stachlige argumente Zeitschrift des Landesverbandes Berlin / Nr. 184 / Winter 2011 17,6 18. September 2011 – 17, 6 % Können 4, 5 % Plus ein Minus sein?

Eurokrise Finanzkrise Grüne Krise Von Solidität und Solidarität Von Schulden und Scheitern Mehr Mut - Grün bleiben Inhalt Editorial

Debatte Titelthema: 17, 6 % Parteileben 4 Raus aus der Eurozonen-Krise 21 Aus Fehlern lernen – 38 Sicherheit geht vor durch Solidität, Solidarität und notwendige Debatten führen – Neuanfang mit den Grünen - nachhaltige Investitionen Oppositionsführerschaft Zählgemeinschaft von gewinnen in Berlin-Mitte angestachelt ! von 6 Solidarisch durch die Krise? 39 Hallo, hier kommt Berta! von Elisabeth Schroedter 24 Teilhaben und Teilsein? von Nikolai Wolfert betr.: Euro,- Staatsschulden, Finanz, -Wirtschaftskrise Nicht in diesem Wahlkampf 7 „Entwaffnet die Finanzmärkte“ - von Alexander Klose und 40 Neuköllner Grüne stehen vor Die Bezeichnungen sind vielfältig, aber eines ist allen gemein - Krise. Und das heißt: Handlungsdruck. Vor allem der Bundes- NEIN zu diesem Susanna Kahlefeld echten Herausforderungen regierung, die getrieben werden muss, Schritt für Schritt anzuerkennen, das Europa mehr ist als der Euro, das eine Schulden- EU-Rettungsschirm von Bernd Sczepanski bremse kein Selbstzweck ist und das ein Parlament, hier der Bundestag, ein Königsrecht hat: Das Haushaltsrecht. Mit gezielten von Hans-Christian Ströbele 26 Lieber den Spatz auf dem Dach Desinformationen erzeugt Schwarz-Gelb ein Umfeld, in dem sich alle nur noch Fragen: Was haben wir eigentlich mit Europa als die Taube in der Hand?! 41 Friedrichshain-Kreuzberg zu tun? Und die Kanzlerin gefällt sich als Krisenmanagerin, die tapfer die deutschen Töpfe verteidigt – und dabei wohl 8 „Unsere Grundphilosophie des von Reiner Felsberg, Jürgen bleibt grün! vergisst, dass der deutsche exportgestützte Boom von den jetzt zu stützenden Euroländern mitfinanziert wurde. Programms von 1998 ist Wachsmuth und Matthias Tang von Paula Riester und Wir Bündnisgrüne haben auf der BDK in Kiel dagegen gesetzt: gescheitert!“ Florian Schärdel Solidität und Solidarität im Verbund mit nachhaltigen Investitionen ist unser Ziel, Eurobonds, ein Finanz- und Wirtschaftskom- Ein Gespräch mit von 28 Ein Blick nach Innen missar auf EU-Ebene, eine Volksabstimmung zur EU, eine sozial-ökologische Finanzreform sowie Investitionsunterstützungen Oliver Münchhoff von Jochen Biedermann 42 Die neue Grüne Fraktion im unsere Mittel. Die Ergebnisse der BDK findet ihr auf gruene.de unter dem Schlagwort: Was wurde entschieden. 11 Euro, der; EZB, die; Abgeordnetenhaus Griechen, die; 29 Unsere Plattform – Alle Texte betr.: Berlin - Grüne Krise? von Oliver Münchhoff 42 Eine Frage an... Viel wurde und wird diskutiert über unsere Verfasstheit. Wir wollen Euch hier eine Plattform bieten für Eure Analysen und 30 Die Piratenpartei und die von Oliver Münchhoff Meinungen zum Wahlkampf und seinen Folgen. Alle hier nicht abgedruckten Artikel werden wir auf gruene-berlin.de/stachli- Grünen – eine Wahlanalyse ge-argumente veröffentlichen. von Christine Dörner 43 Die Landesgeschäftstelle Um den letzten Satz des abschließenden Artikels dieser Serie hier vorwegzunehmen: Titelthema: 17, 6 % von Catherina Pieroth „hier liegt viel Weg vor uns - gehen wir's gemeinsam an!“

13 11 Thesen zur Wahl aus der 44 Canvassing – die neue Wahl Auch auf der kommenden LDK am 21. Januar 2012 Froschperspektive Parteileben kampfstrategie? von Rainer Rudolph von Silke Gebel betr.: Rückseite dieser Ausgabe: Anti-Nazi-Bär aus Mitte und Neukölln 32 Mitte – von allem etwas, 14 Die Arbeit beginnt jetzt! von manchem mehr 46 Große Tombola um einen Unsere Rückseite nimmt sich nicht umfassend eines aktuellen Themas an, sondern wir können es uns erlauben, an dieser Stelle von und von Alessa Berkenkamp Kitaplatz es plakativ auszudrücken. Was andere erst als Schreck empfinden, wenn Aktionen des Nazimobs anscheinend wie aus dem Daniel Wesener von der Kita-AG Nichts zu Tage treten, haben wir immer gesagt: Es gibt eine rechtsradikale Bedrohung, die unseren Alltag und unser Zusam- 36 RotSchwarzGrün – menleben zerstören will und die sehr wohl organisiert ist. 16 „Wir haben zu wenig Mut eine eher seltene 47 Armutsfalle für Allein- Das Plakat ist auch ein Zeichen der Zusammenarbeit: gehabt, Grün zu bleiben“ Farb-kombination erziehende im Prenzlberg Der Bärenentwurf stammt aus dem KV Mitte und der KV Neukölln hat es in Plakatform auf die Strasse gebracht. Ein Gespräch mit Volker Ratzmann von Regina Schmidt von Claudia Lukas Wie sich gezeigt hat auch mit Erfolg: Der Süden des Bezirks wurde regelmäßig „entplakatiert“. von Ronald Wenke Wir sehen uns im Februar in Dresden – und werden auch dort Gesicht zeigen. 36 Rot-Grün in Charlottenburg- 48 Grünes Projekt 19 Drei Gründe für das Verfehlen Wilmersdorf "Fehlende Kita-Plätze" Nun hoffentlich auch Spaß beim Lesen und Euch allen ein Frohes Weihnachtsfest und Guten Rutsch! des Wahlziels von Jürgen Wachsmuth von Eckard Holler 49 Nachruf – Wolfgang Pohner 37 Grüne im Südosten gehen Eure Redaktion 20 It´s the strategy, stupid! Zählgemeinschaft mit SPD 50 Gestern habe ich wieder was Oliver Münchhoff, Ronald Wenke, Ulrike Bürgel von Katrin Schmidberger und CDU ein gelernt – Fundis gefunden von Andrea Gerbode und von Wolfgang Seelbach Peter Groos

2 3 Debatte

Raus aus der Eurozonen-Krise durch Solidität, Solidarität und nachhaltige Investitionen von Sven Giegold

Die Rettungsprogramme für die europäischen Krisenländer Governance-Paket“ enthalten. Sowohl Mitgliedsländer mit haltsdefizite einzuengen und auch den Schuldenstand über werden mit starken Auflagen bei der Haushaltssanierung, wirken nicht wie erhofft. In Griechenland steigt die Gefahr, Überschüssen von Exporten im Vergleich zu den Impor- 60% des BIP konsequent zurück zu führen, ist deshalb zu damit mithaftende Staaten wie Deutschland nicht auf den dass ein Staatsbankrott nicht vermieden werden kann. ten, als auch Staaten mit Defiziten müssen zukünftig einen begrüßen. Verlusten sitzen bleiben. In Griechenland und Portugal ist die Arbeitslosigkeit von Beitrag zum Abbau der volkswirtschaftlichen Ungleichge- 2008 bis 2010 stark angestiegen, in Spanien hat sie sich wichte leisten. Bei Nichthandeln drohen Sanktionen. Län- Jedoch muss bei den Sparanstrengungen die soziale und Die Erfolgsgeschichte der EU beruht auf Lehren, die weit- im Vergleich zum Vorkrisen Niveau von rund 11% (2008) der mit Problemen bei der wirtschaftlichen Leistungsfähig- ökologische Balance gewahrt werden. Bei den bisherigen sichtige PolitikerInnen aus der Geschichte des Kontinents fast verdoppelt auf rund 20% (2010). Außerdem leben in keit müssen Reformen vornehmen und ihre Kosten senken. Sparmaßnahmen in den Krisenländern werden die Lasten nach zwei Weltkriegen gezogen hatten. Frieden, Freiheit, Griechenland und Portugal mittlerweile 20% der Bevöl- Länder mit Exportüberschüssen müssen ihre Nachfrage der Haushaltskonsolidierung vor allem auf den Schultern Demokratie lassen sich besser gewährleisten, wenn nicht kerung unter der Armutsgrenze. In Spanien ist die Anzahl steigern. Es ist wichtig zu beachten, dass Exporterfolge von der Mittelschicht, Geringverdiener und Armen abgeladen. nur nationale Interessen verfolgt werden, sondern die an Menschen, die mit weniger als 530 Euro monatlich Mitgliedern der Eurozone der notwendigen Verschuldung Entsprechend haben Armut und Arbeitslosigkeit zugenom- Staaten Europas politisch und wirtschaftlich immer tiefer auskommen müssen, innerhalb von drei Jahren um eine der Importländer mit Defiziten entsprechen. Aus deutscher men, während die auch in den südlichen Mitgliedsländer zusammenarbeiten. Das Versprechen demokratischer Wer- Million, auf über 9 Millionen, angewachsen. Alle Versuche Sicht hat es sich als unklug erwiesen dreistellige Milliarden- stark gewachsenen Vermögen nicht belastet wurden. te wäre unvollkommen ohne das Ziel sozialer Gerechtigkeit in einer Politik kleiner Schritte „auf Sicht“ aus der Krise Summen risikoreich ins Ausland zu verleihen, anstatt sie in und dem Erhalt der Natur. Auch in der momentanen Krise herauszukommen, sind offensichtlich überfordert. Die Eu- die Zukunft zu investieren. Die Maßnahmen des Grünen Immer deutlicher wird, dass diese Strategie nicht nur sozial, gilt es diese drei Ziele im Blick zu behalten: eine Wirt- ropäischen Grünen schlagen stattdessen eine „Europäische New Deal in Deutschland wie Mindestlöhne, faire Lohnab- sondern auch ökonomisch gescheitert ist. Denn das Wachs- schaftspolitik der Solidität, Solidarität und Nachhaltigkeit Wirtschaftsunion“ vor. Statt Europaskepsis und Renationa- schlüsse und Zukunftsinvestitionen in Bildung und Klima- tum springt nicht an, was die staatlichen Einnahmen wei- führt uns dorthin. lisierung braucht Europa eine Strategie, die aus den Säulen schutz würden unsere Exportwirtschaft kaum schwächen, ter nach unten drückt. Die Neuverschuldung bleibt deshalb Solidarität, Solidität und Nachhaltigkeit besteht und neue aber die Kaufkraft für Importe aus den Partnerländern stei- hoch. Diese Art des Schuldenabbaus schädigt zunehmend Der Autor, MdEP für die NRW-Grünen, ist Koordinator Krisen langfristig vermeidet. gern und damit auch den Euro stabilisieren. die Unterstützung für die Europäische Union selbst. der Grünen im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments. Er ist Mitgründer von Attac Verantwortung für Haushaltsdisziplin und Zudem müssen ökonomische Statistiken und Haushalts- Deshalb ist es jetzt essentiell, nachhaltige Investitionen in Deutschland und engagiert sich in der Präsidial- gegen wirtschaftliche Ungleichgewichte zahlen in Zukunft umfassend und transparent sein und vor Zukunftsbereiche, wie erneuerbare Energie, nachhaltigen versammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentages. allem der Wahrheit entsprechen. Dafür sorgen die durch Tourismus und Bildung im Rahmen eines Green New Deals Mehr: www.sven-giegold.de/ Die Ursache der Krise in Spanien, Irland, Portugal und das Economic Governance-Paket gesetzlich verankerten parallel zu den notwendigen Reform- und Sanierungspro- sowie facebook/twitter: sven_giegold auch in Griechenland ist vor allem eine Explosion von kon- Anforderungen wie striktere Statistikregeln und die ob- grammen vorzunehmen. Außerdem brauchen wir eine bes- sum- und immobiliengetriebener Privatverschuldung als ligatorische Analyse der Daten durch unabhängige Ins- sere Steuerkooperation in Europa, um Steuerdumping zu Folge der immer größeren Ansammlung billigen Geldes. titute. Somit ist ein beherzter Schritt gegen manipulierte verhindern und die staatlichen Einnahmen zu stärken. Auch Der schnelle Zustrom von Krediten beschleunigte zudem Haushaltsdaten gemacht worden. Gerade bei Risiken aus die Finanztransaktionssteuer muss nun endlich kommen. das allgemeine Kostenniveau und kostete die Länder ihre Public-Private-Partnerships werden nun auch die Bundes- Wettbewerbsfähigkeit. Erst darauf folgte – mit Ausnahme regierung, Länder und Kommunen gefordert sein, ver- Die Grüne Strategie aus Solidarität, Solidität und nachhal- Griechenlands – die unnachhaltige Erhöhung der Staats- steckte Schulden und Risiken zu erfassen und transparent tigen Investitionen bietet einen langfristigen Weg aus der verschuldung. Deshalb ist es unerlässlich, zukünftig effek- zu machen. Krise. Kurzfristig jedoch muss die Finanzierung der aller tive Maßnahmen gegen wirtschaftliche Ungleichgewichte Eurostaaten gesichert werden. Ihre Reformanstrengun- zu ergreifen. Die Wirtschaftspolitik der Euroländer darf Finanzielle Solidität als andere Seite der gen können nur gelingen, wenn sie nicht von wachsen- nicht mehr gegeneinander gerichtet sein, sondern muss Euro-Solidarität den Zinslasten erdrückt werden. Der Rettungsschirm EFSF den wirtschaftlichen Erfolg aller Staaten im Rahmen einer ist zu klein, um auch Spanien und Italien stabilisieren zu gemeinsamen Währung in den Mittelpunkt stellen. Das Klare Grenzen für öffentliche Schulden, Schuldenabbau und können. Der Ansatz der Bundesregierung, dass sich alle Auseinanderentwickeln der wirtschaftlichen Leistungs- ein effektiver Stabilitäts- und Wachstumspakt sind weitere Euroländer selbst um ihre Finanzierung kümmern sollen, ist fähigkeit der Euroländer ist mit der gemeinsamen zentrale Stützen der gerade beschlossenen zukünftigen gescheitert. Die lange Blockadepolitik gegen Europäische Währung auf Dauer nicht zu vereinbaren. Euro-Regeln. Sie sind notwendig für unsere Zukunft, denn Anleihen hat nun die Unsicherheit an den Finanzmärkten die nachfolgenden Generationen europäischer Bürger- so weit erhöht, dass die EZB zum Handeln genötigt wurde. Maßnahmen gegen übermäßige Ungleichgewichte sind Innen haben ein Recht auf gesunde öffentliche Kassen. Die Die Glaubwürdigkeit der EZB wird zunehmend beschädigt. im den kürzlich vom Rat der Europäischen Mitgliedsländer neuen Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, Daher muss sich die Bundesregierung bei den Euroanleihen und dem Europaparlament verabschiedeten „Economic die Defizitverfahren zu straffen, die Spielräume für Haus- - fotolia © Maxim_Kazmin endlich bewegen. Die Eurobonds können dann verknüpft

4 Debatte

„Entwaffnet die Finanzmärkte“ - Solidarisch durch die Krise? NEIN zu diesem EU-Rettungsschirm von Elisabeth Schroedter von Hans-Christian Ströbele

In den letzten Monaten hat sich die Protestbewegung der der Schulabbrecherquote. Die Europäische Kommission Dem EU-Rettungsschirm habe ich nicht zugestimmt. rung, was eilbedürftig oder vertraulich ist. Das 9er-Gremi- Indignados, der empörten Jugend Spaniens, weit über die schlägt dazu vor, dass jeder Mitgliedstaat 20% des ESF für Deutschland soll sich daran mit Garantien bis zu 211 Milliar- um kann zwar widersprechen, aber nur mit Mehrheit, also Landesgrenzen hinweg Gehör verschafft. Auch im Rest Eu- die Armutsbekämpfung verwendet. Damit reicht der ESF- den Euro beteiligen. Mit dem vielen Geld sollen Notmaßnah- nur mit Stimmen aus der Regierungskoalition. ropas und der Welt machen Menschen ihrem Unmut Luft, Aktionsbereich erstmalig deutlich über die Arbeitsmarkt- men im Euro-Währungsgebiet bezahlt werden. Auch bei der dass die einzige Antwort auf die gegenwärtige Krise, ver- politik hinaus und lässt umfassende Maßnahmen zu, um „Hebelung“, mit der Kredite in mehrfacher Höhe der Garan- Nach dem Gesetz sind vorsorgliche Notmaßnahmen zur schärfte Haushaltsdisziplin ist. Die Krise ist aber auch eine Menschen aus der Armut zu helfen. Die Bundesregierung tiesumme möglich werden, habe ich mit Nein gestimmt. Rekapitalisierung von Banken oder Ankauf von Staats- soziale Krise. Sparmaßnahmen dürfen daher nicht nur auf hat sich in ersten Äußerungen gegen solch klare Vorgaben anleihen regelmäßig eilbedürftig oder vertraulich. Ausge- Haushaltsstabilisierung abzielen, sondern müssen auch die der EU zur Armutsbekämpfung gestellt. Dabei würde dieser Auch ich will der griechischen Bevölkerung helfen, aus der nommen sind nur Grundentscheidungen, etwa der erst- Menschen im Blick haben, um nicht einer ganzen Gene- erweiterte ESF auch in Deutschland viele Projekte ermögli- Krise zu kommen. Auch ich bin grundsätzlich für einen malige Antrag eines Mitgliedstaates auf Notmaßnahmen. ration die Zukunft zu nehmen. Obwohl laut Sozialbericht chen, die Armut beseitigen und soziale Inklusion vorantrei- Rettungsschirm. Lieber wäre mir ein drastischer Schulden- Wenn es um weniger wichtige Entscheidungen geht, reicht 2011 des Statistischen Bundesamts inzwischen fast jeder ben. Wir Grüne werden uns im Europäischen Parlament in schnitt auf Kosten der Banken oder eine geregelte Staats- die Zustimmung des Haushaltsausschusses. Auch dessen sechste in Deutschland und 84 Millionen (17%) in der EU den Verhandlungen mit dem Rat dafür einsetzen. Die EU insolvenz, die nicht zu Lasten der sozial Schwachen geht. Zustimmung kann bei Eilfällen und Vertraulichkeit das 9er- armutsgefährdet sind, verabschieden Länder wie Deutsch- muss gerade in der Krise die soziale Dimension aufwerten Aber dafür fehlen noch die Regeln im EU-Währungsraum. Gremium ersetzen. land und Großbritannien, die nicht unmittelbar von der und Akzente setzen, um das Vertrauen der Menschen in die Sie müssen dringend geschaffen werden. Solange bleibt nur Krise betroffenen sind, auch Maßnahmen, die den dort an- EU wieder zu gewinnen. Die Mitgliedstaaten müssen auch die Hoffnung auf den Rettungsschirm. Sie ist trügerisch. Damit wird das Haushaltsrecht des Parlaments zu stark be- haltenden Trend steigender Armut deutlich verschärfen. im Zuge von Sparmaßnahmen sozial handeln und Investi- Niemand weiß, ob die Finanzmärkte wirklich beruhigt wer- schränkt und einem Rumpf-„Parlament“ übertragen. Das tionen in Menschen nicht hinten anstellen, wenn sie ihren den. Inzwischen sind Nachschüsse in Milliardenhöhe nötig, will ich mir als Bundestagsabgeordneter nicht gefallen lassen. Im Gegensatz dazu steht in der EUROPA-2020-Strategie Bürger/innen gegenüber glaubwürdig bleiben wollen. oder die EU-Zentralbank übernimmt die Risiken. Letztlich Immerhin geht es um Summen in Höhe der Hälfte des Ge- das Ziel, die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze haften die Steuerzahler der EU. Die Finanzmärkte treiben samthaushalts des Bundes. um 20 Millionen zu senken. Doch was kann die EU kon- Die Autorin ist Mitglied des Europäischen Parlamentes die Politik vor sich her. Die Risiken in Höhe von Hunderten kret tun, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen, dieses und Vizepräsidentin des Sozial- und von Milliarden sind kaum noch zu verantworten. Schlimmer noch, mein Recht auf Unterrichtung darüber, Ziel zu erreichen? Eine der Antworten der EU auf die Krise Beschäftigungsausschusses was mit dem Geld der Steuerzahler geschieht, kann in ist das Europäische Semester mit einer besseren Koordinie- Nicht zugestimmt habe ich vor allem, weil eine ausreichen- den Fällen besonderer Vertraulichkeit beschränkt werden. rung von Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik de parlamentarische Kontrolle fehlt. Zwar sieht das Gesetz Und das über Jahre. Das darf nicht sein. Wie soll ich dann der 27 Mitgliedstaaten. Klare Zeitpläne sollen sicherstellen, vor, dass dann, wenn die haushaltspolitische Gesamtver- kontrollieren? Ich soll über die Ausgaben der Steuergelder dass die Nationalen Reformprogramme so gestaltet sind, antwortung des Bundestages berührt ist, dieser vorher entscheiden. Aber wie das, wenn ich nichts erfahre. Selbst dass die in Prozent gefassten Vorgaben der gemeinsamen zustimmen muss. Das ist der Fall bei wichtigen Vereinba- eine vertrauliche Information der Abgeordneten ist nicht EUROPA-2020-Strategie überall erreicht werden. Dabei rungen über eine Notmaßnahme, etwa bei Abschluss von vorgesehen. stehen wirtschaftliche, ökologische und sozialpolitische Verträgen und Änderungen des Rahmenvertrages. Ziele in einem Zielkatalog gleichberechtigt nebeneinander. Ich will nicht, dass ich und 98 Prozent der Abgeordneten Bei den diskutierten Maßnahmen wird die sozialpolitische Aber bei besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit unwissend und außen vor bleiben, wenn für den Gesamt- Dimension jedoch der makroökonomischen Stabilität un- werden die Rechte des Parlaments von nur neun ausge- staat existenzielle Entscheidungen getroffen werden. tergeordnet. So zielen z.B. arbeitsmarktpolitische Maßnah- wählten Abgeordneten wahrgenommen. Der Gesamtbun- Inzwischen sieht auch das Verfassungsgericht das Problem men nicht auf eine soziale Stabilisierung ab, sondern bauen destag bleibt außen vor. Das droht die Regel zu sein, denn und hat die Einsetzung des 9er-Gremiums gestoppt. unter dem Motto der „Flexibilisierung des Arbeitsmarkts“ eilbedürftig sind Notmaßnahmen stets. Die Regierung wird grundlegende Arbeitnehmer/innenrechte und die soziale dies behaupten oder sich auf Vertraulichkeit berufen. Das Die Finanzmärkte sind nicht das Maß aller Dinge. Sie Absicherung für Arbeitslose ab. tut sie schon jetzt immer, wenn ich frage, etwa, zu wel- dürfen nicht die Richtlinien der Politik bestimmen. Da- chen Bedingungen vom Staat Kredite und Garantien in gegen habe ich gestimmt, denn im Wahlkampf hatte ich Mit der Reform der Europäischen Strukturfonds will die Milliardenhöhe an notleidende Banken gegeben wurden. plakatiert: “Entwaffnet die Finanzmärkte“. EU das erste Mal die Mitgliedstaaten auch im Kampf ge- Oder wenn ich die Höhe der Bonuszahlungen an Manager gen Armut unterstützen. Der Europäische Sozialfonds wissen will. Dann beruft sie sich auf Vertraulichkeit und Dabei bleibe ich. (ESF) soll daher für die nächste Förderperiode zwei neue verweigert die Antwort. Ich fürchte, so wird sie in Zukunft Schwerpunkte erhalten, einer davon ist der Kampf gegen auch begründen, warum das Parlament nicht beteiligt wer-

Armut und soziale Ausgrenzung, der zweite die Senkung BDK 2011: Papandreou unterstützt unser Konzept © Christian Könneke den kann. Nach dem Gesetz bestimmt die Bundesregie-

6 7 Debatte

„Unsere Grundphilosophie des Programms von 1998 ist gescheitert!“

Von Schuldenbremsen, dem Selbstzweck kameralistischer Lisa: Deswegen finde ich übrigens auch unseren Vorschlag für Lisa: Nullen, Milliarden für Premiumklassen und Ich-bin-dann- Die Grundidee der Schuldenbremse klingt in der poli- die Einführung einer Vermögensabgabe so wichtig. Er ist Diesen Beschluss der großen Koalition wollen wir rückgän- mal-weg Kapitalflüchtlingen berichtet Lisa Paus, die steuer- tischen Kommunikation einfach, ist es allerdings in der durchgerechnet und juristisch geprüft und würde genau gig machen, denn die Einführung der Abgeltungsteuer war politische Sprecherin der Bundestagsfraktion, und kommt praktischen Umsetzung leider nicht. Das Bundesfinanzmi- vom reichsten 1% der Bevölkerung bezahlt. Und er würde falsch. Warum soll leistungsloses Einkommen geringer be- nicht nur zu dem Fazit, des Scheiterns unserer Programme- nisterium rechnet immer noch herum, welche Eckwerte es die krisenbedingte Erhöhung der Staatsverschuldung um steuert werden als Arbeitseinkommen? Das ist niemandem philosophie von 1998. Ein Blick auf die aktuelle Diskussion denn eigentlich anlegen will, um ein strukturelles Defizit ca. 100 Milliarden wieder zurückfahren. zu vermitteln. Übrigens habe ich bei meinen bisherigen um die Euro-Bonds darf nicht fehlen. Mit Lisa Paus sprach zu definieren. Das strukturelle Defizit unterscheidet sich Gesprächen mit Steuerberatern und Wirtschaftsvertretern unser Redakteur Oliver Münchhoff. vom konjunkturellen rechnerisch nur dadurch, dass dabei Wir haben auch auf der Grundlage der Schuldenbremse in den vergangenen zwei Jahren auch niemanden gefun- ein Mittelwert aus mehreren Jahren gebildet wird. Und die den Grünen Dreiklang entwickelt, bestehend aus Ausga- den, der die geltende Regelung in Deutschland behalten einfach erscheinende Frage, ob die Zahl dann konjunk- benreduzierung, Subventionsabbau und Einnahmeverbes- will. Dennoch will die Bundesregierung aktuell mit der In Deutschland herrscht bald die Schuldenbremse. Das turbereinigt ist, also der Konjunkturverlauf richtig abge- serung. Welche konkreten Ansätze liefert das Konzept? Schweiz ein Steuerabkommen abschließen, dass unter an- Grundgesetz sieht vor, dass die Haushalte von Bund und deckt ist, kann niemand beantworten. Das Problem: Was derem diese Regelung zementieren will. Ich hoffe, die SPD Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten aus- passiert bei einer lang anhaltenden Rezession, denn dann Lisa: bleibt an unserer Seite, das Abkommen zu verhindern. zugleichen sind. Bremst das? greift wieder der Verfassungsauftrag, keine weiteren Ein- Als Finanzverantwortliche haben wir uns dem Prozess un- nahmen über Kredite zu generieren. Bei einem so starken terworfen, alle Ausgaben- und Einnahmenvorschläge ab- Haut dann nicht das Kapital einfach ab, so dass eine Ab- Lisa: Negativwachstum wie in der Krise 2008 wird die Regel klar zuklopfen und abzugleichen. Zuerst sind wir Ausgabenkür- geltungsteuer ganz nach dem Motto „25 % von x ist bes- Grundsätzlich schon. Die öffentlichen Haushalte dürfen zu- ausgesetzt. Dümpelt allerdings die Konjunktur leicht ne- zungen durchgegangen. In einigen Verwaltungsbereichen ser als 42 % von nix“ doch Sinn macht? künftig kein strukturelles Minus machen, wobei die Länder gativ oder mit minimalem Wachstum vor sich hin, dann sehen wir Einsparpotential, zum Beispiel durch die Einfüh- strukturell überhaupt keine Schulden mehr machen dürfen tritt sie wieder in Kraft und es muss normal ein ausgegli- rung einer Bundessteuerverwaltung oder Personalabbau Lisa: und der Bund ein bisschen, nämlich 0,35 % des BIP. Hier- chener Haushalt ohne Neuverschuldung vorgelegt werden beim Wasserschifffahrtsamt. Angesichts maroder Schulge- Nicht nur in diesem Punkt hat Herr Steinbrück Unsinn ge- bei ist es egal, ob das Minus unterbunden wird durch das plus die extra-Schulden, die abgetragen werden müssen. bäude, gesperrter Hallenbäder und löchriger Straßen sind redet. Außerdem hat sich die Welt in dieser Hinsicht tat- Kürzen von Ausgaben oder das Erhöhen von Einnahmen Dieses Hinterhersparen würde uns dann immer tiefer in die nicht nur in Berlin aber Ausgabenreduzierungen Grenzen sächlich ein bisschen zum Positiven entwickelt. Auf der - man kann an beiden Schrauben drehen. Rezession treiben. gesetzt. Auch weil wir Grüne auf einer vernünftigen In- europäischen Ebene gibt es inzwischen die sogenannte frastruktur bestehen und Bildung unterfinanziert bleibt. Zinssteuerrichtlinie, die insbesondere unter den Mitglied- Vor zwei Jahren verzeichneten wir im Rahmen der Fi- Die Wahl zwischen Steuer- und Kreditfinanzierung scheint Das betrifft zudem den Umbau zu einer klimagerechten staaten der Europäischen Union automatische Kontrollmit- nanzkrise einen Rückgang der wirtschaftlichen Leistung letztlich die Frage ob Steuern jetzt oder später erhoben Wirtschaft. Es nützt uns nichts, wenn wir auf dem Papier teilungen vorsieht. Das Einfach-mal-abhauen ist gar nicht im nicht unerheblichen Maße, mit der Folge, dass Kon- werden. Schafft die Schuldenbremse hier zumindest die eine schwarze Null im Sinne der Kameralistik haben, aber mehr so einfach. Aufgrund der Wirtschafts- und Schulden- junkturpakete aufgelegt wurden. Darf der Staat jetzt noch Voraussetzung, dass Finanzierungskonflikte, nach dem tatsächlich die soziale und ökologische Verschuldung krise ist weltweit eine Tendenz zu verzeichnen, dass Reiche Nachfrage auf dem Markt erzeugen? Motto „wer zahlt wie viel von der Zeche“ nicht einfach in erhöht haben. Beim Subventionsabbau haben wir etwa mehr beitragen sollen zum Steueraufkommen. Das zeigt die Zukunft verlagert werden können? das Dienstwagenprivileg im Visier. Allein hier subventio- sich auch in Großbritannien und den USA. Es gibt zwar Lisa: nieren wir letztlich die deutsche Automobilindustrie, und noch Steueroasen, aber es sind weniger und es ist schwie- Nun, es handelt sich um eine Schuldenbremse für struktu- Lisa: da vor allem die Premiumklasse, mit etwa 11 Milliarden riger geworden. Deutschland sollte diese Trendumkehr for- relle Schulden: Wenn es konjunkturell richtig in den Keller Jetzt wo sie neu eingeführt wird hat sie schon durchaus Euro jährlich. Dazu gehört auch das Ehegattensplitting, cieren und nicht torpedieren. geht, dann gilt die Schuldenbremse nicht zwingend. Bei diese Wirkung und das finde ich auch gut. Es ist keine lin- mit dem letztlich die althergebrachte Alleinverdienerehe mehr als 2 % Konjunkturminus kann sie auch ausgesetzt ke Politik, wenn Ausgaben, die heute notwendig sind, auf subventioniert wird. Hier freuen wir uns besonders, dass Bei der Einkommenssteuer planen wir eine Erhöhung werden. Für konjunkturbedingte Schwankungen gibt es Pump finanziert werden, weil ich mich als Staat nicht traue, wir nicht mehr allein stehen: Inzwischen fordert sogar die des Grenzsteuersatzes auf 49 %, wobei dieser bei etwa ein sogenanntes Kontrollkonto, ein bisschen wie ein Dispo- die Leistungsfähigen in diesem Lande angemessen an der OECD dazu auf, das Ehegattensplitting abzuschmelzen, 68.000 Euro bzw. 80.000 Euro greifen soll – da freut sich Kredit beim Giro-Konto. Allerdings muss dieses Konto über Finanzierung der Öffentlichen Infrastruktur über Steuern weil es als das zentrale Hindernis für eine gleichberechtigte der Steuerzahler. ein bestimmtes Zeitfenster wieder auf null zurückgefahren zu beteiligen und ihnen stattdessen auch noch Zinsen Erwerbsbeteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ausge- werden. dafür zahle, dass sie mir Geld leihen. Mit angemessenen macht wurde. Lisa: Steuern korrigiere ich auch die wachsende Schere zwi- Warum wir es notwendig finden, unliebsame Steuererhö- Mir ist dann insgesamt nicht ganz nachvollziehbar, war- schen arm und reich - eben das Verteilungsproblem, das Und die Einnahmeseite? Die Einführung der Abgeltungs- hungen zu planen? Auch um sich deutlich von den Steu- um es gerade auch bei uns nicht unerhebliche Bedenken ganz grundlegend hinter den wachsenden Schuldenbergen steuer auf Kapitaleinkommen von 25 % war nun nicht ersenkungsphantasien der FDP abzugrenzen sind wir es gegen die Schuldenbremse gab und gibt. steht. Und das ist besser für die zukünftigen Generationen. gerade ein Ruhmesblatt! unseren Wählerinnen und Wählern schuldig, keine Ver-

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sprechen ohne Gegenfinanzierung zu machen. Wenn wir kann. Sollen dabei Klima, Bildung und soziale Gerechtig- starke Schultern belasten wollen, sind wir bei der Einkom- keit nicht unter die Räder kommen: Dann führt schlicht menssteuer. Es ist richtig, den Spitzensteuersatz auf 49 kein Weg an Steuererhöhungen nach Leistungsfähigkeit % anzuheben, auch mehr wäre denkbar. Allerdings ist die vorbei. Erhöhung des Spitzensteuersatzes noch kein Einkommen- steuerkonzept. Selbst mit einem Spitzensteuersatz von 49 Du sprichst von einer europäischen Finanzkrise. Warum % wirkt unser Steuer- und Abgabensystem regressiv. Auch seid Ihr eigentlich so sehr für Eurobonds, die bei vielen die Sekretärin in Deutschland hat eine höhere Steuer- und die Befürchtung auslöst, Schuldnerstaaten müssten ihren Abgabenlast als ihr Chef – nicht nur die von Warren Buf- Schuldendiensten nicht mehr nachkommen. Machen die fett. Aber Steuergerechtigkeit braucht nicht nur den richti- nicht nur insbesondere durch höhere Zinsbelastungen gen Steuersatz ganz oben sondern auch ganz unten, und aller nicht alles, also vor allem die Schuldendienste noch auch die richtige Systematik dazwischen, wobei auch die teurer? Sozialabgabenbelastung zu berücksichtigen ist. Egal, was wir beschließen, einen überzeugenden Tarifverlauf haben Lisa: wir damit nicht. Dieser Beschluss ersetzt kein Einkommen- Die Sorgen verstehe und teile ich. Warum sind wir trotz- steuerkonzept, sondern schafft eine fiskalisch definierte zu- dem für Eurobonds? Nicht weil sie endlich nun die Bazoo- sätzliche Einnahme. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. ka wären, mit denen alle Probleme gelöst sind. Aber sie können wirklich einen wichtigen stabilisierenden Beitrag Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 % plus leisten. Richtig eingeführt müssen sie es für uns auch nicht einer zahnlosen Reichensteuer von 45 %, Abschaffung teurer machen. Es kommt sehr auf das Wie und nicht auf der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen der Kapital- das Ob an. Konkret sind es drei Gründe, die für Eurobonds gesellschaften – wie ist es da eigentlich vermittelbar, dass sprechen. Erstens sind Eurobonds die einzig glaubwürdige unter einer künftigen rot-grünen Regierung nicht wieder Antwort auf die Spekulation gegen große Eurostaaten. Der ein Umverteilungsprozess initiiert wird, wie er schon ein- EFSF wird mit keinem Hebel der Welt Spanien, Italien oder mal stattgefunden hat? Frankreich retten können. Zweitens und uns eigentlich so- gar wichtiger: Nur mit Eurobonds können potenzielle Ban- Lisa: kinsolvenzen von Staatsinsolvenzen getrennt und damit Unsere Rückkehr zu einem höheren Spitzensteuersatz von der europäische Teufelskreis zwischen Banken und Staaten 49 % ist nicht einfach nur die Rückkehr zum vorher. Das ist durchbrochen werden. Und drittens: Eurobonds mit harten auch die logische Konsequenz daraus, dass unsere Grund- Stabilitätsregeln und begrenzter gemeinschaftlicher Haf- Euro, der: EZB, die = Europäische Zentralbank philosophie des Programms von 1998 gescheitert ist und tung schaffen wieder eine sichere Geldanlage, nicht nur für seit 1.1. 1999 Währung von zunächst elf und derzeit 17 Mitglied- ist das Beschlussorgan des Europäischen Systems der Zentralbanken. staaten der Europäischen Union. Griechenland ist der Währungsunion Der ~ -Rat, dem die Mitglieder des Direktoriums der ~ sowie die Prä- wir jetzt eine andere verfolgen. 1998 versprach das grüne Banken und Versicherungen, sondern auch für eine Oma, am 1.1.2001 beigetreten. Die Einführung des Bargeldes erfolgte zum sidenten der Nationalen Zentralbanken angehören, erlässt Leitlinien Programm eine einfach, gerechte und aufkommensneu- von der niemand beim Geldanlegen verlangen kann, die 1.1.2002. zur Erfüllung der Aufgaben des Systems und legt die Geldpolitik fest. trale Einkommensteuerreform durch Spitzensteuersätze Finanzpolitik von Staaten auf die nächsten 10 Jahre vorher Es gibt sieben Euroscheine im Wert von jeweils 500, 200, 100 20, Eines der primären Ziele des Europäischen System der Zentralbanken runter, Bemessungsgrundlage verbreitern, Steuerschlupf- zu analysieren. Wir sind inzwischen übrigens nicht mehr 10 und 5. Die Abbildungen symbolisieren das architektonische Erbe ist die Gewährleistung der Preisstabilität, von der die ~ bei einer Infla- Europas. Die Vorderseite jeder Banknote zeigt Fenster und Portale, die tionsrate von unter zwei Prozent spricht. Seit Mai 2010 erwarb die ~ löcher stopfen. Und dann haben wir den Spitzensteuersatz allein mit dieser Forderung. Der Sachverständigenrat der die Offenheit und Zusammenarbeit der Europäischen Union symboli- Staatsanleihen von mehr als 160 Milliarden ->Euro und sieht sich dem gesenkt, mussten aber am Ende der Beratungen feststellen, Bundesregierung und die EU Kommission haben inzwi- sieren sollen. Die Rückseite zeigt eine Brücke aus je einer bestimmten Vorwurf einer indirekten Staatsfinanzierung ausgesetzt, dem offiziell dass aus tausend guten Gründen die Bemessungsgrundla- schen konkrete Vorschläge entwickelt. Epoche und soll die Verbindung der europäischen Völker untereinan- entgegengehalten wird, Ziel sei eine stabile Geldpolitik. Theoretisch der und mit dem Rest der Welt symbolisieren. besitzt die ~ ein unbegrenztes Finanzierungsvolumen, weil das be- ge nicht wirklich breiter geworden ist. Das hat also nicht Es gibt acht Euromünzen, auf deren Bildseite die Karte der Europäi- nötigte Geld selbst erzeugt werden kann – Problem der sogenannten funktioniert. Das wissen wir. Und wer unseren Beschlüssen Lisa, herzlichen Dank für das offene Gespräch. schen Union dargestellt ist. Die Rückseite kann jedes kann jeder Mit- Schuldenbekämpfung mit der Notenpresse. (om) der BDK in Kiel trotzdem nicht traut, der glaubt uns viel- gliedstaat nach Belieben gestalten. Derzeit ist die Währung ~ Objekt leicht dieses: Wir sind fest davon überzeugt, dass in der Lisa Paus, Mitglied des Bundestages, Obfrau des Finanz- unterschiedlichster Rettungsbemühungen. (om) Griechen, die sind derzeit als Volksgruppe Objekt vielfacher Zuschreibungen insbe- europäischen Staatsschuldenkrise nur die Partei Vertrauen ausschusses, Mitglied im Europaausschuss und die stell- sondere der Boulevardpresse. (om) gewinnt, die solide finanzierte Reformvorschläge vorlegen vertretende Koordinatorin des Arbeitskreises 1 (AK1) Münchhoff © Oliver

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11 Thesen zur Wahl aus der Froschperspektive von Rainer Rudolph

Vielleicht sind ja die Gedanken eines einfachen Mitgliedes kam auf, als die Landearbeitsgemeinschaften (LAG) so auch ein Beitrag zur Klärung. Zunächst möchte ich aber wenig eingebunden wurden. sagen, dass ich den Wahlkampf und das Ergebnis nicht für schlecht oder eine Katastrophe halte. Es ist nur sehr ent- These 7: Es fehlte an einem zündenden Schlagwort oder täuschend. Es fing ja so schön an. Plötzlich hatten wir in Projekt. Die 10 Grünen Aussagen waren zirka 7 zu viel, um Umfragen 30% wirksam zu sein. Ein oder zwei ehrgeizige und plakative Statements wie „Wir wollen Klimahauptstadt Europas wer- These 1: Wir haben uns von den Umfragen Besoffen ma- den“ fehlten als Zentrum. chen lassen und vergessen, das politische Handwerkszeug anzuwenden. These 8: Wir haben es nicht rechtzeitig geschafft, auf das Es brach Euphorie aus und wir sind zu langsam wieder aufkommende Thema Mieten zu reagieren. Es war aber Nüchtern geworden. Wir wollten eine Regierende Bürger- schon sehr früh an den Ständen präsent. Möglicherweise meisterin stellen aber: braucht ein Wahlkampf auch einen Feedback-Kanal nach oben, nicht nur Meinungsumfragen. These 2: Die Entscheidung eine Bürgermeisterkandidatin Und dann haben wir das beste Ergebnis erreicht, das die zu haben, implizierte die Option notfalls mit der CDU zu Berliner BündnisGrünen je hatten. Und warum haben wir regieren, falls Wowereit nicht freiwillig geht. jetzt keine Rot-Grüne Koalition? Was haben wir falsch ge- Dies war der erste massive Fehler. Grün-Rot hat zu keiner macht nach der Wahl? Zeit jemand an den Wahlständen ernst genommen. Aber Rot-Grün ohne Wowereit würde die SPD niemals akzeptie- These 9: Wenig. Wowereit war einfach schlauer als wir. ren. Das hätten wir früher beachten sollen. Deshalb: Wir haben das Stöckchen „A100“ ausgegraben und er hat es uns hingehalten und wir sind rüber gesprungen. Aber es These 3: Viel zu spät haben wir unseren Selbstbetrug hätte auch ein anderes Stöckchen sein können. Vermutlich durchschaut. Schon Wochen früher hätten wir erkennen war ihm die Mehrheit zu knapp und wir zeigen ihm gera- müssen, das wir nur der Juniorpartner der SPD werden de, dass er Recht hatte. können, die Spitzenkandidatin zurückziehen, auf Anti-Wo- wereit Wahlkampf verzichten und einen konsequent pro- Und die Piraten? Rot-Grünen Wahlkampf führen sollen. These 10: Die Piraten zeigen uns, das wir Mainstream ge- Bezüglich des Wahlkampfes vor Ort viel mir worden sind. Sie zeigen uns daß wir programmatisch nicht folgendes auf: mehr „vorne“ stehen. Und sie zeigen uns, daß wir nicht mehr originell sind, sondern „alt“ aussehen. These 4: Wir hatten zu viele Köpfe und zu wenig Sprüche. Es hat uns nicht genug von anderen Parteien un- Und was sollen wir nun weiter tun? terschieden. Wir sind keine Partei eines reinen Personen- wahlkampfes. These 11: Mehr programmatische Arbeit. Die Gesellschaft Das heißt nicht, dass wir nicht Köpfe kleben sollen, die und die anderen Parteien nehmen inzwischen Teile unserer Menschen wollen schon wissen wen sie wählen. Standpunkte ein. Jeder ist ein bisschen grün geworden. Wir müssen identifizieren, was heutzutage „Vorne“ bedeutet. 18. September 2011: 17, 6 % These 5: Es war auf den Straßen oder den Medien sehr Wir müssen dem Mainstream wieder voran gehen und Wir sind in den Wahlkampf mit vielen Hoffnungen, Erwartungen und groSSen wenig Originelles oder typisch Grünes auszumachen. herausfinden was „ökologisch, basisdemokratisch und ge- Zielen gestartet. Und wir sind gelandet: Mit einem Gewinn von 4,5 %. waltfrei“ in Zukunft bedeutet. Die Enttäuschungen, die sich aus dem Wahlkampf ergaben, sollen in dieser These 6: Unser Programm war thematisch sehr breit aber Der Autor ist Basismitglied des Ausgabe hier ihren Niederschlag finden und damit auch schon Ansätze für Wege photocase © xxxx - fotolia, Münchhoff © Oliver auch an zu vielen Stellen sehr dünn. Der erste interne Frust KV Charlottenburg-Wilmersdorf einer gemeinsamen Zukunft aufzeigen.

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Die Arbeit beginnt jetzt! von Bettina Jarasch und Daniel Wesener

Wir Grünen bieten der Stadt gerade ein trauriges Bild. Und 1. Wir hatten keine Gesamtstrategie, die berück- Diese Einbindung wäre gerade auch unsere Aufgabe als 17,6 % der WählerInnen haben uns ihre Stimme das nach einem Wahlkampf, in den wir mit so vielen Hoff- sichtigt, dass ein Wahlkampf auf der Strecke gewonnen Landesvorsitzende gewesen. Das haben wir viel zu wenig gegeben – trotz unserer Fehler und Versäumnisse. De- nungen und Erwartungen wie nie zuvor gestartet sind, und werden muss und eine bestimmte Dynamik hat. Eine fun- getan – zum einen, um die Kooperation innerhalb der Füh- ren Hoffnungen dürfen wir nicht enttäuschen, gerade in der uns alle unglaublich viel Kraft gekostet hat. Die Ent- dierte frühzeitige Analyse der Ausgangslage und der Wäh- rungsgruppe nicht zu gefährden. Zum anderen, weil wir Zeiten einer rot-schwarzen Koalition, die den kleinsten täuschung, der Frust macht sich Luft. Konflikte und Ver- lerInnenpotentiale hat nicht stattgefunden. Wir hatten zu selbst als Teil der Wahlkampfmaschinerie die meiste Zeit gemeinsamen Nenner und den Erhalt des status quo zum säumnisse, die vom Wahlkampf überdeckt wurden, treten wenig Wissen darüber, wer eigentlich die bis zu 30 Prozent damit beschäftigt waren, diese Maschine irgendwie am Regierungsprogramm erhoben hat. Gerade jetzt braucht umso deutlicher zutage. Das ist alles nicht überraschend. WählerInnen sein könnten, die uns in Umfragen zustimm- Laufen zu halten. Im Rückblick wäre es besser gewesen, Berlin eine ideenreiche und profilierte grüne Oppositi- Für unseren Landesverband stellt sich aber desto drängen- ten. Wir konnten auf externe Faktoren und Umstände wir hätten dort, wo wir Fehlentwicklungen erkannt haben, onsführerschaft, die Alternativen aufzeigt und engagiert der die Aufgabe, eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, nicht adäquat reagieren und hatten auch nicht rechtzeitig auf einer Korrektur bestanden, anstatt uns immer weiter für eine andere Stadtpolitik streitet. Diese Arbeit beginnt auf der sich unsere Partei neu aufstellen kann; eine Grund- einen Plan B parat, z.B. als die Umfragewerte immer weiter „im Hamsterrad“ zu bewegen. jetzt – genauso wie unsere Aufstellung für die nächsten lage, die uns die nächsten Jahre und auch in den nächsten absackten und die Koalitionsfrage immer mehr zur Belas- Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirks- Wahlkämpfen trägt. tung wurde. Durch die unklare Struktur und die mangelhafte Einbindung verordnetenversammlungen. Wenn es uns gelingt, durch fehlte vielen Entscheidungen dann auch die Akzeptanz. den letzten Wahlkampf klüger zu werden, ist das die beste Als Landesvorsitzende sind wir überzeugt davon, dass eine 2. Wir hatten keine Dramaturgie dafür, wie wir un- Wir brauchen für Wahlkämpfe demokratisch legitimierte Voraussetzung für grüne Erfolge in der Zukunft. solche Grundlage – ein neuer Grundkonsens über unseren sere Spitzenkandidatin mit unseren Themen im Wahlkampf Strukturen, die sowohl entscheidungsfähig sind als auch Oppositionskurs als grüne Großstadtpartei – nur dann ent- verbinden können; sie blieb deshalb die „Dame ohne Un- die stetige Rückkopplung mit der Basis gewährleisten. Bettina Jarasch und Daniel Wesener stehen kann, wenn wir die hinter uns liegenden Monate terleib“. Zudem waren viele unserer Konzepte nicht kon- Landesvorsitzende von Bündnis 90/DieGrünen Berlin sehr genau auswerten, ohne Angst davor, dass diese kriti- kret und zugespitzt genug. Deshalb war es an den Stän- 4. Umfragewerte von 30 Prozent machen uns sche Analyse auch zahlreiche Fehler zutage fördert, die wir den trotz 230 Seiten Wahlprogramm bis zuletzt schwer, in (noch) nicht zur Volkspartei. Wir stehen jetzt vor uns selbst zuzuschreiben haben. wenigen Worten zu erklären, was Grüne anders machen der Aufgabe, unsere Arbeitsweise und organisatorische würden und wofür wir bzw. Renate eigentlich stehen. Aufstellung an unser Wachstum und unsere neue Rolle an- „Wir“ sind zum einen wir alle, denn wir stellen fest: Schuld- zupassen, damit wir mit besseren Voraussetzungen in den zuweisungen an einzelne Personen verdecken mehr, als sie Wir brauchen ein Leitbild für grüne Politik für nächsten Wahlkampf gehen. Dazu gehören auch Formate erklären. Die Fehler, die wir in diesem Wahlkampf gemacht Berlin, das die nächsten Jahre trägt, und benötigen da- und Kommunikationsformen, die den kontinuierlichen Aus- haben – Entscheidungen, die wir getroffen oder auch ver- für einen strukturierten Debattenprozess, der echte oder tausch mit gesellschaftlichen AkteurInnen gewährleisten. säumt haben – weisen zum großen Teil auf uns selbst und vermeintliche ideologische Widersprüche angeht, die Dis- die Aufstellung unseres Landesverbandes zurück. Daran zu kussionskultur stärkt, innovative politische Konzepte her- 5. Wir haben einen Wahlkampf gemacht, der die Stadt, arbeiten, ist die große Aufgabe der nächsten Monate und vorbringt und neue Themen für Grüne erschließt. unsere Wählerinnen und Wähler und unsere Kandidatin Jahre. Wir müssen die politischen, organisatorischen und nicht richtig zusammen gebracht hat. Bei der Wahlkampa- konzeptionellen Voraussetzungen schaffen, die uns in die- 3. Jeder Wahlkampf braucht ein strategisches gne hat uns der Mut gefehlt, selbstbewusst eine Grüne Li- sem Wahlkampf gefehlt haben. Zentrum. Wir haben nicht geklärt, welche Entscheidun- nie zu präsentieren. Wir kamen mit einer Anmutung daher, gen wir abgeben und welche wir in welchen Gremien selbst die weder zu uns gepasst noch die passende Geschichte Zugleich tragen einige von uns aufgrund ihrer Ämter und treffen. Wir haben Renate viel überlassen, uns dadurch aber über uns oder die Kandidatin erzählt hat. Weder haben wir Funktionen natürlich eine größere Verantwortung als an- auch ein Stück weit selbst entlastet. Die Fünfer-Runde aus damit die „klassischen“ Erwartungen an uns erfüllt noch dere. Wir als Landesvorsitzende wissen mittlerweile sehr Spitzenkandidatin, Fraktions- und Landesvorsitzenden hat überzeugend dargestellt, dass auch eine Grüne Partei mit genau, wo auch wir Fehler gemacht haben. Der Landes- sich zu spät als Führungsgruppe zusammen gefunden und 30 Prozent-Umfragewerten anders ist als andere Parteien vorstand hat fünf Thesen zur Wahlkampf-Auswertung ver- ihre Position innerhalb der vorhandenen Strukturen blieb dieser Größe. Damit haben wir nebenbei eine Steilvorlage abschiedet. Die möchten wir hier vorstellen und zugleich undeutlich. Die Basis wusste häufig nicht, wer eigentlich für die Piraten geliefert. benennen, wo wir unsere persönliche Verantwortung oder weshalb bestimmte Entscheidungen getroffen hat. Da die BDK 2011 – ANTWORT: GRÜN – Kieler Erfolg auch Versäumnisse sehen und woran wir aus unserer Sicht Kommunikationswege nicht klar definiert waren, fühlten arbeiten müssen: sich große Teile der Partei nicht eingebunden. © Oliver Münchhoff © Oliver

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„Wir haben zu wenig Mut gehabt, Grün zu bleiben“

Volker Ratzmann berichtet über seine Eindrücke und sein auf Sieg, sondern auch auf Platz – und bleiben wir selbst. Fazit des Berliner Wahlkampfes. Volker war im engeren Sollten die Grünen denn die neue Volkspartei werden? Wahlkampfstab und Beteiligter der Verhandlungskommis- einen Anspruch formuliert, der nur funktioniert hat, solan- müssen die Puzzleteile jetzt zusammenführen: Wie lösen sion mit der SPD zur Bildung einer Regierung. Mit Volker Volker: ge wir vor der SPD lagen. Als das nicht mehr der Fall war, wir die energetische Sanierung und die soziale Frage? Wie sprach unser Redakteur Ronald Wenke. Nein, das sollen sie nicht werden. Für mich ist der Erfolg wurden durch die Koalitionsdebatte alle inhaltlichen Fragen bekommen wir eine Haushaltskonsolidierung und die not- der Piraten die Antwort auf diese Frage. Unsere Wählerin- überlagert. Und wir haben sie nie mit inhaltlichen Fragen wendigen Investitionen hin? Wie können wir die Frage der 17,6% - ist das eigentlich ein Erfolg oder eine Niederlage? nen und Wähler – und auch die Gesellschaft – wollen nicht verknüpft: Was geht eigentlich mit der CDU? Was geht mit Inneren Sicherheit aus der Bürgerrechtsperspektive neu de- eine weitere SPD oder CDU mit anderem Inhalt wählen. der SPD im Zweifel nicht? Die Formel von den größeren finieren, ohne dass die Menschen die Sorge haben, dass Volker: Wir sollten nicht präsidial und staatstragend daherkom- Schnittmengen war trügerisch: im Moment sehen wir, dass es unsicherer wird mit Grünen? Das ist unsere Aufgabe in Gefühlt ist es ein Misserfolg gemessen an unseren eige- men, sondern unbequem, fragend, mit Esprit. Gerade vor die SPD mit der CDU die größeren Schnittmengen hat. Wir Abgrenzung zu den beiden anderen. Umso bedauerlicher nen Zielen. Objektiv ist es natürlich ein Erfolg, über den dem Hintergrund der weltweiten Entwicklung müssen wir haben uns in eine strategische Zwickmühle begeben. Wir sind unsere momentanen internen Schwierigkeiten in die- sich jede andere Partei gefreut hätte: +4,5%, 6 Mandate das tun. Unsere Inhalte sind richtig – wir müssen noch um müssen – und das ist eine Lehre – auch auf Platz spielen ser Situation. dazugewonnen, stärkste Oppositionspartei. Aber: Wir sind die richtige Form ringen. können und nicht nur auf Sieg. hoch gestartet und haben die Latte selbst sehr hoch gelegt. Am Ende wird in fünf Jahren wieder die Machtfrage In der Partei, aber auch bei unseren Wählern, wird dieses Waren wir also im Wahlkampf zu sehr SPD und CDU? Die Öffnung zum bürgerlichen Lager ist stark mit Dir ver- stehen: mit wem macht ihr es denn? Wird es Essen mit Ergebnis als Misserfolg wahrgenommen– dem müssen wir bunden. Wurde in den vergangenen fünf Jahren zu sehr Piraten und Linken geben? Rechnung tragen. Volker: auf die Option CDU gebaut? Wir haben zugelassen, dass wir so wahr genommen wur- Volker: Woran hat es gelegen, dass es nicht mehr geworden ist? den. Wobei die Verantwortung nicht bei der Agentur liegt Volker: Ich gehe auch mit Linken und Piraten essen, wenn wir uns – die ist nur so gut, wie die Vorgaben, die sie von uns be- Wir waren – wir sind! – in der Opposition zur SPD. Die auf ein Gericht einigen können. Natürlich machen wir auch Volker: kommen hat. Ich fand im Übrigen auch, dass unser Berlin- Öffnung zum bürgerlichen Lager hängt ja nicht nur damit wieder eine Bündnispolitik in der Opposition. Aber ich will Zusammenfassend: Wir haben zu wenig Mut gehabt, Grün Bild zu negativ war – wir haben zu wenig visualisiert, wie zusammen, dass man mit Messer und Gabel essen kann. keine Ausschließlichkeit. Es kommt darauf an, mit wem wir zu bleiben. Wir haben zu wenig verstanden, den grünen unsere positive Vorstellung von Berlin sein soll. Ich glaube, dass unsere Oppositionspolitik ein Symbol da- die meiste grüne Politik umsetzen können – das galt in der Esprit aus anderen Wahlkämpfen – im Auftritt, bei den Pla- für war, nicht starr an der SPD hängen. Wir müssen end- letzten Legislaturperiode, das gilt jetzt. Man braucht dazu katen, bei Aktionen – mit dem Anspruch zu verbinden, Du warst im Wahlkampf die Person hinter Renate Künast lich weg von den Koalitionsdebatten kommen. Mir geht die Programme, die Menschen die miteinander können und Führung zu übernehmen. Wir haben geglaubt, dass, wenn – eine Art Schattenwirtschaftssenator. Aber es gab nie ein es darum, die inhaltlichen und gesellschaftlichen Fragen wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz. Die Partei muss man die Regierende Bürgermeisterin stellen will, man dies Schattenkabinett. Warum eigentlich nicht? zu lösen. Zur Lösung der ökologischen Frage brauchen wir jetzt sehr schnell klären, wie der Oppositionskurs aussehen auf eine bestimmte Art und Weise tun müsse. Es ist jetzt nun einmal die wirtschaftlichen Akteure, die sich eher im soll. Ich stehe für einen Kurs der Eigenständigkeit: Haus- unsere Aufgabe, den Anspruch die politische Hegemonie Volker: bürgerlichen Lager verorten. Ich muss und will sie aber als halt, Bildung, Sicherheit, Wirtschaft, Integration. Die Al- in der Stadt und im Land zu erringen, zu verbinden mit Das war ein Fehler. Ich war immer ein Fan davon, dass Partner gewinnen. Jede Firma die ein ökologisches Prob- ternative ist wieder ausschließlich zum parlamentarischen eigenen Auftreten und Inhalten. es ein Schattenkabinett geben soll. Wir haben es schlicht lem löst ist mein Partner. Ich will eine grüne Wirtschaftspo- Arm der APO zu werden, der Entrechteten, der Benachtei- nicht geschafft, es umzusetzen. litik und eine grüne Industriepolitik und brauche dafür die ligten? Das ist - überspitzt gesagt – der Politikentwurf, den Können Grüne nur durch Zufall stärkste Kraft werden wie Institutionen. die parlamentarische Linke hier vertritt. in Baden-Württemberg? Eine weitere umstrittene Frage war die zu den Koalitions- optionen. Haben wir zu lange gewartet, Schwarz-Grün Was heißt das für die zukünftige Strategie? Du hast für Dich die Konsequenz gezogen, den Fraktions- Volker: abzusagen? Oder war es eher ein Fehler, es überhaupt vorsitz niederzulegen. Wie kam es dazu? Nach diesem Wahlkampf würde ich sagen: im Moment ja. abzusagen? Volker: Ich würde zwar nicht das Wort Zufall verwenden. Besser ist Eigentlich haben wir jetzt die ideale Möglichkeit unsere Volker: die „Kretschmannsche Formel“: Das Amt muss zur Partei Volker: Strategie der Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen. In Der gefühlte doppelte Wahlmisserfolg hat dazu geführt, kommen. Es fehlt uns noch die Selbstverständlichkeit, den Wir mussten uns irgendwann entscheiden. Die Grün- der letzten Legislaturperiode war immer klar, dass Oppo- dass die im Wahlkampf verdeckten Gräben aufgerissen Machtanspruch, der damit verbunden ist, auch authentisch Schwarz-Debatte und die Art und Weise wie sie von der sitionspolitik gegen die SPD immer auch die Gefahr mit- wurden. Einige haben jetzt ihr Chance gewittert, unsere rüberzubringen, dabei Grün zu bleiben. Es ist richtiger, als SPD gespielt wurde, war wie ein Leck im Boot, durch das brachte mit der CDU identifiziert zu werden. Jetzt können bisherige Linie der Eigenständigkeit zu revidieren und sich Grüne zu sagen: wir treten mit einer Spitzenkandidatin an immer mehr Wasser einlief. Wir mussten den Deckel drauf wir in der Abgrenzung zu beiden als größte Oppositions- vor allem die Führungspositionen zu sichern. Der Rich- und schauen wie weit wir kommen. Wir spielen nicht nur machen. Der strategische Fehler lag am Anfang: wir haben partei zeigen, wie das grüne Berlin für uns aussieht. Wir tungsstreit hat sich aber zunehmend personalisiert. Ich will

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Drei Gründe für das Verfehlen des Wahlziels von Eckard Holler

1. Die Spitzenkandidatin sollte, um glaubhaft zu sein, in der lokalen Politik Berlins verankert sein und nicht nur kurz einmal hereinschauen. Auch im Fall einer Wahlniederlage müsste sie bereit sein, nun eben in der Opposition, ihre politischen Ziele weiterzuverfolgen. Arrogant wirkt, wer nur die Spitzenposition anstrebt und sich für die "niedere" Arbeit zu schade ist.

2. Die Grünen sollten ihre Haltung zu "großen" Infrastruk- turprojekten überdenken und sich von dem Grundsatz "Only small is beautifull" trennen. Es ist ein Defizit ihrer Politik, dass sie bei Großprojekten wie Autobahnprojekten, Sportstättenbau, Großstadtbahnhöfen, Flughäfen, Hafen- ausbau usw. regelmäßig in Schwierigkeiten geraten und als ihn aber inhaltlich führen. Und deshalb habe ich mich ent- durch inhaltliche Arbeit. Rot-Schwarz konnte sich weitge- Verhindererpartei verschrieen sind. schieden, ein Schritt beiseite zu treten und nicht mehr mit hend unbehelligt von uns etablieren. Wir haben was zu Die Grünen sollten insbesondere den Widerspruch lösen, dem Geschachere um Posten in Verbindung gebracht zu sagen zu dieser Mut- und Ideenlosigkeit Wowereit'scher dass sie selbst gern Auto fahren und dafür selbstverständ- werden. Das war mir zuwider. Ich war aber auch fassungs- Politik. Es drohen weitere fünf verlorene Jahre. lich die Autobahn, in Berlin natürlich auch die Stadtauto- los, dass so etwas passieren konnte. Dass 14 Leute in der bahn, benutzen, sie aber politisch ablehnen. Sie sollten Fraktion tatsächlich die interne Postenverteilung wichtiger Welche Rolle siehst Du für Dich persönlich in der Fraktion sich auch nicht vor einem Straßenneubau drücken, wenn fanden als einen starken Auftritt als Oppositionsführer, und der Partei?" er verkehrstechnisch notwendig ist. dass 14 Leute bereit waren zu akzeptieren, dass der Le- benspartner des Landesvorsitzenden nach dem Fraktions- Volker: 3. Die Grünen sind im Begriffe, sich zu stark an die Gepflo- vorsitz greift, ohne das wenigstens mal offen zu themati- Ich will das bewahren, was wir im Wahlkampf neu erschlos- genheiten des etablierten Politikbetriebs (Kleidungsfragen, sieren. Ich habe das nicht kommen sehen und entschärft. sen haben. Ich glaube, ich habe mit 300 Unternehmerin- Frisuren, Habitus, Sprachgebrauch) anzupassen. Dadurch Das ist meine Verantwortung. Deshalb bin ich gegangen. nen und Unternehmern geredet, zugehört, ihre Ideen ken- haben sich von ihrer bisherigen Basis entfernt und eine nen- und schätzen gelernt. Daran will ich weiter arbeiten. früher von ihnen besetzte Position an die Piratenpartei Wie kann eine geschlossene Fraktion wieder entstehen? Und ich will den Richtungsstreit in der Partei klären. Und verloren. dann schauen wir mal. Volker: Arrogantes Auftreten, Ignoranz gegenüber notwenigen Durch eine schnelle Besetzung der offenen Positionen, Herzlichen Dank für das Gespräch Infrastrukturprojekten und angepasstes Verhalten sind drei durch eine schnelle Annahme der Oppositionsrolle und Gründe für das Nichterreichen der Berliner Wahlziele und die derzeitige Krise der Partei.

Der Autor ist Mitglied im KV Marzahn-Hellersdorf © Kess - fotolia © Kess

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Aus Fehlern lernen – notwendige Debatten führen – Oppositionsführerschaft gewinnen It´svon Katrin Schmidberger the strategy, stupid! von Ramona Pop

Der Wahlkampf in Berlin war ein Novum in der grünen mit aller Macht kommen, sobald wir in den Umfragen Am 18. September haben mehr Menschen denn je Bünd- bräsigen Wowereit eine grüne Idee entgegenzusetzen, Geschichte. Erstmals haben wir Grüne Anspruch auf das hinter die SPD rutschten. Hätten wir uns inhaltlich klarer nis90/ Die Grünen in Berlin gewählt. Obwohl wir unser entstand die Idee einer grünen Kandidatur. Als Christian Bürgermeisteramt erhoben. Auch wenn wir uns damit eine links verortet, Ecken und Kanten gezeigt und die eine oder bestes Ergebnis eingefahren haben, konnten wir unsere Ströbele bereits Anfang 2010 nach der Kandidatur Renate blutige Nase geholt haben, er war richtig! Nicht unsere andere inhaltliche Provokation gewagt (und durchgestan- Wahlziele nicht erreichen und müssen zum dritten Mal in Künasts für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin rief, Wahlziele waren das Problem, auch nicht unsere Kandi- den), die Koalitionsdebatte wäre völlig anders verlaufen. Folge erleben, dass eine grüne Regierungsbeteiligung an konnten wir alle nicht einschätzen, was auf uns zukommt. datin, sondern unsere Wahlkampfstrategie. Hier muss die So aber musste für viele Wähler der Eindruck entstehen, der SPD scheitert. Diese doppelte Enttäuschung spüren wir Fehlersuche beginnen. die Grünen könnten und würden im Zweifel mit Jedem alle. Wir haben uns voller Motivation und Power in diesen Denn im Rückblick war unsere Entscheidung am 5. No- koalieren - mit fatalen Folgen. Wahlkampf begeben, jeder Kreisverband, alle KandidatIn- vember 2010 für einen extrem personalisierten Wahl- Hinter dieser Strategiestand ganz offensichtlich die Idee, nen haben gekämpft wie noch nie. Soviel grüne Präsenz kampf falsch, dessen ganzes Wohl und Wehe an der Spit- neben den Grünen StammwählerInnen und den rot-grü- Und jetzt? war noch nie, aber auch soviel Zuspruch in der Stadt für zenkandidatin hing. Und sie umgekehrt allein dort vorne nen WechselwählerInnen, Zugewinne aus dem konservati- uns war noch nie. Die Arbeit von Partei und Fraktion in stand. Denn der notwendige Unterbau fehlte, strukturell ven-bürgerlichen Lager zu erzielen. Nur diese Orientierung Wir Grüne haben in Berlin ein großes Potential, das wir lei- den letzten Jahren wurde seit 2008 regelmäßig und stabil und strategisch. Eine Wahlkampfkommission, die den würden es uns erlauben, vor der SPD zu landen, so das der nicht ausgeschöpft: haben Zu wenig haben wir unsere mit Umfragewerten über 20 Prozent honoriert. Wie konn- Wahlkampf auf breitere Füße hätte stellen können, mehr Kalkül. Auf dieses WählerInnenpotential, wurden sowohl Stammwähler umworben, zu sehr haben wir Rot-Grüne te es vor diesem Hintergrund dazu kommen, dass wir seit Erfahrung und Stimmen aus der Partei hätte einbringen die Wahlkampfstrategie, als auch die Inhalte ausgerichtet. Wechselwähler verunsichert und zu unattraktiv waren wir Jahresanfang immer stärker zurückfielen? Dass wir nicht können, gab es nicht. Wir haben unsere Kräfte in diesem Der Versuch ging gründlich schief. Warum? für Nichtwähler. Damit haben wir en passant auch den einmal die 20 Prozent mehr erreicht haben, die wir jah- Wahlkampf nicht gebündelt, sondern versprengt. Auch Weg für die Piraten freigemacht. relang in Umfragen hatten? Dass die rot-grün Stimmung ich werfe mir vor, nicht richtig eingeschätzt zu haben, Berlin ist nicht Baden-Württemberg All dies haben wir uns selbst und unserer falschen Strategie in der Stadt nicht dazu ausreichte, Wowereit zu Rot-Grün was diese „Kampfansage“ an die SPD bedeutete, die wir zuzuschreiben. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch auch: Da zu tragen? mit unserem Anspruch auf Platz 1 formuliert haben. Wir In Baden-Württemberg war es den Grünen in der Tat ge- geht noch mehr! Dafür müssen wir uns aber anders mit haben unterschätzt, welche Verankerung die SPD in der lungen, signifikant vormalige WählerInnen der CDU für der Frage auseinandersetzen, wie grünes Wachstum ge- Diese Fragen stellen nicht nur wir uns. Auch unsere Wäh- Stadt hat, wir haben Wowereit und seine Beliebtheit un- sich zu gewinnen. Berlin ist dagegen eine linksalternative lingen soll? Im Wahlkampf haben wir auf diese Frage die lerInnen haben sich starke Grüne in der Stadt und im terschätzt und übersehen, dass der grüne Aufwind nicht Stadt. 2006 holten CDU und FDP zusammen gerade noch „Palmer“Antwort gegeben: „Wachsen durch Anbiedern“. Senat gewünscht. 250.000 Menschen haben uns trotz unbedingt von den Medien getragen wurde. 28,9 Prozent. Das linke Lager kam auf doppelt so viele Wir haben versucht uns selbst als bürgerliche Opposition eines sichtbar verunglückten Wahlkampfes ihr Vertrauen Stimmen. Aus diesem auf seinen harten Kern zusammen- zu positionieren, indem wir auf vermeintlich „harte“ The- ausgesprochen, haben Erwartungen in uns gesetzt, dass Trotz eines guten Programms, haben wir es nicht vermocht, geschmolzenen konservativen Lager gab es für uns keine men wie Wirtschaft und Innere Sicherheit. gesetzt haben. wir mit unseren Ideen und Konzepten die Stadt voranbrin- klare grüne Projekte für Berlin zu formulieren. Spätestens Stimmen zu holen. Und in der Tat: haben wir nur 2000 All dies ging auf Kosten einer im Kiez verankerten und auf gen. Diese Menschen haben unserem Versprechen einer nach dem Abrutschen in den Umfragen hätte es der Pro- Stimmen von CDU und FDP hinzugewonnen. Cool waren offensive Konfrontation setzenden Politik. Wir haben uns neuen politischen Kultur vertraut, die aus den hergebrach- jekte bedurft, um die schlichte Frage zu beantworten: Was die Anderen! damit selbst beschnitten und uns ohne Not leidenschaftli- ten grünen Nischen aufbricht und den Dialog mit allen wird anders, wenn Grün regiert? Das Lebensgefühl in wei- ches und lustvolles Campaignen untersagt. in der Stadt sucht. Unsere Wählerinnen und Wähler sind ten Teilen der Stadt, für eine andere politische Kultur der Vor allem aber hat uns die Fokussierung auf vermeintlich ebenfalls niedergedrückt und fragen sich, warum jetzt Rot- Offenheit und Teilhabe zu stehen, gegen eine verkrustete bürgerliche Wähler aus der Mitte in den inhaltlich ange- Dies hat aber nichts mit einer vermeintlichen Rückentwick- Schwarz ein solches Comeback erleben muss. und ideenlose SPD, hat uns weit getragen. Dennoch ha- passteten, optisch biedersten Wahlkampf getrieben, den lung zur Alternativen Liste der 80er Jahre zu tun, wie es ben wir es nicht vermocht, zentrale grüne Projekte zu pro- Grüne je irgendwo unternommen haben. Die mangelnde Ramona in ihrem Tagesspiegel Artikel diese Woche formu- Wagnis Wahlkampf auf Augenhöhe filieren für die wir stehen, was mit uns und nur mituns inhaltliche Zuspitzung und die langweiligen Wahlkampf- liert hat. Dies sind veraltete Kategorien, die ich nicht bedie- anders wird. Den erstarkenden Piraten haben wir nichts plakate waren aber kein Unfall. Sie waren die logische nen will. .. Aber mehr grüner Charakter, mehr Provokation, Für uns alle war dieser Wahlkampf Neuland, ein absolutes entgegengesetzt, unsere Plakate kamen harmlos daher. Konsequenz einer verfehlten Strategie. mehr grüne Originalität als im Wahlkampf und in den letz- Wagnis und wir haben Fehler gemacht und manches falsch Wir wollten die ganze Breite der Themen abdecken und ten fünf Jahren – das will ich sehr wohl. eingeschätzt, oder zu spät oder falsch entschieden. Dies zu spürten in diesem Wahlkampf sehr stark den Spagat einer Die Koalitionsdebatte analysieren, um für die Zukunft zu lernen, ist unerlässlich. „Volkspartei im Kleinen“. Obwohl ab dem Frühjahr die 5-er Die Autorin ist Mitglied im Abgeordnetenhaus Runde aus Landesvorsitzenden, Fraktionsvorsitzenden und Vor diesem Hintergrund konnte die Koalitionsdebatte ihr Es war vermutlich der längste Wahlkampf, den wir alle Spitzenkandidatin die Fäden in der Hand hielt, gelang uns volles destruktives Potential entfalten. Mit verwaschenem erlebt haben. Denn er fing Anfang 2010 bereits an. Vor eine inhaltliche Zuspitzung erst im Frühsommer. Bis dahin Profil und dem unbedingten Willen die regierende- Bür dem Hintergrund unserer seit Jahren stabil hohen und im- hatte die SPD die Stadt mit einem inhaltsleeren, gefühligen germeisterin zu stellen, musste die Grün-Schwarz Debatte mer noch ansteigender Umfragen und dem Druck, dem Wahlkampf eingelullt und uns hinter sich gelassen.

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Mit dem Abrutschen in den Umfragen wurde das Dilemma Umwelt zu Finanzen profilieren wollen, um dialogfähig zwischen unserer „Kampfansage“ an die SPD und unserer mit allen von Migrantenverbänden bis zur Wirtschaft zu Koalitionspräferenz für die SPD immer deutlicher. Daraus sein? Oder wollen wir uns thematisch zusammenschnurren müssen wir für die Zukunft lernen. Wie um Platz 1 kämpfen, lassen auf wenige Themen, die uns zum ewigen Junior- ohne durch „Kampfansagen“ zu spalten? Also ein Wettbe- partner machen? werb um die besten Ideen und Köpfe für die Stadt, statt ei- nes Konflikt zwischen Grün und Rot. Grün-Rot schien klar, Es gibt diejenigen, die unsere Politik der Eigenständigkeit solange wir vorne lagen. Aber andersrum? Nicht zuletzt der letzten Jahre, die uns immerhin einen dauerhaften dazu hätte man die drängender werdende Koalitionsfrage Aufschwung beschert hat, jetzt kritisieren. Im Tagesspie- politisch beantworten und von der Personalisierung lösen gel habe ich dieses Ansinnen überspitzt kommentiert: „Der müssen. Dieser Wahlkampf war tatsächlich kein Beispiel Schluss kann aus meiner Sicht nicht im Rückzug bestehen: für eine erfolgreiche Politik der Eigenständigkeit. zurück zu zwölf Prozent, zur Alternativen Liste der 80er Jahre, die außerhalb ihres engeren Umkreises nur Feindes- Zurück auf Los oder Blick nach vorne? land sah und ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewaltfrage, zu staatlichen Institutionen und zur Wirtschaft mit sich Manche von uns fragen sich, ob wir alles falsch gemacht herumschleppte.“ haben. Meines Erachtens sind wir aber einen großen Schritt weiter, obwohl wir hinter unseren Wünschen und Erwar- Keineswegs wollte ich damit geschichtsvergessen die AL auf tungen zurückgeblieben sind. Denn die unglaubliche Här- diese wenigen Fragen reduzieren. Doch was in den 80ern te im Wahlkampf und bei den Sondierungen danach hat seine Berechtigung hatte, Kritik an verkrusteten Instituti- uns gezeigt, welch ernsthafte Bedrohung wir für die SPD onen, wie der Wirtschaft, sehen wir heute differenzierter. geworden sind. Wir haben in diesem Wahlkampf gese- Denn die Institutionen haben sich verändert und wir haben hen, welche Möglichkeiten und Perspektiven wir in Berlin maßgeblichen Anteil daran, dass sie offener, moderner, haben. Darauf können wir setzen, darauf müssen wir die ökologischer geworden sind. Viele dieser gesellschaftlichen nächsten Jahre aufbauen. Weiterentwicklungen sind unser Verdienst. Nicht umsonst haben wir zu unserem 30. Geburtstag gesagt: „Wir haben Wir haben im Wahlkampf eine Politik für die ganze Stadt uns verändert, aber WIR haben auch die Stadt verändert.“ versprochen. 250.000 Menschen sind diesem Verspre- Deswegen stehen wir als linke Partei heute da, wo wir chen trotz unseres verunglückten Wahlkampfs gefolgt. stehen, in der Mitte der Gesellschaft. Sie hatten gute Gründe, uns zu wählen. Gute Gründe, Statt zurück auf Los: Einen großen Schritt nach vorn die sie in unserer Programmatik und in unserer Arbeit der Mit dem Green New Deal hängen wir keinesfalls am „Rock- letzten Jahre gefunden haben. Trotz aller Enttäuschung zipfel der IHK“, sondern erhöhen den Modernisierungs- Immobilienhai ist, dennoch einen gültigen Rechtstitel hat Leben schwer. Die anstehende Diskussion wird nicht ein- und Niedergeschlagenheit können wir daher nicht den druck für die deutsche Industrie. Stichwort: Green Econo- und der Gerichtsvollzieher die Polizei zur Unterstützung fach und vielleicht auch schmerzhaft. Ob wir sie als not- Schluss ziehen, dass vom Programm bis zum Personal alles my. Wie sollen die ökologische industrielle Revolution und holt? Und das Haus geräumt werden muss? Hätte ein rot- wendige und gemeinsame Weiterentwicklung verstehen, falsch war. die Energiewende gelingen, wenn nicht Unternehmen die grüner Senat dies verweigert? Wohl kaum. Und dass die das wird über unsere Chancen bei den nächsten Wahlen zukunftsfähigen Produkte (Elektroauto, intelligente Netze Berliner Polizei nicht mehr die prügelnde Polizei der 70er im Bund und in Berlin entscheiden. Nun gilt es nach dem Richtig ist, dass wir über den künftigen Kurs der Partei etc.) entwickeln und produzieren? Dazu bedarf es klarer und 80er Jahre ist, sondern sich zunehmend als eine mo- verpatzen Neustart der Fraktion, Vertrauen zurückzuge- diskutieren müssen. Denn was in der Fraktion als Streit politischer Ziele und eines klaren ordnungspolitischen Rah- derne und bürgernahe Polizei versteht, die auf Deeskala- winnen und uns die Oppositionsführerschaft zu erobern. um Posten und Proporz an der Spitze daherkommt, ist in mens. Darauf baut der Green New Deal. tion setzt wie am 1. Mai – ist das nicht für alle sichtbar? Wirklichkeit ein Streit über den zukünftigen Kurs der Par- Also, werden wir Rechtsstaat und seine Institutionen nicht tei. Trägt uns die Idee der Eigenständigkeit auch in Zu- Und dass uns die leidige Gewaltfrage wieder beschäftigt, nur akzeptieren, sondern auch schützen? kunft, trotz der handwerklichen und strategischen Fehler hätte so mancher nicht gedacht. Was tun wir, wenn wie im Wahlkampf? Stehen wir weiterhin zu dem Versprechen, im Fall der Räumung der Liebigstraße, nachdem allen Dass wir diese Fragen vor dem Wahlkampf offensichtlich Die Autorin ist Mitglied des Abgeordnetenhauses

dass wir Konzepte für alle Politikbereiche von Bildung, über Verhandlungen gescheitert sind, der Eigentümer zwar ein © Seleneos - photocase unzureichend geklärt haben, macht uns allen jetzt das und Fraktionsvorsitzende

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Teilhaben und Teilsein? Nicht in diesem Wahlkampf von Alexander Klose und Susanna Kahlefeld

Zwei Jahre lang hat die LAG Migration und Flucht für ein Wenn die Schreibgruppe schreibt: Ohne Rück- An der Stadt vorbei: Keine Stadt für alle aufgeklärtes und modernes Wahlprogramm in Sachen sicht auf Beschlüsse Der Autor ist Sprecher der LAG Migration, Integration gekämpft – am Ende haben (fast) alle verloren. Während wir noch darüber grübelten, was damit gemeint die Autorin ist Mitglied im Abgeordnetenhaus Doch die November-LDK zeigte, dass diese Auffassung bei war, dass man diese Probleme „mit“ und nicht „gegen“ Sprecherin der LAG Migration Als es funktionierte: Unser Leitantrag Teilhabe den Berliner Grünen (noch) nicht mehrheitsfähig war. Nach die Migrant_innen lösen wollte, begann ein Wahlkampf, und Teilsein einem Jahr harter Programmarbeit sah die LAG optimistisch in dem die Themen der LAG auf Landesebene praktisch Das Geschilderte teilen Ersoy Sengül (KV Kreuzhain), dem ersten Entwurf des Wahlprogramms entgegen. Hier nicht vorkamen. Für diese Fehlentscheidung haben wir Michael McComisky (LAG Mig), Wolfgang Lenk (KV Seit 2008 ist die LAG Migration und Flucht wieder Teil des zeigte sich jedoch, dass in diesem Wahlkampf Teilsein nicht dann am Wahlabend bezahlt. Die Ergebnisse, die in Neu- Kreuzhain), Jenni Winterhagen (LAG Mig), Canan Bay- Berliner Landesverbandes. Für viele ihrer Mitglieder war es Teilhaben war. Entgegen den klaren Parteitagsbeschlüssen kölln und Kreuzberg erzielt wurden, wo ein eigenständig ram (MdA), Christiane Howe (LAG Mig), Annette Heppel der erste Wahlkampf, der für uns bereits im Sommer 2010 sorgte die demokratisch nicht legitimierte Schreibgrup- grüner und somit auch Anti-Sarrazin Wahlkampf gemacht (KV Neukölln), Caterina Pinto (LAG Frauen), Alexandra begann. Auf der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) im Juni pe dafür, dass die Minderheiten- zur Mehrheitsposition wurde, beweisen, dass es gut gewesen wäre, auf die Stadt Marschner (LAG Mig), Axel Bussmer (ALG DemRecht) 2010 war unser Leitantrag zur Grünen Integrationspolitik wurde. Und so machte sich die LAG auf den Weg, um im zu hören. „Teilhaben und Teilsein“ noch mit großer Mehrheit ange- Programmprozess noch einmal für die bereits beschlos- nommen worden. Der Antrag bündelte die Ergebnisse des senen Inhalte und zumindest gegen Teile des damaligen Migrant_innen-Kongresses im März, den Bettina Jarasch Landesvorstandes zu kämpfen. Wir erinnern uns ungern angestoßen und maßgeblich mitgestaltet hat. Der Kon- an ein erstes Treffen aller LAG-Sprecher_innen, auf dem gress war ein voller Erfolg: in seiner Wirkung in die Stadt vor der Veröffentlichung des Entwurfs schon einmal Kritik hinein und als Mobilisierungs- und Vernetzungsimpuls in am Programmtext vorgebracht werden sollte. Nichts von die Partei. „Mitmachstadt“ – hier hat es gut funktioniert. dem, was dort bis spät in die Nacht diskutiert und später in schriftlichen Änderungsvorschlägen formuliert wurde, Wenn die Strategen kommen: Wessen Sorgen fand Eingang in den Programmentwurf. Auf den folgen- zählen den Antragsteller_innentreffen musste dann jede Stilblüte und jeder Tippfehler erneut korrigiert werden, so dass die Schon auf der LDK im Juni mussten wir jedoch auch er- Zeit für die eigentliche politische Diskussion fehlte. leben, dass die Zustimmung dort, wo es konkret wurde – etwa beim Thema Islamfeindlichkeit – deutlich zurück- Eine Volkspartei muss her: Eine für alle? haltender war. In den folgenden Monaten gerieten wir zwischen die Flügel der Partei. Während wir bei der Basis Je näher die Programm-LDK im März kam, desto deutli- viel Überzeugungsarbeit leisten und Missverständnisse auf- cher wurde jedoch, dass die Parteispitze an einem echten klären konnten, formierte sich der Widerstand an anderer Kompromiss gar kein Interesse hatte. Am Thema Integrati- Stelle. Spätestens auf der November LDK zeigte sich, dass on sollte deutlich gemacht werden, wofür die neue grüne unsere integrationspolitische Perspektive, die sich klar ge- „Volkspartei“ , die zu dieser Zeit vor Kraft kaum laufen gen Ausgrenzung, Diskriminierung und Islamophobie rich- konnte, steht. Doch es bedurfte schließlich des Einsatzes tet, den „Strategen“ des kommenden Wahlkampfs nicht der Spitzenkandidatin selbst, um eine wiederholte Blamage passte. Stattdessen sollten – wohl auch im Zuge der Sarra- der Parteitagsstrategen zu verhindern. Der Änderungsan- zin-Debatte und auf der Suche nach neuen Wähler_innen trag der LAG, der eigentlich die Beschlussvorlage hätte bil- – die „Sorgen der Menschen“ ernst genommen werden. den müssen, wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt und Gemeint waren dabei nicht die Sorgen der Migrant_innen, ein Wahlprogramm beschlossen, in dem Migrant_innen die sich durch die „Integrationsdebatte“ diffamiert und u.a. mit „Ehrenmorden, Drogenhandel und islamischem

ausgegrenzt fühlten, sondern die Sorgen von Menschen in Fundamentalismus“in einem Atemzug genannt wurden. - photocase © fastFriend der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft. Bausteine der Vielfalt – zusammen hält es

24 25 Titel

Lieber den Spatz auf dem Dach als die Taube in der Hand?! von Reiner Felsberg, Jürgen Wachsmuth und Matthias Tang

werden, was sich schnell als illusorisch herausstellte. Und gen geben müssen. Sich wahlweise in linken oder rechten, wenn dem Wahlkampf die gemeinsame Idee und der Biss Kreuzberger oder bürgerlichen Wagenburgen einzurichten, fehlen, kommen handwerkliche und kommunikative Fehler ist aber kein Ausweg. Doch was passiert? In der Fraktion ganz von alleine: Verwirrende programmatische Aussagen, wird der Flügelstreit in einer Art und Weise auf die Spitze langweilige Plakate, Unklarheiten über „Handlungsop- getrieben, die bundesweit längst anachronistisch ist. Das tionen“, die die Stammwählerschaft verunsicherten, die Desaster in der Fraktion ist nicht vom Himmel gefallen, Unterschätzung der Piratenpartei. Die Einbeziehung einer sondern das Ergebnis der inhaltlichen und strategischen neuen WählerInnenschaft gelang genauso wenig, wie die Defizite. Statt diese anzugehen, haben beide Seiten jede Einbeziehung der breiten Grünen Kompetenz in den Wahl- Menge politisches Porzellan zerschlagen. kampf. Viele Erwartungen sind enttäuscht worden. Auch die strategische Frage nach dem Umgang mit der SPD, Kein „Weiter so“ in alten Denkmustern einschließlich Wowereits eingefrorener A100-Joker-Karte, blieb unbeantwortet. Stattdessen wurde wenige Tage vor Mit dem simplen Links-Rechts-Schema lässt sich kein Pro- der Wahl der Konfrontationskurs von grüner Seite ohne blem Berlins lösen. Wir Grüne sind für eine Öffnung der Not verschärft. Erfolgreiche Koalitionen leben jedoch ne- Politik angetreten, für eine Mit-Mach-Stadt, die nieman- ben der Übereinstimmung in Sachfragen, die sich in einer den ausgrenzt, sondern den Dialog mit allen sucht. Aktuell Koalitionsvereinbarung ausdrücken, maßgeblich vom ge- erleben wir das Gegenteil: In der Fraktion werden Links- genseitigen Vertrauen der handelnden Personen. Dazu ist Rechts- Gegensätze zementiert, statt sie konstruktiv aus- es nach zehn Jahren grüner Opposition gegen rot-rot nicht zutragen. Damit muss Schluss sein! gekommen. Wir haben im Abgeordnetenhaus mal mit der CDU, mal auch als Jamaikaverbund, mal eigenständig ge- Wir erwarten, dass diese Selbstblockade schleunigst been- gen rot-rot opponiert. Durchaus erfolgreich: Wir sind als det wird. Dazu müssen alle Beteiligten ihren Beitrag leis- Oppositionsführerin und als Gewinner der Auseinanderset- ten. Bündnis 90/Die Grünen wurden von 256.000 Men- zung mit rot-rot identifiziert worden. Strategische Fragen schen gewählt, damit sie zur Lösung der Probleme in Berlin wurden aber ausgeblendet, es fehlten vertrauensbildende, beitragen. informelle Kontakte zwischen den Spitzen beider Parteien. Vor einem Jahr hatten wir Großes vor: Die Umfragen sahen den Umfragen daher, dass sich über die Jahre unser Mi- Wir fordern deshalb die Kreisverbände und die Landesar- Bündnis 90/Die Grünen als stärkste politische Kraft in lieuanteil in Bevölkerung stark vergrößert hat? Dass die- Fraktion zerschlägt politisches Porzellan beitsgemeinschaften auf, mit den Abgeordneten der neu- Berlin. Es war beinahe schon ein Muss, Renate Künast als se Fragen unbeantwortet blieben, ist symptomatisch. Es en Fraktion eingehende Gespräche über deren aktuellen Kandidatin als Regierende Bürgermeisterin zu nominieren. ist uns nicht gelungen, ein Verständnis, eine Idee für die Spätestens mit dem Ende Koalitionsverhandlungen hätten Zustand und die künftige Arbeit als stärkste Oppositions- Der Landesverband wählte sie mit großer Begeisterung, das heterogene Gesamtstadt zu entwickeln. Als Oppositions- wir beginnen müssen, unsere inneren Widersprüche, die kraft zu führen und daraus Perspektiven für die Politik von Wahlprogramm wurde einstimmig beschlossen. Der Wahltag partei mit zehn bis fünfzehn Prozent fiel das nicht weiter auch ein Resultat der Widersprüchlichkeit Berlins sind, kon- Bündnis 90/Die Grünen zu entwickeln. brachte immerhin 17,6 Prozent, ein Rekordergebnis in Berlin. auf. Es reichte, in den einzelnen Politikfeldern oder Bezir- struktiv auszutragen. Vereinfacht ausgedrückt: Die „bür- Und doch: Nach den hohen Erwartungen bleibt wieder nur ken Profil zu gewinnen. Niemand fragte, ob und wie das gerliche Mitte“ und die „Kreuzberger Szene“ gehören bei- Der Autor Matthias Tang war Geschäftsführer bzw. die Oppositionsrolle, wenn auch als stärkste Kraft in der Op- jeweils zusammenpasst, niemand hielt es für nötig, Verbin- de zu Berlin, bei uns stehen sie sich scheinbar unversöhnlich Pressesprecher der Fraktion im Abgeordnetenhaus position. Auch das ist neu. dungen zwischen den Bereichen bzw. Bezirken zu ziehen. gegenüber. Die einen wittern hinter jedem Kontakt mit der Im Wahlkampf erhoben wir dann mit „Eine Stadt für alle“ IHK Verrat, die anderen sehen in der Kritik gleich „Wirt- Fragen blieben offen einen neuen Anspruch. Das war wohl inszeniert, aber in- schaftsfeindlichkeit“. Es müsste darum gehen, eine Politik haltlich und strategisch wenig fundiert. Wir waren auf den zu entwickeln, die mehr ist als die Addition einzelner Teile, Viele innerhalb und außerhalb der Partei sahen uns im Jahr Spagat zwischen 30-Prozent-Umfragen und 15-Prozent- eine Politik, die aus der Binnensicht von Bezirken, Flügeln 2010 auf dem Weg von der Milieupartei zur vermeintli- Milieu nicht vorbereitet, weil wir uns in Flügelkämpfen, und Fachkreisen herauskommt und den Blick tatsächlich chen Volkspartei. Auf der Strecke blieben die Fragen: Wol- Bezirksegoismen und Fachdebatten verloren haben. Dem und nicht nur auf Plakaten auf die Stadt als Ganzes richtet. len wir diese Entwicklung? Müssen wir uns neuen Wäh- Wahlkampf fehlte in der Konsequenz die einende Idee, das In einer widersprüchlichen Stadt wie Berlin ist das keine lerschichten öffnen oder kommt die hohe Zustimmung in konkrete Ziel – jenseits des Anspruchs, stärkste Fraktion zu - fotolia Georgieva © Slavyana leichte Aufgabe. Es wird Kontroversen und Entscheidun-

26 27 Titel Unsere Plattform – Alle Texte:

www.gruene-berlin.de/partei/stachlige-argumente

Wir haben natürlich noch weitere, sehr interessante Texte von Euch erhalten. Gerne hätten wir alle ab- Ein Blick nach innen gedruckt, aber leider ist ein Printformat im Umfang von Jochen Biedermann natürlich auch ein begrenztes Format. Deshalb wollen wir auf unserer Plattform auf 2011 haben wir zum dritten Mal in Folge bei einer Berliner Tonlagen können integrieren – Mit Tisch und Stuhl – erfolgreich: Bitte mit Kommunalos gruene-berlin.de alle noch eingegangnen Texte Wahl ein enttäuschendes Ergebnis erzielt. Kann 2001 – mit Mut zu Inhalten Ein Erfolgsfaktor für bündnisgrüne Politik ist sei jeher die gerne veröffentlichen. Wir wollen es einrichten, Euch zudem die Möglichkeit zu eröffnen, Eure Kom- wenige Woche nach dem 11. September - als Sonderfall starke Verankerung in der Kommunalpolitik. Die unermüd- mentare einzubringen. durchgehen, gilt dies für 2006 und insbesondere 2011 nicht. Statt über konkrete Projekte und Positionen führen wir er- liche meist ehrenamtliche Arbeit vieler Aktiver vor Ort hat Das beste Ergebnis bei einer Berliner Wahl kann nicht darü- bittertem Streit über die Tonlage, über die Art der Anspra- uns viel Kompetenz und Vertrauen gebracht. Sie ist au- Bertil Wewer, KV Neukölln, Mitglied der BVV che, etwa in der Integrationspolitik. Dieses Misstrauen in ßerdem ein wichtiger Seismograph für die politische Stim- ber hinweg täuschen, dass wir in einer traditionellen Hoch- Blick zurück aus Britz burg unter die bundesweiten Umfrageergebnisse gerutscht Verbindung mit der einseitigen Fokussierung auf Geschlos- mung. Wer sich – zumal mitten im Wahlkampf - öffentlich sind. Auch wenn dies innerhalb weniger Wochen passierte, senheit und der Personalisierung von Sachentscheidungen darüber wundert, was Berlin doch für ein „kleines Karo“ Clara Herrmann, KV Friedrichshain – Kreuzberg, liegen die Ursachen dafür teilweise wesentlich tiefer und hat zu einer inhaltlichen Verflachung unserer Programmatik sei, hat die Stadt offensichtlich nicht verstanden. Viele Ber- MdA; Stefan Ziller, KV Marzahn-Hellersdorf, Anja länger zurück. Dieser Beitrag fokussiert sich auf parteiin- in den letzten Jahren geführt. Wir brauchen dringend den liner_innen interessieren sich für die ganz konkreten Pro- Schillhaneck, MdA: terne Aspekte und kann nur ein Baustein einer umfassen- Mut zur Debatte und den Mut zu Inhalten! Dafür müssen bleme vor Ort. Das Gefühl von Desinteresse an gerade an Oppositionskurs: Offensiv grün! den Analyse sein. wir auch neue (Diskussion-)Räume schaffen um Positionen diesen Problemen dürfen wir nicht entstehen lassen. zu erarbeiten, die dann auch tatsächlich eine Chance ha- Dirk Jordan, LAG Bildung Teambildung statt Misstrauen ben, grüne Programmatik zu werden. Die Werkstätten wa- Die dialogischen Wahlkampfauftritte in den letzten Und wenn die Welt voll Teufel wär… ren hier ein guter Anfang und keineswegs – wie anfänglich Wochen – „Politik mit Tisch und Stuhl“ - haben dazu Es sollte doch gelingen Mit der Neuwahl des Landesvorstandes im Frühjahr ist es gelästert wurde – nur ein Instrument, um die Partei im Jahr ein erfrischendes Gegengewicht geboten und im Kleinen gelungen, zwei Vorsitzende zu wählen, von denen sich vor der Wahl zu beschäftigten. Der Programmprozess war überzeugt. Sie waren aber zu spät und zu vereinzelt, um Heidi Kosche, KV Friedrichshain-Kreuzbergm MdA, Axel Busmer, LAG Demokratische Rechte, Karl Heinz viele Teile der Partei auch tatsächlich vertreten fühlen und hierfür leider kein gutes Beispiel: hochgradig, aber leider das Blatt noch einmal zu wenden. Bergt, KV Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schär- die in erkennbarem und erfreulichem Kontrast zu früheren doch selektiv geheim und im Entwurf bereits abgeschlos- del, KV Friedrichshain-Kreuzberg, MdBVV, Monika Doppelspitzen als Team auftreten. Die Wahl kam allerdings sen, ehe alle Werkstätten stattgefunden hatten, hat er Zurück zu den Ideen – hört auch auf die Herrmann, KV Friedrichshain-Kreuzberg, Sergij recht viel Unmut erzeugt. Ehrenamtlichen zu spät und hat sicherlich zu unklaren Verantwortlichkeiten Goyanoff, KV Friedrichshain-Kreuzberg, Klemens und Entscheidungen beigetragen. Für die Zukunft brau- Griesehop, KV Pankow, Uschka Thierfelder, KV Pan- chen wir einen längeren Vorlauf ebenso wie eine klare und Gescheitertes Ziel: Eine Stadt der Wenn wir wieder zum Ideengeber werden und die rot- kow, Marion Hasper, KV Tempelhof-Schöneberg institutionalisierte Einbindung von Beraterzirkeln in die Ar- Mehrheit schwarze Koalition vor uns hertreiben wollen, müssen wir Gemeinsame Wahlanalyse: Ein Wahlkampf beit der gewählten Gremien. zunächst unsere Hausaufgaben machen. Dazu gehört ein voller Fehlentscheidungen Daneben ist das Ziel, ein Programm für eine Mehrheit der respektvoller Dialog und ein verantwortungsvoller Umgang Die Neuwahl hat zudem leider nicht dazu geführt das ge- Stadt vorzulegen, erkennbar gescheitert. Der Versuch, den mit Ehren- wie Hauptamtlichen. Listenaufstellungen waren Marion Hasper, KV Tempelhof-Schöneberg genseitige Misstrauen, das an vielen Stellen um sich ge- Entwurf in einem kleinen Zirkel zu schreiben und Ecken nie ein Musterbeispiel für faire Auseinandersetzungen, die Berlin ist anders: Aufarbeitung nach griffen hat, zu beseitigen. Statt einer produktiven inhalt- und Kanten möglichst zu vermeiden, hat zur Frustration unappetitlichen Vorgänge in diesem Jahr aber leider ihr Hamburger Muster ist nicht genug! lichen Auseinandersetzung ringen wir zunehmend um von Fachpolitiker_innen geführt, die das Gefühl hatten, ihr trauriger Höhepunkt. Wir müssen aber auch die Frage stel- Formulierungen und führen Stellvertretungsdebatten, die Know-How sei nicht erwünscht. Hier liegt eine der Ursa- len, ob wir unser Geld sinnvoll ausgeben. Ob es richtig ist, Oliver Jütting, KV Pankow vielfach nicht verstanden werden. Die konkret formulier- chen der Attraktivität der Piratenpartei auch für viele grü- viel Geld für professionelle Externe auszugeben, von den Unpolitische Palitücher ten Positionen unterscheiden sich inhaltlich vielfach kaum, ne Sympatisant_innen. Der teilweise intransparente Pro- eigenen Leuten aber ein Höchstmaß an (Selbst-)Ausbeu- Theresa Theune, KV Pankow in der Debatte schwingt aber immer mit, was wirklich ge- grammprozess hat zudem dazu geführt, dass Äußerungen tung vorauszusetzen oder zumindest zu tolerieren. Keine Eine Stadt für alle – Beglücke urgrüne meint ist oder auch nur gemeint sein könnte. Die Ausein- von Renate noch genauer beobachtet wurden, als ohnehin Agentur kann und sollte das Engagement der zahllosen Konzepte alle BerlinerInnen? andersetzung über das Schulsystem vor einiger Zeit, wo und insgesamt mit einer Reihe von unglücklichen Aussa- Ehrenamtlichen ersetzen, die auch in diesem Wahlkampf selbst vielen Aktiven die Unterschiede der beiden Anträge gen unsere Berlin-Kompetenz infrage gestellt wurde. Da jeden Tag auf der Straße standen. Das ist kein Automa- Tobias Balke, KV Charlottenburg-Wilmersdorf auch nach längeren Diskussionen nicht deutlich wurden, wir in der Berichterstattung mit klaren inhaltlichen Posi- tismus, sondern braucht Überzeugung, Begeisterung und 25 Thesen sind hierfür das deutlichste, keineswegs aber das einzige tionen nicht punkten konnten, wurde die zu lange offen Anerkennung genauso wie vernünftige Rahmenbedingun- Beispiel. gehaltene Koalitionsfrage angesichts sinkender Umfrage- gen und eine gute Organisation. Sergij Goryanoff, KV Friedrichshain-Kreuzberg werte zunehmend als reine und inhaltsfreie Machtoption Wer übernimmt die Verantwortung? wahrgenommen und hat dadurch die Wahrnehmung un- Auch hier liegt viel Weg vor uns – serer Inhalte zusätzlich behindert. gehen wir's gemeinsam an! Falls ihr noch weitere Stellungnahmen, Analysen Der Autor ist Mitglied der BVV Neukölln oder Meinungen einsenden wollt – wir freuen uns über Euer feedback.

28 Eure Redaktion 29 Titel

Die Piratenpartei und die Grünen – eine Wahlanalyse von Christine Dörner

noch zu 3% für die Piraten entschieden. Schulbildung oder jeweils günstige Strukturindikatoren für die Piraten. Grü- unklaren Haltung der grünen Bundestagsfraktion zu Netz- sozialer Status sind aber nicht der entscheidende Faktor für ne und Piraten verzeichneten bei dieser Wahl die größten sperren bei Kinderpornografie. Wahl der Piratenpartei. Mit 13% ist der Anteil der Wähler Zuwächse. Die Piraten erzielten in den Hochburgen der bei den Arbeitslosen fast genauso hoch wie bei den Selb- Grünen die höchsten Zweitstimmenanteile (14,2 % im So sprechen sich die Grünen unter dem Motto „meine ständigen, die zu 14% die Piratenpartei gewählt haben. Ostteil). Im Westteil gilt ein ähnliches Bild, das aber durch Daten gehören mir“ in ihrem Wahlprogramm für einen die Hochburgen von Die Linke ergänzt wird. In diesen Ge- konsequenten und umfassenden Datenschutz aus, sie ha- Woher kommen nun die Wähler der Piratenpartei? Schaut bieten ging auch der Anteil der Nichtwähler stärker zurück. ben anscheinend keine Ahnung, was dieses im Zeitalter man sich die Wählerwanderung an, so zeigt sich ein ver- Im Ostteil in den Hochburgen der Grünen beispielsweise des Internet bedeutet. Sonst wäre es nicht möglich, dass blüffendes Ergebnis. um 7,6 Prozentpunkte. Die Piraten korrelieren positiv mit die Partei auf ihren Webseiten Kontakt- und Eintrittsfor- der Verteilung der Grünen-Zweitstimmen in den Briefwahl- mulare anbietet, die so sensible Daten wie Telefonnum- bezirken im Ostteil mit r=0,79 und im Westteil mit r=0,63. mern, Emailadressen, Beruf und Geburtsdatum abfragen Dort, wo die Grünen überdurchschnittlich stark sind, sind – und das ohne Verschlüsselung auf unsicheren Übertra- auch die Piraten beheimatet. Werden die 526 Briefwahl- gungswegen. HTTPS-Verschlüsselung ist Bestandteil jedes Nichtwähler 23 000 bezirke zugrunde gelegt und die Korrelationen zwischen Webservers und jeden Browsers, sie müsste nur genutzt Sonstige Parteien 22 000 den Zweitstimmenanteilen 2006 und der aktuellen Abge- werden.Die Grünen verhalten sich bisweilen zu den neuen Grüne 17 000 ordnetenhauswahl berechnet, bestätigt sich dieses Bild. Technologien wie ein Handynutzer, dem nicht bewusst ist, SPD 14 000 Die Piraten sind dort überdurchschnittlich, wo die Grünen dass ein eingeschaltetes Mobiltelefon auch ein Instrument Die Linke 13 000 2006 stark waren bzw. im Westteil auch Die Linke gute zur Ortung der Person ist. FDP 6 000 Ergebnisse hatte.“ Die Piratenpartei erzielte bei den Wahlen zum Berliner Abge- CDU 4 000 Es wird nicht reichen, größeren Wert auf Datenschutz und ordnetenhaus im September 2011 ein beeindruckendes Er- Man wird wohl davon ausgehen können, dass Grüne und Bürgerrechte im digitalen Raum zu legen, wenn dieser gebnis: Aus dem Stand erreichte die Partei 8,9% der Stim- Piraten teilweise um das gleiche Wählerreservoir konkur- Sachverstand ähnlich wie in der Atomfrage nicht erworben men. Sie gewannen rund 130 000 Stimmen. Bemerkenswert rieren. Meine These ist, dass die Piraten attraktiv für tech- wird. Genau diese fehlende Kompetenz ist die Basis für die ist insbesondere, dass sie flächendeckend gewannen, selbst nisch-naturwissenschaftlich orientierte Wähler und Wäh- Attraktivität der Piratenpartei, nicht fehlende oder etwas ihr niedrigster Anteil in einem Bezirk beträgt noch 6,4 % Die Piratenpartei konnte vor allem im Lager der Nichtwäh- lerinnen sind. Für diese Wählerschicht sind die Grünen zu schwammige Stellungnahmen seitens der Grünen. in Steglitz-Zehlendorf, in Mitte und Pankow erreichten sie ler und bei den Wählern von Kleinparteien – üblicherweise wenig technikkompetent. mehr als 10 %, in Friedrichshain-Kreuzberg sogar 14,7 %. in der Wahlstatistik unter „Sonstige“ zusammengefasst- Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin in der Redaktion Ihr Erstimmenergebnis ist geringer als das Zweitstimmener- mobilisieren. Aber auch der Abfluss von Stimmen aus dem Ausgehend von der Kritik an der Atomenergie wurde gebnis, auch weil sie nicht in allen Wahlkreisen Kandidaten sogenannten linken Lager (SPD, Grüne, Die Linke) ist nicht Technologiekritik auch auf andere Bereiche übertragen. So aufgestellt hatten. Sie können in alle Bezirksverordneten- unbeträchtlich. wurden Personal Computer von den Grünen in den 80iger versammlungen einziehen und haben nach dem Wahlergeb- Jahren als Rationalisierungsinstrument weitgehend abge- *Alle Zahlen stammen entweder aus den Berichten der nis in Friedrichshain-Kreuzberg sogar Anspruch auf einen Das Statistische Landesamt hat Korrelationsrechnungen lehnt und in den 90iger Jahren widerwillig als Arbeitsmittel Landeswahlleiterin oder von infratest dimap. Stadtrat. Sie ware sowohl im Osten wie im Westen gleicher- zwischen sozaialstrukturellen Merkmalen in den Wahlkrei- akzeptiert. maßen attraktiv. Grund genug, diese Partei und ihre Wähler sen und den Stimmenanteilen der Parteien durchgeführt. genauer zu analysieren.* Es kommt zu folgenden Ergebnissen: „Im Westen ist die Während sich die Grünen mit der Atomtechnologie gründ- Piratenpartei in Gegenden mit vielen jungen Wählern und lich auseinandergesetzt und auf diese Weise ein umfang- Zwar sind die Mitglieder bei den Piraten meist jung, männ- Ausländern erfolgreicher. Die Wahlergebnisse sind bei grö- reiches Wissen erarbeitet haben, so gilt dieses nicht für die lich, gut ausgebildet und in einem technischen Beruf tätig, ßeren Anteilen älterer Menschen und Personen mit langer digitale Welt. Mittlerweile werden die neuen Technologien ihre Wählerschaft ist jedoch nicht auf diese Merkmale zu Wohndauer, in Berlin-West auch bei vielen Hochbetagten und ihre Angebote – Internet, E-Mail, Web2.0, etc. – als reduzieren. Bei den 18- bis 34-Jährigen liegt der Anteil der und kirchlich Gebundenen im Wahlgebiet deutlich schwä- Kommunikationsmittel und –angebote ungezwungen ge- Wähler bei ca. 16%, bei den 45- bis 59-Jährigen ist er mit cher. Im Ostteil der Stadt dagegen sind die Quote an Kir- nutzt, verstanden sind ihre technologische Basis und somit

8% noch hoch, erst die über 60-Jährigen haben sich nur chenmitgliedern und auch der Anteil an jungen Frauen © Piratenpartei ihre Implikationen nicht. Deutlich wurde dieses u. a. an der

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Mitte – von allem etwas, von manchem mehr von Alessa Berkenkamp

Mitte – Mekka des Reichtums? Heimat der Barrieren, Mauern und Grenzen

In den Köpfen vieler ist Mitte das Mekka des Reichtums. Hand auf‘s Herz: Vielfalt schafft oft leider auch abge- Ob am niemals schlafenden Rosenthaler Platz, rund um den grenzte Räume und Barrieren. Das gilt für den unfertigen internationalen Hackeschen Markt oder den gediegenen Mauerpark, der immer noch keinen Zugang vom und zum Gendarmenmarkt – Mieten, Designerläden und Lebensstil Wedding bietet und deswegen fast ausschließlich Touris- suggerieren, hier ist das Geld zuhause. Wenige Meter ab tinnen, Touristen, Altmitte und den Prenzlauer Berg beher- davon sieht das Bild schon anders aus: Rund um die Leip- bergt. Bis heute bleibt der Wedding außen vor. Bis heute ziger Straße findet man Plattenbauten, deren Bewohnerin- bleibt der Weddinger Teil des Mauerparks unfertig und Ziel nen und Bewohner sich noch sehr gut an die DDR erinnern einer Bebauung, so wünscht es zumindest der Besitzer des können. Nordwestlich vom Hauptbahnhof liegen Knast Grundstücks, die Immobiliengesellschaft Vivico. Dagegen und Gentrifizierung sehr nah beieinander. Und der Wed- setzen sich Anwohnende kräftig zur Wehr und gründen ding kommt, so zumindest das Mantra seit Jahren. Aktuell zahlreiche Initiativen und die Mauerpark Stiftung Welt- ist in Moabit und Wedding die Arbeitslosigkeit allerdings Bürger-Park. Zwischen all den Interessen ist eins klar: Wir noch ein Drittel höher als im Berliner Durchschnitt. 10 Pro- kämpfen für einen Mauerpark, der allen gehört, allen of- zent mehr Hartz-IV-Aufstockerinnen und -Aufstocker sind fensteht und von Jung bis Alt genutzt werden kann. hier zuhause und die Kinderarmut ist fast doppelt so hoch. Die Mieten steigen natürlich trotzdem. Barrieren existieren aber auch dort, wo Zäune längst nicht mehr stehen. Zwischen dem Wedding und Altmitte ragen Ja, der Bezirk Mitte ist Vielfalt pur. Er beherbergt Sorglosig- an der Bernauer Straße kupferne Steelen aus der Erde. Sie keit und Sorgenreichtum zugleich. Und er ist der bunteste symbolisieren die durchbrochene Mauer. Eltern, Bildungspo- Bezirk Berlins. 45 Prozent aller Menschen hier im Bezirk sind litikerinnen und -politiker rund um die Bernauer Straße wis- Migrantinnen, Migranten oder deren Kinder. Ihre Wurzeln sen, hier steht die Mauer noch – wenn auch in den Köpfen haben sie im Schwäbischen Ländle, der Türkei, den USA, der Menschen. Denn das Interesse an Schulen südlich der Polen oder dem Libanon. Dazu kommt eine Mischung aus Bernauer Straße ist riesig, während den Schritt gen Wed- 18. September 2011. 17:50 Uhr 22:30 Uhr ost- und westdeutsch. ding die wenigsten Eltern tun. Wenn zusammenwachsen soll, was per Bezirksreform 2001 zusammengepackt wurde, Hunderte Menschen drängen sich in den Festsaal Kreuz- Es herrscht Gewissheit. „Mitte wählt Pop“, verkündet Ra- „Politik für Mitte zu machen, heißt, vielfältige Interessen muss hier noch kräftig in die Hände gespuckt werden. berg. Dicht an dicht. Es herrscht Anspannung pur. Und monas Plakat. Und ja, sie holt Alt-Mitte. Klar und deutlich. zu einem schlüssigen Konzept für den Bezirk zu vereinen. meine Familie hat sich zu allem Überfluss in die Presseecke In Tiergarten Süd fehlen Tilo Siewer 440 Erststimmen. Und Wir setzen uns gleichzeitig für den jungen Arbeitslosen Jutta Schauer-Oldenburg ist 73 Jahre alt und unsere leben- gedrängt. „Da war‘s so schön leer“, erwidert Mama, die in Moabit verpasst Martin Beck mit nur knappen 77 Stim- ohne Schulabschluss, die umweltbewusste Mutter und das digste Streiterin für Bildungspolitik. „Es ist wichtig, dass die im Wedding Häuserwahlkampf gemacht hat. „Eine gute men das Direktmandat. Eine Mischung aus „Mist!“, Trauer ältere Ehepaar, das eine Mieterhöhung fürchtet, ein“, er- soziale Mischung stimmt, dies- und jenseits der Bernau- Wahl und meine Tochter!“, hat sie zwinkernd an dutzen- und Frust macht sich breit. Doch dann klopft David mir klärt Dorina Kunzweiler-Holzer, stellvertretende Fraktions- er Straße“, erklärt die Fraktionssprecherin voller Inbrunst. den Haustüren verkündet. „Und du hast dich nicht ge- auf die Schulter: „Vom Wedding bis in den Süden haben sprecherin. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: „Wir wollen nämlich unabhängig vom Wohnort und dem wundert, warum es hier so leer war?“, frage ich. Natürlich wir zugelegt. Überall! Und nicht nur 2 Prozent. Sondern Geldbeutel gleiche Chancen schaffen und kein Kind zu- nicht. Woher auch. Es ist die erste Wahlparty in großer Fa- zwischen 6 und 9 Prozent. Das ist doch der Hammer! Da- Mitte ist einer der jüngsten Bezirke Berlins und dennoch rücklassen.“ milienrunde. rauf trinken wir einen!“ David ist mitten im Wahlkampf machen wir Politik für alle Generationen. Deswegen hat Mitglied geworden und hat sich gleich an Haustüren und Stephan von Dassel, grüner Stadtrat für Bürgerdienste und Dass dies keine Floskeln sind, merkt man auch daran, dass 18 Uhr Stände gewagt. Er war einer der 80 Menschen, die in den Soziales, eine Börse für generationsübergreifendes Woh- im Bezirksparlament Politik macht, wer dort vermeintlich letzten 3 Monaten bezirksweit unterwegs waren – von nen eingeführt. Der Effekt ist zweierlei: Die Studierenden, keinen Platz hat. Martin Zierold ist 26 Jahre jung und der 18 Prozent. „Tief gefallen von über 30 Prozent“, denke morgens halb 8 bis spät in die Nacht, von der Fischerinsel die sich Mittes Mietpreise nicht leisten können, und dieje- erste gehöhrlose Politiker Deutschlands. Ja, es ist eine Re- ich. Aber ich jubele, unendlich laut und sehr euphorisch. über die Seestraße bis ins Hansaviertel. Ohne ihn, ohne alle nigen, die im Alter selbstständig wohnen wollen, aber im volution im Parlament. Seitdem lernen wir alle Gebärden Ich setze alle Gliedmaßen zum Jubeln ein. Ich muss das die anderen hätten wir blass ausgesehen. Eigentlich hätte häuslichen Alltag gelegentlich Hilfe brauchen, kommen und zwingen die Bezirksverwaltung, sich zu öffnen. Wir tun. Ich stehe immer noch in der Presseecke. ich ihm auf die Schulter klopfen sollen. Er hat es verdient. Mitte © KV endlich zusammen. reden halt nicht nur über Inklusion, wir leben sie.

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Wirtschaften zwischen Spielhallen und musklausel. Denn der CDU ist es wichtig, die Verfassungs- Dönerläden treue abzufragen, bevor der Bezirk Gelder zur Förderung freigibt. Und der CDU war es wichtig, noch einen Posten Auch wirtschaftlich könnte die Vielfalt kaum größer sein. mehr zu bekommen. Stadtentwicklung, Ordnungsamt, Während sich in Moabit und im Wedding Spielhallen an Wirtschaftsförderung und Tiefbau- und Landschaftspla- Dönerladen reihen, sind dutzende kleine Firmen, mittel- nung reichten nicht, da hat die SPD draufgesattelt. Bei all ständische Unternehmen und die digitale Bohème zuhause diesen Dreistigkeiten tröstet uns, dass wir 4 Bezirksverord- in Altmitte. Ja, das Feld ist groß und so heißt es wieder nete und eine Stadträtin mehr sind, die für eine nachhalti- einmal, Politik für alle zu machen. Unsere grünen Wirt- ge, solidarische Politik streiten. Neben Stephan von Dassel schaftsgespräche im Wedding haben gezeigt, wie schwer wird zukünftig Sabine Weißler, Moabiterin und Kennerin es sein kann, die Mischung aus sozialen Initiativen, Künst- der Berliner Kulturszene, Stadträtin für Weiterbildung und lerinnen, Künstlern, Dienstleistungen, Gastronomie und Kultur, Umwelt und Naturschutz. 30 Prozent mehr grüne Gewerbe herzustellen. „Dennoch ist die Mischung un- Kraft! Also, reingeschlüpft in den grünen Blaumann und endlich wichtig, weil uns sonst sozial benachteiligte Kieze Mitte mitgestalten! und boomende Zentren nebeneinander blühen“, mahnt , ehemals Bundesgesundheitsministerin und heute Fraktionssprecherin im Bezirk. Szeneriewechsel

19. September 2011, der Tag danach, mein Kopf dröhnt. Auftrag Zukunft: Aus Rot mach endlich Grün Und Mama begrüßt mich zum Frühstück mit der freudi- gen Nachricht, dass meine Tanten vier Interviews gegeben Ob Inklusion, Mauerpark oder Wirtschaftsförderung im haben. Voller Stolz fügt sie hinzu, dass die Familie meinen Bezirk, Mitte ist Heimat der Baustellen – physisch und po- Namen hat fünf Mal fallen lassen – laut und deutlich. Mein litisch. Trotz sehr guter Ergebnisse sind wir im Land wie Bruder zählt derweil auf, in welchen Medien die Familie im Bezirk leider in der Opposition gelandet. In Mitte-Süd, erscheint und mir dämmert es so langsam, dass ich es eine ehemaliges Staatsgebiet der DDR und tendenziell dunkel- gute Idee fand, unter Alkohol ein Interview für den Bayri- rot, hat Silke Gebel die grünen Erststimmen von 9,4 auf schen Rundfunk zu geben. 15,5 Prozent hochgeschraubt. Im nördlichen Wedding, Ach, diese verdammte Presseecke! gerne der rote Wedding genannt, haben wir uns mit Daniel Gollasch fast verdoppelt (von 10,2 auf 19 Prozent). Und im Gesundbrunnen, meinem Wahlkreis, haben wir mit 21,9 Prozent endlich Platz 2 eingefahren (6,9 Prozent Plus). MITTE Bei der Wahl zum Bezirksparlament sind wir mit wunder- schönen 24,1 Prozent ins Ziel eingelaufen, wenn auch als Mitte zählt 720 Mitglieder und ist damit der zweit- Zweite. Damit haben wir gezeigt, welche Zugewinne in größte Kreisverband Berlins. Mitglieder und Interes- vermeintlich roten Gefilden möglich sind. sierte treffen sich in der Regel jeden 1. und 3. Dienstag im Monat um 19 Uhr, meist im Rathaus Tiergarten, Wir haben an 20.000 Haustüren geklingelt, kein Kiezfest und diskutieren grüne Bezirks- und Landespolitik. Die ausgelassen, Initiativen besucht, vor Einkaufszentren ge- aktuellen Termine findest du auf gruene-mitte.de. kämpft, diskutiert und überzeugt, wochen- und monate- Außerdem gibt es Arbeitsgruppen, die unsere Frakti- lang. So viel Liebesmühen und dennoch heißt das Farben- on bei ihrer inhaltlichen Arbeit unterstützen. spiel Rot-Schwarz – im Land wie im Bezirk. In Mitte blüht Komm auch du und mach mit! uns nun eine Brötchentaste am Parkautomaten, ein Grill-

verbot im Tiergarten und zu allem Überfluss eine Extremis- Mitte © KV

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Rot-Grün in Grüne im Südosten Charlottenburg- gehen Zählgemeinschaft Wilmersdorf mit SPD und CDU ein RotSchwarzGrün – von Jürgen Wachsmuth von Andrea Gerbode und Peter Groos eine eher seltene Bündnis 90/Die Grünen haben 23,9 % (6,3% mehr als 2006) Wir Bündnisgrünen in Treptow-Köpenick haben in der ver- Farbkombination bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) er- gangenen Wahlperiode selbst- und strategiebewusst Politik von Regina Schmidt reicht. 14 (bisher 10) grüne Bezirksverordnete werden die gemacht, waren uns unserer Oppositionsrolle gewahr und Interessen der BürgerInnen in der BVV wahrnehmen. Im Be- haben den politischen Gestaltungsspielraum genutzt, den In Lichtenberg stellt das Wahlergebnis an die Verantwor- zirksamt sind wir wieder mit einer Stadträtin vertreten. die Konstellation in unserem Bezirk bietet: tungsbereitschaft der gewählten Parteien hohe Anforde- rungen: nur 4 Bündnisgrüne, Die Linke - 20, 17 - SPD, 7 - CDU, Nach erfolgten Sondierungsgesprächen beschloss der SPD und Linke blieben auch in Zeiten des Rot-Roten Themen auszuhalten. So haben wir mit der Arbeit begon- 5 Piraten, 2 Braune gibt es leider auch. Kreisverband die Aufnahme von Verhandlungen zur Bil- Senats kooperationsunwillig, die Zusammenarbeit von SPD nen, den bisherigen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Oliver dung einer Zählgemeinschaft mit der SPD. Nach dem er- und CDU war von Anfang an mehr als holprig. Nicht sel- Igel, zum Bezirksbürgermeister und die übrigen Kandidaten Das heißt die CDU 1, Die Linke und die SPD je 2 Bezirk- folgreichen Abschluss wurde Elfi Jantzen zur grünen Stadt- ten und zunehmend konnten wir Mehrheiten finden oder von SPD und CDU zu Stadträten gewählt. Dass wir Grü- samtsmitglieder. Erste Frage: halten wir uns raus oder rätin für die Bereiche Jugend, Familie, Schule und Sport entscheidend beeinflussen. Mit entsprechend breiter Brust nen keinerlei Absicht haben, uns in der Zählgemeinschaft übernehmen wir Verantwortung und versuchen in eine sowie das Umweltamt gewählt. und großen Erwartungen gingen wir in den Wahlkampf. einzumauern, machten wir dadurch deutlich, dass wir auch Zählgemeinschaft zu gehen? Glaubt mir, schon diese Ent- die Kandidaten der Linken unterstützten. scheidung war schwer. Und wir haben entschieden, „sich Mit der Zählgemeinschaftsvereinbarung sind wichtige Unser Ergebnis vom 18. September entsprach dem in an- zurückzulehnen und zu sagen, was geht uns das an - so Weichen für ein familienfreundliches Charlottenburg-Wil- deren Bezirken. Einerseits konnten wir bei Stimmen und Von der Zählgemeinschaft erwarten wir, neben deutlich sind wir nicht“. mersdorf gestellt: Wir wollen Familienzentren schaffen und Prozenten ein deutliches Plus verzeichnen, die Fraktion besseren Erfolgsaussichten bei zentralen grünen Anliegen den Jugend- und Bildungsbereich stärken. Charlottenburg- wuchs von vier auf sechs Mitglieder. Andererseits sind wir wie dem Radverkehr und der Bürgerbeteiligung und der Wir haben mit beiden „großen“ Parteien (Die Linke und Wilmersdorf soll durch den Ausbau von Bildungsnetzwer- weiterhin nicht im Bezirksamt vertreten und viertstärkste ständigen Einbindung in die Arbeit des Bezirksamtes, auch SPD) gesprochen…, sondiert…, die Piraten kennenge- ken zum Bildungsbezirk werden. Fraktion geblieben. Der sehnlichst erhoffte große Schritt eine viel stärkere öffentliche Wahrnehmung der gewach- lernt…, mit der CDU kontaktet… und dann für eine Rot- nach vorne, der strukturelle Einbruch in die bezirkspoliti- senen Bedeutung unserer Partei im Bezirk. Deshalb haben SchwarzVielGrüne Vereinbarung gestimmt. Der Prozess des Bürgerhaushalts wird mit Kiezkonferenzen schen Machtverhältnisse, auf den wir fünf Jahre lang mit wir hart um das Amt des BVV-Vorstehers verhandelt, das fortgesetzt. Zu den weiteren kommunalpolitischen Schwer- aller Kraft hingearbeitet haben, ist uns nicht gelungen. wir in der Mitte der Wahlperiode von der SPD übernehmen Das Ergebnis unserer Verhandlungen kann sich sehen las- punkten zählen die frühzeitige und verbindliche Beteili- werden. Daneben behalten wir den Vorsitz im Haushalts- sen. Die drei großen Themen der nächsten Jahre hier hei- gung der Bürger/-innen an den Entscheidungen im Bezirk, Es war daher nicht einfach, in einer auch emotional so ausschuss und werden Bürgerdeputierte in zwei Ausschüsse ßen: Vereinbarungen zum in Planung befindlichen Biomas- der Einstieg in eine ökologische und soziale Stadtentwick- schwierigen Gemengelage die strategischen Möglichkeiten stellen, die uns nach dem Wahlergebnis nicht zustanden. sekraftwerk, Reformation des Bürgerhaushaltes und die lung, die Stärkung der City-West als Wohngebiet mit einer des Wahlergebnisses auszuloten und energisch in Verhand- Energetischen Sanierungen öffentlicher Gebäude – diese ausgewogenen sozialen Mischung und die Weiterentwick- lungen zu treten. Schnell wurde klar, dass die einzige rea- Mit diesem Verhandlungsergebnis können wir sehr gut Entscheidungen müssen unter der Prämisse der Nachhal- lung des Campus Charlottenburg als Wissenschaftsstand- listische Option eine Zählgemeinschaft mit SPD und CDU leben! tigkeit getroffen und umgesetzt werden. Alle drei Parteien ort in Kooperation mit den Universitäten. Alle im Bezirk als sein würde. Wir Grünen sind in die entscheidenden Ge- haben das unterschrieben und noch mehr. Grünflächen gewidmeten Flächen sollen erhalten, gepflegt spräche mit einem inhaltlichen Papier gegangen, mit dem Eure und entwickelt werden. Ein bezirkliches Verkehrskonzept wir zu wichtigen Bereichen wie Haushalt und Immobilien, Andrea Gerbode Für die Meisten im Kreisverband überwogen am Schluss wird erarbeitet. Mit aktiver Wirtschaftsförderung sollen Bürgerbeteiligung, Verkehr, Bauen und Stadtplanung und Peter Groos die Argumente dafür, dass es mit der vorliegenden Verein- Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen und gesichert Tourismus präzise Positionen bezogen. Wir haben deut- barung gut gelingen kann, unseren Wähler/innen-Auftrag werden. Die rot-grüne Zählgemeinschaftsvereinbarung im lich gemacht, dass unsere Zusammenarbeit auf bestimmte Fraktionsvorsitzende in der BVV Treptow-Köpenick umzusetzen. Und das erfolgt transparent – die Veröffent- Wortlaut unter www.gruene-cw.de wichtige Probleme und Projekte begrenzt sein sollte. Die- lichung der Vereinbarung ist der erste Schritt dazu www. sen Geist atmet auch die schließlich am 24. Oktober unter- gruene-lichtenberg.de. zeichnete Vereinbarung. Die Unterschiedlichkeit der Politi- kansätze von Grünen, SPD und CDU bleibt auch bei einer Es wird erzählt, dass noch nie eine Zählgemeinschaft eine bezirklichen Zählgemeinschaft bestehen. Aber: Die Partner ganze Legislaturperiode gehalten habe, dass noch nie eine vereinbaren gemeinsame Ziele auf klar benannten Feldern, Zählgemeinschaft gemeinsames Reden und Handeln zu- sichern sich einen kooperativen und kollegialen Umgang stande gebracht hat. Vielleicht sind wir ja die ersten. zu und gehen davon aus, dass die so konstruierte Vertrau- ensbasis groß genug ist, um als Zählgemeinschaft auch die

Die Autorin ist die Vorsitzende des KV Lichtenberg Münchhoff © Oliver sachliche Konfrontation bei nicht gemeinsam vertretenen

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Hallo, hier kommt Berta! von Nikolai Wolfert Sicherheit geht vor Wenn sie durch die Strassen tukkelt, beginnen Kinderau- Neuanfang mit den Grünen - gen zu funkeln. Eltern freuen sich und Jubeln spontan: Zählgemeinschaft "Berta kommt!". in Berlin-Mitte 2008 wurde sie aus recycelten WUMS-Plakaten geboren. Berta die erste Fahrrad-Tram Berlins. Selbst gebaut von Mit Andrea Fischer als Spitzenkandidatin für das Amt der grünen Laieningenieuren. Der Antrieb läuft auf 100 % Er- Bezirksbürgermeisterin haben die Grünen in Mitte einen neuerbare Energien durch zwei kräftige FahrradfahrInnen. starken Wahlkampf geführt. Für ihre gute Arbeit in den letz- Multitalent Berta ist mobiler Stand, Litfaßsäule, Eyecatcher, ten Jahren wurden sie von den WählerInnen mit 24,1 % be- Kaffeefahrt-Rikscha. lohnt (19,8% in 2008), sie sind jetzt zweitstärkste Fraktion in der BVV und stellen künftig zwei BezirksstadträtInnen. Berta verbindet

Bezirksbürgermeister Christian Hanke stand aufgrund sei- Bertas politische Botschaft lautet "Mehr Tramlinien". nes Führungsstils unter massiver fraktionsübergreifender Unser Märkisches Viertel muss endlich mit der Linie Kritik, so dass eine Wahl von Andrea Fischer als grüne Bür- Rosenthal-Hackescher Markt verbunden werden. germeisterin für Mitte aussichtsreich schien. Die Gespräche Mit der Tram ins Abgeordnetenhaus: mit der CDU verliefen konstruktiv, die Grünen waren zu ei- Stefanie Remlinger Berta will mehr öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) und keine nigen Zugeständnissen bereit, darunter der CDU das Res- A100-Verlängerung, die Kieze belasten würde. Berta will sort Stadtentwicklung zu überlassen. Mit der SPD machten zum Umstieg vom Auto in die ÖPNV animieren und ist Verhandlungen keinen Sinn, sie hielt an ihrem Anspruch dafür stets mit 6 km/h unterwegs. auf das Amt des Bezirksbürgermeisters fest. Berta braucht dich! Die Verhandlungen waren sehr weit gediehen, als die CDU nur noch “aus Höflichkeit” ein Gespräch mit der SPD füh- Dann Sonntag, 28. August: Kinderfest im Friedrichhain ge- ren wollte. Die Bildung einer Zählgemeinschaft von SPD meinsam von Grünen Pankow & Frieke. Wie ein Magnet und CDU wurde am Tag drauf angekündigt, noch bevor zieht Berta Kinder und Erwachsene an. die CDU die Grünen in Kenntnis setzte. Die Annäherung von SPD und CDU im Land hat diese Entwicklung beför- Kinderfest am Humannplatz. Die Kinder rennen zur Berta. dert, aber entscheidend war, dass die CDU sich von einer 8 Kinder im Hinterwagen mehr geht nicht. Zählgemeinschaft mit der SPD mehr Sicherheit versprach: SPD und CDU gemeinsam haben mit 28 Sitzen eine knap- Winterfeldplatz, 16.September. Berta fährt im Karee. pe Mehrheit in der BVV (eine Vereinbarung mit den Grü- "Berlin gewinnt" und Berta ist schon 20 Kilometer gefahren. nen hätte der Unterstützung der Linken bedurft). Alle Kri- tik an der bisherigen Politik der SPD war angesichts einer Es ist längst abend und Berta fährt noch. vermeintlich sicheren Mehrheit in der BVV und der damit Auch 2012 wird Berta unterwegs sein. Interesse, dann verbundenen Hoffnung auf Durchsetzungsfähigkeit des meldet Euch: [email protected] CDU-Stadtrats wie weggewischt. Viel zu tun für Bündnis- Münchhoff (3),(1) Oliver Wolfert © Nikolai grüne in Mitte in der “Opposition”.

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Neuköllner Grüne stehen vor Friedrichshain-Kreuzberg echten Herausforderungen bleibt grün! von Bernd Sczepanski von Paula Riester und Florian Schärdel

Grenzenloser Jubel, blankes Entsetzen – zwischen diesen tische Vorgehen von SPDCDU informiert haben, ließ die Organisationen und Menschen mit Zuwanderungsge- Friedrichshain und Kreuzberg bleiben einmalig in Berlin. Mit Polen schwankte die Neuköllner Bezirksgruppe am Wahla- rot-schwarze Zählgemeinschaft mit ihrer Mehrheit von 40 schichte verstärken, denn diese wehren sich zunehmend Franz Schulz wird der Bezirk erneut den einzigen grünen bend 2011. Das schier Unglaubliche war geschafft, die Nord- Stimmen gegen 15 Mandate von Grünen (8), Piratenpartei gegen ihre öffentliche Diffamierung und verlangen Teilha- Bürgermeister in der ganzen Stadt stellen. neuköllner Wahlkreise 1 und 2 gewonnen Wir haben der SPD (4) und Linken (3) Gabi Vonnekold in bisher 2 BVVen keine be im Bezirk. Auch ist damit zu rechnen, dass die Harmonie die beiden Direktmandate abgenommen – und das mit deut- Chance. zwischen SPD und CDU über den „Erfolg“ der Wahlver- Das haben Grüne, SPD und CDU verabredet. Wir haben lichem Vorsprung. hinderung unserer Jugendstadträtin hinaus nicht sehr lan- das Vorschlagsrecht für den Bürgermeisterposten sowie Gabi Vonnekold hat daraufhin beschlossen, nicht ein wei- ge halten wird, denn schon 2013 steht man sich als Kon- zwei weitere StadträtInnen, weil wir bei dem Urnengang Aber als die BVV-Ergebnisse auf dem Bildschirm erschie- teres Mal anzutreten und wir werden eine andere Person kurrenten bei der Bundestagswahl gegenüber. am 18. September mit dem neuen Rekordergebnis von nen, waren wir fassungslos. 8 % Zugewinn für die Neu- für den Bereich Soziales nominieren (nur dieses eine Amt 35,5 Prozent (+2,5) wieder mit Abstand stärkste Partei köllner SPD, ein deutlicher Gegentrend zur Abgeordneten- hat die Zählgemeinschaft Grün zugedacht, während ande- Innerhalb der Grünen werden wir unsere immer noch geworden sind und damit 22 der 51 Mitglieder im Bezirk- hauswahl. Uns war klar, das ist Bürgermeister Buschkowsky re Stadträte wahre Ämterhäufungen verzeichnen). wachsende Mitgliederstärke einbringen. Wir stehen hinter sparlament stellen. und seinem populistischen Kurs in der Integrationsfrage unseren Direktkandidatinnen im Abgeordnetenhaus und zuzuschreiben. Schon im Wahlkampf war zu spüren, dass In den nächsten Jahren werden wir noch stärker als treten in der Partei ein für volle Partizipation von Men- Mit der SPD ist vereinbart, gemeinsam das Bezirksamt zu viele Leute grüne Politik unterstützen wollten, aber unsere bisher die Integrationsverweigerungspolitik Buschkowskys schen mit Zuwanderungsgeschichte und ein soziales Profil wählen und auch gemeinsame Projekte in den Bereichen Absicht, Buschkowsky als Bürgermeister abzuwählen, stieß thematisieren und Gegenmodelle entwickeln. Das Ressort von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin. Radverkehr, Transparenz, Jugend und Schule sowie Integ- vielfach auf Unverständnis. Gegen seine mediale Dauer- Soziales kann dabei durchaus hilfreich sein. Insbesondere Der Autor ist der Fraktionsvorsitzende ration im Bezirksparlament zu verfolgen. Ziel bleibt, auch

präsenz in Fernseh-Talkshows und BILD kamen wir nicht werden wir die Zusammenarbeit mit migrantischen Münchhoff © Oliver in der BVV Neukölln mit Piraten und Linkspartei parlamentarische Projekte zu an, eine Wahlkampfspende von Sarrazin an die Neuköllner starten. Eine feste Kooperation wie in der vergangenen Le- SPD tat ihre vergiftende Wirkung. gislaturperiode wollte die Linkspartei mit uns nicht mehr verabreden, da sie um ihre Wahrnehmbarkeit nach außen Zudem wurde unser Neuköllner Ergebnis durch den be- fürchtete. Auch die CDU wird mit uns gemeinsam das zirklichen Erfolg der Piratenpartei beeinflusst. Zwar haben Bezirksamt wählen, politische Projekte haben wir mit der wir 2,9 % und damit 2 Bezirksverordnete hinzugewon- CDU jedoch nicht verabredet. nen, auch der Stadtratsposten war trotz Verkleinerung des Bezirksamts gesichert, aber wir hatten eine deutlichere Der grüne Bürgermeister soll im Bezirk die Zuständigkeit Verbesserung erhofft, etwa in Höhe des Zweitstimmen- für folgende Ressorts bekommen: Personal und Finanzen zuwachses für die Abgeordnetenhauswahl von 6,6 %. sowie Stadtentwicklung. Die beiden anderen grünen Mit- Die SPD hatte dagegen ihre Sitze in der BVV um 6 auf glieder des Bezirksamt werden folgende Ressorts bekom- 27 erhöht – knapp unter der absoluten Mehrheit. Darüber men: 1. Gesundheit und Jugend sowie Bildung und Kultur, konnte auch der desaströse Einbruch der CDU um 4 auf 13 2. Tiefbau/Landschaftsplanung, Umwelt- und Naturschutz Mandate nicht hinwegtrösten. sowie Immobilienverwaltung. Die Wahl soll Anfang De- zember stattfinden. Damit nicht genug: kurz vor der BVV Konstituierung ga- ben SPD und CDU in einer Presseerklärung die Bildung Außerdem erfreulich: Bei der Wahl konnten wir erstmals einer Zählgemeinschaft bekannt. Einzig erkennbarer Pro- fünf der sechs Wahlkreise im Bezirk direkt gewinnen! Dirk grammpunkt für die zukünftige Neuköllner Politik war die Behrendt erzielte mit 49,8 % sogar das beste Ergebnis aller Abwahl unserer anerkannten und erfolgreichen Jugend- Direktkandidaten Berlins. stadträtin Gabi Vonnekold, die mit persönlichen Diffamie- rungen und an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen Der Autor und die Autorin sind die Fraktionsvorsitzenden über ihre Amtsführung begründet wurde. in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg

Obwohl alle Anschuldigungen von uns eindeutig wider- legt wurden und wir die Öffentlichkeit eingehend über die Haltlosigkeit der Vorwürfe und das zutiefst undemokra- Gemeinsam für Alle: Susanna Kahlefeld und Heiko Thomas auf Wahlkampftour 40 41 Parteileben

Unsere neue Grüne Fraktion im Die Landesgeschäftstelle: Abgeordnetenhaus Verschickungszentrum & Materialausgabestelle?! Da ist mehr drin… 17, 6 % der BerlinerInnen haben bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 unserer Partei Bündnis 90/Die Grünen Berlin das Ver- von Catherina Pieroth trauen ausgesprochen. Deshalb können sich in der kommenden Legislaturperiode nun 29 der insgesamt 149 Abgeordneten für eine nachhaltige, soziale und ökologische Stadt einsetzen. Damit setzen wir selbst ungebrochen unser nachhaltiges Was genau sind eigentlich die Aufgaben unserer Landesge- Vorstandsreferenten, Christian Honnens, mit einigen Stun- Wachstum fort: Wir konnten in diesem Jahr nicht nur unser 5000. Mitglied begrüßen, sondern konnten mit einem Zugewinn schäftsstelle (LGS)? Eine Frage, die sich auch unsere neue den zusätzlich ausgestattet, damit er hauptverantwortlich von 4,5 % der Zweitstimmen sowie der Erringung von elf Direktmandaten unsre Fraktion vergrößern. Landesgeschäftsführerin Catherina Pieroth gestellt hat. die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und damit auch die Denkt man über die Aufgaben der LGS nach, kommt einem Homepage betreuen kann. Um eine schnelle und unkom- sicherlich viel Organisatorisches in den Kopf: hier werden plizierte Kommunikation der Landesebene mit den Kreis- Neue Abgeordnete in der Fraktion: Verschickungen vorbereitet, Material bereitgestellt und verbänden und Abteilungen zu gewährleisten, ist Nina Turgut Altug, Direktmandat, Friedrichshain-Kreuzberg; Sabine Bangert, Listenplatz; Martin Beck, Listenplatz; Marianne Veranstaltungen vorbereitet wie zum Beispiel Parteitage. Blinten die Ansprechpartnerin für Euch. Burkert-Eulitz, Direktmandat, Friedrichshain-Kreuzberg; , Listenplatz; Susanna Kahlefeld, Direktmandat, Die LGS ist die zentrale Anlaufstelle für Mitglieder sowie Eliane Hartard verwaltet seit Oktober die Mitglieder und Neukölln; Antje Kapek, Listenplatz; Nicole Ludwig, Listenplatz für Bürgerinnen und Bürger, hier kann man seine Fragen hat dafür von der erfahrenen Alessa das Handwerkszeug Harald Moritz, Listenplatz; Stefanie Remlinger, Listenplatz; Katrin Schmidberger, Listenplatz; Heiko Thomas, Listenplatz los werden und wir bemühen uns, immer schnell und kom- übernommen. Weitere Veränderungen folgen nach der petent zu antworten. LDK. Wieder gewählte Abgeordnete in der Fraktion: , Direktmandat, Friedrichshain-Kreuzberg; Dirk Behrendt, Direktmandat, Friedrichshain-Kreuzberg; Thomas Aber auch politisch ist die LGS ein wichtiges Zentrum un- Damit möglichst die ganze Partei in die Prozesse der LGS Birk, Direktmandat, Tempelhof-Schöneberg; Jochen Esser, Listenplatz; Claudia Hämmerling, Listenplatz; Anja Kofbinger, serer Partei. Unsere beiden Landesvorsitzenden sowie ihre einbezogen wird, könnte ich mir die Durchführung einer Direktmandat, Neukölln; Heidi Kosche, Direktmandat, Friedrichshain-Kreuzberg; Felicitas Kubala, Listenplatz; Benedikt ReferentInnen sind jeden Tag mit Rat und Tat zur Stelle. Werkstatt mit VertreterInnen der unterschiedlichen Gliede- Lux, Listenplatz; Öczan Mutlu, Listenplatz; Ramona Pop, Direktmandat, Mitte; Volker Ratzmann, Direktmandat, Pankow; Der Landesvorstand tagt hier. Und die Referentin für Frau- rungen vorstellen. Hier könnten wir herausarbeiten, was Michael Schäfer, Listenplatz; Anja Schillhaneck, Listenplatz; Jasenka Vilbrandt, Listenplatz en- und Geschlechterpolitik koordiniert ihr Politikfeld. Die die Partei eigentlich von uns als LGS erwartet, wie sie sich LGS ist damit neben der Fraktion im Abgeordnetenhaus der Vernetzung vorstellt und was wir in der LGS tun können, Neue Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses: Ort, wo grüne Politik für das Land Berlin gemacht wird. um die Arbeit vor Ort so weit es geht zu erleichtern. Wenn Anja Schillhaneck Ihr hierzu Vorschläge habt, wendet Euch direkt an mich Nach den Abgeordnetenhauswahlen im September muss [email protected]. Zusätzlich komme ich Fraktionsvorstand: die Partei sich in vielen Bereichen neu strukturieren – das in diesen Wochen auch gerne in Eure Bezirksgruppen, um Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende; Heiko Thomas Parlamentarischer Geschäftsführer; Stefan Gelbhaar, stellvertretender Frak- gilt auch für die LGS. Zentrale Frage ist dabei, wie wir eine mich persönlich vorzustellen. tionsvorsitzender; Nicole Ludwig, stellvertretende Fraktionsvorsitzende; Antje Kapek, stellvertretende Fraktionsvorsitzende bessere Vernetzung zwischen der LGS und den Parteiglie- derungen erreichen und für alle BerlinerInnen da sein kön- Herzlichst Catherina nen, die sich mit grünen Inhalten beschäftigen. Dazu ist es wichtig, dass wir gut und umfassend informieren und wir freuen uns, wenn Ihr uns ansprecht und wir Euch helfen können. Neben einem Besprechungsraum für bis zu 20 Per- Eine Frage an … sonen, der sehr gerne aktiv von der Partei für Gespräche, Workshops und Sitzungen aller Art genutzt werden darf, … Anja Schillhaneck wollen wir Euch mehr Austausch über unsere Internetseite anbieten. Wir wollen, dass die Landesgeschäftsstelle offe- Anja, schön Dich zu sehen. Wir freuen uns über unsere aktive ner wird; sie soll ein Ort der Begegnung werden, an dem Leser_innen schaft. über Inhalte gesprochen wird – und das nicht nur innerhalb Herzlichen Glückwunsch, Frau Vizepräsidentin. bestimmter Gremien, sondern quer durch die Partei und Was macht mensch da eigentlich so, als Vizepräsidentin? rein in die Stadtgesellschaft.

Anja: Bei der Landesdelegiertenkonferenz (LDK) im März wer- Na ja, wenn der Präsident nicht da ist, na dann bin ich Land den wir unter anderem über die LGS diskutieren und mit Berlin. dem Haushalt zusammen hoffentlich auch eine erweiterte Struktur der Geschäftsstelle beschließen. Auf dem Weg da- Das Exklusivinterview führte Oliver Münchhoff. hin haben wir direkt nach der Wahl die nötigsten Verän- derungen vorgenommen. So haben wir einen der beiden © Oliver Münchhoff © Oliver - fotolia © maconga

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Canvassing – die neue Wahlkampfstrategie? von Silke Gebel

Die Frage in jedem Wahlkampf: Wie erreichen wir die Leute, Überlegt euch wie ihr zeigt, dass ihr da wart, wenn nie- die nicht an unseren Stand kommen? Sei es, weil sie vorher mand aufmacht. Ärgerlich in den 10 Stock hochgekraxelt die Straßenseite wechseln oder weil wir in deren Lebens- zu sein, und niemanden anzutreffen. Unsere Lösung wa- welt keinen Stand machen. Für uns hieß das: „Wenn die Leu- ren Türhänger mit grundlegenden Infos zur Berliner Wahl. te nicht zu dir kommen, musst du zu ihnen gehen“. Einige freuten sich über den unerwarteten Gruß. Andere sahen darin eine „Einbrecherhilfe“, da man sehen könne, Canvassing, Türklinkenputzen, Haustürwahlkampf – egal wer nicht zu Hause sei. Hier müssen wir nochmal ran. wie man es nennt, als KandidatIn oder als UnterstützerIn geht man von Tür zu Tür, treppauf-treppab und wirbt ide- Betont immer die Bedeutsamkeit der Zweitstimme (und alerweise im direkten Gespräch für sich - oder den/die Drittstimme). Gerade als Partei, die die Grundzahl der KandidatIn und die bündnisgrünen Positionen. Die Idee ist Mandate über die Zweitstimmen sichert, sollten auch pri- nicht neu: Obama hat diese Methode genutzt und in Groß- märe Direktkandidatenmittel eingesetzt als Parteienwer- britannien ist sie seit dem späten 17. Jahrhundert üblich. bung genutzt werden.

How to Türklinkenputzen – 3 Grundregeln 5000 gedrückte Klingelknöpfe – ein gutes Zeit-Investment? Erstens: Zieht während der Woche zwischen 17.45- Entgegen aller Unkenrufe im Vorfeld war es leichter, Frei- 20.00 Uhr los. Zu dieser Uhrzeit werdet ihr die meisten willige dafür als für die klassischen Stände zu finden. Effek- Menschen zu Hause erwischen, ohne sie von Wichtigerem tiv wird Canvassing, wenn es durch weitere Kiez-Präsenz, abzuhalten: kurz nach der Arbeit aber vor der ehrwürdigen also Stände, Straßenfeste und Vereinsbesuche, flankiert Tagesschau. wird. Es bietet aber denen eine zeitlich begrenzte, interes- Zweitens: Zieht mindestens zu zweit los und habt am sante Wahlkampfaktivität zur Feierabendzeit, die sich nicht besten eine Frau dabei. Klingelt nie mit mehr als zwei Leu- an den Stand stellen würden. ten an einer Tür und führt die Gespräche immer an der Türschwelle. Durch den hohen BriefwählerInnenanteil, der zeitlich nicht Drittens: Zeigt, dass ihr da wart, auch wenn niemand die zurechenbar ist und durch eine Umstrukturierung der regi- Tür aufgemacht hat. Bei uns haben im Schnitt 30 % die onalen Briefwählerzuordnung, ist ein Effekt (noch) schwer Tür geöffnet, die übrigen sollen ja auch von den Mühen nachzuweisen. Sichtbar ist in „meinem“ Wahlkreis ein Zu- und Inhalten erfahren. wachs an 944 Stimmen absolut zu 2006, was immerhin eine Steigerung um 35 % bedeutet. Rechtfertigt das 5000 Insgesamt waren wir überrascht über ein fast durchweg „geputzte“ Türklinken? positives Feedback. Wie auch in den Berichten aus den USA, erkannten die Leute an, dass sich jemand die Mühe Mein Fazit: Canvassing ist ein super Mittel effizient viele macht, den ganzen Weg zu ihnen zu kommen. In anderen Leute persönlich zu sprechen und mit grüner Politik be- Wahlkreisen war dieser Kontakt gar der erste, der je be- kannt zu machen. Man erreicht damit auch Gruppen die wusst mit einer/m PolitikerIn stattfand. Die heftigste Reak- sonst keinen/kaum Kontakt zu (grünen) PolitikerInnen tion war schon eine zugeschlagene Tür mit einem verächt- haben. Gekoppelt mit einer zusätzlichen Präsenz im Kiez, lichen „Bündnis 90...“. ergibt sich ein enormer Wiedererkennungswert. Gerade mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 ein wichtiges Wahl- Wie man es noch besser macht kampfmittel.

Fangt früh genug an zu canvassen, damit ihr auch die Stim- Die Autorin ist Mitglied im Geschäftsführenden men der BriefwählerInnen für euch oder eure KandidatIn si- Ausschuss des KV Mitte und war Direktkandidatin im chert. Die Anzahl der BriefwählerInnen in Berlin lag bei dieser Wahlkreis 2 in Berlin Mitte rund um den Hakeschen Wahl bei 16,6 % aller Wahlberechtigten, was 27,6 % Markt, Fischerinsel, Karl-Marx Allee und der abgegebenen Stimmen bedeutet. Der größte Teil wur- die Leipziger Strasse

de bereits vor den letzten drei Wochen abgegeben. © daniel.schoenen - photocase

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GroSSe Tombola um einen Kitaplatz von der Kita-AG

In Berlin fehlen 23.000 Kita-Plätze. Friedrichshain-Kreuz- 2006 Anzeichen gab, dass zukünftig viele Kitaplätze feh- berg ist als innerstädtischer Bezirk besonders betroffen. len, wurde lieber in die Beitragsfreiheit statt in den Ausbau Der Senat wirbt für Kita-Gutscheine und Beitragsfreiheit – der Kitas investiert und damit ein dramatischer Mangel mit ein Hohn für Eltern auf der Suche nach einem Kita-Platz. über 23.000 Plätzen verursacht.

Es war einmal eine berufstätige Frau, die sich mit ihrem Ab 2013 haben auch Kinder, die jünger als drei Jahre sind, Partner eine eigene Familie wünschte. Dem schien zu- das Recht auf einen Kitaplatz. Niemand kann abschätzen nächst nichts im Wege zu stehen – war es in ihrer Gesell- wie viele Plätze dann fehlen werden. schaft doch Usus, dass Frauen ihr Leben selbst bestimmen, berufstätig sind oder studieren, und zwar mit oder ohne Die Konsequenzen sind dramatisch: Viele Familien – ins- Armutsfalle für Allein- Kinder. Zudem regierte in ihrer Stadt ein Senat, der es ganz besondere gering verdienende oder alleinerziehende El- erziehende im Prenzlberg besonders gut mit jungen Familien zu meinen schien: be- tern – droht der Verlust des Arbeitsplatzes und sie sind von Claudia Lukas rufstätig sein UND Kinder haben – gar kein Problem! – so auf Transferleistungen angewiesen. Soziale Segregation, war das öffentliche Credo. Ein System mit Kita-Gutscheinen das Auseinanderfallen der Stadt in Arm und Reich, wird Katja ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern wurde eingeführt, um die frühkindliche Bildung beitrags- begünstigt. Und obwohl sich die Rolle der Väter in den und wohnt in Prenzlauer Berg. Da sie keinen Kitaplatz frei zu halten. Der Bürgermeister forderte insbesondere letzten Jahren erfreulich gewandelt hat, sind es nach wie für ihr jüngstes Kind gefunden hat, konnte sie nicht Eltern aus sozial benachteiligten Gruppen oder mit Migra- vor in erster Linie die Frauen, die von finanziellen Einbußen wie geplant ihren Beruf wieder aufnehmen. Seither tionshintergrund explizit dazu auf, ihre Kinder frühzeitig in betroffen und in ihrem Recht auf Erwerbstätigkeit einge- ist sie auf staatliche Unterstützung angewiesen. die Kita zu bringen, um Sprachdefizite zu vermeiden. Und schränkt werden. Hätte eine erzkonservative Regierung Katja begann mit der Suche nach einem Betreuungs- schließlich gab es ja noch das Elterngeld, um finanzielle Tausende von Frauen aus ihrem Erwerbsleben gewiesen, platz als sie im vierten Monat schwanger war. Nun Einbußen abzufangen. wäre eine Welle der Empörung durch die Stadt gegangen. steht sie auf den Wartelisten verschiedener Kitas: im So aber, auf dem Schleichweg der fehlenden Kitaplätze, Durchschnitt zwischen den Plätzen 50 und 80. Diese scheinbar märchenhaft-familienfreundlichen Bedin- blieb dies alles viel zu lange unbemerkt. Mittlerweile müsse man für einen Kitaplatz dank- gungen ergeben in der Realität jedoch ein ganz anderes bar sein, unabhängig davon, ob dieser den eigenen Bild: In den meisten Kitas in Friedrichshain-Kreuzberg gibt Um dieser Thematik ein persönlicheres Gesicht zu geben, Vorstellungen, Erwartungen, Lebenskonzept oder es Wartelisten mit über hundert Personen. Inzwischen entschlossen wir uns, die Beteiligten über Interviews selbst Erziehungsstil entspreche. „Ich habe ja kein Kind zur melden sich Eltern bereits während der Schwangerschaft in zu Wort kommen zu lassen und ihren Forderungen an den Welt gebracht, dass dann in irgendeiner Kita landet. den Betreuungseinrichtungen an. Senat eine Stimme zu geben. Ich wollte ja auch einen Kitaplatz, der meinen Erzie- hungsmethoden und meinen Lebenswandel ent- Einige Kitas hingegen verlangen eine inoffizielle Aufnahme- Tine Hauser-Jabs, Susanne Hellmuth, spricht.“ gebühr von mehreren hundert Euro – ein eklatanter Wi- Dominique Heyberger, Anna Sophie Luck, Claudia Lukas Doch nicht nur die fehlenden Betreuungsplätze sind derspruch zur vom Senat beworbenen Beitragsfreiheit! Und für Katja problematisch. Die Vereinbarkeit zwischen schließlich gibt es in vielen Einrichtungen Probestunden: Ein Beruf und Kindererziehung werden zusätzlich durch Wettbewerb zwischen Kindern bei dem die Kita-Leitung die begrenzten Öffnungszeiten der Kitas erschwert. aussucht, welches der Kinder am besten zur Kita passt. Selbst wenn Katja endlich einen Kitaplatz bekommt, könnte sie ihren ursprünglichen Arbeitsaufwand Unter diesen Bedingungen sind Kinder aus sozial be- nicht mehr ausreichend organisieren und müsste nachteiligten Familien vom Kita-Platz-Mangel besonders deshalb zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu- betroffen. Die Kinder also, die nach Ansicht der Berliner sätzlich mit Hartz IV aufstocken. Regierung einen Kitaplatz eigentlich am dringendsten be- Zur Vereinfachung der Kitasuche und als Ausweg nötigen. aus der prekären Situation plädiert die zweifache Mutter für mehr Transparenz und Kooperation zwi- Verantwortlich für diese Missstände ist vor allem der bis schen Kitakostenstelle und Kitas: So könne festge- 2011 regierende Berliner Senat: Obwohl es bereits seit © Christian Könneke stellt werden, wer sich an welcher Kita an- oder ab- gemeldet hat. 46 47 Die Autorin ist in der AG Kita aktiv Parteileben Nachruf

Eltern ohne Kitaplatz

- fürchten um ihren Arbeitplatz - fühlen sich von Behörden allein gelassen - wünschen sich eine zentrale Erfassung und Vergabe der Kita-Plätze - bemängeln die fehlende Transparenz bei der Kita-Platz-Suche - müssen ein regelrechtes Management der Kita-Bewerbungen tätigen - kritisieren Bewerbungswettbewerbe zwischen Kindern trauern um Wolfgang Pohner - befürchten, dass sozial benachteiligte Familien wenig Chancen auf einen Kita-Platz haben

Grünes Projekt „Fehlende Kita-Plätze“ Machen Sie ähnliche Erfahrungen und möchten diese mitteilen? Dann schreiben Sie uns unter: [email protected] Nach schwerer Krankheit ist das ehemalige Vorstandsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, Wolfgang Pohner, Über Mitstreiter_innen freuen sich: Tine Hauser-Jabs, Susanne Hellmuth, Dominique Heyberger, Anna Sophie Luck am 10. November 2011 verstorben. und Claudia Lukas Wolfgang war über viele Jahre hinweg auf allen Ebenen unserer Partei äußerst engagiert. Mit klaren Positionen, guten Ideen und der Freude am politischen Gestalten hat er sich in viele Politikbereiche ein- und unsere programmatische Arbeit auf Landes- und Bundesebene vorangebracht.

Wolfgang hat viel bewegt. Vom 1. April 2005 bis 14. März 2009 war er Mitglied im Berliner Landesvorstand. Als langjäh- riger Sprecher der LAG Frieden & Internationales setzte er sich für ein größeres Verantwortungsbewusstsein der grünen Landespolitik für außenpolitische Fragen ein und hat mit seiner ruhigen, zielstrebigen und ermutigenden Art eine ganze Generation außenpolitisch aktiver Grüner geprägt. Er hätte sich selbst nie als Mentor bezeichnet, doch viele, die ihm in der LAG nachfolgten, sehen die Wurzeln ihres außenpolitischen Engagements auf der Landes- und Bundesebene in seinem Wirken.

Auch die Arbeit der BAG Frieden & Internationales hat Wolfgang über viele Jahre begleitet. Er war ein genauer Beobachter des politischen Prozesses und hatte das Talent, den richtigen Zeitpunkt zu erfassen; das zeigte sich in seinem wegweisen- den Antrag auf der BDK 2007 zur Einsetzung der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission.

Das Thema Migration & Integration lag ihm sehr am Herzen. Er sorgte für die Neugründung der LAG Migration, arbeitete dort intensiv mit und war an der Vorbereitung des großen MigrantInnenkongresses „Berlin mitgestalten“ im vergangenen Jahr beteiligt. Er blieb politisch aktiv, obwohl er schon damals mit seiner Krankheit schwer zu kämpfen hatte.

Wolfgang verkörperte eine grüne Authentizität, die viele im Berliner Landesverband und darüber hinaus beeindruckt hat. Er hatte die im politischen Geschäft seltene Fähigkeit, sich bei vollem Einsatz für die Sache selbst nicht zu ernst zu neh- men. Zielstrebigkeit und Gelassenheit waren für ihn keine Gegensätze, und er vermied es, die Schärfe seiner Analysen auf die Rhetorik zu übertragen. Vielleicht lag es an dem heiteren Südwest-Ton in seiner Stimme, aber sicher auch an seiner offenen, freundlichen Art, dass jedes noch so deutliche Statement von einem kleinen Augenzwinkern begleitet zu sein schien.

Wolfgang arbeitete seit 2006 bis wenige Monate vor seinem Tod als Wahlkreismitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wieland, der sein Wahlkreisbüro lange Zeit in der Kommandantenstraße 80 hatte. Er gehörte damit faktisch zum Team der Landesgeschäftsstelle.

Wolfgangs Tod ist für uns politisch wie persönlich ein großer Verlust. Wir werden Dich vermissen, Wolfgang!

Susann Worschech, Felix Pahl, Sonja Grigat, Melanie Müller, Birte Gäth, Niko Pewesin, Ursula Hertel-Lenz, Paul Schlandt, Harald Bauer, Kambiz Behbahani, Keywan Daddjoo, Bernd Lupfer, Andreas Unger, Alexander Klose,

© Susanne Hellmuth Susanna Kahlefeld und der Kreisverband Friedrichshain - Kreuzberg

48 Glosse

Bilder vom Wahlkampf: mit Plakaten, Kaffee und Kuchen, und viel Guter Laune in Kreuzberg, Schöneberg und Pankow

Gestern habe ich wieder was gelernt – Fundis gefunden von Wolfgang Seelbach aus dem KV Havelland

Es gibt jetzt in Berlin keine Grünen mehr, sondern nur noch Linke und Realos. Mao hat das übrigens schon vorausgesagt: "Eins teilt sich in zwei", hat der mal gesagt. Nun sind wir zwei. Zwei Parteien mit zwei getrennten Pressekonferenzen. Nun können wir endlich unser Lieblingsspiel spielen, dass Wowi, der Spielverderber, mit uns nicht wollte: Koalitionsverhandlungen - stopp: vorher machen wir Sondierungsgespräche. Und mit Inhalten geben wir uns erst gar nicht ab. Es geht gleich um Posten, das ist ja sowieso das Wichtigste. Wie die Piraten machen wir das jetzt auch alles schön transparent und öffentlich.

Bis gestern war ich Grüner. Nun muss ich mich entscheiden: Linker oder Realo? Dazu muss ich wissen, was der Unterschied ist. Einen Unterschied habe ich sofort verstanden: die Realos wollen 2 Sprecherposten, die Linken nur einen. Das hilft mir aber erst mal nicht weiter. Ach ja da fällt mir doch noch ein Inhalt ein: der Realo-Sprecher hat 3 Tage vor den Wahlen die A100 als unverhandelbar erklärt. Das war ein guter Trick, denn Wowereit wollte ja unbedingt persönlich die A100. Damit war schon mal klar, dass wir in der Opposition bleiben.

Früher nannten wir solche Leute Fundis. Aha, die Berliner Realos sind also Fundis, Realo-Fundis sozusagen. Und die Linken? Die haben einen Bezirks-Bürgermeister, der aus der Partei austritt, wenn die A100 kommt. Also auch Fundis, Linke in den Fundis sozusagen.

Und die Bürgermeisterkandidatin? Die hat kurz vor der Wahl erklärt, mit der CDU geht gar nicht, kurz nach der Wahl, das verges- sen wir der SPD nie (Wer hat uns verraten - ...). Die ist also jetzt auch ein Fundi, eine neue Bundes-Fundi sozusagen - zumindest so lange, bis wir mit den Piraten die Mehrheit haben. Impressum: Stachlige Argumente 33. Jahrgang Heft 4/2011 Nr. 184 Und was wird nun aus mir? Herausgeber: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Berlin Redaktion: Ulrike Bürgel (ub), Oliver Münchhoff (V.i.S.d.P.) (om), Astrid Schmudde, Ronald Wenke (rw) Bis gestern war ich einfach nur grün. Jetzt habe ich ein Problem. Denn ich war nie Flügel, sondern Rumpf. Manchmal aber auch Freie Mitarbeiter_innen: Christine Dörner Flügel mal so, mal so. Mit Kosovo und Afghanistan hatte ich so meine Probleme - linksaußen also. Dass die Hartzer arbeiten Chef vom Dienst, Lektorat, Bildred.: Oliver Münchhoff sollen, fand ich gut - rechtsaußen also. Außerdem: Was ist eigentlich mit den ganzen anderen Flügeln, Strömungen, peer-groups © Christian Könneke (3) und Freie Mitarbeit ist jederzeit möglich, bitte einfach zu den Redaktionssitzungen kommen usw., den Original-Fundis, den Öko-Libertären, den Ökosozialisten, den Christen in den Grünen ... Oliver Münchhoff (5) (i.d.R. Montags, 18:30 Uhr) Dürfen die denn jetzt auch mitverhandeln? Darf ich mich denen denn jetzt gar nicht mehr zuordnen? Leserbriefe per e-mail: [email protected] Redaktionsanschrift: Kommandantenstrasse 80, 10117 Berlin • fon: 615 005 0 (Zentrale) In meiner Verzweiflung habe ich den Kaiser angerufen. Wir bitten, die Beiträge per e-mail an uns zu senden Der wusste Rat: "Geht's naus un spuit's Fussball! Dann schau'n mer mal!" Satz/Layout: Stephanie Weyl • Druck: Oktoberdruck Bezug: Die Stachligen Argumente erscheinen viermal jährlich. Liebe Leute, das ist es: Geht's raus und macht grüne Politik! Der Preis ist für Mitglieder im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder: Spende von 2,10 Euro erwünscht Postgirokonto Berlin Nr. 524 66 - 103, BLZ 100 100 00 • Gedruckt auf 100% Recyclingpapier Die einzelnen Beiträge geben die Meinung der jeweiligen Verfasser wieder und nicht notwendiger Weise Der Autor ist der Sprecher der LAG Bildung im Landesverband Brandenburg der Redaktion.

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