Grabinschrift Des Demetrios Makron Aus Neapolis (Karien)1
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Habelt-Verlag · Bonn Epigraphica Anatolica 49 (2016) 73–84 EIN AUSSERGEWÖHNLICHER GRABFLUCH: GRABINSCHRIFT DES DEMETRIOS MAKRON AUS NEAPOLIS (KARIEN)1 Im folgenden Beitrag wird eine bislang unpublizierte kaiserzeitliche Grabinschrift aus Klein- asien vorgestellt, die vor allem aufgrund eines ungewöhnlich ausführlichen Fluches bemerkens- wert ist. Die Inschrift wurde am 28. Mai 1893 von W. Reichel im Rahmen einer von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien in Auftrag gegebenen Forschungsreise aufgenommen.2 Das betreffende Skizzenbuchblatt (SkB Reichel 1893 Karien II 62; s. Abb. 1) sowie zwei ebenso von Reichel angefertigte Abklatsche (Inv. Neapolis 2; s. Abb. 2) befinden sich in den Archivbeständen der Arbeitsgruppe Epigraphik (vormals Kleinasiatische Kommission) am Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ein Abklatsch erfasst die gesamte In- schrift, wobei der äußerste linke und rechte Rand offenbar nur undeutlich abgeklatscht werden konnte; der zweite gibt im Detail den verwitterten mittleren Bereich der Z. 5–9 wieder. Über den Verbleib des Steines selbst ist nichts bekannt. Reichel nennt als Fundort den osmanischen Ortsnamen Ineboli (Yenibolu). Diese Ortschaft liegt im Tal des Akçay (Harpasos), einem südlichen Seitental des Büyük Menderes (Mäander) in Zentralkarien. Sie ist heute unter dem Namen Yazıkent bekannt. Bereits im frühen 19. Jh. beobachteten Reisende dort antike Ruinen, die später aufgrund von epigraphischer und numis- matischer Evidenz mit der antiken Polis (Aurelia) Neapolis identifiziert werden konnten.3 Außer dem vorliegenden Text sind aus Neapolis bislang nur zwei weitere Inschriften publiziert.4 Edition Der Inschriftträger ist eine Platte aus weißem Marmor. Der linke Rand ist durchgehend, der rechte Rand in den ersten beiden Zeilen weggebrochen. Die Höhe der Platte beträgt max. 32 cm, die Breite max. 57 cm, die Stärke konnte nicht gemessen werden.5 Die Buchstabenhöhe beträgt in Z. 1 ca. 2,2 bis 2,5 cm und in den Z. 2–11 ca. 1,8 bis 2,2 cm. Der Zeilenabstand variiert von 0,3 bis 0,8 cm. Die Buchstaben weisen durchgehend deutliche Apices auf. Am Abklatsch können folgende charakteristische Buchstabenformen beobachtet werden: A mit gebrochener Querhaste, E kastenförmig mit etwas kürzerer mittlerer Querhaste, Θ und O leicht oval und zeilenhoch, Mittelstrich des Θ isoliert, M und N mit parallelen Vertikalhasten, Π mit seitlich etwas überstehender Querhaste, Σ vierstrichig, Ω annähernd kreisrund mit ge- ringem Abstand zwischen den unteren Enden. Insgesamt weisen die Buchstabenformen in die ersten beiden Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit. 1 Die Forschungen zu diesem Beitrag wurden vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des Projekts „Grabrecht und Grabschutz im griechisch-römischen Südwestkleinasien“ finanziert. Austrian Sci- ence Fund (FWF): P26620. Wir danken Thomas Corsten und Wolfgang Blümel für die Gelegenheit, die vorlie- gende Inschrift in diesem Rahmen publizieren zu dürfen, und für wertvolle Hinweise. 2 Zu dieser Reise s. den Bericht Kubitschek – Reichel 1893, bes. 99. 3 Zusammenfassend Robert 1982 = OMS VI 697–707. 4 Doublet – Deschamps 1890, 630, Nr. 35 (= SEG 41, 944); Doublet – Deschamps 1890, 629–630, Nr. 34. Bei Ro- bert 1982, 315 = OMS VI 703 (= SEG 32, 1121) wird eine weitere fragmentierte Inschrift erwähnt. 5 Im Skizzenbuch ist als Dicke „–“ vermerkt: Die Platte war wohl unzugänglich, vermutlich verbaut. 74 H. Lotz – A. Rupp Anhand von Reichels Umzeichnung im Skizzenbuch und einer Autopsie der Abklatsche rekon- struieren wir den folgenden Text: [v. Δημ]ή̣τριος Παπαρίωνος Μάκρων̣ [κα]- [τεσκ]ε̣ύασεν τὸ μνημεῖον ἑαυτῷ τε καὶ γυναικὶ κ̣α̣[ὶ] [τέκ]ν̣οις καὶ ἐγγόνοις καὶ γυναιξὶν αὐτῶν. εἰ δέ 4 [τις] ἕ̣τερος βιάση̣τ̣αι καὶ θάψει̣ εἰς τὴν σορὸν, τούτωι [μήτ]ε̣ γῆς εὐκα̣[ρ]π̣ία γένοιτο̣ μήτε̣ τέκνων ἔν- [δικ?]ο̣ς διαδοχὴ μ̣[ή]τ̣ε̣ γυ̣ναικὸς̣ ἁγνῆς̣ κοίτηι [μήτε] φίλων εὔνοια σ̣υ̣μ̣π̣α̣θὴς μήτε θεῶν 8 [ἵλ]α̣ος ἐφόρασις μήτε θα̣λάσσης πλωτὸν ὕ- [δ]ω̣ρ μήτε ἐργασίας μήτε̣ [σώ?]φρονος ἐπισ- [τή]μης μήτε γαστέρ̣ο̣ς̣ σ̣υ̣[να]π̣όλαυσις. ἐξώ- [λη]ς δὲ καὶ πανώλης γένο[ιτ]ο. vac. ζῇ vac. Demetrios Makron, Sohn des Paparion, errichtete das Grabmal für sich selbst, für die Frau, für die Kinder, für die Enkel und für deren Frauen. Wenn aber jemand anderer (dagegen) verstößt und in den Sarkophag bestattet, (dann) soll diesem weder aus der Erde Fruchtbarkeit entstehen, noch an Kindern rechtmäßige(?) Nachkommenschaft, noch von einer ehrbaren Frau Beischlaf, noch von Freunden herzliches Wohlwollen, noch von Göttern gnädige Anschauung, noch vom Meer schiffbares Wasser, und ihm soll weder vom Tagwerk, noch von vernünftiger Einsicht, noch vom Bauch gemeinsamer Nutzen entstehen. Er soll vollkommen und gänzlich zugrunde gehen. Zu Lebzeiten. Textkritischer Apparat Ζ. 1: Der Zeilenanfang scheint gegenüber Z. 2–11 leicht nach rechts verschoben zu sein und den Beginn des Textes hervorzuheben, was bei kleinasiatischen Grabinschriften häufig vorkommt.6 Für ein abgekürztes römisches nomen gentile wie z. B. Αὐρ. fehlt hingegen der Platz. Reichel er- gänzt den verlorenen Beginn [Ἄ]πριος. Dieser Name ist ansonsten nicht belegt und auch die Lesung unwahrscheinlich: Vor dem P sind Reste eines Buchstaben mit einer Vertikalhaste und einer oberen Querhaste erkennbar, die für ein Π zu weit nach rechts reicht; er ist daher als T identifizierbar. Davor sind die unteren Enden zweier Vertikalhasten zu erkennen. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann daher der geläufige griechische Personenname Δημήτριος ergänzt werden. Vom N von Μάκρων sind die linke Vertikalhaste und das untere Ende der rechten erhal- ten. Am Zeilenende dürften die ersten beiden Buchstaben von κατεσκεύασεν aus Platzgründen zu ergänzen sein. Reichel gibt vom K noch das untere Ende der Vertikalhaste an, was sich am Abklatsch nicht verifizieren lässt. Z. 2: Am Zeilenanfang sind etwa vier Buchstaben verloren, sodass die übliche Zeilentrennung [κα|τεσκ]ε̣ύασεν vorliegen dürfte, Reichel nahm hingegen [κατ|εσκ]ε̣ύασεν an. Vom zweiten E von κατεσκεύασεν ist die untere Querhaste und das rechte Ende der mittleren erkennbar. Am Zeilenende ist καὶ weitgehend verloren: Vom K sind die unteren Enden erhalten, das von Rei- chel wiedergegebene untere Ende der linken Schräghaste des A lässt sich am Abklatsch nicht verifizieren. 6 Z. B. SEG 52, 1048 (Iasos); IAph2007 12.321; La Carie II 108. 111 (Herakleia Salbake); TAM II 432. 439 (Patara); TAM II 955. 971. 972. 1112. 1118. 1126 (Olympos); TAM III 218. 284. 321. 370. 476. 489. 517. 644. 751 (Termessos). Grabinschrift des Demetrios Makron aus Neapolis 75 Abb. 1. Skizzenbuch (SkB Reichel 1893 Karien II 62) Abb. 2. Abklatsch (Inv. Neapolis 2) 76 H. Lotz – A. Rupp Z. 3: Der untere Teil der rechten Vertikalhaste des N von τέκνοις ist am Abklatsch erkennbar, Reichel gibt zudem die Schräghaste wieder. Z. 4: Die rechte Hälfte des ersten E von ἕ̣τερος am Zeilenanfang ist erhalten, davor ist τις aus Gründen des Platzes und der Syntax zu ergänzen. Von H und T von βιάσηται sind nur die oberen Teile erhalten. Das von Reichel gelesene I von θάψει ist am Abklatsch aufgrund einer Beschädi- gung nicht erkennbar. Am Zeilenende eindeutig iota adscriptum. Z. 5: Die rechte Hälfte des E von μήτε am Zeilenanfang ist erhalten. Bei εὐκαρπία ist vom ersten A nur das rechte untere Drittel und vom Π die rechte Hälfte erhalten, das Ρ ist völlig ver- wittert. Der letzte Buchstabe von γέ νοιτο̣ wurde von Reichel als Ω gelesen, auf dem Abklatsch ist jedoch eher ein Ο zu erkennen. Das von Reichel gelesene E von μήτε in der zweiten Zeilenhälfte ist am Abklatsch nicht verifizierbar. Z. 6: Vor διαδοχή ist die rechte Hälfte eines runden Buchstabens, wohl eines O, und ein voll- ständiges Σ erkennbar; Reichels Vorschlag ἐν[τελή]ς ist daher unmöglich. In der Zeilenmitte ist μήτε stark verwittert: Vom M ist die linke Vertikalhaste erhalten, von T und E nur Spuren der oberen Enden, das H ist verloren. Die ersten beiden Buchstaben von γυναικός sind ebenfalls nur teilweise erhalten: vom Γ das untere und das rechte obere Ende, vom Y die rechte Hälfte. Am Zeilenende ist nach κοίτη deutlich eine Vertikalhaste erkennbar, die Reichel als (abundie- rendes) iota adscriptum interpretiert. Alternativ könnte die Vertikalhaste auch zum M des in der nächsten Zeile fortgesetzten μήτε gehören, wobei die übliche Zeilentrennung μή|τε zu erwarten wäre. Da aber so die Z. 6 deutlich länger als alle übrigen Zeilen wäre, ziehen wir Reichels Lösung vor. Z. 7: Am Zeilenanfang sind etwa vier Buchstaben verloren. Reichel gibt vor φίλων als Buch- stabenrest das untere Ende einer Schräghaste an, was sich am Abklatsch nicht verifizieren lässt. Wir möchten daher am Zeilenbeginn eher μήτε ergänzen, was bestens zu den Raumverhältnis- sen und zur Konstruktion des Fluches passt. Will man hingegen an dem von Reichel angege- benen Buchstabenrest festhalten, müsste man z. B. μ̣[ή|τε ἐ]κ̣ φίλων oder mit ungewöhnlicher Zeilentrennung μ̣|[ήτ’ ἐ]κ̣ φίλων annehmen. Der Wortanfang von συμπαθής ist stark verwittert: Erhalten ist die obere Hälfte des Σ, das obere Ende der linken Schräghaste des Y, das M mit Ausnahme der oberen Enden, die beiden Vertikalhasten des Π, die rechte Hälfte des A. Reichel schlug hingegen als Lesung μνησθῆς vor, wobei er das erste Σ offenbar noch zum vorange- henden εὔνοια zog und anmerkte, dass es sich beim folgenden Buchstaben aber vielleicht um ein Y handle. Z. 8: Vor OΣ am Zeilenanfang ist am Abklatsch das untere Ende einer von links oben nach rechts unten verlaufenden Schräghaste zu erkennen; Reichel gab stattdessen die unteren Enden zweier nahe beieinander stehender Vertikalhasten wieder. Vom ersten A von θαλάσσης sind nur Spuren der unteren Enden erhalten. Z. 9: Vom Ω von ὕδωρ sind Spuren des rechten unteren Endes erhalten. Das von Reichel ge- lesene E des zweiten μήτε ist am Abklatsch nicht verifizierbar. Danach sind zwei Buchstaben zu ergänzen, neben dem hier vorgeschlagenen [σώ]φρονος ist auch das von Reichel erwogene [εὔ]φρονος denkbar. Z. 10: Die von Reichel am oberen Zeilenrand erkannten Reste der letzten drei Buchstaben von γαστέρος sind am Abklatsch nicht verifizierbar. Jedoch lassen sich vom Σ Spuren der unteren Hälfte erkennen.