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FILMKRITIK

■ Lena Karber Der Mythos

Ein menschlicher Held? Der Begrif ›Mythos‹ bezeichnet in diesem Kontext zunächst einmal eine wirkungs- Che Guevara in Steven Soderberghs mächtige Erzähl- und Darstellungsweise, Biopic von 2008 die durch Überzeichnungen, Verklärungen und Auslassungen bestimmte funktiona- Die wenigsten kennen heute seine Geschich- le Sinnzuschreibungen erfahren und ihren te, manche kennen womöglich nicht einmal Gegenstand so zur »Ikone« beziehungsweise seinen Namen, doch fast jeder kennt sein zum »Symbol« aufgebaut hat. Gegenstand Gesicht: Ernesto »Che« Guevara ist heu- des Mythos Che Guevara ist in diesem Fall te – gut ein halbes Jahrhundert nach seinem die historische Figur Ernesto Guevara de 105 Tod – visuell noch immer sehr präsent. Sei- la Serna. Geboren 1928 in Argentinien als nem Konterfei begegnet man bei politischen ältestes von fünf Kindern in eine wohlha- Demonstrationen der unterschiedlichsten bende Familie, die jedoch zunehmend in Fraktionen, am Handtuchstand im Som- fnanzielle Nöte geriet, war Ernestos Leben merurlaub, in der Fankurve im Fußball- von klein auf durch eine starke Asthmaer- stadion, auf dem Bikini des Models Gisele krankung geprägt, gegen die er verbissen Bündchen oder auf dem Sixpack des Boxers ankämpfte, indem er stets bis an seine kör- Mike Tyson. Die Geschichte des argentini- perliche Leistungsgrenze ging. Seine eigene schen Arztes, der bei der kubanischen Revo- Erkrankung sowie weitere Erfahrungen mit lution 1956 bis 1959 als mutiger Kämpfer Krankheiten in seinem engeren Umfeld und enger Vertrauter Fidel Castros erstmals spielten vermutlich eine zentrale Rolle bei öfentlich in Erscheinung trat und 1967 bei seiner Entscheidung, Medizin zu studieren. einem weiteren Revolutionsversuch in Bo- Als Student entdeckte Guevara auch seine livien erschossen wurde, sowie seine politi- Leidenschaft für das Reisen und unternahm schen Ziele und seine Ideologie traten in den bald zwei Lateinamerika-Rundreisen, für die Jahrzehnten nach seinem Tod jedoch immer er sogar die endgültige Trennung von seiner mehr in den Hintergrund. Guevara – und ersten Liebe María del Carmen »Chichina« insbesondere die bekannteste Aufnahme von Ferreyra riskierte. Im Zuge seiner Reisen er- ihm, ein Porträtfoto von aus lebte er die sozialen Missstände Lateiname- dem Jahre 1960 – wurde vielmehr zu einem rikas aus nächster Nähe und wurde 1954 Symbol, das mit Begrifen wie Revolution, in Gua temala Zeuge der Niederschlagung Unangepasstheit, Männlichkeit, Stärke, einer sozialistischen Revolution. Nicht zu- Widerstand oder Aufopferungsbereitschaft letzt durch die Begegnung mit , verknüpft wird und dabei in der breiten Öf- einer überzeugten Sozialdemokratin, mit der fentlichkeit losgelöst von seinen konkreten er zahlreiche politische Diskussionen führte politischen Ideen und Taten steht. Gleich- und die er 1955 heiratete, prägte die zweite zeitig wurde der Mensch Che Guevara mit Lateinamerika-Rundreise Guevara in poli- seiner persönlichen Biografe und seinen tischer Hinsicht stark. In Mexiko lernte er Erfahrungen nahezu vollkommen zuguns- einige Exilkubaner kennen, die am 26. Juli ten eines Mythos verdrängt. Diesem Mythos 1953 an einem von geführ- wollte sich der US-amerikanische Filmema- ten Putschversuch gegen den kubanischen cher Steven Soderbergh 2008 mit seinem Diktator teilgenommen Spielflm Che 1 entgegenstellen – doch was hatten. Bald darauf machte er auch die per- meint ›Mythos Che Guevara‹ überhaupt? sönliche Bekanntschaft Fidel Castros und entschloss sich zur Teilnahme an der von ihm geplanten kubanischen Revolution.

WERKSTAT TGESCHICHTE / Heft 80 (2018) – Klartext Verlag, Essen S. 105 –117 Frisch ausgestattet mit einem Spitzna- krieges, bis Kreml-Chef Chruschtschow am men, einer Anspielung auf seine (argen- 28. Oktober den Rückzug der Raketen an- tinische) Angewohnheit, bei der Anrede ordnete – ohne die kubanische Führung über von Personen stets den Ausruf »¡Che!« vo- diese Entscheidung zu unterrichten. ranzustellen, machte sich Che Guevara am In der Folge ging Guevara zunehmend 25. November 1956 auf der mit 82 Mann auf Distanz zur UdSSR, deren Teorie einer völlig überladenen Motoryacht »« friedlichen Koexistenz von Sozialismus und auf den Weg nach Kuba. Trotz von Beginn Kapitalismus er nicht teilte und deren Wirt- an widriger Umstände gelang es den Kämp- schaftspolitik er kritisierte. Damit stand er fern um Fidel Castro in einem zwei Jahre in Konfikt zur ofziellen Linie Kubas, die währenden Guerillakampf, die kubanische weiterhin auf die Nähe zur Sowjetunion 106 Armee zu schlagen und Diktator Batista aus setzte. Nachdem er in der Wirtschaftspoli- dem Land zu vertreiben. Nach dem Sieg tik an Einfuss verloren hatte, reiste Guevara der Guerilleros wurde Guevara von Castro 1964/65 ein letztes Mal als ofzieller Re- in die militärische Festung La Cabaña beor- präsentant Kubas ins Ausland. Dabei hielt dert, wo er die Urteile gegen diejenigen, die er zunächst vor den Vereinten Nationen in angeklagt waren, für Batista gefoltert und New York eine vielbeachtete Rede, bevor er gemordet zu haben, abschließend verant- über Algerien nach Afrika reiste und dort wortlich zeichnete, weshalb seine Kritiker eine Reihe von Ländern besuchte. Nach ei- ihn oftmals als »Schlächter von La Cabaña« nem kurzen Besuch in China kehrte er im bezeichneten. Februar 1965 nach Algier zurück, um auf ei- Als Guevaras Frau Hilda Gadea nach dem nem afroasiatischen Solidaritätskongress zu Sieg der Revolutionäre mit der gemeinsamen sprechen – und die Sowjetunion der Kom- Tochter Hildita in Kuba ankam, musste sie plizenschaft mit dem Imperialismus zu be- erfahren, dass Guevara während seiner Zeit zichtigen. Im Anschluss an eine direkt nach als Guerillero kennengelernt seiner Rückkehr nach Kuba am 15. März hatte, die zunächst seine Assistentin und 1965 stattfndenden Unterredung mit Fidel bald darauf seine Geliebte geworden war. Castro verschwand Guevara plötzlich aus Doch auch für seine neue Frau und die ge- der Öfentlichkeit, und monatelang wusste meinsamen Kinder Aleida, Camilo, Celia niemand etwas über seinen Verbleib. Erst und Ernesto hatte Che in der Folge wenig am 3. Oktober verlas Castro, wohl um den Zeit, da er als Leiter der Industrieabteilung nicht verstummenden Gerüchten Einhalt zu des INRA, dem neu geschafenen Nationa- gebieten, einen Abschiedsbrief Guevaras, aus len Institut für die Agrarreform, und als Prä- dem hervorging, dass er seine Ämter nieder- sident der Nationalbank sehr viel arbeitete. gelegt, seine kubanische Staatsbürgerschaft Übergeordnetes Ziel seiner Tätigkeiten war zurückgegeben und das Land verlassen hatte. die Erlangung wirtschaftlicher Unabhängig- Dass sich Guevara seit April 1965 im Kongo keit Kubas von den USA, womit er – nicht aufhielt und sieben Monate lang vergeblich zuletzt durch eine auf Verstaatlichungen be- versuchte, dort eine Revolution zu entfa- ruhende Bodenreform – auf Konfrontations- chen, wurde erst 20 Jahre später bekannt. Im kurs zu den Vereinigten Staaten ging. Dies Anschluss an diesen fehlgeschlagenen Revo- führte letztlich zu einer weitgehenden poli- lutionsversuch kämpfte Guevara in Bolivien tischen und wirtschaftlichen Isolation Kubas als Guerillero, erneut unter widrigen Be- sowie 1961 zum Invasionsversuch der USA, dingungen. Den Kämpfern fehlte es sowohl den Kuba jedoch niederschlagen konnte. Die an Lebensmitteln und Wasser als auch an daraufolgende Stationierung sowjetischer Planung, und Krankheiten beeinträchtigten Atomraketen auf Kuba brachte die Welt ihre Schlagkraft. Am 26. September geriet im Herbst 1962 an den Rand eines Atom- Che Guevara mit den verbliebenen Kämp- FILMKRITIK fern in einen Hinterhalt der bolivianischen worden, verhinderten die Behörden, dass Armee, der die Guerilleros zur Flucht in eine Bilder des gefangenen, wild und zottelig nahegelegene Schlucht zwang. Dort wurde aussehenden Che an die Öfentlichkeit ge- Guevara am 8. Oktober bei einem Gefecht langten.5 Stattdessen richteten sie seine Lei- verwundet, gefangenengenommen und am che ordentlich her und bahrten sie auf, um nächsten Tag in erschossen. zu beweisen, dass es sich bei dem Toten tat- Che Guevaras Tod bedeutete jedoch kei- sächlich um den gesuchten Guerillakämpfer nesfalls das Ende seiner Strahlkraft. Schon handelte.6 Die Bilder des toten Che waren zu seinen Lebzeiten hatte eine Mythisie- sehr viel geeigneter, Mitleid zu erregen,7 und rung seiner Person eingesetzt, die für ein weckten Assoziationen an berühmte Chris- Verständnis des heutigen Mythos, seiner tus-Gemälde. Diese Analogie wurde nun Narrative und Funktionsweisen unerlässlich auf seine Biografe übertragen und weiterge- 107 ist. Durch seine Tätigkeit als Guerilla-Arzt dacht – man könnte auch sagen: weiterge- sowie durch seinen Gerechtigkeitssinn, sei- sponnen.8 Die Stilisierung Che Guevaras als ne Disziplin und seine Bescheidenheit er- »Christus mit der Knarre« fand sich in der arbeitete sich Guevara bereits während des Folgezeit immer wieder. Kampfes in der den Ruf eines Zur mythischen Überhöhung haben vorbildlichen Guerilleros.2 Insbesondere sein auch die an der Hinrichtung Beteiligten bei- erfolgreicher Marsch ins Escambray-Gebirge getragen, die in ihren Berichten feißig an in der Schlussphase des Kampfes in Kuba so- der Legende mitstrickten, um selbst histori- wie seine Führungsrolle im Kampf um Santa sche Bedeutsamkeit zu erlangen.9 In beson- Clara sicherten ihm wohl endgültig einen derem Maße gilt das für den CIA-Agenten zentralen Platz in der Erzählung der kuba- Felix Rodríguez, der sich eine Hauptrolle in nischen Revolution.3 Durch die Aufmerk- der Jagd nach Guevara zuschrieb und sogar samkeit, die der Revolution medial zuteil so weit ging zu behaupten, dass im Moment wurde, durch seine Reisen und Auftritte als von Ches Tod ein »Wunder« geschehen sei Repräsentant Kubas sowie durch seine Pu- und das Asthma des Getöteten sich auf ihn blikationen erlangte er schon zu Lebzeiten übertragen habe.10 Unter den anwesenden auch außerhalb Kubas große Berühmtheit. Soldaten, Journalisten und Zivilisten ent- So war er bereits eine international bekannte brannte ein regelrechter Reliquienkult,11 Persönlichkeit, als sich die Protestbewegun- und in La Higuera setzte nach Guevaras Tod gen der 1960er Jahre formierten.4 eine volkstümliche Verehrung des Guerillero Guevaras Entscheidung, seine Ämter in ein. Später verbreitete sich im Volksglauben Kuba niederzulegen und seine Familie und die Legende vom »Fluch des Che«, da ein das Land zu verlassen, um den Guerillakrieg Großteil der Männer, die an seinem Tod in andere Länder zu tragen, forcierte seinen beteiligt gewesen waren, im Laufe der Jahre Mythos. Zugleich förderte die Unklarheit gewaltsam ums Leben kam.12 In Kuba for- über seinen Aufenthaltsort das öfentliche cierte Fidel Castro nach Che Guevaras Tod Interesse. Doch letztendlich war es sein Tod die Bildung von dessen Mythos erheblich.13 in Bolivien, der den Mythos perfektionier- Gleichzeitig setzte allerdings auch eine kulti- te. Dass die Umstände seines Todes – das sche Vereinnahmung des Revolutionshelden Sterben im Kampf für seine Ideale – in der durch das Volk selbst ein, die durch religiöse politischen Linken eine heroische Überhö- Gefühle getragen wurde, da in Kuba Erlö- hung nahelegten, ist evident. Doch auch das serglaube und Prophezeiungen eine große Verhalten der bolivianischen Behörden war Rolle spielen.14 Dass lange Zeit nichts über für den Mythos und seine Verbreitung äu- den Verbleib von Guevaras Leichnam be- ßerst wirkungsvoll. Da die ofzielle Version kannt war und dieser erst 1997 in einem lautete, Che Guevara sei im Kampf getötet Massengrab in der Nähe der Landebahn von gefunden wurde, sorgte für eine verschwunden war, wurde er in den 1990er gewisse mystische Spannung, die das öfent- Jahren wieder präsenter.19 Losgelöst von sei- liche Interesse an Guevaras Schicksal vergrö- nen politischen Ideen und Taten wurde er ßerte und verlängerte. im Zuge einer einsetzenden Kommerzialisie- Für die internationale Verbreitung des rung verstärkt zu einem abstrakten Symbol, Mythos um Che Guevara war der Zeitpunkt das mit den eingangs erwähnten Begrifen seines Todes zentral, da er in eine Phase ge- und Eigenschaften verbunden wird. Gleich- sellschaftlicher Radikalisierung fel, in der zeitig bezeichnet ›Mythos Che Guevara‹ aber seine Schriften vermehrt rezipiert wurden.15 auch die Gesamtheit der gängigen Narrative, Für die sogenannte 68er-Bewegung war Che die seine Biografe prägen und verklären, um Guevara in mehrfacher Hinsicht relevant: eine bestimmte Deutungsweise nahezulegen 108 Seine Ideale und Ziele – Sozialismus, Anti- oder bestimmte Aussagen zu forcieren. Auch kapitalismus, Antiimperialismus, Antiame- wenn Che Guevara durchaus Kritiker hat, rikanismus, seine Radikalität, sein Eintreten die darauf bedacht sind, seine Brutalität in für einen «neuen Menschen», der bewafnete den Fokus zu rücken, subsumiert man un- Kampf gegen Ausbeutung und für Befrei- ter seinem Mythos primär Narrative, die ihn ung, sein Internationalismus – stießen auf positiv überzeichnen und seiner Darstellung große Resonanz. Im Gegensatz zu Funkti- als »Guerillero Heroico« dienen. Der Mythos onären und Politikern im Staatssozialismus als Kern dieser Narrative ist gewissermaßen der DDR oder der Sowjetunion verkörper- als Mosaik zu verstehen, das aus verschiede- te er eine völlig andere Art von Sozialismus nen Motivationen, Deutungen und Zufäl- und wurde für viele junge Leute zu einem len zusammengesetzt ist, gleichzeitig jedoch Idol.16 Die vielfältigen Konnotationen, mit auch das Resultat taktischer Inszenierungen denen Che Guevara verbunden wurde, er- und bewusster Verfälschungen darstellt. So möglichten gleichzeitig die Loslösung seiner hat der ›Mythos Che Guevera‹ auch eine Person von konkreten Inhalten und seine funktionale Dimension, etwa wenn die Ide- Symbol-Werdung, die nach dem Ende der alisierung Ches als perfekter sozialistischer 68er-Bewegung zunehmend voranschritt.17 Revolutionär erfolgt, um die Idee des Sozi- Für diesen Prozess war auch die ikonogra- alismus zu propagieren, oder wenn Che als fsche Ebene von großer Bedeutung. Nach- Bewunderer Fidel Castros inszeniert wird, dem die Nachricht von seinem Tod öfent- um die kubanische Revolution(sregierung) lich geworden war, verbreitete sich die von zu legitimieren. Alberto Korda aufgenommene Fotografe aus dem Jahre 1960 rasant. Der starre, in Soderberghs ambitioniertes die Ferne gerichtete Blick Che Guevaras auf Filmprojekt Kordas nachbearbeitetem Schnappschuss lässt ihn stark, entschlossen und visionär Während die Entstehung und die Funkti- wirken, während ihm die Kameraperspekti- onsweisen des Mythos Che Guevara in der ve aus der Untersicht etwas Erhabenes und Forschung in den vergangenen Jahren inten- Überlegenes gibt. Bedeutsam ist zudem die siv aufgearbeitet wurden, sind in der Öfent- Jugendlichkeit, die das Foto ausstrahlt und lichkeit die verklärenden Bilder und Vorstel- die für die Symbol-Werdung zentral wurde, lungen in Bezug auf Che Guevara weiterhin indem Guevara durch seinen frühen Tod dominant, denn die Präsenz des Revoluti- dem Ideal des jungen Helden auf ewig ent- onärs in der Populärkultur beschränkt sich spricht.18 primär auf die Wirkungsmacht der Bildi- Nachdem Che Guevara mit dem Erlah- kone und ihrer gängigen Zuschreibungen. men der Protestbewegung vorübergehend Für das Kino entstanden Ende der 1960er etwas aus dem öfentlichen Bewusstsein Jahre Che! (USA 1969, R: Richard Fleischer) FILMKRITIK mit Omar Sharif in der Titelrolle und der darstellen kann, lohnt sich eine Untersu- italienische Politthriller El »Che« Guevara chung des Filmes im Hinblick auf die Um- (I 1968, R: Paolo Heusch, deutscher Ver- setzung seiner Intention. Anhand von fünf leihtitel: Stoßtrupp ins Jenseits), beide unter Aspekten – der Machart, der thematischen dem Eindruck des Kalten Krieges als Action- Schwerpunktsetzung, der Perspektive, der flme inszeniert und noch auf der Basis einer Frage nach einer möglichen Heroisierung spärlichen Quellen- und Informationslage. Guevaras sowie der visuellen Gestaltung der Erst 2004 folgte mit Robert Redfords Te im ersten Filmteil genutzten Vorausblen- Motorcycle Diaries (USA 2004) ein narra- den – soll im Folgenden analysiert werden, tiver Kinoflm, der sich stärker dem Men- inwiefern der Film mit den gängigen Erzähl- schen Che Guevara widmet. Da der viel- und Darstellungsweisen des Mythos bricht beachtete Film sich inhaltlich auf die erste oder diese reproduziert. 109 Lateinamerika-Rundreise Guevaras 1951/52 konzentriert, verzichtet er allerdings auf eine Entheroisierung des Auseinandersetzung mit der Zeit, die in der Guerillakampfes öfentlichen Wahrnehmung heute mit Gue- vara verbunden wird und die den Kern des Auf der Inhaltsebene zeigt Soderberghs Film Mythos bildet. fast ausschließlich Szenen aus dem Guerilla- Insofern stellte der Spielflm Che, der leben und spielt damit überwiegend im ku- 2008 in zwei Teilen (Che – Revolución und banischen sowie im bolivianischen Urwald. Che – Guerilla) in die Kinos kam, ein No- Dabei liegt der Fokus jedoch nicht auf den vum dar: Steven Soderbergh rückte durch Kampfhandlungen der Guerilleros, sondern die Darstellung von Guevaras Zeit im Gue- auf den Widrigkeiten des Guerillalebens an rillakampf in Kuba (Teil 1) und in Bolivi- sich: Der Zuschauer folgt Che Guevara und en (Teil 2) genau diese Phase in den Fokus seinen Mitkämpfern auf endlosen Märschen und formulierte gleichzeitig explizit den durch den Urwald, sieht sie beim Herrich- Anspruch, sich mit seinem Film der »iko- ten des Lagers, beim Kochen, beim Versor- nischen Figur« Che Guevara »als Mensch« gen von Verwundeten, bei Schießübungen, nähern zu wollen.20 Vor dem Hintergrund im Unterricht, bei Erkundungstouren, beim der Verteufung Guevaras einerseits und Wachestehen, beim Nichtstun. Soderbergh seiner Glorifzierung andererseits sowie im unterläuft also mit seinem Biopic die Dar- Kontext seiner Symbolisierung stellte sich stellungskonventionen und kreiert bewusst Soderbergh damit der schwierigen Aufga- keinen Actionflm. Elemente des Span- be, eine historische Figur flmisch zu verge- nungsaufbaus sind selten, stattdessen setzt genwärtigen und gewissermaßen wieder zu der Film auf nüchterne Reduktion. Insbe- »vermenschlichen«, deren Entindividuali- sondere mehrfach wiederkehrende Sequen- sierung in der Populärkultur immer weiter zen, in denen man die Guerillakämpfer kreuz voranschreitet. Sieben Jahre lang arbeiteten und quer durch den Dschungel laufen sieht, Soderbergh und sein Team an ihrem ambi- wirken für den Zuschauer, der ohne jegliche tionierten Projekt und recherchierten dazu Orientierung gelassen wird, planlos und er- gründlich und aufwendig. Mit ihrem 256 müdend. In Kombination mit Guevaras In- Minuten langen Film wollten sie ein inter- terview-Aussagen auf der Tonspur, wonach nationales Kinopublikum zu einer neuarti- ein echter Revolutionär neben dem Kampf gen, historisch refektierten Annäherung an auch zahlreiche alltägliche Aufgaben im In- Guevara einladen. teresse der Gemeinschaft übernehmen müs- Auch wenn evident ist, dass jedes flmi- se, wird klar, worauf der Film hinaus will: sche Erzählen stets nur einen Ausschnitt und Der Guerillakampf besteht aus mehr als aus eine Version der vergangenen Wirklichkeit eindrucksvollen Gefechten; die meiste Zeit sind die Guerilleros vielmehr damit beschäf- Zuschauer mitempfnden lassen, wird die tigt, den widrigen Umständen zu trotzen, Vorstellung von einem heroischen Kampf, das eigene Überleben zu sichern und sich für wie sie die Bilder des triumphalen Einzugs den Moment des Kampfes zu wappnen. Dies in Havanna evozieren, wirkungsmächtig erfordert viel Geduld, die Soderbergh daher revidiert, wodurch der Film letztlich den auch dem Zuschauer zumutet, der fast die Guerillakampf als solchen entzaubert und gesamte Dauer des Spielflms mit den Gue- entheroisiert. rilleros im Urwald verbringt und dabei die Strapazen des Alltags in all ihrer Monotonie Reduktion Ches auf den Guerillero und Langwierigkeit kennenlernt. Indem So- derbergh nahezu vollständig darauf verzich- Die Fokussierung des Films auf die Guerilla 110 tet, die historische Relevanz des Geschehens und ihren Alltag trägt in Kombination mit aufzuzeigen, wird dem Zuschauer diese Last anderen flmischen Merkmalen allerdings bewusst nicht abgenommen. auch dazu bei, dass Guevara in Soderberghs Auf den ersten Blick scheinen sich die Biopic auf seine Rolle als Guerillero redu- beiden Filmteile hinsichtlich ihrer Machart ziert wird. Diese Reduktion liegt zunächst stark zu unterscheiden. So wirkt der erste einmal im zeitlichen Rahmen der Filmhand- Teil, der überwiegend in Kuba spielt, lexi- lung begründet, die mit der ersten Begeg- konartig und überladen, da er primär dem nung Che Guevaras mit Fidel Castro ein- Zweck dient, die Vorgeschichte zum zweiten setzt, um anschließend den Guerillakampf Filmteil zu liefern. Der zweite Teil, der viel zu thematisieren. So bleiben etwa die für stärker im Fokus von Soderberghs Interesse Guevaras politische Entwicklung so wich- lag, folgt hingegen einer strengen Linearität tigen Reisen durch Lateinamerika und das und setzt durchaus auf Emotionen. Auf den Erleben der Revolution in aus- zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass die gespart. Auch Aspekte seiner Persönlichkeit, zentralen Gestaltungsmerkmale des ersten wie ein Hang zum Dramatisieren oder das Teils beide Filmteile miteinander verbinden. Motiv einer existenziellen Sinnsuche, die So konzentriert sich auch der Bolivien-Teil bei einer Beschäftigung mit seiner Jugend fast ausschließlich auf die Darstellung der ofenkundig geworden wären, geraten nicht Vorgänge im Dschungel, während der Zu- in den Blick, obwohl sie für ein Verständ- schauer über die Vorkommnisse außerhalb nis seines Charakters und seiner späteren des Dschungels weitgehend im Unklaren ge- Entscheidungen von großer Bedeutung sein lassen wird. Hier spiegelt sich, dass Guevara dürften. Stattdessen wird durch die Wahl während seines Einsatzes in Bolivien unter des ersten Trefens mit Castro und die In- einer nahezu vollständigen Isolation von der szenierung dieses Ereignisses als Schlüssels- Außenwelt litt, weil die Guerilla im Dschun- zene des Films der Einfuss Fidel Castros gel ihre Verbindung nach La Paz und nach auf Guevaras (politischen) Werdegang dem Kuba verloren hatte und ganz auf sich allei- gängigen Mythos gemäß überhöht. Gleich- ne gestellt war. Soderbergh versetzt also auch zeitig rückt die sozialpolitische Dimension hier die Zuschauer gewissermaßen in die von Guevaras Handeln in den Vordergrund, Position Che Guevaras. Sie sollen die Pro- suggeriert der Film so doch, dass es Cas- bleme und Rückschläge, an denen Guevara tros Ausführungen über die Missstände in zunehmend verzweifelte, intensiv wahrneh- Kuba waren, die Che zur Teilnahme an der men und so den psychischen Niedergang des Revolution animierten. Die Tendenz zur Protagonisten, der im zweiten Teil des Films Überhöhung einer rational-politischen Mo- im Zentrum steht, nachvollziehen können. tivierung von Guevaras Verhalten zieht sich Indem beide Filmteile die Widrigkeiten des durch den gesamten Film, in dem »private« Guerillalebens ins Zentrum stellen und den Ereignisse und Motive als Ursache für Gue- FILMKRITIK varas Handeln keine Rolle spielen, sondern er seine Uniform. Die Interpretation dieser im Gegenteil bestenfalls als Verstärker der Szenen liegt nahe: Auch in eine andere Rol- politischen Botschaft genutzt werden. Sze- le gesteckt, bleibt Che doch vor allem eins: nen, die implizieren, dass Guevara seine po- Guerillero. Indem der Film seine Zeit als litischen Ziele über sein Privatleben gestellt Politiker und Repräsentant Kubas auf diese habe, wie der emotionale Abschied von sei- Szenen reduziert, verleiht er dieser Sicht auf ner Familie, werden aufgegrifen, während Che Guevara Nachdruck. Durch die zeitli- andere Aspekte seines Privatlebens, die auch che Reduktion auf den Guerillakampf, die noch andere Erwägungen und Gründe für Tese des Primats des Politischen, die In- letztlich getrofene Entscheidungen nahele- szenierung Ches als unangepasster Gueril- gen könnten, nicht thematisiert werden. Ein lero-Politiker und die Annäherung an Gue- Beispiel für ein solches Ereignis privater Na- varas Weltbild mit Hilfe seiner ofziellen 111 tur wäre die Geburt eines unehelichen Soh- ideologischen Ausführungen aus der Retros- nes im März 1964, die seine Entscheidung pektive wird nicht der Mensch, sondern der zum Verlassen Kubas mitbeeinfusst haben Guerillero Che Guevara dargestellt. könnte.21 Indem solche Aspekte ausgeblen- det bleiben, erscheint Guevara im Film als Übernahme der ausschließlich politisch motivierte Person. (Selbst-)Inszenierung Guevaras Während Soderbergh Guevaras Kampf in Kuba detailliert darstellt, um den not- Soderbergh hat sich bei der Gestaltung des wendigen Kontext für ein Verständnis seines Biopics in vielerlei Hinsicht stark an den Ta- Einsatzes in Bolivien zu bieten, hielt er die gebüchern Che Guevaras orientiert und den knapp acht Jahre, die Guevaras Abreise nach Film bewusst aus dessen Perspektive insze- Bolivien unmittelbar vorausgingen, ofenbar niert, da er dieses Vorgehen als zentralen Teil in dieser Hinsicht für entbehrlich. Die Zeit seiner künstlerischen Arbeit versteht.22 An- zwischen dem Sieg der Guerilleros in Kuba gesichts der intensiven Mythisierung Gueva- am Ende des ersten Filmteils und Guevaras ras, an der dieser selbst schon zu Lebzeiten Abreise nach Bolivien zu Beginn des zweiten mitstrickte, erscheint es jedoch problema- Filmteils wird im Film lediglich durch einige tisch, dass Soderbergh zeitgenössische Quel- Szenen des ersten Films aufgegrifen, wel- len so unkritisch übernimmt. Er verzichtet che die Ereignisse rund um Guevaras Rede darauf, eigene Wertungen und Interpretatio- vor der UN im Dezember 1964 zeigen. In nen einzubringen und folgt somit wohl un- diesen Szenen, die innerhalb des Plots als absichtlich weitgehend den Darstellungen Vorausblenden dienen und die für Guevaras derer, die den Mythos Che Guevara geprägt Rolle als Politiker und Repräsentant Kubas haben. Dies betrift zuallererst Guevaras stehen, wird Guevara als unangepasster Gue- Selbstinszenierung. Sehr früh schon waren rillero in einer ihm eigentlich fremden Funk- die Gedanken des jungen Argentiniers um tion inszeniert, als ein Mann zwischen zwei die Frage gekreist, für was er einmal erinnert Welten. Während ihm die Bewohner Santa werden wollte, und die Pfege seines öfent- Claras zugejubelt haben, wird er in New lichen Images war ihm zeit seines Lebens York als Mörder beschimpft. Als man ihn sehr wichtig. Guevaras Selbstinszenierung fragt, ob er für seinen Auftritt geschminkt als Don Quichotte wich hierbei im Zuge werden will, lehnt er dies zunächst katego- der kubanischen Revolution dem Bild des risch ab, um kurz danach doch nach etwas vorbildlichen Revolutionärs. An einen al- Puder zu verlangen. Er sitzt in seinem Ho- ten Freund in Buenos Aires schrieb er über telzimmer, schaut einen Bericht über seinen seinen neuen Spitznamen: »CHE – so heiße Besuch im Fernsehen und bürstet dabei sei- ich jetzt, und so werde ich in die Geschichte ne Guerilla-Stiefel. Die ganze Zeit über trägt eingehen –«.23 Guevara propagierte nicht nur den »neu- zen zur städtischen Bewegung spricht, wel- en Menschen«, mit dem sich der Sozialismus che Batista durch einen Generalstreik statt realisieren lasse, er wollte selbst als dessen durch den bewafneten Kampf habe stürzen Vorbild und Beispiel gelten und in die Ge- wollen, und behauptet, der Ausgang der Re- schichte eingehen. Die vielfach geäußerte volution beweise, dass die Taktik der Gueril- Vermutung, dass ihm nicht besonders viel leros »die eindeutig efektivere« gewesen sei. an seinem Leben gelegen habe, ist insofern Dieser Deutung schließt sich Soderberghs irreführend: Vor allem an der Nachwir- Film somit unkritisch an. kung seines Lebens lag Guevara vermutlich Das Beispiel ofenbart einen zentralen eine Menge. Da er seine Tagebücher – mit kritischen Punkt des Films: den Umgang Ausnahme des Tagebuchs aus Bolivien – im mit ofziellen, retrospektiven Äußerungen 112 Nachhinein noch einmal überarbeitet hat Guevaras. Im ersten Filmteil werden die- und sich erhebliche Unterschiede zu seinen se mehrfach in Spielszenen umgesetzt, die ursprünglichen Aufzeichnungen fnden las- ein Interview Guevaras nach dem Sieg der sen, sind sie als Quellen mit Vorsicht zu ge- Revolution in Kuba inszenieren und dabei nießen. Weil darüber hinaus die Pressefrei- Grundzüge von Guevaras Weltbild darlegen. heit in Kuba unter Fidel Castro von 1959 Diese Szenen fungieren somit gewisserma- bis 2006 massiv eingeschränkt war und es ßen als Refexions- und Erklärebene, auf bis heute Einschränkungen gibt, sollte der der das Handeln des Protagonisten für das Umgang mit den öfentlich zugänglichen Publikum besser nachvollziehbar gemacht Quellen insgesamt höchst kritisch erfolgen, werden soll. Würde sich der Film auf die da zu erkennen ist, wie sehr »die Helden der Handlungsebene beschränken, bliebe der Revolution« an ihrer Legendenbildung ar- Zuschauer über Ches Motive im Unklaren beiteten. Eine tiefe Verbundenheit zwischen und ginge womöglich auf Distanz. Durch Castro und Guevara etwa stellt einen wich- die Darstellung seiner »edlen Motive« hin- tigen Aspekt des Mythos dar, den der Film gegen kann der Zuschauer Verständnis auf- unangetastet lässt, obwohl der Bruch zwi- bringen und sich womöglich gar mit dem schen den beiden schon lange kein Geheim- Protagonisten identifzieren. nis mehr ist. Ein weiteres Beispiel dafür, Der Film versucht Guevaras Weltbild zu wie weit Soderberghs Film unkritisch der erklären, indem er für die erfundenen In- Mythisierung folgt, ist das Fehlen jeglichen terviewszenen Zitate aus bekannten Reden Hinweises darauf, dass Demonstrationen, und Texten verwendet. Dies ist insofern Streiks und Kämpfe in den Städten einen problematisch, als der Che Guevara, der aus großen Anteil am Sieg der Revolution hat- den Interviews und Erfahrungsberichten ten.24 Stattdessen wird der Blick des Kino- der Kubanischen Revolution zu uns spricht publikums ausschließlich auf die glorreichen oder der Che, der 1964 vor den Vereinten Revolutionäre um Fidel Castro und Che Nationen auftritt, uns nicht die Gedanken Guevara gerichtet. Diese Überhöhung der und Gefühle eines Guerillakämpfers zeigt, Sierra, also der Guerilleros in den Bergen, der gerade die Beschwerlichkeiten dieses Le- gegenüber dem Llano, den Aktivisten in der bens erleidet oder sich im Kampf befndet. Ebene bzw. in den Städten, ist das Resultat Der Che auf der Refexionsebene des Films des Versuchs, Guevaras Perspektive anhand präsentiert uns vielmehr eine nachträgliche seiner Tagebuchaufzeichnungen zu rekons- und geschönte Betrachtungsweise, eine dis- truieren, die eben keine authentischen Mo- tanzierte Sicht, eine ideologische Überhö- mentaufnahmen bieten, sondern geschichts- hung, die aus seiner Funktion als Symbol- politisch motiviert sind. Der Film setzt fgur des neuen Kuba und als Repräsentant darüber hinaus Interview-Sequenzen ein, in dieses Systems erfolgt. Indem der Film diese denen Che Guevara über taktische Diferen- nachträglichen und ofziellen Statements FILMKRITIK unkritisch übernimmt, sie teilweise über die Auslassungen nicht. So werden im Film le- Szenen der Handlungsebene legt und dem diglich Esteban und sein Komplize hinge- retrospektiven Che somit gewissermaßen richtet, die desertiert waren und im Namen den Status eines Erzählers einräumt, folgt der Revolution Bauern schikaniert sowie die er dessen Darstellungsabsicht umso stärker. Tochter eines Bauers vergewaltigt hatten. Gleichzeitig verobjektiviert der Film gewis- Durch die Schwere der Vorwürfe gegen die sermaßen Guevaras Statements, so dass der beiden, die Guevara in einer Art Standge- Zuschauer ihre (Auf-)Richtigkeit tenden- richtsverfahren erhebt, erscheint die Stra- ziell weniger hinterfragt. Dieses Vorgehen fe für den Zuschauer nachvollziehbar, die steht einer Annäherung an den Menschen Hinrichtung wirkt gewissermaßen legitim. Che Guevara jedoch diametral entgegen, da Indem im Hintergrund ein Ausschnitt aus Guevara sich selbst nicht als Mensch, son- Guevaras Rede zu sehen und zu hören ist, in 113 dern als Vorbild, als Prototyp des »neuen der er zugibt, dass es in Kuba Hinrichtungen Menschen«, inszenierte. Indem Soderbergh gebe und weiterhin geben werde, solange die nachträglichen Äußerungen als subjek- sie »notwendig« seien, wird die kubanische tiv-authentische Quellen begreift und die Hinrichtungspraxis insgesamt ein Stück weit narrativen Elemente des Mythos Che Gue- relativiert. Dass Guevara eine extreme Härte vara nicht hinterfragt, reproduziert er diesen gegenüber »Verrätern«, Delinquenten und auf inhaltlicher Ebene letztlich weitgehend. Deserteuren an den Tag legte und zahlreiche Menschen hinrichten ließ, die sich keines- Inszenierung als tragischer Held wegs alle Plünderungen und Vergewalti- gungen hatten zuschulden kommen lassen, Welches Bild nun entwirft der Film von Che geht aus dem Film nicht hervor. Passagen Guevara insgesamt? Erscheint er hier durch der Tagebücher, die seinen Rigorismus und und durch als Held oder ist er ein durchaus seine Verachtung für alles, was er als feige gemischter Charakter? Wie ausgewogen und empfand, dokumentieren, hat Soderbergh diferenziert ist die Darstellung? Soll der Zu- nicht aufgegrifen. Auch dass Guevara eine schauer sich selbst ein Bild machen oder ist verklärende Kriegsmetaphorik benutzte und die Lesart durch den Film weitgehend vor- wohl sogar bereit war, einen Atomkrieg zu gegeben? riskieren, wird im Film nicht thematisiert. Der Film inszeniert primär die positiven Che verbalisiert bei Soderbergh bestenfalls Eigenschaften von Che Guevara. Er zeigt sei- Strenge und Härte als disziplinarische Maß- ne Milde gegenüber gegnerischen Soldaten, nahme und agiert sie nicht etwa brutal kör- einen väterlichen Umgang mit jungen Gue- perlich aus. rilleros in der eigenen Gruppe und zeichnet Angesichts seines Scheiterns in Bolivi- eindrückliche Bilder eines humanistischen en wird Guevara im zweiten Teil des Films Kämpfers. Zwar sind etliche solcher Hand- nicht als Antiheld inszeniert, sondern viel- lungsweisen Guevaras verbürgt, doch der mehr als tragischer Held. Die Darstellung historische Guevara war im Gegensatz zu seines Leidens und die Inszenierung seiner Soderberghs Darstellung auch ein Mensch Opferbereitschaft tragen dazu ebenso bei mit Schwächen und Widersprüchen. So wie die Szene, in der sich sein toter Körper klammert der Film beispielsweise Guevaras auf den Kufen eines Hubschraubers in die Rolle als Unterzeichner der Todesurteile in Lüfte erhebt. Das lässt sich als ein Symbol La Cabaña nach dem Sieg der kubanischen für das Fortbestehen seiner Ideen und Ideale Revolutionäre aus, aufgrund welcher er sehr verstehen. Indem Soderberghs Che in Boli- umstritten ist. Könnte man diese Auslassung vien letztlich nicht scheitert, weil er falsch noch auf die zeitliche Begrenzung der Film- gehandelt hat, sondern weil er die Bauern handlung zurückführen, gilt das für andere nicht von der Richtigkeit seines Handelns überzeugen konnte, werden seine Ziele nicht blikums tendenziell in schwarz-weiß über- in Frage gestellt, vielmehr wird im Gegen- liefert, da sich das Farbfernsehen erst später teil seine Botschaft bekräftigt. Dass Gueva- durchsetzte. ra mit seinen Ideen zuvor bereits im Kongo Aufschlussreich ist zudem, dass der Plan gescheitert war und dort aufgegeben hatte, zu einem Film über Che Guevara ursprüng- erwähnt der Film mit keiner Silbe. Anders lich nicht auf Soderbergh, sondern auf wäre der Nimbus des Nie-Aufgebens, der Hauptdarsteller Benicio del Toro zurück- wohl der wesentlichste Bestandteil des My- ging, der unbedingt einmal die Rolle des Che thos Che Guevara ist, auch nicht aufrecht- spielen wollte.26 Soderbergh sah aufgrund zuerhalten gewesen. der Ähnlichkeit der beiden, die ihm zufolge sogar die Tochter Guevaras staunen ließ,27 114 Authentifizierungsstrategie unter die Chance durch eine Optimalbesetzung Rückgriff auf die Bildikone Che »Magie« entstehen zu lassen, und nahm das Projekt deshalb an. Das Bestreben, das Au- Insbesondere neuere Filme, die sich mit ge- thentizitätssignal der Ähnlichkeit zwischen schichtlichen Temen beschäftigen, bean- Darsteller und Dargestelltem zu nutzen, fun- spruchen oft, in ihrer Darstellung historisch gierte hier also sogar als Initialzündung des »authentisch« zu sein.25 Bei der Analyse von gesamten Filmprojekts. Da Schauspieler del Che wird ofenkundig, dass Soderbergh die- Toro dem Che Guevara, der als Repräsentant sen Efekt primär durch eine Reaktivierung Kubas öfentlich in Erscheinung trat, deut- beziehungsweise Parallelisierung historischer lich ähnlicher sieht als dem Che Guevara, Bilder von Che Guevara zu erzielen versucht. der als Guerillero auf Kuba kämpfte, wird So sind etwa die fktionalen Interview-Sze- das Authentizitätssignal der fktionalen Vor- nen und Ches Rede vor der UN in schwarz- ausblenden noch einmal verstärkt. weiß gestaltet, so dass sie wie historische Darüber hinaus nutzt Soderbergh in den Amateur- oder Fernsehaufnahmen anmuten Interview-Szenen Nah- und Detailaufnah- und womöglich Wiedererkennungsefekte men, um bestimmte optische Merkmale im Publikum auslösen. Während der Gueril- und Attribute hervorzuheben, die für die lero Che Guevara in der Öfentlichkeit nicht Zuschauer sehr stark mit Che Guevara ver- präsent war, ist der Che Guevara, der später knüpft sind. Hierbei handelt es sich über- als Repräsentant Kubas Interviews gab und wiegend um Aufnahmen von Zigarren oder Reden hielt, in den Erinnerungen des Pu- andere Detailaufnahmen, die das Rauchen FILMKRITIK symbolisieren, da Guevara in der Vorstel- pektive Guevaras aufzugreifen, um dessen lung vieler Menschen noch heute mit einer Erfahrungen für die Zuschauer »erfahrbar« Zigarre verankert ist. Indem Guevara nicht zu machen, wird somit ein Stück weit ad ab- nur beim Rauchen gezeigt wird, sondern die surdum geführt. Zigarre selbst in den Interview-Szenen durch Die flmische Visualisierung der Selbst- Close-ups in den Mittelpunkt gerückt wird, inszenierung Guevaras sowie dessen Insze- inszeniert Soderbergh dieses Markenzeichen nierung durch Fidel Castro, die seinerzeit Guevaras, um einen Wiedererkennungsef- Hand in Hand gingen, führt darüber hin- fekt zu erreichen und die Erwartungen der aus dazu, dass Soderbergh sich in vielerlei Rezipienten zu befriedigen. Soderbergh Hinsicht an den gängigen Narrativen des nutzt also gezielt die Präsenz historischer Mythos orientiert. So greift der Film etliche Bilder im kollektiven Bewusstsein, um einen Episoden auf, die in der Literatur umstrit- 115 Authentifzierungsefekt zu erreichen. ten sind, während andere Aspekte, die den Mythos hinterfragen könnten, ausklammert Fazit: Der Film als Reproduktion werden. Letztlich ähnelt Soderberghs Film des Mythos der bekannten Guevara-Biografe von Jon Lee-Anderson, der als Berater des Films fun- Während Soderberghs Biopic auf der Ebe- gierte. Beide Werke beruhen auf intensiven ne der Machart Korrekturen an allzu aus- Recherchen und zeichnen sich durch eine schließlich heroischen Vorstellungen vom ausführliche, detaillierte und lexikonartige Guerillakampfes anbringt und durch Szenen Darstellung aus, verzichten jedoch weitge- eines unheroischen, mühsamen und sogar hend darauf, eigene Standpunkte zu entwi- langweiligen Alltags den Mythos in diesem ckeln und eigene Deutungen einfießen zu Punkt nicht bedient, trägt die thematische lassen – oder solche immerhin anzubieten. Schwerpunktsetzung letztlich dazu bei, das Stattdessen vermittelt der Film dem Zu- gängige Image Guevaras als Guerillero zu schauer das Gefühl, sich auf der Basis von forcieren. Dies geschieht zunächst durch den Fakten selbst ein Bild machen zu können. zeitlichen Rahmen der Darstellung, die sich Da ein Erzählen, noch dazu ein Erzählen fast ausschließlich auf die Zeit des Guerilla- im Film, jedoch niemals objektiv sein kann, kampfes in Kuba und in Bolivien beschränkt sondern immer durch Selektion und Insze- und somit etwa den Erfahrungen Guevaras nierung geprägt ist, täuscht der Stil des Films während seiner Reisen und dem Motiv der darüber hinweg, dass er sehr wohl ein ganz Sinnsuche, das für ein besseres Verständnis bestimmtes Bild Guevaras vermittelt, näm- seines Denkens und Handelns zentral ist, lich das des tragischen Helden, der schick- keinen Raum einräumt. Auch indem der salhaft und ohne eigenes Verschulden seinen Film private Ereignisse und Erfahrungen Niedergang und sein Selbstopfer für einen höchstens einmal nutzt, um die Bedeutung höheren Zweck akzeptiert – also letztlich das einer rationalen politischen und sozialen gängige Image Ches gemäß dem Mythos des Motivationsebene hervorzuheben, erschwert »Guerillero heroico«. er eine Annäherung an den Menschen Che Filmkritiker in der Frankfurter Allge- Guevara. Verstärkt wird dieser Efekt da- meinen und der Zeit kamen bei Erschei- durch, dass die ideologischen Ausführungen nen des Films zu einem entgegengesetzten Guevaras in den Interview-Szenen auf der Fazit. Peter Körte befand, Che wirke »wie Refexionsebene genutzt werden, um seine eine Ausnüchterungszelle für Revoluti- Motivation herauszustellen, obwohl es sich onsberauschte«,28 während Gerd Koenen bei den Äußerungen eher um nachträgli- urteilte, Soderberghs Film stelle Gueva- che geschichtspolitische Selbststilisierungen ras Geschichte als «rosarote[n] Mythos des handelt. Soderberghs Argument, die Pers- 20. Jahrhunderts» dar.29 Die gegensätzlichen Lesarten lassen sich meines Erachtens durch er als Independent-Filme produziert. Soder- den ausgeprägten Zwiespalt erklären, in dem bergh zeichnet aber auch für kommerzielle der Film steckt: Während auf der Ebene der Kinoerfolge verantwortlich, darunter Ocean’s Eleven (2001). Machart eine eindrückliche Entheroisierung 2 Stephan Lahrem, Che Guevara. Leben, des Guerillakampfes stattfndet, bleibt der Werk, Wirkung, Frankfurt am Main 2005, Mythos Che Guevara im Film weitgehend S. 33; Fernando Diego García/Oscar Sola, unangetastet. Che. Der Traum des Rebellen, Berlin 2006, Seine erklärte Absicht erreicht Soder- S. 69. bergh letztlich nicht. Der Mythos lässt sich 3 García/Sola, S. 69; Baris Alakus/Katharina weder in der Reduktion im Bereich der Kniefacz/Werner Reisinger, . Inszenierung noch durch die Vielzahl an Mythos und Wirkung des Ernesto Guevara, inhaltlichen Details »ersticken«, und der Wien 2007, S. 88. 116 4 Alakus/Kniefacz/Reisinger, S. 220. Mensch Ernesto Che Guevara mit seinen 5 Jorge G. Castañeda, Che Guevara, Frankfurt Motiven, Gedanken und Gefühlen wird am Main/Leipzig 1998, S. 10f. für den Zuschauer nicht wirklich greifbar. 6 Ebd., S. 9f. Auch wenn der Film den Rezipienten um- 7 Castañeda, S. 10f. fassend über Ches Guerillakampf in Kuba 8 Stephan Lahrem, Che. Eine globale Protesti- und in Bolivien informiert, bleibt Guevara kone des 20. Jahrhunderts, in: Gerhard Paul doch der Mann auf dem T-Shirt, eine Ikone. (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 2, Soderberghs Versuch, die Wirkungsmacht Bonn 2008, S. 498. des Mythos zu nutzen, um möglichst viele 9 Gerd Koenen, Traumpfade der Weltrevo- lution, Das Guevara-Projekt, Frankfurt am Zuschauer zu erreichen und an den Film Main 2012, S. 498. zu binden, bleibt halbherzig. Dies geht aus 10 Ebd., S. 498–501. der visuellen Gestaltung der Vorausblenden 11 Ebd., S. 506f. hervor, welche die Erwartungshaltung der 12 Ebd., S. 552–554. Rezipienten befriedigen und die historische 13 Lahrem, Che Guevara, 2005, S. 101f. Relevanz der Ereignisse herausstellen soll, 14 García/Sola, S. 216; Alakus/Kniefacz/Rei- die der Film sonst weitgehend verschweigt. singer, S. 254. Am Ende stand bei seinem Erscheinen 15 Alakus/Kniefacz/Reisinger, S. 231. in den Kinos 2008 die unkonventionelle 16 Lahrem, Che Guevara, 2005, S. 127. 17 Alakus/Kniefacz/Reisinger, S. 275. Machart des Films einem kommerziellen 18 Lahrem, Che, 2008, S. 238. Erfolg beim breiten Publikum jedoch eher 19 Lahrem, Che Guevara, 2005, S. 131. entgegen, während ein politisch informiertes 20 Diesen Anspruch hat Soderbergh in einem Minderheitenpublikum auf der inhaltlichen Video formuliert, das auf YouTube einseh- Ebene nichts Neues geboten bekommt. bar ist. Steven Soderbergh on Che, https:// www.youtube.com/watch?v=IkBJBSAgnU0. Zuletzt aufgerufen: 06.02.2019. TC: 00.00. Anmerkungen 14-00.01.01. 21 Siehe Castañeda, S. 330–332. * Wir gehen davon aus, dass unsere Wieder- 22 Steven Soderbergh, Te Rumpus Long Inter- gabe einiger Stills aus dem Film durch das view with Steven Soderbergh (Interview: Scott Zitatrecht gedeckt ist. Andernfalls bitten wir Hutchins, 19.01.2009), https://therumpus. um Nachricht an die Redaktion. net/2009/01/the-rumpus-long-interview- 1 Che. Revolución und Che. Guerilla (F/ES/ with-steven-soderbergh/. Zuletzt aufgerufen: USA, 2008, R: Steven Soderbergh). Steven 06.02.2019. Soderbergh hat sich als Regisseur, Dreh- 23 Zitiert nach: Jon Lee Anderson, Che, Die buchautor und Produzent immer wieder Biografe, Berlin 2016, S. 358. gesellschaftlich relevanter und zuweilen 24 Auf diesen Umstand hat Koenen in seiner komplexer Temen angenommen. Viele hat Rezension hingewiesen. Gerd Koenen, Die FILMKRITIK

rosarote Revolution. Che Guevara im Kino, in: DIE ZEIT, Nr. 25, 10.06.2009, https:// www.zeit.de/2009/25/Che-Guevara/kom- plettansicht. Zuletzt aufgerufen: 06.02.2019. 25 Vgl. hier insbesondere Judith Königer, Au- thentizität in der Filmbiografe, Zur Ent- wicklung eines rezipientenorientierten Au- thentizitätsbegrifs, Würzburg 2015. 26 Steven Soderbergh, »Che hätte mich gehasst« (Interview: Tobias Kniebe, 17.05.2010), https: //www.sueddeutsche.de/kultur/im-gespraech- steven-soderbergh-che-haette-mich-gehasst- 1.165790. Zuletzt aufgerufen: 06.02.2019. 27 Ders., »Jeder kennt Ches Konterfei« (Inter- 117 view: Johannes Bonke, 11.06.2009), https:// www.zeit.de/online/2009/25/steven-soder- bergh-interview/komplettansicht. Zuletzt auf- gerufen: 06.02.2019. 28 Peter Körte, Ausnüchterungszelle der Revo- lution: »Che«, FAZ.net: https://www.faz.net/ aktuell/feuilleton/kino/video-filmkritiken/ video-filmkritik-ausnuechterungszelle-der- revolution-che-1105252.html?printPaged- Article=true#pageIndex_0. Zuletzt aufgeru- fen: 06.02.2019. 29 Koenen, Die rosarote Revolution.