Lena Karber Ein Menschlicher Held?
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FILMKRITIK ■ Lena Karber Der Mythos Che Guevara Ein menschlicher Held? Der Begrif ›Mythos‹ bezeichnet in diesem Kontext zunächst einmal eine wirkungs- Che Guevara in Steven Soderberghs mächtige Erzähl- und Darstellungsweise, Biopic von 2008 die durch Überzeichnungen, Verklärungen und Auslassungen bestimmte funktiona- Die wenigsten kennen heute seine Geschich- le Sinnzuschreibungen erfahren und ihren te, manche kennen womöglich nicht einmal Gegenstand so zur »Ikone« beziehungsweise seinen Namen, doch fast jeder kennt sein zum »Symbol« aufgebaut hat. Gegenstand Gesicht: Ernesto »Che« Guevara ist heu- des Mythos Che Guevara ist in diesem Fall te – gut ein halbes Jahrhundert nach seinem die historische Figur Ernesto Guevara de 105 Tod – visuell noch immer sehr präsent. Sei- la Serna. Geboren 1928 in Argentinien als nem Konterfei begegnet man bei politischen ältestes von fünf Kindern in eine wohlha- Demonstrationen der unterschiedlichsten bende Familie, die jedoch zunehmend in Fraktionen, am Handtuchstand im Som- fnanzielle Nöte geriet, war Ernestos Leben merurlaub, in der Fankurve im Fußball- von klein auf durch eine starke Asthmaer- stadion, auf dem Bikini des Models Gisele krankung geprägt, gegen die er verbissen Bündchen oder auf dem Sixpack des Boxers ankämpfte, indem er stets bis an seine kör- Mike Tyson. Die Geschichte des argentini- perliche Leistungsgrenze ging. Seine eigene schen Arztes, der bei der kubanischen Revo- Erkrankung sowie weitere Erfahrungen mit lution 1956 bis 1959 als mutiger Kämpfer Krankheiten in seinem engeren Umfeld und enger Vertrauter Fidel Castros erstmals spielten vermutlich eine zentrale Rolle bei öfentlich in Erscheinung trat und 1967 bei seiner Entscheidung, Medizin zu studieren. einem weiteren Revolutionsversuch in Bo- Als Student entdeckte Guevara auch seine livien erschossen wurde, sowie seine politi- Leidenschaft für das Reisen und unternahm schen Ziele und seine Ideologie traten in den bald zwei Lateinamerika-Rundreisen, für die Jahrzehnten nach seinem Tod jedoch immer er sogar die endgültige Trennung von seiner mehr in den Hintergrund. Guevara – und ersten Liebe María del Carmen »Chichina« insbesondere die bekannteste Aufnahme von Ferreyra riskierte. Im Zuge seiner Reisen er- ihm, ein Porträtfoto von Alberto Korda aus lebte er die sozialen Missstände Lateiname- dem Jahre 1960 – wurde vielmehr zu einem rikas aus nächster Nähe und wurde 1954 Symbol, das mit Begrifen wie Revolution, in Gua temala Zeuge der Niederschlagung Unangepasstheit, Männlichkeit, Stärke, einer sozialistischen Revolution. Nicht zu- Widerstand oder Aufopferungsbereitschaft letzt durch die Begegnung mit Hilda Gadea, verknüpft wird und dabei in der breiten Öf- einer überzeugten Sozialdemokratin, mit der fentlichkeit losgelöst von seinen konkreten er zahlreiche politische Diskussionen führte politischen Ideen und Taten steht. Gleich- und die er 1955 heiratete, prägte die zweite zeitig wurde der Mensch Che Guevara mit Lateinamerika-Rundreise Guevara in poli- seiner persönlichen Biografe und seinen tischer Hinsicht stark. In Mexiko lernte er Erfahrungen nahezu vollkommen zuguns- einige Exilkubaner kennen, die am 26. Juli ten eines Mythos verdrängt. Diesem Mythos 1953 an einem von Fidel Castro geführ- wollte sich der US-amerikanische Filmema- ten Putschversuch gegen den kubanischen cher Steven Soderbergh 2008 mit seinem Diktator Fulgencio Batista teilgenommen Spielflm Che 1 entgegenstellen – doch was hatten. Bald darauf machte er auch die per- meint ›Mythos Che Guevara‹ überhaupt? sönliche Bekanntschaft Fidel Castros und entschloss sich zur Teilnahme an der von ihm geplanten kubanischen Revolution. WERKSTAT TGESCHICHTE / Heft 80 (2018) – Klartext Verlag, Essen S. 105 –117 Frisch ausgestattet mit einem Spitzna- krieges, bis Kreml-Chef Chruschtschow am men, einer Anspielung auf seine (argen- 28. Oktober den Rückzug der Raketen an- tinische) Angewohnheit, bei der Anrede ordnete – ohne die kubanische Führung über von Personen stets den Ausruf »¡Che!« vo- diese Entscheidung zu unterrichten. ranzustellen, machte sich Che Guevara am In der Folge ging Guevara zunehmend 25. November 1956 auf der mit 82 Mann auf Distanz zur UdSSR, deren Teorie einer völlig überladenen Motoryacht »Granma« friedlichen Koexistenz von Sozialismus und auf den Weg nach Kuba. Trotz von Beginn Kapitalismus er nicht teilte und deren Wirt- an widriger Umstände gelang es den Kämp- schaftspolitik er kritisierte. Damit stand er fern um Fidel Castro in einem zwei Jahre in Konfikt zur ofziellen Linie Kubas, die währenden Guerillakampf, die kubanische weiterhin auf die Nähe zur Sowjetunion 106 Armee zu schlagen und Diktator Batista aus setzte. Nachdem er in der Wirtschaftspoli- dem Land zu vertreiben. Nach dem Sieg tik an Einfuss verloren hatte, reiste Guevara der Guerilleros wurde Guevara von Castro 1964/65 ein letztes Mal als ofzieller Re- in die militärische Festung La Cabaña beor- präsentant Kubas ins Ausland. Dabei hielt dert, wo er die Urteile gegen diejenigen, die er zunächst vor den Vereinten Nationen in angeklagt waren, für Batista gefoltert und New York eine vielbeachtete Rede, bevor er gemordet zu haben, abschließend verant- über Algerien nach Afrika reiste und dort wortlich zeichnete, weshalb seine Kritiker eine Reihe von Ländern besuchte. Nach ei- ihn oftmals als »Schlächter von La Cabaña« nem kurzen Besuch in China kehrte er im bezeichneten. Februar 1965 nach Algier zurück, um auf ei- Als Guevaras Frau Hilda Gadea nach dem nem afroasiatischen Solidaritätskongress zu Sieg der Revolutionäre mit der gemeinsamen sprechen – und die Sowjetunion der Kom- Tochter Hildita in Kuba ankam, musste sie plizenschaft mit dem Imperialismus zu be- erfahren, dass Guevara während seiner Zeit zichtigen. Im Anschluss an eine direkt nach als Guerillero Aleida March kennengelernt seiner Rückkehr nach Kuba am 15. März hatte, die zunächst seine Assistentin und 1965 stattfndenden Unterredung mit Fidel bald darauf seine Geliebte geworden war. Castro verschwand Guevara plötzlich aus Doch auch für seine neue Frau und die ge- der Öfentlichkeit, und monatelang wusste meinsamen Kinder Aleida, Camilo, Celia niemand etwas über seinen Verbleib. Erst und Ernesto hatte Che in der Folge wenig am 3. Oktober verlas Castro, wohl um den Zeit, da er als Leiter der Industrieabteilung nicht verstummenden Gerüchten Einhalt zu des INRA, dem neu geschafenen Nationa- gebieten, einen Abschiedsbrief Guevaras, aus len Institut für die Agrarreform, und als Prä- dem hervorging, dass er seine Ämter nieder- sident der Nationalbank sehr viel arbeitete. gelegt, seine kubanische Staatsbürgerschaft Übergeordnetes Ziel seiner Tätigkeiten war zurückgegeben und das Land verlassen hatte. die Erlangung wirtschaftlicher Unabhängig- Dass sich Guevara seit April 1965 im Kongo keit Kubas von den USA, womit er – nicht aufhielt und sieben Monate lang vergeblich zuletzt durch eine auf Verstaatlichungen be- versuchte, dort eine Revolution zu entfa- ruhende Bodenreform – auf Konfrontations- chen, wurde erst 20 Jahre später bekannt. Im kurs zu den Vereinigten Staaten ging. Dies Anschluss an diesen fehlgeschlagenen Revo- führte letztlich zu einer weitgehenden poli- lutionsversuch kämpfte Guevara in Bolivien tischen und wirtschaftlichen Isolation Kubas als Guerillero, erneut unter widrigen Be- sowie 1961 zum Invasionsversuch der USA, dingungen. Den Kämpfern fehlte es sowohl den Kuba jedoch niederschlagen konnte. Die an Lebensmitteln und Wasser als auch an daraufolgende Stationierung sowjetischer Planung, und Krankheiten beeinträchtigten Atomraketen auf Kuba brachte die Welt ihre Schlagkraft. Am 26. September geriet im Herbst 1962 an den Rand eines Atom- Che Guevara mit den verbliebenen Kämp- FILMKRITIK fern in einen Hinterhalt der bolivianischen worden, verhinderten die Behörden, dass Armee, der die Guerilleros zur Flucht in eine Bilder des gefangenen, wild und zottelig nahegelegene Schlucht zwang. Dort wurde aussehenden Che an die Öfentlichkeit ge- Guevara am 8. Oktober bei einem Gefecht langten.5 Stattdessen richteten sie seine Lei- verwundet, gefangenengenommen und am che ordentlich her und bahrten sie auf, um nächsten Tag in La Higuera erschossen. zu beweisen, dass es sich bei dem Toten tat- Che Guevaras Tod bedeutete jedoch kei- sächlich um den gesuchten Guerillakämpfer nesfalls das Ende seiner Strahlkraft. Schon handelte.6 Die Bilder des toten Che waren zu seinen Lebzeiten hatte eine Mythisie- sehr viel geeigneter, Mitleid zu erregen,7 und rung seiner Person eingesetzt, die für ein weckten Assoziationen an berühmte Chris- Verständnis des heutigen Mythos, seiner tus-Gemälde. Diese Analogie wurde nun Narrative und Funktionsweisen unerlässlich auf seine Biografe übertragen und weiterge- 107 ist. Durch seine Tätigkeit als Guerilla-Arzt dacht – man könnte auch sagen: weiterge- sowie durch seinen Gerechtigkeitssinn, sei- sponnen.8 Die Stilisierung Che Guevaras als ne Disziplin und seine Bescheidenheit er- »Christus mit der Knarre« fand sich in der arbeitete sich Guevara bereits während des Folgezeit immer wieder. Kampfes in der Sierra Maestra den Ruf eines Zur mythischen Überhöhung haben vorbildlichen Guerilleros.2 Insbesondere sein auch die an der Hinrichtung Beteiligten bei- erfolgreicher Marsch ins Escambray-Gebirge getragen, die in ihren Berichten feißig an in der Schlussphase des Kampfes in Kuba so- der Legende mitstrickten, um selbst histori- wie seine Führungsrolle im Kampf um Santa sche Bedeutsamkeit zu erlangen.9 In beson- Clara sicherten ihm wohl endgültig einen derem Maße gilt das für den CIA-Agenten zentralen Platz