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Sendung vom 21.11.2005, 20.15 Uhr

Alfons Schuhbeck Koch im Gespräch mit Andreas Bönte

Bönte: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum BR-Forum. Heute ist bei uns Alfons Schuhbeck zu Gast, Starkoch, Buchautor, Fernsehmoderator usw. Herr Schuhbeck, was macht denn ein Starkoch an einem Sonntagvormittag wie diesem? Schuhbeck: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Eigentlich würde ich gerne richtig ausschlafen, aber meistens arbeite ich. Bönte: Gibt es denn einen Tag in der Woche, an dem Sie richtig ausschlafen können? Oder haben Sie immer eine Siebentagewoche? Schuhbeck: Ja, das kann man schon so sagen? Wenn man selbständig ist, dann kann man sich das nur schlecht anders einteilen. Nein, da wird man immer eingeteilt, ob man das will oder nicht. Und wenn man die anstehende Arbeit nicht macht, dann ballt sie sich eben und man bringt sie einfach nicht mehr so exakt weg. Früher war es bei mir am Sonntag ja noch schlimmer als jetzt. Als ich noch in Waging war, war der Sonntag der Tag, an dem die Leute raus aufs Land gefahren sind und zu mir zum essen gekommen sind. Heute bin ich in München und wir haben am Sonntag geschlossen. Aber am Sonntag mache ich dann eben die Arbeiten, die unter der Woche liegen geblieben sind, weil sie nicht so dringend waren. Bönte: Wie lange dauert denn normalerweise ein Arbeitstag bei Ihnen? Wie viel Schlaf gibt es denn pro Nacht bei Ihnen? Schuhbeck: Das hört sich jetzt ein bisschen komisch an und es bekommt auch jeder Angst, wenn ich das erzähle. Aber ich bin schon so 18 Stunden jeden Tag unterwegs. Wobei ich dann aber keine sechs Stunden Schlaf zusammenbringe. Es sind meistens so vier, fünf Stunden Schlaf pro Nacht. Sechs Stunden wären eigentlich ideal. Aber so langsam steuere ich jetzt darauf zu. Früher war ich immer ganz stolz darauf, dass ich nur drei, vier Stunden geschlafen habe. Heute sage ich mir: "Wie blöd warst du eigentlich früher!" Denn wenn man müde in den Tag geht, dann bringt man einfach nicht die Leistung, die man abrufen könnte, wenn man ausgeschlafen ist. Der Schlaf ist ja das beste Mittel, die beste Medizin überhaupt. Bönte: Richtig. Sie sind 1949 in geboren. Ihr Berufsleben haben Sie als Fernmeldetechniker angefangen. Und dann wurden Sie im Laufe der Jahre zum Starkoch. Wie das? Hatten Sie kein Interesse an der Fernmeldetechnik mehr? Oder haben Sie plötzlich entdeckt, dass das Kochen doch Ihr Ding ist? Schuhbeck: Wenn man jung ist, hat man ja oft das Problem, keine richtige Antwort zu finden auf die Frage, was man eigentlich werden möchte. Wenn man in diesem Alter noch nicht reif genug ist, dann wählt man halt einen Beruf, bei dem man sich denkt: "Ach, das scheint ganz interessant zu sein und es gibt da auch ein enormes Spektrum, sodass man richtig Gas geben kann." Ich habe dann aber gemerkt, dass ich kein Talent für die Fernmeldetechnik habe: Ich bin ein technischer Depp! Ich habe das alles auswendig gelernt, habe auch meine Prüfungen gemacht und sie bestanden. Aber nach fünf Tagen hatte ich das alles schon wieder vergessen. Ich merkte also, dass ich da nicht weiterkomme. Deshalb ging ich auf die Hotelfachschule und stellte fest, dass ich mit diesem Metier viel besser zurechtkomme, dass mir das Zusammenarbeiten mit den Menschen dort Spaß macht. Das war einfach ein ganz anderes Betätigungsfeld. Und so musste ich mich eben entscheiden: Gehe ich in diesem Metier ganz in die Küche hinein oder gehe ich ganz aus der Küche heraus? Ich habe mich dann – auch wenn jetzt die Kellner alle beleidigt sein werden - für das aus meiner Sicht Schwierigere entschieden und wurde Koch. Bönte: Was hat Sie denn daran fasziniert? Schuhbeck: Fasziniert hat mich am Anfang gar nichts. Denn man sieht ja zunächst einmal nur die fertigen Teller – und nicht die Arbeit, die dahinter steckt. Wie lange ist das nun her? Fast 40 Jahre! Damals war das Arbeiten in der Küche noch ganz anders. Es war auch die Küchentechnik noch eine ganz andere. Es war laut in der Küche und die Geräte in der Küche waren bei weitem noch nicht so wie heute. Obwohl ich sagen muss, dass man zum Kochen eigentlich gar keine Geräte braucht. Man braucht nur eine richtige Einstellung dazu. Und dann war es eben so, dass ich gleich gemerkt habe, dass so eine Arbeit kein Acht- oder Neunstundenjob ist: Da gibt es dann keinen Samstag und keinen Sonntag mehr, sondern höchstens mal unter der Woche einen freien Tag. Das ist schon eine gewisse Umstellung, für die man mental bereit sein muss: Da muss man sich quasi schon gegen sich selbst durchsetzen. Bei mir hat das aber ganz gut funktioniert. Und man muss eben auch schauen, dass man als Koch rauskommt in die Welt, dass man nicht versumpft im eigenen Land. Man muss also seinen Blickwinkel erweitern als Koch. Zuerst war ich in Bad Reichenhall, dann in und anschließend ging ich nach Genf. Von Genf wechselte ich nach , von Paris nach London. Nach meiner Zeit in London war ich in München, wo ich beim Käfer und beim Dallmayr gearbeitet habe, denn damals gab es nämlich noch das Restaurant "Walterspiel". Und anschließend war ich noch ein Jahr beim Herrn Witzigmann. Bönte: Haben Sie bei Ihrer Reise durch die Küchen der Welt auch unterschiedliche Kocharten kennen gelernt? Gibt es so etwas? Dass dort andere Gerichte hergestellt werden, ist klar. Aber geht es dort anders zu als bei uns? Ist der Ablauf dort anders? Schuhbeck: Bei uns waren damals in den deutschen Küchen keine Leute aus anderen Nationen. In Bad Reichenhall gab es höchstens ein paar Italiener. Aber das war es dann auch. Als ich aber nach Paris kam, hatte ich es in der Küche auf einmal mit arabischen Leuten zu tun wie z. B. mit Marokkanern oder Algeriern. Das lässt schon ein ganz anderes geistiges Flair in der Küche entstehen. Da muss man sich selbst auf den Prüfstand stellen und sich sagen: "So, jetzt muss ich mich hier aber anders benehmen! Ich kann hier nicht mit einem Hurra wie daheim an die Zusammenarbeit mit den Leuten gehen." Wenn man sich auf diese Weise angleichen muss, tut einem das schon ganz gut: Man ist jung und hat die Möglichkeit, sich selbst weiterzuentwickeln. Es geht also nicht nur darum, die jeweils andere Sprache zu lernen, sondern auch darum, seine innere Einstellung anzupassen. Man ist alleine in einer riesengroßen Stadt und muss auch schauen, dass man seinen Weg geht und das nötige Geld verdient. Das war ein Lernprozess, der mir sehr, sehr gut getan hat. Bönte: Jede internationale Küche hat ja ihre eigenen Gewürze. Ist damals schon Ihre Liebe zum Gewürz entstanden? Denn die Gewürze sind ja wohl eines Ihrer Spezialthemen. Schuhbeck: Das stimmt, aber ich habe das damals noch nicht so wahrgenommen, wie ich das heute wahrnehme. In Frankreich war es vor 35, 40 Jahren so, dass es damals gerade diese Renaissance der Küche gegeben hat: Die Nouvelle Couisine kam so langsam ins Laufen. Die Parole lautet damals: "Zur richtigen Zeit das richtige Produkt möglichst frisch auf den Tisch bringen!" Ein Teil der damaligen Küche in Frankreich brach dabei quasi ab, weil es hieß, dass die Leute dort alles mehr oder weniger falsch machen würden. Es war jedenfalls auf einmal alles anders. Es hieß z. B., man dürfe nur mehr sieden und nicht mehr kochen. All das musste man natürlich zuerst einmal verarbeiten, wenn man über lange Jahre diese Dinge vollkommen anders gehandhabt hatte. Die Gewürze haben mich also immer schon interessiert, aber damals bin ich noch nicht so intensiv in dieses Thema eingestiegen. Bönte: Man hört ja immer wieder, dass die Ausbildung zum Koch z. T. sehr hart sei. Es heißt, es hätte zumindest früher Köche gegeben, die regelrecht brutal gegenüber ihren Lehrlingen gewesen seien. Haben Sie das auch erlebt, dass Köche einen richtig hart rangenommen haben? Schuhbeck: Ich glaube, das liegt jeweils am Chef selbst. Früher war die Ausbildung ganz sicher sehr hart und auch heute ist sie wohl noch sehr hart. Aber eine faire Härte schadet keinem! Denn dadurch kommt man sehr schnell auf ein Level, bei dem man sich sagt: "Mit dem kann ich umgehen oder mit dem kann ich nicht umgehen!" Und wenn man aber quasi ein Weichei ist, sodass man bereits geistige Lungenentzündung bekommt, wenn man mal ein bisschen "angehustet" wird, dann muss man dieses Metier einfach sein lassen. Denn die Gastronomie ist hart. Andererseits ist sie auch ein gutes Training. Man müsste das eigentlich mit einem Leichtathleten vergleichen: Wenn einer ein Zehnkämpfer werden will, dann hat er sicherlich einige Disziplinen, in denen er sehr stark ist, aber auch ein paar, in denen er wirklich hart trainieren muss. In der Küche ist es genauso. Auch dort gibt es ein breites Feld. Da gibt es meinetwegen den Fischposten, den Fleischposten, den Gemüseposten, den Vorspeisenposten usw. Und dann gibt es noch einen Posten, den jeder Koch hasst wie die Pest: Das ist das Dessert. Denn die wenigsten Köche können Desserts machen. Wenn man zu einem Koch z. B. sagt, er soll Eiskrem machen, dann eiert er garantiert herum wie ein Irrer. Bönte: Warum ist das so schwer? Schuhbeck: Weil die wenigsten Küchen eine Patisserie haben. Die wenigsten Küchen haben für die Ausbildung der Lehrlinge einen Patissier. Aber im Grunde ist es doch so: Der erste und der letzte Eindruck beim Essen ist entscheidend. Für mich ist also die Patisserie ganz enorm wichtig, denn damit verabschiedet man sich auf dem Teller von seinem Gast. Frauen lieben ja das Dessert. Sie lassen oft sogar den Hauptgang ganz weg und essen lieber das Dessert – und selbst dann, wenn das kalorienreiche Schokolade sein sollte. Denn das brauchen sie einfach, dieses Süße. Damit kann man die Leute für sich gewinnen, das ist klar. Bönte: Gab es denn damals schon einen Koch, von dem Sie gesagt hätten, der ist mein großes Vorbild? Schuhbeck: Zur damaligen Zeit hat mich eigentlich eher das jeweilige Land mehr interessiert. Es gab damals wirklich tolle Namen von Hotels und Restaurants. Und erst so langsam sind dann Leute wie Bocuse, Haeberlin oder Witzigmann herausgewachsen. Insofern war es für die eigene Laufbahn sehr wichtig, dass man zumindest bei einem dieser Leute mal gearbeitet hatte. Ich weiß noch gut, wie das damals war bei mir: Ich habe Witzigmann bestimmt an die 50 Mal gefragt, ob ich bei ihm arbeiten kann. Er hat aber immer wieder gesagt: "Ich brauch dich nicht. Ich habe über 500 Bewerbungen und kann nur zehn Köche einstellen." Ich habe dann also immer wieder am Nachmittag auf ihn gewartet, bis er rausgekommen ist aus seiner Küche und habe ihn immer wieder gefragt. So lange, bis er halb wahnsinnig wurde. Er ist ja immer zum Fußball spielen gegangen am Nachmittag. Und eines Tages fragte er mich: "Sag mal, kannst du eigentlich Fußball spielen?" Ich antwortete: "Ja, so ein bisschen, so wie du halt auch!" Ich ging also mit und wir spielten zusammen Fußball: Kellner gegen Köche. Ich durfte mitspielen, weil einer verletzt war – wie das halt immer so ist beim Fußball spielen. Und danach war er schon fast wieder in seiner Küchentür verschwunden, als er auf einmal zu mir sagte: "Und morgen um neun Uhr bist du da! Um fünf nach Neun brauchst du gar nicht mehr zu kommen!" Das hatte einfach damit zu tun, dass ich nicht aufgegeben habe. Ich wollte dort arbeiten, unbedingt! Ich wusste nämlich, dort spielt man in einer ganz anderen Liga, dort bekomme ich mit, wie diese neue Technik eigentlich funktioniert. Im Grunde hat das ja nur mit Logik zu tun, aber damals haben wir alle geglaubt: "Wenn du erst einmal bei so jemandem in der Küche gewesen bist, dann geht dir das Licht auf!" Es war aber so, dass ich dort erneut umdenken musste: Runter mit der Temperatur! Es darf nichts kochen, es darf nur simmern. Und dann dieser respektvolle Umgang mit dem Rohprodukt. Da wurden die Dinge nicht einfach achtlos auf die Arbeitsplatte geworfen und "scheiß Klump" gesagt. Schon der Wareneinkauf war da z. B. sehr wichtig. Wir sind nach der Arbeit meistens noch weggegangen bis um zwei oder drei Uhr in der Nacht. Oft hat er aber zu mir gesagt: "So um fünf Uhr holst du mich ab, dann fahren wir in die Großmarkthalle!" Ich dachte mir nur: "Um Gotteswillen, wieder nur zwei Stunden Schlaf!" Aber für mich war es andererseits hoch interessant, um fünf Uhr morgens in der Großmarkthalle zu sein und mit ihm die Produkte auszusuchen. Er hat z. B. etwas begutachtet und dann gesagt: "Nein, das nehmen wir nicht!" Ich fragte ihn warum. Und dann hat er es mir erklärt. Das sind so die Dinge, die man bei jemandem wie Witzigmann hat lernen können. Er ist ja selbst in Frankreich, in den USA und in Schweden gewesen: Dort hatte er sich in guten Läden ein unglaubliches Wissen angeeignet. Und wenn man das alles quasi spielerisch vermittelt bekommt, saugt man das regelrecht auf. Es gibt heute noch Dinge in meinem Gedächtnis, die weiß ich so genau, als wäre das erst vor fünf Minuten passiert. Bönte: Wie viel Prozent macht bei einem guten Koch Erfahrung aus und wie viel Prozent hängt vom Talent ab? Schuhbeck: Die Frage ist: Ab wann kann man sein Talent abrufen? Ab wann kapiert man, dass man selbst Talent hat? Es gibt ja auch Eltern, die zu ihrem Sohn sagen: "Du musst Koch werden! Du musst eines Tages meinen Betrieb übernehmen! Wenn du das nicht machst, dann enterbe ich dich!" Das ist natürlich der falsche Weg. Denn wenn so jemand ein guter Schlagzeuger ist, dann wäre es besser, er würde tatsächlich Schlagzeuger, denn Musik ist ja auch etwas ganz Tolles. Man darf also nie jemanden zu einem Beruf prügeln. Ich habe in Waging draußen zwischen 100 und 200 Lehrlinge ausgebildet. Da waren Leute dabei, die ein Riesentalent hatten – nur eben nicht fürs Kochen. Aber sie mussten das machen wegen der Eltern. Sie haben diese Arbeit so widerwillig gemacht, dass sie mehr auf die Uhr als auf den Teller geschaut haben. Das ist natürlich schlecht. Das Talent muss sich paaren mit dem Berufsziel, das man hat. Bönte: Das spürt man ja auch bei Ihnen: Da ist schon Ehrgeiz dahinter, das ist gar keine Frage. Und Ihr Ehrgeiz ist dann ja auch belohnt worden. 1983 erhielten Sie Ihren ersten Stern im Guide Michelin. Und dann gab es vom Gault Millau drei Hauben. Das sind Dinge, die sicher Ihre Karriere bestimmt haben. Und 1989 wurden Sie zum "Koch des Jahres" gewählt. Sie haben also in sehr, sehr kurzer Zeit sehr hohe Auszeichnungen erhalten. Was bedeuten diese Auszeichnungen für Sie? Schuhbeck: Dieser erste Stern kam für mich natürlich total unerwartet. Denn das "Kurhausstüberl" in Waging war ja ursprünglich mal nur ein Aufwärmlokal für die Campinggäste gewesen. Weil aber die Wohnwägen dort auf dem Campingplatz immer größer geworden sind und sie deshalb kein Aufwärmlokal mehr brauchten, habe ich mir gedacht: "Ja, machst halt mal ein gutes Lokal da hinein und probierst das aus, was du bei Witzigmann gelernt hast." Ich wurde am Anfang natürlich auch gefragt, wo ich gelernt hätte. Wenn ich dann gesagt habe, bei Witzigmann, kam nur die Antwort: "Ach so, im 'Gasthaus zum windigen Schneebesen'!" Im ersten Jahr waren vielleicht 100 Leute bei mir. Im ganzen ersten Jahr insgesamt! Jeder normale Mensch, der auch nur einen Funken Hirn hat, sagt sich da natürlich: "Aufhören! Das funktioniert nicht! Am Ende der Welt kann man kein solches Restaurant führen! Man kann dort für die Campinggäste kochen, für die Urlauber, aber sonst nicht!" Aber weil ich so verbissen und vernarrt war, habe ich einfach weitergemacht. Und eines Tages kam dann mal so eine Gruppe von sechs Leuten herein. Sie fuhren mit einem VW-Bus vor und der Chauffeur der Gruppe setzte sich ein wenig abseits von ihnen. Ich habe diesen Leuten ein Menü gemacht, weil ich sie gekannt habe. Und zum Fahrer meinte ich: "Und du, was magst du?" Er sagte, er hätte gerne die Karte. Ich dachte mir: "Ja, spinnt der? Er ist der Fahrer und bekommt sein Essen umsonst, was will der die Karte sehen?" Ich brachte ihm die Karte und er bestellte sich etwas daraus. Da sagte ich zu ihm: "Ich koche jetzt für diese sechs Leute ein Menü, da werde ich für dich gerade noch etwas anderes kochen. Kommt nicht in Frage!" Ich stritt also herum mit ihm. Aber auf einmal meinte er: "Sie verwechseln mich. Ich bin nicht der Fahrer, für den Sie mich halten. Ich bin Tester von Michelin!" Und dann zeigte er mir seine Karte. Das war natürlich das Schlimmste für einen Koch, sich mit einem Tester anzulegen. Er bestellt sich etwas und ich koche ihm das nicht, weil ich ihn mit dem Fahrer verwechselt habe! Er selbst kennt diese Story eigentlich noch viel besser als ich. Heute ist er pensioniert, aber er kommt jedes Jahr wieder zu mir und besucht mich. Heute habe ich ein gutes Verhältnis zu ihm. Damals war dieser Stern für mich da draußen in Waging eine riesengroße Auszeichnung: Ich habe sie bekommen für regionale Küche. Denn darum ging es mir. Ich habe mich damals als Erster getraut, auf diesem Level, mit dieser Kochtechnik mit regionalen Produkten zu arbeiten. Deswegen bekam ich 1989 auch die Auszeichnung als Koch des Jahres, weil ich der Erste war, der diese regionalen Produkte wirklich forciert hat. Ich habe meine Produkte wirklich aus der Region bezogen. Das war allerdings wahnsinnig schwer am Anfang, weil ja normalerweise alles aus Paris gekommen ist. Die Böhnchen, die Erdbeeren usw.: Alles kam aus Paris! Und die einheimischen Produkte waren auf einmal nichts mehr wert. Das geht natürlich nicht. Aber für mich war es schon auch irrsinnig schwer, gute Produkte in der Region durchzusetzen, den Produzenten zu vermitteln, dass sie alles auf einem bestimmten Level produzieren müssen. Ich sagte zu ihnen: "Bau einen guten Salat an! Und gib mir nicht diesen lausigen Hundling von Pseudo-Salat! Schau, dass du mir was Gescheites verkaufen kannst!" Und so langsam hat sich das dann wirklich entwickelt. Ich habe die Produzenten meiner Produkte ja auch immer eingeladen und zu ihnen gesagt: "Setz dich hin und schau dir an, was wir aus deinem Produkt gemacht haben!" Und so wuchs das alles langsam, da draußen auf dem Land. Bönte: Im Grunde genommen ist das ja bis heute Ihre Philosophie geblieben. Schuhbeck: Ja, total. Heute in München muss ich mich natürlich mehr öffnen, weil ich ja jetzt ein internationales Publikum habe. Aber die Grundlinie ist dennoch bis heute das Regionale und das Saisonale. Bei mir gibt es also immer ein Böfflamott auf der Speisekarte. Bei mir gibt es lauter regionale Dinge, die ich einflechte in ein Menü. Man kann sich also immer sieben, acht, neun oder gar zehn Sachen raussuchen, die komplett regional sind. Bönte: Aber die Konkurrenz in München ist ziemlich groß. Da muss man wohl ganz bewusst versuchen, sich seine Nische zu suchen, um sich von den anderen abzuheben. Denn München ist ja eine Stadt, in der die internationale Küche wahnsinnig breit angelegt ist. Ihre Nische ist also im Grunde die regionale Küche. Schuhbeck: Ja, es ist so: Wenn man in Waging oder sonst wo auf dem Land ist, dann ist man der Einzige – wenn man gut ist. Dadurch wird über einen gesprochen und man kann sich so entfalten, wie man es will. Man kann also in Waging mit dem Gast ganz anders umgehen als in München. Denn wenn ein Mensch raus nach Waging fährt, dann hat er einen Hunger! Und deshalb hat man ihn quasi eher im Griff. In München jedoch kann er in viele verschiedene Lokale gehen. Aus dem Grund ist er der Platzhirsch. Also muss man sein gastronomisches Herz ein wenig anders gewinnen. Und das fängt schon beim Entree, also beim Reinkommen ins Restaurant und bei der Platzierung an. Man muss den Gast den ganzen Abend über begleiten. Man redet ja normalerweise immer nur vom Koch, vom Koch, vom Koch. Aber der Service ist für mich genauso wichtig wie die Küche. Aber die Köche verstehen das manchmal nicht, dass der Service auch so wichtig ist. Denn der Service begleitet ja den Gast über vier, fünf Stunden und muss es sich anhören, wenn das Essen nichts war. Oft traut sich der Service nicht in die Küche zu kommen und zu sagen, dass der Gast reklamiert hat, weil der Koch dann gleich ausflippt. Ich versuche das aber bei mir total zu eliminieren. So etwas lasse ich nicht zu. Nein, der Kellner muss dem Küchenchef die Kritik des Gastes weitergeben! Das muss er machen, damit der Küchenchef Bescheid weiß. Denn der Küchenchef kann ja auch nicht immer alles abschmecken. Da versalzt sich z. B. mal einer. Dann muss der Küchenchef eben sofort wissen: "Hoppla, der Bursche versalzt gerne. Der muss sich zurückhalten mit dem Salz!" Bönte: Warum sind Sie eigentlich von Waging weg und nach München gegangen? In Waging war es ja wohl, wie Sie selbst soeben gesagt haben, etwas einfacher. Warum haben Sie sich dann diese Herausforderung angetan? Schuhbeck: Nun, das Leben geht oft seltsame Wege. Und außerdem ist es schon so: Ich liebe Herausforderungen. Noch zwei Monate vorher wusste ich gar nicht, wohin ich gehen werde – weil ich eigentlich gar nicht gesucht habe. Und dann ist mir das mit diesen Torggelstuben zufälligerweise angeboten worden. Bönte: Das ist neben dem Münchner Hofbräuhaus. Schuhbeck: Genau. Der Gastronom, der vor mir da drauf gewesen ist, ist einfach das falsche Konzept gefahren, um das mal ein bisschen nett auszudrücken. Ich habe dort drin alles umgebaut und auch die Küche rausgerissen. Ich habe also alles neu gemacht. Ich kam damals mit drei Leuten von Waging und heute haben wir 80 Angestellte. Aber das liegt natürlich nicht nur am Lokal, sondern auch daran, dass ich jetzt zusätzlich noch einen Gewürzladen und einen Eisladen habe und dass ich eine Kochschule betreibe. Bönte: Das ist ein richtiges "Schuhbeck-Imperium" drum herum geworden. Schuhbeck: Ich nenne es meistens einen Hühnerstall. Bönte: Das Stichwort "Kochschule" ist soeben gefallen. Das ist ja momentan ein großer Boom: Die Menschen schenken sich untereinander Kochkurse. Wie läuft so ein Kochkurs bei Ihnen ab? Schuhbeck: Es ist so, wir haben Eintageskurse und wir haben Zweitageskurse. Wir bieten dabei auch unterschiedliche Themen an: bayerische oder italienische Hausmannskost, einen Fischkochkurs, einen Wildkochkurs, einen Saucenkochkurs, einen Pastakochkurs usw. Das geht mal einen Tag, mal zwei Tage. Meistens sind diese Eintageskurse für die Leute etwas leichter zu handhaben, weil sie sich dafür keinen Urlaub nehmen müssen. So ein Kurs beginnt um zehn Uhr und endet um 17 Uhr. Und wir machen das auch prinzipiell nur für Hobbyköche. Wir lassen die Leute auch nicht mitkochen: Das wäre natürlich für uns viel lustiger, weil dann geratscht und gelacht werden würde. Nein, wir versuchen, den Leuten, die Fehler, die sie machen, zu zeigen und ihnen dann auch zu zeigen, wie man es richtig macht. Das hat im Grunde genommen nur mit logischem Denken zu tun. Beim Kochen braucht man zunächst einmal ein gutes Produkt. Das ist schon mal schwer zu bekommen. Diesen Kampf haben wir jeden Tag, wenn wir in der Großmarkthalle Fleisch angeboten bekommen, das viel zu wenig lange gereift ist und daher viel zu hart ist. Darum müssen wir also kämpfen. Beim Fisch ist es natürlich genau umgekehrt: Der sollte nämlich nicht lange reifen, sondern sollte möglichst frisch sein. Und der eigentliche Schlüssel beim Kochen ist dann die Temperatur. Je mehr man den Mut hat, die Temperatur abzusenken, umso besser wird es. Wenn man Wasser kocht und nur um fünf Grad zurückdreht, dann kocht das Wasser gerade nicht mehr. Es gibt diesen weisen Spruch: In einer Küche, in der es gut riecht, ist gesundheitlich und geschmacklich im Topf nichts mehr drin! Denn alles, was an Geruch rausgeht, kommt nie mehr zurück. Das hängt dann alles an der Wand! Von dort könnte man sich dann quasi die Vitamine wieder runterschlecken, nicht wahr. Die Vitamine sterben also bei 90 Grad ab und das, was man isst, ist dann ziemlich wertlos hinsichtlich der Vitamine. Viele Leute sagen sich daher, man muss sich dann halt Vitamintabletten kaufen. Sie haben also eher Vertrauen in die Tablette anstatt ins Essen. Man müsste jedoch viel eher Vertrauen ins Gemüse haben, man müsste viel mehr Gemüse und Obst essen, weil man dabei die sekundären Pflanzenstoffe auch noch hat und die Vitamine usw. Wenn man sehr gefühlvoll mit diesen Sachen umgeht, dann isst man auch gesund und braucht keine Vitamintabletten. Bönte: Nehmen wir mal das Beispiel "Steak". Das Steak ist ja ein Klassiker: Viele sagen, man müsse den Herd volle Kanne aufdrehen, bis das Fett quasi spritzt. Ist das richtig oder falsch? Schuhbeck: Das ist natürlich das Falscheste überhaupt, denn das Problem ist Folgendes. Wenn man teures Fleisch kauft, dann ist dessen Haut sehr, sehr fein, sehr, sehr gefühlvoll. Wenn man das nun hart anbrät, dann produziert man darauf eine Kruste. Eine Kruste produziert man aber nur auf etwas, das eine Fettschicht hat. Ein Schweinsbraten verträgt deswegen z. B. mehr Hitze. Aber das Steak verträgt im Grunde genommen nur ganz wenig Hitze. Wenn man also ein Stück Fleisch von drei, vier Zentimetern Stärke nimmt, dann kann man das in einer Pfanne nicht braten! Ein Fleisch in der Stärke von einem Zentimeter, also ein Filet, kann man jedoch wunderbar braten. Wenn man jedoch so ein klassisch dickes Steak von drei und mehr Zentimetern Dicke haben möchte, dann darf man in die Pfanne nur ganz, ganz wenig Fett geben. Denn wenn man wenig Fett hineingibt, dann gibt das den Effekt einer Grillplatte. Wenn man also nur ganz wenig Fett in der Pfanne hat, also nur einen ganz leichten Fettfilm, dann produziert man Geschmacksstoffe auf das Fleisch drauf. Ich brate es also auf beiden Seiten an und kann es vielleicht auf der Seite noch ein bisschen einrollen und anbraten, damit es ein bisschen besser aufgeht. Danach dann schaltet man den Ofen auf 100 Grad und nimmt die mittlere Einschubleiste her. Man nimmt aber kein Blech, weil das Blech ja nur genauso funktionieren würde wie die Herdplatte. Stattdessen legt man ein Gitter rein und auf dieses Gitter legt man dieses Stück Fleisch. Bei 100 Grad lässt man es dann je nach Stärke 40, 45 Minuten drin: Es ist dann von oben bis unten rosa gebraten und innen ganz saftig. Diese Fettäderchen haben sich dann zwar aufgelöst da drin im Fleisch, aber sie sind nicht rausgelaufen. Würde man jedoch auf 150, 160 Grad erhitzen, dann würden diese Temperatur durch das Fleisch schießen und die Flüssigkeit würde dabei rausgetrieben: Der Geschmacksträger, nämlich diese Fettäderchen, die übrigens auch sehr gesund sind, wird ebenfalls rausgetrieben und so ein Fleisch wäre dann im Grunde fast wertlos. Es verzieht sich und schmeckt nicht mehr so gut, wie es schmecken könnte. Zu viel Temperatur wäre also genau der falsche Weg. Der gefühlvolle und respektvolle Umgang mit den Produkten macht es also aus. Und dann kommt es darauf an, wann man würzt. Wenn man zehn Köchen die gleiche Rezeptur gibt, schmeckt das trotzdem bei jedem anders. Denn es kommt immer darauf an, wann man würzt. Die wenigsten Menschen wissen aber, dass Gewürze maximal 15 Minuten "Lebensdauer" haben: Danach dann sind sie nämlich medizinisch gesehen gar nicht mehr existent. Denn ein Gewürz hat die Aufgabe, den Magen- und Darmtrakt keimfrei zu machen, den Stoffwechsel anzuregen. Ein Gewürz kann das aber nur dann leisten, wenn es aktiv ist. Wenn es inaktiv ist und in sich eingebrochen ist, dann wird es harzig und driftet weg. Wenn sich die Leute jedoch Tee machen, dann passen sie sehr wohl ganz genau auf, dass der Tee zwischen drei und zehn Minuten zieht. Und das, obwohl Tee auch nichts anderes als ein Gewürz ist. Die Leute machen das, weil ja der Tee etwas Gesundes ist, aber beim Kochen geben sie das Gewürz viel zu früh dazu. Bönte: Nehmen wir vielleicht noch ein Beispiel, nämlich die Pasta, die ja auch sehr gerne gekocht und gegessen wird. Welche Fehler werden da hauptsächlich gemacht? Gut, dass die Nudeln zu lang gekocht werden, das ist natürlich der Klassiker unter den Fehlern. Schuhbeck: Man braucht in erster Linie viel Wasser und viel Salz. Wenn man mal am Meer gewesen ist und dabei beim Baden aus Versehen mal einen Schluck Meerwasser abbekommen hat, dann weiß man, wie das Nudelwasser schmecken sollte. Denn es sollte ganz genauso salzig schmecken. Man lässt dann das Wasser aufkochen und gibt die Nudeln hinein. Und dort lässt man sie dann auch für einige Zeit so wie sie sind. Denn wenn man sofort umrühren würde, dann würde man, falls es Spaghetti sind, diese abbrechen. Es gibt ja auch Leute, die ins Nudelwasser Öl geben, weil sie ein schlechtes Gewissen haben: Sie haben nämlich zu wenig Wasser im Topf bzw. einen zu kleinen Topf. Sie glauben, ein Schuss Öl verhindere, dass die Nudeln zusammenkleben. Das Problem ist nur: Die Nudel ist unten und das Öl schwimmt oben. Die Nudel fragt sich natürlich, was da oben das Öl macht. Das Öl sagt dann: "Ich habe keine Ahnung! Der hat mich einfach draufgeschüttet!" Ich koche ja die Nudel immer zwei, drei Minuten unter der Zeit, die auf der Packung steht. Denn damit habe ich Luft nach oben. Das heißt, wenn neun Minuten draufstehen, dann kochen wir sie nur sechs Minuten und gießen das Ganze ab. Und jetzt kommt der schlimmste Fehler, den man der Nudel antun kann – auch der Komposthaufen würde das sofort ablehnen: sie nun mit kaltem Wasser abzuwaschen. Denn damit wäscht man die Persönlichkeit der Nudel ab, den so genannten Kleber. Man tut also die Nudeln nach dem Sieb – und ohne kaltes Wasser! – auf ein Blech und kann sie dann mit Olivenöl ein wenig anölen. Damit isoliert man den Kleber und so kann man diese Nudel, wenn ich mal ein wenig übertreiben darf, ein, zwei, drei Tage lang aufheben, ohne dass sie unter einem Qualitätsverlust leiden würde. Wenn ich sie danach regenerieren will, mache ich sie nicht im heißen Wasser warm, sondern dann nehme ich ein wenig Brühe, gebe sie in einen Topf oder eine Pfanne, lege diese kalte Nudel dort hinein. Dort löst sich der Ölfilm, der Kleber wird aktiv und packt diese Flüssigkeit, wie auch immer sie gewürzt ist. Man schwenkt den Topf oder die Pfanne ein, zwei Mal und die Nudel ist quasi wieder "voll da". Wenn man sie also noch drei Minuten in dieser Brühe erwärmt, dann ist sie perfekt al dente gemacht. Bönte: Aber gut, das ist kein Fastfood. Wenn ich nach Alfons Schuhbeck koche, dann brauche ich normalerweise mehr Zeit beim Kochen. Schuhbeck: Die Frage ist halt, was man sich selbst wert ist. Wenn ich da z. B. die Wartezeit im Arztzimmer als Vergleich hernehme, dann kann ich nur sagen, dass wir viel schneller sind. Bönte: Klar, das meine ich auch. Schuhbeck: Bei uns im Kochkurs zeigen wir aber auch, wie man ganz schnell für Nudeln Saucen in zwei, drei Minuten herstellen kann. Das ist also nicht diese große "Arie" mit den Knochen: Das kann man machen, wenn man Zeit hat. Sondern man muss eben auch mit wenig Zeit gut kochen können, denn das ist ebenfalls wichtig. Dafür muss man halt das Produkt anders wählen. Es ist doch etwas Wunderschönes, wenn man sich ein Stück Fleisch anbrät und sich einen Salat dazu macht. Oder: Wenn man sich ein Stück Fleisch brät und weiß, dass es dann für 30 Minuten in den Ofen muss, dann hat man 30 Minuten Zeit, in denen man sich sein Gemüse machen kann. Wenn beides dann vom Herd kommt, ist das Essen fertig. Das ist doch ziemlich flott. Es ist also lediglich die "Denke" manchmal falsch. Bönte: Sprechen wir noch einmal über die Sterne und die anderen Auszeichnungen. Im Grunde genommen ist das schon auch eine Last, die man von da an immer mit sich herumschleppt. Es besteht die Gefahr, dass erneut ein Tester vorbeikommt, man aber einen schlechten Tag hat und der Stern wieder weg ist. Ist das nicht die Angst eines guten Koches, dass genau so etwas passiert? Schuhbeck: Ich habe neulich im Fernsehen eine Sendung gesehen, die genau dieses Thema quasi hochgeschaukelt hat, was das für eine Belastung sei usw. Für mich ist das ein Schmarren! Wenn ich diese Belastung suche, wenn ich das will, wenn ich in der Bundesliga spielen will, dann will man da auch wirklich rein und dann will man auch drin bleiben. Man muss das also schon auch mal von der anderen Seite her sehen: Ich bin froh, wenn meine Jungs wissen, es könnte jeden Tage ein Tester drin sitzen. Wir können und dürfen also nicht sagen: "So, heute ist ein Tester da, heute kochen wir gut und danach dann kochen wir wieder einen Schmarren zusammen!" Nein, jeder Gast ist für mich ein Tester. Erstens bezahlt er. Gut, das muss der Tester auch. Aber der Gast ist doch derjenige, der uns leben lässt. Wenn er wiederkommt, dann ist er auch der beste Werbeträger. Denn es gibt keine bessere Werbung als die Aussage eines Gastes zu einem Bekannten oder Freund: "In dieses Lokal musst du mal gehen! Da war ich vor kurzem beim Essen. Super!" Wenn er jedoch abraten würde von einem Besuch bei mir, dann reißt er damit jede Menge Gäste mit, die nicht bzw. nie mehr kommen. Für mich ist also eine Auszeichnung immer auch ein Ansporn. Ich habe diese Herausforderung gesucht und ich freue mich daher, dass wir in München innerhalb eines Dreivierteljahres wieder dort angedockt haben, wo wir in Waging 22 Jahre lang standen. Und dies, obwohl wir mit einer komplett neuen Mannschaft angefangen haben. Ich habe mich am Anfang wirklich sehr schwer getan: Ich habe nach und nach 50 Leute eingestellt und wieder entlassen, weil ich der Meinung war, dass diese Leute nicht die Qualität hatten, die ich brauchte. Ich musste die schlechten Leute rausnehmen, weil mir sonst die guten Leute gegangen wären. Mit diesen wenigen guten Leuten haben wir es dann geschafft. Und bis jetzt sind weitere Gute dazugekommen. Wenn man nämlich einmal ein gutes Team hat, dann lässt dieses Team von sich aus keinen Schlechten mehr zu. Aber wenn man lauter "Deppen" hat, dann wird es immer schlimmer, weil der Fisch eben immer am Kopf zu stinken anfängt. Bönte: Kochen ist wahrscheinlich insgesamt Teamarbeit, aber bei Ihnen ist das wohl sehr, sehr ausgeprägt. Schuhbeck: Ja, das stimmt. Bönte: Wie motivieren Sie denn Ihre Leute? Schuhbeck: Ich motiviere sie nicht dadurch, dass ich jeden Tag sage: "Lasst uns für eine weitere Auszeichnung arbeiten!" Diese Auszeichnung dürfen sie gerne im Bewusstsein haben, aber nur ganz weit hinten. Denn sie kommt ja ohnehin erst meistens Ende des Jahres, sodass man erfährt, ob ein Jahr gut oder schlecht gewesen ist. Motivieren tue ich, indem ich an die Jahreszeiten denke und mich nach ihnen richte. Ich sage also in einem bestimmten Monat z. B.: "So, jetzt gibt es Spargel! Was machen wir dazu?" Zum Spargel kann man ja im Grunde genommen alles machen. Aber wenn ich dann lese, "Spargel mit Schnitzel", "Spargel mit Schinken" usw., dann fällt mir nichts mehr ein, so sprachlos bin ich dann. Bönte: Sind denn die Mitarbeiter bei der Menüzusammenstellung direkt beteiligt? Schuhbeck: Ja. Bönte: Das wird also im Team gemacht. Schuhbeck: Ich bespreche in der Früh mit meinen Jungs – und zwar so, dass jeder mithören kann –, was wir machen. Da geht es um Vorspeisenposten und ich frage, was der Betreffende anzubieten hat. Dadurch muss dieser einfach etwas sagen, er muss raus mit seiner Meinung – auch wenn er vielleicht einen Schmarren erzählen sollte. Das macht überhaupt nichts, denn irgendwann ist sicherlich etwas dabei, von dem ich sage: "Genau, das passt wunderbar!" Je öfter man das macht, umso eher weiß er: "Aha, das ist die Bandbreite, in der ich mich bewegen kann." Wenn nun ein Gast unbedingt einen Hummer haben will, dann machen wir den natürlich. Warum sollten wir den nicht machen? Aber ich propagiere den Hummer nicht. Es gibt andere Lokale, die damit groß geworden sind, ich jedoch mache meine regionale Schiene. Aber ich mache das ja nicht primitiv. Ich mache z. B. mittags auch einen Schweinsbraten. Ich nehme meinetwegen einen Schweinebauch und mache einen Krustenbraten daraus. Ich will also den Leuten zeigen, dass es auch mal eine saftige Kruste sein kann, dass es nicht immer so ein Riesenknödel sein muss, weil es ja kleinere Knödel auch gibt. Wenn man heute drei Gänge isst zu Mittag, kann man sich den Magen nicht so voll schlagen. Oder wenn man von einer Kalbshaxe zwei schöne Scheiben serviert bekommt, dann ist das doch eine schöne Sache. Oder eine gefüllte Kalbsbrust oder Kalbsleber oder ein Kalbsbries oder eine Kalbsleber usw. Das sind Dinge, die ansonsten fast schon total von der Speisekarte verschwunden sind. Nur weil da mal ein BSE-Skandal war, ist nun all das verschwunden. Das kann doch nicht sein! Und dabei gibt es doch Leute, die so gerne Innereien essen. Und deswegen kommt das bei mir auf die Karte. Bönte: Sie haben vorhin gerade von "Ihren Jungs" gesprochen. Frauen findet man in großen und bekannten Küchen selten. Woran liegt das? Schuhbeck: Wir haben immer zwei, drei Frauen bei uns in der Küche. Wobei es aber so ist, dass sie sich in der Patisserie wohler fühlen, weil sie für das Dessert und auch für die Vorspeise einfach ein bisschen mehr Geschick haben. An einem so genannten heißen Posten ist es für Frauen in der Tat ein bisschen schwieriger. Woran liegt das? Ich glaube nicht, dass eine Frau schlechter kocht, nein, ganz im Gegenteil. Ich denke, dass es eher daran liegt, dass die Mädels zwischen 20 und 30, wenn sie ein bisschen fesch sind, vom "Markt genommen" werden, weil sie heiraten und Kinder bekommen. Und damit ist diese Zeit, die man in einer Küche verbringen muss, natürlich weg, weil man sich da als Frau um andere Dinge kümmern muss. Ich sehe das als Hauptgrund. Bönte: Gibt es denn richtig gute Köchinnen, so genannte Starköchinnen? Schuhbeck: Ja, in Österreich gibt es z. B. die Frau Maier, die sehr, sehr fleißig ist und das wirklich ganz toll macht. Dann gibt es in Belgien noch eine. Das sind die beiden, die schon länger bekannt sind. In Deutschland hat es mal die Frau Hessler gegeben, die aber leider gestorben ist. Es ist schon schade, dass es bei uns in Deutschland keine Frau wirklich geschafft hat gegen diese Männerriege. Ich glaube nämlich, dass es sehr wohl jeder Mann akzeptiert hätte, wenn auch mal eine Frau – zumal wenn sie vielleicht auch noch ein bisschen fesch wäre – so einen Platz einnimmt. Bönte: Blicken wir noch einmal auf diese Geschichte mit den Sternen. Wie läuft denn eigentlich so ein Test ab? Es gibt ja diesen wunderbaren Film mit Louis de Funès "Brust oder Keule". Läuft das so ab? Ist das wirklich eine so große Geheimnistuerei? Auf was genau wird dabei eigentlich Wert gelegt? Schuhbeck: Es ist so: Man erkennt diese Menschen meistens nicht, denn das sind ja wirklich geschulte Leute. Die setzen sich ja nicht hin und schreiben sofort alles mit. Nein, die setzen sich hin und erkennen wirklich in zwei Minuten, was Sache ist! Der sieht ja alles, was am Nebentisch geschieht usw. Wenn der Kellner dann 20 Mal zu ihm an den Tisch kommt, dann ahnt er wahrscheinlich schon, dass er erkannt worden ist. Aber er schaut eben z. B. auch viel mehr auf die Nachbartische, um zu sehen, wie dort alles abläuft, wie der Gesamtablauf funktioniert. Das fängt bei den Gläsern und beim Besteck und beim Tisch an. Sitzen die Gäste eng zusammen oder ist Platz zwischen ihnen? Gibt es gute Stühle? In erster Linie kommt es natürlich auf die Qualität des Essens an oder auch auf die Auswahl des Weines, ob es z. B. jemanden gibt, der den Gast dabei berät usw. Im Grunde genommen ist das also ein Zusammenspiel von vielen, vielen Dingen. Man sagt ja immer, der oder jener hat seinen Stern wegen des guten Essens bekommen. Ich finde jedoch, da gehören alle zusammen, dazu braucht es ein komplettes Team. Auch die Klofrau gehört mit dazu, wenn ich das mal so direkt sagen darf. Denn wenn man in einem Restaurant auf die Toilette geht, dann weiß man eigentlich eh sofort, ob man in diesem Lokal bleiben oder sofort wieder gehen soll. Bönte: Kommen die Tester dann hinterher zu Ihnen und besprechen mit Ihnen das Ergebnis und was Sie gut oder vielleicht auch schlecht gemacht haben? Schuhbeck: Nachher kommen sie tatsächlich zu mir. Bönte: Ist das unmittelbar nach dem Test? Schuhbeck: Vor einiger Zeit waren bei mir zwei Leute von Michelin. Dort beim Michelin hat ja die Führungsspitze gewechselt: Jetzt ist dort tatsächlich eine Frau die Chefin. Sie wurde eingeführt und aus dem Grund waren sie dann auch mal zum Essen bei mir. Sie haben also ganz normal gegessen und haben sich dann zum Schluss quasi geoutet. Ich habe ihnen dann ein bisschen die Küche und den ganzen Betrieb gezeigt. Das hat diese Leute auch wirklich interessiert. Ich muss da ja gar nicht erst lange nachfragen, ob es ihnen geschmeckt hat oder nicht: Das wissen die schon selbst, dazu brauchen die mich nun wirklich nicht mehr. Nein, man muss ihnen eher die eigene Philosophie erklären: Was macht man, was tut man? Habe ich einen Betrieb, der aus sich selbst heraus leben muss? Muss ich meine Angestellten selbst bezahlen oder habe ich jemanden im Hintergrund, der das macht und dem es egal ist, ob man dabei draufzahlt, weil er dann immer wieder Geld nachschießt. Ich jedoch muss alles selbst finanzieren und deswegen muss ich mir auch die Produkte immer noch selbst aussuchen, muss darauf achten, dass auch die einfachen Produkte in exzellenter Qualität produziert werden. Eine Kartoffelsuppe kann z. B. etwas Wunderschönes sein. Und eine Hummersuppe kann vollkommen in die Hose gehen. Wenn ein Gast z. B. sein ganzes Leben lang auf eine Hummersuppe gewartet hat, sie dann zum ersten Mal probiert und sie ihm dabei nicht schmeckt, dann wird der nie wieder so etwas essen wollen. Ich finde jedenfalls, dass die Tester halt auch nur Menschen sind und so kann es natürlich sein, dass sich der eine oder andere Koch mal ein bisschen auf den Schlips getreten fühlt. Bei mir hat es das auch schon mal gegeben, dass ich gesagt habe: "Schade, da hätte ich mir jetzt aber schon eine andere Bewertung vorgestellt!" Aber mein Gott, es mag einen halt nicht ein jeder. Ein ganz klein wenig, wirklich nur ein ganz klein wenig, zählt eben auch das Verhältnis von Mensch zu Mensch. Auch hier menschelt es halt – oder es menschelt eben nicht. Aber in erster Linie zählt schon die Qualität, die auf den Teller gebracht wird und natürlich auch die Qualität, die der Service bietet. Bönte: Wo holen Sie sich Ihre Ideen und Rezepte her? Schuhbeck: Ich versuche beim Kochen immer sehr geradlinig zu denken. Die italienische Küche ist eine sehr einfache, aber auch eine sehr logische und sonnige Küche. Ich richte die bayerische Küche immer nach Süden aus: Ich versuche das Fett rauszunehmen, mit dem Gemüse viel zu machen, die Jahreszeit einfließen zu lassen usw. Ich versuche solche Sachen wie den Rettich oder die Gurke nicht nur im Salat vorkommen zu lassen. Ich mache also auch mal ein lauwarmes Gurkengemüse, zu dem ich in letzter Sekunde ein wenig Dill oder braune Butter dazugebe. Ich versuche also ein bisschen den Sonnenschein in unsere Bratenküche zu lassen. Man muss ja nicht immer Schweinsbraten machen. Bönte: Fahren Sie auch mal in diese Länder? Schauen Sie sich das vor Ort an, reden dort mit den Köchen? Gut, Sie haben wenig Zeit, aber... Schuhbeck: Ich war vor kurzem mit dem BR in Italien. Diese neue Staffel mit italienischer Hausmannskost kommt im Herbst ins Fernsehen. Dazu waren wir in Neapel, in Venedig usw. Das ist schon interessant, wenn man nach all den Jahren doch immer wieder neue Anhaltspunkte bekommt. Aber immer wieder sieht man: Es ist eigentlich nur Logik! Es geht um das Einfache, das man perfektionieren muss. Wenn man das mal begriffen hat, dann kann man mit nur drei Produkten wie die Italiener, also mit Nudeln, mit Basilikum und gutem Olivenöl etwas ganz Tolles zaubern. Bönte: Wo gehen Sie denn zum Essen hin, wenn Sie mal woanders essen wollen? Es fühlt sich natürlich jeder geehrt, wenn Sie zum Essen kommen, das ist klar. Gehen Sie da eher in Gaststätten, die in Ihre Richtung gehen? Oder gehen Sie da chinesisch essen oder vietnamesisch usw.? Schuhbeck: Ich respektiere grundsätzlich die Küche eines jeden Landes. Man kann überall etwas lernen. Mittlerweile habe ich ja diesen Gewürztick und deswegen in München auch einen Gewürzladen eröffnet... Bönte: Warum? Schuhbeck: Weil mir das, was es an Gewürzmischungen auf dem Markt gibt, nicht gefällt. Da steht dann hinten drauf: "Inhalt: Glutamat, Geschmacksverstärker, Säuremittel, E 100xy usw." Das will ich alles nicht. Wenn man den Geschmack verstärken muss, dann heißt das, das man schwache Qualität hat. Wenn man in eine Mischung hohe Qualität gibt, dann muss man sie nicht verstärken. Ich gebe auch kein Salz hinein, denn ich finde, die Leute sollen selbst salzen. Es gibt ja auch Leute, die überhaupt nicht so viel salzen wollen. Und früher wurde das Gewürz ja auch oft als Salzersatz genommen, damit man einen anderen Geschmack der Speisen bekommt. Ich baue meine Gewürzmischungen auch anders auf als bei den handelsüblichen Gewürzmischungen. Ob das immer richtig ist, ist eine andere Frage, das gebe ich schon zu. Aber ich greife halt einfach auf meinen Wissensfundus aus nunmehr fast 40 Jahren Berufserfahrungen zurück und versuche ihn umzusetzen. Ich habe mir z. B. eigens einen Inder eingestellt: Der ist ein ganz Großer im Gewürzmischen! Er hat z. B. sechs verschiede Currys für mich gemacht. Ich habe mir auch jedes einzelne Gewürz von ihm erklären lassen, damit ich das selbst auch verstehe, damit ich in diese Welt hineinwachsen kann. Ich stelle jetzt auch einen Marokkaner ein, der mir diese marokkanischen Mischungen macht. Ich habe auch jemanden in der Karibik sitzen, mit dem ich zusammenarbeite. Ich will das nämlich alles verstehen: Warum ist dort die Küche so spicy? Klar, man muss dort so spicy essen, weil es dort anders als bei uns viele, viele ungesunde Bakterien im Essen und um Umfeld des Essens gibt. Bei uns muss man daher ein bisschen runtergehen mit dem "spicy". Wenn es in so einem Land nur heiß ist, dann kann man natürlich beim Essen "spicy" viel besser vertragen als bei uns, wo es 300 Tage im Jahr regnet. Also muss ich das scharfe Gewürz, muss ich den Chili bei uns ein bisschen runterdrehen. Und dann leben ja auch die anderen Gewürze neben dem Chili viel länger. Ich gebe z. B. in den Curry auch Vanille hinein. Niemand sonst gibt Vanille hinein, weil Vanille viel zu teuer ist. Aber Vanille wirkt nun einmal wie ein Ko-Enzym auf andere Gewürze: Es baut sie auf, es macht sie kräftiger, es macht sie geschmeidiger. Vanille rundet also die Gewürze und schmiegt sie ineinander. Und dann lasse ich ja auch meine Gewürze immunologisch auf einer Zelle testen: Wie wirken diese Gewürzmischungen im menschlichen Körper? Das macht ansonsten niemand. In diese Richtung will ich weitergehen. Bönte: Arbeiten Sie dabei auch mit Medizinern zusammen? Schuhbeck: Ja, ich arbeite mit einem Immunologen zusammen, der das an die Charité in Berlin schickt, wo alles getestet wird. Ich lasse diese Dinge also erst raus, wenn ich ein bisschen Sicherheit habe, dass das alles auch in Ordnung ist. Manchmal muss ich ein Gewürz daher auch wieder rausnehmen, weil es ein anderes Gewürz vollkommen "erniedrigt". Man muss also darauf achten, welches Gewürz mit welchem anderen Gewürz gut kann. Das ist wie bei den Menschen: Die einen können es miteinander und die anderen eben nicht. Bönte: Ist Deutschland eigentlich so etwas wie ein Gewürzentwicklungsland? Schuhbeck: Diese Frage würde ich mit Ja beantworten. Je mehr fremde Leute aber in unser Land kommen, umso "würziger" wird nicht nur das Bild in der Öffentlichkeit, sondern umso würziger wird auch das Essen bei uns und umso mehr werden auch Gewürze wieder eine Rolle spielen. Denn früher hat man ja z. B. für einen Sklaven drei Pfefferkörner bezahlt: Daran sieht man, wie wertvoll Gewürze waren. Deswegen ist es für mich sehr wichtig, ganz, ganz gute Gewürze zu bekommen und nicht irgendwelchen Schrott. Bönte: Gibt es denn überhaupt noch so etwas wie die typisch deutsche, die typisch bayerische Küche? Oder sind mittlerweile nicht doch sehr viele andere Einflüsse in diese Küche mit eingeflossen? Schuhbeck: Ich denke so: Wenn man einen Schweinsbraten macht, dann sollte man ihn wirklich bayerisch und mit bayerischen Zutaten machen. Ich gebe in den Schweinsbraten nur ein fremdes Gewürz mit hinein, das dem Körper wahnsinnig gut tut: Das ist der Ingwer. Ich gebe also eine oder zwei Scheiben Ingwer mit in die Soße hinein, damit diese Soße, die ja etwas fetter ist, mühelos verdaut wird. Der Ingwer ist nämlich ein Gewürz, das es mit jedem anderen Gewürz kann: Er hilft jedem Gewürz zur Entfaltung zu kommen. Er ist also nie zu stark und verdrängt die anderen Gewürze. Aber das ist das Einzige und so etwas darf man natürlich nicht überdosieren. Nein, man muss einfach andere heimische Gewürze verwenden wie den Majoran, den Kümmel oder die Zitronenschale, die in die Soße ein bisschen Fruchtigkeit bringt. Ich gebe diese Sachen aber alle erst in den letzten zehn Minuten hinein, denn dadurch aktivieren sich die Gewürze. Sie helfen einem, die doch etwas fettige Soße – und Fett ist nun einmal ein Geschmacksträger – besser zu verdauen, obwohl die Geschmacksträger voll zur Wirkung kommen. Die Gewürze sorgen also dafür, dass das, was man isst, nicht nur gut schmeckt, sondern sich auch gut verdauen lässt. Früher war bei den Franzosen die klassische Soße zur Ente und zur Gans, die ja die fetteste Soße überhaupt ist, eine Senfkörnersoße. Denn das Senfkorn hilft der Leber extrem gut beim Verdauen von fetten Dingen. Das ist heute alles vergessen. Wenn man die Leute fragt, warum ein Apfel in eine Gans oder in eine Ente hineinkommt, dann sagen sie meistens: "Weil das meine Oma schon so gemacht hat und die Oma hatte das von der Uroma!" In Wirklichkeit ist es aber so, dass das von der Klostermedizin kommt: Die Klostermedizin hatte nämlich festgestellt, dass man sich dann, wenn man zur Ente oder zur Gans einen Bratapfel isst, einfach wohler fühlt. Heute weiß man eben auch wissenschaftlich, dass der Apfel sehr viel Pektin hat und Pektin hilft einem dabei, schwer verdauliche Dinge besser verdauen zu können. Bönte: Haben Sie auch so etwas wie Trend-Scouts, also Leute, die für Sie auf der Suche sind nach Gewürzen, nach Rezepten, nach neuen Ideen? Sie haben ja schon über 20 Bücher geschrieben und ich denke, da folgen auch noch einige. Wo kommen also Ihre ganzen Ideen her? Woher nehmen Sie sich die Zeit dazu? Schuhbeck: Ja, das ist eine gute Frage. Aber es gibt einfach Dinge, die sind wertvoll. Und es gibt Dinge, die sind noch wertvoller. Man muss also wählen: Was ist mir wertvoller? Und das andere muss man dann eben ein wenig hintanstellen. Jeder Mensch hat ja "geistige Kakerlaken" an sich herumkrabbeln: Von denen muss man sich aber lösen. Und man muss schauen, dass man sich mit Menschen abgibt, die einem dabei helfen. Es gibt ja auch diesen Spruch: Sage mir, mit wem du umgehst und ich sage dir, wer du bist! Genauso muss man eben darauf achten, dass man sich in seinem beruflichen Umfeld mit guten Leuten umgibt. Manchmal lernt man solche Leute auch nur per Zufall kennen. Neulich war z. B. ein Hautarzt bei mir und hat zu mir gesagt: "Ich habe hier und dort Ihre Gewürzmischungen ausprobiert. Ich könnte Ihnen da mal einen Tipp geben!" Ich habe mir natürlich gedacht: "Das ist toll, dieser Hautarzt kann mir da z. B. im Zusammenhang mit Allergien weiterhelfen!" So kommen Leute auf mich zu, mit denen ich nie gerechnet hätte. Ich habe gar nicht gewusst, dass es die überhaupt gibt, dass sie sich für solche Sachen überhaupt interessieren. Aber die Gewürze haben halt tatsächlich eine unglaubliche Bandbreite und Anziehungskraft. Momentan schießen ja bei uns gerade diese Schokoladenläden wie Pilze aus dem Boden. Ob sie bei uns diesen Erfolg wie in Frankreich haben werden, ist natürlich eine andere Frage. Meiner Ansicht nach wird es bei den Gewürzen und den Gewürzläden noch zwei Jahre dauern, bis der Respekt und das Denken vorhanden ist, dass die Gewürze etwas ganz Wichtiges sind. Ich lasse bei mir im Laden die Leute die Gewürze ja auch selbst schaufeln: Ich habe sie also nicht nur bereits verpackt, sondern ich habe auch 30 kleine Fächer, in die sie mal hineinriechen können. Da können sie dann selbst abfüllen, ob sie fünf, zehn oder 20 Gramm nehmen. Ich möchte also, dass sich der Gast quasi selbst an dieses Thema heranführt, dass er selbst diesen Geruch in die Nase bekommt und sich sagt: "Mein Gott, das möchte ich mal ausprobieren!" Bönte: Ich habe das Gefühl, dass man die deutsche Nase dafür erst noch öffnen muss. Da ist vielleicht sogar noch Angst vorhanden oder eben auch nur Faulheit, sich damit zu beschäftigen. Wenn man in die türkischen Viertel in Berlin – und auch in München – geht, dann riecht man dort diese Gewürze sofort. Auch im Orient ist es so. Bei uns jedoch ist das überhaupt nicht anzutreffen. Schuhbeck: Das stimmt, das gibt es bei uns nicht. Bei uns macht man darum fast schon einen Bogen, weil man denkt: "Ach, da gehe ich jetzt nicht hinein, davon habe ich eh keine Ahnung." Aber diese Türe muss man einfach öffnen. Die Leute interessieren sich ja für Gewürze, aber sie gehen dabei einen Meter vor und gleich wieder zwei Meter zurück. Diese Schleuse muss man daher einfach besser öffnen. Man muss ihnen nahe bringen, wie wichtig das ist, wie wichtig das für den eigenen Körper ist, damit man sich wohl fühlt. Wenn heute jemand beim Essen war und hinterher sagt: "Ich weiß nicht, mich drückt es hier und dort, mir ist so schlecht. Wo kommt das her?", dann liegt es mit Sicherheit daran, dass das Essen falsch gewürzt war. Bönte: Sie machen ja auch bei uns im Bayerischen Fernsehen Ihre Sendungen: Das Fernsehen ist also schon auch das Medium für Sie, in dem Sie Ihre "Gewürzmission" vorantreiben können. Schuhbeck: Ja, ich kann das immer ein bisschen mit einfließen lassen: z. B. mit meinen Gewürzmühlen. Die meisten Menschen ziehen z. B. beim Fenchel die Nase hoch und sagen: "Nein, Fencheltee mag ich überhaupt nicht!" Aber so jemanden sollte man den Fenchel in einer Mühle reiben und auf gebratenen Fisch geben. So jemand wird ausflippen und sagen: "Ab morgen ist der Fenchel mein Lieblingsgewürz!" Aber man darf den Leuten nie vorher sagen, was da auf dem Fisch ist, denn sonst würde es ihm bestimmt nicht mehr schmecken. Man muss die Leute auf dem Gebiet fast schon austricksen. Ich finde diese Sache mit den Gewürzen und den Gewürzmischungen jedenfalls ganz toll und spannend. Der Fenchel kann es z. B. ganz gut mit dem Wacholder. Normalerweise würde man ja nie Fenchel und Wacholder zusammengeben, aber auf Fisch ist das eine ganz tolle Kombination. Bönte: Wann haben Sie denn entdeckt, dass Sie ein wirklich hervorragender Fernsehkoch sind, und Sie all das so wunderbar rüberbringen können? Schuhbeck: Ich glaube eher, dass das meine Entdecker waren. Zu denen gehört auch der Herr Kilian, der mich damals sehr geformt hat und immer zu mir gesagt hat: "Ich soll ein bisschen runterdrehen." Denn man überdreht ja eigentlich immer bei so was. Man steht da vor der Kamera und meint, man müsse jetzt in zehn Sekunden alles rauslassen. Das geht nicht. Er hat mich immer dazu angehalten, dass ich vor der Kamera normal bin. Aber genau das ist natürlich die Schwierigkeit: dass man sich so gibt, wie man wirklich ist und kein anderes Gesicht präsentiert als das, das man eigentlich hat. Ich kann schon sagen, dass ich aufgrund der vielen, vielen Sendungen natürlich etwas reifer geworden bin. Ich habe jetzt das Glück, dass ich das mit dem Elmar Wepper, also mit einem Vollprofi machen darf. Der steht neben mir und es ist toll: Er zwinkert zwei Mal mit den Augen und man glaubt, da hat jemand im Hintergrund einen doppelten Rittberger gemacht. Wenn jemand neben mir steht, der das wirklich gerne macht, dann beruhigt mich diese Person. Denn im Grunde genommen ist es ja so, dass man alles diesem Menschen neben einem erklärt. Irgendwann sieht man die Kamera tatsächlich gar nicht mehr. Wenn diese bestimmten Schwingungen aufkommen, dann ist das natürlich super. Und mit dem Elmar klappt das halt einfach. Bönte: Gibt es für Sie ein Lieblingsgericht? Schuhbeck: Ich bin eher jemand, der im Biergarten gerne Brotzeit macht. Ich bin wirklich eher ein Brotzeit-Macher. Wenn man Brotzeit macht, finde ich, dann hat man keinen Stress. Man braucht nur eine gescheite Brotzeit dafür. Alle sitzen um den Tisch herum und können miteinander ratschen. Und es ist bei uns ja schon ein wenig verloren gegangen, dass man sich gegenseitig auch wirklich ansieht, dass man redet miteinander, dass man sich gegenseitig respektiert. Bei der Brotzeit nimmt man das Glas in die Hand und prostet jemand anderem zu und trinkt einen Schluck. Das kann vieles lösen bei den Menschen, auch die Scheu, miteinander zu sprechen. Man muss sich ja keinen Rausch antrinken, aber wenn man so ein bisschen was getrunken hat, dann geht das sehr, sehr gut. Ich merke, dass solche Dinge heute wieder mehr aufkommen: Auch junge Leute gehen heute wieder gemeinsam fort und leisten es sich, gemeinsam zum Essen zu gehen und sich einen schönen Abend zu machen. Das ist also eine ganz gute Entwicklung. Bönte: Gibt es eigentlich auch Hobbys, die Sie pflegen? Schuhbeck: Das einzige Hobby, das ich seit meinem 13. Lebensjahr habe, besteht darin, dass ich meinen Körper mal so entwickeln kann, wie man das auf diesen Statuen sehen kann. So hat halt jeder seinen Spleen. Als ich dann letztes Jahr mal 126 Kilo gehabt habe, habe ich mir gesagt: "So, jetzt ist Schluss! Jetzt muss sich das ändern!" Ich habe durch Glück jemanden gefunden, der Osteopath ist und selbst Bodybuilder war: Mit dem trainiere ich jetzt drei, vier Mal in der Woche in der Nacht von ein Uhr bis drei Uhr. Ich mache das immer erst nach der Arbeit, weil ich das während des Tages nicht machen kann: Dazu muss man gedanklich einfach frei sein. Damit habe ich jetzt schon 17 Kilo verloren. Ich versuche also so langsam diesen unförmigen Körper in Form zu bringen. Denn meistens ist es ja in meinem Alter umgekehrt: Man wird immer fetter. Ich habe mir jedoch gedacht: "So, die nächsten vier Jahre gebe ich da jetzt mal richtig Gas und schau, was normalerweise aus einem Körper wie dem meinen herauszuholen ist." Ich bin ja eher ein Sprintertyp und kein Langläufer. Ich könnte nie im Leben 40 Kilometer weit laufen: Ich würde wahnsinnig werden dabei. Nein, ich möchte das kompakt, gebündelt in eineinhalb Stunden machen. Wenn ich dann nach Hause fahre, dann bin ich fitter als in dem Moment, in dem ich losgefahren bin. Bönte: Das Problem ist natürlich, dass Sie einen Beruf haben, in dem man ständig mit Essen und Lebensmitteln und Trinken und Süßigkeiten zu tun hat. Da braucht es schon einen starken Willen. Schuhbeck: Ja, das stimmt, aber diese Disziplin habe ich. Als ich damit angefangen habe, musste ich ja zuerst einmal meinen geistigen "Muskelkater" überwinden, sodass ich körperlich bereit war, das zu machen. Denn im Grunde genommen hat doch jeder schon mal eine Diät gemacht, die überhaupt nichts genützt hat. Man hat sich in zehn Jahren eine Wampe zugelegt, aber in 14 Tagen soll sie wieder verschwinden. Das kann nicht funktionieren! Dieses Fett ist nämlich zäh! Natürlich geht das Gewicht schneller wieder nach unten, wenn man diszipliniert ist. Ich muss ja nicht fünf Löffel Kartoffelsalat essen, um nach 40 Jahren Kochen herauszufinden, ob er mir schmeckt oder nicht. Nein, es reicht ja ein kleiner Löffel, um sagen zu können: "Da gehört noch ein bisschen Salz oder Essig oder Senf dazu!" Bönte: Was steht denn als nächstes Projekt an? Ein neues Kochbuch? Schuhbeck: Ja, ein neues Kochbuch steht auch an. Ich mache ja jetzt ein Kochbuch zusammen mit dem F.C. Bayern. Das wollten wir eigentlich schon vor ein paar Jahren machen, aber jetzt ist es endlich abgesegnet worden. Das wird ein wenig in die Fitnessrichtung gehen. Aber auch dort gehört der Schweinsbraten mit hinein. Der gehört für mich zur Ernährung einfach mit dazu. Es geht nämlich immer um die Dosierung. Das eine Glas Bier, das eine Glas Wein, das, was einem schmeckt, dosiert gegessen, so bleibt man ewig gesund. Und dann braucht man eben auch noch die richtige Einstellung dort oben, nämlich im Kopf. Bönte: Herr Schuhbeck, vielen herzlichen Dank. Schuhbeck: Ich danke Ihnen. Bönte: Verehrte Zuschauer, das war unser BR-Forum mit Alfons Schuhbeck, dem Starkoch, Buchautor und Moderator bei uns im Fernsehen. Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihr Interesse, auf Wiedersehen.

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