mantischen Zeittendenz zugleich auch seiner eigenen ambi- Albrecht Dümling () valenten Haftung dem Lehrer gegenüber. Während er diesen einerseits als peniblen Pädagogen, als gründlichen Kenner der klassischen Meisterwerke und als ideenreichen Komponisten be- wunderte, kritisierte er andererseits seine ideologisch-politische Musikalische Verfahrensweise und gesellschaftliche Funktion: Rückständigkeit, seine nationalistischen.. und sogar monarchisti- und der Jazz schen Anschauungen. Insofern war die berschrift "Arnold Schön- berg, der musikalische Reaktionär" nicht nur ironisch gemeint ge- wesen, Zugleich wollte Eisler auch das pauschal negative Schön- Als Arnold Schönberg seinen 50. Geburtstag beging, widmete ihm berg-Bild der Konservativen, die in seinem Lehrer nur den Revolu- sein Schüler Hanns Eisler einen Artikel mit der wenig schmeichel- tionär und Umstürzler sahen, korrigieren. Sie sollten ihre Haltung haften Überschrift "Arnold Schönberg, der musikalische Reaktio- differenzieren und nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. när", Was so kritisch wirkte, war als Laudatio gemeint: Der vom bürgerlichen Publikum als Musikrevolutionär gefürchtete und des- Auch später, als er längst der Arbeitermusikbewegung zugehörte, halb abgelehnte Komponist sei in Wahrheit ein Vertreter der klas- hat Eisler an dieser Einschätzung festgehalten. Schönbergs Zwölf- sischen Tradition und damit fast schon ein Reaktionär. Auf den tontechnik etwa hielt er ab 1933 für eminent politisch, "weil sie Vorwurf, es handle sich bei Schönbergs Werken um "futuristische dem Faschismus aus bestimmten Gründen unannehmbar war". Seelenkunst", antwortete Eisler mit dem Hinweis auf ihre gesunden Auch für Arbeiterkomponisten könne dieses Verfahren wesentlich musikalischen Strukturen, gerade auch in so komplexen Komposi- werden, wenn sie die Technik vom Ausdruck lösten. Auf der Basis tionen wie den Klavierstücken op. 11 oder dem Monodram der Dodekaphonie versuchte Eisler deshalb eine allgemeingültige "Erwartung" op. 17. Er plädierte damit für eine differenzierte Wahr- antifaschistische Musiksprache zu entwickeln, um so, gemäß dem nehmung, für die Trennung von Ausdruck und Struktur. programmatischen Aufsatz, den er 1937 zusammen mit Ernst Bloch formulierte, Avantgarde und Volksfront zusammenzuführen. Selbst Der romantischen Hörweise hatte es entsprochen, den Ausdruck Problematisches könnte auf diese Weise, richtig eingesetzt, für die als das Poetische und damit cis das "Eigentliche" von Musik anzu- Linke nützlich werden. Diese "Kunst zu erben" betraf die Komposi- sehen. Form Und Struktur waren aus solcher Sicht nur Sekundär- tionen Schönbergs ebenso wie die Gedichte Friedrich Hölderlins, merkmale, nur Folien für die ausdrucksbildenden Mittel Melodik, die Eisler in aphoristischer Verkürzung vertonte. Seine ambivalente Akkordik, Dynamik und Klangfarbe. Wenn Hanns Eisler bei seiner Sicht betraf aber auch den Jazz. Schönberg-Rezeption das Augenmerk auf die aus der Tradition abgeleitete Struktur richtete und den Ausdruck in den Hintergrund Jazz im Nachkriegseuropa - Ansichten, Meinungen, Positionen drängte oder sogar negierte, so kehrte er in antiromantischer Ab- sicht das vertraute Verhältnis um. Dies entsprach der desillusio- Der Jazz hatte sich im Nachkriegseuropa nur auf der Basis des nierten Sicht der Nachkriegsgeneration, die sich mit skeptischer Verfalls traditioneller Werte so breit durchsetzen können. Der Wer- Nüchternheit von jeder Romantik abgekehrt hatte. An die Stelle teverfall betraf neben den geistig-moralischen Idealen ebenso der "Klangbilderphantasie", wie Heinrich Heine die Wirkung des das Staatswesen und die Wirtschaft. Hatte man etwa 1886 in Musikhörens nannte, trat für diese Generation Struktur und Motorik Hamburg eine korrekt nach Noten spielende "Original-Neger- - eine Hörweise mithin, die neben Neobarock und Neoklassizismus Kapelle", die sich aus zehn Stämmen rekrutierte, noch mit einer auch die breite Rezeption von Tanzmusik und Jazz begünstigte. Mischung von exotistisoher Neugier und gönnerhaftem Wohlwol- len empfangen (Prieberg 1991, 109), so begegnete man nun den Wenn Eisler im Falle Schönbergs so dezidiert und sogar einseitig für afro-amerikanischen Musikern mit mehr Aufmerksamkeit. Wäh- strukturelles Hören plädierte, entsprach dies neben der antiro- rend die einen den Jazz als Inbegriff eines neuen Zeitalters be-

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grüßten, bekämpften ihn die Konservativen gerade wegen seiner herrschende Grundvorstellungen schienen durch diese Musikart Entfernung vom bisher Üblichen, Wenn der Verfall schon in Politik bedroht: und Wirtschaft unvermeidlich schien, so sollte er doch - dies war - die Vorstellung vom qualitativen und moralischen Vorrang ihre Überzeugung - wenigstens im Bereich der Kunst gestoppt deutscher Kunstmusik, werden. Die Kunst, nicht zuletzt die Musik, wurde als letzte Bastion die Vorstellung von der Höherwertigkeit der nationaler Größe empfunden. Sie erhielt damit den Rang eines - abendländischen Kultur über das Außereuropäische, seelenstärkenden Heilmittels, wie es bis dahin nur Religion und die Vorstellung schließlich vom Vorrang des Geistigen über Philosophie besessen hatten. - das krud Sinnliche. Wegen dieser Überschätzung der musikalischen Traditionen nahm Heute läßt sich nur noch schwer nachvollziehen, wie sehr der Jazz der Kampf für ihre Rettung so militante Züge an. Neben der einmal als erotisches und sexuelles Stimulans Aufsehen erregte. In "Deutsch-nordischen Richard-Wagner-Gesellschaft für germani- diesem Sinn etwa bezeichnete Georg Gräner 1926 in einer Glosse sche Kunst und Kultur" (vgl. Dümling 1993, 56) oder der Münchner in der Allgemeinen Musik-Zeitung den Jazz-Rhythmus als "Auf- Pfitzner-Gemeinde ist in diesem Zusammenhang die "Zeitschrift für peitscher jener Begierden, an denen Seele und Geist keinen An- Musik" und der "Kampfbund für deutsche Kultur" zu nennen. Hans teil haben. Er ist die Lust, das Behagen, die Sättigung des niede- Pfitzner wäre allerdings wohl kaum ein so heftiger Gegner von ren Menschen, des dunklen Niggers, den jeder Weiße In sich trägt" Futurismus, Jazz und Atonalität geworden, hätte er nicht als Folge (John 1994, 289). Unverhüllt und unkontrolliert trete damit das von des Weltkrieges seine geliebte Wirkungsstätte Straßburg verlassen der Zivilisation mühsam gebändigte Triebleben gefährlich nach müssen. Umgekehrt darf man vermuten, daß der aus dieser elsäs- außen. sischen Stadt stammende Musikkritiker H. H. Stuckenschmidt sich eben deshalb zum Verfechter einer europäischen Moderne ent- Die Triebhaftigkeit des Jazz, die ein wesentliches Argument seiner wickelte, weil er nach dem Weltkriegsdesaster jeden Nationalis- Gegner bildete, stand für die Fans durchaus nicht immer im Mit- mus für antiquiert hielt. Hans Pfitzner und H. H. Stuckenschmidt - telpunkt. Zwar gab es Künstler wie oder den neuer- zwei Seiten einer Medaille, zwei konträre Reaktionen auf den dings wiederentdeckten Erwin Schulhoff (Vgl. Lüdke 1993 u. Bek Verlust einer ehemals deutschen Stadt an Frankreich. 1994), die mit bewußt provokativer Dada-Attitüde sexuelle Wirkun- gen des Jazz betonten. Auch Ernst Krenek hafte in seiner Erfolgs- Der Gegensatz der politischen Anschauungen war häufig, wie oper "Jonny spielt auf" die Figur des schwarzen Jazzmusikers als hier, auch eine Generationenfrage. Wer den größten Teil seines Frauenattraktion, als Konkurrenten somit für den weißen Mann, Lebens im Kaiserreich erlebt hafte, der konnte sich meist nur noch dargestellt, Für andere Komponisten der zwanziger Jahre verkör- schwer auf die völlig gewandelte Situation in der Weimarer Re- perte der Jazz dagegen auch andere, als weniger problematisch publik einstellen. Wer Neger bis dahin nur aus dem empfundene Wertvorstellungen. Er war Symbol vitaler Lebens- "Struwwelpeter", aus den afrikanischen Kolonien oder vielleicht freude, eines Optimismus, wie er der wirtschaftlichen Prosperität von Weltausstellungen kannte, der konnte sich kaum damit ab- Amerikas, der einzigen wirklichen Siegermacht, entsprach. Man finden, daß sie nun als Jazzmusiker wie Helden gefeiert wurden; wird sicherlich diskutieren können, in welchem Maße Gastkonzer- für den mußte es geradezu frevelhaft erscheinen, wenn synkopier- te amerikanischer Jazzbands US-Ideologie transportierten. Es ist te Musik als ernstzunehmende Konkurrenz oder gar Alternative zur aber unmöglich, diesen Zusammenhang ganz abzustreiten, wie deutschen Musiktradition aufgefasst wurde. Nur so erklärt es sich, dies jüngst Fred K. Prieberg tat (Prieberg 1991, 186). Eben weil der daß etwa ein sonst so moderat abwägender Musikhistoriker und Jazz die von Amerika kommende Lebensfreude vermittelte, wur- -kritiker wie der Mozart-Forscher Alfred Einstein den Jazz als "den den in der europäischen Jazz-Rezeption - dies bestätigen die scheußlichsten Verrat an aller abendländischen Zivilisationsmusik" Milhaud oder Weill - schnelle bezeichnete (John 1994, 289). Gleich mehrere im Bürgertum vor- Satztitel bei Strawinsky, Hindemith,

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Formen wie Ragtime und Foxtrott bevorzugt. Viel weniger gefragt Lehrer war erst mit Jazz in Verbindung gekommen, als er 1924 die waren die Klagecharaktere von Spiritual und Blues. aus wohlhabender Familie stammende Gertrud Kolisch heiratete. Reflexe dieser Begegnung finden sich in Schönbergs Suite op. 29, Eisler und sein Verhältnis zum Jazz vor 1928 dort vor allem in den Foxtrott-Rhythmen des zweiten Satzes.

In dem breiten Feld der europäischen Jazz-Bewunderer, zu dem Während Schönberg damals in Berlin Anschluß an die mondäne sogar so traditionsbewußte Musiker wie die Pianisten Artur Schna- Welt suchte (er trat beispielsweise dem elegantesten Tennis-Club bel und Eduard Erdmann sowie Alban Berg zählten, stellte Hanns bei), hat Eisler sie bewußt gemieden. Als er aber im Sommer 1927 Eisler einen Sonderfall dar. Bei einer -Reise im Sommer 1926 am Kammermusikfest Baden-Baden teilnahm, wo sein "Tagebuch" Darius Mil- war er im Salon der Sängerin Marya Freund u.a. mit op. 9 uraufgeführt wurde, kann ihm das gleichzeitig erfolgreich haud, Francis Poulenc und Jean Wiener zusammengetroffen. Ne- aus der Taufe gehobene Mahagonny-Songspiel kaum entgangen ben Schönbergs "Pierrot Iunaire"-Melodramen standen in diesem sein. Außerungen dazu sind nicht bekannt, Dagegen hat Eisler im Salon auch Jazz-Rhythmen hoch im Kurs. Wie Stefan Priacei, der Oktober des gleichen Jahres die Aufführung von Krreneks "Jenny Sohn der Sängerin, berichtete, bestätigten die Pariser Diskussionen spielt auf" an der Städtischen Oper Berlin in einer Rezension für die Eisler nur noch in seinen ästhetischen Auffassungen: "Er wollte kei- "Rote Fahne" sehr negativ besprochen. Nach einem ausführlichen ne musikalische Sprache zulassen, selbst nicht die intelligenteste, Verriß des Textbuches schrieb er: "Über die Musik wäre zu sagen: wenn sie das Privileg einer kleinen Gruppe von Eingeweihten war" Der. sonst begabte Krenek hat hier vollkommen versagt. Auffal- (Betz 1976, 56). Gewiß haben Eisler damals einzelne musikalische lend ist vor allem, wie schlecht sie instrumentiert ist. Die einge- Elemente des Jazz beeindruckt (soweit er diese Musik überhaupt streuten Tanzstücke sind sehr dürftig, in jedem Kaffeehaus kann zur Kenntnis nahm). Den sozialen Bezug aber, in dem "Jazz" in Eu- man heutzutage bessere hören" (Eisler 1973, 23), ropa stand, lehnte er ab. Er hielt es für unredlich, wenn das Inter- esse an music-hall, Revue und Folklore primär dem Snobismus Jazzanklänge in von Eisler mondäner Zirkel entsprang. Kompositionen vor der Weltwirtschaftskrise Nach seiner Rückkehr von Paris nach Berlin hat Eisler in die Ge- Im Jahre 1928 gab es in Eislers Schaffen einen Umbruch, der bei spräche mit seinem Berliner Freund und Pensionsgenossen Stuk- ihm auch eine neue Auseinandersetzung mit dem Jazz herausfor- kenschmidt beiläufig auch den Jazz einbezogen. So lautet einer derte. Seine Unzufriedenheit über die gesellschaftliche Isolation der 1927 entstandenen gemeinsamen Aphorismen, die unter des bürgerlichen Konzertlebens hatte er zuvor auch öffentlich ge- dem Titel "Zeitgemäße Betrachtungen zweier Musiker" veröffent- äußert, Nach Fertigstellung seiner "Zeitungsausschnitte" op. 11 zog licht wurden: "Frage an einen Jazzkomponisten: Gibt es eigentlich er sich radikaler als andere Komponistenkollegen vom Kon- kein Abführmittel für gestopfte Trompeten und Posaunen?" Weni- zertleben zurück. Wie nach ihm Stefan Wolpe, Ernst Hermann ger spöttisch und schon zustimmender wirkt ein zweiter Aphoris- Meyer oder Wladimir Vogel suchte er als neues Publikum die Ar- mus: "Was den Jazzrhythmus betrifft, so wollten wir nur sagen, daß beiter. Ab November 1927 wirkte er für fast zwei Jahre als Kom- wir jahrelang ohne guten Taktteil leben können" (Eisler 1973, 82). ponist und Klavierspieler bei der Berliner Agitproptruppe "Das rote Sprachrohr" mit, Inhaltlich betonten fast alle Agitprop-Szenen den Eine kompositorische Auseinandersetzung mit dem Jazz gab es Abstand, ja den Gegensatz zwischen Bürgertum und Arbeiter- bei Eisler damals noch nicht, Ein wesentlicher Grund für die auffal- schaft. Sie waren damit ein Kontrast zu den kulturpolitischen Vor- lende Abstinenz dürfte darin liegen, daß er sich sonst nicht in den stellungen Leo Kestenbergs und zu den "Offenen Singen" der mu- sozialen Kreisen bewegte, in solchen Stätten bürgerlichen Amü- sikalischen Jugendbewegung, die über Musik den Gedanken der sements wie Hotelhallen, besseren Kaffeehäusern und Kabaretts, Gemeinschaft verwirklichen wollten. Auch auf den Jazz fiel durch wo in den zwanziger Jahren Jazzbands zu hören waren. Auch sein einzelne Agitprop-Szenen ein neues Licht, indem zwischen Produ-

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zenten und Rezipienten unterschieden wurde. Der Jazzmusiker Aus einem Polizeibericht geht übrigens hervor, daß zum Reper- erschien hier als Teil des amerikanischen Proletariats, als Nachfah- toire der "Roten Raketen" auch eine Szene "Die politische re der Negersklaven. Ein Beispiel für diese Sicht bildet der "Nigger- Jazzbandkapelle" gehörte (Hoffmann 1977, 274). Song", mit dem 1929 die Berliner Agitproptruppe "Rote Raketen" auffrat (Dümling 1989, CD 1): Von Eislers eigenen Kompositionen für das "Rote Sprachrohr" ha- ben kaum mehr als das "Kominternlied" überlebt, Seine verschol- In Vergnügungsstätten der Bourgeois lene Musik zu dem Agitpropspiel "Hallo, Kollege Jungarbeiter" für tanzt ein Nigger – ha, ha, ha. Chor und ein Orchester von sieben Instrumenten war vermutlich Begeistert schreibt der Zeitungsmob! an der Jazzband-Besetzung orientiert. Ebenfalls in diese Richtung – Halt, stop! – ging die Bühnenmusik, die Eisler im Frühjahr 1928 für die Auffüh- Versklavtes, schwarzes Arbeiterheer, Lion Feuchtwangers Kolonialstück "Kalkutta, 4. Mai" am steht auf, steht auf! rung von Will nicht mehr! Staatstheater Berlin schrieb. Neben einer Piccoloflöte gab es dort Wutgeheul zwei Klarinetten, zwei Trompeten, Posaune, Pauke, Schlagzeug in der Geldsackzeitung: und Banjo. Statt um Jazz handelte es sich allerdings um Märsche, Negergreuel! Trompetensignale, die Imitation von Elefantengetrampel und vor – Halt, stop! – allem um die "Ballade vom Soldaten", Eislers erste Brecht-Ver- Ob schwarz, ob weiss, tonung (vgl. Dümling 1985, 280). Er lehnte sich dabei - wohl auf Wir ziehn am selben Strick. Ob Kanton, Budweis, Wunsch Brechts - an eine 1925 von dem Dichter gemeinsam mit Berlin, Kamerun - dem Komponisten Franz Servatius Bruinier geschaffene Vertonung nur eins ist zu tun: an. In diesem "melodramatischen Chanson" (so der Untertitel) Dem Unterdrücker ans Genick! wurden die Appelle der Freu an den Soldaten in den Strophen Werft sie raus, werft sie raus, gesprochen, während der Refrain, ein Geschwindmarsch, gesun- die Despoten, gen wurde. Eisler lehnte sich an die Melodie des Refrains an, be- macht eure Länder frei. gleitete diesen jedoch rhythmisch straffer als Brecht/Bruinier. Nicht Schwenkt eure Fahnen, die roten, zuletzt die 1930 entstandene Schallplattenaufnahme mit Ernst befreit euch aus Sklaverei! Busch machte die Komposition, die auch den Strophen der Frau Das bürgerliche Pressereptil eine Gesangsmelodle beigab, bekannt. Trotz der Verwendung hat auch das Ziel: eines Alt-Saxophons dominierte straffer Marschcharakter. Haß zwischen Schwarz und Weiß zu säen, uns uneinig zu machen. Eisler 1929 Wir wissen und lachen, Eine weitere Annäherung an den Jazz ergab sich für denn jetzt bei seiner Bühnenmusik zu Walter Mehrings Theaterstück "Der keiner gegeneinander aufhetzt! Kaufmann von Berlin". In seine Chansons und Couplets (darunter Ob schwarz, ob weiss ... "Berlin simultan") hatte Mehring bereits in den frühen zwanziger In einem Sechstel der Welt Jahren synkopierte Rhythmen aufgenommen und sich schon vor der Arbeiter hoch hält Brecht zum Dichter der Großstadt Berlin entwickelt, Das Berlin der die rote Fahne der Freiheit. Inflationszeit war auch der Schauplatz seines neuen Theaterstücks. – Halt, stop! – Für die Bühnenmusik hatte als Komponisten Hanns Dies leuchtende Beispiel ist auch unser Ziel! Eisler, als Orchester die Weintraub Syncopators engagiert. Diese in Drum ran, drum ran, Berlin sehr bekannte Jazzband, die durch den Film "Der blaue ob schwarz, ob weißer Mann! Engel" internationalen Ruhm erlangte, spielte üblicherweise im Ob schwarz, ob weiss ...

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Revuetheater "Wintergarten". Trotz ihrer Mitwirkung fehlen bei Eis- mehrere Kabaretts ein, er brachte ihn auch zur Schallplatte und ler direkt erkennbare Jazz- und Tanzmusik-Anspielungen. Dem damit zu kritischer Verwendung von Jazz-Elementen. Unterhaltungscharakter der "Dreigroschenoper", der Weill und Brecht im Vorjahr zu ebenso großen Erfolgen wie Mißverständnis- Die Premiere des "Kaufmann von Berlin" am 6. September 1929 rief sen verholfen hatte, wich er aus (vgl. Stern 1977). Die Gesänge im einen aufsehenerregenden Theaterskandal hervor. Schon einen "Kaufmann von Berlin", die nicht als Songs, sondern als Lieder oder Monat später entstand im Oktober auf der Basis des vielgelese- Chansons bezeichnet sind, zielten mit großem Ernst in erster Linie nen Romans von Traven die "Ballade von den Baumwoll- auf politische Aufklärung. pflückern". Sie soll hier übergangen werden, weil Eisler sie später in eine andere Balladensammlung übernahm. Dagegen soll die Zu den Mitwirkenden der Aufführung gehörte der aus Kiel stam- Rede sein von der ebenfalls in diesem Herbst komponierten mende Schauspieler und Sanger Ernst Busch, dem Eisler erst "Ballade zum § 218". Als einzige der Balladen aus op. 18 hat Eisler während der Proben begegnete. Damit begann eine Zusam- sie anstelle von Busch für die Schauspielerin Carola Neher ge- menarbeit, die viele Lieder neuen Typs - eine Mischung von Sol- schrieben, datenlied, Arbeiterlied, Chanson und Jazz-Ballade - hervorbrach- te. Zu den ersten von Busch gesungenen Eisler-Liedern gehörte Der Text, ein Dialog im Berliner Jargon zwischen einer abtrei- das "Lied vom Trockenbrot" aus Walter Mehrings "Kaufmann von bungswilligen Frau und ihrem abweisenden Arzt, stammt von Berlin", das später in die Balladen op.18 aufgenommen wurde. Brecht. Anders als in der "Ballade vom Weib und dem Soldaten" ist hier die Frau das Opfer. In beiden Balladen aber verkörpert der im Der Perspektive des hungrigen Arbeiters entsprechend, fehlt in Refrain dargestellte Mann die Konvention, die ungefragte Anpas- der Musik jede Form von Kulinarik. Die dünnstimmige Kontrapunk- sung an bestehende Verhältnisse. Wie in seiner früheren Brecht- tik, die herbe Quint-Quart-Harmonik und die gleichmäßig durch- Vertonung wählte Eisler deshalb auch hier für den Refrain ein laufende Viertelbewegung stehen in deutlichem Kontrast zum schnelles Tempo. Den früheren Geschwindmarsch näherte er schillernden Sinnenreiz der meisten Weill-Songs. Mit Ausnahme schon einem flotten Foxtrott an, um durch das Tempo dem Zynis- einiger Synkopen in der Gesangsstimme sind Jazzanklänge ver- mus des Arztes Nachdruck zu verleihen. Die Foxtroffbegleitung hat mieden. Die Arbeiterdarsteller, die dieses Lied sangen, sollten wie damit eine ähnliche Funktion wie im "Kanonensong". Die fehlende ihre Zuhörer einen kühlen Kopf behalten. Nicht ohne Ironie zitierte Logik in der Argumentation des Arztes wird durch parataktisch Eisler zu Beginn des Refrains die bekannte Melodie des Kin- reihende Syntax unterstrichen. Die Satzelemente sind mehrfach derliedes "Backe, backe Kuchen". Von solchen Genüssen konnten nur durch das Wart "und" verbunden: "Dazu hab'n Sie den Bauch Arbeitslose im inflationsgeschüttelten Berlin nur träumen, / und das wissen Sie auch / und das müssen Sie auch / und jetzt keinen Stuss / und jetzt werden Sie Mutter / und Schluß." Auch Eis- Da Busch verspätet zu den Proben angereist war, hafte sich Eisler lers Musik betont die Hohlheit dieser Phrase durch ihre me- ihm gegenüber zuerst abweisend verhalten. Das änderte sich, als chanische Sequenzstruktur. er bemerkte, wie metallisch genau dieser Schauspieler artikulierte, wie unpathetisch und klar er die Melodien sang. Ernst Busch war Musikalisch ganz anders ist die verzweifelte soziale Lage der Frau frei von mondäner Eitelkeit. Mit seiner sachlichen Intelligenz ver- dargestellt. Ihr langsamer Klagegesang erinnert von fern an einen körperte er Arbeiterrollen so, wie Eisler es sich vorstellte. Busch Blues. Er wird von Strophe zu Strophe jedoch immer mehr durch wurde für ihn zum Inbegriff jenes Volks, dem er als Künstler lernend die Einwürfe des ungeduldigen Arztes verdrängt. Mit Blues und aufs Maul schauen wollte, Ernst Busch brachte Eisler beispielsweise Foxtrott stehen sich In dieser Ballade somit zwei polare Aspekte die Gedichte Kurt Tucholskys und Erich Kästners nahe, die dieser des Jazz gegenüber: seine ursprünglichere Form als Klagegesang bis dahin skeptisch von sich gewiesen hatte. Busch führte ihn in der Unterdrückten und die kommerzialisierte Form bürgerlicher

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Unterhaltung. Der Foxtrott ist - das zeigte der beschriebene Zu- mus wich ab 1929 auf immer breiterer Basis einer fundierteren sammenhang der beiden Brecht-Eisler-Balladen - die zivile Vari- Betrachtungsweise. Damit kam es zur politischen Polarisierung in ante des Marschs, subjektfeindlich und disziplinierend wie dieser, rechts und links, Eislers Balladen müssen in diesem Kontext gese- hen werden. Schon 1928 hatte der Komponist in einem Beitrag für Die Balladen op. 18 aus der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise die "Rote Fahne" die Asthetik der Neuen Sachlichkeit als eine Form von Realitätsflucht kritisiert. Mit dem Jahr 1929, dem Jahr der Weltwirtschaftskrise, hatte die Faszination des Jazz auf Intellektuelle schlagartig nachgelassen. In "Der moderne Musiker bejaht ja alle technischen Errungenschaften der Gegenwart Er benützt sie. Er liebt die Großstadt, ihren Lärm, er einer "Notiz zum Jazz" schrieb damals: "Wir stehen heute ist verliebt in den präzisen Rhythmus der Maschinen. Nur die Men- zweifellos am Ende einer Epoche, in der man von einem Einfluß schen, die diese Maschinen bedienen, interessieren ihn nicht, Und in des Jazz auf die Kunstmusik sprechen konnte," Ein Jahr später er- seiner Kunst strebt er den höchsten Grad der Ausdruckslosigkeit, der schien in der Zeitschrift "Melos" ein Aufsatz mit der Überschrift Objektivierung an, Hinter diesen ganzen unklaren Phraseologien, "Abschied vom Jazz". Darin wurde ein rapider Bedeutungsverlust hinter dieser anscheinend so radikalen Fortschrittlichkeit, hinter die- dieser Musikart konstatiert: "Bald wird man im Jazz nicht mehr se- ser Abkehr von Sentimentalität des Natur- und Liebeserlebens steckt hen als eine gleichgültige Weise der Tanzkomposition. Jazz wird aber nichts als der Kleinbürger, der mit einem Trick dem Schicksal ein musikalischer Komplex, der nützlich und notwendig sein wird, seiner Klasse entfliehen will. Der bürgerliche Musiker, auf der Suche dessen wirtschaftliche und soziologische Auswirkung bemerkens- nach einem Inhalt seiner Kunst, propagiert, da er keinen findet, die wert bleibt, dessen geistige, künstlerische Eindringlichkeit aber Inhaltslosigkeit als Zweck und Sinn seiner Kunst. Unfähig, die gesell- erloschen ist." schaftliche Situation zu verstehen, schreibt er Musik, die über alles Menschliche erhaben ist" (Eisler 1928). In einem früheren Aufsatz habe ich dargestellt, wieweit die Nicht allein den flotten Rhythmen verdankte der Jazz seine Be- nachlassende Faszination des Jazz von seinem veränderten Kon- liebtheit, sondern auch seinen "Inhalten", d.h. der assoziativen text abhing (Dümling 1977), Nicht der Jazz selbst hatte sich ge- Verbindung mit der Neuen Welt, zu dessen Sach- und Warenwelt wandelt, wohl aber das, was er symbolisch repräsentierte: die er ebenso gehörte wie Zigaretten, Autos oder Chaplin-Filme. Der Wirtschaftmacht Amerikas. In seinem Gedicht "Verschollener menschliche Aspekt wurde dagegen, wie Eisler zu Recht feststell- Ruhm der Riesenstadt New York" hat Bert Brecht diesen Attraktivi- te, ausgeklammert, Daß der Jazz in seinem Ursprungsland wegen tätsschwund plastisch bestätigt: der Rassendiskriminierung umstritten war, interessierte in Europa Noch werden Schallplatten verkauft, freilich wenige nicht. Eislers Balladen blickten hinter die Kulissen jener tönenden Doch was erzählen uns diese Ziegen eigentlich, die nicht Erfolgsstory des sozialen Aufstiegs. Sie lieferten grundlegende In- Singen gelernt haben? Was formationen zum sozialen Status des Jazz nach. Ist der Sinn dieser Gesänge? Was haben sie uns Eigentlich vorgesungen all diese Jahre lang? Nach Auseinandersetzungen über die Oper "Aufstieg und Fall der Warum mißfallen uns jetzt die einstmals gefeierten Weill und Paul Stimmen? Stadt Mahagonny" hatte sich Brecht 1930 von Kurt Warum Hindemith getrennt. Sein wichtigster musikalischer Partner wurde Machen uns diese Lichtbilder der Städte so gar keinen nun Hanns Eisler, bei dem er größere politische Klarheit und weni- Eindruck mehr? ger künstlerische Eitelkeit wahrnahm. Als erstes großes Werk ging Weil es sich herumgesprochen hat aus dieser Zusammenarbeit das Lehrstück "Die Maßnahme" her- Daß diese Leute bankrott sind! vor, welches das Verhältnis von Einzelnem und Kollektiv, des ein- zelnen Genossen zu seiner Partei zur Diskussion stellt. Zum musikali- Weltanschaulich indifferente Maschinenverherrlichung der Neuen schen Vorbild für die großen Chöre nahm Eisler die Bach- Sachlichkeit am Schnittpunkt zwischen Kapitalismus und Sozialis- Passlonen. Jazz-Anklänge gibt es nur in einer einzigen Szene, im

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Gespräch des jungen Genossen mit seinem Widersacher, dem Die Uraufführung der "Maßnahme" am 13. Dezember 1930 in der Händler. Das "Lied des Händlers" ist das einzige, das auf den sonst Berliner Philharmonie wurde zum heiß diskutierten Ereignis. Wie vorgeschriebenen straff rhythmischen Gesangsstil verzichtet. Wie beabsichtigt löste sie Debatten über politische Strategie und Tak- eine zeitgenössische Plattenaufnahme belegt, war der Kulinaris- tik aus. Ernst Busch spielte die Sprechrolle des jungen Genossen, mus dieses Liedes durch den Gesang des Operntenors Erik Wirl der durch seine gutgemeinte Spontaneität den von langer Hand sowie die Begleitung nach Art eines Tanzschlagers noch unterstri- geplanten Umsturz gefährdet. chen worden. Eitel und gespreizt besingt der Händler seine Klug- heit. Erst bei der Erwähnung der Kulis wird sein Gesang straffer und Mehr musikalische Möglichkeiten gab Eisler dem bald als kämpferischer. Auch der eitle Bourgeois treibt Klassenkampf - "Barrikaden-Tauber" gefeierten Sanger dagegen in weiteren Bal- allerdings von oben. Den Part des jungen Genossen spricht auf laden, die er noch Im Herbst 1930 komponierte. Es entstanden so dieser Aufnahme übrigens Brecht selber. einige seiner populärsten Kompositionen: nach dem "Stempellied" die "Ballade von der Wohltätigkeit" (nach Tucholsky), die "Ballade Der junge Genosse hatte durch seine Zurückhaltung das Vertrau- von der Krüppelgarde", die "Anrede an den Kran Karl" sowie die en des Händlers erlangt. Dieser weihte ihn deshalb im "Song von "Ballade vom Nigger Jim", Wie dem "Stempellied" und dem Chor Angebot und Nachfrage" in die Grundgesetze kapitalistischer "Auf den Straßen zu singen" liegt auch der "Krüppelgarde" ein Text Ausbeutung ein. Zu ihnen gehört es, auch den Arbeiter nur als David Webers zugrunde. Hinter diesem Pseudonym verbarg sich Ware anzusehen. Als musikalisches Symbol für diesen Ausbeu- Robert Gilbert, der erfolgreiche Texter u.a. zum Singspiel "Weißes tungs- und Unterdrückungsmechanismus wählte Eisler den Jazz Rößl" und zu den Filmschlagern von "Die drei von der Tankstelle", oder vielmehr die Tanzmusik, die damals unter diese Rubrik fiel. "Der Kongreß tanzt" und "Bomben auf Monte Carlo". Zu erinnern Wie die anderen besungenen Waren ist sie ein von Kapitalisten wäre an "Das gibts nur einmal", aber auch an "Ein Freund, ein gu- angeeignetes Produkt, eine Form moderner Sklavenarbeit. In sei- ter Freund" und "Das ist die Liebe der Matrosen ""'. Gilbert-Webers nen "Anmerkungen zur Maßnahme" hatte Eisler geschrieben: Ballade von der Krüppelgarde basiert auf einer Textvorlage von Jean Baptiste Clement und entstand möglicherweise zur Wieder- "Die Musik zu Teil V (Was ist eigentlich ein Mensch?) ist die Imitation eröffnung von Werner Fincks "Katakombe" in der Bellevuestraße. einer Musik, die die Grundhaltung des Händlers widerspiegelt, des Jazz. Die Brutalität, Dummheit, Souveränität und Selbstverachtung Hatte Walter Mehring im "Kaufmann von Berlin" die Krüppel als dieses Typus konnte in keiner anderen musikalischen Form 'gestaltet' bedauernswerte Kriegsopfer dargestellt, so vereinigen sie sich bei werden. Auch gibt es hier kaum eine andere Musik, welche so pro- vokatorisch auf den jungen Genossen wirken könnte." David Weber zur bedrohlichen Rächer-Armee. Während die Kon- servativen, nicht zuletzt auch die Nazis, die Kriegsbeschädigten Aufreizend konnte der Jazz auf organisierte Arbeiter nur wirken, an der Seite von Generälen wie Ludendorff und von Feldmar- weil sie ihn offenbar eindeutig als elegante bürgerliche Unterhal- schällen wie Hindenburg zur Revision des Versailler Vertrags mobi- tung empfanden. Um die Provokation noch zu verstärken, ver- lisierten, betonte Weber gerade die soziale Spannung zwischen gröberte Eisler den Ton und gab der Strophe Züge militärischer Führern und Geführten, zwischen oben und unten. Sozial Deklas- Archaik. Im Refrain wird die Frage des Händlers "Weiß ich, was ein sierte sind die einfachen Soldaten auch und erst recht in der Mensch ist?" zunächst raffiniert mit von Weill übernommenen Nachkriegsgeselischaff, Wie in einem neuen November 1918 for- kleinterzverwandten Akkorden und einer chromatisch sich win- mierte Weber den gespenstischen Zug zum revolutionären Auf- denden Melodie verrätselt. Die "Lösung" ist dagegen von entlar- marsch. vender Schlichtheit: Bei der Antwort "Ich kenne nur seinen Preis" wechselt die flott synkopierte Musik zur banalen Schlichtheit eines Eislers Jazzinstrumentation gibt dieser Ballade einen aggressiven Tonika-Dominant-Schlusses über. und zugleich grotesken Charakter. Xylophonläufe, verbunden mit

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Flatterzungen der Trompeten, symbolisieren die klappernden Rück mal drei Meter vor, Beinstümpfe, lassen vielleicht sogar an Totengerippe denken. Die komm , rück mal drei retour. exzentrische Seite des Jazz dient einem eher grausigen, zum Komm , pack das Eisen da Nachdenken führenden Witz. Die makabre Schilderung der und schmeiß es mal dorthin, Kommandeure in der Strophe ("Unser Leutnant kommt von den denn das ist nun ein Eisen, und das wird nun Kanonen, Toten, unser Hauptmann hat einen Stumpf, unser Feldmarschall und die haben einen tiefen Sinn. kriecht am Boden und ist nur noch ein Rumpf") wird von con sor- Drum, Karl... dino-Figuren der Posaunen unterstrichen, die "kreischend" gespielt Einmal geht's nur mehr vor, werden sollen, Die Instrumentation trägt dazu bei, drei Personen- und dann geht's nie mehr retour, gruppen auch klanglich zu unterscheiden: und wir beide schmeißen ihnen alles hin. 1. in den Refrains die Masse der Krüppelgarde, deren Gesang vom Altsa- Und unser Eisen wird Häuser, xophon gestützt wird, und unsre Kohle macht warm sie, 2. in den Strophen ihre übel zugerichteten Heerführer, begleitet von Po- und dann kommt in alles erst ein Sinn! saunen und Trompeten, Drum, Karl, steck deinen Kragen grad 3. die zivilen Arbeitgeber, die nicht singen, sondern nur sprechen, aber und schmeiß uns mal was 'rein. ebenfalls von Trompeten und Posaunen begleitet werden. Denn, Karl, dann darfst du, denn, Karl, dann darfst du: Indem Eisler hier allein die Stimmen der Opfer durch das Altsaxo- Karl, du gehörst zum Proletariat, phon verstärkte, begann er, den Jazz im Sinne einer Musiksprache und geht es für das Proletariat, der Unterdrückten einzusetzen. dann gibt's für uns kein Nein!

Ebenfalls aus proletarischer Perspektive hatte Brecht für ein ge- Nach einem polyphonen imitatorischen Vorspiel von zwei Trom- plantes Ruhr-Epos seine "Kranlieder" geschrieben. Im Unterschied peten und einer Posaune erklingt die von Trompeten, Banjo und zu den Künstlern der Neuen Sachlichkeit, die Maschinen als Sinn- Klavier begleitete Strophe als stampfender Marsch. Die Gesangs- bilder des technischen Fortschritts verherrlichten, untersuchte er stimme ist "scharf und schneidend, ohne Ausdruck zu singen". Den hier ihre soziale Funktion. Wie schon in seinem "Lindberghflug", in sachlichen Befehlen folgt die Maschine blind und mechanisch, dem das Flugzeug zum Partner des Menschen wurde, verlieh wie ein Automat oder ein Roboter. Kurze repetitive Begleitfloskeln Brecht den Kränen menschliche Züge und stellte sie so an die in Saxophon und Posaune unterstreichen das Maschinenhaffe. Seite der Arbeiter. Hier der Brecht-Text in der von Eisler vertonten Der Refrain hebt sich davon ab und verläßt die Anonymität. Der Fassung: Kran erhält jetzt einen Namen ("Karl") und verwandelt sich damit vom toten Ding in einen Partner des Menschen. Eislers Kompositi- Rück mal drei Meter vor komm, rück mal drei retour. on erhält hier großbogige melodische Individualität, die - wie Komm, nimm mal die Kohle, schon im Refrain der "Krüppelgarde " - von Altsaxophonen gestützt leg sie mal dorthin, wird. Auch die synkopische und gegentaktige Rhythmik besitzt denn sie sind nun von hier, einen Schwung, der sich erkennbar vom Jazz herleitet. Jazz- und die kommen nun von hier weg, Elemente unterstreichen damit die Rebellion der Entrechteten. In und darinnen liegt ein tiefer Sinn. der dritten Strophe, in der sich Mensch und Maschine zu gemein- Drum, Karl, steck deinen Kragen grad samer Rebellion vereinen, weicht die frühere Mechanik der Ener- und schmeiß sie mal da rein. gie eines Marschs. Es ist ein Protestmarsch mit starken Gegen- Denn, Karl, das mußt du, denn du gehörst zum Proletariat, akzenten auf der Zählzeit "4". Diese Verbindung von Jazz- und und Karl, das ganze Proletariat, Marschelementen sollte Eisler dann auch in seinem Solidaritäts- das darf nicht sagen: Nein. lied" fruchtbar machen,

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Überliefert sind die Noten dieser Ballade in einer sogenannten Als zwei Jahre zuvor ebenfalls in der Universal-Edition in Einzelaus- Grammophon-Partitur. Es hoffe sich herausgestellt, daß gerade gaben die Songs der "Dreigroschenoper" erschienen waren, par- die vom Jazz hergeleitete Pariser Besetzung sich beim damaligen tlzipierten sie noch an der Jazz-Mode, Eislers Balladen, die in den Stand der Mikrophontechnik besonders gut für Plattenaufnahmen Aufnahmen mit Ernst Busch populär wurden, stellten diese Mode eignete. In der Dezember 1930 einsetzenden Serie von Schallplat- bereits rückblickend vom Kopf auf die Füße. Es sind Abgesänge ten-Aufnahmen Eislers mit Ernst Busch dürfte eine weitere Erklä- auf die frühere Verherrlichung des "melting pot" Amerika, an der rung dafür liegen, warum er eine größere Zahl von Balladenkom- der Jazz an vorderster Stelle mitgewirkt hatte. Eislers Balladen führ- positionen gerade für diese Besetzung schrieb. ten die warenhaft veräußerlichten Symbole des kapitalistischen Wunderlandes Amerika auf ihre sozialen Wurzeln zurück. Durch kri- Zu diesen Balladenkompositionen gehörte ebenfalls noch im tische Thematisierung des dabei wirkenden Verwertungs- und Herbst 1930 die "Ballade vom Nigger Jim". Der wiederum von Da- Funktionszusammenhangs gaben sie der Musik der Schwarzen vid Weber stammende Text beschreibt die sozialen Spannungen wieder das Protestpotential, das ihr vom Markt geraubt worden im ehemals so gepriesenen New York. Wie die Jonny-Figur aus war. Zugleich machten sie deutlich, daß der Jazz nicht die ameri- Kfeneks Erfolgs-Oper (Dümling 1994, 48 ff,) ist auch Jim Jazz- kanische Nationalmusik schlechthin ist, wie seine Exporteure be- Musiker, jedoch weit entfernt von romantischer Verklärung. Er wird haupteten. Sie stammte vielmehr von farbigen Musikern, die zum Opfer sowohl der Wirtschaftskrise wie auch der Rassentren- während der Wirtschaftsblüte unbegrenzten Optimismus hatten nung: Nach der Entlassung aus seiner Band verurteilt man ihn we- vorgaukeln müssen, bevor sie in der Krise besonders krass wieder gen Verführung einer weißen Frau zum Tode. Die zweite Strophe der sozialen und rassischen Diskriminierung verfielen. Gerade der kritisiert die Kommerzialisierung des Jazz, die auf dem Rücken der Verfall der Jazzrezeption demonstrierte, wie sehr diese Musikart Musiker ausgetragen wird. Eisler übernahm in seiner Vertonung auf dem europäischen Podium verfälscht und mißverstanden bewußt die Motorik flotter Tanzmusik, um den Kontrast zwischen worden war. Produktion und Rezeption, die Verwandlung des Jazz von einer sozialen Ausdrucksform in eine Ware hervortreten zu lassen. Die Musik ließ er in den Strophen in einen entlarvenden Kontrast zum Ausblick Text treten. Aber auch die muntere Erwähnung der als Selbst- verständlichkeit gewerteten Rassentrennung muß zum Einspruch Man hat Eisler gelegentlich, auch wegen seiner Haltung in der herausfordern. Das verfremdende Gegenüber von Text und Musik, DDR, als Jazzgegner bezeichnet. Jede Musikart befragte er aber das in Weilis "Kanonensong" im Zwiespältigen hängenblieb, ist zunächst auf ihre soziale Funktion. Bei einem Forum "Jazz - ja oder Eisler in der "Ballade vom Nigger Jim" ohne Abstriche gelungen. nein", das am 5. April 1956 auf Einladung der Berliner Bezirksleitung der FDJ im Elektro-Apparate-Werk Berlin-Treptow unter starker Sechs seiner über einen größeren Zeitraum aus verschiedenen An- Beteiligung von Jugendlichen stattfand, hatte sich Eisler trotz lässen entstandenen Balladen hat Eisler 1931 in seinem Balladen- prominenter Gegenstimmen für eine offene Diskussion eingesetzt buch op.18 in der Besetzung für Gesang und Klavier bei der Wie- (Eisler 1956) «'. Unter Hinweis auf seine Erfahrungen im amerikani- ner Universal-Edition herausgeben. Er wählte dafür die folgende schen Exil, wo er beispielsweise mit dem Dichter Langston Hughes Reihung: und dem Blues-Fachmann W. C. Handy zusammengetroffen war, 1. Ballade von der Krüppelgarde hatte er vor einer sektenhaften Überschätzung des Jazz gewarnt. 2. Ballade zum § 218 "Auf die Gefahr hin, mir die Geringschätzung meiner jungen 3. Anrede an den Kran Karl Freunde zuzuziehen, sage ich, daß ich auch den besten Jazz 4. Song von Angebot und Nachfrage nach kurzer Zeit als langweilig empfinde." Er ließ es aber nicht bei 5. Lied vom Trockenbrot diesem kritischen Urteil bewenden. Obwohl diese Musikart beson- 6. Ballade vom Nigger Jim ders anfällig gegen Kommerzialisierung sei, schloß er mit einer

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positiven Aussage, Noch in den verkommensten Formen des Jazz Anmerkungen lebe "etwas von der Empörung der unterdrückten Neger. Hätte ich zu wählen zwischen dem übelsten Jazzschlager und einem (1) Vgl. Robert Gilbert-Medley auf der Tondokumentation "Entartete Musik" (bei Zweitausendeins). unserer miesen Tangos oder gar dem Rennsteiglied: Ich würde (2) Auch Stefan Heym hat in seinem autobiografischen "Nachruf" die den Jazz wählen." Es wäre noch zu überprüfen, wieweit das 1966 insgesamt positive Rolle Eislers bei diesem Jazz-Forum herausgestellt. in der DDR erschienene Jazz-Buch des Eisler-Schülers Andre Asriel durch den Lehrer beeinflußt war.

Auch anläßlich der "Maßnahme"-Diskussion hafte er 1931 vor einer undifferenzierten Ablehnung des Jazz gewarnt, "Man muß näm- lich unterscheiden können zwischen dem Jazz als Technikum und der widerlichen Ware, welche die Vergnügungslndustrie aus ihm machte." Der Jazz als Technikum: Dies war eine weitere Möglich- keit produktiver Rezeption. Vergleichbar seiner differenzierten Literatur Sicht der Schönberg-Schule schlug Eisler vor, die musikalischen Verfahrensweisen des Jazz analytisch zu untersuchen, sie heraus- Bek, Josef (1994): Erwin Schulhoff. Leben und Werk. Hamburg: von Bockel zulösen und in anderem Kontext fruchtbar zu machen: (= Verdrängte Musik Bd.8). "Die bürgerliche Musik war nicht imstande, das Fortschrittliche im Betz, Albrecht (1976): Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet. Jazz weiterzuentwickeln, nämlich das Montagemäßige, das den München: Text u. Kritik. Dümling, Albrecht (1977): Symbol des Fortschritts, der Dekadenz und der Musiker zum technischen Spezialisten machte. Hier waren Möglich- Unterdrückung. Der Bedeutungswandel des Jazz in den 20er Jahren. keiten gezeigt, eine neue Einheit von Freiheit des einzelnen und Dis- In: Stern 1977, 81-106. zipliniertheit des Gesamtkörpers zu erzielen (Improvisieren mit festem Dümling, Albrecht (1985): Laßt Euch nicht verführen. Brecht und die Musik. Ziel), das Gestische zu betonen, die Methode des Musizierens der München: Kindler. Funktion unterzuordnen, also bei Funktionswechsel Stilarten über- Dümling, Albrecht (1989): Entartete Musik. Eine Tondokumentation. Berlin: gangslos zu wechseln usw." (Eisler 1973, 132). Pool Musikproduktion (Vertrieb über Zweitausendeins). Dümling, Albrecht/ Girth, Peter (Hg.) (1993): Entartete Musik. Dokumentation So betrachtet könnten dann Verfahrensweisen des Jazz auch in und Kommentar zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938. ganz anderen Zusammenhängen, etwa in Bühnen- und Filmmusik Dritte überarbeitete u. erweiterte Auflage. Düsseldorf: Der Kleine Verlag. und in der Sinfonik, losgelöst vom Idiom fruchtbar werden. Es ist Dümling, Albrecht (1994): Reine und unreine Musik. Jazz und Jazzverwandtes in der NS-Ausstellung "Entartete Musik". In: Mäusli, Theo (Hg.) (1994): dies ein Ansatz, den Eisler und Adorno in ihrem gemeinsamen Jazz und Sozialgeschichte. Zürich: Chronos, 47-68. Buch "Komposition für den Film" theoretisch weiter ausformuliert Eisler, Hanns (1973): Musik und Politik. Schriften 1924-1948. Textkritische haben. Die analytische Darstellung der kompositorischen Konse- Ausgabe von Günter Mayer. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik. quenzen steht allerdings, trotz der Hinweise bei Günter Mayer, Eisler, Hanns (1928): Relative Stabilisierung der Musik. Zu Hindemiths noch in den Anfängen, "Cardillac" in der Kroll-Oper. In: Eisler 1973, 80-81. Eisler, Hanns (1956): Über Jazz. In: Grabs 1973, 245-48. Grabs, Manfred (Hg.) (1973): Materialien zu einer Dialektik der Musik. Leipzig: Philipp Reclam jun. Hoffmann, Ludwig / Hoffmann-Ostwald, Daniel (Hg.) (1977): Deutsches Arbeitertheater 1918-1933, Bd. 3. Berlin: Henschel. John, Eckhard (1994): Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918-1938. Stuttgart: Metzler.

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Lüdke, Markus (1993): Im "Trott" der Zeit. Aspekte der Jazzrezeption Erwin Schulhoffs. In: Eberle, Gottfried (Hg.) (1993): Erwin Schulhoff. Die Refera- te des Kolloquiums in Köln am 7. Oktober 1992. Hamburg: von Bockel (= Verdrängte Musik Bd.5). Prieberg, Fred K. (1991): Musik und Macht. Frankfurt/M.: S.Fischer. Stern, Dietrich (1977): Angewandte Musik 20er Jahre. Exemplarische Versuche gesellschaftsbezogener Arbeit für Theater, Film, Radio, Massenveranstaltung. Berlin: Argument. Stern, Dietrich (1977): Soziale Bestimmtheit des musikalischen Materials. Hanns Eislers Balladen für Gesang und kleines Orchester und ihre Beziehung zur Musik Kurt Weills. In: Stern 1977, 107-117.

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