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SWR2 Musikpassagen

Street Fighting Man Die Rolling Stones 1970 in Stuttgart Von Christoph Wagner

Sendung: Sonntag, 6. März 2016, 23.03 Uhr Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2016

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Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. ______

Service: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Musikpassagen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 ______

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1. Musik Kompon.: Jagger/Richards Titel: Interpret: CD: Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 2. Track Dauer: bei 0:17 runterziehen und unter Ansage legen

Street Fighting Man Die Rolling Stones 1970 in Stuttgart von Christoph Wagner

1. Musik (Fortsetzung) Kompon.: Jagger/Richards Titel: Gimme Shelter Interpret: The Rolling Stones Dauer: kurz hochziehen

Rolling Stones gegen Beatles – die Rivalität der beiden Bands bestimmte die Popmusik der sechziger Jahre. Dabei kam den Beatles die Rolle der fröhlichen netten Jungs aus Liverpool zu, die Rolling Stones wurden dagegen zu den “Bad Boys of Rock” stilisiert. Nach dem Tod ihres Mitbegründers im Juli 1970, kam Gitarristen in die Band. In neuer Besetzung stellten sich die Stones im September 1970 erstmals auf einer Europa-Tournee den Fans vor.

1. Musik (Fortsetzung) Kompon.: Jagger/Richards Titel: Gimme Shelter Interpret: The Rolling Stones Dauer: von 0:50 spielen, dann bei 2:20 langsam unter nachfolgender Mod ausblenden = insges.: 2:45

Im Dezember 1969 waren die Stones in die Schlagzeilen geraten. Beim “Altamont Free ” in Kalifornien war während ihres Auftritts direkt vor den Augen der Musiker ein schwarzer Jugendlicher von den erstochen worden, die als Ordnungskräfte fungierten. Für viele Chronisten endete mit diesem “schlimmsten Tag in der Geschichte des Rock „n‟ Roll” der Traum von Love, Peace und Happiness. Die Ideale von lagen in Trümmern. Die Flower-Power-Ära war zu Ende.

2. Musik Kompon.: Jagger/Richards Titel: Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks

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Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 11. Track Dauer: etwas vorausgehender Mod unterlegen, dann im Gitarrensolos bei 3:10 ausblenden = 3:10

Als 1970 die Nachricht von einem Auftritt der Rolling Stones in Stuttgart die Runde machte, kam Bewegung in die Jugendszene im deutschen Südwesten. Auftritte von The Who 1967 in Ravensburg und Ulm sowie von Jimi Hendrix im Januar 1969 in der Stuttgarter Liederhalle hatten den Weg bereitet. Auch Deep Purple und Fleetwood Mac waren bereits in der Landeshauptstadt aufgetreten. Jetzt kündigten die Rolling Stones für Sonntag, den 20. September 1970 in der Halle 6 auf dem Stuttgarter Killesberg ein Konzert an. Die Fans standen Kopf. Nach der Auflösung der Beatles, Paul McCartney hatte im April 1970 die Band verlassen, waren die Stones die bekannteste aktive Popgruppe der Welt.

3. Musik Kompon.: Jagger/Richards Titel: You can‟t always get what you want Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 6. Track Dauer: bei 3:05 ausblenden = 3:20

Die Stones-Tour durch Westdeutschland lag in den Händen der Frankfurter Konzertagentur Lippmann & Rau. Fritz Rau gewann die Südwestdeutsche Konzertdirektion Stuttgart, SKS Erwin Russ, als lokalen Veranstalter. Mit der Konzertdirektion Russ hatte Rau schon öfters erfolgreich kooperiert, ob beim Auftritt von Jimi Hendrix 1969 oder beim Konzert von John Mayall ein paar Monate später. Mit der Durchführung des Stones-Konzerts wurde der Juniorchef beauftragt, der 25jährige Michael Russ.

1. O-Ton Stones Russ Halle (1:03) “Zur damaligen Zeit kannte natürlich jeder junge Mensch die Rolling Stones und in der Tat der Kontakt zu den Rolling Stones hat natürlich Fritz Rau hergestellt, der natürlich Tourneeleiter und Tourneeunternehmer dieser Reise war. Und da Fritz Rau ein Freund von mir war, dadurch war es ganz klar, dass wir gemeinsam dieses Konzert hier in Stuttgart veranstalten. Es war ja eine ganz neue Zeit, die sich da gezeigt hat. Wir waren uns auch darüber im Klaren, dass eine Liederhalle für die Rolling Stones nicht in Frage kommt. Nun hatte man in ganz Deutschland zu dieser Zeit keine Halle wie jetzt die Hanns-Martin Schleyer Halle oder die anderen großen Hallen wie jetzt in der

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Zwischenzeit in Deutschland und so blieb für Stuttgart nur die Halle 6 auf dem Killesberg, die im Grunde vollkommen ungeeignet war für Konzerte, weil sie viel zu nieder gebaut war. Aber dennoch war das die einzige Möglichkeit. Das war dann auch für uns Neuland eben in dieser Halle 6 ein Konzert dieser Art zu veranstalten.”

4. Musik Komp.: Jagger/Richards Titel: Satisfaction Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 3. Track Dauer: bei 2:10 ausblenden = 2:25

Damit das Konzert der Stones überhaupt in Stuttgart stattfinden konnte, mussten einige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Eine Schwierigkeit war: Rock und Religion kamen sich terminlich in die Quere! Am einzig möglichen Termin, am Sonntag, den 20. September 1970, war gleichzeitig Katholikentag in Stuttgart. Der einzige mögliche Veranstaltungsort, die Messehalle 6 auf dem Killesberg, war morgens bereits für den Abschlußgottesdienst gebucht. Und den Konzertaufbau erst nach dem Gottesdienst zu bewerkstelligen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Das bedeutete: Das Konzert konnte überhaupt nur stattfinden, wenn bestimmte Konzertvorbereitungen schon am Abend zuvor durchgeführt werden konnten. Juniorchef Michael Russ machte sich auf zur Audienz bei Bischof Carl Joseph Leiprecht in Rottenburg.

2. O-Ton Stones Russ Katholikentag (0:49) “Wir hatten Katholikentag in Stuttgart und die Abschlußmesse hat dieser Bischof eben in der Halle 6 gelesen. Ich musste damals zum bischöflichen Ordinariat, um einmal zu hören, ob es überhaupt denkbar ist, daß wir am Tag davor, sprich: am Samstagnacht Ton und Licht hängen, weil, sonst wäre das nicht gegangen, hätte das Konzert nicht stattfinden können. Und siehe da – ich hatte große Sorgen, dass das nicht gelingt -, aber der Bischof war gegenüber dem Konzert sehr aufgeschlossen. Es war überhaupt kein Problem und wir konnten also Ton und Licht in der Nacht hängen oder die Hängepunkte setzen. Das heisst also: der Bischof hat damals die Messe um 10 Uhr schon unter dem Lichte der Rolling Stones gelesen.”

5. Musik Komp.: Jagger/Richards Titel: She‟s like a rainbow Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks Label: ABKCO Music + Records

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Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 13. Track Dauer: bei 1:50 min ausblenden = 2:10

Mit 20 DM war der Eintrittspreis für das Stones-Konzert für damaligen Verhältnisse recht hoch. Popkonzerte kosteten üblicherweise 3 oder 4 Mark, für bekanntere englische oder amerikanische Band musste man auch schon mal 8 oder 10 DM berappen – aber 20 DM? Das war viel Geld - so viel, wie damals eine Langspielplatte kostete.

Deshalb begann es im politischen Teil der Subkultur zu rumoren. Dort war der Ruf der Stones wegen Altamont sowieso angeschlagen. Ihnen wurde das Debakel angekreidet. Und jetzt auch noch der hohe Eintrittspreis! Wut und Empörung machen sich breit. Die Band um wurde mehr und mehr als Verräter an den Idealen der Flower-Power-Bewegung betrachtet - kalte Geschäftemacher im Hippiepelz. Die Szene rüstete zum Protest, der damals sowieso in der Luft lag. Werner Schretzmeier vom Club Manufaktur in Schorndorf war der Wortführer:

3. O-Ton Stones Schretzmeier Speerspitze der Kommerzialisierung (1:31) “Die Stones standen für uns als die Speerspitze der Kommerzialisierung. Und warum hat man so heftig darauf reagiert? Weil, man wollte sich, was wir nicht nur geglaubt haben, sondern auch so empfunden haben – emotional - , dass das unsere Musik ist. Und die wollte man sich nicht klauen lassen von den Kapitalisten, von denen, die im Grund genommen aus allem, was es überhaupt gibt, sofort irgendwie Profit ziehen. Und da waren die Stones so ein Synonym. Und dann kommt noch dazu diese Altamont-Geschichte. Die im Grund genommen ja auch so ein Einschnitt war. Glaube ich: der erste Tote bei einem großen Rockkonzert. Schon allein die Naivität, die keiner geglaubt hat, so ne Hell Angels Gruppe als Ordner einzusetzen. Das war natürlich für alle ein Schock. Damit hatten die Stones – die waren schlagartig auf der anderen Seite und nicht mehr auf der gleichen Seite. Sie haben das Ideal, das man so bei sich hatte, haben sie zerstört.”

6. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 1. CD, 17. Track Dauer: 1:45

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Unter der Federführung von Werner Schretzmeier wurde im Schorndorfer Jugendclub Manufaktur ein Flugblatt verfasst. Die Überschrift: “Euer Geld in Jaggers Arsch oder Ihr macht den Mord von Altamont zu Pop”. Dort heißt es:

Zitat: “In Altamont – 300 000 Zuschauer – wurde am 6.12.1969 vor den Augen der sieben Meter entfernten Rolling Stones ein 18jähriger Neger, Meredith Hunter, von den Hell Angels ermordet. Das Konzert wurde von den Stones arrangiert. Trotz dieses letzten Gratiskonzerts wurden die Stones durch ihre USA-Tournee um runde 4 Millionen reicher!

Der Stuttgarter Eintrittspreis von 20 DM ist eine Forderung der Rolling Stones! Wir kämpfen gegen die Kapitalisten und blasen den Kapitalisten noch mehr Kapital in den Arsch. Gebt dem Vorprogramm – Junior Wells All Stars & Buddy Guy – Euren Beifall! Bildet danach Sprechchöre, wenn die Stones auf die Bühne kommen, laßt sie nicht spielen, schreit zusammen: “ALTAMONT”, schreit zusammen “MEREDITH HUNTER”, lasst die Stones erst spielen, wenn sie eine Erklärung abgegeben haben, eine umfassende!

Lasst euch nicht als nutzbringendes Geldvieh und popige Speichellecker behandeln. Vergesst die Stones und Konsorten, lasst euch nicht mehr ausbeuten!”

Das Flugblatt wurde an subkulturelle Zentren in Baden-Württemberg verschickt, sowie an Folk- und Jazzclubs, Jugendeinrichtungen und Popinitiativen. Darüber hinaus wurde es in der Manufaktur sowie bei den Popkonzerten im Schorndorfer Jugenzentrum Hammerschlag verteilt, die jeden Sonntagnachmittag vor beträchtlicher Kulisse stattfanden und von namhaften englischen Bands bei freiem Eintritt bestritten wurden. Die Wirkung des Protest-Aufrufs war eher bescheiden: Offenbar waren die Stones-Gegner unter den Popfans doch ziemlich in der Minderheit. Die stimmten mit den Füßen ab. Die zehntausend Karten für das Stuttgart- Konzert waren im Nu vergriffen.

7. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Brown Sugar Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 2. CD, 2. Track Dauer: bei 3:20 ausblenden = 3:45

Die Vorzeichen verhießen nichts Gutes. Schon bei den Auftritten der Stones in Hamburg, Berlin und Köln, ein paar Tage vor dem Stuttgarter Konzert, war es zu Krawallen und Ausschreitungen gekommen. In Hamburg randalierten Fans, weil ihnen der Eintritt in die Ernst-Marck-Halle wegen gefälschter

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Tickets verweigert worden war. Zwei Hundertschaften Bereitschaftspolizei wurden aufgeboten, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei um die Berliner Deutschlandhalle waren am 18. September 50 Jugendliche festgenommen worden. Und in Köln ging es kaum friedlicher zu. Dazu kam die Erinnerung an den Auftritt der Rolling Stones auf der Berliner Waldbühne. Das war schon fünf Jahre her, aber damals hatte das Publikum das gesamte Mobiliar zertrümmert. Veranstalter und Polizei waren gewarnt. Der Einsatzleiter der Schutzpolizei gab den Stuttgarter Nachrichten zu Protokoll:

Zitat: “Die Erfahrung aus Berlin und Köln hat gezeigt, dass Tausende versuchen werden, gewaltsam einzudringen. Aber mehr als zehntausend Leute gehen in die Halle 6 nicht hinein. Da stehen sie Mann an Mann und nur ein paar Mann mehr würden eine Panik auslösen. Besonders rigoros müssen wir auf der Galerie sein. Sie trägt nicht mehr als 1000 Leute, sonst stürzt sie zusammen.”

8. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Let‟s Spend the night together Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 1. CD, 20. Track Dauer: 1:35

Am 20. September 1970, dem besagten Sonntag des Stones-Konzerts, versammelten sich schon am Morgen Hunderte von Popfans auf dem Vorplatz der Killesberghalle, während innen noch die Heilige Messe zum Abschluß des Katholikentags zelebriert wurde. Die Nachricht machte die Runde, dass Jimi Hendrix in London verstorben war. Michael Russ:

4. O-Ton Stones Russ Aufbau (0:47) “Dem Konzert ging natürlich schon ein Ruf wie Donnerhall voraus. Das war klar. Wir hatten uns natürlich vorbereitet mit Stacheldraht und Wasserwerfer, weil man genau wusste, was auf einen zukommen könnte. Ich war damals bereits drei Jahre im Beruf und hatte eine sehr enge Verbindung zur St. Georgs Kirche hier in Stuttgart und war auch Ministrant. Und meine Ministranten-Freunde habe ich da alle aktiviert. Wir mussten ja die Halle entstuhlen, weil die Messe fand ja bestuhlt statt. Und da musste das alles raus in kürzester Zeit, um eben dann mit dem Bühnenaufbau beginnen zu können. Das hat alles wunderbar funktioniert.”

Mehr und mehr Konzertbesucher trafen auf dem Killesberg ein, darunter zahlreiche Fans, die keine Tickets mehr bekommen hatten. Sie waren in der vagen Hoffnung angereist, vielleicht doch noch irgendwie in die Halle zu

8 gelangen. Denn das Konzert war ein einmaliges Ereignis – so schnell würden die Stones wohl nicht mehr in Südwestdeutschland auftreten.

ATMO STONES FANS 100 DM

Vor der Halle versuchten Schwarzmarkthändler Tickets zu astronomischen Preisen an den Mann zu bringen.

ATOM SCHWARZMARKTHÄNDLER

Auf ausdrücklichen Wunsch von Mick Jagger und Co. traten als “Einheizer” die Chicagoer Bluesband Junior Wells All Stars mit dem Gitarristen Buddy Guy auf, die von den Stones bewundert wurden und das Vorprogramm der gesamten Europa-Tournee bestritten.

9. Musik Kompon.: Titel: Snatch It Back and Hold It Interpret: Junior Wells Chicago Blues Band CD: Hoodoo Man Blues Label: Delmark Records Labelcode: Bestellnr.: DD-612 Barcode: 1. Track Dauer: 1:15

Konzertveranstalter Michael Russ war sich der Brisanz der Lage bewusst:

5. O-Ton Stones Russ Sturm auf die Halle (0:56) “Ich dachte, ich bin ganz besonders schlau, und hab mir überlegt: Was tue ich mit den Leuten, die keine Karten mehr bekommen haben. Vor der Halle 6 gabs eine Schleife der Straßenbahn, also eine Wendeschleife und dadurch auch einen großen Vorplatz. Und dann hab ich überlegt und mit den Technikern gesprochen: „Ob man das Konzert ins Freie übertragen kann?‟ Die haben gesagt: Das ist überhaupt kein Problem, wenn die nötigen Voraussetzungen geschaffen sind.” Wir haben die notwendigen Voraussetzungen geschaffen und das Konzert wurde dann nach draußen übertragen. Und das war im nachhinein ein großer Fehler, den in dem Moment, wo die Rolling Stones auf die Bühne kamen – das hat man natürlich draußen auch gehört, dass die ihren ersten Titel gespielt haben, wurde es draußen unruhig.”

10. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Street Fightin Man Interpret: The Rolling Stones CD: Ge Yer Ya-Ya‟s out – The Rolling Stones in concert Label: ABKCO Records Labelcode:

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Bestellnr.: 882333-2 Barcode: 042288233329 10. Track Dauer: 1:55

Werner Schretzmeier, damals vom Club Manufaktur in Schorndorf, danach Chef vom Theaterhaus in Stuttgart, war einer den Protestler auf der anderen Seite der Barrikade:

6. O-Ton Stones Schretze Sturm auf die Halle (0:49) “Die erste Forderung war, dass man freien Eintritt bekommt. Ist ja klar, dass das sehr schwierig ist für so einen Veranstalter, denn er hat ja Tickets verkauft. Es war ja ausverkauft. Es waren 10 000 Leute da. Dann haben die die Leute seitlich reingelassen und haben die Krawallos so ein bisschen abgedrängt. Und das ging dann auch so 20 Minuten, 25 Minuten, hat sich das so hin- und hergeschaukelt, Sprechchöre und so. : ATMO: SPRECHCHÖRE : Und dann war der Druck halt irgendwann so groß, dass sie dann diese abgesicherte Doppeltüre, dass sie die eingedrückt haben und dann sind die ersten, die halt so schnell und ganz vorne waren, sind dann rein. Sind sofort in die Halle und haben sich verteilt, ja wie man das so macht.”

Der Reporter der Stuttgarter Zeitung beobachtete folgende Szenerie:

Zitat: “Gegen 19 Uhr war es dann zu Krawallen gekommen. Zwei junge Männer in Lederjacken hatten sich, wie Augenzeugen berichteten, durch die Menge der vor dem Eingang Wartenden gedrängt und eine Pappwand durchbrochen. Daraufhin war die Polizei mit Schlagstöcken und Wasserwerfern vorgegangen. Zaunlatten und Bierflaschen sind gegen die Polizisten geworfen und vier von ihnen verletzt worden. Eine Fensterscheibe ist zu Bruch gegangen.“

ATMO RANDALELÄRM

Konzertveranstalter Michael Russ:

7. O-Ton Stones Russ Sturm (0:23) “Dann haben sie den Haupteingang des damaligen Höhenparks „Killesberg‟ gestürmt, trotz Stacheldraht und Wasserwerfer. Da war nichts mehr zu machen. Und ich weiß noch wie heute, dass der Dirketor Ellwanger, also der Direktor des Höhenparks „Killesberg‟, neben mir stand und gesagt hat: Herr Russ ich bin ihnen ja so dankbar – endlich bekomme ich einen neuen Haupteingang.”

11. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Jumpin Jack Flash Interpret: The Rolling Stones CD: Ge Yer Ya-Ya‟s out – The Rolling Stones in concert

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Label: ABKCO Records Labelcode: Bestellnr.: 882333-2 Barcode: 042288233329 1. Track Dauer: 3:15

Während es vor der Halle zum Tumult kam, starteten im Inneren die Stones mächtig durch. Die Stuttgarter Zeitung protokollierte:

Zitat: “Als gegen 21:30 die Rolling Stones auf die Bühne kamen, allen voran Bandleader Mick Jagger im rosafarbenen Anzug, erhob sich ein ohrenbetäubendes Begrüßungsgeschrei. Wie auf Kommando rückte alles noch dichter zusammen, drängte noch weiter zur Bühne vor. Als die Stones die erste nummer spielten, wiegten sich die auf dem Boden Hockenden im Takt. Dann bei den ersten Takten von „Jumpin Jack Flash‟, wurden immer wieder ohnmächtig gewordene junge Leute über die Köpfe der anderen hinweg zur Bühne nach vorne gehoben, wo sie nach draußen geführt wurden. Andere, die die Bühne stürmen wollten, wurden von muskelstarken Gefolgsleuten der Stones an engeren Kontakten mit den Bandmitgliedern in handfester Weise gehindert. (..) Dann, nachdem die Rolling Stones ungefähr 50 Minuten härtesten Rock geboten hatten, warf Mick Jagger beiläufig einige Kußhände ins Publikum, drehte sich lässig um und verschwand. Die Band folgte ihm, und nur zögernd leerte sich die Halle 6.”

12. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Honkey Tonk Woman Interpret: The Rolling Stones CD: Ge Yer Ya-Ya‟s out – The Rolling Stones in concert Label: ABKCO Records Labelcode: Bestellnr.: 882333-2 Barcode: 042288233329 9. Track Dauer: 6:20

In den Stuttgarter Nachrichten war von einem “Hexenkessel” die Rede, von einem “Gewitter aus Musik und Show”. Mick Jaggers Auftritt wurde im Feuilleton als “Veitstanz in rosaroter Seide” beschrieben: “obszön- musikalische Verkündigung der totalen Entfesselung” und “infernalische Selbstentblößungen.”

Michael Russ:

8. O-Ton Stones Russ Scheiben eingeschlagen (0:26) “Ich mein, dass war natürlich ne ganz kritische Situation. Sie haben in der Tat dann einige Scheiben eingeschlagen. Dennoch hat die Polizei und das Ordnungspersonal die Situation relativ schnell wieder im Griff

11 gehabt. Das war einfach der erste Schwung und dann war das mehr oder weniger erledigt. Da kamen natürlich noch einmal 500 bis 800 Leute in die Halle rein. Das konnte man gar nicht verhindern. Aber das hat sich jetzt nicht glücklicherweise negativ ausgewirkt.”

Zitat: “Den Sachschaden bezifferte die Polizei nach den ersten Schätzung auf 5000 Mark,” zog die Stuttgarter Zeitung Bilanz.

Mitten im Getümmel unter den zehntausend Konzertbesuchern befand sich Dietmar Schrade, 16jähriger Schüler aus Gomadingen bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb:

9. O-Ton Stones Dietmar Schrade mittendrin (1:40) “Das war in den späten sechziger, frühen siebziger Jahren. Wir haben damals einen Jugendclub gegründet in Gomadingen, den ersten selbstverwalteten Jugendclub im Landkreis Reutlingen. Und natürlich auch in der Zeit unsere musikalische Orientierung gefunden. Über unsere Schule – Gymnasium Münsingen – habe ich einen Bus gechartert mit 40 Leuten, und wir sind von Münsingen nach Stuttgart auf den Killesberg gefahren. Das war‟s Konzert, das unter relativ chaotischen Bedingungen stattgefunden hat. Es gab zerborstene Glastüren. Es gab Wasserwerfer, Polizei – also das Ganze lief relativ chaotisch ab. Es ist uns gelungen, dass wir ganz vorne an der Bühne waren, und neben uns sind massenweise Mädchen kollabiert, ohnmächtig geworden. Die wurden dann von Sanitätern rausgetragen. Also das war genauso, wie man sich Rock der 60er und 70er Jahre vorstellt. An die Musik selber habe ich nur noch verschwommene Erinnerungen. Die Stones haben vielleicht 50 Minuten gespielt. Das war damals üblich. Das war ein ganz normales Konzert, und ob das jetzt gut oder weniger gut war, also ich müsste lügen, wenn ich mich konkret daran noch erinnern könnte. Das ganze Drumherum war höchst beeindruckend. Musst dir ja vorstellen: Wir waren 16, von der Alb und dann die Stones in Stuttgart – mittendrin – also das war wirklich sehr beeindruckend.”

Selbst als sich die Situation vor der Halle langsam beruhigte, war für Veranstalter Michael Russ der Streß noch lange nicht vorbei:

10. O-Ton Stones Russ Heulkrampf (1:15) “Für mich selber war das wie ne Droge. Ich war einfach unter einer so hohen Anspannung mit all den Gegebenheiten, mit all den Nicht- Erfahrungen, die ich damals hatte. Ich hatte noch nie ein Konzert dieser Größenordnung durchgeführt. Und ich weiß nur noch, ich war 60 Stunden auf den Beinen und hab im Grunde genommen danach einen Heulkrampf bekommen, einen Nervenzusammenbruch, wenn man so will, hab mich davon aber relativ schnell wieder erholt. Aber es war höchste Anspannung, und die Anspannung fiel ja auch nicht ab in dem

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Moment, wo die Künstler auf der Bühne waren. Normalerweise fällt bei einem Veranstalter die Anspannung dann ab, wenn das Konzert läuft. Aber da kam ja dann erst dieser Angriff von außen auf die Halle, und das beruhigte sich ja im Grunde genommen relativ rasch, dennoch warst du natürlich in einer fast panik-artigen Stimmung, das nochmal so etwas geschehen könnte. Du hast dann riesige Angst, dass die Künstler von der Bühne gehen oder das Management sagt: „Jetzt ist Schluß!‟ Also diese Dinge sind Gottseidank alle nicht eingetreten und das Konzert ging über die Bühne und ging gut über die Bühne.”

13. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Interpret: The Rolling Stones CD: Ge Yer Ya-Ya‟s out – The Rolling Stones in concert Label: ABKCO Records Labelcode: Bestellnr.: 882333-2 Barcode: 042288233329 3. Track Dauer: 2:20

Der Auftritt der Stones hatte Folgen. Die Südwestdeutsche Konzertdirektion Russ zog sich vorerst aus dem Rockgeschäft zurück. Erst als sich die Situation nach einer Weile entkrampft hatte, wagte sich Michael Russ wieder an ein Rockkonzert, wobei die Veranstaltungen nun in Böblingen und Sindelfingen stattfanden.

11. O-Ton Stones Russ antikapitalistische Zeit (0:36) “Das war die Zeit und damit musste man umgehen. Das war ja auch der Grund, warum ich mich unmittelbar nach dem Rolling Stones-Konzert für zwei Jahre ganz verabschiedet habe aus der Rock / Pop-Szene, weil es mir dann doch auch politisch zu kritisch wurde, und ich doch gewisse Gefahren für mein Publikum sah. Und das war für mich immer so ein Punkt, wo ich gesagt habe: „Wenn ich die Sicherheit eines Künstlers oder des Publikums nicht mehr garantieren kann, dann mache ich einen Fehler und dann ist auch mein Beruf nicht mehr der, den ich eigentlich gelernt habe. Dann muß man sehen, wie sich das weiterentwickelt.‟ Hat sich ja dann alles sehr gut weiterentwickelt.”

Mick Jagger und Co. kehrten erst sechs Jahre später wieder nach Stuttgart zurück. Diesmal traten sie im Neckarstadion auf. An diesem Konzertereignis war Michael Russ nicht mehr beteiligt. Er ließ nunmehr die Finger von der Stones.

14. Musik Kompon.: Jagger / Richards Titel: Interpret: The Rolling Stones CD: Forty Licks

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Label: ABKCO Music + Records Labelcode: Bestellnr.: 724381337820 Barcode: 7. Track Dauer: 3:50