Die Pds in Turbulenten Zeiten Das Erste Jahr Der Partei Des Demokratischen Sozialismus 27
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Jochen Weichold DIE PDS IN TURBULENTEN ZEITEN DAS ERSTE JAHR DER PARTEI DES DEMOKRATISCHEN SOZIALISMUS 27 MANUSKRIPTE NEUE FOLGE ROSA LUXEMBURG STIFTUNG Die PDS in turbulenten Zeiten Das erste Jahr der Partei des Demokratischen Sozialismus Jochen Weichold DIE PDS IN TURBULENTEN ZEITEN DAS ERSTE JAHR DER PARTEI DES DEMOKRATISCHEN SOZIALISMUS Rosa-Luxemburg-Stiftung IMPRESSUM MANUSKRIPTE – Neue Folge wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und erscheint unregelmäßig V. i. S. d. P.: Alrun Kaune-Nüßlein Franz-Mehring-Platz 1 · 10243 Berlin · www.rosalux.de ISSN 2194-864X · Redaktionsschluss: August 2020 Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin Layout/Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling INHALT Die PDS in turbulenten Zeiten 7 Das erste Jahr der Partei des Demokratischen Sozialismus Die unmittelbare Vorgeschichte der PDS 7 Der Außerordentliche Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989 9 Auflösung oder Erneuerung der SED/PDS? 13 Der 1. Parteitag der PDS im Februar 1990 20 Die PDS-Fraktion in der 10. Volkskammer der DDR 27 Innerparteiliche Gruppierungen in der PDS 31 Die PDS auf dem Weg zur deutschen Einheit 36 Die PDS und die Bundestagswahl 1990 49 Aufbau und Struktur der PDS 58 Die Mitgliederentwicklung der PDS 60 Zur Sozialstruktur der Mitglieder und Wähler*innen der PDS 61 Internationale Kontakte der PDS 62 Fazit 64 Ausblick 66 Anhang 85 1 Zeittafel zur Geschichte der Partei des Demokratischen Sozialismus vom Dezember 1989 bis Dezember 1990 85 2 Zusammensetzung des Arbeitsausschusses zur Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitages der SED 90 3 Parteitage der PDS 90 4 Zusammensetzung des Parteivorstandes der PDS 90 5 Zusammensetzung des Präsidiums des Parteivorstandes der PDS 96 6 Leiter der Kommissionen beim Parteivorstand der PDS 96 7 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED bzw. der SED/PDS (Stand: Dezember 1989) 97 8 Mitgliederentwicklung und Mitgliederstruktur der PDS 98 9 Wahlergebnisse der PDS bei der Volkskammerwahl im März 1990 und bei der Kommunalwahl im Mai 1990 100 10 Wahlergebnisse der PDS bei den Landtagswahlen im Herbst 1990 im Vergleich zur Volkskammerwahl im März 1990 und zur Kommunalwahl im Mai 1990 102 11 Wahlergebnisse der PDS bzw. PDS/LL bei der Bundestagswahl 1990 103 12 Abgeordnete der PDS in der 10. Volkskammer der DDR 107 13 Abgeordnete der PDS im 11. Deutschen Bundestag 109 14 Abgeordnete der PDS im 12. Deutschen Bundestag 109 15 Auswahlbibliografie 110 Jochen Weichold DIE PDS IN TURBULENTEN ZEITEN DAS ERSTE JAHR DER PARTEI DES DEMOKRATISCHEN SOZIALISMUS Drei Jahrzehnte nach der Implosion des sogenannten real existierenden Sozialismus in Europa und dem Ende der Blockkonfrontation, nach der Wende in der Deut- schen Demokratischen Republik (DDR) und dem Beitritt der DDR zur Bundes- republik Deutschland (BRD) sind die Geschehnisse von damals Gegenstand von Vorträgen und Publikationen, von Podiumsdiskussionen und Talkshows. Bei der Bewertung der Ereignisse gehen die Einschätzungen der Beteiligten sowie die von Fachhistoriker*innen, Politikwissenschaftler*innen und Journalist*innen weit aus- einander. In diesen Kontext gehören auch die Entstehung der Sozialistischen Ein- heitspartei Deutschlands – Partei des Demokratischen Sozialismus (SED/PDS) im Dezember 1989 und das erste Jahr der Entwicklung der PDS in jenen turbulenten Zeiten. Diesem Gegenstand widmen sich die nachstehenden Ausführungen.1 Die unmittelbare Vorgeschichte der PDS Die Götterdämmerung des sogenannten real existierenden Sozialismus in Europa hatte bereits längere Zeit vor dem Herbst 1989 eingesetzt. Die sichtbarsten Zeichen waren die aus den Verhandlungen am Runden Tisch hervorgegangene erste bürgerli- che Regierung unter Premier Tadeusz Mazowiecki in Polen und das Loch im Zaun in der ungarisch-österreichischen Grenze, das es vielen DDR-Bürger*innen ermöglichte, über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland zu flüchten. Hellsichtig schrieb im Frühsommer 1989 der «heimliche Parteichef» der Grünen und spätere deutsche Außenminister, Joschka Fischer: «Der Kapitalismus hat gewonnen, der Sozialismus hat verloren.»2 Die Situation in der DDR spitzte sich ab dem Sommer 1989 zu, als einerseits bis zum Herbst des Jahres Zehntausende DDR-Bürger*innen aus Enttäuschung über ausbleibende Veränderungen über die Botschaften der BRD in Prag, Budapest und Warschau sowie über die im September geöffnete ungarisch-österreichische Grenze in 7 den Westen flüchteten. Andererseits formierten sich Bürgerbewegungen und fanden ab September 1989 die sogenannten Montagsdemonstrationen in Leipzig und in an- deren Städten immer größeren Zulauf. Deren Teilnehmer*innen forderten zunächst unter Skandieren der Parole «Wir bleiben hier» und dann unter der Losung «Wir sind das Volk» demokratische Reformen in der DDR. Höhepunkt wurde die Großde- monstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz in Berlin mit weit über 500.000 Menschen, auf der insbesondere die Forderung nach Reise-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit erhoben wurde.3 Im Wende-Herbst 1989 kam damit die SED-Führung immer stärker unter Druck – unter den der Bevölkerung insgesamt, aber auch unter den der eigenen Parteibasis.4 Mit der Grenzöffnung am 9. November versuchte die SED-Führung, Druck aus dem Kessel zu nehmen. An der Parteibasis wurde angesichts der aufgestauten Probleme in der DDR und des jahrelangen Abblockens von Perestroika und Glasnost durch die Honecker-Riege zunächst die Forderung nach einer Parteikonferenz und dann nach einem Außerordentlichen Parteitag erhoben. Man stellte die bisherige Parteiführung infrage und forderte sie zum Rücktritt auf. Schrittweise und zögerlich dem Drängen der Basis nachgebend, beschloss das Zentralkomitee (ZK) der SED auf seiner 10. Ta- gung vom 8. bis 10. November 1989, eine 4. Parteikonferenz der SED für die Zeit vom 14. bis zum 17. Dezember 1989 einzuberufen. Nachdem bereits am 8. Novem- ber 1989 auf einer Kundgebung vor dem ZK-Gebäude 50.000 Berliner SED-Mitglie- der die Einberufung eines Außerordentlichen Parteitags gefordert hatten, demonst- rierten in den Abendstunden des 10. November 1989 im Berliner Lustgarten mehr als 150.000 Mitglieder der SED unter der Losung «Wir sind die Partei». Sie traten dafür ein, die anstehenden Veränderungen mit der Autorität eines Parteitages mit neu zu wählenden Delegierten zu beraten und zu beschließen.5 Am 12. November 1989 lenkte dann das Politbüro des ZK der SED ein und gab der Forderung nach Einberu- fung eines Außerordentlichen Parteitages statt. Der Parteiapparat verlor die Kontrolle über die Partei, Zerfallserscheinungen der Parteiorganisationen und Tendenzen der Selbstauflösung der Partei nahmen zu.6 Schließlich traten am 3. Dezember 1989 das Politbüro und das ZK der SED zurück. Die Abdankung des Politbüros und des ge- samten Zentralkomitees der SED inkludierte auch den Rücktritt von Egon Krenz als Generalsekretär des ZK der SED, der erst am 18. Oktober 1989 Erich Honecker in dieser Funktion abgelöst hatte. Die Ereignisse im Herbst 1989 waren mit einem rapiden Macht- und Bedeutungs- verlust der Staatspartei SED verbunden,7 der auch von der Neuformierung der Partei als SED/PDS und dann als PDS nicht mehr aufgehalten werden konnte.8 Am 1. De- zember 1989 strich die Volkskammer der DDR die «führende Rolle» der SED aus der Verfassung. Die Blockparteien, die erst Mitte November 1989 in die Koalitions- regierung Modrow eingetreten waren, emanzipierten sich zunehmend von der SED. Am 4. Dezember 1989 trat die Christlich-Demokratische Union (CDU) aus dem Demokratischen Block aus, einen Tag später folgten die Liberal-Demokratische Partei 8 Deutschlands (LDPD) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) und schließlich am 7. Dezember die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD). Am 6. Dezember 1989 trat Egon Krenz als Staatsratsvorsitzender und Vor- sitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR zurück. Am 7. Dezember 1989 kam erstmals nach polnischem Vorbild der Zentrale Runde Tisch zusammen, dessen Anspruch zunächst lediglich darin bestand, die Regierung zu kontrollieren.9 Gleichzeitig begannen die staatlichen Strukturen der DDR zu zerbrö- seln.10 Fortgesetzte Enthüllungen über Amtsmissbrauch und Korruption führender Partei- und Staatsfunktionäre führten zu ihrer Legitimationskrise. Der Versuch der Koalitionsregierung Modrow (seit Mitte November 1989 im Amt),11 das aus dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR hervorgegangene Amt für Natio- nale Sicherheit (AfNS) in einen Verfassungsschutz und in einen Auslandsnachrich- tendienst aufzuspalten und somit einen Geheimdienst aufrechtzuerhalten (statt ihn aufzulösen), stieß auf starken Widerstand. Er scheiterte Mitte Januar 1990.12 Die Macht verlagerte sich von der Regierung Modrow zum Zentralen Runden Tisch («Phase der Doppelherrschaft»). Im Bemühen, die Situation in der DDR zu stabilisieren, gelang es Hans Modrow am 5. Februar 1990, je einen Vertreter von acht oppositionellen Gruppen des Zentralen Runden Tisches als Minister ohne Ge- schäftsbereich in seine «Regierung der nationalen Verantwortung» aufzunehmen und so die auf den 18. März 1990 vorgezogenen Wahlen zur Volkskammer der DDR zu sichern,13 wobei der Zentrale Runde Tisch damit exekutive Aufgaben übernahm.14 In einem knappen halben Jahr mutierte die omnipotente Staatspartei SED in einer äußerst dynamischen Zeit zunächst zu einer bloßen Regierungspartei und mit den Märzwahlen 1990 zur Oppositionspartei.15 Der Außerordentliche Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989 Auf den von Heinz Vietze aus Potsdam vorgetragenen