Arthur Russell EINSCHLAUFEN Betrifft: Diesel Im Sound-Ozean Impressum Nº 02.11 DER MUSIKZEITUNG LOOP 14
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MAR.11 Arthur Russell EINSCHLAUFEN Betrifft: Diesel im Sound-Ozean Impressum Nº 02.11 DER MUSIKZEITUNG LOOP 14. JAHRGANG Ich bin neu hier. In all den vergangenen Jahren Gitarristen und damaligen Produzenten Gary hat sich unsereiner mit der roten Deppenmütze Lucas – zusammen mit dem unfähigen Rapper P.S./LOOP Verlag auf dem Kopf die Zeit mit Riesen-Panda-Erfor- Mark Sinclair eingespielt hat. «This guy just Postfach, 8026 Zürich schungen im chinesischen Urwald vertrieben, could not fi nd the beat», erinnert man sich an Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 man hat das Monster «aus eisen und glas mit den Sprechsänger, der im Studio das Marimba [email protected] kugeln in den gelenken und den worten ja und mit einem Hammer malträtierte und später in www.loopzeitung.ch nein im mund» in die Schranken verwiesen, den Hollywood als Actionheld-Tor unter dem Pseu- schillernden Jaguarhai entdeckt und die wun- donym Vin Diesel eine XXX-Karriere hinlegte. Verlag, Layout: Thierry Frochaux derbare Aussicht vom melancholischen Hügel Eine XXX-Karriere hat der elegante Stuntman genossen, da dass solitäre Beobachten nicht die Russell nach diesem Duett glücklicherweise Administration, Inserate: Manfred Müller schlechteste Tätigkeit in diesen Tagen ist. nicht hingelegt, weil der Ruhm zu Lebzeiten ge- Während diesen vielseitigen Forschungstätigkei- mäss den Herrendichtern eine fragwürdige Sa- Redaktion: Philippe Amrein (amp), ten tauchte in den Tiefen des weltumspannenden che sei. Und so bleibt es den Nachmusikern der Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe Sound-Ozeans – abghenkt von Trends, Zeit und Gegenwart wie dem Universalisten Panda Bear, Raum – ein Herr mit einem Cello und einem dem Mathematiker Caribou, den zarten Disco- Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), Thomas Farmerhemd auf, sein Gesicht vernarbt von ei- Königen Hercules & Love Affair oder der or- Bohnet (tb), Pascal Cames (cam), Roman ner hartnäckigen Akne. Arthur Russell hiess der chestralen Folk-Kommune der Hidden Cameras Elsener, Christian Gasser (cg), Michael Gasser Sonderbare. Arthurs Klang-Forschungen ent- vorbehalten, auf den indirekten, verwirrenden (mig), Nino Kühnis (nin), Albert Kuhn, standen im Trockenen – erfüllt vom Blubbern Spuren von Arthur Russell zu wandeln. Einige Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Tim seines Aquariums – und wenn er denn auf See dieser Spuren sind in der vorliegenden Ausgabe Lawrence, Philipp Niederberger, Sarah Stähli, stach, dann geschah dies mit der orangefarbe- umrissen, die von der «nichtobligatorischen» Matt Wolf, Diana Zucca (zuc) nen Staten Island Ferry. Sein Walkman spielte New-Yorker-Disco durch die Kornfelder Iowas auf diesen Reisen die verschiedensten Versionen und, zum Schluss, auf die Fähre nach Staten Is- Druck: Rotaz AG, Schaffhausen seines eigenen Schaffens wie auch abseitige Mix- land führt. Tapes – von Bubblegum-Pop über Disco bis hin Ich ziehe vorderhand die rote Mütze, verneige Das nächste LOOP zu Free Jazz und Hip Hop. mich tief vor dem Werk, das Arthur Russell hin- erscheint am 31. März 2011 Gut möglich, dass er eines Tages auf der schwär- terlassen hat – und tauche ins Meer, fl iege zum Redaktions-/Anzeigenschluss: 24.03.2011 merischen Reise in den fünften Stadtteil New Mond und wieder zurück. Yorks auch den gescheiterten Roh-Track anhör- Titelbild: Arthur Russell te, den er – im Auftrag des Captain-Beefheart- Guido Zissou Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 30 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] DER GRENZENLOSE positions-, Rock-, Tanz- und Hip-Hop-Szene der Siebzi- Quer zu seiner Zeit, riss der Komponist ger- und Achtzigerjahre, die sich in Downtown New York bildete. New Wave, Disco, Hip Hop, straighter Pop, ver- und Multi-Instrumentalist Arthur Russell drehter Folk, intimer Voice-Cello-Dub: Russell bewegte sich innerhalb und zwischen Stilrichtungen und Szenen si- die Grenzen zwischen Disco und süssem multan und lotete wie kein anderer seiner Zeitgenossen das Potenzial einer befreiten, utopischen Musik aus. Als ihm Pop, minimalistischer Komposition und sein Ex-Freund und Manager Donald Murk ein stromli- nien förmigeres und kommerzielleres Profi l nahe legte, Folk nieder. Ein einführendes Porträt von meinte Russell: «Ich werde mich niemals festlegen.» Tim Lawrence, dem Autor der bisher ein- FLUCHT AUS DER PROVINZ zigen Arthur-Russell-Biographie «Hold Der Wert der Freiheit wurde Russell, der das Cellospiel sportlichen Aktivitäten vorgezogen hatte, bereits während On to Your Dreams». seiner Kindheit in Oskaloosa, Iowa bewusst. Der 1951 geborene Arthur war ein Aussenseiter in der Schule und Arthur Russell war ein Komponist und Multi-Instrumen- als seine Drogenexperimente zu Streitereien mit den Eltern talist, der während des kreativen Höhepunkts der Down- führte – sie entdeckten allerdings nur das Marihuana und town-Ära in New York lebte und arbeitete. Russell war ein nicht das LSD –, fl üchtete er nach San Francisco. Arthur skurriler Typ, der quer zu seiner Zeit stand. Während sich war erst 16 Jahre alt. seine Zeitgenossen – in schwarzes Leder gekleidet – auf das Nach einiger Zeit, in der Arthur ziellos herumlungerte, zog jüngste Gericht vorbereiteten und die Grenzen des Noise er mit seinem Cello in eine äusserst disziplinierte buddhis- erkundeten, trug Arthur Holzfällerhemden und kompo- tische Kommune. Russell besuchte nebenbei das Konserva- nierte esoterische, hymnische Musik, um buddhistische Er- torium und das Musik-College des indischen Meisters Ali leuchtung zu erlangen. Vernarbt von Akne, vertieft in seine Akbar Khan und entwickelte dort allmählich seine ätheri- Mehrspur-Aufnahmegeräte und permanent mit fi nanziellen sche Spielart des Folk. Auch bahnte sich eine Freundschaft Problemen kämpfend, rang Russell um Aufmerksamkeit, mit Allen Ginsberg an. Ginsberg war es auch, der Arthur bis er 1992 an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung starb. 1972 für eine Aufnahme-Session mit Bob Dylan erstmals Russell war weit mehr als nur ein charmanter Aussenseiter nach Manhattan lockte. Russells New-Yorker-Odyssee und Sonderling, dessen unschuldige, geheimnisvolle Auf- nahm mit diesen Aufnahmen ihren Anfang. nahmen voller Schönheit noch immer nachhallen. Seine Werke entstanden im Herzen der bahnbrechenden Kom- bitte umblättern erhofft – Pop und buddhistische Empfi ndsamkeit in orches- trale Arrangements einführte. Philip Glass, der das Kon- zert besuchte, meinte später: «Arthurs Verständnis, dass die Mauern zwischen Konzertmusik, populärer Musik und Avantgardemusik illusionär waren und diese Mauern gar nicht existieren mussten, war anderen weit voraus. Russell lebte in einer Welt, in der es diese Mauern nicht gab.» Russell führte seine Erforschungen von unwahrscheinli- chen Grenzüberschreitungen fort und lud die Modern Lo- vers um Jonathan Richman für eine Serie von Konzerten in die Kitchen ein. Arthur fand im Proto-Punk der Mo- dern Lovers eine Ästhetik vor, die sich in Entwicklungen der Minimal-Music widerspiegelte. Zu diesem Zeitpunkt lehnte Russell das Angebot ab, das vierte Mitglied der Talking Heads zu werden. Er bevorzugte vielmehr eine explizitere und ehrliche Form von fröhlichem Pop, die Russell als Mitglied der Band The Flying Hearts umsetz- te. Ein paar Jahre später schloss sich Arthur einer New- Wave-Band namens The Necessaries an, sprang jedoch – unterwegs zu einem Konzert in Washington – aus dem Tourbus, als ihm der Gedanke, sich nur auf eine Grup- pe und einen Stil zu konzentrieren, unerträglich wurde. REIN IN DIE INTIME DISCO Angezogen vom ekstatischen Potenzial der repetitiven Mu- sik, war Russell bereit für Disco. Seine wechselnde sexuelle THE MODERN LOVERS IM KUNST-CLUB Ausrichtung zog ihn in das dynamische Milieu des Down- town Dance. Nach angeblich erfüllenden Beziehungen zu Im Herbst 1973 kehrte Russell nach New York City zu- Frauen begann sich Arthur immer mehr für Männer zu inte- rück, um an der Manhattan School of Music Komposition ressieren. Nach Kürzestaffären mit Ginsberg ging Russell mit zu studieren. Doch die institutionelle Starrheit und Strenge dem Coiffeur Louis Aquilone aus, der eng mit Nicky Siano missfi el ihm; er schlief eine Zeitlang auf dem Fussboden von befreundet war. Siano war DJ in der Gallery, einer vorwie- Ginsbergs Wohnung im East Village und schmiedete lieber gend von schwarzen Homosexuellen besuchten Privatdisco. Freundschaften mit Komponisten der Downtown-Szene. Inspiriert von der Mischung aus ästhetischem Abenteuer Innerhalb von 18 Monaten wurde Russell zum musikali- und sozialer Fortschrittlichkeit des Clubs, bahnte Russell schen Leiter der Kitchen ernannt, damals ein bedeutendes mit Veröffentlichungen wie «Kiss Me Again», «Is It All Over Zentrum für experimentelle Musik und Video. Dort führte My Face?» und «Go Bang! #5» den Weg für den späteren er sein Stück «Instrumentals» auf, das – wie von Arthur Mutant-Disco-Sound. Der Dancefl oor wurde in diesen und anderen Tracks wie «Pop Your Funk» und «Clean On Your Arthur Russell wollte mehr als nur eines sein. Als sich Arthur Bean» mit damals ungewöhnlichen, verwirrenden Details bei einer unbedeutenden Affäre mit HIV ansteckte, wurde und Anspielungen unterfüttert, während Kollaborationen diese Diskussion schlagartig beendet. Russell schrieb kurz mit prominenten Produzenten wie Walter Gibbons, François nach der Diagnose «A Sudden Chill» und nahm bis kurz vor Kevorkian und Larry Levan sein Interesse an der grenzenlo- seinem Tod weiter Musik auf. 1992 starb Arthur Russell. Er sen Veränderbarkeit der Musik bestätigte. wurde 41 Jahre