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DIE ABSOLUTE DICHTUNG PAUL CELANS (II. TEIL)

HELMUTGROSS

Der 1. Teil dieser Interpretation erschien in DOITSU BUNGAKU Heft 44 vom Fruhjahr 1970. Wenig spater trat freiwillig aus dem Leben. "... hatter als ich/lag keiner am Wind" und "ich Fahrensmann/ geh", diese Verse gegen Ende des Gedichtbands "" erschienen jetzt in neuer Bedeutung. Celans personliches Verstummen aber war kein dichterisches. Sein Werk besteht. Zwei weitere Gedichtbande sind postum erschienen-Anlass und Gelegenheit, meine damals gegebene Interpreta- tion in einem vorher nicht geplanten 2. Teil auf diese Bande auszudehnen und anhand seither veroffentlichter Untersuchungen zu uberprufen. I ""erschien 1970, "Schaeepart"1971.1) Der erstgenannte Band wurde vom Dichter selbst noch zum Druck gegeben. Sein Titel ist der Vers eines Gedichts daraus. Der zweite Band wurde vollstandig abge- schlossen im Nachlassaufgefunden. Sein Titel stammt von einem darin ent- haltenen Titelgedicht. Folgt man diesen Hinweisen, dann stellt der Band "Lichtzwang" ein nochmaliges dichterisches Erhellenwollen dar: Doch konnten wir nicht hinuberdunkeln zu dir: es herrschte Lichtzwang. Diesen Lichtzwang setzte dann Celan vielleicht als einen letzten ver- zweifelten Versuch des Sich-Behauptens gegen das ihn seit den Nazi- Pogromen ringsum bedrangende Chaos. Doch der Band "" zeigt, dassdas kalte Grauen zunahm:

1) In Seitenverweisen abgekurzt LZ und SP. Dazu noch FS fur "Fadensonnen,"SG fur "," NR fur "." Die absoluteDichtung Paul Celans(II. Teil) 99 Schneepart, gebaumt, bis zuletzt, im Aufwind, vor den fur immer entfensterten Hutten ... Der Part, die Rolle des Dichters, hoffnungslos draussen im Schnee vor fensterlos gewordenen Behausungen, ist vergeblich. In beiden Banden sind Wortpragungen mit Licht und mit Schnee haufig, wobei Licht fur Erhellenwollen steht, Schnee fur frostige Vereinzelung. Zwischen diesen in die beiden Titel eingegangenen Spannungspolen sind diese letzten Gedichtzyklen Celans angesiedelt. Ausweglosigkeiten sind in "Lichtzwang" spurbar, aber vereinzelt: "Kein Spater", Hoffnung auf "eine gerechte/Geburt", "Totstell-Reflexe", "Lesestationen im Spatwort", "Todes quitt, Gottes/quitt". In "Schneepart" dagegen, dessen Gedichte zum Teil gleichzeitig, zum Teil sogar davor entstanden, von Celan zu Lebzeiten aber zuruckgehalten wurden, sind solche Stellen undberhorbar: "Du, in dein Tiefstes geklemmt,/entsteigst dir/fur immer", "ich hore, sie nennen das Leben/die einzige Zuflucht", "Die nachzustotternde Welt,/bei der ich zu Gast/gewesen sein werde", "Es ist Uberabend", "Warum aus dem Ungeschopften,/da's dich erwartet, am Ende, wieder/hinausstehn?", "Vertag dich nicht, du", "ich wintre/zu dir uber". Von den Themen der fruheren Bande finder sich in "Lichtzwang" und "Schneepart" weiterhin das Thema Liebe in kuhnen Bildern und Verglei- chen, das Thema Judisches dagegen tritt zuruck. Der im Band "Faden- sonnen" aufgetretene kritische Gegenwartsbezug verstarkt sich. Wieder sind es einzelne Worter und Wendungen, wie "Fertigungs-/halle" und "Uberdruckhelm", wie "Flugschreiber", "Cockpit" und "Felgenring", hort man "Sperrtonnensprache, Sperrtonnenlied. /Die Dampfwalze wummert" (in LZ); "raupen die Tanks", erscheinen "die bildersuchtige blanke/Roll- treppe" und "Euphorisierte/Zeitlupenchore behirnter/Zukunftssaurier" (in SP). Daruber hinaus sind es auch ganze Gedichte zu politischen und technischen Themen der Gegenwart: Mitgefuhl mit Vietnam (LZ 33), Astronauten im All (LZ 77), Raumfahrt (SP 77/78), Berliner Mauer (SP 8) und Pariser Mai (SP 76). Formal ergibt sich: Die Auflosung von Wortern verschwindet in den beiden letzten Banden ganz, eine Wortzusammenziehung gibt es nur ein- mal: "Immerimmer" (LZ 87). Die Diskontinuitat des Sprechens und ihre Akzentuierung, die charakteristische Versgitter-Metrik, bleiben. 100 H. Gross

II Was bedeutet all dies fur die aufgeworfene Frage absolutes Dichtung? Im 1. Teil hat sich gezeigt, dass Celan den Ansatz Mallarmes modifiziert und konsequent in unsere Zeit gebracht hat,1) dass er zu einer absoluten Dichtung mit humanem Antlitz gelangt ist. Kennzeichen fur die Humanitat war nach dem Gang in die Enge eine Wende zu einer Neudurchdringung mit Herz=Menschlichem und zu einem neuen dichterischen Klang. Zum Schlusselwort Herz findet sich auch in "Lichtzwang" ein Gedicht:

Das Wildherz, verhauslicht vom halbblinden Stich in die Lunge, Veratmetes sprudelt, langsam, blutunterwaschen konfiguriert sich das selten verheissne rechte Neben- leben.

Gegenuber dem im 1. Teil interpretierten Gedicht "Kleide die Wort- hohlen aus" ergibt sick: Dort war, im dichterischen Herz-Wort-Bild, Wildnis=Fremdheit eines der Mittel, durch die die hohl gewordenen Worte erneuert wurden. Dafur steht auch das Wort Wildherz hier. Aber jetzt ist es dutch Fremdeinwirkung verhauslicht, die Worse sind veratmet. Nicht mehr

1) Der Unterschied zwischen Mallarme und Celan ist in einem seither erschienenen Aufsatz bis zum Band "" genauer untersucht worden: Gerhard Neumann, Die 'absolute' Metapher/Ein Abgrenzungsversuch am Beispiel Stephane Mallarmes und Paul Celans, in: Poetica Nr. 3/1970. Storend an diesem aufschlussreichen Beitrag ist nur, dass der Vcrfasser ungchemmt philologisches Faktenwissen ausbreitet, anstatt sich auf sein Thema zu beschranken. Er arbeitet mit den Heideggerschen Termini Eigentlichkeit/ Uneigentlichkeit und kommt zu dem Ergebnis: "Celans Metaphern sind 'absolut'; denn ihr uneigentliches Glied tritt allein in Erscheinung. Ihr Eigentlichkeitsbezug wird verschwiegen-wenn auch keineswegs getilgt. Sie unterscheiden sich von den 'absolu- ten' Metaphern mallarmescher Pragung dadurch, dass sie Wirklichkeit nosh nicht besitzen ..., wahrend Mallarmes Metaphern diese nicht mehr besitzen, die Tilgung des Wirklichkeitsbezugs-und im Tiefsten sogar die Tilgung der Sprache-als Voraussetzung des reinen Gedichts postulieren." (S. 215) Die absolute Dichtung Paul Celans (II. Teil) 101 von Hellblut und Hellwort (FS 96) ist die Rede, sondern von Wortschatten im Gedicht "Schneepart", vom blutunterwaschenen Nebenleben hier. Das erinnert an die Satze Heideggers aus seinen Analysen uberdie Durchschnitt- lichkeit, das Man: "Alles Ursprungliche ist uber Nacht als langst bekannt geglattet. Alles Erkampfte wird handlich."1) Das ist bei Celan die Fremd- einwirkung, der halbblinde Stich in die Lunge. Von einem Besuch bei Heidegger in Todtnauberg ist in einem anderen Gedicht von "Lichtzwang" die Rede. Der Dichter hat eire ins Gastebuch

geschriebene Zeile von einer Hoffnung, heute, auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen ... Nachdem das Herz das dichterische Wort nicht mehr mit neuem Blut auf- iadt, hofft Celan jetzt auf das denkerische Wort fur die Zukunft. Dass die Ursprunglichkeit des dichterischen Wortes gegen die allseitigen Gef ihrdun- gen zu behaupten sei, daran ist er endgultig verzweifelt. So heisstein Gedicht in "Schneepart": Und Kraft und Schmerz und was mich stiess und trieb und hielt: Hall-Schalt- Jahre, Fichtenrausch, einmal, die wildernde Uberzeugung, dassdies anders zu sagen sei als so. Dieses Verzweifeln fuhrte Celans Dichten nicht wieder in eine Wortnacht (SG 40) wie in den funfziger Jahren. Die in der Buchner-Rede genannte Neigung zum Verstummen war diesmal total: "die tatverdachtige/Fund- sache Seele" (LZ 80) zu uberwinden. Die Auflosung betraf nicht mehr die Sprache, sondern die eigene Existenz. Celan folgte dem Weg, auf dem seine Gedichte schon immer waren: ins Nichts. 1) Martin Heidegger, Sein und Zeit, 9. Aufl. Tubingen 1960, S. 127. 102 H. Gross Dabei ist dieses Nichts nicht negativ zu sehen. Zum Freitod Celans als eines Dichters, der in eine neue Wirklichkeit vorstiess,schrieb Franz Buchler: "Wenn wit dem dahingegangenen Begrunder dieser Wirklichkeit einen Nachruf nachschicken,ist es kein 'Nach-Rufen' nach dem Vergangenen ..., sondern, wenn es heute schon moglich ist, ein 'Vor-Schweigen' vor dem Zukunftigen, eine-schwermutige-Hoffnung auf das Freiwerden seiner Gestalt."1) Und zum Nichts heisst es bei Gerhard Neumann: "'Nichts' ist dasjenige, was sprachlich unbenannt, mithin (nach Celans Poetik) para- doxerweise Wirklichkeit' ist, eine sprachlich noch unbesetzte, vielleicht ansprechbare Wirklichkeit; jene unheimliche, namenlose Wirklichkeit, auf die hin das Gedicht unterwegs ist" (S. 213). Diese Wirklichkeit ist aber nicht ganz so unfassbar,wie es hier anklingt. Das genannte Paradox, der Umschlag von Nichts in Alles, verweist auf mystische Erfahrung, in die Celan durch seine osteuropaisch-judische Herkunft hineinreicht. Joachim Schulze, der von diesem Ansatz aus Celansche Gedichte interpretiert,2) kommt zu frap- panten Ergebnissen und Ubereinstimmungen mit mystischen Texten. Allerdings- und das weiss Schulze selbst-ist dieser Ansatz kein Ge- neralschlussel zu Celans Gesamtwerk. Der Umschlag von Nichts in Alles ist nur scheinbar widersinnig. Er findet sich aber in alter Durchbruchserfahrung in gleicher Weise. Zum Beispiel auch-was sick fur Japan nahelegt-im Zen-Buddhismus. Der buddhistische Begriff der Leere meint nicht Fehlen oder Leersein, sondern die in sich unerschopfliche Leerform alter Formen: "Sie ist ein Nichts voll unbegrenzter Moglichkeiten, eine Leere voll unerschopflicher Inhalte."3) Die Leere ist das Nichts, und als das Eine im Unterschied zum Vielen ist sie das Absolute: "Sunyata oder Leere ist die Welt des Absoluten, und Tathata oder die Sobeschaffenheitist die Welt des Gesonderten." Sieht man nicht auf Unterschied, sondern auf Einheit, dann ist beides dasselbe, ist "Sunyata gleich Tathata, und Tathala ist Sunyata."4) Das gleiche hat Hegel gesehen, mit seinem Gedanken der Identitat von

1) Franz Buchler, Gedenken an Paul Celan, in: Neue Rundschau Nr. 81/1970, S. 634. 2) Joachim Schulze, Mystische Motive in Paul Celans Gedichten, in: Poetica Nr. 3/1970. 3) Daisetz T. Suzuki, Mysticism: Christian und Buddhist, zitiert nach der deutschen Ubersetzung: Der westliche und der ostliche Weg, Ullstein-Buch Nr. 299, Berlin 1960, S. 35. 4) Daisetz T. Suzuki, Zen-Buddhism and its Influence on Japanese Culture, zitiert nach der deutschen Ubersetzung: Zen und die Kultur Japans, rde 66, Hamburg 1958, S. 24. Die absolute Dichtung Paul Celans (II. Teil) 103 Sein und Nichts: "Sein, reines Sein ... Es ist die reine Unbestimmtheit und Leere ... Das Sein, das unbestimmte Unmittelbare, ist in der Tat Nichts, und nicht mehr noch weniger als Nichts."1) Jede Absolutheit, auch die dichterische, lasst ein Nichts aufbrechen. Hier ist eine Korrektur zum 1. Teil notwendig, wo zwischen Hegel und Mallarme einerseits und Heidegger und Celan andererseits unterschieden wurde: es ist bei allen ein Nichts gleicher Art. Heidegger formuliert: "Das Nichts ist die Ermoglichung der Offenbarkeit des Seienden als eines solchen fur das menschliche Dasein. Das Nichts gibt nicht erst den Gegenbegriff zum Seienden her, sondern gehort ursprunglich zum Wesen selbst."2) Dieser Sinn von Nichts findet sich auch bei Celan. Dietlind Meinecke stellt in ihrer Untersuchung Celanscher Sprachlichkeit bis zum Band. "Atemwende" fest: "Die Begriffe Ursprung und Nichts gehen aufeinander zu, ohne schlechtweg gleichgesetzt werden zu konnen."3) Somit lassen sich die Verse aus dem Schluligedicht des Bandes "Lichtzwang" wie folgt verdeutlichen: durchgrnndet vom Nichts, ledig allen Gebets, feinfugig, nach der Vor-Schrift, unuberholbar, nehm ich dich auf ...

Das Nichts als Grund lasst der Bemuhung, der Anstrengung des Gebetes, ledig werden. Die Leerform wird mit Erfahrung gefullt, im feinfuhligen Sich-Einftigen in die Beschaffenheit von Wirklichkeit und Sein, die vor- geschrieben=im voraus geschrieben ist, vom Menschen also nur getroffen werden muss. Dann geschieht eine unuberholbare, unmittelbare Du-Erfah- rung. Ob sic die mystische Vereinigung mit Gott ist, die sexuelle Vereinigung mit der Geliebten oder die sehnsuchtsvolle Ruckerinnerung an die von den Nazis ermordete Mutter4): es ist dieselbe Du-Erfahrung, und alle drei Arten 1) G. W. F. Hegel, Wissenschaftder Logik, I. Teil, Philosophische Bibliothek Bd. 56, Hamburg 1963,S. 66/67. 2) Martin Heidegger,Was ist Metaphysik?5. Aufl. Frankfurt 1949,S. 32. 3) Dietlind Meinecke, Wort und Name bei PaulCelan/Zur Widerruflichkeit des Gedichts, Literatur und Reflexion Bd. 2, Bad Homburg-Berlin-Zurich 1970, S. 44. 4) Hinweiseauf die Bedeutungder Mutter in CelansLyrik linden sickbei Buckler,a.a.O. 104 H. Gross finden sich in Celans Dichtung. Jeder Interpretationsversuch, sie nur auf eine Art festzulegen, greift zu kurz.1) Celan steht ausserin der judischen Uberlieferung auch in der literarischen europaischen,ein Dichter der Gegenwart, dem Anspruch absoluter Dichtung verpflichtet, abet nicht abweisend und esoterisch wie bei Mallarme, sondern faszinierend und mit humanem Antlitz. Dazu, zur Menschlichkeit, gehort der kritische Gegenwartsbezug: Mit seinen Mitteln stellte sich Celan auch den Themen seiner Zeit, an denen er voll Anteil nahm. Jurgen P. Wallmann berichtet von seiner letzten Begegnung mit dem Dichter im April 1969: "Er sprach lebhaft von den politischen Weltereignissen, die er aufinerksam in der Presse verfolgte ..., von der Lage in der Tschechoslowakei, von seiner Beunruhigung uber den Neo-Nazismus in Deutschland, von dem sich unter den farbigen Amerikanern ausbreitenden Antisemitismus. Auch von der ein Jahr zuruckliegenden Pariser Mai-Revolte erzahlte er ..."2) Der Vorwurf von Ulrich Greiner, Celans Lyrik sei unpolitisch, trifft daher nicht zu.3)Naturlich darf man sie nicht, wie er es tut, an der Brechtschen Lyrik messen, die gehort in eine andere Dimension, die engagierte, nicht die absolute. Jede Interpretation Celanscher Dichtung auf orthodox christliche oder judische Glauhigkeit ist einseitig. Als christliche Glaubigkeit noch un- gebrochen gultig war, da hat sie Selbstmorder bestraft mit Bestattung in ungeweihter Erde. Ein solcher Platz war der Friedhof von Thiais im Suden von Paris, auf dem Celan nach eigener Verfugung bestattet werden wollte.4) Wie wird Interpretation auf Glaubigkeit damit fertig und mit solch 'ketzeri- schen' Stellen, wie sie sich im Band "Schneepart" linden: "Merkurius als Christ", "die Schutte/mussiger Andacht, /einen/Kolbenschlag von/den 1) Zwei Beispiele: Peter Paul Schwarz, Totengedachtnis und dialogische Polaritat in der Lyrik Paul Celans sowie Wilhelm Hock, Von welchem Gott ist die Rede? Schwarz vereinseitigt auf "die hyperbolische Gespanntheit des dichterischen Ichs zum Du der Toten" und weist die erotische Bedeutung ausdeticklich zuruck. Hock bezicht die Verse "es Bind/noch Lieder zu singen jenseits/der Menschen" des Gedichts "Fadensonnen" nur theologisch auf das gottliche Jenseits.-Beide Artikel in der von Dietlind Meinecke herausgegebenen Aufsatz-Sammlung: Uber Paul Celan, edition suhrkamp Bd. 495, Frankfurt 1970. 2) Jurgen P. Wallmann, Paul Celan-sein Weg und seine Dichtung, in: Universitas Nr. 26/1971. 3) Ulrich Greiner, Sind noch Lieder zu singen? Zur Lyrik Paul Celans, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.6.1970. 4) Freundlicher Hinweis von Gregor Laschen. Die absolute Dichtung Paul Celans (II. Teil) 105 Gebetssilos weg", "Die Ewigkeit halt sich in Grenzen"? Und mit der Stelle im drittletzten Gedicht von "Lichtzwang," wo nicht der Er-sondern der Ent-hohte die Worte spricht:

Todes quitt, Gottes quitt. Mit dem Tod ist alles zu Ende! Hier klingt wieder die Befreiung durch Selbstmord an, der Gang ins Nichts. Eine solche Stelle durfte ausser ortho- dox-glaubiger auch mystisch-glaubiger Deutung Schwierigkeiten machen. Dagegen verweist sie auf die radikale Endlichkeit des Daseins, wie sie die Heideggersche Position von "Sein und Zeit" kennzeichnet. Auch vom Zen her bieten sich Aufschlusse an. Dabei ist unerheblich, ob Celan Zen-Ge- danken gekannt hat oder nicht. Wie Schulze fur seine Untersuchung mysti- scher Motive betont: "Wer eine solche Motivtypologie betreibt, kann ohne weiteres Texte miteinander vergleichen, zwischen denen raumlich und zeitlich keine unmittelbare Beziehung besteht, da es lediglich auf die Gleich- formigkeit der betrachteten Phanomene ... ankommt" (a.a.O., S. 484). Das wird auch hier in Anspruch genommen. Fur Zen ist die reine Be- schrankung aufs Diesseits kennzeichnend, die Transzendenz in der Imma- nent, die in der Erleuchtung erfahren wird) Sie bedeutet fur den Betreffenden ein "Freiwerden seiner Gestalt" im Sinne Bucklers. Die Erleuchtung ist ein Gang ins Nichts ohne Vernichtung, Tod und Neugeburt zugleich, eine radi- kale Wende. Auf dem Weg seiner Dichtung aber war fur Celan eine vergleichbare Wende nicht mehr moglich.

III Celans Weg ins Nichts war konsequent. Es "tritt die Beziehung zwischen Dichtung und Existent ... selten so scharf artikuliert hervor wie bei dem Dichter Paul Celan", schreibt Dietlind Meinecke(S. 31), deren Untersuchung die Akzentuierung Wort und Name' hat. Um diese Akzentuierung auf- zugreifen: Am dichterischen Wort ist Celan, das wurde bereits gezeigt, in seinen beiden letzten Gedichtbanden endgultig verzweifelt. Und zum Namen folgendes Gedicht aus "Lichtzwang": Die ruckwartsgesprochenen 1) vgl. meinen Aufsatz: Tragik in Japan, in: Hochland Nr. 61/1969, dort S. 376. 106 H. Gross Namen, alle, der ausserste,zum Konig gewiehert vor Rauhreifspiegeln, umlagert, umstellt von Mehrlingsgeburten, der Zinnenriss durch ihn, der dich Vereinzelten mitmeint.

Nun kann sich der Dichter auch nicht mehr behaupten im Nennen von Namen. Alle Namen sind ruckwarts gewendet, bis hinauf zum hochsten, dem Konig. Naturlich besteht hier ein Bezug zum Vers "Im Nichts-wer steht da? Der Konig." (NR 42). Dort kam Celan "zu der traditionellsten Aussage seiner Religionsgemeinschaft uber Gott" (Schulze, S. 477). Jetzt trifft dieser Name nur noch einen Gotzen vor Rauhreifspiegeln, das ist eine neue Form von "Dunkelspiegel" (FS 89): blind geworden nicht durch Alter und Schmutz, sondern durch frostiges Ausgesetztsein. Zum Gotzen empor- gewiehert ist er von den ihn Umlagernden, den Mehrlingsgeburten. Diese entsprechen dem blutunterwaschenen Nebenleben in LZ 53. Der Riss von oben bis unten, der Gott zum Gotzen verdirbt, treibt den Vereinzelten, den Dichter, in die Ausweglosigkeit. In "Schneepart" heisst es an einer Stelle:

ein weiterer Name -du, du beleb dich!- musseine Ziffer dulden, Unzahlbarer du: um ein Un- zeichen bist du ihnen allen voraus. Auch der beschworende Zuruf des Dichters vermag diesen Namen nicht zu beleben, auch er ist erstarrt und wird, von den oben genannten Mehrlings- geburten, eingeordnet und katalogisiert. Dabei ist er als Name unzahibar, nicht zu katalogisieren und allen Mehrlingsgeburten voraus. Voraus um Die absoluteDichtung Paul Celans(II. Teil) 107 etwas, das kein Zeichen ist, nicht fassbar,ein Un-. Und doch ist es dasjenige, das Abhebung bewirkt, die qualitative Differenz des einfachen zum gefullten Namen der dichterischen Rede. Das war einmal moglich; jetzt kommt es nicht mehr dazu.

IV Bis zum Band "Fadensonnen" hat Celan in seiner Dichtung einen Weg gefunden, weiterzusingen jenseits der Menschen, aber nicht abweisend und esoterisch, sondern mit Menschlichkeit und Gegenwartsbezug. Dann konnte er den Anspruch des Absoluten, der im letzten immer unerfullbar ist, nicht langer durchhalten. Wie Greiner schreibt: "Es sind noch Lieder zu singen. Fur Celan war es am Ende klar, dass dieser Satz nur die Notwendigkeit, nicht die Moglichkeit enthalt." (a.a.O.) Als diese Notwendigkeit, der 'Lichtzwang', seine Krafte uberstieg und die frostige Vereinzelung rich ver- scharfte, als er die Ursprtinglichkeit des dichterischen Wortes gegen die Gefahrdungen nicht mehr behaupten konnte, als der Name dichterischer Nennung nicht mehr trug, da wahlte Celan den Weg ins Nichts als Befreiung der Person. Und hinterliel ein Werk, mit dem er seinen Anspruch des Absoluten nach Menschenmoglichkeit erfullt hat. Es war ihm nicht gelungen, wie Mallarme in seinem zuruckgezogenen Arbeiten, die von Goethe genann- te Klippe zu vermeiden: "Unbedingte Tatigkeit, von welcher Art sie sei, macht zuletzt bankerott." Das muss nicht so sein, das Beispiel Mallarme beweist es. (Die am Schluss des 1. Teils von Mallarme-Celan im literarischen Bereich zu Marx-Dubcek im politischen Bereich gezogene Parallele Iasst sich jetzt verstarken: Zur Erfullung des gegenwartig Notwendigen wollte Celan, anders als Mallarme, die absolute Dichtung mit humanem Antlitz und scheiterte an der UbergrossenAufgabe durch Nicht-Durchhalten der Krafte. Zur Erfullung des gegenwartig Notwendigen wollte Dubcek, anders als Marx, den Sozialismus mit humanem Antlitz und scheiterte an der uber- grossen Aufgabe dutch Eingriff von aussen.In beiden Fallen bleibt das Ziel fur Spatere als Aufgabe bestehen.)