Josef Vogl: Verhaftet Wegen Spionage Und Antisowjetischer Propaganda
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DÖW DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES FOLGE 212 Mitteilungen AUGUST 2013 VERHAFTET WEGEN SPIONAGE UND ANTISOWJETISCHER PROPAGANDA DÖW-Forschungsprojekt über österreichische Opfer der stalinistischen Repressionen Die jüngste DÖW-Publikation „Ein Paragraf wird sich finden“. Gedenkbuch der österreichischen Stalin-Opfer (bis 1945) von Barry McLoughlin und Josef Vogl wurde am 19. Juni 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dokumentiert sind hier die Lebenswege von 769 Ös- terreicherInnen, die bis Kriegsende 1945 von der stalinistischen Verfolgung in der Sowjetunion betroffen waren. In Vorbereitung ist ei- ne Datenbank mit Angaben zu den bisher ermittelten Opfern, die auf der Website des DÖW abrufbar sein wird. DÖW-Mitarbeiter und Ko-Autor Josef Vogl beschreibt Projekt und Publikation. In den 1920er- und 1930er-Jahren lebten Nicht berücksichtigt wurden Kriegsgefan- Überfalls auf die Sowjetunion, einen wei- Tausende Österreicher in der Sowjetunion: gene des Zweiten Weltkriegs und jene ös- teren Höhepunkt; unter den an diesem Tag Ehemalige Kriegsgefangene blieben frei- terreichischen Juden, die als Opfer der so- verhafteten „Deutschen“ befanden sich willig und gründeten eine Familie. In den genannten Nisko-Transporte 1939 in das 30 Österreicher. Jahren der Weltwirtschaftskrise emigrier- „Generalgouvernement“ deportiert wur- Einen Sonderfall stellen vier noch vor ten zahlreiche Arbeitslose in die Sowjet- den und dort über die Grenze in die So- Kriegsende 1945 auf österreichischem union, Techniker und Ingenieure wurden wjetunion flüchteten oder von der SS über Staatsgebiet verhaftete NKVD-Mitarbei- von sowjetischer Seite sogar aktiv ange- die Grenze gejagt wurden. terInnen dar: Ernst Kernmayer, Gregor worben. Kommunistische Funktionäre Verhaftungen von Österreichern in der Kersche, Hildegard Mraz und Aloisia wurden von der Partei zu Schulungszwe- Sowjetunion gab es in den 1920er-Jahren Soucek waren als sowjetische Agenten cken nach Moskau entsandt. Einige Kom- nur in Einzelfällen. Als 1935 die Verfol- 1943 ins Deutsche Reich eingeschleust munisten ließen sich von sowjetischen gung von Ausländern im großen Stil be- worden. Sie fielen der Gestapo in Wien in Geheimdiensten anwerben und brachten gann, waren auch 32 Österreicher betrof- die Hände, überlebten aber die Haft. Nach sich, als sie Aufdeckung befürchteten, in fen. Das Gros der Verhaftungen entfiel je- der Befreiung Wiens meldeten sie sich der Sowjetunion – wie sie dachten – in Si- doch auf die Zeit des Großen Terrors, als zum Dienst bei der Roten Armee. Wegen cherheit. Schließlich flüchteten nach dem 1937/38 fast 500 Österreicher verhaftet „Landesverrats“ wurden sie zur Zwangs- Februar 1934 etwa 750 Schutzbündler wurden. Die Verhaftungswelle erreichte arbeit verurteilt und in den Gulag depor- über die Tschechoslowakei in die Sowjet- am 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen tiert. Ernst Kernmayer und Hildegard union. Das vom Zukunftsfonds und vom Jubi- läumsfonds der Nationalbank unterstützte Forschungsprojekt des DÖW behandelt Barry McLoughlin / Josef Vogl das Schicksal jener ÖsterreicherInnen, die „... Ein Paragraf wird sich finden“ bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion Opfer der stalinistischen Gedenkbuch der österreichischen Repressionen wurden, indem sie verhaftet, Stalin-Opfer (bis 1945) gefoltert, in Zwangsarbeitslager eingewie- sen oder erschossen wurden. Erfasst wur- Mit einem Vorwort von den Personen, die einen engen Bezug zum Bundespräsident Heinz Fischer Staatsgebiet der Ersten Republik hatten, auch wenn einige formal nicht österreichi- Dokumentationsarchiv des sche Staatsbürger waren. österreichischen Widerstandes Festgestellt wurden bisher 769 Fälle von Verhaftungen, 185 davon betrafen Schutz- Wien 2013, 622 Seiten bundemigranten. Die zahlenmäßig größte EUR 24,50 Opfergruppe sind die 221 Wirtschaftsemi- granten. 89 Personen gelangten als KP- ISBN 978-3-901142-62-8 Anhänger in die Sowjetunion. Unter den erfassten Verhafteten waren 65 Frauen. 2 Mitteilungen 212 Mraz konnten nach dem Tod Stalins nach Österreich zurückkehren. Auch Gregor Kersche überlebte seine zehnjährige Gu- laghaft, während Aloisia Soucek 1948 in einem Lager in der Republik Komi (im Gregor Kersche und Nordosten des europäischen Teiles der Hildegard Mraz (rechts) über- Sowjetunion) zugrunde ging. lebten die Gulaghaft. Aloisia Meist wurden die Verhafteten mit dem ab- Soucek (unten) starb 1948 in surden Vorwurf der „Agententätigkeit“ für einem sowjetischen Lager. Österreich, Deutschland oder fallweise an- Fotos rechts: Wiener Stadt- und dere Länder konfrontiert, der in keinem Landesarchiv einzigen Fall belegt ist. Oft wurde zusätz- Foto unten: Staatsarchiv der lich der Vorwurf der „antisowjetischen Russischen Föderation (GARF) Agitation“ erhoben, wofür schon die ge- ringste – praktisch immer gerechtfertigte – Kritik am System ausreichte, wenn sich ein Denunziant fand. Etwa ein Drittel der Verhafteten wurde zum Tode verurteilt und erschossen, mehr als 80 weitere Ös- terreicher kamen in der Haft ums Leben. Von den zu Zwangsarbeit im Gulag verur- teilten Häftlingen überlebten 82 ihre Frist, was aber nicht immer volle Freiheit be- deutete: während des Zweiten Weltkriegs wurden kaum Häftlinge freigelassen. Wer nach Kriegsende endlich freikam, wurde nicht selten mit Aufenthaltsverbot in gro- ßen Städten belegt oder lebenslang nach auf den Bündnispartner spielten die kana- Sibirien verbannt. An die 100 Verhaftete dischen Behörden nicht mit und lieferten wurden nach oft jahrelanger Untersu- die vier verhinderten Agenten an die Sow- chungshaft freigelassen und in der Folge jetunion aus. Die Sonderberatung, ein meist ausgewiesen. 92 Personen wurden außergerichtliches Organ, fällte ein für die nach dem Hitler-Stalin-Pakt aus der Un- damaligen Verhältnisse eher mildes Urteil: tersuchungshaft oder dem Straflager ent- Das vor Kurzem erschienene Gedenkbuch zehn Jahre Lagerhaft wegen „Landesver- lassen und an die Gestapo ausgeliefert, da- der österreichischen Stalin-Opfer „... Ein rats“. Dass keiner der vier sowjetischer runter waren auch Juden und Kommunis- Paragraf wird sich finden“ enthält eine Staatsbürger war, ließ man außer Acht. ten. ausführliche Einleitung über Politik und Wilhelm Wagner und Albin Mayr kehrten Wirtschaft der Stalin-Ära (bis 1945) und später nach Österreich zurück. Hildegard Dass die Urteile politisch bedingt waren, geht auf Ursachen, Verlauf und Opfer des Wagner blieb freiwillig in der Sowjet- beweist auch die noch vor dem 20. Par- Terrors ein. Umfangreichere Beiträge sind union und Anton Barak starb 1944 im teitag der KPdSU im Jahre 1956 eingelei- besonders interessanten Gruppen von Op- Gulag. tete Rehabilitierungswelle: soweit Doku- fern gewidmet. Das Schicksal des „Pick- mente dazu vorliegen (was eher selten ist), axe Coffee-Teams“ etwa könnte einem Frauen von Verhafteten fielen nicht selten kann man feststellen, dass die früh unter- Agenten-Thriller entnommen sein: Vier der Sippenhaftung zum Opfer und wurden suchten Fälle gründlich bearbeitet wurden, Österreicher – darunter eine Frau – im als Angehörige von „Volksverrätern“ zu sogar Zeugen der Anklage gegenüber dem Dienste des NKVD sollten über „Ost- Lagerhaft und Verbannung verurteilt. KGB zu ihren seinerzeitigen Aussagen er- mark“-Gebiet mit Fallschirmen absprin- Kajetan Klug lernte als Gendarm in Bad neut Stellung nehmen mussten. Fallweise gen und in Wien ein Agentennetz aufzie- Aussee die Krankenschwester Maria wurde festgestellt, dass die angeblichen hen. Dazu bedurfte es der Zusammenar- Schmidt kennen, die als Fürsorgerin in „deutschen Spione“ im Deutschen Reich beit mit der britischen Guerilla- und Sabo- Linz arbeitete. Die beiden heirateten 1920 als gefährliche Staatsfeinde zur Verhaf- tageorganisation Special Operations Exe- und hatten zwei Söhne. Wegen Verwick- tung ausgeschrieben waren. Rehabilitie- cutive (SOE), weil die sowjetischen Flug- lung in die Februarkämpfe 1934 und Tä- rungen wurden im Allgemeinen nur dann zeuge wegen der weit im Osten verlaufen- tigkeit für den Kommunistischen Jugend- abgelehnt, wenn über eine Person keine den Front das Zielgebiet bei Wien nicht verband flüchtete Kajetan Klug im Sep- Unterlagen auffindbar waren. Allerdings erreichten. Die vier NKVD-Agenten, alle tember 1934 nach kurzer Haftzeit in Linz erhielten die rehabilitierten Personen, so- aus Wien stammend, verweigerten jedoch in die Tschechoslowakei, wohin ihm seine fern sie überhaupt überlebt hatten, meist wegen mangelhafter Vorbereitung des Frau Maria mit den Kindern bald folgte. keinen oder nur einen geringen Schaden- Unternehmens (beispielsweise waren die Im September 1935 konnte die Familie in ersatz zugesprochen. Einigen nach Öster- Dokumente leicht als Fälschungen erkenn- die Sowjetunion emigrieren, wo Kajetan reich zurückgekehrten Opfern wurde von bar) den Absprung und versuchten, sich Klug Probleme mit dem Schutzbundkol- sowjetischer Seite mitgeteilt, Entschädi- auf der Rückreise in die Sowjetunion lektiv und der für die Betreuung der gungen seien nur für sowjetische Staats- durch Flucht nach Kanada dem Zugriff Schutzbündler zuständigen Organisation bürger vorgesehen. des NKVD zu entziehen. Aus Rücksicht MOPR bekam. Im April 1936 wurde er August 2013 3 verhaftet und wegen „konterrevolutionärer Republik abkommandiert. Dort wurde rung im Dezember 1918 zog er sich für trotzkistischer Tätigkeit“ zu fünf Jahren zuerst Gisela Lichtensteins Lebensgefähr- kurze Zeit in seine Heimatstadt Friedek Lagerhaft verurteilt. Nach der Haftentlas- te, der Deutsche Erich Beyer, verhaftet; im (Österreichisch-Schlesien)