Originalveröffentlichung in: Wirbelauer, Eckhard (Hrsg.): Die Freiburger Philosophische Fakultät 1920-1960, Freiburg 2006, S. 303-364

Klassische Philologie

Jürgen Meilitz

I.

Zu Beginn der Weimarer Republik wurde die Freiburger Klassische Philologie von Ludwig Deubner und Otto Immisch repräsentiert. Im­ misch, im Oktober 1914 als Nachfolger von Richard Reitzenstein berufen, blieb in Freiburg und engagierte sich neben seiner For­ schung und Lehre auch für die Universität selbst - für das Studien­ jahr 1924 wurde er zum Rektor gewählt; als ehemaliger »Schul­ mann« kümmerte er sich auch um die fachlichen Kontakte zwischen Gymnasium und Universität.1 Ludwig Deubner, zum 1. April 1917 als Nachfolger von Alfred Körte berufen, hatte 1923 einen Ruf nach Würzburg abgelehnt; 1926 wechselte er allerdings ohne längeres Zö­ gern nach ;2 sein Nachfolger wurde nach der Absage Felix Ja- cobys3 Anfang 1927 Rudolf Pfeiffer, damals in Hamburg und der

1 Vgl. Uruversitätsarchiv Freiburg (= UAF) B24/1526. Auf der Bemfungsliste hatte er die zweite Stelle hinter Eduard Norden, vor Max Pohlenz und Karl Meister. Rektorats­ rede: Äcademia, Freiburg 1924 (16 S.). In einem Artikel der Freiburger Zeitung vom 18. Jund 1932 aus Anlaß seines 70. Geburtstages heißt es: >Besonders aber hat Irrunisch als Lehrer persönlich gewirkt. Und nicht nur durch seine Vorlesungen vom Katheder herab, sondern gerade durch die freundliche, menschliche Anteilnahme an dem Werde­ gang seiner Schüler, durch die herzliche Art sich zu ihnen zu stellen und ihnen immer ratend zu helfen, hat er sich behebt gemacht und eine wirkliche Gemeinschaft von Leh­ rer und Schüler erreicht.« 2 Vgl UAF B24/541. Deubner hatte hinter den zweiten Platz auf der Berufungsliste, vor Kurt Witte und Christian Jensen. Aufgrund seiner ununterbroche­ nen Verwendung als Dolmetscher bis zum Kriegsende konnte er seine Antrittsvorlesung (>Der Paian, ein altgriechischer Heilsang«) erst am 30. Juni 1919 halten; nach der Ab­ lehnung des Würzburger Rufes erhielt er im WS 1923/1924 ein damals sehr seltenes >Freisemester«. 3 Aus dem Gutachten der Philosophischen Fakultät vom 6.11.1926 (UAF Bl/1256): »Jacoby ist eine ausgesprochen martrdiche Persönlichkeit, kraft- und temperamentvoll, arbeitsfreudig, vielleicht nicht ohne einige Ecken und Schärfen. Sein Rang als Forscher und akademischer Lehrer ist so hoch, daß er nur an erster Stelle genannt und befragt werden kann.«

303 Jürgen Malta; führende Spezialist für die Dichtung des Hellenismus.* Schon 1929 erhielt Pfeiffer einen Ruf an seine Heimatuniversität München.5 Auf dem dritten Platz für die Nachfolge Deubner hatte die Fakultät im April 1927 Wolfgang Schadewaldt gesetzt, obwohl dessen Habilitati• on damals noch nicht ganz abgeschlossen war.6 Für die Nachfolge Pfeiffer wurden dann nur zwei Kandidaten benannt: Kurt Latte, der damals in Basel lehrte, und Wolfgang Schadewaldt.7 Nach längeren

4 Aus dem Gutachten der philosophischen Fakultät vom 6.11.1926 (UAF Bl/1256): »Über den Lehrerfolg seiner als wertvoll allgemein anerkannten und in sichtbarem An• stieg befindlichen Kraft wird günstig berichtet; seine Persönlichkeit ist von einer ebenso ausgeprägten wie sympathisch-feinen Eigenart, stark mitbestimmt durch die künstleri• schen Impulse in der geistigen Welt Münchens, wo er heranwuchs und sich bildete.« Die Berufung: Gnomon 3,1927,128. 5 Man hätte Pfeiffer nur zu gerne behalten; in einem Schreiben der Fakultät vom 16.12.1928 heißt es (UAF B24/2802): »Herr Pfeiffer, der erst im April 1927 hierher berufen wurde, hat sich in der kurzen Zeit seines Hierseins bereits unter Professoren wie Studierenden ein ganz besonders grosses Ansehen erworben durch die Tiefe und Feinheit seiner gräzistischen Studien und die glänzende von ihm entfaltete Lehrtätig• keit. Die Fakultät würde mit ihm eines ihrer wissenschaftlich wertvollsten Mitglieder verlieren, auf dessen Gewinnung sie s. Zt. ganz besonderen Wert gelegt hat und heute doppelt grossen Wert legt.« Ein später auch von Fraenkel geförderter Schüler Pfeiffers ist Ludwig Klein (vgl. UAF B42/2265; s. auch Anm. 186). Pfeiffer erklärte seinen Weg• gang nach München mit dem Wunsch, an der Universität seiner Lehrer Otto Crusius und wirken zu wollen, und mit dem Wunsch, »seiner bayerischen Heimat zu dienen« (Brief vom 3.2. 1929 an das Rektorat; UAF B24/2802). Vgl. Gnomon 5,1929,176. 6 »Wir wagen in diesem Fall den ungewöhnlichen Schritt, einen zur Zeit noch nicht habilitierten jungen Gelehrten vorzuschlagen, selbstverständlich weil es sich um eine außergewöhnliche Begabung handelt.« Dem Gutachten wurde als eigentliche Begrün• dung ein Brief Werner Jägers vom 29.10.1926 beigelegt (UAF Bl/1256). Jaeger be• schließt seinen Brief mit den Worten: »Ich glaube, ihm ohne all zu große Kühnheit eine bedeutende wissenschaftliche Entwicklung prophezeien zu können, und bin dabei wohl nicht von subjektiver Freundesvoreingenommenheit verblendet. Denn ich suche mei• nen Schülern vor allem objektiv gegenüber zu stehen, und mein Urteil können Sie leicht an demjenigen anderer Forscher messen, die den Mann oder sein Buch kennen. Fast bedauere ich ihn, dass er nicht zu einer ruhigen Privatdozentenzeit kommen wird, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, was das für Verzichte in sich birgt und für Lasten nach sich zieht. Aber ich werde ihn der Wissenschaft, die auf Menschen seiner Art wartet, nicht vorenthalten können, denn ich muß zugeben: er ist reif.« 7 UAF Bl/1256. Latte wurde allein wegen seiner »größeren Vielseitigkeit« an die erste Stelle gesetzt. »Latte, dessen mehreren von uns wohlbekannte Persönlichkeit hier sehr willkommen wäre, würde als Forscher und Lehrer eine Tätigkeit entwickeln, die am ehesten der seines Lehrers Deubner gliche. Er hat im Jahre 1928 einen Ruf nach Kiel abgelehnt.« Latte war bei seinen Verhandlungen nicht sehr entgegenkommend; am 12.1.1929 schrieb er an Immisch: »Seit meinem Kieler Ruf bin ich nämlich auch für

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vergeblichen Verhandlungen mit Latte wurde Wolfgang Schadewaldt berufen, der sofort eine sehr erfolgreiche Lehrtätigkeit aufnahm,8 Nach der Emeritierung von Otto Immisch im Jahre 1930 setzte die Fakultät , Otto Regenbogen und Richard Härder auf ihre Liste.' Fraenkel hatte in Göttingen manche Schwierigkeiten, auch antisemitische Anfeindungen, erlebt und nahm den Freiburger Ruf gerne zum 1. April 1931 gerne an;10 zu den Gegnern einer Beru• fung Fraenkels, möglicherweise aus »antisemitischen« Gründen, hat

deutsche Verhältnisse recht >teuer< geworden, und ich weiß nicht, wie weit man sich darauf in Karlsruhe einzulassen geneigt ist.« {UAF B3/8). 8 Er wurde mit Wirkung vom 1.10.1929 berufen (UAF B3/686); Seine Antrittsrede am 11.2.1930 galt dem Thema »Vom Wesen des Klassischen in der antiken Poesie«. ' Aus dem Gutachten der Fakultät vom 12.11.1930 (UAF Bl/1256): »Fraenkel gehört als Forscher wie als Lehrer zu den führenden Köpfen der heutigen lateinischen Philolo• gie. Seine beiden Hauptwerke »Plautinisches im Plautus« (1922) und »Ictus und Accent im lateinischen Sprechvers« (1928) umfassen die vielschichtigen Probleme der altrömi• schen Poesie. Ein Interpret, der mit seltener Universalität die verschiedenartigsten Sach• bereiche durchdringt, weiss hier kraft der Energie methodischen Forschens wie gewand• ter Darstellung die lebendige Eigentümlichkeit der Sprache wie die geistigen Werte altrömischer Kunst sichtbar zu machen. Die gleiche produktive Frische und gediegene Sicherheit im Meistern eines verzweigten Wissens lebt in zahlreichen Einzelunter- suchungen zur lateinischen Grammatik» Wortgeschichte, Verskunst, zu den einzelnen grossen Vertretern der klassischen und aachkkssischen Literatur, Cicero, Vergü, Horaz, Lucan, zur Sprache des römischen Rechts und darüber hinaus auch zur griechischen Komödie und griechischen Versgeschichte. Mit als einer der ersten hat Fraenkel die Frage nach dem Eigenwert der römischen Literatur gestellt, die über die gelehrte Sach• forschung hinaus das geistige Verhältnis des heutigen Deutschen zum Römerttan neu begründen will. Fraenkel bringt den inneren Problemen, mit denen das humanistische Gymnasium zu ringen hat, ein ernstes Verständnis entgegen. Als Lehrer wirkt er durch die sichere Führung des Methodikers wie vor allem durch die kräftige und leidenschaft• liche Anteilnahme, die den Gelehrten mit seinen Gegenständen verbindet.« Zu Regen• bogen: »Ein starkes persönliches Ethos im Bunde mit einem in langer Erfahrung erprob• ten didaktischen Geschick macht ihn zum Lehrer von zündender Wirkung.« Zu Härder: »Zum Lehrer befähigt ihn neben präziser Vortragskunst und konkret erfüllter Dialektik verstehende Menschenkenntnis und humorvolle Wanne.« Dieser dritte Platz im Jahre 1930 ist ein wichtiger Faktor für die Plazierung neben Reinhardt auf der ersten Stelle im Jahre 1934 (s. unten Anm. 66); auch in Leipzig stand Härder im Jahre 1933 auf der dritten Stelle (Anm. 35). Der Entwurf des Gutachtens ist unterzeichnet von Dragen- dorff, Heiß, Kolbe, Schadewaldt und Jantzen als Vorsitzendem der Kommission (UAF B3/8). 10 Vgl. Gnomon 8,1931,112. UAF B3/8 ist ein Schriftwechsel mit Fraenkel zur Annah• me des Rufes erhalten; es ging ihm vor allem um günstige Prüfungsregelungen für zwei seiner Göttinger Doktoranden, die protestantische Theologie im Nebenfach studierten.

305 Jürgen Malta wohl Heidegger gehört.11 Im Sommersemester 1931 begann Fraenkel mit seiner Lehrtätigkeit.12 Zu Beginn der dreißiger Jahre hatte die Freiburger Klassische Philologie mit Schadewaldt und Fraenkel ein sehr hohes nationales und internationales Renommee erreicht.13 Aus dieser Freiburger Zeit stammen wichtige Publikationen; gleichzeitig waren die Vorlesungen und Seminare sehr gut besucht.14 Im Sommersemester 1932 wurde eine aJtertumstumswissenschaftliche Fachschaft gegründet.15 Eduard Fraenkel wurde offenbar sehr bald nach der Aufnahme seiner Frei• burger Tätigkeit in den Senat der Universität gewählt.16 Neben den

11 »Herr Heidegger erMärt den Widerstand, den er gegen die Berufung Frankels gelei• stet hat, als fachlich begründet; er habe auch in Frankels Hause verkehrt. Herr Eueken war anderer Auffassung. Ihm war berichtet worden, Herr Heidegger habe bei der Aus• sprache über F. in der Fakultät geäussert: er sei in eine judenfreie Fakultät gekommen und wünsche nicht, dass ein Jude berufen werde. Diese Äusserung habe auch Husserl besonders geschmerzt. Herr Heidegger erklärte, eine solche Äusserung nicht getan zu haben. Die Herren Brie und Ritter wissen nichts von einer derartigen Äusserung Herrn Heideggers. Herr Brie erklärte: Er müsse es wissen, wenn eine solche Äusserung in der Fakultät gefallen wäre.« (Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen im Berei- mgungsausschuß vom 11. u. 13.XII.45, in: und das >Dritte Reich«. Ein Kompendium. Hrsg. von Bernd Martin, Dannstadt 1989, 1%) Zum Verständnis dieser Debatte ist wohl auch daran zu erinnern, daß Fraenkel nicht, wie viele andere erfolgreiche Gelehrte jüdischer Herkunft, konvertiert war, sondern sich, in der Sprache der Zeit, zum mosaischen Glauben bekannte (vgl. die von ihm ausgefüllte »Standes-Li- ste« von 1931 UAF 24/819). Eine nur partielle Wahrnehmung der wissensthafthchen Bedeutung Fraenkels ist vielleicht Heideggers Votum für Fraenkel aus dem Jahre 1933 zu entnehmen (s. unten Anm. 29); allerdings geht es bei diesem Votum darum, Fraenkel vor der Entlassung zu bewahren. n Einer der ersten Freiburger Schüler war Johannes de Vries, der noch im Jahre 1938 in seineni Lebenslauf zum Promotionsverfahren Fraenkel ganz besonders für seine Hilfe dankte (UAF B42/2443). Franz Doli (s. unten Anm. 191) war in Fraenkels Vorlesungen. 13 Fraenkel, Schadewaldt und der Althistoriker Kolbe wurden 1932 Mitglieder der Hei• delberger Akademie der Wissenschaften; vgl. Gnomon 8,1932,448. Zum Selbstbewußt• sein der Freiburger altertumswissenschaftlichen Fächer vgl. die Anm. 64 zitierten Worte Dragendorffs aus dem Jahre 1934. " Vgl. die Quästurakten UAF B17/796. Die Horazvorlesung im Sommersemester 1932 hat 65 Teilnehmer, darunter Franz Doli und Georg Picht. 15 Vgl. UAF Bl/2435. Die Fadbschaft »für die Studierenden der klassischen Philologie, Archäologie und alten Geschichte« wurde am 4.5.1932 gegründet und hatte zu diesem Zeitpunkt 67 Mitglieder; zu den Vorsandsrnitgliedem gehören die Schadewaldt-Schü- ler Otfrid Becker und Heinrich Roloff. Im Wintersemester 1932/1933 ist Otfeid Becker der Fachschaftsvorsitzende; ein neues Mitglied im vierköpfigen Vorstand ist Franz Doli. Die Fachschaft wurde im Sommersemester 1933 aufgelöst »auf Grund der Neuordnung des Fachschaftswesens der Universität«. 16 Fraenkel muß sich sehr wohl gefühlt haben; in der kurzen Zeit seiner Freiburger

306 Klassisch« Philoiogie

beiden Ordinarien hatte Wolfgang Aly seit 1928 eine »Dauerstelle« als Lektor; mit seinem Eintritt in die NSDAP im Jahre 1931 wurde er der dienstälteste Parteigenosse des Lehrkörpers der Universität.17

II.

In der Zeit des Nationalsozialismus nimmt die Klassische Philologie Freiburgs eine nicht immer genügend wahrgenommene wissen• schaftspolitische Sonderstellung ein: nach der Entlassung Eduard

Tätigkeit lehnte er einen inoffiziellen und einen offiziellen Ruf in die Schweiz ab (UAF B24/819). Gordon Williams zitiert offensichtlich aus Fraenkels Erzählungen: »Life at Freiburg was ideal. Fraenkel and his family had never been happier. There were memo- rable parties with the students, renowned for the abundance of wine and for Fraenkel's delighted eagemess to have his guests stay on even after 2 a.m.« (Gordon W. Williams, Eduard Fraenkel 1888-1970, in: FBA 56,1970,420). 1953 und 1954 machte das Ehepaar Fraenkel Urlaub auf dem Schauinsknd (vgl. die Korrespondenz zu Wiedergutma• chungsfragen in UAF B24/819). 17 Wolfgang Aly, geboren am 12.8.1881 als Sohn des Klassischen Philologen Friedrich Aly, studierte seit 1899 in Magdeburg und Bonn; dort wurde er 1904 mit der Arbeit »De Aeschyli copia verborum« promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt auf Kreta im Jahre 1905 wurde er zum 1.10.1905 Assistent in Freiburg und erhielt nach seiner Habi• litation 1908 einen Lehrauftrag zur sprachlichen Emföhrung in die Quellen des römi• schen Rechts (für Juristen). Am 10.3.1914 wurde er auf Antrag von Eduard Schwanz und Richard Reitzenstein zum a. o. Professor ernannt; damals hatte er offenbar Aus• sichten auf einen Ruf nach Marburg. Seit 1908 mußte er von den sehr schmalen Ein• künften aus seinem Lehrauftrag leben. Als Otto Inunisch im Zusammenhang der Ver• handlungen über die Nachfolge Deubner im Jahre 1926 ein gutes Wort für Aly einlegen wollte, wurde das von der Kommission sofort abgelehnt: »Der Gedanke des Vorsitzen• den, der vorzulegenden Liste einige Worte über den hiesigen ausseretatrnässigen Extra• ordinarius Aly voranzuschicken, wurde nicht gebilligt und fallen gelassen« (UAF B3/8). Nachdem der planm. Lektor Hermann Ammann (vgl. UAF B3/352) 1928 einen Ruf nach Innsbruck erhalten hatte, setzten sich Otto Inunisch und Rudolf Pfeiffer für Aly als Nachfolger ein; er wurde zum 1.4.1928 planm. Lektor mit dem hohen Lehrdeputat von zwölf Stunden (uberwiegend altsprachliche Fortbildung«- und Ergänzungskurse). Mit seinem Eintritt in die NSDAP am 1.12.1931 war er der älteste Parteigenosse an der Universität und versuchte auf diesem Wege, seine Karriere innerhalb und außerhalb Freiburgs zu fördern. Im Jahre 1933 meinte er, aus dem Hintergrund Einfluß auf die Wahl Heideggers zum Rektor ausüben zu können (». unten Anm. 20). Aly starb am 3.9.1962 während einer Griechenlandreise in Phaistos auf Kreta (Gnomon 34, 1962, 646). Zu Aly vgl. vor allem UAF B24/40 sowie B24/57. Unveröffentlichte Memoiren Alyg befinden sich im Familienbesitz; vgl. dazu G. Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Ras• senkrieg und nationaler Scraalisnvus, Frankfurt a.M. 2005, 28 (über Alys Dienst als Batteriechef an der Westfront 1917).

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Fracnkels und dem Weggang Schadewaldts nach Leipzig publizieren die drei Freiburger Klassischen Philologen Wolf gang Aly, Hans Bo- gner und Hans Oppermaim regelmäßig im Sinne einer »nationalso• zialistischen« Altertumswissenschaft. Sie sind die einzigen Vertreter der Altertumswissenschaft, die sich über die gesamte Zeit der natio• nalsozialistischen Herrschaft so systemkonform geäußert haben; im Grunde handelte es sich dabei aus der Rückschau um den - kläglich gescheiterten - ehrgeizigen Versuch, mithilfe politischen Drucks von außen das »Fach« von Freiburg aus zu »übernehmen« und nationalen Einfluß auf die gesamte Altertumswissenschaft zu gewinnen: alle drei publizierten auch nicht nur im Bereich der Klassischen Philolo• gie, sondern auch in dem der Alten Geschichte18 Die offene »Politisierung« der Klassischen Philologie begann al• lerdings schon mit Wolfgang Schadewaldts Auftreten im Vorfeld von Heideggers Wahl zum Rektor und dann im Verlauf des Sommer• semesters 1933;19 Wolfgang Aly hatte aufgrund seines niedrigen aka• demischen Status weniger direkte Einflußmöglichkeiten; allerdings schreckte er wohl nicht einmal vor dem Wunsch zurück, anstelle

18 Aufsätze Oppermanns und Bogners erschienen sogar in der Historischen Zeitschrift, vermutlich durch die Einflußnahme von Walter Frank. Vgl. Hans Oppermann, Volk, Geschichte. Dichtung (Schiller und Vergil). Arbeitsgemeinschaft der kulturwissen- schaftlichen Fachschaft der Universität Freiburg/Br., in: Historische Zeitschrift 156, 1937, 71-81, sowie: Das römische Schicksal und die Zeit des Augustus, in: Historische Zeitschrift 164, 1941, 1-20; Hans Bogner, der Frank naher stand (s. unten Anm. 108), wurde schon ein Jahr früher als Autor akzeptiert: Kleisthenes und die Tragödie, in: Historische Zeitschrift 154,1936,1-16. Aly hat mehrfach versucht, durch programma• tische Aufsätze Einfluß zu gewinnen. Vgl. etwa »Das griechisch-römische Altertum im Rahmen der nationalsozialistischen Erziehung«, in: Volk im Werden 2,1934,226-235; »Von der Zukunft des hiunartistisehen Gymnasiums«, in: Volk im Werden 3,1935,427- 433; »Was hat uns Nationalsozialisten die antike Welt an völkischen Werten geschenkt? Die unvergänglichen Werte der Antike im Lichte nationalsozialistischer Weltanschau• ung«, in: Die deutsche Revolution im altsprachlichen Unterricht. Vorträge, Berichte und Ergebnisse der altsprachlichen Arbeitstagung der Fachschaft II im NSLB in Gera, Frank• furt 1936, 1-15. Zum zeitlichen Umfeld solcher Beiträge vgl. auch Volker Losemann, Aspekte der Standortbestimmung der Altertumswissenschaften in »Umbruchszeiten«, in: Rüdiger vom Bruch - Brigitte Kaderas (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschafts• politik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutsch• land des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002,310-323. " Vgl. Hugo Ott, Martin Heidegger als Rektor der Universität Freiburg i.Br. 1933/ 1934. L Die Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg durch Martin Heidegger im April 1933, in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins 102,1983,121-136„ bes. 128.

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Heideggers Rektor zu werden und spielte sich später sogar als För• derer des neuen Rektors auf.20 Im April 1933 hatte Schadewaldt vor und hinter den Kulissen eine wichtige Rolle, während sein Kollege Eduard Fraenkel durch den überraschenden Erlaß des »Reichsstatthalters« Robert Wagner vom 6. April 1933 zur »-Beurlaubung aller im badischen Staatsdienst und Staatsbetrieben tätigen Angehörigen 4er jüdischen Rasse (ohne Rücksicht auf die konfessionelle Zugehörigkeit«21 vor einer existen• tiellen Katastrophe stand. Zunächst wurde der neue Erlaß aus Karlsruhe nicht in seiner ganzen Schwere verstanden; noch am 8. April glaubte Rektor Sauer, den besorgten Fraenkel beruhigen zu können.22 Fraenkels (und ande• rer) Lage wurde dadurch nicht leichter, daß gleichzeitig die Entwick• lung hin zu Heideggers Übernahme des Rektorats ihren Lauf nahm;

20 Anfang April spielte er sich als »Graue Eminenz« hinter den Kulissen auf, der ent• scheidende Weichen für Heidegger zu stellen versprach. Vgl. den ersten Teil des von Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt, 2. Aufl. 1992, 141 ohne Nennung des Absenders abgedruckten Briefs. Aly fahrt dann fort: »Ich erlaube mir im Anschluss daran diejenigen Punkte namhaft zu machen, die eine besonders be• schleunigte Behandlung zu verdienen scheinen. 1. Es besteht der Wunsch, dass in dem kommenden Landtage, mag seine Bedeutung nun groß oder klein sein, «he Hochschulen durch einen erfahrenen Angehörigen einer der drei Hochschulen vertreten sind. 2. Eine Liste der Gesinnungsgenossen an der Univ. Freiburg ist in Arbeit und wird Ihnen bal• digst zugehen. Wir haben festgestellt, dass es nicht ganz leicht ist, ein abschliessendes Urteil zu fällen. 3. Um Zeit zu gewinnen, bitten wir schon jetzt die Ferien wie in Preus- sen bis zum 2.5. zu erstrecken. Es handelt sich insbesondere um die schwierige Frage des Rektorats, da Prof. v. Moellendorff ausgesprochener Demokrat ist. Ferner wird infolge der Beurlaubungen sich eine Ergänzung des Lehrplanes nicht im Handumdrehen er• möglichen lassen. 4. Eine Fühlungnahme mit der Studentenschaft ist beabsichtigt, um mit ihr vernünftig und vertrauensvoll zusammen zu arbeiten.« (Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA3/150 Bü 835). Josef Sauer schreibt am 14.4.1933 von der Besorgnis Scha- dewaldts, Aly könnte zum Rektor ernannt werden (UAF C67). Einen Brief Alys an Heidegger vom 26.5.1933, also einen Tag vor der Rektoratsübergabe, zitiert Bernd Mar• tin, Die Universität Freiburg im Breisgau im Jahre 1933, in: Zeitschrift für die Geschich• te des Oberrheins 136,1988, 445-477, hier 454. Es geht um die Ablehnung der Rund• funkübertragung von Heideggers angekündigter Rede: »Das ist mir um so bedauerlicher, als wir in Ihrer morgigen Rektoratsübernahme dasjenige Ereignis sehen, durch das die deutsche Universität sich öffentlich in den neuen Staat hineinstellt. Wir sind stolz, daß dies gerade in Freiburg der Fall sein wird und hoffen, daß auch so Ihre Worte das ihnen zukommende Gehör finden werden«. n Vgl. Ott (s. Anm. 19), 128, über den Erlaß A7642, der auf einer amtlichen Bekannt• machung Wagners in der Karlsruher Zeitung vom 5.4.1933 beruhte. 22 Vgl. Ott (s. Anm. 19), 128.

309 Jürgen Malta

Heideggers wichtigster Sprecher war damals offenbar Schadewaldt.23 Schadewaldt zögerte nicht, die durch Fraenkels »Beurlaubung« sofort fragewordene Stelle im Sertat zu übernehmen.24 Fraenkel* Lehrver• anstaltungen wurden von Wolfgang Aly übernommen.25 Immisch hielt eine Vorlesung über Catull.2* Die Universität hat die Entfernung Eduard Fraenkels allerdings nicht ohne Widerspruch hingenommen, als deutlich wurde, daß für ihn — wohl zur peinlichen Überraschung auch der damit unmittelbar Befaßten - keine einzige der üblichen Ausnahmeregelungen in An• spruch genommen werden konnte. Üblicherweise hatte ein Professor seines Jahrgangs in irgendeiner Form einen Dienst »im Feld« vor• zuweisen; aufgrund einer körperlichen Behinderung war Fraenkel damals aber trotz freiwilliger Meldung nicht eingezogen worden. So blieb nur der Hinweis auf Fraenkels internationale wissenschaftliche Bedeutung; auf Antrag Schadewaldts27 wurde den Personalunterla• gen Fraenkels, die Ende Mai nach Karlsruhe geschickt wurden, ein

23 Ebd. 24 Vgl. Ott (s. Anm. 19), 131; ders., Martin Heidegger als Rektor der Universität Frei• burg 1933/34 in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheuts 132,1984,343-358, hier 346f. 25 Im Nachlaß Schadewaldt (Bayerische Staatsbibliothek) findet »ich ein Brief Alys vom 12.8.1948, in dem er um eine Art »Pereilschein« bittet: »Hochverehrter Herr Kollege, Zu der bevorstehenden Verhandlung meiner Angelegenheit vor der Sprachkammer würde es wesentlich sein, mein Verhältnis zu dem jüdischen Volksteil möglichst klar zu stellen. Vielleicht erinnern Sie »ich, das» ich, als Frankel seine Vorlesungstätigkeit aufgeben mufite, veranlasst wurde, zum Ersatz Livius zu lesen. Als wir darüber spra• chen, schnitten Sie die Frage einer Remuneration an, und ich erwiderte Ihnen: Ich möchte davon absehen, da ich nicht an dem Unglück eines anderen verdienen möchte. Ich bitte Sie mir kurz zu bestätigen, wessen Sie sich erinnern (d.h. 1. dass ich für die Vertretung von Kol. Frankel nichts bekommen habe) und 2. dass ich mit den angeführ• ten Worten ausdrücklich auf eine solche Remuneration verzichtet habe. Da sich der Vorgang unter 4 Augen abspielte, so kann ich nichts weiter tun, als an Sie die Bitte zu richten, mir Ihr Zeugnis zur Verfügung zu steEen. In Verehrung Ihr sehr ergebener Aly.« Schadewaldt antwortete am 26.9.1948: »An Ihre Bemerkung erinnere ich mich noch sehr gut. Was weiter dann aber wurde, weiss ich nicht mehr. Doch rnüsste sich ja das aus den Kassenakten beweisen lassen. Mit den besten Empfehlungen, Ihr sehr erg• ebener W. Sch.« 24 Die Vorlesung hatte 33 Teilnehmer; vgl. die Quästurakte UAF B17/789. 27 Daß tatsächlich Schadewaldt diese Initiativ« ergriffen hat, wird durch eine von ihm unterschriebene Abschrift des Antrags in UAF B3/469 belegt: »Die Fakultät wolle be- schliessen: Der Herr Dekan wird beauftragt dafür Sorge zu tragen, dass bei Rückgabe der zu erwartenden Fragebogen für die Durchführung de» Gesetzes zur Wiederherstel• lung des Berufsbeamtentums dem Fragebogen Fraenkel folgende zusätzliche Erklärung beigegeben wird ...«

310 Klassisch« Philologe

Gutachten der Fakultät über die wissenschaftliche Bedeutung Fraen- kels hinzugefügt.24 Heidegger seinerseits verfaßte am 12. Juli 1933 ein Begleitschreiben, in dem er sich diesem Gutachten anschloß.29 Alle Bemühungen waren vergeblich: am 15. Juli 1933 wurde Fraenkel zum 21. Oktober 1933 vorläufig in den Ruhestand versetzt. In einem Schreiben vom 7. November 1933 wurde ihm schließlich mitgeteilt, daß er zum 1. März 1934 endgültig »in den Ruhestand versetzt« sei.30 Im Universitätsarchiv ist Fraenkels nobler Abschiedsbrief vom 14. November 1933 an den amtierenden Dekan der Philosophischen Fakultät, Wolfgang Schadewaldt, erhalten:31

Ew. Spectabilität, Danke ich aufs verbindlichste für die mir im Namen der Philoso• phischen Fakultät der Universität Freiburg freundlichst überbrachten Ab-

28 Vgl. UAF B24/819: »(...) Fraenkel vertritt die lateinische Philologie und setzt die Göttinger Latinistenschule fort. Die lateinische {bzw. altlateinische) Philologie wird un• ter deutscher Führung in Italien, Schweden, England, Holland und den Vereinigten Staaten besonders gepflegt. In diesen Ländern ist Fraenkel neben Stroux (München) und Jachmann (Köln) als Führer der eigentlichen deutschen latinistenschule bekannt. Er ist Mitglied der Akademien Göttingen, Heidelberg und Bologna. (...) Fraenkel hat in den letzten Jahren zwei Berufungen in« Ausland (Schweiz) —eine förmliche Berufung und eine Anfrage - abgelehnt.« 29 Heidegger wollte mit seinem Brief an Fehrk sowohl den Chemiker Georg von Heve- sy als auch Fraenkel vor der Entlassung bewahren und schrieb: »Denn das wissenschaft• liche Ansehen Frankels im Ausland, besonders in Italien und England, ist vom selben Ausmaß wie das des Herrn von Hevesy. Seine Persönlichkeit ist untadelig, seine Hal• tung gerade in den vergangenen Monaten der vorläufigen Beurlaubung vorbildlich. Dazu kommt,'daß sein Forschungsgebiet und demnach auch das Hauptgewicht seiner Lehrtätigkeit weniger die inhaltlichen Wesensfragen der antiken Welt betreffen, son• dern eher in eine bestimmte Richtung der sprachwissenschaftlichen Forschung weisen. Wenn Frankel in der Fakultät verbleibt, und er muß es, wenn Herr von Hevesy bleibt, ist einerseits das internationale Ansehen unserer Wissenschaft gewahrt und andererseits doch für die Universität in keiner Weise ein Gefahrenmoment geschaffen, etwa im Sin• ne einer Gegenwirkung oder auch nur gleichgültigen Haltung gegenüber dem neuen Reich und seinen Aufgaben.« (zit. nach Hugo Ott, Martin Heidegger als Rektor der Universität Freiburg i.Br. 1933/34. II. Die Zeit des Rektorats von Martin Heidegger [23. April 1933 bis 23. April 1934], in: Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins 103, 1984,107-130, hier 121 f.) Heidegger soE 1931 zu den Gegnern einer Berufung Fraen• kels gehört haben (s. oben Anm. 11): Sollte er wirklich der Meinung gewesen sein, daß Fraenkel sich nicht so sehr um die »inhaltlichen Wesertsfragen der Antike« kümmere? 30 UAF B24/819; Gnomon 9,1933,624: »Der ord. Professor für Klassische Philologie an der Universität Freiburg i.Br. Dr. Eduard Fraenkel ist in den Ruhestand versetzt wor• den.« 31 UAFB3/469.

311 Jürgen Malta

schiedsworte. Es hat mir wohlgetan zu hören, daß die Fakultät meiner ge• denkt. Ich selbst werde auch unter sehr veränderten Lebensbedingungen das mir von der Fakultät in ihrer Gesamtheit erzeigte wohlwollende Vertrauen und die freundschaftliche Gesinnung mehr als eines ausgezeichneten Mannes hier niemals vergessen. Der Fakultät, der ich eine glückliche Zeit lang ange• hören durfte, wünsche ich eine segensreiche Zukunft. Bis zur Ausreise nach England im Herbst 1934 hat Eduard Fraenkel dann in zunehmender Isolation in Freiburg gelebt; zu seinen nie ver• wundenen Erfahrungen gehörte die Verleugnung durch die ehemali• gen Kollegen. Zu denen, die den Kontakt zu Fraenkel abbrachen, ge• hörte wohl auch Schadewaldt; in diese Monate fällt das von Zeitgenossen überlieferte Zitat »Große Zeiten erfordern große Op• fer«32. Der Höhepunkt von Schadewaldts öffentlichem Einsatz für den »neuen Staat« wurde die vor Studenten am Ende des Sommerseme• sters gehaltene Rede »Der neue deutsche Student«.33 Am 15. Okto• ber 1933 ernannte Heidegger ihn zum Dekan der philosophischen Fakultät;34 in der zweiten Jahreshälfte 1933 bewegte ihn aber vor

32 Vgl. Gordon W. Williams, wie Arun. 16, 420 f.: »All that year Ruth urged him to leave the country. Book» were burned, students disrupted classes, and friends drew back (one very dose friend actually said to Fraenkel: I can no loriger have anything to do with you). Still he would not move and lingered on in increasing isoktion and danger into 1934.« Schadewaldt war in Berlin zunächst ein Schüler Fraenkek, wie Werner Jaeger in dem Anm. 6 zitierten Brief schreibt: »Als Forscher ging er, der geborene Berliner (er stammt aus einer hiesigen Arztfamilie, der Vater ist tot) von Ed. Frankel aus, der ihn in den Anfangssemestern in die saubere Technik der Leoschule einführte und ihm Sinn für das Methodische einprägte.« Das merkwürdige Schadewaldt-Zitat kenne ich durch Prof. Hennann Strasburges Frau Dr. Gisela Strasbuiger hat es vor der Drucklegung noch einmal bestätigt. Anders als Heidegger ist Schadewaldt nicht in die Partei eingetreten; das fehlen entsprechender BDC-Unterlagen wird unterstrichen durch die Arun. 41 zi• tierte Bemerkung Wilhelm Webers. Zur Persönlichkeit Schadewaldts s. auch die Beob• achtungen von William M. Calder m, Only Euripides. Wolfgang Schadewaldt and Wer• ner Jaeger, in: Illinois Ckssical StuAes 27/28, 2002/2003,177-1%, sowie Dino Larese, Wolfgang Schadewaldt. Eine Lebensskizze, Amriswil 1967 (61 S.) und H. Flashar, Bio• graphische Momente in schwerer Zeit, in: Wolfgang Schadewaldt und die Gräzistik des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2005 (Spudasmata 100), 151-170. 33 »Der neue deutsche Student«, in: Freiburger Studentenzeitung, 27. Juli 1933, Nr. 6, S. 1. In der Vorlesungsreihe »Aufgaben des geistigen Lebens im nationalsozialistischen Staat« sprach er am 7.12.1933 über »Staatliche Erziehung«. S. auch den in dieser Zeit entstandenen Beitrag »Einzelner und Staat im politischen Denken der Griechen, in: Vergangenheit und Gegenwart. Zeitschrift für Geschichtsunterricht und politische Er• ziehung 24,1934,16-32. 34 »Sehr verehrter Herr Kollege! Ich ernenne Sie bis auf weiteres zum Dekan der phi-

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allem die Frage einer möglichen Berufung nach Leipzig. Er galt im Lauf des Jahres 1933 als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Alfred Körte. Im Dezember 1933 wurde in Leipzig das Gutachten formuliert, in dem auch auf Schadewaldts politisches Engagement Bezug genommen wird.35 Die Zukunft von Fraenkels Lehrstuhl war ungewiß, da auch an• dere Fakultäten Interesse an dieser Planstelle hatten. Am 29. Januar 1934 setzte sich Dekan Schadewaldt nach Rücksprache mit Kollegen für die Übernahme einer Vertretung des Lehrstuhls durch Hans Op- permann ein36; am selben Tag konnte er das Rektorat über den Ruf auf den Leipziger Lehrstuhl informieren. Am 5. März 1934 meldete losophischen Fakultät. Als solcher sind Sie zugleich Mitglied des Senats. Zum Prodekan ist Herr Prof. Dr. Dragendorff ernannt. Ich bitte Sie^ Ihre Dienstgeschäfte mit dem heutigen Tage zu übernehmen« (UAF B24/3106). 35 Aus dem Gesamtgutachten der philosophischen Fakultät Leipzig vom 2.12.1933 (Univ.-Archiv Leipzig, Personalakte Schadewaldt): »Wie sein Denken von jeher auf die überpersönlichen politisch-ethischen Gestaltungen der Griechen gerichtet gewesen ist, so erstreckt sich sein Erzdehertum und seine plastisch-pädagogische Kraft jetzt energisch auf die neuerwachte Staatsgesinnung. Kein anderer klassischer Philologe arbeitet so bewußt und eifrig an der Erziehung der Jugend zum Ideal des politischen Studenten. Die Rede über den neuen deutschen Studenten, die Schadewaldt auf Wunsch der Stu• dentenschaft gegen Ende des S.S. in Freiburg hielt, legen wir in dem Abdruck der Frei• burger Studentenzeitung vom 27.7.33 bei, weil sie uns ein besonders wichtiges Zeugnis dafür scheint, wie sehr der Redner vom Geiste des Nationalsozialistischen durchdrun• gen ist, wie lebendig der Redner den Rhythmus der gegenwärtigen Bewegung zu über• tragen vermag. (...) Schadewaldt ist nicht nur ein Gelehrter ersten Ranges, sondern auch ein ungewöhnlich fähiger Führer der Jugend von der Art wie der neue Staat sie braucht«. Regeabogen wurde auf die zweite Stelle gesetzt, Härder auf die dritte Stelle. 36 Hans Oppermann (* 13.10.1895) hatte in Bonn studiert und wurde 1920 von August Brinkmann mit einer Arbeit zur griechischen Religionsgeschichte promoviert. An• schließend wurde er Lektor in Greifswald und konnte sich dort 1926 mit Studien zur Biographie Plotins habilitieren. Die venia legendi lautet, eher ungewöhnlich für Oppep- manns bisherige Arbeiten, nicht »Klassische Philologie«, sondern »Klassische Alter• tumswissenschaft« (vgl. Gnomon 2,1926, 688). Oppermanns Förderer bei der Habilita• tion in Greifswald war Walter Kolbe, dem er im Vorwort seiner 1929 veröffentlichten Monographie »Plotins Leben. Untersuchungen zur Biographie Plotins« (Heidelberg 1929) ausdrücklich dankt. Es ist also durchaus wahrscheinlich, daß Schadewaldts Emp• fehlung für die »Vertretung« Eduard Fraenkels nicht ohne die Billigung Kolbes zustan• degekommen ist. Im Jahre 1928 hat sich Oppermann nach Heidelberg umhabilitiert und erhielt dort im September 1932 den Titel eines a.o. Professors (Gnomon 8,1932, 560). Oppermann ist bis 1930 eher als Gräzist zu bezeichnen; erst seit 1930 wandte er sich mehr und mehr der Latimstik zu. Zu Oppermanns Leben in drei Epochen der deutschen Geschichte vgl. Jürgen Malitz, Römertum im >Dritten Reiche Hans Oppermann, in: Peter Kneissl - Volker Losemann (Hrsg.), Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1998,519-543.

313 Jürgan Malta: er die Annahme des Rufes und erklärte seinen Rücktritt vom Deka• nat, sehr zum Unwillen Dragendorffs.37 In diese Zeit des Abschieds von Freiburg ist die vielzitierte Frage an Heidegger zu datieren, ob er »von Syrakus« zurückgekehrt sei.38 Das tatsächliche Ausmaß von Schadewaldts Wirken hinter den Kulissen ist nicht wirklich zu beurteilen. Wenn die Stellungnahme der Fakultät nach 1945 nicht aus Gründen der Selbstrechtfertigung übertreibt, hat Schadewaldt sehr erheblichen Einfluß ausgeübt:3'

Vor 1933 war in ihren Reihen von einem Eindringen nationalsozialistischer Ideen und von politischen Meinungsverschiedenheiten so gut wie nichts zu bemerken. Einen starken Umschwung brachte das Jahr 1933, in dem der Phi• losoph Heidegger Rektor wurde und unter seinen Anhängern in der Fakultät, insbesondere bei dem von ihm ernannten Dekan Schadewaldt, kräftigste Un• terstützung fand. Schadewaldt sorgte bei seinem Weggang nach Leipzig 1934 und beim Abgang des jüdischen Philologen (sie !) Frankel unter starker Aus• nützung des Führerprinzips für die Neubesetzung beider Lehrstühle durch radikale Nationalsozialisten (Oppermann und Bogner). Wenn Schadewaldts Verhalten aus der Rückschau so wahrgenommen worden ist, ist das im Großen und Ganzen wohl verständlich; ande• rerseits ist darauf hinzuweisen, daß er wohl bald sehr selbstkritisch über diese Freiburger Monate gedacht hat. Einem Brief Walter Kol• bes läßt sich eine Art Entschuldigung Schadewaldts für einen im Jah• re 1934 publizierten engagierten Artikel entnehmen,40 und der Ber-

37 Dragendorff an Heidegger in einem Brief vom 8.3.1934 wegen Schadewaldts Bitte um sofortige Niederlegung seine» Dekanats: »Schadewaldt sollte wenigstens als Pro• dekan seinem Nachfolger das Einarbeiten erleichtern« (UAF B24/3106). Am 28.7.1934 fand eine Äbschiedsveranstaltung des »Kränzchens« für Schadewaldt statt; vgl. die Au• tobiographie von Ernst Fabricius (UAF C145, S. 240 - Hinweis von Dieter Speck). Wal• ter Kolbe schreibt seiner Tochter am 3.5.1935, daß die meisten der älteren philologi• schen Semester Schadewaldt nach Leipzig gefolgt seien (s. Beitrag Wirbelauer in diesem Band). 38 Die Bezeugung dieser Anspielung auf Piatons pädagogischen Mißerfolg im Umgang mit dem Tyrannen Dionysios II. von Syrakus durch Carl Friedrich von Weizsäcker ist allerdings nur aus zweiter Hand: »Am Tage seines Rücktritts vom Rektoramt soll ihm Schadewaldt in der Straßenbahn begegnet sein und ihn gefragt haben: Nun, Herr Hei• degger, sind Sie aus Syrakus zurück?« (in: Günther Neske (Hrsg.), Erinnerung an Mar• tin Heidegger, Pfullingen 1977, 246). Heidegger trat am 23.4.1934 von seinem Amt zurück. 35 UAFB34/4. 40 »Schadewaldt soll seinen Aufsatz nicht tragisch nehmen« (Walter Kolbe am 10. April 1935 an seine Tochter; s. Beitrag Wirbelauer in diesem Band). Gemeint ist vermutlich der o. Anm. 33 zitierte Aufsatz.

314 Klusisch« Philoteg© liner Althistoriker Wilhelm Weber, ein fanatischer Nationalsozialist, äußerte sich im Jahre 1936 sehr abfällig über die politische Einstel• lung Schadewaldts.41 Nicht nur Schadewaldt kümmerte sich um einen Nachfolger für Eduard Fraenkel. Auch der neuernannte Karlsruher Hochschulrefe• rent Eugen Fehrle, ein Klassischer Philologie und Volkskundler mä• ßiger Reputation, setzte sich für Oppermann ein, den er aus Heidel• berg kannte.*2 Fehrle hatte vom Sommersemester 1934 bis zum Wintersemester 1934/1935 einen Lehrauftrag in Freiburg und dürfte die Entwicklung auch vor Ort beobachtet und beeinflußt haben.*3 Mit dem Sommersemester 1934 beginnt Oppermanns Frei• burger Lehrtätigkeit;44 er profilierte sich sofort als »militanter« aka• demischer Nationalsozialist45 und bemühte sich in den folgenden Semestern um gute Kontakte zur »Kulturwissenschaftlichen Fach-

41 Aus einem Brief Webers an den Ministerialbeamtett Engel vom 24.10.1936; »Der Dekan wollte von mir Genaueres über Schadewaldt-Leipzig wissen. Ich habe ihm aus• einandergesetzt, warum ich absolut nicht einsehe, dass der hier die Klassische Philologie im Sinne des Nationalsozialismus retten und beleben kann. Er hat ein paar Arbeiten geschrieben, an denen nichts besonderes ist. Er ist ein Aesthet und Humanist alten Stils. Er ist nicht in der Partei! Wie ein junger S. D. Mann, der in seinem Oberaeminar war, mir versichert, vermeidet er jede politische Andeutung ängstlich, laviert geschickt daran vorbei, ist in allem »mimosenhaft«, ein echter Jaegerschüler. Der Herr Minister hat vor kurzem noch dieser Wissenschaft mit dem Satz von der Verwandtschaft des Griechen• tums und Deutschtums eine herrliche Aufgabe gestellt Diese ganze Wissenschaft drückt sich um die wissenschaftliche Begründung dieses Satte», fährt in ihrem alten Stil fort, tut so, als sei das Jahr 1912, nicht 1936. Auch Herr Schadewaldt, der mit der Fach• schaft für Altertumswissenschaft ein Semester lang das Thema »Humboldt und das humanistische Gymnasium« behandelt! Wo ist einer, der das Indogermanische am Grie• chentum in einer neuen Arbeit herausstellt?« {Bundesarchiv Berlin R4901/alt 21/10 Blatt 390). 42 Zur Person vgl. Peter Assion, »Was Mythos unseres Volkes ist«. Zum Werden und Wirken des NS-Volkskundlers Eugen Fehrle, in: Zeitschrift für Volkskunde 81, 1985, 220-244. Seine politischen und wissenschaftlichen Ziele in diesen Monaten werden aus dem u. Anm. 87 zitierten Schreiben deutlich. Sein Verhalten bei der Entnazifizie• rung schildert Steven P. Remy, The Heidelberg Myth. The Nasdfication and Denazifica- tion of a German University, Cambridge/Mass. 2002,181-185. 43 Vgl. die Quästurakte Eugen Fehries (UAF B17/805). 44 G,nomon 10, 1934, 512:. »Der aufierord. Professor für Klassische Philologie an der Universität Heidelberg Dr. Hans Oppermann ist beauftragt worden, an der Universität Freiburg i.Br. für das Sommersemester eine Professur der Kk*sischen Philologie ver• tretungsweise wahrzunehmen.« 45 Joseph Sauer zählt Oppermann in einem Tagebuch-Eintrag vom 1. April 1935 zu den »Obernazis« (UAF C67). Oppermann war damals nur Mitglied der SA und des NSLB (Fragebogen des Dozentenbundes UAF B133).

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schaft«; im Sommeraemeeter 1935 veröffentlichte die Fachschaft einen Tätigkeitsbericht in der »Freiburger Studentenzeitung«, in dem Oppermanns Engagement gebührend gewürdigt wurde.46 Die Fakultät mußte sich im Sommereernster 1934 nicht nur mit der Nachfolge Schadewaldt beschäftigen, sondern auch mit der Frage, wer den jetzt von Oppermann vertretenen latinistischen Lehrstuhl erhalten sollte. Am 16. Mai 1934, während der Beratung über die Nachfolge Schadewaldt,47 hatte die Fakultät eine entsprechende Auf• forderung aus dem Karlsruher Ministerium erhalten. Den Mitglie• dern der Fakultät war wohl aufgrund informeller Mitteilungen klar, daß an Oppermann, der zudem als akademischer Lehrer durchaus zufriedenstellend war, nicht wirklich vorbeizukommen war. Am 22. Juni 1934 kann Dragendorff dem Rektorat über das Er• gebnis der Kommissionsberatungen für die Nachfolge Fraenkel be• richten. Die erste Wahl der Kommission wäre demnach eigentlich der in Basel lehrende Harald Fuchs gewesen, doch wollte man nicht, daß diese Stelle »der deutschen Wissenschaft verlorengeht«.48 Opper• mann wird an die zweite Stelle gesetzt, als der beste unter den »für uns gegenwärtig erreichbaren Latinisten«49:

Seine Lebensdaten sind dem Ministerium bekannt. Wir legen aber ein Ver• zeichnis seiner Schriften bei, die seine ausgedehnte und vielseitige wissen-

44 »Da ist Kamerad Oppermann und Kameradin Schroth. Beide haben einen Kreis von Studenten, die Nietzsches Nutzen und Nachteil der Historie studieren, um den Blick freizubekommen zu einer wesentlichen Geschichtsbetrachtung überhaupt« (Freiburger Studentenzeitung, 24. Juni 1935, Nr. 6, S. 2: Die Kulturwissenschaftliche Fachschaft be• richtet). Ingeborg Schroth wurde im Jahre 1938 mit der kunsthistorischen Arbeit »Die Erkenntnis und Nachahmung des Griechischen durch die Berliner Baumeister der Goe• thezeit« promoviert (ÜAF B42/2535). 47 S. unten Anm. 60. Die Vorschläge für die Gräzistik waren am 8.6.1934 fertig. 48 Dragendorff schreibt am 22.6.1934 an das Rektorat: »Für die Wiederbesetzung des durch die Zuruhesetzung des Professors Dr. Frankel freigewordenen Lehrstuhls für la• teinische Philologie würde ich in Übereinstimmung mit der Berufungskornmission an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Fachs in Vorschlag bringen. Wir glauben jedoch unter den derzeitigen Verhältnissen davon absehen zu müssen. Herr Fuchs hat zur Zeit den Lehr• stuhl für Klassische Philologie in Basel inne, hält also einen Aussenposten deutscher Wissenschaft. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass seine Stelle unter den augenblick• lichen Verhältnissen nicht wieder mit einem Reichsdeutschen besetzt werden würde. Die Stelle würde also der deutschen Wissenschaft verlorengehen, wenn Herr Fuchs sie räumen würde. Wir glauben annehmen zu dürfen, dass Herr Fuchs selbst sich zur Zeit kaum entschliessen würde, seinen Posten zu verlassen. Jedenfalls könnte ihm aber nur ein Ckdinariat angeboten werden.« 49 UAFB3/317.

316 Klassisch« Philologie schaftliche Tätigkeit erkennen lässt. Herr Oppermarm hat während seiner vertretungsweise hier ausgeübten Lehrtätigkeit sich auch im Unterricht durchaus bewährt. Seine Hörer rühmen besonders die Klarheit und das bis zum letzten durchgedachte seines Vortrages. Die Fakultät würde seinen end• gültigen (sie) Eintritt in ihren Kreis begrüssen. Aus den Akten wird nicht deutlich, ob diese Liste, die durch den »Ver• zicht« auf Fuchs eigentlich mehr eine »Empfehlung« ist, an das Mi• nisterium weitergereicht worden ist; vermutlich wurde die Frage der endgültigen Besetzung des lateinischen Lehrstuhl dilatorisch behan• delt, da die Wiederbesetzung des griechischen Lehrstuhl als vorran• gig betrachtet wurde. Es kam jedenfalls zu keiner Entscheidung in der Nachfolge Fraenkel. Fast genau ein Jahr später, am 20. Mai 1935, wurde die Nach• folge Fraenkel vom Ministerium dann erneut angesprochen. Die Fa• kultät sollte Ersatzvorschläge »in der üblichen Dreizahl für die Wie• derbesetzung des durch die Entpflichtung des Professors Dr. Fraenkel freigewordenen Lehrstuhls für klassische Philologie einreichen. (...) Dieser Berufungshste sind die Stellungnahme der Dozentenschaft und gegebenenfalls wissenschaftliche Gutachten über den außer• ordentlichen Professor Dr. Oppermann beizufügen. Gleichzeitig soll auch zu einer Berufung des Studienrats Dr. Walter Eberhardt Stel• lung genommen werden.«50 In Beantwortung der ministeriellen >Weisung« gehen die ferti• gen Vorschläge für die lateinische Liste dann am 12. Juni 1935 an das Ministerium. Nach dem früheren Verzicht auf Harald Fuchs erhielt Oppermann, der in diesen Wochen auch für Breslau im Gespräch war51, den ersten Platz. Harald Fuchs wurde jetzt auf die zweite Stelle gesetzt, mit dem Hinweis auf ein beigelegtes Gutachten von Werner

50 UAF Bl/1256; zu Eberhardt s. unten Anm. 114. 51 Dragendorff schreibt wegen der Anfrage aus Breslau am 13.12.1935 an das Rektorat: »Dass er unter den jüngeren Latinisten der wissenschaftlichen Leistung nach mit an erster Stelle steht, ist natürlich auch in Breslau bekannt. Wir haben während der Zeit seiner Stellvertretung hier, die sich nunmehr bereits über drei Semester erstreckt, aber auch den besten Eindruck von seiner Lehrbefähigung gewonnen. Es ist ihm gelungen, unter den schwierigen Verhältnissen, die ein Interregnum mit sich bringt, die Altphilo• logen zusammenzuhalten. Die Studenten hören ihn gern, schätzen seinen klaren Vor• trag. Er hat mit ihnen ein gutes Verhältnis, sich namentlich auch der Fachschaftsarbeit sehr angenommen« (UAF Bl/1256). Nach einer weiteren Anfrage, diesmal aus Rostock, erhält der Rektor von Rostock am 17.12.1935 die Auskunft, daß sich Oppermann »hier in jeder Beziehung gut bewährt« habe. Am 19.2.1936 trifft eine Anfrage des Münche• ner Rektorats ein.

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Jaeger. Hans Drexler, der damals auch für den Breslauer Lehrstuhl im Gespräch war, erhielt den dritten Platz. Ein begeistertes Schreiben der Fachschaft unterstützte Oppermanns ersten Platz;52 auch die Do• zenten waren zufrieden.53 Die keineswegs ungünstige Beurteilung Oppermanns durch Otto Regenbogen54 und Johannes Stroux55 dürfte

52 »Eine objektive Beurteilung über Professor Dr. Oppermann abzugeben ist für uns insofern schwer als er als enger Kamerad seit zwei Semestern in unserer Eachschafc mitgearbeitet und sich gans in den Dienst unserer Sache gestellt hat. Ihm verdanken wir einen wesentlichen Teil unserer Aufbauarbeit, die er von Anfang an gefördert und in unseren Reihen mitgemacht hat. (...) Professor Oppermann ist Kriegsteilnehmer und Mitglied der SA. Er steht ständig für seine nationalsozialistische Oberzeugung ein. So versucht er die nat. soz. Weltanschauung auch in seiner Wissenschaft durchzusetzen und die Altphilologie, die im allgemeinen heute als abseitig gilt, für die Erziehung deut• scher Studenten fruchtbar auszuwerten. Er versucht das Römerturn, das als ausgezeich• netes politisches Volk bekannt ist und die erste grosse Reichsgestaltung des Abendlandes darstellt, in Beziehung zu setzen zu unserem politischen Willen. (...) Über das Persön• liche wäre nicht mehr viel zu sagen, da wir keine Trennung zwischen persönlicher und politischer Haltung zu machen pflegen. Professor Oppermann erfreut sich aber durch sein liebenswürdiges und kameradschaftliches Wesen einer großen Beliebtheit bei allen Studenten, denen er zugleich älterer erfahrener Berater und jugendlicher mitkämpfen• der Kamerad ist« (UAF Bl/1257, Gutachten von F. Dieck vom 20.12.1935). 53 »Zur Bewegung steht er positiv. Er bemüht sich ernsthaft der Probleme Herr zu werden, die unsere Weltanschauung der traditionell zu stark gebundenen klassischen Philologie stellt, so dass er hier als ein wertvoller Helfer im Kampfe für die geistige Klärung geschäm wird« (Brief vom 14.6.1935; UAF B3/317). 54 »Herr Professor DE Oppermann ist mir aus langjähriger Zusammenarbeit sehr wohl bekannt. Er hat während dieser Zeit die Geschäfte des Assistenten am Philologischen Seminar unserer Universität wahrgenommen und ist zugleich Privatdozent und nicht• beamteter ao. Professor in unserer Fakultät gewesen. Seine unterrichthdie Tätigkeit ist vom besten Erfolg begleitet gewesen; sein Zusammenhang mit den Studenten war sehr gut und seine pädagogischen Fähigkeiten in den von ihm mitbetreuten Uebungen des Seminars und Proseminars ausgezeichnet. Herr Oppermann hat die Verwaltungs• geschäfte der Bibliothek und der Kasse nicht nur zur vollen Zufriedenheit, sondern mit hervorragendem Erfolg geführt. Er ist am Aufbau und an der Organisation unserer Seminarbibliothek wesentlich mitbeteiligt gewesen. Als Vertreter der NichtOrdinarien in der Fakultät hat er jahrelang lebhaften Anteil an den Fakultätsgeschäften genommen und durch sachliche und taktvolle Mitarbeit fördernd gewirkt. Es ist mir unzweifelhaft, dass Herr Oppermann auf einem Ordentlichen Lehrstuhl sich aufs Beste bewähren wird« (Gutachten vom 6.6.1935; UAF B3/317). Auch in seinem Anschreiben an Dra- gendorff vom 6.6.1935 ist Regenbogen dem Kandidaten sehr gewogen. 55 Das erhaltene Aktenstück (UAF Bl/1256) kombiniert offenbar ein älteres Gutachten für eine andere Universität als Freiburg mit einem für Freiburg geschriebenen Nachtrag: »Nächst ihm (Fuchs, Basel) würde ich Oppermann nennen. Dieser konnte seit seiner religionsgeschichtlichen Erstlingsarbeit und seit seinen Plotinarbeiten immer als ein gründlicher, methodisch sicherer Gräzist gelten. Er hat aber in seiner letzten Entwick• lungsperiode auch auf lateinischem Gebiete Bedeutendes geleistet. Ich rechne dazu sein

318 Klassische Philologie die Akzeptanz des Kandidaten in Freiburg durchaus erleichtert ha• ben; negative Äußerungen radikaler Heidelberger Parteigenossen, die zugleich voller sachlicher Fehler waren, fielen dagegen sicher we• nig ins Gewicht;5« ziemlich zurückhaltend formulierte auch der in

Caesarbuch, das einem skizzenhaften und unbefriedigenden Caesaraufsatz gegenüber die wachsende Sicherheit und Reife gut zeigt, und ich rechne auch dazu einige Aufsätze, wie den über Vergil und Octavian. Ich weiss, dass seine Arbeitsweise gerade auch in den Serninarien von den Studenten, die sich sicher und fruchtbar geführt fühlen, geschätzt wird. Mein Eindruck ist, dass er sich gerade in letzter Zeit in vielversprechender Ent• wicklung befindet und Hörer seines Vortrages auf der Trierer Philologenversarnrnlung, an der ich nicht teilnehmen konnte, bestätigen diesen Eindruck, Da er alle Aussicht hat, eine Professur in Freiburg definitiv zu erhalten (wenn das nicht schon der Fall ist), wird auch bei ihm fraglich sein, ob er zu gewinnen ist. Zur Ergänzung füge ich bei: Das Caesarbuch, das für die Beurteilung Oppermanns als iatinisten wohl im Vordergrund steht und zu dem der Aufsatz in Hermes 1933: »Zu den geographischen Exkursen in Caesars bellum Gallicum« nur eine Ergänzung liefert, könnte gewiss nicht nur in Einzelheiten, sondern in seiner ganzen Betrachtungsweise Caesars kritisiert werden. Denn die Kategorien: Komposition, Raum, Zeit, Reden, Bild, sind doch wohl zu schriftstellerisch gewählt, als dass sie dem inneren Wesen der Com- mentarii Caesars und damit dem hier einmalig und einzigartig vorhegenden Verhältnis von Gehalt und Form entsprechen könnten. Der Einwand trifft erst recht für das Bemü• hen Oppermanns zu, im einzelnen schriftstellerische Werte, Schönheiten, Bildlichkeit der Phantasie und ähnliches nachzuweisen. Der Versuch des Hermesaufsatzes, die These der »Echtheit« der geographischen Excurse neu zu beweisen, wird ebenfalls kritischen Vorbehalten begegnen. Und bei den Aufsätzen über Terenz Andria (Contaminations- frage) wie über Vergil und Octavian (Verhältnis der beiden Edogen zu Augustus) bringt es schon die kontroverse Lage der von Oppermaiui behandelten Probleme mit sich, dass auch er nicht die Zweifel löst. Aber alle diese Arbeiten sind ernste, aus Quellen und Literatur methodisch entwickelte, auf eigener Fragestellung beruhende wissenschaftli• che Leistungen, und darauf nicht auf den Grad der Zustimmung zum einzelnen wird es hier ankommen. Dass Oppermann in seinem Verhältnis zum Lateinischen und zum Römertran nicht die gleichen Grundlagen hat, wie Fuchs, dass keine seiner genannten Schriften eine so durchgreifende und allseitig für die Interpretation der römischen Li• teratur fruchtbare Leistung, wie das Buch von Fuchs über Augustin und den antiken Friedensgedanken darstellt, ist mir allerdings gewiss. Aber das ist eine Frage der Reihen• folge. Gegenüber Zweifeln und Kritiken an Oppermann, die mir bekannt wurden, hat sich mein günstiges Urteil über seine vielversprechende Entwicklung über seine letzten Arbeiten, wenn man sie als Ganzes nimmt, nicht verschoben. Persönlich kenne ich Op• permann nur aus flüchtiger Begegnung.« Es ist bemerkenswert, daß Oppermanns »po• litische« Produktion überhaupt nicht erwähnt wird. 54 »Oppermann ist wissenschaftlich gut, schreibt und redet flüssig mit guten Formulie• rungen, ist Schüler von Regenbogen, Heidelberg, und gehört damit zu dem Typ der Jägerschule. Er steht damit geistig unserer Bewegung im eigentlichen fem, besitzt aber ein grosses Einfühlungsvermögen, ist ausserordentlich geschickt, geschäftig und fleis- sig, aber nicht offen und versucht jetzt natürlich mit Macht sich gleichzuschalten. Dabei

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Berafangsverfahren damals allgegenwärtige Alfred Bäumler.57 Im April 1936 wurde Oppermann mit Rückwirkung zum 1. November 1935 pers. Ordinarius für Klassische Philologie.58 Die Fakultät hatte wohl gehofft, durch vorauseilendes Einver• ständnis mit der Berufung Oppermanns etwas Freiraum für die »un• politische« Regelung der Nachfolge Schadewaldt zu gewinnen. Am 8. Juni 1934, also zwei Wochen vor der Fakultätsentscheidung für Oppermann,59 schickte Dekan Dragendorff die Namen der Kandida• ten für den gräzistischen Lehrstuhl zur Weiterleitung nach Karls• ruhe. An die erste Stelle wurden auf gleicher Stufe Karl Reinhardt und Richard Härder gesetzt, mit betontem Abstand an zweiter Stelle Bruno Snell, an dritter Stelle Kurt von Fritz:60

ist er politisch tinzuverlässig, wenn nicht gefahrlich. So sind üble Äußerungen über den Hochschulreferenten im badischen Ministerium aus seinem Munde bekannt geworden, die sich auch gegen die Partei richten. Er wurde vom N.O.V. im Mai 1933 abgelehnt. Später hat er versucht, sich bei der SA zu melden und hat es, nachdem er am Ort abge• lehnt worden war, verstanden, sich in der Umgebung Heidelbergs bei der SA zu melden, wo er auch angenommen wurde. Pädagogisch ist er ein guter Pauker und zeigt hier vor allem, dass er nicht zu einer eigenen lebendigen Gestaltung seiner Lehre durchdringen kann, sondern völlig von seinem Lehrer Regenbogen abhängt. (UAF Bl/1256). Dieses Exzerpt aus einem offenbar längeren Schreiben stammt von >Schlüter« - dies muß der Mediziner Heinrich Schlüter sein, einer der militantesten Nazis an der Heidelberger Universität. Vgl. dazu Remy (s. Arun. 42), 132. Dekan Schadewaldt erhielt im Juli 1933 ein ähnlich skeptisches Schreiben des Heidelberger Dekans über die Aufrichtigkeit der »neuen« politischen Haltung Oppermanns: »Über Oppermann ein entscheidendes Ur• teil abzugeben macht mir grosse Schwierigkeiten. Aus den Vorkommnissen des letzten Jahres muss ich an seiner Offenheit zweifeln. Ausserdem sprechen einige Tatsachen und ein r^timmtes Material dafür, dass seine innere Haltung trotz äusserer Gleichschaltung nicht gerade nationalsoeialistisch (sie) ist. Wissenschaftlich leistet er etwas; seine Arbei• ten, soweit ich sie kenne, zeigen zweifellos originelle Züge. Im Vortrag ist er gewandt, doch macht er auf mich leicht den Eindruck des Zu-Lehrermässigen« (UAF B3/317 - das Schreiben ist irrtümlich auf den 19.7.1932 datiert), 57 Bäumler schrieb am 25.7.1935 an den zuständigen Oberkirchenrat Mattiat: »Prof. Oppermann - Freiburg ist ein begabter Kopf, der Einfälle hat und sie gewandt darzustel• len versteht. Er muss in wiss. Hinsicht zu den »Anregern« gerechnet werden. Seine pädagogische Wirkung ist gut. Seinem Charakter wird man eine gewisse Wendigkeit nachsagen müssen« (Bundesarchiv Koblenz). 58 Walter Kolbe schreibt seiner Tochter am 3.4.1936: »Oppermann ist ernannt, aber nur zum persönlichen Ordinarius. Er ist also in Wahrheit planmäßiger Extraordinarius. Das ist nicht ganz unwesentlich, denn darin liegt eine Chance, daß er noch einmal fort• kommt« (s. Beitrag Wirbelauer in diesem Band). 59 S. oben Anm. 49. 40 Staatsarchiv Freiburg (= StAF) C25/2,61.

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Zur näheren Erläuterung dieser Rangordnung sei bemerkt: Die an erster Stel• le genannten Professoren Reinhardt und Härder gehören, wiewohl in ver• schiedener Weise, zu den in In- und Ausland geachtetsten Vertretern der deutschen Altertumswissenschaft. Der Gewinn des einen oder anderen von ihnen würde der Altertumswissenschaft der Universität Freiburg weiterhin den hohen Rang wahren, den sie unter den deutschen Universitäten seit drei Jahrzehnten behauptet. Auf ihre Nennung an erster Stelle sei deswegen be• sonders verwiesen, zumal die unter 2 und 3 genannten Professoren Snell und v. Fritz erst in gewissem Abstände folgen. Auch aus der Rückschau ist dies eine bemerkenswerte Liste. Karl Reinhardt war nicht mir ein großer Gelehrter, sondern in diesen Jah• ren auch als Bürger und akademischer Lehrer eine vorbildliche Ge• stalt.61 Bruno Snells kritisches Verhältnis zum Regime war bekannt, und er wagte es sogar, in einer wissenschaftlichen Publikation seine Opposition anklingen zu lassen;62 Kurt von Fritz hat 1933 mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen den Eid auf Adolf Hitler ver• weigert.63 Das Selbstverständnis der Kommission bei ihrer Arbeit geht aus den einleitenden Bemerkungen des Gutachtens deutlich hervor:64

Die Berafungskommission hat bei der Aufstellung ihrer Vorschlagsliste auf das sorgfältigste alle irgend in Betracht kommenden Dozenten der griechi• schen Philologie gewertet. (...) Wir müssen wieder eine Kraft gewinnen, die wie Ed. Schwanz, Deubner, Pfeiffer, Schadewaldt uns auch aus dem ausserba- dischen Reich Schüler zuführt. (...}.

61 Vgl. Cornelia Wegeier, >... wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik«. Al• tertumswissenschaft und Nationalsozialismus. Das Göttinger Institut für Altertums• kunde 1921-1962, Köln/Weimar 1996, 200 über seinen Protest vom 5. Mai 1933. Der Text des Schreibens ist abgedruckt in: Karl Reinhardt, Vermächtnis der Antike. Gesam• melte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung, Göttingen 2. Aufl. 1966, 389 f. 62 Vgl. Bruno Snell, Das I-Ah des goldenen Esels, in: Hermes 70, 1935, 355 f. Walter Grab zitiert in seinen Erinnerungen das folgende Selbstzeugnis Snells aus den siebzager Jahren: »(Als Hider an die Macht kam), war ich junger Dozent für Altphilologie in Hamburg, und ich hätte sicherlich eine Stellung im Ausland gefunden, wenn ich emi• griert wäre. Aber dann hätte ich ja einem jüdischen Kollegen, der unbedingt ins Exil gehen mußte, die Stellung weggenommen. Auch wäre dann an meine Stelle irgendein Nazi nachgerückt. Aus diesen Gründen zog ich vor, in Deutschland zu Heiben, obwohl ich erbitterter Gegner der Nazis war. Ich wollte die Jugend im Geist des Humanismus erziehen« (Meine vier Leben. Gedachtniskünsder - Emigrant - Jakobinerforscher - De• mokrat. Köln 1999,226). 63 Vgl. Wegeier (s. Anm. 61), 368-372: Abdruck von v. Fritz' eigener Darstellung aus dem Jahre 1979 über seine Entlassung und Emigration. 64 StAF C25/2,61.

321 Jürgen Malte

Wir haben uns bei ihrer Auswahl an keine bestimmte Schule gebunden. In einem aber dürften sie gleichgerichtet sein, das für die Wirkung auf unsere heutige Jugend entscheidend sein muß: in dem Streben, die Antike in ihrem innersten geistigen Kern, in ihrer schöpferischen Kraft zu erfassen. In der Auseinandersetzung mit dieser ist deutsche Art und deutsches Geistesleben immer wieder zu Höchstleistungen geführt worden. Das Urteil der Gutachter über Karl Reinhardt - damals 47 Jahre alt - hat auch heute nichts von seiner Prägnanz verloren:«5

Karl Reinhardt steht unter den deutschen Philologen schon seit Jahren als Originalität von markanter Prägung da. Er vereint eine umfassende, nirgends äusserliche Gelehrsamkeit mit bohrendem Forschersinn und tiefer schöpfen• scher Anschauungskraft; er ist ein Schriftsteller von ungewöhnlicher Sprach• gewalt. (...). Seine beiden grossen Werke über Poseidonios (Poseidomos, München 1921) und Kosmos und Sympathie, Neue Untersuchungen über Poseidonios, München 1926) haben das verschüttete und verstaubte Gebiet der Erforschung der mittleren Stoa kritisch reingefegt, methodisch eine Um• wälzung gebracht und ein erstes gross gesehenes Bild des hellenistischen Phi• losophen errichtet. In seinem Buch über Piatons Mythen (Bonn 1927) setzt er sich fruchtbar und tief mit einer bedeutenden Seite des platonischen Phüoso- phierens auseinander. Sein zuletzt erschienener Sophokles (Frankfurt a/M 1933) schlägt nach vielen Richtungen in die Forschung ein, dringt aber dar• über hinaus zu einem neuen Gesamtbild des Dichters von neuer Tiefe vor. Um diese Hauptwerke gruppieren sich eine ansehnMche Zahl von Aufsätzen, die auch ihrerseits von R.s Verantwortlichkeit vor dem Kleinen wie seiner Anregerkraft zeugen. (...). Als Lehrer wirkt R. vor allem auf die Besten durch das Vorbild eines kompromisslosen stets aufs Ganze gehenden Forscherrums. Die Gleichstellung Richard Härders, damals 37 Jahre alt, ist eher überraschend und erklärt sich wohl auch dadurch, daß er schon 1930 für die Nachfolge Immisch im Gespräch war, im Dezember 1933 in Leipzig den dritten Platz hinter Schadewaldt und Regenbogen erhal• ten hatte und Heidegger jetzt vom Rektor der Universität Kiel sogar persördich empfohlen worden war.66 Vielleicht war seine schwung-

« StAFC25/2,61. " Arn 22. Mai 1934 schrieb der Kieler Rektor Wolf an Heidegger. »Ich glaube, daß Härder aus der hiesigen Situation gelernt hat und wenn sie ihn nach Freiburg berufen, unter Umständen brauchbar würde. Auf jeden Fall wäre er keine Stütze der »Schwar• zen«. Ein gescheiter Kerl ist er« (UAF Bl/1256). Der »Führer der Dozentenschaft« der Universität Kiel gab am 11.6.1934 ein Votum mit gewissen Vorbehalten ab: »In wissen• schaftlicher Beziehung gilt Härder nach den mir gewordenen Mitteilungen als sehr gut. In politscher Beziehung kann man nicht ohne Bedenken für ihn eintreten. Er ist m seiner Grundhaltung keineswegs einwandfrei nationalsozialistisch. Er hat sich in der

322 Klassische Philologie

volle Gnomon-Besprechung von Heideggers Rektoratsrede, die zum Jahresende gedruckt erschien, damals schon bekannt.67 Anders als bei Reinhardt verzichten die Gutachter nicht auf tagespolitisches Bei• werk:68

Am Kriege nahm er ca. 11/2 Jahre an der Westfront bis zu seiner Verwun• dung teil, die übrige Zeit als Krankenpfleger. Seit Januar dieses Jahres ist er in der S. A Härder ist eine sehr vielseitige und dabei höchst intensive Bega• bung. Schon in seinem ersten Buch Ocellus Lueanus {Berlin 1926) ist er als Meister der Editionskunst und gründlicher Kenner der antiken Philosophie• geschichte hervorgetreten.69 Seitdem hat er sich energisch und vielfältig wie- terentwickelt und stellt heute einen Gelehrten dar, der kräftig und männlich im Leben steht und mit einer erfolgreichen praktischen und organisatori• schen Hand in seltener Weise sicheren kritischen Takt, konkreten histori• schen Sinn, lebendiges Einfühlungsvermögen und eine keineswegs auf seine Wissenschaft beschränkte allseitige Urteilskraft verbindet. {...). Mit seiner Ausgabe von Platos Kriton (Berlin 1934) ist Härder soeben als aktueller Deu• ter des griechischen Staatsdenkens und Gemeinschaftswillens aufgetreten.70 (...). Gute Menschenkenntnis, klare Führung, humorvolle Wärme machen ihn besonders im Seminar zu einem vorzüglichen Lehrer, für dessen Erfolg bereits eine Reihe durch ihn angeregter tüchtiger Disserationen sprechen. Bruno Snell (37 Jahre) und Kurt von Fritz (33 Jahre) werden deutlich von den beiden abgesetzt:71

Bruno Snell, zu Hildesheim 1896 geboren, studierte und promovierte 1923 in Göttingen und bestand im gleichen Jahr das Staatsexamen, 1924 die Assessor• prüfung; nach einer Tätigkeit als deutscher Lektor in Pisa und wissenschaft• licher Hilfsarbeiter am Deutschen Archäologischen Institut in Rom habili• tierte er sich 1925 in Hamburg, wo er 1931 ordentlicher Professor wurde.

letzten Zeit mehrfach von solchen HochsAuHehrem in seiner Haltung und Handlung stark beeinflussen lassen, die der neuen Entwicklung an den Hochschulen nicht nur gleichgültig sondern auch ablehnend gegenüberstehen. Es ist möglich, dass an einer Universität wie Freiburg, an der der Kampf gegen den Katholizismus in der nächsten Zeit das hochschulpolitudie Geschehen beherrschen wird, Pro£ Härder für die Zwecke des heutigen Staates Verwendung finden kann und vielleicht sogar aus einem solchen Kampferlebnis heraus den Weg zum Nationalsozialismus finden könnte« (StAF 25/2, 61). 67 Vgl. Gnomon 9,1933,440-442. 68 StAf C25/2,61. 69 Oeellus Lucanus. Text und Kommentar, Berlin 1926 (Neue Philologische Unter• suchungen 1). 70 Piatos Kriton. Text, Übersetzung, Nachwort, Berlin 1934. Vgl. auch »Plato und Athen«, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 10,1934,492-500. 71 StAFC25/2,61.

323 Jürgen Malta

Snell diente 1918 beim Grenzschutz Ost. Snell ist ein lebhaftet vielfach inter• essiertet geschmeidiger Geist. Er hat Einfälle und konnte sich vor allem durch seine produktiv anregende Kraft bisher einen Namen machen, (...) Snell ist ein geschickter Sprecher und erzielt als solcher gute pädagogische Wirkungen. Kurt v. Ritz, geboren 1900 zu Metz, studierte in Freiburg und Mün• chen, promovierte 1923 in München, habilitierte sich dort 1927; nachdem er sich 1931 nach Hamburg umhabilitiert hatte, ging er 1933 als a.o. Professor nach Rostock, v. Fritz ist im Kadettenhause erzogen und nahm noch zu Kriegsende am Feldzug teil. - v. Fritz ist ein fester, gründlicher Forscher, der mit strenger Gewissenhaftigkeit, selbständig und zielsicher seinen Weg geht. (...) von Fritz ist in einer sehr harten Jugend zu einem charaktervollen Men• schen von innerer Energie geformt worden; darauf beruhen auch seine Lehr• erfolge.72 Im Gutachten über Härder ist die Verbeugung der Fakultät vor den Tendenzen der Zeit unverkennbar, doch war die Erstplazierang von Karl Reinhardt eine kompromißlose Entscheidung für einen unab• hängigen Wissenschaftler von Rang.73 Jeder Kenner der Verhältnisse konnte damals wissen, daß Reinhardt nicht dem Zeitgeist opferte. Der Hochschulreferent Eugen Fehrle lehnte diese Liste rundher• aus ab und protegierte seinen alten Freund Friedrich Pfister74 aus Würzburg, nicht nur wegen seiner politischen Kompatibilität und seiner bewußt gepflegten antiklerikalen Haltung, sondern auch we-

n Kurt von Fritz' pohtischer Anstand weckte die Aggressionen seiner Gegner in ganz besonderem Maße. Der Chemieprofessor Franz Bachei; neuerdings zuständig für Beru• fungsfragen auch der philosophischen Fakultäten (zur Person s. Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, 116) schrieb aus Berlin: »Von Fritz gehört zu den für den heutigen Staat meiner Ansicht nach völlig untragbaren Hochschullehrern. Bar jeden Gemeinschaftsgefühls ist ihm Ka• meradschaft ein völlig fremder Begriff. Seine komisch anmutende Blasiertheit verrät nicht nur die Unmöglichkeit des Verstehens der Kräfte, die unseren heutigen Staat bau• en und stützen, sondern gleichzeitig auch eine geistige Enge, die bei einem Hochschul• lehrer heute nicht mehr geduldet werden sollte. Sein weichliches, unmännliches äusse• res Auftreten wird in unangenehmer Weise ergänzt durch Versuche, nach Art eines bockigen Kindes heute notwendige Neuerungen an der Hochschule zu kritisieren. Auf• bauende Kräfte fehlen ihm völlig. (...) v. Fritz kann für eine weitere Berufung unter gar keinen Umständen in Frage kommen; ich stehe sogar auf dem Standpunkt, dass er auch vom Rostocker Lehrstuhl entfernt werden müsste« (StAF C25/2, 61). 73 Im Jahre 1941 versuchte W. H. Schuchhardt dann noch einmal, eine Berufung Rein• hardts in die Wege zu leiten (Anm. 170). 74 Zur Person s. Wolfgang Brückner, Religionswissenschaft und NS-Volkskunde. Fried• rich Pfisters Würzburger Lehrtätigkeit von 1924-1951, in: Kulturgeschichten. Fest• schrift für Walter Pötzl zum 60. Geburtstag, 2002, 944-1006.

324 Klassische Philologie

gen seiner Ablehnung der sog. »Jäger-Schule«. Pfister hatte sich ge• rade durch einen gesinnungstüchtigen Vortrag zum »politischen Hu• manismus« profiliert.75 Am 22. Juni 1934 reagierte Dekan Dragendorff auf Fehries Be• mühungen, seinen Freund Pfister auf die Liste zu bringen:76

Der Aufforderung des Rektorates, zu dem vom Herrn Hochschulreferenten genannten Prof. Dr. Pfister in Würzburg Stellung zu nehmen, komme ich im Folgenden nach. (...) Ich möchte Herrn Pfister in keiner Weise herabsetzen. Er ist zweifellos ein Gelehrter von umfassendstem Wissen auf seinen speziel• len zum Teil entlegenen Gebieten, auf die er schon durch seine Lehrer gewie• sen war. Ich muss aber dabei bleiben, dass er nicht die wissenschaftliche Per• sönlichkeit ist, die gerade wir für Freiburg brauchen. Abgesehen von »Erkundigungen« über die Kandidaten77 wurden auch »auswärtige Gutachten« eingeholt, die dem einzigen Zweck dienten, die Freiburger Liste sowohl aus politischen Gründen wie auch aufgrund kleinlichster zünftiger Eitelkeiten zu torpedieren. Rudolf Herzog, Klassischer Philologe in Gießen,78 gab am 5. Juli

75 Der politische Humanismus, in: Bayerische Blätter für das Gymnasial-Schulwesen 70,1934, 65-77. 76 StAF C25/2,61. 77 Dragendorff schreibt am 14.7.1934 an das Rektorat: »Ich muss gestehen, dass ich diese Erkundigungen nur mit innerem Widerstreben eingezogen habe und dass meine Bedenken dagegen durch das Ergebnis nicht zerstreut sind. In die Berufungen wird damit ein Faktor eingeschaltet, der unter Umständen über das Schicksal des Einzelnen entscheiden kann, zu dessen Wertung uns aber meist die Mittel fehlen. (...) In anderen Fällen aber .fühlt man persönliche und örtliche Gegensätze heraus, deren sachliche Grundlagen sich unserer Nachprüfung entziehen. Auf alle Fälle bitte ich, die Gutachten, die auch mir nur vertraulich gegeben sind, nicht zu den Akten zu nehmen, sondern mir nach Gebrauch zurückzugeben« (StAF C25/2, 61). Den Stil dieser studentischen Aus• künfte macht das Schreiben des Leiters der Frankfurter Studentenschaft vom 18.7.1934 deutlich: »Der o. ö. Prof. der klass. Phil., Dr. phil. Karl Reinhardt, ist weder Angehöriger der NSDAP noch einer der Partei untergegliederten Wehrfarmationen. Zur Zeit der Machtübernahme durch die Bewegung reichte R. ein Urlaubsgesuch ein, da er sich zur Wissenschaft zurückzuziehen wünsche. Dem Urlaubsgesuch wurde jedoch von behörd• licher Seite nicht stattgegeben. Obgleich als Mensch schwer zugänglich, stellte sich Reinhardt der Studentenschaft und der kulturwissenschaftlichen Fachschaft unserer Universität zur Verfügung. Es ist zu erwarten, daß Reinhardt, der im Übrigen ein voll• kommen unpolitischer Mensch ist, im Sinne der nationalsozialistischen Bewegung ar• beitet, wenngleich auch kein besonderer Einsatz für die Ziele der Bewegung von ihm erwartet werden kann« (StAF C25/2,61). 78 Vgl. Hans Georg Gundel, Die Klassische Philologie an der Universität Gießen im 20. Jahrhundert, in: Ludwigs-Universität Justus Liebig Hochschule 1607-1957. Fest• schrift zur 350-Jahrfeier, Gießen 1957,192-221, bes. 207 f.

325 Jürgen Mtlitx

1934 das folgende merkwürdige Votum ab, in dem sich akademischer Schulstrat und Tagespolitik auf peinliche Weise vermischten:79

Reichard (sie) kenne ich nicht persönheh. Seine Bücher sind überspitzt und zugleich zu wenig solid unterbaut. Sein Sophoklesbuch, das ich mir für mein Sophokleskolleg wieder angesehen habe, erscheint mir geradezu steril. Ich meine, es seien jetzt genug geistreiche Bücher über Sophokles geschrieben, aber zu wenig für die Interpretation getan. Gerade für die Religionsgeschich• te und durch sie ist da noch viel herauszuholen. Als Lehrer soll er, wie ich früher hörte, etwas über die Köpfe der Schüler hinwegsprechen. Von seiner politischen Einstellung weiß ich nichts. (...) Pfister hat im Neuen Reich seine Stimme neuerdings für den politischen Humanismus in einem gut national- sozialistischen Sinn erhoben (Bayx Blätter f. d. Gymn. LXX, 65 ff.). Ich schät• ze alle seine Arbeiten, vor allem die rehgionsgescMchtlichen. Er ist der Phrase der Jägerschule abhold und findet gegen sie recht erfreuliche Töne. Der Ein• fluß der Jägerschule, die jetzt plötzlich ihr nationalsozialistisches Herz ent• deckt hat und sich überall einzudrängen versteht - Regenbogen bei der Kant• gesellschaft! - muß gebrochen werden, damit wir wieder eine gesunde Wissenschaft des Wissenswerten in unserer Philologie bekommen. Mensch• lich ist mir Pfister sehr sympathisch, er wird gewiß gut nach Freiburg passen. Ich meine, Baden hätte es nicht nötig, die Ratten, die das Frankfurter Schiff verlassen wollen, bei sich aufzunehmen, das kann das große Preußen ma•

chen. Die Freiburger Fakultät stand diesen Intrigen offenbar völlig hilflos gegenüber. Mit der Unterstützung von Eugen Fehrle lief in den fol• genden Wochen alles auf die Berufung Pfisters hinaus, dessen anti• klerikale und nationalsozialistische Einstellung bestens dokumen• tiert war - am 14. Juli 1934 konnte er Fehrle für den Erhalt des Rufes danken, der also ohne jede Beteiligung der Fakultät ausgespro• chen wurde. Bereits am 26. Juli verhandelte Pfister im Karlsruher Ministerium80 und erhielt sein Angebot am 6. August 1934. In den letzten Julitagen machte Pfister einen Antrittsbesuch bei Dekan Dra- gendorff in Freiburg.81 Am 28. August ließ die Pressestelle der Uni-

n StAFC25/2,61. 80 »Als ich bei meiner Berufung nach Freiburg in Karlsruhe mit dem Regierungsrat Ernst Fehrle vom Ministerium mich besprach und ihm Bedenken äußerte, daß vielleicht einige Freiburgei Kollegen mit meiner Berufung nicht einverstanden wären, sagte er zu mir: Da mußt Du ihnen ordentlich auf die Hühneraugen treten. Worauf ich erwiderte, ich sei nun einmal so erzogen, daß, wenn ich jemand auf die Hühneraugen trete, ich mich entschuldigte« (Erinnerungen aus meinem Leben bis 1945, Würzburg 1989,165). a Vgl. den Brief Pfisters an Dragendorff vom 22.7.1934 und DT&gendorffs Antwort vom 24.7.1934 (UAf B3/317).

326 Klassische Philologie versität sogar eine Notiz in der »Freiburger Zeitung« über die Beru• fung Pfisters drucken.82 Pfister war allerdings auch bei den Nationalsozialisten keines• wegs unumstritten: er war ein kirchenfeindlicher Wissenschaftsideo• loge und von gemäßigt völkischer Gesinnung, doch konnte er nicht eigentlich als akademischer Nationalsozialist in dem Stil gelten, den Oppermann in Freiburg zu zelebrieren begann. In Berlin und Mün• chen gab es Parteikreise, die sich wohl schon längere Zeit für die Be• setzung des Freiburger Lehrstuhls interessierten und den Münchener Privatdozenten Hans Bogner protegierten. Er galt in der Partei als einer der wenigen habilitierten Altertumswissenschaftler eindeutig nationalsozialistischer Gesinnung - ohne übrigens damals Mitglied der Partei zu sein. Fast zeitgleich mit der beginnenden »offiziellen« Förderung durch die Partei erschien Ende 1934 eine vernichtende Re• zension von Bogners »Hauptwerk« in der »Deutschen Literaturzei• tung«.83 Wilhelm von Kloeber, neuerdings Referent für die philoso• phische Fakultät in der Hochschulkommission der NSDAP,84 wandte sich unaufgefordert am 8. September 1934 in einem Brief an das ba• dische Staatsministerium, in dem zum ersten Mal der Name Hans Bogners fällt:85

Gegen die Besetzung des altphilologischen Lehrstuhls mit Prof. Dr. F. Pfister erhebe ich namens der Hochschuücommission der NSDAP Einspruch. Nach

82 Den Akten in UAF Bl/1257 ist der Zeitungsausschnitt beigelegt worden; vgl. Gno- mort 10,1934, 512. 83 Deutsche literaturzeiturtg 1934, Heft 28, Sp. 1324-1330. Die Rezension versucht, die antike Demokratie gegen ihren Verächter Bogner nach Möglichkeit zu retten. Berve schließt mit den programmatischen Worten: »Vor allem jedoch wird man zu betonen haben, daß in [der attischen Demokratie] der Gemeinschaftsstaat sich verwirklicht hat wie kaum sonst in der Welt und daß hier ein großes ideales Vorbild real hingestellt worden ist mit der ganzen Beispielhafägkeit griechischer Gestaltungen. Sein Studium vermag uns zu lehren, was ein politischer Mensch ist, wie Geistesleben im politischen Leben wurzeln kann und soll, zu welchen heroischen Leistungen eine wahre politische Gemeinschaft fähig ist. Nicht als ein Kinderschreck, - als ein leuchtendes Vorbild von Werten, die uns wieder zu scheinen beginnen, steht die Perikleisdhe Demokratie vor dem heutigen Geschlecht. Und sollte jemand sich an der »demokratischen« Staatsform stoßen, weil er in ihr Liberalismus, Unstaatlkhkeit, Interessenpolitik wittert-, er lasse sich nicht beirren: Nur der Name ist der modernen und der antiken Erscheinung ge• mein, der Gehalt ist eher entgegengesetzt als gleich I« (Sp. 1329 f.). 84 Wilhelm von Kloeber war - wie Walter Frank - Schüler Karl Alexanders von Müller; seine Dissertation vom Jahre 1932 behandelte »Die deutsche Frage 1859-1871 in groß• deutscher und antiliberaler Beurteilung«. Zur Person s. auch Heiber (s. Anm. 72), 406. 85 StAF C25/2,61.

327 Jürgen Malta meinen eingehenden Erkundigungen ist Prof. Pfister der typische Repräsen• tant (sie) einer veralteten unlebendigen Wissenschaft, dessen Arbeiten me• thodische Fleißaufgaben sind und der nicht geeignet erscheint im Sinne un• serer nationalsozialistischen Wissenschaftsauffassung zu wirken". Da jede Berufung eines an einer anderen Universität wirkenden Hochschullehrers als eine Herausstellung durch den nationalsozialistischen Staat zu werten ist, ist die Berufung Prof. Pfisters nicht im Sinne der Bewegung. Ich schlage dem badischen Ministerium die Berufung des münchner (sie) Privatdozenten Dr. Hans Bogner vor, der außer bedeutenden philologischen Arbeiten durch sein 1928 erschienenes Buch »Die verwirklichte Demokratie«, eine kritische Be• handlung der altgriechischen Demokratie, den Beweis erbracht hat, daß er das für uns heute so wichtige Verhältnis gerade der klassischen Altertumswissen• schaft zum Staat und zur Politik in hervorragender Weise gefunden hat. Fehrle gab sich redliche Mühe, die Berufung seines Freundes Pfister zu retten. Dem Gaustudentenführer des Gaues Baden, Gustav-Adolf Scheel, versuchte er am 2. Oktober die »zünftigen« Hintergründe des Widerstandes gegen Pfister zu erläutern:86

... M.E. ist dieses Urteil ganz falsch. Die Wissenschaft, die Pfister vertritt, kann man nicht als unlebendig bezeichnen. Er selbst ist ein lebhafter Mensch. Wie er als Lehrer wirkt, weiß ich nicht und wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie vertrauliche Auskünfte durch die Würzburger Studentenschaft einholen würden. Politisch ist gegen Pfister wohl nichts einzuwenden, die Hochschul• kommission konnte nichts gegen ihn vorbringen. Die Einwendungen der HcKihschidkommission gehen vermudich zurück auf Einflüsse der »dritten Berliner humardtas« (sie), deren Vertreter seit Jahren die philologischen Pro• fessuren in Deutschland besetzen und, wie zu erwarten war, nun empört sind, daß ein Vertreter einer anderen Richtung (Usener-Dieterich) einen Ruf er• hält.87

86 Ebd. 87 Für die Leser im Ministerium formulierte Fehrle dann noch ausführlicher: »Die phi• lo«. Fakultät der Univ. Freiburg hat Pfister nicht auf die Liste gebracht. Erst auf mein Ersuchen hat sie sich über ihn in der aus den Akten ersichtlichen Art geäußert. Hier liegen Schulgegensätze vor: in den letzten Jahren wurden die Lehrstellen der klassischen Philologie an deutschen Hochschulen fast durchweg mit Vertretern der Schule von Wi- lamowitz-Möllendorf und Werner Jäger in Berlin besetzt. Professor Pfister gehört der Schule Usener und Albrecht Dieterich an. Früher, solange Philologen wie Vahlen und Hermann Diels noch wirkten, war ein gewisser Ausgleich zwischen den Schulen gege• ben. Das war nach dem Tode dieser Männer nicht mehr der Fall. Daß die Schule Usener- Dieterich große Verdienste um die Altertumswissenschaft hat, wird niemand bestreiten. Vor allem die Erforschung mythischer Probleme und des religiösen Werdens einer Volksgemeinschaft hat sie wesentlich gefördert, wobei die germanische Einstellung ne• ben der grieerdsch-römischen viel mehr zur Geltung kam als bei der Berliner Schule. Dieser kam es mehr darauf an, die überzeitlichen Erscheinungen in der Geschichte der

328 Klassische Philologie

Dem Referenten der Hochschulkommission Wilhelm von Kloeber schreibt er am 22. Oktober 1934:88

Dazu möchte ich noch bemerken, Professor Pfister kämpft seit Jahren mann• haft gegen seine klerikalen Kollegen in Würzburg und gegen die Versuche, unsere Wissenschaft in klerikalem Sinne zu formen. Bekannt ist in dieser Hinsicht sein zäher Kampf gegen den Herausgeber des Anthropos. Pfister ist neben dem Schweden Martin P. Nilsson zur Zeit der beste Kenner der grie• chischen Religion. Gerade wenn wir die mythischen Vorstellungen der ari• schen Völker verstehen wollen, so müssen wir diese religiösen Probleme stu• dieren, und in dieser Hinsicht habe ich bestimmte Pläne, die ich in Baden mit Pfister durchführen möchte vor allem, wo er sich auch erfolgreich auf dem Gebiete der deutschen Volkskunde betätigt hat. (...) Ausdrücklich betonen möchte ich, daß ich gegen den Privatdozenten H. Bogner garnichts habe, son• dern seine Arbeiten sehr schätze. Wäre es möglich, Bogner an Pfisters Stelle nach Würzburg zu bringen?

Griechen und Römer aufzuzeigen und sie als Erziehungsbeispiele hinzustellen. Fraglos ist dieses Bestreben gut und durchaus gerechtfertigt, aber es wurde einseitig gehand• habt. Und so kam es, daß unsere Jugend Heldentum nur aus der Antike kannte, aus dem eigenen Vaterlande nicht; als überzeitliche Beispiele für Kunst wurden Phidias, Myron und andere Griechen erwähnt. Daß es auch überzeitliche deutsche Künstler gebe, wurde nicht berührt. Die Schule Usener-Dieterich war in dieser Hinsicht nie einseitig. Ja Die• terich hat es schon im Jahre 1903 ausgesprochen, daß wir die tiefsten Regungen des Gemütes nur beim eigenen Volk verstehen können und von hier aus versuchen müssen, fremde Völker wie die alten Griechen und Römer zu erkennen. Von solcher Anschauung aus kann auch die klassische Philologie dem nationalsozialistischen Staate gute Dienste leisten. UndProfessor Pfister gibt mir mehr als die übrigen von der Fakultät genannten Philologen die Gewähr dafür, daß dies geschieht.« Pfister wußte natürlich, worum es ging: am 28.8.1934 schreibt er dem »lieben Fehrle« über seine künftigen Ziele als Frei• burger Ordinarius: »die Fortsetzung der im Bunde mit der Volkskunde stehenden klas• sisch-philologischen Tradition, wie sie durch Rohde, Crusius, Dieterich, Boll in Baden begründet und durch Dich unter Kämpfen fortgesetzt wurde, eine Tradition, die eben• falls auf den Gymnasien weiterwirkt, wo ja die meisten Philologen durch diese Schule hindurchgegangen sind, und die wir nun beide gemeinsam wieder zur Blüte bringen können. In diesem Sinn Philologie zu treiben, die den künftigen Gymnasiallehrer befä• higt, die Jugend zu tüchtigen Arbeitern im neuen Reiche zu erziehen, verspreche ich, wenn ich meinen Dienst in Freiburg antrete; ich lege dieses Versprechen am heutigen Tag ab, an dem ich auf den Führer vereidigt wurde« (StAF C25/2,61). Zur zeitgeschicht• lichen Einordnung dieser »volkskundlichen« Klassischen Philologie & auch Suzanne Marchand, From Iiberalism to Neoromanticism. Albrecht Dieterich, Richard Reitzen- stein, and the religjous tum in fin-de-siecle German Classical Studies, in: Out of Arca- dia. and Politics in in the Age of Burckhardt, Nietzsche and Wilamo- witz, London 2003,147ff. 88 StAF C25/2,61.

329 Jürgen Malta

Der junge Hochschulreferent ließ sich nicht erweichen und forderte alle Akten zur weiteren Überprüfung an. Das tinerwartete Ende für Pfisters Freiburger Berufung kam durch eine Erwähnung seines Na• mens im Völkischen Beobachter vom 5. Januar 1935. Ein Martin Rasch89 »rezensierte« unter dem Titel »Juden und Emigranten ma• chen deutsche Wissenschaft« den 1934 erschienenen ersten Band der Kulturwissenschaftlichen Bibliographie zum Nachleben der Antike90 als ein Machwerk von Juden und Emigranten: »Und es entsteht aus der Gemeinschaft der Fachgenossen alsbald eine mehr oder weniger »geschlossene Gesellschaft der Glaubensgenossen«. Die folgende Auswahl von Namen mag das zeigen«. Pfister, der gerade einmal drei »abstracts« zu dem umfangreichen Band beigesteuert hatte, wird zu• sammen mit Forschern wie Cassirer, Klibansky, Liebeschütz und Scholem genannt. Die herausgehobene Nennung Pfisters ist wohl am besten als Intrige der Hochschulkommission zu erklären: »Da hätten wir also eine hübsche und gewiß noch zu erweiternde Samm• lung von Damen und Herren, die sich teils durch ihre Namen, vor allem aber auch durch ihren Aufenthalt im Ausland verraten.« Fehr- le, dem diese Notiz höchst unangenehm gewesen sein dürfte, bekam den entsprechenden Zeitungsausschnitt am 7. Januar 1935 aus• gerechnet vom Freiburger Rektorat zugesandt.91 Schon zwei Tage später mußte er nach Würzburg schreiben:92

Lieber Pfister 1 da die Hochschulkommission bei der Reichsleitung der N.S.DJLP. trotz mehrmaligen Erinnerns keine Antwort darüber gegeben hat, ob Bedenken gegen Deine Berufung nach Freiburg bestehen und im Hinblick auf die Ver• öffentlichung im Völkischen Beobachter vom 5. Januar 1934 (sie) »Juden und Emigranten machen deutsche Wissenschaft«, ist zu befürchten, daß es nicht gelingen wird, Dich nach Freiburg zu bringen.'3 Ich sehe mich daher zu mei-

» In den Unterlagen des BDC findet sich ein Hinweis auf den sonst unbekannten Ber• liner Studienreferendar Martin Rasch, geb. 20.09.1906. 50 Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike, Bd. 1: Die Erschei• nungen des Jahres 1931, in Gemeinschaft mit Fachgenossen bearbeitet von Hans Meier, Richard Newald, Edgar Wind, hrsg. von der Bibliothek Warburg, Leipzig/Berlin (333 S.). 91 Am 7.1.1935 schreibt Rektor Kern an Fehrle: »Den anliegenden Ausschnitt aus dem Völkischen Beobachter vom 5. ds. Mts. übersende ich unter Bezugnahme auf unsere heutige telefonische Unterredung«. (StAF C25/2,61). * StAF C25/2, 61. 93 Im Völkischen Beobachter vom 23.1.1935 findet sich ein »Dementi« von Martin Rasch, das als Zeitungsausschnit den Akten zur gescheiterten Berufung Pfisters bei-

330 Klassische Philologie

nem lebhaften Bedauern genötigt, Dir mitzuteilen, daß mein Herr Minister nunmehr beabsichtigt, den Freiburger Lehrstuhl möglichst zum Sommer• halbjahr 1935 durch eine der Hochschulk)mmission genehme Persönlichkeit zu besetzen.54 Diese »genehme Persönlichkeit« war der Münchener Privatdozent Hans Bogner. Er wurde 1895 in Weissenhurg als Sohn eines Gymna• sialprofessors geboren. Nach dem Besuch von Gymnasien in Mün• chen und Augsburg machte er 1914 Abitur und wurde zunächst nicht als Kriegsfreiwilliger angenommen. Nach einem ersten Semester in München wurde er dann 1915 eingezogen. »Bis Ende 1918 stand ich im Heeresdienst, zwei Jahre an der Front«.95 Im Sommer 1921 pro• movierte er dann bei Ed. Schwanz mit der Arbeit »Kaiser Julians 5. Rede«, die später im »Philologus« gedruckt wurde.96 Nach kurzer Hauslehrertätigkeit bei dem Dichter Paul Ernst97 widmete er sich dann seit 1926 der Wissenschaft; an der Münchener Universität ver• diente er ein wenig Geld mit griechischen Elementarkursen. In wel• chem Maße er von seinem Lehrer Ed. Schwartz gefördert wurde, bleibt unklar - habilitieren konnte er sich jedenfalls erst nach der Machtergreifung, formal wohl bei Rudolf Pfeiffer.98 Die Münchener

gelegt wurde: »Es gab eine Reaktion: man hatte den Eindruck, daß allen namhaft ge• machten Mitarbeitern des Sammelwerks »Kulturwissenschaftliche Bibliographie zum Nachleben der Antike« jüdische Abstammung nachgesagt würde. Dagegen haben die Herrn Professoren Daniel Achelis, Wilhelm Kamiah, Heinrich Heydenreich, Leo Schrä• der und Julius Ruska mit dem Hinweis auf ihre arische Abstammung Einspruch erho• ben. Ich stelle infolgedessen fest, daß es nicht in meiner Absicht lag, dem einzelnen jüdische Abkunft nachzusagen, was aus den einschränkenden Worten »eine mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft der Glaubensgenossen« hervorgeht.« (StAF C25/2, 62). " Pfister schreibt in seinen Memoiren: »In jenem Artikel waren sämtliche Mitarbeiter mit jüdischen Namen aufgezahlt, dazu noch die nichtjüdischen Gelehrten Achelis und Ruska, die nichtdeutsch klingende Namen führen, und dazu als einziger; der einen deut• schen Namen führte, der meinige, Friedrich Pfister aus Würzbwg. Damit sollte ich offenbar persönlich getroffen werden, und in der Tat erhielt ich ein paar Tage danach vom Kultusministerium in Karlsruhe die Mitteilung, daß nunmehr nach diesem Artikel auf meine Berufung als Ordinarius nach Freiburg verzichtet werde. Der Artikel war offensichtlich verfaßt worden, um meine Berufung nach Freiburg zu hintertreiben, je• denfalls hatte er diese Wirkung« (Erinnerungen aus meinem Leben bis 1945, Würzburg 1989,175). 95 UAFB24/343. 96 Kaiser Julians 5. Rede, in: Philologus 79,1924,258-297. 97 Vgl. Heiber (s. Anm. 72), 553. 98 Am 19.10.1934 schreibt Bogner an Dekan Dragendorff: »Gestatten Sie mir als einem Ihnen noch Unbekannten, einige Zeilen an Sie zu richten als eine Art von schriftlicher

331 Jürgen Halte

Habilitationsschrift des Jahres 1933 wurde erst 1939 als sehr schmale Studie mit dem Titel »Der Seelenbegriff der griechischen Frühzeit« publiziert, nicht in einem der üblichen wissenschaftlichen Verlage, sondern von der »völkischen« Hanseatischen Verlagsgesellschaft.99 Neben den wenig bemerkenswerten Publikationen zur Klassi• schen Philologie veröffentlichte Bogner auch in einem ganz anderen Bereich, dem des völkischen, rechtskonservativen Schrifttums. Seit dem Ende der zwanziger Jahre gehörte er zum Kreis um Wilhelm Stapel, einem christlich-konservativen Gegner der Weimarer Repu• blik.100 Eine wichtige Gemeinsamkeit dieses Kreises ist, neben der Radikalopposition gegen die Weimarer Republik, auch die Kombina• tion von konservativem Protestantismus, verschwommenem Elite• denken und akademisch verbrämtem Antisemitismus.101 Im Verlag Stapels, der »Hanseatischen Verlagsanstalt«, konnte Bogner auch im Jahre 1930 seine »Verwirklichte Demokratie« drucken, die er schwer• lich bei einem »wissenschaftlichen« Verlag wie Teubner hätte unter• bringen können.102 Der Ehrgeiz von Stapel und seinem Freundeskreis war es wohl, die aufsteigende NSDAP für eigene, eben »elitäre« Vor• stellungen zu »instrumentalisieren. So erklärt sich die Schrift »Was wir vom Nationalsozialismus erwarten« aus dem Jahre 1932, in der auch Bogner unter dem Titel »Die Bildung der pohtischen Elite« sei• ne Erwartungen formulieren durfte.103 Eine seiner Hoffnungen ist offenbar die Verbindung von dem, was er »konservativen Glauben« nennt, mit der »elementaren Volksbewegung des Nationalsozialis-

Vorsteflung, der die persönliche ja bald nachfolgen wird. (...) über meine Person darf ich bemerken: ich bin Kriegsteilnehmer, Schüler von Eduard Schwanz, bei dem ich pro• movierte; im Frühjahr 1933 habilitierte ich mich bei Professor Pfeiffer« (UAF B3/317). Johannes Strome schreibt später von seiner »Mitwirkung« bei Bogners Habilitation (vgl. das Anm. 121 zitierte Gutachten). 99 Der Seelenbegriff der griechischen Frühzeit, Hamburg 1939 (Schriften des Reichs• instituts für Geschichte des neuen Deutschlands) (39 S.); Bogner hatte über sein Thema am 30. November 1938 auf der 4. Jahrestagung des >Reichsinstituts< gesprochen; vgl. Heiber (s. Anm. 72), 555. M» Zur Person vgl. Willi Keimhorst, Wilhelm Stapel. Ein evangelischer Journalist im Nationalsozialismus. Gratwanderer zwischen Politik und Theologie, Frankfurt, 1993. 101 Vgl. Louis Dupeux, L'antisemitisme culturel de Wilhelm Stapel, in: Revue d'Alle- magne 21,1989, 610-618. 102 Die verwirkhehte Demokratie. Die Lehren der Antike, Hamburg 1930 (232 S.). 103 Die Bildung einer pohtischen Elite, in: Was wir vom Nationalsoziahsmus erwarten. Zwanzig Antworten hrsg. von Albrecht Erich Günther, Heilbronn 1932, 114-122. Es handelt sich dabei um einen Auszug aus der gleichzeitig veröffentlichten Broschüre: Die Bildung der pohtischen Elite, Oldenburg 1932 (Schriften an die Nation 6) (71 S.).

332 Klassische Philologie mus«.104 Insofern haben Bogner und die Seinen nichts mit dem Neu• heidentum eines Alfred Rosenberg zu tun, dem sich z. B. Oppermann wenigstens demonstrativ verbunden fühlte.105 Eine Gemeinsamkeit des Stapel-Kreises mit den Nationalsozialisten ist dagegen unüber• sehbar: das Interesse an der damals sog. Judenfrage - Wilhelm Stapel verbreitet sich im gleichen Band über den »Versuch einer praktischen Lösung der Judenfrage«. Die Bognersche politische Elite der Zukunft hat viel Verständnis für den Nationalsozialismus, steht aber als Elite »darüber«. Es überrascht deshalb nicht, daß Bogner nicht schon vor 1933, sondern erst 1937 in die Partei eintrat, als er verbeamtet wur• de.106 Bogner war der Partei aber auch ohne Mitgliedschaft willkom• men. In einem Gutachten aus München heißt es später, daß Bogner zwar kein Pg. sei, »aber unbedertklich als einer der geistigen Wegge• nossen des Nationalsozialismus innerhalb des Bereichs deutscher Universitäten gelten darf«.107 Anders als bei dem Karrieristen Opper• mann ist Bogners »Weltbild« schon vor 1933 »fertig«. Was Bogner damals für die Partei als Kandidaten für einen grä• zistischen Lehrstuhl besonders interessant machte, waren seine »po• pulären« Publikationen zur griechischen Geschichte, und hier beson• ders zur Geschichte der griechischen Demokratie, die auf eine Verherrlichung des starken Mannes hinausliefen, der dem Unwesen der »radikalen« Demokratie ein wohlverdientes Ende bereitete. Bo• gner hatte aufgrund seiner Tätigkeit als völkischer Publizist beste Beziehungen zu Parteigrößen. Im Münchener Umfeld der völkischen Publizistik und der Schüler von Karl Alexander von Mueller traf Bo• gner schon vor 1933 den jungen Historiker Walter Frank, der sich zum Archegeten einer neuen nationalsozialistischen Geschichtsfor• schung berufen fühlte. Nachdem sich, wie erwähnt, erst der Leiter der Hochschulkommission der NSDAP im September 1934 für ihn stark gemacht hatte, richtete vier Monate später, am 3. Februar 1935 Walter Frank, damals 30 Jahre alt und Referent für Geschichte in der

104 Der politische Ort des evangelischen Christen in der Gegenwart, in: Deutsches Volkstum 1932, Heft 2, 964-967. 105 S. unten Anm. 140. 106 Heiber (s. Anm. 72), 554, geht von einer frühen Desillusionierung Bogners aus und zitiert einen Bekannten Bogners aus dieser Zeit: »Wer ihn kannte, konnte jedenfalls den Eindruck gewinnen, daß der Parteigenosse Bogner dem Nationalsozialismus innerlich fremd gegenüberstand.« Die Freiburger Fakultätskollegen hatten allerdings einen völlig anderen Eindruck. 107 Das Gutachten stammt vom damaligen Dekan Walter Wüst (UAF B24/343).

333 Jürgen Malte

Hochschulkoninüssion der NSDAP, ein weiteres Empfehlungsschrei• ben an dag Ministerixml in Karlsruhe:108

Wie es bereits mein Vorgänger, Dr. von Kloben getan hat, möchte auch ich dem badischen Ministerium für den freistehenden Lehrstuhl der Altphilolo• gie in Freiburg dringlich den Münchner Privatdozenten Ehr. Hans Bogner empfehlen. Dr. Hans Bogner ist nicht nur anerkannter altphilologischer Fachmann, sondern darüber hinaus einer der wenigen Vertreter einer innerlich erneuer• ten, lebendigen Wissenschaft. Sein Buch »Die verwirklichte Demokratie. Lehren der Antike« (1930) gehört zu den in dieser Richtung kennzeichnen• den Werken. Politisch ist Dr. Bogner, ohne der NSDAP anzugehören, unbe• dingt zuverlässig. Bogner ist Frontsoldat. Im März 1935 wiederholte Frank seine Empfehlung in einem Brief an Eugen Fehrle:109

Sehr geehrter Herr Ministerialrat! In Beantwortung Ihres Schreibens vom 4. ds.M. darf ich bemerken, daß ich eine Anfrage wegen Reinhardt nicht er• halten habe. Ich vermöchte mich allerdings auch über Reinhardt speziell nicht zu äußern, er gilt als hervorragender Gräzist, politisch ist er mir unbe• kannt. Wenn ich mich für Herrn Bogner so warm einsetze, so deshalb weil er, der mir selbst als Althistoriker bekannt ist und als Altphilologe allgemein anerkannt wird, gerade jene neue Wissenschaft verkörpert, die ihre Fach• arbeit wieder in lebendigen Zusammenhang mit den großen Fragen unserer eigenen Zeit und Nation bringt. Es scheint mir besonders wertvoll, die zah• lenmäßig noch geringen Vertreter dieser Wissenschaft in feste Positionen zu bringen, und gerade in Freiburg, an diesem Ausfallstor nach dem Westen, schiene mir eine neue Blutzufuhr besonders wertvoll für den nationalsoziali• stischen Staat. Heil Hitler, Dr. Walter Frank Die verstärkten Bemühungen der Freunde Bogners erklären sich durch die unermüdlichen Versuche der Freiburger Fakultät, Karl Reinhardt doch noch durchzusetzen.110 Am 13. März 1935 schließ-

108 StAF C25/2, 61; das Papier ist von sehr bescheidener Qualität, und die vielen Tipp• fehler werden keinen sehr günstigen Eindruck in Karlsruhe gemacht haben. *» StAF C25/2,61. 110 Der Informationsstand in Freiburg muß sehr dürftig gewesen »ein, Wenn Walter Kolbe am 31.1.1935 seiner Tochter schreiben konnte: »So das sind zwei erfreuliche Nachrichten [bezieht sich auf eine Rede Paul Schmitthermers, in der Preussen gelobt wurde, und auf einen gemäßigten Auftritt des »Leiters der Deutschen Studenten• schaft«]. Und nun gleich eine dritte, die Schadewaldt interessieren wird: Pfister hat abgelehnt. Das Ministerium hat einen Ruf an - Reinhardt ergehen lassen. Auch Opper- mann wird einen Ruf erhalten. Es ist nach Monaten endlich Aussicht auf eine gute Lösung.« (s. Beitrag Wirbelauer in diesem Band).

334 Klassisch« Philologie lieh hatte Eugen Fehrle genügend ungünstige Nachrichten über Karl Reinhardt gesammelt, um seine Berufung ausschließen und Hans Bogner als neuen Kandidaten präsentieren zu können:111

(...) insbesondere soll er sich noch am 1. Mai 1933 geweigert haben, bei dem Festzug am Feste der nationalen Arbeit rrützumarsehieren und soll wieder• holt sich abfeilig über die gegen die Juden unternommenen Maßnahmen der Reichsregierung und der NSDAP ausgesprochen haben.112 Mit Rücksicht hierauf und die Tatsache, daß Prof. Reinhardt sehr starke Bindungen an Ste• fan George-Kreise und an jüdische Intellektuelle haben soll, halte ich seine Berufung im gegenwärtigen Augenblick nicht für vertretbar. (...) (...) Wie• derholt ist mir insbesondere durch die Hochschulkommission der Name des Privatdozenten Dr. Hans Bogner in München genannt worden; Bogner hat das Buch »Die verwirklichte Demokratie. Lehren der Antike« geschrieben, das durchaus im Sinne einer neuen Auffassung der Wissenschaft hegt. Die Freiburger Fakultät mußte sich jetzt offiziell rechtfertigen, war• um Bogner nicht in die engere Wahl gekommen war. Dekan Dragen- dorff gab sich in einem Schreiben vom 14. März 1935 alle Mühe, das beinahe Unvermeidliche zu verhindern:113

(...) Freiburg kann für ein so wichtiges Fach eine bereits gereifte Persönlich• keit von anerkanntem wissenschaftlichem Ruf nicht entbehren und muss sie daher verlangen. Bei unseren Beratungen über die Wiederbesetzung der phi• lologischen Lehrstühle haben wir uns auch mit allen jungen Fachvertretern beschäftigt. Darunter war selbstverständlich auch Dr. Bogner. Ich kann nur bei dem Urteil bleiben, zu dem wir damals gekommen sind (...) Es erscheint sogar zweifelhaft, ob es in Bogners eigenem Interesse wäre, wenn man ihn jetzt schon mit den vielseitigen Pflichten eines Ordinariats belasten würde. An philologischen Leistungen Hegt von Bogner seine 1924 erschienene Dis• sertation vor. Seine Habilitationsschrift ist noch nicht im Druck erschienen, weil sie dafür noch nicht reif genug schien. Dann gibt es noch einen Aufsatz von ihm über Nonnos. Das Buch über »Verwirklichte Demokratie« ist in der Quellensammlung von seinen Vorgängern abhängig. Die eigene Leistung liegt hier nicht auf philologischem sondern auf historischem Gebiet und ist auch da nicht als glücklich zu bezeichnen. Zusammenfassend müssen wir auf das dringendste widerraten, den Freiburger Lehrstuhl mit einer Persönlich• keit zu besetzen, die uns noch nicht die Gewähr gibt, dass sie in die Aufgabe hineinwachsen wird. Wir weisen noch einmal auf unsere Vorschlagsliste hin, die ja mit dem einen Namen Reinhardt nicht erschöpft ist. Es ist uns in

111 StAF C25/2,61. 112 Vgl. den o. Anm. 61 erwähnten Antrag Reinhardts auf Beurlaubung. 113 StAF (25/2,61.

335 Jürgen Malta schwierigsten Zeiten gelungen, Freiburgs Niveau auf der Höhe zu halten. Es darf gerade jetzt nicht absinken. Neben dem ungeliebten Bogner mußte die Fakultät in diesen Wo• chen einen noch weit unerwünschteren Kandidaten abwehren, des• sen Name Ende April von Berlin aus lanciert worden war, den Dresdner Studienrat Dr. Walter Eberhardt, damals bekanntgeworden durch eine militante, an prominenter Stelle publizierten Schrift mit dem programmatischen Titel »Die Antike und Wir«.114 In der Ab• lehnung des nichthabilitierten radikalen Schulmanns waren sich so• gar Aly und Oppermarm einig, die vernichtende Gutachten über Eberhardts Dissertation verfaßten.115 Am 22. Mai schreibt Dragen- dorff im Namen der Fakultät an das Rektorat, daß eine Berufung Eberhardts unerwünscht sei. Ein erneuter Versuch Anfang Juni, un• ter Verzicht auf Karl Reinhardt Bruno Snell wieder ins Gespräch zu bringen, scheiterte. Der ehrgeizige Wolfgang Aly hat in diesen Wochen noch einmal versucht, sich selbst ins Gespräch zu bringen. Am 1. Juni schickte er

114 Die Antike und wir, München 1934 (Nationalsozialistische Wissenschaft 2) (15 S.); s. auch seine »radikale« Rede zum 30.1.1934: »Rede zum 30. Januar 1934, gehalten vor den Lehrern und Schülern des Kreuzgymnasiums zu Dresden«, in: Politische Erziehung. Monatsschrift des Nationalsozialistischen Lehrerbundes Sachsen 13/10,1934,301-306. Eberhardt war Parteimitglied seit dem 13.4.1932 (BDC) und mit dem personalpolitisch damals sehr einflußreichen Alfred Bäumler befreundet. 1937 wurde er gegen den Wi• derstand der Fakultät nach Münster berufen; in der Erinnerung von Eberhardts Sohn spielte Alfred Bäumler die entscheidende Rolle. Zur Person und zur Berufung nach Münster s. Katja Fausser, Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Geschichte der Historischen Institute der Universität Münster 1933-1945, Münster 2000,73-77. 115 Oppennann schreibt über Eberhardts Pamphlet immerhin: »Es ist eine sehr gute programmatische Stellungnahme, erfreulich vor allem die Ablehnung aller klassizisti• schen und historistischen Auffasungen, der Ernst des Versuches, vom nationalsozialisti• schen Standpunkt aus die Antike zu sehen.« Dragendorff schreibt dazu am 22.5.1935: »Ähnlich steht es mit dem Aufsatz »Die Antike und wir«. Sie zeigt den Ernst des Ver• suches, vom Nationalsozialistischen Standpunkt aus die Antike zu sehen. Die Katego• rien sind von Burkhardt, Nietzsche, Günther, Rosenberg übernommen. Es ist so eine gute Programmarbeit entstanden, die aber ebenfalls nicht zu einer neuen und völligen Bewältigung der Probleme fuhrt, vor allem nicht in der Stellungnahme zu Rom. (...). Die Rezension der Schrift durch den erfolgreichen Konkurrenten Hans Bogner (Gno- mon 12,1936, 328f.) ist dagegen ungewöhnlich positiv und »programmatisch«. Bogner beginnt mit dem schwungvollen Satz: »Diese knappe Schrift, schon bedeutsam durch den Ort, an dem sie zuerst erschien, ist ein schönes Zeugnis für die Wiedergeburt der Antike, die sich heute im Zusammenhang mit der Wiedergeburt unseres Volkes voll• zieht.«

336 Klassische Philologie

dem Dekan »auf Wunsch der Dozenten&chaft« ein mehrseitiges, we• gen seiner »Modernität« durchaus lesenswertes Expose über die »Gründung eines Instituts für Altertumskunde an der Universität Freiburg«.116 {vgl. Anhang) Wenig später sprach Aly vor einem stu• dentischen Publikum über die »neue Fragestellung der Geisteswis• senschaften« und sorgte für einen Bericht in der »Freiburger Studen• tenzeitung«.117 Am 23. September 1935 bekommt Bogner schließlich aus dem REM die Aufforderung, den Freiburger Lehrstuhl für Klassische Phi• lologie zu vertreten. Dieser Erfolg von Bogners Förderern findet sogar ein Echo im »Völkischen Beobachter«. Volle fünf Jahre nach Erscheinen der »Verwirklichten Demokratie« erscheint am 29. Sep• tember 1935 eine Rezension aus der Feder Walter Franks. Nach einer bemühten Zusammenfassung des Inhalts schließt Frank mit den pro• grammatischen Worten:

Hans Bogner ist ein jüngerer Gelehrter aus der Kriegsgeneration. Sein Buch ist 1929 /1930 erschienen, in der Zeit, wo die deutsche Demokratie von ihren Gegnern zur Entscheidungsschlacht herausgefordert wurde. (...) Bogner glaubt an die lebendige Kraft der Antike auch für die Gegenwart. (...) Indem Bogner seine Wissenschaftlichkeit aus den Fesseln des rein zünftigen Fach• interesses löst, will er sie »fruchtbar und lebendig machen« zur Beantwor• tung von Fragen, die »so brennend sind, daß sie uns heute fast schon verbren• nen«. (...) Hans Bogner hat mit dieser Verbindung des politischen Willens und der wissenschaftlichen Zucht den Weg einer »politischen Wissenschaft« gefunden. Er hat mit seinem Buch auf dem Gebiet der Althistorie denselben geistigen Umbruch vollzogen, der gleichzeitig auch anderen Teilabschnitten der Geschichtsschreibung und in anderen Disziplinen der Wissenschaft über• haupt sich Geltung errang. Am 4. November 1935 kann Bogner, zunächst als Vertreter, seine erste Freiburger Vorlesung halten.118 Oppermann brachte sich vor• sorglich mit einem heftigen Beitrag in der »Freiburger Studenten• zeitung« über »Geschichte und Tradition« in Erinnerung.11' Die erste

us Vgl. UAF B24/S7: »Entwurf für die Gründang eines Instituts für Altertumskunde an der Universität Freiburg«. Aly macht hier durchaus lesenswerte Vorschläge zur Verbes• serung interdisziplinärer Forschung; es versteht sich von selbst, daß er selbst sich für den am besten geeigneten Koordinator hielt. 117 »Aus der Arbeit der Dozentenschaft«, in: Freiburger Studentenzeitung, 13. Juni 1935, Nr. 5, S. 4. 118 Die Vorlesung über Piatons Nomoi wurde von 13 Hörern belegt (UAF B17/772). 119 Geschichte und Tradition, in: Freiburger Studentenzeitung, 3. Dezember 1935, Nr. 3,

337 Jitrgtn Malte

charakteristische Spur, die Bogner als akademischer Lehrer hinterlas• sen hat, dürfte seine Förderung des Themas »Die Judenfrage im Al• tertum« für den »Reichsberufswettkampf« sein.120 Erst im Dezember 1935 erhielt die Fakultät ein Gutachten von Johannes Stroux aus München, das die Berufung wohl ursprünglich absegnen sollte. Stroux schreibt über Bogners »Hauptwerk« etwas anders als Walter Frank:121

(...) Vielleicht werden andere das Buch Bogners »Die verwirklichte Demo• kratie«, mit dem Untertitel »Die Lehren der Antike« weit voranstellen. Aber dieses Buch trat seinerzeit ausdrücklich »nicht vornehmlich an den Fachge• nossen«, sondern an jeden deutschen Volksgenossen heran, freilich zugleich mit dem Anspruch auf »alle wissenschaftliche Gründlichkeit.« Diese wird niemand dem Buch abstreiten, aber sie besteht doch ersichtlich in der Verwer• tung der wissenschaftlichen vorhandenen Ergebnis zu einem neuen gegen• wartsbezogenen politischen Bild. Eigentliche neue Forschung hegt ihm nicht zugrunde. (...) Mir scheint darnach dieses Buch gewiß ein gutes Zeugnis für Bogners allgemeine Einstellung zur griechischen Antike, aber kein rechtes Zeugnis für seine fachwissenschaftliche Bedeutung, die Methode seiner For• schung und die Art seiner wissenschaftlichen Fragestellung. (...) Die Frage, ob Bogner etwa durch einen besonderen Lehrerfolg sich für ein Ordinariat

S. 2. Der Beitrag steht unter dem Motto »Was war, wissen wir, was sein wird, können wir wollen«. 120 In der Freiburger Studenzeittmg, 3. Dezember 1935, Nr. 3, S. 3, werden die Themen des »Reichsberufswettkampfes für die KulturwissenschaHiche Fachschaft« aufgelistet; darunter findet sich das Thema »Die Judenfrage im Altertum«. »Diese Arbeitsgemein• schaft will die in der Überschrift angedeutete, sehr umfangreiche und weitschichtige Frage in einer ganz bestimmten Art und Weise in Angriff nehmen. Als Ausgangspunkt dient ein großer Artikel über Antisemitismus im Altertum, der in einem der verbreite• sten und maßgebendsten Nachschlagewerk der Altertumswissenschaft erschienen ist. Sein Verfasser ist nicht nur ein Jude, sondern steht auch mit Überzeugung auf dem Boden des Judentums. Es wird also unsere Aufgabe sein, an der Hand dieser Darstellung auf die Quellen zurückzugreifen, uns aus ihnen ein eigenes Bild der Frage zu bilden und dieses Bild der Darstellung eines jüdischen Gelehrten gegenüberzustellen. (...)«. Der hier abgelehnte Gelehrte ist Isaac Heinemann, Verfasser des 1931 erschienenen Artikels »Antisemitismus« in >Paulys Realencydopädie der Ckssisehen Altertumswissenschaft (SupplM V, 1931, Sp. 3-43). Zum Reichsberufiwettkampf s. Michael H. Kater, The Reich Vocational Contest and Stadents of Higher Learning in Nazi Germany, in: Central European History 7, 1974, 225-261; Michael Grüttnes Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995, 331-341. Oppermanns Aufsatz in der Historischen Zeitschrift über »Volk, Geschichte, Dichtung« (s. oben Anm. 18) ist in einer Arbeitsgemeinschaft für den »Berufswettkampf« entstanden. m StAF C25/2,61.

338 Klassische Philologie auch abgesehen von den Publikationen ausgezeichnet habe, muß man ehr• licherweise verneinen. Im Dezember 1935 eröffnete sich die vage Möglichkeit einer Beru• fung Bogners nach Rostock, doch Dragendorff hielt der Versuchung stand, den Kandidaten zu diesem Zweck übermäßig zu loben.122 Am Ende von Bogners erstem Semester erhält das Rektorat aus Karlsruhe die Aufforderung, über Bogners Erfolge in Freiburg zu berichten; diese Gelegenheit wurde benutzt, um am 11. Februar 1936 noch ein• mal die jetzt drohende formale Berufung Bogners zu verhindern:123

Mündlicher Weisung gemäß lege ich den Bericht des Leiters der Studenten• schaft124 und ein bei Professor Dr. Stroux in München erhobenes Gutachten über die dozentischen Fähigkeiten des Dozenten Dr. Bogner vor. Nach diesen Berichten bin ich nicht in der Lage, mich für & Übertragung des Lehrstuhls für klassische Philologie an den Dozenten Dr. Bogner auszusprechen. Ich bitte daher im Einvernehmen mit dem Dekan der Philosophischen Fakultät, den in der Freiburger liste genannten Professor Dr. Snell zu berufen oder die Fakul• tät aufzufordern, ihre Liste zu ergänzen. Die Fakultät kann, wie der Dekan mitgeteilt hat, noch zwei Dozenten nennen, die sie dem Dozenten Dr. Bogner vorzieht. Alle Bemühungen, Bogner zu verhindern, blieben vergeblich. Bacher schrieb aus Berlin:123

»Die vorgelegten Gutachten der Studentenschaft der Univ. Freib. und des or• dentlichen Professors Dr. Stroux bieten mir keinen ausreichenden Grund, der ablehnenden Stellungnahme des Rektors Prof. Dr. Kern beizupflichten, zu• mal mir von anderer wissenschaftlicher Seite eine durchaus günstige Beur• teilung Bogners vorliegt, so da£ ich an seiner Berufung für Freiburg festhalte. (Weitere Vertretung im SS 1936).«

m Am 27.12.1935 schreibt er an den Rektor von Rostock: »Einen der Universität Ro• stock dienlichen Bericht über den Dozent DE Bogner zu geben, bin ich kaum in der Lage. Wir haben es vor anderthalb Jahren und erneut im August 1935 abgelehnt, Herrn Bo• gner auf unsere Vorschlagsliste für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Klassische Philologie zu setzen. Herr Bogner versieht im Auftrag des Herrn Rdchsministers den Lehrstuhl vertretungsweise für dieses WS. Ich suche mir z. Zt. ein abschliessendes Ur• teil über ihn zu bilden, was mir in den wenigen Wochen seiner bisherigen hiesigen Tätigkeit noch nicht möglich war, da die Urteile anderer über ihn, auch aus dem Kreise seiner Zuhöre»; stark auseinandergehen. Persönlich tritt er nicht hervor« (UAFB3/317). 123 StAF C25/2, 61. 124 S. unten Anm. 128. 125 StAF C25/2,61.

339 Jürgen Malta

Bogners Verankerung in Freiburg war jetzt nicht weiter aufzuhal• ten.126 Im Juli 1936 wird die unbefristete Verlängerung der Vertre• tung, bis auf Widerruf, ausgesprochen. Im August beantragt Bogner, der immer noch in Gauting bei München wohnte, die Umzügskosten: »Ich muss annehmen, dass meine dauernde Verwendung in Freiburg beabsichtigt ist.« Anfang September 1936 schließlich erhält er den Ruf nach Freiburg:127

Sehr geehrter Herr Doktor! Mit Ermächtigung des Herrn Referenten im Reichserziehirngsininisterium beehre ich mich im Auftrage meines Herrn Ministers Ihnen den von Ihnen bisher vertretungsweise versehenen Lehr• stuhl für klassische Philologie an der Univ. Freiburg zum Wintersemester 1936/37 anzubieten. Bogner wa^ anders als Oppermann, ein ausgesprochen schlechter akademischer Lehrer; noch die wohlwollenden »Kameraden« der Fachschaft hatten Schwierigkeiten, etwas Günstiges zu sagen.128 Ne• ben den konventionellen, schwach besuchten Lehrveranstaltungen kündigte er zusammen mit Aly und Oppermann auch »aktuelle« Themen an, die allerdings noch schwächer besucht waren.129 Wichti-

126 Am 12.6.1936 bildete die Fakultät unter Dekan Oppermann eine Kommission zur Begutachtung von Bogners bisheriger Lehrtätigkeit; Mitglieder waren neben dem De• kan noch Dragendorff, Heidegger, Hoops und Kolbe. (Protokollbuch der philos. Fakultät UAFB3/798). 127 Brief Fehries vom 3.9.1936 (StAF C25/2,61). 128 Der Leiter der Freiburger Studentenschaft schreibt am 15.1.1935: »Von der Seite seiner Schüler wird die wissenschaftliche Leistung voll anerkannt, die in der allwöchent• lichen Arbeitsbesprechung des gesamten Philologischen Seminars zu Tage tritt. Dage• gen sind die Studenten mit seinem Seminar und vor allem mit seinen Vorlesungen nicht zufrieden. Beides sei sehr trocken und böte ihnen wenig Neues. Jedoch versteht es Dr. Bogner, wissenschafthch exakt zu arbeiten und diese Tatsache wird auch allgemein be• stätigt« (StAF C25/2, 61). In München war es vorher nicht anders: »Bogner ist sehr zuverlässig und gewissenhaft, steht wissenschaftlich durchaus auf der Höhe, ist aber leider pädagogisch etwas ungeschickt und unbeholfen, sodass er bedauerlicher Weise auf die Hörer wenig beeindruckend wirkt. Eine persönliche Fühlungnahme mit ihm ist infolge seiner Veranlagung sehr schwer, aber doch nicht unmöglich.« (Brief des Leiters der Kulturwissenschaftlichen Fachschaft der Universität München an die Studenten• schaft der Universität Freiburg vom 7.1.1936; UAF B24/343). ,2' Hellas, Rom, Deutschland (gemeinsame Besprechung von Neuerscheinungen, pr., gr. Fr. 20-22 (verlegbar). Aly, Bogner, Oppermann (WS 1938/39): in der Quästurakte Alys (UAF B17/726) ist ein einziger Teifaehrner verzeichnet, bei Oppermann (UAF B17/711) zwei Teilnehmer; Arbeitsgemeinschaft: Richard Wagner und die griechische Tragödie (Ring des Nibelungen, Prometheus-Trilogie. Aly, Bogner, Oppermann. (SS 1939); die Arbeitsgemeinschaft: Richard Wagner und die griechische Tragödie. Aly, Bogner, Opper• mann. (WS 1939/40) ist wegen der Schließung der Universität bis Weihnachten 1939

340 Klassische Philologj«

ger als solche Veranstaltungen waren die Auftritte Bogners außer• halb der Universität. Bogner ist wie wenige andere Altertumswissen• schaftler ein Beispiel für die Instrumentalisierung der Forschung für die antisemitische Politik des Dritten Reiches. Bogner entsprach durchaus den Erwartungen, die die Partei hatte. Er ist einer der ganz wenigen Altertumswissenschaftler, der in seinen Publikationen sei• nen Antisemitismus ganz offen zeigt. Im November 1936 - also nach Bogners Berufung - fand die erste Tagung von Walter Franks neuem »Reichsinstitut zur Erforschung der Judenfrage« statt.130 Frank brauchte für diese erste Tagung unbedingt auch Beiträge für die Epo• che des Altertums. Die antisemitische Erforschung der Antike war in diesen Jahren eher die Domäne der Theologie, wobei Gerhard Kittel aus Tübingen an erster Stelle zu nennen ist.131 Für die »Alte Ge• schichte« im engeren Sinne durfte der Klassische Philologe Bogner sprechen, für Walter Frank ja ohnehin einer der wenigen, die die neue Zeit »begriffen« hatten. Akademisch vertiefter Antisemitismus war für Bogner selbstverständlich. Was er in seinem Vortrag über »Die Judenfrage in der griechisch-römischen Welt« inhaltlich bringt, ist wissenschaftlich belanglos, aber bedrohlich eben durch den politi• schen Zusammenhang, in dem er sein Thema abarbeitet.132 Die ras• sistische Betrachtung der Alten Geschichte ist damals keine Speziali• tät Bogners; was ihn allerdings von anderen Autoren unterscheidet, ist die stärkere Einbindung in einen konkreten politischen Zusam• menhang. Wir lesen schwülstige Formulierungen von der Möglich• keit gerade der »nordischen« Deutschen, die ebenfalls »nordische« griechisch-römische Antike auch in tieferen Fragen zu verstehen, die sich dem strengen Beweis entziehen.133 Die Juden sind die ganz

offenbar ausgefallen. Alys Übung über »Rassenkunde der Griechen und Römer« im WS 1935/36 hatte immerhin 15 Teilnehmer (UAF B17/726). m Vgl. dazu Patricia von Papen, »Scholarly« antisemitism during the Third Reich. The Reichsirtstitut's research on the »Jewish question«, 1935-1945, Columbia Univ. Ph. D. 1999. 131 Vgl. Leonore Siegele-Wenschkewitz, Protestantische Universitätstheologie und Ras• senideologie in der Zeit des Nationalsozialismus. Gerhard Kittels Vortrag »Die Entste• hung des Judentums und die Entstehung der Judenfrage« von 1936, in: Günter Brakel• mann (Hrsg.), Antisemitismus, Göttingen 1989,52-75. 132 Die Judenfrage in der griechisch-römischen Welt, in: Forschungen zur Judenfrage. Band 1. Sitzungsberichte der Ersten Arbeitstagung der Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands vom 19. bis 21. November 1936, Hamburg (Hanseatische Verlagsanstalt) 1937,81-91. 133 Ebd., 83.

341 Jörgan Malta anderen, die Artfremden, die sich der HeUenisierung entziehen. Be• sonders schwierig sind die Diasporajuden, die »eine tiefere Bindung an ihr Wirtsvolk nicht kannten und nur die Wahrung ihrer Sonder• interessen im Auge hatten«.134 Liberalität erweist sich als sinnlos: »Je toleranter man die Juden behandelte, desto intoleranter zeigten sie sich selbst«.138 In den Oracula Sibyllina rindet Bogner »jüdische Haß- und Rachgefühle, Träume von Weltherrschaft und fast kom• munistisch gefärbte Zukunftsbilder«.136 Was heute bloß unange• nehm zu lesen ist, hatte im Jahre 1936 ein ganz anderes Gewicht: Die Nürnberger Gesetze waren gerade vor einem Jahr in Kraft ge• setzt worden. Bogner schließt mit einem Blick in die deutsche Gegen• wart: »Wir sprachen von der Auseinandersetzung hellenischen und jüdischen Geistes in grauer Vergangenheit; aber ist sie nicht noch Gegenwart?«137 Die Krönung von Oppermanns Freiburger Tätigkeit war die Er• nennung zum Dekan der Philosophischen Fakultät als Nachfolger Dragendorffs mit Schreiben vom 27. Mai 1936.138 Hier hat er, nach dem Zeugnis Gerhard Ritters, in eindeutiger Weise als Vertreter der Partei zu wirken versucht.139 Ideologisch machte er aus seiner Ge• folgschaft für Alfred Rosenberg kein Geheimnis.140 Eine der ersten Aufgaben Oppermanns wurde wohl der Schriftwechsel um die end• gültige Berufung Bogners.141 Als der politisch sehr »aktive« Archäo-

134 Ebd., 86. 135 Ebd., 87. 134 Ebd., 89. 137 Ebd., 91. 138 Vgl.UAFB3/1642. l3* Siehe SeWstzeugnis 3 in diesem Band, S. 777 f. 140 Oppermann zitiert Rosenberg wohlwollend in seinen Beiträgen für die »Freiburger Studentenzeitung«. Mit einiger Sicherheit dürfte er am 16.10.1937 unter den nach offiziellen Angaben 50.000 (1) Hörem der Rede Alfred Rosenbergs auf dem Münster• platz in Freiburg gewesen sein; vgl. dazu Hugo Ott, Alfred Rosenbergs Großkund• gebung auf dem Freiburger Münsterplatz am 16. Oktober 1937, in: Freiburger Diöze- san-Archiv 107, 1987, 303-319. Bis zum Ende gehörte er der - in ihrer genauen Zusammensetzung m.W. nicht bekannten - »Reichslehrgemeinschaft Rosenberg« an (vgl. Malitz, wie Ann». 36), 538 Anm. 117. M1 In einem gutachtlichen Schreiben an den Rektor vom 29.6.1936 ist er durchaus zurückhaltend: »{...) Der Kleisthenes-Aufsatz erklärt anregend die attisehe Tragödie als Ausdruck innerer Spannungen des attischen Staates und Volkes und bringt kurze Interpretationen einzelner Tragödien. Zur Frage des Bildungswertes des griechisch-rö• mischen Altertums im heutigen Deutschland hat B. in dem Vortrag »Die Bedeutung der Antike im nationalsozialistischen Geschichtsunterricht« Stellung genommen, der eine

342 Klassisch« PhiWogia löge Werner Teehnau im Zusammenhang seiner Bewerbung tun den archäologischen Lehrstuhl in Würzburg durch eine ungeschickte Äußerung über Dragendorff in große persönliche Schwierigkeiten geriet, tat Oppermann sein Bestes, um Teehnau, der ihm aus der Arbeit in der »Kulturwissenschafthchen Fachschaft« bekannt war, zu helfen.142 Ein Beispiel für seine bewußte Förderung des partei• nahen Nachwuchses ist die Einstellung von Robert Böhme als Assi• stenten, der sich bereits in Heidelberg als Nationalsozialist profiliert hatte; vor seiner Einstellung in Freiburg war er einige Zeit im hauptamtlichen Dienst der SS in Stuttgart und in Leipzig.143 Opper-

Reihe neuer, selbständiger und durchdachter Gesichtspunkte bietet. Umfangreicher ist der Teil der Produktion Bogners, der sich an ein breiteres Publikum wendet. Hier stehen im Vordergrunde die beiden Bücher »Die Bildung der politischen Elite« (Oldenburg 1932) und »Die verwirklichte Demokratie« (Hamburg 1930). Ersteres nimmt nur am Rande zu Fragen des Altertums Stellung, zeigt aber Bogners weite Bildung, vor allem eine gute Kenntnis der deutschen Philosophie, Geistesgeschichte und politischen Ent• wicklung. Das Demokratie-Buch, bisher Bogners umfangreichste Leistung, ist von der wissenschaftlichen Kritik zum größten Teil angefochten worden. Es will nicht eine wis• senschaftliche historische Darstellung im objektivistischen (sie) Sinne sein, sondern am Beispiel Athens Wesenszuge der Demokratie aufzeigen und so dem politischen Kampf des Tages dienen. Um das zu erreichen, hat B. eine Reihe von Konstruktionen, Verein• fachungen und Gleichsetzungen vorgenommen, die strenger wissenschaftlicher Kritik nicht immer standhalten. Doch zeigt sich hier ein für B. charakteristisches Streben, seine Wissenschaft zu unmittelbarer lebendiger Wirkung zu bringen, ein Versuch, der um so mehr Achtung verdient, als er in einer Zeit unternommen wurde, die der politischen Tendenz des Buches durchaus feindlich gegenüberstand. (...) Bogners Lehrtätigkeit in Freiburg war im ersten Semester nicht erfolgreich. (...) Zugleich hat sich die Situation seit den Berufungsvorschlägen der Fakultät im Sommer 1934 völlig verändert. Nach Ablehnung der damaligen Vorschläge ist die Fakultät nicht in der Lage, andere positive Vorschläge zu machen. Unter diesen Umständen hält sie ihren Widerstand gegen eine Berufung Bogners nicht mehr aufrecht« (UAF Bl/1257). 142 Vgl. UAF B3/738 (Personalakte Werner Teehnau). Oppermann nutzte seine persön• lichen Kontakte zu dem Würzburger Dekan, dem immer noch in Freiburg wohnenden Anglisten Rudolf Kapp, um Teehnau zu helfen, der Dragendorff als »Ur- und Ehren- greis« bezeichnet hatte. Zu Kapp s. den Beitrag von Hausmann (insbes. Anm. 9) in diesem Band; zur Angelegenheit auch den Beitrag Wirbelauer (insbes. Anm. 62) in die• sem Band. 143 Oppermann stellte am 27.1.1936 den Antrag, nach dem Auslaufen des Vertrages von Franz Doli zum 31.3.1936 Robert Böhme einzustellen (vgl. UAF B24/322). Gebo• ren am 13.2.1911, wurde Böhme im November 1934 an der Universität Heidelberg promoviert. Dort war er einer der studentischen Aktivisten bei den Klassischen Philolo• gen und Leiter der Fachschaft; Böhme war damit aktiv in einer Zeit, in der Hermann Gundert erhebliche Schwierigkeiten mit politischen Stellen hatte (s. dazu Anm. 198). »Ende Februar 1933 trat ich in die Partei und Ende April 1933 in die SA ein. Bis Mai 1935 war ich auch als Amtsleiter in Studentenschaft und Studentenbund tätig. Seitdem

343 Jürgen Malta

manns parteiamtliche Tätigkeit in der Öffentlichkeit kam niemals zu kurz. In seine Dekanatezeit, in der er gelegentlich auch in SA- Uniform auftrat,1** fallen sehr »programmatische« Vorträge über Erasmus,1*5 über Horaz,1*6 über die neuesten Reformen des Schul•

stehe ich hauptamtlich im Dienst der SS und zwar zuerst in Stuttgart, bis ich im No• vember 1935 nach Leipzig versetzt wurde. Ende März 1936 scheide ich aus dem haupt• amtlichen Dienst aus.« Gustav Adolf Scheel schreibt in einem Gutachten vom März 1936: »Böhme war der einzige, unter den Studenten der Altphilologie an der Universität Heidelberg, von dem man sagen kann, daß er auch wirklich ernsthaft bemüht war, die Belange des National• sozialismus auch auf diesem Gebiet zu vertreten. Etwas nachteilig wirkte allerdings hierbei seine fast sture Einstellung zu Stephan George, die ihn des öfteren in etwas schwierige Situationen bringen mußte. Ob Böhme sich für eine spätere Dozentenlauf- bahn eignet, müßte er deshalb im Verlaufe seiner Assistentenzeit beweisen« (General• landesarchiv Karlsruhe 235-7837). Oppermann begründet Böhmes Einstellung als As• sistent mit folgenden Worten: »Böhmes Dissertation über die Bedeutung des Prooimion in der älteren griechischen Epik zeigt, daß Herr Böhme ernstlich und mit großem Erfolg bemüht ist, die bildenden Werte der Antike für den heutigen Deutschen herauszuarbei• ten. Dieser Charakter der Arbeit hat auch zur Folge gehabt, daß sie zum Abdruck in der von der Deutschen Studentenschaft herausgegebenen Reihe »Front junge Wissen• schaft« angenommen ist, wo sie im Laufe des Jahres 1936 erscheinen soll« (erschienen: Das Prooimion, eine Form sakraler Dichtung der Griechen, Bühl 1937). Böhme hielt schwach besuchte Lehrveranstaltuiigen ab (vgl. die Quästurakte UAF B17/ 771) und ließ sich dann für einen Studienaufenthalt in Griechenland beurlauben. Ein bezeichnendes Ergebnis seiner dortigen Studien ist der von rassistischen Vorstellungen geprägte Bericht über das Griechenland der Gegenwart, den er am 14.11.1939 beim Rektorat einreichte: »Da ihm Jedes menschliche Ranggefühl fehlt, ist der Grieche von Natur Demokrat« (StAF C25/8, 39). Am 6.6.1940 findet sein Habilitationskolloquium statt. Thema der sonst nicht bekannten Habilitationsschrift war die »aischyleische Tra• gödie« (vgl. das Protokollbuch der Philosophischen Fakultät zum 3.6.1940; UAF B3/ 798). Bogner hatte ihn als Habilitand ausdrückhch empfohlen: »Hierbei ist auch seine politische Zuverlässigkeit und Aufgeschlossenheit hervorzuheben.« Am 5.5.1943 wur• de er zum Dozenten an der Universität Wien ernannt (vgl. Gnomon 19,1943, 224). Im Dezember 1949 kehrte er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück und versuchte vom südbadischen Rändern aus, eine Wiederverwendung an der Universität Freiburg zu erreichen. Der Dekan der philos. Fakultät schrieb am 25.8.1953 einen ungewöhnlich deutlichen Brief zu diesem Thema: »Die Fakultät wünscht dringend, in keine neuen Beziehungen irgendwelcher Art zu ihm zu treten« (UAF B24/322). Böhme starb am 31.12.1997 (Gnomon 70,1998,286). 144 Vgl. den Hinweis im Beitrag Grün in diesem Band. 145 Erasmus der Humanist. Zum Gedenktag und zu den Feiern, in: Freiburger Studen• tenzeitung, 15. Mai 1935, Nr. 3, S. 3. 144 Dichtung und Volk. Zum 2000. Geburtstag des Römers Horaz, in: Freiburger Stu• dentenzeitung, 9. Dezember 1936, Nr. 3, S. 3.

344 Klassisch« Philologie

wesens,10 über die »weltanschauliche Ausrichtung der Geistes• wissenschaften«148 und über Arminius.149 Im Sommer 1936 war er Redner auf dem »Schulungskurs der Fachschaft Alte Sprachen des NSLB Gau Baden«.150 Die Arbeit mit der Kulturwissenschaftlichen Fachschaft hat damals wohl Aly übernehmen dürfen, der im Som• mersemester 1936 eine schwülstige Rede auf dem »Kameradschafts- abend« der Fachschaft hielt, die dann in der »Freiburger Studenten• zeitung« abgedruckt wurde.151 Oppermanns Dekanat endete vorzeitig am 24. September 1937 durch eine schriftliche Erklärung des Rektors Metz; Auslöser dieser für Oppermann sicher völlig unerwarteten Entwicklung war ein Streit über die Besetzung des musikwissenschaftlichen Lehrstuhls, in der Oppermann, anders als Metz, die Universität nicht als »Uni• versität des alemannischen Raumes«, sondern als »Grenzuniver• sität« mit »gesamtdeutschen Interessen« gestalten wollte.152 Opper• manns politisches Engagement war dadurch aber nicht abgekühlt. Für den Reichsparteitag vom September 1938 half er bei der Vor-

147 Neuordnung des höheren Schulwesens, in: Freiburger Studentenzeitung, 15. Januar 1937, Nr. 5, S. 1. 148 Am 4.2.1937 berichtete »Der Alemanne. Kampfblatt der Nationalsozialisten Ober• badens« über einen Vortrag Oppermanns mit dem Titel »Weltanschauliche Ausrichtung der Geisteswissenschaften, aufgezeigt an der Philologie« (Abendausgabe, S. 3): »Profes• sor Oppermann forderte also auch für die Wissenschaft vom Altertran eine Ausrichtung nach den Grundlehren der Rassenfcunde. Diese aber wollt« er nicht im rein naturwis• senschaftlichen Sinne verstanden wissen: Es genügt nicht, allein nach der leiblichen Existenz der Griechen und Römer zu fragen und damit die organisch natürlichen Bin• dungen festzustellen, die uns mit den klassischen Völkern verknüpfen. Ihre nordische Substanz muß vielmehr auch in ihrem Charakter, in ihrem geschichtlichen Handeln und Reden gezeigt werden können. Damit aber wird ein Volk, aus der Vergangenheit kom• mend und in die Zukunft weisend, als eine geschichtliche Gröfie begriffen: und eben diese Spannung von rassisch blutmäßiger Nähe und geschichtlichem Abstand macht unser Verhältnis zur alten Welt immer wieder so fruchtbar und reich. Hier kann vor allem die Beschäftigung mit römischer Dichtung und Geschichte echte politische Kräfte in uns wecken: die Gestalt des Aeneas, wie Vergil sie vor uns hinstellt, verkörpert den politisch Handelnden in seiner Bindung an Vergangenheit und Zukunft, als einen Hüter der Gemeinschaft seines Volkes; und das Bewußtsein dieser Bindungen ist in allen Äu• ßerungen des echten römischen Geistes lebendig.« !45 »Arrninfus«, in: Freiburger Studentenzeitung, 25. Mai 1937, Nr. 2, S. 3. m Vgl. den entsprechenden Urlaubsantrag {UAF B3/1642). 151 »Ein Lagerl Pg. Aly spricht zu den Kulturwissenschaftlern«, in: Freiburger Studen• tenzeitung, 4. Juni 1936, Nr. 4, S. 2. 152 Vgl. den Brief von Rektor Friedrich Metz vom 24.3.1937 an Oppermann (UAF Bl/ 3684); ich danke Bernd Grün für diesen Hinweis.

345 Jürgen Malta

bereitung der Ausstellung »Europas Schidbalakampf im Osten« mit.153 In diesen Jahren beteiligte er sich auch an der Umgestaltung der Lehrpläne und hatte dadurch direkten Kontakt mit Minister Rust.154 Oppermaims ideologischer Ehrgeiz war in diesen Jahren of• fensichtlich ungebremst. Sobald er von der Möglichkeit gehört hatte, daß vielleicht an der neuen Universität Posen ein Lehrstuhl für Klas• sische Philologie eingerichtet würde, wandte er sich an Minister Rust mit einem Bewerbungsschreiben, das allerdings sehr unverbindhch behandelt wurde,155 An dem von Helmut Berve organisierten »Kriegsemsatz der Altertumswissenschaften« nahmen Oppermann

153 Das »Amt Schrifttumspflege« forderte ihn zur Mitarbeit bei den wissenschaftlichen Vorarbeiten für die Abteilung »Rom« der unter diesem Motto geplanten Ausstellung auf {vgl. den Brief vom 8.8.1938, UAF B3/1642). Die Ausstellung wurde dann in einem Buch dokumentiert: Europa und der Osten, hrsg. von Reichsamtsleiter Hans Hagemey• er und Reichsamtsleiter Dr. Georg Leibbrant, München (Hoheneichen-Verlag). Opper- manns Name wird nicht genannt, doch ist seine Urheberschaft mindestens der Ab• schnitte zur römischen Geschichte (43-71) ganz offensichtlich; das Werk huldigt dem Kult der »wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit«; vgl. das Vorwort, S. X. 154 Vgl. »Neuordnung des höheren Schulwesens«, in: Freiburger Studentenzeitung, 15. Januar 1937, Nr. 5, S. 1; »Neuordnung des höheren Schulwesens und Altertumswis• senschaft«, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 13,1937,263-273. Minister Rust: s. die folgende Anm. 155 »Sehr verehrter Herr Rdchsininister! Im Januar 1938 hatte ich die Ehre, Ihnen an• läßlich der Abfassung der neuen Uhrpläne für die höheren Schulen einige Gedanken über den Unterricht in Latein vortragen zu dürfen. Das gütige Interesse, das Sie damals meinen Ausführungen schenken, ermutigt mich zu einer persönlichen Bitte. Ich bin, wie Sie wissen, Professor für klassische Philologie, in der Hauptsache Lateinisch, an der Universität Freiburg/Br. Immer wieder höre ich nun, daß die Absicht besteht, im Gene• ralgouvernement eine deutsche Universität zu errichten. Ich kann mir keine schönere Aufgabe denken, als an einer solchen zu wirken. Aber auch eine andere, meiner Aus• bildung oder meinen Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, etwa in der Unterrichtsver• waltung des Generalgouvernements od. ähnl., würde meinen Wünschen entsprechen, die nur das Ziel haben, an einen Posten gestellt zu werden, der größere Leistungen verlangt und verantwortungsvollere Aufgaben stellt, als es bei einem normalen Lehr• stuhl der Fall ist. Einige mir bekannt gewordene Fälle veranlassen mich auch, ausdrück• lich darauf hinzuweisen, daß ich nicht daran denke, durch eine solche Meldung eine u. k. Stellung zu erreichen. Ich mochte bis zum Siege bei der Truppe und an der Front sein. Aber ich befürchte, wenn ich mit meiner Meldung warte, zu spät zu kommen und eine Möglichkeit zu versäumen, mich mit allen Kräften an einer besonderen Aufgabe für dem Führer und das nationalsozialistische Deutschland einzusetzen. Ich habe deshalb ein entsprechendes Gesuch an das Generalgouvernement Krakau, Abteilung Erziehung und Unterricht, gerichtet. Wenn Sie, sehr verehrter Herr Reichsminister, dieses Gesuch unterstützen oder mir einen anderen Weg zur Erreichung meines Zieles weisen könn• ten, wäre ich Ihnen zu tiefem Danke verpflichtet. Heil Hitler! Dir sehr ergebener H. O. (Brief vom 7.4.1940, Bundesarchiv Koblenz).

346 Klassische PMWogte

und Bogner selbstverständlich teil, mit den von ihnen zu erwarten• den Beiträgen über die griechische Tragödie und Horaz.15* Bogner fiel es offensichtlich schwer, neben seinem energischen Kollegen ein eigenes Profil zu gewinnen; er hatte jedenfalls seine Rolle als Mitstreiter Walter Franks, der ihn in seiner Eigenschaft als »Althistoriker« im November 1937 in den Beirat seines Reichsinsti• tuts aufgenommen hatte.157 Schon im Juli 1937 durfte Bogner auf dem Erfurter Historikertag im Auftrag Franks über »Thukydides und das Wesen der altgriechischen Geschichtsschreibung« referie• ren.158 1938 nahm er als »Beobachter« am 8. Internationalen Histo• rikerkongreß in Zürich teil.159 Für ein Dekanat kam er aufgrund sei-

154 Hans Bogner Die Bedeutung des Chors in der Tragödie des Aischylos, in: Das Neue Bild der Antike, Leipzig 1942, Bd. 1,172-193; Hans Oppermann, Horaz. Dichtung und Staat, ebd. Bd. IL 265-295. Bogner sollte (übrigens zusammen mit Pflster) noch 1943 im Rahmen des indogermanistischen »Kriegseinsatz« für den Band »Lebensmächte und Wesen des Indogermanentums« als Beiträger gewonnen werden; vgl. dazu Horst Jung• inger. Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft. Das Fach Religions• geschichte an der Universität Tübingen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reiches, Stuttgart 1999,236 Anm. 12. 157 Vgl. Heiber (s. Anm. 72), 605. Im Jahre 1938 bat Frank ihn, bei der Beerdigung Ludwig Schemanns zu sprechen, einem damals sehr bekannten »Anthropologen« und »Rasseforscher«. Bei den offiziellen Trauerfeiern für den Freiburger Ehrenbürger wird Bogner nur als Teilnehmer genannt (UAF Bl/4734). Im Nachruf Walter Franks auf Schemann, den »wahrhaft universalen Geist«, wird Bogners »ehrender Nachruf« am Grab des »völkischen Kämpfers« zitiert (vgl. Historische Zeitschrift 158,1938,217f.). 158 Thukydides und das Wesen der altgriechischen Ge«ehichtsschreibung, Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt (Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands) (28 S.). Walter Frank versah die gedruckte Fassung mit einem schwung• vollen Vorwort: »Das Streben, aus einer streng wissenschaftlichen Erkenntnis der anti• ken Geschichte auch politische Einsicht für unsere Zeit zu gewinnen, hat Hans Bogner bereits meisterhaft verwirklicht, als er uns im Jahre 1930 in seinem Buch über »Die verwirklichte Demokratie* die »Lehren der Antike« deutlich machte. Die auf dem Er• furter Historikertag gehaltene Rede über Thukydides ist ein neuer wertvoller Beitrag zu solcher Art lebendiger Forschung.« Bogner hatte mit seinem Vortrag keinen besonderen Erfolg; vgl. Peter Schumann, Die deutschen Historikertage von 1893 bis 1937. Die Ge• schichte einer fachhistorischen Institution im Spiegel der Presse, phil. Diss. Marburg 1974,419 f. 155 Vgl. seinen kurzen Bericht »8. Internationaler Kongreß für Gesdhichtswissenschaft, Zürich, 28. August bis 3. September 1938, in: Kho 31, 1938, 444£; in einem schrift• lichen Bericht an Walter Frank denunzierte er Gerhard Ritters Kritik an einem Luther- Vortrag Otto Scheels als »besonders perfid«; Heiber (s. Anm. 72), 554. Zum Zusammen• hang s. auch Klaus Schwabe, Geschichtswissenschaft als Oppositicaiswissenschaft im Natioiialsozialistischen Deutschland. Gerhard Ritter und das »Reichsinstitut für Ge• schichte des Neuen Deutschland«, in: Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003,82-95.

347 Jürgen Malta ner Persönlichkeit wohl auch nach dem Urteil wohlwollender Be• trachter nie in Frage. Trotz aller Vorbehalte, die man gegen ihn hatte, stellte die Fakultät allerdings am 22. Februar 1940 den Antrag, Bo- gners Position aufzuwerten.160 Noch im Sommer 1940 wurde Opper- mann, der damals zur Wehrmacht eingezogen worden war, von der Sorge umgetrieben, daß dadurch seine Stelle im Vergleich zur Posi• tion Bogners abgewertet werden könne.161 Ein gemeinsames Freibur• ger Unternehmen der beiden wurde die Konzeption der Reihe »Hel• lenen und Römer in deutscher Gegenwart und Zukunft«.162

160 »Da Professor Bogner sich in den vergangenen 6 Semestern als eindringlicher und gründlicher Lehrer seines Fachs erwiesen hat, zugleich seit langem als Forscher bewährt ist, bittet die Fakultät hiermit, ihn zum planm. Inhaber der Professur zu machen.« Der Antrag ist von Dekan Schnchhardt unterschrieben (UAF B24/343). 141 Aus einem in Frankreich geschriebenen Brief vom 2.6.1940: »Ich bin nicht nur der dienstältere, ich glaube auch, daß ich in wissenschaftlichen und unterrichtlichen Lei• stungen den Vergleich mit Kollegen, die etwa gleichzeitig mit mir a. o. wurden und schon seit 1 Jahre o. Prof. sind, z.B. Barck in Kiel, nicht zu scheuen brauche. Aber ich will nicht von mir reden. Im Interesse meines Lehrstuhls und meines Faches - die Be• deutung des Latein ist durch die Reform des höheren Schulwesens noch gestiegen - muß ich darauf bestehen, daß Fach und Lehrstuhl nicht schlechter behandelt werden als die nächststehenden Fächer. Eine Nichtberücksichtigung wäre eine unerträgliche Zurück• setzung meines Faches.« (UAF B24/343) 162 Als erster Band dieser neuen Reihe erschien die Studie von Erdmann Struck, Bedeu• tungslehre. Grundzüge einer lateinischen und griechischen Semasiologie, Berlin 1940. Im Vorwort wird Bruno Snell als wichtigster Förderer der Arbeit genannt. »Herr Prof. Dr. Oppermann hat zeitweise die Korrekturbogen in einer Feuerstellung des Westwalls gelesen«. Die zu Beginn der Arbeit vorgestellte Konzeption der Reihe steht in einem eigentümlichen Mißverhältnis zum rein sprachwissenschaftlichen Charakter von Strucks Studie: »Herausgeber und Verfasser sind von der Überzeugung geleitet, daß die Auffassung des klassischen Altertums, die von der fragwürdigen und in ihren Vor• aussetzungen überholten Ideologie des dritten Humanismus bestimmt war, im erneuer• ten Deutschland keine Daseinsberechtigung mehr hat, daß aber die wirklichen Griechen und Römer wegen ihrer rassischen Anlage, ihres geschichtlichen Schicksals und ihrer politischen und kulturellen Leistungen wie dazu bestimmt und geschaffen sind, im na• tionalsozialistischen Reich ein unersetzliches tragendes Element der Jugendbildung und des geistigen Lebens der Nation darzustellen. Das geschichtliche Erleben der Gegenwart macht sie uns in ihrem inneren Wesen erst verständlich, und umgekehrt erleichtern sie uns den Zugang zu unseren eigenen unentstellten Ursprüngen und Grundlagen.«

348 Klassisch« Philologie

Iii.

Ende Januar 1941 wurden die beiden an die »Reichsuniversität Straß• burg« berufen.163 Aus dem erhaltenen Schriftwechsel wird deutlich, wie froh die Fakultät war, Hans Bogner loszuwerden - er machte auch aus seiner Enttäuschung kein Hehl, daß in Freiburg niemand auf die Idee gekommen war, ihn zu fragen, ob er nicht vielleicht doch bleiben wolle.164 Der Abschied von Oppermann liest sich in den er• haltenen Akten etwas herzlicher. In der damals »günstigen« Kriegs• lage war ja nicht ausschließen, daß Straßburg einmal wichtiger werden könne als Freiburg.165 Die führenden Mitglieder der Fakultät, an ihrer Spitze Schuch- hardt als Dekan, waren sich einig, daß sich eine Berufung von Män• nern wie Bogner und Oppermann nicht wiederholen dürfe. Als Fach• berater der Reichsdozentenführung wollten die beiden Straßburger Professoren allerdings unbedingt mitreden.166 Das ganz persönliche Interesse von Wolfgang Aly an der Zukunft der Freiburger Klassi• schen Philologie machte die Gespräche sicher auch nicht leichter. Ein Abschiedsgeschenk Oppermanns an Aly war deshalb der Antrag, ihm ein persönliches Ordinariat in Form eines etatmäßigen Extra• ordinariats für lateinische Sprache zu verschaffen; die Fakultät schloß sich der Initiative an.167 Schuchhardt sorgte bereits unmittelbar nach der Nachricht von Oppermanns und Bogners Berufung nach Straßburg, am 20. Februar 1941, für eine Besprechung der Berufungskommission im »kleinen Kreis«, ohne den Dozentenbundsführer Steinke zu informieren. Von den beiden Wegberufenen sofort unterrichtet, führte Steinke noch am selben Abend des 20. Februar 1941 gegenüber Schuchhardt ener• gisch Beschwerde über dieses Verfahren.168

163 Vgl. dazu den Bestand UAF B3/316. S. auch die Notiz im Gnomon 17,1941,144. 164 Vgl. seinen Brief an den Rektor vom 25.2.1941 (UAF Bl/1256). 165 Der Rektor schreibt Oppermann am 21.2.1941: »Angesichts der Pläne, die dem Auf• bau von Straßburg zugrunde liegen, müssen wir Freiburger, wie auch die anderen Uni• versitäten im Reich, mit gebundenen Händen schweigend zusehen, wenn uns Männer für die neue Aufgabe in Straßburg weggeholt werden. So kann ich auch nur inoffiziell und persönlich mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass Sie uns verloren gehen.« 166 Diese Funktion Oppermanns und Bogners wird im Schreiben Steinkes vom 13.3.1941 zur Unterstreichung ihrer Bedeutung erwähnt (UAF B3/316). 167 Vgl. den Brief Schuchhardts an Aly vom 25.4.1941 (UAF B3/316). 168 UAF B3/316.

349 Jüchen Malta

Die erste offizielle Sitzung der Kommission fand am 12. März 1941 statt; Oppermann und Bogner, die noch in Freiburg wohnten, waren nicht eingeladen. Die heftige Beschwerde Steinkes.über den »Ausschluss« der beiden prallte an der geschickten Geschäftsführung des Dekans ab, der einfach zur Abstimmung brachte, daß solche Sit• zungen in Zukunft ohne die Teilnahme der ausscheidenden Professo• ren stattfinden sollten, da die Kommission ohnehin nicht mehr als ein beratendes Organ des Dekans sei.1*9 Am 25. April 1941 konnte Schuchhardt die Listen für beide Lehrstühle vorlegen. Ursprünglich hatte er Karl Reinhardt für die Nachfolge Bogner durchsetzen wollen, war aber am Widerstand des Dozentenbundführers gescheitert;170 der eher zaghafte Versuch des Ministeriums, den »deutschbewußen« Elsäßer Karl Mugler - wie früher Walter Eberhardt - ins Gespräch zu bringen, wurde sofort abgeblockt;171 stattdessen suchte die Kommission, im Einvernehmen mit Steinke, nach »Vertretern des jüngeren Nachwuchses« und be• nannte dann Hermann Gundert, Hans Diller und Karl Deichgräber: »Die Fakultät legt, wie die Aufstellung der Liste zeigt, in Überein• stimmung mit dem Dozentenbundführer ausdrücklichen Wert dar• auf, Dr. Gundert in erster Linie nach Freiburg berufen zu sehen.« Steinke hatte ein schwungvolles Gutachten formuliert.172

"» UAE B3/316. Schudihardts Geschäftsführung wurde später vom »Bereinigungsaus- schuß« ausdrücklich gewürdigt: »Während seines vierjährigen Dekanats (1940-1944) benutzte er (...) das Vertrauen, das er bei den Nazibehörden wegen seiner geschäftlichen Gewandtheit und seiner antiklerikalen Haltung genoss, in sehr geschickter Weise, um eine Reihe von Neuberufungen duriizusetten, die das zeitweilige Obergewicht nazisti• scher Elemente in der Fakultät beseitigten« (UAF B34/4). 170 »Nachdem eine Kandidatur von Pro£ Reinhardt, Frankfurt, für die ich mich meiner Überzeugung entsprechend, lebhaft eingesetzt habe, aus verschiedenen Gründen schei• terte, wurde von der Kommission und dem Dozentenführer mit Nachdruck die Nen• nung von Vertretern des jüngeren Nachwuchses befürwortet. So wurde Dr. Gundert an erster Stelle der ersten liste genannt, was wohl auch seinen Qualitäten als Lehrer und Forscher entspricht.« (Brief Schuchhardts an Aly vom 25.4.1941, UAF B3/316). 171 Heinrich Harmjanz, der in Berlin zuständige Referent, schrieb am 18.8.1941: »Die Fakultät soll sich auch über den elsässischen Professor DE Karl Mugler äußern, der als deutschbewußter Mann bekannt ist, da ich Wert darauf lege, daß er zunächst den geord• neten Betrieb einer alten deutschen Universität kennenlernt und sich dort einarbeitet« (StAF C25/2,61). Mugler kam dann doch als a.o. Professor nach Straf burg; vgl. Gno- mon 17,1941,144. Zu seiner Arbeit dort vgl. den Aufsatz »Die Struktur des Hellenis• mus in Frankreich«, in: Straßburger Monatshefte 6,1942,486-502. m Gutachten vom 14.5.1941: »Der von der Fakultät an erster Stelle gesetzte Dt phil. habil. Hermann Gundert wird in allen Gutachten trotz seiner relativen Jugend bereits als Wissenschaftler von hohem Rang anerkannt, was ja auch das Gutachten der Fakultät

350 Klassische Philologie

Goddert wurde mit Wirkung vom 1. September 1942 ernannt173 und war dann im Februar 1943 zu einem kurzen Antrittsbesuch in Freiburg;174 erst im Juli 1944 konnte er seine Lehrtätigkeit aufneh• men.175 Die einzige Publikation Gunderts aus der Freiburger Zeit vor 1945 ist ein »Lehrbrief« mit einem Beitrag über »Charakter und

ausdrücklich betont. Nach den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen paart sich mit dieser hohen Wissenschaftlichkeit das Vorhandensein eines lauteren und offenen Cha• rakters, der fest in seinen Überzeugungen, zuverlässig und von vorbildlicher Kamerad• schaftlichkeit ist, der ferner als Soldat in voller Einsatzbereitschaft seine Pflicht getan hat und politisch als aufrechter Nationalsozialist zu gelten hat. Für ihn bedeutet natio• nalsozialistische Haltung nicht etwas Äußerliches, sondern sie wirkt sich bereits weit• gehend in seiner Forschungsarbeit aus.« Diller galt Steinke als »zuverlässiger National• sozialist«, Deichgräber war »vom politischen Standpunkt aus nicht erstrebenswert« (UAF Bl/1256). 173 Gundert dankt Dekan Schuchhardt am 11.10.1942: »Soeben erhielt ich die Mittei• lung des Herrn Rektors der Freiburger Universität von meiner Erennung zum a.o. Pro• fessor und der Übertragung des Lehrstuhls für Klassische Philologie in Freiburg an mich. Ich darf wohl annehmen, dass ich diese Ehre Ihnen als dem näheren Fachkollegen ganz besonders mitverdanke und möchte mir erlauben, Ihnen für dieses Vertrauen mei• nen herzlichen Dank zu sagen. Ich bin noch jung, habe wenig geschrieben, bin noch ganz im Lernen und sehe mich nun unverhofft einer grossen Verantwortung gegenüber. Doch glaube ich, dass mich der lange Wehrdienst darauf besser als irgend etwas anderes vorbereitet hat und hoffe, je ernster dieser Dienst hier am Atlantik wird, umso gerüste• ter einmal mein Amt antreten zu können. Was mich ausserdem ermutigt, ist dag, dass mit der Anerkennung meiner bisherigen Arbeit sich der Grundsatz zu bestätigen scheint, den ich bisher verfolgt habe, das Wenige was mir zu tun gelingt, ganz und echt zu tun und erst von solcher Grundlage aus in die Breite zu gehen. Ich hoffe darum Ihr Vertrauen einmal nicht zu enttäuschen und freue mich auf eine schöne und fruchtbare Zusammenarbeit« (UAF B3/510). 174 Am 28.2.1943 schreibt er an Dekan Schuchhardt »(...) Trotzdem ist mir diese erste Berührung mit Freiburg eine kostbare Erinnerung verstohlener Stunden, und es treibt mich manchmal mächtig, nun auch ernsthaft ans Werk zu gehen. Aber es darf nicht sein, gerade jetzt gilt das Letzte der soldatischen Vorbereitung, und ich glaube nur im• mer, dass dies einmal auch der Forschung und dem Wehrdienst zugutekommt. Das was einen am meisten aufhält und hemmt, ist ja doch nicht so sehr die Fülle des Stoffs als die Verdunkelung des inneren Blicks, mit der man als junger Mensch noch kämpfen muss. Und da ist das Soldatenleben eine unvergleichliche Hilfe« (UAF B3/510). 175 Gundert, damals im Rang eines Oberleutnants, war in Frankreich stationiert und wurde zunächst von der Wehrmacht nicht freigegeben; im Januar 1944 nahm er an einem Hochschulkurs in Dijon teil und wollte über »Hölderlin und das Griechentum« sprechen. Vgl. UAF Bl/4380 (Truppenbetteuung in Frankreich durch Freiburger Profes• soren). Das Programm dieser Wehrmachtskurse hegt auch gedruckt vor: »Tageskurse für besondere Fachgebiete im Rahmen der »Wehimachtskurse zur Berufsförderung«. Hochschulberufe. II. Kurs in der Zeit vom 6. Dezember 1943 bis 22. Januar 1944. Aus- senstelle des Oberkommandos der Wehrmacht für Truppenbetreuung. Paris«. Gundert wurde erst zum 8.7.1944 aus dem Wehrdienst entlassen und mußte sich dann als »uk«

351 Jürgen Malitz

Schicksal homerischer Helden«, der von jeder zeitgenössischen Tö• nung frei ist.17* Sollte Gundert jemals zu den »Überzeugten« gehört haben, so ist davon in den letzten Kriegsmonaten wenig zu spüren: im Dezember 1944 wehrt er sich unter Hinweis auf seine Entlassung aus der Wehrmacht mit allen Kräften gegen seine Einberufung zum Volkssturm, und muß im Februar 1945 mit Schrecken feststellen, daß der in Baden-Baden residierende Stabschef der SA alle SA-Mitglie• der der Universität aktivieren will.177 Das Bestreben der Fakultät, diesmal einen »Nationalsozialisten« zu verhindern,178 geht auch aus der Liste für den lateinischen Lehr• stuhl hervor: Karl Büchner, Fritz Hellmann, und Friedrich Meh- mel.179 Der Zweitplazierte Hellmann war Parteimitglied und galt als durchaus engagiert;1«1 der Dozentenbundführer Steinke, der sich er-

beim »Planungsamt des Rdchsforschungsrates« melden (UAF B3/510). S. auch Gno- mon 18,1942,336 über Gunderts »Ernennung«. 176 Charakter und Schicksal homerischer Helden, in: Aus der Welt der klassischen An• tike. Lehrbriefe der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg/Brsg. Nr. 12,1- 24. 177 UAFB3/510. 178 Einen Einblick in die informellen Gespräche der Zeit vermittelt vielleicht der spätere Bericht der Bereiiiigungskommission über die Situation der Fakultät nach der Wegbe• rufung von Bogner, MüHer-Blattau und Oppermann: »Den entscheidenden Umschwung brachte das Jahr 1940 mit seiner Eröffnung der Rrichsunwersität in Strassburg, an die sogleich drei von den radikalsten Parteigenossen berufen wurden (OpperBiann, Bogner, Müller-Blattau). Da um dieselbe Zeit durch Todesfall oder Wegberufung eine ganze Reihe wetterer Lehrstühle ihren Inhaber wechselten, wurde es möglich, unter der ge• schickten Dekanatsführung des Archäologen SAuchhardt und mit verständnisvoller Unterstützung des Rektors Süss den bis dahin angerichteten Schaden im Personal• bestand zum grössten Teil wieder 2x1 beseitigen und eine ganze Anzahl ausgezeichneter, antinazistisch eingestellter oder politisch neutraler Gelehrter auf Lehrstühle der Fakul• tät zu bringen. Allerdings wurde ein so starker Wechsel nur dadurch erreicht, dass man gewisse Etatsposten der theologischen Fakultät auf die philosophische übertrug und über vertragliche Bindungen des Konkordates unbekümmert hinwegging. Was durch die Neuberufungen erreicht wurde, war eine erhebliche Steigerung des wissenschaftli• chen Niveaus und grössere Einheitlichkeit der Fakultät, auch in politischer Hinsicht. Wie unsere sorgsame Durchprüfung des Personalbestandes ergibt, war schon vor dem Zusammenbruch des Naziregjmes die Reinigung der Fakultät von politisch aktiven Par• teigenossen praktisch weitgehend gelungen.« (UAF B34/4). 17» UAFB3/316. m Steinke schreibt über Hellmann: »H. dürfte unter dem ktinistischen Nachwuchs so ziemlich der einzige sein, dessen wissenschaftliche Arbeiten in dieser Weise politisch orientiert sind.« Hellmann publizierte auch in parteinahen Zeitschriften: »Die Grund• kräfte römischer Geschichtsschreibung«, in: Weltanschauung und Schule 6,1942,233- 240 & 259-273. Hellmann fiel noch im Februar 1945 in Italien (Gnomon 21,1949,95).

352 Klassisch« Philologie

folgreich für Gundert eingesetzt hatte, war diesmal wohl zurückhal• tender.181 Der erste Platz für Büchner war im Gutachten der Fakultät ganz eindeutig formuliert:182

Die drei genannten Gelehrten gehören nach Ansicht der Fakultät zu den be• sten Vertretern des jüngeren Nachwuches. Unter ihnen ist DE Büchner ohne Frage an erste Stelle zu rücken. Die Zahl seiner wissenschaftlichen Veröffent• lichungen ist im Verhältnis zu seinem Alter überraschend groß. (...) Büchner ist durch seine Tätigkeit als Dozent an der Univ. Leipzig ak ein überaus an• regender und vielseitiger Lehrer bekannt. Die Fakultät bittet, seine Berufung mit besonderem Nachdruck zu betreiben. Büchner konnte seine Lehrtätigkeit zum WS 1943/1944 beginnen und setzte von Anfang an völlig andere Akzente als Oppermanrt;183 seihst sein 1944 veröffentlichter »Lehrbrief« über Tacitus' Germania entbehrt jeder zeitgemäßen Anspielung.184 Auf die Publikation des von Joseph Vogt herausgegebenen Sammelbandes »Rom und Kartha• go« reagierte Büchner nach einem Zeugnis von Walter Jens mit un• verhohlener Ablehnung.185 Vom Weggang Oppermanns und Bogners bis zum Beginn der Lehrtätigkeit Büchners und Gunderts vergingen mehr als zwei Jahre; Lehrbeauftragte und Lehrstuhlvertreter übernahmen in dieser Zwi• schenzeit die Aufgaben der beiden.18* Die Tätigkeit von Walter Nest-

181 Büchner erfüllte die »Mindestbediiigungerw: »Politisch gilt B. als zuverlässig und einsatzbereit. Er ist seit 1933 in der SA und seit 1937 Pg.« Mehmel hatte bei Steinke keine Chancen: er sei (unter dem Einfluß seiner Lehrer Snell und Reinhardt) »mehr der Typ des schöngeistigen Literaten, und keineswegs der Typ eines Kämpfers«. Mehmel wurde nach dem Krieg Professor in Münster, starb aber schon 1951 mit 41 Jahren (Gno- mon 23,1951, 232). 182 UAFB3/316. 183 Vgl. Büchners Quästurakte UAF 17/760. Die Ernennung: vgl. Gnomon 18, 1942, 336. 184 Die Germania des Tacitus. Lehrbriefe der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg/Brsg. Nr. 13 (29 S.). Über die Germania hatte Büchner bereits auf dem Hoch• schulkurs der Wehrmacht im Januar 1944 gesprochen, an dem er zusammen mit Gun• dert teilnahm (s. oben Anm. 175). 185 Walter Jens brieflich an Eckhard Wirbelauer (20.9.2003). Ein exemplarisches Zeug• nis für Büchners Distanz zu allem zeitgenössischen Vokabular ist sein im Lazarett ge• schriebener Brief vom 15.3.1943 an Walter-Herwig Schuchhardt über die Frage der Nachfolge Kolbe; vgl Eckhard Wirbelauer, Zur Situation der Alten Geschichte im Jahre 1943. Materialien aus dem Freiburger Uruversitätsarcbiv I, in: Freiburger Universitäts• blätter 149,2000,107-127, hier: 120 f. 184 Die Wegberufung gleich zweier Ordinarien stellte die Fakultät vor große Probleme, da auch Wolfgang Aly zur Wehrmacht eingezogen worden war. Fritz Hellmann, damals

353 Jürgen Malis le blieb in besonders guter Erinnerung.187 Die sozusagen »interdis• ziplinäre« Vorlesung von Hans F.K. Günther über die »Rassen• geschichte des hellenischen Volkes« wurde von den Studenten offen• sichtlich ignoriert.188

offenbar der einsäge für eine Vertretung verfügbare Utinist, bekam im Sommerseme• ster 1941 eine Chance zur Qualifikation für die Nachfolge Oppermanns (UAF B17/863), konnte dann aber vom Dozentenbundführer Steimke nicht gegen Büchner durchgesetzt werden (s. oben Am 180). Klaus Meister, der Heidelberger Latinist, vertrat Opper• manns Stelle dann vom Wintersemester 1941/42 bis zum SS 1943 (UAF Bl/1257; UAF B17/812). Er begann mit einer Vorlesung über »Vaterlandsliebe und Staatsgedanke der Griechen« (35 Teilnehmer). Die Bemühungen Schuchhardts um Hermann Kleinknecht als Vertreter für die Gräzistik scheiterten an dessen anderweitigen Verpflichtungen (vgl. UAF B3/580); im Wintersemester 1941/42 gab Ludwig Klein, ein Schüler Rudolf Pfeif• fers, der auch das Wohlwollen Eduard Fraenkels genossen hatte, eine Übung zu Thuky- dides (UAF B17/827). Vom Sommersemester 1942 bis zum Sommersemester 1943 ver• trat dann Walter Nestle den Lehrstuhl Bogners (UAF B17/718). Georg Picht hielt als Doktorand vom Wintersemester 1942/43 bis zum Wintersemester 1944/45 Kurse ab (UAF B17/707; UAF B42/2607). Die Sprachkurse Wolfgang Alys übernahm vom Som• mersemester 1941 bis zum Sommersemester 1944 Siegmund Glunk vom Bertholdgym• nasium (UAF B17/797); Max Breithaupt vom Friedrichsgymnasium gab Kurse sowohl für Althistoriker als auch für Klassische Philologen. Noch im Februar 1945 bittet Karl Büchner darum, daß Ludwig Klein den erkrankten Max Breithaupt bei den lateinischen Stilübungen ersetzen möge (UAF B3/316). Auch die Besetzung der Assistentenstelle war während des Krieges sehr schwierig (vgl. UAF Bl/3345). Am 5.8.1944 bittet Karl Büchner um die rkwilligung von 50 Reichsmark monatlich für Walter Jen» als was. Hilfskraft (>er gehört zum besten wissenschaftlichen Nachwuchs«), vgl. Generallandes• archiv Karlsruhe 235-7837. Zu Walter Jens' Erinnerungen an Freiburg in den letzten Kriegsjahren vgl. ders-, Memento. Nachdenken über den Untergang Freiburgs, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur 47/1,1995,186-204. 187 Vgl. den Nachruf von Karl Büchner im Gymnasium 56,1949,286-288. Nestle, Sohn des Klassischen Philologen Wilhelm Nestle und bis zu seiner Freiburger Vertretung Studienrat in Ellwangen, hatte Ende 1944 einen Ruf nach Frankfurt erhalten; er wurde im Juni 1945 Opfer von Plünderern. Büchner betont Nestles politischen Freimut: »Di• rektem Gespräch ist er dabei nicht ausgewichen, sondern hat mit Offenheit und klarem Sinn für das Rechte eindeutige Stellung in den Fragen der bedrängenden Zeit genom• men« (ebd. 287.). Nestle wurde noch zum 1.1.1942 in die Partei aufgenommen (UAF B133 - Fragebogen des Dozentenbundes); möglicherweise war diese eine Bedingung für seine Übernahme der Ixhrstuhlvertretung. Seine Lehrveranstaltungen: vgl. die Quäs- turakten UAF B17/718. Ein Schüler Nestles wurde Walter Jens; mit ihm zusammen veranstaltet Nestle im Sommersemester 1944 eine Übung zur griechischen Syntax. Auch Franz Doli erhielt die Anregung für seine Dissertation von Nestle (s. unten Anm. 191). 1M Im Wintersemester 1941/42 hielt Günther eine Vorlesung über die »Rassen- geschkhte des heBenisehen Volkes« vor sieben Zuhörern, darunter einem, der auch auf

354 Klassische PhiWogie

Der Lehrbetrieb in den Monaten nach dem Bombenangriff auf Freiburg muß ungewöhnlich schwierig gewesen sein. Die Verwal• tung der Universität in Meersburg funktionierte allerdings bis zu• letzt und erwartete den einschlägigen Schriftverkehr zu Personal- und Finanzfragen.189 In den letzten Wochen des Krieges fanden die Freiburger Veranstaltungen des Seminars in zwei für diesen Zweck angemieteten Räumen in der Conrad von Hötzendorffstr. 40 statt.190 Noch am 20. Februar 1945 fand Franz Dolls Rigorosum bei Karl Büchner statt.191

IV.

Die geringsten Schwierigkeiten bei der »Wiedereingliederung« in die Universität hatte Karl Büchner. Diejenigen Kollegen, die sich ein Ur• teil erlauben durften, waren von seiner politischen Unbescholtenheit überzeugt und legten größten Wert auf seine sofortige weitere Mit• arbeit.192 Büchners Selbstauskunft über sein Verhalten vor 1945 ist ein Zeugnis für die Schwierigkeiten eines Studenten seiner Genera• tion, der nicht auf die Ausübung seines Berufes verzichten wollte. Büchners Konzession an die Zeit war der Eintritt in den »Spiel• mannszug des Marine-Sturms der SA in Leipzig«, der später zu einer

den Inskriptionslisten der »eigentlichen« altertumswissenschaftlichen Lehrveranstal• tungen auftaucht. Diese Vorlesung wurde im Soßunersemester 1942 vor sechs Hörern wiederholt, vgl. UAF B17/930. 189 Noch am 27.3.1945 werden 100 - Reichsmark für Hilfskräfte von Meersburg nach Freiburg überwiesen (UAF B3/316). 190 UAF B3/316: Mietvertrag vom 20.1.1945 mit Frl. Dr. Schürenberg. m Vgl. die Promotionsaktt UAF B42/2647. Im Wintersemester 1932/33 war er eines der Vorstancfemitglieder der Fachschaft (Anm. 15); im Sommersemester 1935 und im Wintersemester war er Assistent als Nachfolger von Ludwig Klein, einem Schüler Ru• dolf Pfeiffers und wohl auch Eduard Fraenkels (vgl. UAF B42/2265), vgl. dazu die Wür• digungen Dolls: Wolfgang Kttütaann, in: Freiburger Universitätsblätter 72,1981,8; Ha• rald Merkte, ebd. 98,1987,7-9. Doli wurde in Rußland schwer verwundet und begann mit seiner von Walter Nestle angeregten Arbeit über »Das Mitleid in der Tragödie des Aischylos und Sophokles« im Lazarett. 152 S. unten Amn. 206.

355 Jürgen Malta formalen Übernahme als Parteimitglied führte.1» Niemand in Frei• burg hatte jemals Zweifel an seiner Distanz za den herrschenden Mächten; der »Bereinigungsausschuß« befand:1**

Der Professor für Hasissche Philologie Karl Büchner ist zwar als Angehöriger der jüngsten Gelehrtengeneration genötigt gewesen, eine Zeit lang Dienst in der SA zu tun und ist aus ihr automatisch am 1. V. 1937 in die NSDAP über-

193 >Über meine Parteizagehörigkeit bemerke ich folgendes: Die Vergottung des Volkes und der Despotismus der Partei haben mich vor 1933 zu einem entschiedenen Gegner der Partei gemacht. Ich habe nie der Partei meine Stimme gegeben und befand mich damit im Einklang mit meinen Lehrern Klingner und Litt, die in der Folge nie der Partei beigetreten sind und von denen der Philosoph Litt dann bald sein akademisches Lehramt niederlegte. 1933 nach der Machtergreifung habe ich zunächst abgewartet, ob auch au• ßerhalb der Partei eine Lebensmöglichkeit bestünde. Im Laufe des Sommers wurde an der Universität Leipzig offiziell verkündet, man könne keine Prüfung machen, wenn man nicht in der Partei oder wenigstens in einer Gliederung wäre. Das bedeutete für mich, der ich im dritten Studienjahr stand, daß ich mein Lebensziel hätte aufgeben müssen, von äußeren Schwierigkeiten - ich mußte mir meinen Lebensunterhalt verdie• nen und lebte von Privatstunden und Stipendien - abgesehen. Nach Beratung mit mei• nen Lehrern habe ich mich dann im Herbst entschlossen, in eine der Gliederungen zu gehen. Mit meinem Schwager, der ähnlich dachte wie ich, bin ich im Nov. 33 in den Marinesturm Leipzig eingetreten. Diese Formation der SA bestand aus ehemaligen Ka• pitänen und Seeleuten, die in Leipzig, wo die Möglichkeit der Marineausbildung denk• bar gering waren, sich zusammengetan hatten, um sich ebenfalls ein Alibi zu verschaf• fen. Um aber auch hier der Schulung zu entgehen, die selbst diese Formation als Zugeständnis machen mußte, habe ich meine musikalischen Fähigkeiten ausgenutzt und bin in den Spielmannszug des Marinesturms gegangen. Nach zwei Jahren etwa bröckelte der SZ auseinander, sodaß ich in diesem Jahr meinen Doktor abschließen konnte. Trotz einer gewissen Fertigkeit in der Querflöte habe ich es als militärisch völlig Unbegabter nur bis zum Rottenführer - dem Gefreiten meiner dreijährigen Kriegszeit entsprechend - gebracht. Am 1.5.37 wurde dann auch der SZ des Marinesturms oder besser seine Papiere automatisch in die Partei übernommen. In der Partei habe ich mich nie betätigt. Ich kann mich nicht rühmen, mit anderen Mitteln als denen des Wissenschaftlers mich gegen die Partei gewendet zu haben, darf aber darauf aufmerksam machen, daß ich nicht nur stets die wissensAaftliche Objektivität selbstverständlich gewahrt habe, sondern auch eindeutig Stellung bezogen habe. Meiner Schritt über den Kratylos Piatos habe ich ein Dankesvorwort an den emeritierten Litt vorausgeschickt, daß Prof. Oppermann in einer Kritik schrieb, mir wäre als Schüler Litts ein Platoverständnis, natürlich in neuem Sinne, verschlossen. In einem Aufsatz über altrömische und horazische virtus habe ich die Humanisierung dieser Idee bei Horaz herausgearbeitet. In meinem Bursi- anband über Horaz habe ich Juden und Nicht) uden 1939 unterschiedslos besprochen und gerühmt, sodaß mir wenige Tage vor Ausbruch des Kriege» Prof. Wilktason, King's College Cambridge, schrieb: Again I must say how valuable I found the Jahresbericht, and how grateful we must be to German schokrship for provicüng us with such helps. 1940 war die Übersetzung des Boethius, der Klingner eine lange Einleitung voraus• schickte, unter dem Titel »Trost der Philosophie« ein eindeutiges Bekenntnis zu den

356 Klassische Phitefogie nonunen worden, kann aber durchaus nicht als NationaleoziaMst bezeichnet werden. Vielmehr war seine politische Haltung von jeher entschieden antina• zistisch. Seine Schriften und Lehrvorträge tragen streng wissenschaftlichen Charakter. Gunderts Situation war wesentlich schwieriger. Anfang 1934 hatte er den Antrag zum Parteieintritt gestellt;m da sein politisches Engage• ment bei seiner Berufung im Jahre 1942 eine erhebliche Rolle spielte und vom Dozentenbundführer gelobt werden konnte, hat er sich vielleicht persönlich mehr exponiert als dies aus seinen Publikatio• nen hervorgeht.196 Ganz anders als Büchner pflegte er den militäri• schen Jargon.197 In seiner Selbstauskunft für die Entnazifizierung sprach er durchaus offen über seine frühe Begeisterung und die Mo• tive für seinen Parteieintritt: er hielt es damals »für die Aufgabe der Gebildeten, dafür zu sorgen, daß in der nationalsozialistischen Bewe• gung Menschen mit geistiger Tradition hineinkommen, die einer römisch-christlichen Grandlagen der abendländischen Kultur. 1943 habe ich in meinem Germaniavortrag den Gedanken der inneren Freiheit als Voraussetzung alles großen Lebens herausgearbeitet und 1944 habe ich in Stuttgart einen öffentlichen Vortrag über die Freundschaft zwischen Hutten und Erasmus gehalten, in dem ich die weltverbaiden- de Größe des Erasmus so scharf hervortreten ließ und ihn von dem Vorwurf des Freund• schaftsbruches reinigen konnte, daß es in der damaligen Zeit Befremden erregte. Die Haltung dieses Vortrags kann Prof. Allgeier bezeugen, der ihn hörte, als ich ihn in unserem Kränzchen vortrug. Schließlich darf ich darauf aufmerksam machen, daß sich unter meinen Assistenten, Doktoranden und Schülern kein einziger Nationalsozialist befindet. Meine Haltung ist ja in Freiburg auch wohl nicht verborgen geblieben. Auskunft über mich und Bestätigung dieser Ausführungen können geben: Prof. Kling• ner, Leipzig, Prof. Litt, Leipzig, Prof. Salomon Eitrem, Oslo, Prof. Wilkinson, Cam• bridge, Doz. Dr. J. A. Davison, Univ. Manchester, Prof. Harald Fuchs, Basel. Ich habe unter dieser Zeit als einer zwölfjährigen Entwürdigung gelitten. Meine Schuld ist die eines jeden heil davongekommenen Deutschen, nicht Märtyrer geworden zu sein. Ich habe es vielmehr für meine Pflicht gehalten, für meinen Teil in meinem bescheide• nen Kreise etwas vom reinen Geist so lange wie möglich am Leben zu halten.« {UAF B34/264) m UAFB34/4. m Vgl. den Schriftwechsel Gunderts zur Frage der genauen Datierung seines Partei• eintrittsdatums aus dem Jahre 1939 (BDC Gundert); UAF B34/495. l* Vgl. seine Bemerkung über Franz Miltner in einem Brief an Dekan Schuchhardt vom 19.3.1943 zur Frage der Nachfolge Kolbe: »Nach eitter ganz anderen Seite hin könnte ich mir ein fruchtbares Zusammenwirken mit Miltner denken, von dem man vor allem in rassekundlicher Hinsicht etwas erwarten müsste; nur kenne ich ihn noch zu wenig, um mir ein rundes Bild von ihm machen zu können« (vgl. Wirbeiauer [s. Anm. 185], 123). m S. oben Anm. 174.

357 Jürgen Malta blinden Fanatisierung entgegenstehen.«196 Die »Reinigungskommis• sion« war mild:199

Gundert ist ein zu charaktervoller Mann, um die Verantwortung für seine Partdmnitghedschaft nachträglich zu bestreiten. Gerade deshalb, weil er, ohne seinen schweren Irrtum zu verkennen, mannhaft zu seinen Taten steht, ist nach unserer Oberzeugung keinerlei Anlaß gegeben, politische Befüxchtun-

198 Gunderts Schreiben vom 6.10.1945 ist ein Zeitzeugnis für die Probleme junger In- teEektueller in den dreißiger Jahren: »Ich bitte die Militärregierung um Wiedereinset• zung in mein Amt. Dazu erlaube ich mir folgendes über meine Stellung zur NSDAP zu erklären. Als Student (bis 1932) war ich zunächst unpolitisch und ziemlich weltfremd. Nachdem ich jedoch sah, das» die wachsende Krisis jener Jahre mit den traditionellen Methoden nicht behoben wurde, kam ich ün Laufe des Jahres 1933 zu der Auffassung, dass der Nationalsozialismus die einzige Macht sei, die diese Not noch meistern könne. Ich sah die Gefahren dieser Bewegung, fand aber bei der unaufhaltsamen Technisierung und Vermassung des Lebens keinen Ausweg mehr zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus. In dieser Situation hielt ich es für die Aufgabe der Gebildeten, dafür zu sorgen, dass in die nationalsozialistische Bewegung Menschen mit geistiger Tradition hineinkommen, die einer blinden Fanatisierung entgegenstehen. An dem Eintritt in die NSDAP selbst lag mir dabei wenigei; da er damals zu allgemein begehrt war, und ich wurde auch erst am 7.9.1939 (mit Rückdatterang auf den 1.2.1934) endgültig auf• genommen. Dagegen suchte ich in der SA zunächst einen Ausgleich gegen meine rein geistige Beschäftigung und zurückgezogene Lehensweise. Politisch habe ich mich dabei nicht hervorgetan und auch an keiner »Aktion« (vor aMem nicht am 9.11.1938) teil• genommen. Ich erhielt deshalb auch den Dienstgrad eine» Truppführers nicht aufgrund von Leistungen in der SA, sondern erst 1942 in automatischer Angleichung an meinen Leutnantsrang in der Wehrmacht. Ein Amt habe ich in der SA nie ausgeübt und auch nach meiner Entlassung aus dem Wehrdienst 1944 an keinem SA-Dienst mehr teil• genommen. Das Motiv, das mich zum Beitritt bewogen hatte, beruhte auf dem Glauben, dass Hitler selbst zwei Gesichter habe und dass ihm die Mehrzahl seiner Anhänger nur deshalb folgte, weil er ihnen auch menschlkh positive Ideale verhieß. So hoffte ich, durch den Appell an diese Ideale ließe sich der Sinn für geistige Werte wachhalten. Daß ich mich darin geirrt habe, musste ich mehr und mehr erkennen. Nachdem ich 1934 von der Heidelberger NS-Studentenschaft aus meinem ersten Amt verdrängt und jahre• lang vom Misstrauen der Partei verfolgt wurde, war ich im übrigen genötigt, mich möglichst zurückzuhalten und Widerspruch zu vermeiden, um meine wissenschaftli• chen Ziele überhaupt verfolgen zu können. Dabei bin ich jedoch der nationalsozialisti• schen »Weltanschauung« nicht erlegen, habe meine Wissenschaft und Lehre davon frei• gehalten und nie aufgehört, mich selbst und die Verhältnisse aufrichtig zu prüfen. Mein Ziel als Forscher und Lehren wie es mir auch erklärte Parteigegner anerkannt haben, ist heute wie von jehe$ die Wurzeln unserer Kultur in der Antike zu erkennen, um damit den schöpferischen Kräften Deutschlands und Europas zu dienen und der Mechanisie• rung des inneren Lebens entgegenzuwirken, die ich für die größte Gefahr unserer Zeit halte. Sollten über meine Persönlichkeit und mein Wollen Zweifel bestehen, so wäre ich besonders dankbai; wenn das Urteil über mich durch eine persönliche Befragung ergänzt werden könnte« (UAF B34/495). m UAFB34/4.

358 Klassische Philologie gen gegen sein Verbleiben im Lehramt zu erheben. Immerhin durfte es an• gemessen sein, ihm eine gewisse Selbstbeschränkung in der Ausübung der akademischen Ehrenrechte aufzuerlegen.™ Wolfgang Aly wurde gleich nach Kriegsende in Haft genommen und erst im Oktober 1945 entlassen - er selbst fühlte sich natürlich ganz ungerecht behandelt und sprach vom »Konzentrationslager«.201 Der gefürchtete Denunziant und Intrigant hatte vom Bereinigungsaus• schuß kein Verständnis zu erwarten, zumal ihm auch Kontakte zum SD nachgewiesen werden konnten:202

Der Dozent und Titularprofessor für klassische Philologie Wolfgang Aly ist von den französischen Behörden verhaftet und daher für uns nicht erreichbar. Seine Parteihörigkeit ist uns indessen zur Genüge bekannt. Wir halten seine Entfernung von der Universität für notwendig.203 Aly ist einer der wenigen Belasteten, dem eine weitere Arbeit an der Universität Freiburg dauerhaft verwehrt blieb; die Akten über seinen vergeblichen Kampf um »Rehabilitierung« sind in mehreren um• fangreichen Faszikeln erhalten.204

200 In einem früheren Abschnitt bemerkt der Ausschuss: »Nirgends hat er in seinen Schriften und Vorträgen der Partei-Propaganda die geringste Konzession gemacht; sein freundschaftlicher Umgang mit jüdische» Studierenden hatte 1934 seine Entlassung aus der Assistentenstelle am Heidelberger philologischen Seminar wegen politischer Unzu- verlässigkeit zur Folge; bis Oktober 1936 blieb er dann stellungslos.« In den Jahren 1933 und 1934 dürfte Gundert Bekanntschaft mit dem Aktivisten Robert Böhme (s. oben Anm. 143) gemacht haben. 201 Vgl. die Mitteilung Alys an das Rektorat vom 22.10.1945 (UAF B24/57). 202 UAFB34/4. 203 Der Senatsausschuß für die politische Bereinigung schrieb zusätzlich am 1.6.1946: »Aly ist ohne Zweifel einer der politisch aktivsten Nationalsozialisten unserer Univer• sität gewesen. Man wird ihm aber zugestehen dürfen, dass ihn politischer Übereifer und Geltungsdrang des in seinem Beruf enttäuschten, sitzengebliebenen und altgewordenen Privatdozenten getrieben hat, diese aktive Rolle zu spielen, nicht niedrige Selbstsucht.« (UAF B24/57) Alys letzte Publikation vor dem Kriegsende kam, der Situation entspre• chend, ohne politische Phrasen aus: »Friede auf Erden. Eine Meditation zur fünften Kriegsweihnacht«, in: Aus der Welt der klassischen Antike. Lehrbriefe der Philosophi• schen Fakultät der Universität Freiburg/Brsg. Nr. 12 (1944), 25-38. 204 Vgl. UAF B24/57; Silke Seemann, Die politischen Säuberungen des Lehrkörpers der Freiburger Universität nadi dem Ende des Zweiten Weltkrieges (1945-1957), Freiburg 2002,317 f.

359 Jürgen Malta

V.

Der Neubeginn der Klassischen Philologie ist verständlicherweise ge• kennzeichnet durch die unterschiedliche Position der beiden Lehr• stuhlinhaber nach Kriegsende. Karl Büchner wurde gleich im Herbst 1945 aufgefordert, sich an der ersten Vortragsreihe des Studium Ge• nerale der Universität mit dem Rahmenthema »Das Menschenbild« zu beteiligen. Die Namen der dafür vorgesehenen Redner mußten vorher der französischen Müitärregierung vorgelegt werden.205 Das Rektorat hatte zu erklären, warum auch zwei ehemalige Parteimit• glieder, Clemens Bauer und Karl Büchner, für diese Vorträge benannt worden seien:206

(...) Für Prof. Büchner der der jüngsten Gelehrtengeneration angehört, kg eine Nötigung vor, sich bei einer der Gliederungen der Partei zu betätigen. Er wählte die SA und wurde später automatisch in die Partei übernommen. Den Veranstaltern der Vortragsreihe ist bekannt, wie eindeutig und furchtlos die beiden Herren in den vergangenen Jahren sich zu ihrer antinationalsozialisti• schen Gesinnung bekannt haben, und sie legen deshalb großen Wert darauf, daß sich gerade diese Professoren an der ersten Vortragsreihe beteiligen, die nach dem Sturz des ns. Regimes an der Universität veranstaltet wird. Am 20. November genehmigte der zuständige französische Offizier die provisorische Wiedereinstellung Büchners, so daß er am 22. No• vember im Vortragssaal der Maria-Hilf-Gemeinde über den »Schick• salsgedanken bei Vergjl« sprechen konnte.207 Bereits am 11. Februar 1947 verabschiedete die Fakultät eine Einerliste zur Berufung Büch• ners auf den wiedererrichteten Lehrstuhl für Latinistik; in den Akten finden sich keine Hinweise auf eine Kontaktaufhahme mit Eduard Fraenkel.208 Die einschlägigen »Sühnemaßnahmen« für ehemalige

205 Vgl. Wolfgang Faßnacht, Universitäten am Wendepunkt? Die Hochschulpolitik in der franzözischen Besatzungszone (1945-1949), Freiburg 2000,196; s. UAF Bl/1580. 204 Schreiben des Rektorats vom 21.9.1945 an die Militärregierung in Baden (UAF Bl/ 1580). Büchner war zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell »reintegriert«. 207 Der Schicksakgedanke bei Vergil. öffentlicher Universitätsvortrag gehalten in der Vortragreihe »Das Menschenbild« am 22. November 1945 in Freiburg i. Bt, Freiburg im Breisgau: Novalis-Verlag. Wiedereinstellung: UAF B82/2862. 206 Laut Schreiben Nr 286 vom 1.10.1946 der Militärregierung durfte Büchner im Dienst bei einer Gerialteminderung von 10 % verbleiben. Bei der Beratung der Fakultät über die dann mit Büchner besetzte Einerliste zur Berufung »auf den wiedererrichteten Lehrstuhl für Latinistik« hat der Name Fraenkel offenbar keine Rolle gespielt (UAF B82/2862). Man kann damit das Bemühen der juristischen Fakultät vergleichen, Fritz Pringsheim wiederzugewinnen (StAF C25/2, 75). Die überlieferten Kontakte der Frei-

360 Klassische Philologe

Parteimitglieder führten allerdings dazu, daß Büchner erst zum 1. Ja• nuar 1949 zum Ordinarius ernannt wurde.209 Hermann Gundert wurde Anfang Dezember 1945 in die Univer• sität »reintegriert«.210 Er mußte wesentlich länger als sein Kollege auf die Umwandlung seiner außerordentlichen Professur in ein »ech• tes« Ordinariat warten. Es war Büchner, der sich sofort nach seiner eigenen Ernennung im Januar 1949 als Dekan für ein Ernennungs• verfahren einsetzte.211 Am 26. Oktober 1949 wurde Gundert dann ebenfalls Ordinarius.212

burger Universität zu Eduard Frankel beschränken sich auf einen Sdiriftwechsel in den Jahren 1953 und 1954 zur Regelung seiner Emeritus-Bezüge im Rahmen der Bestim• mungen zur »Wiedergutmachung«. Da Fraenkels englische Pensionsbezüge, die er seit dem Oktober 1953 erhielt, offenbar ganz unzureichend waren, war die »Wiedergutma• chung« eine wirkliche Hilfe für Fraenkel und seine Familie (vgl. UAF B24/819). 205 Erst durch einen Schriftwechsel des Rektorates mit dem »Staatskommissariat für politische Säuberung« wurde der Universität klar, daß Büchners Gehaltskürzung zwei Jahre zu dauern habe; in dieser Zeit war eine Berufung nicht möglich (Brief des Staats- kornmissariats vom 12.3.1948 - UAF B82/2862). 210 Beschluß der Militärregierung vom 3.12.1945 (UAF B3/510). Gundert konnte erst 1948 von Heidelberg nach Freiburg umziehen, fand aber zunächst nur in Emmendingen eine Wohnung. 211 Vgl. den Brief des Dekans Büchner an das Rektorat vom 13.1.1949 (UAF B3/510). Im Antrag der Fakultät vom 23.8.1949, »den außerord. Prof. Gundert zum ordentlichen Professor an der Univ. Freiburg zu ernennen«, heißt es u.a.: »Prof. Gundert hat sich durch seine Forschung und Lehrtätigkeit sowie seine Menschlichkeit und Hilfsbereit• schaft das völlige Vertrauen seiner Studenten erworben. In der wissenschaftlichen Welt gilt er als einer der besten Spezialisten für Pindar, die Lyriker und Plate. Seine Schrift »Pindar und sein Dichterberuf« hat ihm in Fachkreisen einen angesehenen Namen ver• schafft. Sein Lehrgeschick und seine Vortragsgabe wird von seinen Fachkollegen all• gemein bestätigt. Gundert ist sowohl wegen seiner charakterlichen Eigenschaften als auch wegen seiner ausgezeichneten wissenschaftlichen Leistungen für den akademi• schen Lehrberuf in besonderem Maße geeignet, und verdient eine Ernennung zum ord. Professor durchaus, zumal für das Lehrgebiet ein Ordinariat vorhanden ist« (StAF C25/ 2,61). 212 UAFB3/510.

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Anhang

Wolf gang Alys Entwurf für die Gründung eines Instituts für Alter• tumskunde an der Universität Freiburg (UAF B24/57. Aly am 1. Juni 1935 an den Dekan der Philosophischen Fakultät, eine Niederschrift »auf Wunsch der DozentenschafU)

Entwurf für die Gründung eines Instituts für Altertumskunde an der Universität Freiburg

Die Entwicklung der einzelnen Disziplinen zu Sonderwissenschaften hat be• sonders in der philosophischen Fakultät zerstörend gewirkt. Weit über das Maass der anderen Fakultäten hinaus, wo sich die Vertreter der reichgeglie• derten Disziplinen gegenseitig auf Grund einer gemeinsamen geistigen Grundlage weitgehend verstehen können, sind die Disziplinen der philoso• phischen Fakultät so weit von einander gewichen, dass eine Verständigung über den Rahmen der Fachwissenschaft hinaus fast unmöglich geworden ist. Selbst innerhalb eines in sich geschlossenen Faches, wie es die griechische und lateinische Philologie immer noch ist, sind Tendenzen fühlbar geworden, nicht nur lateinisch gegen griechisch und umgekehrt auszuspielen, sondern unter immer weiterer Zersplitterung Grammatik, Epigraphik, Papyrologie, Metrik usw. als selbständige Wissenschaften abzuspalten. Die zur Zeit er• wachte Selbstbesinnung hat zu der Erkenntnis geführt, dass diese Entwick• lung nicht im Wesen der Einzeldisziplin begründet ist. Das Ergebnis bestand nicht nur in einer grossen Unsicherheit der Stu• dierenden der Vielzahl von Fächern gegenüber über deren relativen Wert dem Ganzen gegenüber der Anfänger kein Urteil haben kann, sondern auch in einer Schrumpfung des einzelnen Faches, wenn beispielsweise 50 Studie• rende der Altertumswissenschaft auf 10 Archäologen, 10 Althistoriker, 10 Latein«; 10 Griechen und 10 weitere Spezialisten sich aufteilten. Endlich sind durch die Vielzahl der Institute die verfügbaren Mittel in verhängnisvoller Weise zerteilt und damit unzureichend geworden, doch kann das letztere nicht zum Ausgangspunkt der Betrachtung genommen werden, da wirklich und wesentlich begründete Ansprüche trotzdem befriedigt werden müssten. Eine Abkapselung des Einzelfaches entspricht weder dem Bedürfnis der Lehre noch dem der Forschung. Welche Gründe in einer vergangenen Zeit dazu geführt haben, mag hier unerledigt bleiben, da eine solche Polemik im Negativen stecken bleiben würde. Daran kann kein Zweifel bestehen, dass die verlorengegangene geistige Einheit durch irgend eine Form der Zusam-

362 Klassische Philologte (Anhang) menfassung wiedergewonnen werden muss. Wohl kann man verschiedener Meinung darüber sein, welche Beziehungen hierbei Ausschlag gebend sein sollen, da z.B. die künstlerisch interessierten Fächer (Archäologie, Kunst• geschichte, Literaturwissenschaft) oder die Grammatiken (deutsch, neuere Sprachen, alte Sprachen usw.) etwas Gemeinsames unter einander haben, das Beachtung verdient. Eine gesunde Zusammenarbeit versprechen wir uns nur von denjenigen Fächern, welche sich mit räumlich-zeitlich verbundenen Gegenständen befassen, deshalb, weil damit gewisse gemeinsame Vorausset• zungen gegeben sind, die insbesondere für die Lehre wichtiger sind als Ge• meinsamkeiten der Methode oder des Aspekts. Unter den grossen Kreisen, innerhalb deren sich das geistige Leben der Fakultät - wenn von einem solchen wieder die Rede sein kann - abspielen wird (etwa Philosophie, Deutschkunde, Kunde der Nachbarländer, Alter• tumskunde), ist die Verbindung von griechischer und lateinischer Philologie, klass. Archäologie, alter Geschichte und Urgeschichte eine der natürlichsten, notwendigsten und die dem bisherigen Denken vielleicht am wenigsten un• gewohnte. Die Einheit der klass. Philologie ist von Fachleuten emsthaft nie bestritten worden. Die Unvollkommenheit des Lateinstudiums ohne Grie• chisch ist allgemein anerkannt. Die alte Geschichte ist für den klass. Philolo• gen ebenso unentbehrliche Voraussetzung, wie die Philologie Voraussetzung für die alte Geschichte, mag auch die Eigentürrtlichkeit der Art die Dinge zu sehen noch so bewusst in den Vordergrund geschoben werden. Die Archäolo• gie befindet sich in ähnlichen Lage, obgleich sie durch ihre grossen Publika• tionen etwas selbständiger gestellt ist; aber gerade diese Publikationen sollten dem klass. Philologen ebenso zugänglich sein wie sein gewöhnliches Hand• werkszeug. Eine Ueberbetonung des bloss Antiquarischen zu Ungunsten des Künstlerischen kann aus dieser Nachbarschaft kaum Nahrung ziehen, zumal sie ihre Wurzel vielmehr in einer Spannung innerhalb der Archäologie selbst hat. Die Urgeschichte hier anzuschliessen ist ratsam, da sie selbst da, wo sie inhaltlich auf Deutschkunde und Geschichte hinweist, von den eigentlichen Zeiträumen dieser Wissenschaften weit entfernt ist und durch die Art ihres Materials der Archäologie sehr nahe steht; die griechische Frühgeschichte (mykenisch-kretisches Zeitalter) ist selbst Urgeschichte, und wichtige Teile der germanischen Urgeschichte erhalten ihre Deutung erst von den Germa• nenkriegen der Römer und der griechischen Geschichtswissenschaft aus. Dass Querverbindungen bestehen, z. B. von antiker Volkskunde zur mo• dernen Volkskunde, von der lateinischen Grammatik zur französischen, von der antiken Staatsphilosophie zu jeder späteren Staatsphilosophie usw. kann nicht bestritten werden. Die räumlich-zeitliche Zusammenfassung der Alter• tumskunde steht dazu nicht im Widerspruch, ebenso wenig wie die Trennung von englischer Literatur und Geschichte bisher eine Schwierigkeit erzeugt hat. Wir versprechen uns von der Zusammenfassung - für die Lehre jene Allseitigkeit des Unterrichts, die weit entfernt von

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pädagogischem Enzyklopädismus, die lebendige Anschauung der Vergan• genheit gewährleistet. Anstelle einer unübersehbaren Mannigfaltigkeit des Dargebotenen hat eine disziplinierte Einführung zu treten, an welcher alle Beteiligten kameradschaftlich mitwirken. Anstelle kleiner Kreise, die von einander nichts wissen, tritt eine Fachschaft von angemessener Grös• se, die auch dann, wenn das Seminar engste Spezialisierung verlangt, den Ausblick auf das Ganze offen hält. - für die Forschung die Durchführung des team-work, das ohne Rücksicht auf die Eitelkeit des Einzelnen auch die Spezialuntersuchung durch ihre Einbettung in einen geistigen Kosmos rechtfertigt. Ungesunder Speziali• sierung von Doktorarbeiten wird durch gemeinsame Preisarbeiten vor• gebaut, die nicht sowohl eine verkappte Stipendiumverteilung an Lieb• lingsschüler, als vielmehr Richtungsgebung der gemeinsamen Lehre und Forschung sein sollen. - Es braucht nicht verschwiegen zu werden, dass eine solche Organisation eine wirksamere Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel ermög• licht. Wir betrachten diese Frage als einen Nebenpunkt, wie auch die Or• ganisation des Instituts, Raumfrage, rechtliche Stellung der Abteilungs• leiter und Assistenten, u.a. Fragen als nicht prinzipiell zurückstehen müssen hinter der Vorentscheidung, dass nur eine ganze Lösung des Pro• blems angenommen werden kann, dass wir nicht mehr in einer Zeit leben, wo persönliche Unbequendichkeiten auf dem Wege des Kompromisses ausgemerzt zu werden pflegten zum Schaden des Ganzen. Endhch ist die• se Zusammenfassung nicht apologetisch gedacht, da die Bedeutung des Altertums für die deutsche Erziehung ausser allem Zweifel steht (vgl. Volk im Werden II 1934 S. 226 ff.). Wir sind für eine Leistung verantwort• lich, die auf den bisher begangenen Wegen nicht erzielt werden kann. Auch die Wirkung im Sinne einer university-extension und durch sie hin• durch die Volksverbundenheit kann nur durch einmütiges Miteinander gewonnen werden. Für Freiburg im Besonderen kommt die Frage der rö• misch-germanischen Beziehungen an der Limes-Grenze hinzu, die nicht mehr Gegenstand technisch vollkommene^ wenigen bekannter Publika• tionen sein darf, sondern zu ihrem Teil die landschaftliche Verwurzelung der Hochschule fördern wird.

Freiburg i. Br. 29.5.35 Wolfgang Aly, Lektor der alten Sprachen

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