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mantischen Zeittendenz zugleich auch seiner eigenen ambi- Albrecht Dümling (Berlin) valenten Haftung dem Lehrer gegenüber. Während er diesen einerseits als peniblen Pädagogen, als gründlichen Kenner der klassischen Meisterwerke und als ideenreichen Komponisten be- wunderte, kritisierte er andererseits seine ideologisch-politische Musikalische Verfahrensweise und gesellschaftliche Funktion: Rückständigkeit, seine nationalistischen.. und sogar monarchisti- Hanns Eisler und der Jazz schen Anschauungen. Insofern war die berschrift "Arnold Schön- berg, der musikalische Reaktionär" nicht nur ironisch gemeint ge- wesen, Zugleich wollte Eisler auch das pauschal negative Schön- Als Arnold Schönberg seinen 50. Geburtstag beging, widmete ihm berg-Bild der Konservativen, die in seinem Lehrer nur den Revolu- sein Schüler Hanns Eisler einen Artikel mit der wenig schmeichel- tionär und Umstürzler sahen, korrigieren. Sie sollten ihre Haltung haften Überschrift "Arnold Schönberg, der musikalische Reaktio- differenzieren und nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. när", Was so kritisch wirkte, war als Laudatio gemeint: Der vom bürgerlichen Publikum als Musikrevolutionär gefürchtete und des- Auch später, als er längst der Arbeitermusikbewegung zugehörte, halb abgelehnte Komponist sei in Wahrheit ein Vertreter der klas- hat Eisler an dieser Einschätzung festgehalten. Schönbergs Zwölf- sischen Tradition und damit fast schon ein Reaktionär. Auf den tontechnik etwa hielt er ab 1933 für eminent politisch, "weil sie Vorwurf, es handle sich bei Schönbergs Werken um "futuristische dem Faschismus aus bestimmten Gründen unannehmbar war". Seelenkunst", antwortete Eisler mit dem Hinweis auf ihre gesunden Auch für Arbeiterkomponisten könne dieses Verfahren wesentlich musikalischen Strukturen, gerade auch in so komplexen Komposi- werden, wenn sie die Technik vom Ausdruck lösten. Auf der Basis tionen wie den Klavierstücken op. 11 oder dem Monodram der Dodekaphonie versuchte Eisler deshalb eine allgemeingültige "Erwartung" op. 17. Er plädierte damit für eine differenzierte Wahr- antifaschistische Musiksprache zu entwickeln, um so, gemäß dem nehmung, für die Trennung von Ausdruck und Struktur. programmatischen Aufsatz, den er 1937 zusammen mit Ernst Bloch formulierte, Avantgarde und Volksfront zusammenzuführen. Selbst Der romantischen Hörweise hatte es entsprochen, den Ausdruck Problematisches könnte auf diese Weise, richtig eingesetzt, für die als das Poetische und damit cis das "Eigentliche" von Musik anzu- Linke nützlich werden. Diese "Kunst zu erben" betraf die Komposi- sehen. Form Und Struktur waren aus solcher Sicht nur Sekundär- tionen Schönbergs ebenso wie die Gedichte Friedrich Hölderlins, merkmale, nur Folien für die ausdrucksbildenden Mittel Melodik, die Eisler in aphoristischer Verkürzung vertonte. Seine ambivalente Akkordik, Dynamik und Klangfarbe. Wenn Hanns Eisler bei seiner Sicht betraf aber auch den Jazz. Schönberg-Rezeption das Augenmerk auf die aus der Tradition abgeleitete Struktur richtete und den Ausdruck in den Hintergrund Jazz im Nachkriegseuropa - Ansichten, Meinungen, Positionen drängte oder sogar negierte, so kehrte er in antiromantischer Ab- sicht das vertraute Verhältnis um. Dies entsprach der desillusio- Der Jazz hatte sich im Nachkriegseuropa nur auf der Basis des nierten Sicht der Nachkriegsgeneration, die sich mit skeptischer Verfalls traditioneller Werte so breit durchsetzen können. Der Wer- Nüchternheit von jeder Romantik abgekehrt hatte. An die Stelle teverfall betraf neben den geistig-moralischen Idealen ebenso der "Klangbilderphantasie", wie Heinrich Heine die Wirkung des das Staatswesen und die Wirtschaft. Hatte man etwa 1886 in Musikhörens nannte, trat für diese Generation Struktur und Motorik Hamburg eine korrekt nach Noten spielende "Original-Neger- - eine Hörweise mithin, die neben Neobarock und Neoklassizismus Kapelle", die sich aus zehn Stämmen rekrutierte, noch mit einer auch die breite Rezeption von Tanzmusik und Jazz begünstigte. Mischung von exotistisoher Neugier und gönnerhaftem Wohlwol- len empfangen (Prieberg 1991, 109), so begegnete man nun den Wenn Eisler im Falle Schönbergs so dezidiert und sogar einseitig für afro-amerikanischen Musikern mit mehr Aufmerksamkeit. Wäh- strukturelles Hören plädierte, entsprach dies neben der antiro- rend die einen den Jazz als Inbegriff eines neuen Zeitalters be- 119 118 ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 15/16 Beiträge zur Popularmusikforschung 15/16 ASPM grüßten, bekämpften ihn die Konservativen gerade wegen seiner herrschende Grundvorstellungen schienen durch diese Musikart Entfernung vom bisher Üblichen, Wenn der Verfall schon in Politik bedroht: und Wirtschaft unvermeidlich schien, so sollte er doch - dies war - die Vorstellung vom qualitativen und moralischen Vorrang ihre Überzeugung - wenigstens im Bereich der Kunst gestoppt deutscher Kunstmusik, werden. Die Kunst, nicht zuletzt die Musik, wurde als letzte Bastion die Vorstellung von der Höherwertigkeit der nationaler Größe empfunden. Sie erhielt damit den Rang eines - abendländischen Kultur über das Außereuropäische, seelenstärkenden Heilmittels, wie es bis dahin nur Religion und die Vorstellung schließlich vom Vorrang des Geistigen über Philosophie besessen hatten. - das krud Sinnliche. Wegen dieser Überschätzung der musikalischen Traditionen nahm Heute läßt sich nur noch schwer nachvollziehen, wie sehr der Jazz der Kampf für ihre Rettung so militante Züge an. Neben der einmal als erotisches und sexuelles Stimulans Aufsehen erregte. In "Deutsch-nordischen Richard-Wagner-Gesellschaft für germani- diesem Sinn etwa bezeichnete Georg Gräner 1926 in einer Glosse sche Kunst und Kultur" (vgl. Dümling 1993, 56) oder der Münchner in der Allgemeinen Musik-Zeitung den Jazz-Rhythmus als "Auf- Pfitzner-Gemeinde ist in diesem Zusammenhang die "Zeitschrift für peitscher jener Begierden, an denen Seele und Geist keinen An- Musik" und der "Kampfbund für deutsche Kultur" zu nennen. Hans teil haben. Er ist die Lust, das Behagen, die Sättigung des niede- Pfitzner wäre allerdings wohl kaum ein so heftiger Gegner von ren Menschen, des dunklen Niggers, den jeder Weiße In sich trägt" Futurismus, Jazz und Atonalität geworden, hätte er nicht als Folge (John 1994, 289). Unverhüllt und unkontrolliert trete damit das von des Weltkrieges seine geliebte Wirkungsstätte Straßburg verlassen der Zivilisation mühsam gebändigte Triebleben gefährlich nach müssen. Umgekehrt darf man vermuten, daß der aus dieser elsäs- außen. sischen Stadt stammende Musikkritiker H. H. Stuckenschmidt sich eben deshalb zum Verfechter einer europäischen Moderne ent- Die Triebhaftigkeit des Jazz, die ein wesentliches Argument seiner wickelte, weil er nach dem Weltkriegsdesaster jeden Nationalis- Gegner bildete, stand für die Fans durchaus nicht immer im Mit- mus für antiquiert hielt. Hans Pfitzner und H. H. Stuckenschmidt - telpunkt. Zwar gab es Künstler wie George Grosz oder den neuer- zwei Seiten einer Medaille, zwei konträre Reaktionen auf den dings wiederentdeckten Erwin Schulhoff (Vgl. Lüdke 1993 u. Bek Verlust einer ehemals deutschen Stadt an Frankreich. 1994), die mit bewußt provokativer Dada-Attitüde sexuelle Wirkun- gen des Jazz betonten. Auch Ernst Krenek hafte in seiner Erfolgs- Der Gegensatz der politischen Anschauungen war häufig, wie oper "Jonny spielt auf" die Figur des schwarzen Jazzmusikers als hier, auch eine Generationenfrage. Wer den größten Teil seines Frauenattraktion, als Konkurrenten somit für den weißen Mann, Lebens im Kaiserreich erlebt hafte, der konnte sich meist nur noch dargestellt, Für andere Komponisten der zwanziger Jahre verkör- schwer auf die völlig gewandelte Situation in der Weimarer Re- perte der Jazz dagegen auch andere, als weniger problematisch publik einstellen. Wer Neger bis dahin nur aus dem empfundene Wertvorstellungen. Er war Symbol vitaler Lebens- "Struwwelpeter", aus den afrikanischen Kolonien oder vielleicht freude, eines Optimismus, wie er der wirtschaftlichen Prosperität von Weltausstellungen kannte, der konnte sich kaum damit ab- Amerikas, der einzigen wirklichen Siegermacht, entsprach. Man finden, daß sie nun als Jazzmusiker wie Helden gefeiert wurden; wird sicherlich diskutieren können, in welchem Maße Gastkonzer- für den mußte es geradezu frevelhaft erscheinen, wenn synkopier- te amerikanischer Jazzbands US-Ideologie transportierten. Es ist te Musik als ernstzunehmende Konkurrenz oder gar Alternative zur aber unmöglich, diesen Zusammenhang ganz abzustreiten, wie deutschen Musiktradition aufgefasst wurde. Nur so erklärt es sich, dies jüngst Fred K. Prieberg tat (Prieberg 1991, 186). Eben weil der daß etwa ein sonst so moderat abwägender Musikhistoriker und Jazz die von Amerika kommende Lebensfreude vermittelte, wur- -kritiker wie der Mozart-Forscher Alfred Einstein den Jazz als "den den in der europäischen Jazz-Rezeption - dies bestätigen die scheußlichsten Verrat an aller abendländischen Zivilisationsmusik" Milhaud oder Weill - schnelle bezeichnete (John 1994, 289). Gleich mehrere im Bürgertum vor- Satztitel bei Strawinsky, Hindemith, 120 ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 15/16 Beiträge zur Popularmusikforschung 15/16 ASPM 121 Formen wie Ragtime und Foxtrott bevorzugt. Viel weniger gefragt Lehrer war erst mit Jazz in Verbindung gekommen, als er 1924 die waren die Klagecharaktere von Spiritual und Blues. aus wohlhabender Familie stammende Gertrud Kolisch heiratete. Reflexe dieser Begegnung finden sich in Schönbergs Suite op. 29, Eisler und sein Verhältnis zum Jazz vor 1928 dort vor allem in den Foxtrott-Rhythmen