Die Erziehung Des FC Bayern
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Sport FUSSBALL Die Erziehung des FC Bayern Jürgen Klinsmann soll den deutschen Rekordmeister wieder an die Spitze des europäischen Fußballs bringen und muss dafür den Verein und dessen Fliehkräfte bändigen – mit Hilfe von Buddha, Schwarzenbeck und einer ganzheitlichen Philosophie. Von Alexander Osang m Morgen stand in den Zeitungen, Jürgen Klinsmann gleich nach seinem Amts- „Bild“ schreibt, Butt und Borowski reichen dass der AC Mailand Ronaldinho antritt gesagt hat: Uli, du liest zu viel Zei- nicht für die Champions League. Und dann Agekauft hat, und jetzt, am Mittag, tung. Unterm Couchtisch liegt der „Kicker“, noch Matthäus mit seinen Empfehlungen in erklärt Uli Hoeneß bereits, warum ihn die auf der Fensterbank hinterm Schreibtisch der „Sport Bild“. Eine hieß: Was ein Trainer Bayern gar nicht gewollt haben. die „Abendzeitung“, er kann nicht anders, alles falsch machen kann. „Der FC Bayern hat ein großartiges Mit- er stopft das Zeug in sich rein wie Schoko- So einen laden sie natürlich nicht mehr telfeld. Wir haben Ribéry, Schweinsteiger, lade. Luca Toni fordert mehr Stars, steht da. zur Weihnachtsfeier ein, sagt Hoeneß. Zé Roberto, van Bommel und Altintop, der gerade in die EM-Auswahl gewählt wurde. Wir haben vor ein paar Minuten Tim Borowski vorgestellt, und was soll ich dem Toni Kroos erzählen?“, sagt Hoeneß. Aber gab es denn jemals die Überle- gung, Ronaldinho zu holen? Uli Hoeneß sieht Karl-Heinz Rum- menigge an, der neben ihm auf einem Korbstuhl sitzt. Rummenigge schaut auf sein Handy, als sei von da mit einer Ant- wort zu rechnen. Er sagt: „Ronaldinho wird die Ticketpreise in Mailand in die Höhe treiben. In der Zeitung steht, er kriegt sechs Millionen im Jahr. Da kannst du locker noch mal drei raufpacken.“ „Komm, Kalle, das weißt du doch gar nicht genau“, sagt Uli Hoeneß. „Ach“, sagt Rummenigge und tippt ir- gendetwas in sein Handy. Die beiden sitzen im Arbeitszimmer von Uli Hoeneß, einem Raum, zu dem der Welt- name Ronaldhino gar nicht passen will, ein warmer, heimeliger Raum, vollgestellt mit Korbmöbeln, auf denen karierte Kissen lie- gen, sowie Tischen und Regalen aus Nadel- holz. Es gibt ein paar Fußballfotos und Pokale, ein silbernes Modell der Allianz- Arena, Plüschtiere in Bayern-Trikots, über der Rattancouch hängt ein Foto vom Meaz- za-Stadion in Mailand, wo der Club zum letzten Mal die Champions League gewann, auf dem Schreibtisch liegt eine Tafel Scho- kolade neben einer Tüte aus dem Fanshop. Es sieht aus wie das Wohnzimmer eines Bayern-Fans und nicht wie die Schaltzen- trale eines erfolgreichen Fußballmanagers. Uli Hoeneß’ Hemd ist am Bauch ein biss- chen nass, er hat sich gerade einen Tee zu- bereitet. „Mich regt auf, dass die Medien schon wieder nach neuen Spielern schreien“, sagt er. „Dabei sind die alten noch nicht mal bezahlt. Toni und Ribéry werden vier Jahre lang abgeschrieben. Jedes Jahr 25 Millio- nen, so funktioniert das in der Wirtschaft.“ Hoeneß pumpt, sein Hals schwillt. Er hat DOMINIK ASBACH schon wieder Zeitung gelesen, obwohl ihm Trainer Klinsmann: „Ich wache morgens auf und frage mich, was ich bewegen kann“ 112 der spiegel 31/2008 Er hätte es auch ein bisschen weit jetzt, „Ja, aber nur die Witzvereine“, sagt der Fußballwelt. Natürlich haben sich die sagt Rummenigge. Rummenigge. Medien sofort auf die Buddhafiguren ge- Jürgen Klinsmann liest das alles nicht, er „Witz? Valencia stand gegen uns im Fi- stürzt, die da rumstehen, und irgendwelche lässt sich nur auf den Tisch legen, was Ent- nale, Kalle“, sagt Hoeneß und schaut auf Phantasiesummen errechnet, die das alles wicklungen aufzeigt. Er hat festgestellt: das Plakat überm Rattansofa. 2001, Cham- gekostet haben soll, aber daran will Hoe- „Du denkst, dass es wichtig ist, was die pions League. Sieben Jahre her. Deswegen neß jetzt gar nicht denken. Er ist stolz auf Öffentlichkeit über dich sagt. Aber es ist haben sie ja Jürgen Klinsmann geholt. Weil die Lounges, die Ruhezonen, die Cafeteria, nur wichtig, was du selbst aus dir machen er versprochen hat, die Spieler besser zu den Medienbereich und den Kraftraum, möchtest.“ machen. Den rechten Fuß, den linken, den stolz auf den Kinosaal und vielleicht sogar Uli Hoeneß ahnt, dass er recht hat, aber Kopf, je nachdem. Das klang, als würde auf das DJ-Pult, obwohl er natürlich weiß, so schnell ändert sich ein Mensch nicht. endlich jemand in dieses sich immer dass das DJ-Pult keine Tore schießt. Es gibt Er drückt sich ein bisschen Honig in den schneller drehende Rad greifen. Leute im Verein, die fürchten, dass der Uli Tee. Ruhig, Uli. „Jürgen hat nicht sofort von neuen Spie- Hoeneß bald platzt vor Stolz. Als der Co- „Die meisten Sportjournalisten haben lern geredet, er wollte nur das Trainings- Trainer Martin Vasquez, den Klinsmann nicht mitbekommen, was wirtschaftlich in umfeld mitbestimmen. Er hat uns das alles aus Los Angeles mitgebracht hat, bei sei- den letzten Jahren passiert ist. Wir können erklärt, und im Erklären ist Jürgen ja sen- nem Antrittstoast in Hoeneß’ Haus am mit manchen Vereinen, die immer reicher sationell. Wir haben natürlich nicht ge- Tegernsee gesagt hat, dass es für ihn das werden, wenn der Ölpreis steigt, geldmäßig wusst, welche Ausmaße das annimmt“, Allergrößte sei, nun zur Bayern-Familie zu nicht mithalten. Oder wir gehen pleite wie sagt Uli Hoeneß und strahlt. gehören, habe es den Uli fast zerrissen, die halbe spanische Liga. Valencia, Sevilla. Alle, die das neue Trainingszentrum ge- sagt jemand, der dabei war. Alle mausetot“, sagt Hoeneß. sehen haben, sagen, es sei einzigartig in Die Familie. So sieht er den Verein. Und offenbar meinte Klinsmann genau das- selbe. Hoeneß darf auf der Bank sitzen bleiben. Er soll sogar. Er ist Teil des Pro- jekts. Er ist jetzt auch modern. Jürgen Klinsmann will eine Bayern- Identität entwickeln, etwas Einzigartiges in der verwaschenen Welt der globalisier- ten Vereine, die ihre Spieler wechseln wie ihre Hemden. „Der FC Bayern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten selbst defi- niert“, sagt Jürgen Klinsmann. „Mir san mir – das ist die Philosophie“, sagt er. Er will, dass seine Spieler im Kinosaal Videos der alten Spiele sehen. Sie werden Becken- bauer, Breitner und Müller in kurzen Ho- sen sehen, aber auch Uli Hoeneß und Karl- Heinz Rummenigge, ihren Manager und ihren Vorstandschef. Schweini, Poldi und Toni sollen begreifen, dass sie Teil dieser ewigen Geschichte sind. Dass sie diese Ge- schichte weiterschreiben, sagt Klinsmann. „Ich zeig Ihnen mal, worum es geht“, Computer-Trainingsplan in der Kabine: Für jeden Spieler einen eigenen Tagesablauf sagt Rummenigge, springt auf und kommt zwei Minuten später mit einem schmalen Buch wieder. Es ist in braunes Leder ge- bunden, vorn steht drauf: „Mir san mir“. Es sind Bilder drin, die Bayern-Spieler der ver- gangenen 40 Jahre in glücklichen Momen- ten zeigen, nach Toren, nach gehaltenen Elfmetern, nach gewonnenen Meister- schaften. Es ist ein Dummy. Sie arbeiten noch dran. Aber so in etwa stellen sie sich das vor. Das Büchlein liegt auf dem Tisch wie eine heilige Schrift. Es ist berührend zu sehen, wie die beiden Männer, die alle Fuß- ballpokale dieser Welt gewonnen haben, einen Augenblick lang nach ihrem Zentrum zu suchen scheinen. Sie tasten sich an den Sinn heran, an die Botschaft, die Zukunft, irgend so was. Sie lernen das. Jürgen Klins- mann hat sich vorgenommen, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge mitzuneh- men. Zwei Etagen weiter unten, im Me- dientrakt, erklärt Tim Borowski an seinem ersten Arbeitstag gerade, dass er das Sieger- Gen schon spüre. FOTOS: MÜNCHEN FC BAYERN In diesem Moment kann man sich vor- Buddhafigur im Trainingszentrum: In den Pausen Meditation und Yoga stellen, dass Jürgen Klinsmann die Bay- der spiegel 31/2008 113 Sport ern bändigt und erzieht. Das ist seine Aufgabe. Eigentlich war ja schon die Art und Wei- se, mit der er verpflichtet wurde, ein Teil des modernen FC Bayern, den Jürgen Klinsmann erschaffen will. Still und über- raschend, statt laut und vorhersehbar. Es war ein richtiger Coup, weil nichts aus dem Verein heraussickerte, der wie kein ande- rer deutscher Club mit den Medien ver- bandelt ist, und natürlich weil es sich um Jürgen Klinsmann handelte. Klinsmann hatte Mitte der Neunziger zwei Jahre für den FC Bayern gespielt, von denen vor allem in Erinnerung blieb, dass er mal wütend gegen eine Werbetonne der Firma Sanyo trat, nachdem er ausgewech- selt worden war. Er stritt sich mit Lothar Matthäus, verzweifelte an der Boulevard- presse und wurde von führenden Vereins- DPA / PICTURE-ALLIANCE/ SCHIRNER SPORTFOTO mitgliedern Flipper genannt, wenn ihm der Europapokal-Siegermannschaft von 1974: Poldi, Schweini und Toni sollen begreifen … Ball wieder mal vom Fuß sprang. Klins- mann floh regelrecht aus München, er zog später nach Amerika, wurde dort Teilhaber einer Firma namens Soccer Solutions und kehrte erst als Trainer der deutschen Na- tionalmannschaft in die Öffentlichkeit zurück. Klinsmann holte bei der Welt- meisterschaft 2006 den dritten Platz und die Herzen der ganzen Welt. Er hatte Angebote aus Amerika, Austra- lien und auch vom FC Liverpool. Er spricht fünf Sprachen. Man hätte anneh- men können, dass ihn nichts nach Mün- chen bringen würde. Auf der ersten Pres- sekonferenz wirkte er zwischen Rumme- nigge, Hoeneß und Beckenbauer wie ein Junge, der sich verlaufen hat. So wenig hatte man mit ihm gerechnet. / PIXATHLON IMAGES / ACTION JOHN SIBLEY „Es war eine emotionale Entscheidung“, … dass sie diese Geschichte weiterschreiben: Champions-League-Gewinner von 2001 sagt Klinsmann und blinzelt. „Wir haben uns in München unglaublich wohl gefühlt In der folgenden Stunde entwirft Klins- Als er im Januar das erste Mal hier war, damals, nur in meinem Beruf ging es mann einen Plan, in dem sich seine ameri- haben ihm die Bayern-Funktionäre beiläu- manchmal drunter und drüber. Der FC kanischen Erfahrungen mit der Geschich- fig erzählt, dass sie einen Anbau planen. Hollywood mit all seinen Meinungs- te des FC Bayern zu einem Konzept Einen ganzen Block voller Büros.