Winfried R. Garscha Achtzig Jahre Ungewissheit Die Nisko-Aktion 1939 Und Ihre Verschollenen Opfer
www.doew.at – Christine Schindler (Hrsg., im Auftrag des DÖW), Nisko 1939. Die Schicksale der Juden aus Wien, Wien 2020 (= Jahrbuch 2020) 19 Winfried R. Garscha Achtzig Jahre Ungewissheit Die Nisko-Aktion 1939 und ihre verschollenen Opfer Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtüberahme und dem Ein- marsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich im März 1938 setzten die neuen Machthaber eine gewaltige Welle von Flucht und Vertreibung in Gang: Durch eine Kombination von administrativen Schikanen, öffentlichen Demü- tigungen, staatlich sanktioniertem Raub und physischer Gewalt gelang es den Nationalsozialisten in nicht einmal zwei Jahren, 130.000 ihrer Rechte und ih- res Eigentums beraubte Österreicher und Österreicherinnen dazu zu bewegen, das Land zu verlassen. Der Großteil von ihnen war jüdischen Glaubens, viele waren erst durch die NS-Gesetze zu „Juden“ gemacht worden. Wem die er- forderlichen finanziellen Mittel zur „Auswanderung“ gefehlt hatten oder wem es aus anderen, unterschiedlichsten Gründen – wozu in vielen Fällen auch die moralische Verpflichtung, pflegebedürftige Angehörige nicht im Stich zu las- sen, gehörte – nicht gelungen war, dem nationalsozialistischen Machtbereich zu entkommen, geriet ins Visier der NS-Vernichtungspolitik. Der größte Teil von ihnen wurde zwischen Herbst 1941 und Ende 1942 aus Wien in die Ghettos und Vernichtungslager deportiert. Damit gelang den Nationalsozialisten innerhalb von viereinhalb Jahren die fast völlige Zerstörung einer der bedeutendsten jüdischen Gemeinden Europas: Die Wiener Gemeinde hatte sich durch religiös-kulturelle Vielfalt ausgezeich- net und einen relevanten Faktor der Gesellschaft gebildet. In jahrzehntelanger Arbeit ist es – in erster Linie durch die namentliche Erfassung der Holocaust-Opfer von Seiten des Dokumentationsarchivs des ös- terreichischen Widerstandes1 – gelungen, Todesdatum und Ort der Ermordung 1 Brigitte Bailer / Gerhard Ungar, Die namentliche Erfassung der österreichischen Holocaust- opfer, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Opferschick- sale.
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