Winfried Müller

Die Deutsche Künstlersteinzeichnung 1896 – 1918

Spurensuche Geschichte und Kultur Sachsens · Sonderband 1

Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V. Dresden Winfried Müller

Die Deutsche Künstlersteinzeichnung 1896 – 1918

Farbige Originallithografien und die Heimat- und Kunsterziehungs- bewegung um 1900

Sandstein Verlag · Dresden 2020 Inhalt

10 Vorwort 59 Diversifizierung der Künstler- 359 Künstlerbund Karlsruhe, Karlsruhe steinzeichnung Biogramme und Verzeichnisse 372 Kunstanstalten May, Dresden 59 Das künstlerische Schulwandbild Die Deutsche 373 C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 200 Biogramme der Künstlerinnen Künstlersteinzeichnung 70 Mappenwerke, Künstlerpostkarten, und Künstler 373 Merfeld & Donner, Leipzig Kalender, Kaufmannsbilder 1896 – 1918 374 Ludwig Möller, Lübeck 92 Künstlerbilderbücher und 352 Verzeichnis der Künstlersteinzeichnungen 374 Rascher & Cie., Zürich 14 Die Deutsche Künstlersteinzeichnung Buchillustration und ihrer Verlage Eine Annäherung 375 Rudolf Schick, Leipzig 352 Einzelblattdrucke 98 Sozialformationen 19 Die Drucktechnik 375 Franz Schneider, Berlin 352 Breitkopf & Härtel, Leipzig Der Weg zur künstlerischen Farblithografie 98 Sezessionen, Künstlerbünde 375 B. G. Teubner, Leipzig und Künstlerkolonien 352 Deutscher Verlag, Berlin 26 Die Künstlersteinzeichnung 379 R. Voigtländer, Leipzig 353 Fischer & Franke, Berlin/Düsseldorf und ihre Verlage 116 »Malweiber«: Frauen und die künstlerische Farblithografie 388 Otto Wachsmuth, Leipzig 355 A. W. Franke’s Verlag, Stuttgart 26 Der Karlsruher Künstlerbund 388 Georg Westermann, Braunschweig und die Leipziger Verlage B. G. Teubner 128 Diskurse, Motive und Stile 355 Gesellschaft für christliche Kunst, München und R. Voigtländer 355 Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, Wien 388 Mappenwerke 128 Kunstgewerbe- und Kunst­ 39 Die Verlagslandschaft jenseits erziehungsbewegung 356 Grauert & Zink, Berlin der Marktführer Anhang 133 Heimatschutz und Heimatstil 356 A. Haase, Prag 39 Breitkopf & Härtel, Leipzig 356 Ferdinand Hirt, Breslau 394 Quellen- und Literaturverzeichnis 41 Berliner Verlage: Fischer & Franke, 158 Stilpluralismus: Deutsche Traditionen Deutscher Verlag, Franz Schneider und internationale Einflüsse 357 Emil Hochdanz, Stuttgart 394 Ungedruckte Quellen 47 Süddeutsche Verlage: Hubert Köhler, 180 Das Ende: Patriotik und nationalistische 357 Hof- und Staatsdruckerei, Wien Emil Hochdanz 394 Gedruckte Quellen und ­Literatur Aufladung im Ersten Weltkrieg 357 Richard Keutel. Verlag für Volkskunst 51 Österreich und Schweiz: Gesellschaft und Volksbildung, Stuttgart 411 Internetadressen für vervielfältigende Kunst, Rascher 357 Klimsch’s Druckerei J. Maubach & Co., ­ 416 Ortsregister 55 Exkurs: Merfeld & Donner, Leipzig Frankfurt a. M. 426 Personenregister 358 Hubert Köhler, München

440 Impressum Die Deutsche Künstler- steinzeichnung Eine Annäherung

14 15 Die Deutsche Künstlersteinzeichnung Eine Annäherung

»Die Lithographie, namentlich die farbige Lithographie, ist land gerade hochaktuellen Trend – den Druck und die mög- überhaupt erst in den letzten Jahrzehnten aufgeblüht. In lichst weite Verbreitung von Farblithografien – einsetzte, ihrer Verwendung für sehr große Wände ist sie erst seit den war durchaus bemerkenswert. Als vortragender Rat in der sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts möglich gewor- Generaldirektion der Königlichen Sammlungen für Kunst den, wo die für den Druck nötigen Maschinen in Paris er- und Wissenschaft in Dresden hatte er faktisch die Stellung funden und konstruiert wurden, damals zum Zwecke der eines Generaldirektors inne, dem man ein eher elitäres, auf den verlags- und gattungsgeschichtlichen Abschnitten die- Herstellung großer Wandplakate, was dann zur Blüte der die alten Meister und Ölmalerei fokussiertes Kunstver- ses Buches noch im Einzelnen eingegangen. Worauf es hier Plakatkunst in der Mitte der neunziger Jahre geführt hat. ständnis zu unterstellen geneigt ist. Freilich war gerade das zunächst ankommt, ist die Klärung des Begriffs. Denn dass Jetzt stehen wir im Begriff, sie mehr und mehr, in Deutsch- Engagement für eine Popularisierung von Kunst und ästhe- man nicht einfach von Farblithografien bzw. farbigen Litho- land besonders energisch, für die Zwecke der Schule nutz- tischer Bildung ein zentrales Anliegen aller in der Kunster- grafien sprach, wie das Woldemar von Seidlitz in seinem bar zu machen.« 1 Mit diesen wenigen Sätzen wurden knapp ziehungsbewegung aktiven Fachleute, und gerade deshalb Referat auf dem Dresdner Kunsterziehungstag getan hatte, Kataloge für Künstler- die zentralen Punkte angesprochen, um die es im Folgen- galt der Grafik, der auf eine weitere Verbreitung und eine sondern den Begriff der Künstlersteinzeichnung wählte und steinzeichnungen den geht: die Farblithografie und ihre drucktechnischen breite Käuferschicht angelegten vervielfältigenden Kunst, zu einem Markenzeichen entwickelte, das hatte natürlich des Leipziger Verlags Voraussetzungen, ausländische Vorbilder und ihre Rezep- ihr besonderes Interesse. Das traf insbesondere auch auf Gründe – künstlerische, marktstrategische und auch kunst­ B. G. Teubner, tion in Deutschland, ihre Nutzung als Wandschmuck in von Seidlitz zu, der vor seiner Tätigkeit in Sachsen u. a. als ideologische. 1901 und ca. 1918 Schulen. Dieser Verwendungszweck ist zugleich die Erklä- Direktorialassistent im Berliner Kupferstichkabinett tätig Dass man von Steinzeichnungen oder Steindrucken, rung für den Kontext der zitierten Aussage. Sie fiel auf dem gewesen war und der sich in Dresden um den Ausbau des allgemeiner von »Steinkunst« 10 sprach, beinhaltete zu- Dresdner Kunsterziehungstag vom 28./29. September Kupferstich-Kabinetts, dem er einige der heute begehrtes- nächst einmal die Suggestion einer schlichten Handwerk- lisierten Hochkultur. Denn so wichtig es der Kunsterzie- 1901, auf dem vor allem die »Frage der künstlerischen Er- ten Farblithografien von Henri de Toulouse-Lautrec schenk- lichkeit, die den technischen Herstellungsprozess und die hungsbewegung auch war, bildungsfernen Schichten oder ziehung der deutschen Jugend in Schule und Haus« 2 erör- te, besondere Verdienste erwarb.9 Hervorhebung verdient mit dem lithografischen Druckverfahren verbundenen che- der ländlichen Bevölkerung, der der Besuch der großen, in tert wurde, der im Sinne eines ganzheitlichen, nicht nur auf nicht zuletzt sein Interesse für den japanischen Farbholz- mischen Prozesse ein Stück weit invisibilisierte. Dass man den Städten befindlichen Kunstsammlungen kaum oder pragmatische Wissensvermittlung abhebenden Bildungs- schnitt, dessen klare Linien und auf Binnenzeichnung ver- die Begriffe Farb- oder gar Chromolithografie vermied, war nur schwer möglich war, die Höhepunkte der europäischen verständnisses ein höherer Stellenwert eingeräumt werden zichtende Farbflächen die europäische Jugendstilgrafik im eine deutliche Abgrenzung von den industriellen Druckver- und deutschen Malerei wenigstens in reproduzierter Form sollte. 3 Adressaten der Vorträge und der begleitenden Aus- Allgemeinen, die lithografische Bewegung des ausgehen- fahren einer Wandschmuckindustrie, die das chromolitho- nahezubringen, so war der Anspruch der Steinkunst ein stellung waren deshalb besonders Vertreter der Schulver- den 19. Jahrhunderts im Speziellen nachhaltig beeinfluss- grafische Herstellungsverfahren für die Massenproduktion anderer: Sie wollte nicht Reproduktionsdrucke liefern, die – waltungen und der Lehrervereine, aber auch Künstler und ten; mehr oder weniger deutliche Spuren des Japonismus von Drucken mit Schutzengelmotiven, Elfenreigen, Alpen- sofern nicht ohnehin als Schwarzweißdruck ausgeliefert – Museumsleiter. Zu der Tagung in Dresden, der zwei weitere lassen sich auch in den Künstlersteinzeichnungen finden. und Heidelandschaften, Jagdszenen mit röhrenden Hir- stets eine Abweichung von Farbgebung und Format des Kunsterziehungstage 1903 in Weimar und 1905 in Hamburg Damit ist der Begriff gefallen, der Untersuchungsge- schen sowie religiösem und ›vaterländischem‹ Kitsch nutz- Originals bedeuteten, sondern sie wollte Originalkunst an- folgen sollten,4 hatte u. a. Alfred Lichtwark,5 der Direktor genstand dieses Buches ist und unter dem die Künstler, te. In der Variante des sog. Öldrucks wurde dabei dem Pa- bieten. Darauf bezieht sich der Begriff der Künstlerstein- der Kunsthalle Hamburg, eingeladen. Neben ihm zeichne- Künstlerorganisationen und Verlage die Farblithografien pier eine Leinwandstruktur eingeprägt und der Druck mit zeichnung, alternativ jener der Originalsteinzeichnung oder ten der Tübinger Kunsthistoriker und Gründer der Grafi- offerierten und vermarkteten. Die Künstlersteinzeichnun- einem Firnis überzogen, um der künstlerisch anspruchslo- auch der Ursteinzeichnung. Hinter dem Programm der schen Sammlung des Kunsthistorischen Instituts Konrad gen erschienen dabei vor allem als Einzelblattdrucke, aber sen Farblithografie die Aura eines Ölgemäldes zu geben.11 Künstlersteinzeichnungen für Haus und Schule stand mit- Lange 6 und der Maler, Grafiker und Direktor der Stuttgarter auch in Mappenwerken, daneben wurde die farblithografi- Von diesen als ästhetisch minderwertig empfundenen Mas- hin kein geringerer Anspruch als der, mittels einer hohe Akademie der Künste Leopold Graf von Kalckreuth für die sche Drucktechnik aber auch für Künstlerpostkarten und für senprodukten wollte sich die gleichermaßen künstlerisch Auflagen – und damit auch Verkaufszahlen – ermöglichen- Tagung verantwortlich; 7 von Kalckreuth hatte im Übrigen die Ausstattung hochwertiger Künstlerbilderbücher einge- wie kunstpädagogisch ambitionierte Steinzeichnung ab- den Drucktechnik breite Bevölkerungsschichten, insbeson- 1895–99 in Karlsruhe als dem frühen Zentrum der künstle- setzt. Nicht zuletzt wurde das weite Feld der sich an der setzen; wenn eine 1987 gezeigte Ausstellung von Farblitho- dere die Jugend, mit Originalkunst vertraut zu machen. rischen Farblithografie in Deutschland gewirkt. Als örtlicher Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert etablierenden künst- grafien des Karlsruher Künstlerbundes den Untertitel »Eine »Steinkunst« versus »Scheinkunst« – so lautete denn auch Vertreter ist schließlich Woldemar von Seidlitz zu nennen,8 lerisch gestalteten Werbegrafik bestellt, indem ›Künstler- Initiative gegen den Öldruck« 12 trug, so wurde damit dieser der frühe Werbeslogan des Leipziger Verlages R. Voigtlän- der auch den Vortrag über Wandschmuck hielt, dem das steinzeichner‹ ihre pekuniären Interessen mit dem ästheti- Ansatz völlig zutreffend auf den Punkt gebracht. Die Stein- der, der damit verdeutlichen wollte, »daß Kunstsinn und einleitende Zitat entnommen ist. Dass sich von Seidlitz da- schen Anspruch einer Veredelung des Massengeschmacks druckbewegung grenzte sich freilich nicht nur von der chro- Kunstbesitz keine Kostenfrage mehr, sondern durch die bei als Kenner der französischen Plakatkunst auswies und harmonisierten und Reklamemarken, Kaufmannsbilder, molithografischen Massenfabrikation ab, sondern zugleich Steinkunst zur Geschmacksfrage geworden sind, und daß sich für einen zum Zeitpunkt seines Vortrags in Deutsch- Werbepostkarten oder Plakate gestalteten. Darauf wird in auch von der Reproduktion der kanonisierten und musea- Scheinkunst ein Zeichen der Unbildung ist.« 13 16 17

der von Anfang an für die geplante Größe, wie für die be- Die Deutsche Künstler- sondere Technik gedacht ist, selbst auf dem Stein die Zeich- steinzeichnung Eine Annäherung nung wie die Farbenplatten aus. Er überwacht ferner die   Farbenmischung und den Druck. So hat er allein, sonst niemand, Gewalt über sein Werk, bis er unter den letzten Probedruck seine Druckerlaubnis setzt. Der Drucker hat dann nur noch dafür zu sorgen, daß jede einzelne Druckfar- be nach Vorlage gemischt und gedruckt wird; das Ergebnis muß genau das vom Künstler gewollte sein [. . .] Die Frage, ob das Nachbild dem Vorbilde gleichwertig ist oder nicht, fällt ganz weg; es gibt in der Künstler-Steinzeichnung kein Vorbild, sondern nur ein Urbild, und das ist der in Hunder- ten oder Tausenden von gleichen Abzügen gefertigte Druck. Das Mittel, den Künstler selbst sprechen zu lassen, ist durch das Verfahren der eigenhändigen Steinzeichnung vollkommen gefunden.« 15 In Fortführung dieser auf die Möglichkeit hoher Auflagen und auf den Originalbegriff gleichermaßen rekurrierenden Argumentationslinie war die Künstlersteinzeichnung für den Verlag von B. G. Teubner, den zweiten großen und gleichfalls in Leipzig ansässigen Distributeur, berufen, »für das 20. Jahrhundert die gewal- tige Aufgabe zu erfüllen, die der Holzschnitt im 15. und 16. Jahrhundert und der Kupferstich im 18. Jahrhundert er- füllt haben. Sie ist das einzige Vervielfältigungsverfahren, dessen Erzeugnisse tatsächlich Originalgemälden vollwer- tig entsprechen.« 16 Diese Orientierung am originalen Ölgemälde 17 impli- zierte indirekt, dass es sich bei den Künstlersteinzeichnungen um eine »farbenfrohe Kunst« 18 und nicht um Schwarzweiß- grafik handelte: »Vor den Griffelkünsten hat die Künstler- Steinzeichnung vor allem den Vorzug der Farbe.« 19 Das machte die Modernität der Künstlersteinzeichnung aus, Reklamemarken des Kataloge für Künstler- distanzierte sie sich damit doch von der »strenge[n] Mode Verlags R. Voigtländer, steinzeichnungen Leipzig, mit Vorschlägen des Farblosen« im bildungsbürgerlichen Haushalt, für den des Leipziger Verlags zur Hängung von R. Voigtländer, Farbigkeit ein Indikator für Trivialität und sozial niedrig Künstlersteinzeichnungen, 1901 und 1912 stehende Käuferschichten war; »Farbe blieb für anspruchs- Entwürfe: wohl Paul volle Drucke verpönt«. 20 Zwischen der knallbunten trivia- Schneider, ca. 1910 len Massenproduktion der Öldrucke und der elitären Der Nachweis, dass es sich bei den Künstlersteinzeichnun- schwarzweißen Original- und Reproduktionsgrafik vermit- gen um ›echte‹ Kunst handelte, war die Legitimations- und telnd, bekannten sich die Künstlersteinzeichnungen zu Dass das Originalgemälde das Leitbild für die Künstler- dender Faktor. Hier kommt nun wieder die Orientierung am Marketingstrategie, mit der die einschlägigen Verlage und einer kräftigen und doch auch dezenten Farbenwirkung, die steinzeichnungen wurde, blieb auch für deren Präsentation Gemälde ins Spiel, denn gleich diesem wurde die Künstler- die beteiligten Künstler ihr Engagement dafür begründeten, »in gebrochenen Farbtönen den feinsten Stimmungen ge- nicht folgenlos. Sie sollten keinesfalls in Sammelmappen steinzeichnung in aller Regel im Holzrahmen präsentiert, breiten Bevölkerungsschichten den kostengünstigen Zu- recht wird« 21 – so, wie man das eben von den Ölgemälden verschwinden und nur gelegentlich betrachtet werden, son- der auf den jeweiligen Raum farblich abzustimmen war: gang zu Originalgrafik zu ermöglichen. Der Verlagshinweis, vorzugsweise des Impressionismus kannte, ehe sich mit dern sie waren dezidiert als Wandschmuck, als »Raum- Eiche massiv für den vornehmen Wohnraum, Mahagoni­ »R. Voigtländers Farbige Künstler-Steinzeichnungen sind dem Expressionismus und der klassischen Moderne eine kunst«,23 konzipiert. Darauf zielten die Anleitungen zur rahmen für Gesellschafts- und Damenzimmer, Museums- Werke lebender Künstler; Nachbildungen von Werken älte- eher grelle und provozierende Farbigkeit durchsetzen soll- Hängung ebenso ab wie die auf Wohn-, Schlaf-, Kinder- oder rahmen mit »tiefer Holzkehlung, schwarzer Politur, die das rer Meister sind ausgeschlossen« 14 brachte diesen auf das te. Mit den Künstlersteinzeichnungen sollte – und nicht Schulzimmer abgestellte und noch zu erörternde Motivik, Bild als Kunstwerk besonders zur Geltung bringen«, Rahmen Prinzip der Authentizität und Originalität pochenden An- zuletzt darin lag ihr reformerischer Impuls – Farbe in das bei der auch Geschlecht, Beruf und Alter der Bewohner be- mit weißer Politur »für Vorräume, Dielen, Schlaf-, Kinder- satz noch einmal auf den Punkt, wobei es kaum ein Verlag Heim »unseres gebildeten Mittelstandes« der »Beamten, rücksichtigt wurden. Ferner war auf die unterschiedlichen und Gartenzimmer, Krankenhäuser«,24 schlichte und wohl- versäumte, die Herstellungstechnik im Detail zu erläutern. Gelehrten, Offiziere, Kaufleute usw.«, 22 in die Schulen und Raumgrößen Rücksicht zu nehmen, so dass das Angebot feile Schulrahmen in Dunkelbraun und Schwarz – das war »Der Künstler selbst führt«, um noch einmal aus der Voigt- andere öffentliche Gebäude wie Ämter, Krankenhäuser, der einschlägigen Verlage Klein-, Mittel- und Großformate die Produktpalette, die in den Katalogen der führenden länder’schen Broschüre zu zitieren, »nach einem Entwurfe, aber auch in die Gaststuben der gehobenen Gastronomie umfasste. Vor allem aber war für die dekorative Raumwir- Verlage R. Voigtländer und B. G. Teubner in Verbindung mit der für ihn jedoch nur gleichsam das Konzept bedeutet und gebracht werden. kung der Künstlersteinzeichnung der Rahmen ein entschei- den Bildern angeboten wurde. Die Künstlerstein- zeichnung und ihre Verlage

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Sommermonaten in Grötzingen zu malen. Bald ließen sich Jenny Fikentscher, Die Künstlersteinzeichnung weitere Künstler in dem »malerisch am Eingang des Pfinz­ Augustenburg in Grötzingen tales [. . .] zwei Bahnstationen von der Residenz« 76 gelege- (H 14 cm, B 9 cm), nen Dorf nieder, die später allesamt zur ersten Reihe der und ihre Verlage Postkarte mit Gruß ›Künstlersteinzeichner‹ gehören sollten: Franz Hein, Gustav und Unterschrift von Kampmann, Karl Biese, der aus wohlhabendem Elternhaus Gustav Kampmann, stammende Otto Fikentscher, der 1891 Schloss Augusten- Künstlerbund Karlsruhe, burg erwarb und dieses gemeinsam mit seiner Frau Jenny Karlsruhe, ca. 1900 zum kulturellen Mittelpunkt der Grötzinger Malerkolonie machte.77 Der für die Gründung von Künstlerkolonien und sezes- Wenn einleitend wiederholt auf den Karlsruher Künstlerbund Der Karlsruher Künstlerbund und sionistischen Bewegungen typische Gegensatz zwischen und die an der Kunstakademie eingerichtete lithografische einer insbesondere vom französischen Impressionismus Klasse hingewiesen wurde, so war dies der Rolle Karlsruhes die Leipziger Verlage B. G. Teubner beeinflussten Natur- und Landschaftsauffassung und der als »Vorort Deutschlands [. . .] auf dem Gebiet des Farben- und R. Voigtländer akademischen Malerei ist auch für Grötzingen als überge- steindrucks« 72 geschuldet. Bestätigt wurde diese Bedeu- ordneter kunsthistorischer Kontext festzuhalten. Konkret Carl Langhein, Aus einem friesischen tung durch die Zusammenarbeit des Künstlerbundes und Dass Karlsruhe zu einem, wenn nicht dem Zentrum der waren es die Spannungen der Modernisten mit den in der Städtchen seiner Kunstdruckerei mit den Leipziger Verlagen B. G. Teub- Farblithografie in Deutschland wurde, hing zunächst einmal Karlsruher Künstlergenossenschaft assoziierten Traditiona- (H 55 cm, B 75 cm), ner und R. Voigtländer. Diese Kooperation war für die mit der Existenz der 1854 als Großherzogliche Kunstschule listen an der Karlsruher Akademie wie dem »badischen R. Voigtländer, Leipzig, Durchsetzung der Künstlersteinzeichnungen zweifelsohne gegründeten Akademie der Bildenden Künste zusammen – Makart« 78 Ferdinand Keller oder Caspar Ritter. Im April Nr. 123, ca. 1905 von entscheidender Bedeutung, und mit einer gewissen mehr aber noch mit den Streitigkeiten innerhalb der Aka- Folgerichtigkeit konzentriert sich die spärliche Literatur demie, die sich nicht zuletzt um die Entwicklung neuer zum Thema mehr oder minder ausschließlich auf die Trias künstlerischer Möglichkeiten auf dem Feld der Lithografie Karlsruher Künstlerbund, Teubner und Voigtländer. 73 Über- drehten. Ein erstes markantes Datum war hier die Etablie- sehen wird dabei allerdings, dass es noch etliche kleine, rung einer Künstlerkolonie in dem nahe Karlsruhe gelege- aber ambitionierte Verlage bzw. Verlagsdruckereien gab, nen Grötzingen. Zunächst hatte dort 1888 der an der Karls- die im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg mit künstleri- ruher Akademie bei Gustav Schönleber ausgebildete Fried- schen Farblithografien­ hervortraten und einen wichtigen rich Kallmorgen mit seiner gleichfalls als Malerin tätigen Beitrag für die Etablierung des Genres leisteten. Nicht un- Frau Margarethe Hormuth-Kallmorgen mit dem Bau eines wichtig für die Popularisierung der Künstlersteinzeichnung Hauses begonnen, um dann seit 1889 regelmäßig in den war es ferner, dass sich bedeutende Schulbuch- und Lehr- mittelverlage wie Meinhold in Dresden oder Haase in Prag unter dem Einfluss der Kunsterziehungsbewegung zu einer Erweiterung ihrer Produktpalette verstanden und ne- ben den klassischen, vordergründiger Didaxe verpflichte- ten Schulwandtafeln auch Serien mit Künstlersteinzeich- nungen in ihr Programm aufnahmen. 74 Selbst die auf die von den Kunst­reformern verpönten Öldrucke und Chromo- lithografien spezialisierte May’sche Bilderfabrik öffnete sich mit der Serie »Farbige Kunst-Steindrucke« für Farblithografien mit künstlerischem Anspruch. 75 Mit ande- ren Worten: In den ersten eineinhalb Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden die Künstlersteinzeichnungen nachgerade zu einer Modebewegung, die dann freilich mit dem Ersten Weltkrieg deutlich abebbte und ästhetisch überholt wurde.

Eduard Euler, An der Pfinz (H 15 cm, B 12 cm), Künstlerbund Karlsruhe, Karlsruhe, Nr. D 17, 1903 28

kräftiger Partner fand, der die Steindruckerei übernahm Kataloge des Künstler­- und Langhein als Betriebsleiter beschäftigte. 1901 wurde bunds Karlsruhe, ca. 1905 und 1908 die noch heute existierende Druckerei in eine GmbH umge- wandelt; sie führt seither die Firmenbezeichnung Kunstdru- ckerei Künstlerbund Karlsruhe mit dem Kürzel KKK.80 Der Karlsruher Künstlerbund und seine Druckerei tra- ten nun nicht nur mit Originallithografien der Grötzinger Künstlerkolonie hervor, sondern er öffnete sich auch für andere Künstler und nicht zuletzt auch Künstlerinnen. In diesem Kreis meistenteils noch unbekannter und junger Künstler nahm Hans Thoma zweifelsohne eine Sonderrolle ein. 1839 geboren, gehörte er einer deutlich älteren Künstler­ generation an – namentlich sein Frühwerk war allerdings mit der Landschafts- und Naturauffassung der Künstler- steinzeichnungen und deren Programm einer genuin deut- schen und auch volksnahen Kunst kompatibel; um 1900 war Thoma, das in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Kind Hans Richard vom Lande,81 für Cornelius Gurlitt beispielsweise der Haupt­ von Volkmann, vertreter einer für jedermann verständlichen Volkskunst Prosit Neujahr! (H 14 cm, B 9 cm), und galt ausweislich eines Eintrags in Meyers Großem Künstlerpostkarte, Konversations-Lexikon als »Lieblingsmaler des deutschen Künstlerbund Karlsruhe, 82 83 Volkes«. Als »Volkskünstler«, der in seiner Jugendzeit Karlsruhe, 1898, zum Lithografen ausgebildet worden war, hatte der mit sei- gelaufen 1903 nen Ölgemälden in allen großen deutschen Museen vertre- tene Thoma auch keine Berührungsängste gegenüber den Hans Thoma, 1896 kam es deshalb unter reger Beteiligung der Grötzin- vervielfältigenden Künsten. Seit 1895 steuerte er zu den Der verliebte Fuhrmann ger Malerkolonie zur Sezession, der Gründung des Karlsru- »Zeitgenössischen Kunstblättern« des Leipziger Verlag (H 23 cm, B 25,5 cm), her Künstlerbunds unter der Ägide von Friedrich Kallmorgen Breitkopf & Härtel Entwürfe bei und erwies sich als ein sei- Künstlerbund Karlsruhe, Karlsruhe, Nr. HT 60, und Leopold Graf von Kalckreuth; der eine war seit 1891, ne Popularität geschickt nutzender Vermarktungsstratege: 84 ca. 1900 der andere seit 1895 Professor an der Karlsruher Akademie. Postkartenmalbücher, Abbildungen seiner Bilder auf Zi- Dies war – und im Titel dieser Publikation kommt es zum garettenschachteln, seine Mitwirkung als künstlerischer Henry Niestlé, Menükarte mit Reklame Ausdruck – die Geburtsstunde der Künstlersteinzeichnung, Berater für die Stollwerck-Sammelbilder belegen dies. Dass für Kupferberg Gold denn von Kalckreuth setzte sich vehement und erfolgreich Thoma mit dem Karlsruher Künstlerbund in Verbindung trat, (H 14,5 cm, B 21,5 cm), für die lithografische Ausbildung an der Akademie und da- hing mit seiner 1899 durch den badischen Großherzog Künstlerbund Karlsruhe, mit grundsätzlich für die Aufwertung der Lithografie im erfolgten Berufung zum Direktor der Karlsruher Gemälde­ Karlsruhe, ca. 1905 Kreis der Griffelkünste ein. Von Anfang an wurde dabei die galerie und zum Professor an der Großherzoglich-Badi- Engführung von künstlerischer Entwurfs- und handwerkli- schen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe zusam- cher Drucktätigkeit angestrebt. 1897 kam es deshalb zur men. Dass er als ein im Zenit seines Ansehens stehender, Gründung einer Kunstdruckerei für den Künstlerbund Karls­ arrivierter und populärer Künstler bald auch im Katalog des ruhe, deren Leiter Carl Langhein wurde, der seit 1892 an der jungen Karlsruher Künstlerbunds vertreten war, war für die- Karlsruher Akademie studiert hatte und der selbst als Maler sen sicherlich ein Reputationsgewinn, der zusätzliche Auf- und Grafiker tätig war und eine ganze Reihe von Künstler- merksamkeit sicherte. Gleichzeitig war es, etwa bei der steinzeichnungen vorlegte. 1901 von Wilhelm Süs betriebenen Gründung der Karls­ Wilhelm Steinhausen, Der gute Hirte Leitgedanke der u. a. von Leopold Graf von Kalckreuth ruher Majolika-Manufaktur, zweifelsohne von Nutzen, dass (H 18,5 cm, B 12,5 cm), und Carlos Grethe, einem weiteren Karlsruher Professor, Thoma ein vertrautes Verhältnis zu Großherzog Friedrich I. Konfirmationsblatt,­ wohl 85 unterstützten Steindruckerei war es, »Lithos der Mitglieder pflegte. Künstlerbund Karlsruhe, des Künstlerbundes zu drucken« 79 – und zwar als Farblitho- Die Produktpalette des Künstlerbunds beschränkte Karlsruhe, ca. 1905 grafien. Für die Realisierung dieser gegen die künstlerisch sich keineswegs nur auf Einzelblattdrucke, sondern darü- anspruchslose Produktion der Bilderfabriken gerichteten ber­ hinaus hatte er auch Serien von Künstlerpostkarten Initiative, mit der gleichzeitig Farbe ins Heim des gebilde- sowie künstlerisch gestaltete Akzidenzdrucke im Programm: ten Bürgertums gebracht werden sollte, war es zweifels­ Menü-, Tisch- und Tanzkarten, Konfirmationsscheine, Wein­ ohne von Vorteil, dass sich mit der in Karlsruhe ansässigen etiketten und Weinkarten, Plakate, Briefköpfe, Kaufmanns- G. Braun’schen Hofbuchdruckerei noch 1897 ein kapital- bilder etc. All das sollte natürlich originalgrafisch gestaltet Sozialformationen

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Der Erfolg der Münchener Abspaltung wurde nicht zuletzt man im Übrigen noch hinzu, dass gleichfalls 1896 der Ver- Sozialformationen durch Unterstützer begünstigt, unter denen vor allem der leger Albert Langen in München die sowohl durch ihre sa- Druckereibesitzer und Verleger Georg Hirth hervorzuheben tirischen Texte als auch durch ihren modernen Illustrations- ist,263 der sich nicht nur am Fundraising für ein eigenes Se- stil zu Ruhm gelangende Zeitschrift »Simplicissimus« grün- zessionsgebäude beteiligte, sondern als Miteigner der dete,266 lässt sich erahnen, welche Veröffentlichungs- und »Münchener Neuesten Nachrichten« eine aktive Presse­ damit auch Verdienstmöglichkeiten München für junge politik zugunsten der neuen Künstlervereinigung betrieb. Künstler bot, die bereit waren, ihr Talent sowohl im Redak- Hirths Einsatz für das Neue beschränkte sich dabei nicht tions- als auch im Anzeigenteil für Zeitschriftenillustratio- nur auf den Höhenkamm der Malerei, sondern er war zu- nen und Gebrauchsgrafik einzusetzen. gleich ein aktiver Förderer der Kunstgewerbebewegung und Unter jenen Künstlern, die für beide Zeitschriften arbei- der dekorativen Künste – und er hatte als Verleger ein Ge- teten und zugleich auf dem Feld der Künstlersteinzeichnun- Sezessionen, Künstlerbünde Künstler vom Atelier in die freie Natur führte,261 ein weite- spür für die Vermarktung der neuen künstlerischen Strö- gen tätig wurden, ist neben , Hellmuth Eichrodt und Künstlerkolonien res hervorstechendes Merkmal des Sezessionismus. Die mungen: 1896 gründete er gemeinsam mit Fritz von Ostini und Franz Hoch vor allem Walter Georgi zu nennen, der an damit einhergehende Aufwertung der Landschaftsmalerei die Kunst- und Literaturzeitschrift »Jugend«,264 die einer der Münchener Akademie bei Paul Hoecker ausgebildet Für die Entwicklung der künstlerischen Farblithografie um bedeutete zugleich jene Verschiebung in der Tektonik der ganzen Stilrichtung den Namen geben sollte und die einer worden war. Mit seinen bei B. G. Teubner und R. Voigtländer 1900 ist wiederholt auf die Rolle Karlsruhes als dem deut- Gattungshierarchie, die von der älteren Künstlergeneration Vielzahl von Künstlern ein Forum für die Publikation ihrer publizierten Blättern wie »Pflügender Bauer«, »Postkut- schen »Vorort« 258 des farbigen Steindrucks hingewiesen wor- abgelehnt wurde. Arbeiten bot. Dass es in der »Jugend« von Anfang an zum sche« oder »Münchener Bierkeller« – gewissermaßen die den. Entscheidende Faktoren für diese Führungsrolle waren In den großen deutschen Kunstzentren führte dieser – durch Fortschritte in der Drucktechnik ermöglichten – Pro- bayerische Nachzüglervariante von Renoirs »Bal au Moulin die seinerzeit innovative Einrichtung einer lithografischen Richtungsstreit zuerst in München zu einer Abspaltung von gramm gehörte, nicht nur Schwarzweißzeichnungen, son- de la Galette« – legte Georgi Arbeiten vor, die mit der zwar Klasse an der Kunstakademie sowie die Existenz einer leis- der Münchener Künstlergenossenschaft und ihren zuletzt dern auch farbige Illustrationen zu bringen, sprach die konturierenden, aber gebrochenen Linienführung der Krei- tungsfähigen Steindruckerei. Karlsruhe wurde auf diese Wei- künstlerisch wie ökonomisch unbefriedigenden Ausstellun- junge Malergeneration besonders an.265 Zugleich bildete delithografie, ihrer Flächigkeit und der leuchtenden Farbig- se zum Anziehungspunkt für junge, experimentier­freudige gen im Glaspalast: 1892 kam es zur Gründung eines Vereins diese Hinwendung zur Farbigkeit die künstlerische Brücke keit nachgerade idealtypisch den Münchener »Jugend«-Stil Künstler, die die bislang mit der Trivialproduktion enggeführte bildender Künstler Münchens e. V.,262 dem be- zur Farblithografie bzw. Künstlersteinzeichnung. Nimmt repräsentieren und sich zugleich mit ihrer Motivwahl in den und eher als unseriös geltende Farblithografie als Ausdrucks- reits etablierte Künstler wie , Franz von Stuck, mittel für künstlerisch anspruchsvolle Druckgrafik entdeckten. Hans Thoma und Wilhelm Trübner – die beiden letztgenann- Wichtige Impulse waren dabei von der nahe Karlsruhe gele- ten traten im Übrigen auch mit Künstlersteinzeichnungen genen Grötzinger Künstlerkolonie ausgegangen, einer volun- hervor – ebenso angehörten wie jüngere, vor allem in den taristischen Künstlervereinigung, die von Anfang an in einer Akademieklassen von Julius Diez und Paul Hoecker geschul- gewissen Distanz zur institutionalisierten künstlerische­ n te ›Landschafter‹; Hoecker war einer der ersten Akademie- Ausbildung stand und sich bald auch offiziell von dieser professoren gewesen, der mit seinen Schülern im Sommer abspaltete; an der Karlsruher Akademie war das 1896 mit zum Malen aufs Land zog. Auffallend ist in München auch der Gründung des Künstlerbunds der Fall gewesen. die Beteiligung auswärtiger Künstler, die entweder als Se- Karlsruhe reihte sich damit in die Sezessionsbewe- zessionsmitglieder oder als Beteiligte an den frühen Sezes- gung der 1890er Jahre ein, für deren Entwicklung mehrere sionsausstellungen dann ihrerseits an ihren eigentlichen Faktoren ermittelt wurden.259 An erster Stelle steht die Kritik Wirkungsstätten als Sezessionisten hervortraten: Gotthardt an der in den Akademien vorzugsweise vermittelten histo- Kuehl und waren Gründungsmitglieder der ristischen und als erstarrt empfundenen Malerei, mit der Münchener Secession und spielten dann in den 1893 und letztendlich die vormoderne Gattungshierarchie mit der 1898 gegründeten Sezessionen in Dresden und Berlin eine Historienmalerei an der Spitze und der Landschafts- und führende Rolle. Leopold Graf von Kalckreuth, seit 1893 Genremalerei als nachrangigen Gattungen fortgeschrieben Mitglied der Münchener Secession, leitete nach 1895 die wurde. Diese Hierarchisierung bildete sich nicht zuletzt Naturklasse an der Weimarer Kunstschule und wurde an- auch sozialgeschichtlich bzw. standespolitisch ab in einem schließend zu einer Zentralfigur des sezessionistischen von autokratischen »Malerfürsten« 260 wie Franz von Len- Karlsruher Künstlerbundes. Adolf Hölzel war sowohl an der bach in München oder Anton von Werner in Berlin be- Gründung der Münchener als auch 1897 der Wiener Seces- herrschten Kunst- und Ausstellungsbetrieb, der jungen Ta- sion beteiligt. Berliner Künstler wie Walter Leistikow oder lenten zu wenig Präsentationsmöglichkeiten gab und sich der mit Künstlersteinzeichnungen bei R. Voigtländer vertre- zu wenig internationalen Strömungen öffnete. In dieser tene Franz Skarbina stellten in der Münchener Sezession Walter Georgi, Hinsicht war die Hinwendung der jungen Generation zu ei- aus. Kurzum: Die Gegenbewegung zum offiziellen Akademie­ Münchener Bierkeller nem naturalistischen Malstil und die von der französischen betrieb war von einem regen wechselseitigen Austausch (H 55 cm, B 75 cm), Malerei inspirierte Begeisterung für die Freilichtmalerei, die zwischen den Kunstzentren und der Bildung von personel- R. Voigtländer, Leipzig, den mit modernen Tubenfarben ausgerüsteten jungen len Netzwerken geprägt. Nr. 126, 1902 Franz Hoch, Maimorgen in Oberbayern (Süd-­ ufer des Ammersees) (H 55 cm, B 75 cm), B. G. Teubner, Leipzig, Nr. 94, ca. 1905

Georg Braumüller, Philosophie Paul Hey, des Nichts Herbstabend (H 41 cm, B 30 cm), (H 32 cm, B 52 cm), R. Voigtländer, Hubert Köhler, Leipzig, Nr. 317, München, Nr. 7, ca. 1905 ca. 1902 103 für die Künstlersteinzeichnungen wichtigen Kontext der Sozialformationen Heimatkunst einordnen. Für diese Münchener Variante der Künstlersteinzeichnung stehen auch die beim kaum be- kannten Verlag Hubert Köhler erschienenen Blätter und Postkartenserien von Hans Röhm, Josef Seiler, Ferdinand Spiegel, Curt Ullrich und vor allem auch von Paul Hey, des- sen bei Köhler erschienene frühe Arbeiten sich noch deut- lich am Münchener »Jugend«-Stil orientierten. Wenn man mit Blick auf die zuletzt genannten Künstler von einem Münchnerischen Stil spricht, so kann man mit gleichem Recht für einige aus der Schule von Gotthardt Kuehl stammende Künstler von einer Dresdner Stilrichtung sprechen. Kuehl hatte 1895 die Landschaftsklasse an der Dresdner Kunstakademie übernommen.267 Die Berufung war eine Reaktion auf den 1893/94 auch in Dresden er- kennbar gewordenen, die Reformbedürftigkeit der Akade- mieausbildung indizierenden Sezessionismus, der mit der Gründung eines in Opposition zur konservativen Kunstge- nossenschaft stehenden Vereins Bildender Künstler Dres- den manifest geworden war. Die Ernennung Kuehls zum Akademieprofessor war also durchaus ein Politikum, und die damit einhergehende Öffnung zu einer gemäßigten Mo- derne wirkte auf die konservative Dresdner Kunstpolitik provozierend. Bei einer aus Anlass einer internationalen Ausstellung gewährten Audienz wurde Kuehl jedenfalls noch Jahre nach seiner Berufung vom sächsischen König coram publico kritisiert; der gleichfalls teilnehmende Künstlerkollege Leopold von Kalckreuth soll dabei laut ge- äußert haben, er werde das Schloss nie wieder betreten.268 Mit Kuehl hielt ein am französischen Impressionismus geschulter Malstil in Dresden Einzug.269 Seine lichtdurch- fluteten Interieurs und seine stimmungsvollen Dresdner Stadtansichten, die eine Atmosphäre fast schon eleganter Urbanität ausstrahlten, unterschieden sich nach Stil und Inhalt nicht unerheblich von den Werken Carl Bantzers, des zweiten Modernisierers des Dresdner Kunst- und Akade- miebetriebs.270 Wie Kuehl, mit dem ihn eine enge Zusam- menarbeit verband, war auch Bantzer vom französischen Impressionismus beeindruckt und hatte sich 1883 und 1892 in Paris aufgehalten.271 Bantzer, der zu den führenden Köpfen des sezessionistischen Vereins Bildender Künstler gehörte, 1896 an der Dresdner Akademie eine Malklasse übernahm und als akademischer Lehrer die Hinwendung zur Freilichtmalerei propagierte, war also durchaus mo- dern. Seinen Bildern sieht man diese Neuererrolle zumin- Carl Bantzer, Abendmahl in einer dest aus heutiger Perspektive nur mehr bedingt an. Die im hessischen Dorfkirche 272 Vergleich zu Kuehl »größere Erdenschwere der Farben«, (H 70 cm, B 100 cm), die immer wieder auf die Landschaft seiner hessischen R. Voigtländer, Leipzig, Heimat und die bäuerliche Lebenswelt Bezug nehmende Nr. 116, ca. 1903 Diskurse, Motive und Stile

128 129 Diskurse, Motive und Stile

In den Sozialformationen, innerhalb derer die Künstler- krieg überholt. Diese mit den Mitteln eines zur Idylle ten- steinzeichnungen entstanden, bildeten sich Einstellungen dierenden Heimatstils einzufangen und in Bilder zu über- ab: der Protest gegen den in den Akademien vorwaltenden setzen, erwies sich als unmöglich. Von der klassischen Mo- autoritären Führungsstil und die inhaltlichen Vorgaben der derne radikal überholt, gerieten damit auch viele Künstler akademischen Malerei bei den Sezessionisten; die Bereit- und Bilder der Zeit um 1900 in Vergessenheit – um dann schaft zu alternativen Lebensformen abseits der großstäd- nach 1933 durch die Bildästhetik und die verlogene Agrar- tischen Kunstzentren in den Künstlerkolonien; der eman- romantik des Nationalsozialismus noch einmal aktualisiert zipatorische Anspruch bei den von der akademischen Aus- zu werden. Damit waren sie nach 1945 endgültig und defini- bildung bislang ausgeschlossenen »Malweibern«. Die So- tiv ideologisch kontaminiert und schieden für Jahrzehnte aus auf die ästhetische Durchdringung aller Lebensbereiche Verlage vertraten den Anspruch, Originalgrafik zu vertreiben, links: Bibliothek, zialformation war die Übersetzung dieser Einstellungen in dem kunsthistorischen Rezeptionsprozess aus. Es bedarf abzielte; vom Sofakissen bis zum Städtebau sollte nach entgegen der Suggestion der individuellen Herstellung in rechts im Bild erkennbar: Walter Georgi, Post- die Lebenspraxis, die alte Konventionen ablehnte und mithin einer beträchtlichen hermeneutischen Anstrengung, einem im Deutschen Werkbund verbreiteten Bonmot die kleiner Auflage setzten sie indes auf die hohe Auflagen und kutsche (B. G. Teubner, 339 künstlerische Innovationen suchte: bei der Farbgebung, was um herauszuarbeiten, dass die Künstlersteinzeichnungen Produktpalette reichen. Verkaufszahlen ermöglichende Drucktechnik der Lithogra- Leipzig, Nr. 76), aus: im Fall der Grafik den Bruch mit der schwarzweißen Griffel­ ursprünglich einmal Teil der Moderne um 1900 waren. Die vom – 1907 in München gegründeten – Werkbund fie sowie die Schnellpresse. Der zweite Grund, warum zu- Jahrbuch des Deutschen kunst bedeutete; bei der stark auf Landschaft und freie angestrebte »Veredelung der gewerblichen Arbeit« und die letzt auf die kunstgewerbliche Möbelproduktion eingegan- Werkbundes, 1912 Natur fokussierten Motivwahl; mit dem Weg aus dem Ate- Kritik der Kunstgewerbebewegung an der industriellen Mas- gen wurde, ist eine gewisse Kongruenz der Käuferkreise von rechts: Katalog der Ofen- lier und der Hinwendung zum Pleinair; mit der Rezeption Kunstgewerbe- und Kunst­ senfertigung waren durchaus ambivalent bzw. führten schon modernen Möbeln und Künstlersteinzeichnungen. Zumin- fabrik Glöckel & Rukwid ausländischer Vorbilder wie dem französischen Impressio- erziehungsbewegung früh zu Richtungsstreitigkeiten über einen sinnvollen und dest haben die Hersteller bzw. Künstler selbst diese Kom- mit einer Nachzeichnung nismus und dem Japonismus; mit der Neubewertung der begrenzten Einsatz von Maschinen, wie er von keinem Ge- patibilität gesehen und gefördert, wie durch Abbildungen von Hans Beat Wieland, Kunst des 19. Jahrhunderts, die in Abwendung vom akade- Wenn es um diese verschütteten Anschlüsse der künst­ ringeren als William Morris, dem Inspirator des Arts and im »Jahrbuch des Deutschen Werkbundes« nahegelegt Letztes Leuchten mischen Historismus nun erst eine breite Anerkennung der lerischen Farblithografie zu den Reformdiskursen und ästhe- Crafts Movement, befürwortet worden war. In Deutschland wird; so ist beispielsweise neben einem Bücherschrank der (B. G. Teubner, Leipzig, romantischen Landschaftsmalerei brachte. Dies waren die tischen Debatten um 1900 geht, mit denen die »Kosten der kulminierte dieser Richtungskampf 1914 im sog. Typen- oder Dresdner Werkstätten für deutschen Hausrat ein Ausschnitt Nr. 70), Pappenheimer Ofenfabrik Glöckel mehr oder weniger stark akzentuierten Hauptkomponenten Modernisierung« 337 abgefedert werden sollten, wurden als Werkbundstreit zwischen Henry van de Velde und dem des von Walter Georgis großformatiger Künstlersteinzeichnung & Rukwid, Pappenheim, des neuen Kunstwollens. Indem sich diese zu einem inter- wichtige Stichworte bereits wiederholt Kunstgewerbe- und Opportunismus gegenüber der Industrie bezichtigten Her- »Postkutsche« erkennbar. In die gleiche Richtung weist der 1914 nationalen Trend verdichteten, der das individuelle Streben Kunsterziehungsbewegung genannt. Im Grunde verwiesen mann Muthesius, bei dem es um den Gegensatz von indi- Katalog der mit ihrer Mitgliedschaft im Deutschen Werk- nach künstlerischer Originalität überwölbte, wurden der ja schon der Begriff der Künstlersteinzeichnung, der mit ihm vidueller Einzelproduktion und serieller maschineller Pro- bund werbenden Pappenheimer Ofenfabrik Glöckel & Ruk- Künstler und seine Sozialformation Teil einer Bewegung, ja verbundene Anspruch und die Herstellungstechnik auf die duktion ging.340 Faktisch hatten die kunstgewerblichen Pro- wid, deren dem Jugendstil verpflichtete Kachelöfen von einer Mode, die neue Konventionen und neue Etikettie- Kunstgewerbebewegung. Denn unter rein technischen und duktionszentren zu diesem Zeitpunkt freilich schon längst Künstlersteinzeichnungen flankiert werden. rungen produzierte: Jugendstil, Heimatkunst, Stilkunst um ökonomischen Gesichtspunkten war das zur Anwendung den Schulterschluss mit der Maschinenproduktion gesucht: 1900, Kunstgewerbebewegung bzw. Arts and Crafts Move­ gelangende lithografische Druckverfahren durch den sich In Dresden-Hellerau hatte Karl Schmidt bereits 1906 ein Ma- ment. Dieser Vorgang wiederum stand bald in einem kont- zeitgleich mit den Künstlersteinzeichnungen durchsetzen- schinenmöbelprogramm entwickelt, das im gleichen Jahr radiktorischen Verhältnis zur künstlerischen Individualität, den Offsetdruck keine Notwendigkeit. Doch das war nicht auf der Dresdner Kunstgewerbeausstellung präsentiert wur- und noch deutlich vor dem Ersten Weltkrieg kam es in Frank- der entscheidende Punkt. Vielmehr sollte ja ein mit der de,341 und auch Richard Riemerschmid und Bruno Paul ex- reich zur fauvistischen Gegenbewegung und in Deutschland Aura der Originalgrafik und der Suggestion von aufwändiger perimentierten mit typisierten Elementen; 1908 begannen wurde durch die Künstlergemeinschaften Brücke und Blauer Handwerklichkeit verbundener Kontrapunkt zur billig pro- die Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk in Reiter der Weg in Richtung Expressionismus und Abstraktion duzierten Massenware der Bilderfabriken gesetzt werden. München mit der Herstellung von sog. Typenmöbeln. eingeschlagen.334 Entscheidend beschleunigt wurde dieser So gesehen ordnet sich die farbige Originallithografie in Die Möbelproduktion wurde zuletzt aus zweierlei Grün- Abschied von der »Welt von Gestern« 335 dann zweifelsohne eine Erneuerungsbewegung ein, die als Arts and Crafts den erwähnt. Zum einen finden wir hier einen Grundkonflikt durch die Kriegserfahrung. Die ästhetisierende Stilkunst Movement 338 von England ausging und in Deutschland seit der Kunstgewerbebewegung angelegt: das Spannungsfeld Hans Beat Wieland, um 1900 336 und der reformpädagogische Anspruch, durch der Mitte der 1890er Jahre in eine breit aufgestellte Kunst- von künstlerischer Individualität und serieller, auf einen Letztes Leuchten die Erziehung zur Kunst zur Veredelung des Menschen bei- gewerbebewegung einmündete, die Zweckmäßigkeit der Markt mit größerem Abnehmerkreis berechneter Produktion, (H 70 cm, B 100 cm), zutragen, wurden von der brutalen Realität der Material- Form, materialgerechtes Design und handwerklich-gedie- das auch bei den grafischen Künsten und hier insbesondere B. G. Teubner, Leipzig, schlachten und der Not der Zivilbevölkerung im Ersten Welt- gene Herstellung zu verbinden versuchte und letztendlich bei den Künstlersteinzeichnungen eine Rolle spielte. Deren Nr. 70, ca. 1905 130 131

über diese Periodika also vorzugsweise das Marktsegment einer bereits auf dem 1. Kunsterziehungstag 1901 in Dres- Diskurse, Motive Haus erreicht, indirekt aber auch die Schule, stellte doch den gestellten Forderung: »man hole« für die Ausstattung und Stile  die Lehrerschaft, zusammen mit den Geistlichen, knapp die der Schulen »die ersten Künstler der Stadt heran, die hof- Hälfte der »Kunstwart«-Gemeinde. Gleichwohl galt es, das fentlich noch einsehen lernen, daß es vorteilhafter ist, mit dem Begriff der »Kunstwartgesinnung« 346 recht gut um- Kunst zu treiben in Verbindung mit der Baukunst statt Ta- schriebene Programm der ästhetischen Erneuerung und geblattruhm in den Kunstausstellungen zu holen«.352 sittlichen Veredelung durch Kunst auch in die Richtung der Und – auch das war ja ein prominentes Thema das nachwachsenden Generation zu vertiefen und die Schulen Dresdner Kunsterziehungstages – neben diesen dekorati- und die Schulkinder direkt zu erreichen. Angesprochen ven Elementen gehörte in den Klassenzimmern eben auch sind damit die Reformpädagogik und insbesondere die der Bildwandschmuck, insbesondere die Künstlerstein- Kunsterziehungsbewegung um 1900 347 und deren Ansatz, zeichnung, zu den zentralen Ausstattungselementen: »Bei das Kind nicht in das monotone Schema der Lernschule zu den Wandbildern, die jetzt gewissermaßen als etwas Neues pressen, sondern es in altersgemäßer Form in seiner allmählich und langsam in unser Schulwesen eingeführt Persönlichkeits­entwicklung zu fördern und die Kluft zwi- werden sollen, handelt es sich vorwiegend um den Schmuck schen Schule und Leben zu verringern. Wenngleich die der Schulräume. Es soll den Kindern der Aufenthalt in der praktische Umsetzung dieser Zielsetzung weniger eine An- Schule [ . . .] in erster Linie heiter und freundlich gestaltet Bildwähler von gelegenheit des öffentlichen Schulwesens war, sondern werden. Das Anschauungsvermögen der Kinder soll entwi- R. Voigtländer, Leipzig, mit Interieur der Dresd- eher in privaten Versuchsschulen erfolgte, so deutete sich ckelt und ihr Geschmack geläutert werden, damit das Be- ner Werkstätten für doch auch im öffentlichen Raum bereits in den Jahren vor dürfnis nach einer künstlerischen Gestaltung der Umge- Handwerkskunst, 1907 dem Ersten Weltkrieg eine Wende an. Gemeint ist damit der bung auch weiterhin beim Verlassen der Schule mit ins Schulhausbau, für den beispielsweise der Dresdner Stadt- Leben hinübergenommen werde.«353 baurat Hans Erlwein neue, Tradition und Fortschritt verbin- Der damit angedeutete Impetus einer eigenständigen Und vollends deutlich wird die Engführung von kunstge- lerischen Zwecken dient«,343 und eben auch den Künstler­ dende Wege beschritt; »Ehre das überlieferte Alte und künstlerischen Aktivität des Kindes schlug sich in den Lehr- werblicher Raumausstattung und Künstlersteinzeichnungen steinzeichnungen. Bereits im dritten Jahrgang 1898/99 und schaffe Neues aus ihm!«, 348 lautete seine Devise. Hatten plänen auch in einer Aufwertung der ›kreativen‹ Fächer und mit dem sog. Bildwähler des Verlages R. Voigtländer. Es han- nur etwas mehr als ein Jahr nach der Gründung des Karls- bislang »alle Schulen« – so Erich Kästner, der selbst in im Schulhausbau in der Einrichtung von Zeichensälen nie- delt sich hier um eine Pappschablone, deren Ausstanzung ruher Künstlerbundes erschien in der Zeitschrift eine Wür- Dresden zur Schule gegangen war – »wie Kinderkasernen« der. Zugleich öffnete sich die in ihren Anfängen eher auf das über Abbildungen von Künstlersteinzeichnungen im Verlags- digung der »Karlsruher Künstler-Lithographien« durch Jean ausgesehen, »düster [. . .], dunkelrot oder schwärzlich grau, höhere Schulwesen fokussierte Kunsterziehungsbewegung katalog aufgelegt wurde, um die Bildwirkung im Ambiente Louis Sponsel, der im Dresdner Kupferstich-Kabinett das steif und unheimlich«,349 so kam es um 1900 im Zusam- auch der Volksschule und wollte die künstlerische Begabung zweier Zimmer zu erproben, die mit Möbeln der Dresdner künstlerische Plakat als neues Sammelfeld einführte und menspiel von Pädagogen und Architekten zu deutlichen aller Kinder fördern. Bereits 1898 wurden in der von Alfred Werkstätten für Handwerkskunst ausgestattet waren. der später u. a. zum Direktor des Dresdner Kunstgewerbe- Veränderungen im Schulhausbau: Große und helle Klassen- Lichtwark als einem der Wortführer der Bewegung geleiteten Diese Beispiele zeigen recht gut, dass die Künstler- museums ernannt wurde. Sponsel erkannte klar die Chance, zimmer, großzügige Korridore, gute schul­hygienische Be- Hamburger Kunsthalle freie Kinderzeichnungen ausgestellt, steinzeichnungen in ihrem Entstehungskontext als modern durch die moderne, hohe Auflagen und günstigen Preis dingungen durch eine moderne sanitäre Aus­stattung, d. h. dem naiven, zumindest vorgeblich von Lehrern nicht wahrgenommen wurden. Sie waren Teil einer Reformbewe- verbindende künstlerische Farblithografie »dem weniger Sportstätten und große Schulhöfe mit Rasenflächen, We- oder nur wenig beeinflussten künstlerischen Schaffen von gung, die im Sinne der »Zusammengehörigkeit aller bilden- bemittelten Bürgersmanne ein wirkliches Kunstwerk in’s gen, Bäumen und Zierelementen, gegebenenfalls auch ei- Kindern wurde Museumsreife attestiert.354 Der Münchener den Künste [ . . .] Architekten, Bildhauer, Maler und techni- Haus zu geben« und auf diese Weise die »Kunst zu einem nem Schulgarten – das waren die wesentlichen Elemente, Stadtschulrat und Reformpädagoge Georg Kerschensteiner sche Künstler, die sog. Kunstgewerbetreibenden [. . .] Hand Gemeingut des Volkes werden zu lassen«. In der für die die das neue, auf eine angenehme Lernatmos­phäre bedach- trat dann wenig später, 1904/05, mit Untersuchungen zum in Hand schaffend für ein Grosses Ganzes« zu gewinnen Reformbewegungen um 1900 eigentümlichen Gemengelage te Schulhaus von den Schulkasernen alten Stils unterschie- zeichnenden Kind und zur Entwicklung der zeichnerischen suchte. »Wirkliche, grosse Künstler für die – Kleinkunst«,342 von Traditionalismus und Modernität suchte Sponsel dabei den. Zugleich sollten die neuen Schulgebäude harmonisch Begabung hervor.355 Gerade im autoritären Klima der Wilhel- so lautete denn auch der Aufruf in der 1897 erschienenen die moderne Tendenz zur ästhetischen Durchdringung des in ihre Umgebung eingepasst werden; Fritz Beckert veran- minischen Epoche waren das starke Signale, denn hinter der Gründungsnummer der Zeitschrift »Deutsche Kunst und Alltags historisch zu legitimieren. Wer behaupte, »die Kunst schaulichte diesen Anspruch mit seiner das Dresdner König Entdeckung des noch unverbildeten »Genius des Kindes« – Dekoration«, die sich nach dem Vorbild englischer und fran- könne nie volksthümlich werden, ihr Genuss sei immer nur Georg-Gymnasium darstellenden Künstlersteinzeichnung.350 so der Titel einer wesentlich später, 1921/22, in der Mannhei- zösischer Zeitschriften wie »The Studio« oder »Art et Dé- das Vorrecht einiger besonders hochstehender Kreise« ge- Präsentiert wurde dieser neue Ansatz im Gewand des mer Kunsthalle durchgeführten Ausstellung 356 – stand letzt- coration« nicht zuletzt der Wohnungskunst widmete. Die wesen, der möge doch die »ganze bürgerliche Kunst in Heimatstils, der sich im Falle Erlweins sowohl an die örtliche lich die emanzipatorische Auffassung, dass Kunstsinn und Wohnung als Gesamtkunstwerk, in der Möbel, Tapeten und Deutschland während der Reformationszeit« zur Kenntnis barocke Bautradition Dresdens als auch an jene seiner süd- künstlerische Kreativität nicht nur eine Angelegenheit der Wandschmuck aufeinander abgestimmt waren und einen nehmen, »wo u. a. auch die besten Werke des Kunstdrucks deutschen Heimat anlehnte. Verstärkt wurde dieser die gebildeten Stände, sondern auch in der Breite zu finden und kultivierten Lebensstil signalisierten – was Henry van de auf Märkten und Messen feilgehalten wurden«. 344 Modernität invisibilisierende Traditionalismus durch ›hei- zu fördern seien. In diesem Sinne folgten bis in die 1920er Velde etwa mit der Villa Esche in Chemnitz in großem Stil Sich in den Dienst der Kunstgewerbebewegung stel- matliche‹ Zierelemente: Kleinplastiken und plastische Re- Jahre zahlreiche weitere psychologische und pädagogische und als Unikat verwirklichte, das sollte durch die Kunstge- lende Zeitschriften wie »Deutsche Kunst und Dekoration« liefs, Wandmalereien, die nicht selten Motive aus der Welt Studien sowie Praxisversuche. Stellvertretend dafür sei nur werbebewegung an Breitenwirkung gewinnen, auch durch oder der seit 1887 in Dresden, seit 1894 dann in München der deutschen Märchen und Sagen aufgriffen. Georg Lührig, auf den Wiener Reformpädagogen Franz Cizek verwiesen, der die serielle Fertigung und auch mittels der »vervielfältigen- herausgegebene »Kunstwart« – laut Richard Dehmel der der auch mit Farblithografien hervortrat, stattete beispiels- großen Einfluss auf die englische Child Art-Bewegung aus- den Künste«. Die »Deutsche Kunst und Dekoration« kannte »Leithammel« für den »geistigen Mittelstand« 345 – wand- weise die 34. Bezirksschule in Dresden-Cotta mit einem – übte, als er 1922 in deutscher und englischer Parallelaus- deshalb keine Berührungsängste gegenüber der modernen ten sich vor allem an das gebildete Bürgertum. Bezogen auf im Zweiten Weltkrieg zerstörten und durch eine Nachbildung gabe ein Weihnachtsbilderbuch vorlegte, dessen Farblitho- Plakatkunst, der »Amateur-Photographie, soweit sie künst- die Künstlersteinzeichnungen »für Schule und Haus« wurde ersetzten – »Rübezahl«-Fresko aus 351 und entsprach damit grafien von Kindern entworfen worden waren.357 133

Das war nun freilich die avantgardistische Speerspitze der Landesverein Sächsischer Heimatschutz selbst verlege- Diskurse, Motive Kunsterziehungsbewegung. Als Breitenbewegung war die- risch aktiv wurde und einige Künstlersteinzeichnungen mit und Stile  se eine eher rezeptiv ausgerichtete Schule des Sehens, die regionalem Bezug in Auftrag gab.364 mit der Betrachtung und Interpretation von Bildern ästhe- Die Heimatbewegung war ein zentrales Element der tisches Empfinden und seelische Kräfte wecken und im modernisierungskritischen Reformdiskussion um 1900, und weitesten Sinne die ›musische Bildung‹ fördern wollte. sie war ein offenkundiger Reflex auf die durch die Indus- Denn, so formulierte es mit Konrad Lange einer der führen- trialisierung ausgelösten Wandlungsprozesse wie die im den Vertreter der Kunsterziehungsbewegung, der ja auch 19. Jahrhundert­ zum Massenphänomen gewordene Arbeits- Mitinitiator des Dresdner Kunsterziehungstags 1901 war, migration bzw. die Landflucht, die die demografische Kurve »Kunst ist die Quelle der edelsten Freuden, die man gerade in den städtischen Zentren steil ansteigen ließ; so wuchs heute, in der Zeit des überhandnehmenden Materialismus, Dresden von knapp 62 000 Einwohnern um 1800 auf etwa keinem Menschen vorenthalten sollte.« 358 Zugleich hielt 517 000 Einwohner im Jahre 1905. Dass die Geburts- und Lange am Primat eines realistisch-naturalistischen Darstel- Herkunftsregion zumindest vorübergehend verlassen wer- lungsstils fest: »Alles übrige, Archaismus, Symbolismus, den musste, wurde als Entfremdung von herkömmlichen Primitivismus, Gedankenkunst und dekoratives Wesen« sozialen Bindungen und als Entwurzelung aufgefasst, wäh- hielt er für »eitel Spielerei.« 359 Die Künstlersteinzeichnungen rend der Heimatbindung bzw. der Rückkehr in die Heimat waren mit dieser Auffassung voll kompatibel, und deswegen eine naturwüchsige Emotionalität zugeschrieben wurde, waren sie 1901 auf dem Kunsterziehungstag ein prominentes auf deren Störung die Menschen mit Heimweh reagierten. Thema und gewannen die Aufmerksamkeit der führenden Demnach waren es gerade die auf die notgedrungen »ver- Kunst-, Schulbuch- und Lehrmittelverlage; namentlich die lassenen Räume und sozialen Kontexte« gerichteten Hei- Geschäftsverbindung zwischen dem Karlsruher Künstler- matgefühle in fremder Umgebungsgesellschaft, 365 die den Klassenfoto mit bund und den Leipziger Verlagen R. Voigtländer und B. G. Heimatdiskurs entstehen ließen und zur Konstruktion von Bildwandschmuck von Teubner sei hier noch einmal hervorgehoben. In konzeptio- Heimatbildern führten. Walter Strich-Chapell, neller Erweiterung der Lernschule alten Stils und in Abgren- Neben der »Entstehung des Heimatgedankens aus der Lieb Heimatland ade! zung zur vordergründigen Didaxe der herkömmlichen Schul­ Mobilität« 366 waren die Folgen der Industrialisierung für (B. G. Teubner, Leipzig, Nr. 38), ca. 1920 wandtafeln sollten die farbigen Originallithografien mit Natur und Umwelt ein zweiter wichtiger Impuls für die Hei- ihrer Gemütsbildung und Kunstsinn fördernden Stoffbe- matbewegung. 367 Eingriffe in die Landschaft etwa durch handlung einen festen Platz in den Klassenzimmern finden. den Eisenbahnbau – »die romantischen Felsen werden ge­ Wie sehr das der Fall war, lässt sich vielfach auf alten Klassen­ sprengt werden müssen, die grünen Ufer werden dem Auge fotos erkennen: Bei genauer Betrachtung findet man im Bild- durch hohe Dämme entzogen werden, die lieblichen Dörfer hintergrund häufig Künstlersteinzeichnungen in situ. 360 werden zum Theil rasiert werden«, 368 hielt Prinz Johann von Sachsen bereits 1846 fest – sind hier ebenso zu nennen Heimatschutz und Heimatstil wie frühe Klagen über Umweltverschmutzung durch Rauch­ emission. Dieser Weg »vom Biotop ins Technotop« 369 war Zur zuletzt skizzierten kunsterzieherischen Zielsetzung der einerseits ein urbanes Phänomen, das sich in Sachsen als Künstlersteinzeichnungen gesellte sich ein weiterer, nicht einem der regionalen Schwerpunkte der Industrialisierung minder wichtiger Anspruch. Als »stille Erzieher« 361 sollten in Deutschland vor allem am Städtedreieck von »coketown« sie zur Heimatliebe erziehen, sie wollten »Heimatkunst« 362 Chemnitz, »commercetown« Leipzig und »courttown« Dres- sein. Und indem sie bevorzugt deutsche Landschaften und den festmachen lässt. 370 Das sächsische Beispiel zeigt Städte, deutsche Sagen und Märchen ins Bild setzten, wa- aber auch, dass sich die Industrialisierung nicht nur in den ren sie der visuelle Eckpfeiler der Heimatbewegung um Groß- und Mittelstädten, sondern auch im ländlichen Raum 1900. In Entsprechung hierzu spielte der Heimatbegriff in abspielte. Die Folge waren die sog. Industriedörfer wie bei- der Titelgebung von Einzelblattdrucken, Mappenwerken spielsweise das kleinbäuerliche Kriebstein im Zschopautal, oder Verlagsreihen eine wichtige Rolle; von den »Heimat- wo sich die Papierfabriken Kübler & Niethammer mit dem bildern deutscher Kunst« des Berliner Franz Schneider Ver- seit 1877 hergestellten Rollendruckpapier für Zeitungen na- lags oder den »Heimatbildern für Schule und Haus« des tional wie international als Branchenführer etablierten.371 Verlags A. Haase war bereits die Rede.363 Für den engen Dass sich im ländlichen Raum ein attraktiver Anlaufpunkt Konnex von Heimat- und Naturschutzbewegung und dem für Arbeitskräfte etablierte, dass die Fabriken die natürli- Genre der Künstlersteinzeichnungen spricht beispielsweise chen Ressourcen wie die Wasserkraft nutzten und umleiteten, Klassenfoto mit auch, dass die von Karl Otto Matthaei 1907 publizierte zugleich durch Abwasser und Rauch die Umwelt belasteten, Bildwandschmuck von Karl Bauer, Goethe Farblithografie »Blühende Heide« gemeinsam von R. Voigt- die Verbauung der Landschaft mit Fabriken, Schloten, neuen (B. G. Teubner, Leipzig, länder, Leipzig, und dem Niedersächsischen Verein für Transportwegen und -mitteln – dies alles führte zur Ver- Nr. 30), ca. 1925 Volkstum verlegt wurde oder dass der 1908 gegründete schränkung von sozialen und Umweltkonflikten. Adolf Hosse, Ernte (H 70 cm, B 100 cm), B. G. Teubner, Leipzig, Nr. 91, ca. 1904

linke Seite, oben: Hans Meyer-Cassel, Wildenroth im Ampertal (H 19 cm, B 28 cm), aus: Landschaften und Städtebilder,­ Theo Stroefer, Nürnberg, ca. 1904 linke Seite unten: Wilhelm Schacht, Mein Dorf im Blütenschmuck (H 55 cm, B 75 cm), Merfeld & Donner, Leipzig, Nr. 68, 1916 Rudolf Poeschmann, Bautzen (H 55 cm, B 75 cm), Weigangsche Verlags- buchhandlung, Bautzen, 1919 linke Seite: Hermann Petzet, Abend im Städtchen (Dinkelsbühl) (H 41 cm, B 30 cm), R. Voigtländer, Leipzig, Nr. 354, ca. 1907

Adolf Luntz, Winter (H 22 cm, B 22 cm), R. Voigtländer, Leipzig, Nr. 504, ca. 1908 Das Ende: Patriotik und nationalistische Aufladung im Ersten Weltkrieg

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als Herausgeber der »Vaterländischen Bilderbücher« auch Das Ende: Patriotik und nationalistische die Texte zu den von Franz Müller-Münster illustrierten Bän- den zum Großen Kurfürsten und zu Friedrich dem Großen Aufladung im Ersten Weltkrieg sowie zu Karl Bauers Illustrierung von Bismarcks Wirken bei. Die Engführung des Mythos der Befreiungskriege mit ›Preußens deutscher Sendung‹ in der gesamten Buchreihe ist evident und wurde durch den der Reichsgründung ge- widmeten und wiederum von Angelo Jank mit Farblitho­ grafien ausgestatteten Band »Nun laßt die Glocken von Turm zu Turm durch’s Land frohlocken im Jubelsturm. 1870–71« noch einmal untermauert. Dass die Künstlersteinzeichnung eine genuin deutsche Zunächst aber waren es vor allem die Künstlerbilderbücher, Die mentalitätsformende, auf Kriegs- und Opferbe- Kunst sein und mit der Entwicklung einer »heimischen, in- die das für den Prozess der deutschen Nationalstaatsbil- reitschaft abzielende Wirkung der politisch instrumenta- dividuell deutschen Kunstsprache« 456 der künstlerischen dung so entscheidende Narrativ der Befreiungskriege the- lisierten Künstlerbilderbücher vor und während des Ersten Abhängigkeit von England und Frankreich entgegenwirken matisierten. Namentlich der für sein künstlerisch wie Weltkriegs ist zwar nicht exakt messbar, sie sollte indes sollte – dieses kunstpolitische Programm war dem Genre drucktechnisch anspruchsvolles Programm bekannte Main- nicht unterschätzt werden. Ikonografisch war sie insofern von Anfang an eingeschrieben. Unverkennbar war auch die zer Scholz Verlag trat hier mit seiner Serie »Vaterländische problematisch, als hier die Tradition einer »blutigen Ro- nationalkonservative Grundierung des von der Kunster- Bilderbücher« hervor, für die Vertreter des Genres der mantik« 461 beschworen wurde. Die Greuel der Befreiungs- ziehungsbewegung formulierten Anliegens, dass die deut- Künstlersteinzeichnungen gewonnen werden konnten; den kriege wurden dabei nicht nur verharmlost, sondern zu- schen Künstler im Kreis der ›Kunstvölker‹ konkurrenzfähig Auftakt machte hier Angelo Jank, der wenige Jahre zuvor mit gleich wurde die Suggestion einer antiquierten Kriegsfüh- Robert von Haug, sein und die anderen Nationen »aus dem Felde schlagen« seiner Künstlersteinzeichnung »Eiserne Wehr« eine Ikone rung mit Ross und Reiter aufgebaut, die sich dann in den Morgenrot sollten.457 Hinter dieser Wortwahl die Anfälligkeit für eine des Heimatschutzgedankens geschaffen hatte.459 In drei mit Materialschlachten und Stellungskriegen des Ersten Welt- (H 70 cm, B 100 cm), R. Voigtländer, Leipzig, nationalistische Aufladung der Kunstdebatte zu erkennen, ganzseitigen Farblithografien ausgestatteten Bänden – kriegs als Idyllisierung eines mittlerweile hochtechnisier- Nr. 119, 1902 ist für die Künstlersteinzeichnungen keine Fehlannahme. »Zehn Jahre deutscher Not (1803–1812)«, »Frühling und ten Kriegsgeschehens erwies. Es lassen sich jedenfalls bereits im Vorfeld des Ersten Welt- Freiheit (1813)«, »Nach Frankreich hinein (1814–1815)« – kriegs Anzeichen für eine überhitzte Patriotik feststellen: setzte er die Befreiungskriege ins Bild und stimmte die Er- 1913 jährte sich zum 100. Male die Völkerschlacht bei Leip- innerungsgemeinschaft zum Kampf gegen den ›Erbfeind‹ zig, die unter Rekurs auf die napoleonische Ära die sog. Frankreich ein. Die Begleittexte stammten von Wilhelm deutsch-französische Erbfeindschaft und den Mythos der Kotzde, der bereits im Kaiserreich durch seine Mitglied- Befreiungskriege im Erinnerungshaushalt der Nation stabi- schaft im Deutschbund seine Affinität zur völkischen Bewe- lisierte. Der monumentale Beleg dafür ist das 1913, ein gung zum Ausdruck gebracht hatte, um sich dann nach dem Jahr vor Kriegsausbruch, aus Anlass der Jahrhundertfeier Ersten Weltkrieg als Gründer des Jugendbunds Adler und der Völkerschlacht von 1813 eingeweihte Leipziger Völker­ Falken sowie als einer der führenden Köpfe der Artamanen schlachtdenkmal,­ 458 das unverzüglich Eingang ins Bildpro- vollends als einer der wichtigsten Repräsentanten der völ- gramm der Künstlersteinzeichnungen fand. kischen Jugendbewegung zu profilieren.460 Kotzde steuerte

links: Einbandillustration von Franz Müller-Münster zu Wilhelm Kotzde, Der Große Kurfürst, Jos. Scholz, Mainz, Vaterländische Bilder­ bücher, 1912 rechts: Einbandillustration Klassenfoto mit von Angelo Jank zu Bildwand­ schmuck­ Wilhelm Kotzde, Frühling von Robert von Haug, und Freiheit (1813), Morgenrot Jos. Scholz, Mainz, (R. Voigtländer, Vaterländische Bilder­ Leipzig, Nr. 119), bücher, 1912 ca. 1920 182 183

öffentlichten nicht wenige Verlage, die im Kontext der klas- links: Bunte Kriegsbilder­ sischen Moderne einen klangvollen Namen besitzen, in bogen, Nr. 20, Titelillustration­ von Angelo Jank, Verlag der den ersten beiden Kriegsjahren – dann griff allerdings Er- Vereinigung der Kunstfreunde nüchterung um sich – Kriegsbilderbogen mit Originalgrafik W. O. Troitzsch, Berlin-Schöne- 466 bzw. Originallithografien, die einerseits Mut und Opfer- berg, 1914 bereitschaft der deutschen Soldaten und der Zivilbevölke- rung sowie die Tatkraft der militärischen Elite darstellten bzw. unten: Willy Zirges, überhöhten und die andererseits die deutschen Kriegsgeg­ Dies alles ist deutsches Land (H 55 cm, B 75 cm), Merfeld & ner der Lächerlichkeit preisgaben. So erschienen in Berlin Donner, Leipzig, Nr. 79, 1924 im Verlag des Kunsthändlers und Verlegers Paul Cassirer 467 von August 1914 bis März 1916 unter dem Titel »Kriegszeit« expressis verbis als »Künstlerflugblätter« apostrophierte Lithografien vor allem von Künstlern der Berliner Sezession wie August Gaul, Otto Hettner, Willy Jaeckel oder Wilhelm Trübner.468 Der Goltz-Verlag, dessen Inhaber 1912 eine Aus- stellung des Blauen Reiter organisiert hatte und dessen Galerie ein Vorort der klassischen Moderne in München war, trat wiederum mit »Kriegsbilderbogen Münchner Künstler« hervor, an denen u. a. René Beeh, Richard Seewald und Max

Carl Alexander Brendel, Stilles Heldentum (H 30 cm, B 41 cm), Franz Schneider, Berlin-Schöneberg, Aus eiserner Zeit, Nr. 2, 1914

Bei den als Einzelblattdrucke erschienenen Künstlerstein- mut des reformpädagogischen Ansatzes der Jahrhundert- zeichnungen lässt sich diese fatale Orientierung an der wende gekippt und der Militarismus ins Kinderzimmer vormodernen Kriegsführung auch an Georg Lebrechts Sze- getragen wurde, zeigt das Blatt »Feldgraue Jugend« von nen aus den Befreiungskriegen aufzeigen,462 vor allem aber Gertrud Caspari 464 – ein Kinderzimmerbild, auf dem eine an Robert von Haugs bereits 1902 gezeichneter, ganz offen- fröhliche Kinderschar mit gezogenem Degen und geschul- kundig auf die Befreiungskriege rekurrierender Farblitho­ ­ terten Gewehren paradiert; am Schluss des Gruppenzugs grafie »Morgenrot«, die sowohl im Großformat 100 × 70 cm als sieht man ein Kleinkind, das einen Mörser schleppt.465 auch in einer verkleinerten, von Anton Glück nachlithogra- In Relation zur Gesamtzahl der vor dem Ersten Welt- fierten Ausgabe im Format 55 × 38 cm erschien und zu den krieg veröffentlichten Künstlersteinzeichnungen handelt es am weitesten verbreiteten Blättern des Genres zählte: Sie sich bei diesen Militaria um eine quantitativ geringe Nach- zeigt drei Kavalleristen in der Morgendämmerung, deren züglerproduktion. In Verbindung mit der frühen »Eisernen offenkundig übermüdeter Zustand zwar zu einer nachgerade Wehr« Angelo Janks oder dem ganz spät, 1924 als eine der unheroischen Körperhaltung führt – doch der Bildtitel kündet letzten Künstlersteinzeichnungen erschienenen Blatt »Dies vom Anbruch einer neuen Zeit, die allen Einsatzes wert ist. alles ist deutsches Land«, das in revanchistischer Attitüde Die sich bereits im Völkerschlachtgedenken ankündi- die mit dem Versailler Vertrag ausgesprochenen deutschen gende Öffnung der Künstlersteinzeichnungen für eine mili- Gebietsverluste thematisierte, trugen diese wenigen Blätter täraffine Patriotik verstärkte sich dann unter dem Eindruck freilich dazu bei, dass die Deutsche Künstlersteinzeichnung des Ersten Weltkriegs. Der Berliner Franz Schneider Verlag ex post stärker als ein militaristisch konnotiertes patrioti- veröffentlichte noch im ersten Kriegsjahr eine u. a. die Blätter sches Bildprogramm wahrgenommen wurde, als das tat- »Weihnachten im Feindesland«, »Vorposten an der Maas« sächlich der Fall war. und »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« umfassende Serie Zur Entlastung des Genres ist freilich anzumerken, »Aus eiserner Zeit«, und von den großen Verlagen nahm vor dass es auf dem Gebiet der ambitionierten Druckgrafik mit- allem R. Voigtländer Darstellungen zur Weltkriegsthematik nichten nur Künstlersteinzeichnungen waren, die im Ersten in sein Programm auf. 463 Wie schnell dabei auch der Edel- Weltkrieg zum Hurra-Patriotismus tendierten. Vielmehr ver- 184 185

Das Ende: Patriotik und nationalistische Aufladung im Ersten Weltkrieg 

links: Otto Hamel, Aus meinem Skizzen- buch. Original-Litho­ graphien zum Besten des Roten Kreuzes, links: Eugen Osswald, wohl Selbstverlag, Mobilmachung o. O., 1916 rechts: Eugen Osswald, rechts: Eugen Osswald, Krankenschwester 20 farbige Steinzeich- nungen aus dem Feld zu beide: (H 37 cm, B 27 cm), Gunsten der Wittwen- aus: 20 farbige Stein- und Waisenkasse des zeichnungen aus dem Bayerischen Landwehr Feld zu Gunsten der Infanterie Regiments Wittwen- und Waisen- Nr. 1, Einbandmappe kasse des Bayerischen (H 39 cm, B 29 cm), Landwehr Infanterie Selbstverlag, Regiments Nr. 1, Selbst­ München, 1918 verlag, München, 1918

Unold beteiligt waren. Gleichfalls in München erschienen gam vor allem aus Spätromantik, Japonismus und Heimat- Feld zu Gunsten der Wittwen- und Waisenkasse des Baye- der ›verlorenen Moderne‹ um 1900 besonders nachhaltig unter der Ägide von Bruno Goldschmitt einige »Münchner stil ästhetisch überholt war; spätestens im Ersten Weltkrieg rischen Landwehr Infanterie Regiments Nr. 1« von Eugen war, hing aber ganz wesentlich auch mit der Kunstpolitik Kriegsblätter. Ur-Steindrucke deutscher Künstler«, und für zerbrach die heile Welt der Künstlersteinzeichnungen. Die- Osswald das wohl bezeichnendste Beispiel ist. Aus den der Jahre zwischen 1933 und 1945 in Deutschland zusam- den Verlagsort Berlin ist die Serie »Bunte Kriegsbilder­ ser harte Bruch lässt sich im Übrigen auch an manchen nicht wenigen Mappenwerken, die unter dem Eindruck des men: Einerseits wurde die klassische Moderne, die sich bogen« hervorzuheben, in der u. a. der später durch seine Künstlerbiografien ablesen: Franz Hoch fiel 1916 in den Krieges für Wohltätigkeitszwecke verlegt wurden,471 sticht schon vor dem Ersten Weltkrieg mit der Brücke, dem Blauen Illustrationen zu den Werken Erich Kästners zu Ruhm gelan- Vogesen; Gustav Kampmann, der 1914 in die Armee einge- sie künstlerisch zweifelsohne hervor. Zwar wurden etwa mit Reiter oder der Kölner Sonderbundausstellung des Jahres gende Walter Trier mit propagandistischen Karikaturen ver- treten war und als Leutnant der Reserve in Karlsruhe seinen der Darstellung eines toten Schäferhundes des Roten Kreu- 1912 472 Bahn gebrochen hatte, nach 1933 als ›entartet‹ aus- treten war. Ferner ist zu verweisen auf »Krieg und Kunst. Dienst tat, ließ sich 1917 krankheitsbedingt beurlauben zes oder von Soldaten, die mit ausgehöhlten Augen im gegrenzt oder vernichtet.473 Andererseits waren gleichzeitig Original-Steinzeichnungen der Berliner Sezession« mit und befand sich in einer tiefen künstlerischen Krise. Im Au- Unter­stand Wache halten, auch die Schrecken des Krieges die Künstlersteinzeichnungen, generell die zur Agrarroman- Lithografien u. a. von Lovis Corinth, Gino von Finetti, Willy gust 1917 beging Kampmann Selbstmord.470 thematisiert. Wenn aber der am Bett eines Kriegsverwunde- tik tendierende Heimatkunst um 1900 mit der national­ Jaeckel und Emil Pottner. Einige ›Künstlersteinzeichner‹ waren auch als Kriegs- ten wachenden Krankenschwester eine offenkundig Théo- sozialistischen Kunstpolitik kompatibel. Sowohl der pro- Mit den Begriffen des Künstlerflugblatts, des Ur-Stein- maler im Einsatz und wurden auf diese Weise mit den phile Steinlens Werbeplakat für das Pariser Kabarett »Le grammatische Anspruch, eine genuin deutsche Kunst sein drucks oder der Original-Steinzeichnung wurde zwar ter- Schrecken des Krieges konfrontiert. Dessen künstlerische Chat noir« nachempfundene Katze zugesellt wurde oder zu wollen, als auch die insbesondere auf die deutsche minologisch an die auch den Künstlersteinzeichnungen zu- Verarbeitung zeitigte freilich künstlerisch eher problemati- wenn Blätter wie »Mobilmachung« oder »Ausmarsch« einen Romantik rekurrierende Bildästhetik ließen sich problem- grundeliegende Programmatik angeknüpft, weiten Bevöl- sche Ergebnisse. Ein Künstler wie Ernst Vollbehr zeigte in fröhlichen Hurra-Patriotismus vermitteln, so erweckt das los mit der völkischen Heimatkunst der NS-Zeit harmonisie- kerungskreisen gleichermaßen anspruchsvolle wie preis- seinen bei R. Voigtländer publizierten »Wirklichkeitsbildern beim heutigen Betrachter, dessen Bildgedächtnis durch die ren; 474 in manchen Fällen, wie Adolf Hosses Farblithografie werte Originalgrafik zugänglich zu machen. Sieht man von aus dem Weltkriege« oder den »Künstlerbildern aus dem kritische Grafik von Ludwig Meidner oder Otto Dix und durch »Ernte« 475 war dies so sehr der Fall, dass – wenn man nicht Angelo Jank ab, der an den »Bunten Kriegsbilderbogen« Weltkriege« zwar auch die zerstörerische Wirkung des Kampf- die Anti-Kriegsbilder des Expressionismus und der Neuen um das Entstehungsdatum 1905 weiß – das Blatt auch als beteiligt war, hatten die Bilderbogenserien der Jahre 1914/15 geschehens, folgte dabei stilistisch aber einer konventio- Sachlichkeit geprägt ist, den Eindruck, dass der Versuch, NS-Kunst wahrgenommen werden könnte. Diese Kompati- mit den Künstlersteinzeichnungen freilich kaum eine per- nellen Militärmalerei in der Tradition des Historismus, die den Krieg mit den Mitteln des Münchener »Jugend«-Stils zu bilität hatte zur Folge, dass nicht wenige ›Künstlerstein- sonelle Schnittmenge. Vielmehr kündigten sich – die ge- hinter dem ästhetischen Anspruch der Künstlersteinzeich- bewältigen, in eine künstlerische Sackgasse führte. zeichner‹, die sich um 1900 in ihrer künstlerischen Auf- nannten Namen sprechen für sich – eine neue Künstler­ nungen zurückblieb. Dass die Künstlersteinzeichnungen teilweise schon vor bruchphase befunden hatten, in den 1920er Jahren dann generation und eine neue und modernere Bildsprache an, Und dort, wo der künstlerische Standard des Genres dem Ersten Weltkrieg ästhetisch überholt wurden und dass aber den Anschluss an moderne Kunstströmungen ver- die allerdings aufgrund ihrer patriotischen Befangenheit von eingehalten wurde, führte dies zu einer zwischen Melan- die kunst- und lebensreformerischen Impulse der Zeit um passten und eher an den Rand gedrängt wurden, nach 1933 der Darstellung der Kriegsgräuel, wie sie Ludwig Meidner cholie und Idyllisierung changierenden Darstellung des 1900 im Krieg einer desillusionierten Weltsicht wichen, noch einmal reüssierten und zwischen 1937 und 1944 mehr bereits 1914 mit seiner Mappe »Krieg« vorlegte,469 noch Krieges, für die neben Hubert von Zwickles »Gedenkwerk wurde bereits mehrfach als Grund dafür angeführt, dass oder minder regelmäßig in den Großen Deutschen Kuns­t­ weit entfernt war. Aber es deutete sich eben auch an, dass 1914–1918« die in einer kleinen Auflage von 150 Exemplaren viele für das Genre wichtige Künstler und Künstlerinnen der ausstellungen im Münchener Haus der Deutschen Kunst das für die Künstlersteinzeichnungen konstatierte Amal- erschienene Mappe »20 farbige Steinzeichnungen aus dem Vergessenheit anheimfielen. Dass dieses Vergessen im Fall vertreten waren.476 Walter Strich-Chapell, der mit der Künst- 200 201

dungsmitgliedern der Association Artistes In- Weltkrieg war er dann als Kriegsmaler des k. u. Döring/Klein-Wiele, Grafikdesign im Jugendstil, Biogramme der Künstlerinnen dépendants d’Alsace zählte und wo er bevor- k. Kriegspressequartiers u. a. in Montenegro, S. 254; Kristan, Wandtafelwerk, S. 182 f.; zugt die Motive für seine Werke fand. 1928 er- Albanien, Galizien und Südtirol tätig; düstere, Pawlowsky, Akademie der bildenden Künste Wien im Nationalsozialismus, S. 33 u. ö.; hielt er eine Professur für Druckgrafik an der ausgemergelte oder tote Pferde zeigende Litho- und Künstler www.antiquare.at; www.kovacek-zetter.at; Kunstgewerbeschule Strasbourg und avancier- grafien aus dieser Zeit erschienen 1916/17 in www.wladimir-aichelburg.at; te 1933 zu deren Direktor. Nach 1940 zog er den Jahresmappen der Gesellschaft für verviel- https://de.wikipedia.org sich nach Dettweiler /Dettwiller, dem Her- fältigende Kunst in Wien. Nach Kriegsende kunftsort seiner Mutter, zurück, wo er bereits übersiedelte A. nach St. Pölten. 1919 kam es 1932 ein Haus erworben hatte und wo er 1945 dann doch noch zur Berufung an die Wiener zum Ehrenbürger ernannt wurde. Akademie der bildenden Künste, wo er in der Otto Antoine Folgezeit die allgemeine Malklasse und die * 22. 10. 1865 Koblenz Braeuner, Les Peintres et l’Alsace, S. 26 ff.; Oscar Achenbach Richard Albitz Kunst vertreten. Nach 1945 lebte er in Ost-Ber- Meisterklasse für Wandmalerei leitete. In sei- † 14. 7. 1951 Unteruhldingen www.alsace-collections.fr; matrikel.abdk.de * 31. 12. 1868 Stettin/Szczecin * 31. 1. 1876 Berlin lin. 2016 wurde in Schloss Pretzsch mit einer nem Geburtsort stellte A. seit den 1920er Jah- † 22. 8. 1935 Wiesbaden † 4. 5. 1954 Berlin Ausstellung an A. erinnert. ren mit seinem Schüler Karl Wilhelm Holzspiel- A. absolvierte zunächst eine Lehre im Maler- zeug her, zwischen 1924 und 1938 mit dem An- handwerk, entschied sich dann aber für die Der Sohn eines Kürschnermeisters absolvierte Nach dem Schulbesuch trat A. 1892 in den Eisold, Künstler in der DDR, S. 19; Ferdinand Andri spruch, zur Minderung der Arbeitslosigkeit Beamtenlaufbahn im Postdienst, war aber www.bildatlas-ddr-kunst.de; nach dem Besuch des Marienstiftsgymnasiums Postdienst ein, in dem er – unterbrochen durch * 1. 3. 1871 Waidhofen an der Ybbs beizutragen, unter dem Dach der Siedlungs- gleichzeitig als Autodidakt künstlerisch aktiv www.gdk-research.de; www.pretzsch-elbe.de Stettin / Szczecin eine Lehre in einer lithografi- den Militärdienst 1899 /1900 und den Freiwil- † 19. 5. 1956 Wien und Kunstgewerbegemeinschaft Waidhofen an und lenkte damit die Aufmerksamkeit des schen Anstalt. 1889 folgte eine dreieinhalbjäh- ligendienst im Ersten Weltkrieg – bis 1924 tätig der Ybbs. Dass A. zugleich illegaler National­ Staatssekretärs des Reichspostamts, Heinrich rige Studienreise, die ihn in die Schweiz und war; 1907 war er beamteter Telefonsekretär Der Sohn eines Vergolders italienischer Her- sozialist war, wurde erst in jüngster Zeit ermit- von Stephan, auf sich. Dieser holte A. nach Ber- nach Italien führte. Nach dem Tod seiner Eltern geworden, zuletzt hatte er die Stellung eines René Allenbach kunft studierte nach einer Lehre als Holzschnit- telt, und Gleiches gilt für seine politische Tätig- lin, wo er Aquarelle von Postbauten anfertigte ging A. 1896 nach Berlin, wo er an der Lehran- Obertelegrafeninspektors inne. A. widmete * 6. 3. 1889 Nanterre zer und Altarbauer 1886–88 an der Staatsge- keit an der Wiener Akademie nach dem sog. An- und nebenbei an der Kunstakademie bei Franz stalt des Kunstgewerbemuseums sowie an der sich nun ganz seinen künstlerischen Neigun- † 28. 5. 1958 Dettweiler/Dettwiller werbeschule Innsbruck, 1888–91 an der Aka- schluss 1938: A. zählte 1938/39 zu jenem Tri- Skarbina studierte. 1902 wurde A. Büroassis- Akademie studierte. Ausgedehnte Studienrei- gen, denen er bereits 1907 durch das Studium demie der bildenden Künste Wien und 1891–94 umvirat, das nach der Amtsenthebung des tent beim Reichspostmuseum, an dessen Aus- sen führten A. nach Norwegen und Italien und bei Hans Hartig nachgegeben hatte. A. machte Der Sohn eines Industriellen siedelte mit den in Karlsruhe. 1894/95 folgte der Militärdienst bisherigen Rektors die Gleichschaltung der bau er mitarbeiten und künstlerische Darstel- schlugen sich motivisch in seiner vom Impres- sich als Berliner Maler des Spätimpressionis- Eltern von Frankreich nach St. Petersburg über, als Einjährig-Freiwilliger in Galizien. Nach der Akademie und die Entlassung politisch miss- lungen des Postbetriebs in Vergangenheit und sionismus geprägten Landschaftsmalerei nie- mus einen Namen, der seine Motive in der gesundheitliche Probleme zwangen ihn aller- Rückkehr nach Wien war A. 1899–1909 Mitglied liebiger oder jüdischer Kollegen betrieb. 1941 Gegenwart anfertigen sollte. Gleichzeitig war er der. Im Ersten Weltkrieg wurde A. nach Limburg Mark Brandenburg und in Berlin, bevorzugt dings zur Rückkehr. Er schloss in Straßburg/ der Secession, der er 1905–09 als Präsident wurde er mit der Ehrenmitgliedschaft der Aka- in die Betreuung der Postwertzeichensamm- an der Lahn versetzt, wo er in der Briefkontroll- aber im Norden Deutschlands fand, u. a. im Strasbourg die Schule ab und besuchte dort ab vorstand. 1904 war er an der Ausgestaltung des demie ausgezeichnet, im gleichen Jahr erhielt lung des Museums eingebunden. Eine Studien- stelle des Offiziersgefangenenlagers eingesetzt Hamburger Hafen. Dies spiegelt sich auch in 1905 die städtische Kunstgewerbeschule, die österreichischen Pavillons auf der Weltausstel- er den Ehrenring der Stadt Wien. Aufgrund der reise führte ihn 1905 auf die Kanarischen In- wurde. Auf den Krieg rekurrierte auch sein seinen Künstlersteinzeichnungen wider, die sich seit der Berufung von Anton Seder aus lung in St. Louis, Missouri, mit einem großen Kompatibilität seiner bevorzugten Motive bzw. seln, auch dort blieb er mit der Darstellung der 1916/17 unter dem Titel Aquarelle und Stein- vor allem bei R. Voigtländer, Leipzig, erschie- München zu einem Zentrum der Kunstgewerbe- Wandfresko beteiligt. Als Grafiker arbeitete er der damit einhergehenden Tendenz zur Heroi- Personenpost auf Gran Canaria seinem Metier zeichnungen erschienenes Mappenwerk mit nen (u. a. Wallanlagen in Bremen). Im Braun- bewegung und des Jugendstils entwickelt hat- an der Zeitschrift Ver sacrum und an Gerlachs sierung der bäuerlichen Welt mit der herrschen- treu. Neben dem Postwesen war es dann die 14 szenischen Darstellungen des Kriegsge- schweiger Westermann Verlag legte er in der te. 1910/11 studierte er an der Leipziger Akade- Jugendbücherei mit. Ferner trat er ab 1904 mit den Kunstideologie war A. auch als Künstler Großstadt Berlin, die A. in Ölbildern, Pastellen schehens. A. blieb der Lahnregion auch nach Serie Künstler-Steinzeichnungen aus Hamburg mie für graphische Künste und Buchgewerbe, Bildhauerarbeiten und Holzspielzeug hervor. erfolgreich. Ungeachtet des für 1939 belegten und Grafiken in der impressionistischen Ma- Kriegsende verbunden: Er ließ sich dauerhaft und Umgegend das großformatige Blatt Ham- wo Alois Kolb zu seinen Lehrern zählte, ab 1911 Für das Genre der Künstlersteinzeichnungen Eintritts in den Ruhestand leitete er weiterhin nier seines Lehrers Franz Skarbina festhielt. in Runkel nieder, wo er den Bornverlag zur Ver- burger Fleet bei Tauwetter vor. Nach dem Ers- an der Münchener Akademie der Bildenden verdient vor allem seine Mitwirkung am Wand- die Klasse für Freskomalerei. 1945 wurden sein Hier fügt sich auch die bei B. G. Teubner vor dem öffentlichung seiner Werke gründete; u. a. er- ten Weltkrieg stand A. den künstlerischen Ex- Künste, wo er in die Klasse für Druckgrafik ein- tafelwerk der Österreichischen Hof- und Staats- Wiener Atelier und seine Wohnung ausgebombt Ersten Weltkrieg veröffentlichte großformatige schien dort die motivisch an das Genre der perimenten der 1920er Jahre fern. Seither hielt trat. 1913 kehrte A. nach Straßburg/Strasbourg druckerei Wien Hervorhebung, für das er zwi- und ein Großteil seines Werkes vernichtet; sei- Künstlersteinzeichnung Kaisergeburtstag ein. Künstlersteinzeichnungen anknüpfende, aller- er sich wiederholt in Schloss Pretzsch an der zurück und eröffnete sein erstes eigenes Ate- schen 1905 und 1910 fünf großformatige Farb­ ne gleichfalls als Malerin tätige Frau Charlotte Straßenszenen und Bauten Berlins standen dings im Offsetverfahren gedruckte Mappe An Elbe auf, wo er in den Sommermonaten sein lier. A. trat in der Folgezeit sowohl als dem lithografien schuf. Die Titel – Pflügender Bauer, Hampel starb bei dem Angriff. Nach Kriegsende dann wesentlich später auch im Zentrum der der Lahn. Das Vineta-Museum der Stadt Barth, Atelier hatte. In der NS-Zeit war seine natura- Spätimpressionismus zuzuordnender Maler Heuernte, Kornschneider, Weinlese, Weinpres- wurde A. im Zuge der Entnazifizierung amtsent­ zwischen 1938 und 1944 auf den Großen Deut- das aufgrund einer Schenkung einen Teil des listische Malweise mit der herrschenden als auch mit gebrauchsgrafischen Arbeiten – se – verweisen auf sein Interesse an der Welt hoben, scheint aber ab 1947 rehabilitiert wor- schen Kunstausstellungen im Münchener Haus künstlerischen Nachlasses besitzt, erinnerte Kunstideologie kompatibel und in Erweiterung Plakaten, Exlibris etc. – hervor. Wohl auf Kon- der Bauern und Winzer. Gestalterisch verband den zu sein. 1950 übernahm die Stadt St. Pöl- der Deutschen Kunst gezeigten Bilder. Eine 2018 mit einer Ausstellung an A. seiner bisherigen Motive bediente er mit Bil- takte aus seiner Leipziger Zeit geht die Entste- A. dabei einen fast schon volkskundlichen ten auf Leibrente sein verbliebenes Oeuvre, Erweiterung des motivischen Spektrums erfolg- dern etwa vom Flughafenneubau in Berlin-Tem- hung mehrerer Künstlersteinzeichnungen mit Blick auf die nichtindustrielle Arbeitswelt mit das jetzt Teil des Stadtmuseums ist. Werke des te durch seine Freundschaft mit Hans Hartig, Ehler, Sehnsucht nach Vollkommenheit; pelhof oder vom Bau der Buna-Werke die tech- Elsässer Motiven zurück, die – das Reichsland einer skulpturenartigen, zum Monumentalen Künstlers befinden sich ferner u. a. im LENTOS der das Interesse von A. an der Ostsee weckte. Meixner, Von Berlin an die Lahn; Vogel, nizistische Komponente des Nationalsozialis- Elsass-Lothringen gehörte bis zum Ende des tendierenden Personenstaffage. Ungeachtet Kunstmuseum Linz, im Leopold-Museum und 1942 wurden Wohnung und Atelier von A. bei Der Landschaftsmaler und Porträtist O. A.; mus mit traditionellen malerischen Mitteln. Ersten Weltkriegs zum deutschen Reich – im seiner künstlerischen Anerkennung zerschlug Belvedere Wien, in der grafischen Sammlung einem Bombenangriff zerstört. Er zog sich mit https://de.wikipedia.org A. war denn auch zwischen 1938 und 1944 re- Leipziger Verlag R. Voigtländer in der Serie sich eine Berufung an die Wiener Akademie auf der Albertina und im Historischen Museum der seiner Frau zunächst nach Schlesien zurück, im gelmäßig auf den Großen Deutschen Kunstaus- Aus deutschen Landen erschien. A. blieb auch Intervention Erzherzog Franz Ferdinands, dem Stadt Wien. Sommer 1944 zog er an den Bodensee, wo er stellungen im Münchener Haus der Deutschen nach 1918 im Elsass, wo er 1920 zu den Grün- A. als zu modern gegolten haben soll. Im Ersten bis zuletzt künstlerisch aktiv blieb. Werke von 202 203

A. werden u. a. vom Museum für Post und Tele­ seinem Geburtsort ein Atelier, ferner war er in nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er aktiv als Rudolf Bäumer schaft für vervielfältigende Kunst und im Wand- B. zählte zu diesem Zeitpunkt längst zu den kommunikation Berlin, dem Stadtmuseum Ber- Brünn/Brno an einer Ausstellung des Mäh­ Soldat teilgenommen hatte, der Moderne, wur- * 24. 2. 1870 Krefeld tafelwerk der Österreichischen Hof- und Staats­ Arrivierten im Dresdner Kunstbetrieb: 1893 war lin und dem Deutschen Technikmuseum Berlin rischen Kunstvereins beteiligt und war 1909 de vom Expressionismus, der Neuen Sachlich- † 2. 1. 1964 Bad Fallingbostel druckerei Wien vertreten. er Mitbegründer der Freien Vereinigung Dres- aufbewahrt. Initiator der Vereinigung deutsch-mährischer keit und später auch vom Kubismus beein- dener Künstler, der Dresdner Sezession, und Kunstschaffender. In Wien gehörte der von flusst. Seine Bekanntschaft mit dem Bauhaus- B. erhielt seine künstlerische Ausbildung an Kristan, Wandtafelwerk, S. 184; avancierte zu ihrem Vorsitzenden, seit 1896 Thieme /Becker, Bd. 1, S. 564; Hübner, Gustav Klimt beeinflusste B. seit 1904 der se- meister Johannes Itten, an dessen Berliner der Düsseldorfer Akademie, wo er u. a. Schüler Natter, Verlorene Moderne, S. 47, S. 238; war er Professor an der Dresdner Akademie Der Maler von Berlin und Postmaler O. A.; zessionistischen Künstlervereinigung Hagen- Schule B. 1927/28 studierte, war dabei ebenso von Julius Bergmann war. Er verlagerte seinen www.kremskultur.at; und forcierte in dieser Eigenschaft die Hinwen- https://de.wikipedia.org https://de.wikipedia.org bund an. Nach ausgedehnten Reisen (1910/11) prägend wie die intensive Beschäftigung mit Wirkungsort später nach Karlsruhe und trat mit dung zum Pleinair. B., der 1908 mit einem Wand­ durch Deutschland, Belgien, die Niederlande der französischen Malerei während eines Auf- dem Künstlerbund in Verbindung; in der Zeit- gemälde für den Ratssitzungssaal des neuen und das Baltikum war B. offenkundig eine ver- enthalts in Paris 1930/31. Und während viele schrift Die Kunst für Alle wird er 1904/05 in ei- Rathauses beauftragt wurde, blieb bis 1918 eine Herbert Arnold tragliche Verpflichtung für die Gestaltung eini- der in den Kontext der Heimatkunst um 1900 ner Reihe mit Karlsruher Landschaftsmalern Carl Bantzer prägende Gestalt des Dresdner Kunstlebens, * 1. 11. 1877 Berlin ger Originallithografien eingegangen, für deren eingebundenen Künstler mit ihrer realistischen wie Gustav Kampmann oder Berta Welte ge- * 6. 8. 1857 Ziegenhain ehe er einem Ruf als Direktor der Kunstakade- † nach 1953 Fertigstellung er 1912 nach München reiste, wo Malweise nach 1933 noch einmal reüssierten, nannt. Landschaften standen auch im Zentrum † 19. 12. 1941 Marburg mie Kassel folgte. B. blieb Dresden auch wei- er völlig unerwartet verstarb. Bei B. G. Teubner verließ B. nach der sog. Machtergreifung Deutsch- seiner beim Karlsruher Künstlerbund und bei terhin verbunden, 1934 wurde er vom Sächsi- Sowohl der Großvater Carl Heinrich A. (1798–1874) in Leipzig erschien – wohl posthum – nur das land und zog mit seiner Familie nach Salzburg. R. Voigtländer erschienenen Künstlersteinzeich- Der Sohn eines Tierarztes zog nach dem frühen schen Kunstverein mit einer Retrospektive ge- als auch der Vater Carl Johann A. (1829–1916) von der Münchener Lithographischen Kunstan- Neben der Distanz zur Kunstideologie des Na- nungen. B. machte sich vor allem als ›Heide- Tod des Vaters 1863 mit seiner Mutter nach ehrt. Modernen Strömungen in der Malerei stand waren als Maler und Grafiker tätig. A. selbst stalt Klein & Volbert gedruckte, deutlich dem tionalsozialismus spielte dabei auch die jüdi- maler‹ einen Namen und profitierte dabei von Marburg, wo er das Gymnasium besuchte, die- er skeptisch gegenüber, motivisch wie stilis- erhielt seine künstlerische Ausbildung an den Jugendstil verpflichtete Blatt Bergfrieden. 1920 sche Herkunft seiner Ehefrau Valerie B., mit der dem in den 1920er Jahren boomenden Heide- ses aber abbrach, um Maler zu werden. Ab tisch blieb er seinen Anfängen verpflichtet. Akademien in Berlin und Leipzig und trat seit wurde B. in seinem Geburtsort mit einer Erin- er mehrere Kinderbücher gestaltete (u. a. Die Tourismus. Als 2014 in Bad Fallingbostel, dem 1875 besuchte B. die Berliner Akademie, nach Sein Werk war damit, ob er es wollte oder nicht, den späten 1890er Jahren als Illustrator von nerungsausstellung geehrt. Geschichte vom Fluss, 1937), eine Rolle. Nach letzten Wohnort des nach 1945 weithin in Ver- Ende des Studiums absolvierte er 1880/81 in nach 1933 zugleich mit der offiziellen Kunst­ Büchern und Zeitschriften hervor. Im Leipziger dem sog. Anschluss Österreichs 1938 gerieten gessenheit geratenen B., eine Gedenkausstel- Dresden, wo seine Mutter mittlerweile wohnte, ideologie kompatibel, und B. wurde mit zahl- Verlag R. Voigtländer war er mit zwei Künstler- Thieme/Becker, Bd. 2, S. 299; Czeike, B. und seine Familie erneut in Bedrängnis, zu- lung veranstaltet wurde, brachte die ausstel- seinen Militärdienst und studierte anschlie- reichen Ehrungen, u. a. 1937 mit der Goethe- steinzeichnungen, darunter das großformatige Historisches Lexikon Wien, Bd. 1, S. 219; mal die finanzielle Unterstützung durch die lungsbegleitende Lesung Löns hören – Bäumer ßend an der Dresdner Akademie bei Léon Pohle. Medaille für Kunst und Wissenschaft, 1938 – Blatt Komm Herr Jesu, sei unser Gast, vertreten. Natter, Verlorene Moderne, S. 81, S. 238; Schwiegereltern, deren Vermögen in Deutsch- sehen seinen künstlerischen Ansatz treffend 1882/83 hielt sich B. erstmals länger in Paris trotz persönlicher Vorbehalte – mit dem Kur- http://galerieosobnosti.muzeumnj.cz; 1937 beteiligte sich A. an dem von der Zeitschrift land beschlagnahmt worden war, entfiel. 1943 auf den Punkt. auf, weitere Paris-Aufenthalte sollten in den hessischen Kulturpreis (Gaukulturpreis) ausge- https://de.wikipedia.org Die Kunst im Dritten Reich ausgeschriebenen nahm B. an der von Reichsstatthalter Baldur 1890er Jahren folgen. B. studierte dabei die Mal- zeichnet. 1941 hielt sich B. ein letztes Mal zum Wettbewerb für Familienbilder im Sinne des von Schirach in Wien veranstalteten Ausstel- https://de.wikipedia.org weise der Impressionisten, und aus der daraus Malen in Willingshausen auf. Nationalsozialismus. Das gelegentlich genannte lung Junge Kunst im Deutschen Reich teil, im resultierenden Hinwendung zur Freilichtmale- Todesdatum Berlin 1941 ist unzutreffend, da A. Eduard Bäumer gleichen Jahr wurde er zum Wehr- und Arbeits- rei ergaben sich ab 1883 Kontakte zur Künstler- Küster, C. B.; www.stadtwikidd.de; https://de.wikipedia.org bei Vollmer Anfang der 1950er Jahre noch als in * 13. 5. 1892 Kastellaun dienst eingezogen. 1944 tauchte die Familie im Gustav Bamberger kolonie Goppeln bei Dresden. Vor allem aber Berlin ansässiger Künstler verzeichnet ist. † 21. 1. 1977 München Pongau unter, wo sie von einem Pfarrer unter- * 3. 12. 1861 Würzburg wurde ihm in seiner hessischen Heimat die Ma- stützt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg über- † 30. 5. 1936 Gut Zehenthof bei Scheibbs lerkolonie Willingshausen ab 1887 zur künstle- Ketter, Bild der Frau, S. 93; Ries, Illustration Nach dem frühen Tod des Vaters (1904) absol- nahm B. eine Lehrtätigkeit an der Hochschule rischen Heimat, in der er sich fortan regelmä- Georg Barlösius und Illustratoren, S. 403; Vollmer, Bd. 1, S. 67 vierte B. ab 1906 eine Lehre als Dekorations- (heute: Universität) für Angewandte Kunst in B. studierte in Düsseldorf und Wien Architektur ßig aufhielt, fasziniert von Tracht und Volks­ * 8. 6. 1864 Magdeburg maler, es folgten Studienjahre an der Frankfur- Wien, die er bis 1963 ausübte; seit 1950 führte sowie an der Wiener Akademie der bildenden tänzen der Schwalm und vom Leben der bäuer- † 10. 7. 1908 Berlin ter Kunstgewerbeschule bei Ludwig Heinrich er den Professorentitel. Nach dem Eintritt in Künste und in Karlsruhe bei Carlos Grethe und lichen Bevölkerung. Signifikanter Ausdruck des- Hugo Baar Jungnickel und anschließend am Städelschen den Ruhestand wurde das italienische Tropea, Gustav Schönleber Malerei. Seit 1900 lebte B. sen war sein 1891 in einer ersten Fassung ent- B. erhielt seine erste Ausbildung an der Berliner * 3. 3. 1873 Neutitschein/Nový Jičín Kunstinstitut; da 1911 auch die Mutter verstor- das er bereits von früheren Reisen kannte, sein als Architekt und Konservator in Krems und standenes Gemälde Abendmahl in einer hessi- Kunstgewerbeschule und studierte ab 1886 an † 18. oder 19. 6. 1912 München ben war, erhielt B. dabei finanzielle Unterstüt- bevorzugter Aufenthaltsort. In der rauen Land- führte dort u. a. 1907/08 die Friedhofskapelle, schen Dorfkirche, mit dessen zweiter Fassung der Münchener Akademie der Bildenden Küns- zung durch das Frankfurter Waisenhaus. In die schaft Kalabriens fand er bis zu seiner letzten 1929 die Aufbahrungshalle aus; 1923 wurde er er 1892 auf der Internationalen Kunstausstel- te. Er ließ sich dann als Maler in Berlin-Charlot- B. studierte zunächst an der Kunstgewerbe- Studienzeit fällt seine Mitwirkung an der ca. 1913 Malreise 1975 nun vor allem die Motive für sei- zum Ehrenbürger von Krems ernannt. B. war lung in München reüssierte und das ihn als tenburg nieder; bekannt ist sein heute in der schule in Wien und siedelte dann nach Mün- von R. Voigtländer, Leipzig, publizierten Serie ne Bilder. 1977 wurde B. in München nach dem 1893–1900 Mitglied im Wiener Künstlerhaus, einen führenden Vertreter der für das Genre der Museumsstiftung Post und Telekommunikation chen über. Sein gelegentlich erwähntes Studium Aus deutschen Landen mit kleinformatigen Besuch einer Kandinsky-Ausstellung Opfer ei- ferner gehörte der dem Aquarellisten-Club an. Künstlersteinzeichnungen zentralen Heimat- befindliches Porträt des Generalpostmeisters an der dortigen Akademie der Bildenden Künste Farblithografien, die in Eisenbahnabteilen für nes Verkehrsunfalls. 2017 wurde in seinem Ge- 1900 zählte er zu den Gründungsmitgliedern kunst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhun- bzw. Staatssekretärs am Reichspostamt, Hein- ist durch keinen Matrikeleintrag belegt, er touristische Werbezwecke eingesetzt wurden burtsort Kastellaun im Haus der regionalen des Wiener Hagenbunds, einer mit der Gesell- dert auswies. Etwa zehn Jahre später replizierte rich von Stephan. B. schuf zahlreiche – im Zwei- nahm wohl in der hohes Ansehen genießenden und die insbesondere von jungen Künstlern Geschichte mit einer Ausstellung an B. erinnert. schaft bildender Künstler Österreichs unzufrie- B. das Gemälde in einer großformatigen Farbli- ten Weltkrieg zumeist zerstörte – Wandgemälde privaten Malschule von Heinrich Knirr Unter- gestaltet wurden, die hier ein erstes prominen- denen Künstlervereinigung; 1902 war er an der thografie, die im Leipziger Verlag R. Voigtländer mit historischen Szenen, u. a. im Theater des richt. B., der 1903 die Hutfabrikantentochter tes Publikationsforum fanden. Für B. blieben die Ries, Illustration und Illustratoren, S. 413; Eröffnungsausstellung des Hagenbunds betei- erschien. Mit dem Motiv Abend bzw. Abend­ Westens in Berlin-Charlottenburg sowie im Rat- Leonie Fritsche heiratete, war anschließend vor beiden Blätter mit Motiven aus Frankfurt a. M. Hochschule für Angewandte Kunst, E. B.; ligt und gestaltete das Plakat zur Ausstellung ruhe verfuhr er in gleicher Weise; hier folgte der haus und im Dompropsteigebäude Halberstadt. allem in seiner Herkunftsregion Mähren und in und Wiesbaden denn auch nur Episode, denn Murken, Das Malen ist ein Weg; Die Kunst im Leben des Kindes. Mit Farblitho- ca. 1901 bei B. G. Teubner erschienenen Künst- Als Buchillustrator und Grafiker gestaltete er https://de.wikipedia.org Wien künstlerisch aktiv: 1904 stellte er in Ol- anders als die meisten der am Genre der Künst- grafien im neoromantisch-realistischen Stil war lersteinzeichnung zwischen 1910 und 1916 die einige Jahrgänge des Berliner Kalender sowie mütz/Olomouc aus, seit 1907 unterhielt er in lersteinzeichnungen Beteiligten öffnete er sich er in der Jahresmappe 1899 der Wiener Gesell- Umsetzung des Motivs in mehreren Ölgemälden. Exlibris und Plakate für Wagner-Opern. Vor al- 352 353 Verzeichnis der Künstlersteinzeichnungen und ihrer Verlage

Einzelblattdrucke Deutscher Verlag, Berlin Nr. unbekannt Fritz Geyer Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. unbekannt Karl Wahl Nr. 9 Fritz Geyer Goethes Gartenhaus zu Weimar (H 46, B 35) Die Marksburg am Rhein (H 46, B 35) An der Saale hellem Strande (H 55, B 42) Altes Stadttor (H 37, B 29) Nr. 1 Louis Lejeune Breitkopf & Härtel, Leipzig1 Märkische Winterlandschaft (H 27, B 35) Nr. unbekannt Fritz Geyer Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. unbekannt Karl Wahl Nr. 10 Fritz Geyer Schloß Wilhelmstal in Thüringen (H 35, B 46) Burg Gutenfels am Rhein (H 35, B 46) Aus einer alten Reichsstadt (Rothenburg Schulzenhof (H 29, B 39) Deutsche Wandfriese Nr. 2 Fritz Geyer o. d. Tauber) (H 35, B 46) Alte Gasse (H 35, B 27) Nr. unbekannt Fritz Geyer Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. 11 Fritz Geyer Nr. 1 Adolf Luntz Verklungen und vergessen Burg Pfalzgrafenstein bei Caub (H 35, B 46) Nr. unbekannt Karl Wahl Stadtmühle (Dinkelsbühl) (H 26,5, B 35,5) Nr. 102 Ernst Kolbe Fischerboote (H 40, B 100) (Ruine Brandenburg) (H 35, B 46) Helle Mondnacht (H 35, B 46) Winterbach (H 35, B 46) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. 12 Fritz Geyer Nr. 2 Hans C. Ulrich Nr. unbekannt Martin Growald Burg Drachenfels am Rhein (H 46, B 35) Nr. unbekannt Karl Wendel Im Mondschein (H 32,5, B 33,5) Nr. 103 Fritz Geyer Entengeschnatter (H 40, B 100) Blücher Neckarstädtchen (H 55, B 75) Bauerngehöft (H 35, B 46) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. 13 Fritz Geyer Nr. 3 Ivo Puhonny Nr. unbekannt Hans Hartig Burg Ehrenfels am Rhein (H 35, B 46) Nr. unbekannt Karl Wendel Am Weiher (Dinkelsbühl) (H 26, B 36) Nr. 104 Fritz Geyer Wer will unter die Soldaten (H 40, B 100) Fischerstädtchen im Schnee (H 55, B 42) Vor der Herberge (H 55, B 75) Landschaft an der Werra (H 35, B 46) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. 14 Fritz Geyer Nr. 4 Heinrich Freytag Nr. unbekannt Ernst Kolbe Burg Hohlenfels (Aar) (H 46, B 35) Nr. unbekannt Josef von Wodzinski Burg Rabenstein (H 27, B 40) Nr. 106 Alfred Liedtke Neckerei (H 40, B 100) Im Zwielicht (H 50, B 39) Flötenspieler (H 48, B 33) Im Hamburger Hafen (H 35, B 46) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. 15 Unbekannt Nr. 5 Hans Richard von Volkmann Nr. unbekannt Alfred Liedtke Burg Langenau (H 35, B 46) Nr. unbekannt Josef von Wodzinski Nr. 110 Hans Hartig Nr. 16 Fritz Geyer Frühlingsreigen (H 40, B 100) Flotte Fahrt (H 42, B 55) Guitarrenspielerin (Lautenspielerin) Frühling im Park (H 46, B 35) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Fränkisches Städtchen (H 32, B 40) (H 48, B 33) Nr. 6 Hans Richard von Volkmann Nr. unbekannt Hans Prentzel Schloß Runkel an der Lahn (H 35, B 46) Nr. 201 Carl Kayser-Eichberg Nr. 17 Carl Kayser-Eichberg Feierabend (H 40, B 100) Der alte Garten (H 55, B 42) Nr. unbekannt Willy Zirges Spätherbst (H 46, B 62) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze An der Furt (H 52, B 46) Elbidyll (H 55, B 75) Nr. 7 Maximilian Liebenwein Nr. unbekannt Hans Prentzel Schloß Beilstein an der Mosel (H 46, B 35) Nr. 205 Felix Krause Nr. 18 Carl Kayser-Eichberg Katze und Maus (H 40, B 100) Herbstlicher Park (H 55, B 75) Dämmerung (H 46, B 62) Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Winterbild (H 26, B 18) Fischer & Franke, Berlin/Düsseldorf 2 Nr. 8 a Rudolf Schiestl Nr. unbekannt Hans Prentzel Von der Leyen’sche Burg in Gondorf an Hirschjagd (H 40, B 100) Nr. 206 Hans Hartig Nr. 19 Carl Kayser-Eichberg Schwäbisches Nest (H 55, B 42) der Mosel (H 35, B 46) Nr. 1 Georg Barlösius Altes Stadttor (H 62, B 46) Märkische Landschaft (H 19, B 24) Stille Nacht, heilige Nacht (H 58, B 95) Nr. 8 b Rudolf Schiestl Nr. unbekannt Hans Prentzel Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Hirschjagd (Zwischenstück) (H 40, B 100) Nr. 208 Franz Müller-Münster Nr. 20 Carl Kayser-Eichberg Am Dorfbach (H 55, B 42) Burg Eltz (Moseltal) (H 46, B 35) Nr. 2 Georg Barlösius Landsknechtszug (H 46, B 62) Märkische Kiefern (H 18, B 24) Die Wartburg (H 100, B 120/H 28, B 35) Nr. 9 Otto Ubbelohde Nr. unbekannt Hans Prentzel Nr. unbekannt Wilhelm Schacht Vor dem Tor I (H 40, B 100) Nr. 209 Franz Müller-Münster Nr. 21 Carl Kayser-Eichberg Residenzschloß Weimar (H 28, B 24) Im Mai (H 35, B 46) Nr. 3 Georg Barlösius Parsival (H 62, B 46) Herbst in der Mark (H 19, B 26) Die Elgersburg (H 28, B 35) Nr. 10 Otto Ubbelohde Nr. unbekannt Hans Prentzel Nr. unbekannt Walter Strich-Chapell Vor dem Tor II (H 40, B 100) Nr. 210 Franz Müller-Münster Nr. 22 Franz Müller-Münster Schloß Culmitzsch bei Weida (H 28, B 24) Eßlingen (H 55, B 75) Nr. 4 Georg Barlösius Walküre (H 62, B 46) Morgenrot (H 37, B 46) Nürnberg (H 100, B 120) Nr. 11 a Rudolf Schiestl Nr. unbekannt Hans Prentzel Nr. unbekannt Walter Strich-Chapell Lebensalter (H 40, B 100) Nr. 210 Leonhard Sandrock Nr. 23 Franz Stassen Schloß Burgk an der Saale (H 28, B 24) Rechberg und Hohenstaufen (H 55, B 75) Nr. 5 Fritz Geyer Alte Werft in Emden (H 46, B 62) An Goethe Blick ins Odertal (H 36, B 56) Nr. 11 b Rudolf Schiestl Nr. unbekannt Hans Prentzel Nr. unbekannt Walter Strich-Chapell Lebensalter (Zwischenstück) (H 40, B 100) Nr. 214 Alfred Liedtke Nr. 24 Franz Stassen Stiller Winkel (H 55, B 42) Der Türmer (H 55, B 75) Nr. 6 Fritz Geyer Nach dem Sturm (H 46, B 62) An Schiller Rathausmarkt mit dem schönen Brunnen Nr. 12 Rudolf Schiestl Nr. unbekannt Hans Prentzel Nr. unbekannt Willy ter Hell Nr. 215 Hans Hartig in Nürnberg (H 52, B 42,5) Nr. 25 Franz Stassen Spaziergang (H 40, B 100) Die Wachsenburg (H 28, B 24) Märkische Landschaft (H 43, B 54) Christmesse (H 62, B 46) An Dante. Mathilde Nr. 7 Fritz Geyer Nr. 13 Erich Kuithan Nr. unbekannt Wilhelm Schacht Nr. unbekannt Willy ter Hell Nr. unbekannt Richard Albitz Der Abend (H 31, B 35) Nr. 26 Franz Stassen Rosenketten (H 40, B 100) Hinaus in die Ferne (H 35, B 46) Wiesenbächlein (H 43, B 54) Christabend (H 42, B 55) An Böcklin. Thalatta! Thalatta! Nr. 8 Fritz Geyer Nr. 14 Susanne Weichberger Nr. unbekannt Hans Rudolf Schulze Nr. unbekannt Karl Wahl Nr. unbekannt Fritz Geyer Abend am Tore (H 40,5, B 32) Nr. 27 Franz Stassen Im Grünen (H 40, B 100) Burg Rheinstein (H 35, B 46) Abendsonne (H 35, B 46) Alt-Heidelberg (H 45, B 80,5) An Sage und Volkslied. Das Kraut Nr. 15 Susanne Weichberger ­Vergessenheit Engelwacht (H 40, B 100) Der Dresdner Kunsterziehungstag 1901 bedeutete den Durchbruch für die künstle- rische Farblithografie in Deutschland. Stilistisch griff die Deutsche Künstlerstein- zeichnung internationale Strömungen wie Impressionismus und Japonismus auf, motivisch dominierten deutsche Landschaften und Städte, Märchen und Sagen. Als Heimatkunst ordnete sie sich in die Lebens­reform­bewe­gung um 1900 ein. Der Band erfasst die Zentren der Künstlersteinzeichnungen wie den Karlsruher Künstlerbund oder den Kreis um die Münchner Zeitschrift »Jugend«, geht auf die Sozial­formationen des künstlerischen Aufbruchs um 1900 wie Sezessionen und Künstlerkolonien ein und thematisiert den hohen Anteil von Frauen am Genre. Die Darstellung wird ergänzt durch Verlags­ver­zeichnisse­ und die Biogramme von mehr als 500 nach 1918 zumeist in Vergessenheit geratenen Künstlerinnen und Künstlern.