Bodensee – Königssee per Rad Auf ruhigen

Wegendurch die Berge

Fahrt durch das tief eingeschnittene Tal des Elendgrabens

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Der Radweg vom Bodensee zum Königssee zählt in Radlerkreisen zu den Klassi- kern. Wer die Stille der Berge richtig auskosten will, sollte den Hauptweg aber hier und da verlassen, denn es locken abgelegene Täler, Seen und neue Panoramen. Text und Fotos: Thorsten Brönner

andschaftsschutzgebiet Süd­ ufer Walchensee: Ein Sonntag­ morgen im Juli 2020. Es sind 15 Grad und es geht kein Lüftchen. Der türkise See liegt still da. LNoch ist es ringsum ruhig. Die ersten Sonnenstrahlen streichen vom Jochberg her über das satte Grün der Mischwälder. Doch schon mischt sich ins Vogelgezwit­ scher das Brummen der Blechlawine. Vom Alpenvorland her rollt sie durch das Ge­ birge und wird sich schon bald in vielen Tälern festsetzen. Meine Frau Monika und ich fahren auf unseren Rädern ostwärts über das Maut­ sträßchen. Hier legen die im Jahr 2019 ein­ gerichteten Wasser-Radlwege Oberbayern ihre schönsten acht Kilometer in die Land­ schaft. Doch schon bald ist es vorbei mit dem Radlgenuss. Der Ansturm auf die be­ gehrten Liegeplätze am Walchensee hat begonnen: Pkw, Camperbusse, Motorräder.

DAV 3/2021 17 Ruhige Täler Noch dominieren die ein­ Zu Beginn ist der Bo­ König Ludwig II. wusste genau, wo er heimischen Kennzeichen abseits densee-Königssee-Radweg Schloss Neuschwan- wie „TÖL“ oder „GAP“. In die beste Wahl. Lindau stein am besten in ein, zwei Stunden folgt der Route macht den Anfang. An Szene setzen kann – das „M“. Die Münchner der Hafeneinfahrt schi­ hoch über Schwan- gau. fürchtet man hier schon wegen ihrer cken der Neue Leuchtturm und der stei­ Die Lindauer Altstadt schieren Anzahl. nerne Bayerische Löwe die Radler auf Tour. mit ihren vielen Auch wir sind aus München, begonnen Gut ausgebaut und beschildert zieht sich Gassen liegt auf haben wir unsere Tour aber vor vier Tagen die Radroute hinauf ins Allgäu. Kopf und einer Insel im Bodensee. in Lindau. Es ist unsere dritte Radreise Beine erinnern sich wieder an die Statio­ längs der bayerischen Berge. Vor zehn Jah­ nen der letzten Reisen. In die vertrauten Der Bayerische Löwe bewacht zusammen ren sind wir die Tour vom Bodensee zum Bilder mischen sich neue. Sogleich packt mit dem Neuen Königssee das letzte Mal geradelt. Im Som­ uns der Blick, über die Wiesen hinweg, auf Leuchtturm die mer 2020 heißt es Abstand halten. Daher die Wälder und Gipfel. Hafeneinfahrt von Lindau. variieren wir die Hauptroute und schwen­ Am zweiten Tag geht es südlich von ken an mehreren Stellen tiefer in die Stil­ Oberstaufen in den Naturpark Nagelfluh­ le des Gebirges hinein. Auf den zehn Etap­ kette. Vom Übernachtungsort Schindel­ pen wollen wir jene Flecken aufspüren, die berg sind es nur fünf Kilometer bis zur ers­ es weniger hart getroffen hat als den Wal­ ten Naturattraktion – den Buchenegger chensee. Wasserfällen. Die Weißach hat sich hier in Millionen von Jahren tief in das Gestein

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gegraben. Morgens um sechs sperren wir 9:30 Uhr. Auf 1150 Metern Höhe weichen die Räder unter einem Baum ab und tap­ die Bäume. Sie machen Platz für die Alpe sen den Treppensteig hinunter in die Unteregg. Auf der Terrasse genießen zwei Klamm. Der Bach stürzt über zwei Gelän­ Wanderer die wärmenden Sonnenstrah­ destufen und zieht einen kühlen Schleier len. Wir tun es ihnen gleich, setzen uns an hinter sich her. Wir lassen uns vom Zau­ einen der Nachbartische und lassen den ber dieses verborgenen Fleckens einhüllen Blick schweifen. Ringsum weidet Allgäuer und bleiben so lange, bis schließlich die Braunvieh neben Haflinger Pferden. Hinter ersten Besucher auftauchen. den Wiesen steigt der Nadelwald an, darü­ Jenseits des Parkplatzes der Hochgrat­ ber erhebt sich die gezackte Nagelfluhkette.­ bahn ist die Straße für Autos gesperrt. Ei­ Eine üppige Käseplatte liefert Energie für nem Tanzpaar gleich, folgen Weg und den nächsten Anstieg am Nachmittag. Bach einander, tiefer ins Ehrenschwanger Auf dieser Fahrt verknüpfen wir Radwe­ Tal. Die Weißach führt, sie gibt das Ter­ ge und Mountainbikerouten. Mit dem ak­ rain vor. Wir radeln mal rechts, mal links tuellen Radboom entstehen im Lande vom dahinjagenden Wasser. Das Asphalt­ neue Wege und bestehende werden op­ sträßchen steigt in Serpentinen den Na­ timiert. Endlich. Der wohl beste Kenner delwald empor. Oben wird es derart steil, des Routennetzes im Allgäu ist Andreas dass wir ein Stück schieben. Ampßler. Der Geschäftsführer des Pla­ nungsbüros „top plan“ gehört zu einer ge­ fragten Berufsgruppe. Andreas kreiert

DAV 3/2021 19 Streckennetze. Am Morgen des dritten Zwischen Wallgau und Reisetages sind wir mit ihm am Skilift in Vorderriß darf sich die Isar vor der Kulisse des der Tiroler Exklave Jungholz verabredet. Karwendelgebirges frei Wir wollen ein Stück des Weges gemein­ entfalten. sam zurücklegen. Die Ammergauer Alpen Während wir im kleinen Gang durch bescheren Radlern mit die Wiesen fahren, erzählt Andreas von ihren Forstwegen eine stille Waldfahrt. seiner Arbeit. „Unterwegs nehmen wir ver­

Dank des Booms entstehen neue Wege schiedene Sachen auf: Beschilderung, Ver­ kehrssicherheit, Wegezustand, Wegebrei­ te.“ Er erklärt, was im Allgäu anders läuft. „Ein gutes Beispiel ist Füssen. Der Forggen­ see-Radweg tangiert weder die Füssener Altstadt noch Schloss Neuschwanstein. So kann man Radler verkehrsarm an Schwan­ gau und Füssen vorbeiführen.“

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mehr: alpenverein.de/ panorama-3-2021

BODENSEE – KÖNIGSSEE PER RAD Strecke: Die Tour richtet sich an Biker 6. Wallgau – Wasser-Radlwege – Isar-Radweg und sportliche Reiseradler. Passagen – Kreuth, 75 km, auf Asphalt und Schotter wechseln sich o 1480 Hm, a 1600 Hm ab. Wo es geht, wurden Abschnitte auf 7. Kreuth – Elendsattel – Sudelfeldpass – Tat- Straßen vermieden. zelwurm, 48 km, o 1720 Hm, a 1630 Hm Beste Zeit: Am schönsten ist die Tour im 8. Tatzelwurm – – Chiemseeradweg Mai und Juni, ruhig im Herbst. Wer kann, – Gstadt am , 52 km, get your sportswear ready sollte diese Fahrt außerhalb von Ferien 1100 Hm, 1380 Hm machen und die Wochenenden meiden. o a 9. Gstadt am Chiemsee – Ruhpolding, 46 km, Anreise: Lindau hat einen Bahnhof und o 780 Hm, a 640 Hm HOHE WASCHKRAFT wird von Fernbussen angesteuert. Im Anschluss an die Reise geht es vom 10. Ruhpolding – Kaitlalm – „Auf den Spuren Bahnhof Berchtesgaden nach Hause. der Salzsäumer“ – Königssee (Bodensee- MIT GERUCHSSTOPP Königssee-Radweg), 55 km, Etappen: o 1620 Hm, a 1650 Hm 1. Lindau – Steibis (Bodensee-Königssee- Gesamt: 562 km, o 13.600 Hm, a 13.400 Hm, Radweg), 58 km, o 1100 Hm, a 790 Hm Informationen: 2. Steibis – Nagelfluhkette – Unterjoch, › Offizielle Seite des Bodensee-Königssee- 59 km, o 1760 Hm, a 1590 Hm Radwegs: bodensee-koenigssee-radweg.de 3. Unterjoch – Starzlachbach – Jungholz (Österreich) – Füssen, 36 km, Literatur: o 550 Hm, a 780 Hm › Thorsten Brönner: Bayern mit dem Rad erleben, J. Berg Verlag 4. Füssen – Ammergebirge („Um den Trauchberg“) – Oberammergau, › Bodensee-Königssee-Radweg, Esterbauer 56 km, o 1250 Hm, a 1240 Hm Verlag 5. Oberammergau – Graswangtal – Nei- › Daniela Schetar: Allgäu, Baedeker dernach – Hintergraseck (Elmau) – Weitere Informationen zur Tour gibt es auf Wallgau, 77 km, o 2140 Hm, a 2100 Hm alpenverein.de

Die Straße durch die Gemeinde Jung­ Tour durch die Nagelfluhkette gehört holz endet. Der nun schmale Weg kippt dann zu einer der Schleifen.“ nach rechts und führt in vier Spitzkehren Der vierte Morgen ist so einer, an dem durch den Wald zur Vils. Andreas richtet man sich daheim im Bett noch mal um­ ein Schild aus, weiter unten am Fluss no­ dreht und eine Stunde weiter schläft. Tief­ tiert er in seine Planungs-App den Hin­ hängende Wolken ziehen über das Schloss weis: „steile Abfahrt“. Als wir an einem Neuschwanstein hinweg. Wir passen eine Gatter die Räder über eine Treppe hieven, Regenpause ab und fahren an den Bergen macht er Fotos vom Hindernis. Zurück in entlang. Hinter dem Bannwaldsee führt Bayern, rollen wir nach Pfronten hinab. der Halblech in die Ammergauer Alpen. Andreas verrät uns, dass dieser Weg im Halblech und Halbammer entspringen kommenden Jahr zum Streckennetz „Na­ nah beieinander im Herzen der Gebirgs­ Erhältlich bei turbiken Allgäu“ gehören wird. „Auch eure gruppe. Den einen Wasserlauf verschlägt es Richtung Westen, den anderen Rich­

DAV 3/2021 21 tung Osten. An beiden führen Forststra­ So wechselhaft wie das Auf und Ab der ßen in die Höhe. Wer sie verbindet, kann Topografie sind die landschaftlichen Ein­ den 30 Kilometer langen Bergzug queren. drücke bei unserer Fahrt. Das Wochen­ Was wir noch nicht ahnen: Vor uns liegt ende in der Tourmitte steht an. Im Gras­ die schönste Etappe. wangtal führen gute Radwege vorbei an Das Wasser des Halblech schäumt in Schloss Linderhof. Dahinter tasten wir seinem felsigen Bett. Oft hat das Wild­ uns im Verkehr zum Plansee. In einer wasser im tief eingeschnittenen Tal den Radlerkarawane geht es nach Gar­ Weg geflutet. Wo Radler heute die Tour misch-Partenkirchen. Trubel in der Stadt, „Um den Trauchberg“ genießen, transpor­ Aufatmen in Wallgau. Anderntags die tierte man früher die im Gebirge abgebau­ Bilder am Walchensee. Sogar die sonst so ten Wetzsteine ins Alpenvorland. Immer ruhige Jachenau wird an diesem Sonn- wieder erinnern Votivtafeln und filigran­ tag von Ausflüglern über­ geschnitzte Jesuskreuze an die Mühen der rannt. Wir sind froh über vergangenen Tage. den neuen Radweg im Tal. Zu Fuß geht es Es läuft gut, die Beine kreisen von allein. Die Isar runter, durch Wir schauen uns unentwegt um, so viele die Attenloher Filze zum zum Finale Eindrücke. Der Wald wirkt so urig, als Tegernsee, Übernachtung wäre er, zu Zeiten von König Ludwig II., in im Bergsteigerdorf Kreuth und rein in die einen Dornröschenschlaf gefallen. Farne nächste stille Waldpassage. Sie führt über greifen nach dem Schotterweg. Dahinter den Elendsattel zur Elendalm und durch knorrige, mit Moos bepackte Stämme. das Kloo-Ascher-Tal bis zum Wasserfall Kein Wunder, dass bei der Suche nach ei­ am Tatzelwurm. nem neuen Nationalpark immer wieder Wer denkt sich solche Namen aus? Egal. der Name Ammergebirge fällt. Schön ist es hier. Überall. Wir schippern

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Der Chiemsee bietet sich mit tollen Ausflugszielen für einen Ruhetag an (l.) Der Königssee ist Wanderern vorbehalten. Tolle Blicke über den Königssee bietet der Aussichtspunkt des Malerwinkels (M.). Zur Kirchleitnkapelle führt ein steiles Sträßchen. Zur Entschä- digung gibt es einen lohnenden Blick über Berchtesgaden auf den Watzmann (r.).

mit der „MS Josef“ hinüber nach Herren­ Wir stehen vor der „Himmelsleiter“, wie Nun legt sich der schönste See im Lande chiemsee. Auf diese Insel hat Ludwig II. eine Infotafel verrät. Die Pipeline leitete direkt vor uns geschmeidig und grün leuch­ seinen größten Prachtbau mit dem gran­ das begehrte Gut von Bad Reichenhall nach tend in die Berge. Er hat Glück, die Flan­ diosen Blick auf die Berge gesetzt. Berge . Drei Jahre hat der Bau gedau­ ken fallen zum Wasser so steil ab, dass waren, neben dem Schlösser-Bauen, seine ert, 1619 war er fertig. kein Platz für eine Straße blieb. Wilde Na­ zweite Leidenschaft. Auf dem letzten Teilstück ragen die tur, geschützt im Nationalpark Berchtes­ Südlich von Ruhpolding führt unsere Berchtesgadener Alpen steil in den gaden. Die Sonne senkt sich über dem Kö­ Reise wieder hinein ins Gebirge. Bis zum weiß-blauen Himmel. Der Bodensse-Kö­ nigssee. Wie in einem riesigen Trichter Königssee sind es noch 56 Kilometer und nigssee-Radweg steigt nun im Wald berg­ nimmt die Nordwestflanke des Hagenge­ 1250 Höhenmeter. So sitzen wir schon vor an. Mal rauscht nebenan die B20, mal ist birges die Sonnenstrahlen auf. Unten glei­ Sonnenaufgang im Sattel. Vorbei am Bi­ es ruhig. Auf Bischofswiesen folgt Berch­ ten zwei Elektroboote lautlos durch den athlonstadion und dem Lanzelecker Bach tesgaden. Dann zieht sich der geschotterte Bergschatten, in Richtung Schönau. Mir schnaufen wir zur Kaitlalm hinauf. Seit Weg an der Seite der Königsseer Ache ent­ fallen die ruhigen Momente dieser Rad­ Tagen ertappe ich mich dabei, dass ich es lang zum Reiseziel. tour ein. Der Morgen in Lindau, die Fahrt dem Routenplaner Andreas Ampßler Das Finale sparen wir uns für den späten durch die Nagelfluhkette und besonders gleichtue und in Gedanken an der Quali­ Nachmittag auf. Zu Fuß geht es über den die Waldpassage durch die Ammergauer tät der Radrouten rumfeile. Wanderweg Malerwinkel hinauf zur Ra­ Alpen. Es gibt sie noch, die verborgenen Die nächste Bikeroute trägt den Namen benwand. Die meisten Urlauber kommen Wege durchs Gebirge. „Auf den Spuren der Salzsäumer“. Die uns bereits von oben entgegen. In den letz­ Schilder sehen in die Jahre gekommen ten zehn Tagen sind wir 560 Kilometer Thorsten Brönner stellt seit über aus. Wenn auch nicht ganz so alt wie die und 9500 Höhenmeter geradelt. Jetzt, zehn Jahren in Büchern die Rad- ehemalige Soleleitung, die sich nebenan, beim Wandern, fangen die Beine zu fernwege Europas vor. Er liebt es, eigene Routen zu erstellen und so durch die Büsche, den Berg hinaufzieht. brennen an und wir sind froh, als wir ruhige Touren in der Natur zu den Aussichtspunkt erreichen. erleben. thorstenbroenner.de

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