Fahrbibliotheken Und Großstadt – Widerspruch Oder Ein Baustein Im Bibliothekssystem?
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Bibliotheksdienst 2015; 49(3-4): 333–341 Bärbel Baschin und Stefan Rost Fahrbibliotheken und Großstadt – Widerspruch oder ein Baustein im Bibliothekssystem? Zusammenfassung: Im Jahr 2013 wurden in Berlin im Rahmen des EFRE-Projek- tes NuMoB der Berliner Öffentlichen Bibliotheken auch die Nutzer in den vorhan- denen Fahrbibliotheken befragt. Die Ergebnisse unterscheiden sich in einigen Bereichen von denen der Gesamtbefragung. Hervorzuheben ist die hohe Zufrie- denheit der Kunden insbesondere mit dem in den Fahrbibliotheken tätigen Perso- nal. Dies ist nicht zuletzt ein Ergebnis der anderen Form der Kundenbindung, der persönlicheren Ansprache. Fahrbibliotheken bedienen Bedarfe punktuell und individuell und bilden damit einen Baustein im Bibliothekssystem – auch einer Großstadt. Schlüsselwörter: Berlin, Fahrbibliotheken, Kundenmonitor Bookmobiles and the city – a contradiction or an element of the library system? Abstract: In 2013, library users were questioned in the course of the Berlin EFRE project NuMoB of the Berlin public libraries. The results coming from users of the existing bookmobiles differ in some areas from those of the general survey. The high customer satisfaction especially with the staff running the bookmobiles may be emphasized. This is not least a result of a different form of customer treatment with more personal contact. Bookmobiles serve needs individually and thereby are an element of the library system – also in the city. Keywords: Berlin, bookmobiles, customer monitoring DOI 10.1515/bd-2015-0041 Bärbel Baschin: [email protected] Stefan Rost: [email protected] 334 Bärbel Baschin und Stefan Rost 1 Fragestellungen Benötigt eine Großstadt mit im Herbst 2014 immer noch über 70 öffentlichen Standortbibliotheken überhaupt Fahrbibliotheken? Und wenn ja, wo und mit welchen Angeboten können sich diese mobilen Bibliotheken behaupten oder sogar eine sinnvolle Ergänzung darstellen? Wodurch unterscheiden sie sich von den ortsfesten Bibliotheken, welche Vor- und Nachteile haben sie in der Betrach- tung ihrer Nutzer? Fragen, auf die das erste in ganz Berlin durchgeführte Kunden- monitoring Antworten versprach. 2 Die Ausgangssituation In der Hälfte der zwölf Berliner Bezirke sind Fahrbibliotheken mit insgesamt zehn Fahrzeugen im Einsatz. Während fünf Bezirke in ihren Fahrzeugen ein Medienan- gebot für alle Altersgruppen bereithalten, gibt es im Bezirk Mitte und im kleinen Reinickendorfer Bücherbus nur Medien für Kinder und Jugendliche, da diese Fahrzeuge nur an Kitas und Grundschulen halten. Berlin dehnt sich in Ost-West-Richtung über 45 km aus, in Nord-Süd-Richtung über 38 km. Auch innerhalb einzelner Bezirke gibt es Entfernungen von knapp 20 Kilometern. Mit Treptow-Köpenick, Steglitz-Zehlendorf, Spandau und Reinickendorf ver- fügen vier der flächenmäßig fünf größten Berliner Bezirke, die gleichzeitig auch die geringste Zahl an Einwohnern pro qkm aufweisen, über Fahrbibliotheken. Hier macht der Einsatz mobiler Bibliotheken besonders Sinn, weil die Wege zur nächsten Bibliothek sonst sehr weit und zeitaufwändig sind. 3 Die Befragung In insgesamt vier Bezirken wurden – stellvertretend für alle Fahrbibliotheken – die über 14 Jahre alten Nutzer der Fahrbibliotheken in Reinickendorf, Steglitz- Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg und Treptow-Köpenick befragt. Insgesamt wurden 275 Nutzer der Berliner Fahrbibliotheken nach ihrer Meinung gefragt. Dies entspricht einem Anteil von 5,7 % der aktiven Nutzer der teilnehmenden Fahrbibliotheken über 14 Jahren. Dabei gibt es interessante Abweichungen zur Gesamtauswertung aller Öffentlichen Bibliotheken in Berlin. Fahrbibliotheken und Großstadt 335 4 Die Ergebnisse 4.1 Wer sind die Nutzer der Fahrbibliotheken, die über 14 Jahre alt sind? Die Nutzer der Fahrbibliotheken sind weitaus häufiger weiblich als in der Gesamt- heit der Bibliotheksnutzer (77 %, für Berlin insgesamt 63 %). Der Grad der Nutzung wegen der Kinder wird mit 56 % gegenüber 22 % für Berlin angegeben. Es sind also viele Mütter mit Kindern, die die Fahrbibliothek besuchen. Dazu kommt ein Viertel Nutzer im Ruhestand. Insgesamt ein hoher Prozentsatz, der in der Zeiteinteilung so frei ist, dass er die vergleichsweise kurzen Öffnungszeiten einmal in der Woche an einer Haltestelle als zufrieden- stellend bewertet (4,6 gegenüber 3,7 für ganz Berlin). In ihrer Ergänzungsfunktion zu den ortsfesten Bibliotheken befinden sich die Haltestellen der Fahrbibliotheken in Gebieten, die in ihrer Sozialstruktur von denen der Innenstadt abweichen. Menschen mit Migrationshintergrund sind in diesen weniger besiedelten, fast ländlichen Bereichen der Außenbezirke weniger vertreten. Steglitz-Zehlendorf, Reinickendorf, Tempelhof-Schöneberg und Trep- tow-Köpenick liegen beim mittleren Haushaltseinkommen in Berlin auf den Plätzen eins, zwei, drei und fünf. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund (Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund) beträgt in Berlin 24,1 % (Zensus 2011)1, in den Bezir- ken mit Fahrbibliotheken zwischen 6,8 % in Treptow-Köpenick2 und 28,7 % in Tempelhof-Schöneberg3. Unter den Nutzern der Fahrbibliotheken über 14 Jahren ist ihr Anteil mit 7 % daher auch weit geringer als im Berliner Durchschnitt (23 %) und im Durchschnitt des jeweiligen Bezirks. Im Vergleich der Berliner Ergebnisse der Fahrbibliotheken mit denen der kürzlich in Schleswig-Holstein durchgeführten Befragung der Fahrbibliotheken „Was (nicht-)Nutzer/innen der Fahrbibliotheken im Land zwischen den Meeren wollen …“ weisen beide Umfragen die sehr hohe Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer von Fahrbibliotheken mit deren Service und Angeboten aus. 1 Amt für Statistik für Berlin-Brandenburg: Zensus 2011. http://afs-statistik.verwalt-berlin.de/ zensus/gdb/bev/be/11_Berlin_bev.pdf. [Zugriff, auch bei allen folgenden Links: 16.12.2014]. 2 Amt für Statistik für Berlin-Brandenburg: Zensus 2011. http://afs-statistik.verwalt-berlin.de/ zensus/gdb/bev/be/11/1109_Treptow-Koepenick_bev.pdf. 3 Amt für Statistik für Berlin-Brandenburg: Zensus 2011. http://afs-statistik.verwalt-berlin.de/ zensus/gdb/bev/be/11/1107_Tempelhof-Schoeneberg_bev.pdf. 336 Bärbel Baschin und Stefan Rost Insgesamt liegt der Wert der Gesamtzufriedenheit mit den Berliner Fahrbib- liotheken bei hohen 9,3 (von möglichen 10) gegenüber 8,3 für die Gesamtheit der Öffentlichen Bibliotheken. In Anbetracht der Besonderheiten von Fahrbibliotheken sind die Antworten auf folgende Fragen von besonderer Bedeutung: 4.2 Welche Angebote und Serviceleistungen werden von den Kunden genutzt und wie zufrieden sind sie damit? Die Antworten der Nutzer der Fahrbibliotheken sind in den folgenden Schaubil- dern dargestellt. Abb. 1: Angebot.4 4 Alle vier Schaubilder aus: Nutzungsmonitoring der Öffentlichen Bibliotheken Berlins und der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Monitoringbericht. Ergebnisse für Fahrbibliotheken. 2014. Fahrbibliotheken und Großstadt 337 Abb. 2: Service. Abb. 3: Personal. Hervorstechendes Merkmal ist die äußerst hohe Kundenzufriedenheit mit dem Personal. Von den fünf Fragestellungen mit dem höchsten Zufriedenheitswert betreffen vier das Personal. Bei allen vier Fragen in diesem Bereich (Aufmerk- samkeit, Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, fachliche Kompetenz) erreichen die Fahrbibliotheken den Wert 4,9 (von möglichen 5). Diese hohe Zufriedenheit hat insgesamt überrascht und verdient eine vertiefende Betrachtung. 338 Bärbel Baschin und Stefan Rost 4.3 Was ist das Besondere an Fahrbibliotheken und warum sind sie derart beliebt bei ihren Kunden? In den Fahrbibliotheken herrscht eine sehr persönliche Atmosphäre, Kunden und Personal kennen sich häufig mit Namen und oft seit vielen Jahren. Bereits die Bestandsauswahl erfolgt mit Blick auf die Nutzer und deren Vorlieben. Lese- gewohnheiten sind bekannt und es werden häufig schon Medien bereitgestellt, von denen man annehmen kann, dass der Nutzer sie ausleiht. Auch bleibt über den reinen Verbuchungsvorgang oft noch Zeit für ein Gespräch – nicht nur über Bücher! Und all dies auf engstem Raum und unter extremen Bedingungen (Kälte im Winter, Hitze im Sommer, Lautstärke, aber auch Gerüche unterschiedlichster Art). Damit umzugehen und dennoch hervorragende Arbeit zu leisten, erfordert von den Mitarbeitern ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und Engagement. Nicht zu vergessen die Bereitschaft, sich auf die Kunden mit ihren Ansprüchen und Wünschen einzulassen. Alles in allem weisen Fahrbibliotheken mit ihrer anderen Form der Ansprache einen anderen Nutzerkreis auf als große Einrichtun- gen. Dass sich der Einsatz lohnt, erfahren die Kolleginnen und Kollegen in ihrer tagtäglichen Arbeit ganz direkt. Die äußert positiven Ergebnisse überraschen die einen, die anderen haben damit gerechnet. Durch die Befragung wird dies jetzt öffentlich und weitverbreitet deutlich. Gut ein Drittel der Befragten gibt an, sich in der Fahrbibliothek beraten zu lassen bzw. Auskunft einzuholen. Im Vergleich zum Durchschnittswert von 14 % für alle Öffentlichen Bibliotheken in Berlin ein überraschendes Ergebnis. Neben dem engen sozialen Kontakt ist ein wesentlicher Grund für diesen hohen Wert die Tatsache, dass nicht alle Fahrzeuge über OPACs verfügen. Wo es keine gibt, steigt dieser Wert noch weitaus höher (62 % in Steglitz-Zehlendorf gegenüber 13 % in Tempelhof-Schöneberg, das im Bus über einen OPAC verfügt). Ist kein OPAC vor- handen, muss jeder Nutzer fragen, ob ein Titel im Bestand ist und wenn ja, ob er verfügbar oder ausgeliehen ist. Jeder Bestellwunsch, jede Benutzerkontoabfrage läuft nur über das Personal. Naturgemäß ist die Medienausleihe