 Quadratkilometer des flächenmäßig größten Bundeslandes. Technopolen und Technikcluster haben den Geruch verschlafener Provinzialität längst verweht. Mittlerweile existieren rund 60 wissenschaftliche Einrichtungen, vor allem an der Wissenschaftsachse Krems – Tulln – Klosterneuburg – Wiener Neustadt, aber auch Einrichtungen wie das Conrad-

Observatorium auf dem Trafelberg bei Muggendorf. 2012/13 Immerwährende Harmonie herrscht hinter den Kulissen dabei freilich nicht, 2010/11 und auch vor dem Vorhang politischer Bemäntelung spielen sich Rangeleien aller Art ab. Ein gutes Zeichen sind die Kontroversen, die um so manchen Forschungsstand- ort geführt wurden und werden – Wissenschaft regt auf, sie ist ein vivides Thema, 2011/12 * Die Ferdinand Porsche Fern-Fach- hochschule hat ihren Standort wird wahrgenommen. Und das in Gegenden, denen man früher allenfalls Kompeten- im Studienjahr 2015/16 von Wien zen in Segmenten grundehrlicher Landwirtschaft und wohltönender Blechblasmusik nach Wiener Neustadt verlagert.

556 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 557 Die Zusammenarbeit mit den Universitä- ten in der Bundeshauptstadt war ein wesentlicher Baustein Niederösterreichs in der positiven Entwicklung der Bereiche Wissenschaft und Forschung. Im Rahmen des 650-Jahr-Jubiläums der Universität Wien wurde die Zusammenarbeit zwischen Niederöster- reich und der Universität Wien mit einem eigenen Festakt im Arkadenhof der Universität gewürdigt.

FH Wiener Neustadt Campus Tulln.

Mit der FH Wiener Neustadt (oben) samt Filialen in Wieselburg und Tulln, der FH St. Pölten (rechts oben) und der IMC FH Krems (rechts) kann Forschung samt Hobelbank zugemessen hätte. Forschung samt Hobelbank mit Spänen, groben Klötzen und Keilen Niederösterreich auf eine breite mit Spänen, groben Klötzen und in der Auseinandersetzung: Das gehört zum Vollwertprogramm moderner Innovations- Palette an Fachhochschulen verweisen. Keilen in der Auseinander- politik – auch in Niederösterreich. Man ist in der international gängigen Normalität setzung – das gehört zum der Verteilungskämpfe angekommen. Wer laut schreit, ist am Leben! Vollwertprogramm moderner Manch überheblichen Großstädtern aus in- und ausländischen Ballungs- Innovationspolitik. zentren ist also der Boden entzogen, auf dem sie früher einmal Spott- und Hohnpflänz- chen für die angeblich so provinziellen Verwandten ziehen konnten. Damit ist längst Schluss. Das Land, das Wissen schafft, ist nicht mehr nur geografisches Herz-, sondern FH Wiener Neustadt Campus Wieselburg. zum Filetstück Österreichs geworden. Die aktuelle niederösterreichische Forschungs-, Technologie- und Innovationsstrategie hat es durchaus in sich und kann an jenen anderer, bisweilen prominenterer Regionen in Europa gemessen werden. Dabei ist es ein schönes Land geblieben – mit seinen Schätzen an Natur und Kultur und idyllischen Momenten. Optisch zugeclustert ist Niederösterreich nicht!

558 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 559 Pionierinnen und Pioniere aus Niederösterreich Niederösterreich wurde von Menschen aus der Zeit der industriellen Revolution, andere Pionier/innen hätten sich eine geprägt, die durch ihre Innnovationen bahnbrechende Entdeckungen im Nennung verdient. Die Auswahl ist von Matthias Kafka Spuren im Land hinterließen. Spuren, vergangenen Jahrhundert. Die Auswahl insofern auch Ausgangspunkt für eine denen in diesem Text nachgegangen ist exemplarisch. Es wurde versucht, eigene Spurensuche. werden soll: gelehrte Schriften aus dem einen Querschnitt nach Epochen und Mittelalter, technische Erfindungen Disziplinen festzulegen; auch viele

Hans Wilhelm Franz de Paula Johann Nepomuk Thomas Ebendorfer von Losenstein Triesnecker Reithoffer Carl Ritter von Ghega Wilhelm Kreß Wilhelm Franz Exner Geboren 1388 in Geboren 1546, Geboren 1745 in Georg Hubmer Geboren 1781 in und Wilhelm Engerth Anton Dreher Eduard Suess Geboren 1836 in Marianne Hainisch Geboren 1840 in Bertha von Suttner Haselbach bei Stockerau, gestorben 1601, Kirchberg am Wagram, Geboren 1755 in Gosau, Feldsberg/Valtice, Carl Ritter von Ghega, Geboren 1810 in Schwechat, Geboren 1831 in London, St. Petersburg, Geboren 1839 in Baden, Gänserndorf, Geboren 1843 in Prag, gestorben 1464 in Wien. bestattet in Loosdorf. gestorben 1817 in Wien. gestorben 1833 in Naßwald.. gestorben 1872 in Wien. geboren 1802 in Venedig, gestorben 1863 ebendort. gestorben 1914 in Wien. gestorben 1913 in Wien. gestorben 1936 in Wien. gestorben 1931 in Wien. gestorben 1914 in Wien. gestorben 1860 in Wien. Wilhelm Engerth, geboren 1814 in Pleß, gestorben 1884 in Leesdorf.

Einer der Die Loosdorfer Der große Astronom Der „Raxkönig“ Begründer der Die Semmeringbahn Die Erfindung Das Wiener Wasser Flugversuch am Die Gründerin Der Vielseitige Friedensnobel- bedeutendsten „Hohe Schule“ Gummiindustrie und ihre Lokomotive des Lagerbieres aus den Alpen Wienerwaldsee der österreichischen preisträgerin Gelehrten Franz de Paula Triesnecker Georg Hubmer verließ im Frauenbewegung Wilhelm Exner wuchs des Mittelalters Hans Wilhelm von trat mit 16 Jahren dem Alter von 17 Jahren Johann Nepomuk Carl Ghega übernahm Anton Dreher entstamm- Gegen Mitte des 19. Jahr- Beinahe wäre Wilhelm in Gänserndorf auf. Seine Bertha von Suttner wurde Losenstein war Erbe Jesuitenorden bei und gemeinsam mit seinem Reithoffer war einer der 1842 die Planungen te einer Bierbrauerfamilie. hunderts waren die Kreß der erste Mensch Marianne Hainisch war Familie übersiedelte als Bertha Gräfin Kinsky Thomas Ebendorfer war einiger Besitztümer in studierte Sprachen, Bruder seine Heimat und bedeutendsten Industrie- für die südliche Staats- Das Brauereigewerbe Wasserzustände in Wien geworden, der in einem 1866 Gründungsmit- 1853 nach Wien, wo er das von Wchinitz und Tettau einer der bedeutendsten Niederösterreich, Philosophie und Mathe- arbeitete als Holzknecht pioniere der Bieder- eisenbahn. Bereits erlernte er im Brauhaus prekär: Die Haushalte Motorflugzeug in glied des „Frauen-Erwerb- Polytechnische Institut geboren. Nach dem Theologen und Chronis- darunter die Schallaburg, matik. 1774 wurde in Niederösterreich. Beim meierzeit. Er erlernte bei mit 17 Jahren hatte er in Simmering. Nach Lehr- bezogen ihr Wasser die Lüfte abhob: Am Vereins“, der das Ziel besuchte. 1861 trat er frühen Tod des Vaters und ten seiner Zeit. 1408 die er zu einem pracht- er zum Priester geweiht. Beginn des Baus des seinem Vater das Padua sein Doktorat jahren in Bayern, aus Hausbrunnen 3. Oktober 1901 versuchte verfolgte, Frauen der dem „Niederösterreichi- dem finanziellen Ruin begann er seine Studien vollen Renaissanceschloss Aufgrund seines her- Wiener Neustädter Kanals Schneiderhandwerk und für Mathematik erworben. Hamburg und England und einzelnen kleinen der Sohn eines Textil- unteren Mittelschicht auf schen Gewerbeverein“ bei. ihrer Mutter Sophie, die an der theologischen umbauen ließ. Er war vorragenden Rufes 1797 erkannten die beiden ging in der Folge auf 1848 legte er einen pachtete er die Brauerei Wasserleitungen. In fabrikanten nach wirtschaftlichem und Einige Jahre unterrichtete das ansehnliche Erbe Fakultät der Wiener lange Zeit in der ständi- als Mathematiker und die Möglichkeit, über Wanderschaft. Er lebte in Streckenplan zur Über- seiner Mutter in Schwe- manchen Stadtteilen jahrzehntelanger Planung handwerklichem Gebiet er als Mittelschullehrer großteils verspielte, ar- Universität. 1420 wurde schen Verwaltung tätig Astronom wurde er die Schwarza und die ärmlichen Verhältnissen windung des Semmerings chat, die nach dem kam es regelmäßig zu in der Nähe des Wiener- beruflich fortzubilden. in Böhmen, dann wurde er beitete sie als Erzieherin er zum Priester geweiht und stand als Rat, zum Stellvertreter des Leitha dringend benötig- in Paris, was ihn nicht vor. Noch während Tod seines Vaters Franz Kontaminationen. Die waldsees einen Probe- Als Ausgangspunkt für ihr Professor an der Forst- in der Familie des Frei- und 1427 Domherr zu Kämmerer und Hofmar- Direktors der Wiener tes Brennholz nach daran hinderte, an der der Errichtung der Strecke Anton Dreher herab- Stadt Wien gründete flug mit seinem Drachen- soziales Engagement akademie in Mariabrunn. herrn Karl von Suttner, in St. Stephan in Wien. schall von Erzherzog Universitätssternwarte, Wien zu bringen. Später Sorbonne Vorlesungen galt es Lokomotiven gewirtschaftet war. Mit deshalb eine Wasserver- flieger, den er mithilfe gilt die soziale Notlage Exner leitete diese dessen Sohn Arthur sie Er war insgesamt acht Mal Matthias im Dienste des 1792 deren Leiter. Die schlossen die Brüder über Chemie zu besuchen. zu finden, die imstande seinem „Kaiserbier“ sorgungskommission, von privaten Geldgebern einer mit ihr befreunde- Einrichtung ab 1875 und sich verliebte und den sie Dekan der theologischen Hofes. Als überzeugter Abhandlungen über seine einen Vertrag mit dem Nach seiner Zeit als waren, den steilen ging er neue Wege, da er der Eduard Suess ab 1863 und öffentlichen ten Familie: Der allein- überführte sie in die gegen den Willen seiner Fakultät und zwei Mal Protestant war er wesent- Beobachtungen der Sonne, Grafen Johann Philipp Schneidergeselle in Streckenabschnitt anstelle des geläufigen angehörte. 1868 wurde Unterstützern finanzieren verdienende Mann wurde Wiener Hochschule Familie 1876 heimlich Rektor der Universität lich an der Organisation des Mondes, der Planeten Hoyos. Sie bewirtschafte- Nikolsburg konnte er, zwischen Payerbach trüben obergärigen Bieres auf seine Anregung konnte. Ein schwerwie- erwerbsunfähig, seine für Bodenkultur. An dieser heiratete. Sie flohen in Wien. Mit über 150 des evangelischen und der Sternenpositio- ten seine Waldbestände auch dank der stattlichen und Eichberg, mit 1 m ein helles Bier nach dem hin der Bau einer neuen gendes Problem im Frau bekam aufgrund erhielt er eine Professur den Kaukasus und Werken gilt er als einer Kirchenwesens beteiligt. nen publizierte er in den im Rax- und Schneeberg- Mitgift seiner Frau, Steigung auf 40 m Untergärverfahren braute. Wasserleitung beschlos- Vorfeld war das Gewicht mangelnder Ausbildung für „Allgemeine mechani- verbrachten dort neun der produktivsten 1580 wurde er einer der „Wiener Ephemeriden“, gebiet und in den Ge- selbstständig werden. Streckenlänge, zu 1840 begann er das sen, die vom Hochquel- des Motors, da die Firma, keine Beschäftigung. Im sche Technologie und Jahre, unter anderem Autoren des Spätmittel- Direktoren der Evangeli- einem astronomischen birgsgegenden bis zum Intensiv beschäftigte er bewältigen. Als man Lagerbier zu entwickeln. lengebiet am Fuß die Kreß mit dessen Verein brachte Hainisch forstliches Bau- und in Tiflis. 1885, nach der alters. Seine theologi- schen Kirchenvisitation. Tabellenwerk. Besondere Mürztal. Als der Raum um sich damit, Stoffe feststellen musste, dass Er erkannte, dass für des Schneebergs nach Konstruktion beauftragt 1870 den Antrag ein, Maschineningenieur- Versöhnung mit der schen Schriften wurden Besonders am Herzen lag Verdienste erwarb er Naßwald weitgehend wasserundurchlässig die aus einem Wettbe- untergäriges Bier die Wien führen sollte. hatte, die vereinbarte die Gemeinde Wien möge wesen“. Er war bis zu Familie und dem Tod ihrer Standardliteratur. Früh ihm das benachbarte sich um die Anwendung abgeholzt war, wurde auf zu machen, was ihm 1824 werb siegreich hervorge- richtige Kühlung entschei- Der Spatenstich durch Lieferung nicht einhielt. Mädchen aus allen seiner Pensionierung im Mutter, kehrte sie nach begann er auch Chroniken Loosdorf, wo er von 1587 der Astronomie bei der immer entfernter das Privileg zur Her- gangene Lokomotive dend war, woraufhin er Kaiser Franz Joseph I. Der Ersatzmotor wog ein Ständen eine Ausbildung Jahr 1900 auch mehrmals Österreich zurück und zu schreiben, darunter bis 1588 eine evangelische Landvermessung. Er liegende Wälder zurück- stellung wasserdichter „Bavaria“ von Maffei aus riesige Keller anlegte und erfolgte am 21. April 1870, Drittel mehr als geplant. an einem Realgymnasium Rektor der Hochschule. ließ sich auf Gut Har- im Auftrag Friedrichs III. Pfarrkirche errichten ließ. vollendete die von Georg gegriffen. Da es extrem Stoffe einbrachte. Es München für einen darin Eis lagerte. Als er eröffnet wurde die Dennoch entschloss ermöglichen. Hainisch 1879 gründete Exner das mannsdorf in Nieder- eine umfangreiche Dort gründete er im Jahr Ignaz von Metzburg aufwendig war, das Holz folgten 1828 ein Patent Dauerbetrieb ungeeignet 1841 das „Klein-Schwecha- Hochquellenleitung am sich Kreß, den Motor in forderte auch die Technologische Gewerbe- österreich nieder. Durch „Kaiserchronik“ und eine 1574 die „Hohe Schule“, begonnene Vermessung über das knapp 1.100 m für das maschinelle war, wurde der Maschi- ter Lagerbier“ auf den 24. Oktober 1873. Bis seinen Flugapparat Zulassung von Frauen museum in Wien (TGM) ihren engen Kontakt mit „Cronica Austriae“, in eine Bildungsstätte für die von Niederösterreich. hohe Preiner Gscheid Weben von Kautschuk- nenbauer Wilhelm Wiener Markt brachte, heute transportiert die einzubauen. Nachdem er zum Hochschulstudium. und war bis 1904 dessen der Friedensorganisation der er persönliche protestantische adelige Ein Mondkrater und zu transportieren, kam fäden und 1831 das Engerth mit der Ent- wurde es mit großer Leitung, die von Kaiser- auf der Wasserfläche 1902 gründete sie den Direktor. Exner war auch „International Arbitration Erfahrungen verarbeitete. Jugend mit dem Ziel, ein Rillensystem auf dem Georg Hubmer auf Privileg zur alleinigen wicklung einer neuen Begeisterung aufgenom- brunn über Neunkirchen, aufsaß, betätigte er das Bund Österreichischer politisch aktiv, unter and Peace Association“ Seine Chronik gilt diese auf ein Universitäts- Mond sind nach ihm die Idee, diesen trennen- Verarbeitung für 15 Jahre. Gebirgslokomotive men. Wirte mussten Baden, Mödling und Gaspedal und erreichte Frauenvereine, bis 1918 anderem als Reichsratsab- in London wurde sie als eine der wichtigsten studium vorzubereiten. benannt. den Sattel zu durch- Dies gilt als Geburtsstun- beauftragt. Er nutzte die sich für den Bezug sogar Wien-Mauer bis zum innerhalb kürzester hatte sie dessen Vorsitz geordneter von 1882 bis eine leidenschaftliche österreichischen Von einem pädagogischen bohren. Das dann durch de der Gummiindustrie. Erfahrungen aus dem vormerken lassen. Wasserbehälter am Rosen- Zeit das andere Seeufer, inne. Vor dem Ersten 1897. Eines seiner großen Pazifistin. Zwar war Geschichtsquellen. und methodologischen den Tunnel rinnende In Wimpassing gründete Wettbewerb und Aufgrund dieser starken hügel in Wien verläuft, ohne aber vom Weltkrieg arbeitete sie in Lebensziele war die sie bereits seit einiger Zeit Thomas Ebendorfer Standpunkt gesehen Wasser würde das Holz bis er eine europaweit entwickelte die „Engerth- Nachfrage rüstete Dreher rund 62 Mio. m3 Wasser Wasser abzuheben. der Friedensbewegung Errichtung eines österrei- schriftstellerisch tätig, wurde in der Pfarr- war die Schulordnung für in die Schwarza treiben. einzigartige Fabrik zur Lok“, die erste Gebirgs- auf die maschinelle pro Jahr. Das entspricht Er musste jäh abbremsen mit Bertha von Suttner chischen technischen ihr Hauptwerk aber, der kirche Perchtoldsdorf die damalige Zeit 1827 traf man sich Herstellung gummiartiger lokomotive der Welt. Bierproduktion um. 1848 der Hälfte des Wiener und kenterte während zusammen und engagier- Museums, das er im Roman „Die Waffen beigesetzt. bemerkenswert modern. nach jahrelangen Bohr- Gewebe. 1853 übergab Am 17. Juli 1854 fuhr setzte er als erster Bier- Trinkwassers. Eduard Suess eines Wendeversuches. te sich in den Jahren Rahmen der Vorbereitun- nieder!“, erschien 1889 Im Zuge der Gegenrefor- und Sprengarbeiten er die Leitung seinen vier der erste fahrplanmäßige brauer der Monarchie hatte von 1869 bis 1873 Das Flugzeug versank im darauf fortlaufend für gen zum 60-jährigen und wurde in fast alle mation und aufgrund in der Mitte des Berges – Söhnen. Zum Zeitpunkt Personenzug über den eine Dampfmaschine ein. auch einen Sitz im Wienerwaldsee, Kreß Frauenrechte. Marianne Regierungsjubiläum Kaiser europäischen Sprachen der Ausweisung der ohne die geringste seines Todes beschäftigte Semmering. Die Strecke In den 1850er-Jahren Niederösterreichischen konnte sich jedoch retten. Hainisch gilt auch als Franz Josephs I. schließ- übersetzt. Sie gründete lutherischen Prediger und Abweichung. Dabei der Betrieb 800 Arbeiter. von 41 km führt über wurde die Brauerei Landtag. Nur zwei Jahre später Initiatorin des Mutter- lich realisieren konnte. 1890 die „Österreichische Schulmeister musste stützte sich Hubmer bei Sein Unternehmen ist 16 Viadukte, 100 Brücken Schwechat zur größten gelang den Brüdern tages in Österreich, Der Kaiser legte 1909 den Friedensgesellschaft“ die Schule 1627 geschlos- den Planungen auf der Vorgänger der und durch 15 Tunnels des europäischen Wright in Amerika der der seit 1924 begangen Grundstein des Neubaus. und gab von 1892 bis 1899 sen werden. seine Erfahrungen, denn heutigen Semperit AG. und wurde bis zum Festlandes. erste Motorflug der Welt. wird. 1918 wurde das Techni- die Monatsschrift „Die lesen und schreiben heutigen Tag kaum sche Museum für Waffen nieder!“ heraus. konnte er kaum. Hubmer verändert. Einzig Industrie und Gewerbe Als erste Frau erhielt verstarb in der protestan- der längste Tunnel wurde in Wien eröffnet. Von 1917 sie 1905 den Friedens- tischen Enklave Naß- erweitert. 1998 wurde bis 1931 leitete Exner den nobelpreis. wald, die er maßgeblich die Semmeringbahn von TÜV Österreich. mitgestaltet hatte. der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

560 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 561 Pionierinnen und Pioniere aus Niederösterreich von Matthias Kafka

Ferdinand Porsche, Hans Ledwinka und Béla Barényi Gebrüder Clemens Ferdinand Porsche Hedy Lamarr Josef Maria Eder Karl Landsteiner und Guido von Arnold Schönberg Geboren 1875 Geboren 1914 in Wien, Geboren 1855 in Krems, Geboren 1868 in Baden, Pirquet Geboren 1874 in Wien, in Maffersdorf, gestorben 2000 in gestorben 1944 in gestorben 1943 in Geboren 1874 (Clemens gestorben 1951 gestorben 1951 Florida. Ihre Asche wurde Kitzbühel. New York. von Pirquet) und 1880 in Los Angeles. in Stuttgart. Ludwig Wittgenstein 2000 im Wienerwald (Guido von Pirquet) in Geboren 1889 in Wien, Konrad Lorenz verstreut. Franz Pfannl Hirschstetten, gestorben Hans Ledwinka gestorben 1951 in Franz Berger-Mylius Geboren 1903 in Wien, Geboren 1866 in Stein 1929 (Clemens von Geboren 1878 Cambridge. Geboren 1895 gestorben 1989 ebendort, Dieter Falkenhagen an der Donau, Pirquet) und 1966 (Guido in Klosterneuburg, in Neulengbach, bestattet am Friedhof Geboren 1942 in Dresden, gestorben 1961 in Krems. von Pirquet) in Wien. gestorben 1967 gestorben 1924. St. Andrä-Wördern. gestorben 2015. in München.

Béla Barényi Geboren 1907 in Hirtenberg, gestorben 1997 in Deutschland. Begründer der Die kleinste Pistole Der Entdecker Tuberkulose-Impfung Mödling als Autopioniere aus An der Entwicklung eines Wovon man nicht Mitentwickler des Der Begründer Ein Hollywood- Ein Baumeister fotochemischen der Welt der Blutgruppen und Raketentechnik Geburtsort der Niederösterreich Volkswagens arbeitete sprechen kann, ersten Großflugzeugs der modernen star erfindet den des Wissenschafts- Industrie Zwölftonmusik auch Béla Barényi. Seine darüber muss man aus Österreich Verhaltensforschung gleichzeitigen standortes Krems Franz Pfannl erlernte nach Karl Landsteiner studierte Clemens von Pirquet war Mit Ferdinand Porsche, in den 1920er-Jahren schweigen Frequenzwechsel Josef Maria Eder besuchte dem Besuch der Real- Medizin an der Universi- ein bedeutender Kinder- Arnold Schönberg lernte Hans Ledwinka und hergestellten Skizzen Franz Berger-Mylius war Konrad Lorenz wuchs als Dieter Falkenhagen das Kremser Piaristen- schule und der Handels- tät Wien. Nach seinem arzt, Bakteriologe und bereits als Kind Violine zu Béla Barényi weisen enthalten zahlreiche Ludwig Wittgenstein verdienter Pilot im Ersten Sohn eines bekannten Hedy Lamarr (eigentlich studierte an der Uni- gymnasium und studierte schule bei seinem Vater Studium verbrachte er Immunologe. Er ent- spielen und begann im drei Autopioniere einen Konstruktionsdetails, die wurde als jüngstes Weltkrieg, emigrierte Arztes in Altenburg an der Hedwig Eva Maria Kiesler) versität Rostock Physik ab 1872 in Wien Chemie das Uhrmacherhandwerk. mehrere Jahre in wickelte einen Test zur Alter von neun Jahren zu direkten Bezug zu sich später bei VW-Käfer- Kind einer bedeutenden nach dessen Ende nach Donau auf. Er studierte war zunächst Filmschau- und Humanmedizin und Physik. Bald begann 1890 übernahm er ein Laboratorien in Zürich, Früherkennung der komponieren, etwa das Niederösterreich auf. Modellen wiederfanden. Industriellenfamilie Amerika, kehrte aber nach Medizin, wandte sich aber spielerin in Wien. 1933 und war in der Folge als er, sich auf fotografische Uhrmachergeschäft München und Würzburg. Tuberkulose und trug Lied „In hellen Träumen Hans Ledwinka brachte Dies wurde auch 1955 geboren. Während seines wenigen Jahren wieder in der Folge der Zoologie heiratete sie den Wiener Facharzt für Innere Themen zu spezialisieren, im Kremser Rathaus, das Während seiner Zeit wesentlich zur Bekämp- hab ich Dich oft geschaut“, die Vierradbremse gerichtlich bestätigt. Er Studiums der Ingenieur- nach Österreich zurück. Er zu. Lorenz war Leiter Industriellen und Medizin und Nephrologie und publizierte ab 1875 in er 1896 verkaufte. Er als Assistent an der fung der Krankheit sein erstes vollständig zur Serienreife und war von 1939 an bei wissenschaften in Berlin wurde Pilot bei der „Avis des Instituts für verglei- Waffenfabrikanten Fritz tätig. Die Donau-Universi- diesem Bereich. Er habili- richtete in der Folge eine Pathologischen Anato- in Wien bei. Er gilt des erhaltenes Werk für entwickelte einen Vier- Daimler-Benz angestellt, und später auch in Flugzeug- und Auto- chende Verhaltens- Mandl, mit dem sie fortan tät in Krems entwickelte tierte sich 1880 in den Werkstatt zur Erzeugung mie der Universität Weiteren als Pionier Gesang und Klavier. Der zylindermotor mit wurde allerdings 1946 Manchester stieß er auf werke G.m.b.H.“ in Brunn physiologie in Altenberg, das Gut Fegenberg im er maßgeblich mit. Er war Bereichen Fotochemie von Miniaturpistolen Wien publizierte er eine im Bereich der Kinder- Name Schönberg ist eng acht oben liegenden als politisch belastet Grundlagenprobleme am Gebirge, einem später Direktor des niederösterreichischen dort ab 1995 Leiter der und wissenschaftliche ein. Seine Pistolen der Arbeit, in der er erstmals krankheiten und der mit der Stadt Mödling Nockenwellen für einen entlassen, da er bereits der Mathematik und der führenden österrei- Max-Planck-Instituts für Schwarzau im Gebirge Abteilung für Umwelt- Fotografie und hatte die Marke „Kolibri“ waren nur die Annahme äußerte, modernen Ernährung und verbunden. So übernahm Serienwagen. 1931 baute vor dem „Anschluss“ wandte sich an Bertrand chischen Luftfahrtunter- Verhaltensforschung in bewohnte. Da ihr Mann in und Medizinische Wissen- für ihn errichtete 68 mm lang, mit Perl- es müsse drei verschiede- wurde insgesamt fünf Mal Schönberg 1896 die er in den Tatra-Werken Österreichs der NSDAP Russell. Die Berührung nehmen in den 1920er- Seewiesen (Deutschland) der NS-Diktatur agitierte, schaften, von 1996 bis Lehrkanzel von 1892 mutter-, Silber- oder ne Blutgruppen geben. für den Nobelpreis im Leitung des Mödlinger in Mähren den Prototyp beigetreten war. 1948 mit der Philosophie Jahren. Dieses Unter- sowie Leiter der Abteilung sie aber aus einem 2005 Vorsitzender des bis 1902 als außerordent- Goldgriffen verziert und Auf Grundlage dieser Bereich Physiologie Arbeitergesangsvereines des Tatra V 570. Dieser erfolgte seine Wiederein- bewog ihn dazu, Logik nehmen baute mehrere für Tiersoziologie am jüdischen Elternhaus Kollegiums der Universi- licher bzw. von 1902 fassten sechs Schuss. Annahme gelang es ihm oder Medizin nominiert, „Freisinn“. 1918 bezog er Wagen sollte zum Vor- stellung als Entwicklungs- und Philosophie in Flugzeugtypen und Institut für vergleichende stammte, verließ sie tät und von 2005 bis 2013 bis 1925 als ordentlicher Die Waffen wurden bis in weiterer Folge, die erhielt diesen jedoch nie. eine Wohnung in Mödling. bild des „Volkswagens“ ingenieur. Béla Barényi Cambridge zu studieren, betrieb eine eigenstän- Verhaltensforschung Mandl im Jahr 1937 und Professor für Gewebe- Professor inne. Eder nach Amerika und Japan drei Blutgruppen A, B Sein Bruder Guido war Bis 1925 gab er dort VW-Käfer werden, wobei widmete sich aus- wo er schnell als einer dige Luftfahrtlinie, der Österreichischen wanderte zunächst und Organersatz sowie pflegte ein weltweit exportiert. 1900 verlegte und 0 zu identifizieren. ein Pionier der Raketen- mehr als 100 Schüler/- nicht Ledwinka den führlich der Sicherheit der brillantesten jungen eine Flugschule und Akademie der Wissen- nach Paris und dann nach Leiter des Departments verzweigtes Netzwerk, er seine Fabrik an einen Bereits sechs Jahre später technik und gründete innen Kompositionsunter- Auftrag für den Bau vom der Automobile. 1951 Philosophen galt. Im eine Luftbildstelle. Franz schaften. Gemeinsam mit London aus. Dort ent- für Klinische Medizin und das ihn mit Bildern neuen Standort, wo er konnte, basierend auf 1928 gemeinsam mit richt, darunter Alban Berg, NS-Regime in Deutsch- meldete er ein Patent an, Ersten Weltkrieg geriet er Berger-Mylius war Karl Frisch und Nikolaas deckte sie die Filmproduk- Biotechnologie. In dieser und Texten versorgte. mit Wasserkraft produzie- seiner Entdeckung, in Franz Hoefft die Österrei- Anton Webern und Hanns land erhielt, sondern in das er seine Erkenntnis in italienische Gefangen- als Testpilot maßgeblich Tinbergen erhielt er tionsfirma Metro- Zeit baute er die Donau- Dieses Material wurde ren konnte. 1909 stellte den Vereinigten Staaten chische Gesellschaft für Eisler. Die Wohnung Ferdinand Porsche mit einfließen ließ, dass schaft. 1919 kehrte er an der Entwicklung 1973 für die Theorie vom Goldwyn-Mayer und Universität zu einem wichtiger Bestandteil er einen Patentantrag von Amerika die erste Weltraumforschung. Seine diente ihm zudem für das seinem Konstruktions- die kinetische Energie im nach Wien zurück. Von der Flugzeuge des Unter- menschlichen und nahm sie unter Vertrag. international beachteten der 1888 gegründeten für die kleinste Pistole der erfolgreiche Bluttrans- 1928 in der Zeitschrift Komponieren eigener büro in Stuttgart, der Falle eines Zusam- 1920 bis 1926 war er als nehmens beteiligt, tierischen Verhalten den Hedy Lamarr wurde in Kompetenzzentrum „K. k. Graphischen Lehr- Welt mit einem Kaliber fusion vorgenommen „Die Rakete“ veröffentlich- Stücke. Auch die „Metho- zwei Jahre nach menpralls durch eine Volksschullehrer in unter anderem an der Nobelpreis für Medizin. der Folge zur Hollywood- im Bereich biomedizini- und Versuchsanstalt“, von 2,7 mm und deren werden. In den beginnen- te Flugbahn für eine de der Komposition der Fertigstellung des Verformung abgebaut Trattenbach, Puchberg „Avis BGV-I“ – dem In seinen letzten Diva und Stilikone. scher Technologie auf. die er von 1889 bis 1923 Fertigung. Kurz nach dem den 1920er-Jahren Raumsonde zur Venus ist mit zwölf nur aufeinander Tatra-Prototypen werden muss, damit und Otterthal tätig. In der ersten Großflugzeug aus Lebensjahren wurde er Beeindruckend ist Mit weltweit führenden leitete. Eders Entdeckun- Ende des Ersten Welt- wurde er an das „Rocke- dieselbe, die von der bezogenen Tönen“ mit den Planungen des sie nicht auf die Fahr- Folge ging Wittgenstein Österreich. Bis heute eine Leitfigur der allerdings nicht zuletzt Unternehmen wie gen dienten als Grund- krieges, während dessen feller Institute for Medical ersten sowjetischen entwickelte Schönberg „Volkswagens“ begann. zeuginsassen einwirken erneut nach Cambridge, gilt es als einziges Umweltbewegung, unter Lamarrs Karriere als Fresenius Medical Care, lage für die fotochemi- in seiner Firma Gewehr- Research“ in New York interplanetaren Sonde zur in Mödling im Jahr 1923. Bevor Ferdinand Porsche kann. Dieses Patent wo er von 1939 bis 1947 dreimotoriges Flugzeug anderem im Zuge der Erfinderin: Sie lernte 1940 pflegte er Kooperationen. sche Industrie, besonders granaten und Flammen- berufen. 1930 wurde ihm Venus benutzt wurde. Mit der Zwölftonmusik 1923 als Leiter des wird gemeinhin als als Universitätsprofessor der Republik. Franz Volksabstimmung über den Komponisten George Seine medizinischen für die Herstellung werfer erzeugt wurden, der Nobelpreis für Nach ihm benannt ist der schlug er ein neues Konstruktionsbüros und „Knautschzone“ bezeich- wirkte. Auf Grund Berger-Mylius stürzte bei das Atomkraftwerk Antheil kennen. Die Innovationen wie das von Kunstlichtpapieren entwickelte er eine kleine Medizin oder Physiologie Mondkrater „Pirquet“. Kapitel in der Musik- Vorstandsmitglied der net. Auch bei der Bau- des „Tractatus logico- einem Probeflug mit Zwentendorf. Lorenz gilt beiden kombinierten ihr „Prometheus-Verfahren“, und Kino-Positivfilmen. Selbstladepistole mit der verliehen. Seine Karriere geschichte auf. 1925 Daimler-Motoren-Gesell- reihe W111 von Mercedes philosophicus“ und einem Flugzeug der AVIS als Begründer der Wissen über Waffen und mit dem eine erkrankte Modellbezeichnung krönte er mit der wurde er als Leiter der schaft (DMG) tätig Benz kam eine solche seiner posthum erschie- ab und verstarb an den modernen Verhaltens- seine Erfahrungen mit Leber unterstützt „Erika“, die ein Kaliber von Entdeckung des Rhesus- Meisterklasse für wurde, leitete er von 1906 im Jahr 1959 zum Einsatz. nenen Werke über Folgen. forschung und studierte einem von ihm entwickel- werden kann, kommen 4,25 mm aufwies. Im faktors, gemeinsam Komposition an die an die Entwicklung Wegen deren äußerer die Sprache gilt er als unter anderem an Dohlen, ten vollautomatischen heute vielen Patient/- Zweiten Weltkrieg wurde mit seinen Schülern Preußische Akademie der und Produktion bei der Knautschzonen und der einer der einflussreichs- Kolkraben und Grau- Musikstück. Sie wollten innen zugute. seine Fabrik unter der Philip Levine und Künste in Berlin berufen. Oesterreichischen stabilen Mitte wird ten Philosophen des gänsen Instinktverhalten das Problem lösen, Firma „Rotanwerke AG“ Alexander Solomon Nach der Machtüber- Daimler-Motoren-Gesell- oft vom weltweit ersten 20. Jahrhunderts. Unter und Ausdrucksbewegung, dass funkgesteuerte als Versuchsstätte für Wiener im Jahr 1940. nahme Adolf Hitlers schaft in Wiener Neu- Personenwagen mit anderem ist das „Ludwig Sexual- und Aggressions- Torpedos vom Feind Geheimwaffen genutzt. In Niederösterreich emigrierte er in die stadt. Dort war er mit moderner Sicherheits- Wittgenstein Symposium“ verhalten. Umstritten durch Blockieren ist die Karl Landsteiner Vereinigten Staaten von der Konstruktion von karosserie gesprochen. nach ihm benannt, ist Lorenz aufgrund seiner der jeweiligen Frequenz Privatuniversität Amerika, wo er bis 1944 Personenfahrzeugen, das seit 1976 jährlich in Mitgliedschaft bei der gestört werden können. für Gesundheitswissen- als Professor an der Flugmotoren und Sport- Kirchberg am Wechsel NSDAP und seines Nach zahlreichen schaften nach ihm University of California in wagen betraut. Gerade stattfindet. Engagements in erbbiolo- Experimenten ließen sie benannt. Los Angeles lehrte. bei der Person Ferdinand gischen und rassen- sich 1942 das „Frequenz- Porsches gilt es festzu- kundlichen „Forschungen“, Sprung-Verfahren“ halten, dass seine Karriere auch wenn seine wissen- patentieren, das einen ganz entscheidend von schaftliche Leistung ständigen synchronen seiner Unterstützung des außer Frage steht. In Wechsel der Funk- NS-Regimes profitierte. Niederösterreich ist das frequenz der Torpedos Konrad-Lorenz-Institut möglich machte. Erst 1981 für Evolutions- und wurden die Grundzüge Kognitionsforschung in ihrer Erfindung veröffent- Klosterneuburg nach licht, die heute als ihm benannt. Basis für Bluetooth und GSM-Verbindungen gilt.

562 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 563 Zur Entwicklung des Schulwesens in Niederösterreich Der vom Scholasticus, von Klerikern dienten. Von der ausgehenden Babenbergerzeit an hatten auch städti- Magister oder Kantor geleitete sche Schulen an Bedeutung erlangt. In Wiener Neustadt entstand eine landes- Andreas Weigl Während der hochmittelalterlichen Gründungsphase des Landes waren die meisten Unterricht begann eine fürstliche Schule, die sich mit der Wiener Schule bei St. Stephan messen konnte und Menschen Analphabeten; die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben war selbst im Stunde nach Tagesanbruch, wohl seit der Zeit Ottokar II. Přemysls unter der Verwaltung der Stadt stand. Die Adel nur wenig verbreitet. Die Schulbildung lag praktisch ausschließlich in den Händen er war vom mehrmaligen ernannte den Schulmeister, der vom Pfarrer der Liebfrauenkirche bezahlt und ver- der Klöster. Die wenigen Klosterschulen dienten als „innere Schulen“ der Heranbildung Chorgesang der Schüler in der köstigt wurde.4 Bei der wenig entwickelten Mädchenbildung nahmen das Chorfrauen- des (höheren) Klerus, doch wurde in den sogenannten äußeren Schulen auch Kindern Kirche unterbrochen. stift Klosterneuburg und das Nonnenkloster St. Blasien zu Göttweig eine Vorreiterrolle von Adeligen und reichen Bürgern Basiswissen vermittelt, nicht nur von Mönchen, ein. Spinnen, Weben, Sticken und Anstandslehre standen im Vordergrund, daneben sondern auch von Weltgeistlichen und Laien.1 Im Zuge der kirchlichen Reformbewe- Lesen und ein wenig Schreiben.5 gung waren es ab dem ausgehenden 11. Jahrhundert vor allem die Benediktiner in Mit dem Aufstieg der Städte entstand ein Bedarf an städtischen Lateinschulen, Göttweig und Seitenstetten sowie die Augustiner-Chorherren in St. Pölten, Klosterneu- deren Zahl sich vom Beginn der habsburgischen Herrschaft bis Ende des 14. Jahrhun- burg und Herzogenburg, die sich um die Bildung verdient machten. In Melk etwa derts fast verdreifachte. Dadurch hatten auch Schüler in peripheren Landesteilen sah der Schulalltag um 1160 so aus: Der vom Scholasticus, Magister oder Kantor gelei- die Möglichkeit, am Elementarunterricht teilzunehmen. In zeitgenössischen Quellen tete Unterricht begann eine Stunde nach Tagesanbruch; er war vom mehrmaligen erwähnt werden nach der zeitlichen Reihenfolge ihrer Nennung unter anderem Chorgesang der Schüler in der Kirche unterbrochen. Nach dem Mittagessen wurde Schulen in Perchtoldsdorf, Krems, Melk, Klosterneuburg, Bruck an der Leitha und Laa der Unterricht bis etwa 15 Uhr fortgesetzt.2 Die Klosterschulen lehrten die lateinische an der Thaya, in Waidhofen an der Ybbs, Ravelsbach, Kirchau, Hainburg, Ybbs, Weitra, Sprache, aber auch medizinisches und geografisches Wissen. Mit dem Aufschwung Tulln und Langenlois, Gars, Zwettl, Litschau, Weißenkirchen, Zistersdorf, Eisgarn des Städtewesens und der neuen, volksnahen Bettelorden nahm die Verbreitung und Leobersdorf, Mautern.6 Lesen, Schreiben, Singen, Latein wurden von den Schul- der Schriftlichkeit so weit zu, dass die Dominikaner es sich in der zweiten Hälfte des meistern unterrichtet. Die Schüler waren in neun Leistungsgruppen unterteilt. 13. Jahrhunderts leisten konnten, nur mehr angehende Kleriker aufzunehmen, die Das Alter spielte dabei keine Rolle. Der neunstufige Kurs konnte in drei Jahren bewäl- bereits lesen und schreiben konnten.3 Im 13. und 14. Jahrhundert spannte sich bereits tigt werden. Der Gebrauch der deutschen Sprache war streng verboten.7 ein dichtes Netz von Pfarrschulen über das Land, die in erster Linie der Ausbildung Im 15. Jahrhundert kam es zunächst zu einer weiteren Ausdehnung des Elementarschulwesens, die qualitative Verbesserung ließ allerdings auf sich warten. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstanden „Deutsche Schulen“ aufgrund des Bedarfs an der Kenntnis der deutschen Sprache und des Rechnens mit verschiede- nen Münz-, Maß- und Gewichtseinheiten. Die Deutschen Schulen wurden im Alter von sieben bis zwölf Jahren besucht; der Unterricht war koedukativ. Wissensstand und Schulbesuch erwiesen sich als sehr ungleich, je nach den finanziellen Möglichkeiten der Eltern.8 Die Ausstattung der Schulen war sehr einfach. Beispielsweise bestand um die Mitte des 16. Jahrhunderts eine Schulstube in Wiener Neustadt aus sechs Bänken und drei Tischen.9 Verwendet wurden gemalte Buchstaben aus Holz, Wachs- täfelchen, arabische Ziffern. Die Schulmeister waren oft wenig gebildet. Dennoch diente dieser Schultyp als Vorbild für die späteren Volksschulen. Jüdische Elementarschulen existierten in allen jüdischen Gemeinden Nieder- österreichs bis 1421, dem Jahr der Vertreibung der Juden aus Wien und Niederöster- reich. Der Unterricht erfolgte in den Synagogen. Jüdische Schulen bestanden in Korneuburg und Neunkirchen. Mädchen wurden getrennt von Knaben unterrichtet. Der Unterricht war individueller. Die Kinder sollten schon mit fünf Jahren lesen können. Die höheren Talmudschulen, etwa jene im frühen 15. Jahrhundert in Wiener Neustadt und Krems, dienten der Ausbildung von Lehrern und Rabbinern. Mit der Ausbreitung des Protestantismus im Erzherzogtum unter der Enns weitete sich im späten 16. Jahrhundert ein dichtes Netz protestantischer Schulen über das Land aus. Wie sich aus den Schulordnungen für die Deutschen Schulen in Wiener Neustadt (1579) und Krems (1584) ableiten lässt, stand religiöse Unterweisung im Weit besser ausgestattet Zentrum des Unterrichts der Elementarschulen.10 Unter dem Druck der Gegenreforma- waren die protestantischen tion wurden einige protestantische Schulmeister bereits im späten 16. Jahrhundert Gymnasien in Feldsberg vertrieben, so etwa in Baden oder in Wiener Neustadt.11 Neu an der Entwicklung und Krems sowie die Land- des Elementarschulwesens war der regelmäßige Katechismusunterricht, um den das schaftsschule in Horn. elementare deutsche Schulwesen aufbaut war. Dazu wurden Schreiben, Lesen und Rechnen gelehrt. Das Niveau blieb allerdings dürftig. Viele Deutsche Schulen hatten private Schulhalter, die die Schule als Nebenerwerb betrachteten. In Tulln war es ein Gastwirt, in Waidhofen an der Ybbs ein Krämer. Um die ehemaligen Pfarrschulen stand es nur wenig besser. Weit besser ausgestattet waren die protestantischen Gymnasien in Feldsberg und Krems sowie die Landschaftsschule in Horn. Die bedeutendste protestantische Schule war jene in Loosdorf, eröffnet 1574. Der Unterricht in der fünfklassigen Schule umfasste Latein nach Donatus12, Griechisch und den lutherischen Katechismus nach Melanchthon13, die Bibel, Musik, Arithmetik, Geschichte, Deutsch und Stilistik.14 Die protestantischen Stände stellten für die Lateinschulen erhebliche Mittel zur Verfügung. Jene in Krems nahm beispielsweise unter dem vom Stadtrat berufenen Pastor Johann Matthäus ab den 1570er-Jahren einen kurzen, steilen Aufschwung.15 Unterrichtsszene aus dem 14. Jahrhundert: 16 Die beiden Lehrpersonen erheben den Infolge der tridentinischen Reform , die als Reaktion auf das Vordringen des Zeigefinger. In der anderen Hand haben sie Protestantismus die Basis für die Erneuerung der katholischen Kirche lieferte, ver- jeweils eine Rute. Diese ist Symbol für stärkten der katholische Landesfürst und die katholische Kirche den Kampf um Züchtigung, gleichzeitig aber auch Attribut der Grammatik, einer der Sieben Freien das Schulwesen zunächst in den landesfürstlichen Städten. Die Rekatholisierung des Künste. Elementarschulwesens erfolgte über die Schulmeister. Ein Generalmandat von

564 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 565 Der Widerstand der Trotz eines dichten Netzes an Deutschen Schulen war der Bildungsstand breiter Eltern gegen die Volksschichten bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts niedrig. Besonders schlimm stand es Schulpflicht war groß. um den Mädchenunterricht. Aus einer Korneuburger Schulordnung von 1652 geht hervor, dass bei Mädchen der Schreibunterricht durch Nähen ersetzt werden konnte.19 1707 gründeten die „Englischen Fräulein“ in St. Pölten eine Schule; ab 1711 finanzierten die niederösterreichischen Stände einige Kostplätze an dieser Mädchenanstalt. 1725 wurde auch eine Schule der Englischen Fräulein in Krems eröffnet. Die Schulreform Maria Theresias nahm 1770 ihren Anfang; dabei war die niederösterreichische Schulkommission federführend. Das staatliche Pflichtschul- wesen wurde eingeführt und verbreitert. 1774 erließ Maria Theresia die „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen“20. Ein- oder zweiklassige Trivialschulen gab es nun in allen Pfarrorten und dreiklassige Hauptschu- len (nicht zu verwechseln mit dem 1927 geschaffenen Schultyp gleichen Namens) in den Kreisstädten. Die Schulpflicht bestand für sechs Jahre. Unterrichtet wurde nun nicht mehr der einzelne Schüler oder die Schülerin im Klassenverband, sondern eine gesamte Klasse. Um zum Unterricht zugelassen zu werden, benötigte man einen Befähigungsnachweis der Schulkommission, welche die Schulreife des Kindes prüfte.21 Im Jahr 1776 bestanden Hauptschulen in Bruck an der Leitha, Horn, Krems, St. Pölten und Wiener Neustadt.22 Einzelne niederösterreichische Schulreformer erlangten besondere Bedeutung, darunter Franz de Paula Gaheis und sein Schüler Leopold Chimani. Gaheis, ab 1788 Direktor der Hauptschule in Korneuburg, machte sich dort um die Einführung des Heimatkundeunterrichts verdient. Sein Nachfolger Chimani setzte Gaheis’ Werk rund ein Jahrzehnt lang fort. Er verfasste ein umfangreiches Œuvre pädagogischer Schriften.23 Der Widerstand der Eltern gegen die Schulpflicht war jedoch groß. Als Joseph II. 1781 erfuhr, dass weniger als ein Drittel der schulfähigen Kinder den Unterricht besuch- te, ordnete er den Schulzwang an, mit Strafen für Schüler und Eltern, die diesem nicht nachkamen. Zudem war der Besuch der Trivialschulen fortan kostenlos, worauf- hin er schlagartig anstieg. An Gymnasien kam es hingegen zu einem deutlichen Rückgang der Schülerzahlen, weil hier das Schulgeld wieder eingeführt wurde24, sah doch die Regierung eine weitere Verbreitung höherer Schulbildung nicht als Bildungs- ziel. Im Jahr 1805 wurde die geistliche Schulaufsicht wieder hergestellt. Die allgemeine Schulpflicht bestand in der Phase der Frühindustrialisierung nur auf dem Papier. Aufgrund von Kinderarbeit war der Unterricht bei Zwölfjährigen und älteren Kindern, die in der Textilindustrie beschäftigt waren, wochentags auf maximal eine Stunde (einschließlich Frühstückspause) beschränkt und erfolgte bei jüngeren nach anstren- gender Arbeit.25 Eine Konsequenz der Niederschlagung der Revolution von 1848, die zu einer Koalition zwischen Adel und konservativem Bürgertum führte, war eine Reform der Gymnasien und Realschulen. Der Besuch der Gymnasien wurde von sechs auf acht Jahre verlängert und die Matura, die den Zugang zum Universitätsstudium öffnete, eingeführt.26 Zudem gelang es im Rahmen der Gymnasialreform, dem bereits 1805 eingeführten, aber später wieder verwässerten Fachlehrersystem zum Durch- bruch zu verhelfen.27 Außerhalb Wiens blieb das Angebot an Gymnasien in den folgen- Stichwort „Schule“ aus Johann Amos den beiden Jahrzehnten allerdings noch sehr überschaubar, mit Anstalten in Wiener Comenius, „Orbis Sensualium Pictus“, Neustadt, Melk, Krems, Seitenstetten und Horn. 1865 besuchten gerade einmal Nürnberg 1682. Auf der rechten 897 Schüler diese Gymnasien; nur 24 Schüler der Gymnasien und vier Externe schaff- Seite sind Begriffe des Schulwesens in 28 zwei Sprachen – Latein und Deutsch – ten in diesem Jahr die Matura. angeführt. Grundlegende Veränderungen im Pflichtschulwesen brachte erst die liberale Ära. Durch das Reichsvolksschulgesetz von 1869 wurde die Volksschule interkonfessio- nell, die Schulpflicht auf acht Jahre verlängert, die Lehrerbildung und -bezahlung Ferdinand II. „wegen Auß- und Abschaffung der unkatholischen und sectischen professionalisiert. Die Schulaufsicht oblag nun dem Landesschul-, dem Bezirks- und Prädicanten und Schuelmeister“ von 1627 setzte einen Schlusspunkt unter die Re- dem Ortsschulrat bzw. in zweiter Instanz den Stadtbezirksschulräten in Wiener katholisierung. Im Unterricht wurde lediglich der lutherische Katechismus durch Neustadt und Waidhofen an der Ybbs sowie 22 Landbezirksschulräten.29 Der Schul- jenen des Petrus Canisius ersetzt. Schulmeister, die auch den Kirchendienst versahen, besuch stieg wieder von 60 auf 90 Prozent. Aufgrund des heftigen Widerstandes im leiteten den Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen. Das Schulgeld betrug ländlichen Raum wurde die an liberalen Grundsätzen orientierte Schulpolitik jedoch in St. Pölten 1628 vierteljährlich 26 Kreuzer für das Buchstabieren und Lesenlernen, durch die Schulgesetznovelle von 1883 wieder in das katholische Fahrwasser gebracht 40 Kreuzer für das Schreiben und 1 Gulden für das Rechnen.17 und die Schulpflicht verwässert.30 Gegen Ende der Monarchie wurden für sechs bis Im 17. Jahrhundert kam es zu einer zweiten Gründungswelle der Jesuitenkolle- sieben Prozent der Volksschüler/innen generelle, für drei bis vier Prozent individuelle gien (Krems 1616, Wiener Neustadt 1666). Das katholische Sekundarschulwesen war Schulbesuchserleichterungen gewährt.31 Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts nutzte im Gegensatz zu den Elementarschulen hoch organisiert. Die Bezeichnung „Gymnasi- zudem das Kronland Niederösterreich seine Einflussmöglichkeit und bevorzugte – um“ setzte sich durch. Gymnasien boten einen Philosophiekurs an und lieferten die entgegen den Intentionen des Reichsvolksschulgesetzes – die katholische Kirche. Basis für das Universitätsstudium der Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Der Schul- Bei der Vermittlung grundlegender Kulturtechniken und eines bescheidenen Basis- besuch in den Jesuitengymnasien war kostenlos.18 Ende des 17. Jahrhunderts mehrte wissens gab es größere Fortschritte. Konnten beispielsweise im Jahr 1880 zwei Prozent sich jedoch Kritik an den Anstalten: Kritiker forderten praxisbezogenen Unterricht aller Niederösterreicher/innen über zehn Jahren nur lesen und 24 Prozent weder und ein Zurückdrängen des altsprachlichen Unterrichts. Der Schulorden der Piaristen lesen noch schreiben, so waren drei Jahrzehnte später nur noch drei Prozent reine konnte sich 1657 in Horn und 1697 in Wien etablieren. Analphabeten, 0,6 Prozent konnten lediglich lesen. Der Besuch von Bürgerschulen

566 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 567 Unterrichtsszene in einer weltlichen Knabenschule, Ölgemälde eines unbekannten Künstlers, um 1750. Schulklasse im Hand- werksunterricht. Kolorierte Fotografie, 1905.

oder gar höheren Schulen blieb jedoch das Privileg einer kleinen Minderheit.32 Bürger- schulen hatten ein umfangreicheres Bildungsangebot und konnten auch von Mädchen besucht werden. Zwar hatte das Reichsvolksschulgesetz die Prügelstrafe in den Schulen abgeschafft, doch regte sich dagegen großer Widerstand. Im Niederösterreichischen Landtag trat im Herbst 1910 der christlichsoziale Landtagsabgeordnete Helmut Fißlthaler, ein Vertreter der Schulen des „flachen Landes“, vehement für deren Wieder- einführung ein, weil „die Schülerdelinquenz im Schulbezirk Amstetten überhand“ nehme.33 Auch wenn diese Initiative im Sand verlief, bildeten physische Bestrafungen von Schüler/innen weiterhin einen fixen Bestandteil des Schulalltags. Erst in der Zwischenkriegszeit trat allmählich eine Besserung ein. So berichtet etwa der 1924 in Baden geborene Hans Freudmayer, dass ein Schlag auf den Kopf durch den Zeichenleh- rer diesen in arge Verlegenheit brachte, da der Direktor für solche Erziehungsmetho- den kein Verständnis aufbrachte.34 Diesen Paradigmenwechsel musste auch der in den Jahren 1920 bis 1926 im südlichen Niederösterreich an verschiedenen Schulen als Volksschullehrer tätige Philosoph Ludwig Wittgenstein zur Kenntnis nehmen, der im Jähzorn mehrmals „ungelehrige“ Schüler/innen physisch bestrafte und schließlich in Otterthal den Dienst quittierte.35 Im Allgemeinen verlagerten sich nun die vom Lehrpersonal verhängten Strafen zunehmend auf schriftliche Zusatzarbeiten, das Winkerlstehen und „Sich-hinaus-Stellen“.36 Endgültig verboten wurden „körperliche Züchtigung, beleidigende Äußerungen und Kollektivstrafen“ erst im Schulunterrichts- gesetz von 1974. Nach dem Zusammenbruch der alten Ordnung infolge des Ersten Weltkriegs „Der Herr Schulmeister“, Karikatur aus einem Bilderbogen, drängte die Sozialdemokratie unter Führung des Niederösterreichers Otto Glöckel kolorierte Lithografie, um 1860. auf eine umfassende Schulreform, die auf Arbeitsunterricht, Bodenständigkeit und

Bildung und Forschung 571 Volksschule in Mauerbach. Das 60-Jahre- Jubiläum der Regierung von Kaiser Franz Joseph im Jahr 1908 war Anlass für die Errichtung zahlreicher Schulen in Säkularisierung beruhte. Im 1922 geschaffenen Landesschulrat für Niederösterreich zählten der Monarchie. Leopold Scheuch und Heinrich Güttenberger zu den wichtigsten Vertretern der Reform. Gütten- berger machte sich für einen lebensnahen Unterricht für die Landkinder im Sinne einer eigenen Landschulpädagogik stark. Im Schulalltag der Landschulen änderte sich allerdings nur wenig. Die mangelnde Adaptierung der auf Basis städtischer Verhältnisse entwickelten Schulreform für die Landschulen erwies sich als gravierendes Hindernis, wie auch Reformer wie Güttenberger Eine Schulklasse in Aspang, um 1900. beklagten.37 Die Schülerzahl pro Klasse sank im Lauf des 19. Jahrhunderts. Der 1926/27 zwischen christlichsozialen und sozialdemokratischen Schulpolitikern Dennoch waren immer noch Klassen Bund Deutscher Mädel (BDM), wobei sich Autoritätsstrukturen überlagerten und die erzielte Kompromiss führte zur wichtigsten Veränderung in der Zwischenkriegszeit: der Einfüh- mit bis zu 60 Schülern möglich. an jeder Schule auf Vorschlag von „Bannführern“ und „Untergauführerinnen“ er- rung der vierklassigen Hauptschulen, die vor allem in den städtischen Zonen das Bildungsniveau nannten „Vertrauenslehrer der HJ“ den Belangen dieser Organisationen häufig Priori- hoben. Das Mittelschulwesen wurde durch das Gesetz von 1927 bundesweit vereinheitlicht.38 tät einräumten.43 In Wiener Neustadt und Traiskirchen wurden elitäre „National- Noch in der Zwischenkriegszeit wurde allerdings von Schulbesuchserleichterungen ausgiebig politische Erziehungsanstalten“ (NAPOLA) eingerichtet.44 Ab Herbst 1943 sorgte in den Gebrauch gemacht: Im Jahr 1922 nahmen 5,1 Prozent der niederösterreichischen Pflichtschüler/- Industriegebieten der Luftkrieg für immer größere Einschränkungen des Unterrichts, innen sie in Anspruch, 1935 waren es immerhin noch 3,4 Prozent.39 der meist nach dem ersten Bombenalarm um zehn oder elf Uhr zu Ende war. An einen Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime hatte die grundlegende Umorientierung zu einer geregelten Schulbetrieb war immer weniger zu denken. autoritären Schulpolitik eingeläutet, die nun wieder die „religiös-sittliche Erziehung“ im katholi- Nach Kriegsende nahm die „Landschulerneuerung“ einen weiteren Anlauf.45 schen Sinn als Bildungsziel postulierte und eine vaterländische Gesinnung, verbunden mit Das war insofern von Bedeutung, als bis Anfang der 1960er-Jahre ein- und zweiklassige einem restaurativen Gesellschaftsbild, in den Mittelpunkt stellte.40 Mit dem „Anschluss“ setzte Landschulen meist einen Anteil von 50 bis 70 Prozent unter den Volksschulen Nieder- unmittelbar ein noch wesentlich massiverer autoritärer Zugriff auf das Schulwesen ein, der österreichs hatten.46 In diesen Schulen befanden sich Mädchen und Burschen in vor allem bei den Lehrpersonen und Lehrinhalten einen radikalen Wandel brachte. Organisato- gemeinsamen Klassen – für die damalige Zeit ungewöhnlich – und die Sitzordnung risch hielten sich die Veränderungen hingegen in Grenzen. Die Mittelschulen wurden formal richtete sich, wie Zeitzeugen berichten, nach dem Altersjahrgang.47 Allerdings führte in Oberschulen umgewandelt, die in etwa den Realgymnasien entsprachen, die humanistischen der dort praktizierte „geteilte Unterricht“ dazu, dass die Schüler/innen oft nur auf Gymnasien beschränkt. Im Herbst 1938 wurden alle konfessionellen Schulen geschlossen.41 15 bis 21 Lehrstunden in der Woche kamen.48 Durch die vor allem in den 1950er-Jahren Der Versuch, Kinder vom Religionsunterricht fernzuhalten, scheiterte allerdings.42 Die Indoktrina- einsetzende Landflucht kam es allerdings zu einer Aufwertung städtischer Schulorte. tion der Kinder und Jugendlichen erfolgte primär außerschulisch über Hitlerjugend (HJ) und Ab 1946 sahen die Lehrpläne für die Mittelschulen eine lebende Fremdsprache ab der

572 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 573 ersten Klasse vor. Einen besonderen Aufschwung erlebte der Schulbau, nicht zuletzt von Hauptschulen, um den sich nun alle größeren Gemeinden bemühten. Auch Neugründungen von Gymnasien in Amstetten, Bruck an der Leitha, Gänserndorf, Gmünd, Neunkirchen, Sachsenbrunn, Unterwaltersdorf und Zwettl erweiterten das Bildungsangebot.49 Durch den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder entstand ein Bedarf an berufsbildenden Schulen, die einen markanten Aufschwung nahmen. In den 1960er-Jahren setzte eine Bildungsrevolution ein, die durch die Schul- gesetze des Jahres 1962 ihre organisatorische Basis erhielt. Vierjährige Volksschulen, zweizügige Hauptschulen und vor allem die starke Expansion Allgemeinbildender und Berufsbildender höherer Schulen lösten frühere Schulformen ab. Schon in den 1960er-Jahren nahm die Bildungsneigung in einer Dimension zu, die nicht erwar- tet worden war.50 In der Kreisky-Ära wurde versucht, über Gratisschulbuch, Schüler- freifahrt und weitere Maßnahmen die höheren Schulen für immer mehr Bevölkerungs- schichten zu öffnen.51 Die für Niederösterreich größte Bedeutung hatte die im „Zielquotenprogramm“ vorgesehene besondere Förderung der Berufsbildenden höhe- ren Schulen, die Zustimmung aus allen politischen Lagern erntete. Nun wechselte eine größere Zahl von Schüler/innen aus dem ländlichen Raum nach dem Hauptschul- abschluss in Berufsbildende höhere Schulen. Dadurch wurden Bildungsunterschiede zwischen dem städtischen und dem ländlichen Raum erheblich vermindert.52 Nachdem sich die Schülerzahl an den niederösterreichischen AHS bereits in den 1950er-Jahren fast verdoppelt hatte, nahm sie in den Folgejahrzehnten weiter sprunghaft zu, was allerdings auch durch den Baby-Boom begünstigt wurde. Höhere Schulbildung war zunehmend kein Privileg der männlichen Jugend. Im Gegenteil: Ab den 1980er-Jahren besuchten deutlich mehr Mädchen als Buben diesen Schultyp.53 In dieser Zukunftsfantasie träumt ein Einen noch deutlicheren Aufschwung nahmen die Berufsbildenden höheren Schulen: Schüler davon, einen Roboter Höhere Technische Lehranstalten oder Handelsakademien gab es nun in allen größe- an seiner Stelle zur Prüfung in die Schule schicken zu können. ren Städten Niederösterreichs. Anders als an den AHS setzte sich der Boom an den BHS „Wunderwelt“, 7. September 1957. auch in der Folge ungebremst fort. Das ausgehende 20. Jahrhundert und die vergangenen Jahre waren im Bildungswesen durch zahlreiche Schulversuche und die Einführung der Neuen Mittel- schule geprägt. Letztere sollte nach sozialdemokratischen Vorstellungen die Haupt- schulen nach und nach ablösen. Dieser neue Schultyp hat allerdings den Charakter einer Pflichtschule behalten. Aus dem niederösterreichischen Schulversuchsmodell übernommen wurde die differenzierte Beurteilung der schriftlichen Arbeiten in den Hauptgegenständen in der 7. und 8. Schulstufe. Dabei wird zwischen grundlegen- der und vertiefter Allgemeinbildung unterschieden.54 Der Anteil der Personen im Alter ab 15 Jahren mit tertiärem Bildungs- abschluss (Hochschule oder vergleichbare Bildungseinrichtung) lag im Jahr 2011 in Schulbücher aus den Jahren 1910 bis 1954. Durch den Einfluss der Reformpädagogik Niederösterreich in der weiblichen Bevölkerung bei zehn Prozent, in der männlichen wurden seit 1918 vor allem Schulbücher bei 9,5 Prozent. Eine Benachteiligung der Frauen bestand noch bei sekundären für den Volksschulunterricht erneuert. Abschlüssen. Während lediglich 20 Prozent der männlichen Bevölkerung nur einen Sie wurden großzügig illustriert, Texte und Typografie besser den Lesefähigkeiten Pflichtschulabschluss aufwiesen, war es bei der weiblichen Bevölkerung ein Drittel. angepasst. Eigene Lehrbuchkommissionen Vergleicht man diese Anteile mit dem Jahr 1971, in dem noch 79 Prozent der begutachteten die Bücher nach didakti- Niederösterreicherinnen und 52 Prozent der Niederösterreicher einen Pflichtschul- schen Kriterien. abschluss hatten, wird die Dynamik im Bildungssektor deutlich.55

Volksschule Ernsthofen mit modernen Zubauten (Musikschule und Turnhalle) von Poppe-Prehal Architekten, 2014.

574 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 575 Bildung und Forschung – die wichtigsten Ereignisse

1705–1774 1964 2007 1000 1365 Englische Fräulein 1886 Um 1900 Die ersten 1994 Neue Wege in der Das Wissen der Klöster Die Universität und ihr Umfeld und bürgerliches Volk Erste elektrische Beleuchtung Wissenschaftsgesellschaften Wissenschaftspreise Studierende säumen das Land Krebsbehandlung Schon für das 8. Jahrhundert lässt sich in Mönchsorden bringen auch im Spätmit- Seit der Reformation hat sich das Schul- In Scheibbs wird das erste gemeindeeige- Ende des 19. Jahrhunderts entstehen Am 1. Juli übergibt im Rittersaal des Geistliche Bildungseinrichtungen haben Der Grundsatzbeschluss für die Ein- St. Pölten ein erstes Kloster archäologisch telalter immer wieder wichtige Forscher wesen grundlegend erneuert. Im ne Elektrizitätswerk Österreichs errichtet in Niederösterreich einige private niederösterreichischen Landhauses in Niederösterreich eine lange Tradition, richtung des MedAustron, des Zentrums nachweisen, 976 wird dort ein Eigen- hervor und pflegen Netzwerke zwischen 18. Jahrhundert gibt es weitere wichtige und mit diesem die erste öffentliche Forschungsgesellschaften auf Betreiben in Wien Landeshauptmann Leopold Figl aber auch das Fachschulwesen hat für Ionentherapie und Forschung, kloster des Bischofs von Passau urkundlich Gelehrten. Im 13. und 14. Jahrhundert Fortschritte: 1705 wird das Institut der Straßenbeleuchtung versorgt. Die Idee engagierter Bürger und wohlhabender die ersten Wissenschaftspreise des Vorläufer wie die 1843 gegründete, aber in Wiener Neustadt wird getroffen. erwähnt. Es beginnt eine Welle von profilieren sich vor allem Dominikaner, Englischen Fräulein gegründet, 1707 mit kommt den Scheibbser Gemeindevertre- Mäzene. Viele sind heute noch aktiv. Landes Niederösterreich. Unter den nur kurze Zeit existierende Industrieschu- 2011 erfolgt die Grundsteinlegung, Klostergründungen, die bis ins Spätmittel- Franziskaner und Zisterzienser als einer Tagesschule für Mädchen begonnen. tern bei einer Elektrizitätsausstellung Ein Beispiel dafür ist die Krahuletz-Gesell- Ausgezeichneten ist Karl Gutkas, le in Waidhofen an der Ybbs und die Ende 2016 werden die ersten Patient/- alter anhält. In Klöstern konzentriert Förderer der Wissenschaften. Weltliche Auch einige Stiftungsplätze für arme, 1884 in Steyr, wo sie die Möglichkeiten schaft in Eggenburg, gegründet vom Historiker und späterer Herausgeber der 1860 gegründete Weinbauschule in innen behandelt. sich sowohl praktisches Wissen, etwa über Lateinschulen werden gegründet, aber „aus gültiger Ehe erzeugte Fräulein“ elektrischer Straßenbeleuchtung Büchsenmacher und Pionier der prähisto- Landeschronik Niederösterreich, die Klosterneuburg. In den frühen 1990er- Land- und Forstwirtschaft, als auch das Studium alter Sprachen wird werden geschaffen. Heute ist die Schule studieren können. Sie nutzen den Vorteil rischen Archäologie Johann Krahuletz 1990 erscheint und der Vorläufer des vor- Jahren kommt es allerdings zu einer theoretisches Wissen wie Theologie und gefördert. Auch die Wiener Universität nach ihrer Gründerin Mary Ward benannt. einer kleinen Stadt, die Infrastruktur (1848–1928). 1899 wird eine wissenschaft- liegenden Buches ist. Bis 2001 werden enormen Ausweitung des Studienange- Philologie. Viele Klöster betreiben steht in intensivem Austausch mit Etwa 70 Jahre später, im Dezember 1774, rascher austauschen zu können, als dies liche Gesellschaft ins Leben gerufen, die Preise zumeist im Rahmen der bots in Niederösterreich. Mit der Schreibwerkstätten und eigene Schulen. der klösterlichen Forschungstätigkeit. wird die Allgemeine Schulordnung in einer großen Stadt möglich wäre bald darauf erwirbt die Stadtgemeinde die Kulturpreisverleihungen vergeben. Seit Fachhochschule Wiener Neustadt und der Im 11. Jahrhundert wird eine Schule So wirken etwa Vertreter des Klosters erlassen. Diese bestimmt, dass auch in Unmittelbarer Anlass für das technische geologischen und urgeschichtlichen 2002 gibt es eigenständige Veranstaltun- IMC Fachhochschule Krems eröffnen für Theologen in St. Pölten eingerichtet, Melk an der Gründung der Universität im kleineren Städten, Märkten und Orten Experiment ist das 25-Jahr-Jubiläum Sammlungen von Krahuletz und beginnt gen, seit 2012 eine eigene Wissenschafts- 1994 zwei Hochschulen in einem Jahr ihre im 12. Jahrhundert eine Klosterschule im Jahre 1365 mit. Die neue Hochschule ein- oder zweiklassige Schulen zu führen des örtlichen Männergesangsvereines, für mit dem Bau des nach ihm benannten gala im Auditorium Grafenegg. Zwar Pforten. Sie zählen heute zu den größten Stift Melk. Weitere wissenschaftlich sorgt für eine Zentralisierung und seien, in denen Religion, Rechnen, das eine Festhalle errichtet wird, die Museums. Dieses wird 1904 durch Kaiser haben sich die Richtlinien zur Preis- Ausbildungsstätten des Landes, ebenso besonders aktive Klöster des Hochmittel- Homogenisierung der Ausbildung der Lesen und Schreiben sowie „Anleitung elektrisch beleuchtet werden soll. Franz Joseph I. eröffnet. vergabe, wie Preisgelder und Preiskatego- wie die Fachhochschule St. Pölten, die alters sind die Stifte Heiligenkreuz, Geistlichen niederösterreichischer Klöster. zur Rechtschaffenheit“ unterrichtet Zwei Jahre später ruft der Industri- rien, stetig weiterentwickelt, die Grund- 1996 eröffnet wird. Mit der Donau- Klein-Mariazell, Klosterneuburg, Lilienfeld werden sollten – es handelt sich um die elle Carl Kupelwieser in Lunz am See die intention ist aber unverändert: Die Preise Universität Krems entsteht 1995 Europas und Zwettl. neue Volksschule. Biologische Station ins Leben, die erste sind als Auszeichnung für herausragende erste Universität für Weiterbildung. biologische Forschungsstätte im ost- Leistungen in den Bereichen Wissen- Sie ist bis heute die einzige öffentliche alpinen Raum und bis heute eines der schaft und Forschung zu verstehen. Universität dieser Art im deutsch- 2009 bedeutendsten limnologischen For- Seit 1964 werden über 1,7 Mio. Euro an sprachigen Raum. Spitzenforschung schungszentren (WasserCluster Lunz). Preisgeldern vergeben. Mittlerweile (2017) verteilen sich vier Fachhochschulen, drei Privatuni- im Wienerwald versitäten, zwei Pädagogische Hochschu- Das Institute of Science and Technology len, drei Theologische Hochschulen Austria (IST) in Klosterneuburg wird und eine Universität für Weiterbildung gegründet. Niederösterreich kann sich auf das gesamte Bundesland. hierbei in einem österreichweiten Standortwettbewerb über die Ansiede- lung einer Elite-Universität durchsetzen. Seit der Eröffnung wächst das Institut kontinuierlich, bis zum Jahr 2026 werden bis zu 90 Forschungsgruppen vor Ort sein. Um 1200 1670–1760 1791–1839 Bücher sammeln, Ein Land wird vermessen Höher, schneller, weiter Bücher schreiben Im 17. Jahrhundert machen Vermessung Die Nähe zu Wien und das vielfältige Ganz unabhängig von Wind und Wetter Die ersten Bücher (eigentlich Vorformen und Kartografie große Fortschritte. Gelände Niederösterreichs lassen verläuft dagegen die Probefahrt auf des Buches, sogenannte Codices) er- Noch ein Jahrhundert zuvor stellen etwa dieses immer wieder zum Schauplatz für der ersten Eisenbahnstrecke Österreichs halten die niederösterreichischen Klöster Wolfgang Lazius und Augustin Hirsvogel Experimente mit neuen Verkehrsmitteln im November 1837 zwischen Floridsdorf noch von ihren Stammklöstern in in ihren Karten das Land ohne Maßstab werden. Das gilt auch für die ersten und Deutsch-Wagram. Das Teilstück 1973 1995 Bayern und Salzburg. Sie mehren aber und ohne Gradeinteilung dar. Es kommt Ballonfahrten. Schon in den 1780er-Jahren gehört zur Nordbahn, die Wien mit Modernisierung im Der Aufbruch stetig ihren Besitz. Aus der Zeit um ihnen mehr auf den heraldischen Rahmen werden in Wiener Parkanlagen Versuche den Kohlelagern und Eisenwerken in Gesundheitswesen ins Neue 1200 gibt es bereits ein erstes Bestands- als auf die Genauigkeit an. Das ändert mit Ballons unternommen. Die erfolg- Nordmähren, Schlesien und den Salz- verzeichnis der Stiftsbibliothek sich mit der umfangreichen illustrierten reichsten Ballonfahrten gelingen dem minen bei Krakau verbinden soll. In den 1970er-Jahren tritt das Gesund- Das Interuniversitäre Department für von Klosterneuburg, das kontinuierlich Topografie von Matthäus Merian (1649) Franzosen François Blanchard im Sommer 1839 wird der Personenverkehr bis heitswesen in eine neue Ära. Die meisten Agrarbiotechnologie (IFA Tulln) nimmt um erworbene und selbst hergestellte und mit der Karte von Georg Matthäus 1791. Eine seiner Fahrten führt ihn bis Brünn aufgenommen. öffentlichen Spitäler stammen noch seine Arbeit auf – ein weiterer Pionier Werke ergänzt wird. Abgesehen von Vischer. Vischer bereist im Auftrag nach Groß-Enzersdorf. aus dem späten 19. Jahrhundert. im Bereich der wissenschaftlichen geistlichen Büchern entstehen Annalen der Stände Niederösterreichs das Land in Sie werden nun großzügig ausgebaut Entwicklung Niederösterreichs. Nach der und Chroniken, Biografien und Heiligen- den Jahren 1669 und 1670 und führt und modernisiert. In Gmünd, Krems, erfreulichen Entwicklung des IFA Tulln 2017 legenden. Auch der Kernbestand der Vermessungen durch. Seine schon Baden und Zwettl werden komplett neue kommt es 2011 zur Eröffnung des Mehr Raum für kaiserlichen Bibliothek befindet sich relativ verlässliche Karte ist über mehr als Spitäler errichtet. Die Um- und Neu- Universitäts- und Forschungszentrums einige Generationen lang in Niederöster- 100 Jahre in Gebrauch und wird erst bauten hängen auch mit strukturellen Tulln (UFT), das von der Universität die Gesundheit reich. Friedrich III. lässt 1440 über 100 durch die exakten Karten der Josephini- Änderungen im Krankenhauswesen für Bodenkultur Wien und dem Austrian Ein vom Architekturbüro Delugan Meissl besonders wertvolle Bücher in seine schen Landesaufnahme in den 1770er- zusammen. Fachabteilungen haben sich Institute of Technology (AIT) betrieben geplanter Neubau für die Karl Land- Residenz nach Wiener Neustadt bringen. Jahren ersetzt. verselbstständigt und neue medizinische wird. steiner Privatuniversität für Gesundheits- 1949 Geräte benötigen mehr Raum. wissenschaften in Krems wird eröffnet. Der Schulbaufonds In das Jahrzehnt fallen auch Es ist der vorläufige Höhepunkt einer nach dem Krieg wichtige pharmakologische Fortschritte. wissenschaftlichen Einrichtung, die 2013 In Niederösterreich wird in diesen Jahren mit der Akkreditierung ihren Anfang Eine erste große Schulbauwelle folgt dem erstmals die industrielle Produktion nahm. Im Vollbetrieb sollen über 600 Reichsvolksschulgesetz von 1869, eine eines Impfstoffes gegen das von Zecken Studierende betreut werden. zweite um die Jahrhundertwende, übertragene FSME-Virus aufgenommen. anlässlich des 60-jährigen Regierungs- Erfunden hat den Impfstoff 1973 der jubiläums von Kaiser Franz Joseph I. Virologe Christian Kunz, die Firma Danach wird über vier Jahrzehnte lang Immuno AG (heute Baxter) entwickelt kaum eine neue Schule gebaut. 1949 ihn weiter und startet 1976 mit der richtet die niederösterreichische Produktion. Landesregierung einen Schulbaufonds ein, der aus Beiträgen des Landes und der Gemeinden gespeist wird. Zunächst finanziert der Fonds die Errichtung neuer Schulbauten, um Kriegszerstörungen und den drückendsten Raummangel auszugleichen. Später werden vor allem alte Schulgebäude erneuert und saniert.

576 Wo man Wissen schafft Bildung und Forschung 577 Anmerkungen

Wege in das weite Land 46 Krug, 2006 Schön, gut und wirklich wahr Von den Hammerwerken zu den „Im Rauschen deiner Wälder …“ Zwentendorf und Hainburg Wo man Wissen schafft Zur Entwicklung des Schulwesens Leben, Alltag und Traditionen 47 Kusternig, 2006 Kunst und Kultur „Hidden Champions“ Natur und Landschaft Bildung und Forschung in Niederösterreich 48 Kusternig, 2006 1 Vgl. Dressel, 2012, 222 49 Turba, 1913, 97 ff 1 Die folgenden Ausführungen beruhen, wenn 2 Vgl. Assmann, 2001 1 Niederkorn-Bruck, 1989, 388 f Mella Waldstein 50 Gutkas, 1974, 321 Barbara Sternthal nicht anders angegeben, auf: Menschen mit Ortrun Veichtlbauer 3 Vgl. Keller, 2001, 133 f Martin Haidinger 2 Engelbrecht, 1982, 119 51 Gutkas, 1974, 322 Ideen. Die niederösterreichische Maschinen & 4 Mitterauer, 1997 3 Brunner, 2004, 15 52 Gutkas, 1974, 343 Metallwaren Industrie, hg. v. d. Fachgruppe 5 Vgl. Schmid/Veichtlbauer, 2006, 40; http:// 4 Gerhartl, 1965, 55–71 53 Gutkas, 1974, 343 Maschinen & Metallwaren Industrie NÖ, www.erinnerungsort.at/thema7/u_thema1.htm 5 Engelbrecht, 1982, 126–132 Einwanderungsland Niederösterreich 54 Wien: Weingand (ab Bd. 2: Kurzböck) 1769–1770, „Die Mühlen der Zeit(ung)“ verfasst von Charlotte Natmeßnig und Andreas Marchfeld und Wienerwald – 6 Halbreiner/Murlasits/Schönfelder, 2008 1 Brown, 1998, 80 ff 6 Knapp, 1999, 30 3 Bände: 1. Band: A–M. 1769, 2. Band: N–Z. 1770, Resch, St. Pölten 2014 nützliche Landschaften um Wien 7 Vgl. Nußbaumer, 2012 2 Borst, 1999, 580 7 Engelbrecht, 1982, 166 1 Bernleithner, 1949 3. Band: Österreichische Topographie. 8 http://www.erinnerungsort.at/thema7/ 3 Lhotsky, 1964, 7 8 Engelbrecht, 2015, 45 1 Vgl. Günther, 1973, 11 ff 2 Sandgruber, 1994, 133–146 2 Zit. n. Rieger, 2003, 57 Beschreibung der k. k. Haupt und Residenzstadt u_thema3.htm 4 Irblich, 1981, 644 f 9 Parak, 1965, 230 2 Vgl. Günther, 1973, 21 3 Hahn, 1994, 73–94 3 Rieger, 2003, 128 Wien, als der dritte Theil zur österreichischen 1 Swarovsky, 1905, 1 9 Meissner-Blau, 2014, 208 f 5 Lhotsky, 1964, 83 10 Vgl. dazu Boyer, 2008, Bd. 2, 167–173, und 3 Vgl. Günther, 1973, 27 4 Bachinger, 1972 4 Scheutz, 2009 Topographie, 1770 2 Arminius, 1874, 142 10 Meissner-Blau, 2014, 195 f 6 Lhotsky, 1964, 11 Bd. 3, 74–77 4 Vgl. Bauernebel, 1991, 40 5 Hahn, 75 5 Hahn, 2008 55 Gutkas, 1974, 350 3 Nagy, 1889, 1 11 Vgl. Lindner, 1994 7 Lhotsky, 1964, 33 11 Hübel, 1932, 69–98; Hübel, 1933, 24–51 5 Vgl. Günther, 1973, 47 6 Vgl. etwa König/Weber, 1990 6 Muckenhuber, 2005, 33 56 Krückel, 1986 4 Nagy, 1889, 1 8 Lhotsky, 1964, 69 12 Aelius Donatus (ca. 320–380), Verfasser weit 6 Vgl. Berhel, 1992, 95 f 7 Melichar/Langthaler/Eminger, 2008; 7 Schmidinger, 2008 57 Krückel, 2015 5 Sandgruber, 1995, 253 9 Hamann, 1981, 668 verbreiteter grammatischer Lehrwerke für die 7 Vgl. Berhel, 1992, 87 Landsteiner, 1994, 117–132 8 Memorandum, 13. 8. 1945, 1. AdR, 58 Krückel, 2015, 147 6 Bruckmüller/Redl, 2008, 175 10 Hamann, 1981, 670 lateinische Sprache 8 Vgl. Berhel, 1992, 119 ff 8 Gegründet wurde das Unternehmen vom k. u. k. StK, Zl. 8061-Pr./45 59 Gutkas, 1974, 333 7 Comité zur Herausgabe der Geschichte Exportgut Landschaft – 11 Haidinger, 2016, 110 f 13 Philipp Melanchthon (1497–1560), Humanist, 9 Vgl. Semrad, 2008, 157 ff Hufschmiedemeister Josef Winter und ging 9 Weigl, 2008, 38 60 Bodi, 1977; Wangermann, 2004 der österreichischen Land- und Forstwirtschaft, 12 Engelbrecht, 2015, 54 ff lutherischer Theologe, akademischer Lehrer 10 Vgl. Zehetner, 1966, 70 ff nach dem Tod seines Sohnes Carl an Josef Tourismus in Niederösterreich 10 Bundesgesetz vom 2. 6. 1954, betreffend 61 Gutkas, 1974, 367 1899, 38 13 Haidinger, 2016, 187 ff 14 Mayer, 1878, 94–97 11 Vgl. Semrad, 2008, 161 Heiser, als dieser im Jahr 849 dessen Witwe den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch 62 Gutkas, 1974, 368 8 Bruckmüller/Redl, 2008, 177 14 Vocelka, 2001, 240 f 15 Schönfellner, 1985, 113–117 12 Vgl. Zehetner, 1966, 99 und 117 heiratete. Das nunmehr unter Josef Heiser, Volksdeutsche, § 1, Abs. 1 63 Spiel, 1978 a), 207 9 Botz, 2008, 362 1 Hebbel [Tagebuch 1837], 1913, 127 15 Vgl. Vocelka, 2001, 248 16 Die Beschlüsse des Konzils von Trient 13 Vgl. Zehetner, 1966, 124 vorm. J. Winter, firmierende Unternehmen 11 Langthaler, 2008 64 Gutkas, 1974, 389 10 Rainer, 1942, 113 2 Wirtschaftsbericht Niederösterreich, 2014 16 Vocelka, 2001, 248 (1545–1563) zielten auf eine Abstellung 14 Vgl. Zehetner, 1966, 158 erwarb im Jahr 1911 die Familie Reitlinger und 12 www.unhcr.at/unhcr/in-oesterreich/fluecht- 65 Gutkas, 1974, 389 11 Hassinger, 1942, 103 3 Kos, 1984, 100 17 Weinlaube, 1877, 179 f vorhandener Missbräuche (Ablasshandel, 15 Vgl. Zehetner, 1966, 127 ff blieb bis zum Verkauf an Worthington lingsland-oesterreich.html, abgefragt am 66 Rapp/Rapp-Wimberger, 2005, 16 12 Franz Grillparzer: König Ottokars Glück 4 Schopenhauer, 1862, 347 18 Vgl. Weiss, Chronik Ämterkumulierung), Verbesserung der 16 Vgl. Berhel, 1992, 98 Cylinders im Jahr 1998 an Worthington in 1. 1. 2016 67 Spiel, 1978, 434 und Ende 5 Kaufmann, 2005, 152 19 Weiss, Chronik Priesterausbildung, kirchlichen Organisation, 17 Vgl. Semrad, 2008, 171 ff deren Besitz 13 http://noev1.orf.at/stories/364228, 68 Kusternig, 2015, 90 13 Strakosch, 1919, 111 6 Sandgruber, 2005, 348 20 Hochedlinger, 2013, 61 Liturgie 18 Vgl. Knabl, 2006, 314 9 Bachinger, 1972, 48 ff; Stadler, 2008, 385 f abgefragt am 1. 1. 2016 69 Schlitter, 1920, 16 14 A. K., Der Gartenfreund, 1920, 34 7 Bruckmüller, 1996, 377 21 Hochedlinger, 2013, 62 17 Parak, 1965, 230 19 Vgl. Berhel, 1992, 2 10 Klambauer, 1983, 147; Compass, Bde. 1938 ff 14 Bei den Aleviten und Alawiten handelt es sich 70 Schlitter, 1920, 23 15 Ballod, Arbeiter-Zeitung, 9. 1. 1921, 2 8 Mayrhuber, 2010, 40 22 Lechner, 1964, 13 18 Engelbrecht, 1983, 135, 137, 151 20 Vgl. Rössl, 2009, 10 und 1955 f um zwei verschiedene heterodoxe Strömungen 71 Feuchtmüller, 1949, 31; Eggendorfer et al., 2006 16 Eberstaller, 1847, VII, 99 9 Statistisches Handbuch der Republik Österreich, 23 Hochedlinger, 2013, 158 ff 19 Starzer, 1899, 422 21 Vgl. Jorda, 2006, 322 11 Metall-Heiser geht an US-Konzern Worthing- mit Bezügen zum schiitischen Islam, wobei es 72 Bruckmüller, 1999 ton. Niederösterreich und seine Dynamik: 17 Berlepsch, 1869, XXIII 1930, zit. n. Mayrhuber, 2010, 55 24 Hochedlinger, 2013, 158 ff 20 Trivialschulen, ab 1840 als Volksschulen unter den Aleviten einen Konflikt über deren 73 Stockinger, 2012, 748–752 Worthingtons Erfolgslauf: Von Ohio ins 18 Hofmayer, 1974, 54 10 G. K., 1967, zit. n. Langreiter, 2008, 124 25 Vgl. Kühschelm, 2008, 73 ff bezeichnet, Hauptschulen dienten Zugehörigkeit zum Islam gibt, der sich in 74 Bruckmüller, 1999, 104 Ötscherland. Worthington Cylinders wächst 19 Eberstaller, 1842, 157 11 Pauschenwein, 1942, 128 ff 26 Vgl. Rüdiger, 2015, 338 der Vertiefung des in den Trivialschulen Österreich in drei rivalisierenden Dachverbän- 75 Eyb-Green, 2016 Großer Übergang mit Torpedo-Geschwindigkeit. Wir wollen 20 Domania, 1914, 56 12 Mulley, 1991, 11 erworbenen Wissens, Normalschulen den ausdrückt, von denen einer als Glaubensge- 76 Gutkas, 1974, 421 f fit sein, wenn die Krise ausgestanden ist. 21 Bericht des niederösterreichischen 13 Sachße/Tennstedt, 1992 (eine Schule pro Kronland) auch der sellschaft voll anerkannt wird, einer nur als 77 Möcker, 2015 Landesausschusses, 1874, 526 14 Handelskammer Niederösterreich, 1948, 444 Berufsausbildung, besonders der Lehrer- in kleinen Schritten Worthington meldet 100 Mitarbeiter zur Das Alchemistenlaboratorium Religiöse Bekenntnisgemeinschaft und der 78 Kos, 1992 Kündigung, Wirtschafts-Blatt vom 24. 2. 1998, 22 Podhagsky, 1877 15 Statistisches Handbuch des Landes Nieder- ausbildung dritte bislang nur als Verein. Die niederösterrei- 79 Bruckmüller, 2015, 157 Wirtschaft und Gesellschaft 10. 10. 2007, 16. 12. 2008, 10. 3. 2009; Die 23 Schlesinger, 1926, 8 österreich, 2014, 219 von Oberstockstall 21 Parak, 1965, 231 f chischen Vereine sind entweder Mitglied der 80 Bruckmüller, 1985, 112 Genesungsphase hat begonnen, Kurier vom 24 Seifert, 1944, 27 16 Hofbauer, 1992, 16 22 Helfert, 1860, 404 anerkannten Islamisch-Alevitischen Glaubensge- 81 Rosner, 2000 23. 2. 2011. 25 Bruckmüller/Redl, 2008, 194 17 Ipsen, 2002, 51 1 Cichocki, 1998 23 Starzer, 1899, 659–663 meinschaft in Österreich oder der Föderation 82 Schmitz, 1998 Ernst Langthaler 12 Reisinger, 2010; Winninger, 2011; 26 Maurer, 1985, 13 18 Kaufmann, 2005, 151 2 Rehren, 1998; Martinón-Torres, 2005; 24 Engelbrecht, 1984, 162 der alevitischen Gemeinden in Österreich 83 Gutkas, 1974, 487 Knittel, 1988, 95 ff; Stadler, 2006, 666–671 27 Hofmayer, 1974, 188 19 „Heimatschutz“, 1897 Mongiatti, 2009 25 Knolz, 1843 (Verein) 84 Stekl et al., 2015 13 Seper, 1964 28 Amt der NÖ Landesregierung, 20 Machura, 1949, 123 3 Weyer, 1992 26 Achs, 2012, 117 15 www.integrationsservice.noe-lak.at, abgefragt 85 Bruckmüller, 2002 14 Seper, 1964; Mathis, 1987, 297 f Umweltbericht Marchfeldstraße, 2005, 147 21 Bovet, 1912, 44 27 Engelbrecht, 1984, 248 f am 1. 1. 2016 86 Gutkas, 1974, 490 Es war einmal – Textilindustrie 15 Resch/Hofer, 2010, 209 f; SDP 1864–1989, 29 Amt der NÖ Landesregierung, 22 Frodl-Kraft, 1997, 78 28 K. k. statistische Central-Commission 1871, 16 www.zusammenreden.net, abgefragt am 87 Gutkas, 1974, 491 125 Jahre Steyr (= SDP Aktuell, Nr. 2/89) Kleinregionale Projekte in Niederösterreich 23 Schlesinger, 1926, 19 Tafel 14, 44 f 1. 1. 2016 88 Aus dem Text des 1 Zimmel, 1912, 40 ff 16 Vgl. 160 Jahre LMF 1850–2010, f. d. I. v. 30 Sieferle, 2003 24 Schlesinger, 1938, 97 In Europas Mitte – Gründerzeit um 2000 29 Achs, 2012, 118 f „Korneuburger Eides“ vom 18. 5. 1930 2 Komlosy, 2006, 264–267 Ernst Huttar; Selb, 2009 31 Raumordnungsplan Marchfeld, 1955, 53 25 Mulley, 1994, 66 30 Parak, 1965, 234 f 89 Zit. n. Riepl, 1972, 390 3 Komlosy, 2006, 305 ff, 446 ff 17 Stadler, 2006, 437 f 32 Grengg, 1937, 9 26 Noë, 1885, 429 1 Beispielsweise Amt der Niederösterreichischen 31 Frühwald, 1977, 174 90 Baumgartner/Freund, o. J., 15 4 Komlosy, 2006, 251 18 Mathis, 1987, 185 f 33 Lang, 1956, 81 27 Doderer, [1951] 2003, 228 Landesregierung, Abteilung Wissenschaft 32 Weigl, 2008, 41 Im Lauf der Zeit 91 Zit. n. Neugebauer, 2015, 162 5 Komlosy, 2010, 263 19 http://www.lmf.at/Profil.13.0.html, 34 Erzherzog Rudolf, 1888, 5 28 Dinhobl, 2003, 178 und Forschung (Hg.): Wissen schaf[f]t Land, 33 Neues Wiener Tagblatt vom 18. 11. 1910, 8 92 Ströbitzer, 1991, 75 6 Als die Waldviertler Textilstraße 1990 als Reise- abgefragt am 3. 9. 2015 35 Kassal-Mikula/Böck/Keplinger, 1993, 160 29 Roth, 2008, 28 St. Pölten 2013; Amt der Niederösterreichi- 34 Freudmayer, 2005, 139–141 Von der Urgeschichte route durch Geschichte und Gegenwart der 20 Mathis, 1987, 47 ff; Stadler, 2006, 93–101; 36 Laube, 1836, 162 30 Doderer, [1963] 1995, 243 schen Landesregierung, Abteilung Wissenschaft 35 Wünsche, 1985, 272–277 bis zur Gegenwart Waldviertler Textilindustrie eröffnet wurde, Bichler, 1994; Bichler, 2008 37 Johann, 2005, 349 31 Mayrhuber, 2010, 28 und Forschung (Hg.): Land schaf[f] Wissen, 36 Streßler, 2008, 328–339 wies sie neben historischer Industriearchitek- 21 Bichler, 2008, 129 ff; 38 Stöckl, 1968, 247 32 Brusatti, 1984, 94 Wien 2014 37 Güttenberger, 1924, 136, 141 f Wie Österreich zu seinem Namen kam tur zahlreiche Produktionsbetriebe als Lacina et al., 2005, 165 f, 195, 200 39 Boyer, 2010, 188 33 Gidl, 2007, 247 38 Engelbrecht, 1988, 99–102 Besichtigungsstationen auf. Die meisten 22 Bichler, 2008, 150; Berndorf Geschäfts- 40 Wellisch/Fritsch/Maetz, 1935, 50 34 Lammer, 1935, 200 39 Weigl, 2008, 52 Ernst Bruckmüller 1 Niederkorn-Bruck, 1992 und 2012 sind unterdessen ebenfalls „Geschichte“. bericht 2011, 9; Geschäftsbericht 2014, 20 41 Kassal-Mikula/Böck/Keplinger, 1993, 159 35 Neue Freie Presse, 11. 6. 1926, 1 40 Achs/Tesar, 1988, 15 f 2 Ostarrîchi, 1996 Vgl. Komlosy, 1994 23 Geschäftsbericht 2011, 9, 33; Geschäfts- 42 Stöckl, 1968, 248 36 Kos, 1996, 613 41 Bittner, 1988, 33 3 Appelt, 1976 7 Dimmel, 2015 bericht 2014, 6, 20, in: www.berndorf.at, 43 Kammerhofer, 1987, 52 37 Kos, 1996, 613 42 Engelbrecht, 1988, 311 1 Wolfram, 1995, 160 4 Zöllner, 1988 8 Geyrhalter Nikolaus, Über die Jahre abgefragt am 15. 9. 2015 44 Umbreit, 1920, 10 38 Machura, 1967, 11 43 Fischl, 1950, 111 2 Holtzmann, 1935, 492 5 Dienst, 1995 (180 min, 2014) 24 John, 1994, 53–71 45 Wiener Magistrat, Gemeindeverwaltung, 39 Zit. n. Heer, 1976, 35 44 Achs/Tesar, 1988, 24 3 Waitz, 1884, 647–678 6 Dienst,1995; Zöllner, 1988 25 Compass, Bde. 1965–1971 1923, 419 40 Blumenberg, 1986, 91 45 Lang, 1948 4 Lauermann, 2014 7 Dienst, 1995, 44 f; Zöllner, 1988, 17 ff 26 Firmenhistorie. Verwurzelt in Innovationen, in: 46 A. K., Der Gartenfreund, 1920, 20 41 Grabner, 2013, 3 46 Weigl, 2008, 50 5 Brunner, 1994, 358 8 Zöllner, 1988, 35 ff www.fertinger.at, abgefragt am 13. 8. 2015; 47 Güde, 1932, 53 42 Hudecek, 2005, 172 47 Katzenbeisser, 1986, 151 6 Dienst, 1985 9 Lhotsky, 1957 Unbequemes Erbe – Industriedenkmale Compass, Bde. 1981–1990; Interview Veit 48 Brehm, 1943, 12 f 43 Komlosy, 2010, 289 48 Engelbrecht, 1988, 107 7 Röhrig, 1985; Brunner, 2009 10 Lhotsky, 1957 Schmid-Schmidsfelden, 17. 9. 2015 49 Arbeiter-Zeitung, 5. 10. 1952, 4 49 Brückner, 1991, 121, 126 ff 8 NÖUB 1, 2008, 205 11 Zöllner, 1988, 45 ff 1 Huse, 1997, 9 27 Interview Veit Schmid-Schmidsfelden, 17. 9. 2015 50 Zukrigl, 2001 50 Lassnigg, 1996, 463 51 Micklitz, 1910 51 Schnell, 1993, 230–234 9 NÖUB 1, 2008, 283 f 12 Dienst, 1995 2 Für die Auskunft bedanke ich mich bei Richard 28 Neue Zentrale in NÖ statt Tschechien, Grenzlandschaften Niederösterreichs 10 Kupfer, 2000 Dieckmann, dem Leiter der Abteilung für Wirtschaftsblatt vom 29. 3. 2012 52 Mayer, 1969 52 Lassnigg, 1996, 468, 472, 477 f 53 Kurir, 1969, 130 53 Weigl, 2008, 66 11 Feigl, 1986 technische Denkmale am Bundesdenkmalamt 29 Weinviertler Mechatronik Akademie in 1 Komlosy, 1995, 59 12 Sonnlechner, 2000, 164–180 3 Bundesdenkmalamt: Bescheid Nr. 7504/1930 Wolkersdorf präsentiert, APA vom 30. 10. 2014, 54 Engelbrecht, 2015, 222 2 Weigel, 1970, 9 55 Statistik Austria, 2013, 86 f 13 Lampel, 1900 Landauf, landab vom 5. 12. 1930 in: https://global.factiva.com, abgefragt am 3 Wrbka, 1999 14 Lechner, 1985, 155–164 4 Bergmann, 2013, 85–96 10. 11. 2014; Weinviertler Mechatronik Die Attraktivität der Peripherie 4 Klein, 1986 15 Ottokar-Studien, 1978/79 1 Die im Beitrag verwendeten Daten stammen 5 Kohl/Mayrhofer/Purker, 2014, 112–134 Akademie in Wolkersdorf öffnet ihre Pforten, 5 Mähner, 1999 16 Seemüller, 1886 aus: Statistisches Handbuch des Landes 6 Aus der Geschichte der Neusiedler AMS News vom 30. 10. 2014, in: https://ams.at/ 1 Borsdorf/Mayer, 2004 6 Bauer u. a., 2013, 437 17 Lhotsky, 1967 Niederösterreich, 40. Jahrgang 2016 Aktiengesellschaft für Papierfabrikation, 1953 noe, abgefragt am 10. 11. 2014; Weinviertler 7 Strohmeier, 1997 18 Brunner, 1970 2 Lichtenberger, 1996, 60 ff 7 Stadler, 2006 Mechatronik Akademie in Wolkersdorf 2 Schwarz, 2009, 35 3 Blumenbach, 1835, 282 8 Brunner, 1981, 18; Strohmeier, 1995, 21 19 Petrin, 1982 3 Brand/Wissen, 2017 8 Müllauer, 1995 präsentiert, NLK Presseinformation vom 9 Bauer u. a., 2013, 452 20 Lhotsky, 1971 4 Bruckmüller, 2012, 162 9 Riss, 1988 30. 10. 2014, in: https://www.noe.gv.at, 4 Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe, 1845, 366 10 Pirchegger, 1934 21 Reingrabner, 2002 5 GfK-Studie Landesbewusstsein, 2012 10 Hoffmann, in: Zeitschrift für Bauwesen, abgefragt am 10. 11. 2014 11 Margel, 2015 22 Gutkas, 1974, 181 f 6 Landesentwicklungskonzept, 2004, 64 10. Jg. (1860), Spalte 523–540 30 http://www.mke.co.at/de/servicemenue/ 5 Wiener Kirchenzeitung, 1870, 734 6 U. a. Wislicenus, 1901, 702; Leymann, 1903, 70 12 Wildnisgebiet, www 2015 23 Vgl. Reingrabner, 2002, 50 7 Henkel, 2016 11 Kowall, 1970 news//news/29/innovationspreis-fuer-mke. 13 Burkert, 1992, 441 24 Miklas, 2002 8 Rödder, 2016, 300 12 Ast, 1977, 72–78 html, abgefragt am 3. 9. 2015; Niederösterrei- 7 Görgl/Gruber, 2015, 267 8 Welzig/Steixner, 2003, 32 14 Burkert, 1992, 439; Weisgram, 1992 25 Friess, 1897 9 Isensee, 2016, 7–26 13 Gratzl, 1985 chische Wirtschaft vom 22. 11. 2013 15 Wittrich, 2015, 51 26 Klein-Bruckschwaiger, 1973 10 Perathoner, 2016, 49–92 14 Hecht, 1909 31 Stadler, 2006, 414; Mathis, 1987, 155; 9 Fassmann/Görgl, 2009, 129 10 Silberbauer, 2006, 78 16 Prenner, 2015, 23 27 Heimo Czerny, in: Katalog 1996, 431 11 Guérot, 2017 15 Kraus-Kassegg, 1979 Die Geschichte der voestalpine, in: 17 Käfer, 2015, 38 28 Brunner, 1949 12 Menasse, 2017 16 Breuer, 1999, 84–92 www.voestalpine.com, abgefragt am 27. 9. 2015 11 Abelshauser, 1987 29 Watzl, 1956 13 Lash/Urry, 1987 17 Bachinger, 1972 32 75 Jahre Zukunft – voestalpine feiert Jubiläum 12 Pfister, 1995 30 Gutkas, 1974, 289 18 Köstler/Lackner, 1982/83, 196 f am Standort Krems, in: www.voestalpine.com, 13 Beyme, 1998, 188 31 Gutkas, 1974, 240 19 Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel, 1933 abgefragt am 27. 9. 2015 14 Schwagenscheidt, 1957, 8 32 Hierl-Deronco, 1988, 8 20 Dinhobl, 2003 15 Winkler, 1930, 119 33 Hierl-Deronco, 1988, 13 16 Statistik Austria, 2015 34 Knittler, 1989, 479 17 SCS, Geschichte 35 Telesko, 2013, 35–38 18 Tournier, 1977, 71 36 Euler/Rizzi, 1989 37 Euler/Rizzi, passim 38 Kitlitschka/Ellegast, 1989 39 Holl, 1976, 326 40 Gutkas, 1974, 311 41 Knittler, 1989 42 Damm, 2008 43 Stekl, 1978 44 Gutkas, 1974, 300 45 Gutkas, 1974, 305 f

578 579 Literatur

Wege in das weite Land Einwanderungsland Niederösterreich Im Lauf der Zeit Ernst Lauermann: Archäologische Forschungen in Christine Neugebauer, Johannes-Wolfgang Otto H. Urban: Römische Öfen – Zeugnisse einer Heide Dienst: Ostarrîchi – Oriens – Austria: Andreas Kusternig: Zwischen Tradition und Fort- Michelstetten, NÖ. Zusammenfassender Vorbericht Neugebauer: Bericht über die Grabungen in den militärischen Präsenz?, in: Fritz Felgenhauer, Josef Probleme „österreichischer“ Identität im Hoch- schritt. Andreas Töpper – vom gloriosen Hammer- Leben, Alltag und Traditionen Ernst Bernleithner: Das Türkenjahr 1529 und die Von der Urgeschichte über die Grabungen des NÖ Landesmuseums Befestigungsanlagen der Lengyelkultur auf dem Szilvássy, H. Kritscher, G. Hauser: Stillfried. Archäolo- mittelalter, in: Richard G. Plaschka, Gerald Stourzh, herrn zum entmythifizierten Eisenindustriellen, in: Marchfeld-Kroaten, in: Unsere Heimat, Monatsblatt bis zur Gegenwart 1994–1999. Archäologie Österreichs 11/1, 2000, sogenannten Schanzboden zu Falkenstein in gie – Anthropologie. Veröffentlichungen des Jan Paul Niederkorn (Hg.): Was heißt Österreich? Ernst Bruckmüller (Hg.): Im Reich des Ötschers, des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich 5–35 Niederösterreich, in: Fundberichte aus Österreich Museums für Ur- und Frühgeschichte Stillfried, Inhalt und Umfang des Österreichbegriffs vom Wien 2015, 82–111 Mella Waldstein und Wien. Verein für Landeskunde von Nieder- 19/1980, 151–156 Sonderband 3, 1988, 129–135 10. Jahrhundert bis heute (Archiv für österreichi- österreich. Neue Folge, Bd. XX, 1949 Ernst Lauermann: Studien zur Aunjetitz-Kultur im sche Geschichte, Bd. 136), Wien 1995, 35–50 Joseph Lampel (Hg.): Das Landbuch von Österreich Ernst Bruckmüller nördlichen Niederösterreich. 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584 585 Rudolf Buchbinder Wenn ich durch das Wiener Tor den Schlosspark Grafenegg betrete, spüre ich eine tiefe Verbundenheit mit diesem Ort, den ich schon seit meiner Jugend kenne. Ich sehe die Menschen, wie sie sich hier bewegen, wie sie im Gras picknicken, in der Taverne sitzen, reden, lachen, rasten. Was für eine besondere Atmosphäre! Schlosspark Grafenegg

Michaela Dorfmeister Zwei, drei Mal im Jahr fahren wir mit dem Boot den Fluss runter, wo wir ein Lagerfeuer machen und Würstel grillen. Das Wasser beobachten, wie es fließt; Blättern, die reinfallen, zuschauen und überlegen, wo sie jetzt hinschwimmen. Tage, die so sind wie Urlaub. Erlaufschlucht, Purgstall Robert Menasse Es mag im fernen Asien weise Menschen geben, buddhistische Meister, Yogis, Gurus, die die Kunst des Meditierens beherrschen. Aus den Städten Europas und aus aller Welt reisen Menschen zu ihnen, um unterwiesen zu werden in der Läuterung ihrer Gefühle und in der Reinigung ihrer Gedanken. Sie wollen lernen, nichts zu fühlen und nichts zu denken, um neu fühlen und neu denken zu können. Ich brauche diesen weiten Weg nicht. Ich setze mich auf die Bank vor meinem Haus, schaue auf die stoischen Birken in meinem Garten, sehe zwischen den Bäumen das Glitzern eines Teichs, das Schimmern der Findlinge, höre das Quaken der Frösche, Bettina Glatz-Kremsner blicke auf zum Wolkengeschiebe des Himmels, Als ich mit 17 zum ersten Mal nach Österreich reiste – trinke ein Schremser Bier, ich bin großteils in Ungarn aufgewachsen –, rauche zwei Zigaretten kam mir hier auf den Stufen ein Pfarrer mit einem Korb Marillen entgegen. und kann dann weiterschreiben, Er schenkte mir zwei davon. gereinigt und geläutert. Eine kleine Geste, die mir ein Gefühl des Heimkommens vermittelt hat. Waldviertel – das ist Zen-Buddhismus für Europäer. Brand-Nagelberg Und das verbindet mich bis heute mit diesem Ort. Piaristenkirche, Krems Günther Ofner Der Flughafen ist für mich ein Faszinosum. Ein Zeichen der Kultiviertheit und des globalen Fortschritts. Und ich finde ihn auf seine Art auch schön: Wenn Sie hier rausschauen, im Frühling, blüht vor dem Fenster ein Rapsfeld. Goldgelb. Wunderschön. Flughafen Schwechat Claudia Lösch Wie oft ich früher hier oben beim Ritterspielen aus dem Rollstuhl gefallen bin, kann ich gar nicht sagen. Oft. Aber noch öfter bin ich auf der Burgmauer gesessen, hab runtergeschaut, wie sich der Kamp durch das Tal schlängelt, und davon geträumt, Profisportlerin zu werden. Ruine Schauenstein Karl Schwarz Die Waldviertler granteln gerne. Und sie sudern. Aber ich liebe diesen Menschenschlag, der so ehrlich ist und genauso unverfälscht wie die Natur. Wald bei Zwettl

Norbert Gollinger Wenn man hier geht – durch die Wälder, die Kellergassen und die Weingärten –, umgeben von diesem Duft nach Erde und Wein, dann spürt man einen besonderen Zauber, der nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Ich habe ein paar Jahre gebraucht, um zu sehen, wie schön es hier ist … Aber dann hat mich dieser Berg, der mit seinen 328 Metern eher ein zarter Berg ist, ganz und gar für sich erobert. Bisamberg

592 593 Erwin Pröll Der Brandlhof ist für mich eine Wohlfühloase. Wo die Sorgen des Alltags ein wenig in den Hintergrund treten. Wo die Uhren ein wenig langsamer gehen. Und wo man wieder ein bisschen mehr zu sich findet. Brandlhof, Radlbrunn

Elisabeth Gürtler Mit diesem Ort verbinden mich starke Erinnerungen. Ich habe zum Beispiel mein erstes Pferd hier bekommen. Und als Kind habe ich immer bei der Apfelernte geholfen. Ich saß am Traktoranhänger und musste die Früchte der Größe nach sortieren. In der Pause gab es dann Petits Fours vom Demel. Pariserspitz, Marzipankartoffel, Punschkrapfen. Schöne Zeit! Schloss Aumühle, Atzenbrugg

594 595 Wolf D. Prix Erwin Wurm Die Steinmauer hinter mir ist ein Schutz der Häuser Ich mag die Leute hier. in Hainburg vor Hochwasser der Donau. Ich brauche sie als Ideen-Pool für meine Arbeit. Ein Fluss fließt immer und steht nie still. Das Skurrile, Sonderbare, Liebenswerte, Daher spielt die Donau, an der ich als Hainburger aufgewachsen bin, das sonderbar Liebenswerte, das sie ausmacht. eine wichtige Rolle in meinem Leben. Das Land hier ist üppig und karg zugleich. Das Fließende lässt immer ein „Sich-Weiterentwickeln“ zu. Es ist altes Kulturland, es atmet, Das gilt für meine Arbeit und auch für mich persönlich – und auch das brauche ich. in der Nähe von Wasser fühle ich mich immer lebendig. Hainburg Um zu spüren, dass wir Teil einer Geschichte sind. Limberg Wolfgang Neubauer Wenn die Tür vom Weinkeller offen ist, darf man rein. Ganz einfach. Unkompliziert. Schön. Weinkeller, Poysdorf

Gertrud und Bert Salomon Als ich das erste Mal mit meinem Mann in diese Gegend gekommen bin, hat er nicht den direkten Weg genommen: Er ist über Stift Göttweig auf der gegenüberliegenden Donauseite gefahren, um mir den schönsten Blick auf die Weinberge zu zeigen. Von da an war ich auch in die Gegend verliebt. Weingut Salomon Undhof, Stein an der Donau Karl Markovics Erwin Hameseder Die Gegend hier ist „nichts“, Mit 22 bin ich in diesem Stift gestanden. das mag ich sehr gerne. An einem sehr kalten Februar-Tag Hier lenkt nichts deinen Blick ab, habe ich hier meine Frau geheiratet. man ist vor lauter Langeweile ganz nah bei sich. 1978 war das. Das hat mich von klein auf geprägt: Diese Freude von damals und das Wissen Dieses Schnörkellose gehört jetzt zu mir – um den Beginn eines neuen Lebensabschnitts – meine Arbeit und ich sind genauso schnörkellos Gefühle, die mich für immer mit diesem Ort verbinden. Stift Göttweig wie dieses Land. Gerasdorf bei Wien, südliches Weinviertel Biografien

Autor/innen Für den Verlag Für das Land Niederösterreich

Ernst Bruckmüller war 1977 bis 2010 Theresia Hauenfels studierte Romanistik Mary Kreutzer ist Politikwissenschafterin, Rafaela Pröll ist Fotografin, Absolventin Thomas Schmidinger ist Politikwissen- Gerhard Strohmeier studierte Soziologie Christian Rapp ist Kulturwissenschaftler Matthias Kafka studierte Theater-, Universitätsprofessor am Institut für und Geschichte an der Universität Wien leitet seit 2009 die Abteilung Missing der „Graphischen“, Ausstellungen in schafter, lehrt an der Universität Wien und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. und Ausstellungskurator, Lehrbeauf- Film- und Medienwissenschaft an der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Kulturgeschichte an der Universität Link der Caritas Wien in Niederösterreich Vorarlberg und Wien waren ebenso und an der FH Vorarlberg und in Er war im Institut für Stadtforschung, tragter an der Universität Wien und an Universität Wien. Seit 2011 ist er für der Universität Wien und ist seit 1991 für angewandte Kunst Wien. Autorin und ist Obfrau der Hilfsorganisation wichtige Stationen wie Aufenthalte in verschiedenen Kontexten der Erwachse- Wien, und im Bundesministerium für der Universität für angewandte Kunst. die Öffentlichkeits- und Vermittlungs- Vorsitzender des Instituts für Öster- und Kuratorin mit Schwerpunkt Architek- LeEZA. Sie ist Trägerin des Eduard-Ploier- Paris, New York und Beirut, lebt in Wien. nenbildung. Er arbeitet zu den Bereichen Soziale Verwaltung, Grundsatzabteilung, Zahlreiche Ausstellungen und Publikatio- arbeit der Abteilung Wissenschaft reichkunde. 2004 bis 2011 leitete er das tur, bildende Kunst und österreichische Radio-Preises der Österreichischen Migration, Kurdistan, Naher Osten, wissenschaftlich tätig. Seit 1986 an nen zur Kultur- und Gesellschaftsge- und Forschung beim Amt der Nieder- Institut für Geschichte des ländlichen Identität unter besonderer Berücksichti- Volksbildung und des Concordia-Publizis- Verena Randolf arbeitet als Journalistin Politik und Religion, Jihadismus und zur der Universität Klagenfurt, Arbeitsschwer- schichte, u. a. für Wien Museum, Techni- österreichischen Landesregierung Raumes in St. Pölten und ist seit 2006 gung von Niederösterreich; 2009 tikpreises (Kategorie Menschenrechte). in Wien. Sie schreibt wöchentlich die muslimischen Diaspora in Europa. punkte: Stadtforschung, Regionalent- sches Museum Wien, Österreichisches zuständig. Zu seinen Schwerpunkten wirkliches Mitglied der Österreichischen Projektstipendium des BMUKK in Zagreb. Gesellschaftsberichte der landesweiten Zuletzt veröffentlichte er 2015 das Buch wicklung, Kulturlandschaftsforschung. Museum für Volkskunde, Niederöster- zählen die Wissenschaftskommunikation Akademie der Wissenschaften. Kurator Kuratorin der Ausstellung „Bau[t]en Ernst Langthaler studierte Geschichte an „NÖN“, interviewt Schauspieler, Künstler „Jihadismus. Ideologie, Prävention Habilitation 1995 im Fach Stadt- reichische Landesausstellungen und die und die Bewusstseinsbildung für der NÖ Landesausstellungen 1996 für die Künste. Zeitgenössische Architek- der Universität Wien, wo er sich als APART- sowie Prominente aller Art und ver- und Deradikalisierung“. und Regionalsoziologie. Lehre an den Schallaburg. Wissenschaft und Forschung bei jungen und 2011. Autor u. a.: „Nation Österreich“ tur in Niederösterreich“. Seit 2017 Stipendiat der Österreichischen Akademie öffentlicht u. a. Reportagen im „Falter“, Universitäten Wien, Innsbruck und Menschen. (1996, engl. 2003); „Sozialgeschichte Zentrum für Museale Sammlungswissen- der Wissenschaften auch habilitierte. im „Freizeit Kurier“ oder in „Woman“. Johann Skocek absolvierte ein Studium Klagenfurt sowie an der Universität Nadia Rapp-Wimberger ist Ausstellungs- Österreichs“ (2001, frz. 2003). Hg. und schaften (Donau-Universität Krems). Nach diversen Forschungsprojekten der Geschichte und Leibeserziehung für Bodenkultur Wien. Internationale kuratorin und Autorin. Sie studierte Alexandre Tischer studierte Wirtschafts- Mit-Hg. von 35 Büchern, Autor von mehr Lebt in Wien und Waidhofen an der Ybbs. wurde er Mitarbeiter und später Leiter Andreas Resch ist außerordentlicher und war Redakteur bei der Tageszeitung Forschungsaufenthalte und Gast- Literaturwissenschaft und Romanistik in pädagogik an der Wirtschaftsuniversität als 200 Buchbeiträgen, Aufsätzen etc. des Instituts für Geschichte des ländli- Universitätsprofessor am Institut für „Die Presse“, danach bei „Der Standard“. professuren. Wien, Innsbruck und Paris, danach Wien und koordiniert seit 2006 die Christian Helmenstein ist Chefökonom chen Raumes in St. Pölten. Er absolvierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte Sportjournalist des Jahres 2005. Autor Tätigkeit als Journalistin (u. a. ORF) und Öffentlichkeitsarbeit der Abteilung Kunst Gert Dressel ist Historiker und Fortbild- der Industriellenvereinigung und Leiter Gastprofessuren und Forschungsaufent- der Wirtschaftsuniversität Wien. For- diverser Bücher und Drehbücher, u. a. Ortrun Andrea Veichtlbauer ist Um- Übersetzerin. Diverse Publikationen zur und Kultur beim Amt der Niederöster- ner an der Fakultät für Interdisziplinäre des Cognion Forschungsverbundes halte in Innsbruck, Wien, Santiago de schungsschwerpunkte: Industrie- und „Wunderteam Österreich”, „100 Jahre welthistorikerin, Anthropologin und Tourismus- und Stadtgeschichte. reichischen Landesregierung; zahlreiche Forschung und Forschung (IFF) am (Economica Institut u. a.). Zudem ist er Compostela und München. Derzeit ist er Innovationsgeschichte, Bankengeschichte, Rapid”, „Das Spiel ist das Ernste”, freie Autorin. Nach dem Studium Publikationen in den Bereichen Kunst, Standort Wien der Alpen-Adria-Universi- mit dem Vorsitz der BusinessEurope Universitätsprofessor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Mittel- und Süd- „Die Europameister” (mit Wolfgang der Humanbiologie und Humanökologie Architektur und Kulturvermittlung für tät Klagenfurt. Er leitet zahlreiche Regional Policy Group, der EU-Experten- Wirtschaftsgeschichte an der Johannes osteuropas. Zuletzt veröffentlicht: Weisgram), „Vampi”, „Sportgrößen und mehrjährigen Erfahrungen in junge Menschen. Lebt in Oberwölbling, biografieorientierte Forschungs- und gruppe XG ECO und des Wirtschafts- Kepler Universität Linz. Er forscht „Schumpeter and venture finance“, in: der Nation”, „Die Dickköpfe” (mit Mike der Kulturlandschaftsforschung sowie in Bezirk St. Pölten-Land. Bildungsprojekte. politischen Beirats Kärnten betraut. Er zur Agrar-, Ernährungs- und Umwelt- Industrial and Corporate Change (ICC) Majzen). Arbeitet als freier Autor interdisziplinärer Forschung und Lehre studierte Betriebswirtschaft, Volks- geschichte. (24/6, mit M. M. Peneder); „Menschen u. a. für „Die Presse“, „Falter“, „Datum“, studierte sie Umweltgeschichte und Stefan Eminger absolvierte ein Diplom- wirtschaft und Operations Research in mit Ideen“ (2014, mit A. Resch), 2015 „Wirtschaftsblatt“ und „Kleine Zeitung“. promovierte 2014 am Institut für Soziale und Doktoratsstudium der Geschichte an Köln und Bochum. Seine Forschungs- Ernst Lauermann studierte Ur- und ausgezeichnet mit dem Anerkennungs- Ökologie der IFF Alpen-Adria-Universität der Universität Wien. Ab 2000 war er schwerpunkte sind Makro- und Regional- Frühgeschichte an der Universität Wien. preis des Landes Niederösterreich für Gerhard A. Stadler studierte Wirtschafts- Klagenfurt (AAU). Ein Teil ihrer Disserta- im NÖ Institut für Landeskunde und im ökonomik, Finanzwirtschaft und Seit 1992 ist er im Landesdienst als besondere wissenschaftliche Leistungen. und Sozialgeschichte sowie Ethnologie tion „Natur und Macht“ erschien 2016 NÖ Landesarchiv in St. Pölten tätig, der wirtschaftliche Strukturwandel. Prähistoriker und seit 1996 im Museum und Philosophie an der Universität Wien. als Social Ecology Working Paper 167: daneben 2001 bis 2005 Lehrbeauftragter Asparn an der Zaya tätig, seit 2002 hat er Joachim Rössl, promovierter Historiker, 1986 bis 2000 wissenschaftlicher „Zwischen Kolonie und Provinz. Herr- am Institut für Zeitgeschichte der Erich Klein ist freier Publizist und die Leitung desselben inne. Seit 2005 arbeitete an der Österreichischen Mitarbeiter am Institut für Sozial- und schaft und Planung in der Kameralprovinz Universität Wien. Seit 2006 ist er Leiter Übersetzer. Regelmäßige Beiträge in fungiert er zusätzlich als Landesarchäo- Akademie der Wissenschaften (Schrift- Wirtschaftsgeschichte der Johannes Temeswarer Banat im 18. Jahrhundert“. des Referates Zeitgeschichte im NÖ den Ö1-Sendungen „Ex libris“, „Kontext“, loge und Sachbearbeiter für Ur- und und Buchwesen des Mittelalters), bevor er Kepler Universität Linz, seit 1990 an der Sie lebt seit 20 Jahren in Klosterneuburg. Landesarchiv. Forschungsschwerpunkte: „Diagonal“ sowie für „Die Furche“, Frühgeschichte sowie Mittelalterarchäo- in das NÖ Landesarchiv wechselte. 1985 Technischen Universität Wien, ab 2001 als Geschichte der Ersten Republik Öster- „Falter“. Bücher: „Graue Donau, Schwarzes logie des Landes Niederösterreich. trat er in die Abteilung für Kultur und außerordentlicher Universitätsprofessor Mella Waldstein ist Autorin zahlreicher reich, Geschichte des Nationalsozialismus, Meer“ (2008, mit C. Reder); „Die Russen Forschungsschwerpunkte: bronze- und Wissenschaft der Landesregierung am Lehrstuhl für Denkmalpflege und Bücher zu regionalen Themen sowie über Landesgeschichte Niederösterreichs im in Wien – die Befreiung Österreichs“ eisenzeitliche Bestattungssitten, Deponie- Niederösterreich ein, deren Leitung er Bauen im Bestand des Institutes Kunst- Ost- und Mitteleuropa. Sie arbeitet als 20. Jahrhundert, regionale Zeitgeschichte. (1995/2015). Übersetzungen aus dem rungen in der Bronzezeit, ausgewählte 2000 übernahm. Zwischen 2011 und 2015 geschichte, Bauforschung und Denk- Journalistin und ist u. a. Chefredakteurin Russischen u. a. von D. Prigow, O. Sedako- Fragen zur Ur- und Frühgeschichte. leitete er sowohl die Gruppe Kultur, malpflege. Forschungsschwerpunkte: des niederösterreichischen Magazins Ingeborg Geyer studierte Germanistik wa, A. Pjatigorskij; zuletzt erschienen Wissenschaft und Unterricht als auch die Denkmalpflege und Industriekultur, „schaufenster Kultur.Region“. Lebt in und Anglistik an der Universität Wien. „Sankya“ von Zakhar Prilepin (2012) und Charlotte Natmeßnig lehrt am Institut Abteilung Wissenschaft und Forschung. historische Umweltforschung. Drosendorf an der Thaya, wo sie ehren- Die Dialektspezialistin ist seit 1972 an der „Familienarchiv“ von Boris Chersonskij für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Zahlreiche Publikationen zur Mediävistik, amtlich sowohl im Kulturbereich arbeitet Österreichischen Akademie der Wissen- (2010/14, beide mit S. Macht). Aus- der Wirtschaftsuniversität Wien. For- zeitgenössischen Kunst und Kulturpolitik; Erich Steiner studierte Zoologie und als auch über viele Jahre das Strandbad schaften tätig, seit 2005 als Direktorin zeichnungen: Staatspreis für Literatur- schungsschwerpunkte: Bankengeschichte, Mitglied des Instituts für Österreichische Botanik an der Universität Wien. 1985 bis an der Thaya bewirtschaftet hat. des Instituts für Österreichische Dialekt- kritik (2013), Preis der Stadt Wien Unternehmensgeschichte, Medienge- Geschichtsforschung. 1987 war er wissenschaftlicher Angestell- und Namenlexika. für Publizistik (2014), Würdigungspreis schichte, österreichische und europäische ter an der Akademie der Wissenschaften, Andreas Weigl studierte Geschichte und des Landes Niederösterreich (2015). Wirtschaftsgeschichte. Wichtige Publi- Nina Schedlmayer ist seit 2003 freiberuf- 1987 bis 1989 Vertragsassistent an der Wirtschaftsinformatik an der Universität Martin Haidinger ist spondierter kationen: „300 Jahre in Österreich: liche Kunstkritikerin und Journalistin Universität für Bodenkultur. Ab Februar Wien, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter österreichischer Historiker, Buchautor Andrea Komlosy, Professorin am Institut Die Familie Schmid-Schmidsfelden“, in: (u. a. „profil“, „Parnass“, artmagazine.cc, 1990 im NÖ Landesdienst (naturwissen- des Wiener Stadt- und Landesarchivs, und Journalist sowie Wissenschaftsredak- für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ch. Natmeßnig/Veit Schmid-Schmids- „Weltkunst“ sowie zahlreiche Katalogbei- schaftliche Sammlungen des NÖ Dozent am Institut für Wirtschafts- und teur im Radioprogramm „Österreich1“. der Universität Wien, arbeitet zu Fragen felden (Hg.), „Familienunternehmen. träge), von 2007 bis 2013 Ko-Chefredak- Landesmuseums). Seit 2002 ist Erich Sozialgeschichte der Universität Wien Kabarettistische Auftritte, darunter ungleicher regionaler Entwicklung im Ökonomie, Geschichte, Werte“ (2016); teurin von „Kunstgeschichte aktuell“. Steiner Direktor des NÖ Landesmuseums. und Vorsitzender des Österreichischen als Ober „Herr Martin“ im „Café Sonntag“ kleinräumigen und weltregionalen „Menschen mit Ideen“ (2014, mit Zuvor kuratorisch und kunstvermittlerisch Zahlreiche Publikationen (Ökologie, Arbeitskreises für Stadtgeschichtsfor- auf Ö1 und als Literaturinterpret auf Maßstab. Zahlreiche Veröffentlichungen A. Resch), 2015 ausgezeichnet mit dem tätig (Artothek Krems, Kunsthalle Wien) Naturschutz, Wildbiologie). Gestaltung schung. Gastprofessuren an den Universi- Bühnen im In- und Ausland (Simpl, mit NÖ-Bezug, u. a. „Waldviertler Textil- Anerkennungspreis des Landes Nieder- sowie in Galerien. Studierte Kunstge- zahlreicher Ausstellungen, Herausgeber täten Wien und Innsbruck. Forschungs- „L.E.O. – Letztes Erfreuliches Opern- straße“ (1994); „Grenze und ungleiche österreich für besondere wissenschaftli- schichte in Wien und Hamburg. Diplom- und Autor von Ausstellungskatalogen. schwerpunkte: Bevölkerungs-, Stadt- theater“). Zahlreiche Buchpublikationen, regionale Entwicklung. Binnenmarkt und che Leistungen. arbeit über die Dada-Künstlerin Hannah und Konsumgeschichte, Geschichte des zuletzt „Franz Josephs Land. Eine Migration in der Habsburgermonarchie“ Höch, Dissertation über Kunstliteratur im Barbara Sternthal, promovierte Theater- Bildungswesens, Sozialgeschichte der kleine Geschichte Österreichs“ (2016). (2003); „Vom Kleinraum zur Peripherie. Sigrid von Osten studierte Germanistik Nationalsozialismus. wissenschaftlerin, war Regieassistentin Medizin. Entwicklungsphasen der wirtschaftlichen und Geschichte in Saarbrücken. Nach bei George Tabori und Cheflektorin Abhängigkeit im im 19. Jahrhundert”, Tätigkeit beim Landesamt für Denkmal- in einem renommierten Verlag, bevor sie Helga Maria Wolf ist Ethnologin und in: „Waldviertler Wirtschaftsgeschichte“, pflege in Stuttgart Zweitstudium der sich als Autorin, Übersetzerin und Kunsthistorikerin und verfasste kulturwis- Hg. Herbert Knittler (2006). Ur- und Frühgeschichte und Mittelalterar- Redakteurin mit den thematischen senschaftliche Standardwerke zum Thema chäologie in Wien. Mitarbeit bei diversen Schwerpunkten Kunst und Kultur(ge- Brauch. Langjährige Spartenleiterin im Ausgrabungen und Forschungsprojekten. schichte), Biografien und Reisen selbst- ORF und Mitherausgeberin der Online- 1980 Fundbergung in Oberstockstall ständig machte. Zahlreiche Publikationen, Plattform Austria-Forum. 2013 erhielt (Kirchberg am Wagram, Niederösterreich). darunter Biografien über Freud, Klimt die Autorin den Kulturpreis des Landes Forschungsergebnisse vorgelegt 1992 und und Schiele, Bücher zu Architektur Niederösterreich. 1998. 1993 Einrichtung des Alchemiemu- und Design sowie Reisebücher über seums in Kirchberg am Wagram. Diverse London, Paris und Italien. Sie lebt in Wien Publikationen zum Thema, Erstellung von und so oft wie möglich in Italien. Ausstellungskonzepten und Mitarbeit bei Landesausstellungen. Zurzeit freischaffen- de Wissenschaftlerin.

602 603 Bildnachweis

Amt der Niederösterreichischen 503 r. (Ernst Weingartner), 511 o.l. (Gerhard Foto Schächter, Pottendorf: 368; IMAGNO/Christian Hlavac: 242 l.; Josef Klaner & Co: 508; NASA: 560 (Bild 3 v.l.n.r.); Andreas Rausch, Wien: 529 u.; Wellenklänge, Lunz am See: 300 (Michael Landesregierung/Pressedienst: 242 r., 338; Wild), 511 o.r. (Herbert Pfarrhofer), 511 o.r. Schlagerl); (Erich Weingartner), 519 o.r., 524 (Bild- Fotolia: 58 o., 60 o.r., u., 61 o. (2), u., IMAGNO/Franz Hubmann: 49 o., 160 r., Klangraum Krems: 321; Naturhistorisches Museum Wien: 122 l.; Roman Reiter: 254; apa-picturedesk: 30 (Ernst Weingartner), archiv Hansmann), 529 o. (Karl F. Schöf- 525 (Hans-Jürgen Schunk); 284 u., 285 l., 309, 354 (Bild 4 v.l.n.r.); Heide Weyss-Kutschera: 485 (2); 34 u. (ÖNB/Amt der NÖ-Landesregie- mann), 537 o. (Martin Siepmann), 560 r. Klangraum Waidhofen: 318 (Gerald J. Wolfgang Neugebauer „Die Bronzezeit Renner Institut, Wien: 380; rung), 37 o. (Ernst Weingartner), 37 u. (Science Source), 563 (Bild 4 v.l.n.r.), 564 Sammlung Rudolf Fürnkranz/Gerhard IMAGNO/Sammlung Hubmann: 563 l.M.; Zugmann); im Osten Österreichs“, St.Pölten, Wien, Wienbibliothek/Plakatsammlung: (Karl Thomas), 39 (Christian Handl), 40 o. (André Held), 577 u.l. (Erich Weingartner); Wabra: 227; 1987. (Umschlagbild S. 2): 123; Marcus Rössle: 290/291; 214, 418 r.; (ÖNB), 40 u. (Markus Haslinger), 43 (Ernst IMAGNO/Interfoto: 157, 445 o., 560 Bruno Klomfar: 245, 256, 540; Weingartner), 54 (Ernst Weingartner), LBI Arch Pro Carnuntum: 550 r. (Gert Gemeinde Sonntagberg: 411; (Bild 5 v.l.n.r.); Niederösterreich-Fonds/Niederöster- Raimo Rumpler: 298; Wikipedia: 132/133 (Bwag), 154 (2), 158 u. 56 (Rainer Mirau), 58 u.l. (Michael Markl), Veerhoeven), 551 (7reasons/Interspot); Oskar Kokoschka: „Liebespaar. Alma reichische Landesregierung/Abteilung (Anton-Kurt), 160 l. (Anton-Kurt), 161 r. 58 u.r. (Food Collection), 59 M. (Mc Photo), gettyimages: 34 o. (Hans Blossey), IMAGNO/Leopold Museum: 285 r., 287 o.; Mahler und Oskar Kokoschka“, 1913/ Kultur und Wissenschaft: 349 (Titelblatt Karl Satzinger: 303 o.; (Anton Prock), 174 (Guenther Z), 185 r. 63 o. (Harald Jahn), 63 u.l. (ÖNB), 63 u.r. Archäologischer Park Carnuntum: 38 (Hans Blossey), 42/43 (Flavio Vallenari), © 2017 Fondation Oskar Kokoschka/ der Kulturzeitschrift Morgen, Nr. 1 v. 1981); (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum), (Mc Photo), 65 r. (Erich Lessing), 67 277 (www.haiden-baumann.at), 65 l. (Mark Rykoff), 85 u. (Slow Images), IMAGNO/Erich Lessing: 171 l.; Bildrecht, Wien: 285; Sammlung F. C. Heller/Archiv Brandstätter 483 u. (Binter), 561 (Bild 2 v.l.n.r.), 572, (Martin Siepmann), 68/69 (Gerhard 278 (Stefan Baumann); 90 (Martin Siepmann), 103 (Werner Lang); Niederösterreichische Landesausstel- Verlag: 575 (9); 576 o.l.; Wild), 70 u. (Norbert Mang), 80 (Christian IMAGNO/Österreichische Nationalbiblio- Sammlung Andrea Komlosy: 388; lungen Kulturbetriebsgesellschaft Handl), 81 r. (Franz Waldhäusl), 83 o.l. Archiv der Universität Wien: 528, 532 r.; Glatt und Verkehrt: 351 o.r. (Sascha Osaka); thek/Bildarchiv: 114 o. (Bild 4 v.l.n.r.), 186, Schallaburg: 252, 334 (2), 335 (2), Leo Schatzl: 258; Wikimedia: 131 (Gryffindor), 247 (Igor (Ian Ehm), 83 o.r. (Engelbert Reis), 83 u. 201 u., 207 l., 212 r., 213, 216, 222, 223, 228 r., Krikl/Gebrüder Hollinek: 563 (Bild 3 336 (Klaus Pichler), 354 (Bild 3 v.l.n.r.); Ščipák/Milan Beláček), 250 (flightlog); (Ernst Weingartner), 84 (Martin Siep- Art Carnuntum: 308 r.; Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft: 238 l. (VGA), 238 r., 256 u.; 268 o.r., 269 o.l., v.l.n.r.); Arnold Schönberg Center: 562 r.; mann), 87 o.l. (Rene Prohaska), 87 o.r. 326/327 (Alexander Koller); 358, 367, 394 (VGA), 418 l. 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(Plakatsammlung), 505 u., 220 u. (Rudolf Swoboda: Erich Graf denz NLK: 97 o.M. (Nechutta), 257, 269 o.r. Mabanglo), 96 M. (Bild 4 v.l.n.r., Robert (Bild 4 v.l.n.r.); 506, 510 M., u., 526 o., 527, 534, 562 r., Kielmansegg. 1903, Inv.-Nr. 2952, Foto: (Pfeiffer), 577 (Bild 2 v.l.n.r.), 577 r.o. Gregor Semrad: 93; Günther Zier/Doku Obersiebenbrunn: Parriger), 97 o.r. (Martin Huber), 97 u.l. Hauptstaatsarchiv Stuttgart: 510 o.l.; 562 (Bild 3, 4, 5 v.l.n.r.), 576 u.l., Bild 2 Christoph), 224, 539; (Raimund Boltz); 468 u., 470 r. (Urs Flueeler), 97 u.r. (Georg Hochmuth), Bezirksfeuerwehr Krems: 115 o.l.; v.l.n.r., u.r., 577 o.l.; Shutterstock: 60 o.l., 61 M., 255; 98 l. (Herbert Lehmann), 102/103 (Ernst Heldenberg, Vermarktungs- u. Betriebs- Landessammlungen Niederösterreich/ Niederösterreichischer Bauernbund, Weingartner), 104 (Harald Jahn), 105 Peter Böttcher: 188; gesellschaft: 121 l.o.; IMAGNO/Österreichisches Volkshoch- Ur- u. Frühgeschichte: 119 (Norbert Weigl), St. Pölten/Archiv: 226 l.; Daniel Spoerri: „Kitchenware“, 1964/ (Rainer Mirau), 114 o.l. (Mary Evans), 114 o. schularchiv: 50 o., 64, 85 o., 152 r., 199 r., 121 l.u., 121 r., 125 l. (Ernst Lauermann), © 2017 Bildrecht, Wien: 297; (Bild 4 v.l.n.r., ÖNB), 114 u. (Bild 3 v.l.n.r., Brauerei Schwechat: 561 l.; Sammlung F. C. Heller/Archiv Verlag 292, 362, 363, 372/373, 378, 382, 477 o.r., 125 r. (Norbert Weigl), 126 (2), 128, 129 l., Niederösterreichisches Landesarchiv: Ernst Weingartner), 115 o.M. (Fabio Brandstätter: 575 (8); 561 (Bild 3 v.l.n.r.), 571; 129 M., r. (Norbert Weigl), 134 (Norbet 114 o. (Bild 3 v.l.n.r.), 228 l., 237 r.; Stadtarchiv Amstetten: 225; Diena), 150 o. (Erich Lessing), 179 (AKG), Bühne Baden: 343 o.; Weigl), 136 (Norbert Weigl), 138/139 199 l. (Erich Lessing), 212 l. (picture Walter Henisch jun.: 430; IMAGNO/Barbara Pflaum: 313, 314, 425 o., (Norbert Weigl), 141, 142/143 (Norbert Niederösterreichisches Landesmuseum: Stadtarchiv St. Pölten: 226 r., 233 o.; alliance), 243 (Ulrich Schnarr), 244 Burg Losenstein: 560 (Bild 2 v.l.n.r.); 542, 543; Weigl), 144 (Elisabeth Nowotny), 147 o.r., 189 r. (Peter Böttcher), 198 l. (Peter (Herbert Pfarrhofer), 251 (Martin Siep- Historisches Archiv der Veterinär- 264 (Norbert Weigl); Böttcher), 220 o., 234 o., 269 u.r., 329 Stadtarchiv Wiener Neustadt: 179 r., 230 u., mann), 264 u.l. (ÖNB), 264 u.r. (AKG), Campus Krems: 552 (sticklerfotografie.at); medizinischen Universität Wien: 533; IMAGNO/Photoinstitut Bonartes: 215; (Herta Hurnaus), 493 l.u., 494 (2); 343 u., 385 u.; 265 o.r. (AKG), 265 M. (Sammlung Rauch), Landestheater Niederösterreich: 350 267 o. (AKG), 267 u.r. (Ullstein), 268 o.l. Campus Tulln: 536 l.; HBLAuBA Klosterneuburg: 535 (2); IMAGNO/Gerhard Trumler: 53 u., 79, 81 l., (Gerald Lechner), 351 u. (Christian Husar); Niederösterreichisches Volksliedarchiv: Stadtmuseum Wiener Neustadt: 165, (AKG), 268 u. (Scherl), 269 o.M. (Igor Zehl), 99, 118, 147 o.l., 148 r., 151 r., 161 l., 163, 168, 49 u. (Franz Schunko); 233 u.r., 266 o.l., 399; 269 u.l. (Robert Jäger), 269 u.M. (Ernst Daimler AG: 563 l.u.; Manfred Horvath: 32/33, 59 o., u., 60 M., 180 u.l., 182, 221 l., 266 o.M., 356, 364, 402, Karl Landsteiner Privatuniversität: 577 r.M., Weingartner), 270 (Milenko Badic), 275 70 (2), 100, 114 o. (Bild 2 v.l.n.r.), 114 u.l., 417, 420, 516, 517, 520/521, 522 (2); (D. Hawelka); nitsch museum/Mamuz Museums- Dominik Steiger: „Steiger“, um 1989/ (Erich Lessing), 279 (Karl Thomas), 283 o. Marietta Deix: 345; 115 u. (Bild 3 v.l.n.r.), 272, 455 o.M.u., zentrum Betriebs GmbH: 253; © 2017 Bildrecht, Wien, (Foto: Archiv (Schewig Fotodesign), 284 o. (Markus o.M.r., r.o., r.M., u. (3), 463 o.; IMAGNO/Ullstein: 77 u., 283 u., 445 u.M., Landwirtschaftliche Fachschule Pyhra: Dominik Steiger/Heidi Harsieber): 305; Haslinger), 293 (Horacio Vilalobos), 296 Depositphotos: 561 (Bild 5 v.l.n.r.); 532 l., 563 l.o.; 538 (2); OMV: 424; (Topfoto), 297 (Wilfried Gredler-Oxen- IDL Samhaber: 349 o. (Jiri Teller); Sammlung Erich Steiner: 464; bauer), 324 (Harald Jahn), 354 o.l. (Rainer DÖW/Dokumentationsarchiv des IMAGNO/Votava: 76 u., 354 u.M., 401, 408, Fred Lindmoser: 194 u., 261; Open Air Kino beim Kesselhaus: 332 Hackenberg), 354 o. (Bild 2 v.l.n.r., Roland österreichischen Widerstands: 236; IMAGNO/Alliance for Nature: 288; 410, 416, 445 u.l., 487 l., 489; (Wolfgang Simlinger); Stift Klosterneuburg/Peter Böttcher/ Schlager), 354 M.l., M. M. (Jeff Mangione), Lower Austrian Film Commission/Hubert Institut für Realienkunde: 116, 519 u., 523; 354 M.r. (Clemens Fabry), 354 u.l. (Samm- Dom Museum Wien: 173; IMAGNO/Austrian Archives: 50 u., 52, IMAGNO/Wien Museum: 194 o., 204, Rinnhofer: 102 l.; Oper Klosterneuburg: 311 (Roland lung Rauch), 354 u.r. (Roland Schlager), 53 o., 71 u. (2), 73, 75, 87 u., 91 (3), 115 u.l., 205 o., 207 r., 266 u. (2), 286, 370 u., 444 Ferrigato); Stift Melk: 147 u.r. (Lukas Roithner), 147 u.l. 355 o.l., o.M. (Hans Leitner), 355 o.r. (Georg Donau-Universität Krems: 263, 563 r., 148 l., 152 l., 159, 162, 164, 166, 167, 169, o.r., 510 o. (Bild 3 v.l.n.r.), 576 (Bild 3 v.l.n.r.); MAMUZ: 264 o.r., 276 (Atelier Olschinsky); (Baumgartner), 150 u., (Peter Böttcher), Hochmuth), 355 M.l. (Roland Jäger), 577 (Bild 3 v.l.n.r.); 170/171, 172, 176, 180 r., 189 l., 190, 191, 192, Oper rund um: 308 l.; 158 o. (Peter Böttcher), 183 (Jeremia 355 M.r. (Arnulf Rainer Museum), 355 u.l. 196, 197, 198 l., 201 o.l., 203 (5), 205 u., 208, IMAGNO/Wienbibliothek: 561 (Bild 4 Marktgemeinde Ardagger: 114 u. (Bild 2 Eisenbauer), 184 (Peter Böttcher), 185 l. (Gregor Semrad), 387 (Ricardo Herrgott), dreamstime.com: 455 o.l. (Dzejar); 210 (2), 218, 230 o., 264 o.l., 265 o.l., 265 v.l.n.r.); v.l.n.r.); Österreichische Nationalbank, Archiv: (Günter Prinesdom), 264 M.r.; 413 (Günther Peroutka), 423 (Harald u.l., 266 o.r., 267 u.l., 287 u. 289, 355 u.M., 201 r.; Jahn), 431 (Rainer Mirau), 418 (ÖNB), 419 EPO Film: 331 r.; 365, 370 o., 374, 375, 383, 389, 393, 405, 474 IMC Fachhhochschule Krems-IMC marte.morte: 355 u.r.; Tourismus Payerbach: 560 (Bild 4 v.l.n.r.); (Markus Haslinger), 442 (Jindrich Foltin), u., 477 o.l., 510 o. (Bild 4 v.l.n.r.), 514, 515, University of Applied Sciences Krems: 512, Österreichisches Bundesheer: 96 M.l.; 444 o.l. (Harald Jahn), 444 u.l. (AKG), Fachhochschule St. Pölten: 559 o.; 519 l., 526 u., 531, 537 u., 546, 550 l., 560 l., 558/559 M. (Michael Parak); MedAustron: 548/549 (Thomas Kästen- Universitätsbibliothek Heidelberg: 444 u.r. (ÖNB), 445 M. (ÖNB), 445 u.l. 561 r., 563 (Bild 2 und 5 v.l.n.r.), 568/569, bauer), 577 r.u. (Thomas Kästenbauer); Reinhard Podolsky/mediadesign.at: 274; 566 (2); (Robert Jäger), 446 (Kurt Kracher), 449 Fachhochschule Wiener Neustadt: 570, 573, 576 (Bild 2 v.l.n.r.); Institute of Science and Technology-IST (Markus Haslinger), 451 o.l. (Kurt Kracher), 558 M., u. (Jürgen Pletterbauer), Austria: 4, 544 (Lukas Schaller), 547 (Lukas Mühlviertler Schlossmuseum Freistadt: Poppe*Prehal Architekten: 574 u. Sammlung Ortrun Veichtlbauer: 511 u.l.; 451 o.r. (Mc Photo), 451 M.l. (Ernst 559 u. (Jürgen Pletterbauer); IMAGNO/Archiv Hajek: 70 o., 96 o.l., Schaller), 549 r.; 175; (Walter Ebendorfer); Weingartner), 451 M.r. (Mary Evans), 451 115 u. (Bild 2 v.l.n.r.); Viertelfestival Niederösterreich/ImagiE u.l. (Otto Samwald), 451 u.r. (Hinrich Felsenbühne Staatz: 307 u.; Internationales Nestroy Zentrum Sammlung Reinhard Muschik, Berndorf: Prismafilm/Lukas Beck: 331 l.; Nation: 304; Bösemann), 455 o.M., o.o. (Rainer Mirau), IMAGNO/Archiv Jontes: 221 r.; Schwechat: 306 l.; 237 l.; 456/457 (Karl Thomas), 458 o.l. (Doeter Festspiele Reichenau: 306 r. (Dimo Dimov), Privatbesitz: 267 u.M.; Volkskultur Niederösterreich: 319 Hopf), 458 o.r., M.l. (Kurt Kracher), 458 M.r. 307 o.; IMAGNO/Archiv Samsinger: 71 o., 74 (2), Martha Jungwirth: „Porträt Karl Schmeller“, Museum Perchtoldsdorf: 180 o.l.; (Lackinger); (Sonja Jordan), 458 u. (Roger Tidman), 76 o., 77 o., 385 o.; 1990/© 2017 Bildrecht, Wien: 303 u.; Sammlung Philomena Prohaska, 461 o.l. (Karl Zhomas), 461 o.r. (Ernst Festspielhaus St. Pölten: 325 (Herta Museumsdorf Niedersulz: 106/107 (2); Wolkersdorf: 234 u.; Gerhard Wabra: 233 u.l.; Weingartner), 461 u.l., u.r. (Kurt Kracher), Hurnhaus), 328 (Stefan Kristoferitsch), Karl von Vogelsang-Institut: 260 (Sonder- 462 (Robert Kalb), 467 (Brigitte Baldrian), 351 o.l. (Richard Haughton); heft 1969: Moderne Verkehrsmittel für Sammlung Charlotte Natmeßnig: 407; Rafaela Pröll: 16–29 (14), 545 o., 556 (2), Manfred Wakolbinger: „resting – acting – 470 l. (Robert Jäger), 471 u. (Harald Jahn), alle Landesteile); 588–603 (16); stretching“, 2010/11/© 2017 Bildrecht, 477 u. (Robert Kalb), 480 (Martin Forum Frohner: 317 (Christian Redten- Wien: 301; Siepmann), 481 (Rainer Mirau), 490 bacher); Stefan Klampfer/Claudia Rohrauer: 299; Arnulf Rainer Museum: 323 o. (Christian (Luftbildservice Redl), 491 (Ulrich Schnarr), Wind), 323 u.; WasserCluster Lunz: 554, 555; 492 (Robert Jäger), 493 l.o. (Wilfried Gredler-Oxenbauer), 499 (Robert Jäger), Klaus Ranger: 558 o.; 500 o. (Clemens Zahn),

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Redaktionsschluss: 11. Oktober 2017. Trotz sorgfältiger Überprüfung übernimmt der Medieninhaber und Herausgeber keinerlei Gewähr für Aktualität, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Inhalte.

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