Schwundes Im Hochgebirge –– Chancen Und Risiken Formation De Nouveaux Lacs Suite Au Recul Des Glaciers En Haute Montagne –– Chances Et Risques
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Forschungsbericht des Nationalen Forschungsprogramms NFP 61 Neue Seen als Folge des Gletscher- schwundes im Hochgebirge –– Chancen und Risiken Formation de nouveaux lacs suite au recul des glaciers en haute montagne –– chances et risques W. Haeberli, M. Bütler, C. Huggel, H. Müller und A. Schleiss (Hrsg./éds) Nachhaltige Wassernutzung Nationales Forschungsprogramm NFP 61 Impressum I Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Empfohlene Zitierweise NELAK (2013): Neue Seen als Folge des Gletscherschwundes im Hochgebirge – Chancen und Risiken. Formation des nouveux lacs suite au recul des glaciers en haute montagne – chances et risques. Forschungsbericht NFP 61. Haeberli, W., Bütler, M., Huggel, C., Müller, H. & Schleiss, A. (Hrsg.). Zürich, vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, 300 S. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7281-3533-9 (Printausgabe) Download open access: ISBN 978-3-7281-3534-6 / DOI 10.3218/3534-6 www.vdf.ethz.ch Gestaltung Umschlag: Esther Schreier, Basel Farbfotos Vorderseite: Universität Zürich (1, 3); FIF, Universität Bern (2) Videostills Rückseite: Wissensmanagement Umwelt, Halbbild Halbton (1-2) Farbfoto Rückseite: FIF, Universität Bern (3) Duoton-Fotos: Beat Ernst, Basel © 2013, vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich This work is licensed under a creative commons license. titelei projektbericht häberli.indd 2 24.06.13 15:22 Forschungsbericht NFP 61, Projekt NELAK Neue Seen als Folge des Gletscherschwundes im Hochgebirge – Chancen und Risiken Formation des nouveaux lacs suite au recul des glaciers en haute montagne – chances et risques Herausgegeben von W. Haeberli, M. Bütler, C. Huggel, H. Müller und A. Schleiss vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich titelei projektbericht häberli.indd 3 24.06.13 15:22 Impressum II Projekt NELAK Verantwortlichkeit/Herausgeber Wilfried Haeberli (Leitung); weitere Projektverantwortliche: Michael Bütler, Christian Huggel, Hansruedi Müller, Anton Schleiss Projekt NELAK Autorenschaft und Mitarbeit Einleitung, Potenzielle Seen, Naturgefahren und Risiken (Geographie, Universität Zürich) Wilfried Haeberli, Christian Huggel, Matthias Künzler, Yvonne Schaub Touristisches Potenzial (ehem. FIF, Universität Bern) Hansruedi Müller, Therese Lehmann Hydroelektrisches Potenzial (HCD, EPF Lausanne) Anton Schleiss, Frédéric Jordan, Stéphane Terrier Rechtliche Aspekte (Rechtsanwalt in Zürich, www.bergrecht.ch) Michael Bütler Berichtgestaltung, Formatierung, (Geographie, Universität Zürich) Matthias Künzler, Nico Mölg Nachhaltige Wassernutzung Nationales Forschungsprogramm NFP 61 Das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Wassernutzung» (NFP 61) erarbeitet in 16 Forschungsprojekten wissenschaftliche Grundlagen und Methoden für einen nachhaltigen Umgang mit den Wasserressourcen in der Schweiz. Die Forschungsphase des Programms dauert von Januar 2010 bis Ende 2013. Leitungsgruppe Christian Leibundgut (Präsident), Günter Blöschl, Dietrich Borchardt, Ulrich Bundi, Bernd Hansjürgens, Bruno Merz, Franz Nobilis Stephan Müller (Beobachter der Bundesverwaltung), Patricia Fry (Leiterin Wissen- saustausch), Barbara Flückiger (Programmkoordinatorin) Nina Buchmann (Delegierte der Abteilung IV des Nationalen Forschungsrats) www.nfp61.ch titelei projektbericht häberli.indd 4 24.06.13 15:22 ZUSAMMENFASSUNG Als Folge der Gletscherschmelze bilden sich neue Seen in den Übertiefungen der freigelegten Gletscherbetten. Der nachhaltige Umgang mit diesem klimabedingten Phänomen führt zu noch kaum behandelten Fragen der Nutzung und des Schutzes. Der vorliegende Bericht des Projektes NELAK des Nationalen Forschungspro- gramms 61 „Nachhaltige Wassernutzung“ stellt die vorhandene Wissensbasis hin- sichtlich neuer Seen im Hochgebirge zusammen. Er wurde in interdisziplinärer Zusammenarbeit und in engem Kontakt mit Institutionen der Politik und der Pri- vatwirtschaft sowie mit betroffenen NGOs als Entscheidungsgrundlage für die zukünftige Planung vorbereitet. Der Schwerpunkt der behandelten Aspekte liegt bei (a) der Entstehung und Charakteristik der neuen Seen in Raum und Zeit, (b) der Abschätzung der von diesen Seen ausgehenden Naturgefahren, (c) den Nutzungs- potenzialen für die Energiewirtschaft, (d) den touristischen Perspektiven und (e) den rechtlichen Fragen hinsichtlich Nutzung, Verantwortung und Schutz. Ein ge- samtschweizerischer Überblick wird mit vertieften Analysen in Fallstudien kombi- niert. Die am Schluss formulierten Empfehlungen basieren auf der Synthese des gesammelten und gemeinsam reflektierten Materials. Neue Seen Der Schwund der Gebirgsgletscher ist ein weltweites Phänomen und läuft mit zu- nehmender Geschwindigkeit ab. Dies ist eine Folge des globalen Temperaturan- stiegs, der wiederum immer stärker durch Einflüsse des Menschen (v.a. Treibhaus- gase) auf den Strahlungshaushalt der Erde gesteuert wird. Die Gletscher der Alpen verlieren gegenwärtig jährlich rund 2 bis 3 % ihrer Fläche (2011: rund 1'800 km2) und ihres Volumens (2011: rund 80 ± 20 km3). Die Intensität der Schmelzprozesse führt dabei zunehmend zu Zerfallserscheinungen des Eises. Modellrechnungen verschiedener Komplexität ergeben seit vielen Jahren übereinstimmend, dass bei realistischen Szenarien weiterer Erwärmung wesentliche Teile des noch verblei- benden Eisvolumens bereits bis zur Jahrhundertmitte abschmelzen und auch grosse v Neue Seen als Folge des Gletscherschwunds Gletscher in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts bis auf kleine Reste ver- schwinden dürften. Die neu entstehenden Seen beschleunigen den Eiszerfall noch zusätzlich. Jüngste Beispiele aus der Schweiz sind der „Gletschersee“ beim unteren Grindelwaldglet- scher, der See am Triftgletscher, die neuen Seen am Palügletscher oder der gegen- wärtig rasch wachsende See an der Zunge des Rhonegletschers. Ein digitales Ge- ländemodell der Schweizer Alpen ohne Gletscher zeigt in den jetzigen Gletscher- betten 500–600 Übertiefungen mit einer Gesamtfläche von rund 50–60 km2, wo in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitere Seen entstehen können. Die grössten dieser potenziellen Seen haben eine mittlere Tiefe von 100 m, die meisten sind jedoch im Schnitt weniger als 50 m tief. Rund ein Drittel aller Übertiefungen weist ein Volumen von über 1 Mio. m3 auf, etwa 40 haben ein Volumen von über 10 Mio. m3. Potenzielle Seen mit Volumen über 50 Mio. m3 sind bei den Glet- schern Aletsch, Gorner, Otemma, Corbassière und Gauli zu erwarten. Das Gesamt- volumen der modellierten Übertiefungen entspricht ca. 3 % des heutigen (2011) Gletschervolumens. Die modellierten Übertiefungen sind vor allem von der Ober- flächenneigung der Gletscher abhängig und damit weitgehend robust. Ob darin wirklich Seen entstehen, hängt u.a. davon ab, ob eine schluchtartige Entwässe- rungsrinne vorhanden ist und wie schnell seichte Übertiefungen mit Sedimenten gefüllt werden. Neue Gefahren Die neuen Seen stellen ein mögliches, ernst zu nehmendes Gefahrenpotenzial dar. Sie bilden sich oft am Fuss steiler Bergflanken, deren Stabilität mit den Verände- rungen im Hochgebirge wie Permafrost-Degradation oder durch Gletscherschwund reduzierten Eis-Gegendruck langfristig abnimmt. Auf lange Sicht muss deshalb mit der Möglichkeit von grosskalibrigen Sturzereignissen in Seen gerechnet werden, welche zu einem Seeausbruch und damit zu weitreichenden Flutwellen ins Tal führen können. Die Eintretenswahrscheinlichkeit solcher Katastrophen ist klein, nimmt aber mit wachsender Anzahl neuer Seen und den andauernden Veränderun- gen im Hochgebirge zu. Da diese Voraussetzungen über sehr lange Zeiträume ak- tuell bleiben werden, ist eine Beurteilung aller Seen notwendig. Im vorliegenden Bericht wird exemplarisch das Gefahrenpotenzial kurz für die Fallbeispiele Vadret da Palü (GR), Chüebodengletscher (VS/TI), Rhonegletscher (VS), Steingletscher (BE) und Aletschgletscher (VS) sowie ausführlicher für die Fallstudien Grindel- wald (BE), Mauvoisin (VS), Oberengadin (GR) und Oberhasli (BE) beurteilt. Dar- aus wird ersichtlich, dass vor allem die potenziellen Seen im Gebiet des heutigen vi Zusammenfassung Aletschgletschers auf längere Sicht bedeutende Gefahrenpotenziale darstellen. Weiter muss die Gefahr von vermehrten Bergstürzen und Seeausbrüchen insbeson- dere im Zusammenhang mit dem weiteren Betrieb oder Ausbau von Kraftwerken in den Alpen berücksichtigt werden. Chancen und Herausforderungen für die Wasserkraft Die Wasserkraft ist der Hauptpfeiler der schweizerischen Elektrizitätsversorgung und wird auch in absehbarer Zukunft die wichtigste und effizienteste erneuerbare Energie in der Schweiz bleiben. Mit dem Rückzug der Gletscher verändern sich die Zuflüsse zu den Stauseen. Seit etwa 30–40 Jahren sind die Zuflüsse zu den Stau- seen angewachsen. Dieser Trend wird dank der Gletscherschmelze je nach Klima- szenarien die nächsten 10–30 Jahre noch anhalten. Anschliessend werden mit dem fortschreitenden Verschwinden der Gletscher die Zuflüsse wieder stark abnehmen. Die dabei neu entstehenden Seen, welche höher als die bestehenden Stauseen lie- gen, bieten aber eine Chance, um die heutige Stromproduktion aus Wasserkraft aufrechtzuerhalten. Durch den Bau von neuen Talsperren kann das Volumen dieser natürlichen Seen vergrössert werden und zur Produktion von Spitzenergie aber auch zu Pumpspeicherung von zeitweise überschüssiger Wind- und Sonnenenergie