DIE ABSOLUTE DICHTUNG PAUL CELANS (II. TEIL) HELMUTGROSS Der 1. Teil dieser Interpretation erschien in DOITSU BUNGAKU Heft 44 vom Fruhjahr 1970. Wenig spater trat Paul Celan freiwillig aus dem Leben. "... hatter als ich/lag keiner am Wind" und "ich Fahrensmann/ geh", diese Verse gegen Ende des Gedichtbands "Fadensonnen" erschienen jetzt in neuer Bedeutung. Celans personliches Verstummen aber war kein dichterisches. Sein Werk besteht. Zwei weitere Gedichtbande sind postum erschienen-Anlass und Gelegenheit, meine damals gegebene Interpreta- tion in einem vorher nicht geplanten 2. Teil auf diese Bande auszudehnen und anhand seither veroffentlichter Untersuchungen zu uberprufen. I "Lichtzwang"erschien 1970, "Schaeepart"1971.1) Der erstgenannte Band wurde vom Dichter selbst noch zum Druck gegeben. Sein Titel ist der Vers eines Gedichts daraus. Der zweite Band wurde vollstandig abge- schlossen im Nachlassaufgefunden. Sein Titel stammt von einem darin ent- haltenen Titelgedicht. Folgt man diesen Hinweisen, dann stellt der Band "Lichtzwang" ein nochmaliges dichterisches Erhellenwollen dar: Doch konnten wir nicht hinuberdunkeln zu dir: es herrschte Lichtzwang. Diesen Lichtzwang setzte dann Celan vielleicht als einen letzten ver- zweifelten Versuch des Sich-Behauptens gegen das ihn seit den Nazi- Pogromen ringsum bedrangende Chaos. Doch der Band "Schneepart" zeigt, dassdas kalte Grauen zunahm: 1) In Seitenverweisen abgekurzt LZ und SP. Dazu noch FS fur "Fadensonnen,"SG fur "Sprachgitter," NR fur "Die Niemandsrose." Die absoluteDichtung Paul Celans(II. Teil) 99 Schneepart, gebaumt, bis zuletzt, im Aufwind, vor den fur immer entfensterten Hutten ... Der Part, die Rolle des Dichters, hoffnungslos draussen im Schnee vor fensterlos gewordenen Behausungen, ist vergeblich. In beiden Banden sind Wortpragungen mit Licht und mit Schnee haufig, wobei Licht fur Erhellenwollen steht, Schnee fur frostige Vereinzelung. Zwischen diesen in die beiden Titel eingegangenen Spannungspolen sind diese letzten Gedichtzyklen Celans angesiedelt. Ausweglosigkeiten sind in "Lichtzwang" spurbar, aber vereinzelt: "Kein Spater", Hoffnung auf "eine gerechte/Geburt", "Totstell-Reflexe", "Lesestationen im Spatwort", "Todes quitt, Gottes/quitt". In "Schneepart" dagegen, dessen Gedichte zum Teil gleichzeitig, zum Teil sogar davor entstanden, von Celan zu Lebzeiten aber zuruckgehalten wurden, sind solche Stellen undberhorbar: "Du, in dein Tiefstes geklemmt,/entsteigst dir/fur immer", "ich hore, sie nennen das Leben/die einzige Zuflucht", "Die nachzustotternde Welt,/bei der ich zu Gast/gewesen sein werde", "Es ist Uberabend", "Warum aus dem Ungeschopften,/da's dich erwartet, am Ende, wieder/hinausstehn?", "Vertag dich nicht, du", "ich wintre/zu dir uber". Von den Themen der fruheren Bande finder sich in "Lichtzwang" und "Schneepart" weiterhin das Thema Liebe in kuhnen Bildern und Verglei- chen, das Thema Judisches dagegen tritt zuruck. Der im Band "Faden- sonnen" aufgetretene kritische Gegenwartsbezug verstarkt sich. Wieder sind es einzelne Worter und Wendungen, wie "Fertigungs-/halle" und "Uberdruckhelm", wie "Flugschreiber", "Cockpit" und "Felgenring", hort man "Sperrtonnensprache, Sperrtonnenlied. /Die Dampfwalze wummert" (in LZ); "raupen die Tanks", erscheinen "die bildersuchtige blanke/Roll- treppe" und "Euphorisierte/Zeitlupenchore behirnter/Zukunftssaurier" (in SP). Daruber hinaus sind es auch ganze Gedichte zu politischen und technischen Themen der Gegenwart: Mitgefuhl mit Vietnam (LZ 33), Astronauten im All (LZ 77), Raumfahrt (SP 77/78), Berliner Mauer (SP 8) und Pariser Mai (SP 76). Formal ergibt sich: Die Auflosung von Wortern verschwindet in den beiden letzten Banden ganz, eine Wortzusammenziehung gibt es nur ein- mal: "Immerimmer" (LZ 87). Die Diskontinuitat des Sprechens und ihre Akzentuierung, die charakteristische Versgitter-Metrik, bleiben. 100 H. Gross II Was bedeutet all dies fur die aufgeworfene Frage absolutes Dichtung? Im 1. Teil hat sich gezeigt, dass Celan den Ansatz Mallarmes modifiziert und konsequent in unsere Zeit gebracht hat,1) dass er zu einer absoluten Dichtung mit humanem Antlitz gelangt ist. Kennzeichen fur die Humanitat war nach dem Gang in die Enge eine Wende zu einer Neudurchdringung mit Herz=Menschlichem und zu einem neuen dichterischen Klang. Zum Schlusselwort Herz findet sich auch in "Lichtzwang" ein Gedicht: Das Wildherz, verhauslicht vom halbblinden Stich in die Lunge, Veratmetes sprudelt, langsam, blutunterwaschen konfiguriert sich das selten verheissne rechte Neben- leben. Gegenuber dem im 1. Teil interpretierten Gedicht "Kleide die Wort- hohlen aus" ergibt sick: Dort war, im dichterischen Herz-Wort-Bild, Wildnis=Fremdheit eines der Mittel, durch die die hohl gewordenen Worte erneuert wurden. Dafur steht auch das Wort Wildherz hier. Aber jetzt ist es dutch Fremdeinwirkung verhauslicht, die Worse sind veratmet. Nicht mehr 1) Der Unterschied zwischen Mallarme und Celan ist in einem seither erschienenen Aufsatz bis zum Band "Atemwende" genauer untersucht worden: Gerhard Neumann, Die 'absolute' Metapher/Ein Abgrenzungsversuch am Beispiel Stephane Mallarmes und Paul Celans, in: Poetica Nr. 3/1970. Storend an diesem aufschlussreichen Beitrag ist nur, dass der Vcrfasser ungchemmt philologisches Faktenwissen ausbreitet, anstatt sich auf sein Thema zu beschranken. Er arbeitet mit den Heideggerschen Termini Eigentlichkeit/ Uneigentlichkeit und kommt zu dem Ergebnis: "Celans Metaphern sind 'absolut'; denn ihr uneigentliches Glied tritt allein in Erscheinung. Ihr Eigentlichkeitsbezug wird verschwiegen-wenn auch keineswegs getilgt. Sie unterscheiden sich von den 'absolu- ten' Metaphern mallarmescher Pragung dadurch, dass sie Wirklichkeit nosh nicht besitzen ..., wahrend Mallarmes Metaphern diese nicht mehr besitzen, die Tilgung des Wirklichkeitsbezugs-und im Tiefsten sogar die Tilgung der Sprache-als Voraussetzung des reinen Gedichts postulieren." (S. 215) Die absolute Dichtung Paul Celans (II. Teil) 101 von Hellblut und Hellwort (FS 96) ist die Rede, sondern von Wortschatten im Gedicht "Schneepart", vom blutunterwaschenen Nebenleben hier. Das erinnert an die Satze Heideggers aus seinen Analysen uberdie Durchschnitt- lichkeit, das Man: "Alles Ursprungliche ist uber Nacht als langst bekannt geglattet. Alles Erkampfte wird handlich."1) Das ist bei Celan die Fremd- einwirkung, der halbblinde Stich in die Lunge. Von einem Besuch bei Heidegger in Todtnauberg ist in einem anderen Gedicht von "Lichtzwang" die Rede. Der Dichter hat eire ins Gastebuch geschriebene Zeile von einer Hoffnung, heute, auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen ... Nachdem das Herz das dichterische Wort nicht mehr mit neuem Blut auf- iadt, hofft Celan jetzt auf das denkerische Wort fur die Zukunft. Dass die Ursprunglichkeit des dichterischen Wortes gegen die allseitigen Gef ihrdun- gen zu behaupten sei, daran ist er endgultig verzweifelt. So heisstein Gedicht in "Schneepart": Und Kraft und Schmerz und was mich stiess und trieb und hielt: Hall-Schalt- Jahre, Fichtenrausch, einmal, die wildernde Uberzeugung, dassdies anders zu sagen sei als so. Dieses Verzweifeln fuhrte Celans Dichten nicht wieder in eine Wortnacht (SG 40) wie in den funfziger Jahren. Die in der Buchner-Rede genannte Neigung zum Verstummen war diesmal total: "die tatverdachtige/Fund- sache Seele" (LZ 80) zu uberwinden. Die Auflosung betraf nicht mehr die Sprache, sondern die eigene Existenz. Celan folgte dem Weg, auf dem seine Gedichte schon immer waren: ins Nichts. 1) Martin Heidegger, Sein und Zeit, 9. Aufl. Tubingen 1960, S. 127. 102 H. Gross Dabei ist dieses Nichts nicht negativ zu sehen. Zum Freitod Celans als eines Dichters, der in eine neue Wirklichkeit vorstiess,schrieb Franz Buchler: "Wenn wit dem dahingegangenen Begrunder dieser Wirklichkeit einen Nachruf nachschicken,ist es kein 'Nach-Rufen' nach dem Vergangenen ..., sondern, wenn es heute schon moglich ist, ein 'Vor-Schweigen' vor dem Zukunftigen, eine-schwermutige-Hoffnung auf das Freiwerden seiner Gestalt."1) Und zum Nichts heisst es bei Gerhard Neumann: "'Nichts' ist dasjenige, was sprachlich unbenannt, mithin (nach Celans Poetik) para- doxerweise Wirklichkeit' ist, eine sprachlich noch unbesetzte, vielleicht ansprechbare Wirklichkeit; jene unheimliche, namenlose Wirklichkeit, auf die hin das Gedicht unterwegs ist" (S. 213). Diese Wirklichkeit ist aber nicht ganz so unfassbar,wie es hier anklingt. Das genannte Paradox, der Umschlag von Nichts in Alles, verweist auf mystische Erfahrung, in die Celan durch seine osteuropaisch-judische Herkunft hineinreicht. Joachim Schulze, der von diesem Ansatz aus Celansche Gedichte interpretiert,2) kommt zu frap- panten Ergebnissen und Ubereinstimmungen mit mystischen Texten. Allerdings- und das weiss Schulze selbst-ist dieser Ansatz kein Ge- neralschlussel zu Celans Gesamtwerk. Der Umschlag von Nichts in Alles ist nur scheinbar widersinnig. Er findet sich aber in alter Durchbruchserfahrung in gleicher Weise. Zum Beispiel auch-was sick fur Japan nahelegt-im Zen-Buddhismus. Der buddhistische Begriff der Leere meint nicht Fehlen oder Leersein, sondern die in sich unerschopfliche Leerform alter Formen: "Sie ist ein Nichts voll unbegrenzter Moglichkeiten, eine Leere voll unerschopflicher Inhalte."3) Die Leere ist das Nichts, und als das Eine im Unterschied zum Vielen ist sie das Absolute: "Sunyata oder Leere ist die Welt des Absoluten, und Tathata oder die Sobeschaffenheitist die Welt des Gesonderten." Sieht man nicht auf Unterschied, sondern auf Einheit, dann ist beides dasselbe, ist "Sunyata gleich Tathata,
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