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Hors de Paris point de salut? Francesco Algarotti als Kulturvermittler zwischen Preußen, Sachsen und Italien

Von Rita Unfer Lukoschik, Berlin

Je n’oublierai jamais les huit jours que vous avez passés chez moi. Beaucoup d’étranger vous ont suivi; mais aucun ne vous a valu, et aucun ne vous vaudra sitôt.1

So schreibt am 1. September 1739 der junge Kronprinz aus Rheinsberg an den gleichaltrigen Francesco Algarotti, der ihn einige Tage lang dort besucht hatte. Der Brief ist von einem Gedicht eingeleitet, der den Fremden in schwärmeri- schen Ton besingt:

C’est en Newton en philosophie, Le Bernin pour les bâtimens, Homère pour la Poesie.2

Zu diesem Zeitpunkt hatte Algarotti in der Tat europaweit auf verschiedenen Gebieten des Wissens, besonders als Vermittler der Lehren Newtons und als Dichter, bereits Berühmtheit erlangt.

Der Beginn

Am 11. Dezember 1712 in Venedig geboren, entstammt Algarotti einer angese- henen und sehr wohlhabenden Kaufmannsfamilie, die ihm frühzeitig eine ausgezeichnete Erziehung angedeihen lässt.3

1 Œuvres de Frédéric le Grand. Säkularausgabe. Hrsg. v. Johann David Preuß. 30 Bde. Berlin: Decker 1846–1857. Bd. XVIII. 1851, S. 4. S. auch die deutsche Übersetzung des Briefwechsels Friederich des Zweiten, Könige von Preußen. Briefwechsel mit dem Grafen Algarotti. Ein Nachtrag zu Friederich des Großen hinterlassenen Werken. Übersetzt und eingeleitet von Friedrich Förster. Berlin: Gropius 1837, 2. 2 Ebd., S. 3. 3 Unter den bereits im Druck erschienenen, recht zahlreich wissenschaftlich mehr oder minder anspruchsvollen Darstellungen zu Algarottis Leben und Werk findet sich unter den früheren Schriften die erste Biographie des Venezianers durch Domenico Michelessi: Memorie

intorno alla vita ed agli scritti del conte Francesco Algarotti Ciambellano di S. M. il Re di e cavaliere del Merito. Venezia: Pasquali 1770, die kurz hierauf von Giovanni Francesco Mauro Melchiorre Salvemini di Castiglione (1708–1791), Direktor der Mathema- tischen Klasse der Berliner Königlichen Akademie der Wissenschaften, ins Französische

9 Er besucht zuerst den Collegio dei Nazzareni in Rom, dann genießt er eine private Erziehung in Venedig, wo er bei Carlo Lodoli die griechische Sprache erlernt, dem berühmten Architekturtheoretiker, der in Algarotti die Liebe zu den Bildenden Künsten und den Werken der Architektur weckt. Spuren der intensi- ven Auseinandersetzung Algarottis mit den neoklassizistischen Lehren Lodolis finden sich in seinen in späteren Jahren verfassten Schriften: in dem Saggio sopra l’Architettura (1757) und in den Lettere sopra l’Architettura4. Nach dem frühen Tod des Vaters Rocco schickt ihn der ältere Bruder Bonomo, dem Francesco ein Leben lang eng verbunden bleiben wird, zum Studium nach Bologna. Hier wird er sechs Jahre bleiben (1726–1733) und sich der besonderen Förderung des berühmten Mathematikers und Astronomen Eustachio Manfredis (1674–1739) erfreuen.5 Der Gelehrte rühmt das außer- gewöhnliche Talent seines Lieblingsschülers, das von Eleganz und gutem Geschmack begleitet sei, und seine große Lebendigkeit, die gepaart sei mit feinem Unterscheidungsvermögen:

straordinario talento congiunto ad una certa naturale eleganza di gusto in ogni maniera di buoni studj […] è giovine d’incredibile vivacità; ma di finissimo accorgimento.6

übertragen wurde und 1772 in Berlin erschien. Ferner sind erwähnenswert Natale Dalle Laste: Vita di Francesco Algarotti. Bassano 1774 und Franz Algarotti. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayrischen

Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 340 ff. Unter den späteren Untersuchungen sind anzuführen Ettore Bonora: Francesco Algarotti. In: Dizionario Biografico degli italiani.

Bd. II, 1960, 356 ff. und – besonders wegen der Heranziehung vieler handschriftlicher Zeugnisse – immer noch die Monographie von Ida Frances Treat: Un cosmopolite italien du XVIIIe siècle: Francesco Algarotti. Trévoux: Jeannin 1913. Weitere Beiträge zur Würdigung Algarottis und seines Wirkens besonders in Preußen, mit weiterführender Literatur, finden sich jetzt in: Rita Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener am Hofe Friedrich II. (1740–1786). Berlin: Duncker & Humblot 2008, passim und besonders in den Beiträgen von Jürgen Kloosterhuis (S. 27–37) und Klaus Heitmann (S. 67–80) sowie im einschlägigen Dokumentationsteil (S. 158–180) und in Hans Schumacher, Brunhilde Wehinger (Hrsg.): Francesco Algarotti. Ein philosophischer Hofmann im Jahrhundert der Aufklärung. Wehr- hahn 2009. Es sei hier ferner auf die im Entstehen begriffene Veröffentlichung hingewiesen: Rita Unfer Lukoschik, Ivana Miatto: Francesco Algarotti: die Preußischen Jahre, die einen Anhang aus unveröffentlichten Briefen Algarottis enthält, welche seine Vermittlertätigkeit zwischen Italien und Preußen betreffen. Zu einzelnen Aspekten des Wirkens Algarottis vgl. ferner die im Folgenden zitierten einschlägigen Studien. 4 S. Francesco Algarotti: Opere. Edizione nuovissima. 17 Bde. Venezia: Palese 1791–1794, Bd. VIII, 1792. 5 Über Algarottis frühe Bologneser Zeit s. Davide Arecco, Giulia Savio: Scrivere di scienza, scrivere di arte. Volti della mediazione intellettuale algarottiana, online erschienen in: und dies.: Arte e scienza nel Settecento. In: Atelier (2008), S. 1–7, . Zugriff April 2009. 6 Brief Manfredis aus Bologna vom 3. November 1733, in: Algarotti: Opere. Edizione nuovissima. 17 Bde. Venezia: Palese 1791–1794, Bd. XI, 1794, S. 97–100: 98.

10 Unter der Leitung des nicht minder berühmten Philosophen Francesco Maria Zanotti (1692–1777),7 des Mediziners und Physikers Jacopo Bartolomeo Beccari (1682–1766) und des Malers und Literaten Giampietro Zanotti (1674–1765) widmet sich Francesco in Bologna philosophischen, literarischen, historischen, naturwissenschaftlich-mathematischen und besonders mit seinen kunstge- schichtlichen Interessen in Verbindung stehenden anatomischen Studien. Die Bedeutung der Anatomie-Vorlesungen Beccaris, die Algarotti besuchte, ist in seinem späteren Saggio sopra la pittura (1756/1757) unverkennbar.8 Schon in diesen frühen Jahren verfasst der Hochbegabte Abhandlungen, die sich mit Aspekten der Astronomie befassen und in den Commentarii, den Annalen der Accademia delle Scienze dell’Istituto in Bologna9 veröffentlicht werden. Es sind die ersten von unzähligen Beiträgen, mit denen Algarotti im Laufe seines Lebens die unterschiedlichsten Gebiete des Wissens durchstrei- fen wird und die sich u. a. mit Fragen des Theaters, der Musik, der Architektur, der Malerei, der Literatur der Physik, der Mathematik, der Geschichte, der Altertumskunde, der Philosophie, des Staats-, Finanz- und des Militärwesens befassen.10 Einige davon wurden noch zu seinen Lebzeiten ins Französische, Deutsche und Englische übertragen.11 Algarotti vernachlässigt dabei keineswegs das Studium der antiken Auto- ren und der modernen Schriftsteller Italiens, auch nicht die aktive Pflege der Poesie: Er schmiedet Verse, die 1733 veröffentlicht werden.12 Darin be- singt er u. a. die Bologneser Freunde Manfredi, Zanotti und die Physikerin

7 Francesco Maria Zanotti wurde am selben Tag wie sein Bruder, der Astronom Eustachio, am 23. Oktober 1760, wahrscheinlich durch Vermittlung Algarottis, zum Auswärtigen Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin (Philosophische Klas- se) ernannt. Zu den Italienern in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften s. Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 196–218. 8 Den Zusammenhang zwischen den naturwissenschaftlich-optischen und den kunsttheoreti- schen Schriften Francesco Algarottis untersucht der erhellende Aufsatz von Arecco, Savio: Scrivere di scienza. 9 Der Name der Akademie lautete in der Zeit, in welcher die Commentarii veröffentlicht wurden (1731–1791): Bononiense Scientiarum et Artium Institutum atque Academia. 10 Einige der Saggi und Abhandlungen erschienen schon im 2. Band der Opere varie del Conte

Francesco Algarotti (Venezia: Pasquali 1757), darunter u. a. Saggio sopra la necessità di scrivere nella propria lingua; Saggio sopra la durata de’ Regni de’ Re di Roma; Saggio sopra le Artiglierie; Saggio sopra la scienza militare del Segretario Fiorentino; Saggio sopra l’architettura. Diese sind jetzt zugänglich in folgender Edition: Francesco Algarotti: Saggi. A cura di Giovanni da Pozzo. Bari: Laterza 1963 sowie in mehreren Einzeleditionen, wie

z. B. beim Saggio sopra l’ in musica. A cura di Annalisa Bini. Lucca: LIM 1989.

11 Z. B. die Versuche über die Architectur, Mahlerey und Musicalische Opera in der Überset- zung von Rudolf Erich Raspe, die 1769 bei Johann Friedrich Hemmerde veröffentlicht wurden. Eine erste Aufstellung der Übersetzungen der Werke Algarottis bietet Treat: Un cosmopolite italien, S. 256–258. 12 Rime del Signor Francesco Algarotti. Bologna: Dalla Volpe 1733. S. hierzu Treat: Un cosmopolite italien, S. 38–40.

11 Laura Bassi (1711–1778), l’enfant prodige unter den damaligen Naturwissen- schaftlern und die erste Universitätsprofessorin Europas,13 die er im Salon der Marquise Elisabetta Hercolani Ratta kennen gelernt hatte.14 Neben dem Studium der lateinischen, griechischen und der französischen Sprache wird er von seinem Lehrer Manfredi ermuntert, englisch zu lernen,15 eine Selten- heit in dieser Zeit nicht nur für Italien. Diese Entscheidung steht in enger Verbindung mit den Interessen seines Lehrers für die englische Naturphilo- sophie Newtons, die er auf seinen Schüler überträgt. Nach Abschluss der Ausbildung folgen ausgedehnte Reisen zuerst nach

Padua, wo er u. a. beim berühmten Mediziner Giambattista Morgagni (1682– 1771)16 hört und Freundschaft mit dem Polyhistor Antonio Conti (1677–1749) schließt, dann nach Florenz, wo er den nicht minder berühmten Arzt Antonio Cocchi (1695–1758) kennen lernt, der ihm den Zugang zu der englischen ‚Kolonie‘ in Florenz eröffnet. In Rom knüpft Algarotti, schließlich, Kontakte u. a. zum Kardinal Querini, dem späteren Förderer des Baus der Hedwigskirche im friderizianischen Berlin und schließt Bekanntschaft mit dem schwedischen Astronomen Anders Celsius, der ihn animiert, mit nach Paris zu fahren. Algarotti nimmt die Anregung an und beide brechen im Juli 1734 nach Frankreich auf.

Frankreich, England, Russland, Preußen, Sachsen: Stationen eines kosmopolitischen Lebens

Paris

Mit Empfehlungsbriefen von Antonio Cocchi und seinen Bologneser Lehrern Manfredi und Zanotti ausgestattet und dank der Unterstützung des venezianischen Gesandten in Paris, Zeno, wird der 22jährige in die Pariser Gesellschaft einge- führt, in deren Salons und an deren mondänen Orten er wegen seiner anmutigen Konversation und seines einnehmenden Wesens ein gern gesehener Gast ist und

13 Zu dieser außerordentlichen Gestalt vgl. Beate Ceranski: Und sie fürchtet sich vor nieman-

dem. Die Physikerin Laura Bassi (1711–1778). Campus-Verlag: Frankfurt a. M. 1996. 14 Hinteressante Einblicke in das Leben Algarottis als Besucher dieses Salons bieten die Briefe der Marquise, erschienen im Bd. XII der Opere, S. 303–446 und, in einem Sonder- druck: Lettere della marchesa Elisabetta Hercolani Ratta al conte Francesco Algarotti. Bologna: Gamberoni & Parmeggiani 1824. 15 Brief Manfredis aus Rom vom 16. August 1732, in: Algarotti: Opere, Bd. XI, 1794, S. 73– 80: 78. 16 Morgagni wurde am 18. Juli 1754 zum Auswärtigen Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt, s. Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 218.

12 sogar in Versailles empfangen wird. Während der 18 Monate, die er in Paris ver- bringt, knüpft er Kontakte mit den angesehensten Vertretern der europäischen Gelehrtenrepublik. Dazu zählen die vehementen Befürworter von Newtons Gravitationstheorie: der Mathematiker und Astronom Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698–1759) und der Mathematiker und Physiker Alexis-Claude Clairaut (1713–1765). Diese beiden laden ihn 1736 ein, sie auf ihrer im Auftrag König Ludwigs XV. geplanten Expedition nach Lappland zu begleiten, in deren Verlauf sie die Länge eines Breitengrades vermessen und die Theorie Newtons hinsichtlich der Abflachung der Erde an den Polen unter Beweis stellen sollen. Algarotti lehnt ab, denn er hat sich – angeregt durch die vielen Gesprä- che, an denen er in den Pariser wissenschaftlichen Zirkeln teilhat – erneut den naturwissenschaftlichen Studien zugewandt und der Verbreitung und Popula- risierung der Schriften Newtons angenommen. Dazu wird er besonders im Hause der Madame de Châtelet ermuntert, die ihn Anfang Oktober 1735 zu sich nach Cirey in der Champagne einlädt:

Il est bien juste, monsieur, que vous étant allée vous chercher à Paris, vous veniez me rendre la pareille. […] […] vous désire avec l’empressement que votre amitié lui inspire […]. Je vous avoue cependant que je me ferais un plaisir extrême de vous voir borner vos courses à Cirey; peut être serait-il aussi sensé de passer votre hiver tranquillement à philosopher avec nous […]. J’apprends l’italien pour votre arrivée […] Venez-y donc, monsieur, et soyez persuadé du plaisir extrême que je me fais de vous y recevoir.17

Im November trifft Algarotti in Cirey ein, wo er gute sechs Wochen bleiben wird, und Voltaire schreibt kurz hierauf an Thiériot:

Nous avons ici le marquis d’Argalotti [recte: Algarotti], jeune homme qui sait les langues et les mœurs de tous les pays, qui fait des vers comme l’Arioste, et qui sait son Loke et son Neuton. Il nous lit des dialogues qu’il a faits sur des parties intéressantes de la philosophie. […] Nous lisons quelques chants de Jeanne la pucelle, ou une tragédie de ma façon, ou un chapitre du siècle de Louis 14. De là nous revenons à Neuton et à Loke, non sans vin de champagne et sans excellente chère, car nous sommes des philosophes très voluptueux […].18

17 Theodore Berstermann (Hrsg.): Les Lettres de la Marquise du Châtelet. Bd. I: 1733–1739. Genève: Inst. et Musée Voltaire 1958 (= Publications de l’Institut et Musée Voltaire. Sér.

d’études 3.4), S. 85 f. 18 Brief an Nicolas-Claude Thieriot (1696–1772) vom 3. November 1735. In:

Theodore Berstermann (Hrsg.): Les œuvres complètes de Voltaire / The complete works of

Voltaire. Bd. 87: Correspondence and related documents T. 3. Mai 1734 – Juni 1736.

Genève: Inst. et Musée Voltaire 1969, Brief Nr. D 935, S. 241 f. Zu der Beziehung zwischen Voltaire und Algarotti s. Haydon Trevor Mason: Algarotti and Voltaire. In: Mélanges à la mémoire de Franco Simone: France et Italie dans la culture européenne. Bd. II: XVIIe et XVIIIe siècles. Genève: Slatkine 1981 (= Bibliothèque Franco Simone 6), S. 467–480.

13 Sehr bald zählt Algarotti zu den Vertrauten, die Voltaires Schriften vor dem Druck lesen dürfen, wessen er sich in einem Brief an Madame du Boccage in späteren Jahren rühmen wird:

Voltaire, molto tempo innanzi che uscisse nel pubblico la Pulzella, me ne diede un canto, con patto che non sarebbe uscito di mia mano; ed io fui religioso osservatore della mia parola.19

Die Interessierten im Hause der Madame de Châtelet finden bei um Newtons Lehren kreisenden Gesprächen im jungen Venezianer einen würdigen Ansprech- partner, denn für Newtons Licht- und Farbenlehre hatte sich Algarotti bereits in Bologna, und später von Venedig aus, in öffentlichen Vorträgen und Abhandlun- gen ausgesprochen, besonders in Absetzung von der Licht- und Farbenlehre des Newton-Gegners Giovanni Rizzetti.20 Noch 1738, in Paris, wird er eine weitere Abhandlung zur Verteidigung Newtons verfassen, die gegen Dufay gerichtet ist21. Nicht uninteressant ist zu bemerken, dass Algarotti sich nicht nur mit den umstrittenen physikalischen Schriften des Engländers befasst, sondern bereits 1729 mit dem Saggio sopra la durata de’ Regni de’ Re di Roma22 eine weitere Abhandlung geschrieben hatte, die sich mit Newtons historisch-philosophi- schen Ideen auseinandersetzt, die dieser in der 1728 posthum erschienenen Arbeit Chronology of Ancient Kingdoms Amended behandelt hatte.23 In der ihm förderlichen Atmosphäre von Cirey beendet Algarotti schließ- lich das Buch, das nach seinem Erschienen 1737 europaweit am nachhaltigsten seinen Ruhm begründet: Il Newtonianismo per le Dame ovvero dialoghi sopra la luce e i colori.24 Darin werden in Briefen, die an eine fiktive Marquise

19 Brief an Madame du Boccage vom 23. Oktober 1759. In: Algarotti: Opere, Bd. 17, Brief Nr. 21, S. 16–19: 18. 20 De Luminis Affectionibus, gegen die Algarotti die Abhandlung De colorum immutabilitate abfasste. 21 Mémoire sur la recherche entreprise par M. Dufay, s’il n’y a effectivement dans la lumière que trois couleurs primitives und Second Mémoire sur les sept couleurs primitives, pour servir de réponse à ce que M. Dufay a dit à ce sujet dans la feuille 233 du „Pour et Contre“, erschienen zuerst in Le Pour et Contre, XVI (1738), CCXXXII, S. 218–230 und CCXXXV, S. 296–313, später in Algarotti: Opere, Bd. II, S. 389–402. 22 Zuerst erschienen in: Opere varie del Conte Francesco Algarotti. Bd. 2. Venezia: Pasquali 1757. 23 S. Arecco, Savio: Scrivere di scienza. S. 2. 24 Zum Newtonianismo siehe Massimo Mazzotti: Newton for Ladies: Gentility, Gender and Radical Culture. In: The British Journal for the History of Science 37 (2004), 2, = 133 (2004), S. 119–146 und immer noch Franco Arato: Il secolo delle cose. Scienza e storia in Francesco Algarotti. Genova: Marietti 1991. Einen weiteren naturwissenschaftlichen Dia- log Algarottis, Caritea, der in seiner letzten Fassung 1752 Friedrich II. gewidmet ist, untersucht Bruno Basile: Un dialogo scientifico di Algarotti: Caritea. In: Bruno Basile: L’invenzione del vero. Studi sulla letteratura scientifica da Galilei ad Algarotti. Roma: Salerno 1987 (= Studi e saggi 5), S. 211–234.

14 gerichtet sind,25 Newtons Lehren in Bezug auf Optik und Mechanik für nicht akademisch Gebildete erklärt. Der Erfolg ist sehr groß und die Schrift erfährt mehrere Auflagen auf Italienisch.26 Das Werk lehnt sich an Bernard le Bovier de Fontenelles Entretiens sur la pluralité des Mondes (1686) an und begründet mit ihm jene, besonders dank der europaweit nach dem Modell des Spectator entstehenden moralischen Wochenschriften, bald zur Mode gewordene Art der Vermittlung wissen- schaftlichen Wissens, für die sich im wissenschaftlichen Diskurs die Bezeich- nung ‚Damenphilosophie‘ eingebürgert hat.27 Mit diesen Schriften werden philosophische und naturwissenschaftliche Lehren – die dem weiblichen Ge- schlecht traditionell vorenthalten blieben – in leichtem, anmutigem und unter- haltendem Konversationston erklärt und ‚für jedermann‘ populär gemacht. Algarotti ist sich wohl durchaus bewusst, eine neue und originelle Art des Schreibens erfunden zu haben, um Wissenschaften angenehm und nützlich zu vermitteln, und unterstreicht diesen Umstand in einem späteren Brief an den Grafen Azzolino Malaspina, in dem er wenige Wochen vor seinem Tod eine „genealogia di questo mio libricciuolo“ aufzeichnet. Darin rühmt er die neue Form seiner Dialoge, ihre ‚fließende‘ Sprache und ihren neuartigen Stil, der nicht rhetorisch, sondern ‚bürgerlich‘ sei, wie gut dieser sich für die kultivier- te und zugleich anmutige Konversation eigne und sowohl den Gelehrten wie auch den Gentleman erfreue:

la nuova forma, che io ho data a’ miei Dialoghi […] un libro dilettevole, istruttivo, e quello che più importa, nuovo nella nostra lingua ed originale. […] Lo stile […] non rettorico, ma civile […] una lingua pura e corrente […] a dover esprimere una gentile e dotta conversazione […] che non istonasse né alle orecchie de’ gentiluomini, né a quelle degli scienziati.28

25 Darin spiegeln sich sowohl die Erfahrungen im Bologneser Salon der Elisabetta Hercolani Ratta als auch die Gespräche mit Madame de Châtelet, die er als Gesprächspartnerin sehr schätze, Zur Rolle der Madame de Châtelet als Vorbild für die imaginäre Marquise im Newtonianismo, s. Voltaire, Brief an Nicolas-Claude Thieriot aus Cirey, im Juni 1738. In:

Œuvres, Bd. 89: Correspondence and related documents. T. 5: Febr. – Dez. 1738. Genève:

Inst. et Musée Voltaire 1969, Brief Nr. D 1531, S. 169 f. 26 Francesco Algarotti: Il Newtonianismo ovvero dialoghi sopra la luce e i colori, e l’attra- zione. Edizione sesta. Napoli: Hertz 1746 und, in der Endfassung, unter dem Titel Dialoghi sopra la luce, i colori, e l’attrazione im Jahre 1750 in Berlin. 27 Vgl. Werner Schneiders’ Aufsätze Das philosophische Frauenzimmer (in: Claude Weber, Frank Grunert (Hrsg.): Tradition et émancipation. Ausstellungskatalog. Universitätsbiblio-

thek Trier, 26.11.1991 – 24.12.1991. Luxembourg 1991, S. 50–94) und Zwischen Welt und Weisheit. Zur Verweltlichung der Philosophie in der frühen Moderne. In: Studia Leibnitia- na 15 (1983) H. l, S. 2–18. 28 Algarottis Brief aus vom 4. Februar 1764. In: Algarotti: Opere, Bd. X, 1794, S. 193– 202.

15 Diese von Algarotti mitbegründete neue Gattung innerhalb der europäischen Aufklärung floriert in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in Deutsch- land. Hervorragende Beispiele dieser „lächelnden Vernunft“29 liefern für den deutschen Sprachraum die Schriften, welche Leibnizens Lehren in der Inter- pretation Wolffs präsentieren, allen voran der sechsbändige Roman des mit Algarotti freundschaftlich verbundenen Samuel Heinrich Formey La belle Wolfienne (1741–1753) und Johanna Charlotte Unzers Grundriß einer Welt- weisheit für das Frauenzimmer (1751, 2. erw. Aufl. 1767). Besonders erfolg- reich waren die an die Nichte Friedrichs II., Sophie-Charlotte von Branden- burg-Schwedt, gerichteten 234 Lettres à une Princesse d’Allemagne sur divers sujets de physique et de philosophie aus dem Jahre 1768, die kurz hierauf ins Deutsche übertragen wurden.30 Die europaweit bekannt gewordenen Briefe stammen aus der Feder Leonhard Eulers (1707–1783), der zwischen 1744 und 1766 Direktor der Mathematischen Klasse der Königlich-Preußischen Akade- mie der Wissenschaften in Berlin war und in jenen Jahren vertrauten Umgang mit Algarotti pflegte. In all diesen Werken vermitteln die Autoren und Auto- rinnen – bis hin zu Schillers Philosophie für Damen aus dem Jahre 1803 – in leichtem Ton und „in kleine[n], leicht nachvollziehbare[n] […] Lernschritt- chen“31 Grundlagen naturwissenschaftlicher Fächer wie Physik, Mathematik, Astronomie, aber auch der Theologie und Philosophie. Die Erstausgabe von Algarottis Newtonianismo erscheint, wie bereits erwähnt, Ende Dezember 1737 in Mailand mit fingiertem Druckort Neapel und sie wird in den Index Librorum Prohibitorum der Heiligen Inquisition aufgenommen.32 1739 erscheint in Venedig, beim renommierten Verleger Giambattista Pasquali (1702–1784) eine aus Rücksicht auf die Einwände der Inquisition revidierte,33 um einen Dialog vermehrte und mit einem leicht veränderten Titel versehene Ausgabe: Il Newtonianismo ovvero dialoghi sopra la luce e i colori, e l’attrazione.

29 S. hierzu Ursula Pia Jauch: Damenphilosophie & Männermoral: von Abbé de Gérard bis Marquis de Sade. Ein Versuch über die lächelnde Vernunft. 2., durchges. und korrigierte Aufl. Wien: Passagen-Verl. 1991; zu Algarottis Newtonianismo S. 43–57. 30 Eine erste Übersetzung unter dem Titel Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiede- ne Gegenstände aus der Physik und Philosophie erschien zwischen 1769 und 1773, weitere zwei 1773 und 1784. 31 Jauch: Damenphilosophie, S. 109. 32 S. hierzu Mauro De Zan: La messa all’Indice del „Newtonianismo per le Dame“ di Francesco Algarotti. In: Renzo Cremante, Walter Tega (Hrsg.): Scienza e letteratura nella cultura italiana del Settecento. Bologna: Il Mulino 1984 (= Cultura e vita civile nel Settecento), S. 133–147, worin auch Algarottis Rolle als Freimaurer behandelt wird. 33 Das Verbot war für die erste Ausgabe donec corrigatur ausgesprochen worden.

16 Der Erfolg ist so groß, dass ihr sehr bald mehrere italienische Ausgaben folgen,34 die Schrift in viele europäische Sprachen, sogar ins Russische über- tragen wird35 und Gelehrte wie Diderot, der Marquis d’Argens und Walpole sich dazu äußerten. Die gehegte aber nicht erfüllte Erwartung der Madame du Châtelet, Algarotti möge ihr den Newtonianismo widmen, die Eifersucht Voltaires, der seinerseits mit seinen Eléments de la philosophie de Newton an einer Schrift über die Popularisierung der Lehren Newtons saß,36 und die Animosität Fontenelles, dem Algarotti seine Schrift gewidmet und der in keiner Weise diese Geste geschätzt hatte,37 veranlassen den Venezianer, Frank- reich zu verlassen und, nach einem Aufenthalt in Venedig, sein Glück in England zu suchen. Hier wird sein Aufenthalt – durch eine Reise nach Russland unterbro- chen – vom März 1739 bis zum Juni 1740 dauern und ihm Wege eröffnen, die ausschlaggebend für seine weitere Entwicklung sein werden.

London

Schon bei einem früheren Aufenthalt in London vom März bis zum September 1736 war Algarotti als Mitglied in die Royal Society und die Society of Antiquaries aufgenommen worden und hatte so Gelegenheit, in diesem Rahmen

34 Francesco Algarotti: Il Newtonianismo ovvero dialoghi sopra la luce, i colori, e l’attrazione. Edizione sesta [recte: quinta]. Napoli: Hertz 1746. Eine revidierte, vermehrte Ausgabe, die Algarotti Friedrich II. widmet, erscheint auf Italienisch in Berlin unter einem neuen Titel, in dem der Hinweis auf die ‚Damenphilosophie‘ gänzlich getilgt ist: Dialoghi sopra la luce, i colori, e l’attrazione a la luce, i colori, e l’attrazione. In der vorletzten (1757) und in der letzten (1764) Ausgabe, die Algarotti selbst besorgte, heißt das Buch: Dialoghi sopra l’ottica neutoniana. Eine kommentierte Aufstellung der italienischen und ausländischen Ausgaben des 18. Jahrhunderts bietet Arato: Il secolo delle cose, S. 133–155. 35 Die französische Übersetzung durch Du Perron de Castera (Le Newtonianisme pour les dames, ou entretiens sur la lumière, sur les couleurs, et sur l’attraction. Amsterdam 1741) soll dem Autor so missfallen haben, dass er beabsichtigte, den Verkauf zu stoppen. Die Beschwerden Algarottis veranlassten wiederum den Übersetzer, Algarotti zum Duell her- auszufordern, s. hierzu Treat: Un cosmopolite italien, S. 61. Zu der englischen Übertragung durch die Dichterin (1717–1806) s. Mirella Agorni: Translating Italy for the eighteenth century: women, translation and travel writing 1739–1797. Manchester

[u. a.]: St. Jerome Publ. 2002. Zur russischen Übertragung – der einzigen, die Algarotti schätzte – s. Helmut Grasshoff: Antioch Dmitrievi Kantemir und Westeuropa: Ein russi- scher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts und seine Beziehungen zur westeuropäischen Literatur und Kunst. Berlin: Akademie-Verlag 1966, S. 122–125. 36 Sie erschienen in Amsterdam bei Jacques Desbordes im Jahr 1738. S. den oben erwähnten Brief an Thieriot vom 23. Juni 1738, in dem sich Voltaire äußerst negativ über Algarottis Schrift auslässt. 37 Nach Treat (Un cosmopolite italien, S. 68) ist Fontenelles Exemplar der französischen Übersetzung mit gegen Algarotti versehenen Anmerkungen gespickt.

17 wichtige Verbindungen zu knüpfen. Drei Jahre später kann er diese Kontakte nunmehr aufleben lassen. Unter diesen Bekannten ragt Lord Baltimore hervor, mit dem er jene Reise nach Russland unternehmen sollte, die er in einer seiner berühmtesten Schriften, Il Viaggio in Russia, beschreiben wird. Ferner knüpft er wieder Kontakte zu John Lord Hervey, der ihn in seinen Palast in Saint-James einlädt und ihn mit Lady Mary Wortley Montagu38 bekannt macht. Als besonders fruchtbar erweist sich der Austausch mit Lord Richard Boyle (1694–1753). Der 3rd Earl of Burlington hegt eine ausgesprochene Leidenschaft für Architektur und besonders für die Welt Palladios, dessen Bauten er 1719, während seiner Grand Tour in Italien, hatte in Augenschein nehmen können. Seine Begeisterung hatte ihn dazu veranlasst, sein Haus nach dem Palazzo Chiericati in Vicenza bauen zu lassen, und er hatte sich mit der Zeit zum führenden Vertreter der englischen Palladio-Renaissance entwickelt. Europaweite Resonanz erfuhr seine Ausgabe von Palladios Zeichnungen der römischen Thermen, die er während seiner italienischen Reise erworben und 1730 in London unter dem Titel Fabbriche antiche disegnate da Andrea Palladio, mit einem eigenen Kommentar versehen, veröffentlicht hatte.39 Dieses Buch, das zu einem Meilenstein des englischen Neopalladianismus wurde, diente u. a. Ottavio Bertotti Scamozzi (1719–1790) im Jahre 1785 für seine Ausgabe der Terme Palladios,40 die nicht weniger bedeutend für die Entwicklung der neuklassizistischen Architektur Europas um 1800 wurde. Als Gast in Chiswick House, der Villa, die Burlington nach Palladios Villa Rotonda (1550–1551) zwischen 1720 und 1730 hatte errichten lassen, verkehrt Algarotti im Frühjahr 1739 mit den interessantesten Vertretern der englischen Gesellschaft und Gelehrtenrepublik. Unter ihnen finden sich Alexander Pope, der Übersetzer Homers, der vom Hausherrn geförderte Komponist Georg Friedrich Händel und Burlingtons Protegé, der Architekt William Kent, der Chiswicks revolutionäre Gartenanlagen entworfen hatte. Hier erhält Algarotti die Möglichkeit, sich mit architektonischen Studien, insbesondere mit dem Schaffen Palladios, zu befassen, die ihn nachhaltig beeinflussen werden.41

38 Zu der langjährigen Beziehung zwischen Lady Montagu und Algarotti s. Günter Gentsch: Roulette des Lebens. Die ungewöhnlichen Wege der Lady Mary Montagu. Ulrike Helmer Verlag: Königstein im Taunus 2008, besonders S. 243–252, 258–266, 277–288, 295–299. 39 Fabbriche antiche disegnate da Andrea Palladio Vicentino e date alla luce da Riccardo Conte di Burlington. Londra 1730. Reprint in Mikrofiche-Ausgabe Urbana, Ill.: The Cicognara Program, Undergraduate Library, University of Illinois 1998 (= The Cicognara Library 597). 40 Le terme dei Romani disegnate da Andrea Palladio e ripubblicate con la giunta di alcune osservazioni da Ottavio Bertotti Scamozzi giusta l’esemplare del Lord Conte di Bur- lingthon [sic] impresso in Londra l’anno 1732. Vicenza: Modena 1785. 41 „In casa del quale [Lord Burlington] ebbe agio di coltivare lo studio della bella architettura, di cui si può chiamare restauratore di questo secolo“, Brief Algarottis an den Grafen Mazzucchelli aus Berlin, 17. März 1751, zitiert nach Pasquali: Francesco Algarotti, S. 162.

18 Die Freundschaft mit Lord Baltimore bietet Algarotti ebenfalls interes- sante Anregungen, und als dieser 1739, anlässlich der Hochzeit der Kronprin- zessin Anna Ivanova, nach Russland reist, willigt der Venezianer ein, ihn zu begleiten. Die Reisenden treffen am 21. Juni 1739 in Sankt Petersbug ein.42 Algarotti hinterlässt lebendige Bilder seiner Eindrücke über das Hofleben und über das Land in dem Journal, das er während der Reise abfasst, Journal of a Voyage in a Yacht from London to St. Petersburg, sowie in den Lettres à Milord Hervey.43 Die Buchfassung dieses Berichts, unter dem Titel Viaggi di Russia, erschien 1760 und erhielt ihre endgültige Form 1763 bzw. 1764.44 Auf der Rückreise von Russland machen Algarotti und Lord Baltimore in , Leipzig und in dem „chiostro militare del re di Prussia, il famoso Posdammo“45 Station. Hier werden sie von Friedrich Wilhelm I. empfangen und mehrmals in sein Tabakkollegium eingeladen. Die Beschreibung, die Algarotti von Preußen gibt, ist bemerkenswert positiv, was in dieser Epoche, besonders in italienischen Schriften, Seltenheitswert hat.46 Die Reisenden begeben sich sodann nach Rheinsberg, wo, wie Algarotti von Voltaire weiß, der Kunst liebende Kronprinz seit 1736, und bis zur Thronbesteigung im Jahre 1740, lebt. In dieser Residenz hatte sich Friedrich, fern von der bedrückend strengen Hofhaltung des Vaters in und Wusterhausen, den Traum freier Geselligkeit erfüllt. So weit wie nur möglich losgelöst von den Zwängen höfischer Etikette, pflegten in Rheinsberg ungefähr vierzig Personen unterschiedlicher gesellschaftlicher Provenienz – Offiziere, Diplomaten, Hofleute, Gelehrte – ungezwungenen Umgang miteinander und

42 Zu dem Aufenthalt Algarottis in Russland s. Treat: Un cosmopolite italien, S. 80–96; ferner: Helmut Grasshoff: Antioch Dmitrieviè Kantemir und Westeuropa: Ein russischer Schrift- steller des 18. Jahrhunderts und seine Beziehungen zur westeuropäischen Literatur und Kunst. Berlin: Akademie-Verlag 1966; Roberto Sinigaglia: Andrei Kostantinovic Nartov nello sviluppo tecnico-scientifico della Russia del XVIII secolo. Genova 1981 (= Quaderni del Centro di studio sulla Storia della Tecnica. N. 6, settembre 1981); Robert Bufalini: To the Eastern Edges of Europe: the Travels of Francesco Algarotti, Ruggiero Boscovich, and Saverio Scrofani. 1990. Ann Arbor, Mich.: UMI 1991, Mikrofiche-Ausg. 43 Das Manuskript des Journal ist im British Museum aufbewahrt, die Briefe an Lord Hervey sind abgedruckt im VI. Band der Werke Algarottis in der Ausgabe Palese. Die Druckfassung ist jetzt in folgender Edition zu lesen: Francesco Algarotti: Viaggi di Russia. A cura di William Spaggiari. Milano: Garzanti 2006 (= I grandi libri Garzanti 609). 44 Über die verschiedenen Fassungen der Aufzeichnungen von Algarottis russischer Reise vgl. Arato: Il secolo delle cose und Salvatore Rotta: Russia 1739: il filosofo sedentario e il filosofo viaggiatore. In Settecento russo e italiano. Milano 2002, S. 36–78, jetzt auch in Scritti scelti di Salvatore Rotta, . 45 Brief an Mylord Hervey, „Hamburgo“, 30. August 1739, in: Algarotti: Opere, Bd. VI, 1792, S. 157–179: 171. 46 Hierzu Klaus Heitmann: Ein Bewunderer und ein Hasser Friedrichs des Großen: Francesco Algarotti und Vittorio Alfieri. In: Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 67–78.

19 genossen schöngeistige Gespräche bei Tisch sowie Musik und Literatur bei gemeinsamen Theater- und Konzertbesuchen.47 Im September 1739 stoßen Lord Baltimore und Algarotti mit Empfeh- lungsschreiben von Voltaire und den guten Wünschen Friedrich Wilhelms I.48 zu der heiteren Gesellschaft und verbringen dort acht Tage, die für den Verlauf des weiteren Lebens von Algarotti bestimmend sein sollten. Der Kronprinz findet, wie eingangs erwähnt, großes Gefallen an der geistreichen Gesellschaft des Gleichaltrigen, wie er dem befreundeten, in Sankt Petersburg weilenden Diplomaten Ulrich Friedrich von Suhm (1691–1740) schon am 26. September 1739 schreibt:

Nous avons ici Mylord Baltimore et le jeune Algarotti, deux hommes qui, par leur savoir, doivent se concilier l’estime et la considération de touts ceux qui les voient. Nous avons beaucoup parlé de vous, de philosophie, de sciences, d’art, enfin de tout ce qui doit être compris dans le goût des honnêtes gens.49

Nur wenige Tage hierauf drückt sich Friedrich auch Voltaire gegenüber sehr positiv über den jungen Venezianer aus:

Nous avons eu ici milord Baltimore et m.r Algarotti, qui s’en retournent en Angleterre. […] Le jeune Algaroti [sic] que vous connaissez m’a plu on ne saurait davantage. Il m’a promis de revenir ici, aussitôt qu’il lui serait possible: nous avons bien parlé de vous, de géométrie, de vers, de toutes les sciences, de badinerie, enfin de tout ce dont on peut parler. Il a beaucoup de feu, de vivacité et de douceur, ce qui m’accommode on ne saurait mieux. Il a composé une cantate qu’on a mise aussitôt en musique et dont on a été très satisfait. Nous nous sommes séparés avec regret, et je crains fort de ne revoir de longtemps dans ces contrées d’aussi aimables personnes.50

47 S. hierzu die Darstellung vom „Musenhof in Rheinsberg“ in: Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 158 mit weiterführender Literatur, darunter Johannes Ku- nisch: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit. Vierte Auflage. München: Beck 2005, S. 72–103; Rheinsberg: eine märkische Residenz des 18. Jahrhunderts. Ausstellung zur 650-Jahrfeier der Stadt Rheinsberg. Schloss Rheinsberg, 21.–29. Juni 1985. Hrsg. von den Staatlichen Schlössern und Gärten Potsdam-. Potsdam: Staatliche Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci 1985, S. 3–5 und Hans-Joachim Giersberg: Schloss Sans- souci. Berlin: Nicolai 2005, S. 19. 48 Brief Friedrichs an seinen Vater, 25. September 1739, Friedrich: Œuvres, Bd. 27, 3, 1856, S. 120: „Hier ist der englische Mylord durchpassiert […] Weilen ich gehöret, dass mein allergnädigster Vater haben wollte, dass ihm Höflichkeiten geschehen sollten, so habe ich ihm so viel angethan, wie ich gekonnt habe.“ 49 Brief Friedrichs an Suhm, Rheinsberg, 26. September 1739, in: Œuvres, Band XVI,

S. 377 f.: 378. 50 Brief Friedrichs an Voltaire, Rheinsberg, 10. Oktober 1739. In: Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire. Hrsg. von Reinhold Koser, Hans Droysen. Leipzig: Hirzel 1909 (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 81, 82, 86), Bd. II, T. I, S. 303.

20 Aber auch Algarotti ist sehr angetan von der Begegnung, wie er Voltaire aus London schreibt:

J’ai été dans le troisième ciel. J’ai vû, oh me beato! ce prince adorable, disciple de Trajan, rival de Marc-Aurèle […]. Mon Dieu! quel prince est-ce là? […] Je demanderais bien, si la pâte dont ce prince est composé, est la même que celle des autres princes; en tout cas, il y a là dedans une âme bien supérieure. […] Je lui bâtirai un temple, et votre statue sera à côté de la sienne.51

Er ist sich ferner sicher, dass der künftige Monarch sich nach seiner Thronbe- steigung mit erlesenen Geistern umgeben wird, wie es einst sein Vater mit Personen großer Statur, den Langen Kerls, zu tun pflegte:

Quando egli salirà sul trono, ammirerà il mondo le sue virtù principesche: e vi è gran ragione di credere, che saranno da lui cercati gli uomini grandi con quello stesso ardore, che sono cercate dal re suo padre le grandi persone.52

Der geistige Austausch, der 25 Jahre lang die Beziehung zwischen Friedrich und Algarotti auszeichnen wird, beginnt: Unmittelbar nach dessen Rückkehr nach London überhäuft der Kronprinz den einstigen Gast mit vielfältigen Aufträgen und Aufgaben. Schon am 29. Oktober 1739 bedankt sich Friedrich für einige „Commissions“, wie die Zusendung von „collections de jardinage“ und für die Vermittlung seines Briefes über die Denkfreiheit an Lord Balti- more53. Er zieht ihn vor allem gleich bei kulturellen Fragen zu Rate und beauftragt ihn, über die jüngsten literarischen Neuigkeiten aus England Wissens- wertes zu berichten. Und in der Tat kann sich Friedrich schon bald über eine interessante Mitteilung freuen: „Voici un exemple d’algèbre que l’aimable et profond Algarotti m’a envoyé“.54 Mit großem Nachdruck bittet er immer wieder um Zusendung interessanter Bücher: „Si vous trouvez à Londres quelque ouvrage digne de la curiosité d’un étranger, faites-le moi savoir; je

51 Algarotti: Opere, Bd. XVI, S. 73–75 und Theodore Berstermann (Hrsg.): Les œuvres complètes de Voltaire / The complete works of Voltaire. Bd. 90: Correspondence and related

documents T. 6. Jan. – Sept. 1739. Genève: Inst. et Musée Voltaire 1970, Brief Nr. D 1531, S. 169–171: 170. Der Brief ist datiert 1. April 1739, doch dies kann nur ein Versehen der italienischen Ausgabe sein, die in der französischen Edition der Werke Voltaires kolportiert wurde. 52 Brief Algarottis an Mylord Hervey, „Hamburgo“, 30. August 1739, in: Algarotti: Opere, Bd. VI, S. 157–179: 177.

53 Brief Friedrichs an Algarotti vom 29. Oktober 1739, Œuvres, Bd. XVIII, S. 7 f., es handelt sich um die Épitre a Mylord Baltimore sur La Liberté, die im Bd. XIV, S. 71–76 der Œuvres erschienen ist. 54 Brief Friedrichs an Suhm, Rheinsberg, 2. Dezember 1739, Friedrich: Œuvres, Band XVI,

S. 383 f.: 384.

21 vous prie“, und ganz besonders um „die sonderbaren Productionen des Doktor Swift“, die ihn sehr unterhalten würden:

les singulières productions du docteur Swift. Ses idées nouvelles, hardies et quelquefois extravagantes m’amusent. J’aime assez ce Rabelais d’Angleterre, principalement lorsqu’il est bien inspiré par la satire, et qu’il s’abandonne à son imagination.55

Nicht nur aus England setzte sich Algarotti als Kulturvermittler ein, sondern er lenkt frühzeitig das Interesse Friedrichs auf die Kultur Italiens und dieser bedankt sich schon am 26. Februar 1740 bei diesem „excellent commissio- naire“ für „le paquet d’Italie, les sermons, et la musique“.56 Die hervorgehobene Rolle, die Friedrich Algarotti beimisst, erkennt man an der Tatsache, dass er sich jetzt nicht nur mit Voltaire, sondern auch mit Algarotti in Bezug auf seine eigenen Arbeiten, wie den Antimachiavell berät:57

Mon cher Algarotti, j’ai vu par votre lettre la façon favorable dont vous jugez de mon ébauche de Machiavel […]. Je suis sûr que vous êtes capable, plus que qui que ce soit pour être employé dans des affaires solides […]. Il faut vous réserver pour de bonnes occasions.58

Im Antimachiavell setzte sich Friedrich mit Machiavellis Werk Il Principe (1552) auseinander, in dem der Florentiner die politische These aufstellt, der Staat dürfe zur Erhaltung der Macht alle Mittel verwenden. Diesem Gedanken setzt Friedrich seinen eigenen entgegen, nach welchem der Herrscher der erste Diener seines Staates sei. Der Antimachiavell ist nicht das einzige Werk Friedrichs, bei dessen Abfassung der Autor den fernen Korrespondenten um Rat fragt, denn auch für sein Heldengedicht erbittet er sich Hilfe. Der literari- sche Austausch ist in der Tat recht rege, denn der Kronprinz wünscht sich die Schriften zu lesen, die Algarotti gerade schreibt, und schickt ihm seinerseits seine Eigenen, wie die Schrift über die Beständigkeit bei den Beschwerden und Widerwärtigkeiten des Lebens, die Briefe „sur la nécessité de l’étude“ und „sur l’infamie de la fausseté“ sowie seine Erzählungen.59

55 Brief Friedrichs an Algarotti vom 4. Dezember 1739, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, 8 f.: 9,

deutsche Übersetzung von F. Förster (Anm. 1), S. 5 f. 56 Brief Friedrichs an Algarotti vom 26. Februar 1740, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, 8–10:

9 f. 57 S. hierzu den einschlägigen Abschnitt bei Jean-Paul Bled: Friedrich der Große. Biographie. Düsseldorf: Artemis & Winckler 2006 (deutsche Übertragung der 2004 erschienenen Originalausgabe durch Wolfgang Hartung), S. 88–94, wo ausschließlich die Rolle Voltaires bei der Beschäftigung des Königs mit diesem Werk behandelt wird. 58 Brief Friedrichs II. an Algarotti aus Rheinsberg, [25. Oktober 1740], Friedrich: Œuvres,

Bd. XVIII, S. 18 f.

59 Friedrichs II. an Algarotti aus Rheinsberg, 19. Mai 1740, Œuvres, Bd. XVIII, S. 13 f.: 13.

22 Die guten Wünsche Friedrichs, Algarotti möge ihn nicht vergessen und bald wieder bei ihm sein, gehen wenige Wochen nach Friedrichs Thronbestei- gung in Erfüllung, und er kann am 27. Juni 1740 an Voltaire schreiben: „J’ai fait acquisition […] d’Algarotti“.60 Algarotti trifft am 28. Juni 1740 in Berlin ein, in der Hoffnung, nach so vielen rastlosen Jahren endlich am Preußenhof einen beruflichen ubi consistam zu finden. Friedrich lässt ihn schon vom Tag seiner Thronbesteigung an nicht von seiner Seite weichen und schreibt begeistert an die geliebte Schwester Wilhelmine „Nous raisonnons en chemin de philosophie, Algarotti et moi“61. Algarotti selbst äußert sich gegenüber seinem Bruder nicht minder be- geistert:

Questa sarà la doratura della mia vita, sì ch’ella sia qualunque si voglia per l’avvenire, la Fortuna non mi basterà più.62

Der Venezianer wird von nun an als „Mon cher Cygne de Padue“, „doux Cygne“ u. drg. m. in den vielen Briefen apostrophiert, die ihm Friedrich zwischen 1740 und 1742 schreibt.63 Zwei Schwäne wird der Venezianer auch im Wappen führen, das nach genauen Anweisungen des Königs anlässlich seiner Erhebung in den Grafenstand im April 1740 entworfenen wurde.64 Im selben Herbst begleitet er den König, der inkognito reist, auf seiner Reise, die ihn bis Straßburg führt und in deren Verlauf Friedrich Voltaire zum ersten Mal treffen wird. Algarottis innigster Wunsch, den er in so vielen Briefen an den Bruder Bonomo zum Ausdruck bringt, am Hof eine offiziell anerkannte Beraterrolle zu bekleiden, scheint nunmehr zum Greifen nah zu sein, denn noch vor Ende des Jahres 1740 lässt Friedrich den Vertrauten in den erblichen Grafenstand er-

60 Brief Friedrichs an Voltaire, Rheinsberg, 27. Juni 1740. In: Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Voltaire. Hrsg. von Reinhold Koser, Hans Droysen. Leipzig: Hirzel 1909 (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 8), Bd. II, T. II, S. 8–11: 9. 61 Brief Friedrichs an Wilhelmine vom 14. Juli 1740, Œuvres, Bd. 27, 1, S. 87. 62 Brief Algarottis aus Berlin, 29. Juli 1740, Biblioteca Comunale Treviso, Ms. 1256 A. Ich danke Herrn Dott. Gianluigi Perino für die freundliche Zusendung der Kopien dieser und im Folgenden zitierten handschriftlichen Briefe aus dem dort aufbewahrten handschriftli- chen Nachlass Algarottis und Frau Dott. Ivana Miatto für die Transkription der hier zitierten Passagen einiger Briefe, die in der ganzen Länge in der mit mir gemeinsam geplanten Veröffentlichung abgedruckt werden.

63 U. a. in den Briefen vom 21. Juni 1740; 2., 13., 29. November 1740; 17. Januar 1741; 15. Juni 1740; 27. Februar 1742; 18. April 1742; 10. Mai 1742; 29. Mai 1742; 18. Juli 1742. „Cigne de Padoue“ wird er auch schon vor dieser Zeit von Madame de Châtelet genannt, s. ihren Brief an Algarotti aus Cirey vom 10. Dezember 1735. In: Theodore Berstermann (Hrsg.): Les Lettres de la Marquise du Châtelet. Bd. I: 1733–1739. Genève: Inst. et Musée Voltaire 1958 (= Publications de l’Institut et Musée Voltaire. Sér. d’études 3.4), S. 92–93: 92. 64 Das Wappen ist abgebildet in: Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, Farb- tafel I.

23 heben. Der kurz hierauf ihm erteilte königliche Auftrag, sich in delikater poli- tischer Mission nach zu begeben, bezeugt Friedrichs Willen, Algarottis Bemühungen um eine aktive politische Rolle zu fördern. Hier sei nur eine kurze Darstellung der Affäre gegeben, die andernorts ausgiebig untersucht wurde.65 Friedrich hoffte gegen Ende 1740, der König von Sardinien werde sich ihm im Bündnis gegen Österreich anschließen. Da aber keine direkten diplo- matischen Beziehungen zwischen beiden Ländern bestanden, bediente er sich Algarottis, „pour sonder le terrain“.66 Die Instruktionen, die er mit auf dem Weg erhält, sind überaus deutlich: heimlich und ohne offiziellen Charakter soll er nach Turin reisen und die Hauptstadt des Königsreichs Sardinien erreichen, dabei soll er die Länder, die sich unter österreichischer Oberherr- schaft befinden, d. h. die Lombardei, meiden und also den Weg über Straßburg und Genf nehmen. In Turin soll er sich dann ausschließlich dem Minister Carlo Ferrero, Marquis d’Ormea anvertrauen, der ihn am Hof einführen sollte, im Übrigen aber sein Geheimnis nicht lüften. All sein Savoir-faire67 soll er dann einsetzen, um sich beim König Karl Emanuel III. beliebt zu machen, damit er aus ihm herauslocke, wie er über ein mögliches Bündnis denke. Ferner wünschte Friedrich, so viele Informationen wie möglich über die militärischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Land und über dessen politische Allianzen innerhalb Europas zu erhalten. Algarotti verbringt in Turin einige Wochen, in denen er sich in das Leben der Turiner Gesellschaft einbringt und u. a. Lady Montagu, die alte Freundin aus Londoner Zeiten, wieder sieht. Dabei muss er auf eigene finanzielle Mittel zurückgreifen, denn einerseits hat ihn Friedrich nicht sonderlich großzügig ausgestattet (und Alga- rotti pflegt, wie ihm eigen, einen zu luxuriösen Lebensstil), anderseits hat ihn die Nachricht ereilt, er solle die erkleckliche Summe von 1200 écus für den Grafentitel bezahlen, den man ihm verliehen hat. Bald muss er sich jedoch eingestehen, dass seine diplomatische Mission gescheitert ist. Am 1. Februar teilt er dem König mit, dass wenig Aussicht auf Erfolg bestehe:

Je crains, Sire, que, sans quelque ouverture de la parte de votre Majesté les choses n’en restent aux simples émoignages d’amitié […].68

65 S. für eine detailliertere Darstellung vor allem Francesco Neri: Algarotti diplomatico. In: Archivio storico italiano, S. IV (1886), S. 231–257 und Treat: Un cosmopolite italien, S. 110–126. 66 „Il ne doit prendre aucun caractère public […] se disant simple passager qu’est allé in Italie pour ses affaires“, Weisung vom 15. Dezember 1740 an Graf Heinrich von Podewils (1695– 1760) bezüglich der Entsendung Algarottis nach Turin in: Politische Correspondenz

Friedrich’s des Großen. Hrsg. Johann Gustav Droysen u. a. Band 1: 1740–1741. Berlin: Duncker 1879, Weisung Nr. 205, S. 146. 67 Ebda. 68 Algarotti an Friedrichs II., ebda, Brief Nr. 294, S. 198.

24 Daraufhin schreibt ihm Friedrich am 14. März 1741, er sei „très satisfait du detail que vous me faites“ und lässt ihn nach Berlin zurückberufen.69 Über Lyon und Straßburg kehrt Algarotti unverrichteter Dinge nach Preußen zu- rück. Der König erwartet ihn mit der üblichen „großer Ungeduld“,70 aber nicht mehr dort, sondern in Breslau, – wo er sich in Folge der Ereignisse im Ersten Schlesischen Krieg aufhält – und fordert ihn auf, ihn dort zu besuchen:

Vous pouvez venir en toute sûreté de Berlin à Breslau […]. Ne craignez point le sort de Maupertuis […] je vous réponds corps pour corps de votre sûreté.71

Dem Ruf folgt der Graf zuerst nicht, denn er fürchtet, wie es dem Franzosen bei der Schacht bei Mollwitz ergangen war, in Gefangenschaft zu geraten und schützt, wie so oft, gesundheitliche Probleme vor:

Je ne suis pas en Silésie […] à la fin de juillet, car une légère fièvre me retient à Berlin. Cette maladie, qui d’ailleurs, me laisse sortir, n’a d’autres conséquences pour moi que de m’empêcher de me rendre à l’armée.72

Um der schrecklichen Einsamkeit zu entgehen, die sich in Berlin seiner bemächtigt hat, gibt er am Ende doch noch nach und fährt mit dem Baron von Brakel, dem russischen Gesandten in Preußen, nach Breslau, wo er den König sieht.73 Doch er zieht es vor, ihn nicht auf dessen Feldzug zu begleiten und kehrt bald nach Berlin zurück, wo er den ersten Aufführungen an der nach dem Willen Friedrichs neu erbauten Oper beiwohnt. In den Briefen an den Bruder Bonomo bringt Francesco zwar immer wieder seine Hoffnung zum Ausdruck, sich in Berlin ein öffentliches Amt erschließen zu können, doch seine poli- tische, nicht vom Erfolg gekrönte Mission nach Turin wird die einzige im preußischen Curriculum Algarottis bleiben – sieht man von seiner Vermittler- tätigkeit zwischen dem Heiligen Stuhl und dem protestantischen Preußen ab, die eine große Rolle beim von Algarotti geförderten und unterstützten Bau der Hedwigskirche in Berlin spielte.74

69 Weisung an den Grafen Heinrich von Podewils, Berlin, 14. März 1741: „Au compte Algarotti à Turin qu’il doit en retourner au près de la personne de Sa Majesté“, ebda. Das Dokument ist abgebildet und kommentiert in Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 168.

70 Brief Friedrichs an Algarotti, Hermsdorf 15. Juni 1741, Œuvres, Bd. XVIII, S. 28 f.: 28: „Je vous attends avec bien de l’impatience“.

71 Ebda, S. 28 f.: 29. 72 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, Berlin 28. Juli 1741, Biblioteca Comunale Treviso, Ms. 1256 A. 73 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, Berlin 16. und 17. September 1741, Biblioteca Comunale Treviso, Ms. 1256 A. 74 S. hier Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 282–289.

25 Der König ist fortan gewillt, seinen Kammerherrn lediglich bei künstleri- schen, literarischen und musikalischen Aufgaben einzusetzen, und dieser bemüht sich schon in dieser ersten Phase seines Aufenthalts am Preußischen

Hof nach Kräften, den königlichen Wünschen nachzugehen und z. B. italieni- sche Gemälde nach Preußen zu vermitteln. Dies wird im folgenden Brief Algarottis an den Bruder Bonomo ersichtlich, einem unter den vielen zu diesem Thema, in welchem Francesco sich bemüht, einem an ihn mit dieser Bitte herantretenden Freund75 Bilder eines Malers nach dem Manier des Canaletto zukommen zu lassen:

Si vorrebbe sapere cosa costino costà le vedute di Venezia fatte da un Pittore che imita estremamente la maniera di Canaletto, [sa] fare l’acqua molto meglio di lui, ma non â la finitezza sua. Il Zanetti ne â mandato due quadri da vendere a Madama Lorio senza nominare il pittore ma dimandandone [per] [4]2 zecchini il prezzo. Procurate di ricavare dal Zanetti il nome del Pittore […] mostrando altro fare e d’indagare il resto. Questo vi chieggo per un amico […] che vorrebbe avere di questi quadri in prima mano.76

Es handelt sich dabei um die Bilder des venezianischen Vedutenmalers Michele Marieschi (um 1694–1743) Canal Grande con l’imbocco di Cannareggio sowie Ca’ Rezzonico e Ca’ Foscari di San Samuele,77 die Algarotti dank der Unterstützung von Vertretern der italienischen Gemeinde in Berlin (in diesem Fall handelt es sich um eine Sängerin der Königlichen Oper, Anna Lorio Campolongo)78 und des venezianischen Kunsthändlers Antonio Maria Zanetti, nach Berlin holt. Beide Gemälde sind noch in Sanssouci – heute im Dritten Gästezimmer – zu bewundern. Auch im Bereich der Musik und der Literatur ist Algarotti als Kulturver- mittler und Berater aktiv. Wie der Brief vom 1. August 1741 an Bonomo belegt, erbittet er sich vom Bruder unter anderem die Sendung der Werke von Ariost, Tasso, Sannazzaro, Guarini sowie das Manuskript von Benedetto Marcellos Cassandra, aus dem Englischen übertragen von Algarottis einsti-

75 Vielleicht handelt es sich dabei um den König selbst, vielleicht aber auch um den Feldmar- schall Jacob Keith (1696–1758), in dessen Namen Algarotti belegtermassen den Ankauf von Bildern bei seinem Bruder Bonomo bestellt. 76 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, Berlin, den 1. August 1741, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1256 A. 77 Inv. GK I 5689 und GK I 5680; für die Zuschreibung der Bilder s. Mario Manzelli: Michele Marieschi ed il suo alter-ego Francesco Albotto. Unver. Magisterarb. Universität Venedig

1991, S. 56 f. und 60 f., aber mit falscher Angabe des Datums des Briefes. 78 Die Römerin Anna Lorio Campolongo wurde vom königlichen Kapellmeister Carl Heinrich Graun, der vom König von 1740 bis 1741 nach Italien geschickt worden war, um Künstler für die königliche Oper in Berlin anzuwerben, 1741 nach Berlin gebracht, wo sie als Sängerin in der 2. Rolle bis 1754 blieb. S. hierzu Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 339.

26 gem Lehrer Antonio Conti, ein Werk, das bald hierauf an der Berliner Oper mit dem berühmten Kastraten Giuseppe Santarelli in der Hauptrolle gegeben wird.79 Trotz der vielen Aufträge, die ihn ereilen, und der guten Einbindung in das Leben von Hof und Gesellschaft, fasst Algarotti jedoch den Entschluss, sein Glück an einem anderen Hof zu suchen. Zu Beginn des Jahres 1742 verlässt er Preußen und fährt nach Dresden, auf der Suche nach einer sichere- ren beruflichen Zukunft.

Am sächsischen Hof

Friedrich August, Kurfürst von Sachsen und König in Polen, hatte Dresden zum „Paris Deutschlands“ gemacht, wie Algarotti seinem Bruder Bonomo von dort am 5. März 1742 schreibt:

Dresda per altro si può con razione considerare il Parigi dell’Allemagna, dove se non si â tutta quella varietà di piaceri che si â nel vero Parigi, non si vuole pure quella quantità di denaro che si ricerca colà per gustarli.80

Das hier angerissene Thema des angenehmen Umgangs bei niedrigen Lebens- haltungskosten ist eine Konstante in seinen Briefen an Bonomo, dem er am 12. Februar berichtet, wie ihn der Kurprinz an seinen Tisch gebeten habe und wie er vertrauten Umgang mit vielen exzellenten Gästen des Hofes pflegt:

Io passerò in questa dilettevole città alcun tempo ancora […] perché la compag- nia vi è migliore che in qualunque altro di Germania, la pulitezza infinita, e non eccedente la spesa. Il Principe Reale fra gli altri mi onora senza fine di ammetter- mi alla sua tavola […] Mr. Hasse e l’amabile Faustina, e Madame Hoffmann [Felicita Sartori Hoffmann] discepola della Rosalba [Carriera] mi parlano spesso di voi […].81

Er findet, wie aus dem Brief ersichtlich, sofort Anschluss an die italienische Gemeinde Dresdens, die bedeutende Intellektuelle und Kulturschaffende auf- weist wie den Pater Guarini, den Vicentiner Bildhauer Lorenzo Mattielli (1682–1748), den römischen Architekten Gaetano Chiaveri (1689–1770), den Dichter und Librettisten Giovanni Ambrogio Migliavacca und die Sängerin

79 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, Berlin, den 1. August 1741, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1256 A. 80 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, Dresden 5. März 1742, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1265 A. 81 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, Dresden, 12. Februar 1742, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1265 A.

27 Faustina Bordoni (1697–1781) mit ihrem Ehemann, dem berühmten Kompo- nisten (1699–1783). In Dresden währt sein Aufenthalt von 1742 bis Anfang 1747 und wird durch drei wichtige Reisen nach Italien zwischen Mai 1743 und August 1746 unterbrochen, in deren Verlauf er beauf- tragt ist, Kunstwerke für die Dresdner Gemäldegalerie zu erwerben.82 Bei die- ser Gelegenheit wird er vom Maler Giambattista Tiepolo unterstützt, mit dem ihn fortan eine zwei Jahrzehnte währende Freundschaft verbindet.83 Algarotti vermittelt nach Dresden sowohl Einzelbilder als auch ganze Sammlungen, die gerade zur Auktion standen, wie die des Herzogs Francesco III. von Modena. Aus diesem Bestand erwarb der Dresdner Hof durch die Vermittlung Algarot- tis 100 Bilder, darunter bedeutende Werke von Correggio, Andrea del Sarto, Tiziano, Tintoretto und Guido Reni.84 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Algarotti sich nicht nur bemüht, italienische Kunst und die von ihm protegierten Künstler wie Jacopo Amigoni (1682–1752), Giovanni Battista Pittoni (1687–1767), Giovanni Bat- tista Piazzetta (1682/1683–1754) und den gefragtesten Landschaftsmaler des Klassizismus im 18. Jahrhundert, (1702–1788), im Aus- land bekannt zu machen. Er vermittelt in dieser Zeit auch ausländische Künst- ler nach Italien wie die deutschen Maler Christian Bernhard Rode (1725– 1797) und Friedrich Harper (1725–1806).85 In Dresden befasst sich Algarotti nicht nur mit dem Ankauf von Kunst- werken für den König von Sachsen, sondern bringt sich in das musikalische

82 S. hierzu Hans Posse: Die Briefe des Grafen Francesco Algarotti an den sächsischen Hof und seine Bilderkäufe für die Dresdner Gemäldegalerie (1743–1747). In: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen LII (1931) (Beiheft), S. 1–73, ferner Leone Francesca: Algarotti und andere Italiener als Kunstagenten im Dienste Augusts III. von Polen zwischen 1740 und 1760. Aus dem Italienischen von Sabine Schreiber. In: Dresden, der Blick von außen. Dresden: Dresdner Geschichtsverein 2006 (= Dresdner Hefte 24, 4 = 88), S. 6–17; Barbara Mazza Boccazzi: Francesco Algarotti: un esperto d’arte alla corte di Dresda. Trieste: La Società di Minerva editrice 2001 (= Quaderni della Società di Minerva 22); Roberto Puggioni: Mecenatismo e critica d’arte: Algarotti, la „Gemäldegalerie“ di Dresda e Tiepolo. In: Musica e storia 7 (1999), S. 375–402. 83 Besonders informativ Ivana Miatto: Alcuni documenti inediti sullo stretto sodalizio tra Francesco Algarotti e Giambattista Tiepolo. In: Ricerche di Storia dell’arte, 61 (1997), S. 93–101 mit weiterführender Literatur. Viele Briefe Algarottis, die Beziehung zu Tiepolo belegend, sind jetzt abgedruckt in Marina Magrini: Giambattista Tiepolo e i suoi contempo- ranei. Lettere 16–169. In: Alessandro Bettagno, Marina Magrini: Lettere artistiche del Settecento veneziano. Vicenza: Neri Pozza 2002, S. 29–341. 84 Näheres auf der . 85 S. hierzu Paola Zanardi: Le arti della pace: Thomas Hollis e Francesco Algarotti. In: Andrea Gatti, Paola Zanardi (Hrsg.): Filosofia, scienza, storia: il dialogo fra Italia e Gran Bretagna. Atti del Convegno Internazionale di Studi „Filosofia, Scienza, Storia – il Dialogo fra Italia e Gran Bretagna nel XVIII Secolo“. Ferrara 3–4 giugno 2004. Padova: Poligrafo, 2005 S. 49–65.

28 Leben ein,86 wobei er zudem in den Einkauf und Transport italienischer Musikinstrumente für den Hof involviert ist87. Als Dank für die erwiesenen Dienste ernennt ihn August III. zum Geheimen Kriegsrat, eine Auszeichnung, die ihn sehr freut, wie er an den Bruder Bonomo schreibt:

la clemenza di Sua Maestà à degnato conferirmi il titolo di suo Consigliere Intimo di Guerra, titolo che dà alla corte il rango fra i Colonnelli e i Generali. Questo può tanto più consolarmi in quanto egli è un’autentica prova del gradimento di Sua Maestà per quel poco che mi è sortito fare in servigio suo.88

Trotz der engen Einbindung am Dresdner Hof reißt in diesen Jahren die Verbindung mit Friedrich nicht ab. Der König wünscht sich weiterhin, der „unbeständige[…] und leichtfertigste[…] Schwan, […] [der] unbeständige […] und flüchtige Schmetterling“ möge ihm nicht ganz verloren gehen.89 Die Briefe, die beide Korrespondenten austauschen, enthalten wie einst Friedrichs Gedichte für „den liebenswürdige[n] aber zu leichtfertige[n] Algarotti“90 Bit- ten, Aufträge für ihn zu erledigen: ’mal sind es Musikpartituren und Arien, in denen die berühmte Faustina Bordoni brilliert,91 ’mal Arien aus der Oper Lucio Papiro92 und vom „Sassone“, dem Komponisten Johann Adolph Hasse (1699–1783).93 Nicht alle Aufträge werden erfüllt: Der König bittet seinen Korrespondenten, den damals berühmten Sänger Pinti „avec beaucoup de secret“94 für ein Engagement in Berlin für die Summe von bis 4000 Talern aus Dresden abzuwerben, was Algarotti jedoch ablehnt. Seinerseits lehnt Fried-

86 Rosy Candiani: Tra Vienna e Dresda: L’amiciza epistolare tra e Francesco Algarotti e gli allestimenti di opere Metastasiane nei teatri di Dresda. In: Andrea Sommer- Mathis, Elisabeth Theresia Hilscher (Hrsg.). In: Pietro Metastasio uomo universale (1698– 1782). Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 300. Geburtstag von Pietro Metastasio. Wien: Verl. der Österreichischen Akad. der Wiss. 2000, S. 269–282. 87 Zum Kauf von Violinen für das Orchester Dresdens s. Pierluigi Pietrobelli: Tartini, Algarot- ti e la corte di Dresda. In: Analecta Musicologica, 2 (1965), S. 72–84, ferner Jürgen Maehder: Die Librettisten des Königs. Das Musiktheater Friedrichs des Großen als theatra- lische und linguistische Italien-Rezeption. In: Erika Fischer-Lichte, Jürgen Schönert (Hrsg.): Theater im Kulturwandel des 18. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein 1999, 265–304: 266. 88 Brief an Bonomo, Dresden 25. Mai 1744, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1256 A. 89 „Cygne le plus inconstant, et le plus léger du monde […] papillon inconstant et volage

[…]“, Brief Friedrichs an Algarotti, [Februar 1742], Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 30 f.

Die deutsche Übersetzung ist von Friedrich Förster (Anm. 1), S. 29 f.: 29. 90 „Aimable, mais trop léger Algarotti“, Brief Friedrichs an Algarotti, [Februar 1742], Fried-

rich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 30 f.: 31, deutsche Übersetzung von F. Förster (Anm. 1),

S. 29 f.: 30.

91 Brief Friedrichs an Algarotti, [Februar 1742], Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 30 f.: 31.

92 Brief Friedrichs an Algarotti, Selowitz, 20. März 1742, Œuvres, Bd. XVIII, S. 35 f.: 36. 93 Brief Friedrichs an Algarotti, Chrudim in Böhmen, 18. April 1742, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 38–40: 39. 94 Ebda.

29 rich die Bitte Algarottis ab, dessen Landsmann, dem Marquis Galeazzo Arco- nati die Propstei von Soest zu schenken.95 Der Ton ist jedoch weiterhin entspannt und der rege briefliche Austausch zeigt den von beiden Seiten gehegten Wunsch, dass Algarotti wieder an den Preußenhof zurückkehrt. Nicht leicht zu führende Verhandlungen beginnen, die Algarotti mit großer Vorsicht führt, Friedrichs Hof mit dem „Castello di Alcina“, dem Schloss der bösen Zauberin in Ariosts Epos Der Rasende Roland vergleichend.96 Vom Ansinnen Algarottis, wieder eine Rolle als Berater Friedrichs zu spielen, zeugen seine Bemühungen auch von Dresden aus die Ereignisse im fernen Berlin, ganz besonders die Bautätigkeit Friedrichs, zu verfolgen, und er wird vom König und Knobelsdorff zu Rate gezogen. Algarotti schlägt In- schriften für die bedeutendsten Gebäude der Hauptstadt vor: „Federicus Rex Apollini et Musis“, die den Giebel des Opernhauses noch heute schmückt, „Federicus Rex Minervae Reduci“ für die Akademie der Künste und „Federi- cus Rex Sibi et Urbi“ für das Schloß.97 Er bringt sich ebenfalls ein bei den Plänen Knobelsdorffs für die Berliner Königliche Oper und wird bei der Ausschmückung der Eingangshalle ebenfalls um Rat gebeten.98 Unerfreuliche, im Zusammenhang mit dem Bilderkauf stehende Ent- wicklungen am Dresdner Hof bewegen Algarotti, Friedrichs Angebot, sich wieder in seine Dienste zu begeben, schließlich doch noch anzunehmen:

Voyant combien j’etois inutile au service de Sa Majesté, j’ai accepté, Monseig- neur, les offres généreux que sa Majesté le roi de Prusse a daigné me faire. Il me donne 3000 ecus de pension, et m’a honoré hier soir de la clef de son chambellan, et l’ordre du Mérite. J’ai remis, Monsieur, ce matin la patente de Conseilleur privé de Guerre a M.r de Büllow.99

95 Brief Algarottis an Friedrich, Dresden, 11. Juli 1742, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 47– 49: 47. 96 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, 8. Juli 1742, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1256 A. 97 Brief Algarottis an Knobelsdorff aus „Ubersburgo“ vom 10. November 1742, in: Algarotti: Opere, Bd. IX, 1794, S. 39–43: 43. Der Vorschlag hinsichtlich der Inschrift für die Oper gefiel dem König besser als die von Algarotti in einem früheren Brief an ihn gerichtete Anregung, die Worte einzusetzen: „Federicus Borussorum Rex compositis armis Apollini et Musis donum dedit“, Brief Algarottis an Friedrich aus Dresden vom 11. Juli 1742, Œuvres,

Bd. XVIII, S. 47–49: 48 f. 98 Brief Algarottis an Knobelsdorff aus „Ubersburgo“ vom 10. November 1742, Algarotti: Opere, Bd. IX, 1794, S. 39–43. 99 Brief Algarottis an den Grafen Brühl, in: Hans Posse: Die Briefe des Grafen Francesco Algarotti an den sächsischen Hof und seine Bilderkäufe für die Dresdner Gemäldegalerie (1743–1747). In: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen LII (1931) (Beiheft), S. 1– 73: 71.

30 Wieder in Preußen

Am 24. Februar 1747 kann Friedrich seiner Schwester Wilhelmine mit Freude mitteilen:

J’ai ici Algarotti, qui enfin fixe son état, et s’engage à mon service. L’Acquisition est bonne et me procure toutes sortes d’agréments pour mon particulier.100

Wie im oben zitierten Brief an Brühl drückt sich Friedrichs Wohlwollen konkret in einer Reihe wichtiger Auszeichnungen aus. Algarotti wird die Kammerherrenwürde und, nur einige wenige Tage danach, der Orden pour le mérite verliehen101 und der Grafenstand wird auch auf seinen Bruder ausge- dehnt. Bemerkenswert ist besonders die Verleihung des Ordens, die eine große Seltenheit darstellt. Friedrich pflegt die Erteilung des von ihm am 9. Juni 1740 gestifteten Ordens sehr maßvoll zu handhaben und sie nur bei ganz besonde- ren Anlässen zu gewähren. Zudem ist diese Auszeichnung in der Regel nur für im Dienste befindliche Offiziere bestimmt. Der Ordre wird hingegen nur äußerst selten an Zivilisten, und darunter höchstens an hohe Minister, wie den Kabinettsminister Heinrich Graf von Podewils, und noch seltener an Auslän- der verliehen. Unter den 924 Verleihungen während der Regierungszeit Fried- richs wird diese Ehre, bis auf wenige weitere Ausnahmen, nur Maupertuis (1698–1759), im selben Jahr wie Algarotti, und Voltaire, im Jahre 1750, zuteil.102 Algarotti wird am Preußenhof bis 1753 bleiben und eine bedeutende Rolle als Berater des Königs in künstlerisch-musikalischen Angelegenheiten wahrnehmen. Trotz einer leichten Trübung der Beziehungen im Jahre 1748103 bezeugen die Briefe dieser Zeit, dass er den Aufenthalt genießt. So schreibt er am 9. Mai 1751 an einen nicht identifizierten Grafen, dass man in „Posdammo“ recht gut lebe und sogar Melonen, Ananas, Feigen, Pfirsiche und Zitronen nicht vermis- sen müsse, die in der Regel unter einer südlicheren Sonne heimisch seien.

100 Brief Friedrichs an seine Schwester Wilhelmine, Potsdam 24. Februar 1747, in: Œuvres,

Bd. 27, 1, S. 154 f.: 155. 101 Siehe die Nachricht der Verleihung dieses Ordens in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen Anno 1747, Nr. LII., 2. Mai 1747, abgedruckt in: Unfer Lukoschik

(Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 172 f. 102 Gustaf Lehmann: Die Ritter des Ordens Pour le Mérite. Bd. 1: 1740–1811. Berlin: Mittler 1913, S. IX und S. 36 sowie Karl Friedrich Hildebrand, Christian Zweng: Die Ritter des Ordens Pour le Mérite 1740–1918 namentlich erfasst und nach den Stufen des Ordens gegliedert. Osnabrück: Biblio-Verlag 1998, S. 52. 103 Sie soll wegen einer angeblichen Affäre zwischen Algarotti und der Tänzerin Barbarina

entstanden sein. Nach einer kurzen Reise Algarottis nach Italien (März 1748 – Anfang 1749) ist die Beziehung zum König, auch im Folge des Weggangs Barbarinas, erneut ungetrübt.

31 Auch seien hier viele Bauten zu bewundern, die im Geschmack Palladios errichtet worden seien, es herrsche große Ordnung, Kultiviertheit und höfli- ches Betragen, und er könne sich viele Stunden am Tag mit den Künsten und der Literatur befassen:

Questo clima non è tanto lungi dal cammino del sole, che non gareggi quasi in ogni cosa co’ climi migliori, e dove la natura non è stata così benigna, l’arte vi supplisce e lo studio […] Ella mangerebbe qui di ottime pesche, di buon poponi e di fichi […] e qui l’ananasso, quella manna, quel re de’ frutti, è fatto quasi comune. Qui fabbriche da stare, per poco direi, a fronte con quelle del Palladio. In Berlino ogni cosa è ordine; e quanto in altro cultissimo paese ci si trova grande ospitalità con pari gentilezza.104

Eine nicht unerhebliche Rolle im Transfer materieller Kulturgüter aus der Gastronomie wird Algarotti selbst spielen, der sich bewusst Sämereien für den königlichen Garten105 und Leckerbissen für die königliche Tafel direkt aus Ita- 106 lien kommen lässt „pour l’honneur de mon pays, et pour le plaisir de V. M.“. In der Tat ist Algarotti in all den Jahren bemüht, italienische Lebensart in all ihren Formen nach Potsdam einzuführen, im Bestreben, wie viele seiner Briefe an Friedrich II. bezeugen, italienische Erzeugnisse in Preußen heimisch zu machen. Wie programmatisch sein Handeln diesbezüglich ist, wird weiter unten ersichtlich, und zwar in Bezug auf das Einwerben italienischer Maler in bewusster Absetzung von der herrschenden Meinung, nur Frankreich weise Wertvolles auf dem Gebiet der Kultur auf. Der König zeigte in der Tat eine ganz besondere Neigung für italienische Delikatessen und besonders für Trüffel und Bottarga,107 um die ihn Friedrich, der auf den Geschmack gekom- men war, ganz besonders und ausdrücklich bittet.108 Es handelt sich bei dieser auch als ‚sardinischer Kaviar‘ bekannten Delikatesse um gesalzene und ge- trocknete Rogen von Meeräsche, Thunfisch oder Schwertfisch, die man zu salamiartigen Blöcken verarbeitet. Die Lieferungen dieser Köstlichkeit hörten auch nach Algarottis Rückkehr nach Italien 1753 nicht auf, der die letzte Sendung Bottarga wenige Monate vor seinem Tod an den preußischen Hof schickte.109

104 Algarotti: Opere, Bd. IX, S. 184–189: 185; s. hierzu Heitmann: Ein Bewunderer, S. 70. 105 Brief Friedrichs an Algarotti, 25. November 1749, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 72.

106 Brief Algarottis an Friedrich, 24. November 1749, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 71 f.: 71.

107 U. a. im Brief Algarottis an Friedrich, 2. Mai 1750, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 75 f.: 75; s. hierzu Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 106, 160, 178. 108 „Envoyez-moi la boutargue quand vous pourrez“, Brief vom 25. März 1753, Friedrich:

Œuvres, Bd. XVIII, S. 88 f.: 88. 109 Brief Algarottis an Friedrich, Brief aus Pisa vom 9. März 1764, Friedrich: Œuvres,

Bd. XVIII, S. 128 f., aber passim im ganzen Briefwechsel.

32 Algarottis Geist und kultivierte Konversation sind allerdings ebenso stark gefragt wie seine Vermittlerdienste. Während der drei Jahre (1750–1753), in denen die legendäre Tafelrunde in Sanssouci den Roi Philosophe in ganz Europa berühmt machte, ist er einer der beliebtesten Gäste am königlichen Tisch. In Menzels Gemälde Friedrich der Große in Sanssouci wird eine dieser idealen Begegnungen festgehalten, und man sieht, wie Algarotti, über den Tisch vornüber gebeugt, gespannt auf die Äußerung des ihm gegenüber sitzenden Voltaire wartet.110 Das Bild scheint die begeisterten Äußerungen Algarottis umzusetzen, mit denen er Voltaires Beitrag in der Tafelrunde in einem Brief vom 9. Mai 1751 an einen nicht identifizierten Grafen beschreibt:

che si direbbe, una cena senza di lui [Voltaire] esser quasi un anello senza gemma. Udirlo e leggerlo è una cosa. I pensieri gli spruzzano di bocca vivi e frizzanti, come da’ corpi elettrici per eccesso e stuzzicati escon faville e fiocchi di luce.111

Es mehren sich jedoch die Anzeichen, dass es mit Algarottis Gesundheit nicht zum Besten steht und Beschwerden werden immer öfter zum Thema der Briefe, auch an den Bruder Bonomo.112 Von „Selterwasser“ und der „Brühe von Vipern“, einem noch heute bewährten homöopathischen Mittel gegen aufgeblähten Bauch, liest man. Auch Friedrich, wie er es auch in den Briefen an den kränkelnden Fredersdorff tut, geizt nicht mit Ratschlägen, wie sein ‚Paduaner Schwan‘ seine Gesundheit wiederherstellen kann, indem er ihm eine strenge Diät, besonders das Vermeiden von Gemüse, sowie geistige Zerstreuung anrät.113 An letzterer mangelt es Algarotti wahrlich nicht, denn seine Berliner Jahre sind in der Tat durch eine äußerst rege eigene literarische und essayisti- sche Tätigkeit gekennzeichnet, denen er parallel und mindestens genauso intensiv nachkommt wie den unterschiedlichen Aufgaben als Ratgeber und Commissionaire des Königs. Eine nicht unbedeutende Rolle spielt er diesbezüglich auf dem Gebiet der Musik: Nicht nur wird er vom König u. a. zur Abfassung des Librettos für seine Oper Coriolano herangezogen,114 sondern seine Erfahrungen fließen

110 Vgl. den Beitrag von Jürgen Kloosterhuis: „Die revidierte „Tafelrunde“. In: Unfer Luko- schik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 27–37. 111 Brief Algarottis aus Potsdam, 9. Mai 1751, in: Algarotti: Opere, Bd. IX, S. 184–189: 187.

112 S. z. B. den Brief Algarottis an Bonomo, aus Potsdam, 1. November 1749, zitiert nach Treat: Un cosmopolite italien, S. 157.

113 Brief Friedrichs an Algarotti, 1. September 1749, Œuvres, Bd. XVIII, S. 61 f. 114 Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 263 und 329.

33 unverkennbar ein in seinen 1755 verfassten Saggio sopra l’opera in musica, der zum berühmtesten musikalischen Traktat seiner Zeit wurde.115 Die vielleicht bedeutendste Rolle spielt er jedoch auf dem Gebiet der Bildenden Künste und der Architektur. Es würde den Rahmen vorliegenden Aufsatzes sprengen, ginge ich hier auf Algarottis Beziehung zu Tiepolo116 oder auf seine theoretischen Schriften zur Kunst ein,117 mit denen er – genauso wie mit seiner Vermittlertätigkeit – maßgeblich zur Ausformung neoklassizistischer Kunst, besonders in Großbri- tannien, beitrug.118 Einige Bemerkungen zu diesem Themenkomplex scheinen mir dennoch, auch in der gebotenen Kürze, an dieser Stelle angebracht zu sein. Zu einem der größten Verdienste Algarottis gehört seine Tätigkeit auf dem Gebiet der Vermittlung von Kunstwerken und Künstlern aus Italien nach Preußen. Algarottis Brief vom 13. August 1750 an den Bruder Bonomo in Venedig, um nur ein Beispiel unter den zahlreich möglichen zu nennen, belegt seine erfolgreiche Bemühung um die Erteilung des Auftrags für die Marmor- gruppe, die den Hochaltar der Berliner Hedwigskirche schmücken sollte, an den Belluneser Bildhauer Giovanni Marchiori (1696–1778). Dieser schuf dann in Venedig eigens für diese Kirche die vom Kardinal Angelo Maria Querini 1750 gestiftete Gruppe des Noli me tangere.119 Nicht minder erfolg- reich sind Algarottis Bemühungen, italienische Maler wie den Veroneser Pietro Rotari (1707–1762) und die Venezianer Rosalba Carriera (1675–1757)

115 S. hierzu Reinhard Wiesend: Opernreform und Theaterbau bei Francesco Algarotti. In: Florian Fiedler (Hrsg.): Opernbauten des Barock. Internationale Tagung des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS und der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlös- ser, Gärten und Seen. Bayreuth 25.–26. September 1998. München: Lipp 1999 (= Hefte des Deutschen Nationalkomitees ICOMOS 31), S. 100–103. 116 Francis Haskell: Patrons and Painters. A Study in the Relations Between Art and Society in the Age of Baroque. Revised and Enlarged Edition. New Haven, London: Yale University Press 1980, S. 347–360; Ivana Miatto: Alcuni documenti inediti sullo stretto sodalizio tra Francesco Algarotti e Giambattista Tiepolo. In: Ricerche di Storia dell’arte, n. 61 (1997), S. 93–102. 117 Hierzu Claudia Schrapel: Johann Dominicus Fiorillo. Grundlagen zur wissenschaftsge- schichtlichen Beurteilung der „Geschichte der zeichnenden Künste in Deutschland und den vereinigten Niederlanden“ (= Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 155), Hildesheim: Olms 2004 und Giuliano Ercoli: Francesco Algarotti e la nuova critica d’arte nella seconda metà del Settecento. Roma 1977. 118 S. Paolo Zanardi: Le arti della pace. Thomas Hollis e Francesco Algarotti. In: Andrea Gatti (a cura di:): Filosofia, scienza, storia: il dialogo fra Italia e Gran Bretagna. Atti del Convegno Internazionale di Studi „Filosofia, Scienza, Storia – il Dialogo fra Italia e Gran Bretagna nel XVIII Secolo“. Ferrara 3–4 giugno 2004. Padova: Poligrafo, 2005 S. 57–64. 119 Giuseppe Campori (Hrsg.): Lettere artistiche inedite. Modena: Soliani 1866, Brief Nr. 241, S. 201. s. hierzu Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 286–289, mit einem Photo, auf dem die im zweiten Weltkrieg zerstörte Gruppe noch zu sehen ist.

34 und Giuseppe Nogari (1699–1763) gegen die übermächtige französische Prä- senz zu unterstützen. So schreibt er an seinen Korrespondenten in Rom Flami- nio Scarselli (1705–1776):

Io voglio pregarla di un altro favore, e questo è di mandarmi un breve catalogo de’ professori più distinti nelle belle arti che sono oggi in Roma; cioè statuari, architetti e pittori italiani, dico italiani, non volendo comprendervi i francesi di cotesta accademia francese.120

Und noch expliziter wird das programmatische Handeln Algarottis, wenn man folgende Passage in einem Brief an den Bruder Bonomo liest:

Mi piace di udire che il Marchiori sia per metter mano all’opera, la quale vi raccomando anche per l’onor dell’Italia, perché qui generalmente credono hors de Paris point de salut.121

Ihm geht es aber nicht allein um Namen, sondern auch um eine bestimmte Kunstrichtung, die klassizistischen Idealen verpflichtet ist. In diesem Sinne verwendet er sich für das Anwerben von Bildern Francesco Zuccarellis, des Stars unter den damaligen Landschaftsmalern des Klassizismus, für die Gale- rie in Sanssouci Cicerone scopre la tomba di Archimede und Sileno con le Ninfe. Es handelt sich um zwei Bilder, die Francesco Zuccarelli, ebenfalls dank der Vermittlung Algarottis, für den Dresdner Hof zwischen 1743 und 1745 gemalt hatte und die leider verloren gegangen sind. Die für Friedrich II. gemalten Repliken dieser Bilder sind noch jetzt in Sanssouci, beide im Zwei- ten Gästezimmer, zu bewundern.122 Ferner versucht er, den König dazu zu bewegen, bei dem beabsichtigten Auftrag zu einem Mosaikbild, ein Gemälde von Albani, Dominichino oder Reni als Vorlage zu wählen:

Il re mi ha commesso di domandare a che somma potrebbe montare un quadro di mosaico di cinque piedi in circa di altezza e sei di larghezza, con due o tre figure del più finito lavoro che aver si potesse. Il soggetto vorrebbe esser vago e profano con un bel campo di architettura. E forse si troverà costì un quadro di Guido o dell’Albani o del Domenichino con simili requisiti. […].123

120 Algarotti: Opere, Bd. XIII, S. 206–208: 207 f. Der Abt Flaminio Scarselli war zu dieser Zeit in der Bologneser Gesandtschaft beim Papst tätig und ist einer der wichtigsten Korrespon- denten Algarottis in Rom, den er zum Kauf von Kunstwerken und für weitere Aufträge im Namen des Preußenkönigs beansprucht. 121 Brief Algarottis an den Bruder Bonomo, 5. September 1749, Biblioteca Comunale Treviso, MS 1256 A. 122 Inv. 5663 und 5661. Zu Zuccarelli s. jetzt Federica Spadotto: Francesco Zuccarelli. Milano: Alfieri 2007. 123 Brief Algarottis an Scarselli, Potsdam, 13. März 1751, Opere, Bd. XIII, S. 216–218: 216.

35 Sollte das Gewünschte nicht vermittelbar sein, so schlägt Algarotti seinem Korrespondenten vor, den damals sehr bekannten Maler Pompeo Girolamo Battoni (o Batoni) (1708–1787)124 einzubeziehen, dem der König in der Tat im Laufe der Jahre einige Aufträge zur Reproduktion von italienischen Bil- dern, besonders für Kunstübungen an seiner Akademie, erteilte:

S’ella potesse aggiungere una relazioncina delle opere più cospicue fatte da alcuni anni in qua in mosaico, mi farebbe piacer moltissimo. Caso che non si trovasse un quadro de’ sopraddetti maestri, se ne potrebbe ordinare uno al Battoni, la cui maniera […] mi pare molto bella, e sarebbe il caso pel gusto del re.125

Noch bedeutender war die Rolle Algarottis am Hofe Friedrichs als Vermittler zwischen England, Italien und Preußen im Hinblick auf Werke der Architektur. Schon vor seiner Thronbesteigung war Friedrich mit dem Werk Palladios und dem seiner Schüler in Berührung gekommen. Bereits in seiner Kronprin- zenzeit hatte er den 1737 aus Italien zurückgekehrten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699–1753)126 mit dem Ausbau des Rheinsberger Schlosses zu einer Dreiflügelanlage mit einer den Hof zum See abschließenden Kolonnade nach Palladios Bauten beauftragt.127 Die bedeutendste Vermittlung italieni- scher Werke der Außenarchitektur erfolgte aber durch Francesco Algarotti, der, neben Knobelsdorff, der wichtigste Berater des Königs auf dem Gebiet der Baukunst war. Der Venezianer war kein einfacher Commissionaire, son- dern in Person in die damaligen kunsttheoretischen Diskussionen um eine neue Architektursprache involviert, die sich von den als überflüssig empfun-

124 Hans-Joachim Giersberg, Claudia Meckel (Hrsg.): Friedrich und die Kunst. Katalog der Ausstellung zum 200. Todestag Potsdam, Neues Palais in Sanssouci, 19. Juli- 12. Oktober

1986. Potsdam: Generaldirektion der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam / Sanssou- ci SPSG 1986, Sektion VII: Friedrich II. als Sammler von Gemälden. S. ferner Anthony M. Clark (Hrsg.): Pompeo Batoni: a Complete Catalogue of His Works with an Intro- ductory Text. Oxford: Phaidon 1985 und jetzt Edgar Peters Bowron, Peter Björn Kerber: Pompeo Batoni. Prince of Painters in Eighteenth-Century Rome. In conjunction with the Exhibition Pompeo Batoni: Prince of Painters in Eighteenth-Century Rome, Museum of

Fine Arts, Houston 21. 10. 2007 – 27. 1. 2008; National Gallery, London 20. 2. – 18. 5. 2008.

New Haven [u. a.]: Yale Univ. Press [u. a.] 2007, besonders S. 89–95, ohne jedoch Erwäh- nung Algarottis als Vermittler. 125 Brief Algarottis an Scarselli, Potsdam, 13. März 1751, Opere, Bd. XIII, S. 216–218: 217. 126 Algarottis Begeisterung für Palladio fiel auf fruchtbaren Boden, denn schon Knobelsdorff

hatte sich einer „palladianischen Formensprache“ bedient u. a. um 1734 beim Apollotempel im Amaltheagarten in Neuruppin und später in Rheinsberg, als er kurz nach seiner Rück- kehr aus Italien im Frühjahr 1737 den Ausbau des Schlosses übernommen hatte, vgl. Tilo Eggeling: Knobelsdorffs malerischer Geschmack – „gout pittoresque“. In: Ute-G. Weick- ardt (Hrsg.): Zum Maler und zum großen Architekten geboren – Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699–1753). Berlin: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg 1999, S. 21–53: 33 und S. 226–228. 127 Giersberg: Die Bauten Friedrich des Großen, S. 58.

36 denen Zierraten des Rokoko befreite und einer klareren, rationaleren Linien- führung verpflichtet waren. Im kritischen Einklang mit den Lehren seines einstigen Praeceptor Carlo Lodoli (1690–1761) und, wie oben angeführt, im regen Austausch mit den ausschlaggebenden Vertretern des Neopalladianis- mus in England, wird Algarotti zu einem der bedeutendsten Vermittler und Divulgatoren klassizistischer Gedanken in Europa. Im Jahre 1757 wird er schließlich seine in vielen Briefen geäußerten Gedanken in die Abhandlung Saggio sopra l’architettura einfließen lassen, die seine Überlegungen einem breiteren Publikum zugänglich macht. In dieser Schrift zählt er Friedrich II. zu den aufgeklärten Herrschern, die sich um die neue architektonische Sprache verdient gemacht haben, welche Palladios Gedanken und Inigo Jones Über- legungen zu vereinbaren wusste.128 Dazu, dass es zur rühmlichen Erwähnung Friedrichs in diesem Zusammenhang kommt, hat der Autor selbst intensiv bei- getragen. Schon wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Preußen, beginnt sich sein Einfluss auf die architektonischen Pläne Friedrichs in Bezug auf die Neugestaltung Berlins aber besonders Potsdams, bemerkbar zu machen, in- dem er den König nachhaltig für die italienische Architektur (nicht nur) im Stil Palladios zu begeistern weiß. In diesem Zusammenhang schlägt er Brücken nicht nur zwischen Italien und Preußen, sondern er bezieht in den Austausch auch England mit ein. Dank der Vermittlung Algarottis sendet der führende Vertreter der englischen Palladio-Renaissance, Lord Richard Boyle, zu dessen Kreis in England er gehört hatte, dem König 1751 seine Ausgabe von Palla- dios Terme dei Romani und weitere architektonische Zeichnungen.129

Darüber hinaus lässt der Venezianer für Friedrich berühmte Stiche – u. a. von Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) – bekannter italienischer Bauten aus dem italienischen Spätbarock, besonders Ferdinando Fugas (1699–1781), direkt aus Italien kommen, was die erfreute Reaktion Friedrichs auslöst:

J’ai reçu votre lettre du 4 de ce mois. Je trouve fort bon que vous fassiez venir de Rome ces dessins du palais Pitti, et de Venise le nouveau Palladio; c’est un soin dont je vous suis obligé. Je placerai volontiers ces ouvrages dans ma biblio- thèque. Tout ce qui est bon a chez moi droit de bourgeoisie, et vous savez que je n’ai là-dessus de préjugés ni pour les pays, ni pour les auteurs. […].130

Beim hier erwähnten „neuen Palladio“ handelt es sich um die Ausgabe des Hauptwerks Quattro Libri dell’Architettura, an welcher Algarotti mitgewirkt hatte und die in Venedig von Francesco Muttoni mit französischer Überset-

128 Annamaria Gabbrielli: L’Algarotti e la critica d’arte in Italia nel Settecento. In: Critica d’Arte (1938), S. 156. 129 Brief Algarottis an den König vom 13. Dezember 1751, s. hierzu Unfer Lukoschik (Hrsg.):

Italienerinnen und Italiener, Dokumentationsteil, S. 135 f. 130 Brief Friedrichs an Algarotti, Potsdam, 6. August 1751, Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII,

S. 80 f., hierzu Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 132–135.

37 zung bei Pasinelli zwischen 1740 und 1748 herausgegeben wurde.131 Diese Ausgabe befindet sich heute noch in der Bibliothek des Neuen Palais in Potsdam. Der Wunsch des Königs, der niemals nach Italien hatte fahren dürfen bzw. können, die schönsten italienischen Paläste zumindest als Stiche zu se- hen, bringt Algarotti nicht selten in Bedrängnis, wie dies in Bezug auf Archi- tekturwerke Genuas geschieht. In einem Brief bittet er Girolamo Curlo, ihm Stiche von berühmten Genueser Palästen, Kirchen und „alles, was mit Archi- tektur zu tun hat“ zu schicken:

Egli mi ha data commissione di fargli venire le stampe de i palazzi che ornano la sua bella Patria, che hanno fatto anche ultimamente tanto onore al valore, e al nome Italiano. Io gli risposi che veramente non mi era noto che di codesti Palazzi, così degni di andare in Istampa, vi fossero stampe; ma che avrei scritto a Lei, che certamente me le avrebbe mandate, se ce ne fossero […] Se vi fossero stampe di chiese le mandi ancor esse, così di qualche Palazzo di Campagna: insomma di tutto ciò che si appartiene all’architettura.132

Doch dieser Wunsch bleibt unerfüllt. Mehr Glück hat er mit Zeichnungen berühmter Bauten in Florenz, Rom und Venetien, die Algarotti sich dank eines ausgedehnten Netzes verschiedener, besonders zuverlässiger und engagierter Mittelsmänner in Venedig (darunter der Bruder Bonomo), Rom (darunter der Abt Flaminio Scarselli) und Florenz nach Berlin kommen lässt.133 Bisweilen greift er selbst zur Feder und zeichnet für den König historische Gebäude aus dem Gedächtnis. So schreibt derjenige, den Friedrich schon zu Rheinsberger Zeiten als „Le Bernin pour les bâtimens“ apostrophiert hatte, in einem Brief vom 9. August 1749 an den König:

Voici quelques esquisses de maisons que j’ai tracées, Sire, crasso penicillo, afin que V. M. pût avoir des mouches pour celles qu’elle a déjà fait bâtir […]. Celle qui est au milieu des trois, est la maison que Palladio s’est bâtie pour lui-même et que l’on voit à Vicence. je me la suis rapellée, et je crois, Sire, qu’elle feroit un

131 Markus Becker: Sammlung und Capriccio: der friderizianische Alte Markt in Potsdam. Unveröff. Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin, Phil. Fak. III, Kunstgeschicht- liches Seminar, 2004, S. 22., die mir Herr Becker freundlicherweise zur Einsicht überlassen hat. 132 Brief Algarottis an Girolamo Curlo, Berlin, 20. November 1751, veröffentlicht in: A. Neri: Una lettera inedita di Francesco Algarotti. In: Giornale linguistico, XII (1885), H. 7–8, S. 297. 133 Vgl. hierzu Hans-Joachim Giersberg: Friedrich als Bauherr. Studien zur Architektur des

18. Jahrhunderts in Berlin und Potsdam. Berlin: Siedler 1986, S. 231 f.; Susanna Pasquali: Francesco Algarotti, Andrea Palladio e un frammento di marmo di Pola. In: Annali di Architettura, 2 (2002), S. 159–166: 159 und Becker: Sammlung und Capriccio, unveröff.

Magisterarbeit, S. 21 f.

38 joli effet pour un petit terrain, et qu’elle répandrait de la variété dans le tout, sans trop sortir du goût des autres bâtiments.134

Das Interesse des Königs bleibt nicht nur eine Laune müßiger Stunden, sondern fließt unmittelbar in die rege Bautätigkeit ein, die er während seiner gesamten Regierungszeit von 1740 bis 1786 unter eigener, strenger Aufsicht vorantreibt. Friedrich II. befasste sich nämlich so intensiv mit dem Bauwesen seines Landes, dass „bei nahezu allen Bauten […] sich eine unmittelbare Einflussnahme des Königs nachweisen (lässt).“ Er legte nicht nur die aufzu- wendenden finanziellen Mittel fest, sondern bestimmte „was, wann, wie und wo gebaut wurde“135 und von wem, denn er wählte die Baumeister aus und wachte über die Ausführung der jeweiligen Vorhaben, die er besonders in Potsdam realisieren ließ. Während die Ausgestaltung des Innenbaus und die ‚pittoresken Architekturen‘ der Gartenanlagen und Gärten in der Regel eine Domäne französischer Künstler blieb,136 gehörte des Königs besondere Vor- liebe Werken der italienischen Außenarchitektur, in der sich Friedrichs Liebe zum römischen Italien niederschlägt.137

134 Brief Algarottis an den König, Potsdam 9. August 1749, Algarotti: Opere, Bd. XV: S. 112– 113: 112 und Friedrich: Œuvres, Bd. XVIII, S. 59. Algarotti war auf dem Gebiet der Bildenden Künste nicht nur als Theoretiker, Sammler und Vermittler tätig, sondern ver- suchte sich selbst als Maler und Zeichner. Über die Zeichnungen Algarottis geben Auskunft Alberto Craievich: „Avendo l’arte sua per fine principalissimo il diletto“: note su alcuni disegni di Francesco Algarotti. In: Arte Veneta. Rivista di storia dell’arte, 60 (2003), S. 168– 185, mit zahlreichen Abbildungen von Algarottis Zeichnungen; ferner Maria Santifaller: Alcuni „griffonages“ su stagno di Francesco Algarotti e la grafica di Giambattista Tiepolo. In: Arte Veneta 31 (1977), S. 135–144 sowie Ivana Miatto: Alcuni documenti inediti sullo stretto sodalizio tra Francesco Algarotti e Giambattista Tiepolo. In Ricerche di Storia dell’arte, 61 (1997), S. 93–101, ebenfalls mit Abbildungen aus Algarottis Zeichnungen. 135 Hans-Joachim Giersberg: Die Bauten Friedrich des Großen. In: Friedrich der Große: Sammler und Mäzen. Ausstellungskatalog München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, 28. November 1992–28. Februar 1993. Hrsg. von Johann Georg Prinz von Hohenzollern.

München: Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung / Hirmer 1992, S. 52–82: 52. 136 Tilo Eggeling: Knobelsdorffs malerischer Geschmack – „goût pittoresque“. In: Ute- G. Weickardt (Hrsg.): Zum Maler und zum großen Architekten geboren. Georg Wenzeslaus

von Knobelsdorff (1699–1753). Ausstellung zum 300. Geburtstag, Berlin, 18. Februar – 25. April 1999. Berlin: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

1999, S. 21–53: 33 f. 137 S. zu diesem Thema Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, Abschnitt II Friedrich II. und Italien – Die Architektur und Abschnitt III Francesco Algarotti mit weiterführender Literatur. Ferner Martin Engel: Das Forum Fridericianum und die monu- mentalen Residenzplätze des 18. Jahrhunderts. Phil. Diss. FU Berlin 2001, Druck online 2004, , sowie Markus Becker: Samm- lung und Capriccio: der friderizianische Alte Markt in Potsdam. In: Brunhilde Wehinger (Hrsg.): Geist und Macht. Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturge- schichte. Berlin: Akademie Verlag 2005, S. 211–224, Dieser Aufsatz basiert auf der oben zitierten, unveröffentlichten Magisterarbeit von Markus Becker: Sammlung und Capriccio.

39 Am 4. August 1751 schreibt Algarotti dem König:

Selon les ordres de V. M. j’ai écrit, Sire, pour le palais Pitti, et pour le nouveau Palladio qu’on imprime à Venise; et j’espère que V. M. voudra faire aux archi- tectes de Venise le même honneur qu’elle a fait à ceux de Rome et de Versailles, de naturaliser, pour ainsi dire, quelques-unes de leurs productions, et de les entremêler aux siennes. Potzdam va devenir une école d’ architecture, autant qu’il est une école de guerre […].138

Dieser Wunsch Algarottis blieb diesmal nicht unerfüllt. Zuerst bemüht, seine architektonischen Pläne in Berlin zu verwirklichen, lässt sich Friedrich für seinen ersten repräsentativen Bau, die Königliche Oper, vom zwischen 1717 und 1725 erschienenen Vitruvius Britannicus inspirie- ren, der Sammlung von Stichen berühmter englischer Bauwerke des Architek- ten Colin Campbell (um 1676–1729), eines der wichtigsten Architekturwerke des englischen klassizistischen Palladianismus, einer Stilrichtung, die für die Baupolitik Friedrichs II. sehr prägend wird. Friedrich lässt ferner Bauten erschaffen, die an das römische Pantheon angelehnt sind, eines der Lieblings- projekte des Königs, da ihm dieses klassische Bauwerk, das, wie der Name besagt, allen Göttern gewidmet war, zum Bedeutungsträger seiner Toleranz- vorstellungen wurde, für deren Verwirklichung er sich unermüdlich einsetz- te.139 Nach diesem Modell sind die Hedwigskirche (1747–1778)140 in Berlin und die Französische Kirche (1751–1753) in Potsdam sowie der Marmorsaal im Schloss Sanssouci in Potsdam gebaut. In diesem vom Pantheon inspirierten runden Raum sollte nicht nur der Gedanke der Toleranz zum Ausdruck kom- men, sondern auch die philosophische Freiheit schlechthin versinnbildlicht werden, denn die Gäste sollten sich hier frei fühlen, die eigene Meinung zu äußern und zu vertreten.141 Auch beim Gendarmenmarkt ließ sich Friedrich von italienischen Vorbildern inspirieren: die symmetrischen Kuppelbauten der französischen und der deutschen Kirche orientierten sich u. a. an den symmetrischen Kuppelbauten der Piazza del Popolo in Rom.142

138 Brief Algarottis an Friedrich II., Potsdam, 4. August 1751, Œuvres, Bd. XVIII, S. 80. 139 Giersberg: Die Bauten Friedrich des Großen, S. 72 und ders.: Friedrich als Bauherr, S. 235– 242. 140 In Bezug auf die Geschichte des Baus der ersten katholischen Kirche in Berlin und der großen Rolle, die Algarotti darin spielte verweise ich auf den einschlägigen Anschnitt des von mir herausgegebenen Bandes Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 286–289. 141 Giersberg: Friedrich als Bauherr, S. 235–242: 240, und ders.: Schloss Sanssouci: die Sommerresidenz Friedrichs des Großen. Berlin: Nicolai 2005, S. 51. 142 Giersberg: Die Bauten Friedrich des Großen, S. 76. Laurenz Demps: Der Gensd’armen- Markt. Gesicht und Geschichte eines Berliner Platzes. Berlin: Henschel 1987, S. 143–188,

Giersberg / Ibbeken: Schloss Sanssouci, sowie Peter Goralczyk: Der Platz der Akademie in Berlin. Berlin: Verlag für Bauwesen 1987, S. 49–93.

40 Zu Anfang der fünfziger Jahre richtet sich das Interesse des Königs auf Potsdam. Hier entsteht mit dem Schloss Sanssouci ein „Musterbeispiel italie- nischen Kultureinflusses in Deutschland“: ein Bau, der das Landhaus der Re- naissance-Toskana übernahm, in den Anregungen aus Palladios Villa Rotonda in Vicenza einfließen und der Anlehnungen an das Pantheon erkennen lässt.143 Seit den frühen fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts geht der König ferner dazu über, so wie es sich Algarotti im weiter oben erwähnten Brief vom 4. Au- gust 1751 erhofft hatte, Potsdams Stadtbild durch den Bau von italianisierenden Palastfassaden (ca. 616 in seiner Regierungszeit) attraktiver zu gestalten, die er für öffentliche Gebäude und neu gebaute Bürgerhäuser errichten lässt bzw. vorschreibt. So entstehen, neben vielen Fassaden nach Palladio, auch Imitatio- nen nach Sebastiano Serlio (1475–1554),144 Michele Sanmicheli (1484–1559),145 Francesco Fontana (1668–1708) und Ferdinando Fuga (1699–1781) sowie Maskenbauten nach berühmten römischen Gebäuden wie dem Palazzo Barbe- rini, der Kirche Santa Maria Maggiore, dem Palazzo della Sagra Consulta, der Dogana di Terra146. Als Vorlagen für ihre Realisierung dienten oft vom König eigenhändig skizzierte Hausfassaden, deren Vorbilder jene Stiche von italienischen Paläs- ten der Renaissance und des Barock und Werke des englischen klassizisti- schen Palladianismus waren, die ihm Algarotti vermittelte. Diese ließ Fried- rich II. in kleinerem Format ausführen, so dass, auf diese Weise, wie Heinrich Ludwig Manger (1728–1790) in seiner 1789–1790 erschienenen Baugeschichte von Potsdam schreibt, „aus Bürgerhäusern Palläste in Mignatür (entstanden), die an andern Orten kolossal aufgeführt sind“.147 Bedauerlicherweise haben

143 Otto-Ernst Schüddekopf: Das preußische Rom. Italienische Kultureinflüsse in Berlin. In: Tausend Jahre deutsch-italienischer Beziehungen. Die Ergebnisse der deutsch-italieni- schen Historikertagungen 1953–1959. Braunschweig: Limbach 1960 (= Schriftenreihe des internationalen Schulbuchinstituts 5), S. 205–220. 144 Nach Friedrich Nicolai (Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend. Dritte, völlig umgearbeitete Auflage. Berlin: Nicolai 1786. In: ders.: Sämtliche Werke, Briefe, Doku- mente. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Hrsg. v. Philipp M. Mitchell. Bd. 8. Historische

Schriften I. 2 Teile. Bearb. v. Ingeborg Spriewald. Bern u. a.: Lang 1995. T. I, S. 719) war das „Kraazische Haus“ in Potsdam „im Geschmack des Serlio in dorischer Ordnung […] nach einer Zeichnung von einem Landhaus in England gebaut“. 145 Nach Sanmichelis Palazzo Pompei in Verona wurde das leider zerstörte Gasthaus zum Rothen Adler in der Humboldtallee Nr. 6 durch Chr. L. Hildebrant 1754 errichtet, s. hierzu

Friedrich Mielke: Das Bürgerhaus in Potsdam. Textteil. Tübingen: Wasmuth 1972, S. 322 f. 146 Die Kolonnaden, durch die Francesco Fontana 1695 den Hadriantempel in die Dogana di Terra umgestaltete, wurden bei zwei leider 1958 abgerissenen Häusern in der Nauner Str. 26–27 integriert, s. Mielke: Das Bürgerhaus in Potsdam, Textteil, S. 326–328. 147 Heinrich Ludwig Manger: Baugeschichte von Potsdam, besonders unter der Regierung König Friedrichs des Zweiten. 3 Bde. Berlin, Stettin: Nicolai 1789–1790. Reprint Leipzig: Zentralantiquariat der DDR 1987, Bd. 1, S. 170.

41 fast alle diese Gebäude die letzte Kriegs- und Nachkriegszeit nicht überstan- den, so dass man diese italienische Kunstlandschaft nur noch in zeitgenössi- schen Stichen bewundern kann. Ein ausgezeichnetes Beispiel liefert hier die Gestaltung des Platzes Am Alten Markt, der das damalige städtische Zentrum Potsdams war. Es erhielt nach 1750 mehrere neue Gebäude z. T. nach italienischen Vorbildern: das Rathaus, nach Palladios nicht verwirklichtem Entwurf für den Palazzo Anga- rano in Vicenza, rechts davon der Palast Barberini, von Carl von Gontard (1731–1791) nach dem gleichnamigen Palazzo in Rom 1771–1772 errichtet, links vom Rathaus die Nikolaikirche (Knobelsdorff, 1753), die eine Schau- fassade nach dem Vorbild der von Ferdinando Fuga erbauten Kirche Santa Maria Maggiore in Rom erhielt. ‚Römisch‘ sollte der Platz auch durch den in seiner Mitte aufgerichteten Obelisken (Knobelsdorff, 1753–1755) wirken.148 Den II. Weltkrieg und die Nachkriegszeit überdauerten nur der Obelisk und das Rathaus.149

Das Ende

Trotz (oder vielleicht gerade wegen) der hektischen Betriebsamkeit, zu der er von seinem König getrieben wird, macht sich bei Algarotti der Wunsch, wieder nach Italien zurückzukehren, immer stärker bemerkbar.150 Seine Ge- sundheit ist angegriffen und die Meldungen über seine zunehmenden körper- lichen Leiden nehmen in seinen privaten Briefen an den Bruder immer größe- ren Raum ein, bis er sich gezwungen sieht, 1753 das Gesuch um Abschied vom preußischen Hof einzureichen. Von Italien aus, wo er sich in Bologna, Venedig und Pisa aufhält, pflegt Algarotti aber weiterhin seine Kontakte mit dem fernen Preußen und die Verbindung mit Friedrich reißt auch diesmal nicht ganz ab, obgleich der Ton im Laufe der Jahre merklich abkühlt und der König die letzten Briefe durch De Catt beantworten lässt. Kontinuierlich und beharrlich bringt sich Algarotti jedoch bis unmittelbar vor seinem Tod auf mannigfaltige Weise ein, besonders indem

148 An einen weiteren Bau Fugas, den Palazzo della Sagra Consulta des Kardinals Quirini, ist in Potsdam das Prediger- und Schulhaus angelehnt. Vgl. zu diesem Themenkomplex Becker: Sammlung und Capriccio, S. 213, mit weiterführender Literatur. 149 Giersberg: Die Bauten Friedrich des Großen, S. 72, Hans-Joachim Giersberg, Adelheid Schendel: Potsdamer Veduten. Stadt- und Landschaftsansichten vom 17. bis 20. Jahr- hundert. Potsdam-Sanssouci: Generaldirektion der Staatlichen Schlösser und Gärten 1984, S. 27–32.

150 S. z. B. den Brief an Bonomo vom 17. Januar 1751, Biblioteca Comunale Treviso, zitiert nach Treat: Un cosmopolite, S. 159.

42 er dem König Zeugnisse italienischer Kultur schickt. Neben der von Friedrich so geliebten Bottarga sendet er Bücher, wie die Geschichte der Musik von Martini, eigene Werke mit Widmung an den König und Warenmuster von kostbaren Materialien z. B. für Wandteppiche oder Mosaikarbeiten, Musik und sizilianischen Marmor151. Besonders begierig ist Friedrich, „Reliquien“ aus dem kurz zuvor entdeckten Herculaneum, „le phénomène de nôtre Siecle“, wie es Friedrich nennt, zu bekommen, wie er dem fernen Freund schreibt:

Si vous allez à Herculaneum, tâchez, s’il se peut, de m’en apporter quelque bloc de marbre, comme les Juifs qui reviennent de la Palestine apportent de la terre où était leur temple à leurs confrères.152

Ferner sendet Algarotti Statuen bzw. Büsten sowie Kopien von Skulpturen aus der römischen Antike, Blöcke von Carrara-Marmor für anzufertigende Skulp- turen, Säulen bzw. Säulenteile.153 Von Italien aus wird er sich – im regen Austausch mit dem Sekretär der Königlich-Preußischen Akademie der Wis- senschaften, Formey – u. a. um die Vermittlung zwischen der Berliner Aka- demie und der Accademia delle Scienze dell’Istituto in Bologna verdient machen.154 Eine beachtenswerte, in der Forschung bislang sehr wenig gewürdigte Rolle spielt Algarotti nach seiner Rückkehr nach Italien als Fürsprecher Friedrichs. Schon während seiner Aufenthalte in Preußen hatte der Venezianer für den regen Austausch zwischen beiden Ländern gesorgt und sich sehr enga- giert am Entstehen eines italienischen Mythos um den Preußenkönig beteiligt. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Haltung gegenüber Friedrich in Italien in diesen Jahren ambivalent ist und bleibt. Neben den lobenden Erwähnungen des Roi Philosophe als Beschützer der Künste und Wissenschaften finden sich harsche Attacken gegen den „Teufel aus Preußen“155. Panegyrik wechselt sich

151 Brief Algarottis an Friedrich II., Padua, 9. August 1753, abgebildet in Unfer Lukoschik

(Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 179 f.

152 Brief Friedrich II. an Algarotti, Potsdam, 25. März 1753, Œuvres, Bd. XVIII, S. 88 f.: 89. 153 S. die Liste der aus Rom erworbenen Objekte in Matthias Oesterreich: Beschreibung und Erklärung der Grupen [sic], Statuen, ganzen und halben Brust-Stücke, Basreliefs, Urnen und Vasen von Marmor, Bronze und Bley, sowohl von antiker als moderner Arbeit, welche die Sammlung Sr. Majestät, des Königs von Preußen, ausmachen […]. Berlin: Decker 1775. Reprint Potsdam: Generaldirektion der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam- Sanssouci 1990, passim, besonders S. 42, 46, 52, 55, 85 und 117. 154 S. den Briefwechsel Algarotti-Formey in Algarotti: Opere, Bd. XVI, S. 247–393. Wahr- scheinlich, wie oben erwähnt, sind die Ernennungen der einstigen Lehrer Algarottis aus Bologna, Francesco Maria Zanotti und seines Bruders, des Astronom Eustachio, auf Algarottis Einfluss zurückzuführen. 155 S. hierzu Volker Kapp: Preußen und Italien im europäischen Kontext des 18. Jahrhunderts. In: Unfer Lukoschik (Hrsg.): Italienerinnen und Italiener, S. 41–66.

43 ab mit gehässiger Pamphletistik. Letztere nimmt bei religiös konservativen Kreisen besonders in Verbindung mit dem Siebenjährigen Krieg zu, als die heidnischen Truppen des Protestanten aus Preußen gegen die Kräfte der „guten Deutschen“, der katholischen Kaiserin Maria Theresia, antreten. Hier sei nur die handschriftliche Sammlung von Schmähgedichten auf Friedrich den Großen und Huldigungen an seine Gegnerin Maria Theresia erwähnt, die von Carlo Goldoni in Paris zusammengestellt wurde und in der Handschriften- abteilung der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt ist. In diesem Zusammenhang bringt sich Algarotti ein und schafft eine europaweit ausstrahlende Bewegung zugunsten Friedrichs, die er durch Briefe 156 und Abhandlungen alimentiert. Diesen Bemühungen entspringen u. a. seine Schrift Sopra il principio della guerra fatta al re di Prussia dall’Austria, dalla Francia, dalla Russia aus dem Jahre 1757 sowie seine Discorsi militari. Einen Höhepunkt der Bemühungen Algarottis sowohl um Kunstvermitt- lung nach Preußen wie auch um die Verteidigung von Friedrichs Rolle im Siebenjährigen Krieg bildet die Anregung, Giambattista Tiepolo möge ein Porträt Friedrichs schaffen, das an des Königs siegreiche Schlachten im Sie- benjährigen Krieg erinnere. Für diesen Anstoss weiß sich der Maler dem fer- nen Freund zu Dank verpflichtet:

per l’impegno si prende per un tal ritratto, per cui fa molto bene incoragirmi col mezzo della predetta Sua compitissima lettera, ben degna del di Lei bell’animo. Quanto bramerei poterLa godere al fianco mio, come lo è la Vittoria che se ne sta a quello del gran ritratto cui tuttavia travaglio […].157

Das leider verloren gegangene Bild sollte Friedrich zu Pferd in Lebensgröße vor dem Hintergrund des Schlachtfeldes bei Liegnitz im Jahre 1760 dar- stellen.158 Bis zuletzt hofft Friedrich, der einstige Vertraute könne wieder nach Berlin zurückkommen. Doch die Nachricht seines Todes ereilt ihn am 12. Mai

156 Eine interessante Betrachtung dieser Phase im Leben Algarottis bietet Treat: Un cosmopo- lite, S. 163–174. 157 Brief Tiepolos an Algarotti, Venedig, 4. April 1761. In: Marina Magrini: Giambattista Tiepolo e i suoi contemporanei. Lettere 16–169. In: Alessandro Bettagno, Marina Magrini: Lettere artistiche del Settecento veneziano. Vicenza: Neri Pozza 2002, S. 29–341: 267. Das Gemälde ist leider verloren gegangen, s. Mercedes Precerutti Garberi: Di alcuni dipinti perduti del Tiepolo. In: Commentari, IX (1958), S. 110–123: S. 121–123, wo es zu Unrecht vermutet wird, dass der Dargestellte Algarotti sei. 158 Brief des Polyhistors Francesco Maria Tassi (1710–1782) an den Grafen Giacomo Carrara (1714–1796), Venedig, 15. Dezember 1760, in: Alessandro Bettagno, Marina Magrini: Lettere artistiche del Settecento veneziano. Vicenza: Neri Pozza 2002, S. 246–248: 247: „[Tiepolo] deve fare […] il ritratto del re di Prussia a cavallo, grande al naturale, con la veduta della battaglia ultima dallo stesso guadagnata.“

44 1764. Als Algarotti im 52. Lebensjahr in Pisa stirbt, lässt ihm der König, wie sattsam bekannt, ein Marmordenkmal errichten, für das er eine Inschrift entwirft, die an die Zeilen seines ersten Gedichtes an den Jugendfreund aus Rheinsberger Zeiten erinnert:

Hic iacet Ovidii aemulus et Neutoni discipulus.159

In seinem Testament aber, was weit weniger bekannt ist, wird auch der Schei- dende den fernen König bedenken. Er vermacht ihm in seinem Testament160 Antoine Pesnes Bild Mädchen im Fenster, das er für eines der bedeutendsten und wertvollsten seiner Privatsammlung hielt. Das Bild kann heute noch im Neuen Palais in Potsdam bewundert werden.161 Algarotti zählte besonders in künstlerischen und architektonischen Fra- gen zu den wichtigsten Beratern des Königs, auf den er in einem über zwei Jahrzehnte lang währenden freundschaftlichen Verhältnis großen Einfluss ausübte. Von der ersten Begegnung im Jahre 1739 bis zu seinem Tod 1764 ist die Stimme des Venezianers eine durchaus starke und selbständige, die sich wie kaum eine andere für einen erfolgreichen Transfer italienischer Kultur im umfassendsten Sinne an den Preußenhof stark macht. Man darf auf die anstehende Auswertung der sehr zahlreichen noch unveröffentlichten Teile seiner Korrespondenz mit Vertretern des politischen und kulturellen Lebens Europas gespannt sein, um die tatsächliche Bedeutung des venezianischen Kosmopoliten für den Bau eines gemeinsamen Europas im Zeichen des preußisch-italienischen Austauschs adäquat erfassen zu können.

159 Tobias Garst: Ein Vorstoß zur Erneuerung der Grabmalkunst. Das Algarotti Monument im Camposanto zu Pisa und der Beitrag Friedrichs des Großen. In: Forschungen zur branden-

burgischen und preußischen Geschichte, N. F. 12 (2002), S. 175–209 und Roberto Paolo Ciardi: „Non omnis“: II monumento Algarotti nel Camposanto pisano e la tipologia illuministica della tomba. In: Artista, I, 1 (1989), S. 52–63. 160 Inv. GK I 5031. 161 Zu Algarottis Testament s. Giovanni Da Pozzo: Il testamento dell’Algarotti. In: Atti dell’Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti, CXXII (1963–1964), S. 181–193.

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