2.8 Leucobryum Glaucum (HEDW.) ANGSTR. Code: 1400 Anhang: V
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2.8 Leucobryum glaucum (HEDW.) ANGSTR. Code: 1400 Anhang: V KLAUS WEDDELING & GERHARD LUDWIG, Bonn Namen: D: Weißmoos, Ordenskissenmoos E: White Cushion Moss F: – Systematik/Taxonomie: Bryophyta, Bryopsida, Dicranidae, Dicranales, Leucobryaceae. Die Laubmoosgattung Leucobryum mit weltweit über 80 Arten (CROSBY et al. 2000) hat ihr Diversitätszentrum im tropischen Südostasien (YAMAGUCHI 1993). In Deutschland kommen nur zwei Arten vor. Synonyme: Dicranum glaucum HEDW.; bei der Synonymik ist besonders auf den Taxon- Moose umfang in älteren Werken zu achten, die z. T. beide in Deutschland vorkommenden Arten zu einem weit gefaßten L. glaucum s. l. zusammenfassen (inkl. L. juniperoideum, z. B. MÖNKEMEYER 1927, vgl. KOPERSKI et al. 2000). Kennzeichen/Artbestimmung: Mit den Torfmoosen gemeinsam haben die Vertreter der Gattung Leucobryum die Untergliederung des Zellnetzes der Blättchen in assimilierende Chlorocyten und wasserspeichernde chlorophyllfreie Leukocyten (Hyalinzellen, Hyalocy- ten). Im Gegensatz zu denen der Sphagnen besteht das Blättchen der Weißmoose über- wiegend aus einer massiv verbreiterten Rippe (Costa), die Lamina selber tritt nur randlich mit wenigen Hyalocyten in Erscheinung. Die genannten Zelltypen bauen diese Rippe mehrschichtig auf: ab- und adaxiale Lagen aus Leukocyten, die durch ihre Lichtreflexion auch die charakteristische weißlich-blaugrüne Färbung der Art im trockenen Zustand her- vorrufen, schließen eine Schicht medianer Chlorocyten ein. Die Kapseln sind von dicra- noidem Typ und sitzen auf relativ kurzen Seten. Sie haben einen deutlichen Kropf, zeigen in trockenem Zustand acht deutliche Längsfurchen und kommen zwischen Mai und Dezember zur Sporenreife. Die Sporen sind schwach papillös und 14–20 µm im Durch- messer. Der vegetativen Vermehrung durch Bruchblätter kommt vermutlich ein wichtige Rolle vor allem in der lokalen Ausbreitung zu. Für L. glaucum werden Chromosomenzah- len von n=6, n=11 und n=14 angegeben (FRITSCH 1991). Leucobryum glaucum ist bei kleinen Polstern leicht mit L. juniperoideum zu verwechseln. Da beide Arten bei uns nur unregelmäßig bzw. sehr selten fruchten (NEBEL & PHILIPPI 2000, BLACKSTOCK 1993), ist eine Kombination von gametophytischen Merkmalen her- anzuziehen (ZÜNDORF 1988, 1989): Vor allem die Proportion der Länge vom flachen zum röhrigen Teil der Blättchen, die Breite der Hyalocyten und die Anzahl der nebeneinander liegenden eigentlichen Laminazellen am Blattrand gilt als differenzierend, die Anzahl der Hyalozyten-Zelllagen im Querschnitt ist dagegen nicht zuverlässig (vgl. NEBEL & PHILIPPI 2000, YAMAGUCHI 1993, PILOUS 1962, NYHOLM 1986, CRUNDWELL 1972, BREUER 1970). Alle Arten der Gattung sind diözisch. Bei den heimischen Vertretern kommt es z. T. zur Ausbildung von verzwergten männlichen Pflanzen, die auf den Rhizoiden der Weibchen siedeln (CRUM & ANDERSON 1981). Abbildungen zu L. glaucum finden sich z. B. bei YAMAGUCHI (1993), NYHOLM (1986), PILOUS (1962) und NEBEL & PHILIPPI (2000). Areal/Verbreitung: Welt: L. glaucum ist eine kosmopolitisch verbreitete Art mit montan-temperat-borealer Hauptverbreitung auf der Nordhalbkugel und subozeanischer Bindung (DIERSSEN 2001, NEBEL & PHILIPPI 2000, GAO et al. 1999). Ihre Höhenverbreitung reicht von der Ebene 269 bis in die hochmontanen Lagen der tropischen Gebirge, in Europa bis 2300 m ü. NN (GRIMS 1999). Die Art kommt auch in gemäßigten und tropischen Regionen der Südhe- misphäre vor (DIERSSEN 2001). In Nordamerika reicht L. glaucum von Neufundland bis Minnesota, im Süden bis Florida und Louisiana. Auch die Gebirgszüge Mittel- und Südamerikas (z. B. Kolumbien) werden sporadisch besiedelt. Nach der Verbreitungskarte bei YAMAGUCHI (1993) kommt die Art im gesamten temperaten und borealen Teil Eurasiens (z. B. Ukraine, Kaukasus, Türkei, bis Nordjapan und Kamtschatka) vor. Die nördliche Verbreitungsgrenze liegt bei etwa 70 ° N. Auch von den Inselgruppen der Azoren und Kanaren gibt es Fundangaben. EU: Das europäische Areal gibt STÖRMER (1969) in einer Karte wieder. Danach sind vor allem die gemäßigt-subozeanischen Teile Europas besiedelt (u. a. Britische Inseln, Nord- frankreich und Nordspanien, Südskandinavien, Deutschland, Norditalien, Alpenraum, Polen und Ungarn; Länderliste bei DÜLL 1984). Nach Osten und Süden hin wird die Art seltener bzw. ist nur noch in den Gebirgslagen oder an sehr feuchten Standorten zu finden (BOROS & IGMÁNDY 1943). Im atlantisch geprägten Klimaraum der Britischen Inseln ist das Ordenskissenmoos weit verbreitet, insbesondere in den regenreichen Regionen Süd- englands, Teilen von Wales, in Nordengland, Schottland und Irland. HILL et al. (1992) geben historische und aktuelle Vorkommen in mehr als 1 000 Rasterfeldern an. Auch in den atlantischen Teilen Norwegens, an der Küstenlinie unter dem Einfluss des Golfstroms, ist L. glaucum verbreitet und stellenweise häufig (STÖRMER 1969). D: In Deutschland ist L. glaucum zerstreut bis häufig und mehr oder weniger flächenhaft verbreitet (vgl. Verbreitungskarte und DÜLL & MEINUNGER 1989, Karten für einzelne Landesteile z. B. bei DÜLL 1980, NEBEL & PHILIPPI 2000). Regionale Verbreitungslücken liegen in den Kalkgebieten. Die Art kommt in allen Bundesländern vor (LUDWIG et al. 1996) und ist sicher in vielen Bereichen des Hügel- und Berglandes heute zerstreut bis häufig. Verantwortung Deutschlands: In Anbetracht der weiten Verbreitung der Art und ihrer Häufigkeit (z. B. Britische Inseln) ist eine besondere Verantwortlichkeit Deutschlands für ihre Erhaltung weltweit und in Europa nicht gegeben. Biologie/Ökologie: L. glaucum ist eine azidophytische Art, die vor allem an basenarmen, zumindest zeitweise frisch – feuchten Standorten vorkommt. Die Art besiedelt Rohhumus, Torf und arme mineralische Böden an trockenen bis nassen Standorten in Laub- und Nadel- wäldern, in Mooren und auf Blockhalden (NEBEL & PHILIPPI 2000, DIERSSEN 2001, eigene Beobachtungen). Selten kommt die Art auch auf Fels oder auf Holz vor, in Kalk- gebieten nur über Rohhumusdecken (Tangelhumus). Unter luftfeuchten Bedingungen ent- wickelt L. glaucum z. T. mächtige Kissen bzw. Polster mit bis zu 1 m Durchmesser. Diese Strukturen können sehr viel Wasser aus Niederschlägen speichern und sind Keimbett für einige Gehölze (z. B. Moorbirke, Faulbaum) und Habitat für darin siedelnde Lebermoose (z. B. Calypogeia-Arten). Nach Beobachtungen von VALLIN (1974) können solche Kissen sehr alt werden. Er beobachtete über 50 Jahre lang die Entwicklung eines „Individuums“ in Südschweden (mit Fotodokumentation). Auch BATES (1989) schätzte anhand des Polster-Durchmessers und einer ermittelten Wachstumsrate das Alter großer Kissen in Südengland auf sechzig Jahre. Typische Begleitmoose von L. glaucum sind z. B. Pleurozium schreberi, Hylocomium splendens, Dicranum scoparium und Polytrichum formosum, an feuchten Standorten auch Sphagnen. Eine Bindung an bestimmte Gefäßpflanzengesellschaften ist kaum gegeben: Schwerpunkte ihres Vorkommens liegen im Quercion robori-petraeae, in Vaccinio-Picee- tea-Assoziationen, in feuchten Heiden und in Oxycocco-Sphagnetea-Gesellschaften 270 (NEBEL & PHILIPPI 2000, STÖRMER 1969). L. glaucum ist ein klassischer „perennial stayer“ im Sinne DURINGs (1979), mit geringer Investition in sexuelle Vermehrung, vergleichsweise starker vegetativer Reproduktion und langer, individueller Lebensdauer (VALLIN 1974). Wie selten selbst im vermutlich für die Art optimalen ozeanischen Klima der Britischen Inseln Sporophyten sind, zeigen die Untersuchungen von BLACKSTOCK (1993). Nur in Südengland und Wales sporulierte die Art in den letzten 100 Jahren, obwohl L. glaucum vegetativ fast flächig auf den Inseln verbreitet ist. Es mag sein, dass die Zweihäusigkeit der Art und die Luftverschmutzung die Fertilität negativ beeinflussen. In Arealrandlagen scheint L. glaucum meist steril zu sein (z. B. Japan, NOGUCHI 1987). Durch Bruchblätter kann sich die Art aber sehr erfolgreich ausbreiten. VALLIN (1974) beobachtete die intensive vegetative Ausbreitung entlang eines vielbegangenen Weges in Schweden. BATES (1989) ermittelte eine mittlere Wachstumsrate bei 11 Polstern von L. glaucum von Moose 9,1 mm/Jahr, die vor allem von der Temperatur und nur indirekt von Niederschlägen und Feuchte des Standortes abhängig zu sein scheint. Bei Temperaturen über 5 °C ist eine deutlich positive Korrelation zwischen Temperatur und Wachstum feststellbar. Die Haupt- wachstumsperiode für L. glaucum liegt im Sommer. An sehr nassen Standorten ist die Art daher vielleicht kältelimitiert. Durch die wasserspeichernden Eigenschaften des Polsters und die charakteristische Zellarchitektur kann sich L. glaucum von der sonst für viele Bryophyten so wichtigen Standortfeuchte (über Niederschläge, Tau, Bodenfeuchte) z. T. unabhängig machen. Ob die Art auch wie Sphagnen durch die „Filterung“ großer Wasser- mengen ihre Ionenversorgung optimiert, ist unklar. Gefährdung und Schutz: Rote Listen: Welt/EU: L. glaucum ist weder in der Welt-Liste noch in der Europa-Liste enthalten. Deutschland: In Deutschland wird die Art insgesamt als „V“ („Bestände zurückgehend“) geführt, eine bundesweite Gefährdung wird aber noch nicht gesehen (LUDWIG et al. 1996). In den meisten Bundesländern mit Anteil an den Mittelgebirgen wird das Ordenskissen noch als „ungefährdet“ eingestuft (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Bayern, Baden-Württemberg, NEBEL & PHILIPPI 2000), im Tiefland scheint die Art dagegen zurückzugehen und wird in Brandenburg und Hamburg als „gefährdet“, in Mecklenburg-Vorpommern auf der Vorwarnliste geführt.