DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG NACHRICHTENBLATT DER LANDESDENKMALPFLEGE 2010 | 2 39. JAHRGANG 39. Inhalt

65 Editorial 99 Die Martinskirche in Neckar- tailfingen – ein Gotteshaus in 67 Restauriert und neu aufgehängt Bewegung Das Freiburger Böcklinkreuz Messtechnische Dokumentation Rolf-Dieter Blumer/Daniela Straub/ Dagmar Zimdars und Verformungsanalyse Günter Eckstein/Andreas Stiene 73 Akademisches Andenken zu Zeiten der Studienreformen im 18. Jahr- 107 Reformbau und Refugium hundert Das Wohn- und Bauteile der Jupitergigantensäule Atelierhaus Karl Albiker in Ettlingen Das Epitaph für Johann Sigismund während der Ausgrabung, (Kur- Melanie Mertens pfälzisches Museum, E. Kemmet) Stapf im Freiburger Münster Katharina Herrmann 113 Hofgut – Diskothek – Event- 79 Untersuchung und Restaurierung und Tagungszentrum des Stapf-Epitaphs im Freiburger Das Schicksal von „Schloss Seehälde“ in Zuzenhausen DENKMALPFLEGE Münster IN BADEN-WÜRTTEMBERG Claudia Baer-Schneider Nachrichtenblatt Ein unbekanntes Meisterwerk der der Landesdenkmalpflege Goldschmiedekunst von 1762 119 Denkmalporträt Rolf-Dieter Blumer/Katrin Hubert Kühne 2/2010 39. Jahrgang Bestellt und nicht abgeholt: 82 Zwischen Konservieren, Die Säulen des Steinbruches Lauster Herausgeber: Landesamt für Denkmal - in Stuttgart-Münster pflege im Regierungspräsidium Stuttgart Restaurieren und Konstruieren in Verbindung mit den Fachreferaten Karsten Preßler für Denkmalpflege in den Restaurierauffassung um 1900: Regierungspräsidien. die Werkstatt der Gebrüder Mezger 121 Ortstermin Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a.N. Verantwortlich im Sinne des Presserechts: in Überlingen am Bodensee Landesgartenschaugelände Stellvertretender Präsident Anna Barbara Lorenzer Villingen-Schwenningen 2010 Prof. Dr. Michael Goer Schriftleitung: Dr. Irene Plein 87 Dem Bildersturm entkommen Denkmalpflegerische Maßnahmen Stellvertretende Schriftleitung: Die neuentdeckte Jupitergigantensäule rund um die Grabhügelgruppe Helmuth Fiedler „Möglingshöhe“ Redaktionsausschuss: aus Jutta Klug-Treppe Dr. Claudia Baer-Schneider, Renate Ludwig/Petra Mayer-Reppert/ Dr. Jörg Bofinger, Dr. Dieter Büchner, Einhard Kemmet Dr. Dörthe Jakobs, Dr. Bertram Jenisch, 122 Mitteilungen Dr. Clemens Kieser, Dr. Karsten Preßler, 94 Denkmalpflege und Flur - Dr. Anne-Christin Schöne, 125 Ausstellung Dr. Günther Wieland neuordnung Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart Partnerschaftliches Engagement 126 Neuerscheinungen Lektorat: André Wais / Tina Steinhilber für die Kulturlandschaft Gestaltung und Herstellung: Martin Hahn/Thomas Meyer 129 Buchbesprechung Hans-Jürgen Trinkner Druck: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, 131 Nicolaus-Otto-Straße 14, Personalia 89079 Ulm-Donautal Postverlagsort: 70178 Stuttgart Erscheinungswei se: vierteljährlich Auflage: 23000 Gedruckt auf holzfreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh - migung des Landesamtes für Denk mal- pflege. Quellenangaben und die Über - lassung von zwei Belegexemplaren an die Schriftleitung sind erforderlich. Bankverbindung: Landesoberkasse Baden-Württemberg, Baden-Wür t tem bergische Bank , Konto 7 495 530 102 (BLZ 600 501 01). Verwendungszweck: Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618.

Dieser Ausgabe liegt eine Beilage der Denkmalstiftung Baden- Würt tem berg bei. Sie ist auch kostenlos bei der Geschäftsstelle der Denkmalstiftung Baden-Württemberg, Charlotten- platz 17, 70173 Stuttgart, erhältlich. Editorial

Berichte zu Konservierungen und Restaurierungen „Schreinergotik“ und Kitsch geschmäht wurde. sind in fast jedem Nachrichtenblatt zu lesen – in Das routinemäßige Abkratzen oder Ablaugen mit Nachvergoldetes Orna- diesem sind es sogar drei, die den Themenbogen anschließender Neufassung kompletter Kirchenaus - ment vom linken Seiten- von der Restaurierungsgeschichte und -theorie bis stattungen, wie vielerorts bis in die siebziger Jahre alter (Mitte des 18. Jh.) zur Praxis, und zwar im Bereich der Bau- und Kunst- des vergangenen Jahrhunderts und auch noch aus der kath. Pfarrkirche denkmalpflege, spannen. später praktiziert, kann dagegen mit Recht als ge- in Wilsingen. Der erste Bericht zeigt auf, welche Restaurierungs- dankenloser Vandalismus bezeichnet werden. Originale Poliment-Glanz- auf fassung noch vor gut 100 Jahren vorherrschend Die anderen beiden Restaurierungsbeiträge im vergoldung an einem war. Damals spielte noch keine besondere Rolle, Heft behandeln höchst wertvolle Ausstattungsteile Ornament vom Epitaph was heute grundlegende Prämisse in der Restau- des Freiburger Münsters aus Metall. Auf diesem Jeggle (1678) aus der ev. rierung ist: die Bewahrung von Kunstwerken oder Fachgebiet konnten in der Restaurierung der Bau- Hl. Geist-Friedhofskirche Denkmalen als geschichtliche Zeugnisse „im gan- und Kunstdenkmalpflege bis zur Einrichtung einer in Biberach a.d. Riss. zen Reichtum ihrer Authentizität“ (wie dann schließ- lich 1964 in der Charta von Venedig postuliert). Es wird hier für den kirchlichen Bereich um 1900 dargelegt, dass die Trägerschaft künstlerischen Ausdrucks primär der plastischen Form zugestan- den wurde. Originale Farbfassungen wurden sys- tematisch gegen Neufassungen ausgetauscht: Al- terungsspuren waren nicht geduldet, als Kunst symbolhaft für die Unvergänglichkeit des Glau- bens einzustehen hatte. Früher waren reine Konservierungen, die einen lü- ckenhaften Erhaltungszustand nicht verleugnen, hauptsächlich aus dem musealen Bereich bekannt, während bei kirchlichen Instandsetzungen der Wunsch überwog, Fehlstellen weitgehend zu schlie ßen, um geschlossene, scheinbar intakte Oberflächen zu „restaurieren“. Heute haben wir uns auch in Kirchen an vielschich- tige und abstrakte Ausdrucksformen in der Kunst gewöhnt. Ebenso akzeptieren wir bei überkom- menen Bildwerken deren künstlerische Integrität in allen ihren Bestandteilen, selbst wenn diese nur fragmentarisch erhalten sind, als authentisches Glaubenszeugnis unserer Vorfahren. Heute vergreift sich auch kaum noch jemand bei- spielsweise an der mit feinem Craquelée überzo- ge nen Originalvergoldung einer Holzskulptur, um deren dezenten Schimmer gegen eine wie polier- tes Metallblech strahlende Neuvergoldung auszu- tauschen. Auch wenn wir es bedauern, dass vor 100 Jahren noch so verfahren wurde: Durch die Aufarbeitung des Kontextes ersehen wir, dass nicht Ignoranz, sondern eine tiefere, zeitbedingte Absicht dahinterstand. Die Kenntnis der Hinter- gründe bestärkt uns, den damals geschaffenen Neufassungen den Respekt entgegenzubringen, der der Vorgängerpolychromie versagt blieb. Auch schätzen wir heute die künstlerische und kunst- hand werkliche Qualität der Neugotik viel höher ein als noch vor einigen Jahrzehnten, in denen sie als

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 65 Planstelle für Metallrestaurierung im Jahr 2005 nur Die Arbeit legt Zeugnis ab von der engen, auch ver- einige herausragende Projekte beispielhaft res- traglich fixierten Kooperation zwischen Akademie tauriert werden. Die Qualitätssicherung in diesem und Landesamt für Denkmalpflege. Deren lang- Bereich hat jedoch seitdem gewaltige Fortschritte jährige Verbindung hat sich zuletzt auch dadurch machen können, zumal auch zunehmend „pro- weiter vertieft, dass der 2002 pensionierte ehe- fane“ Konstruktionen, zum Beispiel aus Stahl, Ei- malige Leiter des Restaurierungsreferats Helmut sen und Kupfer, Gegenstand der Metallrestaurie- F.Reichwald den Studiengang „Konservierung rung sind. So fanden im letzten Herbst die zwei- und Restaurierung von Wandmalerei, Architek- ten „Arbeitsgespräche zur Metallrestaurierung“ turoberfläche und Steinpolychromie“ aufgebaut statt. Nachdem die erste Veranstaltung sich allge- und den Lehrstuhl bis zur endgültigen Besetzung mein der „Metallkonservierung in der Bau- und 2008 geleitet hat. Für diese wissenschaftlichen Kunstdenkmalpflege“ gewidmet hatte, ging es bei Verdienste sowie für jene, die er durch seine rich- der zweiten um die „Vasa Sacra“, also um die li- tungsweisenden Projekte in der (und für die) Res- turgischen Gerätschaften, deren Geschichte und taurierung errungen hat, verlieh ihm die Akade- Funktionen bis hin zu Konservierungsmethoden. mie vor wenigen Wochen die Ehrendoktorwürde. Die Beiträge stellen differenzierte Maßnahmen- Inzwischen können wir nicht nur im Fachbereich konzepte vor, die auf die zuvor intensiv untersuch - Gemälde-Skulptur, in der Metall- und Papierres- ten jeweiligen Teilflächen abgestimmt wurden. taurierung, sondern auch in der Wandmalerei- Das großenteils romanische Böcklinkreuz wurde konservierung auf eine stetig wachsende Zahl ge- – betreut vom Fachgebiet Restaurierung – von ei- meinsamer Projekte zurück- und vorausblicken. ner Studentin untersucht, die den Studiengang „Restaurierung von archäologischen, ethnologi- schen und kunsthandwerklichen Objekten“ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Dipl.-Rest. Andreas Menrad Stuttgart absolviert, in dem die Metallkonservie- Regierungspräsidium Stuttgart rung angesiedelt ist. Landesamt für Denkmalpflege

66 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Restauriert und neu aufgehängt Das Freiburger Böcklinkreuz

„ein Silberin Zum theil vergülten grosen cruzifix ob dem Altar an der Wand angehefft, mit den vier Evangelisten und einem Agnus Dei“

Das so genannte Böcklinkreuz, das laut eines Kapelleninventars von 1588 in der Villinger-Böcklin-Kapelle im Münster Unserer Lieben Frau in Freiburg „ob dem Altar an der Wand angehefft“ war, zählt zu den ältesten und bedeutends- ten Ausstattungsstücken des Münsters. Es ist deshalb als so genanntes Zu - behör zum Münster mit diesem zusammen denkmalgeschützt. Vermutlich im 12. Jahrhundert entstanden, hat es mehrfach seinen Standort gewechselt. Zuletzt im Dezember 2009, als es im Zuge der Neuordnung des Hochchores über dem Zelebrationsaltar auf Wunsch der Erzdiözese Freiburg den aktuellen prominenten Platz erhielt. Rolf-Dieter Blumer/Daniela Straub/Dagmar Zimdars

Ausgangspunkt Beschreibung

Allen Beteiligten war bekannt, dass dieses romani - Das Böcklinkreuz ist eine teilweise feuervergoldete sche Triumphkreuz von europäischem Rang (Abb. 1) Silberschmiedearbeit, es ist 263 cm hoch und im Lauf der Jahrhunderte einschneidende Verän- 144 cm breit. Der Corpus Christi weist eine Höhe derungen erfahren hat. Die Denkmalpflege wollte von 107 cm auf. Mit Ausnahme von zwei aus Kup- deshalb vorab geklärt wissen, wie die konservato - fer getriebenen und versilberten Reliefplatten ist rischen Rahmenbedingungen aussehen müssten, es aus Silberblechen hergestellt. Alle Treibarbeiten damit überhaupt an eine Hängung als neuer Blick- fang gedacht werden konnte. Mittels einer Foto- montage sowie einer Probehängung wurden vorab die technischen Möglichkeiten ausgelotet und die Auswirkungen auf das Erscheinungsbild des Hoch- chores mit dem Baldung-Grien-Altar erprobt. Bei der Ausführungsplanung nutzte man die Gele- genheit, auch die Restaurierungsgeschichte des Kreuzes aufzubereiten sowie Einsichten in litur- giegeschichtliche Zusammenhänge zu gewinnen. Die denkmalpflegerische Betreuung während der Projektphase erfolgte durch das Fachgebiet Res- taurierung des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart sowie durch das Referat Denkmalpflege im Regierungspräsidium Freiburg. Im Vorfeld wurde ferner mit der Akade- mie der Bildenden Künste in Stuttgart eine res- taurierungswissenschaftliche Untersuchung ver- anlasst. Damit bot sich einer Studentin im Fach Metallrestaurierung unter Anleitung der Denk- malpflege und der Akademie die einmalige Chance, ein seltenes „Metallobjekt“ entsprechend umfassend zu untersuchen. Gleichzeitig reduzier- ten sich hierdurch für das Erzbischöfliche Bauamt Freiburg die Dokumentationskosten. Insgesamt si- 1 Gesamtaufnahme cherlich ein Arbeitsmodell mit Vorbildcharakter. des Böcklinkreuzes.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 67 2 Frühindustrielle Stahl- sind von hinten hohl gearbeitet und auf einem Ei- stifte und geschmiedete chenholzkreuz montiert. Dort befinden sich in Nägel, 1970 entnommen. zwei Reliquienbehältern Fragmente der Kleider Mariens. Dargestellt ist der gekreuzigte Christus, der mit geneigtem Kopf den Typus des über den Tod siegenden Christus verkörpert. Sowohl die vier Wundmale an Füßen und Händen wie auch die Seitenwunde sind mit kostbaren Edelsteinen be- setzt. Ebenso das Lendentuch, das mit verschie- denen Edelsteinen in Cabochonschliff verziert ist, die in einfache Krabbenfassungen gefasst sind. Die oberen Kreuzenden zeigen drei Evangelisten im Halbrelief ohne Attribute, am unteren Kreuzende befindet sich ein Halbrelief mit einem Löwen als Symbol des Evangelisten Markus. Alle Evangelis- ten halten ein Schreibgerät und ein Schriftstück in ihren Händen. Den vertikalen Kreuzbalken zwi- schen Corpus Christi und unterem Evangelisten- relief ziert eine runde Reliefplatte mit dem Agnus Die Rückseite des Kreuzes ist mit neuzeitlichem Sil- Dei als Symbol für den Tod und die Auferstehung berblech beschlagen, unterteilt mit feuervergolde- Christi – wie auf Abbildung acht zu sehen, steht es ten Ornamentfriesen in Pressblechtechnik. Diese inmitten einer mit Gras und Blumen bewachsenen Unterteilung deutet Stellen an, an denen sich ehe- Wiese. mals weitere Reliefs befunden haben könnten. Sie Über dem Haupt Christi befinden sich zwei Reliefs, fehlen heute oder wurden auf die Vorderseite ver- die als Himmelfahrt Christi zu deuten sind. Das setzt. obere zeigt den auferstehenden Christus, das un- In der Schatzkammer des Freiburger Münsters wird 3 Kartierung der Restau- tere Maria und die zwölf Apostel, die zu einem ge- seit 1970 eine Kiste mit historischen Teilstücken rierungsphasen. schliffenen, symbolisch zu verstehenden, ovalen des Böcklinkreuzes aufbewahrt. Dazu gehören ein Bergkristall über ihren Köpfen aufblicken. Alle Re- Fußpaar, eine Dornenkrone, eine Kreuzigungsta- Große Nägel Blechergänzungen liefs sind mit verschiedenen feuervergoldeten Or- fel, kleinere Dekorteile sowie unzählige frühin- Risse namentfriesen aus Pressblech eingefasst. dustrielle Stahlstifte (Abb. 2). Darüber hinaus sind Fragmentgrenze damals aus den Flächen des Kreuzes mikrosko- Klammern für Galvanis Gelötete Löcher pisch kleine Materialproben entnommen worden. Galvanisierte Löcher Sie dienten der Probensicherung und Dokumen- Löcher mit Nägeln tation. Während die Restaurierungsmaßnahme für sich gesehen sehr einschneidend war, kann die Do- kumentation nach dem damaligen Stand als vor- bildlich bezeichnet werden.

Aktuelle Untersuchungen

Als Grundlage für die Dokumentation und Restau- rierung wurde eine Archiv- und Literaturrecherche durchgeführt. Archivalien zum Böcklinkreuz sind spärlich. Es wird in einem Inventar zur Villinger- Böcklin-Kapelle von 1588 bzw. in der Notiz zu einer Reparatur im Jahr 1868 namentlich erwähnt. Im ersten Münsterführer von 1820 wird es genannt und alle folgenden Führer heben es als wichtiges Ausstattungsstück hervor. Weitere Forschungen wurden Ende der 1940er Jahre anlässlich einer Ausstellung zu Werken der Goldschmiedekunst im Augustinermuseum Freiburg durchgeführt. In die- sem Kontext wurde das Böcklinkreuz erstmals außerhalb des Münsters ausgestellt. Hinweise auf eine damals stattgefundene Restaurierung fehlen. In den 1970er Jahren wurde es erneut ausgestellt, untersucht und restauriert.

68 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Rückschlüsse auf die im Laufe der Zeit durchge- führten Restaurierungen lassen sich am Kreuz sel- ber anhand der historischen Fotografien ablesen. Mithilfe dieser Fotografien wurde versucht, die einzelnen Restaurierungsphasen genauer einzu- grenzen, da sie in direktem Zusammenhang mit dem heutigen Erscheinungsbild stehen. Eine mikroskopische Untersuchung des Kreuzes war Voraussetzung für eine Kartierung der Restaurie- rungsphasen und der Herstellungsdetails sowie für eine klassische Bestandsaufnahme, die den heu- tigen Zustand erfasst (Abb. 3). Mittels einer Durchstrahlungsuntersuchung unter Verwendung eines Isotopenstrahlers konnten innenliegende Details sichtbar gemacht werden, ohne das Kreuz und die Metallbeschläge des Kreuzbalkens zu demontieren. Dadurch ergaben sich Einblicke in die Stützkonstruktion, und die Po- sition der Reliquien konnte lokalisiert werden. Auch 1970 eingebrachte Verstärkungen aus Chrom-Nickel-Stahl, die vermutlich eine freie Auf- hängung des Triumphkreuzes ermöglichen sollten, konnten sichtbar gemacht werden. Offensichtlich dachte man damals schon über eine andere Hän- gung nach und brachte zwei Ösen zur Freihän- gung an. Diese konnten zur aktuellen Hängung wiederverwendet werden. Überdies wurde die Metallzusammensetzung an unterschiedlichen Silberblechen bestimmt und eine Materialkartierung erstellt. Da eine Proben- entnahme am Kreuz selbst nur an sehr wenigen Stellen erwünscht und möglich war, konnte glück- licherweise auf Proben aus der bereits erwähnten Fragmentkiste zurückgegriffen werden. auf ihnen vermerkte Jahreszahl 1583 weist ein- 4 Älteste fotografische Zu den Restaurierungsphasen deutig auf eine Restaurierung oder Überarbeitung Aufnahme des Kreuzes des Kreuzes hin. Ob das Fußpaar wirklich aus die- durch den Münsterbau- Das Triumphkreuz wird zwischen 1160 und 1170 ser Zeit stammt, bleibt jedoch unklar. Das Kreuz verein 1896. datiert. Zum frühen, noch original erhaltenen Be- hängt nachweislich erst seit 1588 in der Böcklin- 5 Die abgenommenen stand zählt der obere Teil des Corpus ohne Füße, kapelle. Die dritte Phase wird in der jüngeren For- Füße aus der Fragment- die Himmelfahrtsszenen und die linke Reliefplatte. schung um 1834 angegeben. Es wird vermutet, kiste, heute am Kreuz Diese Teile sind überdies an ihrer handwerklichen dass erst zu diesem späten Zeitpunkt die Füße ver- durch Rekonstruktion und künstlerischen Ausführung als zusammenge- ändert wurden (Abb. 5). 1970 ersetzt. hörig erkennbar. Die Gesichter und der Faltenwurf Für 1868 ist die erste schriftlich belegte Restau- zeigen Ähnlichkeiten in Ausführung und Herstel- rierung nachweisbar. Dompfarrer Joseph Marmon lungstechnik. Eine erste Überarbeitungsphase soll beschreibt in einer kurzen Notiz im Jahrbuch der bereits im 14. Jahrhundert stattgefunden haben. Münsterfabrikstiftung, dass das Böcklinkreuz in Dabei wurden vermutlich der rechte Evangelist seinem Aufbau verändert wurde (Abb. 4). Die und das Agnus Dei hinzugefügt oder erneuert. Ihre oberste Reliefplatte mit dem Evangelisten wurde Zusammengehörigkeit kann durch die Verwen- eingefügt und der Kopf des Lamm Gottes im un- dung ähnlicher Dekore, wie zum Beispiel einer teren Relief ergänzt. Die quadratischen Orna- Kreuzschraffur im Pult des Evangelisten und in der mentfriese ordnete man symmetrisch am Kreuz- Fahne des Lammes, erschlossen werden. Eine balken an und die Nägel, mit denen die Silber- zweite Überarbeitung fand vermutlich im 16. oder schmiedearbeiten angebracht waren, sollen im 19. Jahrhundert statt. Hierzu gehört die Er- eingeschmolzen und laut zeitgenössischer Anga- gänzung des Markuslöwen. ben neu geschmiedet worden sein. Ein weiterer Hinweis sind die in den 1970er Jahren 1947 oder 1949 erfolgten weitere Eingriffe und abgenommenen Füße in der Fragmentkiste. Die Restaurierungen, ein Bericht dazu existiert nicht.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 69 rung an, um das Relief mit dem Agnus Dei an die- ser Stelle wieder applizieren zu können. Die INRI- Tafel, die Dornenkrone und eine Rautenplatte fan- den keine Verwendung mehr. Die 1868 versetzten Ornamentfriese befestigte man auf der Rückseite des Agnus Dei.

Zur Herstellung der Silberschmiedearbeit

Ausgangsmaterial für die Treibarbeiten ist eine Le- gierung mit relativ hohem Silbergehalt. Als Legie- rungsbestandteil wurde unter anderen vorwie- gend Kupfer nachgewiesen. Der Silberanteil be- trägt bei den Proben des ursprünglichen Bestands ca. 98 Prozent, was für mittelalterliches Silber cha- rakteristisch ist. Bei den Reliefplatten handelt es sich um getriebene Silberarbeiten. Die Bearbeitung wurde vorwiegend mit Treibhämmern und -pun- 6 Foto von 1968 bis Was außer einem angesetzten Blech am Kopf- zen vorgenommen. Herstellungsspuren sind an 1970 der auf Seide auf- ende verändert wurde, kann daher nicht nach- der Oberfläche nur schwach erkennbar, diese wur- genähten Reliquien. vollzogen werden. den mittels mechanischer Polierung verrieben. Der Die letzte und einschneidenste Restaurierung von Kopfbereich des Agnus Dei zeigt Treibspuren am 1968 bis 1970 führte der Kölner Goldschmied Fritz deutlichsten im ergänzten Bereich (Abb. 5). Die Deutsch durch. Aus dem Arbeitsbericht und der Kupferbleche sind handwerklich identisch bear- Korrespondenz zwischen dem Direktor des Au- beitet. Hier lässt sich feststellen, dass die Bleche gustinermuseums Herrmann Gombert, Fritz deutlich dicker sind. Alle Teile der Silber- bzw. Kup- Deutsch und dem Erzbischöflichen Ordinariat Frei- ferschmiedearbeit sind feuervergoldet oder -ver- burg gehen fast alle Details der Maßnahmen her- silbert. Die Ornamentfriese rund um die Reliefs vor. So wurden sämtliche Teile der mittlerweile sind in Pressblechtechnik hergestellt. Diese dün- stark fragmentierten Silberschmiedearbeit vom nen Blechstreifen wurden hierfür in verschiedene Träger abgenommen und die schwarze Anlauf- Model gepresst. Die Modelgröße ist an den Rap- schicht mit einem handelsüblichen Silbertauchbad porten erkennbar, die die Größe des Werkzeugs entfernt. Ebenso wurden die Reliquien, bei denen zeigen. Alle Pressblechfriese sind ebenfalls feuer- es sich wahrscheinlich um byzantinische Textil- vergoldet. fragmente handelt, gereinigt. Sie wurden auf Seide aufgenäht (Abb. 6) und wieder im Kreuzholz 7 1968 bis 1970 ein - versenkt. gefügte Aufhängung Die entsprechend dem Zeitgeschmack ergänzten in den Kreuzarmen im Füße wurden abgenommen und durch ein neues Röntgenbild. Fußpaar nach Vorbild anderer romanischer Tri- umphkreuze des Viernageltypus ersetzt. Der aus sehr dünnem Silberblech bestehende Corpus so- wie alle gerissenen Teile der Silberapplikationen wurden von innen auf galvanischem Wege mit ei- ner Silberschicht überzogen. Diese Schicht sollte als Stütze wirken und die Teile miteinander ver- binden. Hierzu beulte man den deformierten Cor- pus zuerst aus und verlötete große Nagellöcher. Danach wurde er von außen durch eine Kapsel aus Kunststoff und Gips gestützt, während auf die Innenseite galvanisches Silber niedergeschlagen wurde. Durch das Galvanisieren konnten die Lö- tungen auf ein Minimum reduziert und eine hohe 8 Herstellungsspuren im Fell des Lammes und zise- Stabilität erreicht werden. Bevor die gefestigten lierte Blumen im Hinter- und ergänzten Silberteile wieder auf das Holz auf- grund, Feuervergoldung genagelt wurden, brachte man Aufhängungen auf Silber, mehrfarbige und Stützkonstruktionen am Holzkörper (Abb. 7) Metalloberfläche. und Gewindebuchsen an der Rückseite der Vie-

70 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Restaurierungskonzept

Die Silberoberfläche des Böcklinkreuzes zeigt eine gleichmäßige dunkle, vorwiegend aus Silbersul- fid und -nitrat bestehende Anlaufschicht. Diese Schicht entstand durch schwefelhaltige Luft- schadstoffe, durch Reinigungen sowie Restaurie- rungen. So sind zum Beispiel die schwefelhaltigen Tauchbäder, wie sie bei früheren Restaurierungen Verwendung fanden, langfristig betrachtet als ob- jektschädigend zu bewerten. Auch durch Kerzen- ruß, der auf der kalten Metalloberfläche bevorzugt kondensiert, wurde eine Schwärzung hervorgeru- fen. Überlegungen, diese Schichten abzunehmen oder zu reduzieren, um den metallischen Silber- glanz wieder herzustellen, wurden diskutiert. Eine derartige Reinigung sollte jedoch nicht erfolgen, da sich hierdurch die inzwischen stark oxydierten Silberoberflächen metallisch matt präsentieren würden. Die polierten Goldbereiche könnten, da sie eigentlich nicht korrodieren, zwar metallisch glänzen, doch wären unansehnliche Fehlstellen zu befürchten. Weiterhin war zu bedenken, dass das Kreuz zwischenzeitlich aus mehreren verschiede- nen Silberlegierungen und -loten besteht, was bei der Abnahme oder Reduktion der Schichten zu weiteren Problemen geführt hätte. Die Folge wäre ein stark fleckiges und unruhiges Erscheinungsbild gewesen. Auch die erwähnten schwefelhaltigen Tauchbadreinigungsmittel, die in Resten in der po-

rösen Metalloberfläche noch vorhanden sind, hät- 9 Das Böcklinkreuz in ten schnell ein Nachdunkeln der Oberfläche zur seiner aktuellen Aufhän- Folge. Da die inzwischen natürlich entstandenen gung im Chor des Frei- Patinaschichten und Verschwärzungen sowie die burger Münsters über durch Luftschadstoffe passivierten Oberflächen dem neuen Zelebrations- altar. keine weitere Gefahr für die Substanz darstellen, wurde das Kreuz deshalb nur von den Schmutz- partikeln gereinigt. Eine neue Schutzschicht wurde nicht aufgebracht. Die in den 1970er Jahren auf- getragene Zaponschicht ist noch auf der Ober- fläche vorhanden. Wie ein Blick auf die Leidensgeschichte dieses 10 Datierung der einzel- kostbaren Ausstattungsstückes gezeigt hat, muss nen Reliefs.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 71 das Böcklinkreuz auch zukünftig gewartet und be- Glossar obachtet werden. Die Wartung sollte jährlich mit der erstellten Fotodokumentation abgeglichen Cabochonschliff: Cabochon, französisch „Nagelkopf“, werden, um im Fall einer Veränderung sofort rea- beschreibt eine Schliffform für facettenlos geschliffene gieren zu können. Deshalb wurde für die Hängung Edelsteine. Die Edelsteine werden in gewölbter, auch lin- über dem Zelebrationsaltar ein Absenkungsme- senförmiger Form geschliffen und poliert. Häufigste und chanismus gefordert, der diese Wartung ermög- einfachste Schliffform. licht. Landesdenkmalpflege und Bauamt werden Feuervergoldung: Verfahren zur Vergoldung von Me- daher den neuen Blickfang des Münsters auch in talloberflächen und anderen Oberflächen mittels Gold- Zukunft nicht aus den Augen verlieren. amalgam (Legierung aus Quecksilber und Gold), das als Paste auf den zu vergoldenden Körper aufgetragen wird. Nach dem Auftrag wird die Oberfläche erhitzt, das Literatur Queck silber verdampft und zurück bleibt eine polierfähi- ge metallische Goldoberfläche. Markus Aronica: Wert und Würde. Bildwerke am und Galvanische Metallüberzüge: Ein nach seinem Erfin- im Kapellenkranz des Freiburger Münsters. c-punkt, der Luigi Galvani benanntes Verfahren zum Abscheiden des Münsterforums. Freiburg 2007, S. 30–37. von Metallen aus spezifischen Salzlösungen unter Ver- Manuela Beer: Triumphkreuze des Mittelalters. Ein wendung von Gleichstrom. Beitrag zu Typus und Genese im 12. und 13.Jahr- Krabbenfassungen: Methode, etwa Edelsteine zu fas- hundert. Mit einem Katalog der erhaltenen Denkmä- sen. Dabei halten an eine Zarge gelötete Stege oder ler. Regensburg 2005. Drähte den Stein fest, der so größer und lichter erscheint, Katharina Christina Schüppel: Goldene und silberne als wenn er direkt auf einer Zarge säße. Monumentalkruzifixe. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Pressblechtechnik: Eine seit der Antike bekannte Me- Liturgie- und Kulturgeschichte, Diss. Univ. Heidelberg thode für schnelle und metallsparende Fertigung vor al- 2003, Weimar 2005. lem für Edelmetalle. Auf einen Model aus Bronzeguss, Andrea Worm: Steine und Fußspuren Christi auf dem Stein oder Holz wird das zu pressende, oft nur 1/10 mm Ölberg. Zu zwei ungewöhnlichen Motiven bei der starke Edelmetall gelegt. Drüber kommt zum Pressen Himmelfahrt Christi, in: Zeitschrift für Kunstge- leicht verformbares Material wie Blei, Wachs oder Leder. schichte 66 (2003), S. 297–320. Vierung: Die Stelle einer mittelalterlichen Basilika, an der Hans-Jörgen Heuser: Oberrheinische Goldschmiede- Langhaus und Querhaus einander durchdringen. Sind kunst im Hochmittelalter, 1974. beide gleich lang, ergibt sich ein Vierungsquadrat, das oft, etwa mit verstärkten Pfeilern, als eigenes Innen- Hermann Gombert: Der Freiburger Münsterschatz, raumelement pointiert wird. Außen, besonders bei der Freiburg 1965. romanischen Basilika, wird die Vierung vielfach durch ei- Hans-Jörgen Heuser: Freiburger Goldschmiedekunst nen kräftigen Vierungsturm gekrönt, der im Inneren eine im Hochmittelalter. Inaugural-Dissertation zur Erlan- Kuppel birgt. gung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät Zaponlack: Ein Nitrozelluloselack, dessen Lösungsmittel der Albert-Ludwigs-Universität meist Aromaten sind. In der Vergangenheit war Zapon 1948. ein oft verwendeter Überzug zum Schutz vor Anlaufen Ingeborg Krummer-Schroth: Mittelalterliche Gold- von Silber. Reines Zapon wird heute seltener verwendet, schmiedekunst. Katalog der Ausstellung im Augus- da es sich bei reiner Nitrozellulose um ein explosives Me- tinermuseum Freiburg, Augustinermuseum Freiburg dium handelt, das entsprechenden Verarbeitungsvor- schriften unterliegt. Außerdem neigt Cellulosenitrat zur 1947. Gilbung. Heinrich Schreiber: Geschichte und Beschreibung des Münsters zu Freiburg im Breisgau, in: Münsterbau- verein (Hrsg.): Das Münster Unserer Lieben Frau zu Freiburg im Breisgau, 68 Lichtdrucktafeln, Münster- bauverein Freiburg 1896. Rolf-Dieter Blumer Regierungspräsidium Stuttgart Praktischer Hinweis Landesamt für Denkmalpflege Freiburger Münster Münsterplatz 1 Daniela Straub 79098 Freiburg Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Öffnungszeiten Am Weißenhof 1 Wintermonate: Mi 10–11.30 Uhr; 13–15.30 Uhr; Sa 70191 Stuttgart 10–11.30 Uhr; 12.30–15.30 Uhr; So 13–16 Uhr. Sommermonate: Wochentags 10–11.30 Uhr; 13– Dr. Dagmar Zimdars 15.30 Uhr; Sa 10–11.30 Uhr; 12.30–15.30 Uhr; So Regierungspräsidium Freiburg 13–16 Uhr. Referat 26 – Denkmalpflege

72 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Akademisches Andenken zu Zeiten der Studienreformen im 18. Jahrhundert Das Epitaph für Johann Sigismund Stapf im Freiburger Münster

Im Zuge der Umgestaltung der Chorkapellen des Freiburger Münsters wurde im Jahr 2009 der Schnewlin-Altar aus der zweiten Kaiser-Kapelle an seinen ur- sprünglichen Standort in der Schnewlin-Kapelle zurückgebracht. Hierdurch wurde eine Reinigung der Westwand der Kapelle notwendig. Das Epitaph für Johann Sigismund Stapf, das an dieser Wand seinen Platz gefunden hatte, wurde abgehängt und zunächst in eine der Chorkapellen verbracht. Daraufhin wurde es, betreut von der Denkmalpflege und dem Erzbischöflichen Bauamt Freiburg, von einer freien Restauratorin untersucht und restauriert. Im Folgen- den soll dieses wiederentdeckte Kleinod der Goldschmiedekunst als Denkmal 1 Georg Ignatius Baur, für Johann Sigismund Stapf gedeutet werden. Epitaph für Johann Sigis- mund Stapf (gest. 1742), Katharina Herrmann dat. 1762. Gesamtansicht nach der Restaurierung.

Das Epitaph für Johann Sigismund Stapf in der Schnewlin-Kapelle gehört zu den wenigen erhal- tenen Grabdenkmalen im Freiburger Münster (Abb. 1). Insbesondere nach der jüngst erfolgten Reinigung genügt schon ein flüchtiger Blick, um die künstlerische Qualität des Werkes zu erfassen. Geschaffen wurde es vom Augsburger Georg Ig- natius Baur, der es mit „G. Ignatius Baur fecit A. V. 1762“ signiert hat (Abb. 2). Der Gold- und Silber- schmied gehörte zu den gefragtesten Künstlern seiner Zeit. Er lieferte seine Arbeiten, vor allem Kel- che, Monstranzen und andere liturgische Geräte sowie einige Altäre in den gesamten deutsch- sprachigen Raum (Abb. 3). Der Geehrte, Johann Sigismund Stapf, war, wie in der Inschrift am Epitaph berichtet wird, Jurist, Pro- fessor verschiedener Rechte und mehrmals Rektor der Universität Freiburg. Er wurde in Hopferau im Allgäu geboren und starb am 5. Dezember 1742 in Freiburg. Es war die Universität, die ihm als ei- nem ihrer bedeutendsten Gelehrten 20 Jahre nach seinem Tod dieses Denkmal errichten ließ. Im 18. Jahrhundert war es nicht in der Schnewlin- Kapelle aufgehängt, sondern im Chorumgang bei der heutigen Lichtenfels-Krozingen-Kapelle un- mittelbar neben der Universitätskapelle. Felizian Geissinger hat es in seinem Werk über die Epita- phien im Freiburger Münster aus dem Jahr 1787 mit dem Hinweis „beij der 9ten Kapellen“ verse- hen. In diesem Buch ist außer dem Epitaph für J. S. Stapf nur noch ein weiteres aus Metall darge- stellt. Die übrigen sind aus Holz oder Stein und wurden wesentlich weniger aufwendig gestaltet.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 73 2 Detail: Signatur auf der Nach rechts schließt sich – nach einer komposito- Sense des Chronos. rischen Lücke – ein Putto mit einem Spiegel im lin- ken Arm und einer Muschel in der linken Hand an (Abb. 5). In seiner Rechten hält er ein kleines Röhr- chen, mithilfe dessen er eine Seifenblase aufge- blasen hat. Eine weitere Blase schwebt etwas wei- ter unten vor der Inschriftenplatte. Darunter, auf der rechten Seite des Epitaphs, steht ein in einen weiten Mantel gekleidetes Skelett, die Personifikation des Todes (Abb.6). Der Tod ist im Die Universitätskapelle als Stiftung der Universität Begriff, ein sehr langes Szepter zu zerstören, in- und der Bereich im Umgang vor der Kapelle sind dem er es mit seinem rechten Fuß durchbricht. In traditionelle Begräbnisorte für Professoren. Die seiner rechten Hand schwingt er einen reich de- meisten nachweislich in der Universitätskapelle be- korierten, hermelinverbrämten Schulterumhang. grabenen Akademiker waren Juristen. Doch nicht Zu seinen Füßen liegen weitere Gegenstände: Fas- für jeden wurde ein so prominentes Epitaph ge- ces, Caduceus, ein weiteres, bereits zerbrochenes stiftet. J. S. Stapf wurde nach so bedeutenden Vor- Szepter, ein Winkel sowie ein Zirkel (Abb. 7). gängern wie Ulrich Zasius durch ein solches Kunst- Auf der gegenüberliegenden Seite des Epitaphs werk geehrt. interagieren zwei Figuren: Chronos, auf dessen Sein Epitaph ist aus verschiedenen Metallen ge- Sense G. I. Baur gut sichtbar seine Signatur ange- fertigt und besteht aus einer Vielzahl von Einzel- bracht hat, fällt einer jungen Frau in den Arm, die teilen, die detailreich um eine Inschriftenplatte dabei ist, einige Bücher aus einem Regal zu holen gruppiert sind (s. Beitrag Blumer/Hubert Kühne). (Abb. 8). Weitere Bücher rutschen eben von Chro- In der Rocaillerahmung erkennt man neben eini- nos’ Schoß. gen auf Tod und Sterben bezogenen Gegenstän- Darüber sitzt eine weitere zur Pyramide gewandte den auch solche, die zum Leben des Verstorbe- Personifikation (Abb. 10). Sie hält mit ihrer Rech- nen gehört haben. ten ein Schwert, während ihr eine Waage aus der erschlafften Hand gleitet. Die Augenbinde ist ihr Die figürliche Rahmung – Justitia – von den Augen gerutscht.

Bekrönt ist die Inschriftenplatte mit einem Obe- Die Inschrift lisken oder einer Pyramide, um welche eine Schlange mit Apfel im Maul und der Ast eines Ap- Die Inschrift im Zentrum gibt Auskunft über zwei felbaumes gewunden sind (Abb. 4). Die Pyramide Tote (Abb. 11): Neben J. S. Stapf wird auch noch trägt eine Trophäe aus einem entflammten Toten- seines Sohnes, Johann Georg Sigismund Stapf, ge- kopf mit gekreuzten Knochen und Lorbeerkranz. dacht. Wie sein Vater war auch er Jurist, Profes- 3 Geschäftskarte von Hinter ihr ragen zwei Fackeln hervor. Eine brennt, sor und Rektor der Universität Freiburg: Georg Ignatius Baur. die zweite ist erloschen. „Gott dem allgütigen und allmächtigen. Wande- rer bleib stehen und schließe Dich dem Schmerz der Universität an, die den ewigen Gedenkens in höchstem Maß würdigen Johann Sigismund Stapf betrauert. Sie blickt zu ihm als Rektor 22mal auf; sie liebte ihn 52 Jahre als Professor. Den Toten ver- ehrt sie in Büchern, die von ihm selbst herausge- geben wurden. Einen Mann, der in verschiedenen Rechtsfällen tätig war: Niemals hat er verloren, denn er trug als Brustschild die Gerechtigkeit, als Helm ein sicheres Urteil, als Schwert den Ausgleich (Buch der Weisheit, 5. Kapitel). Er kommentierte das Kirchen- und das öffentliche Recht, das Natur- und Völkerrecht. Nur eines missfiel den Menschen an diesem so großen Manne: dass er sterblich war. Nach 77 Lebensjahren wurde er gerufen, im Him- mel vom Minerval Besitz zu ergreifen. Er ließ der Universität einen Sohn zurück als Erben der väter- lichen Tüchtigkeit und Kenntnis. Dennoch hat er nichts geschenkt: Sondern nach 13 Jahren nahm er ihn bei sich im selben Grab auf. Beiden setzte

74 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 die Universität dieses Denkmal der Liebe und zerbrochen zu Füßen des Skeletts. Vermutlich han- Dankbarkeit.“ delt es sich dabei um das ältere Rektorenszepter der Universität, das seit dem 16. Jahrhundert der Vergänglichkeit und Ewigkeit Artistenfakultät, der mathematisch-geisteswis- senschaftlichen Fakultät, gehörte. Der Schulter- Die Totenkopftrophäe über dieser Inschrift erinnert umhang, den der Tod an sich genommen hat, ge- an die Vergänglichkeit des Menschen (Abb. 4). Die hört vermutlich zur Amtstracht des Rektors. brennende und die erloschene Fackel stehen für Zu diesen Attributen des Rektors kommen weitere Leben und Tod. Der Obelisk hingegen ist ein Sym- Gegenstände, die wohl ebenfalls zerstört werden bol für die Ewigkeit. Das einzige christlich-religiöse sollen, da sie bereits am Boden liegen. Sie lassen Element bildet die Schlange mit dem Apfel im sich juristischen Lehrfächern zuordnen (Abb. 7): Maul zusammen mit dem Ast des Apfelbaumes. Das Liktorenbündel steht für das römische Recht, Hier wird an den Sündenfall erinnert. Vergleich- das J. S. Stapf mehrere Semester unter- bare Zusammenstellungen von Gegenständen las- richtete. Der Caduceus garantiert sen sich an vielen Grabmälern nachweisen, sie ge- dem Herold Immunität in Verhand- hören zum ikonografischen Standard dieser künst- lungen, welchen beispielsweise das lerischen Aufgabe. Völkerrecht bzw. das „Kriegs- und Friedensrecht“ zugrunde liegt. Win- Würdigung des Rektors und Lehrers kel und Zirkel als Symbole der Geo- Johann Sigismund Stapf metrie stehen für die Mathematik, die als Teil der Philosophischen Fakultät besonders im Chronos und der Tod in Gestalt eines Skelettes sind 18. Jahrhundert großes Interesse erfuhr. Vor allem an Grabdenkmälern und Epitaphien häufig zu fin- mit der Geometrie verband man im 17. und den. Meist halten sie ihre auf die Vergänglichkeit 18. Jahrhundert die Vorstellung von moderner bezogenen Attribute wie Sense oder Sanduhr. Im Wissenschaftlichkeit. Sogar Juristen betrieben in Unterschied dazu greifen Chronos wie auch der dieser Zeit ihre Forschungen nach der geometri- Tod am Stapf-Epitaph in die Aufgaben des Ver- schen Methode. storbenen zu Lebzeiten ein. Der Tod ist im Begriff, Bezogen auf den Verstorbenen meint diese Zer- das Szepter des Universitätsrektors zu zerbrechen störung der Attribute des Rektors und der juristi- 4 Detail: Bekrönung des (Abb. 6). Stilistisch und inhaltlich offenbart sich das schen Lehre, dass er dieses Amt nicht weiter aus- Epitaphs. Epitaph damit als Werk des Rokoko. Das Szepter üben kann, was für die Universität einen großen hielt der Verstorbene mehrfach als Inhaber seines Verlust bedeutete. Denn vom Wintersemester Amtes in Händen. Ein weiteres Szepter liegt bereits 1703/1704 bis zum Wintersemester 1741/1742

5 Putto mit Seifenblasen.

6 Der Tod zerstört die Insignien des Rektors J. S. Stapf.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 75 hatte er, was auch die Grabinschrift hervorhebt, Die Einführung des Natur- und Völkerrechts war das Amt des Rektors 22 Mal inne. für die Geschichte der juristischen Fakultät im Auch der in der Inschrift des Epitaphs erwähnte 18. Jahrhundert von nicht zu unterschätzender Be- Sohn, Johann Georg Sigismund Stapf, war Doktor deutung. Die Tatsache, dass der Lehrstuhl für diese beider Rechte. Das Amt des Rektors hat er vom bedeutende neue Fachrichtung J. S. Stapf übertra- Wintersemester 1744/45 bis zu seinem Tod am gen wurde, lässt auf das hohe fachliche Ansehen 8. März 1756 im Alter von 53 Jahren insgesamt schließen, das er genossen hat. Die Einführung sechs Mal ausgeübt. Der Grabinschrift zufolge dieses neuen Lehrfachs war folgendermaßen zu- wurde er allerdings weniger aufgrund seiner ei- stan de gekommen: Nach den Friedensschlüssen genen Verdienste, sondern vielmehr als vom Vater von 1714/15, die den Spanischen Erbfolgekrieg zurückgelassener Ersatz erwähnt. beendeten, und dem Abzug der Franzosen kehrte Als Professor der verschiedenen Rechte hat sich die Freiburger Universität aus dem Konstanzer Exil J. S. Stapf große Verdienste um die Universität er- zurück. Hierdurch sahen sich die Vorderösterrei- worben. Am 27. Januar 1691 wurde er als Profes- chischen Landstände veranlasst, die bisherige Aus- sor der Universität Freiburg angestellt. Im Jahr stattung und den Unterricht der im Vergleich etwas 1699 wurde er Pandektist, später war er Feuda- rückständig gewordenen und bis dahin primär von list und Codizist, 1716 wurde ihm das neu einge- der jesuitischen Lehre bestimmten Universität zu richtete Natur- und Völkerrecht übertragen. Kir- verbessern. Insbesondere die Juristische Fakultät chenrecht und gemeines Land- bzw. öffentliches sollte unterstützt werden, da diese damals den Recht übernahm er schließlich 1721. Kern der universitären Lehre in Freiburg bildete. Die Einführung des Natur- und Völkerrechts sollte verhindern, dass die katholischen Studierenden gezwungen wurden, dieses neue Fach „auf glau- bens widrigen“, also protestantischen Universitäten, „mit groser gefahr Einsaugenter Irrthumber und Ibler prinzipien“ zu studieren. Durch die Übernah- me des Lehrstuhls für Natur- und Völkerrecht setzte sich Stapf mit dem neuen Gedankengut der Aufklärung auseinander. Außerdem muss er da- durch auch maßgeblich an der Veränderung und Erneuerung des Lehrplans der Juristischen Fakul- tät und der Universität beteiligt gewesen sein. Die Pandekten, die in Freiburg schon seit einiger Zeit gelehrt wurden, wurden über das öffentliche Recht gestellt. Es ist also auch kein Zufall, dass am Epi- taph für J. S. Stapf das Liktorenbündel als Bild für das Römische Recht besonders hervorgehoben ist.

Würdigung des Wissenschaftlers Johann Sigismund Stapf

Die linke Seite des Epitaphs ist der wissenschaft- lichen Tätigkeit des Verstorbenen gewidmet: Eine nicht weiter zu identifizierende weibliche Gestalt wird von Chronos daran gehindert, weitere Bücher aus dem Regal im Hintergrund zu entfernen (Abb. 8). Die wissenschaftliche Arbeit des Juristen, die insbesondere in seinen schriftlichen Werken sichtbar wird, soll für alle Zeiten, für die Chronos steht, in den Regalen der Bibliothek erhalten blei- ben. Verehrung durch die Universität erfährt J. S. Stapf besonders aufgrund seiner Werke, was 7 Insignien des Rektors beispielhaft aus der Inschrift des Epitaphs hervor- und der Fakultäten. geht. In den Matrikeln der Universität wurde dem 8 Chronos hindert die Eintrag zur Anstellung des Sigismund Johann Stapf Personifikation daran, folgender Hinweis auf das Epitaph im Münster hin- Stapfs Bücher aus dem zugefügt: „Huic Academia nostra, ob praeclara Regal zu entfernen. in res suas literarias tum et domesticas merita pe-

76 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 stützte sich dabei neben Grotius auf weitere zeit- 9 Titel von Johann Sigis- genössische protestantische Autoren, bezog sich mund Stapfs „Jus naturae mit Francisco von Suárez und Franz Xaver Schmalz- et gentium […]“ grueber aber auch auf die jesuitische Tradition. Wie viele Autoren seiner Zeit wies Stapf auf die Aufklärung voraus und stand damit am Beginn der Entwicklung zum modernen Staats- und Völker- recht. In der Ikonografie des Epitaphs wurde diese Bedeutung der Schriften Stapfs vorweggenom- men, da sie nach dem Willen des Chronos für die Ewigkeit erhalten bleiben sollten.

Gerechtigkeit, Ausgleich und Vergänglichkeit

Die übrigen Figuren am Epitaph lassen sich fol- gendermaßen deuten: Justitia links oben, in deren Interesse der Verstorbene tätig war, kann ihr Werk ohne ihn nicht fortführen. Ihre Augenbinde, das Bild ihrer Objektivität, ist aufgrund dieses Verlus- tes von ihren Augen gerutscht. Die Waage ent- gleitet ihr gleichermaßen. In der Inschrift des Epi- taphs werden jene Eigenschaften des J. S. Stapf ge- nannt, mit deren Hilfe er alle seine Rechtsfälle für sich entscheiden konnte: Gerechtigkeit, sicheres renne in Basilica D. Virgin. Monumentum posuit“ Urteil und Ausgleich (Iustitia, Iudicium und Aequi- (Hier, in der Kirche der hl. Jungfrau, hat ihm unsere tas). Die Inschrift nimmt dabei auf einen Vers im Akademie aufgrund seiner vortrefflichen Verdiens- Buch der Weisheit (Sap. 5) Bezug, der im Hinblick te in literarischen und privaten Sachen ein ewiges auf den Toten abgewandelt wurde. Der Begriff der Denkmal gesetzt). Auch hier werden also die von Heiligkeit (Sanctitas) wurde durch den des Aus- Stapf hinterlassenen Schriften genannt, die die gleichs (Aequitas) ersetzt. Diese Tugend des Toten Universität veranlassten, seiner durch das Epitaph scheint also besonders erwähnenswert gewesen zu gedenken. zu sein. Auch die Waage der Justitia steht streng Eines seiner beiden bedeutenden Werke „De mai- genommen für den Ausgleich. Sie entgleitet der estate ex principiis iuris naturalis et gentium“ (Über Personifikation, da diese – überhöht gedacht – die Hoheit nach den Prinzipien des Natur- und Völ- ohne J. S. Stapf nicht mehr in der Lage ist, einen kerrechts) ist leider verloren, es wurde aber in der Ausgleich herzustellen. späteren naturrechtlichen Literatur des Öfteren zi- Der Putto auf der rechten Seite erzeugt Seifen- tiert. Stapf behandelte darin als Zentralthema die blasen, ein geläufiges Bild für die Vergänglichkeit Souveränität. Darüber hinaus veröffentlichte er im (Abb. 5). Zunächst wird damit auf die Sterblichkeit Jahr 1735, verbunden mit den Promotionsthesen des Menschen angespielt. Darüber hinaus wird der seines Schülers Ferdinand Sebastian von Sickin- Endlichkeit von weltlichen Ämtern, wie dem Rek- gen-Hohenburg, den einzigen katholischen Kom- torenamt, die Ewigkeit der wissenschaftlichen Ar- mentar zu Hugo Grotius’ Werk: „Jus naturae et beit gegenübergestellt. Außerdem hält der Putto gentium in duos divisum tractatus, quorum primus dem Betrachter einen Spiegel entgegen. In der Em- continet jus publicum universale, alter Hugonis blematik ist der Blick in den Spiegel häufig ein Bild Grotii jus belli et pacis explicatum.“ (Natur- und für die Selbsterkenntnis. Auch der Betrachter wird Völkerrecht, geteilt in zwei Traktate, von denen der angehalten, sich der eigenen Vergänglichkeit be- erste das allgemeine Völkerrecht enthält, der an- wusst zu werden. In der Lücke neben dem Putto dere das „Kriegs- und Friedensrecht“, von Hugo fehlt wohl eine Figur. Es könnte sich um eine wei- Grotius erklärt) (Abb. 9). Das dem Grotius-Kom- tere Personifikation gehandelt haben, womöglich mentar vorangestellte „Jus publicum universale“ eine weinende Gestalt, die für die Trauer um den regelte das Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Toten stand. Bürgern sowie das Verhältnis der Staaten unter- Neben der Vergänglichkeit des Menschen werden einander im Sinne des Gemeinwohls, soweit sich in der Ikonografie des Epitaphs die irdischen Ver- eine solche Regelung aus dem Natur- und Völker- dienste des Verstorbenen um die Gerechtigkeit, recht ergab. Stapf entwickelte also ein Allgemei- die juristische Wissenschaft und die Universität nes Staatsrecht auf naturrechtlicher Grundlage. Er hervorgehoben und gerühmt.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 77 10 Inschriftentafel. Die Universität als Auftraggeber

Für das weiterführende Verständnis des Werkes scheint es sinnvoll, die Situation der Universität Freiburg zum Entstehungszeitpunkt im Jahr 1762 zu berücksichtigen. Denn es war die Universität, die durch das Epitaph das Andenken an J. S. Stapf aufrechterhielt. Die Versuche der österreichischen Landstände, die Universität durch finanzielle Mittel zu beleben, führten nicht zum gewünschten Er- gebnis. Daher wurde im Jahr 1752 der Universität von der Regierung aus Wien, die sehr darum be- müht war, die Universitäten des Reiches zur för- dern, verordnet, „das artistische und theologische Studium sei zu straffen und erfolgreicher zu ge- stalten“. Hierzu sah sich die Universität Freiburg nicht in der Lage, sie führte unter anderem ge- Glossar genüber der kaiserlichen Regierung auch das Na- tur- und Völkerrecht als bereits eingeführte Neu- Fasces: Liktorenbündel, be- erung an. Es folgten weitere Vorgaben aus Wien. stehend aus einem Ruten- Die Universität Freiburg weigerte sich dennoch bündel mit Beil in der Mitte, weiterhin, die gewünschten Neuerungen einzu- Amtssymbol der höchsten führen. Das Epitaph für J. S. Stapf entstand zu ei- Machthaber im Römischen nem Zeitpunkt, zu dem die Universität gegenüber Reich. der Regierung immer noch die Ansicht vertrat, alle Caduceus: Attribut des grie- möglichen und nötigen Reformen der Lehre be- chischen Gottes Hermes, At- tribut der Herolde. reits durchgeführt zu haben. Es wurde mit Johann Sigismund Stapf 20 Jahre nach dessen Tod eines Alexander Hollerbach: Jurisprudenz in Freiburg, Tü- Pandektist: Lehrer des Rö- mischen Rechts, vornehm- Trägers der Universitätsreform gedacht, der als bingen 2007. lich der Schriften römischer Lehrer für Natur- und Völkerrecht sowie als Kom- Richard Bruch: Ethik und Naturrecht im deutschen Ka- Juristen. mentator der Werke des Hugo Grotius in der Ju- tholizismus des 18. Jarhunderts, Tübingen 1997. Codizist: Lehrer des Römi- ristischen Fakultät jenen Teil der Reformen umge- Annette Schommers: Georg Ignatius Baur. Kurfürst- schen Rechts, vornehmlich setzt hatte, den die Universität für sinnvoll hielt. licher Hofgoldschmied in Augsburg, Biberach 1996. der römischen Kaiserge- Notker Hammerstein: Aufklärung und katholisches setze. Literatur Reich, Berlin 1977. Feudalist: Lehrer des Lehns- Wolfgang Röd: Geometrischer Geist und Naturrecht, rechts. Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsi- München 1970. dium Stuttgart (Hrsg): Freiburger Münster Unserer Lie- Friedrich Schaub: Die Matrikel der Universität Freiburg ben Frau, Universitätskapelle, Kulturdenkmale in Ba- i. Br. von 1656–1806, Freiburg 1944–1957. den-Württemberg 5, Lindenberg 2007. Heinrich Schreiber: Geschichte der Albert-Ludwigs- Universität zu Freiburg, Teil 2 und 3, Freiburg 1859/ 11 Grundriss. 1860.

Praktischer Hinweis Freiburger Münster Münsterplatz 1 79098 Freiburg

Öffnungszeiten Wintermonate: Mi 10–11.30 Uhr; 13–15.30 Uhr; Sa 10–11.30 Uhr; 12.30–15.30 Uhr; So 13–16 Uhr. Sommermonate: Wochentags 10–11.30 Uhr; 13– 15.30 Uhr; Sa 10–11.30 Uhr; 12.30–15.30 Uhr; So 13–16 Uhr.

Dr. Katharina Herrmann Regierungspräsidium Freiburg Referat 26 – Denkmalpflege

78 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Untersuchung und Restaurierung des Stapf-Epitaphs im Freiburger Münster Ein unbekanntes Meisterwerk der Gold- schmiedekunst von 1762

Wie dem vorangegangenen Beitrag bereits zu entnehmen war, konnte das so genannte Stapf-Epitaph jüngst wieder in der Schnewlin-Kapelle angebracht werden. Die im Lauf der Zeit durch ständige Verschmutzung, Staub sowie Kon- densat und Umwelteinflüsse über das Gold gewachsene Oxydschicht ließ das Totenschild schmutzig, matt, graugrün und unscheinbar wirken. Eine Untersu- chung im Vorfeld der Reinigung erbrachte wichtige Erkenntnisse zu metall- kundlichen Details und zu Bearbeitungstechniken. Rolf-Dieter Blumer/Katrin Hubert Kühne

Beschreibung tes und gestecktes Metallgebilde (Abb. 2). In der 1 Das Stapf-Epitaph Mitte ist eine zweischenklige schmiedeeiserne während der Reinigung in Das Stapf-Epitaph besteht aus einer detailliert aus- Aufhängung mit drei auf die Schrifttafel aufgelöte - einem Zwischenzustand. gearbeiteten Schrifttafel und ist eine verschraubte, teilverlötete Treibarbeit. Als Material verwendete J. I. Bauer feuervergoldetes Kupfer, Tombak und Messing. Die Materialauswahl zeugt von hohen metallkundlichen Kenntnissen Bauers, seine Arbei- ten zeichnen sich zudem durch Eleganz und eine besonders sorgfältige handwerkliche Ausführung aus. Zu seinen Werken zählen vergoldete Silber- kelche und Messkannen, silberne vollplastische Fi- guren oder ganze Altaraufsätze. Die Hochaltäre im Konstanzer Münster und auf der Großkomburg stammen aus seiner Werkstatt. Alle Sichtflächen des Epitaphs sind feuervergoldet, wobei hochglänzende und matte Flächen zur Stei- gerung des Erscheinungsbildes kunstvoll neben- einander gesetzt wurden (Abb. 1 und vgl. Abb. 4). Um die Schrifttafel gruppieren sich teils im Halb- relief, teils vollplastische Allegorien. Diese sind in hochglänzende Gewänder gehüllt, während die sichtbaren Körperteile matt angelegt sind. Her- vorgehoben ist die Roccailleeinfassung, sie glänzt als satte, mechanisch mittels Polierstählen oder -achaten auf Hochglanz polierte Oberfläche. Die Schrifttafel ist leicht vorgewölbt, sodass sich die tief eingravierte und geschwärzte Schrift klar vom feuervergoldeten, mattierten Untergrund abhebt.

Montage

Das Epitaph besteht aus über 50 zerlegbaren Ein- zelteilen. Der Betrachter sieht auf den ersten Blick nur die Vorderseite, die aus einem Stück gefertigt zu sein scheint. In Wahrheit zeigt die Rückseite ein aus vielen Teilen zusammengesetztes, verschraub-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 79 2 Das Stapf-Epitaph von lichgraue, ca. 10 bis 15 mm breite Anstrichzonen. der Rückseite. Sie weisen teilweise einen Pinselduktus auf, es handelt sich vermutlich um Reste von Abdeckmit- teln. Diese sollten verhindern, dass die Feuerver- goldung bei ihrer Aufbringung und Erwärmung in die Randzonen ausfließt. An den gegossenen Tei- len gibt es erstaunlich wenig Gussfehler. Die Nach- arbeit und die feinen Treibarbeiten sind hervorra- gend ausgeführt. Das Versäubern erfolgte auf sehr hohem handwerklichem Niveau.

Beschädigungen und Verluste

Trotz des unberührten Zustands kam es doch zu Verlusten am Epitaph, beispielsweise einer Figur, die offensichtlich vorsichtig abgeschraubt wurde. Zwei leere Gewindestäbe am Rand der Inschrif- tentafel lassen Rückschlüsse auf ihre Größe zu. Eine weitere Beschädigung verbirgt sich auf der lin- ken Seite im Bereich des Bücherregals, wo ein ver- goldetes Kupferblech nur notdürftig eine Fehlstelle überdeckt. Bei der Reinigung der Feuervergoldung wurden Kratzer auf den hochglanzpolierten Flä- chen sowohl im oberen Bereich als auch auf der Pyramide sichtbar. Sie rühren vermutlich von einem Abwischen oder -waschen des Epitaphs mit einem ten Gewindestäben aufgeschraubt. Die Schriftta- rauen Tuch oder Ähnlichem her. Diese grobe Be- fel dient als Grundplatte, um die sich im Uhrzei- handlung muss sehr kurz nach der Montage er- gersinn die Rahmung mit den Figuren gruppiert. folgt sein, da sie komplett von der Kupferkarbo- Dabei lassen sich zunächst die Seitenteile in ge- natschicht überdeckt war. schlossenem Zusammenhang lösen und können erst danach in sich weiter zerlegt werden. Durchgeführte Maßnahmen

Zustandsbeschreibung Zunächst wurde mit einem weichen Pinsel und ei- nem feinen Staubgebläse der lose aufliegende Das Stapf-Epitaph wurde seit 1762 wohl noch nie Schmutz entfernt. Danach wurde mit Spiritus- vollständig auseinandergenommen. Die Unterleg - wasser feucht vorgereinigt, um das Fett und die scheiben und Gewindestäbe zeigen keinerlei Be- Rußschichten zu minimieren (Abb. 3). Für die De- schädigungen, Kratzer und Verkantungen. Auch montage wurden alle Schraubverbindungen zu- waren alle originalen Muttern und Unterlegschei- nächst kartiert, anschließend geöffnet und in ei- ben unversehrt und in situ vorhanden. Die Vergol- nen Plan eingezeichnet. Die Schrauben wurden dung zeigte in den sehr dicht anliegenden Ver- dabei fortlaufend durchnummeriert. Nach dem schrau bungen keine Oxydschicht. Die der Atmo- sphäre ausgesetzten Teile waren stark verstaubt, verrußt und mit Fledermauskot bespritzt. Die Feu- er vergoldung war in den bewitterten Bereichen von einer bräunlichgrauen Kupfercarbonatschicht überzogen, in ihr konnte sich Staub ablagern. Auf der Rückseite hatten sich auf dem Kupfer unter den Staubauflagen geringe Ausblühungen gebil- det. Insgesamt kann Patina aus Kupfercarbonat zwar als stabil bezeichnet werden. Allerdings ist sie hier aufgrund ihrer Rauigkeit als so genannte kon- densationskeimbehaftete Oberfläche zu bezeich- 3 Restauratorin bei Ab- nen, die sehr stark auf Feuchtigkeit reagiert. Da- nahme der Fett- und Ruß- her ist sie sehr korrosionsanfällig. schichten im Spiegelbild In den Randzonen der Feuervergoldung und an des Stapf-Epitaphs. den Übergängen zur Rückseite befinden sich weiß-

80 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Zerlegen wurde die Verschmutzung auf der Feuer- Glossar vergoldung kleinflächig mittels Wattestäbchen und speziell hergestellten, wässrigen Reinigungs- Legierung: Unter Legierungen versteht man eine be- mit teln abgenommen. Die Entfernung dieser wusst erzeugte Mischung verschiedener reiner Metalle. Schicht, die sich im Laufe von fast 240 Jahren an Röntgenfluoreszenzanalyse: Die RFA (Röntgenfluores- der Atmosphäre gebildet hatte, war aus konser- zensanalyse) ist das heute gebräuchlichste quantitative vatorischen Gründen notwendig. Das Epitaph Metallanalyseverfahren zur Bestimmung der Legierungs- wurde abschnittsweise in kleinen Arbeitsschritten anteile. Anhand dieses Spektrums kann eine sehr genaue Aussage über die Zusammensetzung des Werkstoffs ge- gereinigt und jeweils mit destilliertem Wasser un- macht werden. verzüglich abgespült. Danach wurde mit einem Silberlot: Silberlote sind Legierungen aus Silber, Kup- Dentaldampfreinigungsgerät nachgereinigt, um fer, Cadmium und Zink mit geringen Anteilen von Man- so eine optimale Neutralisation der Oberflächen zu gan und Nickel. Die Verarbeitungestemperatur liegt bei erreichen (Abb. 4). Die Patina der Kupfer- und 600 bis 800 Grad, die jedoch mit steigendem Silberge- Tombak-Oberfläche auf den Rückseiten sowie auf halt sinkt. In der Goldschmiedekunst wird ein reichlich den Gewindestäben wurden nicht reduziert, da aus Silber bestehendes Lötmaterial zum Aneinanderfü- diese hier einen natürlichen Schutz darstellt. Die gen von (Edel)Metallteilen verwendet. Rückseite (vgl. Abb. 2) wies keine aufgeraute Tombak: Weißkupfer bzw. kupferreiche Messinglegie- rungen. Oberfläche auf, die durch Kondensationskeime zu einer beschleunigten Korrosion geführt hätten. Treibarbeiten: Beim Treiben von Metall wird das flache Blech durch Hämmern bearbeitet. Das Ziselieren ist ein Diese Bereiche waren entsprechend glatt und ho- mit Punzen (kleinen stumpfen Meißeln) durchgeführtes mogen. Die schmiedeeiserne Aufhängung musste Feintreiben. nur trocken gereinigt und zum Schutz mit etwas 4 Das Stapf-Epitaph nach Leinölfirnis konserviert werden. Abschluss der Restaurie- Rolf-Dieter Blumer rung. Metallkundliche Untersuchungen Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart An repräsentativen Metallteilen des Epitaphs wur- den am Forschungsinstitut für Edelmetall- und Katrin Hubert Kühne Metallchemie in Schwäbisch Gmünd (fem) mittels Brauneggerstraße 34a Röntgenfluoreszenzanalyse die Legierungsbes- 78462 Konstanz tandteile festgestellt. Es sollten die Metallzusam- mensetzungen der getriebenen, der gegossenen und der zur Verlötung genutzten Metalle ermittelt werden. Ebenfalls untersucht wurden Gewinde - stäbe und Muttern der Träger sowie die Zusam - mensetzung und der Quecksilbergehalt der Feu- ervergoldung. Als Lotmaterial wurden verschiedene niedrig schmelzende Messinglote erkannt. Dies ist für die damalige Zeit extrem innovativ, denn in der zwei- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Messin- glegierungen noch weitgehend mit Silberlot ver- lötet. Für seine Arbeit verwendete Ignaz Bauer annä- hernd normgerechtes Material, die Güsse sind in der heute handelsüblichen modernen Legierung MS 90 beziehungsweise die Treibarbeiten, Ge- winde und Muttern in MS 80 ausgeführt. Die Verbindungen wurden mit so genannten Löt- hilfen – das sind kleine, an zwei Enden über die spätere Naht gelegte, hochgebogene Drahthaken zum genauen Ausrichten der Naht – vorfixiert. Das Lot, mit dem diese Löthilfen vorgelötet wurden, liegt wesentlich über dem Schmelzpunkt des Lo- tes der nachfolgenden Verlötungen der Naht. Es handelt sich um ein ausgeklügeltes System, das ein für die damalige Zeit hohes handwerkliches Wis- sen voraussetzt.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 81 Zwischen Konservieren, Restaurieren und Konstruieren Restaurierauffassung um 1900: die Werkstatt der Gebrüder Mezger in Überlingen am Bodensee

Restauratoren in der Denkmalpflege müssen sich immer wieder mit Kunst - objekten auseinandersetzen, die vormals von der „Eberlesche[n] Werkstätte für kirchliche Kunst von Gebr. Mezger Überlingen a/B Baden“ restauriert worden sind. Mit insgesamt über 400 Mitarbeitern war diese Werkstatt zeit- weise größter Arbeitgeber in Überlingen. Die bisher unveröffentlichten, als handschriftliches Manuskript erhaltenen „Lebenserinnerungen“ Victor Mezgers sind ein Zeitzeugnis von immenser Aussagekraft. Sechs Kopierbücher erlauben einen lückenlosen Überblick über sämtliche Arbeiten von 1908 bis 1924. Entwürfe für Umgestaltungen von Altären illustrieren diese Projekte ebenso wie Hunderte bislang unausgewertete Fotos Victor Mezgers. Die Verfasserin hat sich in ihrer Dissertation mit diesem Quellenbestand befasst und gleich - zeitig zahlreiche Objekte auf ihren Fassungsbestand hin untersucht. Anna Barbara Lorenzer 1 Victor Mezger und seine Mitarbeiter vor einer Kopie des Dillinger Werkstattmonopol und Arbeitsfeld dern erstreckte sich bis nach Karlsruhe, wo man Kruzifixes. eine Dependance unterhielt, und in die Pfalz. Die Gebrüder Mezger hatten 1897 die Werkstatt Während Josef Eberle sich in seinem Firmenlogo 2 Kopie des Dillinger Kruzifixes für St. Stephan des Bildhauers Eberle in Überlingen übernommen als „Atelier für kirchliche Kunst für Altäre, Kanzeln in Karlsruhe während der (Abb. 1) und sich hier im Laufe der Zeit eine ge- etc. etc. nach eigenen oder vorhandenen Entwür- Grundierung durch Mitar- wisse Monopolstellung erarbeitet. Das Einzugs- fen in allen Stylarten“ empfohlen hatte, nahmen beiter der Mezger-Werk- gebiet der Werkstatt beschränkte sich nicht auf die Gebrüder Mezger die Zuständigkeit für fol- statt. Überlingen und den östlichen Bodenseeraum, son- gende Arbeiten in ihr Firmenlogo auf: „Wand-&-

Tafelmalerei, Dekorationsmalerei, Polychromie und Vergoldung, Kreuzwege in Sculptur und Malerei, Restaurierung alter Gemälde und Sculpturen, Über- nahme ganzer Innenausstattungen von Kirchen in Architektur & Malerei, Spezialität: geschnitzte und gemalte Flügelaltäre, Herstellung von Sculpturen in Holz und Stein, Statuen & Reliefs, Altäre & Kan- zeln, Chor & Beichtstühle, Orgelgehäuse, Commu- niongitter, Grabmonumente, Epitaphien, Taufstei-

82 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 ne, Kirchenmöbel“. Diese Aufzählung umschreibt das Tätigkeitsfeld und das seinerzeit gleichberech - tigte Nebeneinander von Restaurierungen und Neuanfertigungen (Abb. 2). Die Grenzen werden nicht klar gezogen und oftmals vermischen sich beide Tätigkeiten an einem Objekt zu einer unauf - löslichen Einheit. Dies ist umso erstaunlicher, als dass in der Zeit um 1900 das Heidelberger Schloss im Mittelpunkt der denkmalpflegerischen Auseinandersetzungen um die Debatte „Konservieren oder Restaurieren“ stand. Während man in den denkmalpflegerischen Diskussionen über den Umgang mit Architektur das Thema „Konservierung“ also sehr viel früher diskutierte, scheint man Rekonstruktionen von Fassungen an Altären und Skulpturen in dieser Zeit aus einer anderen Haltung heraus noch für selbst- verständlich erachtet zu haben.

Die „Wiederherstellung“ des Überlinger Münsters – Victor Mezgers Lebensarbeit

Das Überlinger Münster ist in mehrerer Hinsicht ein herausragendes Beispiel für eine komplexe Res- weisen. Besondere Bedeutung wurde dabei der 3 Überlinger Münster. taurierungsgeschichte (Abb. 3). Es sind hier nicht künstlichen Patina beigemessen, um mittelalter - Innenraum am nur die Vorzustände durch den Restaurator hin- liche „Versatzstücke“ sozusagen in „Zweitver- 27.7.1912, Aufnahme reichend fotografisch dokumentiert, sondern auch wendung“ in historistische, neu geschaffene Al- von Victor Mezger. Der die zu verschiedenen Zeiten vorgenommenen tar-Komplexe zu integrieren. Chor mit dem Zürn-Altar wurde verschlossen, Maßnahmen an den Altären sind in einer Aussage - sämtliche Seitenaltäre kraft ablesbar, die den Wandel der Wertschätzung Das Reichlin-von-Meldegg-Haus von Victor Mezger foto- und die Vielfalt der damaligen Interpretationsmög- und die museale Restaurierung grafiert und dann abge- lichkeiten deutlich werden lässt. Unter Anleitung baut. der Werkstatt Mezger wurde das Überlinger Victor Mezger hat, wie aus seinen Lebenserinne- Münster vor dem Ersten Weltkrieg vollständig aus- rungen hervorgeht, mit besonderer Leidenschaft geräumt und im Zusammenhang mit einer umfas- und gegen den Widerstand des Gemeinderates für senden baulichen Sanierung in den zwanziger Jah- den Erhalt des heruntergekommenen Reichlin- ren auch restauriert, wobei die vorausgegangenen von-Meldegg-Hauses in Überlingen gekämpft und Restaurierungen durch Mezger selbst vereinzelt es für die Stadt erworben und als Museum einge- stichwortartig dokumentiert sind und sich darüber richtet. Dazu translozierte er das von Theodor hinaus am Objekt ablesen lassen. Sämtliche Seiten - Lachmann seit 1885 im so genannten „mittelalter- altäre wurden dabei durch die Werkstatt Mezger lichen Steinhaus“ in unmittelbarer Nähe des Müns - rekonstruierend „restauriert“ und vielfach umge- ters eingerichtete „Kulturhistorische[s] und Natu- staltet (Abb. 4). Die vormals durch die Altäre teil- ralien-Kabinet“, eine „Sammlung für Förderung wei se verdeckten Wandmalereien wurden in bal- der Heimatkunst“ mit insgesamt 20000 Objekten dachinartige Konstruktionen integriert, wie sie (u.a. Münzen), in sein neu erworbenes Haus. heute noch im Pietà-Altar und dem Elisabethen- Die in einem Museum aus ihrem ursprünglichen Altar anzutreffen sind. So lässt sich der Umgang liturgischen Kontext herausgelösten Kunstwerke, Mezgers mit historischer Substanz hier beispielhaft wie beispielsweise Altäre und Heiligenfiguren, an der Madonna von Gregor Erhart nachvollzie- stehen bekanntermaßen in einem neuen, eben hen. Dem historischen Fassungsbestand – mit ver- musealen Kontext. Die Rezeption des Kunstwerks mutlich originaler Fassung – der bedeutenden wird hier von seinem künstlerischen Wert und von spätgotischen Skulptur wurde aufgrund einer an- deren Grundhaltung bei der Restaurierung weni- 4 Überlingen, Münster. Entwurf Victor Mezgers für ger Gewicht beigemessen, als der bildschnitzeri- den Elisabethen-Altar als „niedriger Baldachin-Al- schen Form. Die Form diente im Grunde als Folie tar“ mit integriertem Wandgemälde, 1925, an Stelle für eine rekonstruierende Neufassung (Abb. 5, 6). des Elisabethen-Altars von 1609, der bis dahin die Aus liturgischer Sicht musste ein formschönes Wandmalereien verdeckt hatte. Die Madonna wird Gnadenbild eben auch eine adäquate Fassung auf- Gregor Erhart zugeschrieben.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 83 seinem Ausstellungswert bestimmt. Tatsächlich sondern dass hier Arbeiten überliefert sind, die bei- hat Mezger hier eine andere Haltung eingenom- spielhaft die Restaurierungsauffassung der Zeit men und zumindest bei Tafelbildern eine so ge- spiegeln. nannte archäologische Restaurierung durchführen Aus der Sicht des heutigen Restaurators und des- lassen, das heißt zu Gunsten der Neutralretusche sen konservatorischen Prinzipien des zerstörungs- sogar auf Ergänzungen verzichtet, wie wir am Bei- freien Handelns darf sich daraus nicht zwingend 5 Überlingen, Münster. Madonna von Gregor spiel des Tafelbildes mit einer Darstellung des un- eine Abwertung der damals geübten Praxis erge- Erhart aus dem Elisabe- gläubigen Thomas nachvollziehen können. Laut ben. Vielmehr ist der Paradigmenwechsel einer then-Altar mit Neufas- Rechnung von 1913 wurde die Malerei nicht er- restaurierungsgeschichtlichen Entwicklung verhaf- sung der Gebr. Mezger. gänzt und selbst Vergoldungen blieben hier frag- tet, in der sich die Prämissen der Restaurierungs- mentarisch. praxis geändert haben. Begriffe wie Echtheit, Inte- 6 Im abgelaugten und grität, Bewahrung und Lesbarkeit eines Kunst- noch nicht gefassten Restaurierung im Kontext werks werden heute zwar anders interpretiert, Zustand wurde vor der der jeweiligen Zeit dennoch müssen wir uns immer deren Relativität Neufassung dem Jesulein bewusst sein. ein Lendentuch hinzu - geschnitzt. Beispiel einer „Wiederherstellende“ Restaurierungen, wie Mez- Ohne die Diskussion an dieser Stelle vertiefen zu rekonstruierenden „Res- ger sie bezeichnete, finden wir zeitgleich bei Mar- können, sei hier auf die Theorien von Alois Riegl taurierung“ mit „neuer mon in Sigmaringen und Simmler in Offenburg. So und seine Auseinandersetzung mit dem englischen gotischer Fassung“ und zeigt ein Vergleich der Objekte, dass es sich nicht Kunsttheoretiker John Ruskin verwiesen, der die künstlicher Patina. um lokale oder persönliche Eigenarten handelte, Auffassung vertrat: „Der Wert eines historischen Monumentes ist untrennbar mit seiner originalen Materie verbunden, vom Künstler gestaltet und durch die Zeit geprägt. Nur hier, in der historischen wie der ästhetischen Authentizität des künstleri- schen Ausdrucks, steckt der wahre Wert, den es zu erhalten gilt […]“ (John Ruskin, The seven Lamps of Architecture, London 1849). In der „wiederherstellenden“ Restaurierung durch jene Werkstätten, zu denen auch die der Gebrüder Mezger gehörte, wurden Herstellung und Pflege christlicher Kunst miteinander verbunden. In der kirchlichen Kunst bedeutete dies zunächst eine Rückbesinnung auf die historischen Stilrichtungen – mit einer Wertschätzung vor allem der Kunst des Mittelalters – was im Stilpluralismus von Neoroma - nik bis Neobarock eine fiktive Zeitlosigkeit entste- hen ließ. Victor Mezger verstand sich dabei als künst lerischer Restaurator, der, wie er es formulier- te, „in allen Stilen“ zu arbeiten befähigt war. Die Erneuerung der Gotik war im Übrigen ein kon- fessionell unabhängiges Bestreben, das gleicher- maßen für katholische als auch evangelische Kir - chen kunst galt, wenngleich die katholischen Kirchen aufgrund ihrer reicheren Ausstattungs- tradition stärker betroffen waren. Die seinerzeit noch mögliche Einheit von künstlerischem Restau - rator und restaurierendem Künstler wurde von Theoretikern zwar schon kritisiert, von Sammlern und Vertretern der Kirche – wie dem Kölner Dom- kapitular Alexander Schnütgen – jedoch begrüßt. Weil also die Kunst in der Religion ihre Wurzeln hat, bestimmten unterschiedliche religiöse An- schau ungen die Gestalt der Kunst mit. Wie sehr sich das auf die Restaurierungsauffassung um 1900 auswirkte und im Wesentlichen die Wieder- herstellung provozierte, könnte man in der Bedeu- tung der theologischen Lehre zum Beispiel eines Thomas’ von Aquin zu suchen verleitet sein: Vor

84 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 7 Muggensturm, St. Margarethen. Hoch- altar vor dem Abbau und der Überfassung des 19. Jahrhunderts.

allem das Streben nach Vollständigkeit und nach – auch in rein restauratorischen Zusammenhängen „Claritas“, also der theologisch begründeten – verhaftet, andererseits hatte er sich, sofern es strahlenden Reinheit der Farbe, bewirkte letztlich sich um kirchliche Kunst handelte, der kirchlichen die Neufassungen in dieser Zeit und hatte mehr Be- Doktrin zu unterwerfen. Nach Paul Wilhelm von 8 Muggensturm, deutung und Gewicht als die ursprüngliche künst- Keppler, der als einer der bedeutendsten Kunst- St. Margarethen. lerische Schöpfung und Originalität. Die Neufas- kritiker seiner Zeit galt, musste die „reine Absicht“ Rekonstruktionsschnitt- sung bedeutete Gestalt angenommene Rückbe- der christlichen Kunst frei von allem Unreinen, Pro- zeichnung. sinnung. Die Forderung nach Unversehrtheit, das fanen und Sinnlichen sein. Das bezog sich konse- Bemühen der „Übereinstimmung zum Ganzen“, quenterweise auch auf ihren Erhaltungszustand. 9 Muggensturm, wie Mezger es gerne nannte, ist ebenso auf die Die Neue Gotik im Sinne der wiederhergestellten St. Margarethen. Hoch- Interpretation der mittelalterlichen Schönheits- Gotik – wie Mezger sie in der Neufassung des Al- altar nach der Neufas- sung durch die Gebr. lehre zurückzuführen. Bedingte Loslösung von die- tars in der Margarethenkapelle in Muggensturm Mezger, 1915 im Hinter- sen Zielen war nur im musealen Kontext möglich geschaffen zu haben glaubte (Abb. 7–9) – konnte hof der Werkstatt in Über - und auch hier bei Weitem nicht zweckfrei, sondern die Forderung nach Originalität und gleichzeitiger lingen. Laut Aufschrift am meist anderen Inszenierungswünschen unterge- scheinbarer Unversehrtheit leisten. So konnten die Altar: „auf Grund der ordnet. Gebrüder Mezger mit ihren wiederherstellenden alten Fassung wieder neu Der Traditionszusammenhang galt als Gewähr für Restaurierungen im gotischen Stil und mit ihren vergoldet und gefasst“. die Sichtbarmachung des Glaubens und des Gött- lichen – verdeutlicht in der Bedeutung des Souve- nirs – und erklärt den gewollten Zusammenhang zwischen Neuintegration und Neukonstruktion. Eine neu aufgebrachte Fassung auf dem Souvenir des alten Trägers vermittelte das „Wiedergeburts - gefühl“, das „déjà vécu“, wie Arnold Hauser es in seiner Sozialgeschichte der Kunst und Literatur bezeichnete. Die Romantik mit ihrer Suche nach Erinnerungen und Analogien in der Geschich te war dadurch Wegbereiter für die Kunst und die Restaurierauffassung des Histo rismus. Wir können in den Arbeiten der Gebrüder Mezger eine Traditionsgebundenheit im doppelten Sinne sowohl in Bezug auf Material und Technik, als auch auf Inhalt und Auffassung feststellen. Für den wiederherstellenden Restaurator dieser Zeit be- deu tete das eine „doppelte Subjektivität“: Einer- seits war er noch sehr im künstlerischen Denken

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 85 10 Birnau St. Maria, rek turen zulässt, so ist die terminologische Unge- Gnadenbild. „am Wall- nauigkeit damit zur Genüge demonstriert. Wenn fahrtsbild verschiedenes reduzierte Maßnahmenangaben wie etwa „Fas- abgeändert nach der sung etc. des Altars“ (Copir-Buch No. 1, S. 320) im ursprünglichen Art & Gegensatz zu der im gleichen Zusammenhang Form“ (V.Mezger). Neu- genannten „Wiederherstellung & Ergänzung der fassung mit reichhaltig alten Wandbemalung“ steht, demonstriert dies differenzierten Metall- auflagen und Ergänzung nicht nur die mangelnde Bedeutung terminologi- der Attribute und Hände. scher Genauigkeit in dieser Zeit, sondern einmal mehr die damaligen Wertigkeitsunterschiede zwi- schen Fassung und Wandmalerei. Wandmalereien wurden „freigelegt“, schrieb Victor Mezger in sei- nen Lebenserinnerungen, Skulpturen hingegen wurden abgelaugt. Der Begriff „Restaurieren“ wurde von Mezger ger - ne auch dann verwendet, wenn nicht näher be- zeich nete Maßnahmen zusammengefasst wurden. Schließlich schien eine gewisse Willkür in vielerlei Hinsicht erlaubt, und es sollte noch mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Bezeichnungen „Konservieren“ und „Restaurieren“ unmissver- ständlich definiert sein würden – und damit die Auffassung des Umgangs mit dem Kunstwerk. Neufassungen die Anforderungen erfüllen und der fachlichen Anerkennung versichert sein. Die Unbe - Literatur/Quellen deutendheit vorhandener älterer Fassungen oder gar einer Originalfassung bezeugen uns unzählige Anna Barbara Lorenzer: Zwischen Konservieren, Res- fotografisch dokumentierte „Zwischenzustände“. tau rieren und Konstruieren. Restaurierauffassung um Neben der Austauschbarkeit von Materie steht 1900: die Gebrüder Mezger in Überlingen am Bo- auch hier grundsätzlich ein geistiger Anspruch da- densee. Dissertation der Staatlichen Akademie der Bil- hinter: In der Herausarbeitung der Wesensform denden Künste Stuttgart, 2008, MS Stuttgart 2008. galt es, die Materie zu durchdringen. Wenn man Stadtarchiv Überlingen: Kunstwerkstätte Mezger diesen theoretischen Ansatzpunkt in die Praxis 1898–1980, Nachlass bearbeitet von Walter Liehner, überträgt, so findet man im Träger die Bedeutung 1993. der inneren Form begründet. Dies macht die farb- Mezger, Viktor, sen.: Lebenserinnerungen, Manuskript, liche Neugestaltung und die vollkommene Ver- Nachlass nachlässigung historischer Fassungen geradezu Museum Überlingen: Max Wingenroth: „Gutachten zwingend, um die Botschaft zu transportieren. Be- über die Aufstellung der städtischen Sammlungen in trachten wir das Gnadenbild aus Birnau unter die- dem alten Reichlin-Meldeggschen Hause, bisher An- sem Aspekt (Abb. 10). wesen des Herrn Birkenmayer in Überlingen, Über- lingen: undatiert, 15 Seiten. Willkürliche Begriffswahl Museumsinventar um 1930 mit Provenienznachweis und Wertangaben der Objekte. Wenn bei Mezger eine Maßnahmenangabe in der Rechnungsstellung etwa mit „Vergoldung etc.“ Praktischer Hinweis die komplette Überfassung eines ganzen Hoch- Das Überlinger Münster und die Kirche St. Maria in Bir- altars samt Ornamenten und Figurenschmuck nau sind tagsüber geöffnet. meint, so können wir dies als einen Beweis dafür Reichlin-von-Meldegg-Haus (heute Städtisches Mu- nehmen, dass kein Wert auf begriffliche Genauig - seum Überlingen) keiten gelegt wurde. Die umfangreiche neu fas- Krummebergstraße 30 sende und neu gestaltende „Restaurierung“ des 88662 Überlingen Bernhard-Altar im Überlinger Münster ließ Mezger www.museum-ueberlingen.de lediglich in der dem Betrachter nicht einsehbaren Inschrift des geöffneten Buches der Giebelfigur mit der Bezeichnung „renoviert“ dokumentieren. Dr. Anna Barbara Lorenzer Wenn die Bezeichnung „Restaurierung“ einer Dipl.-Restauratorin kompletten Innenausstattung die teilweise Über- St. Johannstr. 6 fassung von Altären meint sowie stilistische Kor- 88662 Überlingen

86 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Dem Bildersturm entkommen Die neuentdeckte Jupitergigantensäule aus Heidelberg

Im Frühjahr 2007 wurde im Heidelberger Stadtteil Neuenheim eine fast voll- ständig erhaltene Jupitergigantensäule entdeckt. Für Heidelberg handelt es sich tatsächlich um einen Jahrhundertfund, denn seit Auffindung des berühm- ten Mithrasreliefs vor mehr als 170 Jahren wurde dort kein solch ausgezeich- net erhaltenes und qualitätvolles römisches Götterdenkmal mehr ausgegraben. Das Säulenmonument entstand um 150 n.Chr. in einer Heidelberger Bildhauer- werkstatt und wurde bereits knappe 50 Jahre später abgebaut und in einem gleichzeitig aufgegebenen Holzbrunnen sorgfältig niedergelegt. Der Abbau steht somit in keinem Zusammenhang mit den Germaneneinfällen des 3. Jahr- hunderts, sondern lässt eine Siedlungsumstrukturierung beziehungsweise -verlagerung vermuten. Die Jupitergigantensäule ist heute in der Dauerausstel- lung des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg aufgestellt. Renate Ludwig/Petra Mayer-Reppert/Einhard Kemmet

Weitab von der wenig günstigen und hochwasser- gefährdeten Tallage mit Heidelbergs historischer Altstadt liegt unter den modernen Stadtteilen Neu - enheim und Bergheim das römische Heidelberg, das zu den bedeutenden römerzeitlichen Stätten in Baden-Württemberg zählt. Heute ist die römi- sche Siedlung in weiten Teilen überbaut (Abb. 1). Doch sind gerade im Zuge von Umnutzungen (Areal Altklinikum in Bergheim am Südufer des Ne- ckars) und dem städtebaulichen Nachverdichtungs- programm im Stadtviertel Mitte von Neuenheim am Nordufer wieder archäologisch relevante Flä- chen betroffen, deren Untersuchungen auch in jüngster Zeit zur Entdeckung spektakulärer Befun - de geführt haben.

Jupiter im Brunnen

In einem der wenigen noch unbebauten Grund- stücke in Heidelberg-Neuenheim untersuchte die Archäologische Abteilung am Kurpfälzischen Mu- seum im Auftrag der Archäologischen Denkmal- pflege am Regierungspräsidium Karlsruhe von

1 Heidelberg von Südosten. Im Vordergrund der Neckardurchbruch mit historischer Altstadt und Alter Brücke, hinten die Rheinebene. Rot eingetra- gen die Römerstraße von Ladenburg kommend, der Nordvicus im heutigen Stadtteil Neuenheim, der Südvicus im Stadtteil Bergheim (beides schraffiert) und die bekannten römischen Villenstellen auf der Gemarkung.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 87 Reiters – die Bekrönungsgruppe der Jupitergigan- ten säule – freizulegen. Auf den nächsten 2 m folg- ten dann sämtliche Bauteile der Säule, die alle – im Gegensatz zum Gigantenreiter – vollständig und unzerstört geborgen werden konnten. Dies gilt auch für die Gesichter aller Gottheiten, die weder abgeschlagen noch beschädigt waren. An keiner Stelle konnten Spuren eines gewaltsamen Sturzes und Verletzungen durch gezielte Hiebe beobach- tet werden. Die Gruppe von Pferd und Reiter lag kopfunter im Brunnen, darunter, dicht gedrängt, weitere sieben Buntsandsteinblöcke. An unterster Stelle stand der auf den Kopf gestellte reliefverzier - te Viergötterstein, der durch seine senkrecht auf- gerichtete Gesimsplatte und den Zwischensockel geschützt beziehungsweise gestützt wurde (Abb. 3). Zwischen Gesims und Zwischensockel und von diesen gehalten lag das Kapitell schräg unter dem Säulenschaft mit Plinthe und Basis. Neben dem Gesims, etwa in der Mitte des Brunnenschachtes, fand sich der abgeschlagene Kopf des Pferdes der Gigantenreitergruppe. Zuoberst schließlich auf dem Niveau der Säule war eine um 90 Grad gekippte rechteckige Platte, darauf ein Block mit unter- schiedlich abgeschrägten Kanten. Beide Werkstü- 2 Plan des römischen März bis Juni 2007 bauvorgreifend eine Fläche von cke bildeten die Basis des Monumentes und be- Heidelberg: 1 Ostkastell, 270 qm. Innerhalb des römischen Stadtplans liegt fanden sich noch im originalen Verband. Anschei- 2 Westkastell III, 3 West- das Areal unmittelbar vor der Südflanke des Ost- nend füllte man den Brunnen zuerst auf mehr als kastell I, 4 Westkastell II, kastells, über dem noch im 1. Jahrhundert n.Chr. 6 m auf, um dann auf einer eigens angelegten Pla- 5 Kastellbad, 6 Benefi - der nachkastellzeitliche Nordvicus entstand, ziem- nie die Säulenteile niederzulegen. Die Brunnenver- ziarierstation, 7 Römer- lich genau auf Höhe des nördlichen Brückenkop- füllung war durchgehend homogen und bestand brücke, 8 Mithräum II, fes der römischen Neckarbrücke (Abb. 2). mehrheitlich aus Keramik und wenigen Tierkno- 9 Mithräum I, 10 Gipfel- heiligtum, 11 Hafen- Der für diesen Beitrag zentrale Befund wurde in chen. Baukeramik oder -schutt waren selten. In ei- mauer. der nordwestlichen Ecke der Grabungsfläche an- ner Tiefe von fast 5 m zeichnete sich der Brun- getroffen. Es handelte sich um eine steilwandige nenschacht als nahezu quadratische, 2 x 2 m große Eingrabung, die sich erst im dritten Planum als ur- Struktur ab, an deren Rändern nun auch die Holz- sprünglich mit Holz verschalter Brunnen zu erken- verschalung als schmale dunkle Verfärbung sicht- nen gab. Kurz vor dem geplanten Grabungsende bar war. Die Brunnensohle war bei 4,20 m unter gelang es, Teile eines Pferdes mit Unterkörper eines heutiger Oberfläche noch nicht erreicht. Die Gra-

3 Bauteile der Jupitergi- gantensäule während der Ausgrabung: Auf dem Planum Fundament und Sockel mit Säulenschaft, darunter im Profil das Fi- guralkapitell, unter die- sem links die profilierte Gesimsplatte des Haupt- sockels und rechts die Unterseite des Zwischen- sockels mit der Weihin- schrift. Der Viergötter- stein ist noch verdeckt.

88 bung wurde eingestellt, als sich auf dem nächsten nach links aus dem Bildfeld. Im Uhrzeigersinn folgt Meter keine weiteren bearbeiteten Steinfragmen- ihr Merkur, nackt mit zierlichen Flügelchen, die te mehr fanden und die Einfüllung zunehmend ihm aus dem gelockten Haupthaar wachsen. Er steriler wurde. Eine Probebohrung ermittelte die packt mit seiner gesenkten Rechten den prall ge- Brunnensohle in 100,80 m über NN, womit eine füllten Geldbeutel. Mit seiner Linken stützt sich Brunnentiefe von genau 11 m unter heutiger Ober - Merkur in geziertem Gestus auf einen mächtigen fläche rekonstruiert werden kann. Die darunter - Schlangen stab (Caduceus). Auch hier bewegt sich liegende Kiesschicht führt heute erst nach weite- das Begleit tier, in diesem Fall der Hahn, mit erho- ren 3 m in 97,80m über NN Grundwasser (Abb. 4). benem rechtem Fuß nach links aus dem Bildfeld. Reste der weißen Grundierung haben sich am Der Heidelberger Götterhimmel Unterarm des Gottes erhalten. Die Rückseite füllt das Bild des unbekleideten und vollbärtigen Her- Das Aussehen der Heidelberger Säule lässt sich kules im Kampf gegen die vielköpfige Hydra zweifelsfrei rekonstruieren. Mit einer Gesamthöhe (Abb. 7). Im Gegensatz zu den drei anderen Re- von 4,30 m (mit Ergänzung des Jupiter ca. 4,60 m) lieffiguren, bei denen die Figuren frontal und sta- folgt sie dem verhältnismäßig einheitlichen Auf- tisch stehend gezeigt werden, bewegt sich Her- bau bekannter Säulen (Abb. 5). Auf einer Funda- kules weit aus dem Relief grund und führt dabei mentierung und einem stufenförmigen Unterbau eine leichte Linksbewegung aus. Mit der Rechten steht der Viergötterstein. Darüber sitzt ein kleine- schwingt er seine – offensichtlich mit einer Hand- rer rechteckiger Sockel, der die Weihinschrift und habe versehene – große Keule hinter den Kopf, die auf seinen weiteren Seiten drei der sieben Wo- Linke hält das Löwenfell, wobei eine der Tatzen chen götter trägt. Über einem Gesims erhebt sich zwischen den Beinen des Gottes zu erkennen ist. dann die eigentliche schuppenverzierte Säule, Die Schlange hat sich mit ihrem Körper um das deren Figuralkapitell durch die Figurengruppe des linke Bein des Gottes gewunden und zwei ihrer Gigantenreiters bekrönt wird. Sieben Bauteile sind Köpfe hängen, wohl schon getötet, nach unten. aus Buntsandstein, allein der Gigantenreiter wurde Der dritte Schlangenkopf dagegen versucht Her- 4 Profilzeichnung mit aus Keupersandstein gefertigt. kules in die linke Lende zu beißen, was dieser ergrabenem und durch ebenfalls mit seiner Linken abwehrt. Die vierte Erdbohrung rekonstru- Juno und Herkules, Minerva und Merkur Seite zeigt Minerva, mit Chiton, Mantel und Helm ierten Befund des Brun- mit Helmbusch. Mit der erhobenen Rechten um- nens. In den Relieffeldern des Viergöttersteins stehen in greift sie die körperlange Lanze, mit der Linken mehr oder weniger frontaler Ansicht und in plasti - stützt sich die Göttin auf einen sechseckigen schem Halbrelief die Götter Juno, Minerva, Herku- Schild. Im Bildfeldzwickel über der linken Schul- les und Merkur mit ihren charakteristischen Attri- ter der Göttin sitzt das Käuzchen. buten. Die Hauptseite zeigt Juno mit Chiton, Man- tel und Diadem. In der Rechten hält sie eine Schale Sol, Luna und Mars (Patera) (Abb. 6). In der Linken trägt sie das geöff- nete Weihrauchkästchen (Accera). Zu ihrer Rech- Der rechteckige Zwischensockel trägt auf der Vor - ten schreitet der Pfau mit erhobenem rechtem Fuß derseite die knappe dem Stereotypus folgende

5 Die vier Ansichten der wiederaufgerichteten Säule.

89 6 Vorderseite und linke Nebenseite des Viergöt- tersteins mit Juno und Merkur.

7 Rechte Nebenseite und Rückseite des Viergötter- steins mit Minerva und Herkules.

Stifterinschrift: I(ovi) · o(ptimo) · m(aximo)/Mes Kopf; hinter ihrem Rücken erscheint eine liegende (sius) · Iblionîs/v(otum) · s(olvit) l(ibens) · l(aetus) · Mondsichel (Abb. 8 unten links). Die vierte Seite m(erito). Dies lautet in Übersetzung: Für Jupiter, zeigt den jugendlichen Mars (Dienstag), den Kopf den besten und höchsten Gott, hat Mes(---), Sohn in nach links gewandter Profilansicht in einem ähn- des Iblio, (s)ein Gelübde gern, freudig und nach lichen Gewand wie Sol. Er trägt einen einfachen Billigkeit eingelöst (Abb. 8). Links anschließend rei- kalottenförmigen Helm mit kräftigem Helmbusch hen sich die in rechteckigen flachen Nischen sit- (Abb. 8 unten rechts). zen den Schulterbüsten von drei Planetengöttern, Über den Enden der kräftigen Akanthusblätter des die je einen Wochentag benennen. Dabei zeigen Figuralkapitells hockt je ein kleiner Gigant mit nach die Bildfelder eine flache rechteckige Aussparung hinten gestreckten Armen und nach rechts und über den Köpfen der Götter. Die Serie beginnt mit links seitlich aufgerollten Schlangenbeinen (Abb. 5, Sol (Sonntag) und ist linksläufig zu lesen (Abb. 8 12). Alle vier scheinen an Stelle von Eckvoluten in oben rechts). Die frontal gezeigte Büste des ju- Art von Atlanten die Abakusplatte zu stützen. Zwi- 8 Zwischensockel mit gend lichen Sol trägt zur Charakterisierung einen schen den Giganten sitzen vier Frauenköpfe, die Inschrift, Sol, Luna und spitzzackigen Strahlenkranz, bekleidet ist er mit ei- aus Kopf, Hals und Schulteransatz mit Tunikasaum Mars (von oben links ner Tunika. Auch Luna (Montag) ist frontal darge- bestehen. Ihnen sind die hochaufgerichteten nach untern rechts). stellt mit nur schwach nach rechts gewandtem Köpfe der geringelten Schlangenbeine der Gigan - ten zugewandt. Die Gesichtszüge sind differen- ziert, doch ist sich die Ausführung der Köpfe mit gewelltem oder gelocktem Haar, in das ein Diadem gesteckt ist, sehr ähnlich.

Jupiter über einem Giganten

Von der beschädigten Bekrönungsgruppe fehlen die angewinkelten vorderen Extremitäten ab dem Sprunggelenk, die Hinterbeine und der Schweif des Pferdes sowie der Oberkörper mit Kopf und er- hobenem rechtem Arm des Reiters (Abb. 9). Das rechte Bein des Jupiter ist unterhalb des Knies ab- geschlagen. Bis auf leichte Beschädigungen an der rechten Pferdekruppe sind alle Brüche antik und hängen mit dem Abbau des Denkmals zusammen.

90 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Dabei weist die Bruchkante des Reiters auf eine intentionale und sorgfältige Absprengung hin. Möglicherweise gilt dies auch für den Pferdekopf, wogegen die fragilen Läufe trotzt der Sorgfalt bei Abbau beziehungsweise Niederlegung verloren gegangen sein dürften. Besonders am Pferdekopf haben sich Spuren der weißen Grundierung in den Vertiefungen der lockigen Mähne und der Wange sowie rote Farbreste in der Mähne erhalten. Die gut überlieferten Farbspuren am Pferdekopf finden ihre Erklärung in der unterschiedlichen Lage bei- der Bauteile im Brunnenschacht, befand sich doch das Köpfchen mehr als 2,20 m unter der eigent- lichen Figurengruppe. Der jugendliche schlangenleibige Gigant liegt bäuchlings tiefgeduckt auf der langrechteckigen Sockelplatte und streckt sich von der Hüfte an über die Plinthe nach vorne. Die Arme sind angewinkelt und tragen die auf seinen Schultern ruhenden Vorderhufe des Pferdes. Das fast friedlich wirkende massige Gesicht ist bartlos und hat nahezu kind- liche Gesichtszüge. Auf der Brust des Pferdes sind Teile des Pferdegeschirrs angedeutet. Reste der Satteldecke erscheinen neben dem rechten Ober- schenkel des Reiters. Dieser ist bekleidet mit bis un- mittelbar über die Knie reichender Tunika und Muskelpanzer, von denen Saumkante und die Ptery ges (Lederstreifen am Militärgürtel, die zur Zierde und zum Schutz dienten) dekorativ auf dem Pferderücken wiedergegeben sind. Außerdem trägt er fellverbrämte Stiefelchen. Aus der Verfül- Gewandstil, die Modellierung der Körper bis zur 9 Die bekrönende lung unterhalb des Gigantenreiters konnten vier Ausarbeitung der Hände sprechen für eine lokal Gruppe des Jupiter- Bruchstücke des zum Gigantenreiter gehörenden angesiedelte Werkstatt. Werkstattgleich ist ein gigantenreiters. eisernen Blitzbündels geborgen werden (Abb. 10). stark fragmentierter Viergötterstein, der 2002 im Auch dies ist eine kleine Sensation, waren bis dato benachbarten Ladenburg ausgegraben wurde. doch nur zwei Blitzbündel von Jupitersäulen er- Obwohl der Civitasvorort Ladenburg als Sitz der halten. Werkstatt nicht auszuschließen ist, spricht vieles für den wirtschaftlich prosperierenden Vicus von Eine bislang unbekannte Heidelberger Heidelberg als Standort jener Bildhauer-Werkstatt, Bildhauerwerkstatt die der Stifter Mes., Sohn des Iblio, mit Erschaffung seines Weihedenkmals beauftragte. Die Weihung des Mes. Iblionis gehört zu den weni - gen Jupitersäulen, die schon im 2. Jahrhundert Dem Bildersturm entkommen n.Chr. entstanden sind. Sowohl stilistische Verglei- che, besonders der Reliefs des Viergöttersteins als Der ursprüngliche Aufstellungsort der Säule wird auch Elemente der Inschrift, sprechen für eine Ent- nicht allzu weit vom Fundort entfernt zu suchen stehung um die Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. sein. Wenige Meter nördlich der Auffindung durch - Das Weihedenkmal besticht durch seine formale querte die von Mainz über Ladenburg kommende und stilistische Geschlossenheit. Die großflächigen Fernstraße in direkter West-Ost-Richtung den Vicus, ovalen Gesichter, der summarische scharfgratige um auf Höhe der Fundstelle nach Süden abzu-

10 Die Bruchstücke des Blitzbündels nach der Restaurierung.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 91 dem nach der Niederlegung aufgefüllten Material. Auch die datierungsrelevante Keramik spricht für eine Deponierung und Auffüllung bereits im letz- ten Viertel des 2. Jahrhunderts. Diese frühe Zeit- stellung macht den Heidelberger Brunnenfund zu dem bislang ältesten bekannten Befund dieser Art sowohl in Ober- als auch in Niedergermanien. Da- mit scheiden jene Germanengruppen als Bilder- stürmer aus, die 50 Jahre später zwischen Rhein und Donau mehrere Dutzend Götterdenkmäler zerschlugen, die dann später in Brunnen gestürzt wurden. Welche Ursache hinter einem so frühen Abbau der Säule steht, bleibt zunächst ungewiss. Jedenfalls gibt es keinerlei Hinweise auf ein Brand- ereignis – dieses hätte am Verfüllmaterial ablesbar sein müssen. Hingegen deutet sich um 180/190 n.Chr. im Heidelberger Nordvicus eine Verände- rung der Siedlungstätigkeit an. So brechen die Be- stattungen im großen Neuenheimer Friedhof in den neunziger Jahren des 2. Jahrhunderts ab. Bis- her schloss man daraus auf einen weiteren Begräb - nisplatz, auf dem die Bewohner des Neuenheimer Vicus bis um 260 n.Chr. bestattet hätten. Ob unter Berücksichtigung beider Befunde eine Siedlungs- verlagerung fassbar wird, kann bis zu einer Auf- ar beitung des gesamten aus Heidelberg stam- menden Fundmaterials nur vermutet werden. Dem Heidelberger Brunnenfund kommt insofern eine herausragende Bedeutung zu, als damit nicht nur die besterhaltene, mit einem ikonografisch außergewöhnlichen Bildprogramm versehene Ju- pitergigantensäule bekannt wurde, sondern dar- über hinaus unsere Vorstellung über die Siedlungs - entwicklung im römischen Heidelberg des späten 2. Jahrhundert modifiziert wird.

Der Heidelberger „Jahrhundertfund“ 11 Ministerpräsident schwenken und mit der Römerbrücke den Fluss zu Günther Oettinger und überqueren. Der Standort der Kultsäule war also Der Bedeutung des Fundes gerecht werdend, Oberbürgermeister Eckart geschickt gewählt, lag dieser doch an einem ver- stellte der Gemeinderat der Stadt für Restaurie- Würzner bei der feier- kehrs geografisch neuralgischen und sicherlich rung, Aufstellung und wissenschaftliche Bearbei- lichen Enthüllung der auch stark frequentierten Platz (Abb. 2). Der ver- tung beträchtliche Sondermittel bereit, sodass Jupitergigantensäule am mu tete Ort der Aufstellung findet seine Analogie bereits zwei Jahre nach Auffindung zwei ausführ- 27. Mai 2008. am südlichen Neckarufer, wo ebenfalls in der Ver- liche Veröffentlichungen vorgelegt werden konn- längerung der Längsachse der Neckarbrücke der ten. Nach Reinigung und Restaurierung (bei der Beneficiarier Gaius Vereius Clemens eine Kultsäule übrigens die grauschwarzen Verfärbungen des errichten ließ. Sandsteins und die Versinterungen belassen wur- Viergötterstein, Gesimsplatte, Zwischensockel und den) sowie der zeichnerischen und fotografischen Kapitell lagen dicht auf- und aneinander im Brun- Dokumentation ist das Monument für die Aufstel - nen schacht, wobei die Gesimsplatte den Abschluss lung wieder zusammengesetzt worden. Mit dem dieses Paketes bildete. An mehreren Stellen be- diffizilen Aufbau im Treppenhaus des Kurpfälzi- rühr ten sich die Steine, waren aber auch dort un- schen Museums wurde ein erfahrener, seit vielen beschädigt. Dies konnte nur geschehen, wenn die Jahren für die Museen in der Region tätiger Stein- Bauteile mit äußerster Vorsicht in den Brunnen bildhauermeister beauftragt. In der antiken Auf- „niedergelegt“ worden waren. Das Füllmaterial stellung waren die Bauteile nicht miteinander ver- unter der Säule unterscheidet sich chronologisch dübelt, so wurden sie auch in der modernen Prä- kaum von jenem, das mit Niederlegung der Säule sentation mit Luftkalkmörtel verfugt. Am 27. Mai in den Brunnen gelangte, beziehungsweise von 2008 wurde die neue Jupitergigantensäule im

92 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Rahmen der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Be- stehen des Kurpfälzischen Museums der Stadt Hei- delberg in Anwesenheit von Ministerpräsident Günther Oettinger der Öffentlichkeit präsentiert und in die Dauerausstellung integriert (Abb. 11, 12).

Literatur

Monika Doll, Peter König und Petra Mayer-Reppert: Iupiter im Brunnen. Archäologische Untersuchungen 12 Das wiederauf- im Nordvicus von Heidelberg. Fundberichte aus Ba- gerichtete Säulen- den-Württemberg 32, 2011 (im Druck). monument am Renate Ludwig: Zur Einführung, in: Andreas Hensen, heutigen Aufstel- Das römische Brand- und Körpergräberfeld von Hei- lungsort im Treppen- del berg I. Forschungen und Berichte zur Vor- und haus des Kurpfälzi- schen Museums. Frühgeschichte in Baden-Württemberg Bd. 108 Stutt- gart 2009, S. 13–32 bes. 19 u. 31. Renate Ludwig und Peter Noelke (mit Beiträgen von Petra Mayer-Reppert, Francisca Feraudi-Gruénais und Brigitte Gräf): Eine neue Jupitergigantensäule aus Hei- delberg, in: Jörg Biel, Jörg Heiligmann und Dirk Kraus - se (Hrsg.): Landesarchäologie. Festschrift für Dieter Planck. Forschungen und Berichte zur Vor- und Früh- geschichte in Baden-Württemberg Bd.100 Stuttgart 2009, S. 393–424. Peter Noelke, Bildersturm und Wiederverwendung am Beispiel der Iuppitersäulen in den germanischen Provinzen des Imperium Romanum. Bericht der Rö- misch-Germanischen Kommission 87, 2006, S. 273– 386 bes. 348. Renate Ludwig, Heidelberg, in: Dieter Planck (Hrsg.), Die Römer in Baden-Württemberg, Stuttgart 2005, S. 109–116.

Praktischer Hinweis Die Heidelberger Jupitergigantensäule ist heute in Hei - delberg im Kurpfälzischen Museum zu besichtigen.

Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg Hauptstraße 97 69117 Heidelberg Tel. 06221/5834000 www.museum-heidelberg.de

Öffnungszeiten: Di–So 10–18 Uhr Führungen zu buchen unter 06221/5834000

Einhard Kemmet Dr. Renate Ludwig Kurpfälzisches Museum Schiffgasse 10 69117 Heidelberg

Dr. Petra Mayer-Reppert M.A. Welfenstr. 35 76137 Karlsruhe Denkmalpflege und Flurneuordnung Partnerschaftliches Engagement für die Kulturlandschaft

Viele Elemente und Strukturen in unseren Landschaften sind als Zeugnisse des Wirtschaftens und Gestaltens früherer Generationen wichtige Teile des kul - turellen Erbes. Historische Kulturlandschaften als schützenswerte Kulturgüter gewinnen bei Planungen immer mehr an Bedeutung. Doch wer ist für den Erhalt zuständig? Naturschutz, Landschaftspflege, Denkmalpflege, Heimat - vereine? Während vielerorts noch darüber diskutiert wird, haben sich mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden Württemberg zwei Partner gefunden, die sich seit einigen Jahren auf pragmatische Art und Weise gemeinsam um den Erhalt historischer Kulturlandschaftselemente bemühen. Martin Hahn/Thomas Meyer

Einzelne Elemente der historischen Kulturlandschaft zu pflegen (§1 Denkmalschutz gesetz) sowie die oder ganze Kulturlandschaften sind als schützens - Förderung der allgemeinen Landeskultur (§1 Flur- werte Kulturgüter längst erkannt. Sie werden als bereinigungsgesetz) stehen als wichtige Zielset- Hin terlassenschaften des Menschen in der Land- zungen gleich zu Beginn der beiden Gesetze. schaft seit Langem erforscht und dokumentiert. Der beschleunigte Verlauf des industriell geprägten Flurneuordnung – Kulturlandschaft Landschaftswandels gefährdet jedoch in immer entwickeln größerem Maße diese noch vorhandenen Zeugen der historischen Kulturlandschaft. Deshalb stellt Die Flurneuordnung ist ein vielseitiges Instrument sich zunehmend die Frage, wie der Schutz und die zur Förderung und Entwicklung der ländlichen Pflege der historischen Kulturlandschaft in der all - Räume. Sie ist eingebunden in die integrierte länd- täglichen Planungspraxis gehandhabt werden – jen- liche Entwicklung nach den Vorgaben des Rahmen - seits der zahlreichen Forschungs- und Pilot pro jek te. plans des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe In Baden-Württembergs Denkmallisten findet sich „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten - eine große Vielfalt und Zahl an historischen Kultur - schutzes“. In ihr werden alle relevanten Planungen landschaftselementen, die Kulturdenkmale im Sin - und Vorhaben der Kommunen und der verschie- ne des Denkmalschutzgesetzes sind. Historische de nen Fachverwaltungen wie Straßenbau, Wasser - Terrassenweinberge, Altstraßen, ehemalige Vertei- wirtschaft, Naturschutz und Denkmalpflege sowie di gungslinien, historische Produktionsstätten, Zeug - Förderprogramme anderer Fachbereiche integriert. nisse der Volksfrömmigkeit – Elemente aus allen Durch abgestimmte Planungen mit allen Akteuren, Lebens- und Funktionsbereichen sind zahlreich eine optimierte Bodenordnung und die Umsetzung vorhanden. Eine systematische und flächen de cken - nachhaltiger Maßnahmen kann sie eine markt- de Inventarisation historischer Kulturlandschaften und umweltgerechte Land- und Forstwirtschaft beziehungsweise Kulturlandschafts elemente hat fördern, aber auch die vielfältige Kulturlandschaft indes noch nicht stattgefunden. Die finanziellen bewahren und behutsam weiterentwickeln. Die und personellen Ressourcen der Landesdenk - regional sehr unterschiedlichen Umwelt- und malpflege lassen ein solch umfangreiches Unter- Landschaftspotenziale stellen gerade für struktur- fangen auch nicht zu. Deshalb ist im planerischen schwache ländliche Räume besondere Vorteile im Alltag ein pragmatisches Vorgehen mit Partnern interregionalen Wettbewerb dar. Diese so ge- geboten, das seit einigen Jahren zwischen der nannten „weichen“ Standortfaktoren sind für die Denk malpflege und der Flurneuordnung in Baden- Ansiedlung von Betrieben, für den Tourismus, für Württemberg praktiziert wird. Die Erhaltung der die Naherholung und für die Wohnortsuche von historischen Kulturlandschaft mit ihren prägenden zunehmender Bedeutung. Die Flurneuordnung ist Elementen ist im Sinne des gesetzlichen Auftrags mit ihren Möglichkeiten besonders geeignet, zu beider Partner: Kulturdenkmale zu schützen und Erhalt und Entwicklung der Kulturland schaft bei-

94 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 zutragen. Hierzu zählen die Herstellung und nach- Feld, Wald und Wiese – 1 Ausschnitt aus der haltige Pflege der von der Teilnehmer gemeinschaft die Arbeit in der Praxis Kartierung der histori- zu erbringenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnah- schen Kulturlandschafts- men, der Grund erwerb, die Her stellung und Pflege Bei der Anordnung, also am Beginn eines Flurneu- elemente im Verfahren landeskultureller Anlagen über den gesetzlichen ordnungsverfahrens, wird vermehrt ohne förmli- Michelfeld-Gnadental, Kreis Schwäbisch Hall. Auftrag hinaus als auch das Flächen- und Pflege- ches Verfahren geprüft, ob für das entsprechende management öffentlicher und gemeinschaftlicher Gebiet eine vertiefte Untersuchung der historischen Anlagen, die dem Erhalt und der Entwicklung der Kulturlandschaft notwendig ist. Während in einer Kulturlandschaft dienen. bereits ausgeräumten Landschaft eine Kultur land - Dabei setzt die Flurneuordnung verstärkt auf die schaftsinventarisation nur wenig Sinn macht, ist aktive Mitarbeit der örtlichen Akteure und Bürger. sie bei kleinstrukturierten Landschaften insbeson- Die Verbundenheit mit dem ländlichen Raum, dem dere im peripheren ländlichen Raum eine wichtige eigenen Lebensumfeld und das Bewusstsein, selbst Planungsgrundlage. Diese Grobprüfung – ver- zur nachhaltigen Entwicklung der eigenen Kultur- gleichbar einem Scoping bei Umweltverträglich- landschaft beizutragen, sind wichtige Voraus set - keitsprüfungen – übernimmt die Denkmalpfle ge; zungen für eine nachhaltige Entwicklung. Deshalb die Flurneuordnung kümmert sich um Vergabe haben in den letzten Jahren insbesondere die Erhe - und Finanzierung der Kartierung historischer Kul- bung und Berücksichtigung der kulturhistorischen tur landschaftselemente. Als Fachgutachter für Landschaftselemente in Flurneuordnungen an Ge- derartige Untersuchungen kommen (derzeit noch wicht gewonnen. So werden nicht nur historische recht wenige) Büros für Landschaftsplanung be- Weinbaulagen wie aktuell zum Beispiel in der Flur- ziehungsweise Landschaftsarchitekten oder histo- neuordnung Asperger Berg (Kreis Ludwigsburg) rische Geografen infrage, die fundierte Kenntnisse erhalten, sondern auch in geeigneten Flurneuord - in diesem Bereich vorweisen können. Das Anfor- nungen kulturhistorische Lehrpfade angelegt, derungsprofil für die Vergabe wurde im Jahr 2004 historische Wegtrassen reaktiviert, Kleindenkmale von einem Landschaftsplanungsbüro aus Bayern instand gesetzt und durch Überführung in öffent- in Abstimmung mit dem Landesamt für Geoinfor- liches Eigentum langfristig gesichert. mation und Landentwicklung und der Landes-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 95 2 Hohlwegebündel, denk malpflege an einem beispielhaften Verfahren Die mit dem Leistungsbild vorgeschlagene Vorge- Haller Landhege und erarbeitet. Die Methodik beinhaltet zunächst Ge- hensweise erlaubt keine erschöpfende kulturhis- Sühnekreuz am Steig- ländebegehungen zur Erfassung der historischen torische Analyse der Elemente und daher auch wäldle bei Gnadental, Kulturlandschaftselemente. In einer beispielhaften kein abschließendes Werturteil zur kulturhistori- Kreis Schwäbisch Hall. Auflistung, einer Art Checkliste, sind mögliche Kul- schen Bedeutung. Unter anderem muss aus Kos- turlandschaftselemente aufgeführt. Die Objekte tengründen auf eine tief greifende Auswertung ar- 3 Damm eines ehema - und Strukturen werden in einer Karte lagegerecht chivarischer Quellen verzichtet werden. Es bleiben ligen Teiches im Böllbach- tal bei Gnadental, Kreis mit fortlaufender Nummerierung eingetragen. bei einem solchen Überblicksverfahren Unsicher- Schwäbisch Hall. Gleichzeitig erfolgt eine kurze Beschreibung der heiten hinsichtlich der historischen Zeugniskraft Elemente hinsichtlich formaler Ausprägung, even- einzelner Landschaftselemente sowie Kenntnis - tueller Besonderheiten und Auffälligkeiten. Diese lücken in Bezug auf die Geschichte der Kultur- Geländeaufzeichnungen bilden die Basis für die landschaft offen. Dennoch zeigen die bisherigen spätere Kurzbeschreibung der Elemente im Erläu- Erfahrungen bei den Fachgutachten, dass die Er- terungstext und werden anhand der weiteren Ar- gebnisse der Kulturlandschaftsuntersuchungen für beitsschritte (Literaturauswertung, Kartenauswer- die Wege- und Gewässerplanung innerhalb der tung, Befragung) sukzessive ergänzt. Neben der Flurbereinigungsverfahren sehr gut zu verwenden Geländebegehung werden Literaturquellen (Orts- sind. Sie stellen einen wichtigen Baustein des vor- und regionalkundliche Literatur, Oberamts be - beugenden Kulturlandschaftschutzes dar. Deshalb schrei bungen etc.) und die Unterlagen einzelner sind auch Planungshinweise innerhalb der Fach- Fachbehörden (z.B. Naturraumbeschreibungen, gutachten gewünscht und gefordert. Es sollen ins- Biotopkartierung, Denkmallisten etc.) herangezo- besondere die aktuellen Gefährdungsrisiken sowie gen. Die Auswertung und Interpretation verschie- Vorschläge für die Art und Weise der Erhaltung dener Kartenwerke (historische Flurkarten, topo- und Pflege der historischen Kulturlandschaft be- gra fische Karten, Luftbilder, sonstige thematische zie hungsweise einzelner historischer Kulturland- Karten) sowie die Befragung von Gebietskennern, schaftselemente angesprochen werden. Beson - Experten und interessierten Bürgern komplettieren ders wichtig ist die abschließende Präsentation der die Arbeitsschritte. Ergebnisse in einer Bürgerversammlung. Denn nur Die durch Erfassung im Gelände, Literaturauswer - durch ausreichende Information können die wert- tung und Befragung gewonnenen Informationen vollen Kulturlandschaftselemente nachhaltig ge- zu historischen Kulturlandschaftselementen wer- schützt werden. den zusammenfassend in Text, Bild und Karte dar- gestellt. In einer Bestandskarte werden alle erfass - Landwirtschaft contra Kulturlandschaft? ten Objekte – nach Funktionsbereichen gegliedert – mit Symbolen und Objektnummern eingetragen. Im weiteren Ablauf eines Flurneuordnungsverfah- Im Katalogteil des Gutachtens werden sie genauer rens erfolgt eine intensive Abstimmung geplanter beschrieben sowie hinsichtlich ihrer kulturhistori- Maßnahmen zwischen den leitenden Ingenieu ren schen Wertigkeit eingestuft. Der Textteil umfasst der Flurbereinigungsbehörden und den Referen - die Kapitel Naturraum und Kulturlandschafts - ten für Planungsberatung der regionalen Denk- geschichte, historische Dorf- und Siedlungsstruk- malpflege. Hier zeigt sich auch die Stärke der Kul- tur, historisches Wegenetz, Flurstruktur, Flurgene - turlandschaftsuntersuchung, die als „historische se und Flurnamen, historische Flächennutzungen Schicht“ unter die aktuelle Planungsebene des sowie eine Gesamtschau der historischen Kultur- Wege- und Gewässerplans gelegt werden kann. landschaft. Konfliktpunkte zwischen dem Interesse des Be-

96 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 wahrens und der Notwendigkeit, nach betriebs- 4 Kulturlandschaftspfad wirtschaftlichen Vorgaben zu planen, können die - Gnadental, Kreis Schwä- se Überlagerungen sehr schnell aufzeigen. bisch Hall. Die Terrassenäcker im Flurbereinigungsgebiet Kirch - heim am Ries (Ostalbkreis) zum Beispiel scheinen auf den ersten Blick nicht besonders spektakulär zu sein: Als Relikte der historischen ackerbau lichen Nutzung, die in seltener Art und Weise bis heute anhält, wurden sie vom Gutachter aber als landes - weit bedeutsam eingestuft und sollen im Verfah- ren erhalten bleiben. Zum Schutz des Weltkultur - erbes Obergermanisch-Raetischer Limes konnte die Flurneuordnung in bereits abgeschlossenen Flurneuordnungen und aktuell in den Flurneuord- nungen Böbingen und Iggingen (Ostalbkreis) aus- reichend Flächen erwerben, um den Limes aus der Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald und en- intensiven landwirtschaftlichen Nutzung nehmen ga gierten Bürgern vor Ort, die Ergebnisse auch der und ins öffentliche Eigentum überführen zu kön- Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als Form nen. Darüber hinaus wird das landwirtschaftliche dieser Öffentlichkeitsarbeit wurde ein Kulturland- Wegenetz an den Verlauf des Limes angepasst und schaftspfad entwickelt, der in 17 Stationen durch zum Teil durch Bepflanzungen kenntlich gemacht. die Landschaft rund um das ehemalige Zisterzien- Im Flurbereinigungsgebiet Michelfeld-Gnadental serinnenkloster Gnadental führt und dem Laien In- (Kreis Schwäbisch Hall) wurde auf den modernen formationen zu einzelnen Kulturlandschaftsele- Ausbau eines weit verzweigten Hohlwegebündels menten bietet. Ziel ist dabei, dem Wanderer klar- verzichtet und eine Alternativtrasse für eine neue zumachen, wie er Spuren der Vergangenheit lesen Wegeverbindung entwickelt. So konnte nicht nur und dabei erfahren kann, wie der Mensch im Laufe ein wichtiges eindrucksvolles Dokument der regio- vieler Jahrhunderte seine Landschaft geformt und nalen Verkehrsgeschichte erhalten, sondern auch verändert hat. Der große Erfolg dieses bisher ein- die Eingriffe in die so genannte Haller Landhege, zigartigen kulturhistorischen Wanderweges recht- eine der bedeutendsten Landbefestigungen aus fertigt den großen zeitlichen Aufwand bei der Sen- dem späten Mittelalter in Südwestdeutschland, sibilisierung der Öffentlichkeit. minimiert werden. Der Bau eines Regenrückhalte - Nicht immer gelingt bei Abwägung der verschie- beckens im Bereich der historischen Klosterteiche denen Interessen der Erhalt aller historischer wurde verworfen, um die typischen, für die Was- Kulturlandschaftslemente: Eine wichtige Altstra- serbaukunst des Zisterzienserordens sprechenden ßenverbindung im Flurbereinigungsverfahren Relikte im Bestand zu schonen. Das Flurbereini- Schöntal-Aschhausen (Hohenlohekreis) konnte zu- gungsverfahren Gnadental und die dazugehörige gunsten verbesserter Grundstückszuschnitte nicht Kulturlandschaftsuntersuchung zeigt auch ein an- auf seiner ganzen Länge erhalten werden. Immer- deres Erfolgskapitel der Zusammenarbeit zwischen hin war es möglich, den Anfangs- und Endpunkt Flurneuordnung und Denkmalpflege. Das Fach- des Weges mit Bäumen zu markieren und in einem 5a+b Historische Kultur- gutachten stellte sich als überaus informativer und Fachgutachten den historischen Verkehrsweg wis- landschaft mit Terrassen- für den Planungsprozess wichtiger Beitrag für alle senschaftlich zu dokumentieren. Hier zeigten sich äckern und Wacholder- Fachverwaltungen heraus. Zusätzlich entschloss die Grenzen und die Kompromissbildungen in Flur- heiden bei Kirchheim am man sich hier gemeinsam mit der Gemeinde, dem neuordnungsverfahren auf. Ries, Ostalbkreis. 6 Historische Terrassen- Kulturlandschaft erhalten Literatur weinberge am Hohenas- perg, Kreis Ludwigsburg. Der pragmatische Ansatz der Denkmalpflege und Landschaftsbüro Pirkl-Riedel-Theurer: Kartierung his- der Flurneuordnung in Baden-Württemberg be- torischer Kulturlandschaftselemente im Rahmen der legt, dass partnerschaftliches Engagement und Flurneuordnung und Landentwicklung Baden-Würt- Einbeziehung der örtlichen Akteure wirkungsvoll temberg, Methodikvorschlag, unveröffentl. Gutach- zum Erhalt kulturhistorischer Landschaftselemente ten im Auftrag des Landesamtes für Flurneuordnung trotz beschleunigtem Verlauf des industriell ge- und Landentwicklung Baden-Württemberg, Korn- prägten Landschaftswandels beitragen kann. Die westheim 2004. Herausforderung der Zukunft besteht darin, dass Arbeitskreis „Kulturlandschaft entwickeln“ (Hrsg.): sich dieser Wandel geleitet und möglichst unter Kulturlandschaft entwickeln. Leitlinien zur Flurneu- Wahrung der landschaftlichen Eigenart vollzieht. ordnung. Kornwestheim 2003, S. 155–174. Dabei soll bei allen konzeptionellen und planeri- Tilmann Breuer: Landschaft, Kulturlandschaft, Denk- schen Überlegungen bedacht werden, dass histo- mallandschaft als Gegenstände der Denkmalkunde, rische Kulturlandschaftselemente grundsätzlich in: Die Denkmalpflege 55 (1997), S. 5–23. nicht ersetzbar sind. Michael Goer und Volkmar Eidloth: Historische Kultur - Abschließend kann festgestellt werden, dass durch landschaftselemente als Schutzgut, in: Denkmalpfle - die enge Zusammenarbeit und gegenseitige Un - ge in Baden-Württemberg 2 (1996), S. 148–157. ter stützung von Denkmalpflege und Flurneuord- Thomas Gunzelmann: Die Erhaltung der historischen nung in Baden-Württemberg die Geschichte der Kulturlandschaft. Bamberg 1987. Kulturlandschaft gebührend berücksichtigt wer- den kann. Diese wirkungsvolle Zusammenarbeit Praktischer Hinweis sollte zukünftig von beiden Akteuren fortgesetzt Startpunkt des Kulturlandschaftspfades Gnadental und intensiviert werden. (Gemeinde Michelfeld, Kreis Schwäbisch Hall) ist am Baierbacher Hof, südlich von Gnadental, wo man auch gut parken kann. www.kulturlandschaftspfad.de

Dr.-Ing. Martin Hahn Regierungspräsidium Stuttgart Referat 86 – Denkmalpflege 7 Weltkulturerbe Limes: Im Zuge der Flurneuord- nung Böbingen an der Thomas Meyer Rems (Ostalbkreis) soll die Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung gelb markierte Fläche ins und Verbraucherschutz öffentliche Eigentum Kernerplatz 10 kommen. 70182 Stuttgart

98 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Die Martinskirche in Neckartailfingen – ein Gotteshaus in Bewegung Messtechnische Dokumentation und Verformungsanalyse

Die Martinskirche in Neckartailfingen steht weithin sichtbar am Westhang des Neckartals. Ins Auge fällt sofort der massive, 33 m hohe und deutlich geneigte Westturm. Das gen Osten anschließende filigrane basilikale Langhaus ist wesentlich niedriger und tritt in der umgebenden Bebauung zurück. Auch dieser Bauteil hat starke Verformungen verkraften müssen. Davon zeugen mehrfache Umbauten und Sicherungsmaßnahmen im Laufe der Jahrhunderte, zuletzt die Fassadenrestaurierung im Jahre 2009. Um eine verlässliche Vorher- sage über weitere Baubewegungen machen zu können, wurden vom Landes- amt für Denkmalpflege auf der Grundlage von messtechnischen Untersuchun- gen und Recherchen zur Bau- und Restaurierungsgeschichte die bisherigen Verformungen analysiert und ein Bauüberwachungssystem entwickelt. Günter Eckstein/Andreas Stiene

Zum Bau Um 1484 wurde am südlichen Seitenschiff das heutige Brautportal mit gewölbter, außen liegen- Die Martinskirche in Neckartailfingen gehört zu der Vorhalle anstelle eines romanischen Portals er- 1 Ansicht der Martins- den bedeutendsten mittelalterlichen Sakralbauten richtet (Abb. 4). Weiterhin wurden am südlichen kirche von Nordost, 2010. in Baden-Württemberg. Sie wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts im Stil der Hirsauer Klosterkirchen errichtet. Die Grafen von Achalm hatten zuvor, laut einer Urkunde des Codex Hirsaugiensis um 1090, ihren Anteil an der Vorgängerkirche dem Kloster Hirsau geschenkt. Dendrochronologische Untersu - chungen belegen, dass das eichene Dachwerk über Langhaus und Chor aus dem Jahr 1111 stammt. Das südliche Hauptdach ist noch mit großforma- tigen spitzen Flachziegeln aus dieser Zeit einge- deckt. Die 27 m lange und 14 m hohe romanische Basi- lika schließt an der Ostfassade mit dem Chor und den Seitenschiffen rechteckig ab (Abb. 1, 2). Im Inneren sind sie mit halbrunden Apsiden und vor- ge lagerten Tonnengewölben versehen. Die Ar ka - den des Schiffs ruhen auf je drei romanischen Säu- len mit Würfelkapitellen. Das Langhaus besitzt eine flache Decke. Die Seitenschiffe, heute eben- falls mit einer Flachdecke versehen, waren ur- sprüng lich eingewölbt oder zur Einwölbung vor- gesehen (Abb. 3). Den westlichen Abschluss der Kirche bildete ur- sprünglich eine Doppelturmfassade, deren Türme die heute noch vorhandene tonnengewölbte Vor- halle mit darüber liegender Empore umschlossen. Der Hauptzugang zur Kirche war die im Westen vermutlich offene Vorhalle.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 99 2 Grundriss der Martins- kirche von Joseph Cades, 1890.

Seitenschiff große spitzbogige Fenster, ursprüng- des schwierigen Schadensbilds die Fassaden pho - lich wohl mit Maßwerk, eingebaut. Um 1501 er- togrammetrisch auf. Die daraus erstellten Pläne folgte laut einer Inschrift der Bau des westlich vor- und Bildpläne waren Grundlage für die Befund- gelagerten Glockenturms. Zuvor wurden die beiden kartierungen der Restauratoren. romanischen Türme bis auf Höhe der Seitenschiffe Die Fassaden der Kirche wurden im Februar 2008 abgetragen und mit Pultdächern überdeckt. mit 30 großformatigen Stereoaufnahmen erfasst 3 Querschnitt durch die Die äußere Form der Kirche wurde nach 1501 bis (Abb. 4). Sie bilden eine wichtige Dokumentation Martinskirche mit Bau- heute, mit Ausnahme von jüngeren Anbauten auf des Ist-Zustands und können zu jedem späteren phasen von Hans-Jürgen der Nordseite, nicht mehr verändert. Notwendige Zeitpunkt erneut dreidimensional interpretiert und Bleyer und Tilmann Mar- Reparatur- und Umbaumaßnahmen hingen viel- ausgemessen werden. Für die jüngeren Anbauten staller, M. 1:150, 1999. fach mit statischen Problemen zusammen, auf die an den Fassaden und für den kaum geschädigten in der nachfolgenden Verformungsanalyse einge- Westturm genügten 23 Einzelaufnahmen. 4 Seitenschiff Süd, roma- gangen wird. Um die Pläne und Bildpläne auf ein einheitliches nisches Mauerwerk mit Koordinatensystem beziehen zu können, wurde spätgotischen Verände- Photogrammetrische Dokumentation zunächst ein lokales Messnetz in Form eines Ring- rungen: Brautportal mit gewölbter Vorhalle, ver- im Vorfeld der Fassadenrestaurierung polygonzugs um die Kirche gelegt und danach größerte spitzbogige circa 250 Fassadenpunkte eingemessen und in den Fenster. Photogrammetri- Im Vorfeld der geplanten Fassadenrestaurierung Bildern gekennzeichnet. sche Stereoaufnahme, nahm das Landesamt für Denkmalpflege aufgrund Bei der nachfolgenden Stereoauswertung zeich- 2008. des differenzierten bauhistorischen Befunds und neten Photogrammetrie-Operateure sämtliche er-

100 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 5 Ansicht Süd, Obergaden und Chor sowie Stumpf des Südturms und Seitenschiff. Photogrammetrische Auswertung mit Verfor- mungswerten (in cm), M. 1:150 (Grundrissabweichung gegenüber der Längsachse 10-fach überhöht), 2008/09 (photogrammetrische Planzeichnung Inphoris GmbH, Oberhaching, Verformungsmessun- gen Landesamt für Denkmalpflege).

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 101 6 Ansicht Nord, Ober- kenn baren Baubefunde einschließlich der Schäden Die Neigungswerte von 1957 betrugen zwischen gaden und Chor sowie wie Risse oder Steinausbrüche (Abb. 5, 6). Die Ein- Sockel und Traufe an der Südseite der Westfassade Stumpf des Nordturms zelaufnahmen für die Bildpläne wurden digital ent- 82 cm nach Süd und an der Westseite der Nordfas - und Seitenschiff. Photo- zerrt und bei den Turmfassaden zu Gesamtplänen sade 99 cm nach West. Die Differenzwerte zwischen grammetrische Auswer- montiert (Abb. 7). 1957 und 1958 zeigten Neigungszunahmen von tung mit Verformungs- 1,5 cm nach Süd und 3,3 cm nach West. 1956/57 werten (in cm), M. 1:150 Verformungsmessungen waren die Säulen im Schiff, die 8 bis 12 cm aus dem (Grundrissabweichung gegenüber der Längs- Lot waren, neu ausgerichtet worden. Offensichtlich achse 10-fach überhöht), 2007 bat der Architekt Lothar Graner das Landes- hatte sich der Turm unmittelbar danach weiter ge- 2008/09 (photogramme- amt für Denkmalpflege, frühere Neigungsmessun - neigt. Die Messwerte nach 1958 zeigten nur gerin - trische Planzeichnung gen am Westturm auszuwerten. Die Schrägstel- ge Veränderungen, das heißt der Turm hatte sich Inphoris GmbH, Ober- lung des Turms war in den Jahren 1957, 1958, anschließend wieder stabilisiert. Vergleicht man haching, Verformungs- 1959 und 1964 durch Winkelmessungen in zwei die Messwerte mit den Ergebnissen der Passpunkt- messungen Landesamt Achsrichtungen, jeweils in vier Höhenlagen, ein- bestimmung für die photogrammetri schen Aufnah - für Denkmalpflege). gemessen worden. Eine weitere Messung war men von 2008, sind die Neigungswerte mit denen 2002 in Sockel- und Traufhöhe erfolgt. von 1957 beziehungs weise 1958 nahezu gleich.

102 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Da die Messmethoden in den 1950er Jahren nicht mit der Lage der Kirche an einem Hang. Es ist da- die Präzision von heute hatten und nur Turmkan- von auszugehen, dass es insgesamt zu Verschie- ten und keine festen Messpunkte anvisiert wur- bungen Richtung Tal kam. Nachweislich hat sich den, müssen Ungenauigkeiten mit berücksichtigt der südwestliche Bereich der Kirche im Verhältnis werden. Zeitversetzte Neigungsdifferenzen kön- zur Gesamtkirche bis zu 30 cm nach Süden ver- nen bestenfalls ab der Größe von 2 cm beurteilt schoben. Die Grundrisslinie über dem Sockel des werden. Um in Zukunft genauere Ergebnisse zu er- südlichen Seitenschiffs und des ehemaligen Süd- hal ten, wurden am Turm feste Beobachtungs- turms zeigt von der Ostseite bis zum Südportal ei- punk te in drei Höhenlagen installiert und eine neue nen geraden Verlauf und knickt danach deutlich Basismessung in Form von Winkelmessungen vor- erkennbar nach Süden ab (Abb. 5). Weiterhin ist ge nommen. Dadurch können Neigungsänderun- davon auszugehen, dass die Verschiebungen un - gen ab 2 mm beobachtet werden. ter schiedliche Wandneigungen verursacht haben. Da die Turmneigungen sowie die Risse in den obe- Eine weitere Deformationsursache sind unter- ren Bereichen des Schiffs und der Seitenschiffe in schied liche Setzungen. Die Bereiche des Chors ein- erster Linie durch einseitige Setzungen verursacht worden waren, beschloss man, weiterhin die Hö- hen sowohl des Turms als auch der Kirche zu be- obachten. Die Arbeiten wie das Setzen von 19 Hö- henpunkten und die Basismessung der Höhen- bolzen durch Feinnivellement erfolgten noch im August 2007 (Vermessungsbüro Streicher, Nürtin- gen). Die Differenzmessgenauigkeit nach zeitver- setzten Beobachtungen liegt hier bei 0,5 mm. Im Frühjahr 2009, als die Kirche für die restaurato- rischen Arbeiten eingerüstet war, wurde in den Be- reichen der Obergaden das volle Ausmaß der Ver- formungen in Form von Wandverwindungen, offenen Fugen und Rissen erkennbar. Die am Bau- vorhaben Beteiligten stellten daraufhin die Frage, ob die bisher vorgesehenen messtechnischen Be- obachtungen ausreichen. Vom Landesamt für Denkmalpflege wurde vorgeschlagen, zunächst eine Verformungsanalyse durchzuführen, das heißt die Verformungen detailliert messtechnisch zu er- fassen und in Verbindung mit der Bau- und Res- taurierungsgeschichte die Ursachen und die zeit- lichen Abfolgen zu ermitteln. Danach sollte ein weiterführendes Konzept erstellt werden.

Verformungsanalyse

Im Zuge der Verformungsanalyse konnten die Ver- for mungswerte wie Wandneigungen und einsei- tige Setzungen direkt aus den fototogrammetri- schen Daten ermittelt werden. Zusätzlich wurden an den Nord- und Südfassaden der Kirche über den Sockeln der Seitenschiffe sowie unter den Traufen der Seitenschiffe und der Obergaden die Grundrissverläufe photogrammetrisch nachge- messen. Zur Verdeutlichung der Verformungen er- folgte das Auftragen der Messwerte gegenüber den Längsseiten überhöht im Verhältnis 1:10. Zur Vervollständigung der Verformungsangaben mussten im Innenraum des Schiffs weitere Mes- sungen, nun herkömmlich durch tachymetrische 7 Westansicht des Verfahren, durchgeführt werden (Abb. 5, 6). Westturms. Bildplan mit Hauptursache für die Verformungen ist der schlech - Verformungswerten (in te Untergrund aus Knollenmergel in Verbindung cm), M.1:150, 2008/09.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 103 8 Ecke Südturmstumpf schließlich der Seitenschiffapsiden sowie die ehe- zum Seitenschiff Süd, maligen Türme und der später errichtete Westturm 2009. Spalt durch unter- haben sich aufgrund der größeren Masse stärker schiedliche Neigungs- gesetzt als die Mitte der Kirche. Hinzu kommt, dass und Verschiebungswerte die der Witterung ausgesetzten Außenseiten von trotz der Vermauerung Chor und Türmen sich durch die wechselnde im Verbund. Durchfeuchtung mit Quellen und Schrumpfen im Untergrund stärker setzten als die ständig trocke- nen Innenseiten. Diese Setzungen haben Wand- neigungen, in erster Linie nach Westen und im ge- ringeren Umfang nach Osten, verursacht und in den oberen Zonen der Seiten- und Mittelschiffs- wände zu Rissen geführt. Bei den hohen und langgezogenen Mittelschiffs- wänden, aber auch bei den Seitenschiffswänden, sind unterschiedliche Wandausbauchungen ent- standen. Intakte Dachwerke leiten ihre Lasten auf die Mauerkrone ab und haben eine stabilisierende Auswirkung auf das Mauerwerk. Offensichtlich wurden durch die unterschiedlichen Turm- und Wandneigungen, vermutlich verstärkt durch ein- ge drungenes Wasser, die Dachkonstruktionen be- schädigt, was weitere Mauerwerksverformungen verursacht haben könnte. Insgesamt haben sich die genannten Deforma- tionsursachen im Laufe der Jahrhunderte überla- ten die Türme eine Höhe um 20 m gehabt haben. gert. Zeitliche Zuordnungen können an den aus Der heutige Rest des Südturms neigt sich mit statischen Gründen notwendigen Umbauten fest- 26 cm extrem nach West. Umgerechnet auf die ur- gemacht werden. sprünglich angenommene Höhe des Turms würde dies einer Neigung von ca. 80 cm entsprechen. Da- Neubau des Westturms 1501 gegen beträgt die heutige Neigung des Seiten- schiffs nur 13 cm nach West. Dadurch ist, obwohl 9 Obergaden Südseite, Beurteilt man die Umbauten in chronologischer die Mauern im Verbund hergestellt wurden, zwi- 2009. Ab 1870 wurden Abfolge, muss zuerst die Frage gestellt werden, schen Seitenschiff und Turm ein großer Spalt ent- die Risse im Mauerwerk weshalb die imposanten Doppeltürme bis auf standen (Abb. 8). Die Verformungswerte zeigen mit Eisenklammern gesi- Höhe der Seitenschiffdächer abgetragen wurden. somit, dass es schon vor dem Neubau des West- chert. Bei einer Firsthöhe von 14 m des Hauptdachs dürf- turms statische Probleme gab und deshalb die ro- manischen Türme abgebrochen werden mussten. Die unterschiedlichen Verformungen belegen zu- gleich, dass die Türme tatsächlich in voller Höhe errichtet worden waren. Bei den Abmessungen des Westturms fällt auf, dass er oben breiter ist als unten. An der Westseite ist der Turm auf halber Höhe beziehungsweise unterhalb der Uhr um 20 cm und in Traufhöhe um 9 cm breiter als auf Bodenhöhe. An der Südseite ist er in Traufhöhe um 16 cm breiter als in Höhe des Seitenschiffdachs. Ähnliche Tendenzen, jedoch in geringerem Ausmaß, zeigen die beiden anderen Seiten. Für diese ungewöhnliche Bauausführung gibt es nur eine Erklärung: Der Turm hatte sich schon während der Bauzeit geneigt und, um dies auszugleichen, wurde er entgegengesetzt der Nei- gungsrichtung nach oben verbreitert. Im Mittel aller Turmseiten beträgt die Gesamtneigung des Turms heute 122 cm nach Südwest; betrachtet man nur die Südwestecke beträgt die Neigung 130,5 cm.

104 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Umbaumaßnahmen am Schiff

Die westlichen Obergadenbereiche des Langhau- ses wurden, wohl bedingt durch die Neigung des Westturms, auf einer Länge von ca. 8 m neu auf- gemauert. Teile des Hauptdachs mussten wohl auch deshalb 1702 (dendrochronologische Datie- rung) erneuert werden (Abb. 3). Durch die weitere Neigung des Turms waren auch danach Lücken zum Turm und Risse in den Obergadenwänden entstanden, die immer wieder zugesetzt wurden. Die heutigen Verformungen sind in den photo- grammetrisch gezeichneten Plänen dargestellt (Abb. 5, 6). Die südliche Obergadenwand baucht in der Mitte unterhalb der Traufe bis zu 24 cm nach Süd aus und ist zur Westseite durch die Turmnei- gung nach Süd verschoben. Risse und partielle Wandverschiebungen wurden ab 1870 mit Eisen- klammern gesichert (Abb. 9). Dagegen zeigt die nördliche Obergadenwand einen s-förmigen Wandverlauf, die Ausbauchungen sind mit maxi- sie wohl flach geneigt und hatten ihren Anschlag 10 Obergadenwand mal 15 cm relativ gering. Auffallend sind hier eine unterhalb der romanischen Obergadenfenster. Nord, Blick von Ost, Baunaht unter dem östlichen Fenster und eine an- Putzlinien an der Ostseite des Westturms und an 2009. S-förmiger Wand- dere Mauerwerksstruktur bis zur Ostseite; mögli- den Obergadenseiten unterhalb der Rundbogen- verlauf aufgrund von cherweise liegt auch hier ein statisch bedingter friese zeigen, dass die Seitenschiffdächer zwischen - Verformungen. Putzlinie als Anschlag eines frü - Umbau vor (Abb. 10). zeitlich bis über die Obergadenfenster reichten heren Seitenschiffdaches Während die Verformungswerte der Obergaden- (Abb. 10). Das heutige Dachwerk der Südseite wur- (Pfeil). wände die nachträglichen Umbauten mit enthalten, de im 18. oder 19. Jahrhundert errichtet und muss- zeigen die Werte im Inneren bis zu den Ge sim sen te den Wandneigungen und Fundamentverschie- über den Arkaden ausschließlich die Verformun - bungen von Seitenschiff und Südturm angepasst gen seit der Erbauungszeit auf. Die Mes sungen zei- werden. Das nördliche Seitenschiffdach wurde gen, dass im östlichen Bereich und in der Mitte 1702 aufgeschlagen und reicht bis zur Mitte der die Wände ungefähr senkrecht sind, sie sich aber Obergadenfenster. Die Mauerkrone des Seiten- zur Westseite nach Süden und Westen neigen und schiffes wurde dabei um fast 1 m abgetragen; das in Richtung Süden verschoben sind. Dach ist somit wesentlich steiler als das der Süd- Die Dachkonstruktionen der Seitenschiffdächer seite (Abb. 3). wurden mehrfach verändert. Ursprünglich waren Die letzte statisch bedingte große Umbaumaßnah- me wurde in den Jahren 1956/57 durchgeführt. Die Säulen der Arkadenwände im Kircheninneren waren aufgrund der Verschiebungen und Wand- neigungen 8 bis 12 cm aus der Senkrechten. Im Zuge der Sanierung wurden zuerst die Seiten- schiffemporen ausgebaut, danach die Säulen mit - tels aussteifenden Gerüsten und Flaschen zügen angehoben und auf neuen Fundamenten wieder ausgerichtet (Abb. 11). Im nördlichen Seitenschiff wurde eine Betonplatte als Horizontalscheibe ge- gen einseitige Verschiebungen eingebaut, welche gleichzeitig eine neue Empore trägt.

Bewertung der Stabilität und erweitertes Bauüberwachungskonzept

Auf Grundlage der Verformungsanalyse konnte 11 Kirchenschiff, Unter- die Stabilität der einzelnen Bauteile neu bewertet fangen und Ausrichten werden. Die Bereiche des Chors und der Seiten- der Arkadensäulen, schiffapsiden sind stabil. Das nördliche Seitenschiff Aufnahme von Albert sowie der Nordturm werden aufgrund der gerin- Lauffer, 1956.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 105 12 Grundriss mit dem Konzept zur messtechni- schen Bauüberwachung, 2009. Beobachtet wer- den die Höhen durch Feinnivellements, die Turmneigungen durch Winkelmessungen und die Wandneigungen und -verschiebungen durch tachymetrische Messun- gen.

gen Verformungen und nicht zuletzt wegen der Beginn des Jahres 2010 zusammen mit den Punk- 1956/57 durchgeführten Sicherungsmaßnahmen ten am Turm erstmals eingemessen. Baubewegun - ebenfalls als stabil bezeichnet. Die nördliche Ober- gen lassen sich frühestens nach zwei Folgebeob- gadenwand steht trotz des s-förmigen Verlaufs si- achtungen, entsprechend den vorgesehenen cher, da die Verformungen relativ gering sind. Als Messzyklen nach vier Jahren, nachweisen und be- kritisch wird allerdings der Wandbereich über dem werten. ehemaligen Nordturm mit Anschluss an den West- turm eingestuft. Hier haben sich auch noch in jün- Literatur gerer Zeit Risse gebildet. In der westlichen Zone des südlichen Seitenschiffs und des Südturms be- Die Verformungsanalyse baut bei der Baugeschichte legen die Deformationen, verbunden mit Rissen auf folgenden Publikationen auf: aus jüngerer Zeit, dass dieser Bereich nach wie vor Albert Lauffer: Die Martinskirche und die Gemeinde Glossar nicht zur Ruhe gekommen ist. Dasselbe gilt auch in Neckartailfingen, Neckartailfingen 1975. aufgrund der starken Verformungen für die süd- Hans-Jürgen Bleyer, Ulrich Knapp und Tilmann Mar- Feinnivellement: Hoch - liche Obergadenwand und insbesondere für den staller: Die Martinskirche in Neckartailfingen, in: Süd- genaue Messung von Anschlussbereich zum Westturm. Der Westturm westdeutsche Beiträge zur historischen Bauforschung Höhenunterschieden zwischen Punkten. hat sich zwar nach 1958, entsprechend den bisher 4/1999. Photogrammetrie: Mess- möglichen Messungen, nicht weiter geneigt, muss Wertvolle Hinweise zu weiteren Bau- und Restaurie- und Auswerteverfahren aber wegen seiner Schiefstellung als kritisch ein- rungsbefunden erhielten wir im Zuge der Maßnahme mit fotografischen Bildern. gestuft werden. von 2009 von dem Bauhistoriker Tilmann Marstaller Obergaden: Obere Wand- Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde das bis- und dem Restaurator Karl-Heinz Alber. fläche des Mittelschiffs. herige Bauüberwachungskonzept erweitert. Die Ringpolygonzug: Mess- Übergangsbereiche von der Kirche zum Westturm Praktischer Hinweis technisch in sich geschlos- sowie die Mitte der Südfassade werden nun mit Die Martinskirche in Neckartailfingen ist im Sommer sener Linienzug als Grund- weiteren 19 Beobachtungspunkten durch tachy- täglich von 9–18 Uhr geöffnet, in den Wintermona- lage für nachfolgende metrische Messungen überwacht. Durch zeitver- ten täglich von 9–16 Uhr. Messungen. setzte Beobachtungen können Neigungsände- Tachymetrie: Gleichzeitige rungen und Verschiebungen mit einer Genauig- Messung von Horizontal- keit ab 5 mm und relative Differenzen zwischen Dipl. Ing. (FH) Günter Eckstein und Vertikalwinkeln und der Distanz, i.d.R. mit benachbarten Punkten ab 3 mm ermittelt werden Andreas Stiene Umrechnung in 3-D-Koor- (Abb. 12). Die Messpunkte wurden während der Regierungspräsidium Stuttgart dinaten. Baumaßnahme des Jahres 2009 montiert und zu Landesamt für Denkmalpflege

106 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Reformbau und Refugium Das Wohn- und Atelierhaus Karl Albiker in Ettlingen

Die Familie Albiker trennt sich vom Wohn- und Atelierhaus des 1961 verstor- benen Bildhauers Karl Albiker in Ettlingen, der es 1905 erbauen ließ und in ihm 1905 bis 1920 und 1948 bis 1961 lebte und arbeitete. Als charakteristisches Künstlerhaus und unerhört frühes Dokument der Reformarchitektur des 20. Jahrhunderts steht das Bauwerk seit 2009 aus künstlerischen, wissen- schaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen unter Denkmalschutz. Die nähere Beschäftigung mit dem Haus erbrachte schon allein auf kunsthistori- scher Ebene eine Vielzahl neuer Fakten zur Bauzeit, zu den Entwürfen sowie tatsächlichen und vermuteten Urhebern, die ein neues Licht auf das Bauge- schehen kurz nach 1900 im Raum Karlsruhe werfen. Melanie Mertens

Das Künstlerhaus – ein Typus? Atelierhäuser werden als Sonderfall eines Künstler - hauses gehandelt, dessen Entwicklung erst in der Künstlerhäuser faszinieren uns. Sie wecken in uns zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann und eine vielschichtige Neugierde, die wir bei anderen seine wichtigste Ausprägung um die Jahrhundert - Häusern nicht empfinden. Das liegt zum einen an wende erfuhr. Teile des Raumprogramms – allem vo - der Prominenz des Hausherrn. Wie richtet sich je- ran das möglichst lichte Atelier – werden als feste mand ein, dem wir ein hohes Maß an Kreativität Bestandteile vorausgesetzt, das Atelierhaus da rü - und ästhetischen Intellekt, gar eine extreme Indi- ber als „Bautyp“ definiert. Diese vor allem funktions - vidualität unterstellen? Betreten wir eine stilisierte geschichtlich relevante Typisierung be deu tet kei- Welt, die den Bewohner als Teil eines künstleri- neswegs, dass Atelierhäuser einander besonders 1 Hauptseite zum Garten schen Gesamtkonzeptes versteht und auch den ähneln oder gar nach einem geläu figen Sche ma mit Terrasse, Hauseingang Besucher als solchen vereinnahmt? Oder finden erbaut wurden. Dazu war das Atelier- und Künst- und Loggia, kurz nach wir in Küche und Keller pragmatische Banalitäten, lerhaus immer zu sehr Ausnah me, nie die Regel. Fertigstellung, um 1905. die einen Ansatz von Nähe erzeugen und uns ins- geheim erfreuen? Zum andern wirkt die Aura des Ortes, an dem Kunst entsteht, der Genius Loci des Ateliers. Die Authentizität der Werkstatt verge gen - wärtigt uns den Schaffensprozess, imaginiert die Umsetzung einer Idee in Materie. Künstlerhäuser gibt es, seit der Künstler die Rolle eines frei schaffenden Individuums angenommen hat, also seit der Renaissance. Einen Typus möchte man das Künstlerhaus nicht nennen, da es sich ge- ra de durch seinen hohen Grad an Individualität jeglicher Typisierung zu entziehen scheint. Die klas- sische Architekturgeschichte definiert ein Gebäu - de erst dann als Künstlerhaus, wenn der Künstler das Haus nicht nur bewohnt hat, sondern auch an seiner Gestaltung beteiligt war. Ob im ursäch- lichen Entwurfsprozess oder im Sinne einer nach- träglichen Aneignung spielt dabei grundsätzlich eine untergeordnete Rolle, wenngleich die erstge- nannte Situation in den meisten Fällen ungleich er- gie bigere Rückschlüsse auf Person und Werk des Künstlers zulässt.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 107 Das Haus Albiker die dorische (allerdings glatte) Säule der Loggia und die umlaufende Traufe mit Hängeplat ten. Ein In Ettlingen ist mit dem Wohn- und Atelierhaus des genauerer Blick enthüllt die feine Ausarbeitung der Bildhauers Karl Albiker (1878–1961) ein charakter - Fensterumrahmungen mit dreiseitigem Falz, ge- voller Individualbau von hoher baukünstlerischer ringfügig vorspringender, eckiger Sohlbank und Qualität überliefert. Albiker ließ den Bau 1905 zum wandbündigen Gewände überleitenden nach Entwürfen des Stuttgarter Architekten Oscar schmalen und flachen Profilstreifen. Das liegende Pfennig für sich und seine Frau, die Malerin Helene Oval des Türoberlichts erinnert zwar an barocke Klingenstein, am südlichen Ortsrand als damals letz- Vorbilder, wird aber in eine einfache geometrische tes Haus der Baptist-Göring-Straße in einem gro- Form gezwungen, der auch die Rauten des Tür- ßen Gartengrundstück errichten. Der helle zwei- blattes gehorchen. Erkennbare Stil zitate, die noch geschossige Putzbau unter einem Walmdach mit wenige Jahre zuvor das Gesicht beinahe jedes Bau- breiten Gauben wendet eine bescheiden anmu ten- werks bestimmten, werden ausdrücklich vermie- de, mittels einiger Fenster achsensymmetrisch ge- den. Auch die linear geschwunge ne, teils baro- gliederte Seitenfassade der Straße zu. Die Haupt- ckisierende Ornamentik des zeitgenössischen Ju- fassade ist auf den südwestlich vorgelegten Teil des gendstils findet keinen Gebrauch. Beherrschend Gartens gerichtet, mit dem sie funktional und ge- ist die Vorstellung eines Hauses in der Grundform stalterisch in enger Verbindung steht. Hier befin- und in den Proportionen, wie sie in der Zeit um den sich Gartenterrasse, Hauseingang und eine 1800 üblich waren, bereinigt von appliziertem De- Loggia. Die Atelierbauten sind von der Straße nicht kor, zurückgeführt auf die strenge Ästhetik der zu sehen; sie gliedern sich als eigener Flügel schräg Klassizisten, jedoch ohne Sehnsucht nach der An- angewinkelt in strenger Nordausrichtung an den tike. in südwestlicher Flucht stehenden Baukörper des Der Atelierflügel weicht von der formalen Haltung 2 Hauptfassade zum Wohnhauses an. Teils eingeschossig, teils zweige- des Wohnhauses ab. Der zweigeschossige Teil wird Garten, Oscar Pfennigs schossig bilden sie eine von Höhenversprüngen von zwei großen Fenstergruppen je aus einer Formensprache ist kantig und Einzelformen bestimmte Dachlandschaft aus Dreierreihe kleiner quadratischer Fenster und ei- und streng, mit einem steilem Walmdach und flach geneigtem Mansard- nem darüber angeordneten breiten und hohen Hauch von Klassizismus, dach. Fenster bestimmt. Die im Obergeschoss befindli- rhythmisiert, aber ohne So komplex sich die Kubatur des Gebäudes dar- che Gruppe schiebt sich in den Dachbereich, so- Regelmaß. stellt, so einfach wirkt die Gestaltung der Fassade: dass die Traufe durchbrochen wird und nach oben In eine mit Kammputz strukturierte Fläche sind verspringt. Der eingeschossige Teil zeichnet sich 3 Der Atelierflügel be- herbergt zwei Bildhauer- bündig rechteckige Fenster und Türen mit durch ein gut 3 m breites, oberhalb einer Torein- ateliers im Erdgeschoss glatten Gewänden aus hellem Sandstein einge- fahrt liegendes Atelierfenster aus, das bis zum obe- und ein Maleratelier im lassen, allein ihre Platzierung und Größen rhyth- ren Walm des Mansarddaches reicht. Alle Öffnun - Obergeschoss mit großen misieren die Fassaden. Als stilistische Ausprä gung gen sind ohne Gewände in die Wand geschnitten, Fenstern nach Norden. finden Elemente des Klassizismus Verwendung, so wodurch die Wandflächen und das lineare Muster

108 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 der Fenster betont werden. Die Seitenwand ist risch unauffälligen Zugang von der südwestlichen 4 Grundriss und Schnitt, fens terlos, die geschlossene Fläche wurde ur- Gartenseite, außerdem eine gesonderte Zufahrt 1905. Der Schnitt zeigt sprünglich von Rebenspalieren belebt. Während von der Straße und ein zweiflügeliges Tor, welche das Hebewerk für Stein- für die außerordentlich frühe Reformarchitektur die Anlieferung von Material wie große Stein- blöcke im großen Atelier. des Wohnhauses schwerlich ein konkretes Vorbild blöcke und Ton begünstigten. Der eingeschossige benannt werden kann, zeigt der Atelierflügel Pa- Atelierteil besteht aus einem großen, 5 m hohen ral lelen zu einigen Künstlerhäusern der 1901 er- Raum, an dessen Decke ein Eisenträger mit Lauf- öff neten Kolonie auf der Darmstädter Mathilden- rad, Kette und Haken installiert ist, mit dem die höhe, wo Joseph Maria Olbrich vergleichbare Fens- Steinblöcke bewegt werden konnten. An einer tergruppen realisierte. Seitenwand setzen erst in Kopfhöhe drei Regale- tagen an, da freie Wände notwendige Vorausset- 5 Das Vestibül mit holz- Innenorganisation zung für das Entwerfen neuer Figuren waren. vertäfelter Sitznische, Mangelnder Platz stellte ein Dauerproblem im Kellerabgang und rück- Auch organisatorisch sind Wohnhaus und Ate- Atelier dar. Aus Raumnot war Albiker mehrfach wärtig anschließender lierflügel eigenständig konzipiert. Das Wohnhaus gezwungen, eigene Figuren im Garten zu zerstö- Treppe ins Obergeschoss. wird über einen Gehweg von der Garten front er- schlossen. Einem kleinen Flur mit Garde robe zur Rechten gliedert sich zur Linken ein Vestibül mit rückwärtig liegender Treppe an, die über je einen geschwungenen Lauf Obergeschoss und Dachge- schoss erschließt. Außer dem mit dunklen Holz- kassetten ausgekleideten Vestibültreppenhaus lie- gen im Erdgeschoss eine mit roten Fliesen ausge- legte Küche samt Speisekammer, Toilette und zwei weitere Räume mit Dielenböden, die als Wohn- und Musikzimmer dienten. Das Obergeschoss um- fasst zwei symmetrisch angeord nete Schlafzim- mer, zwischen denen ein beidseitig zugängliches Badezimmer liegt. Der kleine boden geflieste Log- gia-Raum öffnet sich zum Garten; für kühlere Tage wurden Schiebefenster eingesetzt und eine Hei- zung installiert. Das Dachgeschoss enthält weitere Kammern, darunter eine schon im ursprünglichen Grundriss ausdrücklich als Dunkel kammer be- zeichnete Fotowerkstatt, ein Hinweis darauf, dass Albiker seine Plastiken eigens abzulichten pflegte. Der Atelierflügel besitzt einen eigenen, gestalte-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 109 6 Das große Atelier mit ren, um Platz für neue Arbeiten zu schaffen. So zum Wohnhaus sollte ihr wohl die Doppelrolle als dem eisernen Unterzug sind etliche Werke nur durch Fotografien überlie- Künstlerin, Mutter und Hausfrau erleichtern. für das Hebewerk, gro- fert, die anzufertigen im Laufe der Zeit die per- ßem Fenster und hoch sönliche Aufgabe von Sohn Carl wurde. Aus die- Stuttgarter Einflüsse und die verbin- ansetzenden Regalen. sen Bildern entstanden die chronologischen dende Idee von Bildhauer und Architekt „Werkbücher“, mit deren Hilfe sich Albiker frühere 7 In den Rückwänden ein Wasserbecken, die Arbeiten vor Augen führte. Zur alten Werkstatt- Als Albiker 1903 – im Alter von 25 Jahren – den kleine Tür zur Tonkammer einrichtung gehören auch ein Wasseranschluss mit Bau des Ettlinger Hauses beauftragte, hielt er sich im Zwickel und der direkte tiefem Wandbecken und eine Tonkammer im Zwi- studienhalber in Rom auf. Nach einer akademi- Zugang von außen. ckelbereich zwischen Haupthaus und Atelierflügel. schen Ausbildung in Karlsruhe hatte der junge Das benachbarte „kleine Atelier“ war ebenfalls mit Bildhauer 1899/1900 in Paris bei 8 Das Atelier der Malerin einem Wasserbecken ausgestattet, vermut lich gearbeitet. In München gelangen ihm mit seiner Helene Klingenstein, diente es jedoch mehr dem Zeichnen, das den Beteiligung an Kunstausstellungen im Glaspalast das später als Bibliothek Entwurfs- und Werkprozess begleitete. Von hier (1901) und in der Münchner Sezession erste Erfol- diente. An den Wänden erreichte Albiker über eine kurze Treppe die ge. Der zweijährige Rom-Aufenthalt schloss seine Spuren der Bücher- schränke. Wohnräume des Erdgeschosses. Der dritte, über Ausbildung ab. Bei seiner Rückkehr im Herbst dem kleinen Bildhaueratelier im Obergeschoss 1905 sollte das Gebäude bezugsfertig sein, zumal 9 Figuren Albikers im befindliche Atelierraum war der Malerin Helene Sohn Carl am 28. April in Rom zur Welt gekom- großen Atelier, um 1955. Klingenstein zugedacht. Die engere Verbin dung men war. Tochter Giulia folgte 1907. Den Archi-

110 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 tekten Oscar Pfennig (1880–1963) hatte Albiker Wohn- und Atelierhaus von Pfennig in besonde- 10 Die undatierte Zeich- vermutlich 1904 während seiner Tätigkeit an der rem Maße zutreffen. nung gibt die Flächenzu- Ton- und Turnhalle der Pfullinger Vereine kennen- ordnung und das strenge gelernt, für die Pfennig als Bauleiter arbeitete und Ein „architektonischer“ Hausgarten Wegesystem schematisch Albiker Skulpturen fertigte. Pfennig war damals im wieder. Die Hauptfassade und der vorgelegte Gar- Büro des Architekten und bedeutenden Hoch- Der Garten war von Beginn an Teil des architekto - ten sind eng aufeinander schul lehrers Theodor Fischer angestellt. Ausge- nischen Konzepts. Der vorstädtisch angelegte bezogen. führte Entwürfe von eigener Hand waren bisher Haus typ setzte einen Garten als gleichwertigen erst ausgehend vom Jahr 1909 bekannt, nachdem Wohnraum voraus. Die damals modernste Vorstel- Pfennig eine Bürogemeinschaft mit Ludwig Eisen- lung war der „architektonische“ Garten, der den lohr und Carl Weigle eingegangen war. Seine Ur- traditionellen Landschaftsgarten der Lenné- he berschaft für das Ettlinger Haus wirft ein neues Me yerschen Schule um 1905 ablöste. Er wird Licht auf sein Frühwerk und präzisiert seine Ent- durch strenges Regelmaß, geometrische Formen wicklung als Architekt. In einen größeren Kontext und eine Räumlichkeit charakterisiert, die das gestellt, dokumentiert sie einen bislang unbekann - architek tonische System des Wohnhauses mit ten Einfluss Theodor Fischers in Baden, der Grund- gärtnerischen Mitteln fortsetzt. Eine zunehmend züge der Architekturtheorie Friedrich Ostendorfs wichtige Rolle spielte die Integration von Skulp- vorwegnahm. Tatsächlich weist das Wohn- und turen, deren raumplastische Wirkung im Freien in Atelierhaus Eigenschaften auf, die für die Zeit nach der zeitgenössischen Kunst- und Museumstheorie 1910 charakteristisch werden sollten. 1905 hinge- neu bewertet wurde. Eine Reihe älterer Zeichnun- gen war der Bau ein architektonischer Sonderling, gen vermittelt ein recht gutes Bild der ursprüng - der in seiner Schmucklosigkeit, formalen Reduk- lichen Anlage, die seit 1951 durch Parzellenbe- ti on und Klarheit völlig isoliert stand. schneidung um etwa ein Drittel verkürzt und im Der Bildhauer Albiker hat den Hausentwurf zwei- Lauf der Zeit gestalterisch verblasst überliefert ist. felsohne mitbestimmt. Er bewunderte die griechi- Dem auf einem Plateau thronenden Haus ist ein sche Antike und schätzte die Klassizisten Gottfried Feld in Form eines gelängten Rechtecks vorgelegt, Schadow und Christian Rauch, als Architekten das von einem axialen Wegenetz durchzogen Friedrich Weinbrenner. Unter jüngeren Vorbildern wird. Die Wege sind in der Flucht der Gebäu - finden sich Auguste Rodin und Aristide Maillol. dekanten und des Eingangs angelegt. Der Mittel- Trotz einer starken Affinität zum Klassizismus pfad ist mit Vorplatz, Mittelplatz und abschlie- lehnte Albiker Stildenken explizit ab. Wichtiger ßendem Nischenplatz repräsentativ aufgeweitet war ihm die Gestaltung des Räumlichen. Eine in- und mit einem Wasserbecken ausgestattet. Ein haltliche Parallele zwischen seinen Plastiken und Gemälde von Karl Brutzer, das vor dem Fortgang dem Hausentwurf von Pfennig liegt in dem Bemü - Albikers 1920 an die Dresdner Akademie ent- hen um eine im einfachen Zusammenwirken tra- standen sein muss, bildet den Garten mit einer gen der und lastender Teile gebaute Form: Klare großen Statue ab, zweifellos ein Werk des Haus- Proportionen, einfache Volumina mit glatten herrn. Die moderne Konzeption und die Aufstel- Oberflächen und eine Gebundenheit innerhalb lung seiner Plastiken legen den Gedanken nahe, eines imaginären Kubus sind Eigenschaften, die dass Albiker bezüglich seines Gartens bei dem sowohl auf Albikers Figuren als auch auf das Keramiker und Gartenbaukünstler Max Laeu ger

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 111 schaft der Stadt Ettlingen (1958). Am 26. Februar 1961 starb Karl Albiker im Alter von 82 Jahren. Im Ettlinger Atelierhaus lebten weiterhin Sohn Carl mit seiner zweiten Ehefrau, Paula Springer, die das Anwesen 1964 auch erwarb. Nach ihrem Tod im Sommer 2009 einigte sich die Erbengemeinschaft auf einen Verkauf. Zurzeit bekundet die Stadt Ett- lingen Interesse an seinem Erwerb. Ein erfolgrei- cher Abschluss der Verhandlungen wäre ein positi- ves Signal für die Kulturpolitik der Kommune, schafft er doch die besten Voraussetzungen für eine dem authentisch überlieferten Künstlerhaus angemessene öffentliche Nutzung.

Ich danke der Familie des Künstlers, insbesondere Frau Christa und Herrn Rolf Riedle, Bretten, Frau Sigrid Walther, Deutsches Hygiene-Museum Dres- den, Herrn Dr. Gerhard Kabierske vom Südwest- deutschen Archiv für Archi tektur und Ingenieur- bau, Karlsruhe, und Frau Daniela Maier vom 11 Karl Brutzer, Haus Rat und Anregung suchte. Seit ihrer gemeinsa men Museum Schloss Ettlingen für entscheidende An- und Garten Albiker, Öl Arbeit für die Gartenbauausstellung in Mannheim re gungen und Bildquellen. auf Leinwand, um 1920. 1905 bis 1907 wussten beide um ihre unge - wöhnliche Affinität in gartenkünstlerischen Fragen und pflegten eine Jahrzehnte überdauernde Quellen Freundschaft. Eindeutige Belege für eine planeri- sche Beteiligung Laeugers lassen sich in den Quel- Nachlass Karl Albiker, Privatbesitz der Familie. len bisher allerdings nicht nachweisen. Stiftung Karl Albiker, Museum Schloss Ettlingen. Nachlass Oscar Pfennig und Carl Albiker, Südwest- Hausgeschichte und Zukunft deutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsruhe. Albiker und seine Familie bezogen 1920 ein neues Korrespondenzen von Karl Albiker und seiner Familie, Quartier in , behielten das Ettlinger Haus Max Laeuger und Leopold Ziegler, Badische Landes- jedoch als „ein Refugium“ (Albiker 1927 in einem bibliothek Karlsruhe, Autographensammlung. Brief an Max Laeuger) im Alter bei. Als sie durch Bauakte mit Zeichnungen von Oscar Pfennig, Stadt die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und seine Ett lingen, Bauamt. Folgen zermürbt bereits 1948 zurückkehrten, war ihr Haus mit Flüchtlingen belegt. Nach einigen Mo- Literatur naten gelang es ihnen, einige Wohn- und Arbeits - räume zu beziehen; wenige Jahre später lebten sie Sigrid Walther: Karl Albiker 1878–1961. Plastik, Zeich- allein im Haus. Der Garten wurde von 1949 an in- nung, Ausstellungskatalog, Dresden 1996. tensiv mit Obstbäumen und Weinstöcken bebaut; Sigrid Walther: Eine Göttin für den Tempel der Ge- ein Pflanzplan zählt sechs Rebsorten und 17 Ap- sundheit. Die Plastik Hygieia von Karl Albiker im Deut- fel- und Birnensorten auf, dazu Pfirsiche, Kirschen, schen Hygiene Museum in Dresden, Dresden 1996. Pflaumen und Nüsse. Anlässlich der geplanten Daniela Maier und Doris Müller: Städtische Galerie. Umwandlung umliegender Äcker in Bauland 1950 Museum Schloss Ettlingen (Bestandskatalog), Ettlin- sah die Stadt die Bebauung des Gartens vor. Albi- gen 1995. ker konnte dies durch zähe Proteste abwenden, Carl Albiker: Karl-Albiker-Werkbuch, Karlsruhe 1978. verlor jedoch einen breiten Streifen Gartenland Karl Albiker: Das Problem des Raums in den Bilden- entlang des Horbachs. Seitdem bildet das größere den Künsten, Frankfurt am Main 1962. hausnahe Feld das Zentrum des gestalteten Gar- Karl Albiker: Die Probleme der Plastik und das Mate- tenbereichs. rial des Bildhauers, in: Kunst und Dekoration 45, 1919, Im Frühjahr 1952 starb Helene Klingenstein, von S. 170–182. ihrem Mann als „ein Teil meiner selbst“ (Albiker in einem Brief an Leopold Ziegler) tief betrauert. Er selbst empfing nach einer sehr stillen Zeit neue Dr. Melanie Mertens Ehrungen, darunter den Hans-Thoma-Preis, das Regierungspräsidium Karlsruhe Große Bundesverdienstkreuz und die Ehrenbürger- Referat 26 – Denkmalpflege

112 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Hofgut – Diskothek – Event- und Tagungszentrum Das Schicksal von „Schloss Seehälde“ in Zuzenhausen

Eigentlich ist das barocke Anwesen am Rand von Zuzenhausen, einem nord- westlich von Sinsheim gelegenen Ort, gar kein Schloss – es sieht dank der aufwendigen architektonischen Gestaltung des Herrenhauses nur so aus. Von der Funktion her war es vielmehr ein freiadliges Hofgut, das bis 1968 der Landwirtschaft diente. Anschließend beherbergte es unter anderem eine Diskothek und verfiel wegen mangelnder Pflege mehr und mehr. Schloss Seehälde mit seinen typischen frühbarocken Formen stellt zusammen mit Schloss Ilvesheim eines der wenigen Beispiele für den Typus des Einflügelbaus mit zwei Ecktürmen im Kraichgau dar. Unter anderem aufgrund der architek- tonischen Gestaltung, der weitgehend unveränderten Grundrissdisposition und der noch erhaltenen Ausstattung besitzt es den Wert eines Kulturdenk- mals von besonderer Bedeutung. Nach Abschluss der gelungenen Sanierung konnte es Ende 2009 als Event- und Tagungszentrum im Rahmen des Diet- mar-Hopp-Sportparks eröffnet werden. Claudia Baer-Schneider

Die bewegte Geschichte sie in Zuzenhausen erworben hatte, an Johann von Schloss Seehälde Hermann von Freudenberg, Generalmajor und Stadtkommandant von Heidelberg. Dabei soll es Die archivalischen Quellen bezeichnen Schloss sich laut der Ortschronik von Johann Philipp Glock Seehälde auch als „Schlössel“, als „Schloss Agnes - um ein „armseliges Hofgut“ gehandelt haben, tal“ (nach einer benachbarten Agneskapelle) oder weitere Angaben fehlen. 1 Das Hofgut nach nach seinem Bauherrn als „Freudenbergs Schloss“. Johann Hermann von Freudenberg begann mit der Sanierung mit neu- Die Mühl- und Fischteiche, die sich früher in unmit- dem Neubau einer großen Hofanlage und eines re- gestaltetem Hof. telbarer Nachbarschaft des Hofes befanden, stan- den wohl Pate für den Namen Seehälde. Nicht zu verwechseln ist Seehälde mit Schloss Zuzenhau- sen, das die Herren von Venningen zusammen mit „Burg und Stadt“ als Lehen innehatten. Denn da- bei handelte es sich um eine Anlage in der Orts- mitte, die schon kurz nach 1700 als weitgehend zerstört beschrieben wurde. Eigentümer von Zuzenhausen sowie der dazuge- hö rigen Güter war bis 1803 in der Hauptsache das Hochstift Speyer. Es belehnte damit neben den Freiherren von Venningen auch die von Nippen- burg (auch: Neipberg). Als Letztere 1572 in der Manneslinie ausstarben, erwarb Georg Christoph von Venningen-Zuzenhausen zusätzlich deren Le- hen (1592). 1619 fiel dieser Besitz kurzfristig an das Hochstift Speyer zurück, bis vier Jahre später Johann Wolfgang von Hundheim damit belehnt wurde. 1716 verkaufte die Familie von Hundheim ihr Lehen zusammen mit einigem Eigenbesitz, den

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 113 berg begonnenen Bau fertig. Über der Eingangs- 2 Das Hauptportal des Herrenhauses mit Wap- tür des Herrenhauses ließ er eine Kartusche mit der penkartusche. Jahreszahl 1780 sowie den Wappen von sich und seiner Frau, Anna Maria Freiin von Hutten zu Stol- zenberg, anbringen. Ein mit „Zuzenhausen“ be- zeichnetes Blatt, das Ansicht, Schnitt und Grund- risse eines prächtigen Gebäudes zeigt, könnte viel- leicht mit einer nicht ausgeführten Umplanung in Verbindung zu bringen sein (nach 1773). Die Familie von Venningen, die neben Zuzenhau- sen zahlreichen anderen Besitz im Kraichgau ihr Eigen nannte, lebte nur vorübergehend auf dem Gut. Später bewohnte es hauptsächlich der jewei - lige, für den agrarwirtschaftlichen Betrieb verant- wortliche Verwalter. Nach Aufgabe der Landwirt- schaft im Jahr 1968 zog für wenige Jahre ein Res- tau rant ins erste Obergeschoss des Wohnhauses. Im Keller betrieb man bis vor Kurzem eine Disko- thek, die Oberschosse dienten als Wohnung. Über lange Zeit hinweg unterblieben dringend erforder - liche Instandhaltungsarbeiten. Als Folge davon ver- präsentativen Herrenhauses. Eine Zeichnung der schlechterte sich der Zustand der Gebäude derart, Fassade, die das heutige Aussehen des Gebäudes dass die zuständigen Denkmalschutzbehörden recht genau wiedergibt, ist mit „fecit Jacob Bau- wiederholt Instandsetzungsgebote erließen. mann“ bezeichnet. Ob es sich dabei um einen Ent- Schließlich erwarb 1986 die Gemeinde das Anwe- wurf handelt, lässt sich ohne weitere Forschungen sen. Sie veranlasste zwar 1994 die längst überfälli- ebenso wenig klären wie die Frage, inwieweit der ge neue Dachdeckung und nahm kleinere Repara - Heidelberger Architekt Adam Breunig an der Pla- turen vor, eine Gesamtinstandsetzung überstieg nung beteiligt war. jedoch ihre finanziellen Möglichkeiten. Immer wie- Freudenberg verstarb 1738, worauf sein Lehen er- der gab es Überlegungen für eine Umnutzung des neut den von Hundheim zugesprochen wurde, be- Anwesens. Manches erwies sich allerdings als nicht vor es 1769 Carl Philipp von Venningen übernahm. finanzierbar, anderes als nicht umsetzbar. Das Jahr Zusätzlich erwarb er von Freudenbergs Erben des- 2007 brachte für Schloss Seehäl de schließlich die sen Eigenbesitz, zu dem das Hofgut zählte. Wende: Es wurde an einen neuen Eigentümer ver- Carl Philipp von Venningen, kurpfälzischer Geheim- kauft, der es in den beiden folgen den Jahren 3 Das Herrenhaus rat, Kammer-, Regierungs- und Oberhof gerichts- sanier te und zu einer Event- und Tagungsstätte nach der Sanierung. präsident zu Mannheim, stellte den von Freuden- umgestaltete. Der Hauptbau

Die einzelnen Gebäude des Komplexes gruppieren sich um einen Wirtschaftshof, den auf der Südsei - te, zur Straße hin, eine Mauer mit zentralem Zu- gangs tor abschließt. Gegenüber davon liegt das repräsentative Herrenhaus. Ost- und Westseite des Hofes nehmen verschiedene Wirtschaftsgebäude ein. Beim Herrenhaus handelt sich um einen auf der Hofseite dreigeschossigen Einflügelbau mit Walm- dach. Seitlich schließen sich daran zwei Türme mit gleicher Traufhöhe, aber jeweils eigenem Dach an. Durch die Hanglage des Hauses bedingt, tritt der Keller an der dem Hof zugewandten Front als Voll- geschoss in Erscheinung. Darüber erheben sich die beiden Wohngeschosse. Sandsteingesimse und -lisenen, die sowohl die Außenkanten der Türme als auch die des kaum vorspringenden, zweiachsi - gen Mittelrisalits markieren, gliedern die Fassade. Das Eingangsportal mit seiner aufwendigen Sand- steinrahmung sowie die bereits erwähnte Wappen - kartusche betonen die Mittelachse des Gebäu des. Im Erdgeschoss befinden sich mehrere – teilweise gewölbte – Räume. Eine Sandsteintreppe führt ins Bei den notwendigen Sanierungen stand immer 4 Das Herrenhaus vor erste Geschoss, wo drei große Räume sowie die die behutsame Reparatur an erster Stelle. Der Aus- der Sanierung. beiden Turmzimmer die Hofseite einnehmen. Zum tausch von historischer Substanz erfolgte nur dort, Hang hin reihten sich entlang eines Flures ursprüng - wo es aufgrund einer hohen Schädigung unum- lich ebenfalls drei Räume, die jedoch in jüngerer gäng lich war. Kleinere Unregelmäßigkeiten bei Zeit durch den Einbau von Zwischenwänden in klei- den Treppenstufen wurden zugunsten des Erhalts nere Einheiten unterteilt wurden. Das zweite Ge- von Originalausstattung vom Bauherrn in Kauf ge- schoss, das man über eine einläufige Holztrep pe nommen. mit qualitätvoll geschnitzter Balustrade erreicht, Doch bevor man überhaupt mit den Arbeiten be- übernimmt diesen Grundriss weitgehend. Im Inne - gann, galt es, sich näher mit dem Bau und seiner ren des Gebäudes fallen besonders der reiche Be- Substanz, mit dem Umfang der Schäden und ihren stand an bauzeitlichen Türen sowie die zahlreichen Ursachen auseinanderzusetzen. Als Grundlage historischen Fenster auf. wurden ein verformungsgerechtes Aufmaß sowie eine bauhistorische Kurzuntersuchung in Auftrag Die Arbeiten am Herrenhaus gegeben. Eine Restauratorin untersuchte innen wie außen die Putzflächen, aber auch Türen, Fens- Am Herrenhaus waren bereits auf den ersten Blick ter und Holzverkleidungen auf historische Farb- zahlreiche Schäden festzustellen: Putze lagen hohl, befunde. Das Gebäude hatte, abgesehen vom Ein- der Naturstein an Gesimsen und Gewänden zeigte stellen einiger Wände, baulich bisher nur sehr Absprengungen sowie Risse und sandete ab. wenige Eingriffe erfahren. Allerdings wurden in Schäd linge und Pilze hatten das Balkenwerk befal - jüngerer Zeit fast alle Oberflächen im Inneren stark len. Fenster und Türen waren verzogen und schlos- überarbeitet oder erneuert. Historische Putze fan- sen nicht richtig. Der Gesamtzustand des Hauses den sich nur in geringsten Resten. Sie erlaubten erwies sich als stark sanierungsbedürftig. Das vor- weder Freilegung noch Rekonstruktion. Zimmer rangige Ziel bei der Planung von Instandsetzung und Flure erhielten deshalb eine neue Farbgebung und neuer Nutzung war der möglichst schonende in gedecktem Weiß. Lediglich ein Raum – die ehe- Umgang mit der Originalsubstanz. Das Konzept malige Küche auf der Rückseite des Gebäudes – sah dementsprechend von Anfang an vor, den Be- zeigte historische Putze und Stuckprofile. Neben stand zu respektieren, Grundrisse weitgehend bei- mehreren Fassungen des 19. und frühen 20. Jahr- zubehalten und größere Eingriffe wie etwa den hunderts, darunter verschiedenen Schablonen- Einbau eines Aufzugs zu vermeiden. Das Dach blieb male reien mit floralen Motiven, wies die Restaura- unausgebaut, die dortige historische Räucher kam - torin barocke Kalkfassungen nach – teilweise mit mer erhalten. Man beschränkte sich auf die Däm- den für eine Küchennutzung typischen Verschwär - 5 Historische Tür nach mung der Obergeschossdecke. zungen. Die recht bruchstückhaften Befunde wur- der Reparatur.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 115 den zusammen mit dem Putz gesichert. Mit Rück- Entsprechend führte die vorab erstellte Kartierung sicht auf die Einheitlichkeit des Raums entschied der Schäden am Naturstein zur Festlegung, was zu man dagegen, die Relikte zu zeigen, und versah festigen, durch Vierungen zu reparieren und was alle Wände statt dessen mit einer neutralen Weiß- zu erneuern war. Grundsätzlich unterblieben reine fassung. „Schönheitsreparaturen“. Neben den besonders An den Fassaden des Herrenhauses hatte man im von eindringendem Wasser beeinträchtigten Au - 20. Jahrhundert alle vorhandenen Putze entfernt ßen gesimsen gab es beispielsweise auch Hand- und durch zwei neue Lagen ersetzt. Diese waren lungsbedarf bei der Sandsteintreppe im Inneren. extrem hart und hoch salzbelastet, was zu umfang - Hier waren die Stufen vor längerer Zeit unsachge- reichen Schäden wie Rissen, Schalenbildungen mäß mit einem harten Zementmörtel überspach- und Abplatzungen geführt hatte. Sie wurden des- telt worden. Davon befreite der Steinmetz die halb im Zuge der laufenden Maßnahme durch ei- Treppe nun und brachte sie durch Ergänzungen nen glatt abgescheibten, geeigneten Kalkputz er- in passendem Naturstein wieder in Ordnung. setzt. Der restauratorische Nachweis historischer Farbfassungen gestaltete sich schwierig. Bauzeit- Der Umgang mit der historischen 6 Treppenstufe mit lich hatte sich das Gebäude wohl mit weißem Putz, Ausstattung den deutlich erkennbaren auf dem ein kompletter Anstrich in kräftigem Rot Reparatureinsätzen. lag, präsentiert. Die nächste Phase, die dem Auch bei der Ausstattung wie den hölzernen Wand- 19. Jahrhundert zuzuweisen ist, zeigte ein helles verkleidungen oder den Türen waren Erhalt und Grau für den Putz. Dieser Befund wurde als Grund- Reparatur vorrangig. So befreite man die Holzdie- lage für die neue Farbgebung gewählt, da er zeit- len, die einen Bestand aus dem18.,19.und 20. Jahr - lich weitgehend zum heute sichtbaren Bestand des hundert umfassen, von jüngeren Belägen und Gebäudes passt. Die Architekturgliederungen er- setzte sie, soweit ihr Erhaltungszustand dies er- hiel ten einen Anstrich, der sich am Farbton des ver- laub te, instand. Fehlstellen wurden mit neuen Die- wendeten Schilfsandsteins orientiert. Dazu kon- len ergänzt. Anschließend wurden alle Böden mit tras tieren die Fenster und Läden in ihrer restaura- einem nach Befund dunkel eingefärbten Öl ein- torisch nachgewiesenen Farbigkeit von Ocker gelassen, um ihnen Schutz und ein einheitliches beziehungsweise Graugrün. Erscheinungsbild zu verleihen. Eine weitere vorbereitende Maßnahme galt dem Besonderes Augenmerk galt den barocken Holz- Zustand der gesamten Holzkonstruktion. Weitge- trep pen und Türen. Stufen und Balustraden hatten hend zerstörungsfreie Bohrwiderstand- und Holz- im Laufe der Zeit gelitten. Die Konstruktion hatte feuchtemessungen gaben zusammen mit einer sich verzogen, die Stufen waren unregelmä ßig Untersuchung auf Schädlings- und Pilzbefall über ausgetreten und hatten Risse. Als besonders wich- 7 Die barocke Treppe nach der Instandsetzung. den Grad der Schädigung von Decken- und Dach- tige Ausstattungsstücke des Schlosses sollten die balken Auskunft. Die Erkenntnisse dieses bauphy - Treppen jedoch unbedingt erhalten bleiben. Man 8 Eines der Turmzimmer sikalischen Gutachtens erlaubten die detaillierte beschloss, auf eine durchgreifende Sanierung oder im Herrenhaus nach der Entscheidung über die Erfordernis von Reparatur gar Erneuerung zu verzichten und den Charme Sanierung. oder Austausch von Hölzern. gewisser Ungleichmäßigkeiten zu belas sen. Ein

116 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Schrei ner machte sich sehr behutsam und zurück- haltend an die Reparatur. Größere Risse wurden ausgespänt, Fehlstellen in mühevoller Kleina rbeit durch passgenau nachgearbeitete Holz stücke er- gänzt. Auch hier bildete eine Lasur mit dunkel - braunem Öl den Abschluss der Maßnahme. In Schloss Seehälde ist – zum Teil auf dem Dach- boden eingelagert – über die Jahrhunderte hinweg ein außergewöhnlich umfangreicher Bestand an bauzeitlichen Türzargen und -blättern überliefert, den es bei der jüngsten Sanierung zu erhalten galt. Alle Türen wurden erfasst und inklusive Bändern, Beschlägen und Schlössern fachgerecht instand- ge setzt. Unter anderem, weil es keine barocken Farbbefunde gab, entschloss man sich, die neue Farbgebung an der nachgewiesenen Fassung des 19. Jahrhunderts, einem dunklen Braun, zu orien- tieren. Daneben zeichnet sich das Herrschaftshaus durch seine große Anzahl an historischen Fenstern aus. Die Bandbreite reicht von bauzeitlichen Beispielen mit Bleisprossen und Vorreibern über Holzsprossen - fenster des 19. Jahrhunderts – die barocken Rah- des und der damit verbundenen Kosten nicht mehr 9 Instandgesetztes und men beließ man beim damaligen Austausch oft sinnvoll. Bei gleicher Kubatur entstand ein Neu- zum Kastenfenster um- in situ – bis zu Einscheiben-Exemplaren der 1960er bau, der das Motiv der drei großen, sandsteinge- gebautes historisches Jahre. Weil Letztere als störend empfunden wur- rahmten Tore zum Hof hin übernahm. Fenster. den und sich in schlechtem Zustand befanden, Die ehemalige Mühle an der Südwestecke der An- 10 Instandgesetztes und entschied man sich, sie durch neue Fenster zu er- lage war bereits zu einem früheren Zeitpunkt um- zum Kastenfenster umge- set zen. Dabei orientierte man sich an im Schloss gebaut und mit einem Anbau versehen worden. bautes historisches Fens- vorhandenen Beispielen des 19. Jahrhunderts. Die Ein Gutachten zu ihrem Zustand und zur Statik er- ter, Innenflügel geöffnet. historischen Fenster erlauben durch ihre Unter- gab, dass die Schäden besonders an der Innen- schiede in Unterteilung und Beschlägen, in Mecha - konstruktion sowie am Dachstuhl so weit fortge- nik und Aussehen einen Überblick über die Fens- schritten waren, dass eine Sanierung fast einem terbaukunst der Vergangenheit. Nicht zuletzt des- Neubau gleichgekommen wäre. Die Denkmalpfle- halb sollten sie – soweit auch immer es ihr Zustand ge musste deshalb der kompletten Erneuerung erlaubte – erhalten bleiben. Anhand eines Fens - dieser Teilbereiche zustimmen. Da man während terkatasters wurde über das geeignete Vorge hen der Bauphase unter anderem unschön vermauerte bei der Instandsetzung und bei der energe tischen Fenster öffnete und den unpassenden Anbau ent- Verbesserung jeweils im Einzelfall entschie den. fernte, verbesserte sich das Erscheinungsbild des Mal war die Aufrüstung zum Kastenfenster der Gebäudes, das heute als Besprechungszentrum beste Weg, mal der Einbau von so genannten dient, erheblich. Mini-Isolierverglasungen, mal auch der Nachbau. Im Inneren bereits völlig entkernt und mit neuen Um das Erscheinungsbild innen wie außen zu ver- Einbauten aus Beton sowie großen Öffnungen an einheitlichen, erhielten abschließend alle Fenster der Außenseite versehen war das ehemalige Wirt- gemäß restauratorischem Befund des 19. Jahr- schaftsgebäude an der Westkante des Komplexes, hunderts einen ockergelben Anstrich. das zuletzt als Bauhof der Gemeinde fungierte. Es wurde saniert und mit Rücksicht auf die verblei- Die Nebengebäude ben de historische Substanz zu modernen Büros umgebaut. Um den Charakter des ehemals land- Im Osten begrenzt der ehemalige Stall den Hof, ein wirtschaftlichen Gebäudes möglichst wenig zu be- eingeschossiger Walmdachbau, der massive Schä- einträchtigen, belichtete man das Dachgeschoss den aufwies. Starke Durchfeuchtung begünstigte durch ein niedriges Gaubenband mit Holzlamellen einen erheblichen Schädlings- und Pilzbefall, die vor den Fensteröffnungen. Stallnutzung führte zu extrem hohen Salzbelastun - Um die Zusammengehörigkeit des Ensembles zu gen in allen Bauteilen. Hinzu kamen statische unterstreichen, erhielten die Nebengebäude eine Schwierigkeiten aufgrund von Problemen bei Fun- einheitliche Farbgebung, bei der die am Hauptbau damenten und Untergrund. Ein Erhalt des Gebäu - verwendeten Farben leicht abgetönt übernom- des erschien wegen des hohen Schädigungsgra- men wurden.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 117 Ein Neubau ergänzt die Hofanlage Literatur

Im ehemaligen Hofgut hätten die hohen Anforde - Frank Rinn: Holzuntersuchung des Tragwerks 2006– rungen, die das Trainings- und Geschäftsstellen- 2009, unveröffentlichtes Manuskript RPK, Ref. 26. zentrum an den Platzbedarf und an die Funktiona - Barbara Kollia-Crowell, Robert Crowell: Bauhistori- lität von Räumlichkeiten stellt, nie ohne erhebliche sche Kurzuntersuchung, Karlsruhe 2005, unveröf- Beeinträchtigungen erfüllt werden können. Ein fentlichtes Manuskript RPK, Ref. 26. solches Vorgehen wäre mit erheblichen Eingriffen Christine Englhardt: Restauratorische Voruntersu- in die historische Substanz, einem hohen Verlust chung, Worms 2005ff., unveröffentlichtes Manu- von Ausstattung und wohl auch mit einer gravie- skript RPK, Ref. 26. ren den Veränderung des äußeren Erscheinungs- Meinhold Lurz: Die Freiherren von Venningen, Sins- bildes einhergegangen. heim, 1997. Von Anfang an war deshalb klar, dass die Lösung Johann Philipp Glock: Burg, Stadt und Dorf Zuzen- in einem separaten Neubau bestehen muss. Dieser hausen im Elsenzgau – eine Ortschronik, o.O. 1896. entstand in unmittelbarer Nachbarschaft, aber Die beiden erwähnten Zeichnungen befinden sich im baulich völlig losgelöst von den Gebäuden des Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesar- ehemaligen Hofguts. Das mit der Planung beauf- chiv Karlsruhe (69/897 bzw. 69/897,2). tragte Architekturbüro, dem auch die Instandset- zung des historischen Bereichs oblag, bemühte Glossar sich um ein möglichst „friedliches“ Nebeneinan- der von Alt und Neu. So nimmt der Neubau mit sei- Lisene: Sie hilft die Vertikale eines Baukörpers zu beto- ner Höhenentwicklung sowie in der Anordnung nen und tritt als dezentes Element leicht aus dem rest- Rücksicht auf den historischen Bestand und bleibt lichen Mauerverband vor, in der Regel zwischen den auch in der Farbgestaltung sehr zurückhaltend. Fensterachsen. Durch seine moderne Formensprache setzt er sich Risalit (Mittelrisalit): Ein vor die Flucht des Baukörpers jedoch klar ab. tretender Teil an den Seiten oder der Mitte besonders beim profanen Barockbau. Der Mittelrisalit hat meist ein Besonders das Herrenhaus wurde durch den Neu- eigenes Dach (sonst wär’s nur ein Vorbau) und fällt dabei bau vom Nutzungsdruck weitgehend befreit. Der repräsentativer und zierreicher aus als der restliche Bau- Hauptakzent bei der Instandsetzung konnte so auf körper. die Bewahrung der historischen Substanz gelegt Vorreiber: Drehbarer Beschlag an der Fenster-Innenseite werden. Auf größere Eingriffe in die Raumdispo- zur Verriegelung. sition wurde ebenso verzichtet wie auf den Aus- bau des Daches. Die hochwertige Ausstattung er- füllt behutsam instandgesetzt weiterhin ihre Funk- tion. Das Herrenhaus stellt damit nicht nur ein Beispiel für eine gelungene Denkmalpflege dar, Dr. Claudia Baer-Schneider sondern bietet den künftig dort geplanten Veran- Regierungspräsidium Karlsruhe staltungen auch einen repräsentativen Rahmen. Referat 26 – Denkmalpflege

11 Das umgebaute Wirtschaftsgebäude während der Sanierung.

118 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Denkmalporträt

1 Modell des „Mussolini-Platzes“ in Berlin nach Entwurf Albert Speers 1939/40. Bestellt und nicht abgeholt: Die Säulen des Steinbruches Lauster in Stuttgart-Münster

Aufgereiht an der verkehrsreichen Neckartalstra ße, chen und bearbeitet, später aber nicht abtrans por - umgeben von modernen Kraftwerksbauten, stehen tiert und schließlich am Straßenrand aufgestellt sie unvermittelt da: 14 monumentale Säulen. Sie worden. Nach dem Kriege hat die Firma Lauster wurden vom benachbarten Steinbruchunterneh- die Steine auf Wunsch von der Stadt Berlin zurück- men Lauster gefertigt, das ab 1902 auf Cannstat- erworben. ter Gemarkung an der Neckartalstraße entstand. Berlin, das mit seinem urbanen Leben, den privat- Die Betriebsgebäude, so zum Beispiel die gewalti - wirt schaftlichen Geschäftsbauten und Arbeiter- gen Sägegatter- und Kranhallen, wurden sukzes - siedlungen nicht dem nationalsozialistischen Bild sive zwischen 1920/21 und 1940 als „gebaute Vi- einer Reichshauptstadt entsprach, sollte nach dem sitenkarten“ aus dem im Steinbruch gewon ne nen Vorbild antiker Metropolen „Monumente des Stol- Travertin errichtet. Der Steinbruch Lauster doku- zes“ und „Wahrzeichen der Volksgemeinschaft“ mentiert die wirtschaftliche Entwicklung Stuttgarts erhalten. Am 30. Januar 1937, dem vierten Jahres - und war für die Fassadengestaltung vieler Gebäu - tag der „Machtergreifung“, wurde per Reichgesetz - de der württembergischen Metro pole prägender erlass der „Generalbauinspektor für die Reichs- Baustofflieferant. Das gesamte Travertin-Natur - hauptstadt Berlin“ unter Leitung Albert Speers in- steinwerk mit Fabrikantenvilla, Verwaltungsge bäu - stalliert. Der „G.B.I“ war einem Ministerium gleich den und Werkshallen einschließlich der 14 Säulen nur dem „Führer“ unterstellt und besaß alle Voll- ist ein Kulturdenkmal aus heimat ge schichtlichen, machten für die städtebauliche und architektoni- wissenschaftlichen und künstlerischen Gründen. sche Entwicklung . Vom „G.B.I.“ wurden Obwohl Bestimmung und Funktion der Säulen be- Großbauten ohne praktischen Gebrauchs wert mit reits lange geklärt sind, gab es im Laufe der Jahr- ideologisch-kultischer Bedeutung nach rein formal- zehnte immer wieder Stimmen aus der Bevölke- ästhetischen Gesichtspunkten geplant. Auf Grund - rung und Presseartikel, die die Bedeutung der Säu- lage einer neuen Verkehrsführung mit Durch- len ins Nebulöse rückten. Dabei war schon 1964 gangs- anstatt Sackbahnhöfen und Autobahnring seitens der Firma Lauster erklärt worden, dass die bildete ein Straßenachsenkreuz mit Schnittpunkt 14 nach toskanischer Ordnung gestalteten Säulen beim Brandenburger Tor das Rückgrat des städte - samt Gesimsteilen 1936 von der Stadt Berlin beim baulichen Programms. Die vom „G.B.I.“ betriebe- Steinbruch bestellt worden sind und der Auftrag nen Planungen für die utopische „Welthauptstadt mit „Säulen für ein Denkmal am Mussoliniplatz in Germania“ sahen eine Addition von Achsen, Plät- Berlin“ bezeichnet war. 1937 sind die Steine gebro - zen und kulissenhaften Baukörpern als „Über-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 119 trumpfungsarchitektur“ in maßstabs loser Über- Der um 1904 bis 1908 in Berlin-Charlottenburg größe vor. angelegte Reichskanzlerplatz (heute Theodor- Die mit 36 km Länge projektierte Nord-Süd-Achse Heuss-Platz) wurde nach der „Machtergreifung“ mit „Großer Halle“ beim Reichstag als nördlichem in Adolf-Hitler-Platz umbenannt, sollte später ein Abschluss hätte als Schneise durch die Stadt ge- nach Plänen Albert Speers gestaltetes Monument schlagen werden müssen, während ein Abschnitt für den „Duce“ erhalten und schließlich in Mus- der ursprünglich 50 km lang geplanten Ost-West- solini-Platz umgetauft werden. Achse zwischen S-Bahnhof Heerstraße bis zum Wie die übrigen Planungen des „G.B.I.“ und seines Stadtschloss als durchgehender Straßenzug bereits Leiters Speer ist auch die Gestaltung des Musso- bestand. Eines der wenigen realisierten Projekte lini-Denkmals um 1939/40 durch Modellfotos und innerhalb der Achsenplanung war die den Bezirk Zeichnungen gut dokumentiert. Der große, durch Tiergarten prägende Verbreiterung der Charlot- Mietshausblöcke der Jahrhundertwende und Ge- tenburger Chaussee (heute Straße des 17. Juni) schäftshäuser der 1930er Jahre uneinheitlich um- und des Großen Sterns auf einen Durchmesser von baute Platz mit Verkehrsrondell von 1929 ent- 200 m sowie die Translozierung der Siegessäule sprach nicht den Anforderungen der NS-Ästhetik. vom Reichstag an diesen Platz. Dieser insgesamt Daher sollte das eigentliche Monument durch 12 km lange Teilabschnitt einschließlich der von Bäume und einen über 10 m hohen Arkadenring 2 Die Lauster-Säulen an Speer entworfenen doppelarmigen Standleuchten abgeschirmt werden, der durch die Ost-West- der Neckartalstraße in wurde am 20. April 1939, dem „Führergeburts- Achse (in diesem Abschnitt Kaiserdamm) unter- Blickrichtung Osten. tag“, eingeweiht. brochen und in zwei Halbkreise geteilt wird. Die Portale der durchgehenden Achse werden hier- bei durch jeweils zwei Triumphbögen flankiert. Im Zentrum der Anlage war ein circa 45 m hohes Denkmal auf rechteckigem Grundriss mit zwei of- fe nen Säulengeschossen und bekrönender Heroen - figur geplant. Auf den hohen Sockel hätten 5 x 4 Säulen dorisch/toskanischer Ordnung mit hohem Gebälk folgen sollen, darüber die gleiche Anzahl ionischer Säulen, die wiederum ein Gebälk und das Podest für die von Arno Breker entworfene, 11 m hohe Skulptur „Bereitschaft“ tragen sollten. Für das untere Geschoss des Denkmals wurden die ins- gesamt 14 Säulen und Teile des Gebälks beim Steinbruch Lauster in Stuttgart in Auftrag gegeben. Nach dem Konkurs der Firma Lauster 1974 wur- den einige Betriebsgebäude abgerissen oder um- ge nutzt, so zum Beispiel die 120 m lange „Vierkran - halle“, die teilweise aufgefüllt wurde und seit 1990 zur Müllsortierung und als Fuhrpark dient. Dem Steinbruch gegenüber entstanden in den 1980er/1990er Jahren die städtebaulich anspre- chend gestalteten Anlagen des Kohlekraftwerkes, der Müllverbrennungsanlage und der Rauchgas- entschwefelungsanlage Münster. Die Industrie- bau ten erstrecken sich wie eine Spange vom Ne- ckar in zwei Brücken über die Straße und lassen die Säulen in ihrem modernen Umfeld anachronistisch aussehen. Die Aussagekraft der Säulenmonu - mente besteht in ihrem scheinbar zusammen- hanglosen Standort ohne Bindung an ein Bau- werk. In ihrer Unfertigkeit dokumentieren sie bei- spielhaft Gigantomanie, Hybris und Scheitern des National sozialismus und seiner Staatsarchitektur.

Dr. Karsten Preßler Regierungspräsidium Stuttgart Landesamt für Denkmalpflege

120 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Ortstermin

Landesgartenschaugelände Villingen- Schwenningen 2010 Denkmalpflegerische Maßnahmen rund um die Grabhügelgruppe „Möglingshöhe“

Im Zuge der Landesgartenschau Villingen-Schwen- rechte Un tersuchung nach wissenschaftlichen ningen 2010 vom 12. Mai bis 10. Oktober 2010 Grundsätzen und heutigen grabungstechnischen sollte der Stadtpark Möglingshöhe im Stadtbezirk Standards hätte die endgültige Zerstörung dieses Schwenningen umgestaltet und aufgewertet wer- letzten Hügels der Gruppe auf der „Möglings- den. Auf dem Gelände liegt die bereits seit dem höhe“ bedeutet. 19. Jahrhundert bekannte Grabhügelgruppe „Mö- Aus denkmalpflegerischer Sicht wurde daher der g lingshöhe“, die gemäß Paragraph 2 des Denk- Erhalt des Hügels in seinem jetzigen Zustand und malschutzgesetzes Baden-Württemberg in die Lis - derzeitigen Erscheinungsbild entschieden. te der archäologischen Kulturdenkmale eingetra - Die erforderlichen Maßnahmen wurden gemein- gen ist. Von ursprünglich sechs Hügeln ist nur noch sam abgestimmt: Die Bäume auf der Hügelkuppe einer sichtbar im Gelände erhalten. wurden entfernt und der Hügel mit Wiesensaat Ältere, aus heutiger Sicht unsachgemäße Grabun - neu bepflanzt. Der Hügel konnte somit im Sinne gen haben seit 1825 und insbesondere im Jahre des Denkmalschutzgesetzes Baden-Württemberg

1913 zur weitgehenden Zerstörung der Gräber in an Ort und Stelle „in situ“ erhalten und in das neu DENKMALPFLEGE den Hügeln geführt. Einzelne Funde daraus da - gestaltete Gelände der Landesgartenschau inte- tie ren die Hügelgruppe in die Hallstattkultur im griert werden. 7./6. Jahrhundert v.Chr. Eine Beschilderungstafel beim Hügel erläutert die Landesgartenschau Der größte noch erhaltene Hügel dieser Gruppe Erforschungsgeschichte der Hügelgruppe auf der Villingen- Schwenningen 2010 wurde im Laufe der Zeit durch unsachgemäße Ein- „Möglingshöhe“. Den kulturellen Kontext der GRABHÜGEL UND griffe verändert. Denkmalgruppe und ihre Einbindung in das regio - HÜGELGRÄBER Das Referat 26 Denkmalpflege im Regierungsprä- nale Umfeld, mit dem Magdalenenbergle und wei- sidium Freiburg überlegte gemeinsam mit den Ver- teren zeitgleichen Grabhügelgruppen auf Gemar- tretern der Landesgartenschau, der Unteren Denk- kung Villingen-Schwenningen, weist ein Flyer malschutzbehörde und den Städtischen Museen nach, der auf der Landesgartenschau ausliegt und der Stadt Villingen-Schwenningen, wie der Hügel beim Landesamt für Denkmalpflege bestellt wer- thematisch in das Rahmenprogramm der Landes- den kann. DENKMALPFLEGE gartenschau eingebunden werden könnte. Er - wogen wurde zum Beispiel eine archäologische Dr. Jutta Klug-Treppe Baden-Württemberg Ausgrabung des Hügels während der Landes - Regierungspräsidium Freiburg LANDESAMT FÜR DENKMALPFLEGE IM REGIERUNGSPRÄSIDIUM STUTTGART REFERAT DENKMALPFLEGE IM REGIERUNGSPRÄSIDIUM FREIBURG gartenschau. Doch eine dokumentierte fachge- Referat 26 – Denkmalpflege

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 121 Mitteilungen

Umweltakademie Baden-Württemberg veranstaltet bundesweit relevante Fach- tagung zum Thema „Denkmalschutz und Klimaschutz“.

Die Akademie für Natur- und Umweltschutz Ba- den-Württemberg führt in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege am 15. Juni 2010 in Ulm die Fachtagung „Denkmalschutz und Klimaschutz – zwei Seiten derselben Medaille?!“ durch. Die Veranstaltung richtet sich an Interessen- ten aus der öffentlichen Verwaltung, Denkmal - eigentümer, Architekten und Planungsbüros, Ver- bän de und Institutionen aus Wissenschaft und Po- litik. Gegenstand der Tagung ist es, mithilfe von Ple narvorträgen, Nachmittagsforen mit Praxisbei- spielen sowie der Präsentationen von Postern, den Dialog zwischen Klimaschützern und Denkmal - schützern zu intensivieren und erfolgreiche Alli- anzen zu bilden – im Sinne einer nachhaltigen Ent- wicklung des Landes Baden-Württemberg. Das Projekt wird gefördert durch die Deutsche Bundes- So 26.09. 11 Uhr stiftung Umwelt (DBU). Schloss Kageneck, Munzingen So 24.10. 17 Uhr Nähere Informationen und Anmeldungen (Semi- Greckenschloss, Bad Fried richshall narnummer 56 BL) unter Sa 13.11. 20 Uhr www.umweltakademie.baden-wuerttemberg.de Gasthaus Gems, Rielasingen-Worblingen Frau Dr. Katrin Fritzsch Sa 11.12. 18 Uhr Sebastianskapelle, Ellwangen [email protected] Tickets sind erhältlich unter www.easyticket.de Tel. 0711/126 -2817 und Tel. 0711/2555555.

Konzertreihe „Musik im Denkmal“ Fotowettbewerb Die Anfang des Jahres begonnene Konzertreihe „Bitte Lächeln, Alte Stadt“ „Musik im Denkmal“ mit den Stuttgarter Salonikern führt das Publikum an historisch spannende Orte Manche Dinge werden mit dem Alter immer schö- im Ländle. Sie wurde zum 25-jährigen Jubiläum ner. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und der Denkmalstiftung Baden-Württemberg entwi- Stadtentwicklung und die Deutsche Stiftung Denk - ckelt und zeigt Förderobjekte, die mit den Mitteln malschutz laden Sie ein: Zeigen Sie die faszi nie ren- der Stiftung restauriert und für nachkommende den Seiten der gebauten Geschichte Ihrer Stadt mit Generationen erhalten wurden. dem Leben in Häusern, auf Straßen und Plätzen, Die Konzerte geben die Möglichkeit zu exklusiven in Parkanlagen und Gärten. Teilnehmen kann jeder Einblicken in das Denkmal und zu regem Gedan- professionelle Fotograf oder Hobby-Fotograf sowie kenaustausch bei Sekt und Häppchen in der Pause. Schulen. Es winken hochwertige Preise für die vier Musik und Moderation nehmen direkten Bezug besten Einsendungen sowie viele attraktive Son - auf das jeweilige Denkmal, und es entsteht eine der preise in den Preiskategorien „Profi-Fotografen“, Atmosphäre, in der die Zuhörer den Zeitgeist der „Hobby-Fotografen“ und „Schulen“. verschiedenen Bauepochen unmittelbar erleben. Preise: Gutscheine für eine Fotoausrüstung im Wert von: Termine: 1. Preis: 1000 Euro, 2. Preis: 500 Euro So 27.06. 15 Uhr 3. Preis: 300 Euro, 4. Preis: 200 Euro Autofähre Konstanz-Meersburg Do 29.07. 19.30 Uhr Eine Fachjury aus Vertretern der Auslober sowie Burg Hohenzollern, Hechingen Experten aus den Bereichen Städtebau, Denkmal- Sa 07.08. 20 Uhr Bundesfestung, Ulm schutz und Fotografie wählt die vier besten Bei-

122 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 träge je Preiskategorie aus. Alle Preisträger erhal- den-Württemberg findet die Forschung vor allem ten eine Einladung zur Preisverleihung im Rahmen in der Archäologischen Restaurierung des Landes - des Kongresses Städtebaulicher Denkmalschutz amts für Denkmalpflege in Esslingen an Funden am 27. und 28. September 2010. Einreichen kön- aus Grabungen in Baden-Württemberg statt. Die nen Sie Ihre Bilder digital oder per Post. Zusammenarbeit bezieht auch die Lehre mit ein, indem Studierende des Studiengangs „Konservie- Einsendeschluss: 15. August 2010 rung und Restaurierung von archäologischen, Informationen und Posteinsendungen: kunsthandwerklichen und ethnologischen Objek- Bundestransferstelle ten“ (Prof. Dr. Eggert) in den Restaurierungswerk- Städtebaulicher Denkmalschutz stätten des Landesamts für Denkmalpflege Esslin- c/o complan Kommunalberatung gen an eigenen Projekten arbeiten können. Hier- Voltaireweg 4 bei werden die aktuellen Problemstellungen der 14469 Potsdam Denkmalpflege wie zum Beispiel die Massenkon- servierung vermittelt. Infotelefon: 0331/2015122 Im Rahmen des internationalen Archaeological Infomail: [email protected] Iron Conservation Colloquium, das vom Landes- www.bitte-laecheln-alte-stadt.de amt mit veranstaltet wird, werden nun unter an- derem Ergebnisse des Projekts „Rettung vor dem Rost“ der Fachwelt vorgestellt. Ebenso vertreten Rost rastet nicht … Archaeological Iron sind zahlreiche Beiträge zum Thema Korrosion und Conservation Colloquium – Konservierung von Eisenfunden von Kollegen Fachkonferenz zur Eisenkonservierung weltweit. Ziel aller Anstrengungen: Die Rettung an der Staatlichen Akademie der Bilden- vor dem Rost für unser eisernes Kulturerbe. Ein- den Künste Stuttgart geladen zu dieser Konferenz sind Restauratoren und Konservierungswissenschaftler. Mehrzwecksaal, Neubau II, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Programm 24. bis 26. Juni 2010 24. Juni 2010, Beginn 9 Uhr Session 1: Konservierungsforschung zu Eisen Eisenobjekte können manchmal Jahrhunderte im Session 2: Eisenkonservierungsprojekte aus aller Boden überstehen. Kaum sind sie aber ausgegra- Welt ben, zerfallen sie wie im Flug. Das lässt den Restau - Festvortrag und Festessen ratoren keine Ruhe: Innovative Ansätze zur Auswa - 25. Juni 2010, Beginn 9 Uhr schung der verursachenden Chloride sind daher Session 3: Chloridextraktion durch alkalische Lö- Gegenstand der internationalen Konservierungs- sungen forschung. Session 4: Marine Funde Die Doktorandin Britta Schmutzler versucht im Mitgliedertreffen der ICOM-CC Sub-WG AIAE Rahmen des von der DBU geförderten Forschungs- projekts „Rettung vor dem Rost“, die Entsalzung 26. Juni 2010, Beginn 8.30 Uhr mit Natronlauge unter Sauerstoffausschluss zum Exkursion Masseneinsatz tauglich zu machen. Als Kooperati - onsprojekt der Staatlichen Akademie der Bilden- Weitere Informationen unter www.Iron-Collo- den Künste Stuttgart und der Denkmalpflege Ba- quium.abk-stuttgart.de

123 Projekt Kleindenkmale kreisen fand das Projekt eine intensive und wohl- geht in die dritte Runde wollende Begleitung durch die Presse, sodass Kleindenkmale mittlerweile eine große öffentliche Seit 2001 werden in Baden-Württemberg die Klein - Aufmerksamkeit gewonnen haben. Dies kommt denkmale systematisch erfasst und dokumentiert. den einzelnen Kleindenkmalen zugute, von denen Wir haben in unserer Zeitschrift wiederholt darü- viele zwischenzeitlich durch aufmerksame und ber berichtet („Denkmalpflege in Baden-Würt- spendenfreudige Bürger an ihrem Standort und temberg“ 2/2002, 1/2006). Nach Abschluss einer in ihrem Bestand gesichert worden sind. zweiten, sehr erfolgreichen Projektphase geht das Abgeschlossene Projektkreise sind der Alb-Donau- Projekt 2010 in die dritte Runde. Nicht zuletzt dank Kreis, die Landkreise Sigmaringen und Ludwigs- der Fürsprache von Alt-Ministerpräsident Günther burg, der Stadtkreis Baden-Baden, der Landkreis Oettinger und Regierungspräsident Johannes Tuttlingen, der Ortenau- und der Enzkreis, der Schmalzl konnte die Finanzierung einer weiteren Landkreis Konstanz und der Hohenlohekreis (Ab- Projektphase – zunächst für drei Jahre – aus Mit- schluss 2010). Die Originaldokumentationen wer- teln der Denkmalpflege gesichert werden. den in den jeweiligen Kreisarchiven aufbewahrt, Das Projekt wurde 2001 als Gemeinschaftsaktion die aus der Projektarbeit entstandenen Publikatio - von Schwäbischem Heimatbund, Schwäbischem nen sind im Buchhandel oder über die Landrats- Albverein, Schwarzwaldverein, Badischer Heimat, ämter erhältlich. Für die Jahre 2010 bis 2013 ist die der GEEK (Gesellschaft zur Erhaltung und Erfor- Erfassung in fünf weiteren Landkreisen geplant: Im schung der Kleindenkmale) und dem damaligen Rems-Murr-Kreis, im Ostalbkreis und in den Land- Landesdenkmalamt geboren. Nicht allen Beteilig- kreisen Reutlingen und Esslingen wurde mit der Er- ten war dabei von Anfang an klar, dass hier ein fas sung bereits begonnen, noch in diesem Jahr Erfolgsprojekt gestartet wurde. startet voraussichtlich die Erfassungsarbeit im Zwischenzeitlich wurden in neun Landkreisen durch Landkreis Calw. mehr als 700 ehrenamtliche Mitarbeiter über Neu aufgelegt wurde anlässlich des Starts der neu - 26000 Kleindenkmale erfasst, in ihrem Bestand en Projektphase auch die Projektbroschüre „Klein- dokumentiert und mit ihren Koordinaten ver- denkmale in Baden-Württemberg“, Anleitung zur merkt. Jedes vor Ort dokumen tierte Denkmal wird Erfassung und Dokumentation, die über die Pro- in der Projektstelle im Landesamt für Denkmal- jektstelle zu beziehen ist. pflege über einen Thesau rus erschlossen und geo- referenziert, alle Daten sind dann über eine Kontakt: elektronische Liste mit dem digi talen beziehungs- Martina Blaschka M.A weise digitalisierten Bildmaterial verbunden. So Projekt Kleindenkmale liegt mittlerweile eine umfangreiche Datensamm- Schwäbischer Heimatbund lung vor, die den Gemeinden und der Denkmal- Büro Landesamt für Denkmalpflege pflege in ihrer alltäglichen Arbeit sehr hilfreich ist, Berliner Straße 12 darüber hinaus aber auch ein vergleichendes wis- 73728 Esslingen am Neckar senschaftliches Arbeiten mit unterschiedlichsten Tel. 0711/90445220 Fragestellungen für Kultur- und Kunstwissen- schaften eröffnet. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Ho- Die Landkreise unterstützen die Projektarbeit finan - mepage www.denkmalpflege-bw.de/denkmale/ ziell und personell durch die Kreisarchive, ebenso projekte sind die Heimat-, Wander- und Geschichtsvereine Literatur, die die kreisweiten Dokumentationen zur mit Koordinationsarbeiten wie ehrenamtlichen Grundlage hat: Kleindenkmalerfassenden am Erfolg der kreiswei- Willi Rößler: Feldkreuze, Bildstöcke, Gedenkstät- ten Dokumentationen beteiligt. ten und Grenzsteine im Landkreis Sigmaringen, Vier Publikationen, die aus den Projektkreisen ent- Horb am Neckar 2005. standen sind, erstatten eindrucksvoll Bericht von Kleinode am Wegesrand: Kleindenkmale im Land- der Vielzahl und Vielfalt an Kleindenkmalen, die kreis Tuttlingen. Schriftenreihe des Kreisarchivs als Zeugnisse der Volksfrömmigkeit, der Wirt- Tuttlingen Nr. 7, Trossingen 2006. schafts-, Verkehrs- oder Rechtsgeschichte ebenso Reinhard Wolf: Von Ort zu Ort. Kleindenkmale im wie als Ausdruck des Gedenkens oder des künst- Landkreis Ludwigsburg, Ludwigsburg 2008. lerischen Schaffens wichtige prägende Elemente Martina Blaschka: Kleindenkmale im Kreis Kon- in unserer Kulturlandschaft sind. In allen Projekt- stanz. Hegau-Bibliothek Bd. 141, Hilzingen 2009.

124 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Tag des offenen Denkmals 2010 temberg waren rund 900 Denkmale geöffnet. Ins- Kultur in Bewegung gesamt zog der Tag rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland in seinen Bann. Der Tag des offenen Denkmals am 12. September Zur landesweiten Eröffnungsfeier lädt die Lan - 2010 steht unter dem Motto: „Kultur in Bewe- desdenkmalpflege dieses Jahr am Samstag, den gung – Reisen, Handel und Verkehr“. 11. Sep tember 2010 nach Friedrichshafen/Boden - Frühe Fernhandelsbeziehungen lassen sich archä- seekreis im Regierungsbezirk Tübingen ein. Das ologisch schon in der Jungsteinzeit nachweisen. Landesamt für Denkmalpflege gibt zu diesem An- Später verbreiteten Wanderhandwerker und lass eine Broschüre heraus, in der die Aktionen der fremde Baumeister neues architektonisches Know- Landesdenkmalpflege sowie sämtliche an diesem how in ganz Europa. Das Spektrum der historischen Tag geöffneten Denkmale in Baden-Württemberg Verkehrsmittel reicht vom einfachen Pferd und verzeichnet sind. Die Broschüre wird ab August Wagen, von Frachtkähnen über Kutschen, Dampf- kostenfrei in öffentlichen Gebäuden ausliegen loks und Schiffe aller Art, historische Automobile bzw. über das Landesamt für Denkmalpflege zu bis hin zu Gasballons, Zeppelinen und Flugzeugen. beziehen sein. All diese Verkehrsmittel bringen heute noch „Kul- Das Programm basiert auf den Anmeldungen der tur in Bewegung“. Denkmaleigentümer bei der Deutschen Stiftung Zeppelin-Museum im Wir laden Sie ein, sich mit eigenen Aktionen am Denkmalschutz. Diese nimmt jedes Jahr bis zum historischen Hafenbahn- Tag des offenen Denkmals zu beteiligen. Sie nennen 31. Mai entsprechende Anmeldungen entgegen. hof in Friedrichshafen. ein denkmalgeschütztes ehemaliges Handels- oder Zudem bietet sie kostenfreies Info- und Werbe- Kaufmannshaus Ihr Eigen? Oder Sie bemühen sich material zum Tag des offenen Denkmals an. um den Erhalt historischer Bahnhöfe, Bahnstre- cken, Loks oder Waggons. Dann präsentieren Sie Anmeldung Ihrer Aktion: Deutsche Stiftung Denk- dieses Denkmal doch einmal der Öffentlichkeit. malschutz, Koblenzer Str. 75, 53177 Bonn, Bieten Sie anderen Mitmenschen die Möglichkeit, Tel. 0228-95738-0, im Rahmen von Führungen oder eines von Ihnen www.tag-des-offenen-denkmals.de bestimmten Rahmenprogramms zu „erleben“, Bestellung der Broschüre: Regierungspräsidium was Sie an Ihrem Denkmal begeistert. Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege, Fachbe- In Deutschland wird der Tag des offenen Denkmals reich Öffentlichkeitsarbeit, Berliner Str. 12, 73728 seit 1993 gefeiert. Vergangenes Jahr nahmen bun - Esslingen, Fax. 0711/90445-249, Email: Denk- desweit über 2400 Kommunen teil, in Baden-Würt- [email protected] (freigeschaltet ab Juli)

Ausstellung res, in vollem Ornat mit kostbarem Brustkreuz und Rosenkranz beigesetzt. Seiner guten gesellschaft- Fund aus dem bronze - lichen Stellung verdankt der Kirchenmann ein aus- zeitlichen Kriegergrab Gräber, Gold und Grüfte. gesprochen schlechtes Gebiss: Wahrscheinlich hat in Güttingen, Landkreis Schaufenster Archäologie im Landkreis er zu viele Süßigkeiten gegessen. Konstanz. Konstanz:

25.6. bis 14.11.2010 Archäologisches Landesmuseum Baden-Württem- berg Konstanz

Außergewöhnliche Bestattungen bilden den Schwerpunkt dieser kleinen Ausstellung: In Güttin - gen, nahe bei Radolfzell, wurden einige reiche Gräber der mittleren Bronzezeit (um 1500 v.Chr.) entdeckt. Mit exklusiven Beigaben aus Gold, Bron- ze und Bernstein legen sie erneut Zeugnis von dem damals vorhandenen Wohlstand und der reichen Kulturlandschaft des Hegau ab. Über 3000 Jahre jünger sind Gräber, die in der Kon - stanzer Jesuitenkirche freigelegt wurden. Von be- sonderem Interesse ist das Grab des Weihbischofs Johann Jacob Mirgel (1559–1629). Er wurde in hervorgehobener Position vor den Stufen des Cho-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 125 Neuerscheinungen

Die Grabung Neue Straße 2001–2004 in Ulm. Katalog der Grabungsbefunde zur Besiedlung, Bebauung und Infrastruktur

Marianne Dumitrache, Gabriele Kurz, Gabriele Legant, Doris Schmid Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg, Bd. 29 Esslingen 2009, 556 S., 517 meist farb. Abb., 17 Beilagen, 1 CD ISBN 978-3-8062-2290-6, 134 Euro Bezug über Theiss Verlag

Frühe Pfalzen – Frühe Städte. Neue Forschungen zu zentralen Orten des Früh- und Hochmittelalters in Süd- deutschland und der Nordschweiz. Ergebnisse eines Kolloquiums am 28. und 29. April 2009 im Rathaus zu Ulm

Uwe Gross, Aline Kottmann, Jonathan Scheschke witz 2007 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Archäologische Informationen aus Baden-Würt- (DFG) bewilligtes Forschungsprojekt zur Stadt- temberg, Bd. 58 werdung Ulms ein. Vom Projektfortschritt zeugt Esslingen 2009, 179 S., zahlr. farb. Abb. die ebenfalls neu erschienene Publikation eines im ISBN 978-3-927714-97-7, 7 Euro April 2009 im Ulmer Rathaus veranstalteten Kol- Bezug über Theiss Verlag loquiums zum Thema „Frühe Pfalzen – frühe Städte“ in der Reihe „Archäologische Informatio- In den Jahren 2001 bis 2004 führte das heutige nen aus Baden-Württemberg“. Landesamt für Denkmalpflege die stadtarchäolo- gische Rettungsgrabung in der Neuen Straße in Ulm durch. Mit der Vorlage des Grabungskatalogs Kloster, Dorf und Vorstadt Petershausen. in der Reihe „Forschungen und Berichte der Ar- Archäologische, historische und anthro- chäologie des Mittelalters in Baden-Württem- pologische Untersuchungen berg“ ist nun ein wichtiger Schritt getan, um die Grundlage zum Verständnis zur Stadtwerdung Ralph Röber und Entwicklung Ulms im Hoch- und Spätmittel- Forschungen und Berichte der Archäologie des alter zu schaffen. Mittelalters in Baden-Württemberg, Bd. 30 Die Bedeutung der Großgrabung Ulm – Neue Stra- Esslingen 2009, 276 S., zahlr. teils farb. Abb. ße liegt in der beachtlichen Größe der 10000 m² ISBN 978-3-8062-2337-8, 54 Euro messenden Ausgrabungsfläche und noch mehr in Bezug über Theiss Verlag der Länge des circa 600 m reichenden Grabungs- schnittes. Dieser Querschnitt durch die gesamte In einem interdisziplinären Forschungsprojekt wer- staufische Stadt erlaubt einen aufschlussreichen den Quellen zur historischen Entwicklung von Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Kloster und Siedlung und zum ehemaligen Bau- mittelalterlichen Stadt Ulm. Die im Anschluss an bestand ausgewertet. Ein zweiter Schwerpunkt die Ausgrabung begonnene Aufbereitung der befasst sich mit der sozialen Stellung sowie Krank- Grabungsdokumentation konnte nun mit der Vor- heiten und Todesumständen der Bevölkerung. Die lage des Befundkataloges abgeschlossen werden. archäologische Basis bilden mehrere Grabungen Im Mittelpunkt der Auswertung steht die Frage von 1991 bis 2008. Archivalien, zeitgenössische nach der Stadtwerdung und Entwicklung Ulms im Ansichten und archäologische Quellen helfen, ein Hoch- und Spätmittelalter. Ergebnisse und Beob- anschauliches Bild von Kloster und Ort Petershau- achtungen fließen unmittelbar in ein im Oktober sen und seinen Bewohnern zu entwerfen.

126 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 Kulturdenkmale und Kulturlandschaften Von circa 17000 Kulturdenkmalen in der Region in der Region Stuttgart rund um die Landeshauptstadt fanden knapp 1100 regional bedeutsame Kulturdenkmale Auf- Hg. v. Verband Region Stuttgart in Zusammenarbeit nahme in die Broschüre und in die beiliegende mit dem Landesamt für Denkmalpflege, Stuttgart Karte der Region Stuttgart. Die reichlich bebilderte 2009 Veröffentlichung hat sich zum Ziel gesetzt zu hel- 133 S. mit zahlr. farb. Abb., 1 Faltkarte fen, das kulturelle Erbe im Rahmen der Regional- Bezug über: Verband Region Stuttgart, Kronen- planung zu sichern. Sie richtet sich sowohl an die straße 25, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/22759-0, Fachöffentlichkeit wie Stadt- und Raumplaner als www.region-stuttgart.org; Preis: 10 Euro auch an den kulturinteressierten Laien.

Um das kulturelle Erbe der Region Stuttgart schüt- zen zu können, muss man es kennen. Mit der Pu- Zwischen Himmel und Erde – blikation „Kulturdenkmale und Kulturlandschaf- Klöster und Pfleghöfe in Esslingen ten in der Region Stuttgart“ verfügen die Denk- malpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und Hg. v. Kirsten Fast und Joachim J. Halbekann der Verband Region Stuttgart über eine umfas- Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung sende, aktuelle Bestandsaufnahme und Beschrei- der Städtischen Museen und des Stadtarchivs Ess- bung dieses historischen Vermächtnisses. Die lingen u.a. in Kooperation mit dem Landesamt für Erstauflage des deutschlandweit wegweisenden Denkmalpflege, Petersberg 2009 Projekts zur Einbindung denkmalpflegerischer 376 S., 175 meist farb. Abb., Belange in die Regionalplanung von 1992 wurde ISBN 978-3-86568-483-7 grundlegend und umfassend überarbeitet. Die ak- tu elle Fassung nimmt vor allem die Verflechtung Im Buchhandel vergriffen, Bezug über Stadtarchiv der Bau- und Bodendenkmale mit der Landschaft Esslingen a.N., Marktplatz 20, 73728 Esslingen, stärker in den Blick. Prägende Kulturlandschaften Tel. 0711/3512-2530, [email protected], werden in kurzen Steckbriefen charakterisiert. Preis 20 Euro, Versand gegen Rechnung ist möglich. Bei dem Gemeinschaftswerk des Landesamtes für Denkmalpflege und des Verbandes Region Stutt- Mit sieben Niederlassungen von Bettelorden und gart wurde angesichts der Fülle an kulturhisto - zwölf Pfleghöfen geistlicher Einrichtungen war rischen Zeugnissen streng ausgewählt. Erfasst Esslingen am Neckar im Mittelalter eine Stadt mit wurden Denkmale, die im regionalen Maßstab einer ausgesprochen klösterlichen Prägung. Diese flächenhaft wirksam, in hohem Maße landschafts- bedeutende Facette der Geschichte von Stadt und prägend oder archäologisch beziehungsweise gesamtem Innerschwaben verschwand mit der kunsthistorisch von sehr großer Bedeutung sind. Einführung der Reformation 1531 und der Auf-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 127 hebung der Klöster. Mit dem Ausstellungsprojekt, das auch den gesamten Stadtraum der weitge- hend erhaltenen mittelalterlichen Reichsstadt mit einbezieht, wird das bislang noch nicht angemes- sen gewürdigte Phänomen der Stadt-, Regional- und Kirchengeschichte umfassend beleuchtet. Die reich bebilderte Begleitpublikation gliedert sich in einen Aufsatzteil und einen Geschichts- sowie Baugeschichtsteil der Esslinger Klöster und Pfleg- höfe. Renommierte Autoren (Theologen, Kunst- historiker, Historiker) beschreiben sowohl über- greifende Phänomene wie die Geschichte der Ar- mutsbewegung oder die Wirtschaftsethik der Bettelorden als auch spezifische Fragen der Stadt- geschichte.

Richard Strobel: Wasserspeier, Bestand und Bedeutung am Beispiel des Heilig- kreuzmünsters in Schwäbisch Gmünd

Forschungen und Berichte zur Bau- und Kunst- denkmalpflege in Baden-Württemberg, Bd.14 Fotos von Rose Hajdu möglichst genaue zeitliche Einordnung eine ent- Hg. vom Landesamt für Denkmalpflege im Regie- scheidende Rolle. Es waren alle erreichbaren foto- rungspräsidium Stuttgart, grafischen, zeichnerischen und schriftlichen Quel- Stuttgart 2009, 248 S. und 335 Abb. len zu befragen, wie Rechnungen, Protokolle und ISBN 978-3-8062-2341-5, 59 Euro jüngere Literatur. Soweit möglich, sind die Ergeb- Bezug über den Theiss-Verlag nisse für jede Figur im Katalog festgehalten, der Wechsel der Thematik wird im Textteil besprochen. Die vorliegende Arbeit von Richard Strobel über die Das weite Feld der Deutung, der heimlichen, aber Wasserspeier ist als umfangreich erweiterter Nach- eigentlichen Aufgabe neben der praktischen der trag zum Inventar „Die Kunstdenkmäler in Schwä- gezielten Wasserabführung, ist besonders inter- bisch Gmünd“ Band I (u.a. Heiligkreuzmünster), essant. Dass z.B. vermehrt Wasserspeier der Gotik erschienen im Deutschen Kunstverlag 2003, zu an Türmen auftreten, wo der Effekt des gezielten verstehen. Zwei Fragen standen im Mittelpunkt: Wasserfernhaltens minimal ist, oder dass sie bei zum einen die Klärung der Entstehungszeit, ob es den großen Domen und Pfarrkirchen förmlich ei- sich um mittelalterliche oder neuzeitliche Erzeug- nen waagrechten Figurenkranz bilden, gibt zu nisse handelt. Das ist entscheidend für die zweite denken. Offene Mäuler der Tiere und das Anspei- Frage nach der Deutung, der Entschlüsselung ei- motiv mögen beim Schweigen aller schriftlichen ner Botschaft, die den Figuren doch wohl inne- Quellen nur von ihrem anschaulichen Charakter wohnt, will man nicht die mittelalterliche Bauhütte her zu deuten sein. Es ist wohl beim herrschen- in moderner Sichtweise zur Produktionsstätte nur den Dämonenglauben im Mittelalter vor allem spielerischer und unterhaltsamer, moralisierender während Unwettern die Vorstellung von der Ab- oder ironisch verfremdeter, gar aktuell zeitkritisch wehrnotwendigkeit der anstürmenden Dämonen, zu interpretierender Phantasiefiguren umdeuten. die gerade an der gefährdeten Nahtstelle zwischen Die vorliegende Arbeit für Schwäbisch Gmünd be- Mauer und Dach wirksam werden sollte. Hier müht sich um eine Klärung des Bestandes echter scheint die speiende Tierfigur (Drache, Hund, gotischer Wasserspeier und von deren Fragmen- Katze, Widder usw.) das romanisch-abstrakte Ab- ten sowie um die Kennzeichnung der Restaurie- wehrmotiv mit Band- und Sägeschnitt-, Hunde- rungsprodukte des 19./20. Jahrhunderts. Durch biss- und Rundbogenmuster abgelöst zu haben. Verwitterung und oft gelungene Imitation alter Neben den neuen wissenschaftlichen Erkenntnis- Stücke ist es manchmal sehr schwer, Originale von sen soll vor allem die Bildpräsentation aller Objekte den „Kopien“ und Neuerfindungen zu unterschei- mit ihrer phantasievollen Vielfalt bereichern und den. Für die Deutung der Figuren spielt aber die erfreuen.

128 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 allem Georg Dehio, plädierten dagegen für die Buchbesprechung Erhal tung der Reste des Schlosses als Ruine und bezeichneten die Forderung nach einer Rekon- Zwischen Identität und Authentizität. strukti on des Schlosses als „Selbsttäuschung und Zur politischen Geschichte der Denkmal- Fälschung“, als „Kostümfest“ und „in Stein ver- pflege in Deutschland ewig te Lüge“. In der heftigen deutschlandweiten Diskussion setzten sich schließlich die fachlich Michael S. Falser kompetenten und selbstbewussten Denkmalpfle- (Dissertation an der TU Berlin) ger gegen die nationalpathetischen Befürworter Dresden, 2008 einer Rekonstruktion durch. ISBN 987-939888-41-3, 44,80 Euro Näher liegen uns die Jahre 1968 bis 1975. In der Folge der 68er-Bewegung und Willy Brandts For- Die Denkmalpflege in Deutschland hat den An- derung „Mehr Demokratie wagen“ entstanden an spruch, stets objektiv zu sein, unpolitisch und über vielen Orten Bürgerinitiativen, zum Beispiel im den Parteien stehend. Dennoch oder deshalb hat Frankfurter Westend und im Münchener Lehel. sie in den letzten Jahren an Einfluss und Ansehen Angesichts der tiefgreifenden Umgestaltung und verloren: Ihre Rechte und Aufgaben wurden ein- Ökonomisierung der Städte wurde Protest laut geschränkt, ihre Personaletats wurden gekürzt, und Partizipation gefordert. Vom „Unbehagen in ihre institutionelle Eigenständigkeit beschnitten der Modernität“ spricht Falser und erinnert an Ale- oder abgeschafft. xander Mitscherlichs Klage über die „Unwirtlichkeit In dieser Situation ist die Dissertation von Michael unserer Städte“ (1965). Das Europäische Denkmal- S. Falser (geb. 1973) zur politischen Geschichte der schutzjahr hatte dagegen in Deutschland eher af- Denkmalpflege in Deutschland hilfreich, denn sie firmativen rückwärtsgewandten Charakter: „Eine zeigt mit überzeugenden Fallbeispielen, dass die Zukunft für unsere Vergangenheit“. Doch der Denkmalpflege durchaus politisch war und wirkte, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Willibald und dass sie politisch benutzt wurde – bis in die Sauerländer eröffnete die Diskussion eines erwei - heutige Zeit, in der das politische Leitmotiv „Wirt- ter ten Denkmalbegriffs des „sozialbewussten Be- schaft, Wirtschaft über alles“ alle anderen Ge- wah rens“ mit der Forderung „Nur mit bewahrter sichtspunkte, auch die der Denkmalpflege, über- Vergangenheit eine urbane Zukunft“. Die sozial- lagert und das politische Handeln bestimmt. geschichtliche Öffnung der Denkmalpflege ging Falser beschreibt den Beginn der Institution Denk- einher mit Initiativen zur Erhaltung sozialge- malpflege zu Anfang des 19. Jahrhunderts, in ei- schichtlich bedeutender Ensembles. ner Zeit der politischen Niedergeschlagenheit an- Falser schildert anschaulich die Simulation und den gesichts der französischen Besatzung unter Na- Nachbau des Hildesheimer Marktplatzes als Bei- poleon. Auf der Suche nach einer nationalen spiel für die Postmoderne, die mit einer „wertkon - Identität gewann vor allem das bauliche Erbe Be- servativen Geschichts- und Heimatpflege“ einher- deutung. Karl Friedrich Schinkel forderte 1815 in ging, die Jürgen Habermas eine „Mobilisierung seinem „Memorandum zur Denkmalpflege“ eine zustimmungsfähiger Vergangenheiten“ nannte. eigene Behörde. Schinkel wollte eine staatsloyale Fik tion und Wirklichkeit wurden austauschbar. Erziehungsarchitektur und beschränkte sich nicht Diese Entwicklung entsprach der Forderung der auf die begutachtende und administrative Funk- neuen Geschichtspolitik der 1980er Jahre: Iden- tion der Oberbaudeputation, sondern griff mit ei- tität, überschaubare heimatliche Einheiten, alte ge nen Gegenentwürfen in zahlreiche Projekte ein. T ugenden und Mut zur Geschichte. Die institutio- Falser schildert die Bemühungen um die Sanierung nalisierte Denkmalpflege – so Michael Falser – und Rekonstruktion – Vollendung – der Marien- spielte das postmoderne Spiel oftmals mit. burg als gesamtdeutsches vaterländisches Denk- In seinem letzten Fallbeispiel belegt Falser seine mal und die Instrumentalisierung der mythisierten zentrale These, „dass seit 1989 und der Ausbil- Marienburg für die Aktivierung eines rückwärts- dung Berlins als deutsche Hauptstadt in deren gerichteten romantischen Patriotismus und einer Zentrum durch gezielte Stimulierung eines nie be- aggressiven Ostpolitik. standenen (als ‚normal’ beschworenen) Vorzu- Beim Streit um das Heidelberger Schloss 1890 bis standes eine Überschreibung der Erinnerungsspu- 1910, dem zweiten Fallbeispiel Falsers, war die ren der Nachkriegszeit stattfindet, die in gefähr- Denkmalpflege bereits institutionalisiert. Die Be- lichen Widerstreit mit der gesellschaftlich-sozialen für worter der Rekonstruktion des Schlosses ver- Realität in der lange geteilten Stadt steht“. Mit ei- standen das Schloss als vaterländisches Denkmal, ner Fülle von Zitaten werden die Berliner Diskus- als „Wall gegen die Feinde des Vaterlands“ mit dem sionen und die zahlreichen Entwürfe dargestellt: Feindbild Frankreich nach Westen (so wie früher Der Streit um den Abriss des Palasts der Republik die Marienburg nach Osten). Die Fachleute, vor und um den Schloss-Nachbau, der internationale

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 129 wissensfrage und votierte mit der CDU/CSU/FDP- Opposition. So kam es zu einer Mehrheit für die Beschränkung des geplanten Wettbewerbs für das neue Humboldt-Zentrum auf einen Nachbau der Schlossfassaden. Die Rolle des Denkmalschutzes in den von Falser geschilderten Auseinandersetzungen in Berlin ist zwiespältig. Kritische Denkmalpfleger wurden vom Senat zum Schweigen verurteilt, einige Denk- malpfleger schwenkten jedoch auf die populäre Rekonstruktionslinie ein. Am Ende setzte sich die Tendenz durch, bei der baulichen Berliner Gesamt- geschichte die Jahre 1945 bis 1989 auszublenden. Michael Falser hat seine Dissertation breit ange- legt. Bei den Fallbeispielen der Denkmalpflege schildert er nicht nur die jeweilige Diskussion, son- dern den kulturellen und politischen Hintergrund. Das Bildmaterial ist reichhaltig, die Fußnoten sind lesenswert, die Quellenangaben verlässlich. Falser endet mit der Forderung nach einer „selbstkriti- schen, dialogischen Öffentlichkeitsarbeit“ der Denkmalpflege, um ihr „demokratisch zuerkann- städtebauliche Wettbewerb Spreeinsel, der Abriss tes, institutionalisiertes Mandat für die Erhaltung des DDR-Außenministeriums und des „Ahorn- des materiell-kulturellen Erbes … zu behaupten“. blatts“, die nachgebaute Kommandantur, die Der Rezensent gesteht, dass ihm die Dissertation Mythisierung der Bauakademie, das umstrittene gut gefällt, zumal er Falsers Auffassung teilt, dass Planwerk Innenstadt. Der intelligente Entwurf von die kulturpolitische Entwicklung auch die Geschich - Axel Schultes und Charlotte Frank für eine Aneig- te der Denkmalpflege bestimmt. Für die Architek- nung des ehemaligen Schlosses wird allerdings bei ten ist Falsers Buch wertvoll, weil es ihnen deutlich Falser leider nicht erwähnt. macht, dass die Architektur ebenso wie die Denk- Der Bundestag und die Bundesregierung kommen malpflege in die geistigen, sozialen, ökonomischen in diesem Abschnitt nicht vor, obwohl der Bund und politischen Entwicklungen der Gesellschaft durch seine Bautätigkeit eigene bauliche Akzente eingebettet ist, dass ihre Entwicklung nicht natur- für die Hauptstadt Berlin gesetzt hat, die nicht der wüchsig verläuft, dass Architekturformen nicht be- von Falser kritisierten Berliner Tendenz zur „Ver- liebig sind. Denkmalpflege und Architektur sind gan genheitsverweigerung“ und „Geschichtsent- nicht autonom, sondern zeigen den Zustand einer sorgung“ entsprachen. Falser schildert auch nicht Gesellschaft, zeigen ihre Probleme, ihre Werte, zei- den politischen Hintergrund der Schloss-Debatte gen, wer in einer Gesellschaft was zu sagen hat des Bundestags am 2. Juli 2002. Die regierende und wie eine Gesellschaft leben will. Koalitionsmehrheit aus SPD und Bündnisgrünen begriff die kulturpolitische Bedeutung dieser Ent- Peter Conradi, Stuttgart scheidung nicht und überließ die Abstimmung Regierungsbaumeister, Architekt, dem Geschmack der einzelnen Abgeordneten. bis 1972 Leiter des Staatlichen Hochbauamtes Eine Minderheit der SPD-Bundestagsfraktion unter 1972 bis 1998 Mitglied des Bundestags (SPD) Führung des Bundestagspräsidenten Wolfgang 1999 bis 2004 Präsident der Bundesarchitekten- Thierse (SPD) erklärte die Angelegenheit zur Ge- kammer

130 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 rungspräsidium Stuttgart seinen Dienst in der Personalia Innenverwaltung, zunächst als Immissionsschutz- Referent und dann als kommissarischer Leiter der Dipl.-Ing. Tobias Breer Projektgruppe „Thermische Abfallbehandlung“. Regierungspräsidium Tübingen Daran schlossen sich zweieinhalb Jahre beim Land- Referat 26 – Denkmalpflege ratsamt Calw als Justitiar und Leiter der Abteilung 72072 Tübingen Struktur- und Wirtschaftsförderung an. Im Mai Tel. 07071/757-2460 2000 wechselte er ins Innenministerium, wo er bei E-Mail: [email protected] der Einführung neuer Steuerungsinstrumente im Projekt „NSI“ mitwirkte, bevor er in die damalige Seit September 2009 ist Tobias Breer als Gebiets- Stabsstelle für Verwaltungsreform kam. Dort arbei - referent der Bau- und Kunstdenkmalpflege im Re- tete er zunächst als Vergaberechtsreferent und gierungspräsidium Tübingen beschäftigt. Er wurde dann sechs Jahre lang als stellvertretender Projekt - 1975 in Oberhausen/Rheinland geboren und wuchs leiter für das Internetportal www.service-bw.de, dort sowie in Düsseldorf auf. Nach dem Architek- das Verwaltungsdienstleistungen des Landes und turstudium an den Technischen Universitäten Ber- der Kommunen bündelt. Als sich dann im Frühjahr lin und Delft (Niederlande) absolvierte er von 2002 2008 die Gelegenheit bot, ins Landes amt für bis 2004 ein wissenschaftliches Volontariat am Denkmalpflege zu wechseln, hat er diese gerne Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie wahrgenommen, da sich der neue Tätigkeitsbe reich Sachsen-Anhalt in Halle (Saale). Diesem folgte eine mit seinem privaten Interesse an allgemei ner Ge- zweijährige Tätigkeit als Sachbearbeiter bei der schichte, Architektur- und Kunstgeschich te deckt. Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Halle. Es bereitet ihm Freude, wenn er jetzt die Kolle- Von 2006 bis 2009 war Tobias Breer akademischer ginnen und Kollegen in der Landesdenkmalpflege Mitarbeiter der Stiftungsprofessur für Bauwerks- bei ihrer Arbeit von rechtlicher und verwaltungs- erhaltung und Denkmalpflege im Institut für Ar- technischer Seite unterstützen kann. chitekturgeschichte der Universität Stuttgart. Inhaltliche Schwerpunkte seiner Arbeit lagen bis- Helmuth Fiedler lang in der Beschäftigung mit den Folgen demogra - Öffentlichkeitsarbeit fischer und ökonomischer Schrumpfungsprozesse Landesamt für Denkmalpflege für den Denkmalbestand, der Denkmalpflege an im Regierungspräsidium Stuttgart grün derzeitlichen Bauten sowie der Industriearchi - Referat 81 Recht und Verwaltung tektur. Dazu trat Forschungsarbeit zum Thema Tel. 0711/90445-221 Denkmalpflege und architektonische Moderne, E-Mail: [email protected] etwa die Mitwirkung an einem Projekt zu den zer- störten Häusern der Stuttgarter Weißenhof sied - Seit Anfang Februar 2009 ist Helmuth Fiedler im lung und ihren Ersatzbauten. Im Referat Denkmal- Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen im Fach - pflege des Regierungspräsidiums Tübingen ist To- bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig, vor allem im bias Breer für die denkmalfachliche Betreuung des Veranstaltungsmanagement sowie als stellvertre- Landkreises Biberach sowie des südlichen Alb-Do- tender Schriftleiter des Nachrichtenblatts der Lan- nau-Kreises zuständig. desdenkmalpflege. Es war eine abgegriffene Ausgabe des Bestsellers Andreas-Michael Hall „Götter, Gräber und Gelehrte“ von C. W. Ceram, Leiter des Referates 81 „Recht und Verwaltung“ der ihn früh in den Bann der Archäologie zog. Landesamt für Denkmalpflege Studiert hat Helmuth Fiedler Schulmusik an der im Regierungspräsidium Stuttgart Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellen - Tel. 0711/90445–150 de Kunst in Stuttgart sowie Musikwissenschaften E-Mail: [email protected] bei Prof. Dr. Reinhard Gerlach, dessen Tutor er war. Nach dem Ersten Staatsexamen für das Lehramt Nach eineinviertel Jahren kommissarischem Vorsitz an Gymnasien wurde er Assistent des Leiters der wurde Andreas-Michael Hall am 7. Oktober 2009 Bühnen- und Konzertabteilung beim Musikverlag offiziell zum Leiter des Referates 81 „Recht und B. Schott’s Söhne in Mainz. Dort hatte er Kontakt Verwaltung“ im Landesamt für Denkmalpflege be- zu zahlreichen bedeutenden Komponisten wie stellt. Der 1958 geborene Reutlinger wohnt seit 14 Carl Orff, Werner Egk, György Ligeti, Hans Werner Jahren mit Ehefrau und drei Söhnen in Altheng- Henze und Aribert Reimann. 1984 holte er die stett bei Calw. Vor seinem Jurastudium in Tübin- Zweite Staatsprüfung nach und war als Studien- gen studierte er dort fünf Semester Philosophie assessor im gymnasialen Schuldienst tätig. und Zeitgeschichte. Nach dem Referen dariat beim Parallel zu seinen hauptberuflichen Aktivitäten ist Landgericht Tübingen begann er 1992 im Regie- Helmuth Fiedler seit 1976 als Kultur- und Musik-

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 131 berichterstatter vor allem für die „Stuttgarter Nach- wirkte sie im Landesamt für Denkmalpflege Ba- richten“ tätig. Als hätte er geahnt, wohin ihn das den-Württemberg unter anderem an der Erarbei- Arbeitsleben als Mittfünfziger noch führen würde, tung der Denkmaltopografie Esslingen mit. An- verfasste er ab 2002 eine Reihe von Berichten über schlie ßend war sie Volontärin in der Bau- und die Geschichte und Architektur historischer Grand- Kunstdenkmalpflege am Landesamt für Denk- hotels. Hörer des früheren Süddeutschen Rund- malpflege. Während dieser Zeit war sie eine der funks kennen ihn noch als regelmäßigen Mode- Sprecherinnen der Arbeitsgruppe Volontariat beim rator der Hörfunksendung „Schallplattenprisma“. Deutschen Museumsbund und bei der Vereini- Nach hauptberuflichen Jahren in der vorpolitischen gung der Landesdenkmalpfleger. Verbandsarbeit beschäftigte sich Fiedler nach dem Bei der Betreuung des Landkreises Ravensburg Fall des Eisernen Vorhangs verstärkt mit deutscher freut sich Frau Seyfert besonders auf die Zu- Kultur und Geschichte im östlichen Europa. In der sammenarbeit und den fachlichen Austausch mit Bildungsstätte Haus der Heimat in Stuttgart ent- allen Mitwirkenden, um am Ende ein optimales Er- standen eine Reihe von Ausstellungen, Buch- und gebnis für das Kulturdenkmal zu erreichen. CD-Produktionen.

Susann Seyfert Ehrendoktorwürde für Regierungspräsidium Tübingen Dr. h. c. Helmut F.Reichwald Referat 26 – Denkmalpflege Tel. 07071/757-2474 Im Februar 2010 verlieh die Staatliche Akademie E-mail: [email protected] der Bildenden Künste, Stuttgart, Helmut F.Reich- wald auf Beschluss des Senats den Grad eines Dr. Im November 2008 begann Susann Seyfert ihre Ar- phil. honoris causa. Der Geehrte hat 1978 die beit als Gebietsreferentin in der praktischen Bau- Amtswerkstätte für Konservierung und Restaurie- und Kunstdenkmalpflege im Regierungsbezirk Tü- rung am Landesdenkmalamt Baden-Württemberg bingen. Aufgrund personeller Engpässe betreute aufgebaut und das Referat Restaurierung bis Ende sie zunächst die Landkreise Tübingen, Biberach, 2002 geleitet. Mit der Ehrenpromotion werden Ravensburg und den südlichen Alb-Donau-Kreis, das Lebenswerk von Helmut F.Reichwald als Res- inzwischen ließ sich das Betreuungsgebiet auf den taurator, Denkmalpfleger und Kunstwissenschaft- Landkreis Ravensburg einschränken. ler und insbesondere seine Verdienste um die Frau Seyfert studierte Kunstgeschichte und Denk- Anerkennung der Restaurierung von Kunst- und malpflege an der Technischen Universität Berlin so- Kulturgütern als wissenschaftliche Disziplin ge- wie Publizistik und Kommunikationswissenschaf- würdigt. Die Auszeichnung honoriert auch sein En- ten an der Freien Universität Berlin. Während des gagement für den 2003 eingerichteten Studien- Studiums war sie längere Zeit an der University of gang „Konservierung und Restaurierung von Brighton (Sussex, Großbritannien) am Zentrum für Wandmalerei, Architekturoberflächen und Stein- Deutsch-Jüdische Studien sowie an der Berlin- polychromie“, dessen Leitung er bis 2008 inne- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaf- hatte. Die Überreichung der Urkunde fand am ten, Zentrum für mittelalterliche Glasmalereifor- 8. Februar 2010 bei einer Ehrenfeier an der Aka- schung, tätig. Nach Abschluss ihres Studiums 2006 de mie statt.

Abbildungsnachweis Museum (I. Grunert); S94, S98o Otto Braasch; S95 Büro Pirkl-Rie- del-Theurer, Landshut; S96l, S97u Martin Hahn, Ref. 86; S96r, S97o U1 Kurpfälzisches Museum (E. Kemmet); S65 A. Menrad; S67o Fa. Manfred Wolf, Michelfeld; S98u Kartierung Alois Briel, Landratsamt Applus RTD, Borrmann; S67u Karl Fisch LAD; S68o, S69u, S70u, S71 Ostalbkreis, Flurneuordnung und Landentwicklung, Ellwangen; S99o Daniela Straub; S68u Fa. fokus GmbH Leipzig, „metigo ma“; S69o Konrad Maier-Mohns, Neckartailfingen; S99u LAD, Karl Fisch; S100o Münstervbauverein, Freiburg; S70o Augustinermuseum Freiburg; LAD, Plansammlung; S100ul Hans-Jürgen Bleyer, Metzingen, Tilmann S70m Fa. Applus RTD, Borrmann; S73, S75ur, S76u Alexander Er- Marstaller, Rottenburg-Oberndorf; S100ur LAD, Hans-Peter Schiele; ath, Eberhard Grether, Freiburg, Februar 2010; S74o, S75ul Katha- S101–102 LAD, Referat Baudokumentation, Bauforschung. Inpho- rina Herrmann, Freiburg; S74u Schommers, 1996, S. 29; Augsburg, ris GmbH, Unterhaching; S103 LAD, Referat Baudokumentation, Städtische Kunstsammlung, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. G 2203; Bauforschung; S104 Karl-Heinz Alber, Neckartailfingen; S105o LAD, S75o, S76o, S78o Katrin Hubert Kühne, Konstanz; S77 Universi- Andreas Stiene; S105u Albert Lauffer, Neckartailfingen; S106 LAD, tätsbibliothek Freiburg i.Br. / Historische Sammlungen, B2218, Ti- Günter Eckstein; S107o, S110ur SAAI, Karlsruhe; S107u, S111o Fa- tel; S78u Friedrich Kempf: Das Freiburger Münster, Karlsruhe 1926, milie Albiker; S108, S109u, S110o, S110ul Bernd Hausner, LAD; Abb. 86; S79–81 Katrin Hubert Kühne; S82o Foto Marburg, Neg. S109o Ettlingen, Baurechtsamt; S112 Museum Schloss Ettlingen; Nr. M1 (13x18) Foto Mezger; S82ul Foto Marburg, Neg. Nr. U72, S113o, S115o Christine Englhardt, Worms; S113u, S114, S115u, Mezger-Archiv; S82ur LAD Karlsruhe, Neg. Nr. 00527; S83o Stadt- S116u, S117 LAD Bernd Hausner; S116o, S118 RPK, Ref. 26, Clau- archiv Überlingen, Kunstwerkstätte Mezger, ehem. Planschrank dia Baer-Schneider; S119 Leon Krier, Albert Speer, Architecture 1932- Münster; S83u Stadtarchiv Überlingen, Kunstwerkstätte Mezger, 1942, Bruxelles 1985, S.123; S120 Iris Geiger-Messner, LAD; S121 Mappe 157, Blatt 14; S84l, S86 Lorenzer & Heberle; S84r Stadtarchiv RPK, B. Hausner; S122–125o, S126u, S127ur LAD; S125u ALM; Überlingen; S85o LAD Karlsruhe, Neg. Nr. 00414; S85ul Stadtarchiv S126o, S127ul, S128 Theiss Verlag, Stuttgart; S127o Michael Imhof Überlingen, Kunstwerkstätte Mezger, Mappe „versch. Altäre“, Blatt Verlag; S130 Thelem Universitätsverlag; S131–132 LAD. 12; S85ur LAD Karlsruhe, Neg. Nr. 00425; S87o, S90–91o Kurpfäl- zisches Museum (K. Gattner/E. Kemmet); S87u Lossen Fotografie Hei- RP = Regierungspräsidium (S = Stuttgart, K = Karlsruhe, delberg, bearbeitet von R. Ludwig und E. Kemmet; S88–89o, S91u, T = Tübingen, F = Freiburg) S92–93 Kurpfälzisches Museum (E. Kemmet); S89u Kurpfälzisches LAD = Landesamt für Denkmalpflege, Esslingen, im RPS.

132 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2010 M ain 1 Freiburg: Böcklinkreuz und Stapf- Epitaph im Freiburger Münster, Rhein S.67 ff. Tauberbischofsheim Tauber 2 Überlingen: Werkstatt der Gebrü- 3 der Mezger, S.82 ff. N Heidelberg eckar 3 Heidelberg: Jupitergigantensäule, Heidelberg7 S.87 ff. Zuzenhausen Kocher Jags KARLSRUHE Gnadental t 4 Gnadental (Gemeinde Michel- 4 Heilbronn feld): Denkmalpflege und Flur- Schwäbisch Hall neuordnung, S.94 ff. Karlsruhe 6 5 Neckartailfingen: Martinskirche, Ettlingen STUTTGART Pforzheim Aalen S.99 ff. Stuttgart-Münster 8 Baden-Baden Stuttgart Esslingen 6 Ettlingen: Haus von Karl Albiker, S.107 ff. Rhein 5 Neckartailfingen 7 Zuzenhausen: Schloss Seehälde,

Tübingen S.113 ff. Donau Offenburg Ulm 8 Stuttgart-Münster: Säulen des Neckar Steinbruches Lauster, S.119 f.

FREIBURG 9 TÜBINGEN Villingen-Schwenningen: Landes- gartenschaugelände, S.121 f. Villingen-Schwenningen Sigmaringen Biberach 9

1 Tuttlingen Freiburg Donau Freiburg Il ler Überlingen 2 Ravensburg

Bodensee Lörrach Konstanz Rhein

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Die Zeitschrift „Denkmalpflege २˾ in Baden-Württemberg – Ich möchte das Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege vier Mal Nachrichtenblatt der Landes- im Jahr kostenlos an die umseitige Adresse zugestellt bekommen. denkmalpflege“ berichtet und २˾ Meine Anschrift hat sich geändert, bitte nehmen Sie die umseitig informiert seit 50 Jahren über stehende Adresse in Ihre Versandliste auf. Meine alte Adresse war Denkmale und Denkmalpflege die unten angegebene. im Land. In reich bebilderten २˾ Ich bitte Sie, das Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege vier Mal Berichten werden einzelne im Jahr kostenlos an die folgende Adresse zu senden: Kulturdenkmale und aktuelle Projekte vorgestellt. Sie lesen Berichte aus erster Hand, aus dem Bereich der Bau- und Kunstdenkmalpflege, der Ar- Name / Vorname chäologischen Denkmalpflege sowie über die Arbeit der Res - Straße tauratoren und Werkstätten. PLZ / Ort

Datum Unterschrift E 6594 F DENKMALPFLEGE IN BADEN-WÜRTTEMBERG

Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege Berliner Straße 12, 73728 Esslingen am Neckar ISSN 0342-0027

2/2010 39. Jahrgang

Die Dienststellen der Landesdenkmalpflege

Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Freiburg Regierungspräsidium Stuttgart Regierungspräsidium Stuttgart Referat 26 Denkmalpflege Referat 86 Denkmalpflege Referate 81–85 Sternwaldstr. 14 Berliner Straße 12 Berliner Straße 12 79102 Freiburg im Breisgau 73728 Esslingen am Neckar 73728 Esslingen am Neckar Postanschrift: Postanschrift: Postanschrift: 79083 Freiburg im Breisgau Postfach 200152 Postfach 200152 Telefon 07 61 / 2 08 - 35 00 73712 Stuttgart 73712 Esslingen am Neckar Telefax 07 61 / 2 08 - 35 44 Telefon 0711 / 9 04 45 - 109 Telefon 0711 / 9 04 45 - 109 Telefax 07 11 / 9 04 45 - 444 Telefax 0711 / 9 04 45 - 444 Regierungspräsidium Karlsruhe Regierungspräsidium Tübingen Arbeitsstelle Hemmenhofen Referat 26 Denkmalpflege Referat 26 Denkmalpflege Fischersteig 9 Moltkestraße 74 Alexanderstraße 48 78343 Gaienhofen-Hemmenhofen 76133 Karlsruhe 72072 Tübingen Telefon 0 77 35 / 9 37 77- 0 Postanschrift: Postanschrift: Telefax 0 77 35 / 9 37 77- 110 76247 Karlsruhe Postfach 2666 Telefon 07 21 / 9 26 - 48 01 72016 Tübingen Arbeitsstelle Konstanz Telefax 07 21 / 9 33 - 40 225 Telefon 0 70 71 / 757 - 0 Stromeyersdorfstraße 3 Telefax 0 70 71 / 757 - 21 31 78467 Konstanz Telefon 0 75 31 / 9 96 99 - 30 Telefax 0 75 31 / 9 96 99 - 55 Besuchen Sie auch unsere Homepage: www.denkmalpflege-bw.de

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PLZ / Ort Adressänderungen können Sie uns An das ebenfalls mit dieser Karte oder auch direkt von Montag bis Don- Regierungspräsidium Stuttgart nerstag an Frau Glass-Werner Landesamt für Denkmalpflege durchgeben. Öffentlichkeitsarbeit Telefon 0711-90445-203 oder Postfach 200152 Email: [email protected] Datum Unterschrift 73712 Esslingen am Neckar Änderungen sind zudem auf unserer Homepage möglich: www.denkmalpflege-bw.de