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Die Sowjetische Atombombe

Verlag Westrälisches Dampfboot Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Heinemann-Grüder, Andreas: Die sowjetische Atombombe / Andreas Heinemann-Grüder. - Münster: Ver!. Westfälisches Dampfboot, 1992

ISBN 3-924550-65-4

1. Auflage Münster 1992 © Verlag Westfälisches Dampfboot - 4400 Münster Alle Rechte vorbehalten Umschlag: Egbert Lütke-Fahle Druck: Druckwerkstatt Hafen GmbH, Münster ISBN 3-924550-65-4 Andreas Heinemann-Grüder - Die Sowjetische Atombombe

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'- •••~"~•••.~!!!!-•.. ~ ..•••~.•••..•••...!!!!I•. !!!!!!!!! Zum Autor: Andreas Heinemann-Grüder, geb. 1957, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der FU-, Organisation historisch-politischer Ausstellungen, Gymnasiallehrer, DAAD-Stipendiat in Moskau 1987/88,1989 Dissertation zu "Die sowjetische Politik im arabisch-israelischen Konflikt" (Hamburg 1990), 1989190 Bearbeitung des DAAD-Projektes "Die Migration deutscher Naturwissenschaftler und Techniker in die Sowjetunion nach 1945", Mitarbeiter des Berghof-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung. Veröf- fentlichungen zur Technik- und Rüstungsgeschichte während des NS und in der Sowjetunion sowie zur sowjetischen Außenpolitik. INHALT

1. Einleitung 7 11. Sowjetische Kernphysik in den dreißiger Jahren 12 III. Wegscheide nach der Kernspaltung 22 IV. Die Entscheidung zum Bombenbau 34 V. Deutsche Wissenschaftler im Atomprojekt 59 VI. Die entscheidende Wende 74 VII. Know how aus dem Ausland 79 VIII. Der Fall Kapiza 89 IX. Grundlegende Probleme 94 X. Verdienste der Deutschen bei de~ Uranproduktion und der Isotopentrennung 100 XI. Zum Arbeits- und Lebensalltag der deutschen "Spezialisten" 125 XII. Brutaler Erfolgsdruck. Die letzte Etappe 129 XIII. Fazit 136 XIV. Zeittafel 142 XV. Glossar 151 XVI. Kurzbiographien 154 XVII. Literaturliste 161

"Undplötzlich, verursacht durch die phantastische Un- gewöhnlichkeit des ganzen Geschehens, durch die nie dagewesene Anspannung der letzten Stunden und durch die zermürbende Erwartung des bevorstehenden furchtbaren Ereignisses, stellte sich ein befremdlicher, hartnäckiger Gedanke ein, ähnlich dem, der unfreiwillig in einem Menschen aufkommt, der hoch in den Bergen am Rande des Abgrunds steht: "Was, wenn ich dort bliebe, auf dem Turm, oder in dem Gebäude ne- benan 7" Dann würde ich Mikrosekunden früher, als die SchmeTZSignaleder Verbrennung bis zu den Gehirn- nerven gelangen würden, in Atome zerstäuben ... Un- gestörter Übergangins Nichts ... Kreislauf der Materie im Universum! Doch dort zu verbleiben war nieman- dem erlaubt". Selbstmordphantasie 19or N. Golovins vor dem Sprengturm in Erwartung der ersten sowjeti- schen Atombombenexplosion.l

I. Einleitung

29.August 1949: Die erste sowjetische Atombombe wird in der ka- sachischen Steppe gezündet, gut vier Jahre nach der amerikanischen Explosion in Alamogordo. Die USA verfügten nicht mehr allein über die Atombombe. Ungezählte Abhandlungen sind über den atomaren Super- maclitstatus, über Abschreckungspolitik und die scheinbar eiserne Logik des atomaren Terrorfriedens, schließlich auch über verpaßte Chancen geschrieben worden. Heute, nach dem Ende des Kalten Krieges und während der Auflösung des durch die Atombombe zur Weltmacht ge- wordenen Sowjetreiches, ist man versucht, naive Fragen zu stellen. Wozu bedurfte es dieser gigantischen Anstrengungen, Leiden und Verkrüppe- lungen humanen Umgangs im Lichte des jetzt sich vollziehenden Systemzerfalls? Die Ex-Post-Perspektive will begreiflicherweise einen tieferen geschichtlichen Sinn - er soll hier nicht gestiftet werden. Die "naive",weil unhistorische Frage hilft jedoch, den zeitgenössischen Denk-

I.N. Golovin, Kulminazija, Moskva 1989, 16f. In der zitierten Sekundärliteratur anders verwandte Transkriptionsweisen wurden selbstverständlich beibehalten.

7 und Handlungsmustern und ihren heroisierenden Verbrämungen oder allein moralisierenden Verdammungen der handelnden Personen nüch- tern entgegenzutreten. Bis heute sind wir damit beschäftigt, die den Erbauern der Bombe nicht oder nur zum Teil bewußten Folgen ihres Tuns zu ermessen. Der Blick zurück will die Ursprünge dessen verdeutli- chen helfen, was wir nun allein mit noch größeren Anstrengungen wieder loswerden können. Das durch den 2. Weltkrieg weitgehend zerstörte sowjetische Wirt- schaftspotential, ohnehin im Vergleich zu den USA zurückgeblieben, diente in den ersten schmerzlichen Nachkriegsjahren nicht primär dem Wiederaufbau, sondern der Herstellung des atomaren Patts. Neben dem amerikanischen Manhattan~Projekt stellte der sowjetische Bau der Atombombe· das bis dahin umfangreichste industrielle Wissen- schaftsunternehmen der Geschichte dar. Nie zuvor waren für ein Vor- haben so viele Menschen, Gelder und Ressourcen mobilisiert worden. Der Umfang dieser Arbeiten kann nur angedeutet werden. Die zugänglichen Quellen zum Entscheidungsprozeß im inneren Füh- rungszirkel Stalins sind nach wie vor mager. Die politischen Aus- einandersetzungen um den Bau der sowjetischen Atombombe stehen in der folgenden Untersuchung nicht im Vordergrund. Mein Erkenntnisinteresse liegt woanders: Das sich verändernde Verhältnis von Selbststeuerung durch die Wissenschaftler auf der einen zu den politi- schen Rahmenbedingungen auf der anderen Seite wird gewissermaßen aus der Binnenperspektive betrachtet. Deutlich wird bei solch einem Vorgehen, in welchem Maße und in welchen Etappen am Bombenpro- jekt beteiligte Wissenschaftler autonom handelten. Die Binnengeschichte des Bombenbaus kann nur eine Teilantwort auf die Frage nach den Voraussetzungen für den Eintritt in das Atombombenzeitalter geben, weil der internationale machtpolitische Kontext breiter, als dies hier ge- tan werden kann, zu berücksichtigen wäre. Die Beschäftigung mit der Geschichte der sowjetischen Atombombe wirft eine Reihe von Fragen auf, die bislang nicht gleichermaßen er- schöpfend Antwort fmden. Wie kam es zur Entscheidung für eine so- wjetische Atombombe? Was waren die Erfolgsbedingungen für ihren Bau? Auf welchem Stand befanden sich die sowjetische Kernphysik sowie die Reaktor- und Urantechnologie zu Beginn des Bombenpro- jektes und welche Schwierigkeiten galt es zu überwinden? Was waren die entscheidenden Etapppen beim Bau der Bombe? Welche organi- satorisch-administrativen Voraussetzungen gewährleisteten die Bereit- .

8 stellung der Ressourcen, die Mobilisierung von über 100 000 Menschen und die Koordination der Arbeiten?2 Welche Wahrnehmungsraster be~ ,wirkten bei welchen· Akteuren die Befürwortung eines Atömbombe~- baus? Wie autonom bzw. in welcher Abhängigkeit von ausländischen Informationen entwickelten sich die wissenschaftlichen und technologi- schen Untersuchungen? Welche Rolle spielten die Kenntnisse über die amerikanische Wege zur Uran- und Plutoniumbombe? .Wie kam es zur Mitarbeit von deutschen Kernphysikern und Physiko-Chemikern am so- wjetischen Bombenprojekt und welche Bedeutung hatte dies für den Er- folg des Projektes? Und schließlich: Welche Motive beherrschten die am Bombenbau beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeiter? Die Geschichte der ersten sowjetischen Atombombe lebt von Mythen - der Legende vom "Roten Atomzar" Petr L. Kapiza3,der ge- heimnisumwitterten Atomspionage, der These von "Verrat rind'Kopie"4 und der absoluten Negierung oder vollkommenen Übersteigerung des Beitrages der deutschen "Spezialisten". Das sowjetische Atomprojekt harrt seiner Darstellung, trotz einiger verdienstvoller Vorstudien.5

2 Eine exakte Angabe aller am Atomprojekt Beteiligten wird wohl nie geliefert werden können. Die genannte, recht ungenaue Zahl ist mir vo'p'sowjetischen Projektteilneh- mern genannt worden. Drirch die umfassende Einbeziehung von Strafgefangenen in den Bau von gänzlich neuen Laboratorien, Instituten, Fabriken, Uranminen lind Testgeländen dürfte die Zahl jedenfalls höher als für das Manhattan-Projekt sein. 3 AM. Biew, Kapitza. Der Atom-Zar, München 1954; Alan Moorehead, Verratenes Atomgeheimnis. Nunn May, Klaus Fuchs, Pontecorvo, Braunschweig 1953; neuere Dar- stellungen zu Klaus Fuchs sind Robert Chadwell Williams, Klaus Fuchs. Atom Spy, Cambridge/Massachusetts lind Landon 1987; Norman Moss,Tbe Man Who Stole the Atom Bomb, New York und Landon, 1988 sowie Anthony Glees, Tbe Secretsof the Service. A Story of Soviet Subversion of Western Intelligence, New York 1987 4 So Werner Keller, Ost minus West = Null. Der Aufbau Rlißlands durch den Westen, München und Zürich 1960, 341 5 Vgl. V.V. Igonin, Atom v SSSR Razvitie sovetskoj jadernoj flZiki;Saratov 1975, irisbes. 8-64; vgl. auch den Beitrag von Ulrich Albrecht "Die sowjetische Bombe" in der von ihm und Randolph Nikutta verfaßten Monographie, Die sowjetische Rüstungsindu- strie, Opladen 1989, 98-121 sowie David Holloway, Entering the Nuclear Arms Race: Tbe Soviet Decision to Build the Atomic Bomb, 1933-45, in: Social Studies of Science 11/1981,159-197; Hans-Günter Brauch, Der historische Bezug: Die AtombOlnbenpro- gramme der USA, der UdSSR und des Deutschen Reiches, in: ders. (Hrsg.), Kernwaffen und Rüstungskontrolle. Ein interdisziplinäres Studienbuch, Opladen 1984,

9 In jüngster Zeit sind durch die sowjetische Publizistik und durch Äuße- rungen von sowjetischen und deutschen Mitarbeitern am Bombenprojekt neue Einblicke ermöglicht worden.6 Die Geschichte dieses für die So- wjetunion und in ihren Folgen auch für die Weltpolitik epochalen Pro- jektes läßt sich nunmehr in Grundzügen erkennen, auch wenn noch zahlreiche Fragen, insbesondere zur letztlichen Fertigstellung der Bombe und ihrer Zündung, unbeantwortet bleiben und der Kenntnisstand über das sowjetische Projekt im Vergleich zum Manhattan-Projekt damit nach wie vor dürftig ist. Die folgende Studie basiert maßgeblich auf schriftlichen und mündli- chen Erinnerungen von Projektbeteiligten - ein Umstand, der einen Hi- storiker nicht zufriedenstellen kann. Die Erinnerungen der Projektbetei- ligten werden nicht allein durch den zeitlichen Abstand zu einer nur un- gefähren Wiederannäherung. Sie geben immer nur Ausschnitte einer komplexen Wirklichkeit wieder und sie sind gefiltert durch subjektive Wahrnehmungen und Wunschvorstellungen über die Sicht des Vergan- genen. Die nachträgliche Verarbeitung des Erlebten durchdringt jede historische Erinnerung. Auch im Nachhinein sehen die am Atomprojekt Beteiligten den Bau der Bombe als eine der größten Errungenschaften der sowjetischen Wissenschaft an, der nun nach über vierzig Jahren eine historiographische und' öffentliche Würdigung gebühre. Zahlreiche Versuche, an sowjetische Archivunterlagen heranzukommen, wurden bis- lang abscWägig beschieden oder. blieben gänzlich unbeantwortet.7 Die

83-111, insbes. 96ff.; vgl. auch die älteren Arbeiten von George A. Modelski, Atomic Energy in the Communist Bloc, Melboume 1959 und Amold Kramish, Atomic Energy in the , Stanford/Califomia 1959 6 Gespräche konnten mit den sowjetischen Akademiemitgliedem A1eksandr Petrovich Aleksandrov, Georgij Nikolaevich Flerov, den Professoren , Fritz Bemhard, Zinaida Vasilevna Erschova, Igor Nikolaevich Golovin, Sergej Kapiza; An- drej Michailovich Rozen, Gustav Richter, A.A.Sazykin, Wemer Schütze, Nikolai Michailovich Sinjov, Klaus Thiessen sowie mit Dr. Gerhard Krüger, Dr. Heinz Wade- witz und Dipl.lng. Siegling geführt werden. Wertvolle Hinweise auf Professor Timo- feev-Ressovski verdanke ich einem Gespräch mit seiner früheren Assistentin, Frau Natascha Kromm. Mit Professor wurde ein ausführlicher Briefwechsel geführt. Allen Genannten bin ~ch dankbar für die Zeit und Mühe, die sie für die Beantwortung meiner Fragen aufbrachten. 7 Angeschrieben wurden das Archiv des sowjetischen Außenministeriums, in dem sich ein Großteil der NKWD-Akten befinden soll, das Ministerium für Atomenergie, das

10 durchaus widersprüchlichen, z.T. auch irreführenden Einlassungen der sowjetischen und deutschen Projektbeteiligten ließen sich so nur durch Quervergleiche, durch eine Kontextanalyse sowie Plausibilitäts- erwägungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen. Die Erinnerungen gilt es, von ihrer späteren redaktionellen Bearbeitung zu reinigen. Gegenüber in jüngster Zeit von Mitarbeitern des KGB wiederholt veröffentlichten Materialien ist ebenfalls Vorsicht geboten - Originalquellen mischen sich mit Kolportagen und vermeintlichen Sensationsmeldungen zu einem oft schwer entwirrbaren Konglomerat. Durch unabhängige Quellen be- stätigte Informationen konnten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als zutreffend angenommen werden. Sich widersprechende Angaben wurden hingegen als solche gekennzeichnet. Es bleiben gleichwohl "weiße Flek- ken" und Unsicherheiten.

Komitee für Atomenergie, das Zentrale Staatliche Archiv der Oktoberrevolution und das Archiv des Ministeriums für Schwermaschinenbau.

11: 11.Sowjetische Kernphysik in den dreißiger Jahren

Im Vergleich zu den Laboratorien in Paris (Marie Curie), Cambridge (Ernest Rutherford), Kopenhagen (Niels Bohr), Rom (Enrico Fermi) und in Deutschland (, , , Walter Bothe) wurden in der Sowjetunion systematische Studien zur Kernphysik recht spät aufgenommen. Kernforschungen blieben verein- zelt. "An der Erarbeitung der Grundlagen der Atom- und Quantenphysik im ersten Drittel unseres Jahrhunderts waren sowjetische Physiker kaum beteiligt", urteilt der Physikhistoriker Horst Kant.8 Aber es gab durchaus bedeutsame Ausnahmen. D.V. Skobelzyn, ein Schüler von Marie Curie, widmete sich seit 1924 atomphysikalischen Forschungen. G.Gamov, den Ioffe 1928/29 und 1930/31 zu Bohr nach Kopenhagen geschickt hatte, befaßte sich mit theoretischen Fragen des Alpha-Zerfalls. Eine international respektierte Errungenschaft sowjetischer Physik stellte das Protonen-Neutronen-Modell des Atomkerns von D.IvaneOko (1932) dar. Bezeichnend für diese frühen sowjetischen Kernforschungen ist, daß sie entweder an ausländischen Instituten bei Gastaufenthalten oder in engem Kontakt mit führenden nichtsowjetischen Wissenschaftlern zustande kamen. Der wissenschaftliche Erfahrungsaustausch mit dem Ausland wurde bis Anfang der dreißiger Jahre ausdrücklich gefördert. Von einem politisch motivierten Isolationismus, geschweige denn ideologischen Abgrenzungen konnte in dieser Frühphase nicht die Rede sein. Was in der Sowjetunion fehlte, war die materiell-technische Basis. Mit dem Beginn des Industrialisierungsprogramms wirkte auf die Wissenschaftspolitik eine rigide Praxisorientierung ein. Die sowjetische Naturwissenschaft sollte unter der Losung "Die Wissenschaft für die Massen - für die-werktätige Menschheit" unmittelbar auf die Bedürfnisse der Industrialisierung orientiert sein. Die Kernphysik versprach dagegen noch keine direkt nutzbaren Ergebnisse. Doch unbeschadet dessen richtete eines der ersten sowjetischen Großforschungsinstitute, das Leningrader Physikalisch-Technische Institut mit seinen 800 Mitarbeitern unter der Leitung von Abram Fedorovich loffe, im Dezember 1932 ein kleines wöchentliches Seminar ein, das sich mit Studien zum Atomkern befassen sollte. Die sowjetische Kernforschung konzentrierte sich Anfang der dreißiger Jahre in Leningrad. Hier war die Akademie der Wissen-

8 Horst Kant, Abram F. Ioffe. Biographien hervOrragender Naturwissenschaftler, Tech- niker und Mediziner, Bd. 96, Leipzig 1989,76

12 I · --dIPhateilchen 6!o' . ~ Alphastrahlen Aussenden von Alphateilchen (Helium kernen) (2 Protonen, 2 Neutronen)

Ein Neutron wandelt sich in Betastrahlen ein Proton und Aussenden von Betateilchen ein Elektron um (negative Elektronen)

Gammastrahlen Aussenden von elektromagnetischen Wellen

Strahlenarten

13 schaften angesiedelt. Und hier wirkten noch zahlreiche Physiker und Chemiker aus der vorrevolutionären Zeit, die sich daran machten, eine ganz neue Generation sowjetischer Naturwissenschaftler heranzuziehen. Nach den epochemachenden Entdeckungen des Jahres 1932 - der Neutronen, der Positronen, des Deuterons und der Spaltbarkeit eines Lithiumkerns durch Protonenstrahl - wandte sich eine kleine Gruppe so- wjetischer Physiker unter Leitung von loffe und dem damals 29-jährigen Igor V.Kurchatov der Atomforschung zu. Kurchatov kam als Novize zur Kernphysik, bisher hatte er sich dem Verhalten von Dielektrika in star- ken elektrischen Feldern gewidmet.9 ' Zu der Gruppe um Kurchatov gehörten M.A. Eremeev, der ein kleines Zyklotron bauen sollte, G.I.Schchepkin, mit dem Kurchatov einen 200- KiloVolt-Protonen-Beschleuniger baute, A.U. Russinov, der die Isomerie , der Kernkräfte studierte, sowie Kurchatovs Mitarbeiter A.P.Grinberg und I.S.Panasjuk. Kurchatov selbst widmete sich vornehmlich dem Studium von Neutro- nenflüssen. Die aus einem Polonium-Beryllium-Gemisch stammenden Neutronenquellen stellte das Leningrader Radium-Forschungsinstitut be- reit, mit dem loffe als Chef des Physikalisch-Technischen Instituts (Phystech) enge Kooperation vereinbart hatte. Unabhängig von Kurcha- tov befaßten sich derweil L.V. Mysovski und D.V. SkobeIzyn mit dem Studium kosmischer Strahlen.lo Vorerst fehlte es im Leningrader Phystech an elementaren Vorausset- zungen für kernphysikalische Forschungen. Es gab keine Strahlungs- quellen, keine Teilchenbeschleuniger, keine natürlich radioaktiven Iso- tope. Zwar hatte loffe immer wieder auf die Bedeutung der Grundla- genforschung verwiesen, doch noch 1934 mußten er und der Physiker Nasledov eingestehen, daß "das wahrscheinlich zurückgebliebenste Teilgebiet in der sowjetischen Physik die Frage nach dem Aufbau des Atomkerns (ist)")1 In Ermangelung entsprechender Laboreinrichtungen und Ressourcen, aber auch aufgrund der Zersplitterung der Atomforschungen arbeiteten die Physiker vom Leningrader Phystech mit dem Radium-Institut und

9 I.N.GoIowin, I.W.Kurtschatow. Wegbereiter der sowjetischen Atomforschung, Leipzig, , Berlin 1976, 31 10 Vospominanija ob Igore VasiIeviche Kurchatove, otvetstvennyj redaktor A.P.A1eksandrov, Moskva 1988,485 11 Zitiert nach Kant, a.a.O., 76

14 dem Pädagogischen. Institut in Leningrad sowie dem Charkover Physika- lisch-Technischen Institut eng zusammen. Wichtige Impuise erfuhr die sowjetische Atomforschung von der im September 1933 stattfindenden ersten Konferenz zum Atomkern am Le- ningrader Phystech, auf der u.a. auch der Fachmann auf dem Gebiet der Relativitäts- und Quantentheorie und ehemalige Assistent von Werner Heisenberg, Guido Beck, referierte.l2 Die Akademie der Wissenschaften berief kurz darauf eine Kommission für den Atomkern ein, um die bisher vernachlässigten Kernforschungen zu fördern und zu koordinieren. Im Leningrader Phystech entstanden nun das Laboratorium für Kernreaktio- nen unter Kurchatov, das Laboratorium für künstliche Radioaktivität und kosmische Strahlung unter Skobelzyn und das Laboratorium für Positro- nen unter Alichanov.l3 Aus diesen Labors sollten später die führenden sowjetischen Kernphysiker hervorgehen. Den Legendenbildungen zum Trotz scharten sich jedoch in den dreißiger Jahren- keineswegs alle in Leningrad ansässigen Experten um den künftigen Leiter des Bombenprojektes . A.I. Alicbanov, LA. Arzimovich, A.P. Aleksandrov, D. Ivanenko, I.K Kikoin, D.V. Skobeizyn, KD. Zinelnikov - keiner von diesen bekannteren Kernphysikern gehörte zum Kreis um Kurchatov. Neben den Laboratorien des Phystech wurden ebenfalls in Leningrad Kernforschungen im Radium-Institut unter dem berühmten Mineralogen V.I.Vernadskij sowie im Institut für Physikalische Chemie unter dem späteren Nobelpreisträger N.N.Zemenov durchgeführt. In Moskau kon- kurrierte das von S.I.Vavilov geleitete Lebedev-Institut für Physik mit dem Leningrader Phystech: Am Lebedev-Institut war gerade der (später mit dem Nobelpreis ausgezeichnete) Cherenkov-Effekt entdeckt wor- den'14 Ein Argument mebrfür den ambitionierten Moskauer Direktor Vavilov, die Kernforschungen in seinem Institut mit so international be- kannten Physikern wie Cherenkov, Frank, Tamm und dem aus Leningrad abgeworbenen Skobelzyn zu konzentrieren.

12 Guido Beck war 1932 von Leipzig zur deutschen Universität in prag gewechselt und dann 1934135 an die Universität in KansastUSA gegangen. 1935 emigrierte er in die So- wjetunion, um in Odessa zu forschen. 1938 emigriertli er weiter nach Lyon, um am dortigen Institut de Physique Atomique zu arbeiten. Schließlich fand er ab 1943 eine Anstellung als Astrophysiker am Observatorium in Cordoba/Argentinien. 13 Vgl. auch zum folgenden Holloway, a.a.O., 163f. 14 VgI.Bernhard Bröcker, dtv-Atlas zur Kernphysik, München 1976, 129 lS Zugleich arbeitete noch eine Gruppe renommierter Physiker am Char- kover Phystech zum Atomkern, darunter AI.Lejpunski, L.D.Landau, AK. Walter, K.D.Zinelnikov und später die deutschen Emigranten Fritz Houtermans, Fritz Lange wid Alexander Weissberg.15 Das ab 1936 im Leningrader Phystech stattfindende "Neutronensemi- nar", an dem neben Schtschepkin, Eremeev, Vibe, Jusefovich, Panasjuk und Flerov auch Meschcherjakov, Gurevich, Churgin, Migdal und Petr- zak vom Radium-Institut teilnahmen, entwickelte sich ungeachtet aller Rivalitäten zum geistigen Kommunikationszentrum. Es wurde zur theoretischen Schule der sowjetischen Kernphysik. Alle Teilnehmer des Seminars beschreiben die Atmosphäre als lebhaft, ohne akademische Steifheit, sprühend vor Ideen und immer an konkreten Fragestellungen orientiert,16 Lösungsvarianten seien wie bei Schachetüden durchgespielt worden. Den Hauptzweig der Untersuchungen bildete die Wirkung von Neutronen auf verschiedene Elemente, wobei'man zunächst die Versuche VOnEnrico Fermi zur Bremsung von Neutronen, zur Resonanzabsorbtion von Neutronen und den resultierenden radioaktiven Isotopen wieder- holte,17 Für kernphysikalische Untersuchungen bedurfte es vor allem eines Zy- klotrons, eines Kreisbeschleunigers für Protonen und schwere Ionen, in dem die Teilchen in einem örtlich und zeitlich konstanten Magnetfeld umlaufen und bei jedem Umlauf von einem Hochfrequenzfeld beschleu- nigt werden. Bereits 1933 hatten Kurchatov und Alichanov die Notwen- digkeit, dem Phystech ein Zyklotron zur Verfügung zu stellen, betont. Elektromagneten der gewünschten Größe und Homogenität für ein Zy~ klotron herzustellen, überforderte vorerst die sowjetische Elektroindu- strie. Intensive Bemühungen, 1935136 ein stärkeres Zyklotron in Westeu- ropa zu kaufen, blieben erfolglos. Mitte der dreißiger Jahre existierte ein brauchbares Zyklotron allein im Lawrence-Laboratorium in den USA

15 Vgl. zu Lejpunski und der Geschichte des Charkover Phystech AI.Lejpunski, Izbran- nye trudy. Vospominanija, Kiev 1990 16 Als ein Beispiel von vielen vgI. die Erinnerungen von F1erov an Frenkel in: Jakov lljich Frenkel, Vospominanija, pisma, dokumenty, Leningrad 1986, 203-207; über die Physik der dreißiger Jahre, insbesondere die Seminare am Phystech und am Radium-Institut finden sich illustrative Details in: Povest ob Igore Vasileviche Kurchatove, in: Chimija i Zizn 1/1978, 31-39 und Chimija i Zizn 2/1978, 20-34 17 Georgy N. F1erov, Soviet Research into Nuclear Fission before 1942, Moskau 1989 (unveröffentlichtes Manuskript) 16 Ein neues Zyklotron wurde 1936 im Leningrader Radium-Institut von Mysovskij fertiggestellt, dessen Leistungsfähigkeit ließ jedoch abermals zu wünschen übrig. Das Vakuum wollte nicht entstehen, der Hochfrequenzgenerator funktionierte nicht. Die Versuche zur Teilchenbeschleunigung mittels eines Zyklotrons blieben so erfolglos.18 Im Januar 1937schrieb loffe dem Volkskommissar fürSchwerindustrie, daß das Phystech im Unterschied zu den Labors in Westeuropa unter primitiven Bedingungen zu arbeiten gezwungen sei. Selbst das kleine Dänemark baue Niels Bohr ein Zyklotron.l9 Gegen alle Widerstände durfte Kurchatov schließlich ab August 1937 seine Energien auf die Lö- sung der eher ingenieurtechnischen Aufgabe des Zyklotronbaus konzentrieren. Der Bau eines leistungsstarken Zyklotrons sollte noch für geraume Zeit eines der elementaren Probleme bleiben. Im Wirtschaftsrat des Volkskommissariats der UdSSR waren am 7.Juni 1939 Mittel für das Zyklotron des Leningrader Phystech bewilligt worden, aber erst im Februar 1941 stellte das Werk "Elektrosila" endlich den Magneten zur Verfügung. Das eigens für das Zyklotron gebaute Gebäude war zwischenzeitlich noch nicht fertig, und so unterbrach der Krieg vorerst alle Arbeiten. Obwohl dann ab 1944 im Moskauer Laboratorium Nr. 2 (das zum entscheidenden Labor für das Bombenprojekt werden sollte) ein Zyklotron mit 73 cm Durchmesser erfolgreich in Gang gesetzt wor- den war, mußte der Verteidigungsrat 1945 abermals den Beschluß fassen, die Arbeiten am Leningrader Zyklotron "dringend" zu beenden.zo Erst im Jahre 1946 konnte es dann endlich in Betrieb genommen werden. Allein, nicht nur die Teilchenbeschleunigung blieb lange Zeit ein Pro- blem, das auf die mangelnde technologische Basis und. die geringe fi- nanzielle Ausstattung zurückzuführen war. Es fehlte auch an Isotopentrennaruagen. Zudem hatte das für Experimente zur Verfügung stehende Natururan allzu viele Beimengungen, die die unangenehme Eigenschaft besitzen, Neutronen zu schlUcken. Schweres Wasser pro- duzierte die sowjetische Industrie überhaupt noch nicht, für teures Geld

18 A.P.Grinberg, Kurchatov i pervye sovetskie ziklotrony, in: Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurchatove. Otvetstvennyj redaktor A.P. Aleksandrov, Moskva 1988, 131 und Golowin, Kurtschatow, a.a.O., 44 19 Paul R Josephson, Early Years of Soviet Nuclear , in: Bu\1etin of the Atomic Scientists 43(10), Dezember 1987, 38 ZO Vgl. Grinberg, a.a.O., 135 17 mußte es in Norwegen gekauft werden. Immerhin hatte sich die Aus- stattung des Phystech mit Radium und Beryllium, mit Ionisationskam- mern und ProportionaIzählern verbessert. Das Leningrader Phystech hatte sich massiver Kritik von Seiten der Akademie der Wissenschaften zu erwehren.21 Ihre Arbeiten seien schlicht nutzlos, hieß es. loffe, der das Phystech auf einer Akade- mietagung im März 1936 in Moskau vertrat, erntete herbe Kritik für seine Auffassung vom "Physiker als Konsultant des Ingenieurs". Ein naturwissenschaftliches Institut, so das Akademiemitglied Rozdest- venskij, müsse technische Aufgaben lösen, das Phystech widme sich dage- gen abgehobenen Fragen wie diesem "theoretischen und abstrakten Kern".22Den Ausgangspunkt für diese Anwürfe bildete nicht allein der bemängelte Praxisbezug, sondern jene schon in den zwanziger Jahren von einigen sowjetischen Philosophen behauptete Gegenüberstellung von ei- ner "bürgerlichen" und einer "proletarischen" Physik. Die Mobilisierung der Naturwissenschaften innerhalb der "Kulturrevolution", der strikte weltanschauliche Begründungszwang und die Zerschlagung der Autono- mie der Akademie der Wissenschaften hatten bereits während des "Großen Umbruchs" 1929-32 stattgefunden.23 Nachdem die rüden Methoden dieser "Bolschewisierung" des Wissenschaftsbetriebes mit dem Beginn des 1. Fünfjahrplanes ab 1932 gemildert worden waren, weil naturwissenschaftlich-technischer Sachverstand jetzt nötiger schien als der Kampf gegen "reaktionäre" Gesinnungen, setzte mit dem Auslaufen des Fünfjahrplanes (für dessen Fehlleistungen Schuldige zu finden wa- ren) eine neue Phase des "Klassenkampfes" in den Naturwissenschaften ein. Während in der ersten Phase dieser "Kulturrevolution" der Praxisbezug, die Parteiorganisation in den Bildungs- und Forschungseinrichtungen und die schnelle Ausbildung von Technikern im Vordergrund stand, gewannen ab 1936/37 die dogmatische Auslegung des "dialektischen Materialismus" und zunehmend nationalistische Züge bei der Ideologisierung der Naturwissenschaften die Oberhand. Einfluß- reiche sowjetische Philosophen und auch Physiker orientierten sich am klassisch-mechanistischen Verständnis der Physik und warfen .der

21 G.N.FIerov, Vsemu my mozem pouchiza u Kurchatova, in: Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurchatove, a.a.O., 63 22 Zitiert nach Kant, a.a.O., 82 23 Vgl. David Joravsky, Soviet Marxism and Natural Science 1917-1932, New York 1961, 233-249

18 Quantenmechanik vor, einen entschiedenen Angriff gegen marxistisch- dialektische Grundpositionen zu führen.24 Ohne tieferes Verständnis wurde Einsteins Relativitätstheorie als "positivistisch" und "irrational" herabgewürdigt. Der Philosoph Maksimov etwa rechnete die "Gruppe Prenkel, Tamm und andere" der "idealistischen Physik" zu.25 Vor dem Hintergrund der stalinistischen Schauprozesse von 1936-1939 bedeuteten solche Vorwürfe nicht einen Meinungsstreit um die Anwendungsorientie- rung der Physik oder um die philosophische Deutung der Quantenmechanik, sondern eine Gefahr fürs Leben. Schon 1934 hatte loffe die Anschuldigungen zurückgewiesen und Bohr, Schrödinger, Di- rac, Heisenberg und Prenkel vor dem Verdikt des "Idealismus"in Schutz genommen: "Im Gegenteil", führte loffe aus, "ihre uns ungewohnten Vor~, stellungen einschließlich der neuen Vorstellung über die Kausalität und das Unbestimmtheitsprinzip sind eine glänzende Bestätigung und Berei- cherung ,des _dialektischen Materialismus".26 1937 griff loffe angesichts der politischen und menschlichen Bedeutung des sich zuspitzenden Streits nochmals ein. loffe warf dem wortführenden Philosophen Maksi- mov vor, sich mit der Ablehnung der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik in ein Boot mit nationalsozialistischen Physikern wie Phillipp Lenard27 und Johannes Stark zu setzen. Lenard und Stark, beide deutsche Nobelpreisträger, waren konservative Experimentalphysiker, die der modernen Quanten- und Relativitätstheroie ablehnend gegenüberstanden. Wissenschaftlich ins Hintertreffen geraten, -hatten Lenard und Stark mit Hilfe der Nationalsozialisten eine Kampagne gegen die "jüdisch verseuchte" Physik inszeniert. Der Kriegsbeginn führte indes auch zum Niedergang der "Deutschen Physik". "Mit der Zeit fand sich ,der nationalsozialistische Staat dazu bereit, die modeme Physik als einen unerläßlichen Bestandteil der deutschen Kriegsanstrengungen zu unter-

24 Der Physiker AK. Timiriazev, bereits seit 1922 scharfer Kritiker der Re- lativitätstheorie, griff so beispielsweise auf Lenins Kritik an Ernst Mach zurück, um damit auch die Relativitätstheorie zu diskreditieren, vgl. Joravsky, a.a.O., 279 und Kant, a.a.O., 84 25 AA.Maksimov, 0 filosofskich vozzrenijach akad. V.F. Mitkevicha i 0 putjach razvitija sovetskoj ftziki, in: Pod znamenem marksizma 711937, 52 26 Kant, a.a.O., 85 27 Timiriazev führte namentlich Philipp Lenard gegen die "PelVersion der Physik" durch die Relativitätstheorie an, vgl. Joravsky, a.a.O., 279f.

19 stützen, und die deutsche Physikerschaft vollzog aus ebenso patriotischen wie eigennützigen Gründen den Schulterschluß mit eben diesem Staat".28 Die Anfeindungen gegenüber der vermeintlich "idealistischen" Physik forderten trotz der mutigen Auftritte von loffe zahlreiche Opfer. Ähnlich dem in Deutschland letztlich zuungunsten der Vertreter der "Deutschen Physik" ausgegangenen ideologischen Disput konnten loffeund seine Schüler die modeme Physik - wenn auch nicht alle ihre Vertreter - vor außerwissenschaftlichen Angriffen schützen. Der Preis war gleichwohl immens, ,und die psychologische Nachwirkung kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Kemphysiker standen unter dem Verdacht ideologischer Unzuverlässigkeit, sie hatten sich zu rechtfertigen und zu erweisen - und dies während der Hochphase ständiger Denunziationen und Repressionen. Das Hineinwirken ideologischer Feldzüge in die wissenschaftliche Arbeit, ja deren existentielle Infragestellung gehörten fortan zum Arbeitsmilieu .. Das Labor als zentrale Wirkstätte begann seine relative Abgeschlossenheit und "biotopische" Schutzfunktion zu verlieren, zumal auch das wechselseitige Vertrauen der Physiker und Chemiker in den Instituten schweren Schaden gelitten hatte. Zudem waren 1938 zahlreiche Charkover Kernphysiker, darunter auch die deutschen Physiker-Emigranten Fritz Houtermans und Alexander Weissberg, verhaftet worden.29 Selbst wenn die Verhaftungen der meisten Charkover Physiker - dein eklatantesten Fall, von dem natürlich alle gerüchteweise erfahren hatten - wieder aufgehoben wurden, blieb die Erfahrung der NKWD-Zellen und die Möglichkeit künftiger Wiederholung im Gedächtnis haften. Solchermaßen domestiziert, minderte sich die Bereitschaft zu wissenschaftlichen, geschweige denn politisch-ethischen Sonderwegen. Längst bevor das sowjetische Bombenprogramm begann, war das Klima eines offenen Diskurses, wie es noch bis Mitte der dreißiger Jahre in Fortführung alter Aka- demietraditionen und lebhafter internationaler Fachkontakte existierte, durch Denunziationsfurcht und "sowjetpatriotische" Legitimationszwänge verdorben.

28 Walker, a.a.O., 80 29 Aleksej B. Kozevnikov, Tbe Roots of Soviet Physics in the 1930s:Tbe Rise and Tragedy of Kharkov Physico-Technical Institute, Paper presented to the 18th International Con- gress of History of Science, Hamburg, 5.8.1989. Houtermans und Weissberg wurden Anfang 1940an die Gestapo ausgeliefert. 20 Die Phase sowjetischer Kernphysik bis Ende 1938, also bis zur Entdek- kung der Uranspaltung, zeichnete sich durch den energischen Forscher- drang talentierter Nachwuchsphysiker aus. Es mangelte ihnen jedoch an der materiellen und ideellen Unterstützung durch die Akademie der Wissenschaften. Eine Koordination der in viele Institute zersplitterten Arbeiten fand kaUm statt. Die Ausrüstungen waren primitiv, die Präpara- te von unbefriedigender Qualität. Ein unerwarteter, doch revolutionierender Anstoß zur Umkehr kam von außen, genauer gesagt einem Artikel in der deutschen Zeitschrift "Die Naturwissenschaften".

21 11I.Wegscheide nach der Kernspaltung

Die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Strass- mann im Dezember 1938 stellte die ohnehin bedrängte sowjetische Kernphysik vor eine Wegscheide, die ihre Weiterexistenz entscheiden würde - sollte sie wie bisher im wesentlichen den Fußstapfen der großen westlichen Labors folgen oder eigene Wege bei der Untersuchung und möglichen Nutzung der Kernspaltungsenergie gehen? Die Nachricht von der Spaltung des Urankerns durch Neutroneneinwirkung in zwei radioaktive Spaltstücke hatte Joffe durch einen Brief von Frederic Joliot- Curie erhalten - vermutlich Anfang Februar 1939.30Die Erforschung der Uranspaltung durch Neutronen trat sofort ins Zentrum der Forschungen von Kurchatov und seiner Mitarbeiter. Kurchatov organisierte ein Semi- . nar, das alle Leningrader Physiker, die mit Fragen der Uranspaltung be- schäftigt waren, zusammenzog. Nach der Entdeckung von Hahn und Strassmann galt es, experimentelle Antworten auf die Frage nach der An- zahl der bei der Uranspaltung freiwerdenden Sekundärneutronen, auf' die Frage nach dem für die Uranspaltung verantwortlichen Isotop und nach der Spaltbarkeit von Natururan zu fmden.31 Um jedoch eine Ket- tenreaktion praktisch ingangsetzen zu können, bedurfte es anderer Maßstäbe als beschaulicher Labore. Die sov.jetischen Kernphysiker wurden sich der militärischen Nutzbar- keit der Kernenergie nach der Entdeckung von Hahn und Strassmann bald bewußt. Chariton, einer der ersten sov.jetischen Autoren zur Kettenreaktion, äusserte bereits in einem Vortrag im Sommer 1939, daß auf der Basis von Uran 235 eine Atombombe möglich sei.32Igor Golovin, Biograph Kurchatovs und dessen zeitweiliger Stellvertreter bei der späte- ren Leitung des Bombenprojektes, erinnert sich, daß "im August 1939 - entsprechend den Berechnungen von Zeldovich und Chariton - die Neuigkeit 'über die Möglichkeit, eine Bombe mit monströser Zerstörungskraft zu schaffen, unter den Physikern in Moskau und Le- ningrad verbreitet war". Aber sie hätten dies mehr als science fiction

30 'Hahn und Straßmanns Bericht war am 6.1.1939 in Die Naturwissenschaften (27)1939 erschienen. Joliot soll das Heft etwa zehn Tage später erhalten haben, vgl. Spencer R.Weart, Scientists in Power, Cambridge, Mass. und London 1979, 63 31 Die Versuche beschreibt F1erov in "Soviet Research into Nuc1ear Fission before 1942", Moskau 1989 32 Persönliche Auskunft von I.N.Golovin am 20.2.1990 22 aufgefaßt. Niemanden hätte die Möglichkeit ihrer Anwendung durch Deutschland in dem gerade durch Hitler entfesselten Krieg erschreckt.33 Georgij Flerov, zentrale Figur beim Entscheidungsprozeß fur die Bombe, beschreibt die Stimmung im Jahre 1939: ",..es lag ein Geruch von nuklearem Pulver in der Luft und man nahm an, daß die relevanten Studien im Ausland früher oder später geheim gemacht würden".34 Eigenes ProfIl gewannen die sowjetischen Physiker zunächst vor allem auf theoretischem Gebiet. Jakov Frenkel entwickelte die Theorie der elektrokapillaren Spaltung, die in vielem die fundamentalen Arbeiten von Bohr und Wheeler vorwegnahm. Chariton und Zeldovich vom Aka- demie-Institut für Chemikalische Physik in Moskau referierten auf der 4. Allunions-Konferenz zur Kernphysik in Charkov (15.-20.11.1939) über die Theorie der Kettenreaktion mittels schneller und langsamer Neutronen.35 Ausführlich diskutierte man die Bohr-Wheeler-Theorie der Spaltung und die Bedingungen für eine Kettenreaktion. Chariton und Zeldovich "waren zu dem Schluß gekommen, daß zur Auslösung einer Kettenreaktion das leichte Isotop des Urans angereichert werden müßte - eine äußerst schwierige technische Aufgabe, die ihrer Meinung nach nur durch die Zentrifugierung gasförmiger Uranverbindungen lösbar war".36Das Prinzip der Uran-Gaszentrifuge bestand darin, ein stehendes Rohr um seine Längsachse mit hoher Geschwindigkeit rotieren zu lassen. Durch die Fliehkräfte im Rohr würde das gasförmige Urangemisch nach außen gedrängt, wobei das schwerere Isotop am 'äussersten Rand des Rohres etwas reicher anfallen würde. Der andere Weg zur Ketten- reaktion, so Chariton und. Zeldovich, könne in der Kombination von Uran 238 mit Schwerem Wasser als Moderator für schnelle Neutronen bestehen. Die Möglichkeit, daß über den zweifachen Beta-Zerfall nach Beschuß von U 238 mit Neutronen das spaltbare Element Z = 94

33 I.N.Golovin, TheFirst Steps in the Atomic Problem in the USSR, Vortrag auf der Kon- ferenz "FiftyYears with Fission", Washington 28.-30.4.1989 34 Georgy N. Flerov, Soviet Research ..., a.a.O.

35 Ja. B. Zeldovich, Ju.B. Chariton, K voprosu 0 zepnom raspade urana pod dejstviem medlennych nejtronov, in: Zurnal eksperimentalnoj i teoreticheskoj flZiki911939, 1425; dies., 0 zepnom raspade urana pod dejstviem medlennych nejtronov, in: Zurnal eksperimentalnoj i teoreticheskoj flZiki 10/1940, 29; dies., Kinetika zepnogo raspada urana, in: Zurnal eksperimentalnoj i teoreticheskoj flZiki 10/1940, 4Tl; dies., Delenie i zepnoj raspad urana, in: Uspechi flZicheskojnauki 23/1940, 329 36 I.N.Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 47

23 (Plutonium) entstehen könne, fiel allerdings nicht in Betracht.37 Da der Isotopentrennung bisher kein gesteigertes Interesse entgegengebracht worden war, scWußfolgerte Lejpunski, daß es bis zur Erreichung einer Kettenreaktion noch ein weiter Weg sei.38 Die All-Unionskonferenz über den Atomkern im November 1939 ende- te mit Ernüchterung. Eine kontrollierte Kettenreaktion sei ebenso wie eine schnelle außerordentlich zweifelhaft. CWopin scWoß seinen Bericht mit der Bemerkung, daß Radioaktivität in der Medizin, der Chemie und der Biologie zur Anwendung kommen könne. Bereits ein Jahr zuvor hatte CWopin die Kernforschungen in einem Forschungsplan auf das Studium von inneren Kernkräften und Elementarteilchen, auf die Herstellung künstlich radioaktiver Elemente sowie von Ionenquellen, auf das Studium künstlicher und natürlicher Radioaktivität und auf die Anwendung von radioaktiven Elementen in der Volkswirtschaft beschränken wollen.39 Der Geochemiker und Mineraloge Fersman hatte überdies darauf verwiesen, daß in der Sowjetunion die Uranbestände allzu mager seien. Über Schweres Wasser verfüge die Sowjetunion ebensowenig. Nur einige Kilogramm hatten die Sowjets in den dreißiger Jahren in Norwegen kaufen können. CWopins Reserviertheit gegenüber einer breiten Förderung der Kern- physik hatte allerdings noch eine weitere Komponente. Bei dem Be- streben der Akademie der Wissenschaften, die Kernforschungen zu konzentrieren, hatte CWopins eher radiochemisches, denn physikalisches Radium-Institut in Leningrad im Frühjahr 1939 den Vorzug vor dem Phystech erhalten. Im Unterschied zum Radium-Institut gehörte das

37 I.N.Golovin, The First Steps ..., a.a.O. 38 Vgl. Holloway, a.a.O., 165; an der Isotopentrennung arbeitete in Charkov der deutsche Emigrant F.F.Lange, er hatte eine Isotopentrennung mittels Mehrkammerzentrifuge vorgeschlagen - ein Verfahren, das später von Steenbeck ausgearbeitet wurde. Chlopin schlug in einem Brief an den Bevollmächtigten des Verteidigungskomitees, Kaftanov, vom 15.1.1943 die von Lange entwickelte Zentrifuge und die Thermodiffusion als er- folgversprechendste Wege der Isotopentrennung vor, vgl. L.V.Kotlev, G. S.Sinizyna, M.P.Kovalskaja, V.G.Chlopin i uranovaja probierna, in: Akademik V.G.Chlopin. Ocherki, vospominanija sovremennikov, Leningrad 1987, 50. Die von Lange entwickelte Zentrifuge erwies sich jedoch bei den ersten Erprobungen als untauglich, weshalb bis 1951 von einer industriellen Isotopentrennung mittels Zentrifuge Abstand genommen wurde, vgl. Gespräch mit N.M.Sinjovvom 27.6.1990 39 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 38

24 Phystech bislang auch nicht zu den Akademie-Instituten, in denen die Kernforschung konzentriert werden sollte.4O Chlopins Äußerungen verbitterten Kurchatov, da er sich in den zurückliegenden drei Jahren neben seiner Arbeit im Phystech gerade um das Zyklotron im Radium- Institut abgemüht hatte. Das Bild vom selbstsüchtigen Institutsfürsten Chlopin, der dem Phystech und namentlich Kurchatov den EinflUß auf die Kernphysik nehmen wollte,schien sich zu bestätigen. Neben sachli- chen Erwägungen prallten junge, in manchem auch etwas hemdsärmelige Nachwuchswissenschaftler und alteingesessene Akademiemitglieder aufeinander. Ranküne, Prestigedenken und ein präsidialen Kom- missionen eigener Cäsarismus belasteten den Umgang. Die Kernphysiker am Leningrader Phystech ließen sich jedoch nicht einschüchtern. Es bedurfte weiterer Experimente. Um die für die Ent- stehung einer Kettenreaktion nötige Neutronenmenge feststellen zu könnnen, benötigte man unbedingt einen Neutronenindikator. Der erfinderische Laborant Flerov und sein nicht minder talentierter Kollege Petrzak vom Radium-Institut, die mit dieser Aufgabe betraut worden wa- ren, entdeckten, daß die Uranspaltung selbst nach Einstellung des Be- schusses mit Photoneutronen andauerte. Sie stellten gleichsam en passant die spontane Uranspaltung fest. Flerov und Petrzak veröffentlichten ihre Entdeckung in der "Physical Review", mußten indes feststellen, daß keinerlei Resonanz erfolgte - die amerikanischen Physiker hörten schlicht auf zu publizieren. Dies konnte nur eins bedeuten: Atomforschungen wa- ren zur militärischen Geheimsache erklärt worden. Das NKWD, offen- sichtlich nicht gerade üppig mit Lesern von ausländischen physikalischen Zeitschriften bestückt, veranlaßte erst wesentlich später eine sowjetische

40 Sergej Snegov, Tvorzy, in: Znamja 4/1976, 74f.. Der Tatsachenroman von Snegov, ei- nem zum Schriftsteller konvertierten Physiker, der am Uranprojekt teilnahm, ist nachweislich gut recherchiert, insbesondere hinsichtlich der Charakterisierungen der am Uranprojekt beteiligten Wissenschaftler. Ohne exakte Datenangaben zu liefern, konnten in der geschilderten Ereignisabfolge keine Widersprüche entdeckt werden. Als Quelle eines Zeitzeugen über die menschlich-kommunikative Dimension des sowjeti- schen Uranprojektes ist der Roman, trotz seiner literarischen Form, durchaus vergleichbar vertrauenswürdig wie andere Erinnerungswerke von sowjetischen Atomwissenschaftlern.

25 Geheimhaltung. Noch im April 1941 konnte beispielsweise Kurchatov einen Vortrag über die Spaltung schwerer Kerne veröffentlichen.41 Kurchatov schrieb Anfang 1940 der Akademie der' Wissenschaften einen Brief, in dem er Maßnahmen, die er für die Verwirklichung von Kettenreaktionen erforderlich hielt, vorschlug.42 Der Chef der Akade- mie-Kommission für die Untersuchung der Isotopentrennung, Vernads- kij, der zusammen mit Chlopin und Fersman dem Akademiepräsidium einen Bericht über die Atomenergie vorlegte, hielt die Nutzung der Atomenergie trotz gravierender Schwierigkeiten immerhin "im Prinzip" für möglich. Die bisher eher skeptische Akademie entschloß sich darauf- hin am 30.Juli 1940, eine Kommission für das Uranproblem unter dem renommierten Radiochemiker Chlopin zu bilden.43 Neben den Akademiemitgliedern Vernadskij, loffe, Fersman, Vavilov und Kapiza wurden noch Kurchatov und Chariton hinzugerufen.44 Das Präsidium der Akademie der Wissenschaften beauftragte die Urankommission, Metho- den der Isotopentrennung und der Anreicherung zu entwickeln, die Mengen und Ausgaben für Uran und andere Materialien zu bestimmen sowie die Forschungen zur kontrollierten Kettenreaktion zu organisieren .. Zu allererst galt es aber, die bisher sträflich vernachlässigte Suche nach Uranvorkommen voranzutreiben. Die Urankommission beauftragte Fersman, eine Brigade aus Geologen, Mineralogen, Geochemikern, Hy- drologen und Radiochemikern zusammenzustellen, um den kostbaren Rohstoff aufzuspüren.45 Lejpunski rechnete der Urankommission vor, daß eine Kettenreaktion in der Kombination von Schwerem Wasser und natürlichem bzw. angereichertem Uran am wahrscheinlichsten sei.46 Nunmehr galt es, die Produktion von Schwerem Wasser anzufahren, Zyklotrone herzustellen, die Isotopentrennverfahren auszuarbeiten und die Nuklearkonstanten zu messen.47Das Uran-Komitee entwickelte trotz der anhaltenden Zweifel einen Plan für die Erreichung einer Kettenreak-

41 Vgl. I.v.Kurchatov, Delenie tjazelych jader, in: Izvestia Akademii Nauk SSSR, seria flZicheskaja V, 1941,4-5 42 I.N.Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 47 43 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 42 44 Holloway, a.a.O., 166 45 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 42 46 Auszug aus dem unveröffentlichten Protokoll der Urankommission vom 28.9.1940 (Kopie im Besitz des Verfassers) 47 Holloway, a.ft.O., 167

26 tion. Eine Ausweitung der staatlichen Forschungsmittel forderte man in- dessen nicht. Kurchatov und Chariton, mit dem Ausmaß der bisherigen Akademieunterstützung weiterhin unzufrieden, forderten im August 1940 vom Akademiepräsidium zusätzliche Mittel für den Bau eines Ver- suchsreaktors auf der Basis von Natururan. Ihre Begründung: Die Atom- energie wäre von herausragender militärischer und ökonomischer Bedeu- tung.48 An der amerikanischen und folglich auch sowjetischen Priorität der militärischen Nutzung von Kernenergie vor der Energiegewinnung für zivile Zwecke bestand bei Chariton und Kurchatov kein Zweifel. Zwei junge Physiker aus Charkov, V.Spinel und V.Maslov, hatten sich zudem im Jahre 1940 mit einem Patentantrag für eine "Luftbombe oder einen anderen Sprengstoff, dessen Explosion auf der Nutzung der Reaktion des Kettenzerfalls von superreinem Uran-235 basiert und sich durch die Ver: einigung einiger subkritischer Massen mit dem Ziel der Herausbildung einer überkritischen Masse von Uran-235 im erforderlichen Moment ereignet", an den Ministerrat der UdSSR gewandt.49 Die möglichen Materialien für eine Atombombe waren Uran 235 und das später Pluto- nium genannte Isotop 239 des Elementes 94. Zeldovich und Chariton betrachteten in drei 1939 und 1940 veröffentlichten Artikeln die Mög- lichkeiten der Spaltung mit schnellen Neutronen auf der Basis von Natur- uran. Danach arbeiteten sie die Theorie für den Vervielfältigungskoeffizi- enten bei Kernkettenreaktionen in einem Wasser-Uran-Gemisch und für die Resonanzabsorption von Neutronen in Uran 238 aus. Schließlich ka- men sie auf die Idee, daß jene bei der Uranspaltung freiwerdenden Sekundärneutronen eine kontrollierte Kettenreaktion möglich machen würden, da die Sekundärneutronen langsamer seien.50 Für Uran 235 wie für Plutonium hatten Chariton und Zeldovich bereits im August 1939 überschlägig eine kritische Masse 10 kg errechnet.51

48 Holloway, a.a.O., 167 49 Stanislav Pestov, Tajny atomnoj bomby, in: Argumenty i fakty 40/1989, 7.-13.10.1989; die beiden jungen Patentanmelder erhielten die Bestätigung für die Registrierung aller- dings erst im Jahre 1946. 50 Vgl. das Gespräch Boris Volodins mit Georgij Nikolaevich Flerov und lsaak Isidoro- vich Gurevich über die Entwicklung der Kernphysik bis 1941: Povest ob Igore Vasilevi- che Kurchatove, in: Chimija i Zizn 211978, 20-34, bes. 30 51 Ja.B.Zeldovich, Ju.B.Chariton, Kinetika zepnogo raspada urana, in: Zurnal eksperimentalnoj i teoreticheskoj fiziki 4/1940, 477

27 Ab Mitte Oktöber 1940 trat die sowjetische Kernforschung in eine neue Etappe ein - bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Urankommission ihren Forschungsplan vorgelegt.52 Der Forschungsplan sah Arbeiten zur Spal- tung von Uran und Thorium, zur "Klärung der Möglichkeit einer Kettenreaktion mit einem normalen Isotopengemisch des Urans" (also Natururan),die Entwicklung von Methoden der Isotopentrennung des Urans, die Gewinnung von gasförmigen Uranverbindungen und die Su- che von Uranerzen in der UdSSR vor, allerdings nur für das darauffolgende Jahr 1941.53Im Vordergrund stand die kapitalintensive Uransuche. Fersman veranschlagte die anzustrebende jährliche Ausbeute von Uranerz mit 10 Tonnen für die Jahre 1942-43. Für das Jahr 1941 sollten laut Beschluß der Urankommission vom 15.0ktober 1940 1,5 Tonnen Uranverbindungen von der Industrie hergestellt werden.54 Die Akademie hatte die zukunftsweisende Bedeutling der Kernfor- schung im Grundsatz begriffen. Erstmals wurden die Zersplitterung zwi- schen den diversen Instituten eingedämmt und für Ressourcen und Laboreinrichtungen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Die Kernphysik trat aus ihrem Nischendasein heraus. Von einem auf baldige Nutzung der Kernenergie ausgerichteten Programm konnte jedoch bei weitem noch nicht die Rede sein. Über den Umfang der für einen "Uranmeiler" nötigen Arbeiten hatte sich die Akademiekommissiön noch keinen rechten Begriff gemacht. Dabei spielte auch eine Rolle, daß Chlopin sich nicht ausschließlich dem Uranproblem zuwenden und den stürmischen Kurchatov, der seiner Ansicht nach unter dem Einfluß jugendlicher Phantasten stand, etwas bremsen wollte. Auf der 5. Allunionskonferenz über den Atomkern vom 20.- 26.11.1940 in Moskau referierte Kurchatov einen 8-Punkte-Plan für die Erreichung einer Kettenreaktion.55 Nach Abwägung verschiedener Varianten kam Kurchatov zu dem Schluß, daß eine Kettenreaktion auf der Basis von Natururan mit Schwerem Wasser als Moderator möglich sei. Die besagte Allunionskonferenz zur Kernphysik gab dem drängenden und optimistischen Kurchatov eine Antwort, die ihn im Verhältnis zu sei- nen Erwartungen tief erschüttert haben muß. Nach lebhaften Debatten

52 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 44 53 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 45 54 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 45ff. 55 Vgl. I.F.Zezerun, Stroitelstvo i pusk pervogo v Sovetskom Sojuze atomnogo reaktora, Moskva 1978,6ff.

28 über die Gründung eines Uran-Institutes, erwiderte Chlopin, daß die Durchführbarkeit einer Kettenreaktion ja noch nicht einmal im Labor nachgewiesen sei. Es sei falsch, kreative Geister und nationale Ressour- cen an unrealistische Vorstellungen zu binden.56 Angesichts des Krieges in Europa würden die Staatsfmanzen für andere Aufgaben benötigt. Nach einem Jahr weiterer Arbeit könne man die Regierung vielleicht um zusätzliche Mittel angehen.57 Die Nutzbarmachung der Kernenergie in ferner Zukunft mochte auchChlopin nicht ausschliessen, für die Wirt- schaft und die Verteidigung hielt er aber andere Sektoren für vor- dringlicher. Selbst loffe, der Spiritus rector der sowjetischen Atomfor- schung und Förderer Kurchatovs, meinte, daß wenn die Raketentechnik eine Sache der nächsten 50 Jahre sei, dann wäre die Aneignung der Kernspaltungstechnologie eine Angelegenheit des nächsten Jahrhun- derts.58 Einige sowjetische Physiker gingen wohl von etwas kürzeren 'Fri- sten aus,'doch akut beunruhigt zeigte sich nieman~.59 Die Reaktion Chlopins als Vorsitzender der Urankommission verdeut- licht mehrerlei. Die Schwierigkeiten bei der Nutzung der Kernenergie wurden auf unabsehbare Zeit für schier unüberwindlich gehalten, na- mentlich angesichts der sowjetischen Industriekapazitäten. Und obschon der Akademie nach der Entdeckung von Hahn und Strassmann deutlich geworden war, daß die sowjetische Kernphysik ihre Nachzüglerrolle auf- geben müsse, verhielt sie sich weiterhin konservativ. Die Kernforschun- g~n sollten zwar wissenschaftspolitisch koordiniert und gefördert werden, aber noch nicht zum Prioritätsbereich der Kriegsforschungen erhoben werden. Auch die mögliche wissenschaftliche Konkurrenz zu amerikani- schen und deutschen Forschungen kam als Argument nicht zum Tragen. Die Nationalsozialisten, mit denen am 23. August 1939 der Nichtan- . griffspakt geschlossen worden war, erschien zumindest den Kern- physikern nicht als konkrete Gefahr.60 Die programmatische Orientierung der akademiegeförderten For- schung auf den unmittelbar spürbaren Nutzen für die Volkswirtschaft spielte neben der byzantinischen Entscheidungsstruktur eine innovations- hemmende Rolle. Von einem möglichen Einsatz einer Atombombe im 2.

56 Sergej Snegov, Tvortsy, in: Znamja 5/1976, 25 57 I.N.Golovin, The First Steps ..., a.a.O. 58 Holloway, a.a.O., 168 59 Auskunft Golovins am 1.11.1990 60 I.N.Golovin, The First Steps ...,a.a.O.

29 Weltkrieg, in den die Sowjetunion ja nicht erst seit dem deutschen Überfall einbezogen war, gingen Chlopin und loffe ebenso wenig aus wie von entsprechenden Anstrengungen des Deutschen Reiches oder der USA, und dies trotz der sichtbaren Geheimhaltung der dortigen Atomforschungen. Der von der militärischen Nutzung der Kernenergie duchdrungene Kurchatov konnte die Akademie nicht mit dem Argument überzeugen, daß eine Atombombe in naher Zukunft, und zwar nicht nur in der Sowjetunion, konstruierbar sei. So wurden die Atomforschungen auch noch nicht unmittelbar nach der Atomkonferenz im November 1940 zur Geheimsache erklärt. Die Akademie stellte sich nicht hinter Kurch- atovs Forderung, Mittel für den Bau des ersten Uranmeilers zur Verfü- gung zu stellen. Da die Akademie der Wissenschaften im streng hierarchisch ge- ordneten Sowjetsystem die entscheidende Vermittlungsinstanz zu Partei- und Regierungsstellen darstellte, mußte ihre Zurückhaltung wie ein Veto gegen die Überführung der labormäßigen Grundlagenforschung in einen Prioritätsbereich der Wissenschafts- und Technologiepolitik wirken. Petrzak hat später spekuliert, daß eine positive Entscheidung der Urankommission der Akademie der Wissenschaften Ende November 1940 es den sowjetischen Kernforschern ermöglicht hätte, eine Kettenreaktion vor Fermi (Dezember 1942) zu verwirklichen.61 So unhaltbar Petrzaks Vermutung erscheint, so bezeichnend ist sie doch für den Geist der jungen Kernpyhsiker um Kurchatov. Für das Jahr 1940 ergibt sich ein widersprüchliches Bild. Jüngere Kern- physiker suchen gerade mit dem wiederholten Verweis auf die mi- litärische Nutzbarkeit der Kernenergie eine Ausweitung der Forschungen zu erreichen. Ob der Verweis auf die Machbarkeit, mithin das Gebot zum Bau einer Atombombe eher taktischen Charakter hatte - um näm- lich an erhöhte Zuwendungen zu kommen - oder bereits zum aus- schlaggebenden Motiv avanciert war, läßt sich anband der vorliegenden Quellen nicht entscheiden. Die wissenschaftspolitischen Entschei- dungsträger waren jedoch aus wissenschaftsinternen und volkswirt- schaftlichen - und nicht aus ethisch-moralischen - Gründen skeptisch bis ablehnend. Und so lange innerwissenschaftlich die Protagonistenfront sich nicht durchsetzen konnte, gelangte die mögliche militärische Nut- zung der Kernenergie auch gar nicht auf die (militär-)politische Ent- scheidungsebene. Die inferiore Stellung' in der Wissenschaftshierarchie

61 P.T.Astaschenkov, Akademik I.V.Kurchatov, Moskva 1971, 139

30 ließ es den wissenschaftlichen Protagonisten der militärisch genutzten Kernenergie wenigstens vorläufig angeraten sein, den "Dienstweg" zu beachten und weitere Fürsprecher zu suchen. Der enttäuschte, aber nicht entmutigte Kurchatov wandte sich so an den Akademiker N.N.Zemenov, den Direktor von Charitons Institut, da- mit dieser die Regierung von der Dringlichkeit des Baus einer Atom- bombe überzeuge. Zemenov schrieb an den Volkskommissar für Schwerindustrie Ende 1940 einen Brief, in dem er die Möglichkeiten für die Schaffung einer Atombombe darlegte und auf ihre alles übertreffende Sprengwirkung verwies.62 An das Volkskommissariat für Verteidigung wagte man sich offensichtlich noch nicht direkt heran. Das Schicksal Marschall Tuchachevskijs, der 1938 unter anderem wegen seiner Förde-, rung der Raketentechnik Opfer stalinscher Repressionen geworden war sowie die anschließende Verhaftung aller führenden Rake- tenkonstrukteure wirkten abschreckend genug. Stalin und Berija Ulid, folglich auch die Akademie standen unter dem Einfluß der "Lysenchina": wer sich in wissenschaftliches Neuland vorwagte, das nicht in die ideologischen Vorgaben paßte, mußte mit der Willkür des NKWD rech- nen. Die der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik 'verblüffend ähnliche Ideologisierung gerade der theoretischen Physik und der Ge- netikhatte bereits ihre Opfer gefordert. Neben den Charkover Physikern Lejpunski und Landau hatte es den weltberühmten Genetiker Nikolai Vavilov getroffen.63 Er wurde 1940 verhaftet und starb zwei Jahre darauf im Gefängnis in Saratov. Die Abkommandierung Kurchatovs und ande- rer Kernphysiker zu ingenieurtechnischen Arbeiten bei der Armee unter- brach allerdings ohnehin die Kontinuität der Forschungen am Leningra- der Phystech.

62 Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 51 63 Zum Fall Landau vgl. die jetzt erstmals veröffentlichten Umstände seiner Verhaftung in: M.Ja.Bessarab, Landau. Stranizy zizni, Moskva 1990, 119ff.. Der einzige Akademi- ker, der sich mutig für Landau (wie auch andere) gegenüber Stalin und Berija einsetzte, war P.L. Kapiza, vgl. dazu auch Pavel Rubinin, Chto bylo, to bylo. Iz istorii sovremennosti, in: Ogonek 3/1988, 13-15; aber auch Ioffe hat sich, nachdem er noch anfänglich den Anschuldigungen gegen "Volksverräter" Glauben schenkte, für seinen 1938 verhafteten Schüler Lukirskij und für den Physiker Fok eingesetzt. Eine (vorläufige) Liste der repressierten sowjetischen Physiker findet sich in David Joravsky, )( The Lysenko Affair, CambridgeiMass. 1970,318f.

31 Über die Reaktion des Volkskommissars für Schwerindustrie auf den Vorstoß Zemenovs ist nichts bekannt. Ebensowenig wissen wir, ob das Drängen Kurchatovs im November 1940 aufden Bau einer Atombombe je bei Stalin und Berija angekommen ist. Stalin, der sich bekanntlich für rüstungstechnische Angelegenheiten außerordentlich engagierte und durch voluntaristische Einzelentscheidungen ganze Technologielinien festsetzte oder unterband, erkannte allem Augenschein nach die Be- deutung einer Atombombe noch nicht. Der Vorstoß des bisher wissenschaftlich wenig hervorgetretenen Professors Kurchatov war auf allzu großen Widerspruch in der Akademikerzunft gestoßen, als daß sein Drängen ähnlich folgenschwer wie der Brief Einsteins vom 2August 1939 an Präsident Roosevelt hätte werden können.64 Einstein hatte auf Initiati- ve Szillards und anderer aus Europa emigrierter Physiker auf die Möglichkeit eines deutschen Atombombenbaus hingewiesen und daraus die Forderung nach Herstellung einer amerikanischen Atombombe abgeleitet. Der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22.Juni 1941 setzte der Kernforschung und den Betrachtungen über eine Atombombe vorerst ein jähes Ende. loffe hatte zwar in seinem ersten Planentwurf für militärische Studien des Phystech der Uranbombe Prio- rität gegeben, doch nahm er von diesem Vorschlag nach kurzer Zeit wie- der Abstand.55 Kurchatov resignierte. Zusammen mit Aleksandrov widmete er sich ab November 1941 ganz der Entmagnetisierung von Schiffen gegen Seeminen.56 Die Kernphysiker wurden nach und nach zum Militär einberufen, die Institutseinrichtungen in Leningrad, Moskau und Charkov verpackt und evakuiert. Die Akademieinstitute für Physik, Mathematik, Chemie und Geographie verlagerte man nach Kazan bzw. in Industriestädte jenseits des Uralt Das nach Kazan evakuierte und dort nur notdürftig wiederhergerichtete Phystech befaßte sich nunmehr aus- schließlich mit Arbeiten zum Radar und zur Entmagnetisierung von. Schiffen. Die Aussicht, daß eine Atombombe bald kriegsbedeutsam wer-

64 Zur Einstein-Szillard-Initiative vgl. Richard Rhodes, Die Atombombe oder die Geschichte des 8. Schöpfungstages, Nördlingen 1988,302ff. 65 I.N.Golovin, The First Steps ...,a.a.O. 56 Die Datierung eines Fotos mit Kurchatov in Sevastopol auf Dezember 1940 in Golo- wins Biographie, die eine frühere Einberufung Kurchatovs nach Savastopol nahelegt, muß auf einem Irrtum oder Druckfehler beruhen, vgl. I.N.Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O.,53

32 den könnte, schien äußerst gering.67 Anfang Oktober 1941 bestätigte Petr Kapiza während eines antifaschistischen Meetings in Moskau nochmals die verbreitete Haltung der Akademiker. Es wäre zwar sehr wahrschein- lich, daß die inneratomare Energie große Möglichkeiten berge, per- sönlich hielte er die technischen Schwierigkeiten jedoch noch für außer- ordentlich grOß.68Weder die Akademie der Wissenschaften noch die politische Führung, geschweige denn das Militär hatten vor dem deut- schen Überfall auf die Sowjetunion die Bedeutung der Atombombe er- kannt.

67 Vgl. den (unveröffentlichten) Brief Flerovs an Kaftanov vOmNovember 1941; Kopie im Besitz des Verfassers 68 Vgl. Holloway, a.a.O.,172

33 IV. Die Entscheidung zum Bombenbau

Ohne von der parallelen Aktion der amerikanischen Physiker Kenntnis zu haben, war es auch ein sowjetischer Physiker, der die politische Füh- rung unter allen Umständen von der Notwendigkeit einer Atombombe zu überzeugen suchte. Allerdings unterschied sich die Begründung in der Akzentsetzung ·von Einsteins Brief an Roosevelt. Im November 1941 schrieb der 28-jährige Kursant und jetzt an einer Militärfliegerschule täti- ge Georgij Nikolaevich Flerov, der zwar die spontane Uranspaltung mitentdeckt, jedoch vor seiner Einberufung gerade erst den Rang eines "verdienten Laboranten" (starschij laborant) erlangt hatte, einen Brief an S.V.Kaftanov, den Volkskomissar für Höhere Bildung und Beauftragten des Verteidigungskomitees für wissenschaftliche Fragen -mithin an den Koordinator kriegswichtiger Forschungen. In dem Brief verwies Flerov darauf, daß ungeachtet der Umorientierung der physikalischen For- schungen unter Kriegsbedingungen die Arbeit am "Uran-Problem" fortzusetzen sei. Was die Atombombe so fantastisch mache und deshalb so abschreckend wirke, sei gerade, so Flerov, daß sie, beispielsweise auf Berlin abgeworfen, die ganze Stadt vom Erdboden auslösche. "Fantasie, vielleicht", fuhr Flerov fort, "aber abschrecken kann dies allein jene, die schlechthin alles Ungewöhnliche, außerhalb der Reihe Liegende fürch- ten".69 Das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin würde sich nach seiner Kenntnis gänzlich mit diesem Thema beschäftigen, in England laufe offensichtlich eine intensive Arbeit. Flerov stützte die Annjihme einer deutschen und englischen Atombombenforschung mit dem Publikations- stop in allen ausländischen Zeitschriften. Möglicherweise hatten während der Kampfhandlungen in sowjetische Kriegsgefangenschaft geratene deutsche Soldaten auch Gerüchte aus dem Heereswaffenamt, dem in Deutschland die Kernspaltungsforschung unterstand, weitergegeben. Außer allgemeinen Vermutungen verfügte Flerov gleichwohl über keine Auslandsinformationen. Die sowjetischen Arbeiten müßten, so drängte Flerov, wieder aufgenommen werden. Bei den Verbündeten in England und den USA, so der gutgläubige Flerov, solle man telegrafisch die jüng- sten Forschungsergebnisse erfragen. Die Vorbereitung der nötigen Maßnahmen für die Wiederaufnahme der Arbeiten an der Atombombe solle Kapiza aufgetragen werden, der könne dann noch Alichanov und Alichanjan hinzuziehen. Flerov entschuldigte seinen unverfrorenen, gera-

69 Holloway, 8.8.0.

34 dezu diktierenden Stil gegenüber dem Minister mit der eindringlichen Beschwörung der Weltherrschaftsrolle, in die die erste Atommacht ge- rate: "Man muß immer erinnern, daß der Staat, der als erster die Atom- bombe verwirklicht, der ganzen Welt seine Bedingungen diktieren kann, und jetzt ist das einzige, womit wir unseren Fehler - die halbjährige Untätigkeit - ausbügeln können, die Wiederaufnahme der Arbeit und ihre Weiterführung in noch größerem Maßstab als vor dem Krieg"}OFle- rov hatte - ob bewußt oder mit instinktivem Gespür, sei dahingestellt - die einer Weltdiktatur gleichkommende Macht als die neue Qualität der Atombombe begriffen und als entscheidendes Argument für ihren Bau ins Feld geführt. Die Einstein beunruhigende Vorstellung, daß Ritler die Atombombe noch im Krieg einsetzen könne, beherrschte Flerov augen- scheinlich weniger. Flerov hielt die Bombe für machbar und deshalb ih- ren Bau für zwingend geboten, andernfalls würde die Sowjetunion ihr Opfer. Eine Antwort auf sein Drängen erhielt Flerov nicht. Das "Kleine Präsidium" der Akademie der Wissenschaften hielt am 20. Dezember 1941 ein Atdmseminar in Kazan ab, an dem unter anderen loffe und Kapiza teilnahmen. Flerov, der gerade an einem Ausbildungs- kurs für Militäringenieure teilnahm, war es gelungen, nach Kazan .'abkommandiert zu werden, um dem "Kleinen Präsidium" seine Vorstel- lungen "über die Nutzung der inneratomaren Energien" vorzutragen}l Enttäuscht ob der äußerst skeptischen Reaktion der Zuhörer (darunter auch des hochgeschätzten loffe) , erstattete Flerov seinem Mentor Kurchatov, der an Sevastopol gebunden war, Bericht. Die Rauptein-

70 HoIloway, a.a.O. 71 Kopie der handschriftlichen Version des Vortrages im Besitz des Verfassers; Flerov hatte sich an seinen Parteisekretär B.I.Brustin gewandt, um Unterstützung für seine Kommandierung nach Kazan zu erhalten. Brustin erinnert sich, daß Flerov nach der Rückkehr aus Kazan zufrieden über die Aufnahme seines Vortrages gewesen sei, die Akademie hätte beschlossen, an die Regierung einen Brief zu schreiben, damit die For- schungen zur Atombombe aufgenommen würden, vgl. B.I.Brustin, Ob iniziative G.N.Flerova po vozobnovleniju prervannych vojnoj rabot po uranovoj probleme (Vozpominanija 0 sobytijach 1941g.), unveröffentlichtes Manuskript; diese Version widerspricht dem Inhalt des im folgenden erwähnten Briefes von Flerov an Kurchatov; vermutlich woIlte Flerov gegenüber dem Parteisekretär die Abkommandierung auch noch nachträglich mit einer Erfolgsmeldung rechtfertigen; heute kommentiert Flerov die Reaktion des Kleinen Präsidiums der Akademie der Wissenschaften als "reichlich bitter" (Gespräch vom 27.2.90).

35 wäilde gegen Flerovs Vortrag bezogen sich bezeichnenderweise nicht mehr auf die Fraglichkeit einer schnellen Kettenreaktion, sondern auf die astronomischen Ressourcen, die zu mobilisieren waren. Während des Krieges hielt die Akademikerzunft andere Projekte für vordringlicher}2 Möglicherweise spielte auch eine Rolle, daß sich das Präsidium der Akademie aufgeschlossener gezeigt hätte, wenn statt des noch nicht ein- mal promovierten Laboranten Flerov ein Vollmitglied der Akademie den Vortrag gehalten hätte. Kapiza trat jedenfalls nach dem Vortrag an Fle- röv heran und bedeutete ihm, daß die Unterstützung wemgstens eines Akademiemitgliedes hilfreich gewesen wäre. Fleröv konnte diesen Klein- geist kaum fassen. Er rechnete in dem gleich darauf an Kurchatov geschriebenen Brief vor, daß im Vergleich zu der in den vergangenen 6 Monaten über Deutschland von den Briten abgeworfenen Bombenmenge "die Explosion der in einer Bombe eingeschlossenen Uranmenge auf dem Territorium Deutschlands der ganzen englischen Luftwaffe erlauben würde, sich drei Jahre zu erholen"}3 200 000 Tonnen Dynamit, so kalkulierte Flerov, könnten durch 2 1/2 Kilo Uran ersetzt werden. Nach- dem Flerov in dem Brief an Kurchatov eine kontrollierte Kettenreaktion, die ja der eigentlichen Bombe vorausgehen mußte, in der bisher favorisierten Kombination von Natururan mit Wasser sowie von Uran und Helium bzw. Deuterium (Schweres Wasser) ausgeschlossen hatte, wandte er sich der entscheidenden Frage zu, wie gewährleistet werden könne, daß die bei der Uranspaltung freiwerdenden Sekundärneutronen den Koeffizienten 1 überschritten. Im weiteren machte er sich phantasie- reich Gedanken über die Auslösung der Kettenreaktion im Uran 235 oder in Element 94-239 (d.h. Plutonium) mittels kosmischer oder sponta- ner Neutronen sowie über die Kanonenlänge, mit der "die Bombe" abzu- schießen sei. (Daß Bomben nicht abgeschossen, sondern geworfen wer- den, verrät den militärischen Laien). Im Zusammenhang mit der freiwer- denden Radioaktivität interessierte Flerov vor allem, wieviel Energie durch radioaktive Strahlung der eigentlichen Sprengwirkung entzogen würde - die radioaktiven Wirkungen selbst fand er keiner Beachtung

12 Vgi. auch Mikhail Chemenko, First Steps of the Soviet Nuclear Project, in: Moscow News 17.4.1988;Kapiza hatte nach dem Vortrag Flerovs gemeint, daß er unbedingt die Unterstützung Kurchatovs benötige, allein könne er nichts ausrichten (Gespräch mit Flerovvom 27.2.90). 73 Abschrift (mit Auslassungen) des Briefes von Flerov an Kurchatovvom 21.12.1941,Ko- pie im Besitz des Autors.

36 wert. In einem Postskriptum fügte Flerov noch hinzu, daß ihm aufgrund der Schwierigkeiten der Isotopentrennung die Verwendung von Element 94-239 vorteilhafter erscheine. Dies ist der erste Hinweis auf die Priorität einer Plutoniumbombe vor der Uranbombe. Aber auch Kurchatov ließ sich von Flerov nicht überzeugen, selbst er zweifelte mittlerweile am Vorrang der Bombe. Kaftanovs Schweigen auf Flerovs Brief sowie auf weitere fünf Telegramme schien in grotesker Weise die Ignoranz gegenüber der Möglichkeit einer Atombombe zu belegen. Selbst Kurchatov hatte dem engagierten Flerov nicht geant- wortet. Allerdings konnte Flerov nicht wissen, daß Kaftanov durchaus aktiv geworden war. Kaftanov hatte die Aufzeichnungen eines gefallenen deutschen Offiziers, der angeblich auf Uransuche in die okkupierten Gebiete geschickt worden war, an Lejpunski zur Begutachtung geschickt. Lejpunski winkte ab - früher als in fünfzehn bis zwanzig Jahren sei das Problem der Nutzung inneratomarer Energien nicht zu lösen. Kaftanov, ohnehin schon überlastet mit· Panzer-, Sprengstoff- und Brenn- stofftechnologien, schenkte einer Autorität wie Lejpunski wohl zunächst mehr Vertrauen als dem jungen Flerov. Wer Jconnte schon beweisen, daß die von Flerov vorgeschlagenen Schritte in kurzer zeit zum Erfolg führen würden? Im April 1942 richtete der mittlerweile enervierte Flerov seinen Appell endlich an Stalin persönlich. An _Stalins Sekretär gewandt, drängte Flerov, daß "die Uranfrage sich jetzt in einem solchen Stadium befindet, wo allein die persönliche Teilnahme des Genossen Stalin ir- gendetwas helfen kann".74Flerov, der inzwischen bei einer militärischen Aufklärungseinheit gelandet war, lägen Erkenntnisse über Arbeiten zur Atombombe in Deutschland vor. Mehr als indirekte Belege einer deut- schen Beschäftigung mit dem Uranproblem können es nicht gewesen sein. Umso mehr erstaunt das ungeschützte Vorpreschen Flerovs. Bitter attackierte der junge Leutnant die Inkompetenz "einiger Leute", die die mangelnde Realisierbarkeit von Atombomben behaupteten. Sträflich wäre es, beschwor Flerov Stalin, die Arbeiten an der Atombombe für die zeit ,nach dem Kriege aufzuschieben. Am besten wäre es, Ioffe, Fersman, Vavilov, Chlopiri und Kapiza als Akademiemitglieder sowie Lejpunsky, Landau, Alichanov, Arzimovich, Frenkel, Kurchatov, Chariton, Zeldo- vich, Migdal, Gurevich und Petrzak zu einer Konferenz zusammenzu- rufen, damit sie sich zur Erreichbarkeit einer Atombombe äußerten. Fle-

74 Nicht datierte Abschrift des Brief~ von F1erov an Stalins Sekretär (mutma~lich April 1942), Kopie im Besitz des Autors. 37 rov hatte damit bereits all jene aufgelistet, die dann in der Tat zu Schlüs- se1figuren des späteren Uranprojektes werden sollten.75 Abermals enttäuscht von der ausbleibenden Reaktion, wandte sich PIe- rov im Mai 1942 direkt an das Staatliche Verteidigungskomitee mit der nun schon anmaßenden Forderung, "unverzüglich mit der Herstellung der Uranbombe zu beginnen".76 Endlich gab es eine Reaktion. Um dem Staatlichen Verteidigungskomitee die Aufnahme der Atomforschungen vorschlagen zu können, hatte sich Kaftanov zwischenzeitlich der Unter- stützung zentraler Einrichtungen versichern wollen. Die ;einflußreiche staatliche Planbehörde GOSPLAN lehnte jedoch eine so folgenschwere Kehrtwende in der Rüstungsforschung ab. Im März und April 1942 schien die Sowjetregierung erstmals die aus unterschiedlichen Geheimdienstquellen schon seit Herbst 1941 ein- treffenden Angaben über militärisch. ausgerichtete Atomforschungen in Deutschland, Großbritannien sowie den USA ernstzunehmen.77 Die Briefe des weitgehend unbekannten PIerov allein hätten keine Reaktion bei der Regierung hervorrufen können. Aus london trafen seit Septem- ber 1941 beunruhigende Nachrichten ein. Die dortige Spionageabteilung meldete am 16.9.1941 nach Moskau: "Die Uranbombe kann durchaus im Laufe von zwei Jahren ausgearbeitet werden, insbesondere, wenn die Firma "Imperial Chemical Industries" verpflichtet wird, sie in kürzestmöglicher Zeit herzustellen".78 Der Londoner NKWD-Resident Anatoli Veniamovich Gorkij hatte darüberhinaus von seinem britischen Zuträger Donald McLean am 24.9.1941 einen für Churchill erstellten Be- richt des britischen Uran-Komitees übergeben bekommen und an den NKWD-Chef Berija weitergeleitet. Dieser hielt den Bericht anfänglich für reine Desinformation.79 Der deutsche Emigrant Klaus Fuchs, der als Physiker in Birmingham an der Isotopentrennung mittels Gasdiffusion arbeitete, hatte jedoch ebenfalls im Herbst 1941 Kontakt mit den Sowjets

75 Daß Flerov in dem Brief an Stalin eine Entwicklungszeit von 10-12 Jahren für die Atombombe angegeben hat, wie Holloway (Entering the Nuc1ear Arms Race, a.a.O., 175) behauptet, stimmt nicht; die Kopie des Briefes an Stalin befindet sich im Besitz des Autors. 76 Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 56 77 Stranizy zizni uchenogo. Dostizenija est?, in: Pravda 12.1.1988 78 V1adimir Skomorochov, Sekrety atomnoj bomby, in: Poisk 19, 3.-95.1991, 4f. 79 Skomorochov. a.a.O.

38 aufgenommen, da er nach langer Überlegung zu der Überzeugung gekommen war, daß die Sowjetunion an den Forschungen zur Atom- bombe beteiligt werden müsse. Fuchs ging auf Empfehlung seines Emigrantenfreundes Jürgen Kuczynski in aller Arglosigkeit in die sowjetische Botschaft, um seine Zuarbeit als Spion anzubieten. Mit den Briten hatte Fuchs kurz zuvor bittere Erfahrungen gemacht. Bis zum Beginn des 2. Weltkrieges verhielten sich britische Behörden recht entgegenkommend zu deutschen Emigranten. Nach Hitlers Über- fall auf Polen überprüften jedoch britische Spezialgerichtedie deutschen Emigranten auf ihre politische Zuverlässigkeit, so auch Klaus Fuchs mit seiner kommunistischen Vergangenheit. Er wurde im Mai 1940 auf der Insel Man interniert, schließlich sogar nach Kanada in ein Internierungs- lager in Quebec verbracht. Erst im Dezember 1940 durfte Fuchs nach England zurückkehren. Der deutsche Emigrant Richard Peierls, der zu- sammen mit Otto Frisch demChurchill-Berater Henry Tizard Anfang 1940 ein Memorandum über den Bau einer "Superbombe" übergeben hatte, nahm Klaus Fuchs nach dessen Rückkehr aus Kanada als junges Talent auf.80Ab Juni 1942, nunmehr schon mit britischem Paß, durfte Fuchs sich bereits mit geheimen Arbeiten im britischen Atomprogramm befassen, darunter auch mit der Beobachtung der deutschen Kernfor- schungen.B1Tief enttäuscht über das Ausbleiben einer zweiten Front ge- gen Hitler, wandte sich Fuchs an die sowjetische Botschaft. Die sowjeti- schen Botschaftsagenten zögerten zunächst, stellten dann jedoch Semen Kremer und Ruth Kuczynski, die Schwester von Jürgen Kuczynski, zur Betreuung von Fuchs ab.B2Ruth Kuczynski, schon seit längerem unter dem Decknamen "Sonja" beim Geheimdienst des sowjetischen Volks- kommissariats für Verteidigung, traf sich fortan alle 3 bis 4 Monate mit Fuchs, um seine Berichte entgegenzunehmen. Ab Frühjahr 1942 hatte Fuchs Informationen über die Gasdiffusion von Isotopen und über die Atomfabrik in Wales an den sowjetischen Geheimdienst geliefert.83 Bis November 1943, d.h. bis zu seiner von Robert Oppenheimer empfoh- lenen Übersiedlung in die USA, konnte Fuchs gleichwohl im we- sentlichen nur eigene Ausarbeitungen an die Sowjets liefern.

80 Eine Beschreibung des Memorandums findet sich in Rhodes, a.a.O., 324f. B1 A.S. Feklisov, Podvig Klausa Fuksa (Teil I), in: Voenno-istoricheskij zumal12/1990, 24

B2 Vgl. Williams, a.a.O." 60ff. 83 Williams, a.a.O., 60f.

39 Zwischen dem Auslandsgeheimdienst des NKWD und der Militärspio- nage, der Fuchs vermittelt über Ruth Kuczynski zugeordnet wurde, sollte es im übrigen bald zu Kompetenzstreitigkeiten kommen. Der Chef der Auslandsspionage im NKWD, General Fitin, wies so den Leiter der mili- tär-technischen Aufklärung, Leonid Kvasnikov, an, Fuchs schleunigst unter die Fittiche des NKWD zu nehmen.84Der spätere Führungsoffizier des MGB-KGB (= NKWD) - unter dessen Obhut Fuchs ab 1947 geriet - , charakterisiert den Wert der Fuchsschen Übermittlungen bis Ende 1943 folgendermassen: "Die bis zu jenem Zeitpunkt von Klaus Fuchs überge- benen Informationen waren den sowjetischen Wissenschaftlern mit eini- gen Ausnahmen aus eigenen Forschungen bekannt. Doch sie unterstri- chen erstens, daß die entsprechenden Arbeiten in Hitlerdeutschland in eine Sackgasse geraten waren und zweitens, daß die USA und England schon Industrieobjekte für den Bau von Atombomben bauten. Dies ver- stärkte erheblich die Empfehlung unserer Wissenschaftler an Stalin, wo- nach die Sowjetunion umgehend zum Bau ihrer eigenen Atombombe schreiten solle".85 Im März 1942 untersuchte das Staatliche Verteidigungskomitee jeden- falls die Fülle der eingegangenen Geheimdienstmaterialien und ent~ schied, beim Verteidigungskomitee ein wissenschaftliches Beratungs- organ für die Organisation und Koordination der Arbeiten an der Atom- bombe zu gründen.86 Im Frühjahr 1942 dürfte Stalins Umgebung vor al- lem die Tatsache beeindruckt haben, daß eine Atombombe in Groß- britannien und den USA überhaupt für machbar gehalten wurde. Die persönliche Rolle Stalins bei der Entscheidung für den Bottlbenbau be- darf weiterer Nachforschungen. Im persönlichen Archiv Stalins befinden

84 Vladimir Chikov, Kak sovetskaja razvedka "rasschtschepila" amerikanskij atom (Teil II), in: Novoe vremja 17/1991,37f.; Leonid Kvasnikov leitete die New Yorker Spionage- Residenz (1943-1945), insbesondere das Eindringen in das Manhattan-Projekt. Dortige Kontaktpersonen für Mitarbeiter und Zuträger aus dem Manhattan-Projekt waren Anatolij Jakovlev (= Anatolij Antonovich Jazkov?) sowie Semen Zemenov ("Twen"). Chef der Londoner Spionage-Residentur war Anatolij Gorkij ("Vadim"), für das Eindringen in das dortige "Urankomitee" zeichnete Vladimir Barkovskij verantwort- lich. Jazkov, Kvasnikov, Barkovskij und Feklisov dürften die vier sowjetischen Top- Agenten vor Ort gewesen sein, durch die alle maßgeblichen Informationstransfers vorgenommen wurden. 85 Feklisov (Teil I), a.a.O., 25 86 Skomorochov, a.a.O., 4

40 sich, so weiß man seit der Stalin-Biographie Volkogonovs, eine Reihe von Dokumenten zum Bombenprojekt.87 Welches Atomprojekt die so- wjetische Regierung nun am meisten beunruhigte, ob das deutsche oder vielmehr das der Verbündeten Briten und Amerikaner, und welche Be- richte außer denen von Fuchs es waren, die das Staatliche Verteidi- gungskomitee aufhorchen ließen, ist bis heute nicht abschliessend klär- bar. Die Sonderabteilung im NKWD für "militär-technische Aufklärung", deren Leitung erst Leonid Kvasnikov (ab 1943 in New York), dann Pavel Fitin (Deckname Aleksandrov) übernahm, wurde mutmaßlich im Som- mer 1942 eigens für die Atomspionage ins Leben gerufen. Die zentrale, von Stalin persönlich angewiesene Aufgabe bestand im Eindringen in das Manhattan-Projekt, namentlich in die Laboratorien von Los Alamos.88 So unzulänglich die Quellen auch sind, in den reportierten Anweisungen Stalins und den Aufgabenstellungen des NKWD an lokale Agenten galt das Interesse beinahe ausschließlich den Arbeiten in Engiand und den USA zur Konstruktion der Bombe, zur Isotopentrennung und zu transuranen Elementen.89 Dem Staatlichen Verteidigungskomitee reichte der sich aus verschie- denen Quellen summierende Eindruck aus, daß deutsche, vor allem aber britische und amerikanische Physiker einschließlich der dortigen Regierungsstellen eine Atombombe für möglich hielten und bereits auf breiter Front dar an arbeiteten - im frappanten Unterschied zu den ab- winkenden eigenen Physikkoryphäen. Der Kreml erkundigte sich je- denfalls angelegentlich bei Chlopin als dem Vorsitzenden der Uran- kommission, was er von den Informationen über ausländische Atompro- jekte halte. Chlopin empfahl nun dringend die Wiederaufnahme der For- schungen. Kaftanov, der sich der Unterstützung loffes versichert hatte, unterstrich jetzt auch seinerseits gegenüber dem Staatlichen Verteidigungskomitee, daß Flerovs Vorschläge ernst zu nehmen seien.90 Das Verteidigungsko-

87 Dmitrij Volkogonov, Triumf i tragedija. I.V. Stalin. Politicheskij portret, kniga 11,chast 2, Moskva 1989, 92 88 Chikov (feil I), Novoe vremja 16/1991, 38 89 Chikov (feil I), Novoe vremja 1611991, 38f. 90 Organizazija nauchnych issledovanii v gody vojny. Beseda s professorom S.V. Kaftano- vym, in: Vorposy istorii estestvoznanija i techniki 2/1975, 25; vgl. auch Po trevoge. Rasskaz upolnomochennogo Gosudarstvennogo Komiteta Oborony S.v.Kaftanova, in: Chimija i zizn 1985, 7f.

41 mitee lud die Creme der sowjetischen Physiker (loffe, Veniadskij, Chlo- pin und Kapiza) im August 1942 nach Moskau ein, um die Perspektiven des Uranprojekts zu beraten. Stalin, der die Anwesenden fragte, ob die Deutschen eine Atombombe bauen könnten und warum die Pu- blikationen aufhörten, war empört, daß ein junger Leutnant statt der Akademiker die Gefahr für die Sowjetunion erkannt hatte.91 Von Stalin pefragt, wer das Uranprojekt leiten solle, wurden erst Kapiza, loffe und Vernadskij ins Gespräch gebracht. Gewiß waren sie herausragende Phy- siker, aber würde einer jener Akademiker, die bisher nur Bedenken vorzutragen hatten, die Energien und das organisatorische Talent auf- bringen, hunderte,von Menschen in Bewegung zu setzen? Stalin beriet sich mit Berija und möglicherweise hat der NKWD-Chef seine Vorbehalte gegen den unbotmäßigen Kapiza vorgetragen. loffe seinerseits schlug Kurchatov als möglichen Projektleiter vor. Die Wahl fiel trotzdem zunächst auf loffe als wissenschaftlichem Projektleiter. In der ersten von Stalin gezeichneten Regierungsorder (28.9.1942) zum Uranproblem hieß es, daß das Leningrader Phystech unter loffes Füh- rung die Arbeiten zum Uranproblem wieder aufnehmen solle. Wie wirklichkeitsfern sich Stalins Vorstellungen vom Uranproblem noch ausnahmen, mag seine formale Anordnung illustrieren, daß 500 Quadrat- meter Fläche des nach Kazan evakuierten Phystech für Uranforschungen bereitzustellen seien. Zudem ernannte Stalin seinen Außenminister Molotov zum org~satorisch Verantwortlichen.92 Jemand aus seiner nächsten Nähe sollte das Projekt beaufsichtigen. Warum er statt Berija, dessen NKWD die Finanzierung des Projektes übernehmen sollte, den in dieser Hinsicht vollkommen inkompetenten Molotov mit der Aufgabe betraute, bleibt undurchsichtig. So sollen auch in der ersten Projektphase anstelle von Molotov der bereits erwähnte Kaftanov sowie der Volks- kommissar für die Chemische Industrie, Pervuchin, die administrativ- organisatorische Hauptrolle gespielt haben. Flerov erinnert sich, daß Molotov als Förderer des Atomprojektes nie in Erscheinung trat.93 loffe, der bisher selbst auf dem Gebiet der Kernphysik nicht geforscht hatte, hielt an Kurehatovals dem geeigneten wissenschaftlichen Projekt- leiter fest. Bei dem letztlichen Votum für Kurchatov gaben seine wissenschaftsorganisatorischen Fähigkeiten und sein" Engagement

91 Holloway, a.a.O., 174f. 92 I.N.Golovin, The First Steps ...,a.a.O. 93 Gespräch mit G.N.Flerov am 27.2.90

.42 vermutlich den Ausschlag. Kaftanovzitierte jedenfalls Ende August 1942 Kurchatov von Kazan nach Moskau, um ihn nach seiner Bereitschaft zur Leitung des Projektes zu fragen. Vermutlich hat Kaftanov ihn bei diesem Treffen auch mit den vorliegenden Spionagematerialien vertraut ge- macht. Jedenfalls frohlockte Kurchatov nach Lektüre der entsprechen- den Unterlagen: "Die Gesamtheit 'der Erkenntnisse in den Unterlagen belegt die technische Möglichkeit der Lösung des ganzen Uranproblems in wesentlich kürzerer Zeit, als sich dies unsere Wissenschaftler denken, die mit dem Gang der Arbeiten auf diesem Gebiet im Ausland nicht ver- traut sind".94 Die Aussicht, daß die Akademikerzunft sich den Anforderungen und Weisungen eines einfachen Professors zu unterstellen haben würde, rief insbesondere bei dem Vorsitzenden der Urankommission, Chlopin, Mißmut hervor. Zwischen Chlopin und Kurchatov hatte sich ein außer- ordentlich gespanntes Verhältnis entwickelt. Dem feinsinnigen und äus- serst akkuraten Chlopin, einem Vertreter der alten Petersburger Aka- demikerzunft, stand der einfache, frohgemute, etwas hemdsärmelige und vor allem wissenschaftlich bisher mittelmäßige Kurchatov gegenüber. Von Stalin schließlich nach Moskau gerufen, sagte Kurchatov am 21. Oktober 1942 zu. Kurchatov wollte allerdings die Verantwortung mit . Chariton teilen. Letzterer sollte nach Kurchatovs Vorstellung als eigent- licher wissenschaftlicher Leiter fungieren. Stalin entschied jedoch für Kurchatov. Seine formelle Bestallung mit einem Ukas des Staatlichen Verteidigungskomitees fand allerdings erst am 11.2.1943 statt. Der Inhalt des von Kurchatov zu leitenden Projektes wurde dabei bezeich- nenderweise mit keinem Wort erwähnt.95 Wiederum ein knappes drei- viertel Jahr später, im September 1943, wählte die Akademie - auf Drän- gen Kaftanovs - Kurchatov zum Vollmitglied, um ihm die nötige Reputa- tion zu verleihen. Chlopin, der noch zuvor bei Kaftanov seinem Unmut über die Bestallung Kurchatovs zum Projektleiter Luft gemacht hatte, ließ sich nunmehr von Kurchatov, der ihn eigens aufsuchte, zur Mitarbeit bewegen.96Kurchatov brauchte den qualifizierten Radiochemiker für die Gewinnung von Plutonium, und in der Tat übernahm Chlopin in der Fol- gezeit die wissenschaftliche Leitung für die Ausarbeitung der

94 Skomorochov, a.a.O., 5 95 I.N.Golovin, The First Steps ...,a.a.O. 96 Vgl. Interview von AB.Kozevnikov mit"I.I.Gurevich im Nov.1989 (unveröffentlichtes Manuskript)

43 Plutoniumtechnologie. Die persönlichen Animositäten hatten darüber zurückzustehen. In einem wollte CWopin jedoch Kurchatov nicht nach- geben - der von Kurchatov geforderten Überführung' des traditi- onsreichen Radium-Institutes aus dem noch blockierten Leningrad nach Moskau. Dies wäre nicht nur einer Auflösung gewachsener Kommu- nikationsstrukturen, sondern vor allem auch der gänzlichen Un- terordnung CWopins unter die wechselnden Anforderungen Kurchatovs gleichgekommen. Gegen Chlopins kategorisches Nein zum Umzug des Radium-Institutes nach Moskau, für das der schwer brüskierte Traditionalist CWopin gewiß alle Kräfte hatte zusammenraufen müssen, wollte sich selbst ein resoluter Pragmatiker wie Kurchatov nicht stem- men. Obschon sich CWopin aus Pllichtbewußtsein dem Atomprojekt nicht versagen konnte, widersprach es doch zutiefst seinem akademi- schen Hierarchiebewußtsein, die Tätigkeit des von ihm geleiteten Ra- dium-Institutes Kurchatovs Anweisungen unterzuordnen.97 In einem Brief an Kaftanov vom 15.Januar 1943 beklagte sich CWopin beispiels- weise, über die Konsequenzen der Entscheidung des Verteidigungsko- initees vom Dezember 1942, die Kernenergie in kürzestmäglicher Frist militärisch nutzbar zu machen, bislang nicht informiert worden zu sein. Zugleich scWug CWopin in dem Brief an Kaftanov einen Forschungsplan vor, der faktisch die wissenschaftlicb'e Leitung des Atomprojektes durch das Radium-Institut implizierte.98 Das Staatliche Verteidigungskomitee hatte jedoch bereits anders entschieden. Kurchatovs Vollmachten gingen mit seiner Bestallung zum Projektleiter weit über die von Robert Oppenheimer im amerikanischen Manhattan- Projekt hinaus. Kurchatov zeichnete nicht nur. verantwortlich für die Bombenentwicklung, sondern für die ganze Atomindustrie, von der Beschaffung von Uranerzen über die Anreicherung bis zur späteren Plutoniumproduktion.99 In ihm vereinigten sich die Kompetenz als wissenschaftlicher Leiter mit der administrativen Macht. Zudem war er der einzige unter den Wissenschaftlern, der ungehinderten Zugang zu Geheimdienstmaterialien hatte. Hierin dürfte auch der ScWüssel für

97 Z.V.Erschova, Moi vstrechi s akademikom V.G.Chlopinym (1924-1955 gg.), in: Akade- mik V.G.Chlopin. Vospominanija sovremennikov, Leningrad 1987,114 .98 Kotlev, Sinizyna, Kovalskaja, a.a.O., 48ff. 99 Vgl. die Rezension von David Holloway über den Kurchatov gewidmeten Erinnerungs- band (Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurchatove, Moskva 1988), in: Book Re- views 19.5.1989, 847f

44 manche jähen Schwenks in Kurchatovs Anforderungen und den daraus folgenden Reorientierungen im sowjetischen Atomprojekt liegen. Kurchatovs häufig seine Mitarbeiter verblüffenden Ideen resultierten dann aus der Lektüre von Auslandsberichten. Trotz der zahlreichen Briefe Flerovs hatten erst zusätzliche Informatio- nen über deutsche und anglo-amerikanische Arbeiten an der Atom- bombe die Entscheidung der Regierung zugunsten eines eigenen Uranprojektes bewirkt. Die Initiative war von einem jungen Nachwuchs- wissenschaftler ausgegangen. Als ungestümer junger Physiker hatte er das hierarchische Denken noch nicht internalisiert. Was er wissen- schaftlich und politisch für geboten hielt, durfte doch nicht an der Starrheit und Uneinsichtigkeit eines Apparates scheitern. Ungebändigter wissenschaftlicher Tatendrang mischte sich mit dem Bedürfnis, die politi- sche Führung von einer sträflichen Arglosigkeit mit möglicherweise welthistorischen Folgen befreien zu müssen. Daß die Atombombe eine Waffe werden wÜrde, deren Einsatz moralisch unvertretbare, weil irreversible Zerstörungen - gleich gegen wen - hervorrufen würde, war Flerov ebenso wenig wie der· politischen Führung bewußt. Die Autori- täten der Akademie der Wissenschaften hatten skeptisch bis abweisend reagiert und damit die Regierung und das Militär lange in ihrer Unwis- senheit belassen. Erst nachdem· die schon länger bekannten Informatio- nen über ausländische Atomprojekte Stalin erreichten und er die Altherrenriege der Akademie streng befragte, wurde die Aufnahme eines eigenen Uranprojektes veranlaßt. Die Entscheidung für den Atombom- benbau fiel unter dem unmittelbaren Einfluß Stalins. Doch wäre es ein Fehlschluß, von einer definitiven Entscheidung zu sprechen. Stalin ver- hielt sich zu den Geheimdienstberichten über amerikanische und deut- sche Atomforschungen ähnlich skeptisch wie vor dem deutschen Überfall gegenüber den zahlreichen Hinweisen auf den Kriegsbeginn. Die Ent- scheidung, für das Uranprojekt eine spezielle Organisation zu schaffen, hatte vielmehr den Charakter einer halbherzigen Rückversicherung "für den schlimmsten Fall". Erst der amerikanische Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki ließ das sowjetische Uranprojekt zum Priori- tätsbereich werden. Welche Rolle spielte bei dieser Entscheidung die Annahme eines er- folgreichen deutschen Atomprojektes? Gingen sowjetische Wissen- schaftler und ging Stalin von einem möglichen deutschen Einsatz einer Atombombe während des Krieges aus? Oder wurde die Atombombe in Kenntnis der langen Entwicklungszeit für die Nachkriegszeit konzipiert?

I 45 I

______JI Mit Ritler wäre über den Nichteinsatz der Atombombe nicht zu verhan- deln gewesen, und daß Ritler - hätte sie ihm zur Verfügung gestanden - eine Atombombe eingesetzt hätte, steht außer Zweifel. Flerov unter- streicht, daß den sowjetischen Kernphysikern deutlich gewesen wäre, "daß wenn irgendjemand die Atombombe machen kann" dann werden dies nicht die Amerikaner, nicht die Engländer, nicht die Franzosen, sondern namentlich die Deutschen sein. Sie, die Deutschen, hatten eine ausgezeichnete Chemie, die Technologie zur Gewinnung metallischen Urans, sie führten Experimente zur Isotopentrennung mit Zentrifugen durch und sie verfügten über herausragende Physiker. Schließlich hatten die Deutschen Schweres Wasser und Uranbestände",loo Die sowjetischen Wissenschaftler wußten, daß Deutschland über eine mächtige chemische Industrie verfügte, daß trotz der zahlreichen Emigranten außer- gewöhnliche Physiker wie Reisenberg, Bothe und Weizsäcker in Deutschland verblieben waren und daß die Auer-Gesellschaft in der Lage war, metallische Uranblöcke herzustellen,lol Auch Kikoin berichtet von der Sorge, die Deutschen könnten sie überholen,l02 Flerovs geradezu naiver Vorschlag, sich an die Engländer und Franzosen zu wenden, damit sie ihre jüngsten Ergebnisse mitteilten, legt ebenfalls nahe, daß die Furcht vor einer deutschen Atombombe während des Krieges im Vor- dergrund stand. Im einzelnen konnten die sowjetischen Physiker erst nach dem Krieg über die Arbeiten des deutschen Uranvereins erfahren haben, und so hat die Betonung der deutschen Kapazitäten zweifellos auch rechtfertigenden Charakter. Die Entscheidung für die Bombe wäre auch aus prinzipiellen Er- wägungen heraus getroffen worden. Allein die potentielle Verfügungs-

100Zitiert nach I.N.Golovin, Ju.N.Smimov, Eto nachinalos v Zamoskvoreche, Moskva 1989,4 101FIerov hob in einem am 27.2.90 geführten Gespräch hervor, daß ihm dies während des Krieges bekannt gewesen sei und mit der Möglichkeit eines deutschen Bombenbaus durchaus gerechnet wurde; eine gleichlautende Version hat FIerov der Journalistin SvetIana Soldatenkova erzählt, vgl. ihren Artikel "At the Sources of Mastering Nuc1ear Energy" in: Moscow News No.16, 1985. Durchaus möglich erscheinen' hier jedoch zeitli- che Rückprojektionen. FIerov hat während des Krieges keinen Zugang zu Geheim- dienstinformationen gehabt, seine Schlüsse müssen auf Literaturkenntnissen aus der Vorkriegszeit basieren. 102I.KKikoin, On prozil chastIivuju zizn, in: Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurcha-

tove, Moskva 1988,229 :1

46 gewalt eines beliebigen Gegners über die Atombombe, den es dem vorherrschenden Vergeltungsgedanken gemäß zu neutralisieren galt, wirkte bereits stimulierend genug. Überdies paßte sich die Entscheidung für den Atombombenbau füglich in den Technikkult jener Zeit ein. So haUe Flerov an Stalin geschrieben, daß in der Militärtechnik eine Re- volution vonstatten gehe. "Wenn es uns gelungen ist", fuhr er fort, "uns in einzelnen Gebieten der Kernphysik auf die Höhe ausländischer Forscher zu erheben und diese an manchen Stellen gar zu bestimmen, dann bege- hen wir jetzt einen großen Fehler, wenn wir freiwillig die erreichten Positionen aufgeben".l03 In einer kulturellen Atmosphäre, die durch das Streben nach "Einholen" und "Überholen" der kapitalistischen Umwelt bestimmt war, schien die Teilnahme am atomaren Wettbewerb auch unabhängig vom aktuellen deutschen Gegner geboten. Bei der Entscheidung für ein sowjetische Uranprojekt war weder das Ausmaß der bevorstehenden Schwierigkeiten auch nur annähernd erfaßt noch die gänzlich neue militärische und politische Qualität einer Atom- bombe begriffen worden. Die politische Dimension einer Atombombe über den Untergang Hitlers hinaus wurde bestenfalls erahnt. Für die glo- bale Dimension der Verantwortung, die aus der Verfügungsgewalt und dem möglichen Einsatz einer Atombombe resultieren würden, existierten hingegen nicht einmal Sensoren. Aber auch der tatsächliche Beginn der Arbeiten am Uranprojekt im Februar 1943 und ihr Verlauf bis August 1945 verdeutlichen, daß sowohl die politische Führung als auch die beteiligten Wissenschaftler vom Verständnis des nötigen Umfangs als auch der Implikationen ihres Tuns noch weit entfernt waren. Bis zur endgültigen Aufnahme der Arbeiten sollte noch einige Zeit ver- gehen. Die deutsche Sommeroffensive mit der Einnahme Charkovs, Se- vastopols und Stalingrads verhinderte vorerst eine schnelle Mobilisierung des wissenschaftlichen Potentials und der Ressourcen. Moskau war weit- gehend entvölkert und befand sich in permanentem Alarmzustand. Erst die siegreiche Schlacht bei Stalingrad und die Kapitulation von Generalfeldmarschall Paulus am 31.1.1943 brachte die lang ersehnte Erleichterung. Aber auch ungeachtet der angespannten Kriegslage hatte das Staatliche Verteidigungskomitee bei weitem noch keinen Begriff von den nötigen Ausmaßen eines erfolgversprechenden Uranprojektes. Die nächsten organisatorischen Maßnahmen vollzogen sich eher schleppend. Immerhin wurde Flerov im Sommer 1942 vom Militärdienst freigestellt,

103 Zitiert nach Golovin, Smimov, a.a.O., 5 47 um sich in Kazan den unterbrochenen Forschungen zur Neutronen- vervielfachung zu widmen. In Kazan, Ufa und Alma-Ata, wohin die Akademieinstitute evakuiert worden waren, sowie in Moskau und Lenin- grad begannen die Erörterungen zur Auslösung einer Kettenreaktion, zur Herstellung von Schwerem Wasser und zur Isotopentrennung.104 Im Ok- tober traf sich Kurchatov in Moskau zu Gesprächen über nötige materi- elle und organisatorische Voraussetzungen mit Kaftanov und Pervuchin (Volkskommissar für die Chemische Industrie), der vom Verteidigungs- komitee zum staatlichen Verantwortlichen für das Uranproblem nomi- niert worden war. Ende 1942 dekretierte das Staatliche Verteidigungskomitee die Grün- dung eines Laboratoriums für das Uranproblem - des sogenannten Laboratoriums Nr. 2 der Akademie der Wissenschaften, dessen Direktor Kurchatov wurde. Im Februar 1943, also nach der siegreichen Schlacht um Stalingrad, ließ sich Kurchatov schließlich mit einigen wenigen Mitarbeitern (Chariton, Kikoin, Zeldovich, Alichanov und Flerov) - alle um die 30 Jahre, maximal 40 Jahre altlOS- in Moskau nieder, um zunächst das Laboratorium aufzubauen. Kurchatov erhielt vom Staatlichen Verteidgungskomitee außerordentliche Vollmachten. Ihm wurde geneh- migt, hundert Physiker, Ingenieure und Radiochemiker um sich zu scha- ren. Ausrüstungen waren zu' beschaffen, Uranminen und Uranhersteller ausfindig zu machen und der 1941 eingestellte Zyklotronbau zu beenden. Kurchatov zog in dem Moskauer Laboratorium Nr. 2, das im ehemali- gen Seismologischen Institut in Moskau untergebracht wurde, zunächst nur eine kleine Wissenschaftlergruppe zusammen. Der Aufbau des Institutes begann am 15. Februar 1943 - erst von diesem Datum an kann von einem tatsächlichen Beginn des sowjetischen Uranprojektes gespro- chen werden. Kurchatov setzte mit seiner kleinen Mitarbeitergruppe einen Forschungsplan auf, der maßgeblich unter dem EinflUß der Spio- nagematerialien zustande gekommen ist. Wie sehr der Forschungsplan von Spionageerkenntnissen beeinflußt war, verdeutlichen zwei Briefe Kurchatovs an M.G. Pervuchin. Pervuchin fungierte als Schnittstelle zwischen der Kernforschung und den anfäng- lich noch konkurrierenden Geheimdienstorganen des NKWD bzw. des Militärs. Am 7.3.1943 faßte Kurchatov seine Eindrücke nach Lektüre der

104 Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 60 105 Chanton war 39, Flerov 30, Kikoin 35, Alichanov 39, Zeldovich 29, Kurchatov selbst 40 Jahre alt.

48 Spionageunterlagen zusammen: "I. Der wertvollste Teil der Unterlagen bezieht sich auf die Aufgabe der Isotopentrennung. Den einzig vernünf- tigen Weg ihrer Lösung schlagen die Engländer mit der Isotopentren- nung mittels Diffusion durch feinporige Membranen ein. Der Vorteil die- ser Methode gegenüber der Zentrifugenmethode erwies sich für unsere Physiker und Chemiker als überraschend .... 1I. Das Problem der Atom- explosion und der Verbrennung. Die Fakten zu jenem Teil der Unterla- gen sind ebenfalls von maßgeblichem Interesse. Das bezieht sich vor al- lem auf die Bestätigung der Möglichkeit einer Verwirklichung der atoma~ ren Verbrennung im Gemisch von gewöhnlichem Uranoxyd (oder metallischem Uran) mit Schwerem Wasser.-Für die sowjetischen Physiker erwies sich diese Bestätigung ebenfalls als unerwartet und der vorherrschenden Sichtweise widersprechend .... Doch alles Elend besteht darin, daß wir aufgrund der technischen Möglichkeiten nicht in der Lage sind, ihren Versuch zu wiederholen, da die Sowjetunion nur über 2-3 kg Schweres Wasser verfügt. III.... Die dargelegten Schlußfolgerungen (zu den physikalischen Prozessen in der Uranbombe - A.H.-G.) befinden sich in guter Übereinstimmung mit Berechnungen, die in dieser Hinsicht von unseren Wissenschaftlern gemacht wurden .... IV. Die erhaltenen Materialien zwingen uns, in vielen Fragen unsere Ansichten zu über- denken und dabei drei, für die sowejtische Physik neue Richtungen fest- zulegen". Am 22.3.1943 fügte Kurchatov in einem weiteren Brief an Pervuchin hinzu: "In den Unterlagen befmden sich auszugsweise Bemer- kungen über die Möglichkeit der Nutzung nicht nur von Uran 235, son- dern auch von Uran 238 in einem "Uranmeiler". Darüberhinaus wird aufgezeigt, daß die Produkte der Verbrennung des atomaren Brennstof- fes im "Uranmeiler" anstelle von Uran 235 in der Eigenschaft als Bombenmaterial genutzt werden können. Diese Bemerkungen in Be- tracht ziehend, habe ich die letzten Arbeiten der Amerikaner zu transuranen Elementen aufmerksam durchgesehen ... und ich konnte eine neue Richtung bei der Lösung des ganzen Uranproblems festlegen .... Die Perspektiven dieser Richtung sind äußerst attraktiv. Bisher sind in unserem Land keine Arbeiten zu transuranen Elementen durchgeführt worden. Im Zusammenhang damit wende ich mich an Sie mit der Bitte, die Aufklärungsorgane anzuweisen herauszubekommen, was in der ange- gebenen Richtung in Amerika geleistet wurde. Klärungsbedürftig sind folgende Punkte ... Über die Abfassung dieses Briefes habe ich nieman-

49 dem berichtet. Überlegungen, die ich hier dargelegt habe, sind allein Professor Kikoin und Professor .Alichanov bekannt".l06 Um welche neuen, also bisher nicht bedachten Richtungen es sich da- bei im einzelnen handelte, ist nicht bekannt. Kurchatovs Hauptproblem bestand eigentlich darin, die wertvollen Unterlagen gar nicht umsetzen zu können. Es fehlte an Laborausrüstungen, an einer leistungsfähigen chemischen Industrie und nicht zuletzt an Personal. Kurchatov orien- tierte jedenfalls auf einen Uran-Graphit-Reaktor, der }>lutonium als Bombensprengstoff produzieren sollte. Die Bezeichnung ::Uranprojekt" führt im übrigen in die Irre. Die Entscheidung, statt auf Uran 235 zu set- zen, aus Uran 238 Plutonium als Kernsprengstoff zu "brüten", wurde schon im Anfangsstadium des Projektes getroffen. Reinstes Graphit und Uran waren zu besorgen, den Zyklotronbau hieß es voranzutreiben, Verbindungen zur Industrie und zur Regierung waren herzustellen und die theoretischen und experimentellen Forschungen. abzustimmen. Trotz der Präferenz für einen Uran-Graphit-Reaktor sollte die Gruppe um Barkov und Muchin weiterhin die Tauglichkeit von Was- ser als Moderator untersuchen.l07 Kurchatovs erster Forschungsplan sah im wesentlichen vor, einige ein- fache Großversuche tu den verlangsamenden und absorbierenden Ei- genschaften des Graphit und zum Vervielfältigungsfaktor von Neutronen in einem Uran-Graphitgemisch durchzuführen, um überhaupt erst die Kernkonstanten bestimmen und die Reaktortheorie 9ann verfeinern zu können.108 Kurchatov selbst vereinnahmte die organisatorische Tätigkeit vollkom- men. Pervuchin, der Stellvertretende Vorsitzende des Rates der Volks- kommissare, hatte vor allem für die schnelle und unbürokratische Um- setzung der Anforderungen Kurchatovs Sorge zu tragen. Für zwei zen- trale Aufgaben galt es, die wissenschaftlichen und technischen Voraus- setzungen zu schaffen: für den Bau eines "Uranmeilers" und für die -Isotopentrennung. Beide Schwerpunkte verfolgte man parallel. Die Gruppe entschied sich, einen Meiler auf der Basis der Kernspaltung mit thermischen Neutronen zu bauen. Als Spaltmaterialien kamen dabei Uran 235 und Element 94 (Plutonium), von dem man noch kein Mikro-

106Zitiert nach der Wiedergabe bei Vladimir Chikov (feil 11),Novoe vrtmja 17/1991, 39 107 Interview von A.B.Kozevnikov-mit I.I.Gurevich vom 16. November 1989 in Moskau (unveröffentlichtes Manuskript) 108Zezerun, a.a.O., 9 so gramm besaß, das aber nach Bohr und Wheeler ebenfalls für die Spal- tung geeignet war, in Frage. Um dies herauszufinden, mußte vor allem der vor dem Krieg abgebrochene Zyklotronbau abgeschlossen werden. Dzelepov und Nemjonov nahmen diese Aufgabe in Angriff. Der tatsäch- liche Start des Zyklotrons fand jedoch erst am 18.Juni 1946 statt.109 Erste Mikrogramme Plutonium ließen sich nunmehr für die Untersuchung der chemischen und physikalischen Eigenschaften dieses neuen Elementes gewinnen. Kurchatov selbst leitete ein Seminar zur Kernspaltung und zur Ketten- reaktion, an dem jedoch aus Geheimhaltungsgründen noch nicht einmal alle Mitarbeiter teilnehmen durften. Zu eigenen experimentellen Ar- beiten kam er kaum. Um eine Kettenreaktion im Reaktor zuwege zu bringen, bedurfte es präziser Berechnungen zum "Resonanzeinfang" bei der Abbremsung von Neutronen, d.h. der Feststellung, wieviel Neutronen . nach einer Spaltung für neue Spaltprozesse zur Verfügung stehen.11o Die ersten Experimente mußten in Ermangelung von Uranmetall mit Uranylnitrat oder mit Urandioxyd durchgeführt werden. Von der Be- schaffung reinen metallischen Urans hing indessen jedwede Reaktorkon- struktion ab. Zinaida Erschova, Schülerin von Chlopin und von Irene Jo- liot-Curie und somit ausgewiesene Spezialistin auf dem Gebiet der Ge- winnung von Radium und Uran, erhielt zusammen mit N.P.Sazin vom Institut für Seltene Metalle im Februar 1943 den Auftrag, schnellstmög- lich die Technologie zur Urangewinnung auszuarbeiten.11l Kurchatov benötigte Neutronenquellen und verschiedene Uranverbindungen, dar- unter Urandioxyd und Urankarbid, um ihre Tauglichkeit für die Ketten- reaktion erproben zu können. Zunächst forderte er nur Mikrogramme, dann jedoch bald Dutzende Kilogramme von Uranverbindungen. Zugleich beauftragte Kurchatov das Radium-Institut mit der Bereitstel- lung von Neutronenquellen, die für die Ingangsetzung einer Kettenreak-

109 Josephson, Early Years, a.a.O., 38 110 Die Resonanzabsorption studierte neben Gurevichs Gruppe die Gruppe um Vsevolod Vladimirovich A1pers, zu der u.a. Jurij Abramovich Zysin, Romanovskij und Abaku- mov gehörten, vgl. Gurevich-Interview, a.a.O. 111Die Informationen zur sowjetischen Urangewinnung beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf ein am 1.3.90 geführtes Gespräch mit Zinaida Erschova sowie auf ihre Artikel: Z.Erschova, M.Pozarskaja, V.Fomin, Milligrammy - eto nemalo, in: Technika Molodezi 2/1976, 48-49 und Z.Erschova, Moi vstrechi s akademikom V.G.Chlopinym, a.a.O., 85-121, insbes. 113ff. 51 tion benötigt wurden. Frau Erschova, Schülerin von Chlopin und Marie Curie, hatte mit ihren Mitarbeiterinnen Uranerz aus den mittelasiati- schen Minen zu besorgen. Säckeweise landete Urantrioxyd aus Mit- telasien (Tabaschar ) mit leider viel zu starken Beimengungen im Labora- torium für Seltene Metalle.ll2 Gleichzeitig beschäftigte sich eine Filiale des Instituts für Seltene Metalle in Odessa mit der Reinigung des Urans von Beimengungen, um dann Uranfluorid nach Moskau weitersenden zu können. Die mittelasiatische Uranerze erwiesen sich indessen von außerordentlich geringer Konzentration. Bemühungen, noch während des Krieges Uran in den USA zu kaufen, blieben erfolglos. Schon Ende 1943 gelang es jedoch Zinaida Erschova, ausreichende Mengen an Urankarbid für die Reaktorschichtversuche herzustellen.1l3 An der Ausarbeitung der Technologie für die Herstellung von Uranfluordioxyd bzw. Urantetrafluorid als Ausgangsbasis für die Uranschnielze im Ofen beteiligte sich zudem das Forschungsinstitut von Professor .Zimakov (Institut GSNII-402). Im Dezember 1944 konnte Zinaida Erschova erste minimale Mengen reinen metallischen Urans (etwa 1kg) bereitstellen.114 Mittels Raffmierung in einer Hochfrequenz- Vakuumkammer hatte sie Urantetrafluorid von Schlacken befreit.ll5 Frau Erschova schlug Kurcha- tov daraufhin die Errichtung eines speziellen Instituts für die Ausarbei- tung der Urantechnologie vor. Kurchatov reagierte schnell. Das Ministe- rium für Buntmetallindustrie wurde mit der zügigen Projektierung eines entsprechenden Instituts beauftragt, die dann Frau Erschova zusammen mit V.D.Nikolskij übernahm.116 Die Notwendigkeit, einen Reaktor auf der Basis von:;metallischem Uran zu konstruieren, hatte sich bald herausgestellt· Uranverbindungen verschluckten zu viele Neutronen. Zudem ermöglichte metallisches Uran eine wesentlich kompaktere Reaktorkonstruktion. Im Dezember 1944 durfte Frau Erschova ihr Verfahren zur Gewinnung reinen metallischen Urans den eigens angereisten Ministern Pervuchin, Malyschev und Za-

112Für die Uranschmelze in Öfen wurde 1944 ein spezielles Institut mit der Bezeichnung NII-8 geschaffen, es befand sich in der Moskauer Durovstr. Nr. 5 113Abschrift des Interviews von Michael Rossiter mit Z.Erschova für Channel Four (Mai 1989) 114Erschova, Moi vstrechi ..., a.a.O., 115 115Z.V.Erschova, 0 vstrechach s I.V.Kurchatovym v 1943-1960gg., in: Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurchatove, a.a.O., 338 116Erschova, Moi vestrechi..., a.a.O., 116 52 venjagin demonstrieren, kurz darauf dann vor dem Ministerrat. Das hohe Gremium entschied, auf der Basis der Laborversuche von Frau Erschova die Technologie für die industrielle Gewinnung metallischen Urans auszuarbeiten. Die 9.Abteilung des NKWD organisierte ein zusätzliches Laboratorium in Elektrostal bei Moskau, wo sich bereits ein industrieller Schmelzofen befand. Es gelang jedoch nicht, während des Krieges Uran und Graphit in industriellem Maßstab zu produzieren. Erst 1946 sollte die Suche nach ergiebigen Uranerzen von Erfolg gekrönt sein - die tschechoslowakischen und ostdeutschen Uranminen wurden nunmehr ausgebeutet. Für die Entwicklung eines graphitmoderierten Reaktors zeichnete Igor Semenovich Panasjuk verantwortlich.ll7 Den ebenfalls im Laboratorium Nr. 2 tätigen theoretischen Physikern Pomeranchuk11S und Gurevich ge- lang es im Sommer 1943 und Januar 1944, durch exponentielle Berech- nung der Absorption von thermischen Neutronen in Graphitprismen die kritische Masse zu berechnen.119 Als entscheidender Durchbruch für die Reaktorkonstruktion erwies sich die Anfang 1944 von Pomeranchuk und Achiezera entwickelte Idee, Uran nicht mehr homogen im Moderator zu

117Panasjuk war stellvertretender Leiter des Sektors Nr. 1 im Laboratorium Nr. 2, zu sei- nen Mitarbeitern gehörten E.N.Babulevich, B.G.Dudovskij, I.F.Zezerun, AAZuravlev, N.AKonopatkin, V.AKulakov, N.V.Makarov, K.N. Schljagin, vgI. Zeze- run, a.a.O., 66ff. 118 Zu Pomeranchuk vgI.jetzt Vospominanija 0 I.Ja.Pomeranchuke. Otvetstvennyj redak- tor chlen-korrespondent AN SSSR L.B.Okun, Moskva 1988. Pomeranchuk wechselte im Herbst 1945 in das Labor von Alichanov, um sich der Entwicklung eines Schwerwasserreaktors zu widmen 119 Gurevich beschreibt seine und Pomeranchuks Arbeiten zur Resonanzabsorption in. dem erwähnten Intetview von AB.Kozevnikov (unveröffentl.Manuskript). Gurevich und sein Mitarbeiter Zejnovich bestimmten die Neutronenflüsse durch die Methode der "Äquivalentzelle" - vom Verhalten der Neutronen in einer kleinen Uran-Modera- tor-Zelle schlossen sie auf die' nötigen Ausmaße des Reaktors. Pomeranchuk und Gurevich stellten die Theorie vom sogenannten "Blockeffekt" der Resonanzabsorption auf, die eine optimale Bestimmung der Blöcke eines Reaktors ermöglichte. Im Unter- schied zu der Theorie des aus Deutschland emigrierten Kernphysikers Wigner über die Resonanzabsorption hatte sich Zeldovichs "Alterstheorie" (Bestimmung der räumli- chen Bremsdichteverteilung bei gegebener Quelldichte der Spaltneutronen), wie Golo- vin schreibt (The First Steps ...,a.a.O.), als überlegen erwiesen.

53 verteilen, sondern in kompakten Stücken in bestimmten, "heterogenen" Abständen anzuordnen.l2O Alichanov experimentierte ab Sommer 1945 an der Konstruktion eines Reaktors auf der Basis von Natururan und Schwerem Wasser als Mode- rator. Im Unterschied zu einem Uran-Graphit-Reaktor bestand "vollständige Gewißheit" in jener Zeit angeblich nur in bezug auf einen Reaktor mit Uran und Schwerem Wasser, wie der sowjetische Reaktor- konstrukteur Zezerun schreibt.l21 Woher die absolute Überzeugtheit von einem Schwerwasser-Reaktor rührte, für dessen Bau 1945 eigens das Laboratoriums Nr. 3 der Akademie der Wissenschaften gegründet wurde, bleibt undurchsichtig.l22 Bis dahin hatte Kurchatov alle Erwar- tungen auf einen graphitmoderierten Reaktor gesetzt. Die sowjetische Gewißheit war von entsprechenden amerikanischen Versuchen genährt worden. Die Priorität lag gleichwohl auf einem graphitmoderierten Reak- tor: Sowohl der Chicago Pile Number One von Fermi als auch die Reak- toren in Hanford und Oak Ridge basierten auf einem Uran-Graphit-Ge- misch, und so dann auch der erste sowjetische Kernreaktor.l23 Neben den Arbeiten zur effektivsten Reaktorkonstruktion erforschte man zugleich die Theorie der Nuklearexplosion. Chariton, der während des Krieges chemische Sprengstoffe erforscht hatte, und Zeldovich zeichneten hierfür ab der zweiten Jahreshälfte 1944 verantwortlich.124 Auch Lev Landau, bisher bei Kapiza mit der Heliumverflüssigung befaßt, gehörte ab 1945 zu dem Team, das die Ausbreitung von Detonati-

120 Zezerun, a.a.O., 10; Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 63; auch während eines am 20.2.90 geführten Gesprächs unterstrich Golovin nochmals den Durchbruch, der mit der Orientierung auf einen heterogenen Reaktoraufbau erreicht worden sei. 121Zezerun, a.a.O., 8 122Es handelt sich um das heutige Moskauer Institut für theoretische und experimentelle Physik. 123 Vgl. Rhodes, a.a.O., 434ff., 440-448, 556 124Der Sprengstoffspezialist Zukerman erhielt im Mai 1943 einen Brief von Chariton, in dem dieser ihn aufforderte, die Experimente mit Röntgenaufnahmen von Geschossen zu intensivieren. Ab August 1943 beauftragte der Munitionsminister Vannikov das Moskauer Institut für Explosivstoffe und das Institut für Entwurf und Erprobung von Geschossen mit der Weiterentwicklung der Röntgenblitzaufnahmen und der Studien zu den Detonationswellen; vgI. Zukerman, Azarch, Ljudi i vzryvy, Moskva oJ. (unveröffentlichtes Manuskript), 65; vgI. auch das Gurevich-Interview, a.a.O. I i! 54 onswellen und Sprengstücken zu untersuchen hatte.l25 Unter anderem galt es, die schnelle Vereinigung von zwei unterkritischen Massen Spaltmaterial zu einer überkritischen Masse zu ergründen. Wie improvi- siert dabei vorgegangen wurde, mag ein Beispiel illustrieren. Im Gebäude des Laboratorium Nr. 2 baute man zu Versuchszwecken zwei Gewehre gegeneinander auf, um mittels Schnellfotografie die Vereinigung von Metallmassen studieren zu könnnen. Nachdem diese Experimente erfolg- reich verliefen, wollte Kurchatov die Versuche mit zwei 76-Millimeter- Geschützen fortsetzen lassen.l26 Der Munitionsminister B.L. Vannikov, der Kurchatov eines Tages nach dem Zweck der gegenüber dem Institutsgebäude aufgestellten Kanonen befragte, unterband jedoch ein derartiges Primitivexperiment. Die Isotopentrennung untersuchte man mittels zweier Methoden - dem Diffusionsverfahren durch poröse Trennwende, für das Kikoin verantwortlich zeichnete, und der Thermodiffusion, mit der sich Aleksan- drov im Institut von Petr Kapiza befaßte. Für die Thermodiffusion errichtete man eine gänzlich neue Fabrik in Moskau.l27 Bald entschied man sich jedoch für das energetisch vorteilhaftere Diffusionsverfahren.l28 Da die Uranisotope chemisch gleich reagieren, kommen nur phy- sikalische Trennverfahren in Frage. Die zu trennenden Uranisotope haben unterschiedliche Massen, unterscheiden sich folglich auch in ihren Bewegungsgeschwindigkeiten. Daraus ergab sich die Schlußfolgerung, daß beim Diffundieren eines Uran-Gasgemisches (Uranhexafluorid) durch poröse Wände das leichtere Uranisotop Uran 235 die Wegstrecke schneller als das schwerere Uran 238 durchströmen und jenseits der Trennwand relativ angereichert anfallen würde. Durch vielfache Wieder- holung des Trennvorgangs (Kaskade) würde sich sukzessive der Anteil des gewünschten Uran 235 erhöhen. Arzimovich wi~ete sich darüber-

125 L.D. Landau hat hierüber vier Arbeiten verlaßt: Ob izuchenii detonazii konden- sirovannych vzryvchatych veschtschestv, DAN SSSR 1945, Bd.46, 399; Opredelenie skorosti istechenija produktovdetonazii nekotorych gazovych smesej, DAN SSSR 1945, Bd. 47, 205; Opredelenie skorosti istechenija produktov detonazii kondensirovannych vzryvchatych veschtschestv, DAN SSSR 1945, Bd. 47, 273; Ob udamych volnach na dale- kich rasstojanijach ot mesta ich vozniknovenija, in: Prikladnaja matematika i mechanika 9/1945,286 126 Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 66 127 Anatolij Petrovich Aleksandrov, Kak delali bombu, in: Pravda 23.7.1988 128 Golowin, I.W.Kurtschatow, a.a.O., 61

55 hinaus ab 1945,vermutlich beeinflußt durch Informationen über entspre- chende amerikanische Anlagen in Oak Ridge, mit der elektromagneti- schen Isotopentrennung. Die parallele Verfolgung verschiedener Isotopentrennverfahren wirft ein Schlaglicht auf den Umgang mit Spionageinformationen. Kurchatov verließ sich nicht auf den vermeint- lich erfolgversprechendsten Weg, wiederholt wurde alles, was in den USA bereits praktiziert worden war. Offensichtlich gab es die Furcht, ei- ner gezielten Desinformation zu erliegen. Obschon es für das Laboratorium Nr. 2 im Seismologischen Institut zu eng wurde und daraufhin auch das Institut für Allgemeine Anorganische Chemie belegt wurde, nehmen sich die Anfänge des Uranptojektes doch recht bescheiden aus. So mußte etwa I.S.Panasjuk in zwei (im Winter lau- sig kalten) Armeezelten seine Messungen zur Absorption und Abbrem- sung von Neutronen in Graphitstapeln vornehmen. Auch die Anzahl der Mitarbeiter verdeutlicht, daß das sowjetische Uranprojekt während des Krieges keineswegs mit den Maßstäben des Manhattan-Projektes zu vergleichen war. Am 25. April 1944 arbeiteten im Laboratorium Nr. 2 insgesamt 74 Menschen, darunter 25 wissenschaftliche Mitarbeiter.l29 Bis August 1945 blieb die Mannschaft in etwa dieser Stärke; Neben dem Laboratorium Nr. 2 waren das Charkover Laboratorium Nr. 1 unter Zinelnikov (ab Juni 1943) sowie das Radium-Institut, das Institut für Seltene Metalle (GIREDMET), das Moskauer Elektrodenwerk u.a. noch hinzugezogen worden. Die Durchführung der 'Experimente in ver- schiedenen Instituten mußte indessen zur Zersplitterung führen. Kurcha- tov suchte deshalb nach einem Gelände, auf dem die Forschungen konzentriert werden konnten. Aber auch aus Gründen der Ge- heimhaltung und wegen zunehmender radioaktiver Verschmutzungen - bei Schichtversuchen für den Reaktor schmolzen schon mal die Uran- Graphit-Blöcke zusammenlJO - empfahl es sich, eine etwas entlegenere Gegend als das Moskauer Stadtzentrum ausfmdig zu machen. Auf einem verlassenen Artillerie- und MG-Schießplatz im Nordwesten Moskaus fand das Laboratorium Nr. 2 Ende 1944 schließlich seinen endgültigen Standort. Noch heute befmdet sich dort das Moskauer Kurchatov-Institut für Atomenergie.

129 V.V.Goncharov, Pervye (osnovnye) etapy reschenija atomnoj problemy v SSSR, Mos- kva 1990,3 130 V.K.Losev, Ot palatok do promyschlennogo reaktora, in: Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurchatove, a.a.O., 261

56 Unzufrieden über die halbherzige und inkompetente Unterstützung Mo- lotovs für das Uranprojekt wandte sich Kurchatov nach einem Jahr (also etwa im Frühjahr 1944) an den energischen Berija mit der Bitte um Ab- hilfe. Kurchatovs Klage über Molotovs Unfähigkeit war es, die den NKWD erst recht in das Uranprojekt hineinzog.l31 Berija verfügte über Arbeitskräfte und er war für seine Entschlossenheit bekannt, bei ihm zo- gen sich Sitzungen nicht Stunden hin, entschieden wurde schnell. Und er konnte jene latente Furcht erzeugen, die alle am Projekt Beteiligten zu Höchstleistungen antrieb. Bis zu seiner Verhaftung nach dem Tod Stalins sollte Berija der Regierungsverantwortliche für die Bombenproduktion und die Atomindustrie bleiben. Berija stellte umgehend Strafgefangene aus dem Archipel bereit, die denBau des Laboratoriums Nr. 2 wie auch später das Ausheben von Uranminen, den Bau von Straßen, von Gebäuden für Fabriken und Reaktoren sowie der Atomstädte im Ural verwirklichten. In unmittelbarer Nähe des Laboratoriums Nr. 2 befand sich ein Gefängnis mit Maschinengewehrposten. Die Strafgefangenen ar- beiteten mithin in Sichtweite der Physiker und Chemiker. Selbst das weltberühmte internationale Kernforschungszentrum in erbauten Berijas Strafgefangene. Bis zum Neuautbau des Laboratoriums Nr. 2 an diesem Standort (noch heute befmdet sich dort das Institut für Atomenergie) konnten experi- mentelle Arbeiten nur in äußerst geringem Umfang durchgeführt wer- den.l32 Je näher indessen der Sieg über Deutschland rückte, umso weni- ger erschien es nötig, die Arbeiten an einer Atombombe zu be- schleunigen. Jene die Amerikaner umtreibende Sorge, Hitler könne eventuell noch in letzter Minute eine Atombombe einsetzen, beunruhigte die sowjetischen Mitarbeiter am Uranprojekt nicht. Daß der sowjetische Geheimdienst diesbezüglich Entwarnung gegeben hatte, kann nur vermu- tet werden. Die Zweifel Stalins an der generellen Realisierbarkeit einer Atombombe hielten bis zur Zündung der amerikanischen Bombe an. Aber auch die sowjetischen Physiker und Chemiker überkamen Zweifel am Gelingen des Projektes. Vor den Abwürfen auf Hiroshima und Naga-

131 So Golovin im Gespräch mit Leonard Nikischin, vgl. ders., Razbudivschie dzinna, in: Moskovskie Novosti 41,8.10.1989 132 I.K.Kikoin, On prozil chastlivuju zizn, in: Vospominanija ob Igore Vasileviche Kurcha- tove, a.a.O., 229

57 saki waren wir Pessimisten, berichtet Flerov.l33 Zwar hatte man theore- tisch und experimentell erhebliche Fortschritte gemacht, aber es fehlte immer noch an entscheidenden Durchbrüchen bei den elementaren Vor- stuflen der Bombe. Ein funktionsfähiges Zyklotron stand nicht zur Verfü- gung, für Schichtversuche am Reaktor fehlten die metallischen Uran- blöcke, die norwegische Schwerwasserfabrik war bombardiert worden, eine eigene Schwerwasserproduktion gab es überhaupt nicht. Erneut ka- men Zweifel an der Machbarkeitder Bombe auf - würde der in der BOIID.beentstehende Druck nicht sofort alles zum Bersten bringen, mithin die Kettenreaktion abbrechen? Würden nicht kosmische Strahlen in großen Höhen alle Berechnungen auf dem Boden zunichte,machen? Die Zweifel ließen sich nur durch eine Ausweitung der Forschungen über- winden. Kaum war der Krieg mit Deutschland für die Sowjetunion been- det. schrieb Kurchatov zusammen mit Pervuchin im Mai 1945 an Stalin, damit außerordentliche Maßnahmen zUr Verstärkung der Forschungsar- beiten getroffen würden. Ein erster Schritt war die Nutzung deutschen Know-hows.

li.

133 Abschrift des Interviews von Michael Rossiter im Mai 1989 mit Flerov für Channel Four.

58 v. Deutsche Wissenschaftler im Atomprojekt

Die gezielte Einbeziehung deutscher "Spezialisten" in das sowjetische Bombenprojekt steht historisch sowohl im Kontext der sowjetischen Besatzungspolitik als auch der Rüstungskonkurrenz mit den vormaligen Kriegsalliierten. Die Völker der Sowjetunion hatten durch den Krieg unaussprechliches Leid erfahren und erwarteten, daß das besiegte Deutschland wenigstens einen Teil der Schäden ersetze. Mit dem Beginn des Jahres 1945, das Kriegsende war in Sichtweite gerückt, setzten die Sowjets eine Reparationsforderung von 10 Milliarden Dollar fest, von der sie auch künftig nicht mehr abrücken wollten.134Zugleich waren inner- halb der von Ostpreußen nach Berlin vorrückenden sowjetischen Divi- sionen "Trophäenbrigaden" gebildet worden, die zunächst landwirtschaft- liche und Haushaltsgüter requirieren, bald jedoch ganze Industrieun- ternehmen abbauen sollten)35 Gleichwohl gab es weder klare Vorstellun- gen über die deutschen Industriekapazitäten noch eine Beutestrategie, welche die sowjetische Industrie- und Forschungsnachfrage mit den vorfindlichen deutschen Kapazitäten in· Verbindung brachte. Die "Trophäenbrigaden" hamsterten anfänglich allein nach quantitativen Gesichtspunkten.136 "Die sowjetischen Autoritäten", so schreibt ein übergelaufener sowjetischer Offizier, "erkannten, daß mit der letztlichen bedingungslosen Kapitulation Deutschlands möglicherweise eine allge- meine interalliierte Verwaltung in dem niedergeworfenen Land errichtet würde und somit geplante Reparationen an die Stelle von Plünderung treten würden")37 Das Ziel, möglichst umfangreiche Kompensationsleistungen für die Kriegsverluste erhalten zu können, trat in den ersten Jahren der Besat- zung eindeutig in den Vordergrund, und zwar spürbar zu Lasten des anderen Zieles,. das sowjetische Gesellschaftsmodell in der eigenen Besatzungszone und möglicherweise auch in ganz Deutschland zu eta- blieren. Bereits im Dezember 1944 faßte das staatliche Verteidigungs-

134 Robert Stusser (ed.), Soviet Economic Policy in Postwar . A Collection of Pa- pers by Former Soviet Officiats, New York 1953, (introduction) x 135Vassily Yershov, Conflscation and Plunder by the Army of Occupation, in: Stusser (ed.), a.a.O., 2f. und Vladimir A1exandrov, The Dismantling of German Industry, in: Slusser (ed.), a.a.O., 14f. 136 V. A1exandrov, a.a.O., 14 137V. A1exandrov, a.a.O., 15 S9 Igor V. Kurchatov 60 komitee der UdSSR einen ersten Beschluß über die Internierung von Deutschen, die vor allem als potentielle "fünfte Kolonne" während der anhaltenden Kriegshandlungenausgeschaltet, zugleich jedoch ZUtt1 Wiederaufbau herangezogen .werden solltelD..l38 Eine sowjetische Grundsatzentscheidung für Zivilinternierungen und die Nutzung deut- scher Arbeitskräfte war damit getroffen, auch wenn sich dies noch nicht auf die Inanspruchnahme deutscher Wissenschaftler im einzelnen bezog. Die Grundzüge und Widerspruche sowjetischer Besatzungspolitik tra- ten schon während der Konferenz in Jalta (4.-11.2.1945) ausgeprägt in Erscheinung. Das sowjetische Reparationsprogramm, in Jalta vom stellvertretenden sowjetischen Außenminister Maiskij vorgestellt, sah eine Demontage von 80 Prozent der deutschen Industrieanlagen vor.l39 "Die Flugzeugindustrie, die Anlagen zur Gewinnung synthetischen Ben- zins und alle übrigen militärischen Anlagen und Fabriken müßten voll- stäJ;1digdemontiert werden. Unter Demontage verstehe ich Beschlag- nahme, Abtransport und VerWendung als Reparationszahlung".l4O Eben- falls in Jalta fand der Gebrauch deutscher Arbeitskräfte Erwähnung. Aufgrund der Uneinigkeit unter den Alliierten hatte Molotov in einem Memorandum den strittigen Punkt auf spätere Verhandlungen verscho- ben wissen wollen.141 In dem Protokoll der Jalta-Konferenz hieß es gleichwohl, daß Reparationen in dreierlei Gestalt erfolgen sollten, dar- unter lapidar: "use of German labor".l42 Der alliierte Kontrollrat konkretisierte schließlich in seinerProklamationNr. 2 vom 5.6.1945 seine

138 Wladimir Galitzkij, Internierte Deutsche in der UdSSR, in: Horizont-International 10/1990,20 139 Horst Duhnke, Stalinismus in Deutschland. Die Geschichte der sowjetischen Besatzungszone, 0.0. 1955,67 140 Hier zitiert nach Meissner, a.a.O., 50 141 Meissner, a.a.O., 51. Meissner bezieht sich auf die MemoranduntSVersion, die von B. R. Stettinius, Roosevelt and the Russians. The Yalta Conference, London 1950, 154f. wiedergegeben wird. 142 Der amtliche englische Wortlaut findet sich in: A Decade of American Foreign Policy. Basic Documents, 1941-49, Washington 1950, 33. Der These von Byrnes, daß die Nut- zung von Arbeitskräften wohl nachträglich ins Protokoll eingefügt worden sei, tritt Meissner, a.a.O., 53 überzeugend entgegen (•... und es kann auch sonst nicht festgestellt werden, daß die Möglichkeit einer Verwendung von Arbeitskräften als Reparationslei- stung bei irgendeiner der drei Delegationen von vornherein auf moralische Bedenken gestoßen wäre.·)

61 Forderungen an Deutschland. Dort hieß es generalisierend: "...Die deut- schen Behörden müssen zugunsten der Vereinten Nationen solche Maß- nahmen der Entschädigung,der Wiedereinsetzung, der Wieder- herstellung, der Reparation, der Rekonstruktion, der Hilfe und der Rehabilitation durchführen, wie sie die alliierten Vertreter vorschreiben. Zu diesem Zwecke müssen die deutschen Behörden die Auslieferung oder die Übergabe jener Besitztümer, Guthaben, Rechte, Anrechte und Interessen durchführen oder verschaffen, solche Lieferungen vornehmen und Reparationen, Bau- und Konstruktionsarbeiten ausführen - sei es innerhalb Deutschlands oder woanders - sowie Transportmitte~ Anlagen, Ausrüstungen und Material aller Art, Arbeitkräfte, Personal und fachmännische und andere Dienste zum Gebrauch in Deutschland oder woanders zur Verfügung stellen, wie sie von den alliierten Vertretern angeordnet werden".143Die alliierte Nutzung deutscher. Arbeitskräfte nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland erfuhr damit explizit eine weitgefaßte Rechtfertigung. Das Ausbleiben späterer Präzisierungen ist bezeichnend genug, denn stillschweigend akzeptierten die Alliierten damit wechselseitig die Nutzung deutscher Fachkräfte, namentlich von Naturwissenschaftlern, und zwar ohne einen zweifelhaften juristischen Begriff der Reparationsdienstleistung fixieren zu müssen.144 Das NKWD machte es sich zur Aufgabe, deutsche Physiker und Chemiker, die für das sowjetische Uranprojekt von Nutzen sein könnten, ausfindig zu machen. Die Idee dazu soll angeblich von Zavenjagin stam- men.145Einige Physiker und Chemiker, die sich mit der Kernforschung bzw. der Urantechnologie in Deutschland befaßt hatten, waren den So- wjets aus der Literatur bekannt, von anderen hatten sie offensichtlich durch Spionage erfahren, wiederum andere stellten sich der anrückenden Roten Armee freiwillig zur Verfügung.

143 Paragraph 19 (a), Section VI of Control Council Proclarnation No.2 (Signed Berlin 5 June 1945),4 144 Von der Nutzung deutscher Fachkräfte war etwa in den Beschlüssen des Alliierten Kontrollrates für Deutschland über Verbote, Beschränkungen und Reparationslei- stungen der deutschen Industrie vom 26.3.1946 mit keinem Wort die Rede, vgI. Doku- mentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961, Hauptband 1, zus.gesteUt v. Dr. Heinrich von SiegIer, Bonn/Wien!Zürich 1961 ,145So Zavenjagin gegenüber Wemer Schütze, der dies in einem Gespräch mit dem Verfas- ser am 16.11.1989berichtete.

62 Zavenjagin, der Stellvertreter Berijas, hatte führende sowjetische Wis- senschaftler des Uranprojektes im April 1945 angesprochen, da sie beim Aufspüren und Auswählen für das Uranprojekt geeigneter deutscher Wissenschaftler mithelfen sollten. Eine zwischenzeitliche Anstellung beim NKWD kam den meisten sowjetischen Physikern und Chemikern allerdings recht ungelegen. Sie wurden in ihrer Arbeit unterbrochen, überdies stimmte die Absicht des NKWD bedenklich, durch die Deut- schen Konkurrenz zu eigenen Arbeiten organisieren zu wollen. Der angesprochene Kurchatov etwa lehnte Zavenjagins Ansinnen mit der Be- gründung ab, daß Historiker später meinen könnten, der wissen- schaftliche Leiter des sowjetischen Uranprojektes habe die Bombe nicht ohne deutsche Mithilfe bauen können. Zinaida Erschova weigerte sich schlicht, nach Berlin zu fahren. Gleichwohl zogen mit der Roten Armee etwa 40 führende sowjetische Physiker, Chemiker und Ingenieure in der sowjetischen Besatzungszone und in Österreich ein, darunter Arzi- movich, Baranov, Chariton, Davidenko, Dzelepov, Flerov, Golovin, Ki- koin, Migulin, Nemenov, Pevzner, Schevchenko, Simonenko und VOlkOV.I46Der sowjetische Geheimdienst versorgte die frischuniformier- ten Wissenschaftsoffiziere mit Berichten über deutsche Forschungs- einrichtungen, in denen eine Suche lohnen würde. Flerov und Arzimovich stattete D1an so beispielsweise mit InfOmlationen über die Uranpro- duktion in der Auer-Gesellschaft bei Berlin aus.147 Das NKWD verfügte über Informationen aus unterschiedlichen Quel- len. Die sowjetische Handelsvertretung in der Lietzenburger Straße 11in Berlin hatte bereits seit den dreißiger Jahren, wie Amold Kramish schreibt, als "Zentrum der sowjetischen Militär- und Industriespionage" fungiert.l48 Technisch-wissenschaftliche Informationen suchten die So- wjets in Berlin ferner über die weitverzweigte Technische Kommission der Roten Armee, die u.a. durch den Deutschen Normenausschuss ope- rierte, über das Spezialkomitee des Volkskommissariats sowie über sowjetische Firmenvertretungen zusammen. Zudem spürten diverse tech-

146 Die Zahl 40 nannte Golovin in einem Gespräch mit dem Verfasser am 29.6.1990. 147 Abschrift des Interviews von Michael Rossiter mit F1erov im Mai 1989 für Channel Four. 148 Arnold Kramish, Der Greif. Paul Rosbaud - der Mann, der Ritlers Atompläne schei- tern ließ, München 1987, 55

63 nische Informationsdienste branchenspezifisches Know how auf.149Die Befragung von deutschen Kriegsgefangenen und die Auswertung von Firmenunterlagen und Dokumenten deutscher Dienststellen in den be-, reits besetzten deutschen Ostgebieten brachte zusätzliche Erkenntnisse. Über die systematische Auswertung deutscher Fachliteratur hatten die Sowjets erfahren können, welche Forschungsarbeiten und welche Na- turwissenschaftler für die Sowjetunion relevant sein könnten. Vor der Abfahrt nach Berlin stellten die Physiker zusammen, woran; es ihnen bis- her fehlte und wonach man in der Sowjetischen Besatzungszone Aus- schau halten sollte. Zavenjagin richtete seinen Stab in Berlin-Friedrichs- hagen ein, um die Suche nach Kernphysikern zu koordinier~n. , Die Sowjetische Militäradministration und das NKWD mußten in Ber- lin schnell handeln, denn mit den übrigen Alliierten war eine Aufteilung in Besatzungssektoren vereinbart worden. Wer und was bis zum Eintreffen der Amerikaner, Engländer und Franzosen nicht fortgeschafft war, würde nicht mehr zu vereinnahmen sein. Die Amerikaner hatten al- les unternommen, um die sowjetische Beute zu schmälern. So war z.B. das Werk der Auer-Gesellschaft in Oranienburg am 15. März 1945 mit 612 "fliegenden Festungen" bombardiert worden, um die dortige Uranproduktion nicht in sowjetische Hände geraten zu lassen.1soDie So- wjets fanden dort allerdings noch einige Tonnen sehr reinen Uranoxyds sowie Akten, Verträge und Verfahrenseinzelheiten vor. Ausführlich be- fragt wurde der Direktor des Werkes in Oranienburg, der dann bald dar- auf seine Kenntnisse gleichfalls an den amerikanischen Geheimdienst weitergeben sollte.151 Die Uranschmelzanlage der Degussa in Stadtilm fiel den Sowjets ebenso zu wie in Rheinsberg verbliebene Uranwürfel

149 Soviet Sponsored Research Organizations Currently Activein Berlin (Bericht vom 1.3.1946), (Field Intelligence Agency Technical) FlAT Berlin, Public Record Of- fice/London, FO 1031/65 ISO Daß man die Auer-Gesellschaft nicht in sowjetische Hände fallen la~en wollte, gesteht Groves freimütig zu, vgl. Leslie R Groves, Now it can pe told. The Story of the Manhattan Project, New York 1975, 231; die Auer-Gesellschaft beschäftigte sich mit Seltenen Erden, es gab außerdem eine Abteilung für radioaktive Substanzen sowie für Luminiszenz, letztere entwickelte zusammen mit OSRAM die Leuchtstofflampe; die Uranmetallurgie wurde von der Muttergesellschaft Degussa abgewickelt. 151 Es handelte sich um Egon Ihne; vgI. Office of Military Govemment for Germany (US)(OMGUS), European Command Intelligence Center, Auer Society of Berlin,_ Bundesarchiv-Signatur (BA:) RG 260/0MGUS/AGTSI38/1

64 und einige Tonnen Metallpulver. 25 weitere Tonnen ungereinigten Uran- oxyds und andere Uranate fand ein eigens geschaffenes Uransuchkonimando152 in verschiedenen Lagerstätten, darunter in den Minen, von Aue, Annaberg, Bernstein, Freiberg, Freital, Johannge- orgenstadt, Marienberg, Neu Städtel, Niederschlema, Oberschlema, 01- bernhau, Schneeberg, Schwarzenberg und von Zwickau.l53 Die sowje- tische Armee. beschlagnahnlte Anfang 1946 die beiden alten Uran- Bergwerke "Vereinigt Feld im Fastenberge" und "Gewerkschaft Schnee- berger Bergbau" und ließ den Uranbergbau auf vollen Touren laufen. Die sowjetische Aktiengesellschaft mit dem unscheinbar klingenden Namen "Wismut A.G." (1954 umgewandelt in die deutsch-sowjetische SDAG Wismut) existierte bis zur Vereinigung Deutschlands 1989. Die radioaktiv verseuchten Schlanlmseen unweit von Zwickau sowie die Uranaufbereitungsfabrik in Crossen und Seelingstädt - lebensgefährliche Hinterlassenschaft des jahrzehntelangen Uranabbaus für sowjetische Bomben - erweisen sich heute als umfangreichstes und schwierigstes Öko-Sanierungsvorhaben Deutschlands.l54 Von den bekannteren Wissenschaftlern, die mit dem deutschen Uran- verein in Verbindung gestanden hatten, trafen die Sowjets nur noch ei- nige; mehrheitlich nicht zur Führungsgarde gehörende Physiker und Chemiker an. Darunter befanden sich, um nur die wichtigsten zu nennen,

152Generaloberst Serov, einer der Stellvertreter Berijas, war Chef des NKGB in Deutsch- land, ihm unterstand eine Gruppe prominenter sowjetischer Geologen, die Anfang Juni 1945 nach Deutschland zur Uransuche entsandt wofden war. Die Leitung des Uransuchkommandos übernahm ab Juni 1946 der NKGB-Generalmajor Andrej Michailovich Ma1cev. Die Geologengruppe fand einen Dauerstützpunkt an der Bergakademie in Freiberg, vgl. Nikolai Grishin, The Saxony Mining Opera- tion ("Vismut"), in: Soviet Economic Policy in Postwar Germany. A Collection of Pa- pers by Former Officials, ed. and with an Introduction by Robert Slusser, New York 1953, 128 153Grishin, a.a.O., 154; David Irving, Der Traum von der deutschen Atombombe, Güters- loh 1967,301; vgl. auch den Bericht von S.P.A1exandrov, einem mit dem Auffinden von Uranerzen beauftragten sowjetischen Oberst, der zu den Amerikanern überlief, Ura- nium Pinds in Schneeberg-Oberschlema and Johanngeorgenstadt, Military Intelligence ServiceI~nter (19.5.1947), Bundesarchiv: RG 260/0MGUS/AGTS/3812(1) 154Holger Douglas, Thomas K1eine-Brockhoff, Heiße Erde aus dem Kalten Krieg. Krankenakten beweisen: Tausende ostdeutscher Kumpel starben für die sowjetische Bombe, in: Die Zeit Nr. 24,24.-7,6.1991,15-17 65 Manfred von Ardenne, Ludwig Bewilogua, Werner Czu1ius, Robert Dö- pel, Gustav Hertz, , Nikolaus Riehl, , Ni- kolai Timofeev-Ressovski sowie . Weitere Naturwissen- schaftler spürten die Sowjets beim systematischen Durchkämmen der Kriegsgefangenenlager auf, darunter und Heinz Krüger. Der Privatforscher Baron Manfred von Ardenne, der Leiter des Insti- tuts für physikalische Chemie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Peter Adolf Thiessen und die Professoren Max Volmer und Gustav Hertz hat- ten sich vor dem Einmarsch der Roten Armee abgesprochen, eine Art Schutzring zu bilden. Wer als erster sowjetischen Militärs begegnete, sollte sich sofort für alle angeschlossenen Institute einsetzen.l55 Durch gegenseitigen Verweis auf ihre wissenschaftlichen Würden hofften die Herren, Plünderungen von ihren Instituten abhalten und bald ihre Arbeit mit Schutzbriefen der Sowjets fortsetzen, vor allem aber sich und ihre Familien vor Übergriffen bewahren zu können. Die Option, in Berlin trotz des Anmarsches der Roten Al-mee und der Aufrufe zur Westverlagerung der Institute zu verbleiben, erfolgte aus unterschiedlichen Motiven. Kooperationsbereitschaft mit den einrücken- den Sowjets würde eine Weiter arbeit möglich machen, die Mitarbeiter zusammenhalten und vor den Ungewißheiten und Strapazen einer Flüchtlingsexistenz bewahren. Zu hoffen war, daß honorige Wissen- schaftler von den Rotarmisten mit Respekt behandelt würden. Einige NSDAP-Mitglieder unter den Wissenschaftlern dachten wohl auch, daß die Sowjets ihr Angebot zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit höher als ihre politische Vergangenheit schätzen würden. In diesem Punkt soll- ten die Deutschen recht behalten. Ob Nazi oder Kommunist - die politi- sche Herkunft interessierte die Sowjets nicht. Peter Adolf Thiessen bei- spielsweise, schon in den zwanziger Jahren NSDAP-Mitglied und eine führende Figur der NS-Wehrforschung, sah sich zu keinem'Zeitpunkt von den Sowjets mit einer "Entnazifizierung" bedroht. Aber auch ein Philoso- wjetismus stöTte nur. Heinz Barwich, der 1945 und später in der So- wjetunion gern seinen kommunistischen Neigungen Ausdruck verlieh, stieß mit politischen Annäherungsversuchen nur auf Befremden. Bar- wich, ein Mitarbeiter von Gustav Hertz, hatte sich freiwillig für einen So- wjetunionaufenthalt gemeldet: "Ich war 33 Jahre alt, verheiratet, hatte drei kleine Kinder, das vierte wurde erwartet. Auch war ich arbeitslos. So

155 Manfred von Ardenne, Sechzig Jahre für Forschung und Fortschritt. Autobiographie, Berlin 1987,178f.

66 fiel mir dieser Entschluß nicht schwer".l56 Spätere Einlassungen, etwa auch von Manfred von Ardenne, die Entscheidung für die Kooperation mit den Sowjets sei eine politische Wahl gewesen, überzeugen nicht. Doch ein Risiko blieb. Würden die Sowjets sie nicht, aller Ergebenheit zum Trotz, als besiegte Feinde behandeln? Manfred von Ardenne hatte sich beispielsweise in seinem unterirdischen Bunker in Berlin-Lichter- felde samt Ausrüstungen - jedoch ohne Familie - verschanzt und von Thiessen besorgte Triinengasampullen in den Aufgängen gegen eindrin- gende Rotarmisten aufhängen lassen. Die Angst, ihm könne ein Leids ge- schehn, erwies sich indes als grundlos. Professor Thiessen, den die einmarschierenden Sowjets in eher erreichten, hatte sich für Ar- denne verwandt. Der Baron und sein Labor im Lithterfelder Jungfern- steig 19 gerieten ohne Beschädigung in sowjetischen Gewahrsam. Arzimovich, Flerov, Kikoin und Migulin fanden im Labor von Ardenne einen Van-de-Graaff-Generator, ein Elektronenmikroskop, ein (allerdings nicht funktionsfähiges) Zyklotron und ein Massenspek- trometer vor. Ardenne wurde zunächst nicht eröffnet, daß die Verlage- rung seines Institutes in die Sowjetunion und der Abtransport seiner Mitarbeiter bevorstand. Ardenne dachte, seine Arbeit in seinem Labor, wenn auch im sowjetischen Auftrag, wieder aufnehmen zu können, wes- halb er die in Berlin verstreuten Mitarbeiter eilends zusammensuchte. Am 19.Mai eröffnete ihm Zavenjagin indessen, daß er in der Sowjetunion ein Institut zur Fortsetzung seiner Lichterfelder Arbeiten mit dem Elektronenmikroskop, zur Indikation von radioaktiven und stabilen Iso- topen sowie zur Massenspektrometrie aufbauen solle. Von dem Uran- projekt erwähnte Zavenjagin kein Wort. Zwei Tage darauf flog Ardenne für eine vorgeblich nur auf vierzehn Tage terminierte Reise zwecks Vertragsabschluß nach Moskau. Erst in Moskau sollte er erfahren, daß es keine baldige Rückreise geben würde. "Aus diesen vierzehn Tagen sind dann zehn inhaltsreiche Jahre geworden" - vermerkt Ardenne knapp.157 Professor Thiessen hatten die Sowjets zunächst aufgefordert, die Kon- zeption eines Instituts für physikalische Chemie in Berlin-Spindlersfeld zu entwickeln, das dann später bei Moskau aufgebaut werden sollte. An seine Verbringung in die Sowjetunion dachte Zavenjagin noch nicht. Erst im Oktober 1945, als Manfred von Ardenne sich bereits in Sinop am

156Heinz und Elfi Barwich, Das rote Atom, München und Bem 1967, 19 157Ardenne, Sechzig Jahre ..., a.a.O., 183

67 Schwarzen Meer befand, sah sich Thiessen mit dem Vorschlag kon- frontiert, doch am Problem der Isotopentrennung in der SV mitzuwirken. Andere deutsche Naturwissenschaftler suchten sowjetische Agenten durch finanziell lukrative Angebote (unter anderem auch in den West- zonen) für eine Arbeit in der Sowjetunion zu gewinnen. So wurde etwa auch der Nobelpreisträger Qtto Warburg angesprochen, der aber lehnte ab. Auch Werner Heisenberg erhielt, wenn auch erst im Sommer 1946, eine Einladung in die Sowjetunion. Sein früherer Kollege aus Leipzig, Professor Heinz Pose, bereits seit Juni 1945 in der Sowjetunion, schrieb Heisenberg begeistert über die guten Arbeitsbedingungen, die zur Verfü- gung gestellten Ressourcen und das in sie gesetzte Vertrauen sowie über das große Interesse der Sowjets an Heisenbergs Arbeit. Falls Heisenberg an einer Zusammenarbeit mit den Russen interessiert sei,' solle er dem angereisten sowjetischen Briefboten eine Nachricht mitgeben. Heisen- berg lehnte höflich ab - er wollte offensichtlich zuvor die Möglichkeit ei- ner Kooperation mit den Engländern ausschöpfen.l58 Den No- belpreisträger Gustav Hertz, der 1932/34 eine Trennkaskade für die Gasdiffusion von Isotopen durch Diaphragmen entwickelt und der bis Kriegsende im -Forschungslabor II gewirkt hatte, lud Zavenjagin förmlich zur Forschungsarbeit ein. Er solle seine Arbeiten zur Iso- topentrennung fortsetzen. Hertz, der wegen seiner jüdischen Vorfahren erhebliche Unbill unter dem Nationalsozialismus zu erleiden hatte, sagte dankbar zu. In Moskau angekommen, empfmg ihn das Begrüßungsko- mitee gar mit Sekt und Kaviar.159Seine Siemens-Mitarbeiter Eduard Krä- mer, Justus Mühlenpfordt, Gustav Richter, Max Sägei, Werner Schütze und Karl Zühlke, die sich mehrheitlich während des Krieges mit Ultraschalluntersuchungen für die Torpedozündung befaßt hatten, erhielten weniger zeremonielle Angebote. Werner Schütze, engster Mitarbeiter von Hertz, hatte sich vor dem NKWD versteckt, wurde aber als Spezialist für den Zyklotronbau bei Siemens dringend gesucht und schließlich festgesetzt. Hertz hatte den Sowjets mitgeteilt, wen er als Mitarbeiter gern mitnehmen wolle - das NKWD begab sich daraufhin auf die Suche nach den versprengten Siemens-Physikern und flog sie nebst Familien Anfang Juni 1945 vom Flughafen Berlin-Johannis~al kurzerhand

158 Pose an Heisenberg 18.7.1946, Private Unterlagen von Wemer Heisenberg, Max- Planck-Institut München, hier wiedergegeben nach Mark Walker, Die Uranmaschine. Mythos und Wirklich,keit der deutschen Atombombe, Berlin 1990, 223 159 Gespräch mit Gustav Richter am 5.2.1990

68 nach Moskau aus. Einladungen, so überhaupt ausgesprochen, hatten eher den Charakter einer Ordre. Auf hartnäckigen Widerspruch traf dies al- lerdings selten. Die Aussicht, den Kriegszerstörungen und der Orientie- rungslosigkeit am Kriegsende entfliehen zu können, drängte die dumpfe Ungewißheit vor einem Aufenthalt in der So~etunion bei den meisten zurück. Die Ausrüstungen des Lichterfelder Instituts von Manfred von Ar- denne, das Labor des .Institutes für physikalische Chemie der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft, Teile des Siemens-Forschungslaboratoriums (darunter ein Zyklotron), Einrichtungen der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin- und alles, was von der Auer- Gesellschaft noch übrig geblieben war, reisten wohlverpackt den bereits samt Familienangehörigen abgeflogenen Physikern und Chemikern nach. Die deutschen Naturwissenschaftler wußten zunächst nicht, warum sie ei- gentlich nach Moskau geraten waren. In mehrere luxuriöse Datschen in der Umgebung Moskaus einquartiert, fürstlich beköstigt, pÜt Moskauer Kulturleben überschüttet, lebten die deutschen "Spezialisten", wie sie von den So~ets tituliert wurden, gut vier Monate in den Tag hinein" ohne überhaupt beschäftigt zu werden. Auf einer Datscha, die dem früheren NKWD-Chef Jagoda gehört hatte und dann dem Feldmarschall Paulus nach der Kapitulation von Stalingrad als Quartier diente, vertrieben sich die Deutschen die Zeit, so als ob sie von den gastfreundlichen So~ets zur Sommerfrische geladen worden wären. Allein die Bewachung ge- mahnte an den Charakter des Aufenthaltes. Riehl erinnert sich an eine unter den Deutschen verbreitete optimistische Aufbruchsstimmung, an die Erwartung eines Neuanfangs nach den Schrecken der letzten Kriegs- jahre und den aufreibenden Ungewißheiten des Kriegsendes.160 Eile schien den So~ets allerdings anfänglich nicht geboten. Erst nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki zitierte Be- rija die Herren von Ardenne, Döpel, Hertz, Riehl und Volmer einzeln zu sich, um sich mit ihnen bekannt zu machen. Die Versionen über dieses erste Treffen der deutschen Atomspezialisten mit Berija gehen ausein- ander. Ardenne erinnert sich an Berijas Ansprache im Wortlaut: "Die Regierung der So~etunion wünscht, daß in dem Institut, dessen Di- rektor Sie werden, die Entwicklung unserer Atombombe stattfindet!" Ar- denne erwiderte nach eigener Angabe in Anwesenheit von Kurchatov, Arzimovich und Kikoin: "Den soeben geäußerten Vorschlag betrachte

160Brief Nikolaus Riehls an den Verfasser vom 10.10.1989

69 ich als eine große Ehre für mich...Die Lösung des Problems ...hat aber zwei verschiedene Bereiche: 1. die Entwicklung der Atombombe selbst und 2. die Entwicklung des Isotopentrennverfahrens im' industriellen Maßstab zur Gewinnung der Kernspaltstoffe wie Uran 235. - Die Isotopentrennung ist der eigentliche und sehr schwierige Engpaß der Entwicklung. Ich schlage deshalb vor, daß allein die Isotopentrennung zur Hauptaufgabe für unser Institut und die deutschen "Spezialisten" be- stimmt wird und daß die hier vor mir sitzenden führenden Kernphysiker der Sowjetunion die Entwicklung der Atombombe als große Tat für ihre eigene Heimat vollbringen". Nach kurzer Beratung habe Berija sich ein- verstanden erklärt.161 Denkbar scheint allenfalls eine Chuzpe seitens Berija gegenüber dem anwesenden Kurchatov, aber auch gegenüber dem schon als dünke~aft aufgefallenen Baron. Ernst konnte es Berija, sollte denn das Gespräch überhaupt je diesen Verlauf genommen haben, kaum gemeint haben. Die I Entscheidung für eine Plutonium- statt einer Uranbombe war längst ge- fallen, zudem hätten die wenigen deutschen Physiker und Chemiker an ihrem künftigen Standort am Schwarzen Meer schwerlich die Bombe bauen können. Aber auch von Seiten Ardennes offenbart die Kolportage ein gerüttelt Maß an Selbstüberschätzung. Ein Kenner der Schwierig- keiten mit der Technologie der Uranisotopentrennung hätte kein Ver- sprechen abgeben können. Zudem verrät die Herabstufung der Kon- struktion der Bombe selbst auf ein Sekundärproblem nur Unkenntnis der Materie. Wirkte hier ein Überlegenheitsdünkel deutscher Physiker nach, der schon während des Krieges allein die Deutschen zum Bombenbau für fähig hielt? Bemerkenswert bleibt, daß Ardenne heute in seinem damaligen Vor- schlag gegenüber Berija einen klugen Schachzug erblickt, mit dem er die Deutschen von der Verantwortung für den Bau der Atombombe entla- sten wollte. Im Kontrast zu den dramatischen Erinnerungen'von Manfred von Ardenne stehen indessen jene von Nikolaus Riehl. Riehl, der von Berija am selben Tag wie Ardenne vorgeladen worden war, meint, der NKWD-Chef habe ihn1 gegenüber nur auf charmante Art Witze kre- denzt, das Gespräch habe ansonsten nichts Bemerkenswertes geboten.

161 Ardenne, Sechzig Jahre ..., a.a.O., 196; der von Ardenne ebenfalls erwähnte Teil- nehmer "Galperin" (ein Schüler Tamms) habe, so Golovin, niemals an entsprechenden Sitzungen teilgenommen. 70 Von der Atombombe sei überhaupt nicht die Rede gewesen.l62 Ein der~ art welthistorischer Vorschlag, wie der Bau der Atombombe durch die deutschen "Spezialisten", wäre wohl -' so ist zu vermuten - nicht nur gegenüber Ardenne zur Sprache gekommen. Um den Eindruck ZU vermeiden, als hätten 1945 nur die Sowjets deut- sches Know How und Personal für ihre Rüstungsanstrengungen requi- riert, seien einige vergleichende 'Ausführungen zum anglo-amerikani- schen und sowjetischen Beuteverhalten erlaubt. Im besiegten Deutsch- land schufen sich Briten und Amerikaner spezielle Geheim- dienstorganisationen, deren Aufgabe es war, Informationen, Dokumente, Einrichtungen sowie wissenschaftliches und sonstiges Personal sicherzu- stellen, zu bewachen, auszubeuten und den Sowjets vorzuenthalten.l63 Im Juli 1945 entschieden die Vereinigten Stabschefs der USA gar, 350 deut- sche Raketenwissenschaftler und Techniker, unter ihnen Wernher von Braun, im Rahmen des streng geheimen Unternehmens "Project Over- cast" in die USA zu überf1ihren. Die Arbeiten des deutschen Uranvereins wurden von der eigens geschaffenen ALSOS-Mission ausgekundschaftet und einkassiert.l64 Zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Festsetzung von Wissenschaftlern bestehen bemerkenswerte Ähnlichkeiten~ Aufgrund der

162 Nikolaus Riehl. Zehn Jahre im goldenen Käfig. Erlebnisse beim Aufbau der sowjeti- schen Uran-Industrie. Stuttgart 1988, 39; Riehl hat dies in einem Brief vom 10.10.1989 an den Verfasser nochmals ausdrücklich bestätigt 163 Dazu gehörten spezielle technische Militäreinheiten und die im Combined Intelligence Objectives Subcommittee (CIOS) zusammengefaßtenGruppen. deren Aufgabe es war, interessante Objekte für die technischen Einheiten ausfindig zu machen und die Art der Ausbeutung zu bestimmen. Formell existierten neben CIOS noch BIOS-Teams (British Intelligence Objectives Committee). CAFr-Teams (Combined Adwnce Field Teams). verschiedene Gruppen. die zur AlSOS-Mission gehörten. Strategic Bombing Survey Teams. Technical on Mission Teams und Geheimdiensteinheiten aller einzel- nen Waffengattungen. vgI. John Gimbel. U.S. Policy and German Scientist: Tbe Early Cold War. in: Political Science Quarterly 3/1986,434f. 164 Während die bereits im Juli 1945 beschlossene Mission "Overcast" die Überführung von 350 Raketenfachleuten in die USA betraf, bezog sich das Ende Februar 1946 vom Joint Chiefs of Staff und dem State-War-Navy Coordinating Committee beschlossene Unternehmen "Paperclip" auf die Verbringung von etwa 1000 deutschen und österreichischen Wissenschaftlern und Technikern, vgI. Gimbel. U.S. policy...• a.a.O:, 445f. 71 unklaren juristischen Klärung dessen, was unter Kriegsbeute und zulässi- gen Reparationen zu verstehen war, bedienten sich die Besatzungs- mächte ihren ökonomischen Interessen gemäß. Bereits die amerikanische Evakuierung von deutschen Wissenschaftlern und Technikern aus Thü- ringen erfolgte mehr oder minder deutlich unter Zwangsandrohung - wer sich nicht zur "freiwilligen" Mitarbeit in der amerikanischen Besatzungs- zone entschied, bekam ähnlich wie bei den Sowjets Verhaftung ange- droht.l65 Die mangelnde Abstimmung zwischen den Geheimdienst- operationen und den militärischen Besatzungsbehörden zeigt sich ebenfalls als eine übergreifende Erscheinung. Gleichgültig, welche politischen Folgen für das Verhältnis zu den anderen Alliierten und welche ökonomischen Langzeitfolgen entstehen würden, von moralischen Implikationen ganz zu schweigen - die Geheimdienste folgten allein weitgefaßt verstandenen militärischen und ökonomischen National- interessen an Technologien, Know how. Eine weitere Parallele zwischen der amerikanischen Beutemissionen "Overcast" und"Paperclip" auf der einen und dem sowjetischen Vorgehen auf der anderen Seite dürfte darin zu sehen sein, daß die nationalsozialistische Vergangenheit von deut- schen Wissenschaftlern immer dann keine Rolle spielte (also von einer "Entnazifizierung" abgesehen wurde), wenn die Qualifikation der betreffenden Person selbst genutzt werden konnte und diese keinesfalls .in die Hände der konkurrierenden Alliierten fallen sollte.l66 Auch die US-Militäradministration beschränkte den Abtransport von wissen- schaftlichen Ausarbeitungen, Einrichtungen und hochqualifziertem Fachleuten keineswegs auf die Maßgabe des Potsdamer Abkommens, daß es sich hierbei um kriegsbedeutsames Material bzw. Personal han- deln müsse.l67 Erachteten etwa amerikanische Firmen deutsche Techno- logien - ob Patente oder nicht, schien dabei in der Praxis nachrangig - für ökonomisch interessant, dann wurden sie kurzerhand zum Reparations- gut deklariert.l68

165 Gimbel, U.S. Policy..., 8.8.0., 439ff. 166 Vgl. aay an Noce, in: Lucius D. aay, The Papers ofGeneral Lucius D. aay. Germany 1945-1949,vol.1, ed. by Jean Edward Smith, Bloomington/London 1974,432f. 167 Mit diesbezüglichen Mythen räumt die Arbeit von John Gimbel, Science, Technology, and Reparations. Exploitation and Plunder in Pos~r Germany, Stanford 1990 gründ- lich auf. 168 Vgl. etwa Lucius D. aay an Joint Chiefs of Staff, 6.12.1945 (Removal of Scientific Equipment to U.S., in: The Papers, a.a.O., 129

72 Die in die Sowjetunlon bzw. nach Übersee abtransportierten Wissen- schaftler und Techniker waren keineswegs immer einer strengen fachli~ chen Prüfung unterzogen worden. So gerieten zahlreiche "Spezialisten" allein deshalb auf Transportlisten, weil sie dem jeweiligen Gegenspieler nicht in die Hände fallen sollten. Der Abtransport aus Deutschland hatte dann vornehmlich die Punktion einer Zwangsquarantäne. Trumans schließliche Zustimmung zum "Project Paperclip" sei, so John Gimbel, entscheidend durch den Kalten Krieg mit den Sowjets zustande ge- kommen.l69 Amerikanisch-sowjetische Parallelen weisen selbst die Um- stände der späteren Repatrüerung nach Deutschland auf: Bevor die deutschen "Spezialisten" zurückkehren konnten, ließ man sie eine Ab- kühlungszeit durchlaufen,170

169 lohn Gimbel, Science, Technology ..., a.a.O., 37 170Aufdiesen Aspekt weist auch Gimbel, V.S.policy ..., a.a.O., 450, hin

73 VI. Die entscheidende Wende

Die Nachricht von der amerikanischen Zündung einer Atombombe in Alamogordo am 16.Juli 1945 erreichte die sowjetischen Physiker im La- boratorium Nr. 2 innerhalb von 24 Stunden, und dies obschon die Ame- rikaner ihren Bombentest 21 Tage lang geheim hielten. Verdruß machte sich darüber breit, daß die Amerikaner eher erfolgreich waren. Zugleich mischte sich in dieses GefüW Erleichterung - die ständig auch von Stalin und Berija geschürten Zweifel an den Erfolgsaussichten verflogen. Eine Atombombe war möglich. Und was den Amerikanern gelungen war, durfte den Sowjets auch nicht vorenthalten bleiben. Folgerichtig lehnte Andrej Gromyko, Sowjetvertreter in den Vereinten Nationen, am 24. Juli 1945, kurz nachdem der amerikanische Kongreß das McMahon-Gesetz zur Schaffung einer Atomenergiekommission verabschiedet hatte, die amerikanischen VorscWäge zur Atomrüstungskontrolle bedingungslos ab.l71 Bekanntlich waren Churchill und Truman übereingekommen, Stalin während der Potsdamer Konferenz über den Atombombentest zu in- formieren. Stalin, bereits über den Test im Bilde, zeigte sich gegenüber Trumans beiläufigem Hinweis auf eine Bombe mit ungewöhnlicher Sprengkraft ungerührt und erwiderte nur, er hoffe, daß die Amerikaner von der Waffe guten Gebrauch gegen die Japaner machen würden.l7Z Gewiß konnte dies nicht als Ermunterung für einen Atombombenabwurf auf aufgefaßt werden. Die Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki empfand die sowjetische Führung denn auch als wuchtigen Auftakt einer von den USA ausgehenden Konfrontation - ohne militärische Not- wendigkeit gegen das kapitulationsbereite Japan eingesetzt, konnte die sowjetische Führung die amerikanische Machtdemonstration nur als ge- gen sich gerichtet auffassen.173 Erst der Schock von Hiroshima und Na- gasaki ließ die sowjetische Führung das Steuer herumreißen. Stalin lud

171 George W.F.Hallgarten, Das Wettrüsten. Seine Geschichte bis zur Gegenwart, Frank- furt/Main 1967, 281 172 Georgi K.Schukow, Erinnerungen und Gedanken, Stuttgart 1969,653 173 Daß die Abwürfe auf )apan als Druckmittel gegen die Sowjetunion fungieren sollten, belegt Gar Alperovitz, Atomic Diplomacy: Hiroshima and . The Use of the Atomic Bomb and the American Confrontation with Soviet Power,',New York 1965, 144f.j vgl. auch Clarence G. Lasby, Project Paperclip. German Scientists and the Cold War, NewYork 1971, 147 74 Mitte August 1945 den Munitionsminister Vannikov und Kurchatov zu sich in den Kreml ein und bat sie, in kürzestmöglicher Frist eine Atom- bombe herzustellen. "Das Gleichgewicht ist gestört. Stellen sie die Bombe her - sie wird eine große Gefahr von uns nehmen", so Stalin gegenüber Kurchatov.174Nun wurde auch der Spionagedienst auf breiter Front in Bewegung gesetzt. Hatten Stalin und Berija bisher den Berichten von Fuchs nicht vollends Glauben geschenkt, so kabelte das NKWD jetzt an den Oberst Zabotin in Ottawa, schnellstmöglich technische Unterlagen über die Atombombe zu besorgen.175 Trotz aller Kriegszerstörungen wurde das Atomprojekt zur obersten Priorität erhoben. Die Reorganisation des Atombombenprojektes fand im August und September 1945 statt. NKWD-Chef Berija, dessen 9.Abteilung zwar schon zuvor einen Teil der Atomforschungen fmanziert und die Verbringung deutscher Atomphysiker und Physiko-Chemiker or- ganisiert hatte; übernahm nun die Leitung des Atombonibenprojektes. Die alltägliche Verfolgung der Arbeiten oblag allerdings seinem Stell- vertreter Zavenjagin.176 Berija leitete das "Spezkomitet" - die oberste Auftrags- und Kontrollbehörde für "das Uranprojekt, das allen Mini- sterien, Akademieinstituten, Fabriken und Militärabteilungen direkte Ar- beitsanweisungen und Befehle erteilen konnte und gegenüber Stalin rechenschaftspflichtig war. Die Projektleitung durch das NKWD'ermög- lichte die Mobilisierung tausender Gefangener beim Bau von Fabriken, Gebäuden, Straßen und Sicherheitseinrichtungen. Umfassende Sicher- heitsvorkehrungen wurden allen Mitarbeitern auferlegt. Zudem war al- lein das NKWD in der Lage, die Priorität der Ressourcenbeschaffung für das Bombenprojekt auf allen Ebenen durchzusetzen. Schließlich konnte allein die allgegenwärtige Präsenz des NKWD jene Atmosphäre aus la- tenter Angst und Aufopferungsbereitschaft erzeugen, die für einen schnellstmöglichen Erfolg unabdingbar war. Im "Spezkomitet" saßen neben Berija noch General Machnov, Malen- kov (stellvertretender Vorsitzender), Vosnesensky (stellvertretender

174Zitiert nach Holloway, Entering ..,a.a.O., 183 175 Amold Kramish, The Nuc1ear Motive: In the Beginning, Washington 1982 (International Security Studies Programm. The Wilson Center. Smithsonian Institution Building), 24; welche Informationen über Oberst Zabotin in die SU gelangten, ist bis heute nicht abschließend geklärt. 176 Die interne Bezeichnung von Uran hieß durchweg nur Metall Nr. 9, vermutlich in /' Anlehnung an die die Forschungen finanzierende 9.Abteilung des NKWD

75 Vorsitzender), Malyschev, Pervuchin, Vannikov, Zavenjagiri, als wissen- schaftlicher Leiter Kurchatov und (bis zu seiner Entfernung) P.L.Kapiza. Das "Spezkomitee" bereitete Entwürfe für Stalin sowie für Regierungsentscheidungen vor, es lud leitende Projektmitarbeiter zum Rapport vor - und es traf strengste Sicherheitsvorkehrungen. Auffällig an der Zusammensetzung des "Spezkomitet" ist die Abwesenheit von nam- haften Vertretern des Militärs. Unterstrichen wurde damit, daß die Ent- scheidung für den Bau einer Atombombe im Kern eine politische Ent- scheidung war, und daß die militärische Nutzung e~er Atombombe noch nicht mit Veränderungen der Militärdoktrin, der Strategie und Taktik verknüpft werden sollte. Marschälle, Admiräle und Mitglieder des Polit- büros, die nicht unmittelbar mit der praktischen Lösung des Uranpro- blems verbunden waren, blieben auch vom Informations- und Entschei- dungsprozeß ausgeschlossen. Stalin hatte das Uranprojekt selbst für Mili- tärs zur Geheimsache erklärt, weshalb der Bombentest im August 1949 für das Militärische Oberkommando auch gänzlich überraschend kam.177 Für die administrative Umsetzung richtete die Regierung die Erste Hauptabteilung (Pervoe Glavnoe UpravlenielPGU) beim Ministerrat ein. Wann dies genau geschah, ob bereits im Frühjahr 1945 oder erst nach Hiroshima, ließ sich bisher nicht präzise feststellen,178Chef der PGU wurde der Munitionsminister B.L.Vannikov, ihm zur Seite stande:n der Minister der Chemischen Industrie, M.G.Pervuchin (ab 1947), der stell- vertretende Vorsitzende des NKWD, Zavenjagin, der Minister für Panzerindustrie, V.A.Malyschev und dessen Stellvertreter; Generalleut- nant P.M.Zernov, sowie der Vizeminister für Buntmetallindustrie und vormalige Chef der Aluminiumfabrikation im Ural, E.P.Slavskij. Vanni- kov trug als Munitionsminister die organisatorische Verantwortung für den Bombenbau, er war der Leslie Groves des sowjetischen Atompro- gramms. Alle sowjetischen Industrieunternehmen hatten beispielsweise den Anweisungen der PGU unmittelbar Folge zu leisten, gleichgültig, ob dadurch laufende Produktionspläne über Bord geworfen werden mußten. Der Minister für den Staatsplan (GOSPLAN) und der finanzminiRter verfügten noch nicht einmal mehr über ein Widerspruchsrecht gegenüber

177 VgI. I.N.Golovin, The First Steps ..., a.a.O. 178 Gurevich spricht in dem A.B.Kozevnikov am 16.11.89gegebenen Interview davon, daß die Gründung der PGU noch während des Krieges, 1944 oder 1945, geschehen sei. Die Erinnerung kann hier jedoch täuschen, ein Zeitpunkt im Jahre 1944 erscheint unwahrscheinlich; vgI Gurevich-Interview (unveröffentlichtes Manuskript)

76 Direktiven von Vannikov. Während Berija und mehr noch sein Stellver- treter Zavenjagin sich um die Arbeitskräftebeschaffung, die Einhaltung von Terminen, um die Sicherheit sowie um die deutschen "Spezialisten" kümmerten, war es Vannikov, der alle Akademie-, Branchen- und Mili- tärinstitute, Fabriken, Konstruktions- und Bauorganisationen, die einen Beitrag zum Gesamtprojekt leisten konnten, sowie die Ressourcen zu mobilisieren hatte.179 Zavenjagin unterstand formal - obschon Vizechef des NKWD - dem Munitionsminister Vannikov. Pervuchin sorgte sich um die chemische Technologie, insbesondere um die Schwerwasserpoduk- tion. Geld, Ressourcen, Arbeitskräfte, Geräte und Einrichtungen - all die materiellen Beschwernisse, die die sowjetischen Physiker bis zum August 1945 geplagt hatten, sollten nun von der administrativen Seite her keine Rolle mehr spielen. Befragt, wie lange es wohl bis zur Fertigstellung der Bombe dauern würde, antwortete Kikoin: 5 J ahre.l80 Knapp vier Jahre später war es tatsächlich so weit. Pervuchin, Malyschev und Zavenjagin reisten in den folgenden Jahren ständig zwischen den diversen Instituten, Fabriken und Erprobungs- stellen hin und her, um den Gang der Arbeiten zu verfolgen, um unbürokratisch und schnell benötigte Materialien und zusätzliche Mit- arbeiter aufzutreiben und um durch ihre Präsenz die Einhaltung von Terminen einzuklagen. Die Erste Hauptabteilung wiederum richtete einen Wissenschaftlich-technischen Rat unter Leitung von Kurchatov ein, dem etwa 20 ständige Mitglieder angehörten und der einmal wöchentlich tagte, sowie einen Ingenieur-technischen Rat.181 Beide Räte wurden 1946 in einem Wissenschaftlich-technischen Rat zusammengelegt. Neben den Wissenschaftlern versammelten sich im Wissenschaftlich-technischen Rat zugleich die Direktoren und Technologen von zahlreichen Industrieun- ternehmen bzw. Entwicklungsinstituten. Beschlüsse und Anforderungen des Wissenschaftlich-technischen Rates hatte die Erste Hauptabteilung umgehend zu verwirklichen. Das Atomprojekt warf die bisherigen administrativen Abläufe um - regiert Wurde mit außerordentlichen V oll- machten.

179 Die Anzahl der beteiligten Institute, Organisationen und Finnen sowie die Aufgabenverteilung unter ihnen, ist bisher nicht bekannt. 180Golovin, The First Steps ..., a.a.O. 181Mitglieder des Wissenschaftlich-Technischen Rates waren u.a. Arzimovich, Kikoin, Aiichanov, Vinogradov, Chlopin, Milionschtschikov, Evremov, Lejpunski .

.77 Zünder mit mehreren Sicherheitskreisen

Neutronenreflektor

SpaItmaterial

chemischer Sprengstoff

Stahlmantel

Prinzipieller Aufbau einer Kernspaltungsbombe

Der Zündungsablauf im einzelnen - Zündung des chemischen Sprengstoffs; - mehrere unterkritische Massen werden konventionell zu einer über- kritischen Masse verdichtet;' - ein freies Neutron bringt in der überkritischen Masse die Kettenreak- tion in Gang; - die überkritische Masse wird möglichst lange zusammeqgehalten; - schlagartig wird die Spaltungsenergie freigesetzt. Es kommt zu einer Explosion.

78 VII. Know how aus dem Ausland

Über die tatsächliche Relevanz der Spionagetätigkeit von Klaus Fuchs, Nunn May und Bruno Pontecorvo (um nur die wichtigsten zu nennen) für die Konzeption der sowjetischen Atombombe halten die Debatten bis heute an. Eine abschließende Würdigung der Spionage wird in dieser Untersuchung nicht geleistet werden können.182 Zwar sind in jüngster Zeit neue Namen, Informationen und Details über die Spionage bekannt geworden - was aber fehlt, sind gesicherte Kenntnisse über die Verwer- tung und die Wirkung der eingegangenen Informationen in der So- wjetunion. Anfänglich schien der sowjetische Geheimdienst die Spionageberichte aus Großbritannien, den USA und Kanada genauso ungläubig aufzu- nehmen wie im Jahre 1941 die Berichte über den deutschen Angriffster- min. Ab Juni 1943 baute der sowjetische Geheimdienst allerdings unter dem Oberst Zobotin eine eigene Atomspionageorganisation in Kanada auf, die den Namen "Back" erhielt. Zobotin gewann den Engländer Allan Nunn May, Israel Halperin und weitere, laut der sowjetischen Zeitung "Argumenty i fakty" bis heute nicht aufgedeckte Atomwissenschaftler für die Zuarbeit.l83 In der Nummer 17/1991 der sowjetischen Zeitschrift "Novoe vremja" beschreibt Vladimir Chikov mit genauer Angabe der KGB-Registratur (Sache Nr. 13676) die Werbeaktionen des Agenten- Ehepaars Morris und Leontina Cohen im Manhattan-Projekt. Der Name ihres Zuträgers aus dem Manhattan-Projekt wird jedoch selbst 50 Jahre später noch nicht preisgegeben.184 Allan Nunn May teilte den Sowjets nach dem Abwurf der Bombe über Hiroshima mit, daß sie aus Uran-235 hergestellt worden sei (was sie schon von Fuchs wußten) und der zugleich 162 Mikrogramm Uranoxyd an seinen sowjetischen Agenten- führer übergab. May wurde im Februar 1946 verhaftet, er gestand, Pro- ben von Uran-233 und Uran-235 an die Sowjets übergeben zu haben.

182Das Faktum der Spionage selbst steht im Vordergrund der einschlägigen Literatur, etwa auch in der neueren Arbeit von Anthony Glees, The Secrets of the Service. British Intelligence and Communist Subversion 1939-51, London 1987, insbes. 344-353, nicht jedoch die hier interessierende Frage, welche wissenschaftliche Bedeutung dieser Art von Know-How-Transfer zukommt. 183Stanislav Pestov, Tajny atomnoj bomby, in: Argumenty i Fakty41/89, 14-20.10.1989 184V.M. Chikov, Kak sovetskaja razvedka "rasschtschepila" amerikanski atom, in: Novoe vremja 17/1991, 36-39, hier 38

79 May wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt,185Infolge der Aufdeckung von May wurden insgesamt 13 Atomspione in Kanada verhaftet - den Agentenführer Zobotin verurteilte man daraufhin in Moskau wegen grober Fehler. Im Sommer 1950, nach der Enttarnung und Verurteilung von Klaus Fuchs, floh schließlich auch der bis dahin unbehelligte Kernphysiker Bruno Pontecorvo in die Sowjetunion. Inhalt und Umfang der Übermittlungen Pontecorvos, der auf Einladung Fermis ab 1943 in jenem anglo-kanadischen Team mitarbeitete, welchem auch Fuchs ange- hörte, sind bis heute nicht bekannt,186Möglicherweise war er der bisher verschwiegene Zuträger des Agentenehepaars Cohen. Klaus Fuchs' Spionage für die Sowjets bis November 1943 wurde be- reits erwähnt. Für die Wiederaufnahme der sowjetischen Uranforschun- gen hat sie offensichtlich die Rolle eines Schluß steines gespielt.· Sub- stantiell bedeutsam sollten jedoch erst seine Berichte aus. den USA ab Frühjahr 1944 werden. Nach der Überfahrt in die USA im Dezember 1943 arbeitete Fuchs in New York. Sein Agentenführer, mit dem er in den ersten Februartagen 1944 Kontakt bekam, war der US-Amerikaner Harry Gold, der wiederum alles Material umgehend an den sowjetischen KGB-Residenten Anatolij Jakovlev weiterleitete. Gold erhielt von Fuchs vornehmlich Material über die Fabrik in Oak Ridgeffennessee, in der mittels Gasdiffusion Uran 235 gewonnen wurde. Der Ge- heimdienstkontakt riß jedoch im August 1944 abrupt ab, da Fuchs unver- sehens in die Geheimlabore von Los Alamos abkommandiert worden war. Im Januar 1945 und dann nochmals im Juni 1945 (kurz vor dem Ab- schluß der amerikanischen Arbeiten an der Uran- und der Plutonium- bombe) gelang es Fuchs, umfassende mathematische Berechnungen, Zeichnungen und Maßangaben der Uranbombe zu übergeben, sowie über den Gang an der Plutoniumbombe zu berichten,187 Die Pläne der Plutoniumbombe dürften für die Sowjets am wertvollsten gewesen sein,188

185Vgl. Argumenty i fakty41189, 14.-20.10.1989 186 Vgl. H.Montgomery Hyde, The Atom Spies, London, 1980, 129ff.; PontecOlVo, der ab 1950 im Kernforschungszentrum Dubna arbeitete, hat jüngst seine .Erinnerungen an den sowjetischen Hochenergiephysiker I.1a.Pomeranchuk veröffentlicht, vgl. B.M.Pontecorvo,I.Ja.Pomeranchuk in nachalo f1zikivysokich energij, in: Vospomina- nija 0 I.Ja.Pomeranchuke, Moskva 1988, 109-114 187Feklisov (Teil I), a.a.O., 26 188Vgl. Allan Moorehead, Verratenes Atomgeheimnis, a.a.O., 113 und Feklisov (Teil I), a.a.O., 26

80 Ein weiteres Treffen mit Gold fand am 19.9.1945 in Santa Fe.statt. Fuchs berichtete ausführlich über seine Eindrücke vom Bombentest in Alo- mogordo am 16.7.1945. Er lieferte zusätzliche Angaben über die Vervoll- kommnung der Plutoniumbombe sowie über die Monatsproduktion an Uran in den USA, aus der die Anzahl der amerikanischen Uranbomben geschlossen werden konnte. Das Treffen zwischen Fuchs und seinem Agenten im September 1945 sollte das letzte in den USA sein. Entgegen anderslautenden ,Legenden stellte Fuchs seine Agententätigkeit für die Sowjets nach der Rückkehr nach England Mitte Juni 1946 jedoch keineswegs ein. Der Kontakt zu Fuchs wurde, nachdem er Leiter der Abteilung für theoretische Physik ' im Atomforschungszentrum in Harwell bei Oxford geworden war, ab 1947 wieder hergestellt. Fuchs' neuer, eigens von einem sowjetischen Kemphysiker geschulter Londoner Agentenführer, A.S. Feklisov, der Ende 1990 erstmals über die Treffen mit Fuchs in den Jahren 1947-49 berichtete; gibt an, daß Fuchs Materialien zur Plutoniumtechnologie und über die chemische Fabrik in Windscale weitergab. Während seiner Zeit in den USA hatte Fuchs ähnliche Informationen nicht erhalten können. Fuchs lieferte nicht nur, laut Feklisov, was ihm wichtig erschien. Anband vorbereiteter sowjetischer Fragenkataloge (vermutlich aus der Feder Kurchatovs) suchte er gezielt Unterlagen zusammen.l89 Aus der Art der Fragen konnte Fuchs wiederum schliessen, wie weit die Sowjets mittler- weile fortgeschritten waren. Zwischen Herbst 1947 und Mai 1949 fanden 6 Treffen statt. In dem sowjetischen Bericht über Fuchs' Informationen zur Plutoniumtechnologie hieß es: "Die erhaltenen Materialien sind aus- serordentlich wertvoll, sie erlauben es, 200-250 Millionen Rubel einzu- sparen und die Fristen zur Bewältigung des Problems abzukftrzen".l90 Erstaunen kann angesichts der Dauer der Spionagetätigkeit von Fuchs, angesichts der Fülle der übergebenen Informationen und nicht zuletzt angesichts deutlicher Hinweise auf Fuchs durch den im September 1945 in Kanada übergelaufenen Militärchiffrierer, I.Gusenko die Zeitspanne bis zu seiner Enttarnung. Just nach der Zündung der ersten sowjetischen Atombombe (29.8.1949) verdichtete sich der Spionageverdacht gegen

189 Feklisov (Teil I), a.i1.0., 29; In .seiner Aussage vor Dr. Michael W. Perrin am 30.1.1950 verwies ,Fuchs auf Zurückhaltung bei der Antwort auf vorbereitete sowjetischen Fragenkataloge - etwa daß er über Los Alomos nichts Neues wüßte, vgl. Klaus Fuchs's Confession to Michael Perrin, Janual)' 30, 1950, in: Williams, a.a.O., 192 190 A.S. Feklisov, Podvig Klausa Fuksa (Teil 11),in: Voenno-istoricheskij zurnal1l1991, 34 81 Fuchs. Fuchs' vormaliger amerikanischer Kontaktmann Harry Gold sollte ihn, von Indizien erdrückt, in der fälschlichen Annahme preisgeben, daß der PBI ohnehin bereits alles wüßte.191Am 13. Januar 1950 offenbarte sich Fuchs selbst gegenüber seinem Vernehmer William Skardon vom britischen Geheimdienst MI-5. Das britische Gericht, das am 1.3.1950 in anderthalb Stunden und mit nur einem zugelassenen Zeugen - William Skardon - den Fall Fuchs behandelte, verurteilte ihn vergleichsweise milde zu 14 Jahren Fremeitsstrafe: Die Briten hielten es für klüger, den tatsächlichen Schaden in der Öffentlichkeit herunterzuspielen. Ob, wie mehrfach behauptet, sowjetische Doppelagenten im britischen Geheim- dienst die volle Aufdeckung der Fuchsschen Spionage verhinderten, überlasse ich gern der einschlägigen Literatur.192 9 Jahre saß Fuchs ab. Am 24. Juni 1959 vorzeitig entlassen, siedelte er unverzüglich, mitt- lerweile 48 Jahre alt, in die DDR über. Fuchs wurde bald stellvertreten- der Direktor des Instituts für Kernphysik in Rossendorf bei , er rückte gar ins ZK der SED auf. Seine frühere Agententätigkeit wurde je- doch bis zu seinem Tode, aus Rücksichtnahme auf die Sowjets, die wen Eigenanteil am Bombenbau nicht geschmälert wissen wollten, umschwie- gen. Fuchs verstarb am 28.2.1988. Unter allen Spionageinformationen, die die Sowjets über den Test in Alomogordo 1945 hinaus erhielten, sind Fuchs' Angaben zur Plutoni- umproduktion in Windscale, die vergleichenden Analysen zur Reaktor- kühlung mit Luft bzw. Wasser, die Pläne zum Bau einer Isotopentrenn- . fabrik, das Prinzipschema der Wasserstoffbombe und die entsprechen- den Berechnungen (basierend auf englischen und amerikanischen Ausarbeitungen von 1948) sowie die Ergebnisse der Tests mit Uran- und Plutoniumbomben im Eniwetok-Atoll nach Angaben des früheren Füh- rungsoffiziers von Fuchs am wertvollsten gewesen.193

191Feklisov (feil II), a.a.O., 37 192 Vgl. Williams, a.a.O., 62f. und die im Anhang angegebene Literatur. 193 Feklisov (feil II), 35; Der Streit um die Bedeutung von Fuchs' Kenntnissen zur Wasserstoffbombe hält an. Die Wasserstoffbomben-Spionage wurde im Januar 1950 (also sofort nach Fuchs' Geständnis) bewußt hochgespielt, um Präsident Truman für den forcierten Bau der amerikanischen H-Bombe einzustimmen. Laut Hans Bethe hat- ten sich die ursprünglichen Berechnungen, von denen Fuchs Kenntnis hatte, jedoch alle als falsch elWiesen. Mithin waren sie für das sowjetische Wasserstoffbombenprojekt bedeutungslos. Edward Teller, auf den diese ursprünglichen Berechnungen zurückgin- gen, müßte einen Teil der "Vaterschaft" für die Wasserstoffbombe an Stanislaw Ulam

82 Die Aussagen des geständigen Harry Gold ließen auch David Greenglass sowie Julius und Ethel Rosenberg auffliegen. FBI-Chef J. Edgar Hoover, erbost über die britische Eigenwilligkeit bei der Verfolgung und Aburtei- lung von Klaus Fuchs, wollte offensichtlich den Fall Rosenberg kompensatorisch zum "Jahrhundertverbrechen" aufwerten.l94 Die Informationen, die das Ehepaar Rosenberg an die So\\jets übermittelte und die sie auf den elektrischen Stuhl brachten, sind hingegen nach übereinstimmenden Berichten wissenschaftlich marginal, wenn nicht gar irreführend gewesen.l95 In dem so\\jetischen DokumentarfIlm. "Risk 11"(1988) wurde erstmals von so\\jetischer Seite auf die Rolle von Klaus Fuchs positiv eingegangen, ohne allerdings neue Einzelheiten zu enthüllen. Flerov hat in einer Ent- gegnung auf die Filmaussage betont, daß ihre Kenntnisse über den Bombenbau entscheidender auf den Vorkriegsarbeiten von Zeldovich, Chariton und Kurchatov basiert hätten.l96 Im Widerspruch stehen dazu allerd ings Einlassungen von Arzimovich und von Manfred von Ardenne. Arzimovich meinte, Fuchs habe ein Jahr Beschleunigung gebracht, da er den rätselnden So\\jets die Notwendigkeit einer heterogenen Reakto- ranordnung enthüllt habe.l97 Manfred von Ardenne erinnerte sich Über- dies in einem am 14.9.1989 mit dem Verfasser geführten Gespräch an

abtreten; vgI. William J. Brod, Spy's Role in Soviet H-8omb is played Down, New York Times 3.1.1990, Philip Elmer-Dewitt, The Master Spy Who Failed, in: Time 15.1.1990 und lan Bellany, The Origins of the Soviet Hydrogen 80mb: The York Hypothesis, in: Royal United Services Institute-Journal 111977,56-58. Fuchs wurde somit einmal zur Beeinflussung von Truman, ein zweites Mal bei der historischen Legendenbildung um die Wasserstoftbombe mißbraucht. Vgl. Daniel Hirsch, William G. Mathews, The H- Bomb: Who Really Gave Away the Secret?, in: Bulletin of the Atomic Scientists, JanfPebr.1990,23-30 194 Williams, a.a.O., 5 195 Mark Kuchment, Beyond the Rosenbergs: A New View from , in: Boston Re- view, vol.X, No.4, Sept. 1985, 5ff.; Kuchment gibt zwar (spärliche)Hinweise darauf, daß die Rosenbergs sowie Joel Barr und Alfred Sarrant durchaus Kontakte zum sowjeti- schen Geheimdienst hatten, daß die Berichte der Rosenbergs jedoch irgendeine nen- nenswerte Bedeutung gehabt hätten, entkräftet auch er; zur juristischen Seite des Rosenberg-Urteils vgI. Michael E. Parrish, Cold War Justice: The Supreme Court and the Rosenbergs, in: The American Historical Review, vo1.82,No.4, Oct 1977,805-842 196 Izvestia 6.8.88 197 So Golovin in einem am 20.2.1990 geführten Gespräch

83 einen Vortrag Flerovs im November 1945 in Sinop, in dem die Kinematik der Atombombe referiert wurde. Fuchs habe nach seiner Rückkehr in die DDR gegenüber Ardenne bestätigt, daß dieser Vortrag Flerovs nur auf seinen (also Fuchs') Übermittlungen beruht haben könne. Die Interpretation des Fuchsschen Beitrags wird solange anhalten, bis . die sowjetischen Archive, insbesondere auch das Privatarchiv von Kurchatov, geöffnet werden. Die administrativen Leitfiguren des sowje- tischen Atomprojektes wiederum können leider nicht mehr. befragt wer- den. Eine Chance hätte mutmaßlich darin bestanden, Vannikov, der of- fensichtlich über Fuchs' Berichte im Bild gewesen ist, zu befragen. Van- nikov hatte sich bereit erklärt, dem Kurchatov-Biographen Golovin über Fuchs zu erzählen, starb jedoch, bevor er dies tun konnte. In der Sowjetunion wird zwar heute Fuchs' Beitrag nicht mehr bestrit- ten, aber namentlich von Seiten der Kernphysiker nach Kräften mini- miert. Es scheint geradezu eine Absprache zwischen den noch lebenden sowjetischen Kernphysikern über die Sprachregelungen zu geben. Uni- sono behaupteten Aleksandrov, Chariton, Flerov und Slavskij während einer sowjetischen Fernsehsendung am 16. Januar 1988 aus Anlaß des 85. Geburtstages von Kurchatov, daß Kurchatov beim Bombenbau kaum Fehler begangen habe, daß er, nur über Mikrogramme an Plutonium verfügend, gleich zum Bau von riesigen Plutoniumfabriken übergegangen sei und der Bombenbau gar nur 3 Jahre gedauert habe - gemeint ist ver- mutlich die Frist vom Erhalt erster Mengen an Plutonium bis zur Bom- benexplosion. "Wir wußten bei weitem mehr, als Fuchs uns sagen konnte", so Georgij Flerov.Aleksandrov sekundiert: "Im allgemeinen hat das keine wesentliche Rolle gespielt".l98 Flerov beschreibt Fuchs' Be- richte als eine Mischung aus schmackhaften und nahrhaften Äpfeln, un- ter denen sich allerdings auch verschimmelte befunden hätten. Da sie nicht gewußt hätten, welche Information echt und welche zur Desinfor- mation gedacht gewesen sei, hätten sie im Grunde alles selbst machen müssen. Zweifellos, der Umfang der auch mit Spionageinformationen zu bewältigenden Aufgaben sowie die Zwiespältigkeit der erhaltenen In- formationen schlossen einfache Kopien aus. Zudem dürften jene, die Kurchatovs Verdienste loben, nicht immer wissen, welche tatsächlich originär seinem Kopf entsprungen waren. Schließlich darf eins nicht unberücksichtigt bleiben. Fuchs' Geständnis im Prozeß 1950 und sein -

198 Pravda 23.7.1988

84 möglicherweise nur gerichtstaktischer - Hinweis auf Differenzen zur sowjetischen Politik dürfte von Stalin und Berija nicht anders denn als Verrat aufgefaßt worden sein, der unangenehmen außenpolitischen Är- ger nach sich zog. Als Fuchs 1968 erstmals nach Moskau reiste und gar noch zum KGB vorzitiert wurde, scheint ihm angst und bange gewesen zu sein, ob nun auch die Sowjets eine Rechnung wegen seines "Verrats" aufmachten.l99 Die vage Bildersprache sowjetischer Kernphysiker bei der Charakterisierung der Spionage, die auch bei Nachfragen flüchtig bleibt, verrät Absicht. Akademiemitglied Kikoin, 1964 mit dem VorscWag konfrontiert, Fuchs wegen seiner Verdienste in die Akademie der Wissenschaften der UdSSR aufzunehmen, erklärte unumwunden: "Das ist nicht zweckmäßig, weil es einen Schatten auf die Verdienste sowjeti- scher Wissenschaftler beim Bau der Atomwaffe wirft".200Kurchatov war jedenfalls bei der Anerkennung der Verdienste der "Aufklärung", ohne freilich Fuchs namentlich zu erwähnen, freimütiger als seine heute noch lebenden Kollegen. Nach der Zündung der Bombe am 29. August 1949 schrieb er der Führung des MGB (dem Vorläufer des KGB, her- vorgegangen aus dem NKWD): "Die Aufklärung hat beim Bau der sowjetischen Atomwaffe einen unschätzbaren Dienst erwiesen".2OlKürz- lich hat ein sowjetischer KGB-Mitarbeiter, Vladimir Matveevich Chikov, nach Durchsicht der Akte Nr. 13676 (die bisher angeblich nur 6 Men- schen zu Gesicht bekommen haben) aus dem KGB-Archiv gar Kurchatov mit der Bemerkung zitiert, daß die Spionage 50 % des Erfolges beim Bau der sowjetischen Bombe gewährleistet habe.202Kurchatov war der ein- zige, der es wirklich wissen konnte. Neben den Informationen, die Klaus Fuchs aus den USA übermittelte und die nur durch Kurchatov weitergeleitet wurden, spielte das 12. Au- gust 1945 veröffentlichte Buch von Henry D. Smyth über die Nutzung der Atomenergie für militärische Zwecke die Rolle eines in den sowjetischen Instituten breit genutzten Kompendiums.203 Wissenschaftliche Mitarbei-

199 Andeutungsweise läßt sich dies Feklisov (Teil II), a.a.O., 42, entnehmen. 200Feklisov (Teil II), a.a.O., 41 201 Feklisov (Teil 11),a.a.O., 36 20Z V.M.Chikov, Kak sovetskaja razvedka "rassepila" amerikanskij atom (Teil I), in: Novoe vremja 1611991, 37 203Henry D. Smyth, Atomic Energy. A General Account of the Development of Methods of Using Atomic Energy for Military Purposes under the Auspices of the United States Govemment, Washington D.C. 1945 85 ter aus Los Alamos hatten, um eine internationale Kontrolle der Kernenergie zu forcieren, einen Bericht über die Arbeiten im Man- hattan-Projekt geschrieben, der jedoch anschließend strenger Zensur durch das Pentagon unterworfen wurde. Robert Oppenheimer hatte sich nach der redaktionellen Bearbeitung durch das Pentagon geweigert, seine Unterschrift unter den Smyth-Report zu setzen. Er sei einseitig und führe in die Irre204 - was ja mit Blick auf die Sowjetunion beabsichtigt war. Der Smyth-Report enthüllte, welche grundlegenden Probleme bei der Plutoniumproduktion, bei der Isotopentrennung und beim Bomben- bau selbst zu überwinden waren. Er zeichnete ein grandioses Bild der zu lösenden Aufgaben, und zwar vor allem für die politische Führung, der das Ausmaß der Forschungen, der Kosten und der industriellen Anstren- gungen zu vergegenwärtigen war. In theoretischer Hinsicht dürfte der Smyth-Report den sowjetischen Physikern und Chemikern wenig Neues enthüllt haben. Die Mischung aus Andeutungen, Geheimhaltung und allgemeiner Diskussion von Problemfeldern, die den Smyth-Report kenn- zeichnet, offenbarte das weite Spektrum der amerikanischen Forschun- gen. Experimentelle oder technologische Details ließen sich indessen nicht ergründen. Der Ertrag des Smyth-Reports für das sowjetische Uranprojekt dürfte vor allem auf dem Gebiet der Isotopentrennung gele- gen haben. Sechs Trennverfahren wurden vorgestellt, die Gasdiffusion, die Destillation, die Zentrifuge, die Thermodiffusion, die chemische Aus- tauschmethode sowie die elektromagnetische Isotopentrennung. Die Gasdiffusion von Uranisotopen durch poröse Wände erfuhr die breiteste Darlegung. Metallisches Uran mußte in Uranhexafluorid gelöst werden, um dann durch poröse Wände aufgrund des Druckunterschieds auf bei- den Seiten diffundieren zu können. Das leichtere Isotop U 235 würde schneller diffundieren als das schwerere U 238. In einer Kaskade hun- dertfach hintereinandergeschaltet, würde sich der Anteil des anzureichernden Uran 235 sukzessive erhöhen. Da Uranhexafluroid ein außerordentlich aggressives Gas ist, mußten besondere Vorkehrungen gegen Korrosion, undichte Stellen und für die Versiegelung getroffen werden. Als entscheidende Probleme erwiesen sich - so viel wurde deut- lich - die Trennwände und die Pumpen für die Kaskade - über ihre ge- naue Konstruktion verriet der Smyth-Report jedoch trotz einiger prinzipieller Überlegungen nichts. Während, die Gasdiffusion durchaus mit ihren grundsätzlichen Vor- und Nachteilen beschrieben wurde, brach

204 Feklisov (feill), a:a.O., 27

86 die Darstellung der gleichfalls erwähnten - und als mindestens ebenso effektiv herausgestellten - elektromagnetischen Isotopentrennung beim Stand von 1942 ab. Dies legte den Schluß nahe, daß die elektromagneti- sche Isotopentrennung strengerer Geheimhaltung unterlag, weil sie sich als erfolgversprechender erwiesen hatte. Obwohl dies für die amerikani- sche Trennanlage in Oak Ridge in der Tat zutraf, konnte die indirekte Betonung der elektromagnetischen Isotopentrennung im Smyth-Report nur in die Irre führen, denn eine Nachahmung der amerikanischen Trennanlage würde Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Möglicherweise bestand darin sogar eine Funktion des Smyth-Reports - nämlich bei potentiellen Konkurrenten viel Zeit und Geld auf die Rekonstruktion des tatsächlichen Forschungs- und Entwicklungsablaufs im Manhattan-Projekt zu verschwenden. Nach dem Erscheinen des Smyth-Reports verbreiterte sich jedenfalls das Spektrum der sowjeti- schen Forschungen, alle Varianten der Isotopentrennung und der Reaktorkonstruktion wurden nunmehr parallel und auf breiter Front angegangen. Wenn auch der Weg zum Erfolg bei der Isotopentrennung noch nicht im einzelnen erkennbar war, ließ sich aus dem Smyth-Report doch der Mißerfolg einzelner Experimente und Verfahren nunmehr für die sowjetische Forschung vorab bestimmen. Zudem regte er dazu an, nach dem realen Gehalt der nur angedeuteten Verfahrenstechniken zu suchen. Schließlich beruhigte er die sowjetischen Physiker und Physiko- Chemiker - sie waren in vielem bereits auf dem richtigen Weg. Der Smyth-Report wurde für die sowjetischen Kernphysiker zur Her- ausforderung. Sofort nach Erscheinen des Büchleins wurde es übersetzt, in einer Auflage von 30 000 Exemplaren vervielfältigt und in allen Insti- tuten zum Gegenstand von ausführlichen Seminaren gemacht. Den So- wjets wurde deutlich, welche Versuche bereits erfolgreich verlaufen wa- ren, in welcher Richtung sie selbst noch keine Vorstöße unternommen hatten und in welcher Weise sich die bisherige sowjetische Forschung korrigieren ließ. Beim aufmerksamen Studium des Smyth-Reportes galt es immer wieder erneut abzuwägen, welche Technologie auf die So- wjetunion übertragbar sein würde. Neue Antworten auf die Grundfragen nach reinem Uran, reinem Gra- phit und reinem Wasser sowie den gerade noch zulässigen Bei- mengungen waren gleichwohl nicht zu erhalten. Obschon die Beschreibung der Reaktorkonstruktion mit dem Stand vom 2.Dezember 1942, also dem Tag, an dem Fermi erstmals eine Kettenreaktion gelang, abbrach, erfuhren die Sowjets doch, daß sie mit der Orientierung auf

87 einen graphitmoderierten Reaktor mit heterogen angeordneten Blöcken aus Uranmetall und Uranoxyd auf dem richtigen Weg lagen. Der Report bestätigte die sowjetischen Überlegungen zur Reaktorkonstruktion, er gab Anregungen für die Isotopentrennung mittels Gasdiffusion und er leimte die Sowjets bei der elektromagnetischen Isotopentrennung. Barwich hat wohl am treffendsten den Vorteil des Smyth-Reports in der Abkehr von der "Laboratoriumsideologie", d.h. "die Laboratoriums- einrichtung einfach durch ein Vergrößerungsglas zu betrachten und sie in technische Maßstäbe zu übersetzen", gesehen.205Als "Kochbuch"206mit fertigen Rezepten ließ sich der Smyth-Report gewiß nicht nutzen, er spielte eher die Rolle eines Reiseführers mit verschiedenen Routen, welcher das Entdecken schmackhaft machte, es dem Reisenden jedoch nicht abnahm. Die von Kapiza beklagte Gläubigkeit gegenüber der amerikanischen Wissenschaft legte indessen die Imitation dortiger Verfahren nahe. Dies konnte kostspielige Ab- und Umwege zur Folge haben, da die technologische Basis .der Sowjetunion mit der amerikanischen nicht zu vergleichen war. Die überragende Wertschätzung, die alle befragten sowjetischen Projektbeteiligten dem Smyth-Report beimessen, erhellt mehrerlei: Erstens, wie zurückgeblieben die Sowjets im August 1945 insgesamt noch waren, zweitens, wie sehr man bereit war, sich die Pfade der Forschung vom Pentagon vor- schreiben zu lassen und drittens wird indirekt die Bedeutung der Fuchs- sehen Information entwertet - denn diese hätte bereits wesentlich detaillierter als der Smyth-Report gewesen sein müssen.

205 ijarwich, Das rote Atom, a.a.O., 76 206So die Wertschätzung von Professor Klaus Thiessen für den Smyth-Report.

88 Die administrative Projektleitung durch Berija brachte die Physiker trotz seines energischen Einsatzes häufig zum Verzweifeln - von Physik ver- stand er nichts, gleichwohl redete er mit Physikern wie mit Schuljungen. Den Deutschen traute er zu viel. Bei jeder auftretenden Schwierigkeit roch er Verrat und Sabotage seitens der sowjetischen Wissenschaftler. Berija "mißachtete die sowjetische Wissenschaft, und er zerstörte sie und überdies, wenn wir versuchten, von seinen Ideen abzugehen, welche er für die einzig richtigen hielt, dann hätte er dies nicht zugelassen", klagt Flerov noch 40 Jahre später .207 Kikoin wollte beispielsweise von der Gasdiffusionsmethode auf die Zentrifuge umsteigen - Berija erlaubte dies nicht. Der Fall Kapiza erhellt in besonderem Maße die Reibungen zwischen der administrativen Leitung des Atomprojektes durch Berija und der Ei- genständigkeit der Wissenschaft. Kapiza, der bei Ernest Rutherford in Cambridge gelernt hatte und 1934 unter erniedrigenden Umständen zum Verbleiben in der Sowjetunion genötigt worden war, hatte sich rühmliche Verdienste um die Technologie der Sauerstoffproduktion erworben.208 Obwohl diese Verdienste von Neidern in Abrede gestellt wurden, galt er weithin als wissenschaftliches Genie. Als Mitglied des Wissenschaftlich- Technischen Rates war Kapiza beratend tätig, ohne jedoch selbst direkt mit physikalischen Forschungen in das Uranprojekt involviert zu sein. Kapiza warnte nach dem Studium des Smyth-Reports und nach Kenntnisnahme der Spionageberichte vor einer Kopie amerikanischer Verfahren. Die sowjetischen Physiker und Chemiker sollten eigene Wege gehen und sich von der erniedrigenden Ergebenheit vor der amerikanischen Wissenschaft freimachen. Kapiza beklagte sich zugleich bitter über den anmassenden Stil Berijas im Wissenschaftlich- Technischen Rat und im "Spezkomitee". Verständnissuchend wandte sich Kapiza an Stalin. Ohne die "patriarchalische" Führung durch Wissenschaftler könne die Sowjetunion nichts erreichen, "weshalb es an der Zeit ist, daß Genossen vom Typ Berijas die Achtung vor Wissen-

207 Abschrift des Interviews, das Michael Rossiter im Mai 1989 für Channel Four mit F1e- rov führte. 208 Die Umstände des zwangsweisen Verbleibens von Kapiza in der UdSSR beschreibt Ar- nold Kramish, vgl. ders., Der Greif. Paul Rosbaud - der Mann, der Hitlers Atompläne scheitern ließ, München 1987,49ff.

89 An Absurd Situation

IN A .tETTj.;R 10 1I1OtOTOV INDE. "Nuhel' 194,), Soviet phy.icist Pelel' Kal,ilZa Iikeu<1dth<1l'!'slrainl •. ·J,f seerecy plaeed on nucleal' srientists

to ':'thc Obio\lI'lWÜÖn Hf s('.i€>ntifk·

Aead&rutcian Kapltza progr€>sR in thr. name of :religiou in in 1940 the Middll' Ag!'s. [litt d';'l'ltl' his aplwal, <10n.ent liJ puhli.h his vi<1WS·(>n thepeaccfü[ mcs of nndeal" ~nfwgy\fä~::,withheld~

Akademiemitglied Petr L. Kapiza im Jahre 1940 (Photo: D. Baltermanz)

90 .,,,UQJl..L.l\,#JL.II..l L.U JL\,#.lU\.I'U 1.I\.1'~\.I'.i.l • JI..,;'\.I'.l U.l L.lÖ\.l' ..Il.V.l...Il.\.I' AVJUUL"" UJI ...U,".I..ILL V.lLL& .••V Jl...:J..:JV.jI.& schaftler vom Rang Kapizas wagen.209 Seit der Verhaftung Landaus, für den sich Kapiza tatkräftig eingesetzt hatte, und dem er dadurch vermutlich das Leben rettete, standen sich der selbstbewußte Wissenschaftspatriarch Kapiza und der ungehobelte wie furchteinflössende Berija feindselig gegenüber. Kapiza, der die An- wesenheit Berijas bereits physisch unerträglich fand, bat Stalin um die Freistellung von allen Tätigkeiten für das Uranprojekt, ausgenommen der Arbeit für die Akademie.210 Moralische Bedenken, am Bombenprojekt teilzunehmen, spielten bei Kapiza keine Rolle. Er wollte sich weder den Stil Berijas weiter zumuten noch hielt er Kurchatovs Forschungsplan mit seiner parallelen Untersuchung aller Formen der Isotopentrennung für effektiv. Am 25.November 1945 wandte sich Kapiza, der von Stalin nicht sofort freigestellt worden war, erneut an den Generalissimus mit der Bitte, ihn doch von seinen Verpflichtungen zu befreien. Der gewählte Weg zur Atombombe sei weder der kürzeste noch der billigste, führte Kapiza aus. Das Geheimnis der Atombombe sei ihnen bekannt. Die Geheimdienstberichte aus den USA dienten währenddessen häufig allein dazu, sie vom rechten Weg abzubringen.211 Sträflich sei es, dem amerika- nischen Weg folgen zu wollen. Die Amerikaner hätten eine starke Indu- strie hinter sich gehabt, sie hätten eine größere Zahl fähiger Wissen- schaftler heranziehen können, sie hätten eine entwickeltere wis- senschaftliche Basis und zudem seien sie im wissenschaftlichen Appa- ratebau weiter. Der Wissenschaftlich-Technische Rat sei eine unhandli- che, plumpe Einrichtung. Zu viele Scharlatane seien in ihm versammelt. Leute wie Vannikov, bemerkte Kapiza sarkastisch, erinnerten ihn an jene Anekdotenfigur, die den Ärzten nicht glauben wollte und deshalb alle Mineralwasser hintereinander trank, in der Hoffnung, daß ein Wäs- serchen schon helfen möge.212 Berijas Schwäche, setzte Kapiza noch hinzu, bestehe darin, daß er mit dem Dirigierstab herumfuchtele, aber die Partitur nicht verstehe. Stalin, den Kapiza in Unkenntnis über die Machenschaften Berijas wähnte, hatte den Brief allerdings umgehend Berija zur Lektüre gegeben.

209 VgJ. den Brief Kapizas an Stalin vom 3.10.45, in: P.L.Kapiza, Pisma 0 nauke, Moskva 1989,233ff.

210 Kapiza, Pisma 0 nauke, a.a.O., 234

211 Kapiza, Pisma 0 nauke, a.a.O., 238 212 Kapiza, Pisma 0 nauke, a.a.O., 243 91 Berija lud daraufhin Kapiza zu sich, woraufhin dieser nur erwiderte: "Ich habe mit ihnen nichts zu besprechen, wenn sie mit mir sprechen wollen, kommen sie in mein Institut". Und Berija kam - es muß für den NKWD- Chef eine Erniedrigung gewesen sein. Stalin schätzte Kapiza als wissenschaftliche Autorität und möglicher- weise auch dessen selbstbewußte Unabhängigkeit, jedenfalls gab er dem Drängen Berijas auf Verhaftung Kapizas nicht nach. GleichwoW befreite Stalin im Jahre 1946 den widerspenstigen Kapiza von allen Verpflich- tungen im Wissenschaftlich-Technischen Rat. Berija inszenierte nun seinerseits eine Kampagne zur Diskreditierung der Verdienste Kapizas um die Sauerstofftechnologie und erreichte schließlich, daß Kapiza nur noch mit einigen Mitarbeitern auf seiner Datscha vor sich hin basteln durfte.213 Kapiza hatten die Inkompetenz und administrative Reibungsverluste gestört, nicht jedoch die Zentralisierung von Entscheidungsmacht an sich. Wissenschaftliche Effektivität und Reputation maß Kapiza unaus- gesprochen immer an seinen Cambridger Erfahrungen. Er reklamierte nicht nur wissenschaftliche Autonomie, die der Oominanz des Politischen unter Stalin im allgemeinen und der militärischen Entscheidungsstruktur im Atomprojekt im besonderen diametral entgegenstand, sondern zugleich eine administrative Führungsrolle der Wissenschaftler. Er wäre mit diesem Anspruch auch gescheitert, wenn ihm selbst anstelle von Kurchatov die Projektleitung angetragen worden wäre. In zugespitzter Form trat in dem Konflikt zwischen Kapiza und Berija etwas Allgemei- neres zutage. Die Physiker hatten ihre Rolle als unabhängige und macht- vollkommene Könige der Wissenschaften ausgespielt, sie mußten sich spätestens im Atomprojekt den Zielsetzungen und administrativen Ent- scheidungen der Staatsmacht einfügen. Kapizas Aufbäumen gegen diese Entmachtung galt zuvörderst dem Schutz der eigenen Würde, in ihm äus- serte sich jedoch zugleich die Verteidigung eines überkommenen Ideals von der führenden Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft, das bereits faktisch zum Anachronismus geworden war. Die Einsamkeit Kapizas in seinem Ringen mit dem "Spezkomitee" und bald darauf mit der staatli- chen Kommission für das Sauerstoffproblem belegt, daß von einer unab- hängigen scientific community nicht mehr die Rede sein konnte. Im Un-

213 VgJ. zum Verhältnis Kapizas zur Staatsmacht A.B.Kozevnikov, Uchenyj i gosudarstvo: fenomen Kapizy, Moskva 1989 (Institut für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik/IlEiT ANSSSR, unveröffentlichtes Manuskript).

92 terschied zu Andrej Sacharov, der vom Erlebnis der Ohnmacht des Wis- senschaftlers gegenüber der politischen Nutzung seiner Forschungen zur Forderung nach Demokratisierung der Gesamtgesellschaft kam,214 begriff Kapiza das Verhältnis von Wissenschaft zur staatlichen Macht nur aus der engen Perspektive einer angeblich selbst unanfechtbaren Wis- senschaft.

214Vgl. Sakharov. Memoirs of a 20th Century Giant, in: Time International No.20, 14.5.1990,26-47,insbes. 38ff.

93 IX. Grundlegende Probleme

Nach der gänzlichen Neustrukturierung des Atomprojektes galt es zu- vörderst, eine Kettenreaktion zuwege zu bringen. Entsprechend den amerikanischen Forschungen experimentierte man gleichzeitig mit Gra- phit, Schwerem Wasser, Beryllium, gewöhnlichem Wasser und anderen Elementen als Moderator. Das Schwergewicht wurde allerdings auf einen graphitmoderierten Reaktor gelegt. Drei Hauptaufgaben galt es beim Reaktorbau zu lösen: erstens, die Ausarbeitung der Reaktortheorie und ihre experimentelle Überprüfung, zweitens, die Herstellung von mehre- ren zigtausend Tonnen aUßerordentlich reinen metallischen Urans und drittens, die Gewinnung von mehreren hundert Tonnen chemisch reinen und dichten Graphits. Die Ausarbeitung der Technologie zur Herstellung von metallischen Uranblöcken ohne Beimengungen stand an vorderster Stelle. Für den er- sten experimentellen Reaktor, so hatten die Berechnungen ergeben, wur- den 45 Tonnen reinsten Urans und 500 Tonnen reinsten Graphits benö- tigt.215 Im Laboratorium Nr. 2 befanden sich allein 90 kg Uranoxyd und 218 kg Metallpulver, die aus Deutschland mitgebracht worden waren.216 Die Akademiemitglieder Vernadskij und Fersman, die schon im Jahre 1943 auf die Suche nach sowjetischen Uranvorkommen geschickt worden waren, hatten feststellen müssen, daß die alten Uranminen zumeist unter Wasser standen. Bei der Herstellung metallischen Urans sollten sich na- mentlich die deutschen "Spezialisten" Meriten erwerben. Auf ihren Bei- trag wird gesondert eingegangen. Ähnlich wie beim Manhattan-Projekt erwies sich auch für die sowjeti- schen Chemiker die Analyse der Beimengungen des Urans - eine Auf- gabe, die AP. Vinogradov übernahm - als ungewöhnlich schwierig. Schädliche Beimischungen von Bor, Kadmium, Lithium, Germanium, Seltenen Erden, Titan, Vanadium, Mangan, Eisen und anderen Elemen- ten, die als Neutronenschlucker die Kettenreaktion behinderten, verdar- ben das Graphit,217

215 Pravda 12.1.1988 216V.V.Goncharov, Petvye (osnovnye) etapy reschenija atomnoj problemy v SSSR, Mos- kva 1990,5 217 Für die chemische und die Spektralanalyse des Graphits zeichneten das Staatliche Optische Institut und das Institut für Geochemie und Analytische Chemie der Aka. demie der Wissenschaften verantwortlich; eine ausführliche Beschreibung der zu

94 Die vom Moskauer Elektrodenwerk angelieferten Graphitstücke enthiel- ten anfänglich Beimengungen, die die zulässigen Werte um das Hundertfache überstiegen. Die verzweifelten Mitarbeiter des Werkes "Sojuzelektrod" setzte das "Spezkomitee" gehörig unter Druck. Sie muß- ten jene im Laboratorium Nr. 2 erarbeiteten Methoden der Graphither- stellung unmittelbar in eine Großtechnologie umsetzen - ohne die Zwi- schenstufe der Technologieerprobung in kleinem Maßstab. Zum Ver- antwortlichen für die Graphitherstellung wurde im Laboratorium Nr. 2 V.V.Goncharovernannt.218 Das leidige Problem der Herstellung von hin- reichend reinem Graphit konnte unter seiner maßgeblichen Leitung innerhalb Jahresfrist gelöst werden.219 Nachdem Graphit und Uran in ausreichender Reinheit zur Verfügung stand, konnten endlich Experimente mit der Reaktorschichtung vorge- nommen werden. Tag und Nacht schichtete man in Zelten und in Erd- höhlen Uran- und Graphitblöcke auf, um die optimalen Abmessungen der Blöcke und ihre Anordnung studieren zu können. Am 25.Dezember 1946 konnten die Sowjets endlich Fermis entschei- denden Durchbruch vom Dezember 1942 für sich wiederholen. Die Kettenreaktion funktionierte. Der Experimentalreaktor F-1, von Kurcha- tov persönlich angefahren, bestand aus 36 Tonnen Uran, die in 19 000 Einzelblöcken aufgeschichtet worden waren. Wie Aleksandrov bestätigt, kamen die Uranblöcke für den Experimentalreaktor im wesentlichen aus deutschen Beständen und noch nicht aus sowjetischer Produktion.22O Im Frühjahr 1947 produzierte der Reaktor F-l erste Mengen an Pluto- nium. Zwar hatte der Bruder Kurchatovs, Boris Kurchatov, schon Mitte Oktober 1944 Kleinstmengen Plutonium durch die Bestrahlung von Uran mit einer Radium-Beryllium-Neutronenquelle erhalten.221 Durch Neutro- nenbeschuß von 50 kg Uran mit Hilfe eines Zyklotrons ließen sich 1946 zusätzliche Mikrogramme Plutonium gewinnen. Aber erst mit einem

überwindenden Hindernisse bei der Graphitproduktion findet sich in Goncharov, Pervye (osnovnye) etapy ..., a.a.O., llff. 218 Mit Goncharov zusammen arbeiten im Laboratorium Nr. 2 an der Reindarstellung von Graphit und Uran B.V.Kurchatov, N.F.Pravdjuk, AP.Schtriganov, M.I.Pevzner. Die physikalische Kontrolle des Graphit oblag der Gruppe um I.F.Zezerun (I.P.Afonina, V.KLoseva, AI.Pivovarova, N.L.Chinnova u.a.). 219 Pravda 12.1.1988 220 Gespräch des Verfassers mit AP.Aleksandrov am 29.6.1990 221 Boris Kurchatov, Nechozenymi putjami, in: Technika Molodezi 12/1975, 17

95 Brutreaktor konnten Gramm-, ja Kilogrammengen des kostbaren Mate- rials erstmals im April 1947 produziert und von dem Kurchatov-Bruder Boris abgetrennt werden.222 Zugleich ließ sich die Theorie des Reaktors weiter vervollkommnen. Wie konnte man den Reaktor unterkritisch hal- ten? Wie verhielt er sich im Dauerbetrieb? Welche Regelstäbe und wel- che Kühlsysteme eigneten sich am besten? Wie verhielt sich die Neutro- nendichte im Reaktor? Welchen Einfluß hatte der atmosphärische Druck? Worin bestand die optimale Gitteranordnung? Wie wurden die Resonanzneutronen und die thermischen Neutronen im Gitter ab- sorbiert? Welche Materialien brauchte man für. den Reaktorschutz? Diese und andere Fragen ließen sich erst mit einem Experimentalreaktor beantworten. Mit der Abtrennung des Plutoniums von den übrigen Spaltprodukten beschäftigte sich Igor Kurchatovs Bruder Boris Vasilevich. Chlopin hatte bereits in den Jahren 1943/44 zusammen mit Nikitin, Ratner, Starik, Vdo- venko und anderen aus dem Radium-Institut eine Labormethode für die Abtrennung des Plutoniums von Uran ausgearbeitet.223 Der Prozeß der chemischen Abtrennung von Plutonium erwies sich als außerordentlich schwierig. Die bestrahlten Uranblöcke waren extrem radioaktiv. Da keine automatischen Einrichtungen vorhanden waren, die das Arbeiten auf Di- stanz möglich machten, setzten sich die Mitarbeiter des Leningrader Ra- dium-Institutes erheblichen Strahlenbelastungen aus, an denen dann eini- ge - so etwa auch Chlopin - sterben sollten. In räumlicher Nähe zum Moskauer Laboratorium Nr. 2 errichtete man speziell für die Plutonium- metallurgie das Institut Nr. 9, das zuerst von Schevchenko, dann von Bochvar geleitet wurde und in dem das erste Plutonium geschmolzen und zu Blöcken geformt wurde.224 Welche gefährlichen Risiken die Erste Hauptabteilung bei der schnellstmöglichen Anhäufung von Plutonium in Kauf nahm, mag an der Entscheidung abzulesen sein, die Laborerfahrung mit Plutonium ohne

222 Zezerun, a.a.O., 106ff. 223 I.A.Savich, Vitalij Grigorevich Chlopin - Vydajuschtschijsja sovetskij radiochimik, Mos- kva 1962, 3lf.j für die Trennung von Spaltprodukten leistete auch - insbesondere in theoretischer Hinsicht - der Akademiker Konstantinov einen entscheidenden Beitrag; vgI. Ja. B.Zeldovich, Pamjati druga, in: Akademik B.P.Konstantinov. Vospominanija. Stati. Dokumenty, Leningrad 1985,7-14, insbes. 11 224 In dem ehemaligen InstitutNr. 9 befmdet sich heute das A.A.Bochvar-A1I-Uilions- Institut für das Studium anorganischer Materialien.

96 kontrollierende Zwischenschritte gleich auf die industrielle Pluto- niumproduktion zu übertragen. Neben der Errichtung des Experimentalreaktors F-1 lief zugleich der vom stellvertretenden Minister für Buntmetallindustrie, E.P. Slavskij, ge- managte und von Dollezal konstruierte Bau des ersten Industriereaktors in der Nähe von Tscheljabinsk an. Auch Kurchatov verbrachte nunmehr die meiste Zeit in Tscheljabinsk.225 Ab März 1946 entwickelte man zwei Varianten für den Industriereaktor, einen in vertikaler Anordnung der Uranblöcke, wofür NA. Dollezal verantwortlich zeichnete, und einen in horizontaler Anordnung, den B.M.Solkovich konstruierte. Die sowjetischen Physiker machten bei den Reaktorexperimenten die Entdeckung, daß die Uranblöcke mit Aluminium zu umhüllen waren, damit sie nicht mit dem umgebenden Wasser in Kontakt treten konnten. Die Umhüllung der Uranblöcke mit Aluminium erwies sich ebenso wie beim Manhattanprojekt als eine komplizierte Aufgabe. Vier For- schungsinstitute wurden am 28.1.1946 gleichzeitig mit der Ausarbeitung von konkurrierenden Varianten der Hermetisierung von Uranblöcken beauftragt.226 Die erste Hauptabteilung für das Uranprojekt (PGU) bil- dete eigens eine Kommission unter V.S.Emeljanov für die Erprobung der aluminiumumhüllten Uranblöcke. Das Institut für Luftfahrtmaterialien (VIAM), namentlich dessen Mitarbeiter Ambarzumjan, löste schließlich die Aufgabe der Aluminiumumkleidung für Uranblöcke. Im ersten Industriereaktor wurden die metallischen Uranblöcke mit Aluminium umhüllt, als Moderator diente Graphit, als KüWung einfaches Wasser. Obschon die für den Industriereaktor benötigte Menge an Uranblöcken in der zweiten Jahreshälfte 1947 unter größter Kräfteanstrengung fertiggestellt werden konnte, sollte der Start des er- sten Industriereaktors (Bezeichnung "A") noch bis Juni 1948 dauern. Erst

225 Das in der Nähe von Tscheljabinsk entstandene geheime Atom-Städtchen erhielt den Namen Tscheljabinsk-70. Verschiedentlich ist es mit den Laboratorien von Los A1omos verglichen worden. Heute klagen Mitarbeiter von Tscheljabinsk-70, Opfer der Rüstungskonversion zu werden. 226 Zu den vier Instituten gehörten das VIAM (Militärinstitut für Flugzeugbau), das NIIchimmasch (Forschungsinstitut für chemischen Maschinenbau) sowie die geheimen Forschungsinstitute Nr. 9 und Nr. 13; das Rennen machten schließlich das VIAM und das Institut Nr. 13, letzteres Institut hatte eine Umhüllung aus Nickel vorgeschlagen, für die sich die PGU-Kommission dann entschied. Verdienste bei der Hermetisierung der Uranblöcke erwarben sich P.S.Ambazumjan, AM.Gluchov, P.P.Pytljak.

97 jetzt konnte die Plutoniumabtrennung, für die ein großes radio- chemisches Werk (Bezeichnung "B") gebaut worden war, im Großmaß- stab einsetzen. Mit Radioaktivität hatte man bisher nur in kleinen Mengen zu tun ge~ habt, die Erfahrungen der Schu1e CWopins ließen sich auf die Plutoni- umgewinnung kaum übertragen. Die Trennung von Plutonium von den Spaltprodukten erforderte eigentlich Distanzapparaturen - die waren aber nicht zu haben. Das Plutonium zeigte zudem chemische Aktivitäten, die die Extraktion erheblich komplizierten. Die mangelnden Erfahrungen im Umgang mit Radioaktivität forderte ihre Opfer. Nicht nur CWopin bekam eine Überdosis ab, sondern auch viele Mitarbeiter des Radium-Institutes. Am Zyklotron erblindet~n zu- sätzlich einige Mitarbeiter. Schließlich forderte der Alkoholkonsum un- vorhergesehene Opfer: Einmal tranken Mitarbeiter radioaktiv ver- seuchten Alkohol, der im Labor herumgestanden hatte. Bisher war die Plutoniumextraktion allein in Labormaßstäben erprobt worden. Der unmittelbare Übergang auf eine großtechnische Plutoni- umproduktion barg ungeahnte Risiken. Zugleich zeigte sich, daß die Alu- miniumröhren, die die DurcWüftung der Graphitschichten im Reaktor besorgten, schnell korrodierten und deshalb bald in Gänze ausgewechselt werden mußten. Überraschung löste auch die Tatsache aus, daß das Graphit unter dem Einfluß des ständigen Neutronenflusses seine physikalischen Eigenschaften änderte. Zudem traten Probleme bei der Entnahme der Uranblöcke auf - sie waren aufgrund der intensiven Neu- tronenbestraWung angeschwollen. Infolgedessen Wurden die Graphit- schichten und das KüWwasser radioaktiv verschmutzt. Auch versagten die KüWkreisläufe wiederholt, mit der Folge, daß das Wasser radioaktiv verseucht wurde. Dem allgemein laxen Umgang mit Radioaktivität ent- sprach es, daß das verseuchte KüWwasser einfach in einen See bei Tscheljabinsk geleitet wurde. Die Aufblähung der Uranblöcke im Reak- tor führte im September 1948 schließlich zur Abschaltung des Reaktors für zwei Monate.227 Berija vermutete sofort Sabotage. Die Reaktorkon- strukteure um Dollezal standen unter dem Druck, Berija vom Gegenteil zu überzeugen. Im Frühjahr 1949 konnten sie aufatmen. Der Brutreaktor in Tscheljabinsk im Ural lieferte erste bedeutsame Mengen Plutonium. Trotz der Schwierigkeiten blieb der erste sowjetische Industriereaktor

227 Golovin im Gespräch mit dem Verfasser am 20.2.1990

98 "A" 30 Jahre im Einsatz - an ihm probierte man alle für nötig erachteten Modifikationen aus. Die Bombe erhielt ähnlich der ersten amerikanischen einen weiblichen Kosenamen - anstelle der internen Bombenbezeichnung 1 a hieß sie Anna Ivanovna. In Entsprechung firmierte die erste Wasserstoffbombe als Anna Vasilevna. Die Berechnung der Bombe oblag Zeldovich und Chariton. Aber auch Flerov, der die Versuche zur Neutronenverviel- fältigung im Plutonium durchführte, gehörte zum Bombenteam. Ohne be- reits ausreichende Mengen an Plutonium zur Verfügung zu haben, hieß es, die rechte unterkritische Masse der beiden zu vereinigenden Halbku- geln auszurechnen, den nötigen Neutronenfluß für die Auslösung der Kettenreaktion sowie die Geschwindigkeit und den Druck der Startexplo- sion mit gewöhnlichem Sprengstoff zu bestimmen.228 Die Zusam- mendrückung der Plutoniumkugel stellte eine außerordentlich heikle Angelegenheit dar - würde die Kettenreaktion trotz langsamer Annähe- rung der beiden unterkritischen Massen nicht plötzlich zur ungebremsten Kettenreaktion führen? Kurchatov war wegen der Gefährlichkeit die Teilnahme an den Versuchen mit der Annäherung der kritischen Massen untersagt worden.229 Die Konstruktion der Bombe bedurfte höchster Akkuratheit. Die auslösende Explosion mußte in der Uranhülle der Bombe fokussiert werden. Um Stalin und Berija so früh wie möglich die Bombe präsentieren zu können, hatte Kurchatov entschieden, eine mög- lichst einfache'Bombenversion zu bauen. Die Plutoniummassen wurden so dicht aneinander geführt, daß beinahe die Kettenreaktion ausgelöst wurde230 - ein höchst gefährliches Unterfangen, das die Ex- plosionsanordnung mehr für die Demonstration vor Berija denn für einen militärischen Einsatz qualifIzierte.

228Über die Untersuchungen zur Auslösung der Atomexplosion mittels Sprengstoff berichten V.AZukerman und ZM.Azarch, Ljudi i vz.ryvy, a.a.O .. Zukerman und Azarch gehörten zu der Gruppe um Zeldovich und Chariton, die die Detonationswel- len von Sprengstoffen u.a. mittels Röntgenblitzaufnahmen untersuchten. Zu dem Kollektiv gehörten Lev Vladimirovich Altschuller, Diodor Michajlovich Tarasov, T.V.Zacharov, M.AManakov, M.P.Schperanskij, G.V. Zubkoy, V.I.Fadeev, P.M. To- chilovskij, AABris, K.K.Krupnikov, S.B.Kormer, I.V.Veger, I.S.Model, V.V.Sofin u.a. 229I.N.Golovin, Kulminazija, Moskva 1989,3 230 Literatumaja Gazeta 6.6.1990,13

99 x. Verdienste der Deutschen bei der Uranproduktion und der Isotopen- trennung

Das NKWD zog mit den deutschen "Spezialisten" ein Konkurrenzunter- nehmen für die Uranproduktion auf. Den gebürtigen Petersburger und Doktoranden von Lise Meitner, Nikolaus Riehl, erkor Zavenjagin wegen seiner Erfahrungen mit der Herstellung von metallischen Uranplatten bei der Auer-Gesellschaft zum Verantwortlichen für den Aufbau einer indu- striellen Uranfabrikation für Reaktorzwecke.231 Zwar hatte Zinaida Er- schova bereits im Labor eine Technologie ausgearbeitet. Eine Uranfabri- kation existierte jedoch noch nicht. Riehl, für dessen Gruppe nach lan- gem Suchen ein Standort in einer alten Munitionsanstalt in Elektrostal gefunden worden war, sträubte sich zunächst, in das Uranprojekt einzu- steigen. Riehl wollte sobald wie möglich nach Deutschland zurückkehren, die Teilnahme am Uranprojekt würde ihn jedoch auf Jahre an die Sowjetunion binden. Anfänglich laborierte Riehl allein mit den Geräten und Chemikalien, die man von der Auer-Gesellschaft mitgenommen hatte, an allem anderen fehlte es. Riehl erinnert sich: "Wir fingen damit an, zunächst die Fabrikation in derselben Weise aufzubauen, wie wir sie in Deutschland betrieben hatten. Für den "naßchemischen" Teil, d.h. für die der Uranreinigung dienenden Prozesse sowie für den metallurgi- schen, der Reduktion dienenden Teil war erst ein Ausbau von Räumen und die Montage großer Anlagen erforderlich. Den letzten Teil der Fabrikation, das UmschmeIzen und Vergiessen des zunächst pulverförmi- gen Uranmetalles, konnten wir dagegen sofort in Gang setzen, denn sowohl unsere Schmelzöfen als auch eine gewisse Menge unseres pul- verförmigen Uranmetalls waren uns bereits aus Deutschland nachge- schickt worden".232 Riehl und seine Gruppe schlugen eine im Vergleich zu dem Verfahren von Zinaida Erschova vereinfachte Technologie vor. Zunächst galt es, aus dem Uranerz die schädlichen Elemente, namentlich Bor und Kadmium zu entfernen, um dann das Uran durch Reduktion in metallische Form zu

231 Zu Riehls Gruppe ehemaliger Mitarbeiter der Auer-Gesellschaft stießen noch die Doktoren Katsch, Born und Zimmer, Herr Przybilla sowie zwei Kriegsgefangene (der Chemiker Dr. Baroni und der Elektroniker Schmitz)hinzu. Die Riehlgruppe in Elektrostal umfaßte 14 Mitarbeiter. einschließlich der Familienmitglieder waren es 31 Deutsche. 232Riehl. Zehn Jahre ...•a.a.O., 22 100 überführen und schließlich in einem Schmelztiegel in die erforderliche geometrische Form zu gießen. Riehl brachte von der Auer-Gesellschaft das Verfahren der "fraktionierten Kristallisation" für die Uranreinigung mit. Die UranscmneIze sollte nicht in einer Vakuumkammer, sondern unter freier Luftzufuhr mit erhitztem Gas vonstatten gehen. Obwohl die Riehlsche Technologie im Vergleich zum Verfahren 'VonFrau Erschova schlechteres Uran produzierte, hatte eine Regierungskommission dem Riehlschen Verfahren den Vorzug gegeben - es hatte den Vorteil, schneller größere Mengen metallischen UranS zu liefern, da die Technologie bereits erpobt war. Ende 1945 beschloß der Ministerrat, die Produktion von metallischem Uran in der Fabrik Nr.12 des Volks- kommissariats für Munition in Elektrostal anzufahren - nach der Me- thode des Instituts für Seltene Metalle und der "deutschen Methode", wie es erstmals anerkennend in einer sowjetischen Darstellung hieß.233Beide Technologien erprobte man in Elektrostal parallel. Erschovas Verfahren warf allerdings nur einige Dutzend Kilogramm Uran ab, benötigt wurden indesssen für die Ingangsetzung des Reaktors F-1 mehrere Tonnen. Die ersten metallischen Uranblöcke erwiesen sich zudem als Aussch:uß. Das Uran war mit Bor und Eisen verschmutzt. Kurchatov mußte Stalin Ende 1945 berichten, daß die Uranproduktion vollkommen unbefriedigend verlaufe. Zavenjagins anschließendes Plädoyer für die überlegene Riehlsche Urantechnologie rief allerdings unter den sowjetischen Chemikern auch Mißmut hervor. Ihr Uran war reiner, jedoch nicht in den erforderlichen Mengen herzustellen. Die Versorgung Riehls mit Materialien und Ex- perten entzog diese zugleich den sowjetischen Chemikern. Wollte Za- venjagin nicht nur seine Position im Ringen mit dem Wissenschaftlich- Technischen Rat verbessern? Wollten Berija und Zavenjagin nicht allein ihre gläubige Wertschätzung für die Deutschen vor Stalin rechtfertigen? Gegen Ende 1945 konnte die Uran-Fabrikation in Elektrostal anlaufen. Um die chemische Reinigung des Urans kümmerte sich vor allem Dr. Wirths, um die Gießerei Dr. Ortmann. Anfang 1946 lieferte Riehl die er- sten Tonnen Urandioxyd für Reaktorversuche. Aus dem Smyth-Report hatte Riehl erfahren, daß die Amerikaner die ihm seit langem bekannte "Äthermethode" großtechnisch für die Uranreinigung benutzt hatten.234

233V.V.Goncharov, Pervye (osnovnye) etapy ..., a.a.O., 6 234"Diese Methode besteht darin, daß man eine wäßrige Uranylnitl'lit-Lösung mit Äther überschichtet oder schüttelt; das Uranylnitrat geht zum größten Teil in den Äther,

101 Zusammen mit seinen Mitarbeitern Wirths und Thieme wurde in kürze- ster Zeit die Technologie ausgearbeitet und bis Mitte 1946 ein "Äther- Betrieb" aufgezogen. Um die Arbeitsatmosphäre zu beleuchten, sei ein von Riehl berichteter Vorfall wiedergegeben. Als eines Tages eine unver- stänc,llichhohe Borkonzentration das Uran verunreinigte, fragte Vanni- kov deli stellvertretenden Chefingenieur der Uranfabrik nur, ob er schon einmal in der Lubjanka, dem berüchtigten NKWD-Gefängnis, gesessen habe. Der sowjetische Ingenieur mußte erbleichend bejahen. Riehl konnte das Unheil zum Glück abwenden. Diensteifrige NKWD-Offiziere hatten in Oranienburg zusammen mit dem Uranoxyd gleich noch das. herumliegende Bor eingefegt, und dies verursachte die ungewöhnliche Verschmutzung. Aufgrund einer sowjetischen Anregung wechselte Riehl später von Uranoxyd auf Urantetrafluorid als Ausgangsprodukt für die Uran- schmelze. Mit dieser (sich letztlich als überlegen herausstellenden) Me- thode hatte bereits Zinaida Erschova experimentiert. Die Fabrik erzeugte schließlich bis zum Weggang Riehls im Jahr 1950 nach Sungul im Ural eine Tonne Uran pro Tag. Riehl erhielt für seine Verdienste als einziger Deutscher die höchste sowjetische Auszeichnung - den "Geroj"("Held der sozialistischen Arbeit") sowie eine luxuriöse Datscha bei Moskau. Seine Mitarbeiter Wirths und Thieme beglückte man mit dem ebenfalls wohl- dotierten Stalinpreis. Die sowjetischen Physiker und Chemiker erinnern sich an die Bewunderung der Deutschen durch Zavenjagin - er habe in ihre Fä- higkeiten, insbesondere in die von Nikolaus Riehl, unbegrenzte Erwar- tungen gesetzt.235 Die resolute Entscheidung zugunsten von Riehl kam dem Zeitplan des Uranprojektes jedoch ohne Zweifel zugute. Gewiß hätte es mit dem Verfahren von Zinaida Erschova auch geklappt, doch möglicherweise erst ein Jahr später. In Sungul im Ural begann Riehl auf Vorschlag Zavenjagins von 1950 an zusammen mit dem Strahlenbiologen K.G.Zimmer, dem Radiochemiker H.J.Born sowie dem Mediziner und Strahlenbiologen A.Katsch die Be- handlung, Wirkung und Verwendung der radioaktiven Spaltprodukte aus

während fast alle Verunreinigungen in der wäßrigen Phase verbleiben", vgl. Riehl. Zehn Jahre ...•a.a.O .•24 235 Als einer von vielen Hinweisen: Interview mit B.P.Nikolskij, 14.12.1989 in Lenin- grad(Abschrift im Besitz des Verfassers).

102 Reaktoren zu untersuchen.236 Der Radiochemiker Born erforschte Methoden für die Abtrennung des Plutoniums von den Reaktorspalt - produkten. ' Riehl brachte bereits von der Auer-Gesellschaft radiobiologische Erfahrungen mit. Von seinen Mitarbeitern in Elektrostal folgte ihm nur der Luminiszenz-Fachmann Dr.Ortmann nach Sungul.237In Sungul traf Riehl auch den sowjetischen Genetiker Timofeev-Ressovskij und dessen Mitarbeiter Zarapkin wieder, die er aus der Kriegszeit in Berlih kannte und die im September 1945 vom NKWD in ein Straflager bei Karaganda gesteckt worden waren und nun an den radiochemischen und strahlen- biologischen Untersuchungen teilnehmen sollten.238 Die Einbeziehung von strafgefangenen Spezialisten in die Arbeiten über Produkte des Atomzerfalls war im übrigen übliche Praxis. Stalin und Berija ließen sich darüber - etwa auch über den Fall Timofeev-Ressovskij - persönlich be- richten.239 In Sungul untersuchte man neben der Ausarbeitung dosi- metrischer Methoden den Einbau und die Wiedergabe von inkorporier-

236 Katsch, Born und Zimmer hatten zusammen mit dem sowjetischen Genetiker N.V.Timofeev-Ressovskij in der Kriegszeit in Berlin-Buch im Kaiser-Wilhelm-Institut für Himforschung gearbeitet. A1exande! Sergejewitsch Katsch war halb Russe, halb Deutscher und mit einer Jüdin verheiratet, Timofeev-Ressovski hatte ihn in seinem In- stitut während des Krieges untergebracht. Timofeev-Ressovskij leitete die Abteilung für Genetik, in der u.a. tadiobiologische Untersuchungen durchgeführt wurden. Das Labor von Manfred von Ardenne leistete dabei Hilfsdienste mit radioaktiven Präpara- ten und der Bestrahlung von Zellen (radioaktive Markierung). Katsch, Born und Zim- mer wurden im September 1945 in die SU verbracht und in die Arbeitsgruppe von Riehl in Elektrostal eingegliedert. 237Dr. Ortmann war 1945 nochmals nach Deutschhind zurückgefahren und hatte dort berichtet, wie gut es allen in der SU ginge, daraufhin meldeten sich etwa 10 Thorium- Fachleute der ehemaligen Auer-GeseIlschaft freiwillig für einen SU-Aufenthalt, sieka- men jedoch trotz entsprechender Bemühungen nicht mit Riehl zusammen, vgl. Brief von Riehl an den Verfasser vom 10.10.1989. 238Eine (allerdings umstrittene) Biographie von Timofeev-Ressovskij hat Daniil Granin geschrieben, vgl. ders., Der Genetiker. Das Leben des Nikolai Timofejew-Ressowski, genannt Ur, Köln 1988; die Sunguler Arbeit beschreibt Riehl, Zehn Jahre ..., a.a.O., 59f.; Hinweise auf die Verbringung Timofeev-Ressovskijs und seiner Mitarbeiter ver- danke ich auch seiner Assistentin, Frau Natascha Kromm, die darüber in einem Ge- spräch vom 3.1.90 dankenswerterweise Auskunft gab. 239Vgl. Volkogonov, a.a.O., kniga 11,cast 2, 92

103 ten Radionukleiden in Organen (vornehmlich an Ratten, Kaninchen und einem Schaf) sowie die biologische Wirkung bei Inkorporation und bei äußerer Bestrahlung, um höchstzulässige Strahlendosen bestimmen zu können.240 Mit anderen Worten, Riehls Institut in Sungullieferte erstmals in der Sowjetunion Daten zu den Wirkungen und Schäden der Ra- dioaktivität auf lebende Organismen. Im August 1989 würdigte die Pravda die Verdienste jener vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnfor- schung in die SV verbrachten Doktoren Katsch, Born und Zimmer, ohne sie allerdings namentlich zu erwähnen.241 Nachdem die aufreibende Zeit in Elektrostal beendet war, strebte Riehl seine baldige Rückkehr nach Deutschland an. Briefe an Zavenjagin haUen jedoch keinen Erfolg, Riehl und seine Mitarbeiter galten als Ge- heimnisträger. Zur "Abkühlung" bzw. Quarantäne vor der Rückkehr nach Deutschland gelangte Riehl schließlich wie viele andere auch nach Su- chumi am Schwarzen Meer, wo bereits seit September 1945 (bzw. Ok- tober) die Gruppen um Gustav Hertz, Manfred von Ardenne und Peter Adolf Thiessen an der Isotopentrennung gewirkt hatten. Ohne strenge Arbeitsaufträge gingen die Wissenschaftler in der Quarantänezeit bis 1955 ihren wissenschaftlichen, touristischen und sonstigen Neigungen nach. Riehl wandte sich der Festkörperphysik zu. Der Leipziger Physikprofessor Heinz Pose hatte bereits im Herbst 1945 in Obninsk in einem vormals als Auffanglager für Flüchtlinge des spani- schen Bürgerkrieges dienenden Fabrikantenlandsitz mit einigen deut- schen Mitarbeitern Quartier bezogen.242 Der Aufbau des zunächst auschließlich aus Deutschen bestehenden physiko-energetischen Instituts zog sich schleppend hin. Die Darstellung des seinerzeitigen Direktors von Obninsk, D.I. Blochinzev, datiert die Einrichtung des Laboratoriums erst auf das Jahr 1947. Und selbst dann noch wären die Möglichkeiten des Instituts "sehr gering" gewesen, da es "in den ersten Jahren seiner Existenz weder über ausreichende wissenschaftliche Kräfte noch über die

240 Riehl, Zehn Jahre ..., a.a.O., 59 241 Pravda 25.8.89 242 Zu den Mitarbeitern gehörten u.a. Dr. Werner Czulius und Dr. Walter Hernnann, beide vormals beim Heereswaffenamt unter im deutschen Uranprojekt tätig, sowie Dr. Baroni, Dr. Ernst Busse, Dr. Hans Keppei, Dr. Willi Haupt, Dipl.Ing. Hans-Jürgen von Oertzen,Dr. Karl-Heinz Riewe, Dr. Ing. Herbert Thieme, zuzüglich der später hinzugekommenen Professoren Heinz Pose, Ernst Rexer und Carl-Priedrich Weiß sowie Dr. Krüger, Dr. Helene Külz, Dr. Helmut Scheffers u.a.

104 notwendigen Einrichtungen verfügt" habe und sich deshalb ziemlich im Abseits befunden hätte.243 Ab Frühjahr 1946 trafen erste Laborein- richturigen ein, die zumeist aus amerikanischen Lend-Lease-Lieferungen und Demontagegut, namentlich aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, bestanden.244 Aber auch die Hochspannungskaskade des Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik fand in Obninsk neue Ver- wendung. In der ländlich-idyllischen Siedlung Obninsk mit seinen Finnenhäusern haperte es. nicht zuletzt an qualifiziertem Personal, und so reiste Profes- sor Pose, selbst bereits im Juni 1945 in die Sowjetunion verpflichtet, im Juli 1946 nach Leipzig, um weitere Mitarbeiter anzuwerben. Er war be- vollmächtigt worden, sogenannte Vorverträge abzuschließen, um einer Abwanderung stellungsuchender Physiker in die Westzonen vorzubeugen und um ihnen eine Anstellung in der Sowjetunion zuzusichern. Zusam- men mit Pose erschien in Leipzig auch Professor A.K.Krasin, der dann stellvertretender wissenschaftlicher Leiter des Obninsker physiko- energetischen Instituts wurde. In dem mit Heinz Wadewitz, einem gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Physiker, am 3.7.1946 in Leipzig abgeschlossenen Vertrag hieß es beispielsweise: "Professor H.Pose ist von einer staatlichen Stelle der Sowjetunion mit der Einrich- tung und Leitung einer Arbeit beauftragt worden. Prof. Pose und seine Mitarbeiter .stellen sich damit, ungeachtet ihrer deutschen Staatsangehörigkeit, unter den Schutz der UdSSR. In seiner Eigenschaft als Leiter schließt Prof. Pose auftragsgemäß mit seinem Mitarbeiter Heinz Wadewitz folgenden vorläufigen Arbeitsvertrag ab". Eine Klausel schränkte den Vertrag auf "die Dauer der vorbereitenden Arbeiten in Deutschland" ein. "Die Abreise nach der UdSSR erfolgt nach Unterzeichnung des endgültigen Vertrages". Und um die Freiwilligkeit des Aufenthaltes noch zu unterstreichen, enthielt der Vertrag die Formu- lierung, daß "bei Nichtannahme des endgültigen Vertrages zugesichert (wird), daß der Betreffende wieder in seine alte Stellung, oder eine entsprechende, zurückkehren kann".245In dem schließlich am· 10.8.1946 unterzeichneten "endgültigen" Vertrag zwischen Pose und Wadewitz war nicht nur geregelt, daß Arbeitszeit, Versicherungsschutz, Wohnung und Urlaub "den staatlichen Richtlinien der UdSSR" entsprechen würden,

243D.I.Blochinzev, Rozdenie mirnogo atoma, Moskva 1977, 16 244Gespräch mit Wadewitz 8.6.1990 245Vertrag Pose-Wadewitz vom 3.7.1946, Kopie im Besitz des Verfassers. 105 sondern darüberhinaus, daß der Vertrag zwei Jahre gelte und in beson- deren (persönlichen) Fällen "im Einverständnis mit den sowjetischen Behörden und Prof.Pose" früher kündbar sei.246 Mit gleichen Verträgen ausgestattet, reisten in der ersten Augusthälfte 1946 die Professoren Ernst Rexer und Carl-Friedrich Weiß sowie Dr. Helene Külz, Dr. West- meyer und Dr. Helmut Scheffers nach Obninsk ab. Das Profil des Laboratoriums in Obninsk blieb anfänglich merklich un- bestimmt. Von den aktuellen Arbeiten an der Atombombe weit entfernt, schwankten die Aufgabenstellungen zwischen reiner Elementarteil- chenphysik und der Konstruktion von Kernkraftwerken. Offensichtlich sollte das Laboratorium in Obninsk Perspektiven der Kernenergie für den Tag nach der Bombenzündung entwerfen. Krasin und Lejpunski verlegten den Schwerpunkt bald auf die Entwicklung eines Hochtempe- raturreaktors auf. der Basis von thermischen Neutronen, mit einem Mo- derator aus Berylliumoxyd und einer KüWung aus Helium.247 Die Gruppe Pose befaßte sich vornehmlich mit entsprechenden Werkstoff- untersuchungen. Die Tauglichkeit von Berylliumoxyd als Moderator und von Natrium- und Kaliumlegierungen als KüWmittel galt es zu klären.248 Zwischen dem korrespondierenden Akademiemitglied Blochinzev und dem einfachen Professor Krasin auf der einen und dem Akademiemit- glied Lejpunski, der in Obninsk Blochinzev unterstellt war, auf der ande- ren Seite entbrannte ein Streit um die Durchführbarkeit eines Schnellen Brüters. Der persönliche Feindseligkeiten einschließende Disput erstreckte sich ebenso auf die Frage nach der Wirtschaftlichkeit und zü- gigen Erreichbarkeit eines mit Berylliumoxyd moderierten Reaktors. Kurchatov sprach im Jahre 1951 schließlich ein Machtwort - statt mit exotischer Reaktortechnik sollte Krasins Abteilung alle Kräfte auf ein graphitmoderiertes und wassergeküWtes Kernkraftwerk konzentrieren.249 Die Abteilung von Lejpunski durfte dagegen an der zukunftsträchtigen, jedoch praktisch vorerst bedeutungslosen Entwicklung eines Brutreaktors

246Vertrag Pose-Wadewitz vom 10.8.1946,Kopie im Besitz des Verfassers. 247 Blochinzev, a.a.O., 16ff. und 21; Gosudarstvennyj komitet po ispolzovaniju ~tomnoj en- ergii SSSR, Fiziko-Energeticheskij Institut, Moskva 1965; Gespräch des Verfassers mit Hans Gerhard Krüger am 27.4.1989 248 Gespräch mit Wadewitz 8.6.90 249 Blochinzev, a.a.O., 24ff.

106 mit Kühlung aus flüssigem Metall weiterforschen.25O Nach der scharfen Kehrtwendung im Schwerpunkt der Institutstätigkeit zugunsten eines wassergekühlten Vran-Graphit-Reaktors benötigte man die Gruppe Pose kaum mehr. Gerade zu jenem Zeitpunkt, als Obninsk tatsächlich zu ei- nem mächtigen Kernforschungszentrum werden sollte, wurde die Gruppe Pose überflüssig. Von der Reaktorentwicklung selbst blieb sie gänzlich ausgeschlossen. Im Oktober 1951 wurde die deutsche Spezialistengruppe in Obninsk denn auch aufgelöst. Die Gruppenmitglieder traten ihre "Quarantänezeit" an. Bei Suchumi am Schwarzen Meer waren Anfang September 1945 zwei Institute aufgebaut worden, eins in Agudseri mit Gustav Hertz als Leiter, ein anderes in Sinop mit den Arbeitsgruppen von Manfred von Ardenne, Peter Adolf Thiessen und dem aus einem Kriegsgefangenenlager kom- menden Max Steenbeck. Beide Institute baute man im wesentlichen mit den Ausrüstungen des Lichterfelder Labors von Manfred von Ardenne sowie des Siemens-Forschungslabors und Geräten, die im Zuge der amerikanischen Lend-Iease-Lieferungen in die SV gelangt waren, auf. In den Gebäuden eines ehemaligen Sanatoriums(Agudseri) bzw. eines Intourist-Hotels (Sinop) befand sich bei der Ankunft keine Ausrüstung. Zudem ließ die Stromversorgung zu wünschen übrig. Ein amerikanischer Dieselmotor mußte als Notstromaggregat herhalten. Erst im Frühjahr 1946 konnte die Arbeit recht eigentlich aufgenommen werden. Hertz und von Ardenne ergänzten ihre Mitarbeiterschar durch kriegsgefangene Laboranten, Feinmechaniker und Handwerker, die sie - nicht durchge- hend mit deren Einverständnis - für sich rekrutierten.251 Die Kriegsge-

250 Lejpunski hielt am 25.7.1950 vor dem Wissenschaftlich-Technischen Rat beim Mini- sterrat der UdSSR einen Vortrag, in dem er sein Konzept eines Brutreaktors vortrug, vgl. ders., Sistemy na bystrych nejtronach, in: Lejpunski, a.a.O., 62-69 251 So wurde im Kriegsgefangenenlager Krasnogorsk im Auftrag von Manfred von Ar- denne nach Mitarbeitern für sein Institut Ausschau gehalten. Da freiwillige Meldungen ausblieben, wurden im Juni 1947 trotzdem etwa 15 Kriegsgefangene nach Suchumi und dann nach Sinop zu Ardenne verbracht; vgl. DRK-Suchdienst Hamburg, Archiv Mün- chen, Zwangsarbeitsverpflichtete/ Untersuchungsunterlagen, Einsatzorte A-Z, Bericht 65 886, Akte H 430; Welche Wanderungen Zivil- bzw. Kriegsgefangene durchmachten, mag der Fall von Dr. Ernst Busse illustrieren. Busse war Leiter der Reichsstelle für Röhrenforschung im Sudetengau bis er von Tschechen verhaftet wurde. Diese überga- ben ihn an die Rote Armee. Zunächst saß er von Juni 1945 an 9 Monate im Moskauer Butyrki-Gefängnis. Im März 1946wurde er in das Spezialistenlager Planaja bei Moskau

107 fangenen standen vor der Alternative, entweder den erbärmlichen Verhältnissen in den Lagern weiter ausgesetzt zu sein oder materiell abgesichert, dafür aber ohne Aussicht auf baldige Rückkehr, in deut- schen Wissenschaftlergruppen mitzuwirken. Teilweise erklärten sich so auch einige Kriegsgefangene freiwillig für die Kooperation bereit. Ihre Lage verbesserte sich schließlich auch dadurch, daß sie ihre Familien aus Deutschland nachkommen lassen konnten. Ferner ließ Manfred von Ar- denne bereits nach seiner Ankunft am Schwarzen Meer von der So- wjetischen Militäradministration einige ehemalige Mitarbeiter in der Sowjetischen Besatzungszone aufspüren, die dann in die SU zwangsver- bracht wurden. Wiederum andere warb der eigens nach Deutschland zu- rückgeschickte Ardenne-Mitarbeiter Dr. Menke an.252 Schließlich wirk- ten von Anfang an einige sowjetische Ingenieure in den deutschen Arbeitsgruppen mit, deren Zahl im Laufe der Jahre immer mehr zu- nahm. Die Institutseinrichtungen bestanden aus deutschem Beutegut - nur Ardenne schaffte es, daß sein Labor als Privateigentum anerkannt wurde - sowie aus diversen deutschen Bibliotheksbeständen. In Agudseri und Sinop untersuchten alle Arbeitsgruppen bis 1950 allein ein Problem - die Verfahren der Trennung von Uranisotopen. Zweifellos verfügten die Deutschen auf dem Gebiet der Isotopentrennung, namentlich mittels Gasdiffusion, über einschlägige Vorerfahrungen. Die Gruppe Hertz sollte die theoretischen Grundlagen für eine Diffusi- onskaskade, die Hertz bereits 1932 für die Trennung von Neonisotopen

gebracht, von dort in das Spezialistenlager Krasnogorsk. Im Juli 1946 traf er mit der Gruppe Volmer in Osiori bei Moskau zusammen, er kam jedoch bald darauf zu Hertz nach Agudseri. Im Juli 1948 (mittlerweile war Busses Frau nachgereist) versetzte man Busse zur Gruppe Pose in Obninsk, wo er auch mit Lejpunski zusammenarbeitete. Von September 1952 bis März 1955 befand er sich in "Quarantäne" in dem Lager Tscherba- kov, von wo er schließlich nach Leipzig entlassen wurde; vgI. DRK-Suchdienst Ham· burg, Archiv München, ZwangsarbeitsverpflichtetelUntersuchungsuntertagen, Einsatz- orte A-Z, Akte H 430; zur "Quarantäne" waren 1952 insgesamt 76 Zivil- bzw. Kriegsgefangene von Agudseri und Sinop in das NKWD.Lager Tscherbakov gebracht worden. 252 Vgl. DRK-Suchdienst Hamburg, Archiv München, Zwangsarbeitsverpflichtete (Untersuchungsunterlagen), Einsatzorte A-Z, Akte H 430, insbes. die Berichte von Johannes Richter und Helmut Hepp.

108 erfolgreich ausgearbeitet hatte, entwickeln.253 Im September 1945 in Agudseri angekommen, war Gustav Hertz zunächst gebeten worden, eine sowjetische theoretische Arbeit über die Isotopentrennung mittels Gas- diffusion zu beurteilen.254 Ab Februar/März 1946 konnte die Arbeit mit sieben Physikern, einem Metallurgen, einem technischen Chemiker und sechs weiteren Fachkräften richtig losgehen. Im Sommer 1946 erfuhr Hertz' Gruppe zusätzliche Verstärkung durch einige Kriegsgefangene. Ein Mißgeschick wollte es, daß die Sowjets eines Tages gerade jenen Ministerialrat Dames nach Agudseri verfrachteten, welcher die Entlas- sung von Hertz aus Hochschuldiensten im Dritten Reich bewirkt hatte.255 Hertz, der die Sowjets über den Sachverhalt aufklärte, wurde umgehend von dieser Zumutung befreit. Hin und Wieder kamen sowjetische Physiker in das Hertzsche Institut, die durch die Art ihrer Fragen zu verstehen gaben, daß sie an denselben Problemen zeitgleich arbeiteten - zu ihnen gehörten Kikoin und Sobolev, die sich mit .der ingenieurtechnischen Aufgabe der Gasdiffsuion in Moskau, später dann in Kyschtym beschäftigten.256Das einfache Prinzip der Gasdiffusion von Isotopen hatte Kikoin bereits seit 1943 bearbeitet. Vom Hertzschen Institut und der Gruppe Thiessen erwarteten die So- wjets keine theoretische Eröffnung, sondern eine technologisch um- setzbare Variante, insbesondere hinsichtlich der porösen Wände (Diaphragmen) für die Isotopentrennung. Hertz und sein Mitarbeiter Barwich berechneten die Trennungspum- pen für das Diffusionsverfahren und die zulässigen· Korrosionsverluste in der Trennkaskade. Ebenso ließen sich nur durch theoretische Überle- gungen die Durchlässigkeit und der Porendurchmesser der Diaphragmen

253Eine Beschreibung der Diffusionskaskade von Hertz findet sich in Josef Kuczera, Gustav Hertz, Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Medi- ziner, Bd. 80, Berlin 1985, SOff.;eine ausführliche Beschreibung hat Hertz selbst gelie- fert: Gustav Hertz, Die Diffusionskaskade und andere Verfahren der Isoto- pentrennung, Leipziger Universitätsreden, Neue Folge Heft 47, Leipzig 1978. 254Nuclear Physics Research by in the USSR (Bericht vom 15.9.1948), European Command Intelligence Center, BA: RG 260/0MGUS/AGTS/38/1 255Wihelm Dames, Physiker und Bürokrat im Wissenschaftsministerium, machte sich u.a. ab Frühjahr 1939 zum Fürsprecher der "Deutschen Physik" gegen Heisenberg, vgL Walker, Die Uranmaschine, a.a.O., 85 256Darüberhinaus besuchten Hertz u.a. DJ.Blochinzev, A.K.Krassin, A.G.Karabas, SJ.Peisulajev, N.P.Rukavischnikova, Z.Zamzonova

109 bestimmen.257 Ihnen wurde der theoretische Physiker Krutkov zur Seite gestellt, der, was durchaus nicht ungewöhnlich für die Sowjetunion jener Tage war, frisch aus einem Strafgefangenenlager entlassen worden war. Ende 1945 erhielten Barwich und Krutkov einen "Prikas" vom NKWD, wonach für die erfolgreiche Regelung der Kaskade Stalinpreise winken würden.258 Mit anderen Worten, sie sollten an einem Wettbewerb zur Lö- sung der Aufgabe teilnehmen. Barwich entwickelte in den folgenden Jah- ren eine Theorie der natürlichen Stabilität der Trennkaskade, wodurch die tausendfache Herstellung von Druckreglern für die Kaskade über- flüssig werden sollte und die Zeit für das Anfahren der Fabrik zur Isoto- pentrennung mindestens um Monate verkürzt wurde. Während Hertz und Barwich die Theorie der Trennverfahren ausarbei- teten, erprobte die Untergruppe von Reinhold Reichmann Trennrohre aus Kupfer und Silber und schließlich aus Nickel für die Uranisotopen- trennung auf der Basis des Gases Uranhexafluorid (UF6). Das Problem bestand darin, wie Löcher kleinster Art in Nickelrohre zu bringen waren, durch die die unterschiedlich schweren Uranisotope diffundieren sollten. Für die Diaphragmen hatten die Sowjets zuerst mit Nähnadeln Bleche gestanzt, die Poren erwiesen sich hingegen als allzu grob. Der Apotheker Reinhold Reichmann kam währenddessen auf eine originelle Lösung - die Nickelverbindung Dimethylgloxin wurde mit Tragant und Nelkenöl zu einer Paste vermischt, aus der dann die Nickelrohre "gebacken" wurden.

257 Vgl. die referierten Erinnerungen von Gustav Hertz in: Josef Kuczera, Gustav Hertz, Berlin 1985, 60f.; die Aussage von Barwich nach seinem Wechsel von der DDR in die BRD (Sommer 1964), sie hätten in Agudseri nur das amerikanische Verfahren kopiert, kann nur als wohlfeiler Annäherungsversuch an westliches Wunschdenken interpretiert werden, denn außer dem Smyth-Report und einigen Vorträgen von Flerov, Kikoin und Sobolev verfügten die Deutschen in Agudseri über keine weiteren Kenntnisse der amerikanischen Isotopentrennung mittels Gasdiffusion; der Smyth-Report war als Kopiervorlage für die großteChnische Gasdiffusion gänzlich ungeeignet; vgl. "Jedes Blatt Papier war numeriert ...". Professor Heinz Barwich über die Atomforschung in den Ostblockstaaten, in: Der Spiegel 44/1965, 160-170; Barwich irrt sich auch in seinen Memoiren, wenn er meint, der Smyth-Report sei bei seiner Ankunft in Agudseri noch nicht veröffentlicht gewesen, seine Behauptung, dort habe sich die "erste zuverlässige Feststellung, nach welchem Verfahren die Amerikaner das Uran für die erste Bombe angereichert hatten", gefunden, trifft ebensowenig zu; vgl. Barwich, Das rote Atom, a.a.O., 63 258 Barwich, Das rote Atom, a.a.O., 89

110 Das Material besaß im Unterschied zu den Bemühungen, Löcher mit Nadeln einzustechen, die nötige Porösität. Reichmann, der 1948 verstarb, erhielt für diese Idee postum den Stalinpreis. Gebastelt wurde in der Gruppe Hertz ebenso an Trennrohren aus Keramik, diese erwiesen sich jedoch als weniger geeignet. Die Druckprüfanlage für die Nickel-Trennrohre unterstand in Agud- seri dem Physiker Hans Gerhard Krüger. Krüger kam aus einem Kriegsgefangenenlager in Planaja (später war er nach Krasnogorsk ver- legt worden)259, in dem man brauchbare Wissenschaftler gesondert versammelt hatte. 1949 (bis 1952) schickte man Krüger nach Obninsk, um dort Methoden für die quantitative Spektralanalyse der Reaktor- werkstoffe Berylliumoxyd, Natrium, Bor, Blei und Wismut vorzunehmen. Die Versetzung von Krüger nach Obninsk hatte ein Vorspiel, das hier Erwähnung verdient. Die Deutschen in Obninsk hatten einen halben Tag lang "gestreikt", nun mußte Ersatz für die unsicheren Kantonisten ge- schaffen werden. Dr. Karl-Heinrich Riewe und Dr. Renger, Mitarbeiter in der Gruppe Pose, galten als Rädelsführer des "Streiks", mit dem eine baldige Heimkehr nach Deutschland erwirkt werden sollte. Ihn verur- teilten die Sowjets zu 25 Jahren Haft. Die Verurteilung sollte vor Wieder- holung abschrecken. Und sie wirkte offensichtlich. Weitere Fälle der Ar- beitsverweigerung mit dem Ziel, die Remigration zu beschleunigen, sind jedenfalls im Zusammenhang mit dem Atomprojekt nicht bekannt ge- worden. Die einzige Ausnahme davon ist Steenbeck. Nach seiner Rückkehr nach Suchumi, wo inzwischen Riehl anstelle des nach Moskau verzogenen Hertz die Leitung übernommen hatte, wandte sich Krüger bis 1955 weniger verfänglichen Themen zu. Er widmete sich der spektrochemischen Analyse von Seltenen Erden. Krüger durfte dazu sogar, was eine seltene Ausnahme darstellte, zwei Arbeiten in so- wjetischen Zeitschriften publizieren. Eine Untergruppe des Hertzschen Instituts um Werner Schütze entwickelte Massenspektrometer , mit denen die Ergebnisse der Trennversuche gemessen wurden. Schützes Massenspektrometer rief bei einer Regierungskommission einhelliges Lob hervor und wurde daraufhin in die Produktion gegeben. Als Auszeichnung erhielt er den Stalinpreis 2.Klasse. Der Stellvertreter Kurchatovs, Golovin, der seinerzeit in der

259 In Krasnogorsk waren Ingenieure, Techniker, Facharbeiter verschiedener Berufe, u.a. aber auch die "Fliegerasse" der Deutschen Luftwaffe untergebracht, so Hans Gerhard Krüger im Gespräch mit dem Verfasser vom 27.4~1989.

111 Regierungskommission zur Abnahme des Massenspektrographen saß, erinnerte sich noch über vierzig Jahre später spontan an Schützes Massenspektrographen. So etwas hätten sie vorher nicht gehabt. Nach 1950 wechselte auch Schütze sein Arbeitsgebiet, er begann, sich mit der Analyse von Lithium zu beschäftigen und durfte gar nach Jahren wieder Artikel publizieren. Ab 1950 fmg auch Hertz mit einer gänzlich neuen Thematik an, er arbeitete über die Reinigung von Tritium. Zum Hertzschen Mitarbeiterstab gehörte anfänglich auch der Chemi- ker Max Volmer, der sich von der Technischen Hochschule in Berlin- Charlottenburg für einen achtjährigen Aufenthalt in der Sowjetunion hatte beurlauben lassen. Zusammen mit Gustav Richter, einem Mitar- beiter von Hertz aus dem Siemens-Forschungslabor, ließ er sich am MoslUmer Institut Nr. 9 nieder. Berija hatte Volmer für die Konstruktion einer Anlage zur Herstellung von Schwerem Wasser gewinnen wollen. Volmer zögerte zunächst und suchte sich der Mithilfe von Dr. Bayerl, ei- nem Fachmann für die Destillation von Erdöl und früheren Bamag- Mitarbeiter zu vergewissern. Zusammen mit Gustav Richter und Viktor Bayerl begann Volmer schließlich Ende Januar 1946 mit den Arbeiten an den Destillationskolonnen für die Schwerwasserproduktion. Im März 1946 legte man die Gruppe Volmer mit der sowjetischen Gruppe unter dem Fachmann für chemische Anlagen A.M.Rozen zusammen.26O Doch bevor auf Volmers Tätigkeit eingegangen wird, sei ein kleiner Ex- kurs erlaubt. Wie leicht ein deutscher Gruppenleiter durch Gutgläubig- keit oder allein fachliche Erwägungen bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern in der Sowjetunion zum Handlanger des NKWD werden konnte, mag folgende Begebenheit erhellen. Für seine Gruppe hätte Volmer gern auch den noch in Berlin-Charlottenburg ansässigen Pro- fessor Paul Peter Kronenberg gewonnen. Volmer lud Kronenberg im De- zember 1945 zu einer wissenschaftlichen Besprechung nach Moskau ein - Kronenberg zögerte. Das sowjetische NKWD wiederholte daraufhin die Einladung im Mai 1946. Der umworbene Professor argwöhnte jedoch, daß er die Rückreise nicht werde antreten können. Er wollte der Einla- dung zu einer vierzehntägigen Dienstreise nach Moskau nur unter vor- heriger Zusicherung seiner freien Rückkehr aufnehmen. Als ihm die 9.Abteilung des NKWD dies versprach, reiste Kronenberg im Juli 1946

260 A.M.Rozen, Proizvodstvo tjazeloj vody metodom rektifikazii ammiaka s teplovym naso- som s pozizij teoreticheskich osnov chimicheskoj technologii, VI. Vsesojuznaja konferenzija po rektifikazii, Severodonezk 1991 (nicht veröffentlichtes Referat) 112 nach Moskau. Dort wurde ihm allerdings eröffnet, daß er künftig für die 9.Abteilung des NKWD (m.a.W. im Atomprojekt) zu arbeiten habe. Nachdem sich Kronenberg weigerte, für das NKWD zu forschen, schickte man ihn in eine Rüstungsfabrik nach Gorki. Auch dort wider- setzte sich Kronenberg der Zwangsverpflichtung, mit dem Ergebnis, daß er im März 1949 verhaftet und bald darauf zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Nach einer quälenden Odyssee durch verschiedene La- ger des Archipel Gulag erreichte Kronenberg endlich im August 1954 seine Entlassung nach Ost-Berlin.261 Während in Tula bereits eine sowjetische Anlage, die auf dem Isoto- penaustausch in Schwefelwasserstoff basierte, im Bau war, entschied sich die Gruppe Volmer für die fraktionierte AmmoniakDestillation bei der Gewinnung von Schwerem Wasserstoff.262Zavenjagin hatte den Ort der bisher nur im Labor erprobten Anlage bestimmt. Es sollte das nur zweieinhalb Monate jährlich eisfreie Norilsk am Jenissej werden, wo etwa 40 000 Zivilgefangene und einige tausend ehemalige Strafgefangene als Arbeitskräfte zur Verfügung standen. G.Richter und V.Bayerl, der die technische Leitung der Schwerwasseranlage übernahm, verbrachten ab 1948 immer wieder mehrere Monate in Norilsk beim Aufbau der Schwerwasseranlage. In fünf Türmen von hundert Meter Höhe und sechs Meter Durchmesser sollten von unten Ammoniakdampf und von oben Wasser gegeneinanderlaufen, wobei das im Wasser enthaltene Deuteri- umoxyd (°20 = Schweres Wasser) herausdestilliert werden sollte. Wäh- rend Richter die Regelung der 10 000 KW-Dampfturbine und der Druckanlage durchaus noch in den Griff bekam, erwies sich der ohnehin gefährliche und äußerst kostspielig nach Norilsk transportierte Ammo- niak als untauglich - er schäumte, .da verschmutzt, beim Aufströmen in den Kolonnen nur auf. Die Sowjets machten dem verehrten Volmer Vor- würfe. Wie hatte er als Fachmann für Oberflächenchemie das Schäumen des Ammoniaks als Problem übersehen können? Zwar konnte mit synthetischem Ammoniak das Problem der Schaumbildung überwunden werden, doch dann funktionierten die Pumpen und Kompressören nicht. Die Schwerwasseranlage in Norilsk bereitete auch nach dem Weggehen der Deutschen im Jahre 1954 laufend Schwierigkeiten. Letztlich erwies

261DRK-Suchdienst Hamburg, Archiv München, Zwangsarbeitsverpflichtete (Unter- suchungsunterlagen), Einsatzorte A-Z, Bericht Paul Peter Kronenberg, Akte H 430 262Gespräch des Verfassers mit Gustav Richter am 5.2.1990

113 sie sich als Investionsruine. 1962 unter Professor Andrej Michailovich Rosen endlich fertiggestellt, hatte die Anlage zwar 7 Jahre lang Schweres Wasser produziert, sie sollte jedoch aus Kostengründen schließlich wie- der demontiert werden.263 Für die erste Atombombe hätte die Schwerwasserproduktion allerdings ohnehin keine Bedeutung erlangt. Schweres Wasser wäre als Moderator nur für Reaktoren mit natürlichem Uran nutzbar gewesen. Da die Laborarbeiten zur Destillation von Schwerem Wasser 1948 im wesentlichen abgeschlossen waren, begann die Gruppe Volmer im In- stitut Nr. 9 mit der Abtrennung von Plutonium von den Spaltprodukten des Urans. Richter, von Hause aus Physiker und deshalb für chemische Trennmethoden weniger qualifiziert, unterbreitete den Vorschlag, statt auf ein Abklingen der Radioaktivität zu warten, die Spaltprodukte mittels Zentrifuge zu trennen. Der Vorschlag wurde positiv aufgenommen und in einem anderen Moskauer Institut erprobt, ohne daß Richter jedoch über das weitere Schicksal seiner Idee etwas erfuhr. Obschon sie von den sowjetischen Kollegen hochgeschätzt wurden, er- hielt niemand aus der Gruppe Volmer einen Staatspreis. Ihr Beitrag zum Bombenprojekt ,war allzu ephemer, als daß er für preisWÜTdigerachtet wurde. Mit großer Wertschätzung erinnern sich indessen sowjetische Mitarbeiter an Volmers Stil als Experimentator. Da wirkte ein re- nommierter Wissenschaftler, in dem sich Akkuratesse, Geduld und Besonnenheit nuteinander verbanden, und der sich auch nicht zu schade war, Glasgefäße für Experimente selbst zu blasen. Bei Volmer habe sie ' arbeiten gelernt, berichtet Zinaida Erschova, die immerhin schon bei Frederic Joliot-Curie zur Schule gegangen war. Ardennes Gruppe hatte den Auftrag bekommen, sich in Konkurrenz zu Arzimovich mit der elektromagnetischen Isotopentrennung zu befassen. Obschon das Institut in Sinop administrativ Ardenne unterstand, ar- beiteten dort drei selbständige Gruppen an unterschiedlichen Fragestel- lungen - die Gruppen Ardenne, Thiessen und Steenbeck. In Ardennes Gruppe wirkten ein gutes Dutzend wissenschaftliche Mitarbeiter und maximal 20 Laboranten, Sekretärinnen und Handwerker, einschließlich

263 Gespräch mit A.M.Rozen am 20.5.1991; über die Isotopentrennung des Wasserstoff in den riesigen Kolonnentürmen hat Rozen auch ein Buch geschrieben, vgl. A.M. Rozen, Teorija razdelenija izotopov v kolonnach, Moskva 1960

114 der hinzugezogenen Kriegsgefangenen mit.Z64Der britische und der amerikanische Geheimdienst zeigten sich insbesondere durch Ardennes Wirken in der Sowjetunion alarmiert. Ein Mitglied der Arbeitsgruppe von Ardenne berichtete regelmäßig über die Forschungen am Schwarzen· Meer. Zudem war es dem britischen Geheimdienst gelungen, einen Teil des Briefverkehrs zwischen dem Schwarzen Meer und der Sowjetischen Besatzungszone abzufangen.265 Die britische Besorgnis über Ardennes Forschungen am Schwarzen Meer soll angeblich sogar soweit gegangen sein, daß ein bemanntes U-Boot an der Schwarzmeerküste landen sollte, um herauszufinden, ob dort Atombomben gebaut würden.266Die Kolpor- tage dieser so recht den phantasieanregenden Vorstellungen vom Wirken der Geheimdienste entsprechenden Story mag ohne jeden realen Grund sein - oder ein Produkt absichtsvoller sowjetischer Spionageprävention unter den Deutschen. Der durchaus dokumentierbare Argwohn des briti- schen Geheimdienstes erwies sich jedoch unbeschadet dessen, ob er nun einen britischen Abwehrmann zu der U-Boot-Idee beflügelt haben mag oder nicht, als grundlos. Für den Van-de-Graaff-Generator stellte sich die Luftfeuchtigkeit am Schwarzen Meer als viel zu hoch heraus. Das mitgebrachte und von Fritz Houtermanns konstruierte Zyklotron wollte - wie schon in Lichterfelde - ebensowenig funktionieren.267

264 Ein Schlaglicht auf die Gefahren im Umgang mit der "Oral History" wirft Ardennes Eigenangabe gegenüber dem Verfasser am 14.9.1989. Ardenne gab 300 kriegsgefangene "Spezialisten" und 600 wissenschaftliche Mitarbeiter für sein Institut in Sinop an. 265So finden sich Zitate von einem Ardenne-Brief vom Februar 1946 in den Akten der Field Intelligence Agency, Technical, OMGUS.FIAT.APO 742, Public Record Of- ficelLondon FO 1031/59 266So der langjährige Mitarbeiter von Ardenne, Fritz Bernhard, im Gespräch mit dem Verfasser vom 8.2.1990 267Der Kommunist Fritz Houtermans war nach einer Zwischenstation in England 1935 nach Charkov emigriert, dann jedoch wie andere Kernphysiker auch vom NKWD verhaftet worden. 1940 lieferte ihn die Sowjetunion an das Deutsche Reich aus, es folgte Gestapo-Haft .. Max von Laue setzte sich allerdings für Houtermans ein und erreichte, daß er bei Ardenne eine Anstellung fand. Bei Ardenne verfaßte Houtermans als einer der ersten eine Arbeit über Plutonium ("Zur Frage der Auslösung von Kernkettenreaktionen"). Ardenne warf Houtermans dann jedoch wieder heraus. Houtermans hatte sich den Anweisungen seines Chefs nicht fügen wollen; Houtermans gehörte deshalb auch nicht zu den Mitarbeitern in der SU.

115 Die unterschiedlichen elektromagnetischen Eigenschaften von Uran 235 und Uran 238 sollten zu ihrer Trennung ausgenutzt werden. Die Mes- sungen der verschiedenen Uranisotope ergaben indessen nur Fehler. Werner Schütze, Mitarbeiter von Hertz, der mit seinem Massenspek- trometer den Trenmaktor der von Ardenne gelieferten Uranproben zu messen hatte, bestätigt dies.268 1949 zog Ardenne zusammen mit seinen Mitarbeitern Fröhlich und Bernhard schließlich für ein Jahr nach Lenin- grad, um im Werk Elektrosila an einem großen Elektromagneten die Isotopentrennung, an der gleichzeitig Arzimovich laborierte, vorzuneh- men. Wieder klappte nichts. Ardenne meinte, es läge an der mangelnden Stabilisierung der 200 Tonnen schweren Magneten und an der schlechten Fokussierung. Sein Mitarbeiter Bernhard bestand indessen darauf, daß die Ionenquelle Schuld sei - und er hatte zum Ärger von Ardenne recht. Bernhard mußte zu Gustav Hertz wechseln, weil er mit seinem Besser- wissen angeblich "die Einheit der deutschen Gruppe gesprengt" habe. Er widmete sich daraufhin dem Bau von Zählrohren für die Neutronenab- sorption. Ardennes veröffentlichte Erinnerungen enthüllen dagegen nichts über seine Erfolge und Mißerfolge. Er selbst schildert nur die Faszination, die die Plasmasäule der Uran-Ionenquelle in dem starken Magnetfeld auf ihn ausgeübt habe.269 Einen unfreiwilligen Hinweis auf den mangelnden Erfolg seiner Ar- beiten zur elektromagnetischen Isotopentrennung liefert Ardenne selbst. Ardenne berichtet von seiner Teilnahme an dem "alljährlich" tagenden Technischen Sowjet, der ihn wegen der raschen Umsetzung von Beschlüssen tief beeindruckt habe. Der Sowjet tagte etwa einmal wö- chentlich, Ardenne wurde jedoch offensichtlich höchstens einmal pro Jahr hinzugeladen.27o Im Unterschied zu dem in seinem Institut wir- kenden Thiessen mußte sich Ardenne auch mit dem Stalinpreis 2.Klasse als Honorierung begnügen. Ähnlich wie die übrigen Suchumi-Deutschen begann Ardenne sich ab 1950 auf die Rückkehr vorzubereiten. Die Entwicklung von Hochstrom- Ionenquellen, von Massenspektrographen, von einem ElektronenstrahI- Oszillographen und - wohl als Hauptwerk - die Abfassung von Tabellen zur Kernphysik sollten zu seinem geistigen Rüstzeug für den Neuanfang

268 So im Gespräch vom 16.11.89 269 Ardenne, Sechzig Jahre , a.a.O., 222 270 Ardenne, Sechzig Jahre , a.a.O., 213 116 in der DDR werden.271 Ein günstiger Umtauschkurs erlaubte es Ar- denne, seine beträchtlichen Rubeleinkünfte (etwa den mit 100 000 Rubel dotierten Stalinpreis 2.Klasse) für Grundstückskäufe in Dresden zu nut- zen. Den Aufbau seines umfangreichen privaten Forschungsinstitutes in Dresden/Weißer Hirsch konnte er so bereits von der Sowjetunion aus fernsteuern. Das gute Dutzend deutscher Wissenschaftler um Peter Adolf Thiessen, in dessen Gruppe von Anfang an sowjetische Kollegen mitarbeiteten, stand in gewisser Hinsicht in Konkurrenz zur Gruppe Hertz. Beide be- faßten sich mit der Technologie der Isotopentrennung nach dem Hertz- schen Verfahren.272 Im Unterschied zur Gruppe Hertz, die sich auf die Theorie der Kaskade konzentrierte, experimentierte die Gruppe Thies- . sen mit unterschiedlichen Metalldiaphragmen aus gewalztem Nickelpul- ver. Feines Nickelpulver war auf eine Unterlage - ein feines Nickeldraht- netz - aufgesprüht worden, dann gewalzt und zu Röhren zusammen- geschweißt worden. Zu prüfen waren die Reaktionen des aggressiven und radioaktiven Gases Uranhexafluorid auf die verwandten Nickelver- bindungen. In der Massenproduktion stellten sich die Nickelnetze aller- dings als zu teuer heraus, auch erwiesen sich die Rohre häufig als zu spröde für den Einbau - sie gingen zu Bruch. An einen Vorzug der Trennrohre von Thiessen erinnert sich Professor Sinjov jedoch noch heute: Die Durchlässigkeit der Membranen habe unter dem aggressiven Gasgemisch nicht gelitten.273 Welche Ideen zur Trennkaskade von Hertz, Barwich und Thiessen in der Großtechnologie Anwendung gefunden hatten, war ihnen bis Herbst 1948 unbekannt. Sie sollten es im Oktober 1948 erfahren. Kikoin plagten bei Produktionsbeginn in der Isotopentrennfabrik im sibirschen Kyschtym unerklärlich hohe Verluste an Uran. Minister Vannikov ließ Thiessen und Barwich nach Sverdlovsk fliegen und von dort an einen unbekannten Ort fahren, den die Deutschen in Unkenntnis des Ortsna-

271 Manfred von Ardenne, Tabellen zur angewandten Kernphysik, Berlin 1956 272 Thiessen selbst hat sich zu seinen Arbeiten in der Sowjetunion nur allgemein geäußert, vgl. Peter Adolf Thiessen, Erfahrungen, Erkenntnisse, Folgerungen, Berlin 1979, hier insbesondere 32-42; Gespräche konnten allerdings mit dem langjährigen Mitarbeiter, Dipl.lng. Siegling am 19.3.90 und mit Thiessens Sohn, Prof. Klaus Thiessen (am 3.4.90), der von 1945-50als Laborant im Institut des Vaters mitarbeitete, geführt werden. 273 So N.M.Sinjov im Gespräch am 29.6.1990

117 mens nur als "Kefirstadt"274bezeichneten. Die Isotopentrennfabrik, das sowjetische Gegenstück zum amerikanischen Oak Ridge, stand bereits und lieferte - laut Soll - ein Kilo Uran 235 pro Tag. Thiessen und Bar- wich, beeindruckt von der eleganten Anordnung der Kompressoren, Trennwandbehälter und Rohrleitungen in "Kefirstadt", sollten die Kompressoren für die Kaskade optimieren. Das Schema der riesigen, doppelreihigen Kaskadenanlage hatten Sobolev und Kikoin ausgearbeitet und hier in Kyschtym bereits vor der Ankunft von Thiessen und Barwich in die Praxis umgesetzt. Die Deutschen waren offensichtlich in die Isotopentrennanlage geholt worden, um der Gruppe um Kikoin Konkur- renz bei der Fehlersuche zu machen. Thiessen und Barwich gelang es, den mysteriösen Uranschwund weitgehend zu m.i.D.imieren.Die eigentli- che Ursache fand ein sowjetischer Mitarbeiter gleichwohl in einem Materialfehler der Kompressoren. Die Berechungen von Hertz und Barwich sowie die Trennrohre von Reichmann und Thiessen spielten für die sowjetische Produktion von Uran 235 für Reaktorzwecke, aber auch für die spätere Entwicklung ei- ner sowjetischen Uranbombe eine kaum zu unterschätzende Rolle. Da es sich bei der ersten sowjetischen Atombombe indes um eine Plutoni- umbombe handelte, kann der Beitrag der Deutschen bei der Isotopen- trennung kaum als eine essentielle Beschleunigung des Bombenprojektes angesehen werden. Der jeweilige Beitrag der Gruppen von Thiessen und Hertz für die großtechnische Isotopentrennung mittels Gasdiffusion läßt sich nach heutigem Kenntnisstand schwer voneinander abgrenzen. Die unter Thies- sen entwickelten Diffusionsmembranen für die Isotopentrennung sollen sich als überlegen gegenüber jenen der Gruppe Hertz erwiesen haben Thiessen erhielt jedenfalls für seine Verdienste den mit 150 000 (alten) Rubeln dotierten Stalinpreis l.Klasse, während Hertz, Barwich und Krutkov sich den Stalinpreis 2.Klasse mit 100 000 Rubeln noch zu teilen hatten. Anfang der fünfziger Jahre nahmen der Innovationsdruck und das Ar- beitstempo merklich ab. Optimierung, Weiterentwicklung bzw. Hinwen- dung zur reinen physikalischen ,Forschung beherrschten nun den Arbeitsalltag. Häufig verband sich dies mit einem Wechsel des Arbeitsplatzes. Während Hertz für die Entwicklung der Gegenstromme-

274Die "Kefirstadt" ist mutmaßlich identisch mit dem später Kurchatovgorodok genannten Ort.

118 thode zur Isotopentrennung nach Moskau ging, wechselte Thiessen von 1952 an (bis 1956) nach Elektrostal, um an der Optimierung der von RieW aufgebauten Uranfabrik zu wirken. Barwich übernahm derweil das Hertzsche Institut. Die Gruppe Steenbeck in Sinop nahm in mehrerlei Hinsicht unter den deutschen Gruppen, die mit der Isotopentrennung befaßt waren, eine Sonderstellung ein. Steenbeck, zum "Volkssturm" für die Verteidigung der Berliner Siemens & Schuckert-Werke herangezogen, war im April 1945 in sowjetische Gefangenschaft geraten. In einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager kümmerte Steenbeck Vor sich hin, bis er Mitte Oktober 1945 körperlich vollkommen entkräftet von Arzimovich aufge- funden wurde, der ihn für die Mitarbeit am Bombenprojekt gewinnen wollte.275 Arzimovich schätzte den innovativen Berliner Physiker außerordentlich. Ohne ihm je zuvor begegnet zu sein, huldigte Arzimo- vich dem darniederliegenden Steenbeck damit, alle seine Veröffentli- chungen gelesen zu haben. Steenbecks herausragende Leistung war der Bau des ersten funktionierenden und dann von Siemens & Schuckert patentierten Betatrons (des "Wirbelrohrs" oder wie man damals auch sa- lopp sagte, der "ElektronenscWeuder") in den Jahren 1933-35.276 Im Sinoper Institut von Manfred von Ardenne angelangt, staunte der kaum genesene Steenbeck nicht wenig über den unbedrückten, ja luxu- riösen Lebensstil einiger Deutscher, die so kurz nach Kriegsende an der militärisch brisantesten Aufgabe der Sowjetunion laborierten, und dies zu allem Überfluß auch noch an dem international zugänglichen Schwarzen Meer.2n Aber jene ihn bescWeichende Unheimlichkeit verflog rasch. Steenbecks Familie durfte ans Schwarze Meer nachreisen und mit der reizvollen Arbeit ergab sich ein neues Lebensziel. "Mit einem wahren Hunger auf endlich wieder zu leistende ernsthafte wissenschaftliche Ar- beit machte ich mich an die Aufgabe, ein mir für die großtechnische An- wendung geeignet erscheinendes Isotopentrennverfahren auf dem Papier zu entwicklen und durchzurechnen. Ich wäWte dafür eine große Kaskade mit sehr vielen hintereinandergeschalteten Einzelstufen und entschied

275 Max Steenbeck, Impulse und Wirkungen. Schritte auf meinem Lebensweg, Betlii11978, 175 276 Eine Würdigung dieser Verdienste findet sich in der Rede von Klaus Fuchs und Karl Rambusch zu Steenbecks 75.Geburtstag, vgl. dies., Kernenergetik - gestern - heute" morgen, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 6/1980, 17-25 277 Steenbeck, a.a.O., 186

119 mich für eine nach meinem Wissen noch nicht erprobte Methode, die ich "Trenndüsen- Verfahren" nannte".278 Die zugrundeliegen,de Idee war bestechend einfach. Eine dampfför- mige Uranverbindung sollte ein Rohr durchströmen, in das ein flüssiges Lösungsmittel durch eine Zerstäuberdüse hineingesprüht wurde. Die durch die Einspritzung des Lösungsmittels entstehenden kleinen Nebeltröpfchen erreichte das leichtere Uranisotop etwas eher als das schwerere. Mithin mußte in den technisch leicht wieder abzutrennenden Nebeltröpfchen eine Anreicherung von Uran-235 erfolgen: In Abwand- lung dieser Grundidee dachte sich Steenbeck eine Trenndüse aus - die Uranverbindung strömt dabei aus einem Volumen durch eine Trenndüse hindurch in ein anderes Volumen, in dem die Temperatur und der Druck geringer als in der Ausgangskammer sind. Der Dampfstrahl würde durch den Temperaturunterschied kondensierte Tröpfchen enthalten, in denen wiederum der Anteil des leichteren Uranisotops 235 erhöht sein würde.279Obschon das Prinzip als richtig nachgewiesen und von den So- wjets anerkannt worden war, kam es nie zum Einsatz. Die häufige Wie- derholung des Trennvorgangs in einer schwer zu regelnden Kaskade machte den ingeniösen Vorschlag nicht konkurrenzfähig. Steenbeck mußte sich nach zwei Jahren phantasiereicher Bastelei ei- nem gänzlich neuen Verfahren der Isotopentrennung zuwenden. Flerov hatte bereits im November 1945 in Suchumi vor den deutschen Physikern über verschiedene Varianten der Isotopentrennung referiert, darunter auch über die Gaszentrifuge. Das bekannte Prinzip der Gaszentrifuge, bei der die unterschiedlichen Fliehkräfte der Isotope ausgenutzt wurden, erfuhr eine weitere Verfeinerung. Überlagerte man die Rotation noch durch eine Gaszirkulation, ließe sich der Trennfaktor noch weiter erhö- hen. Das in dem rotierenden Rohr nach oben strömende Gas floß am oberen Rohrende von innen nach außen und beim Rückfluß am unteren Ende von außen nach innen. Der nach oben gerichtete Gasstrom mußte prozentual mehr leichtes Isotop, der nach unten gerichtete mehr schweres Isotop enthalten.280Allerdings war dieses Verfahren, das unter anderem auch im Smyth-Report erwähnt worden war, wegen der enor- men Schwierigkeiten bei der Realisierung von den Sowjets gar nicht erst in Angriff genommen worden. Die Geschwindigkeit des rotierenden

278Steenbeck, a.a.O., 196 279Die Beschreibung des Trenndüsenverfahrens findet sich bei Steenbeck, a.a.O., 225ff. 280Vgl. Steenbeck, a.a.O., 240ff.

120 Rohres entsprach etwa der Überschallgeschwindigkeit eines Kleinkali- bergeschosses. Für ein schlankes Rohr bei derart hohen Um- laufgeschwindigkeiten einen Gleichlauf zu gewährleisten, erforderte nicht nur höchste Ansprüche an das Materia~ sondern auch originelle Lösun- gen bei der Rotoraufhängung. Die langen, starren, vibrierenden und enormen mechanischen Belastungen ausgesetzten Röhren konnten sich bei der kleinsten Unwucht in lebensgefährliche Projektile verwandeln . .Aller Skepsis zum Trotz bewältigte Steenbeck das Problem in Jahresfrist. Steenbeck, der im Dezember 1951 vor einem Technischen Rat mit Maly- schev als Vorsitzendem referierte, überzeugte die anwesenden Minister und Technologen mit der Idee, den R,otor der Zentrifuge anstelle eines Kugellagers auf eine dünne elastische Nadel aufzusetzen. Der Rotor würde sich einem Spielzeugkreisel gleich selbst stabilisieren. Unter Steenbecks Anleitung wurde für die Zentrifugenidee schließlich in dem leistungsfähigen Leningrader Kirov-Werk von Herbst 1952 bis Spätsom- mer 1954 eine Technologie ausgearbeitet - und obschon die Zentrifuge für das Bombenprojekt selbst nicht mehr zum Tragen kam, nimmt sie heute unter den Isotopentrennverfahren in der Sowjetunion den zentra- len Platz ein.281Die Isotopentrennung mittels Zentrifuge stieß vor allem deshalb auf sowjetisches Interesse,. weil die bisher gebräuchlichen Diffu- sionskaskaden sich als außerordentlich energieaufwendig und extrem anfällig für Korrosioll. und für Regulationsstörungen beim Vakuum er- wiesen hatten.282 Jedoch erst ab 1957 wurde die industrielle Anrei- cherung vonU~an-235 durch Zentrifugen in großem Maßstab aufgenom- men. Anzumerken bleibt überdies, daß einige von Steenbecks damaligen Mitarbeitern (Dr.G.zippe und Dipl.Ing.R.Scheffel) in die Bundesrepu-' blik zurückkehrten, wo sie die Steenbecksche Zentrifuge als eigenes Pa- tent anmeldeten und anschließend erfolgreich feilboten.283

281E.I. Abbakumov u.a., Razrabotka i promyschlennoe primenenie gazovych zentrifug dlja obogaschenija urana v SSSR, in: Atomnaja energija (67) 4/1989, 255-257. Mit dem damaligen Leiter des Leningrader Entwicklungswerkes (Nikolai Michailovich Sinjov), in dem Steenbeck die Uranzentrifuge in die Praxis überführte, konnte derVerfasser am 29.6.1990in Moskau ein Gespräch führen. 282Gespräch mit N.M.Sinjov am 29.6.1990 283Vgl. Bundesarchiv Koblenz, Bestand B 138, Akte 732 ("Europäische Iso- topentrennanlage"); G.zippe, Die GasuItrazentrifuge - Entwicklung und Aussichten,. in: Die Atomwirtschaft 4/1987, 197-203. Die Sowjets haben bei der Patentanmeldung von Zippe für die Steenbecksche Zentrifuge aus politischen Gründen keinen Wider-

121 Neben den genannten Gruppen wirkten noch eine Reihe deutscher Wis- senschaftler einzeln am Atomprojekt mit. Der Österreicher Dr. Josef Schintlmeister etwa, ein Spezialist für Elektronenröhren, baute Meßge- räte im Institut Nr. 9. Im gleichen Institut arbeitete der Schiller von Peter Debye, Ludwig Bewilogua, an der großtechnischen Erzeugung tiefer Temperaturen und an Problemen der Gastrennung.284 Robert Georg Döpel, Heisenbergs früherer Mitarbeiter in Leipzig bei den Reaktorkon- struktionen, fand sich ebenfalls im Institut Nr. 9. Allerdings soll er, be- dingt durch den Tod seineJ;'Frau, seelisch so destabilisiert gewesen sein, daß er kaum zum arbeiten kam. Die Bedeutung der deutschen "Spezialisten" für das Atomprojekt ließe sich ohne schwere Verzerrung an den sowjetischen Preisverleihungen ablesen: Am bedeutsamsten war demnach der Beitrag von Riehl und sei- ner Gruppe für die Technologie der Reindarstellung des Urans. Riehl er- hielt als einziger den "Geroj", den höchsten sowjetischen Orden. Und ohne Zweifel hat Riehl einen entscheidenden Beitrag für das Anfahren der Produktion von metallischem Uran geleistet. Zinaida Erschova, die als Konkurrentin von Riehl wenig Anlaß zu Übertreibungen hätte, schätzt ein, daß Riehl dem Atomprojekt eine Beschleunigung von einem Jahr ermöglicht habe.285Obschon für die Plutoniumbombe weniger aus- schlaggebend, haben die Ausarbeitungen der Gruppen Hertz und Thies- sen zur Technologie der Gasdiffusion entscheidende Grundlagen für die Produktion von Uran 235 in der Sowjetunion gelegt.286 Eine ab- schließende Beurteilung wird jedoch erst dann möglich sein, wenn Un- terlagen über die parallelen Arbeiten von Kikoin zugänglich gemacht werden. Der Beitrag der Gruppen Volmer, Pose und Ardenne sowie von

spruch eingelegt. Wie N.M.Sinjov, seinerzeit Direktor der Leningrader Zen- trifugenanlage, in einem Gespräch am 29.6.1990 erläuterte, wollte man den Westen im Glauben belassen, daß die Sowjets bislang nur die Diffusionsmethode beherrschten. Deshalb habe man auf einen Rechtsstreit um das Zippe-Patent verzichtet. Bei einem patentstreit hätte man die eigene Technologie offen darlegen müssen. 284Vgl. Rudolf Knöner, Nachruf auf Professor Ludwig Bewilogua, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der W Dresden 5(32)1983; Ludwig Bewilogua war im Mai 1945 in Berlin- Dahlem von den einmarschierenden Sowjets aufgefordert worden, in die Sowjetunion zu gehen. 285So gegenüber dem Verfasser am 1.3.1990 286Die erste sowjetische Uranbombe mit einer Uran-235-Konzentration von 90% wurde 1951 gezündet

122 Einzelwissenschaftlern wie SchintImeister und Döpelläßt sich am besten mit der Wertung "qualifIzierte Zuarbeit" charakterisieren.287 Im Gegen- satz zu den erstgenannten verfügten sie entweder nicht über einen essen- tiellen Qualifikationsvorsprung gegenüber den sowjetischen Kollegen oder es mangelte ihnen an der institutionellen Selbständigkeit und der nötigen materiellen Ausstattung. Durchgehendes Strukturprinzip der Forschungsorganisation im Uran- projekt war es, daß an den AufgabensteIlungen der Deutschen zugleich sowjetische Wissenschaftler arbeiteten. Durch die Konkurrenz gelang es, ein Optimum auszuwählen. Als optimale Varianten erwiesen sich deut- sche Ausarbeitungen nur in zwei Fällen - bei der Urantechnologie und bei der Gasdiffusion nach den Ausarbeitungen der Gruppen Hertz und Thiessen. Die deutschen Physiker beeindruckten die Sowjets weniger auf theoretischem Gebiet - der höhere Stand der sowjetischen theoretischen Physik und Mathematik wird durchweg von den deutschen Remigranten lobend anerkannt - als mit ihrer Akkuratesse, ihrer Gründlichkeit und ih- rem experimentellen Erfmdungsreichtum. Die deutschen Physiker zogen ein phänomenologisches Denken dem umfangreichen mathematischen und statistischen Apparat der Sowjets vor. Zwischen beiden Zu- gangsweisen kam es allerdings in der Praxis zu einer fruchtbaren Koope- ration. Die meisten deutschen Physiker und Chemiker kamen aus gut ausgestatteten Forschungslabors und aus einem Land mit entwickelter chemischer Industrie. Im Unterschied zu den dürftiger versorgten So- wjets genossen sie einen experimentellen Erfahrungsvorsprung. Zudem scheint die sowjetische Physik der dreißiger Jahre in der Tat stark theo- retisch und mathematisch orientiert gewesen zu sein. Warteten die so- wjetischen Physiker mit theoretisch brillanten Rechnungen auf, so zogen die Deutschen häufig das Experiment und die Intuition vor. Hinzugefügt werden muß in diesem Zusammenhang allerdings, daß die Masse der im Atomprojekt tätigen deutschen Naturwissenschaftler bereits während des Krieges ein beeindruckendes Know-how in der experimentellen, innovati- ven und anwendungsorientierten Rüstungsforschung für das Dritte Reich erworben hatte. Sowjetische Kollegen jedweder Rangordnung heben in der Erinnerung immer wieder hervor, daß sie bei den Deutschen einen korrekten Arbeitsstil gelernt hätten. Nicht zu unterschätzen ist in der Tat auch die Ausbildungsfunktion, die die deutschen Naturwissenschaftler

287 Schintlmeister half Frau Zinaida Erschova, Spektrometer zu bauen; Auskunft von Frau Erschova am 20.5.1991

123 für Abgänger von technischen Hochschulen in ihren Instituten und La- bors wahrnahmen. Die deutschen Naturwissenschaftler bauten der Sowjetunion keinesfalls die Atombombe. In diesem Urteil sind sich sowjetische und deutsche Teilnehmer am Atomprojekt bis auf die Ausnahme von Manfred von Ar- denne durchweg einig. Steenbeck geht sogar soweit, einen essentiellen Beitrag schlechthin abzustreiten: "...ich glaube nicht, daß bei der ersten sowjetischen Versuchsexplosion überhaupt irgendein Ergebnis von uns Deutschen eine Rolle gespielt hat".288Selbst wenn diese radikale Sicht dem mangelnden Gesamtüberblick geschuldet sein mag, verdeutlichen die Begrenztheit der Einsatzgebiete und der jeweiligen Entwick- lungsbeiträge, daß die deutschen "Spezialisten" bestenfalls korrigierend, katalysierend und optimierend auf bereits existente Grundlagen der so- wjetischen Atomforschung eingewirkt haben. Ihr Beitrag für das Atombombenprojekt wäre ersetzbar gewesen, auch wenn er in der weite- ren Entwicklung der sowjetischen Atomforschung und -Industrie z.T. noch erhebliche Folgewirkungen zeitigen sollte, so etwa Steenbecks Uranzentrifuge. Aber auch ihre beschleunigende Wirkung auf das Atom- projekt läßt sich schwerlich in Zeitangaben fassen. Es wäre reine Speku- lation. Die sowjetischen Wissenschaftler hätten zweifellos die Bombe auch ohne den deutschen Beitrag zünden können, vermutlich jedoch noch nicht im August 1949.

288Steenbeck, Impulse und Wirkungen, 3.3.0., 216

124 XI. Zum Arbeits- und Lebensalltag der deutschen "Spezialisten"

Die deutschen "Spezialisten" quälte in der Sowjetunion zweierlei - die Geheimhaltung und die Ungewißheit der Rückkehr. Die Geheimhal- tungsvorschriften waren lästig, überzogen, ja z.T. grotesk. Den Deutschen folgte ständig ein Begleiter des NKWD. Jedes im Dienst beschriebene Stück Papier bekam eine Nummer und mußte nach Dienstschluß abge- geben werden. Selbst Colloquien unter den Deutschen waren untersagt. Hertz, der diese Form der Kommunikation zwischen den mit der Isoto- pentrennung beschäftigten Arbeitsgruppen in Suchumi vorgeschlagen hatte, erhielt umgehend eine Abfuhr. Barwich berichtet gleichwohl von Vortragsreihen, die, wenn schon nicht als Austausch zwischen den Insti- tuten, so doch wenigstens innerhalb des Hertzschen Instituts zur Weiter- bildung abgehalten werden durften.289 In der "heißen" Phase der Teil- nahme am Atomprojekt (d.h. bis etwa 1950) blieb dies jedoch die Aus- nahme. An die Stelle von Vorträgen, Konferenzen, Tagungen, d.h. all der lebensnotwendigen Formen wissenschaftlichen Austausches, trat die Iso- lation in Kleinstgruppen, die wegen der räumlichen Nähe ihrer Mitglie- der enge Arbeits- und Lebensgemeinschaften hervorbrachte. Beeindruckt zeigten sich die deutschen "Spezialisten" immer wieder von den meist nächtlichen Sitzungen in den kleinen Technischen Räten bzw. dem großen Wissenschaftlich-Technischen Rat. Eine Vorladung vor einen Technischen Rat galt als Auszeichnung, aber auch als harte Bewährungsprobe für die eigenen Ausarbeitungen - es handelte sich um eine Art Feuertaufe. In Anwesenheit von Vannikov, Zavenjagin, Ma- lyschev, Emeljanov und den führenden sowjetischen Kernphysikern wurden theoretische, experimentelle und technologische Ideen einem wahren Säurebad der Kritik ausgesetzt. Die wissenschaftliche Autorität oder bereits erworbene Meriten zählten nichts, wenn es um die Aufdeckung von Mängeln ging. Barwich erinnert sich an die "ausgesprochene Kampfatmosphäre", die auf den Moskauer Sitzungen herrschte. "Schwache Ergebnisse wurden erbarmungslos kritisiert und leitende Persönlichkeiten oft schonungslos angegriffen, gleichgültig, ob es sich um bedeutende Wissenschaftler handelte oder um einfachere Fach- kräfte".29ODie Nachtsitzungen in Moskau stellten zudem häufig die ein-

289Barwich, Das rote Atom, a.a.O., 61 290 Barwich, Das rote Atom, a.a.O., 94

125 zige Möglichkeit dar, mit sowjetischen Fachkollegen in Austausch zu treten. Die Wissenschaftler arbeiteten in streng von der Außenwelt abge- schirmten, mit Stacheldrahtzaun umgebenen "Objekten", deren Bewa- chung dem NKWD unterstand. Zwar lockerten sich nach 1950 die Sicherheitsbestimmungen für die Deutschen. So durften etwa Freizeit- ausflüge weiträumiger unternommen werden. Der Schatten des NKWD blieb allerdings präsent. Der Postverkehr unterlag weiterhin strenger Zensur. Briefe mit Einschwärzungen verwunderten niemanden. Ab 1950 hatten die deutschen "Spezialisten" zunehmend Druck auf Be- rija und Zavenjagin ausgeübt, um wenigstens irgendeine zeitliche Fest- legung ihrer Rückkehr zu erlangen. TASS hatte nämlich am 5. Mai 1950 erklärt, daß die Repatrüerung deutscher Kriegsgefangener abgeschlossen sei. In der SV befänden sich nur noch Schwerkriegsverbrecher. Dieser Kategorie wollten sich die "Spezialisten" allerdings nicht zugerechnet se- hen, und so drängten sie auf eine vertragliche Absicherung ihres Aufent- haltes - mit unterschiedlichem Erfolg. Frühere Kriegsgefangene wurden in Einzelfällen zu hohen Strafen verurteilt, um sie wenigstens formal der Kategorie "Schwerkriegsverbrecher" zuschlagen zu können. Andere er- hielten ein normales sowjetisches Facharbeitergehalt, mit dem sie gleich- sam aus dem Kriegsgefangenenstatus entlassen wurden. Steenbeck wiederum drohte mit Arbeitsverweigerung, sollten er und seine Familie nicht entlassen werden. Er weigerte sich, an der Wasser- stoffbombe mitzuarbeiten. Als Zavenjagin Arzimovich, Golovin und Steenbeck vorlud und ihnen die Verwirklichung von Andrej Sacharovs Idee einer kontrollierten Fusionsreaktion angetragen wurde, schlug Steenbeck aus.291 Mit seiner Verweigerung erreichte Steenbeck nur ein nichtssagendes verbales Zugeständnis - Berija versprach ihm, daß er sechs Monate nach Abschluß der Zentrifugenentwicklung nach Deutschland zurückkehren dürfe.292 Faktisch gehörte Steenbeck dann je- doch zu den Spätheimkehrern. Erst im Juli 1956 - nach zwei Jahren Beschäftigung mit Halbleiterphysik in Kiev zur "Abkühlung" (oder, wie die Sowjets auch sagten, zur "Entlüftung") - entließen ihn Zavenjagin und Mikojan.293 Die Mehrheit der deutschen Atomspezialisten sollte in den

291 Gespräch mit Golovin 1.11.1990 292 BaIWich,Das rote Atom, a;a.O., 138 ~3 Steenbeck, Impulse und Wirkungen, a.a.O., 319

126 Jahren 1954/55 nach einer in der Regel fünfjährigen Abkühlungszeit in die DDR, die BRD oder nach Österreich heimreisen. Nur wenige Deutsche suchten um die sowjetische Staatsbürgerschaft nach, darunter insbesondere exponierte Nazis. Dr. Baroni etwa, der ehemals Führer des NS-Studentenbundes an der Universität Wien, später Angehöriger der Waffen-SS gewesen war, hatte bei der Vorbereitung seiner Rückkehr erfahren müssen, daß er mit einem Verfahren in Öster- reich zu rechnen habe. Er blieb in der Sowjetunion und wurde Chefre- dakteur des Journals für analytische Chemie. Die lästigen Seiten des Lebens in der Sowjetunion ließen sich gleich- wohl durch eine im Vergleich zum durchschnittlichen Sowjetbürger und zu den Umständen im Deutschland der Nachkriegszeit vorzügliche Ver- sorgung ausgleichen. Ein Teil der Löhne wurde nach Deutschland über- wiesen, um dort lebende Angehörige zu versorgen. Selbst Le- bensmittelpakete schickten die "Spezialisten" nach Deutschland. Zudem schufen sich die Deutschen eigene Lebensgemeinschaften mit gemein- samen Freizeitunternehmungen. Die in einer beengten Zwangsgemein- schaft (zumal von ehrgeizigen Wissenschaftlern) üblichen Spannungen blieben dabei naturgemäß nicht aus. Die deutschen "Spezialisten" haben ihren Sowjetunionaufenthalt in den ersten fünf Jahren beinahe durchgehend als eine Chance betrachtet, den Nachkriegswirren in Deutschland zu entgehen. Waren sie nicht ohnehin zur Arbeit in der Sowjetunion genötigt worden, dann überwogen materi- elle und opportunistische Motive. Die Arbeit in der Sowjetunion bot in den unmittelbaren Nachkriegsjahren eine von sozialer Verunsicherung und politischen Rückfragen an die eigene NS-Vergangenheit befreite Existenz. Während ein Verbleiben in Deutschland mit Existenzängsten und Identitätskrisen verbunden gewesen wäre, versprach die (zunächst auf drei, vier Jahre avisierte) Arbeit in der Sowjetunion neue Orientie- rung - man konnte sich mit "schöner Physik" beschäftigen. Die Mitarbeit am Uranprojekt gewährte berufliche Kontinuität auf vertrauten Ar- beitsgebieten und - trotz aller sowjetischen Eigenheiten - auch in den Arbeitsverhältnissen. Die Arbeitsgruppen waren überwiegend aus Deut- schen zusammengesetzt und hatten aus Deutschland bekannte Chefs. Der anfängliche Arbeitsdruck und die Einschränkung der Kommunikation aufgrund der Geheimhaltung setzte bereits in der NS-Rüstungsforschung gemachte Erfahrungen fort. Daß Reue oder Sühne für die NS-Verbrechen an der Sowjetunion, ge- schweige denn ein "Oppenheimer-Komplex" die deutschen "Spezialisten"

127 motivierte, läßt sich nicht nachweisen. "Es gab unter diesen auch nicht einen, der sich in der Nazizeit als antifaschistischer Widerstandskämpfer aus bewußter Überzeugung wirklich exponiert und damit der Sowjet- union wenigstens einen Hinweis für seine politische Zuverlässigkeit ge- geben hätte. Im Gegenteil, alle hatten bis zum Kriegsende an offiziellen Aufgaben mitgearbeitet, auch wenn ein Teil aus irgendwelchen Gründen der Nazipartei nicht beigetreten war. Sicher - Deutschland hatte die UdSSR überfallen, und nachdem nun alles danebengegangen war, konnte eigentlich kein Deutscher ein gewisses Schuldgefühlleugnen, auch wenn es der einzelne für sich selbst im Grunde nicht so recht anerkannte; letz- ten Endes war es eben doch ein Fehler - der Geschichte oder wohl auc4 bloß vom "Führer" ., daß alles schiefgegangen war".Z94Die sowjetischen Vorgesetzten und Kollegen erleichterten diese Art der Vergangen- heitsabwicklung. Sie behandelten die Deutschen als "Spezialisten" und nicht als Vertreter einer schuldigen Nation und ermöglichten somit den Rückzug auf ein allein technizistisches Selbstverständnis. Die Rechtfer- tigung der eigenen Teilhabe am Bombenbau aus der Einsicht in die Notwendigkeit eines atomaren Patts gehörte gewiß nicht zu den ursprünglichen Arbeitsantrieben, wie überhaupt politische Debatten über den Sinn des eigenen Sowjetunionaufenthaltes und über die Ethik des Naturwissenschaftlers von den Remigranten nicht berichtet werden. Einige deutsche Wissenschaftler, etwa Steenbeck und Thiessen, wan- delten sich in der Sowjetunion zu Anhängern des Sowjetsystems. Politi- sche Kehrtwenden blieben allerdings die Ausnahme. Vorgezogen wurde ein wechselseitiges Arrangement - die Wissenschaftler opponierten nicht und genossen dafür im Gegenzug die Hochachtung vor ihrer Qualifika- tion. Erst die Ungewißheit ihrer Rückkehr rief Unmut hervor. Die Möglichkeit einer Reintegration in die rekonsilidierte Forschungs- landschaft beider deutscher Staaten verschlechterte sich mit der Hinauszögerung der Rückkehr. Zudem empfanden viele "Spezialisten" die lange Quarantänezeit als Dequalifikation ihrer Fähigkeiten. Abgeschnitten von einer normalen innerwissenschaftlichen Kommunika- tion erfaßte sie das Syndrom der Spätheimkehrer, die befürchteten, den Anschluß an die Lebens- und Arbeitswelt in den beiden deutschen Staa- ten zu verpassen.

Z94Steenbeck, Impulse und Wirkungen, a.a.O., 214f. 128 Xli. Brutaler Erfolgsdruck. Die letzte Etappe

Nach Hiroshima und Nagasaki standen die sowjetischen Physiker unter dem Alptraum, entweder rechtzeitig die eigene Bombe fertigstellen und damit das atomare Patt herstellen zu können oder Opfer des nächsten Bombenabwurfs zu werden. Churchill hatte in seiner Fulton-Rede mehr oder minder offen zur Vorbereitung eines Atomkrieges gegen die SU aufgerufen. Zugleich entwickelte das Pentagon Pläne, Atombomben auf die Sowjetunion abzuwerfen.295Die Amerikaner beruhigten sich mit der Annahme, daß die Sowjets mindestens noch 20 Jahre brauchen würden, ehe sie eine Bombe zünden könnten. Der doppelte Druck aus dem Vor- sprung der Amerikaner und dem Mißtrauen Stalins und Berijas gegen- über den sowjetischen Wissenschaftlern ließ für Zweifel an der Berechti- gung des Bombenbaus und für ethische Überlegungen über seine Verantwortbarkeit keinen Raum. Die Herstellung des atomaren Patts galt als oberste Maxime. Zudem rechtfertigte nur die totale Selbstaufopferung die eigene Mitarbeit im Atomprojekt. Angesichts der Zweifel am Erfolg des Uranprojektes und der gleichzei- tigen Drohpolitik der USA nahmen die Unruhe und Ungeduld in der so- wjetischen Führung zu. Die amerikanische Administration hatte den Ba- ruch-Plan an die Sowjetunion herangetragen, der eine internationale Kontrolle der Bombenproduktion und der Herstellung von Spaltmateria- lien vorsah. Sich internationaler Kontrolle zu unterwerfen, ohne bereits selbst über die Atombombe zu verfügen, schien angesichts der Sicher- heitsmanie von Stalin und Berija eine unerträgliche Zumutung. Stalin entschied sich dagegen zu einem Bluff, mit dem die amerikanische Re- gierung möglicherweise zu beeindrucken war. Am 6.November 1947 er- klärte Molotov - eine Formulierung von Kapiza aufgreifend -, daß "das Geheimnis der Atombombe schon lange nicht mehr existiert".296Hieß dies, daß die Sowjetunion bereits über die Atombombe verfügte? Tru- man und seine Militärs hegten keinen Zweifel, daß es sich um einen Bluff handelte - selbst wenn den Sowjets "das Geheimnis" bekannt sei, brauch- ten sie die Bombe noch nicht gebaut zu haben. Der Druck, unter dem sich Stalin fühlte, drückte sich auch darin aus, daß der Ministerrat An-

295Vgl. dazu als neuere Darstellung Michio Kaku, Daniei Axelrod, To Win A Nuclear War: The Pentagon' s Secret War Plans, Boston 1987 296Zu Molotovs Bluff vgI. Moscow News 41/1989

129 fang 1948 Kurchatov, Chariton und Zernov förmlich verpflichtete, die Atombombe nicht später als bis zum l.Dezember 1949 fertigzustellen.297 Der pausenlose Arbeitsdruck, die scharfen Sicherheitsvorkehrwigen und das latente Bewußtsein, unverhofft in die Fänge des NKWD geraten zu können, ließen die Wissenschaftler ihr Äußerstes geben. Den Lagerin- sassen des Archipel Gulag, die zuhauf auf dem "Objekt" arbeiteten, wo die Bombe zusammengesetzt wurde, prankten Losungen' entgegen wie "Merke diese Zeilen dir: Die Frist abzukürzen arbeite hier!".298 An Ur- laub oder ein geregeltes Familienleben war nicht zu denken. Abgeschirmt in ihren "Objekten" und umgeben von allgegenwärtigen NKWD-Bewa- chern - leitende Wissenschaftler umgab ständig ein Bodyguard - bildete sich eine verschworene Männerkameraderie aus. Der Daueranspannung und sozialen Isolation zeigten sich nicht alle gewachsen. Mit wurstigem Zynismus, mit Galgenhumor und gelegentlich auch Alkoholismus verschaffte man sich Luft. Dem Dauerstreß dürften auch die zahlreichen Herzinfarkte von führenden Projektmitarbeitern geschuldet sein. Kurch- atov suchte seine Mitarbeiter wenigstens vom Mißtrauen Berijas freizuhalten, und diese konnten sich auch solange in einer gewissen Si- cherheit wähnen, wie sie sich als unersätzlich für den Fortgang der Arbeit erwiesen. Die Persönlichkeit Kurchatovs, die ihm. eigene Mischung aus Zuversicht, Entschiedenheit, dem Organisationstalent eines "Generals", aus souveräner Selbstbeherrschung und menschlicher Zugänglichkeit, vermochte es nach Aussagen seiner Mitarbeiter, viel von dem äußeren Druck zu nehmen. In den Labors gelang es, den produktiv-kommunika- tiven Geist lebendig zu halten. Das Mißtrauen Stalins und Berijas gegen- über Kurchatov hielt gleichwohl bis zur Zündung der Atombombe an. "Eine Geste Berijas und jeder beliebige von uns hätte ins Nichts gehen ( können", erinnert sich Aleksandrov.299 Aber nicht nur willkürliche Eingriffe Berijas und der latente Spionage- verdacht lasteten auf den Mitarbeitern. Wie schon in den dreißiger Jab- ren hatten sich die Kernphysiker und jene Biologen und Genetiker, die sich mit der Radioaktivitität beschäftigten, ideologischen Angriffen zu erwehren. Die Untersuchungen zur Radioaktivität litten unter der Verfolgung der Genetik durch Lysenko.300 Die Radiobiologische Abtei-

297Argumenty i fakty 41/89,14.-20.10.1989 298Literatumaja Gazeta 6.6.1990 299Pravda 23.7.1988 300 Vgl. David Joravsky, Tbe Lysenko Affair, a.a.O., inbes. 130-143

130 "''''''.LI.5.L1..LIL LJUUU .••ULU .••.••u...LLI. .1., .••• ~ u..&..lLV'" T .&.ALU'" JU-LLU,..I..••Uy .••""'.LJ. '-.JIUy .••.LI.Uy .LI.U.LLV 1.3"''''''.&...1. ständig gegenüber den Verdächtigungen Lysenkos zu rechfertigen. Kurchatov gelang es gleichwoW, zahlreiche Genetiker - soweit sie am Atomprojekt teilnahmen - und jene Physiker, die als Vertreter der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik erneut im Jahre 1948 des antisemitisch unterlegten "Kosmopolitismus" bezichtigt wurden, vor Verhaftungen zu bewahren. Unter den Angeklagten befanden sich so namhafte Physiker wie loffe, Frenkel, Kapiza, Markov, Mandelstam und Papaleski.301Ähnlich der berühmten Lysenko-Sitzung über die Biologie hatten einige politisch ehrgeizige Physiker der Moskauer Universtität ein Physikertreffen zur Vernichtung der Quantenphysik und der Relativitäts- theorie für März 1949 vorbereitet.302Die Verurteilung bis zur physischen Vernichtung von führenden Physikern des Atomprojektes gelang Berija und den Anhängern Lysenkos jedoch nicht - Kurchatov hatte Berija angeblich davon überzeugen können, daß ohne diese verfemten Theorien die Bombe nicht zu haben sein würde.303Die geplante und bis in alle Ein- zelheiten vorbereitete Pogromsitzung wurde abgesagt.304 Berija selbst scheint in ideologischen Fragen leidenschaftslos gewesen zu sein, ganz im Unterschied zum Leiter der Agitiations- und Propagandaabteilung der KPdSU, A.A. Zdanov, der etwa im Juni 1947 über "die kantianischen Grillen moderner bürgerlicher Atomphysiker" herzog und den Versuch, Materie als Wellenverbindung zu beschreiben, als "teuflischen Trick" ab- tat.305 Berijas Steckenpferd war dagegen mehr die Suche nach "Verrätern". Die Mitarbeiter des Uranprojektes gerieten bei auftretenden Schwierigkeiten immer wieder unter Sabotageverdacht. Die panische Angst vor der Aufdeckung vermeintlicher oder tatsächlicher FeWer oder auch nur allzu menschlicher NacWässigkeiten trieb wiederholt Mitarbei-

301Die philosophische Deutung der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie in der Sowjetunion, insbesondere in der Nachkriegszeit, beschreibt Loren RGraham, Science, Philosophy, and Human Behavior in the Soviet Union, New York 1987, 320ff bzw. 354ff. 302A1eksandr Sanin, Kak bomba spasla fizikov, in: Moskovskie Novosti 12, 25.3.1990 303Sanin, a.a.O. 304Die Akten über dieses geplante gesamtsowjetische Physikertreffen sind heute zugäng- lich im Zentralen Staatsarchiv der Oktoberrevolution (CGAOR) f.9396-1-(244-269) 305Graham, a.a.O., 325

131 ter in den Selbstmord.306Riskierte jemand kritische Bemerkungen, die natürlich vo~ einem der überall präsenten Zuträger kolportiert wurden, so konnte nur der Hinweis des Wissenschaftlichen Vorgesetzten auf die Unabkömmlichkeit seiner Qualifikation vor Berijas Zugriff schützen. Chariton berichtet, wie eine Kommission eine Anklage gegen den Physi- ker Altschuler vorbereitete und Berija anfragte, ob er denn wirklich ge- braucht würde. Nach Charitons bejahender Antwort konnte er bleiben.307 In Abwesenheit von Berija half auch das zwischenmenschliche Verständ- nis, das sich zwischen Kurchatov, Aleksandrov, Vannikov, Slavsky, Zavenjagin und den Industriemanagern herausgebildet hatte, die auf- tretenden Probleme möglichst rational zu bewältigen. Den unerträglichen Stil Berijas im Umgang mit sowjetischen Wissen- schaftlern verdeutlicht folgende Episode. Im Institut für Physikalische Probleme, das AP.Aleksandrov als Nachfolger des am 20.9.1946 abge- lösten Kapiza leitete, ereignete sich eine Deuteriumexplosion. Alek- sandrov wurde vor das Spezkomitee geladen, in dem Berija den Vorsitz führte. Berija wandte sich an den General Machnev, ohne den neben ihm sitzenden Aleksandrov auch nur eines Blickes zu würdigen, und fragte: "Weiß Genosse Aleksandrov, daß eine Versuchsanlage explodierte?" Machnev: "Ja, er weiß es". Berija: "Und der Genosse Aleksandrov nimmt die Unterschrift nicht zurück?" - "Er nimmt sie nicht zurück". "Und der Genosse Aleksandrov weiß, daß wenn das Werk explodiert, er dorthin geht, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen?" Aleksandrov hält die Befragung, als ob es um einen Abwesenden ginge, nicht aus und erwidert: "Ich vertrete mich selbst". Berija wandte sich erstmals direkt an Aleksandrov: "Ihre Unterschrift nehmen sie nicht zurück?". Aleksandrov: "Nein, ich nehme sie nicht zurück", Das Werk für die Deuteriumproduktion, unter dessen Bauvorhaben Aleksandrov seine Unterschrift gesetzt hatte, wurde schließlich gebaut,308 ' Vasilij Emeljanov, der Vorsitzende der Wissenschaftlich-Technischen Abteilung (nauchno-technicheskoe upravlenie), später dann des Staatskomitees für die Nutzung der Atomenergie, unterstreicht den über-

306Lev Vladimirovich A1tschuler, Tak my delali bombu, in: literatumaja Gazeta 6.6.1990, 13 307Vladimir Gubarev, Jademyj sIed, in: Pravda 25.8.1989 308pravda' 23.7.1988. Vermutlich erwähnt A1eksandrov nicht unabsichtlich gerade seinen eigenen Konflikt mit Berija im vormals von Kapiza geleiteten Institut, dessen Direktor A1eksandrov geworden war

132 NKWD. Emeljanov zeigte Zavenjagin eines Nachts im Jahre 1949 eine Glasampulle mit Plutonium, erntete jedoch nur die nervöse Gegenfrage: "Bist du überzeugt, daß das wirklich Plutonium ist?".309 Kurchatov und seinen Mitarbeitern war bekannt, daß Berija bereits eine Ersatzmannschaft ausgesucht hatte, sollte der erste Bombentest nicht erfolgreich verlaufen. Kurchatov mußte selbst mit jenem Mitarbei- ter, der als sein potentieller Nachfolger von Berija auserkoren worden war, zusammenarbeiten.31o Freigestellt vom Militärdienst an der Front, hatten die Physiker das ge- ringe Vertrauen der politischen Führung zu rechtfertigen. Das Staatliche Verteidigungskomitee saß ihnen mit Terminvorgaben, anhaltender Un- gläubigkeit gegenüber den Erfolgsaussichten des Projektes und mit Spio- nageverdacht, sollte ein Experiment nicht gelungen sein, im Nacken. Spitzel des NKWD wurden unter die Mitarbeiter geschleust und er- zeugten Mißtrauen und Angst. Zudem konnten die Physiker die von Flugzeugen und Panzern faszinierte politische Führung bis zur Zündung der Bombe nicht mit sinnlich beeindruckenden Erfolgen einnehmen. Als Berija beispielsweise am 25.12.1946 die erste sowjetische Kettenreaktion im Reaktor F-1 verfolgte und die Zähler den vermehrten Neutronenfluß anzeigten, erwiderte er enttäuscht: "Ist das alles?".311Die leuchtenden Ionenstrahlen im Zyklotron beeindruckten Berija weitaus mehr. Be- schäftigte sich Kurchatov nicht mit Luftschlössern? Selbst als Kurchatov

309Vasilij S. Emeljanov, S chego nachinalos, Moskva 1979, hier zitiert nach der Überset- zung im Bulletin of the Atomic Scientists 43(10), Dezember 1987,40 310 Die von Mark Kuchment genährte Vermutung, daß es sich bei dem Gegenspieler Kurchatovs um Dmitri BIochinzev handelte, erscheint unwahrscheinlich. Blochinzev - so Kuchment - habe Kurchatov als politisch unzuverlässig bezeichnet, er sei von jüdi- schen Agenten des amerikanischen Imperialismus umgeben, die das Projekt in eine Sackgasse führen wollten, vgI. Mark Kuchment, Beyond the Rosenbergs, a.a.O., 6; Blochinzev hatte selbst über Quantenmechanik publiziert und sich um eine - allerdings umstrittene - "materialistische" Deutung der Quantenmechanik in Abgenzung von der Kopenhagener Schule bemüht, vgJ. Graham, a.a.O., 329ff.. Die angebliche Invektive Blochinzevs gegen Kurchatov widerspricht sowohl dem seriösen physikalischen und philosophischen Denken Blochinzevs als auch seiner Verteidigung des Quan- tenphysikers Markov gegenüber dem philosophischen "Inquisitor" Maksimov, vgI. Gra- harn, a.a.O., 328. 311I.N.Golovin, Ju.N.Smimov, Eto nachinalos ..., a.a.O., 9

133 im Frühjahr 1949 Stalin und Berija, die endlich etwas Anschauliches vorgeführt bekommen wollten, ein Stück nickelierten Plutoniums in den Kreml mitbrachte, fragte Stalin nur argwöhnisch: "Woran kann man se- hen, daß das Plutonium ist und nicht glänzendes Eisen?! Warum dieses Glänzen? Warum streuen sie Sand in die Augen?".312 Einige Monate vor dem Test, die Bauarbeiten auf dem Explosionsge- lände waren bereits in vollem Gange, stoppte Kurchatov unvermittelt die Weiterarbeit. Was würde passieren, wenn die Bombe nicht erfolgreich explodierte? Wenigstens eine Ersatzbombe war vorzubereiten. Fursov und Bochvar wurden angehalten, in kürzester Zeit -ausreichend Pluto- nium für eine zweite Bombe anzuhäufen. Ab Mai 1949 hielt sich Kurcha- tov fast nur noch auf dem Testgelände am linken Ufer des Irtysch bei Semipalatinsk auf. Die Aufbauten sahen den amerikanischen sehr ähn- lich. Auf dem Testgelände standen ringsherum Bauten zum Studium der Detonationswelle. Die Wirkung der Radioaktivität sollte an Tieren unter- sucht werden. Statt die Bombe von einem Flugzeug abzuwerfen, sollte sie auf einem 50 Meter hohen Turm zur Explosion kommen. Obschon man vorausschauend mit Raketen Uran in die höhere Atmosphäre trans- portiert hatte, um zu sehen, ob Uran sich spaltet, befürchtete man nach wie vor, daß kosmische Strahlen bei einem Flugzeugtest negativ auf die Bombenzündung wirken könnten. Das Restrisiko wollte niemand einge- hen. Kurchatov, Zavenjagin, Chariton, Zernov und der wöchentlich anrei- sende Berija folgten jedem der streng protokollierten und an Stalin be- richteten Arbeitsschritte. Ein KGB-General stand auf dem Explosions- turm und beobachtete ununterbrochen das Geschehen. Die Physiker überkam zunehmend Angst. Niemand wollte sich vorstellen, was bei ei- nem Mißerfolg geschehen würde. Noch 10 Minuten vor der Explosion traktierte Berija den überspannten Kurchatov: "Bei ihnen, Igor Vasile- vich, wird nichts klappen!".313 Allen Unkenrufen zum Trotz gelang die Explosion in den Morgenstun- den des 29.August 1949. Kurchatov und seine Mitarbeiter konnten wen Freudentaumel nicht mehr zurückhalten, so sehr befreite sie die Druck- welle der Atomexplosion auch von ihrer jahrelangen inneren Anspan- nung.

312I.N.Golovin, Kulminazija, Moskva 1989, 6 313I.N.Golovin, Kulminazija, a.a.O., 19

134 Nach außen verlautete gleichwohl vorerst nichts von der Atomexplosion. Die politische Führung, die schon im November 1947 vieldeutig behaup- tet hatte, das Geheimnis der Atomwaffe zu kennen, entschied sich, den Bluff fortzusetzen. Am 23. September 1949, amerikanische Aufklärungs- flugzeuge hatten zuvor Luftproben ausgewertet, erklärte Präsident Truman in alarmierter Tonlage, daß die US-Regierung Informationen über eine Atomexplosion ·in der Sowjetunion habe. Zwei Tage darauf "informierte" TASS die Öffentlichkeit mit Irreführung und einer Wiederholung der Molotov-Lüge: "Bekanntlich sind weitreichende Bauarbeiten in der Sowjetunion im Gange - der Bau von Wasserkraft- werken, Bergbauschächten, Kanälen und Straßen -, die große Sprengtä- tigkeiten mit Hilfe neuester technischer Mittel erfordern. Da diese Sprengtätigkeiten häufig in verschiedenen Regionen des Landes statt- fanden und weiter stattfinden, ist es möglich, daß dies die Aufmerksam- keit außerhalb der Grenzen der Sowjetunion auf sich gezogen hat. Was die Produktion von Atomenergie in der Sowjetunion anbetrifft, ist es nö- tig, nochmals festzustellen, daß bereits am 6. November 1947 V.M.Molotov, der Außenminister der UdSSR, eine Erklärung zum Geheimnis der Atombombe abgegeben hat, in der er sagte, daß "dieses Geheimnis seit langem nicht mehr existiert".Diese Erklärung bedeutete, daß die Sowjetunion bereits das Geheimnis der Atomwaffen enthüllt und diese Waffen zu ihrer Verfügung hatte")14 Die sowjetische Führung pokerte bereits politisch mit der Atombombe, bevor sie sie hatte. Das triumphierende GefüW, nun tatsächlich auch über dieselbe Karte wie die sich im Atommonopol sicher wähnenden Amerikaner zu verfügen, kostete die politische Führung um Stalin weidlich aus. Die Logik des atomaren Wettrüstens hatte die sowjetische Bombe hervorgebracht. Das erreichte atomare Patt wurde jedoch nicht zum Ausgangspunkt der Überwindung dieser Logik, sondern zunächst nur zu dessen Dynamisierung.

314 Zitiert nach Moscow News 4111989

135 XIII. Fazit

Mit den Forschungen zur sowjetischen Atombombe entwickelte sich eine gänzlich neue Wissenschaftsorganisation. Die durchgängige Doppelarbeit regte die Konkurrenz und den Kampfgeist der Arbeitsgruppen an und schuf Rückversicherungen gegen Mißerfolge. Theoretische und experimentelle Forschungen und ihre technologische Umsetzung bildeten einen eng miteinander verzahnten Prozeß. Zwar verfügte die So- wjetunion bereits in den dreißiger Jahren über qualifizierte und hoch- motivierte Atomwissenschaftler, für den Erfolg des Uranprojektes war die stalinistische Durchsetzung der Forschungpriorität jedoch eine un- abdingbare Voraussetzung. Will man am sowjetischen Uranprojekt Gründe für Wissenschafts- und Technologiedynamik im Sowjetsystem studieren, dann tritt das stalinistische Kommandosystem ins Zentrum der Betrachtung. Voraussetzung des Erfolges war die politische Prio- 'ritätensetzung und die militärische Durchstrukturierung des Entschei- dungs- und Umsetzungsprozesses sowohl auf der wissenschaftlich- administrativen als auch auf der wirtschaftspolitischen Ebene. Erst die Übernahme des Projektes durch das NKWD und die Gründung der mit außerordentlichen Vollmachten ausgestatteten Ersten Hauptabteilung beim Ministerrat hatten die Mobilisierung von Ressourcen und Ar- beitskräften, die Priorität bei der Mittelzuweisung sowie die zentrale und autoritative Durchsetzung von Beschlüssen bewirkt. Wissenschaftlich- technische Fragen wurden auf oberster Ebene schnell und effektiv in die Tat umgesetzt. Neue Technologien führte man unmittelbar in die Pro- duktion ein, ganze Zweige der Volkswirtschaft stampfte das Atomprojekt aus dem Boden. Eine kriegswirtschaftliche Hierarchisierung und Kanalisierung der Forschungs- und Entwicklungspolitik zugunsten eines einzigen Projektes, zumal auf dem Hintergrund einer kriegszerstörten und notleidenden Sowjetunion, waren Voraussetzung und Folge des Uranprojektes. Und obschon zahlreiche Nebenzweige von dem Atomprojekt profitieren sollten, konnte sich künftig Grundlagenfor- schung nicht mehr frei entfalten. Die Überzentralisierung und Ergebnisorientierung des Forschungsprozesses hemmten innovative Impulse. Der Erfolg des Uranprojektes läßt sich mithin nicht für Aussa- gen über Triebkräfte der Wissenschafts- und Technologieentwicklung schlechthin verallgemeinern. Eingeengt auf die Kernforschung ver- kümmerten andere Zweige, die Grundlagenforschung entwickelte sich disproportional.

136 Die Geheimhaltung verhinderte nicht nur einen geregelten horizontalen Informationsaustausch innerhalb der Sowjetunion, sie zerstörte ebenso die bis Ende der dreißiger Jahre lebendige internationale Physikerge- meinschaft. Den sowjetischen Wissenschaftlern und den deutschen "Spezialisten" war zwar die internationale Literatur zugänglich, sie konn- ten aufgrund der extremen Geheimhaltungsbestimmungen gleichwohl kaum miteinander kommunizieren. Von parallelen oder konkurrierenden wissenschaftlichen Arbeiten erfuhren die Wissenschaftler in der Regel erst im Nachhinein. Allein Kurchatov dürfte einen Gesamtüberblick ge- habt haben, da bei ihm alle Informationen zusammenflossen. Publi- kationen über Themen, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Atomprojekt standen, unterlagen der Geheimhaltung - sie waren sowohl für sowjetische als auch für deutsche Wissenschaftler untersagt. Die Initiative für den Bombenbau, wenn auch nicht die letztliche Ent- scheidung, war von einigen wenigen Kernphysikern (bezeichnenderweise ähnlich wie in Deutschland und den USA) ausgegangen. Die politische Führung relativierte die Naturwissenschaftler jedoch, nachdem die Ent- scheidung für die Bombe gefallen war, zu Erfüllungsgehilfen, zu Wissenschaftssoldaten innerhalb einer militärischen Befehlsstruktur. Die Kernphysiker erahnten durchaus frühzeitig, daß die sowjetische Weltmachtrolle von der Atombombe abhängen und die Sowjetunion mit ihr in den Status einer respektierten paritätischen Großmacht treten würde. Die Annahme eines inneren "Oppenheimer-Komplexes" bei den sowjetischen Atomwissenschaftlern, die an der ersten Bombe mitgewirkt hatten, stieß bei allen von mir Befragten durchgängig auf Befremden. Zutiefst sowjetpatriotisch, die junge Garde dynamischer Sowjet- wissenschaftler verkörpernd, häufig gar proletarisch-bäuerlicher Her- kunft, waren sie Geschöpfe des Stalinschen Aufbruchsgeistes. So wie Stalin die russische Rückständigkeit in kürzester Zeit in einen ver- meintlichen Triumph auf der Weltbühne verwandelt hatte, erlebten sie ihren Triumph im Königreich der Physik. Die Atombombe war ja auch der Sieg über kalte, dunkle, miserabel ausgerüstete Institute, ohne re- gelmäßigen Zugang zu Literatur, Gerätschaften und Materialien. So hatte es in den dreißiger Jahren angefangen, so sah es noch bis zum Kriegsende aus. Die Entbehrungen fanden Entschädigung. Altschuler schwärmt geradezu von dem Lebensstandard, den sie sich plötzlich lei- sten konnten: "Man hat uns wirklich ausgezeichnete Bedingungen ge- schaffen. Im halbzerstörten Land war dies fast ein Wunder, solche Bedingungen gibt es heute praktisch nirgendwo bei uns...Aus dem

137 halbverhungerten Moskau kamen wir, so kann man sagen, ins Para- dies".315 Der Einzug einer neuen Generation in die Schaltstellen der Akademie der Wissenschaften (die sie bis Ende der achtziger Jallre dominieren sollten) und nicht zuletzt materielle Vergünstigungen ließen Stolz aufkommen. Die Atomwissenschaftler teilten die Grundannahmen atomarer Politik, ein ethisches Vakuum konnten sie deshalb gar nicht empfinden.316 Der selbstkritischste unter den sowjetischen Kernphysi- kern, Andrej Sacharov, obschon erst am Wasserstoffbombenprojekt beteiligt, hat bezeichnenderweise jedes Schuld-Syndrom von sich gewie- sen. "Wir haben eine Waffe geschaffen, die der Menschheit eine friedli- che Atempause ermöglicht hat", sagte der Friedensnobelpreisträger ein halbes Jallr vor seinem Tod zum Schriftsteller Ales Adamowitsch. Ange- sprochen auf den "Oppenheimer-Komplex" räumte Sacharov zwar· eine gewisse Unruhe ein, beschied dann aber kurz: "Das ist eine Illusion. Wir versuchen, uns innerlich damit zu beruhigen, daß wir die Möglichkeit ei- nes Krieges hinausschieben".317Eigentlich den Weltfrieden gerettet zu haben - dies ist, bisweilen ausgesprochen, meist unterschwellig, die vorherrschende Rechtfertigung. Bestenfalls wird lakonisch auf die Al- ternativlosigkeit rekurriert. Die Zeiten waren eben so ... Die globalen politischen und militärischen Implikationen der Atom- bombe spielten jedoch, darauf angesprochen, bei den wissenschaftlichen "Rettern des Weltfriedens,i nur höchst selten eine Rolle bei der Kommunikation untereinander. Wurde der politische Anspruch auf eine Weltmachtrolle geteilt, dann ließen sich nur noch innerwissenschaftliche Gründe für nonkonformes Verhalten geltend machen. Kapiza, der sich aufgrund seiner langen Lebens- und Arbeitserfallrung in England nie gänzlich mit den Zwängen des Sowjetsystems versöhnen konnte, mußte eine Ausnahme bleiben. Vereinnahmt von der militärischen Forschungsorganisation des Uranprojektes, bestimmten die Atom- wissenschaftler nicht mehr selbst die Richtungen und den Gebrauch bzw. Mißbrauch ihrer Forschungen. Die Entmachtung des Akademiepräsi- diums just zu Beginn des sowjetischen Uranprojektes, die Unterordnung

315 Literaturnaja Gazeta 6.6.1990,13 316Oleg Moroz, Gespräch mit Lev Vladimirovich Altschuler, Tak my delali bomby, in: Literaturnaja Gazeta 6.6.1990,13 317Abgedruckt in: Ärzte gegen den Atomkrieg, IPPNW -Rundbrief Nr. 31, Febr. 1990, . 4

138 Dmitrij A. Sacharov und Igor V. Kurchatov

139 des Vizepräsidenten der Akademie der Wissenschaften, Chlopin, unter Kurchatov und der Konflikt zwischen Kapiza und Berija markieren den Bruch zwischen traditionell akademischer und staatlich-militärischer Führung unterworfener Forschung. Der Kontrast zwischen der traditio- nellen Forschung in Universitäten und Forschungsinstituten auf der einen und militärischen Forschungsprojekten auf der anderen Seite verdeut- licht den Verlust an wissenschaftlicher Selbstbestimmung. Die Entmündigung ist ein Ergebnis der - man möge mir die Hilflosig- keit dieser Kennzeichnung nachsehen - "stalinistischen" Organisation des Uranprojektes. Aber sie hatte auch Voraussetzungen innerhalb des Selbstverständnisses der am Atomprojekt beteiligten Wissenschaftler. Ein allein technisch-wissenschaftliches Selbstverständnis delegierte die Verantwortung für die Folgen der Atombombe an die Politik und an das Militär. Die Atomwissenschaftler empfanden Verantwortung gegenüber der Staatsmacht, nicht jedoch aus ihrer eigenen Macht als Wissen- schaftler. Ein Erschrecken vor dem Ausmaß der Folgen der Atombombe fand so lange nicht statt, wie die Atombombe selbst ein noch nicht be- herrschtes, ein nicht gewißses Abstraktum blieb. Es zur Gewißheit wer- den zu lassen, erregte, ja vereinnahmte die Geister gänzlich. Der Rück- zug auf ein allein wissenschaftlich-technisches Selbstverständnis machte die Physiker und Chemiker leicht verfügbar. Dies ist keineswegs ein allein auf die Sowjetunion beschränktes Phänomen, sondern im Zusammenhang mit Organisationsstrukturen in militärischen Großfor- schungsprojekten zu betrachten. In militärischen Großprojekten wird ganz offensichtlich die For- schungsplanung und die Arbeitsorganisationdurch militärisches Denken, durch Befehl und Gehorsam bestimmt. Auf den Verein Deutscher Ingenieure während des Nationalsozialismus gemünzt, hat Gerd Hortle- der treffend formuliert: "Erst wenn die Partei sich den Luxus erlaubt hätte, das DIN-System für Schrauben und Muttern in unsinniger Weise zu ändern, hätte sie mit dem Widerstand des VDI rechnen müssen".318 Ähnlich auch in der Sowjetunion - Widerspruch regte sich, wenn sich die politische Führung in grober und inkompetenter Weise in rein wissen- schaftliche Dinge einmischte. Die Folgen, die das Atomprojekt für die Herausbildung eines paranlilitärischen Kommandosystems in der Wissenschaftspolitik, für die

318Gerd Hortleder, Das Gesellschaftsbild des Ingenieurs. Zum politischen Selbstverständ- nis der Technischen Intelligenz in Deutschland, F~ankfurt/Main 1970, 134

140 Prädominanz und Exklusivität der Rüstungsforschung, für die Entfrem- dung der Wissenschaftler von ihren Forschungsergebnissen, für den Verlust an wissenschaftlicher Autonomie und damit auch an Verantwortungsmacht mit sich brachte, sind bisher im Herrschaftsraum der früheren Sowjetunion kaum reflektiert worden. Transparenz, Öffent- lichkeit und eine Demokratisierung der von der Perestroika kaum berührten byzantinischen Entscheidungsstrukturen in der Wissenschafts- politik werden entscheidende Voraussetzungen dafür sein, um Wissen- schaftlern und der betroffenen Gesellschaft wieder Verfügungsgewalt über Richtungen und Gebrauch bzw. Mißbrauch naturwissenschaftlicher Forschung einzuräumen.

141 XIV. Zeittafel

1920 Gründung des Leningrader Physikalisch-Techni- schen Instituts unter A. loffe 1922 Gründung des Radium-Instituts unter V. Chlopin in Leningrad 1922 Gründung des Insituts für Chemische Physik in Moskau unter N.Semjonov 1928 Theorie des Alpha-Zerfalls durch G.Gamov ent- wickelt 1928 Gründung des Physikalisch-Technischen Instituts in Charkov, wichtigste Mitarbeiter in folgenden Jah- ren: Zinelnikov, Lejpunski, Landau 1931 Kyrill Sinelnikov, zuvor an Ernest Rutherfords Cavendish Laboratory in Cambridge beginnt in Charkov am Physikalisch-Technischen Institut eine Kernforschungsgruppe aufzubauen 1932 Nach Chadwicks Entdeckung des Neutrons beginnt eine Gruppe um Abram loffe (Kurchatov, Gamov, Skobelzyn u.a.) am Leningrader Physikalisch-Tech- nischen Institut mit der Auswertung der britischen, amerikanischen und italienischen Kernforschungen. Themen: Quantenmechanik, kosmische Strahlen 1932 Protonen-Neutronen-Modell von D. Ivanenko Sept.1933 1. Allunionskonferenz zur Kernforschung in Lenin- grad, u.a. mit Frederic Joliot-Curie, Guido Beck, Paul Dirac und Victor Weisskopf als Teilnehmern 1933 Die Kernforschungsgruppe am Physikalisch- Technischen Institut in Leningrad wird zur Abtei- lung für Kernphysik unter Kurchatov aufgewertet 1933-1936 In der Akademie der Wissenschaften arbeitet eine spezielle Kommission unter loffe für das Studium des Atomkerns

142 1934 Gründung des P.Lebedev-Instituts für Physik unter S.Vavilov in Moskau

1934 Alichanov und Kurchatov bauen in Leningrad ein kleines Zyklotron (das neben dem in der California Univerity existente) 1934 S.Vavilov und P.Cherenkov beobachten eine ungewöhnliche Elektronenstrahlung, die hernach Cherenkov- Effekt genannt wird

1935 Van-de-Graff-Generator beginnt am Charkover Physikalisch-Technischen Institut zu arbeiten Ende 1935 Beginn der Experimente zur Teilchenbeschleuni- gung, allerdings erfolglos

1936 Im Leningrader Radium-Institut beginnt ein Zyklo- tron zu arbeiten 1936 Wöchentliches "Neutronen-Seminar" unter Leitung von Kurchatov am Leningrader Physikalisch- Technischen Institut. Wiederholung der Versuche von Enrico Fermi. Hauptthema des Seminars: Wir- kung von Neutronen auf Elemente

Sept.1936 Leningrader Physiker fordern Mittel für ein großes Zyklotron, 1937 begannen die Arbeiten daraufhin. Im Juni 1939 beschließt der sowjetische Ministerrat die volle Kostenübernahme, das Leningrader Zyklotron, kriegsbedingt nicht fertiggestellt, beginnt jedoch erst am 18.6.1946zu arbeiten

1936 Kritik in der Akademie der Wissenschaften an der angeblichen Nutzlosigkeit der Leningrader Kernforschungen

Jan.1936 Brief Ioffes an den Volkskommissar für Schwerindustrie, in dem er die fmanzielle und materielle Lage des Leningrader Phyiskalisch- Technischen Instituts beklagt 1937· Theoretische Erklärung ~des Cherenkov-Effekts durch I.Tamm und I.Frank

143 Sept.1937 Kernforschungskonferenz in Moskau mit 120 Teilnehmern. Themen u.a. Durchdringung von Materie mittels schneller Elektronen und Gammastrahlen, kosmische Strahlen, Beta-Zerfall, Interaktionen von Neutronen mit Kernen, Theorie der Kernstruktur Okt.1938 3.Allunionskonferenz zur Kernphysik in Moskau, Themen u.a.:Kosmische Strahlen, Durchdringung von Materie mittels hochgeladener Teilchen, Exi- stenz des Neutrinos und des Positrons, Eigen- schaften schwerer Teilchen 1938 Eine permanente Kommission für Kernforschungen wird beim Präsidium der Akademie der Wissen- schaften unter Sergei I. Vavilov eingerichtet, ihr gehören Vavilov, loffe, Kurchatov, Alichanov, Frank und Veksler an. Die Zersplitterung der Kernforschungen soll eingedämmt werden. 1938 Deutsche Emigranten Fritz Houtermans und Alexander Weissberg, die am Charkover Physika- lisch-Technischen Institut arbeiten, werden zu- sammen mit anderen Charkover Physikern verhaf- tet. Houtermans und Weissberg werden nach Ab- schluß des deutsch-sowjetischen Nicht- angriffsvertrages an Deutschland ausgeliefert Dez.1938 Entdeckung der Kernspaltung durch Dtto Hahn und Fritz Strassmann Febr.1939 Sowjetische Physiker erfahren von der Entdeckung der Uranspaltung durch Hahn und Strassmann. Aug.1939 Brief Einsteins an Präsident Roosevelt, in dem er auf die Machbarkeit der Atombombe hinweist Sommer 1939 Chariton äußert in einem Vortrag, daß eine Atom- bombe auf der Basis von Uran 235 möglich sei Aug.1939 Chariton und Zeldovich berechnen eine kritische Masse/von 10 kg Uran 235 oder Plutonium für eine Bombe

144 N0\7.1939 4.Allunionskonferenz zur Kernphysik in Charkov. Hauptthema: Kernspaltung; Lejpunski referiert über die Möglichkeit einer Kettenreaktion. Zeldo- vich und Chariton. beschreiben zwei Wege zur Kettenreaktion: mit Uran 238 und Schwerem Was- ser als Moderator oder über angereichertes Uran 235 1939 Vernadskij etabliert eine Kommission für die Untersuchung der Isotopentrennung in der Akade- mie der Wissenschaften 1939 referiert vor Studenten über die mögli- che Zerstörungswirkung einer Atombombe Frühj.1940 Flerov und Petrzak entdecken die spontane Uranspaltung April 1940 1.. Isotopenkonferenz der Akademie der Wissenschaften, besondere Aufmerksamkeit wird auf die Teilung von Uran 235 und die Produktion von Schwerem Wasser gelegt April 1940 Weitgehender Veröffentlichungsstop in den USA (Physical Review) in Bezug auf Kernforschungen Juli 1940 Akademie der Wissenschaften beschließt, eine Urankommission unter Chlopin einzurichten (weitere Mitglieder: Vernadskij, loffe, Fersman, Vavilov, Kapiza, Kurchatov und Chariton). Die Kommission soll Wege der Isotopentrennung und - Anreicherung herausbekommen sowie einen Forschungsplan zur Erreichung einer Ket- tenreaktion aufstellen. Chariton, Kurchatov, Flerov und Risunov schreiben an die Akademie der Wissenschaften, daß die Atomforschungen keinen Aufschub duldeten, dabei wird auf die militärische Bedeutung hingewiesen. Mittel für den Bau eines Versuchsreaktors auf der Basis von Natururan sollten zur Verfügung gestellt werden

145 Okt.1940 Urankommission der Akademie der Wissen- schaften legt ihren Forschungsplan vor. Die Möglichkeiten einer Kettenreaktion sollten geprüft, die Methoden der Isotopentrennung weiter er- forscht und die Suche nach Uranerzen intensiviert werden Nov.1940 5.Al1unionskonferenz zur Kernphysik. Kurchatov referiert 8-Punkte-Plan zur Erreichung einer Kettenreaktion. Chlopin skeptisch - die Regierung wird nicht um Mittelzuweisungen für einen Reaktorbau bemüht Ende 1940 Brief Zemenovs an das Volkskommissariat für Schwerindustrie - es solle sich für den Bau einer Atomwaffe engagieren

Febr.1941 Der Magnet für das große Zyklotron am Leningra- der Physikalisch-Technischen Institut wird fertigge- stellt. 22Juni 1941 Die deutsche Wehrmacht überfällt die Sowjetunion. Unterbrechung aller Kernforschungen.

Aug.1941 Das Leningrader Physikalisch-Technische Institut wird nach Kazan evakuiert

Okt.1941 Kapiza äußert sich auf einem antifaschistischen Meeting in Moskau skeptisch über den möglichen Einsatz einer Atombombe während des Krieges Sept. 1941 Erste Spionagemeldungen aus London über dortige Arbeiten an einer Uranbombe. Bald darauf bietet Klaus Fuchs in London der sowjetischen Botschaft die Weitergabe von Informationen über das briti- sche Uranprojekt an

Nov.1941 Kurchatov und Aleksandrov beginnen mit Arbeiten zur Entmagnetisierung von Schiffen gegen Minen

Nov.1941 Flerov schreibt Brief an Beauftragten für Kriegsfor- schungen, Kaftanov, daß' Kernforschungen kriegswichtig seien

146 Dez.1941 Atomseminar des "Kleinen Präsidiums" der Akade- mie in Kazan - Zurückhaltung gegenüber der For- derung nach Forschungen zur Atombombe März 1942 Staatliches Verteidigungskomitee wertet Geheim- dienstinformationen zu britischen Kernforschungen aus und beschließt bald darauf, eigens eine Organi- sation für die Atomspionage aufzubauen April 1942 Brief Flerovs an Stalin, in dem er die Wiederauf- nahme der Kernforschungen zum Zwecke der Her- stellung einer Atombombe fordert Mai 1942 Flerov fordert vom Staatlichen Verteidigungsko- mitee, unverzüglich mit der Herstellung einer Uranbombe zu beginnen Aug.1942 Das Verteidigungskomitee lädt führende Kernphy- siker ein, um Perspektiven des Uranprojekts zu be- , raten Ende Aug.1942 Kurchatov wird nach seiner Bereitschaft zur Lei- tung des Uranprojektes befragt Ende Sept.1942 Stalin weist das Leningrader Physikalisch-Techni- sche Institut unter Ioffe an, die Arbeiten zum Uranproblem wieder aufzunehmen Okt.1942 Kurchatov sagt zu, die Leitung des Uranprojektes zu übernehmen 2.12.1942 Enrico Fermi gelingt die erste kontrollierte Kettenreaktion im Chicago Pile Number One Febr.1943 Formelle Einsetzung Kurchatovs als Leiter des Uranprojektes, Aufbau des Laboratorium Nr.2 Juni 1943 Direkte Einbeziehung des Charkover Physikalisch- Technischen Instituts (Laboratorium Nr.l), des Radium-Instituts, des Instituts für Seltene Metalle und des Moskauer Elektrodenwerks in das Ur~- projekt

147 Sommer 1943 Entscheidung für heterogenen Reaktorautbau, Ver- suche von Flerov und Davidenko zur Resonanzabsorption, theoretische Verallgemeine- rung der Versuche von Gurevich und Pomeranchuk 1943 Kurchatov und Panasjuk führen Versuche zu den Eigenschaften von Graphit als Moderator durch. Zeldovich stellt Theorie zur Verlangsamung von Neutronen auf Ende 1943 Urankarbid steht für erste Reaktorschichtversuche zur Verfügung 1944 Pomeranchuk entwickelt Formel für kritische Masse des Reaktors Ab Febr.1944 Berichte von Klaus Fuchs aus dem Manhattan-Pro- jekt Dez.1944 Gewinnung erster bedeutsamer Mengen reinen metallischen Urans März 1945 Erste Graphitproben mit der nötigen Reinheit für einen Reaktor hergestellt Ab Mai 1945 Reisen führender sowjetischer Kernphysiker in die Sowjetische Besatzungszone in Deutschland, um dortige Kernforschungsanlagen und Atomwissenschaftler für das sowjetische Uranpro- jekt zu gewinnen 16.7.1945 Test der ersten amerikanischen Atombombe 6./9.8.1945 . Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki Aug.1945 Reorganisation des sowjetischen Uranprojektes, Veröffentlichung des Smyth-Reports Sommer 1945 Gründung des Laboratoriums Nr. 3 unter Alicha- nov Sept./Okt.1945 Beginn der Arbeit deutscher Gruppen an der Iso- topentrennung in Suchumi am Schwarzen Meer

148 Okt.1946 Industrielle Herstellung von Graphit mit reaktortauglicher Reinheit sichergestellt Anfang 1946 Die Gruppe um Nikolaus Riehlliefert erste Tonnen. Urandioxyd für Reaktorschichtversuche Sept.1946 Ablösung Kapizas als Direktor des Instituts für Physikalische Probleme 25.12.1946 Erste kontrollierte Kettenreaktion in der Sowjet- union in einem graphitmoderierten Reaktor 1947 Kurchatov, Zezerun, Babulevich, Panasjuk und Kulakov entwickeln Gitteranordnung für industri- ellen Uran~Graphit-Reaktor. Pomeranchuk und Galanin berechnen Schwerwasser-Reaktor auf der Basis von Natururan Ab April 1947 Alichanov, Vladimirskij undNikitin starten Schwer- wasser-Reaktor auf der Basis von Natururan. Produktion von Plutonium im Brutreaktor in Tscheljabinsk 6.11.1947 Mitteilung des sowjetischen AußeDministers Molo- tov, daß "das Geheimnis der Atombombe schon lange nicht mehr existiert" Anfang 1948 Beschluß des sowjetischen Ministerrats, die Atom- bombe nicht später als bis zum 1.12.1949 fertigzustellen Juni 1948 Start des ersten Industriereaktors 29.8.1949 Test der ersten sowjetischen Atombombe 23.9.1949 Truman erklärt, daß nach vorliegenden Daten eine Atomexplosion in der Sowjetunion stattgefunden hat

149 25.9.1949 Bezugnehmend auf Trumans Erklärung vom 23.9.1949 erklärt TASS, daß Sprengarbeiten im Zusammenhang mit dem Bau von Wasserkraftwer- ken, Berggruben, Kanälen und Straßen möglicher- weise Aufmerksamkeit im Ausland erregt hätten. Über die Atomwaffe verfüge die Sowjetunion je- doch, entsprechend Molotovs Statement vom 6.11.1947,schon seit längerem. 12.8.1953 Zündung der ersten sowjetischen Wasser- stoffbombe

150 xv. Glossar

Alpha-Zerfall: Beim Alpha-Zerfall sendet der Atomkern den doppelt positiv geladenen Helium.kern, auch Alpha-Teilchen genannt, aus. Die Massenzahl des Atoms verringert sich dadurch um 4 E~eiten. Beta-Zerfall: Beim Beta-Zerfall wird vom Atom ein Elektron oder ein Positron ausgesandt. Die Masse des Kerns ändert sich dabei nicht, die positive Ladung des Kerns wird jedoch um eine Einheit erhöht. Cherenkov-EtTekt: Ein geladenes Teilchen polarisiert die Atome des Materials, indem es gleiche Ladung abstößt und entgegengesetzte an- zieht, so daß die Atome zu kleinen Dipolen werden, vorausgesetzt, es handelt sich um elektrisch nicht leitendes Material (Dielektrika). Bewegt sich das geladene Teilchen schnell durch die Materie, so sind hinter dem Teilchen die Atome weiter polarisiert, während vor dem Teilchen die Polarisation noch nicht auftritt, da sich die elektrische Wechselwirkung nur mit Lichtgeschwindigkeit durch die Materie fortpflanzt. Es entsteht dadurch ein resultierendes Dipolmoment am Ort des Teilchens. Dieses schnell entstehende und wieder verschwindende Dipolmoment ist Ursa- che für die als Cherenkov-Strahlung bezeichnete elektromagnetische Strahlung. Dielektrikum: Elektrisch nichtleitender Stoff (Isolator), der ein elektri- sches Feld im Gegensatz zu einer geerdeten Metallplatte nicht abschirmt, sondern hindurchläßt. Ein Dielektrikum zwischen den Platten eines Kondensators vergrößert so z.B. dessen Kapazität um einen für das Ma- terial bestimmten Faktor. Isomecie: In der Chemie das Auftreten von zwei oder mehreren Verbmidungen mit derselben Bruttoformel, jedoch mit unterschiedlicher Anord~ung der Atome innerhalb der Moleküle und unterschiedlichen physikilischen und chemischen Eigenschaften. Kernisomere werden Atom.k~rne des gleichen Isotops mit unterschiedlichem Energiegehalt bezeiclinet, als Kernisomerie die Möglichkeit ihres Auftretens. IsotopJ: Bezeichnung für verschiedene Atomarten eines chemischen Ele- ments. iDie Isotope haben die gleiche Ordnungszahl (Protonenzahl), je- doch uhterschiedliche Neutronenzahlen. Da chemisch gleich reagierend, lassen kich Isotope praktisch nur physikalisch trennen. Bis auf wenige Ausnahmen kommen die natürlichen Elemente nur als Gemische verschiedener Isotopen vor, deren relative Häufigkeit konstant ist. So beträgt der Anteil des bombenfähigen Uran 235 im Natururan nur 0,7 %.

. 151 Moderator: In der Kerntechnik Bezeichnung für einen Stoff, in dem Neutronen hoher Energie, wie sie bei Kernspaltungen entstehen, durch elastische Zusammenstöße mit den Atomkernen dieses Stoffes auf gerin- ge Energie abgebremst werden. Als Moderatoren werden in Reaktoren Schweres Wasser, Graphit, leichtes Wasser und Beryllium verwendet. Resonanzabsorption: Die Absorption einer Wellen- oder Teilchen- straWung durch mikrophysikalische Systeme infolge von Resonan- zerscheinungen in ihnen. Diese Systeme absorbieren vornehmlich elektromagnetische Strahlung solcher Frequenzen, die sie auch emittie- ren können. Durch Resonanzabsorption werden die mikrophysikalischen Systeme angeregt und emittieren anschließend eine Strahlung gleicher Frequenz, die sogenannte ResonanzstraWung. Uranmeiler, Kernreaktor: Anlage, in der eine geregelte Kettenreaktion von Kernspaltungen zur Gewinnung von Kernenergie, zu For- schungszwecken oder zur Produktion von neuem Kernbrennstoff (Plutonium) genutzt wird. Bei der Kernspaltung durch Neutronen bricht der Spaltstoffkern unter Freigabe von Bindungsenergie auseinander. Die dabei freiwerdenden Neutronen (Sekundärneutronen) leiten ihrerseits wieder Spaltvorgänge ein. Kernspaltungen können durch thermische (langsame), epithermische (mittelschnelle) oder schnelle Neutronen be- wirkt werden. Kernreaktoren werden entweder nach dem Verwen- dungszweck (Forschungs-, Leistungs-, Prüfreaktor), nach dem Kernbrennstoff, nach dem Kühlsystem (Druckwasser-, Siedewasser- oder gasgekühlter Reaktor), nach der Struktur (homogener oder heterogener), nach dem Moderator (Leichtwasser-, Schwerwasser- oder Graphitre- aktor) oder nach dem Grad der Gewinnung neuen Brennstoffs (Brüter, Konverter) klassifiziert. Die ersten Kernreaktoren waren thermische Reaktoren: die bei der Kernspaltung freiwerdenden schnellen Neutronen müssen durch einen Moderator abgebremst werden, um weitere Spaltun- gen auslösen zu können. Zyklotron: Beschleuniger für elektrisch geladene Teilchen (Elektronen, Protonen, Ionen). Im Unterschied· zu Linearbeschleunigern, die auf geradlinigen Bahnen beschleunigen, gehört das Zyklotron zu den Kreisbeschleunigern: Die beschleunigten Teilchen werden durch ein ma- gnetisches Führungsfeld auf kreisförmigen Bahnen geführt und können auf diese Weise ein oder mehrere elektrische Felder beliebig häufig durchlaufen. Das Zyklotron, 1932 von E.a. Lawrence entwickelt, besteht aus zwei flachen, metallischen, durch einen Schlitz getrennten D-förmi- gen Halbkreisdosen, die im Vakuum zwischen den Polen eines Magneten

152 angeordnet sind. Die aus einer Ionenquelle im Zentrum der Halbkreis- dosen ausgehenden Teilchen werden beim Übergang von einer "Dose" zur anderen durch ein elektrisches Feld beschleunigt. Nach Erreichen ei- ner bestimmten Geschwindigkeit werden die beschleunigten Teilchen durch eine Ablenkelektrode aus dem Zyklotron herausgeführt. Das Zyklotron wurde nach dessen Erfindung zu einem der wichtigsten Hilfs- mittel beim Studium der verschiedenen Wechselwirkungen und der Struktur der Elementarteilchen.

153 XVI. Kurzbiographien

A.P. Aleksandrov (geb. 1903), Physiker, Mitarbeiter Kurchatovs bis 1943 im Leningrader Physikalisch-Technischen Institut, ab 1943 im Laborato- rium Nr. 2, von 1946-1955 Direktor des Institutes für physikalische Probleme der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, 1960-66 und ab 1976 erneut Abgeordneter des Obersten Sowjets, 1975-1986 Präsident der Akademie der Wissenschaften, trat nach dem Tschernobyl-Reaktor- unfall zurück. A.I. Alichanov (1904-1970), Physiker, arbeitete bis 1941 im Leningrader Physikalisch-Technischen Institut zusammen mit Kurchatov am Zyklotronbau, Mitarbeiter des Laboratoriums Nr. 2 ab 1943, Begründer und Direktor des Instituts für Theoretische und Experimentelle Physik (1945-1968), leitete den Bau eines Kernreaktors mit Schwerem Wasser als Moderator (1949) sowie eines Synchrophasotrons. Manfred von Ardenne (geb. 1907), studierte ab 1925 vier Semester Phy- sik, Chemie und Mathematik, baute sich ab 1928 ein privates For- schungslabor in Berlin-Lichterfelde auf. 1930 begann Ardenne mit Elektronenstrahlröhren die Grundlage der heutigen Fernsehtechnik zu legen, 1931 führte er auf der Berliner Funkausstellung die erste Fernsehfilmübertragung vor. Vom Reichspostminister fmanziert, leitete Ardenne bis 1945 sein Forschungslabor, in dem u.a. Fritz Houtermans kernphysikalische Untersuchungen vornahm. Von 1945-1955 leitete Ar- denne in der Sowjetunion eine Arbeitsgruppe, die sich mit der elktromagnetischen Isotopentrennung beschäftigte. Nach der Rückkehr aus der Sowjetunion gründete Ardenne 1955 ein privates Forschungsin- stitut in Dresden mit schließlich über 500 Mitarbeitern. Sein Interessen- feld verlegte er zunehmend auf die Medizintechnik. Die von ihm entdeckte Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie und die Krebs-Mehrschritt- Therapie fanden breite, wenn auch umstrittene Beachtung. Seit 1963 war Ardenne Mitglied der Volkskammer der DDR. LA. Arzimovich (1909-1973), Physiker, seit 1943 im Laboratorium Nr. 2 bzw. im Institut für Atomenergie, leitete ab 1951 die Arbeiten zur kontrollierten Kernfusion. D.I. Blochinzev (1908-1979), Physiker, leitete den Bau des ersten so- wjetischen Industriereaktors, von 1956-1965 Direktor des Vereinigten Instituts für Kernforschungen in Dubna, korrespondierendes Mitglied der Akademie, arbeitete zur Physik schwerer Körper, zur Akkustik, Quantenmechanik, Elementarteilchenphysik und zur Kerntechnik.

154 A.A. Bochvar (1902-1984), Fachmann für Metalle, insbesondere Uran und Plutonium, Begründer der Moskauer Schu1e für Metallkunde, Ar- beiten zur Kristallisation und den Eigenschaften von Buntmetallen und Legierungen. Ju.B. Chariton (geb. 1904), 1922-1931 im Leningrader Physikalisch- Technischen Institut, ab 1931 im Institut für Chemische Physik. Chariton sind die entscheidenden Arbeiten zur Kettenreaktion und zur Atomexplosion zuzuschreiben. 1939-1941 berechnete er zusammen mit Zeldovich die Kettenreaktion mit Uran. Ab 1943 Mitarbeiter im Labora- torium Nr. 2. Grundlagenarbeiten zur chemischen Kinetik, zur Physik der Verbrennung und Atomexplosion, zur Isotopentrennung und Kernphysik. Beim Wasserstoffbombenprojekt einer der engsten Mitarbeiter von A.Sacharov .. V.G. Chlopin (1890-1950), Radiochemiker, Direktor des Leningrader Ra- dium-Institutes. Leiter der Uran-Kommission der Akademie der Wis- senschaften. Chlopin arbeitete über die Chemie lind Geochemie radio- aktiver Elemente, insbesondere auch zur Extraktion VOnPlutonium. V.P. Dzelepov (geb. 1913), Physiker, arbeitete von 1941-1943 im Le- ningrader Physikalisch-Technischen Institut, nahm am Bau des großen Zyklotrons im dortigen Institut teil, 1943-1948 Mitarbeiter im Laborato- rium Nr. 2, 1948-1956 stellvertretender Direktor des Laboratoriums für Kernprobleme, seit 1956 Direktor des Laboratoriums für Kernprobleme in Dubna, Grundlagenforschung in der Kernphysik, der Elementarteilchenphysik, der Physik und Technik von Beschleunigern. Leitete die Arbeiten am ersten sowjetischen Synchrophasotrons in Dubna. G.N. Flerov (1913-1990), Physiker, Schüler Kurchatovs, entdeckte zu- Sammen mit K.A. Petrzak die spontane Uranspaltung. Setzte sich mit zahlreichen Briefen von 1941 an, u.a. an Stalin, für den Bau einer sowjeti- schen Atombombe ein. Von 1943 an Mitarbeiter Kurchatovs im Laboratorium Nr. 2. Spielte zusammen mit Chariton entscheidende Rolle bei der Konstruktion der ersten sowjetischen Atombombe. Ab 1960 Direktor des Laboratoriums für Kernreaktionen im Vereinigten Institut für Kernforschungen in Dubna. Unter Leitung Flerovs wurden neue Isotope der Elemente 102-107 synthetisiert. Klaus Fuchs (1911-1988), 1930-32 Studium der Mathematik, 1930 SPD, 1932 KPD-Mitglied, 1933 Emigration nach England, dort Physikstudium. 1939 von den Briten als verdächtiger Deutscher interniert. Ab 1941 kernphysikalische Arbeiten, seit 1942 Spionage für die Sowjetunion, von

155 1943-46 Mitarbeit im Manhattan-Projekt in New York und Los Alamos an Problemen der Isotopentrennung und Fragen der Implosionstechnik. Nach der Rückkehr nach England übernahm er im Atomforschungszen- trum Harwell die Leitung des Bereichs Theorie. Fuchs befaßte sich mit der Entwicklung von Leistungsreaktoren, u.a. Schnellen Brütern. 1950 enttarnt, wird Fuchs zu 14 Jahren Freiheitsstrafe wegen Spionage für die Sowjetunion verurteilt. 1959 entlassen, siedelte Fuchs in die DDR über, wo er bis 1974 stellvertretender Direktor des zentralinstituts für Kernfor- schung in Rossendorf wurde. Seit 1967 war Fuchs Mitglied des ZK der SED. I.N. Golovin (geb. 1913), Physiker, seit 1944 im Laboratorium Nr. 2, zeitweilig Stellvertreter Kurchatovs, danach im Laboratorium für Meßge- räte der Akademie und im Institut für Atomenergie (Kurchatov-Institut), dort Abteilungsleiter, arbeitete an der elektromagnetischen Isoto- pentrennung, dann der Untersuchung von Plasmen bei der kontrollierten Wasserstoffusion. Schrieb eine Kurchatov- Biographie. V.V.Goncharov (geb. 1912), Ingenieur, Technologe, Chemiker, von 1943- 1986 stellvertretender Leiter des Laboratoriums Nr. 2 bzw. des Instituts für Atomenergie. Einer der entscheidenden Mitarbeiter bei der Entwick- lung der Technologie zur Herstellung reinsten Graphits (als Moderator für Reaktoren) sowie bei der Ausarbeitung der Reaktortechnologie. 1.1. Gurevich (geb.1912), Physiker, im Laboratorium Nr. 2 ab 'September 1943, Leiter eines Laboratoriums, ab 1946 Professor am Moskauer Ingenieur-Physikalischen Institut. Nahm an den theoretischen und technologischen Ausarbeitungen zum ersten sowjetischen Reaktor (F-1) teil. Ferner Arbeiten in der Elementarteilchenphysik. Gustav Hertz (1887-1975), deutscher Physiker, Nobelpreisträger, von 1945-1955Mitarbeit am sowjetischen Uranprojekt, Arbeiten zur Spektro- skopie, zur Untersuchung der Röntgenspektren, zur Diffusion, Elektronenemission, Gasentladungen, der Physik der Plasmen, zu Ultra- schall und Halbleitern. Arbeitete eine Methode der Isotopentrennung durch Gasdiffusion aus, die bei der Uranisotopentrennung in der Sowjet- union zur Anwendung kam:. A.F. lotTe (1880-1960), Physiker, entscheidende Figur bei der Organi- sation sowjetischer Physik, Gründer des LeningraderPhysikalisch- Technischen Instituts, Gründer und Leiter des Instituts für Halbleiter, er schlug Kurchatov als Leiter des Uranprojektes vor. loffe arbeitete zu Halbleitern, in der Festkörperphysik und zur Thermoelektrik.

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.\ S.V. Kaftanov (1905-1978), Politiker, seit 1937 im ZK-Apparat tätig, ab 1941 Vorsitzender der Staatskommission für Wissenschaft, in, dieser Funktion für die Organisation der Rüstungsforschung während des Krieges maßgeblich verantwortlich. 1946-1951 Minister für Höheres Schulwesen. P.L. Kapiza (1884-1984), Physiker, Nobelpreisträger, einer der Be- gründer der Physik niedriger Temperaturen und der Physik starker Magnetfelder, Begründer und Direktor des Instituts für physikalische Probleme der Akademie der Wissenschaften. M.V. Keldysch (1911-1978), Mathematiker, 1961-1975 Präsident der Aka- demie der Wissenschaften. Arbeiten zur Theorie der Funktionen, zu Differentialgleichungen, zur funktionalen Analyse, zur Aerodynamik und der Theorie der Schwingungen. I.K. Kikoin (1908-1984), Physiker, von 1943-1984 im Laboratorium Nr.2 bzw. dem späteren Institut für Atomenergie. Arbeitete zur Kernphysik und Kerntechnik, zur Festkörperphysik und über Magnetismus. Igor Vasilevich Kurchatov ((1903-1960), Physiker, 1924/25 Assistent für Physik am aserbaidschanischen Technikum in Baku, ab 1925 am Physika- lisch-Technischen Institut in Leningrad. Ab 1933 Beschäftigung mit Kernphysik, 1935 Mitentdecker der Kernisomerie künstlich-radioaktiver Elemente. Arbeiten zur Resonanzabsorption. Seit 1943 Leiter des sowjetischen Uranprojektes, setzte 1946 den ersten sowjetischen Reaktor in Gang. Wissenschaftsorganisatorischer Leiter des sowjetischen Wasserstoffbombenprojektes. Arbeiten zur Kernfusion. Element 104 ist nach Kurchatov benannt. ' Boris Vasilevich Kurchatov (1905-1972), Physikochemiker, Bruder Igor Kurchatovs, 1928-1943 im Leningrader Physikalisch-Technischen Institut. Mitentdecker der Kernisomerie des Broms, Pionierarbeiten in der Che- mie der Kernumwandlungen. Von 1943-1972im Laboratorium Nr. 2 bzw. dem Institut für Atomenergie. Unter seiner Leitung erste Labormengen Plutonium (1944) bzw. im Reaktor (1947) gewonnen. Grundlagenarbeiten zu Dielektrika, zur Chemie künstlich radioaktiver Elemente, darunter Transuranen, und zur Chemie der Spaltprodukte. Lev Davidovich Landau (1908-1968), theoretischer Physiker, Nobelpreis 1962 für die Theorie der kondensierten Zustände, insbesondere des Heli- ums. Bereits als 21jähriger Schüler von Niels Bohr in Kopenhagen, da- nach bei Max Born in Göttingen. Anfang bis Mitte der dreissiger Jahre am Charkover Physikalisch-Technischen Institut, leitete Landau ab 1937 in Moskau die theoretische Abteilung des Instituts für Physikalische Pro-

157 bleme an der Akademie der Wissenschaften. Arbeiten zur Quantenme- chanik, der Festkörperphysik, zur 'Hydrodynamik, zur physikalischen Kinetik, zur Quantenfeldtheorie, zur Elementarteilchenphysik und zur Physik der Plasmen. V.A. Malyschev (1902-1957), 1939140 Minister für Schwermaschinenbau, 1940-44 Vizepremier, ab 1940 Vorsitzender des Rates für Maschinenbau des Wirtschaftsrates beim Ministerrat, 1940-41 Minister für Mittleren Maschinenbau, 1941-45 Minister für Panzerindustrie, 1945-47 Minister für Transportmaschinenbau, ab August 1945 leitendes Mitglied der Er- sten Hauptabteilung des sowjetischen Ministerrats für das Uranprojekt. 1948-49 Vorsitzender des Staatskomitees für Einführung der neuen Technik in die Volkswirtschaft, 1950-52Minister für Schiffsbau. I.S. Panasjuk (1917-1972), Physiker, Doktorand Kurchatovs im Lenin- grader Physikalisch-Technischen Institut, von 1943-1972im Laboratorium Nr. 2 bzw. im Institut für Atomenergie, Abteilungsleiter, hatte an der Konstruktion und dem Anfahren des ersten sowjetischen Reaktors maß- geblichen Anteil (25.12.1946), nahm am Bau des ersten sowjetischen Industriereaktors teil. M.G. Pervuchin (1904-1978), 1939-1959 Volkskommissar und Minister diverser Branchenministerien (für Elektrische Industrie, Chemische Industrie u.a.). 1940-1946 stellvertretender Vorsitzender des Rates der Volkskommissare. 1950-57 stellvertretender Vorsitzender des Mi- nisterrates der UdSSR, 1957-59 Vorsitzender der Staatskommission für Außenhandel beim Ministerrat der UdSSR. 1958-62 Botschafter in der DDR, danach Arbeit in GOSPLAN. Mitglied des Präsidiums des ZK der KPdSU (1952-57), danach zum Kandidaten herabgestuft (1957-62). I.Ja. Pomeranchuk (1913-1966), theoretischer Physiker, 1943-46 im Laboratorium Nr. 2, Arbeiten zur Kernphysik, zur Quantenfeldtheorie, zur Elementarteilchenphysik, zur Theorie der Kernreaktoren, Fest- körperphysik,Elektrodynamik, zur Quantentheorie der Flüssigkeiten. B.M. Pontecorvo (1913), Physiker, arbeitete in Italien und Frankreich, dann in den USA und Kanada im Manhattan-Projekt, bis zur spiona- gebedingten Flucht in die Sowjetunion 1950 in England. Arbeiten zur Kernphysik, der Physik hoher Energien, der Physik des Neutrino, zur Physik schwacher Wechselwirkungen und zur Astrophysik.

158 Nikolaus Riehl (geb. 1901), ab 1939'"bei der Auer-Gesellschaft in Berlin mit Arbeiten zur Luminiszenz befaßt. 1945-1955 ,Leiter einer Ar- beitsgruppe zur Technologie der Reindarstellung des Urans im so- wjetischen Uranprojekt. Stalinpreisträger. Ab 1957 Professor in Mün- chen. E.P. Slavskij (geb.1898) , Metallurge, Werksdirektor von Zink- und Aluwerken, stellvertretender Vorsitzender des Volkskommissars für, Buntmetalle, 1946-53 Vizechef der Kommission für Atomindustrie, 1948 Direktor des Kombinats, in dem der erste sowjetische Industriereaktor angefahren wurde. 1953-57 Vizeministerfür Mittleren Maschinenbau, Minister für Mittleren Maschinenbau seit 1961 Max Steenbeck (1904-1981), Chemiker und Physiker, von 1927-1945 bei den Siemens-Schuckert-Werken in Berlin-Siemensstadt, zum Schluß als Werkleiter des Siemens-Stromrichterwerkes. Seine Hauptarbeit galt der Gasentladungsphysik, einen Namen machte sich Steenbeck ebenfalls durch die Entwicklung des ersten Betatrons. Von 1945-1956 leitete Steenbeck eine Arbeitsgruppe in der UdSSR, die für die Trennung der . Uranisotope eine Gaszentrifuge entwickelte. Ab 1956 war Steenbeck dann Professor für Plasmaphysik in Jena, er leitete die Entwicklung und Projektierung kerntechnischer Anlagen in der DDR, von 1962-1966 war Steenbeck Vizepräsident der DDR-Akademie, danach bis 1978 ihr Vorsitzender. Peter Adolf Thiessen (1899-1990), Physiko-Chemiker, Leiter des Kaiser- Wilhelm-Instituts für Physikalische Ch~mie und Elektrochemie (Nachfolger des entlassenen ). Leiter der Fachsparte Chemie und Organische Werkstoffe im NS-Reichsforschungsrat, dann im "Chemiestab" für die Koordination der Wehrforschung an den Hochschu- len, von Albert Speer, wurde er 1942 zum "Konzentrationsbeauftragten" für die Chemieforschung ernannt; 1945-56 in der Sowjetunion mit der Uranisotopentrennung befaßt, nach seiner Rückkehr aus der Sowjet- union wurde Thiessen Direktor des Zentralinstitus für physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1957 Vorsitzender des Forschungsrates der DDR, 1960-63 Mitglied des Staatsrates der DDR.

159 V.I. Vernadskij (1863-1945), Begründer der Geochemie, Biogeochemie, der Radiogeologie, Mitglied der Petersburger Akademie seit 1912, Di- rektor des Radium-Instituts der Akademie der Wissenschaften in Le- ningrad (1922-1939). Sagte als einer der ersten die Möglichkeit der Aus- nutzung der Kernenergie voraus, verhielt sich trotzdem Anfang der vier- ziger Jahre skeptisch gegenüber Ideen zur militärischen Nutzung. B.L. Vannikov «1897-1962), Direktor der Waffenwerke in Tula und Perm, 1937-39 Vizeminister für Verteidigungsindustrie, Rüstungsminister 1939-41, Munitionsminister 1942-46. Ab August 1945 Chef der Ersten Hauptabteilung beim Ministerrat für das Uranprojekt, leitete später organisatorisch ebenfalls das Wasserstoffbombenprojekt. Chef der Kommission für Atomindustrie 1949-53, Vizeminister für Mittleren Maschinenbau 1953-58. Max Volmer (1885-1965), Physiko-Chemiker, nach dem l.Weltkrieg im Forschungslaboratorium der Auer-Gesellschaft, danach Professor für Physikalische Chemie in Hamburg und Berlin. Arbeiten zur Elektro- chemie, Photochemie, Thermodynamik und Kinetik der Phasenbildung. Von Juni 1945 bis Mai 1955 in der Sowjetunion im Uranprojekt be- schäftigt, u.a. mit der Gewinnung von Schwerem Wasser. Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und Präsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften. A.P. Zaveojagin (1901-1956), Erbauer der Werke von Magnitogorsk und Norilsk, 1937 Vizeminister für Schwerindustrie, 1941-50 stellvertretender Vorsitzender des NKWD, 1950-53 in der Kommission für Atomindustrie, 1953-54Vizeminister für Mittleren Maschinenbau, seit 1955 Vizepremier und Minister für Mittleren Maschinenbau. K.D. Zinelnikov (1901-1966), experimenteller Physiker, einer der Be- gründer der Atomphysik in der Ukraine (Charkov), arbeitete u.a. zur Physik und Technik der Beschleuniger, zur Physik des Vakuums, zur physikalischen Metallkunde und der Plasmenphysik sowie auf dem Ge- biet der kontrollierten Kernfusion.

160 XVII. Literaturliste

Akten

Akten der Field Intelligence Agency, Technical, OMGUS.FIAT.APO 742, Public Record Office/London PO 1031/59 . Bundesarchiv Koblenz, Bestand B 138, Akte 732 ("Europäische Isoto- pentrennanlage") Control Council Proclamation No.2 (Signed Berlin 5 June 1945) A Decade of American Foreign Policy. Basic Documents, 1941-49, Washington 1950 Dokumentation zur Deutschlandfrage. Von der Atlantik-Charta 1941 bis zur Berlin-Sperre 1961, Hauptband 1, zus.gestellt v. Dr. Heinrich von Siegler, Bonn/Wien/Zfuich 1961 DRK-Suchdienst Hamburg, Archiv München, Zwangsarbeitsverpflich- tete/ Untersuchungsunterlagen, Einsatzorte A-Z, Bericht 65 886, Akte H 430 Nuclear Physics Research by Germans in the USSR (Bericht vom 15.9.1948), European Command Intelligence Center, Bundesarchiv: RG 260/0MGUS/AGTS/38/1 Soviet Sponsored Research Organizations Currently Active in Berlin (Bericht vom 1.3.1946), (PieId Intelligence Agency Technical) FIAT Ber- lin, Public Record Office/London, PO 1031165 . Office of Military Govemment for Germany (US)(OMGUS), European Command Intelligence Center, Auer Society of Berlin, Bundesarchiv: RG 260/0MGUS/AGTS/38/1 Uranium Finds in Schneeberg-Oberschlema and Johanngeorgenstadt, Military Intelligence Service CeUranium Pinds in Schneeberg-Oberschlema and Johanngeorgenstadt, Military Intelligence Service Center (19.5.1947), Bundesarchiv: RG 260/0MGUS/AGTS/38/2(1)

Aufsätze, Monographien, Papers

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168 Opposition in Deutschland?

Für den Bayernkurier waren wir in den 60er Jahren das Zentralorgan der außerparlamentarischen Opposition.

Bevor diese·Opposition von sich reden machte, nannte uns Karl Barth in den 50ern eine Insel der Vernunft in einem Meer von Unsinn.

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Gesamtverzeichnisse beim Verlag: 4400 Münster - Dorotheenstr. 26a 0251/6086080 Elmar Altvater Die Zukunft des Marktes Ein Essay über' die Regulation von Geld und Natur nach dem Scheitern des 'real existierenden' Sozialismus. 2. durchgesehene Auflage 1992 - 386 S. - DM 38,00 - ISBN 3-924550-68-9 "Auf hohem theoretischem Niveau, sprachlich und analytisch den ge- schichtlichen und aktuellen Boden der Realität nicht verlassend, lese- freundlich" Vorwärts

Manfred Wannöffel Sachzwang Japan Zum arbeitsorganisatorischen Umbruch in der internationalen Automobilindustrie 1991 - 281 S. - DM 48,00 -ISBN 3-924550-57·3 Eine exemplarische Studie über arbeitsorganisatorische Veränderun- gen im Zuge der sog. "Japanisierung" des Automobilsektors.

Franz Dröge/ Andreas Wilkens Populärer Fortschritt 150 Jahre Technikberichterstattung in deutschen illustrierten Zeitschriften 1991 - 184 S. - DM 38,00 - ISBN 3-924550-61-1 Eine detaillierte inhaltsanalytische Untersuchung von Formierung und Zerfall der Fortschrittsideologie anhand wichtiger Zeitschriften. Heute populäre Technikkritik bleibt blind gegenüber den systematischen Ursa- chen und Folgen der Technikberichtserstattung.

Für die Grünen hrsg. von Barbara Böttger und Gert Fieguth Zukunft der Informationstechnologie Beiträge von H.Kubicek, M.Cooley, O.Ullrich, B.Mettler-Meibom, W.Coy u.a. 1992 - 282 S. - DM 36,00 - ISBN 3-924550-53-0

Gesamtverzeichnisse beim Verlag: 4400 Münster - Dorotheenstr. 26a .0251/6086080 Politische Kritik mit theoretischem Anspruch

links beobachtet, kommentiert, analysiert und kritisiert Veränderungen der Gesellschaft und der eigenen Position.

Ich bestelle o I Probeexemplar (kostenlos) _ Ex. links vom . (Einzelheft 6,- DM) Name: Straße: Ort: lin1cs, PF 10 20 62, 6050 Offenbach Deutscher Verlag Zeitschrift für Geschichtswissenschaft der Wissenschaften 0-1080 Berlin Taubenstraße 10

gegründet ,1953

Der Jahrgang 1991 enthielt u. a. folgende Beiträge: Harlmut Boockmann: Über stadtgeschichtliche Darstellungen aus den nauen und den alten Bundesländern Eberl1ard Diepgen: Erinnern für die Zukunft. Zur Ausstellung "Der Krieg ;gegendie Sow'jetunion 1941-1945" Jörg-Peter Findeisen: Fürstendienerei oder Zukunftsträchtiges unter feudalem Vorzeichen. Einige Anmerkungen zur Kameralismus-Dis'kussion in der früheren DDR - das Beispiel Schwedisch-Pommern Imanual Geiss: Geographie und Mitte als historische Katego- rien. Anmerkungen 'zu einem AsPekt des "Historikerstreits" WiJlibafd Gutsehe: Illusionen des Exkaisers. Dokumente aus dem letzten Lebensjahr Kaiser Wilhelms 11.1940/41 Gerhart Hass: Der deutsch-Sowjetische Krieg 1941-1945. Zu einigen Legenden über seine Vorgeschichte und den Verlauf der ersten Kriegswochen Harald Kleinschmidt: Galtons Problem. Bemerkungen zur Theorie der transkulturell vergleichenden Geschichtsforschung Michael Lemke: Chance oder Hisiko? Die Stalin-Note vom 10. März 1952 im außenpolitischen Konzept der Bundesregie- rung Ralf Pfeiffer: Die neuseeländische Position zur Bildung eines "Commonwealth of Australasia" Ines Reich/Kurt Finker: Der 20. Juli 1944 in der Geschichtswissenschaft der SBZ/DDR seit 1'945 Detlef Zimmer: Der Mensch in der Geschichte und die B.iogra- phie. Entropie eines klassischen Streitpunktes?

Einzelheftpreis: 14,50 DM. Abonnementbestellungen direkt beim Verlag ] /