Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 1 THÜRINGEN BLÄTTER ZUR LANDESKUNDE hüringen brachte der Thüringer aus dem der Prozess von 6. Jahrhundert und der Tfriedlicher Revo- ludowingischen Land- lution in der DDR und grafschaft Thüringen deutscher Wiederver- des 12. und 13. Jahr- einigung auch die Re- hunderts auf ältere his- naissance als politisch- torische Bezugspunk- administrative Einheit. te berufen konnte. Im 1989/90 stellt damit in 19. Jahrhundert kamen der Landesgeschichte ernsthafte Bestrebun- einen markanten Wen- gen nach einer Eini- depunkt dar. Über Jahr- gung Thüringens auf, hunderte galt die Re- die im 20. Jahrhun- gion zwischen Harz und dert schrittweise ver- Thüringer Wald, zwi- wirklicht wurden. 1920 schen Werratal und bildete sich aus sieben Pleißenland als „Mus- Wappen ehemaligen Herzog- terland der Kleinstaa- und Fürstentümern der Freistaat Thüringen terei”. Allerdings be- Freistaat Thüringen mit stand unter den Thü- der Hauptstadt Wei- ringern das Bewusst- mar. Nach Ende des sein einer “Einheit in Zweiten Weltkrieges der Vielfalt”, die sich 1945 kamen die vor- mit dem Königreich mals preußischen Ge-

Der Freistaat Thüringen 1990/93

biete mit dem Zentralort Erfurt hinzu, matverbundenheit und tief verwurzelte das die Hauptstadtrolle übernahm. Im landsmannschaftliche Identität nach. Zuge der Einführung des „demokra- Schlaglichtartig kam dies während der tischen Zentralismus” in der DDR wur- friedlichen Revolution 1989 zum Aus- de das Land Thüringen jedoch 1952 be- druck, als die Wiedergründung eines reits wieder aufgelöst. An seine Stelle Landes Thüringen mit zu den ersten traten die Bezirke Erfurt, Gera und Forderungen zählte. Auch die Ge- Suhl. schichtswissenschaft betont „das in Den Thüringern sagt man ähnlich Thüringen besonders stark ausgepräg- wie den Sachsen eine besondere Hei- te Landesbewusstsein und die hier (wie Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 2

in Sachsen) am frühesten auftauchen- Land Thüringen zu verwischen. Man de Forderung nach Wiedervereini- konnte also 1989/90 an lebendige Vor- gung”, so der Historiker Gunther Mai. stellungen und kollektive historische Wissenschaftliche Umfragen belegen Erinnerungen anknüpfen, die weit in die größte landsmannschaftliche Ge- die 1500-jährige Geschichte Thürin- schlossenheit der Thüringer unter den gens zurück reichen. Diese fest ausge- Bewohnern der DDR. Offensichtlich prägte Identität gab dem 1990 gegrün- hatten es fast vier Jahrzehnte SED- deten Bundesland, das sich seit seiner Herrschaft nicht vermocht, sowohl das Verfassungsgebung 1993 Freistaat Thü- deutsche Nationalgefühl wie auch die ringen nennt, eine tragfähige Basis. Erinnerung an das 1952 zerschlagene

Der Weg zur Landesgründung 1990

u den zentralen Zielen der fried- ber 1989 zunächst nur eine Verwal- lichen Revolution vom Herbst tungsreform auf unterer Ebene an. Der Z1989 in der DDR gehörte ne- Druck der neuen bzw. von der SED ben Demokratisierung, Meinungsfrei- emanzipierten Parteien und Bürger heit, Umweltschutz, Reisefreiheit usw. sowie der sich zunehmend frei ent- sehr früh die Wiedergründung der 1952 wickelnden Medien wurde jedoch im- faktisch aufgelösten Länder Mecklen- mer stärker. Vor diesem Hintergrund burg, , Sachsen-Anhalt, nahm am 18. Dezember 1989 eine Re- Sachsen und Thüringen. Das regiona- gierungskommission „Verwaltungsre- le Sonderbewusstsein der DDR-Bürger form“ beim Ministerrat der DDR ihre hatte sich gehalten, während die 15 Be- Arbeit auf. Aufgabe war die Vorberei- zirke nie eine tiefere identitätsstiftende tung von Gesetzen betreffs der künf- Kraft entfalten konnten. Als künstliche tigen Länderstruktur. Sie setzte die Ar- Konstrukte des SED-Staates galten sie beit auch nach der Volkskammerwahl zudem als diskreditiert. Das rasante Vor- vom 18. März 1990 unter der CDU- anschreiten der gesellschaftlichen Ver- geführten Regierung Lothar de Mai- änderungen dynamisierte dabei auch zière fort. Der Sieg der “Allianz für die Frage der Ländergründung. Mit Deutschland” aus CDU, DSU und De- dem deutlichen Umschwung der Stim- mokratischem Aufbruch (48,2 % der mung von einer Umgestaltung der DDR Stimmen) hatte ein klares Signal für hin zur Wiedervereinigung Deutsch- die zügige Wiedervereinigung gege- lands nach dem Mauerfall vom 9. No- ben, wobei das Wahlergebnis in Thü- vember 1989 rückte die Angleichung an ringen besonders deutlich ausfiel (Be- die föderalen Strukturen der Bundes- zirk Erfurt 60,7 %, Suhl 60,5 %, Gera republik immer deutlicher in den 58,8 %). Zielstellung war jetzt aus- Blickpunkt. drücklich eine „föderative Republik“. Die DDR-Übergangsregierung unter Begleitet von großem öffentlichen In- Hans Modrow (SED) strebte im Novem- teresse nahmen in der Kommission Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 3

Formen und Aufgaben der Länder Ge- und Sangerhausen (alle Bezirk ), stalt an. Nachdem zum 1. Juli bereits traditioneller thüringischer Kulturraum, die Wirtschafts-, Währungs- und Sozial- sprachen sich ebenfalls für die Anglie- union mit der Bundesrepublik in Kraft derung an Thüringen aus, was aller- getreten war, nahm die dings nicht in das Ländereinführungs- am 22. Juli 1990 das Ländereinführ- gesetz einfloss. Auch in der Folgezeit ungsgesetz an. Damit war die recht- blieben die entsprechenden Bemüh- liche Grundlage in Abstimmung mit ungen der „Bürgerinitiative Nordthü- dem Einigungsvertrag geschaffen. Mit ringen“ bis hin zur Anrufung des Vollzug der deutschen Einheit sollten Bundesverfassungsgerichtes erfolglos. die Bundesländer Mecklenburg-Vorpom- 16 Gemeinden im thüringischen Vogt- mern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen- land durften sich dagegen Sachsen an- Anhalt und Thüringen auf dem Territo- schließen. rium der DDR ins Leben treten. Parallel zu diesen strukturellen und In den Diskussionen um die Wie- territorialen Entscheidungen auf DDR- dereinführung des Föderalismus stand Ebene ging die innere Landesgründung trotz zahlreicher Alternativvorschläge in Thüringen voran. Als Übergangsre- die Bildung der fünf 1952 aufgelösten gelung hatte die DDR-Regierung nach Länder nie ernsthaft infrage. Ledig- Auflösung der Bezirkstage zum 31. Mai lich eine Aufteilung von Sachsen-An- 1990 Regierungsbevollmächtigte in den halt wurde zeitweise erwogen. Dass die Bezirken eingesetzt. In Thüringen üb- drei Südwestbezirke den Kern Thürin- ten diese Funktion Josef Duchacˇ für gens ausmachen würden, stand nicht Erfurt, Peter Lindlau für Gera, Werner zur Diskussion. Darüber hinaus hielt Ulbrich für Suhl aus (alle CDU). Im das Ländereinführungsgesetz vom 22. August übernahm der spätere Minister- Juli 1990 schließlich fest: „Unter Be- präsident Duchacˇ bis zur Konstituie- achtung der Ergebnisse der Bürgerbe- rung der ersten Landesregierung das fragungen beantragen [...] die Kreistage Amt eines Landessprechers mit weitge- von , Schmölln und die henden Befugnissen für die drei Be- Kreiszuordnung zu Thüringen.“ Besag- zirke. Am 16. Mai war statt eines ur- te Bürgerbefragungen hatten im Kreis sprünglich geplanten „Runden Tisches Artern () und Kreis Schmölln Thüringen“ erstmals auf Initiative der (Bezirk ) deutliche Mehrheiten CDU der „Politisch-Beratende Ausschuss für Thüringen ergeben. Der Kreis Al- zur Gründung des Landes Thüringen“ tenburg () bildete dage- zusammen getreten. Entsprechend dem gen neben Senftenberg und Bad Lie- Abschneiden bei den Volkskammer- benwerda einen Sonderfall, weil der und Kommunalwahlen waren in die- Kreistag sich hier über das Votum der sem Ausschuss elf Parteien und Ver- Bürger hinwegsetzte. Zwar stimmten einigungen vertreten. Dieses Gremium bei geringer Beteiligung (55,3%) 53,8% hatte für das künftige Landesparlament für Sachsen, der Kreistag votierte je- und die Regierung Empfehlungen zum doch mit 38 zu 25 Stimmen für Thü- Aufbau des Bundeslandes Thüringen, ringen. Zahlreiche Gemeinden in den seiner Verwaltungsstruktur, Verfassung Kreisen Naumburg, Weißenfels, Nebra etc. zu erarbeiten. Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 4

Vom Land zum Freistaat Thüringen 1990 –1993

m 3. Oktober 1990 schlug die Landesverwaltung, oft mit Unterstüt- Geburtsstunde des Bundeslandes zung aus den „alten“ Bundesländern AThüringen. Mit dem Beitritt der (besonders Hessen und Rheinland- auf dem Territorium der DDR entstan- Pfalz). Statt der in Sachsen und Sach- denen Länder zum Geltungsbereich sen-Anhalt geschaffenen Zwischenins- des Grundgesetzes wurde die Wieder- tanz von Regierungsbezirken nahm das vereinigung Deutschlands vollzogen. Landesverwaltungsamt im Juni 1991 Das aus den drei DDR-Bezirken zu- seine Geschäfte auf. Eine Kreisreform sammengefügte Thüringen war jetzt reduzierte 1994 die Anzahl der 1952 ein gleichberechtigter Teil der födera- von der SED bewusst klein angeleg- len Bundesrepublik. Am 11. Oktober er- ten Landkreise von 35 auf 17. Neben folgte die Unterzeichnung der Verträge den 17 Landkreisen gibt es in Thü- zur Eingliederung der Kreise Artern, ringen sechs kreisfreie Städte mit Er- Altenburg und Schmölln durch deren furt, Eisenach, Gera, Jena, Suhl und Landräte, womit der im Ländereinfüh- Weimar. rungsgesetz festgelegte Gebietsstand Was ebenfalls noch ausstand war die erreicht war. Mit 16.171 km2 Fläche und endgültige Beantwortung der Haupt- 2,6 Mio. Einwohnern rangierte Thürin- stadtfrage. Schon der Politisch-Beraten- gen unter den 16 Ländern der Bundes- de Ausschuss hatte sich für Erfurt, die republik an 11. bzw. 10. Stelle. Metropole und traditionelle „heimliche Die erste Landtagswahl am 14. Okto- Hauptstadt“ Thüringens ausgesprochen. ber sah die CDU als klaren Sieger un- Auch die neue Regierung nahm hier ter den fünf Parteien, die den Sprung ihren Sitz. Aber erst die Entscheidung ins Parlament geschafft hatten (CDU des Landtages über den Parlamentssitz 45,4%, SPD 22,8%, PDS 9,7%, FDP sollte die Frage endgültig klären. Es 9,3%, Neues Forum/Die Grünen/De- bewarben sich hierfür Erfurt, Weimar, mokratie Jetzt 6,5%). Der am 25. Okto- Jena, Gera und anfangs auch Nord- ber feierlich im Weimarer National- hausen. Der „Wahlkampf“ spitzte sich theater konstituierte Landtag wählte rasch zu auf ein teils heftig ausge- am 8. November 1990 Josef Duchacˇ fochtenes Duell zwischen Erfurt und zum Ministerpräsidenten einer CDU- Weimar. Weimar war von 1920 bis FDP-Koalitionsregierung. (Im Februar 1945 Hauptstadt des „kleinthüringi- 1992 übernahm Bernhard Vogel dieses schen“ Landes bzw. gesamtthüringi- Amt.) Damit galt die Landesbildung schen NSDAP-Gaues. Mit der Abstim- staatsrechtlich als abgeschlossen. mung vom 10. Januar 1991 wurde Er- Es folgte in den kommenden Mo- furt zum Sitz des Thüringer Landtages naten und Jahren der Aufbau des parla- und zur Landeshauptstadt erklärt. Der mentarischen Fundamentes, der Minis- Landtag modernisierte und erweiterte terien und einer funktionstüchtigen den Gebäudekomplex des Erfurter Be- Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 5

zirkstages an der Arnstädter Straße. greift. Aus deren westlichen Teilen war Dieser war bereits 1949/52 in Ergän- nach dem thüringisch-hessischen Erb- zung eines Verwaltungsbaues aus der folgekrieg (1247–1264) die Landgraf- NS-Zeit für die von Weimar nach Er- schaft Hessen hervor gegangen. Der furt umziehende Landesregierung und „Hessische Löwe“ ist neben anderer den Landtag errichtet worden. Eben- Streifung ungekrönt und nicht von Ster- falls überwiegend im Süden der Stadt nen umgeben. wurden die Ministerien untergebracht. Dem ersten Landtag kam laut Län- Die Thüringer Staatskanzlei, Amtssitz dereinführungsgesetz auch die Aufgabe des Ministerpräsidenten, bekam 1995 der Verabschiedung einer Landesver- mit der ehemaligen kurmainzischen fassung zu. Ein Verfassungsausschuss Statthalterei am Hirschgarten ein re- bereitete die Gesetzesvorlage vor. In präsentatives Domizil im Stadtzentrum. der Zwischenzeit regelte eine Vorläu- Ebenfalls am 10. Januar 1991 verab- fige Landessatzung die Arbeit von Par- schiedete der Landtag das Gesetz über lament und Regierung. Die Verfas- die Hoheitszeichen Thüringens, die ein sungsentwürfe der fünf Landtagsfrak- wesentliches Element der Eigenstaat- tionen wurden vom Ausschuss zu ei- lichkeit und Außendarstellung des Lan- nem Entwurf zusammengefasst und ab des bilden. Neben den traditionellen April 1993 Experten und der Öffentlich- Landesfarben Weiß und Rot greift das keit zur Diskussion vorgelegt. Es kam Wappen mit dem ludowingischen Lö- noch zu gewissen Veränderungen, be- wen auf die siebenhundertjährige Tra- sonders der Bezeichnung des Landes dition der Landgrafschaft Thüringen als „Freistaat Thüringen“ in Anknüp- zurück, verarbeitet aber auch mit fung an die Tradition von 1920. In sei- heraldischen Mitteln die jüngere Ge- ner 95. Sitzung am 25. Oktober 1993 schichte. Das Wappen zeigt „in Blau verabschiedete der Thüringer Landtag einen goldgekrönten und bewehrten, feierlich auf der Wartburg mit Zweidrit- achtfach von Rot und Silber querge- telmehrheit der „Verfassungskoalition“ streiften Löwen, umgeben von acht aus CDU, SPD und FDP die „Verfassung silbernen Sternen“ (Peter Heß). Dies des Freistaats Thüringen“. Der aus- symbolisiert die für Thüringen cha- führliche, weit über ein reines Orga- rakteristische „Einheit in der Vielfalt“. nisationsstatut hinaus gehende Text Der Vielfalt der Staatsgebilde und Ver- spiegelt in vielen Passagen die Befind- waltungseinheiten im „Musterland der lichkeiten der historischen Situation Kleinstaaterei“ stand immer das Be- nach 1989/90 wider und rief etwa we- wusstsein einer übergeordneten Ein- gen der ausführlichen sozialen Staats- heit gegenüber, die sich insbesondere ziele die Kritik westdeutscher Staats- auf die Landgrafschaft Thüringen be- rechtler hervor. Endgültig in Kraft trat rufen konnte. Das Landeswappen um- die Verfassung mit der Volksabstim- gibt daher den „Thüringer Löwen“ mit mung (70,1% für die Verfassung) pa- acht silbernen Sternen, die für die ehe- rallel zur zweiten Landtagswahl am maligen Kleinstaaten und preußischen 16. Oktober 1994. Thüringen, wo 1816 Gebiete stehen. Damit unterscheidet es im Großherzogtum Sachsen-Weimar- sich vom ähnlichen Landeswappen Hes- Eisenach die erste Verfassung im sens, das ebenfalls auf die Tradition Deutschen Bund und 1919 in Weimar der Landgrafschaft Thüringen zurück die Verfassung der ersten deutschen Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 6

Republik gegeben worden waren, be- Bundesland eine Verfassung. Der Lan- kam damit nach einem besonders in- desbildungsprozess konnte als abge- tensiven Prozess als letztes „neues“ schlossen gelten.

Thüringen seit 1990/93

ach den ersten demokratischen ditionsreichen Industriestandorten ent- Wahlen 1990 kam es trotz durch- wickelt hatten, erlitten einen durch- Ngehend CDU-geführter Landes- greifenden Prozess der Deindustria- regierungen zu markanten Verände- lisierung. Ganze Wirtschaftsbereiche rungen im politischen Gefüge des wie etwa der Kalibergbau im Norden neuen Bundeslandes. Bei der Bundes- und Südwesten Thüringens gingen fast tagswahl im Oktober 1994 erreichten vollständig unter. Daran konnten auch nur noch CDU (41,0%), SPD (30,2%) Aktionen wie Besetzung und Hunger- und PDS (17,2%) Ergebnisse jenseits streik im Kaliwerk Bischofferode 1993, der 5-Prozent-Hürde. Im Thüringer die unter dem Motto „Bischofferode ist Landtag befanden sich seither nur noch überall“ für großes Aufsehen gesorgt Fraktionen dieser drei Parteien bei hatten, nichts ändern. Die optische stetigem Aufstieg der PDS/Die Linke Industrie in Jena, der Automobilbau (Wahl 1994: CDU 42,6%, SPD 29,6%, in Eisenach oder die Zukunftstechno- PDS 16,6%; Wahl 1999: CDU 51,0%, logien (Solar, Mikroelektronik, Bio- PDS 21,3%, SPD 18,5%; Wahl 2004: technologie) im Dreieck Jena-Erfurt- CDU 43,0%, PDS 26,1%, SPD 14,5%). Ilmenau, und neue mittelständische Nach der CDU-FDP-Koalition seit 1990 Unternehmen konnten den massenhaf- regierte von 1994 bis 1999 eine Große ten Arbeitsplatzverlust quantitativ nicht Koalition aus CDU und SPD, von 1999 ausgleichen. So beschäftigte das 1991 bis 2009 standen CDU-Alleinregierun- geschlossene Automobilwerk Eisenach gen an der Spitze des Landes. Das Amt (AWE), Hersteller des PKW „Wartburg“, des Ministerpräsidenten bekleidete von 1989 fast 10.000 Mitarbeiter, im 1992 1992 bis 2003 Bernhard Vogel, von 2003 eröffneten neuen Werk von Opel sind es bis 2009 stand Dieter Althaus der Lan- rund 1700. Bis auf wenige Ausnahmen, desregierung vor. Nach der schweren wie die 1991 aus dem VEB Kombinat Wahlniederlage 2009 (CDU 31,2%, Lin- Carl Zeiss hervorgegangene Jenoptik ke 27,4%, SPD 18,5%, FDP 7,6%, Grü- AG in Jena, sind keine Zentralen gro- ne 6,2%) trat Dieter Althaus zurück und ßer Unternehmen oder Konzerne in machte Platz für eine CDU-SPD Koali- Thüringen ansässig. tion mit Christine Lieberknecht (CDU) In ihrer Bedeutung gestiegenen sind an der Spitze. demgegenüber der Dienstleistungssek- Die ökonomische und soziale Ent- tor und der vor 1990 ebenfalls staat- wicklung nach 1990 wurde in starkem lich gelenkte Tourismus. Besonders der Maße von den Problemen der zusam- Städte- und Kulturtourismus und Rei- menbrechenden DDR-Planwirtschaft ge- sen in die landschaftlich reizvollen prägt. Viele Städte und Regionen, die Regionen wie den Thüringer Wald mit sich seit dem 19. Jahrhundert zu tra- dem von Herbert Roth in der „heim- Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 7

lichen Landeshymne“ besungenen Hö- Straßentunnel Deutschlands, dem 7916 henweg Rennsteig sind zu einem wich- Meter langen Rennsteigtunnel, ein in- tigen Wirtschaftsfaktor geworden. Trotz genieurtechnisches Meisterwerk dar. Personalabbaus spielen auch der öf- Bis 2016 soll auch als wichtigstes Schie- fentliche Dienst und die dichte Hoch- nenprojekt die ICE-Verbindung Ber- schullandschaft mit der Friedrich- lin-München über Erfurt als Teil eines Schiller-Universität Jena, Universität europäischen Schnellstreckennetzes fer- Erfurt, Bauhaus-Universität Weimar, tig gestellt werden. In der Landes- Technischen Universität Ilmenau, Hoch- hauptstadt Erfurt und in Altenburg schule für Musik Franz Liszt Weimar wurden bestehende Anlagen zu moder- sowie den Fachhochschulen Nordhau- nen Flughäfen ausgebaut. sen, Erfurt, Jena, Schmalkalden eine Trotz dieser positiven Ansätze beweg- wichtige Rolle. Die Landwirtschaft mit te sich auf Grund des Verlustes großer einer Reihe größerer und mittlerer Un- Teile der gewachsenen Wirtschafts- ternehmen, die oft aus ehemaligen LPG strukturen insbesondere im industriel- hervor gegangen sind, und speziali- len Bereich das Bruttoinlandsprodukt sierten Kleinbetrieben konnte sich in Thüringen 2009 nur bei ca. 75 Pro- zusammen mit der Lebensmittelindus- zent des Bundesdurchschnittes. Auch trie relativ erfolgreich auf dem Markt lag die Arbeitslosenquote im Mai 2009 behaupten. Sie liefern auch zwei der mit 11,8 Prozent nach wie vor deut- bekanntesten Markenzeichen des Lan- lich über dem Bundesdurchschnitt von des, den Thüringer Kloß und die Thü- 8,2 Prozent bzw. dem Durchschnitt ringer Rostbratwurst, die eine nicht un- der „alten“ Länder von 6,9 Prozent. Pa- erhebliche Rolle für Selbstverständnis rallel hierzu hatte unmittelbar mit dem und Marketing des Freistaates Thürin- Mauerfall vom 9. November 1989 ein gen spielen. Abwanderungsprozess in die Bundes- Wichtige Weichen für die Zukunft republik bzw. die „alten“ Bundeslän- wurden mit den Verkehrsprojekten der eingesetzt. Besonders junge, gut Deutsche Einheit und dem Ausbau des ausgebildete Menschen wurden von 1989 überwiegend maroden regionalen den besseren Arbeits- und Lebensbe- Verkehrsnetzes gestellt. Damit konnte dingungen im „Westen“ angezogen. die wiedergewonnene Mittellage Thü- Verstärkt durch drastischen Geburten- ringens in Deutschland und Europa rückgang und weitere demographische als natürlicher Standortvorteil auch in- Faktoren ging die Einwohnerzahl auf frastrukturell untermauert werden. Ne- dem Territorium des heutigen Frei- ben dem Ausbau der Autobahnen A 4 staates von gut 2,7 Millionen (1988) auf (Frankfurt/M.-Dresden) und A 9 (Ber- 2,2 Millionen (2008) zurück. Progno- lin-München) und der neuen „Südharz- sen kündigen einen weiteren Bevölke- autobahn” A 38 (Göttingen-Halle/S.) rungsrückgang und Anstieg des Alters- entstand mit der A 71/73 (Sangerhau- durchschnittes an, was besonders die sen-Schweinfurt/Coburg) eine völlig strukturschwachen und ländlichen Re- neue Trasse in Nord-Süd-Richtung gionen treffen wird. durch das thüringische Kernland. Be- Bei all diesen Problemen scheint der sonders der Abschnitt südlich des Er- Freistaat Thüringen im Vergleich der furter Kreuzes („Thüringer-Wald-Auto- 16 Bundesländer gut aufgestellt, wurde bahn“) stellt u. a. mit dem längsten doch seit der deutschen Einheit viel Info Thüringen 90/93.qxd 18.01.2010 12:51 Uhr Seite 8

erreicht. Schon auf den ersten Blick bündeln sich nicht nur wichtige euro- machen dies die sanierten historischen päische Verkehrwege. Hier verbinden Städte und Gemeinden, die wirtschaft- sich eine von den UNESCO-Welterbe- lichen „Leuchttürme“ oder die moder- stätten Weimar und Wartburg über- ne Infrastruktur deutlich. In mancher ragte, einmalig dichte Geschichts- und Hinsicht rangiert Thüringen zumal un- Kulturlandschaft mit den natürlichen ter den „neuen“ Ländern mit ganz vorn. Reizen des „grünen Herzen Deutsch- Der Freistaat kann sich auf eine Reihe lands“, mit Zukunftstechnologien und von Standortvorteilen und Markenzei- moderner Hochschullandschaft. chen stützen. In „Deutschlands Mitte“ Dr. Steffen Raßloff

Thüringen 1990 © Klett-Perthes Verlag GmbH

Herausgeber: Landeszentrale für politische Bildung THÜRINGEN Regierungsstraße 73, 99084 Erfurt www.lzt.thueringen.de Autor: Dr. Steffen Raßloff, Erfurt Druck: Druckerei Sömmerda GmbH 2010 (83)