Nationale Literaturen Heute – Ein Fantom?
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Caduff · Sorg (Hrsg.) Nationale Literaturen heute – ein Fantom? Nationale Literaturen heute – ein Fantom? Die Imagination und Tradition des Schweizerischen als Problem Herausgegeben von Corina Caduff und Reto Sorg Wilhelm Fink Verlag Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. ISBN 3-7705-4011-5 © 2004 Wilhelm Fink Verlag, München Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn www.fink.de Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn INHALTSVERZEICHNIS CORINA CADUFF UND RETO SORG Zur Einführung............................................................................................ 011 NATION, NATIONALLITERATUR: THEORIE, TRADITION, GESCHICHTE JÜRGEN FOHRMANN Grenzpolitik. Über den Ort des Nationalen in der Literatur, den Ort der Literatur im Nationalen ............................................................ 023 SIGRID WEIGEL Das Phantom der Tradition ......................................................................... 035 THOMAS MACHO Phantome der Nation. Gibt es eine nationale Literatur? ................................................................... 047 MICHAEL BÖHLER Von der Karibik zu den Alpen. Das Kreolische an der Schweizer Literatur und die Alpenidylle des hölzernen Beins............................................................................................ 057 ALEIDA ASSMANN Die (De-)Konstruktion nationaler Mythen und die Rolle der Literatur ........ 075 JACQUES LE RIDER ›Nationalliteratur‹. Ein Fantom in der Rumpelkammer der Literaturgeschichte.......................... 085 MATÍAS MARTÍNEZ Imaginierte Tradition. Rudolf Borchardts ›Deutsche Nation‹........................................................... 103 6 INHALTSVERZEICHNIS SPRACHE, HERKOMMEN, NATION: POETIKEN PETER BICHSEL Eingesperrt in Sprache.................................................................................. 117 ROBERT SCHINDEL Was man versitzt, kann man nicht verstehen. Bemerkungen zum Nationalen in der Literatur ............................................ 123 KLAUS THEWELEIT Ohne Heimat. Der Start des Schreibens im Mutter- und Besatzungsradio ........................... 131 HERTA MÜLLER Wie kommt man durchs Schlüsselloch ......................................................... 141 FRIEDERIKE KRETZEN Knochenarbeit an Geistern........................................................................... 149 FLEUR JAEGGY Meine verlorene Sprache .............................................................................. 159 FLUGGESCHICHTEN ETIENNE BARILIER Avec feu mais sans lieu. Nationale Literaturen im Überflug............................................................... 163 YOKO TAWADA Die HalluziNation ..................................................................................... 171 KLEINE LITERATUREN WENDELIN SCHMIDT-DENGLER Megalomania Austriaca. Zu den Problemen einer österreichischen Literaturgeschichte....................... 181 SABINE HAUPT Vom Topos kultureller Selbstbehauptung zur Höflichkeitsformel. »Schweizer Literatur« und ihre Diskursgeschichte......................................... 191 INHALTSVERZEICHNIS 7 PETER UTZ Wenn in der Schweiz die Welt untergeht. Literatur aus der Schweiz und ihre Katastrophenszenarien............................ 219 MONIKA SCHMITZ-EMANS Ob es die Schweiz gibt? ................................................................................ 235 IRENE WEBER HENKING Die Schweizer Literatur in der Übersetzung. De la gourmandise à la digestion .................................................................. 257 MICHAEL ANGELE Aus der Welt (und Frankfurt am Main) verschwunden. Franz Bönis Geschichten.............................................................................. 269 LITERATURVERZEICHNIS 1. Primärliteratur und Quellen..................................................................... 281 2. Sekundärliteratur...................................................................................... 286 3. Lexika, Handbücher, Nachschlagewerke................................................... 298 AUTORINNEN UND AUTOREN ..................................................................... 299 AUTORENREGISTER ..................................................................................... 000 8 INHALTSVERZEICHNIS Corina Caduff und Reto Sorg ZUR EINFÜHRUNG Nationale Literaturen heute – ein Fantom? Es scheint klar: Die aus dem 19. Jahrhundert datierende Dichotomie ›National- literatur versus Weltliteratur‹ ist heute nicht mehr praktikabel.1 Das universalisti- sche Konzept einer emphatisch verstandenen ›Weltliteratur‹, das von einem all- gemein verbindlichen und verständlichen kulturellen und anthropologischen Substrat ausgeht und gleichermaßen auf ein solches hinzielt, ist nicht mehr up to date. Und das Konzept der ›Nationalliteratur‹ seinerseits ist gebunden an die Bil- dung der Nation.2 In diesem Sinne ist der Prozess der Nationalliteratur in West- europa abgeschlossen. In Ost- und Südosteuropa hingegen, etwa in Litauen oder auf dem Balkan, erfährt er zur Zeit eine heftige Aktualisierung. Angesichts der internationalen Forschung zur Geschichte von Nation, Natio- nalstaat und Nationalismus, die als Folge der post-kommunistischen Reorganisa- tion von Nationalstaaten und im Kontext der Globalisierungsprozesse seit einem Jahrzehnt Konjunktur hat3, und angesichts der gegenwärtigen Problematisierun- gen der Funktion des ›Nationalstaates heute‹ stellt sich jedoch die Frage, was das für die nationalen Literaturen bedeute, noch einmal neu. 01 Vgl. auch Corina Caduff u. Reto Sorg: Editorial, in: Dies. (Hg.): Nationale Literaturen heute – ein Fantom? Die Imagination und Tradition des Schweizerischen als Problem. Programmheft. Thun: re- port 2003, S. 9f. 02 Vgl. Jürgen Fohrmann: Das Projekt der deutschen Literaturgeschichte. Entstehung und Scheitern einer nationalen Poesiegeschichtsschreibung zwischen Humanismus und Deutschem Kaiserreich. München: Metzler 1989. Vgl. ferner: Jürgen Fohrmann u. Wilhelm Voßkamp (Hg.): Wissen- schaft und Nation. Zur Entstehungsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft. München: Fink 1991. 03 Siehe Stefan Neuhaus: Literatur und nationale Einheit in Deutschland. Tübingen u. Basel: Francke 2002; Frank Fürbeth, Pierre Krügel, Ernst E. Metzner u. Olaf Müller (Hg.): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa. Tübingen: Niemeyer 1999; Jan Spurk: Nationale Identität zwischen gesundem Menschenverstand und Überwindung. Frankfurt: Campus 1997; Hans Carl Finsen: Die Rhetorik der Nation. Redestrategien im nationalen Diskurs. Tübingen: Attempto 2001. Vgl. auch die Zwischenbilanz dieser Forschung von Dieter Langewiesche: Nation, Natio- nalismus, Nationalstaat: Forschungsstand und Forschungsperspektiven. In: Neue politische Literatur 1995, S. 190-236. 10 CORINA CADUFF UND RETO SORG Der Begriff der ›Nationalliteratur‹ bezeichnet eine spezifische Formierung und Interpretation literarischer Texte, die der Konstituierung nationaler Identität gilt. Im deutschsprachigen Literaturraum sind seit 1800 verschiedene Konzepte von Nationalliteratur in Gebrauch, die sich in Bezug auf das Verhältnis von Staatsbil- dung und nationaler Identitätsbildung je unterschiedlich gestalten: Österreichi- sche und schweizerische Literaturgeschichtsschreibung begründeten sich Mitte des 19. Jahrhunderts, und zwar beide in der Unzufriedenheit über die als hege- monial erfahrenen deutschen Kulturansprüche. In der deutschen Kulturnation diente das Konzept der Nationalliteratur der politischen Willensbildung zum Nationalstaat und ging in dieser Funktion der Reichsgründung von 1871 voraus. In der Schweiz dagegen resultierte die nationalliterarische Idee aus der Bundes- staatsgründung von 1848 und trug dementsprechend nach dieser Staatsgründung, die nicht von einem bereits bestehenden Nationalbewusstsein getragen war, zu einer nationalen Identitätsbildung bei. In besonderem Maße in die Pflicht ge- nommen wurde die Literatur dann in den dreißiger Jahren, als sie von Amtes we- gen in das Dispositiv der »geistigen Landesverteidigung«4 gegenüber Nazi- Deutschland integriert wurde. Als vergleichbare Situation wäre die zweite Repu- blik Österreichs zu nennen: Nach dem Zusammenbruch der deutsch-nationalen Ausrichtung war hier nach 1945 die Neu-Bildung eines österreichischen Natio- nalgefühls gefragt, die von der Literatur in ihrer Möglichkeit als Integrationsme- dium unterstützt wurde. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten etablierte sich infolge der Staatsteilung Deutschlands die Unterscheidung vier deutschsprachiger Literaturen (BRD, DDR, CH, A), Mitte der achtziger Jahre verschiedenenorts (allerdings nicht in der Schweiz) erweitert um eine (fünfte) Literatur der Migranten.5 Eine allgemeine übergreifende Neuformulierung von Konzepten der Nationalliteratur für die Si- tuation nach 1945 aber hat nicht stattgefunden, die Dynamik von integrativen und desintegrativen Bestrebungen an den Schnittstellen