Plenarprotokoll 19/118

Deutscher

Stenografischer Bericht

118. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Inhalt:

Gedenken an den Anschlag von Halle ...... 14379 A Dr. (BÜNDNIS 90/ Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- DIE GRÜNEN) ...... 14402 B neten und Markus Grübel ...... 14380 A (CDU/CSU) ...... 14402 D Wahl der Abgeordneten , Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 14403 C Bärbel Bas und als Mit- glieder des Gemeinsamen Ausschusses ...... 14380 A Namentliche Abstimmung ...... 14404 C Wahl des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich Ergebnis ...... 14420 C als Mitglied des Vermittlungsausschusses . . . 14380 A Wahl der Abgeordneten Gabriela Heinrich als Mitglied der Parlamentarischen Ver- Zusatzpunkt 2: sammlung des Europarates ...... 14380 A Vereinbarte Debatte: Bekämpfung des Anti- Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- semitismus nach dem Anschlag auf die Sy- nung ...... 14380 B nagoge in Halle Absetzung der Tagesordnungspunkte 30 c, Horst Seehofer, Bundesminister BMI ...... 14404 D 30 d und 30 e ...... 14384 B Dr. (AfD) ...... 14407 A Ausschussüberweisungen ...... 14384 C , Bundesministerin BMJV ...... 14408 C Tagesordnungspunkt 6: (FDP) ...... 14410 A Abgabe einer Regierungserklärung durch die Dr. (DIE LINKE) ...... 14411 C Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ 17./18. Oktober 2019 in Brüssel DIE GRÜNEN) ...... 14412 D Dr. , Bundeskanzlerin ...... 14384 D (CDU/CSU) ...... 14414 B Dr. Alexander Gauland (AfD) ...... 14388 B Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 14415 B Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 14390 A (AfD) ...... 14415 D (FDP) ...... 14392 A (SPD) ...... 14416 D (CDU/CSU) ...... 14393 D (CDU/CSU) ...... 14418 A Dr. (DIE LINKE) ...... 14396 A Dr. (SPD) ...... 14418 C Dr. (BÜNDNIS 90/ Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 14419 B DIE GRÜNEN) ...... 14397 D (SPD) ...... 14398 C Tagesordnungspunkt 7: (AfD) ...... 14400 B Antrag der Abgeordneten , Martin Schulz (SPD) ...... 14400 D Dr. , Dr. Rainer Kraft, weiterer (CDU/CSU) ...... 14401 A Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Ech- II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. , Donnerstag, den 17. Oktober 2019 ten Umweltschutz betreiben – Aufgabe aller der FDP: Smart Automotive – Anforde- Klimaschutz- und Energiewendeziele, für rungen an die vernetzte Mobilität im eine faktenbasierte Klima- und Energiepo- Auto von morgen litik Drucksache 19/14029 ...... 14439 B Drucksache 19/14069 ...... 14423 B h) Beschlussempfehlung und Bericht des Karsten Hilse (AfD) ...... 14423 B Ausschusses für Verkehr und digitale Inf- Dr. (CDU/CSU) ...... 14424 C rastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten , , Torsten Dr. Lukas Köhler (FDP) ...... 14425 D Herbst, weiterer Abgeordneter und der Karsten Hilse (AfD) ...... 14426 B Fraktion der FDP: Innovationsschub für das autonome Fahren in Deutschland Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretä- Drucksachen 19/11118, 19/14001 ...... 14439 B rin BMU ...... 14427 C i) Beschlussempfehlung und Bericht des Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE) ...... 14428 D Ausschusses für Verkehr und digitale Inf- (BÜNDNIS 90/ rastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- DIE GRÜNEN) ...... 14430 A ten , Andreas Wagner, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter (CDU/CSU) ...... 14430 C und der Fraktion DIE LINKE: Nulltarif im Dr. Rainer Kraft (AfD) ...... 14431 D öffentlichen Nahverkehr schrittweise Dr. (SPD) ...... 14432 D einführen Drucksachen 19/1359, 19/9042 ...... 14439 C Dr. (FDP) ...... 14433 D j) Antrag der Abgeordneten Andreas Dr. (BÜNDNIS 90/ Wagner, Dr. Gesine Lötzsch, , DIE GRÜNEN) ...... 14434 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 14435 B DIE LINKE: Taxigewerbe schützen Drucksache 19/10350 ...... 14439 C (SPD) ...... 14436 C k) Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Mark Helfrich (CDU/CSU) ...... 14437 C , Dr. Gesine Lötzsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine bessere Bahn – Aus- Tagesordnungspunkt 30: stieg und Umstieg bei Stuttgart 21 a) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn Drucksache 19/11235 ...... 14439 C (Dresden), Cem Özdemir, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion in Verbindung mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimapa- ket neu auflegen – Verkehrswende für eine klimafreundliche Mobilität einlei- Zusatzpunkt 3: ten Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 19/14093 ...... 14439 A schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur b) Zweite und dritte Beratung des von den zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Abgeordneten Cem Özdemir, Matthias Kühn (Dresden), , Stefan Gastel, Sven-Christian Kindler, weiteren Gelbhaar, weiterer Abgeordneter und der Abgeordneten und der Fraktion BÜND- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- Elektromobilität auf die Überholspur brin- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des gen – Chancen für eine zukunftsfähige Mo- Umsatzsteuergesetzes bilität nutzen Drucksachen 19/12089, 19/14116 ...... 14439 A Drucksachen 19/7195, 19/11909 ...... 14439 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14439 D Ausschusses für Verkehr und digitale Inf- (CDU/CSU) ...... 14440 C rastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Anton Hofreiter, , (AfD) ...... 14441 C Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter (SPD) ...... 14442 B und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Oliver Luksic (FDP) ...... 14443 A NEN: Allgemeine Höchstgeschwindig- keit von 130 km/h auf Bundesautobah- Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 14444 A nen einführen (CDU/CSU) ...... 14445 A Drucksachen 19/9948, 19/14000 ...... 14439 A Dr. (AfD) ...... 14446 B g) Antrag der Abgeordneten , Frank Sitta, , (SPD) ...... 14447 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion Daniela Kluckert (FDP) ...... 14448 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 III

Ingrid Remmers (DIE LINKE) ...... 14448 D (CDU/CSU) ...... 14472 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14449 C (CDU/CSU) ...... 14450 C Tagesordnungspunkt 36: Sabine Leidig (DIE LINKE) ...... 14451 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (SPD) ...... 14452 A zes zu dem Abkommen vom 7. November (CDU/CSU) ...... 14452 C 2018 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine über So- Kirsten Lühmann (SPD) ...... 14453 D ziale Sicherheit Drucksache 19/13449 ...... 14473 C Namentliche Abstimmung ...... 14454 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ergebnis ...... 14457 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (AfD) (Erklärung nach § 32 zes über die Ausbildung zur Anästhesie- GO) ...... 14454 C technischen Assistentin und zum Anästhesietechnischen Assistenten und über die Ausbildung zur Operations- Tagesordnungspunkt 9: technischen Assistentin und zum Opera- tionstechnischen Assistenten a) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 19/13825 ...... 14473 C Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Matthias W. Birkwald, Matthias Höhn, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- , weiterer Abgeordneter zes zur Weiterentwicklung des Berufs- und der Fraktion DIE LINKE: bildes und der Ausbildung der Renteneinheit herstellen – Ostrenten pharmazeutisch-technischen Assisten- umgehend an das Westniveau anglei- tinnen und pharmazeutisch-technischen chen Assistenten (PTA-Reformgesetz) – zu dem Antrag der Abgeordneten Drucksachen 19/13961, 19/14088 ...... 14473 C Matthias Höhn, Jan Korte, Dr. Gesine d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Lötzsch, weiterer Abgeordneter und rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der Fraktion DIE LINKE: DDR-Renten zes zur Änderung des Übereinkommens bewilligen – Ostdeutsche Lebensleis- über den internationalen Eisenbahnver- tungen anerkennen kehr (COTIF) vom 9. Mai 1980 in der Drucksachen 19/10285, 19/7981, 19/14117 14455 C Fassung des Änderungsprotokolls vom b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Schielke- 3. Juni 1999 Ziesing, , Jürgen Braun, Drucksache 19/13962 ...... 14473 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion e) Antrag des Bundesministeriums der Finan- der AfD: Ostdeutsche Arbeitnehmer zen: Entlastung der Bundesregierung würdigen – Fondslösung mit Einmalzah- für das Haushaltsjahr 2018 – Haushalts- lungen und Vermögensrechnung des Bundes Drucksache 19/14073 ...... 14455 C für das Haushaltsjahr 2018 – (SPD) ...... 14455 C Drucksache 19/11040 ...... 14473 D Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) ...... 14457 A f) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Masterplan Stadtnatur – Maßnahmen- (CDU/CSU) ...... 14461 A programm der Bundesregierung für ei- Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 14462 B ne lebendige Stadt Matthias Höhn (DIE LINKE) ...... 14463 B Drucksache 19/11220 ...... 14474 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14464 A h) Antrag der Abgeordneten , , Mariana Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 14464 C Iris Harder-Kühnel, weiterer Abgeordneter (SPD) ...... 14466 A und der Fraktion der AfD: Landwirt- schaftliche Familienbetriebe vor den Jürgen Pohl (AfD) ...... 14467 A Folgen einer Änderung der Düngever- (Chemnitz) (CDU/CSU) ...... 14467 D ordnung schützen (FDP) ...... 14468 D Drucksache 19/14071 ...... 14474 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 14469 C i) Antrag der Abgeordneten , , , Albert H. Weiler (CDU/CSU) ...... 14470 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion (SPD) ...... 14471 B der AfD: Deutschsprachige Publikatio- IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

nen von ministeriell mandatierten, poli- Nationalsozialismus Verfolgten und de- tisch handlungsempfehlenden Institu- ren Nachfahren umfassend und klar ge- tionen der Entwicklungspolitik setzlich regeln Drucksache 19/14068 ...... 14474 A Drucksache 19/14063 ...... 14474 D j) Antrag der Abgeordneten Beate Müller- e) Antrag der Abgeordneten , Gemmeke, , , wei- , Grigorios Aggelidis, terer Abgeordneter und der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschäf- der FDP: Hartz IV entbürokratisieren – tigte vor Mobbing am Arbeitsplatz Bagatellgrenze einführen schützen Drucksache 19/14064 ...... 14474 D Drucksache 19/6128 ...... 14474 B f) Antrag der Abgeordneten Cornelia k) Antrag der Abgeordneten , Möhring, , Simone Dr. Bettina Hoffmann, , wei- Barrientos, weiterer Abgeordneter und terer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion DIE LINKE: Umsatzsteuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mängel in auf Menstruationsprodukte absenken Pestizidzulassungsverfahren beheben – Drucksache 19/10280 ...... 14475 A Umwelt und Gesundheit wirksam g) Antrag der Abgeordneten Pia schützen Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias Drucksache 19/14090 ...... 14474 B W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pflegelöhne in Verbindung mit auf Tarifniveau sofort refinanzieren Drucksache 19/14023 ...... 14475 A Zusatzpunkt 4: h) Antrag der Abgeordneten , Heike Hänsel, , weiterer Ab- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der geordneter und der Fraktion DIE LINKE: CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- Für eine schnelle Aufnahme unbegleite- wurfs eines Gesetzes zur Erteilung der ter Flüchtlingskinder aus den EU-Hot- Zustimmung nach § 8 des Integrations- spots in Griechenland verantwortungsgesetzes zum Vorschlag Drucksache 19/14024 ...... 14475 A der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über Maßnah- i) Antrag der Abgeordneten Agnieszka men betreffend die Ausführung und die Brugger, (Augsburg), Cem Finanzierung des Gesamthaushalts- Özdemir, weiterer Abgeordneter und der plans der Union im Jahr 2020 im Zu- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: sammenhang mit dem Austritt des Ver- Militäroffensive der Türkei in aller einigten Königreiches aus der Union Schärfe als völkerrechtswidrig verurtei- (Brexit EU-Haushalt Ausführungs- und len und klare Konsequenzen ziehen Finanzierungsgesetz 2020 – BrexitHHG Drucksache 19/14094 ...... 14475 B 2020) Drucksache 19/14021 ...... 14474 C in Verbindung mit b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, , Canan Tagesordnungspunkt 36: Bayram, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN g) Antrag der Abgeordneten Sebastian eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Münzenmaier, , zur Änderung des Bundesverfassungs- Dr. , weiterer Abgeordneter gerichtsgesetzes (Verankerung eines und der Fraktion der AfD: Steuergleich- Verfahrens zur Überprüfung von Ent- heit sicherstellen – BFH-Entscheidung scheidungen über den Einsatz der Bun- zur sogenannten Urlaubssteuer schnell deswehr im Ausland) im Bundessteuerblatt veröffentlichen Drucksache 19/14025 ...... 14474 C Drucksache 19/14070 ...... 14475 C c) Antrag der Abgeordneten Ulrich Oehme, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dietmar Friedhoff, Markus Frohnmaier, (Erklärung nach § 31 GO) ...... 14475 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Transparente Dokumentation deutscher Entwicklungspolitik Tagesordnungspunkt 37: Drucksache 19/14072 ...... 14474 D a) Zweite und dritte Beratung des von der d) Antrag der Abgeordneten Stephan Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Thomae, , Grigorios eines Sechsten Gesetzes zur Änderung Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der des Telekommunikationsgesetzes Fraktion der FDP: Einbürgerung von im Drucksachen 19/13441, 19/14115 ...... 14476 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 V b) Zweite und dritte Beratung des von der b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Wahl von Mitgliedern des Gremiums ge- eines Gesetzes über die Feststellung des mäß § 3 des Bundesschuldenwesengeset- Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver- zes mögens für das Jahr 2020 (ERP-Wirt- Drucksache 19/13016 ...... 14479 B schaftsplangesetz 2020) c) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Drucksachen 19/13442, 19/14119 ...... 14476 B Wahl von Mitgliedern des Sondergre- c)–r) Beratung der Beschlussempfehlungen miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabili- des Petitionsausschusses: Sammelüber- sierungsmechanismusgesetzes sichten 335, 336, 337, 338, 339, 340, Drucksache 19/13017 ...... 14479 C 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347, 348, d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: 349 und 350 zu Petitionen Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums Drucksachen 19/13557, 19/13558, der „Stiftung Denkmal für die ermorde- 19/13559, 19/13560, 19/13561, 19/13562, ten Juden Europas“ 19/13563, 19/13564, 19/13565, 19/13566, Drucksache 19/13018 ...... 14480 B 19/13567, 19/13568, 19/13569, 19/13570, e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: 19/13571, 19/13572 ...... 14476 C Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirsch- feld“ Drucksache 19/13019 ...... 14480 B Zusatzpunkt 5: f) Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/ a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung CSU, SPD, AfD und FDP: Wahl der Mit- des von der Bundesregierung eingebrach- glieder des Kuratoriums der Stiftung ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- „Deutsches Historisches Museum“ tokoll vom 8. Juni 2017 zur Änderung Drucksachen 19/14040, 19/14041, des Vertrags vom 29. Juni 2000 über 19/14042 ...... 14480 C ein Europäisches Fahrzeug- und Füh- rerscheininformationssystem (EUCA- Wahlen ...... 14479 B, 14479 C, 14480 A RIS) Drucksachen 19/11468, 19/14104 ...... 14478 A Ergebnisse ...... 14491 D, 14491 D, 14491 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Tagesordnungspunkt 10: eines Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften über die außergerichtliche a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Streitbeilegung in Verbrauchersachen rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- und zur Änderung weiterer Gesetze zes zur Einführung einer Nachunterneh- Drucksachen 19/10348, 19/10991, merhaftung in der Kurier-, Express- 19/14142 ...... 14478 B und Paketbranche zum Schutz der Be- schäftigten (Paketboten-Schutz-Gesetz) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/13958, 19/14089 ...... 14480 D Ausschusses für Ernährung und Landwirt- b) Antrag der Abgeordneten Beate Müller- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Gemmeke, Katharina Dröge, Anja Hajduk, Renate Künast, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsbe- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dingungen in der Paket- und Logistik- NEN: Die Wünsche der Verbraucherin- branche verbessern und Nachunterneh- nen und Verbraucher, Bauern und merhaftung einführen Bäuerinnen ernst nehmen – Verpflich- Drucksache 19/13390 ...... 14480 D tendes Tierhaltungs- und Herkunfts- kennzeichen einführen c) Antrag der Abgeordneten , Drucksachen 19/13070, 19/13706 ...... 14478 D Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Paketboten wirksam schützen – Qualität der Paketzustellung verbessern und Paketbranche umfas- Zusatzpunkt 6: send regulieren a) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Drucksache 19/14022 ...... 14481 A Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- , Bundesminister BMAS ...... 14481 A miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bun- deshaushaltsordnung Jürgen Pohl (AfD) ...... 14481 D Drucksache 19/13015 ...... 14479 A (CDU/CSU) ...... 14483 A VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Carl-Julius Cronenberg (FDP) ...... 14483 D Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ Pascal Meiser (DIE LINKE) ...... 14484 D DIE GRÜNEN) ...... 14503 A (CDU/CSU) ...... 14504 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14485 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 14505 B (CDU/CSU) ...... 14486 C Bernd Rützel (SPD) ...... 14487 B Tagesordnungspunkt 31: (CDU/CSU) ...... 14487 D Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Orte der Freiheit und Demokratie: 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung – Tagesordnungspunkt 11: Demokratischer Aufbruch und Scheitern der ersten deutschen parlamentarischen Antrag der Abgeordneten , Republik Dr. h. c. , Michael Drucksache 19/11089 ...... 14506 B Theurer, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Smart – Deutsch- Monika Grütters, Staatsministerin BK ...... 14506 B land als Leitmarkt für Industrie 4.0 etablie- Dr. (AfD) ...... 14507 A ren (SPD) ...... 14508 C Drucksache 19/14030 ...... 14488 C Dr. (FDP) ...... 14509 B Reinhard Houben (FDP) ...... 14488 C (DIE LINKE) ...... 14510 B (CDU/CSU) ...... 14489 C (BÜNDNIS 90/ (AfD) ...... 14490 D DIE GRÜNEN) ...... 14511 B (SPD) ...... 14492 A (CDU/CSU) ...... 14512 A (DIE LINKE) ...... 14493 A (Erfurt) (SPD) ...... 14513 A (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 14513 D DIE GRÜNEN) ...... 14494 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 14495 A Tagesordnungspunkt 14: Reinhard Houben (FDP) ...... 14496 A Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 14496 B , Dr. , Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 14496 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Öffentlich- rechtlicher Rundfunk – Bestand und Wei- Tagesordnungspunkt 12: terentwicklung sichern Drucksache 19/8475 ...... 14514 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- in Verbindung mit zes zur Entlastung insbesondere der mittel- ständischen Wirtschaft von Bürokratie (Drittes Bürokratieentlastungsgesetz) Zusatzpunkt 8: Drucksachen 19/13959, 19/14076 ...... 14497 C Antrag der Abgeordneten , , Grigorios Aggelidis, weiterer in Verbindung mit Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Öf- fentlich-rechtlicher Rundfunk – Zukunfts- fest machen und gesellschaftliche Akzep- Zusatzpunkt 7: tanz erhöhen Antrag der Abgeordneten Michael Theurer, Drucksache 19/14032 ...... 14514 D Reinhard Houben, Thomas L. Kemmerich, Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14514 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (CDU/CSU) ...... 14516 A FDP: Smart Germany – Verwaltung digita- lisieren, Bürokratie abbauen Martin Erwin Renner (AfD) ...... 14517 A Drucksache 19/14031 ...... 14497 C (SPD) ...... 14518 A Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 14497 D Thomas Hacker (FDP) ...... 14519 A Steffen Kotré (AfD) ...... 14499 B Doris Achelwilm (DIE LINKE) ...... 14520 A (SPD) ...... 14500 B Christoph Bernstiel (CDU/CSU) ...... 14520 D Michael Theurer (FDP) ...... 14501 B (SPD) ...... 14521 C Bernd Riexinger (DIE LINKE) ...... 14502 B (CDU/CSU) ...... 14522 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 VII

Tagesordnungspunkt 13: (AfD) ...... 14531 A a) Zweite und dritte Beratung des von der (CDU/CSU) ...... 14532 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Stefan Ruppert (FDP) ...... 14533 B eines Gesetzes zur Änderung des Neun- ten und des Zwölften Buches Sozialge- Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 14534 B setzbuch und anderer Rechtsvorschrif- (DIE LINKE) ...... 14535 D ten Drucksachen 19/11006, 19/14120 ...... 14523 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14536 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales Michael Frieser (CDU/CSU) ...... 14537 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens (CDU/CSU) ...... 14538 D Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Beschäfti- Tagesordnungspunkt 15: gungssituation für Menschen mit Be- hinderung verbessern Erste Beratung des von der Bundesregierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Pellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Änderung des Strafgesetzbuches – Ver- Birkwald, weiterer Abgeordneter und suchsstrafbarkeit des Cybergroomings der Fraktion DIE LINKE: Ausgleichs- Drucksache 19/13836 ...... 14539 D abgabe deutlich erhöhen und Beschäf- Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 14540 A tigungsquote anheben – zu dem Antrag der Abgeordneten Roman Johannes Reusch (AfD) ...... 14540 C Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Markus Thorsten Frei (CDU/CSU) ...... 14540 D Kurth, weiterer Abgeordneter und der (FDP) ...... 14541 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bundesteilhabegesetz nachbessern (DIE LINKE) ...... 14542 B und volle Teilhabe ermöglichen (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 19/9928, 19/11099, 19/5907, DIE GRÜNEN) ...... 14543 A 19/14120 ...... 14523 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . 14543 D in Verbindung mit Dr. (SPD) ...... 14544 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 14545 B Zusatzpunkt 9: Antrag der Abgeordneten Katja Suding, Tagesordnungspunkt 18: Grigorios Aggelidis, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Heran- a) Antrag der Abgeordneten Katja Suding, ziehung von Pflegekindern als Leistungsbe- Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer rechtigte durch einen Kostenbeitrag Abgeordneter und der Fraktion der FDP: abschaffen Smart Germany – Learning Analytics Drucksache 19/10241 ...... 14523 D und Künstliche Intelligenz in der Schule , Parl. Staatssekretärin BMAS . 14524 A fördern, Lerndaten schützen Drucksache 19/14033 ...... 14546 B Uwe Witt (AfD) ...... 14524 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 14525 D Ausschusses für Bildung, Forschung und (FDP) ...... 14526 C Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann (DIE LINKE) ...... 14527 C (Südpfalz), Katja Suding, , Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN) ...... 14528 B der FDP: Sichere Kryptographieverfah- Angelika Glöckner (SPD) ...... 14529 B ren für Quantencomputer entwickeln Drucksachen 19/4845, 19/11758 ...... 14546 C

Tagesordnungspunkt 16: in Verbindung mit Antrag der Abgeordneten Albrecht Glaser, Tobias Matthias Peterka, , wei- Zusatzpunkt 10: terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Wahlrechtsreform jetzt – Bundestag auf ei- Antrag der Abgeordneten Mario Brandenburg ne definitive Mandatszahl verkleinern (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Aggelidis, Drucksache 19/14066 ...... 14530 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

FDP: Smart Germany – Deutschland digital (SPD) ...... 14560 C stärken, Onlinekurs „Künstliche Intelli- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 14561 C genz“ initiieren Drucksache 19/14034 ...... 14546 C Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14562 B Katja Suding (FDP) ...... 14546 C (CDU/CSU) ...... 14547 C Dr. (AfD) ...... 14548 C Tagesordnungspunkt 19: René Röspel (SPD) ...... 14549 D Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/ eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über DIE GRÜNEN) ...... 14550 D Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Erleichterungen in der Bundesrepublik Deutschland als Gaststaat internationaler Tagesordnungspunkt 17: Einrichtungen (Gaststaatgesetz) Drucksachen 19/1719, 19/14100 (neu) ...... 14563 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gisela Manderla (CDU/CSU) ...... 14563 C Gesetzes zur Änderung des Waffenge- Dr. (AfD) ...... 14564 A setzes und weiterer Vorschriften (Drittes Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14564 C Waffenrechtsänderungsgesetz – 3. Waff- RÄndG) Drucksache 19/13839 ...... 14551 D Tagesordnungspunkt 21: b) Antrag der Abgeordneten Dr. , Dr. Konstantin von Notz, Claudia Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Änderung des Deutschen Richtergesetzes NEN: Tödliche Gefahr durch Schuss- (Studien- und Prüfungszeit im Studiengang waffen eindämmen „Rechtswissenschaft mit Abschluss erste Drucksache 19/14092 ...... 14552 A Prüfung“) Drucksachen 19/8581, 19/13617 ...... 14565 C in Verbindung mit Dr. (CDU/CSU) ...... 14565 C (AfD) ...... 14566 B Zusatzpunkt 11:

Antrag der Abgeordneten Konstantin Kuhle, Tagesordnungspunkt 23: Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiter- er Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Freiräume für Jäger und Sportschützen – , , weiterer Für eine schonende Umsetzung der EU- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Feuerwaffenrichtlinie DIE GRÜNEN: Verantwortung anerken- Drucksache 19/14035 ...... 14552 A nen – Gruppenverfahren zur Aufnahme af- ghanischer Ortskräfte einführen , Parl. Staatssekretär BMI . . . . . 14552 B Drucksache 19/9274 ...... 14567 B (AfD) ...... 14553 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ Helge Lindh (SPD) ...... 14554 B DIE GRÜNEN) ...... 14567 C Konstantin Kuhle (FDP) ...... 14555 C (CDU/CSU) ...... 14568 B Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ (AfD) ...... 14569 A DIE GRÜNEN) ...... 14556 B Helge Lindh (SPD) ...... 14569 D (FDP) ...... 14570 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten , -Förster, , weiterer Tagesordnungspunkt 22: Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erste Beratung des von der Bundesregierung Kommunen fördern und Rekommunalisie- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur rung unterstützen Stärkung der Verfahrensrechte von Be- Drucksache 19/10755 ...... 14557 B schuldigten im Jugendstrafverfahren Kerstin Kassner (DIE LINKE) ...... 14557 C Drucksache 19/13837 ...... 14571 B (CDU/CSU) ...... 14558 B Axel Müller (CDU/CSU) ...... 14571 C Marc Bernhard (AfD) ...... 14559 D Roman Johannes Reusch (AfD) ...... 14572 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 IX

Tagesordnungspunkt 24: bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vor- Erste Beratung des von der Bundesregierung schriften eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Drucksache 19/13828 ...... 14577 D Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung b) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Drucksache 19/13829 ...... 14572 D Dr. , Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivilpro- in Verbindung mit zess im 21. Jahrhundert – Verfahren und Abläufe effektiv gestalten Drucksache 19/14028 ...... 14578 A Zusatzpunkt 12: c) Antrag der Abgeordneten Dr. Manuela Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Martens, Rottmann, Katja Keul, Oliver Krischer, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiter- weiterer Abgeordneter und der Fraktion er Abgeordneter und der Fraktion der FDP: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivilpro- Für eine konsequente Umsetzung der zess im 21. Jahrhundert – Strategischer PKH-Richtlinie – Recht auf Verteidigung Verhinderung der Revision entgegen- ab der ersten Stunde vorbehaltlos gewähr- wirken leisten Drucksache 19/14027 ...... 14578 A Drucksache 19/14036 ...... 14572 D Axel Müller (CDU/CSU) ...... 14573 A in Verbindung mit Thomas Seitz (AfD) ...... 14573 D Zusatzpunkt 14: Antrag der Abgeordneten Stephan Thomae, Tagesordnungspunkt 25: Katrin Helling-Plahr, Grigorios Aggelidis, Erste Beratung des von der Bundesregierung weiterer Abgeordneter und der Fraktion der eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- FDP: Zivilprozesse modernisieren – Für zes zur Änderung des Direktzahlungen- ein leistungs- und wettbewerbsfähiges Ver- Durchführungsgesetzes fahrensrecht Drucksache 19/13960 ...... 14574 C Drucksache 19/14037 ...... 14578 A in Verbindung mit in Verbindung mit

Zusatzpunkt 15: Zusatzpunkt 13: Antrag der Abgeordneten Katrin Helling- Antrag der Abgeordneten Friedrich Plahr, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, Ostendorff, Steffi Lemke, Harald Ebner, wei- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- FDP: Nichtzulassungsbeschwerde auch bei NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordne- kleinen Streitwerten zulassen – Wertgrenze ten Dr. , , bei der Nichtzulassungsbeschwerde wieder Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter abschaffen und der Fraktion DIE LINKE: Weidetierprä- Drucksache 19/14038 ...... 14578 B mie für Schafe und Ziegen jetzt auf den Weg Dr. Johannes Fechner (SPD) ...... 14578 B bringen Drucksache 19/14095 ...... 14574 D Jens Maier (AfD) ...... 14579 A Max Straubinger (CDU/CSU) ...... 14574 D Nächste Sitzung ...... 14579 D Stephan Protschka (AfD) ...... 14575 C (SPD) ...... 14576 A Anlage 1 Dr. (FDP) ...... 14577 A Entschuldigte Abgeordnete ...... 14609 A

Anlage 2 Tagesordnungspunkt 26: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten a) Erste Beratung des von der Bundesregie- und (beide rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- SPD) zu der namentlichen Abstimmung über zes zur Regelung der Wertgrenze für die die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsa- Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem An- chen, zum Ausbau der Spezialisierung trag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Daniela Wagner, Oliver Krischer, weiterer Ab- a) des von der Bundesregierung eingebrach- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung DIE GRÜNEN: Allgemeine Höchstgeschwin- des Neunten und des Zwölften Buches So- digkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen zialgesetzbuch und anderer Rechtsvor- einführen schriften (Tagesordnungspunkt 30 f) ...... 14609 D b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Anlage 3 Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abgeordneter Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- und der Fraktion der FDP: Beschäfti- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- gungssituation für Menschen mit Behin- lung des Ausschusses für Verkehr und digitale derung verbessern Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Dr. Anton Hofreiter, Daniela Wagner, Oliver Pellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Krischer, weiterer Abgeordneter und der Frak- Birkwald, weiterer Abgeordneter und tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Allgemei- der Fraktion DIE LINKE: Ausgleichsab- ne Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf gabe deutlich erhöhen und Beschäfti- Bundesautobahnen einführen gungsquote anheben (Tagesordnungspunkt 30 f) ...... 14610 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Burkert (SPD) ...... 14610 C Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Dr. (SPD) ...... 14610 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (SPD) ...... 14611 B Bundesteilhabegesetz nachbessern und volle Teilhabe ermöglichen -Emre (SPD) ...... 14 C 611 sowie (SPD) ...... 14612 B – des Antrags der Abgeordneten Katja Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) ...... 14612 C Suding, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Heranziehung von Pflegekindern Anlage 4 als Leistungsberechtigte durch einen Kos- tenbeitrag abschaffen Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- (Tagesordnungspunkt 13 a und b sowie Zu- der des Deutschen Bundestages, die an der satzpunkt 9) ...... 14 B Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums 623 gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushalts- (CDU/CSU) ...... 14623 B ordnung teilgenommen haben Torbjörn Kartes (CDU/CSU) ...... 14623 D (Zusatzpunkt 6 a) ...... 14613 A

Anlage 5 Anlage 8 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der des Deutschen Bundestages, die an der a) des Antrags der Abgeordneten Katja Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß Suding, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion nommen haben der FDP: Smart Germany: Learning Ana- (Zusatzpunkt 6 b) ...... 14616 A lytics und Künstliche Intelligenz in der Schule fördern, Lerndaten schützen b) der Beschlussempfehlung und des Berichts Anlage 6 des Ausschusses für Bildung, Forschung Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mit- und Technikfolgenabschätzung zu dem glieder des Deutschen Bundestages, die an Antrag der Abgeordneten Mario Branden- der Wahl von Mitgliedern des Sondergre- burg (Südpfalz), Katja Suding, Nicola miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Beer, weiterer Abgeordneter und der Frak- rungsmechanismusgesetzes teilgenommen ha- tion der FDP: Sichere Kryptographiever- ben fahren für Quantencomputer entwickeln (Zusatzpunkt 6 c) ...... 14619 B – des Antrags der Abgeordneten Mario Bran- denburg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Smart Ger- Anlage 7 many – Deutschland digital stärken, On- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung linekurs „Künstliche Intelligenz“ initiieren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 XI

(Tagesordnungspunkt 18 a und b sowie Zu- (DIE LINKE) ...... 14634 D satzpunkt 10) ...... 14624 D (CDU/CSU) ...... 14624 D Anlage 12 Dr. (CDU/CSU) ...... 14 D 625 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 14626 B des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 14627 A nes Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes (Studien- und Prüfungszeit im Studiengang „Rechtswissenschaft mit Ab- Anlage 9 schluss erste Prüfung“) (Tagesordnungspunkt 21) ...... 14635 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 14635 C a) des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur (SPD) ...... 14636 A Änderung des Waffengesetzes und weiter- Katrin Helling-Plahr (FDP) ...... 14636 C er Vorschriften (Drittes Waffenrechtsände- Niema Movassat (DIE LINKE) ...... 14636 D rungsgesetz – 3. WaffRÄndG) b) des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . 14637 B Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anlage 13 NEN: Tödliche Gefahr durch Schusswaf- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung fen eindämmen des Antrags der Abgeordneten Luise – des Antrags der Abgeordneten Konstantin Amtsberg, Agnieszka Brugger, Omid Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ver- Fraktion der FDP: Freiräume für Jäger und antwortung anerkennen – Gruppenverfahren Sportschützen – Für eine schonende Um- zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte einfüh- setzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie ren (Tagesordnungspunkt 17 a und b sowie Zu- (Tagesordnungspunkt 23) ...... 14638 A satzpunkt 11) ...... 146 A 28 Dr. (CDU/CSU) ...... 14638 B (CDU/CSU) ...... 146 B 28 (CDU/CSU) ...... 14639 B Axel Müller (CDU/CSU) ...... 146 C 29 Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 14639 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 14630 B Anlage 14 Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten des Antrags der Abgeordneten Kerstin Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Ver- Kassner, Heidrun Bluhm-Förster, Caren Lay, fahrensrechte von Beschuldigten im Jugend- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE strafverfahren LINKE: Kommunen fördern und Rekommu- (Tagesordnungspunkt 22) ...... 14640 C nalisierung unterstützen Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 14640 C (Tagesordnungspunkt 20) ...... 14631 A (FDP) ...... 14641 A Michael Kießling (CDU/CSU) ...... 14631 A Friedrich Straetmanns (DIE LINKE) ...... 14641 B (SPD) ...... 14632 A Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14641 D Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 14642 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 15 des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Vorrechte, Immunitäten, Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Befreiungen und Erleichterungen in der Bun- – des von der Bundesregierung eingebrach- desrepublik Deutschland als Gaststaat interna- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- tionaler Einrichtungen (Gaststaatgesetz) lung des Rechts der notwendigen Verteidi- (Tagesordnungspunkt 19) ...... 14632 D gung Dr. (CDU/CSU) ...... 14632 D – des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Grigorios Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 14633 C Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der (FDP) ...... 14634 A Fraktion der FDP: Für eine konsequente XII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Umsetzung der PKH-Richtlinie – Recht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivilpro- auf Verteidigung ab der ersten Stunde vor- zess im 21. Jahrhundert – Verfahren und behaltlos gewährleisten Abläufe effektiv gestalten (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatzpunkt 12) 14643 B c) des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuela Alexander Hoffmann (CDU/CSU) ...... 14643 B Rottmann, Katja Keul, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Stephan Thomae (FDP) ...... 14643 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivilpro- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE) ...... 14644 B zess im 21. Jahrhundert –Strategischer Ver- Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14644 D hinderung der Revision entgegenwirken – des Antrags der Abgeordneten Stephan Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 14645 C Thomae, Katrin Helling-Plahr, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zivilprozesse moderni- Anlage 16 sieren – Für ein leistungs- und wettbe- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung werbsfähiges Verfahrensrecht – des Antrags der Abgeordneten Katrin – des von der Bundesregierung eingebrach- Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Direktzahlungen-Durchfüh- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Nichtzulassungsbe- rungsgesetzes schwerde auch bei kleinen Streitwerten zu- – des Antrags der Abgeordneten Friedrich lassen – Wertgrenze bei der Nichtzulas- Ostendorff, Steffi Lemke, Harald Ebner, sungsbeschwerde wieder abschaffen weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Tagesordnungspunkt 26 a bis c sowie Zusatz- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, punkte 14 und 15) ...... 14648 B Kersten Steinke, Dr. Gesine Lötzsch, wei- Dr. (CDU/CSU) ...... 14648 B terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Weidetierprämie für Schafe und Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 14649 B Ziegen jetzt auf den Weg bringen Katrin Helling-Plahr (FDP) ...... 14650 A (Tagesordnungspunkt 25 und Zusatzpunkt 13) 14646 B (DIE LINKE) ...... 14650 C Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 14646 B Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/ Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14647 A DIE GRÜNEN) ...... 14651 B Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . 14651 C BMEL ...... 14647 C

Anlage 17 Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten a) des von der Bundesregierung eingebrach- Wilfried Oellers (CDU/CSU) zu der nament- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung lichen Abstimmung über die Beschluss- der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbe- empfehlung des Ausschusses für Verkehr und schwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abge- Spezialisierung bei den Gerichten sowie ordneten Dr. Anton Hofreiter, Daniela Wagner, zur Änderung weiterer zivilprozessrechtli- Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und cher Vorschriften der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: b) des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 Dr. Manuela Rottmann, Luise Amtsberg, km/h auf Bundesautobahnen einführen weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Tagesordnungspunkt 30 f) ...... 14652 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14379

(A) (C)

118. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mir hat in den vergangenen Tagen eine Studentin, die für Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte ein offenes, junges und selbstbewusstes Judentum einste- nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. hen möchte, ihre Lebenswirklichkeit in Deutschland ge- schildert, ihre für die meisten Mitmenschen unsichtbare In der vergangenen Woche wurden in Halle zwei Men- Furcht, wenn sie ihren Glauben öffentlich sichtbar macht. schen ermordet, zwei weitere schwer verletzt, als sie den Wir wissen: Es ist die Wirklichkeit vieler jüdischer Mit- Weg eines Mannes kreuzten, der entschlossen war, zu bürger – so wie der Hinweis der Studentin, viele von töten – aus purem Hass. Wir trauern um die Toten. Unsere ihnen würden Anfeindungen und Übergriffe nicht mehr Gedanken sind bei den Hinterbliebenen, bei dem verletz- anzeigen, weil sie angesichts des Alltagsantisemitismus ten Ehepaar, dem wir schnelle Genesung wünschen, und einfach abstumpften. Das ist beschämend für unser Land. bei all denen, die damit umgehen müssen, Zielscheibe oder Zeugen des Verbrechens geworden zu sein. (Beifall im ganzen Hause) (B) (D) Der Anschlag hat das bedrohliche Ausmaß rechtsext- Und es ist ein Auftrag, der über die Aufarbeitung des remer Gewaltbereitschaft offenbart. Erneut! Die zufällig Anschlags von Halle hinausweist. in die Schusslinie Geratenen sind Opfer eines terroristi- Wir stehen in der Pflicht, die Versäumnisse im Kampf schen Aktes geworden. Es war eine Tat, die dem klaren gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus aufzuar- Ziel folgte, möglichst viele Juden zu töten. Nur glückliche beiten, schnell und umfassend zu prüfen, wie die beste- Umstände haben weitere Opfer verhindert: Gläubige, die henden Rechtsgrundlagen konsequenter angewandt wer- sich am höchsten jüdischen Feiertag in der Synagoge ver- den können und welche zusätzlichen Mittel und sammelt haben, mitten in unserem Land. Maßnahmen notwendig sind, um effektiv gegen grenz- Dass noch in Twitter-Reaktionen auf diese von Juden- überschreitende rechtsextreme Netzwerke vorgehen zu hass getriebene Tat weiter mit Ab- und Ausgrenzung von können, um die Wege der Radikalisierung zu durchbre- Menschen gespielt wird, ist unerträglich, chen, auch – aber nicht allein – im Internet, und um wirk- samer Ausgrenzung, Hass und Hetze als geistigem Nähr- (Beifall im ganzen Hause) boden von Gewalttaten entgegenwirken zu können. Die so wie der Versuch, durch deren Re-Tweet die Grenzen Vereinbarte Debatte heute Vormittag bietet Gelegenheit des Anstands weiter auszutesten. Wer das tut, stellt sich dazu. Wir sollten sie führen im Bewusstsein unserer be- außerhalb des Grundkonsenses, auf dem unsere demokra- sonderen Verantwortung dafür, der notwendigen gesell- tische Ordnung beruht. Das gilt erst recht für Mitglieder schaftlichen Debatte Orientierung zu geben. dieses Hauses. Ich darf Sie bitten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, (Beifall im ganzen Hause) sich zu Ehren der Opfer zu erheben Die überwältigende Mehrheit der Menschen in unse- (Die Anwesenden erheben sich) rem Lande empfindet den Anschlag von Halle so, wie es und als Zeichen unserer Verbundenheit mit allen Men- unser Bundespräsident bezeichnet hat: als Schande. Viele schen jüdischen Glaubens, als Ausdruck unseres Willens, haben in Mahnwachen ihre Anteilnahme bekundet – und unseren Beitrag dafür zu leisten, dass jeder in diesem ihre Solidarität, damit Juden in Deutschland ihren Glau- Land, egal welcher Religion, welcher Herkunft oder wel- ben offen leben können. chen Geschlechts, die grundlegende Sicherheit erfährt, Dass dies nicht überall die Realität ist, hat nicht erst frei und selbstbestimmt zu leben. Halle gezeigt. Es besorgt Juden weltweit; das hat mein Ich danke Ihnen. israelischer Amtskollege Yuli-Yoel Edelstein in seinem Kondolenzschreiben an den Deutschen Bundestag betont. (Die Anwesenden nehmen wieder Platz) 14380 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich nach- Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- (C) träglich dem Kollegen Uwe Witt und dem Kollegen fahren Markus Grübel zu ihrem jeweils 60. Geburtstag. Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses! (Ergänzung zu TOP 36) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der (Beifall) CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Dann müssen wir noch einige Wahlen durchführen. eines Gesetzes zur Erteilung der Zustim- mung nach § 8 des Integrationsverantwor- Die Fraktion der SPD schlägt vor, für den Gemeinsa- tungsgesetzes zum Vorschlag der Europä- men Ausschuss gemäß Artikel 53a des Grundgesetzes ischen Kommission für eine Verordnung die Kollegin Gabriela Heinrich als Nachfolgerin für die des Rates über Maßnahmen betreffend Kollegin und die Kollegin Bärbel Bas als die Ausführung und die Finanzierung des Nachfolgerin für den Kollegen Dr. als Gesamthaushaltsplans der Union im ordentliche Mitglieder sowie die Kollegin Gabriele Jahr 2020 im Zusammenhang mit dem Katzmarek als Nachfolgerin für die Kollegin Bärbel Austritt des Vereinigten Königreiches aus Bas als stellvertretendes Mitglied des Gremiums zu wäh- der Union (Brexit EU-Haushalt Ausfüh- len. Stimmen Sie dem zu? – Das ist offenkundig der Fall. rungs- und Finanzierungsgesetz 2020 – Dann sind die Kolleginnen Heinrich, Bas und Katzmarek BrexitHHG 2020) in den genannten Funktionen gewählt. Drucksache 19/14021 Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, den Kol- legen Dr. Rolf Mützenich für die Kollegin Andrea Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Nahles als stellvertretendes Mitglied des Ausschusses Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes, also des Vermittlungsausschusses, zu wählen. Stimmen Sie auch b) Erste Beratung des von den Abgeordneten diesem Vorschlag zu? – Das ist der Fall. Herr Kollege Katja Keul, Luise Amtsberg, Canan Bayram, Mützenich, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Wahl als stell- weiteren Abgeordneten und der Fraktion vertretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schließlich soll auf Vorschlag der Fraktion der SPD die Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Ver- Kollegin Gabriela Heinrich als Nachfolgerin des Kol- ankerung eines Verfahrens zur Überprü- legen Dr. Rolf Mützenich als stellvertretendes Mitglied fung von Entscheidungen über den Ein- (B) der Parlamentarischen Versammlung des Europara- satz der Bundeswehr im Ausland) (D) tes gewählt werden. Stimmen Sie auch dem zu? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist die Kollegin Heinrich Drucksache 19/14025 als stellvertretendes Mitglied in dieses Gremium gewählt. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Punkte zu erweitern: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul- Aktuelle Stunde rich Oehme, Dietmar Friedhoff, Markus auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Haltung der Bundesregierung zum Einmarsch der Türkei in Syrien – Einmarsch als völker- Transparente Dokumentation deutscher rechtswidrig verurteilen Entwicklungspolitik Drucksache 19/14072 (siehe 117. Sitzung) Überweisungsvorschlag: ZP 2 Vereinbarte Debatte Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bekämpfung des Antisemitismus nach dem d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anschlag auf die Synagoge in Halle Stephan Thomae, Konstantin Kuhle, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und der Fraktion der FDP richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Einbürgerung von im Nationalsozialismus Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Verfolgten und deren Nachfahren umfas- Gastel, , weiterer Abgeordneter send und klar gesetzlich regeln und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/14063 Elektromobilität auf die Überholspur brin- Überweisungsvorschlag: gen – Chancen für eine zukunftsfähige Mobi- Ausschuss für Inneres und Heimat lität nutzen e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksachen 19/7195, 19/11909 Pascal Kober, Michael Theurer, Grigorios Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14381

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Weitere abschließende Beratungen ohne (C) Fraktion der FDP Aussprache Hartz IV entbürokratisieren – Bagatell- (Ergänzung zu TOP 37) grenze einführen a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Drucksache 19/14064 des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales vom 8. Juni 2017 zur Änderung des Ver- trags vom 29. Juni 2000 über ein Europä- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten isches Fahrzeug- und Führerscheininfor- Cornelia Möhring, Doris Achelwilm, Simone mationssystem (EUCARIS) Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Drucksache 19/11468 Umsatzsteuer auf Menstruationsprodukte Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- absenken schusses für Verkehr und digitale Infrastruk- tur (15. Ausschuss) Drucksache 19/10280 Drucksache 19/14104 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend desregierung eingebrachten Entwurfs eines g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Gesetzes zur Änderung von Vorschriften Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias W. über die außergerichtliche Streitbeilegung Birkwald, weiterer Abgeordneter und der in Verbrauchersachen und zur Änderung Fraktion DIE LINKE weiterer Gesetze Pflegelöhne auf Tarifniveau sofort refi- Drucksachen 19/10348, 19/10991 nanzieren Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Drucksache 19/14023 schusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Drucksache 19/14142 (B) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (D) Ausschuss für Gesundheit c) Beratung der Beschlussempfehlung und des h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Berichts des Ausschusses für Ernährung und Jelpke, Heike Hänsel, Michel Brandt, weiter- Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem An- er Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- trag der Abgeordneten Renate Künast, KE Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Für eine schnelle Aufnahme unbegleiteter NIS 90/DIE GRÜNEN Flüchtlingskinder aus den EU-Hotspots in Griechenland Die Wünsche der Verbraucherinnen und Verbraucher, Bauern und Bäuerinnen Drucksache 19/14024 ernst nehmen – Verpflichtendes Tierhal- Überweisungsvorschlag: tungs- und Herkunftskennzeichen einfüh- Ausschuss für Inneres und Heimat (f) ren Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksachen 19/13070, 19/13706 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wahlen zu Gremien i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Claudia Roth (Augs- a) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD burg), Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- miums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundes- NEN haushaltsordnung Militäroffensive der Türkei in aller Schär- Drucksache 19/13015 fe als völkerrechtswidrig verurteilen und klare Konsequenzen ziehen b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksache 19/14094 Wahl von Mitgliedern des Gremiums ge- mäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/13016 Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe c) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD 14382 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Wahl von Mitgliedern des Sondergre- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (C) miums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Haushaltsausschuss rungsmechanismusgesetzes ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Drucksache 19/13017 Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD tion der FDP Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der Smart Germany – Deutschland digital stär- „Stiftung Denkmal für die ermordeten Ju- ken, Onlinekurs „Künstliche Intelligenz“ initi- den Europas“ ieren Drucksache 19/13018 Drucksache 19/14034 e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums Ausschuss für Wirtschaft und Energie der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 19/13019 ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten f) Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/ Konstantin Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios CSU, SPD, AfD und FDP Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stiftung „Deutsches Historisches Mu- Freiräume für Jäger und Sportschützen – Für seum“ eine schonende Umsetzung der EU-Feuerwaf- fenrichtlinie Drucksachen 19/14040, 19/14041, 19/14042 Drucksache 19/14035 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Theurer, Reinhard Houben, Thomas L. Sportausschuss Kemmerich, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Grigorios Smart Germany – Verwaltung digitalisieren, Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- (B) (D) Bürokratie abbauen tion der FDP Drucksache 19/14031 Für eine konsequente Umsetzung der PKH- Richtlinie – Recht auf Verteidigung ab der ers- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) ten Stunde vorbehaltlos gewährleisten Ausschuss für Inneres und Heimat Finanzausschuss Drucksache 19/14036 Ausschuss Digitale Agenda Überweisungsvorschlag: ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, Harald Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Zukunfts- Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion fest machen und gesellschaftliche Akzeptanz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhöhen sowie der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Drucksache 19/14032 Kersten Steinke, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Weidetierprämie für Schafe und Ziegen jetzt Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie auf den Weg bringen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 19/14095

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Suding, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Abgeordneter und der Fraktion der FDP ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Heranziehung von Pflegekindern als Leis- Thomae, Katrin Helling-Plahr, Grigorios tungsberechtigte durch einen Kostenbeitrag Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- abschaffen tion der FDP Drucksache 19/10241 Zivilprozesse modernisieren – Für ein leis- Überweisungsvorschlag: tungs- und wettbewerbsfähiges Verfahrens- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) recht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14383

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Drucksache 19/14037 Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Schäffler, Christian Dürr, Dr. , Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Smart Finance – Innovation statt Verbote bei Kryptowährungen, Libra nicht verbieten Nichtzulassungsbeschwerde auch bei kleinen Drucksache 19/14049 Streitwerten zulassen – Wertgrenze bei der Nichtzulassungsbeschwerde wieder abschaf- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) fen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/14038 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 21 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Höferlin, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sitta, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Smart Germany – Souveränität der Nutzerin- nen und Nutzer über ihre IT-Systeme gewähr- Smart Cities – Mit Datenfluss zu blühenden leisten Städten Drucksache 19/14050 Drucksache 19/14045 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda ZP 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel Höferlin, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Höferlin, Frank Sitta, Jimmy Schulz, weiterer (B) Abgeordneter und der Fraktion der FDP Smart Germany – Register modernisieren und (D) öffentliches Datenmanagement einführen Smart Germany – Cybersicherheit der 5G- Netze Drucksache 19/14053 Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/14046 Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Konstantin Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios Federführung strittig Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP ZP 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. , Michael Theurer, Grigorios Smart Germany – Digitalisierung und Bürger- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- rechte tion der FDP Drucksache 19/14058

Smart Germany – Antibiotikaeinsatz reduzie- Überweisungsvorschlag: ren, Chancen von Big Data nutzen Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 19/14047 Ausschuss Digitale Agenda

Überweisungsvorschlag: ZP 24 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Ausschuss für Gesundheit (f) Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Smart Germany – Games – Treiber für Inno- ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank vation und Kreativität Sitta, Manuel Höferlin, Grigorios Aggelidis, wei- Drucksache 19/14059 terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Überweisungsvorschlag: Smart Germany – Gigabit-Gutscheine für den Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Breitbandausbau Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda Drucksache 19/14048 Haushaltsausschuss 14384 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ZP 25 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte- (C) richts des Ausschusses für Inneres und Heimat liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Anke Domscheit-Berg, Dr. Petra Sitte, Die bisher dem Ausschuss für Inneres und Heimat zur Dr. Alexander S. Neu, weiterer Abgeordneter Federführung überwiesenen Anträge auf den Drucksa- und der Fraktion DIE LINKE chen 19/10639, 19/9957 und 19/10640 sollen nunmehr dem Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Umsetzung effektiver Maßnahmen für digitale Kommunen zur Federführung und dem Ausschuss für Sicherheit statt Backdoors Inneres und Heimat zur Mitberatung überwiesen werden. Drucksachen 19/7705, 19/14114 Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche ZP 26 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktelis- Föst, Frank Sitta, Grigorios Aggelidis, weiterer te aufmerksam: Abgeordneter und der Fraktion der FDP Der am 27. September 2019 (116. Sitzung) überwiese- Smart Germany – Liberales Bürgergeld ein- ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus- führen – Digitales Antragsportal einrichten schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur Mit- beratung überwiesen werden: Drucksache 19/14060 Beratung des von der Bundesregierung eingeb- ZP 27 Beratung des Antrags der Abgeordneten rachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Dr. Andrew Ullmann, Michael Theurer, Renata steuerlichen Förderung der Elektromobilität Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der und zur Änderung weiterer steuerlicher Vor- FDP schriften Impfquoten wirksam erhöhen – Infektions- Drucksache 19/13436 krankheiten ausrotten Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/14061 Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ZP 28 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Benjamin Strasser, Konstantin Kuhle, Stephan Ausschuss für Kultur und Medien (B) Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO (D) der FDP Sind Sie mit all dem einverstanden? – Dann ist das so Terror von rechts nicht unterschätzen – Ge- beschlossen. waltbereiten Rechtsextremismus entschlossen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: bekämpfen Abgabe einer Regierungserklärung durch die Drucksache 19/14062 Bundeskanzlerin Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat zum Europäischen Rat am 17./18. Oktober 2019 in Brüssel ZP 29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, , Es liegen dazu drei Entschließungsanträge der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Die Linke vor. Über einen dieser Entschließungsanträge NIS 90/DIE GRÜNEN werden wir später namentlich abstimmen. Rechtsextremen Netzwerken entschlossen ent- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gegentreten Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung Drucksache 19/14091 75 Minuten vorgesehen. – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat die Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) weit erforderlich, abgewichen werden. Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Nach dem Tagesordnungspunkt 6 soll die eben erwähn- te Vereinbarte Debatte zum Thema „Bekämpfung des Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Antisemitismus nach dem Anschlag auf die Synagoge Kollegen! Meine Damen und Herren! Seit nunmehr zwei- in Halle“ mit einer Dauer von 60 Minuten durchgeführt einhalb Jahren verhandeln wir intensiv über den Austritt werden. des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Es hat in den letzten Tagen Bewegung gegeben, deutliche Die Tagesordnungspunkte 30 c, 30 d und 30 e sollen Bewegung. Die britische Seite hat Verhandlungsbereit- abgesetzt werden. schaft gezeigt und diese durch sehr konkrete Vorschläge Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14385

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) unterlegt. Wir sind also auf einem besseren Weg als zu- treffen ganz wesentlich die Sicherheit und Stabilität an (C) vor, aber – das muss ich heute Morgen hier ganz klar Europas Grenzen. Das betrifft nicht zuletzt eine Frage, sagen – wir sind noch nicht am Ziel. Wir müssen und über die in diesem Haus vor einigen Wochen besonders werden deshalb unverändert alles tun, um die Verhand- intensiv debattiert worden ist: die Aufnahme der Beitritts- lungen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Ich gespräche der Europäischen Union mit Nordmazedonien möchte Michel Barnier, dem Verhandlungsführer, und und mit Albanien. seinem Team ganz herzlich danken, die wirklich Tag und Nacht dabei sind. Gerade Deutschland ist dem westlichen Balkan nicht nur geopolitisch, sondern auch wirtschaftlich und gesell- Es gilt unverändert, dass, wenn wir eine gute Lösung schaftlich durch die vielen Menschen aus dieser Region, finden wollen, dies etwa der Quadratur des Kreises die bei uns leben, in besonderem Maße verbunden. Es ist gleicht. In den letzten Jahren, Monaten und Wochen dach- in unserem gemeinsamen europäischen Interesse, die ten wir schon mehrfach, dass wir kurz vor einer Lösung Staaten des westlichen Balkans langfristig nicht nur an stehen. Dann haben sich die Dinge erneut zerschlagen. Europa zu binden, sondern auch in die Europäische Union Deshalb kann ich heute hier nicht sagen, wie der Europä- einzubinden. Damit dies gelingt, müssen wir zu unseren ische Rat morgen enden wird. Aber ich darf Ihnen sagen, Versprechen stehen, diesen Ländern auch eine europä- dass ganz klar bleibt, dass wir nicht zulassen werden, dass ische Perspektive zu bieten. Versprechen einzuhalten, auf der irischen Insel durch eine harte Grenze Hass und ist die beste Voraussetzung, um Reformen und eine Gewalt wieder aufflammen können. rechtsstaatliche Entwicklung bei unserem Nachbarn im westlichen Balkan überzeugend einfordern zu können – (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und damit auch die beste Voraussetzung für Wohlstand, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stabilität und Sicherheit innerhalb Europas. Wir werden dafür eintreten, dass das Karfreitagsabkom- men von nichts und niemanden aufs Spiel gesetzt wird. Ich habe es daher sehr begrüßt und sage danke, dass der Bundestag mit seinem Beschluss am 26. September die- Auch die Prinzipien des Binnenmarktes dürfen nicht ser Verantwortung im westlichen Balkan gerecht gewor- infrage gestellt werden – das kann man gar nicht oft ge- den ist. Dank dieser frühzeitig und sorgsam abgewogenen nug betonen –; denn wir haben noch nicht bei allen Fra- Haltung haben wir eine Brücke zu vielen Partnern in gen, die mit dem Zoll verbunden sind, eine Einigung. Wir Europa gebaut, die hier noch Bedenken haben. Deshalb brauchen praktikable, realistische Lösungen dafür, wie glaube ich, dass unsere Position Vorbild und Denkanstoß die neuen Zollkontrollen in Nordirland konkret umgesetzt für andere sein kann. Auch wir sind dafür, den Beitritts- werden sollen. Die Verhandlungen dazu werden geführt. prozess insgesamt transparenter und besser zu gestalten. (B) Aber ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, Albanien und (D) Wir stellen also insgesamt fest: Ein Abkommen über Nordmazedonien eine europäische Perspektive zu bieten. einen geregelten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ist unverändert möglich. Wir werden bis zur letz- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ten Sekunde verhandeln. Wenn erforderlich, können wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch noch einmal auf einem Sonderrat tagen; aber schauen wir erst einmal, was sich ergibt. Auch wenn Wir werden diese Debatte heute im Europäischen Rat wir auf einen ungeordneten Austritt gut vorbereitet sind, führen, um diejenigen, die nicht überzeugt sind, vielleicht liegt ein geregelter Brexit natürlich im Interesse aller, ich noch zu überzeugen. Ich muss Ihnen aber sagen: Die glaube, auch im Interesse Großbritanniens. Chancen, dass wir zu einem einvernehmlichen Votum kommen, stehen nicht gut. Das Vereinigte Königreich ist und bleibt ein wichtiger Partner in vielen Fragen, sei es wirtschaftlich oder sicher- Vor allem werden wir heute und morgen natürlich über heitspolitisch. Uns verbinden eine lange Geschichte und die Türkei sprechen. Unsere Beziehungen zur Türkei sind gemeinsame Werte. Deshalb wollen wir auch nach einem vielschichtig. Sie ist unser europäischer Nachbar und Austritt Großbritanniens enge und vertrauensvolle Bezie- NATO-Partner. Die Situation dort, direkt an der Grenze hungen haben, sowohl wirtschaftlich als auch in der Au- Europas, betrifft uns alle unmittelbar. Mehrfach habe ich ßen- und Sicherheitspolitik. die Türkei – auch im persönlichen Gespräch mit dem türkischen Staatspräsidenten – in den letzten Tagen ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie dringlich dazu aufgerufen, ihre Militäroffensive in Nord- bei Abgeordneten der FDP) syrien gegen die kurdische YPG-Miliz umgehend zu be- enden. Das wiederhole ich hier an dieser Stelle. Deshalb wird sich die Bundesregierung weiterhin mit al- ler Kraft dafür einsetzen, die zukünftigen Beziehungen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europä- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ischen Union wie auch zwischen dem Vereinigten König- ordneten der FDP und der LINKEN) reich und Deutschland so zu gestalten, dass wir eine gute gemeinsame Zukunft haben. Bei allen durchaus auch nachvollziehbaren Sicherheits- interessen: Die Militäroperation der Türkei in Syrien Meine Damen und Herren, die intensive Auseinander- bringt in dem ohnehin schon so geschundenen Land nur setzung mit der Frage des Austritts Großbritanniens aus neues menschliches Leid mit sich. Sie fordert viele Opfer der Europäischen Union in diesen Tagen darf nicht den und treibt Zigtausend Menschen, darunter Tausende Kin- Blick dafür verstellen, dass in Europa und auf der Welt der, in die Flucht. Es ist ein humanitäres Drama mit groß- auch andere drängende Themen zu lösen sind. Diese be- en geopolitischen Folgen. Deshalb wird die Bundesregie- 14386 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) rung unter den jetzigen Bedingungen auch keine Waffen Ich werde mich weiterhin für dieses Abkommen einset- (C) an die Türkei liefern. Ich freue mich, dass das auch die zen, damit die Menschen, die in der Türkei Zuflucht ge- Haltung der europäischen Partner ist. funden haben, ein würdiges Leben nahe ihrer Heimat führen können dank der dazu bereitgestellten finanziellen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Mittel durch die Europäische Union und noch zusätzlich Wenn ich über geopolitische Folgen spreche, müssen durch Deutschland. wir daran denken, dass sich die Rolle Russlands in der Region zusammen mit dem Iran massiv verstärkt, nach- (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) dem die amerikanischen Soldaten abgezogen sind. Die Das hat zum Beispiel dazu beigetragen, dass fast alle Folgen dieser Entwicklung sind heute noch nicht abseh- syrischen Kinder in der Türkei in die Schule gehen kön- bar. Allein mit Blick auf die Terrororganisation IS führt nen. Die durch Krieg und Flucht so gequälten Menschen die türkische Militäroperation zu großer neuer Unsicher- sind die Schwächsten in diesem Konflikt. Wir dürfen uns heit – und das nach einem jahrelangen und oft durch die deshalb auch jetzt unter dem Eindruck des türkischen internationale Gemeinschaft getragenen Kampf gegen Vorstoßes in Syrien unserer Verantwortung nicht entzie- den IS. Es führt zu Unsicherheit in der Region, aber auch hen, sondern müssen ihr weiterhin gerecht werden. in Europa, wenn die gefangengehaltenen Angehörigen des IS nicht mehr bewacht werden. Damit erschüttert (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die türkische Militäroperation in Syrien diese ohnehin krisengeschüttelte Region weiter. Die Erfolge im Kampf Ein Ende des EU-Türkei-Abkommens machte die Dinge gegen den IS, der wesentlich durch kurdische Kräfte in kein Jota besser, sondern verschärfte die Lage, und zwar Syrien möglich war, können so zunichtegemacht werden. auf dem Rücken der Schwächsten. Diese Haltung haben Wir sind überzeugt, dass die türkischen Sicherheitsinte- Bundesinnenminister Horst Seehofer und der europäische ressen an der syrisch-türkischen Grenze nicht durch mi- Innenkommissar Dimitris Avramopoulos mit ihrem ge- litärische Mittel, sondern nur auf diplomatischem Wege meinsamen Besuch in Griechenland und der Türkei noch wirklich gut zu erreichen sind. einmal unterstrichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Meine Damen und Herren, gerade die Lage an Europas bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Außengrenzen zeigt, dass sich Europas Rolle in der Welt GRÜNEN – Zuruf von der AfD) zunehmend verändern muss. Immer mehr Aufgaben kommen auf uns zu. Dazu braucht Europa einen modern- Wir werden auch über ein weiteres Thema im Zusam- isierten und an diese Bedürfnisse angepassten mehrjähri- menhang mit der Türkei sprechen. Das sind die andauern- gen Finanzrahmen. Deshalb ist es gut, dass die amtieren- den Gasbohrungen der Türkei in den Gewässern unseres (B) de finnische Ratspräsidentschaft die Debatte nach vorne (D) europäischen Partners Zypern. bringt und dem Europäischen Rat eine Beratungsgrund- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das war alles?) lage hierzu vorlegt. Es wird auf diesem Europäischen Rat – ich sage: leider – noch keine Einigung darüber Wir können nicht akzeptieren, dass die Türkei die terri- geben. Aber es wird Gespräche geben, in denen ich mich toriale Integrität eines EU-Mitgliedstaates wissentlich für einen zukunftsorientierten Haushalt einsetzen werde, missachtet. Wir werden dies auf dem EU-Rat auch zum der Europas Handlungsfähigkeit in dreierlei Hinsicht Ausdruck bringen. sichert: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Erstens. Für uns ist eine Modernisierung des mehrjäh- bei Abgeordneten der LINKEN und des rigen Finanzrahmens entscheidend. Unsere Ziele müssen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) durch entsprechende Festschreibungen im Haushalt un- Unbeschadet der neuen Entwicklungen müssen wir zu- terstützt werden. Dies gilt für den Klimaschutz, die Mig- gleich sehen, dass 3,6 Millionen Syrer in der Türkei Zu- ration und ein forschungsstarkes und innovatives Europa flucht gefunden haben, und es gibt noch eine Vielzahl sowie eine stärkere Zusammenarbeit in der Außen- und Flüchtlinge aus anderen Ländern. Damit leistet die Türkei Sicherheitspolitik. Die Verlässlichkeit etablierter Politik- einen außerordentlich wichtigen humanitären Beitrag, bereiche wird dabei natürlich nicht infrage gestellt. So mit dem sie im Übrigen auch uns in Europa zum Teil muss zum Beispiel berücksichtigt werden, dass viele Re- beschämt, wenn ich an manche Diskussion denke. gionen in den neuen Bundesländern weiterhin strukturelle Nachteile haben. Insgesamt geht es darum, das richtige (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gleichgewicht für einen Haushalt zu finden, der gerade Ich kenne all die Kritik, die seit 2015 und besonders auch Europas neuen Herausforderungen gerecht werden seit dem Frühjahr 2016 am EU-Türkei-Abkommen geübt kann. wird. Ich werde mich jedoch weiterhin dafür einsetzen, dass dieses Abkommen bestehen bleibt. Es rettet Leben, Zweitens. Ausgangspunkt der Verhandlungen können und zwar sehr konkret in der Ägäis, und es verhindert, nicht Wünsche sein, sondern es müssen realistische dass Schlepper und Schleuser wieder die Oberhand be- Grundlagen sein. Als Nettozahler führen wir die Verhand- kommen und Geld von Menschen nehmen, die eigentlich lungen zum Volumen auf der Grundlage eines Budgetan- keins haben. satzes in Höhe von 1 Prozent der Wirtschaftsleistung der 27 EU-Mitgliedstaaten. Allein das bedeutet schon einen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei deutlichen Anstieg der Beiträge, gerade auch für Abgeordneten der SPD) Deutschland. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14387

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Drittens. Deutschland wird aufgrund dieses Anstiegs Ich begrüße sehr, dass die gewählte Kommissionspräsi- (C) und auch aufgrund des bevorstehenden EU-Austritts des dentin von Beginn an deutlich gemacht hat, dass sie die Vereinigten Königreichs beim mehrjährigen Finanzrah- neue Kommission als eine geopolitische Kommission men übermäßig stark belastet. Deshalb müssen wir auch versteht. über eine faire Lastenteilung auf der Finanzierungsseite und einen Rabatt für Deutschland sprechen. Schon heute setzt Brüssel Maßstäbe weltweit, wenn zum Beispiel die Wettbewerbsbehörde Entscheidungen (Christian Lindner [FDP]: Das ist ja etwas ganz gegen mächtige Konzerne wie Google oder Facebook anderes, als im Koalitionsvertrag steht!) trifft. Solche Maßstäbe wollen wir auch in anderen Be- reichen setzen, etwa beim Klimaschutz oder bei der Di- Außerdem hat die von der Europäischen Kommission gitalisierung, bei Herausforderungen, in denen wir nur vorgeschlagene Verknüpfung der Rechtsstaatlichkeit mit gemeinsam als Europa ein Zeichen setzen können, das den EU-Finanzen für uns höchste Priorität; denn die Mit- dann auch weltweit gesehen wird und Gewicht entfaltet. gliedschaft in der Europäischen Union und die damit ver- Europa muss eigene Akzente setzen und digital souverän bundenen Freiheiten und Errungenschaften haben auch werden. Wir brauchen Alleinstellungsmerkmale, die un- mit einer entsprechenden Verantwortung beim Einsatz sere Art, zu leben, auch in der Digitalisierung widerspie- von EU-Mitteln einherzugehen. Wer bei der Ausgabe eu- geln. Bei einer erfolgreichen Digitalisierung made in Eu- ropäischer Mittel Grundsätze und Prinzipien des Rechts- rope muss und wird daher der Mensch im Mittelpunkt staats missachtet, der soll in Zukunft nicht mehr erwarten stehen. Das war schon der Leitgedanke bei der Daten- dürfen, weiterhin von Europa uneingeschränkt finanziell schutz-Grundverordnung, und das wird auch der Leitge- profitieren zu können. danke sein, wenn es um ethische Maßstäbe für die künst- liche Intelligenz und den Umgang mit Daten im 5G- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Netzbereich geht. FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das trifft genauso auf den Bereich des Klimaschutzes zu. Für diese Menschheitsherausforderung hat die neue Damit stärken wir die gute Regierungsführung in ganz Kommission unter anderem ein europäisches Klimage- Europa und schützen die Interessen von Millionen von setz und einen sogenannten European Green Deal ange- Steuerzahlern. kündigt, mit dem Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Eine zügige Verabschiedung des mehrjährigen Finanz- Kontinent werden soll. rahmens ist Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Europäischen Union. Sie ist damit auch Vorausset- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) (D) zung dafür, dass die neue Kommission der Europäischen GRÜNEN) Union, die bald ihre Arbeit aufnehmen wird – leider etwas verspätet –, ihre Prioritäten auch wirklich umsetzen kann. Europa zeigt damit, dass es sich zum Pariser Klimaab- kommen und dem dort vereinbarten 1,5-Grad-Ziel sowie Wir stehen derzeit zwischen dem Ausscheiden der al- zur Klimaneutralität bekennt. Bei der Umsetzung dieser ten Kommission und dem Antritt der neuen Kommission. Ziele sind wir uns in Europa jedoch noch nicht mit allen Ich möchte dem scheidenden Kommissionspräsidenten Mitgliedstaaten einig. Wir haben natürlich die Besonder- Jean-Claude Juncker sowie dem noch amtierenden Präsi- heiten jedes einzelnen Mitgliedstaates zu bedenken; denn denten der Europäischen Union, Donald Tusk, für ihren es macht einen Unterschied, ob ein Land wie zum Bei- unermüdlichen und leidenschaftlichen Einsatz für Europa spiel Polen 80 Prozent seiner Energie aus Kohle gewinnt danken. oder ob ein Land wie zum Beispiel Schweden schon heute über 50 Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Quellen trägt. Aus diesem Grund muss Europa die Staa- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ten bei ihrem Übergang zur Klimaneutralität bis 2050 SES 90/DIE GRÜNEN) unterstützen, um mittelfristig weiterhin Vorreiter für Kli- Beide haben Großes und Bleibendes für Europa und seine mapolitik in der Welt zu sein. Bürgerinnen und Bürger geleistet. Mit der im Juni verab- Meine Damen und Herren, eine sich ausdrücklich als schiedeten Strategischen Agenda haben beide entschei- geopolitisch verstehende Europäische Kommission wird dend mitgeholfen, das Programm für die kommenden darauf setzen, Europas Rolle in der Welt zu stärken. Dazu fünf Jahre zu umreißen. müssen wir geschlossener für unsere Überzeugungen und Der neue institutionelle Zyklus mit einer neuen Kom- Interessen einstehen. Vor dem Hintergrund einer sich ra- mission ist nun Anlass, uns über den weiteren Weg, über sant verändernden globalen Lage kann sich Europa ein Ziele und Prioritäten zu verständigen, um Europa weiter Auseinanderfallen in wichtigen außenpolitischen Fragen voranzubringen. Darüber werden wir schon auf dem heu- nicht weiter leisten. tigen Europäischen Rat mit der neuen Kommissionsprä- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sidentin, , sprechen. In ihren politi- bei Abgeordneten der FDP) schen Leitlinien hat sie die Schwerpunkte ihrer zukünftigen Arbeit umrissen. Deutschland tritt seit jeher für genau dieses, nach au- ßen starke Europa ein. Aus diesem Grund werden wir (Jan Korte [DIE LINKE]: Bei ihr läuft es nicht zum Beispiel im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsi- so gut!) dentschaft im nächsten Jahr alle Staats- und Regierungs- 14388 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) chefs der Europäischen Union zu einem EU-China-Gipfel pherie gelegen, setzen sich auf freilich grundverschiedene (C) nach Leipzig einladen. Wir machen die Beziehung der Art und Weise von der EU ab: im Nordwesten die Briten, Europäischen Union mit China zu einem Schwerpunkt im Südosten die Türkei. Zu beiden müssen wir unser unserer EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halb- politisches Verhältnis neu ausrichten. Das war auch das jahr 2020; denn heute haben wir keine einheitliche China- Hauptthema Ihrer Rede. politik der Europäischen Union, und das ist nicht gut für die Europäische Union. Beginnen wir mit Großbritannien. Meine Damen und Herren, es gibt ein Leben nach dem Brexit. Es gibt auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie eine Politik nach dem Brexit. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Es ist entscheidend, dass Europa mit einer Stimme Wir sollten also heute schon dafür sorgen, dass unsere spricht. Sonst können wir keine konkreten Ergebnisse Beziehungen zu den Briten keinen dauerhaften Schaden für unsere zukünftige Zusammenarbeit erzielen, etwa nehmen. Sie bleiben ein politischer Partner, ein wirt- wenn es um den Klimaschutz oder um Investitionen geht. schaftlicher Partner, ein militärischer Partner und selbst- Dazu will Deutschland in seiner Ratspräsidentschaft im verständlich eine führende europäische Kulturnation. zweiten Halbjahr 2020 einen Beitrag leisten. Die Zeiten (Beifall bei der AfD) sind unruhig und die Erwartungen an Deutschland hoch. Dessen bin ich mir bewusst. Gleichwohl freuen wir uns Das politische Gewicht der EU sinkt ohnehin durch das auf die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Europa Ausscheiden der Briten. Eine Atommacht, eine Flotten- wie auch mit dem jüngst neu gewählten Europäischen nation, überdies die zweitgrößte Wirtschaftsmacht ver- Parlament und mit der neuen Kommission. lässt den Klub. Sorgen wir dafür, dass beide Seiten sich gewogen bleiben! Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen bei allen Herausforderungen niemals vergessen, Auch wenn es in diesem Hause, in den Medien, in den was wir ganz grundsätzlich an Europa haben: diese ein- Zirkeln der Globalisten vielen nicht passt: Der Brexit ist zigartige Friedens- und Wertegemeinschaft. Und ein der Wunsch der Mehrheit der Briten. Blick an die Grenzen Europas zeigt, was wir an Europa (Beifall bei der AfD) haben. Es war eine knappe Mehrheit, ja; doch diese Konstella- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP tion ist heute normal, und historisch bedeutende Entschei- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dungen sind gelegentlich auch durch knappe Mehrheiten (B) Dieser Tage erinnern wir bei uns an den Fall der herbeigeführt worden. Wie ernst die älteste Demokratie in (D) Berliner Mauer vor 30 Jahren. Wir erinnern uns an den Europa den Mehrheitswillen nimmt, sehen wir täglich. Ja, Mut der Abertausenden DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die Briten streiten erbittert über den Brexit, vor allem über die 1989 für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit auf den Modus des Ausstiegs. Das scheint in unserem kon- die Straße gegangen sind. Und dieser Mut erinnert uns senssüchtigen Land vielleicht ungewöhnlich; aber das ist wiederum daran, wie sehr es sich lohnt, auch in Zukunft lebendige Demokratie. für Überzeugungen, Werte und Ziele einzutreten, gerade (Beifall bei der AfD) auch für ein vereintes Europas. Vielleicht scheitert Boris Johnson an diesem Streit, aber (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie das wäre ebenfalls lebendige Demokratie. bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Auch wenn einige EU-fromme Idealisten noch von GRÜNEN]) einem Ausstieg aus dem Ausstieg träumen: Groß- britannien wird wieder ein souveräner Nationalstaat. Dieser Mut erinnert uns daran, dass Veränderungen zum Das ist nach Ansicht der Progressisten ein Rückschritt, Guten möglich sind. Sich dafür einzusetzen, gerade auch ja, ein Rückfall, in, wie es heißt, längst überwundene in Europa, ist unsere Pflicht. Zeiten. Schließlich gehöre die Zukunft übernationalen, Herzlichen Dank. postnationalen Strukturen. Das sehen wir anders. Wir hal- ten die Nationalstaaten nicht für überholt. Wir glauben, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass dieser Planet ein Pluriversum bleibt, und nun werden wir vor der Haustür einen direkten Vergleich haben, wel- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: che Seite mit ihrem politischen System besser fährt. Was Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Frak- will man also mehr? tionsvorsitzende der AfD, Dr. Alexander Gauland. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Es ist richtig, dass sich Boris Johnson in der Nordir- land-Frage entscheiden muss. Entweder in Nordirland Dr. Alexander Gauland (AfD): wird für eine bestimmte Zeit, also bis es neue Handels- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- verträge gibt, faktisch weiterhin EU-Recht gelten, dann deskanzlerin! Neben den üblichen, sozusagen chroni- kann die Grenze offen bleiben, oder das EU-Recht gilt schen Problemen hat die Europäische Union derzeit zwei dort wie im übrigen Teil Großbritanniens nicht mehr, akute Probleme. Zwei wichtige Länder, beide an der Peri- dann muss es Grenzkontrollen geben. Beides zugleich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14389

Dr. Alexander Gauland (A) geht nicht. Allerdings darf die Dauer dieses Übergangs- Minderheit Druck auf die deutsche Politik auszuüben ver- (C) zeitraums nicht einseitig von der EU festgelegt werden, sucht. Die Türkei ist größer als die Türkei, sagte Erdogan sondern muss von beiden Partnern in freundschaftlichem in einer Rede, und weiter: Wir können „nicht Gefangene Einvernehmen gemeinsam bestimmt werden. auf 780 000 Quadratkilometern sein“. (Beifall bei der AfD) Zugleich animiert er seine Landsleute bekanntlich, fleißig Kinder zu zeugen und das türkische Volk zu ver- Frau Bundeskanzlerin, ich kann nur wiederholen, was größern. ich hier schon gesagt habe: Tun Sie bitte alles Ihnen Mög- liche, um den Briten ihren Abschied nicht zu erschweren – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für das Leben nach dem Brexit! NEN]: Kann das nicht mal aufhören mit diesen ekelhaften Ausführungen? Was geht Sie das (Beifall bei der AfD) denn an? – Gegenruf des Abg. Armin-Paulus Manche Eurokraten betrachten den britischen Abgang Hampel [AfD]: Hören Sie zu!) freilich als eine narzisstische Kränkung. Das mag damit Unsere physischen Grenzen sind anders als die Grenzen zu tun haben, dass sie selber an der Attraktivität der unserer Herzen, sagte Erdogan in derselben Rede und Union zu zweifeln beginnen. EU bedeutet heute Büro- zählte auf: unsere Brüder in Mosul, Kirkuk, Hassaka, kratie, Zentralismus, Zwist, Geldentwertung, Alimentie- Aleppo, Homs, Misrata, Skopje, auf der Krim und im rung von Pleitestaaten, angekündigte Strafaktionen gegen Kaukasus. Berlin oder Duisburg nannte er einstweilen die Osteuropäer, weil sie die Folgen der deutschen Mas- nicht. seneinwanderungspolitik nicht mittragen wollen. Der zweitwichtigste Zahler steigt deshalb aus. Norwegen Derzeit führt Erdogan einen völkerrechtswidrigen An- und die Schweiz zeigen keinerlei Interesse, dem Klub griffskrieg auf die Kurdengebiete in Ostsyrien. Der tür- beizutreten, und es geht ihnen gut dabei. Island hat sein kische Präsident spekuliert auf eine Vergrößerung des Aufnahmeersuchen zurückgezogen. türkischen Territoriums und droht uns damit, 3,5 Millio- nen syrische Flüchtlinge nach Europa durchzulassen, Problematisch wird es, wenn sich solche Kränkungs- wenn wir das zu kritisieren wagen. Unter diesen Flücht- gefühle mit Überlegenheitsdünkel vereinen und in offene lingen würden sich viele IS-Terroristen befinden, die der- Geringschätzung münden. Es ist ein bedrückendes Phä- zeit in großer Zahl aus den kurdischen Gefängnissen flie- nomen, dass verschiedene Ansichten in der Außenpolitik hen. neuerdings dazu führen, die Gegenseite als unzurech- nungsfähig zu behandeln. Begonnen hat es mit Donald Womit können wir im Gegenzug drohen? Wir haben Trump. Derzeit ist Boris Johnson an der Reihe. Wo bitte eine kaputtgesparte Bundeswehr und sperrangelweit of- (B) soll das hinführen, wenn die Medien nicht ganz ohne fene Grenzen. Der kurdisch-türkische Konflikt ist längst (D) Beteiligung der Politik die Regierungschefs von immer- auf unseren Straßen angekommen. Was macht die Bun- hin verbündeten und mächtigen Staaten als Clowns dar- desregierung? Sie hat Erdogan dafür Geld gegeben, dass stellen? er erledigt, was wir angeblich nicht können: die Grenzen schließen. Wir haben uns von Erdogan abhängig und da- (Beifall bei der AfD) mit erpressbar gemacht. Wo das im Falle Trump hinführt, sehen wir gerade in (Beifall bei der AfD) Syrien. Mit dem Segen der Multikulturalisten leben Millionen Der Abzug der US-Truppen ist ein „Dann macht doch Nichtdeutsche mit verfestigtem Aufenthaltsstatus in un- euren Kram alleine“-Signal an die Adresse der Europäer. serem Land, unter denen sich auch Hunderttausende Er- Während die Deutschen es mit den militärischen Bünd- dogan-Anhänger befinden. Wir können nicht wie der tür- nisverpflichtungen nicht gar so genau nehmen, gerade auf kische Präsident mit Flüchtlingsströmen drohen, etwa der linken Seite des Hauses, damit, alle Türken ohne deutschen Pass zurückzuschi- (Martin Schulz [SPD]: Oijoijoi!) cken; denn wir sind ein Rechtsstaat. Wir können aller- dings endlich damit anfangen, aus der Situation zu lernen redet die deutsche Öffentlichkeit seit zwei Jahren über und unsere Grenzen zu schützen. den mächtigsten Mann der Welt wie über einen ungezo- genen Schuljungen. (Beifall bei der AfD) ( [SPD]: Das ist er doch auch!) Zweierlei können wir lernen: zunächst einmal, dass es töricht ist und eines Tages auch gefährlich werden kann, Das ist Hybris, und dieser folgt bekanntlich die Nemesis. unentwegt Menschen einwandern zu lassen, die unsere Rechts- und Werteordnung eben nicht zu schätzen wis- (Beifall bei der AfD) sen, Das ändert nichts daran, dass auch wir den Abzug der US- Truppen für falsch halten, für einen Verrat an den Kurden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wissen Sie Bescheid!) (Martin Schulz [SPD]: Genau!) und dabei zu hoffen, dass sich das Problem schon irgend- Am Bosporus sitzt ein Präsident, der von einem neo- wie von selbst lösen wird, und zweitens, dass wir immer osmanischen Reich träumt, der von der Expansion des sagen: Wir müssen unsere Grenzen endlich wieder selber Islam träumt, der seit Langem schon über die türkische schützen. 14390 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Alexander Gauland (A) (Beifall bei der AfD) Ich muss Ihnen sagen, Kollege Gauland: Sie behaup- (C) ten, Sie würden jüdisches Leben in Deutschland willkom- Meine Damen und Herren, was unsere Bündnisse be- men heißen. trifft: Die Bundesregierung sollte darauf drängen, dass diese Türkei unter dieser Regierung kein vollwertiges (Tino Chrupalla [AfD]: Wir reden über was NATO-Mitglied mehr sein kann. anderes! – Gegenruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]: Hören Sie jetzt mal zu!) (Beifall bei der AfD) Solange Sie denken und aussprechen, dass der National- Die NATO muss die Mitgliedschaft der Türkei mindes- sozialismus ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschich- tens einfrieren. Diese Türkei darf auch kein EU-Mitglied te war, werden Menschen jüdischen Glaubens sich hier werden. nicht heimisch fühlen. Sie treiben diese Hetze an. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Die EU muss den Beitrittsstatus aufheben, Frau Bundes- GRÜNEN) kanzlerin. Ich hoffe, dass Sie sich für diese Politik ein- setzen. Was hier vor fast 100 Jahren gesagt werden musste, muss auch heute gesagt werden: „Da steht der Feind – Ich bedanke mich. und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“, meine Damen und Herren. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der SPD-Fraktion, von der AfD: Verleumdung!) Dr. Rolf Mützenich. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Recht gesagt, dass (Beifall bei der SPD) der Europäische Rat – es ist so – erneut in einem wichti- gen Moment zusammenkommt. Übergeordnete Frage dieses Rates ist aber etwas Neues. Es geht um die Selbst- Dr. Rolf Mützenich (SPD): vergewisserung und Selbstachtung europäischer Politik. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und In der Tat: Es gibt genügend Themen, die Sie angespro- Kollegen! Die Mehrheit von uns steht noch immer unter chen haben, und ich bin froh, dass wir in dieser Debatte dem Eindruck der Morde von Halle und der Absicht des (B) mit unterschiedlichen Rednerinnen und Rednern darauf (D) Täters, die jüdische Gemeinde anzugreifen, ja, man muss reagieren können. es sagen, es war seine Absicht, die jüdische Gemeinde auszulöschen. Es hätte nicht schlimmer kommen können Ich will an den Anfang stellen: Ja, Sie haben recht, das nach den Morden des NSU, nach dem Mord an Regie- ist eine erneute Wende im syrischen Krieg, und mögli- rungspräsident Lübcke, nach Angriffen, nach Morden an cherweise stehen sich in den nächsten Tagen syrische und mutigen Demokratinnen und Demokraten, nach Ein- türkische Truppen unmittelbar gegenüber. Wir haben die schüchterungsversuchen und nach vielen Anschlägen. Situation noch in guter Erinnerung, als die Türkei damals Und ja, vieles bleibt noch aufzuklären. Vielleicht hat ein russisches Flugzeug abgeschossen hat. Das ist also der Täter auch alleine gehandelt; aber er wird getragen eine große Gefahr. Für mich ist eine besonders große Ent- von einem System der Hetze, des Chauvinismus und des täuschung, dass nicht nur in Europa – das haben wir nach Rechtsextremismus, und die AfD ist Teil dieses Systems. dem Zweiten Weltkrieg immer wieder versucht zu ver- hindern –, sondern auch in Syrien wieder Grenzen ver- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem schoben werden. Und es war Andrea Nahles, die vor zwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Jahren hier für meine Fraktion gesagt hat: Der Angriffs- ordneten der CDU/CSU und der FDP – krieg auf Afrin war völkerrechtswidrig. – Ich stelle heute Dr. [AfD]: Verleumdung! Sie fest: Auch dies ist wieder ein völkerrechtswidriger An- Hetzer!) griffskrieg, und Erdogan macht sich als Präsident der Meine Damen und Herren, als ich 2002 in dieses Parla- Türkei persönlich strafbar, meine Damen und Herren. ment gewählt wurde, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneten der CDU/CSU und der FDP) NEN], an die AfD gewandt: Hört doch auf! Ich zeige euch die ganzen Tweets der AfD!) Die Einlassungen des türkischen Präsidenten sind un- würdig; sie sind eine Grenzüberschreitung in der inter- hätte ich mir nicht vorstellen können, dass in diesem Par- nationalen Sprache und in der internationalen Politik. lament jemals wieder Abgeordnete sitzen, die widerliche Meine Bitte an Sie, Frau Bundeskanzlerin, ist, dies im Kommentare über die Opfer von Anschlägen verbreiten. nächsten Gespräch richtigzustellen. Ich bin überzeugt, Diese Abgeordneten sitzen mitten in den Reihen der AfD. dass Sie das tun werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Wir brauchen konkrete Feststellungen und Verabre- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE dungen der Staats- und Regierungschefs zu diesem Kon- GRÜNEN) flikt. Sie haben die Rüstungsexporte angesprochen. Ich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14391

Dr. Rolf Mützenich (A) bin der festen Überzeugung, dass wir eine Verpflichtung res ihre Arbeit antreten wird. Aber ich glaube, vielleicht (C) der EU-Staaten brauchen, nicht nur jetzt keine neuen ist es gut, in diesem Gespräch hinter verschlossenen Tü- Rüstungen zu genehmigen, sondern auch einen generel- ren mit der Kommissionspräsidentin mehr Fingerspitzen- len Rüstungsexportstopp zu unternehmen. gefühl mit dem Europäischen Parlament anzumahnen; denn das Europäische Parlament bestimmt mittlerweile (Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD]) europäische Politik mit, und nicht einfach gewählte oder Wir müssen prüfen, was in der Zollunion möglich ist. Ich entsandte Kommissare oder Kommissionspräsidentinnen bin auch der Überzeugung: Wir müssen prüfen, was an und -präsidenten. Wir wollen, dass das Europäische Par- Bürgschaften möglich ist, wenn europäische Unterneh- lament gestärkt wird. Das ist immer auch die Verpflich- men in der Türkei in nächster Zeit Investitionen vorneh- tung vonseiten der Sozialdemokratinnen und Sozialde- men. Zur Wahrheit gehört aber: Auch in den kurdischen mokraten gegenüber europäischen Interessen gewesen. Gebieten in Syrien sind Menschen vertrieben worden. Das ist etwas, was wir an dieser Stelle sagen müssen. (Beifall bei der SPD) Es geht nicht nur um die Invasion der türkischen Armee, sondern es geht auch darum, was dort in den letzten Jah- Sie haben den Klimaschutz angesprochen. Ja, die Kli- ren passiert war. maschutzstrategie steht im Dezember auf der Tagesord- nung. Aber für meine Fraktion will ich sagen: Es geht (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann genauso um den Sozialschutz, um die Förderung fairer [CDU/CSU]) Arbeit und fairer Wettbewerbsbedingungen. Alles das muss auch auf der Tagesordnung der zweitägigen Gesprä- Es gibt nur eine politische Lösung. Wir werden keine che stehen, meine Damen und Herren. militärische Lösung für dieses Problem herbeiführen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Frau Bundeskanzlerin, Sie haben geopolitische Fragen NISSES 90/DIE GRÜNEN) angesprochen. Wir feiern den Fall der Mauer. Das ist ge- Vielmehr kann politische Autonomie nur politisch er- rade für uns in Deutschland ein Ereignis; aber es ist nicht reicht werden. das einzige Ereignis. Vielmehr erleben wir seit dem Ende des Kalten Krieges, wie sich eine Welt neu gestaltet, die In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, offensichtlich eben nicht richtig beschrieben ist, wenn dass es die Vorsitzende der CHP in Istanbul gewesen ist, amerikanische Politikwissenschaftler sagen: Jetzt treffen die mutig, weil sie verfolgt wird, von Erdogan ganz per- Zivilisationen aufeinander. – Ich glaube, zutreffender ist sönlich, gesagt hat: (B) das, was europäische Forscher wie der deutsche Sozio- (D) Es gibt keinen Sieger des Krieges. Der Weg zu einer loge Dieter Senghaas gesagt haben, nämlich dass es einen dauerhaften Lösung besteht darin, die Verfassungs- Konflikt im Inneren der Gesellschaften gibt. Das zeigt modelle zu erörtern, die es Syrien ermöglichen, als sich nach meinem Dafürhalten gerade auch beim Brexit; Staat zu existieren, Dialogkanäle einzurichten und denn es geht um die unterschiedlichen Geschichten, die zu schützen. dieses Land hat, Loyalitäten, die sich zeigen, die Frage von Souveränität und die Frage, wie wir es schaffen, mit Das ist auch unsere Auffassung, und wir werden solche diesen Veränderungen umzugehen. Es ist offensichtlich Politikerinnen und Politiker wie sie nicht nur in unserem ein kultureller Kampf, der auf der Insel stattfindet und der Herzen tragen, sondern wir werden sie auch politisch in internationale Weiterungen hat. Insofern bin ich dankbar. ihren Forderungen unterstützen, meine Damen und Her- Wir können diese inneren Kämpfe nicht beeinflussen. ren. Wir können nur mit Vernunft, mit Ruhe alles versuchen, (Beifall bei der SPD) dass es am Ende der Verhandlungen eine Lösung gibt. Dazu wünsche ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, viel Er- Ich will Sie, Frau Bundeskanzlerin, darin unterstützen: folg. Die SPD-Bundestagsfraktion wird Sie in dieser Ab- Die Aufnahme der Gespräche mit Albanien und Nord- sicht unterstützen. mazedonien – der Deutsche Bundestag hat es in einem gemeinsamen Antrag festgestellt – ist der richtige Weg. Ich will mit einer gewissen Zuversicht enden. Es ist in Mittlerweile hat der Habitus des französischen Staatsprä- den letzten Wochen wieder versucht worden, Deutsch- sidenten einen Kratzer. Er tritt oft als Europäer auf – was land das Stereotyp anzuhängen, aus der Geschichte zu er ist, was ich ihm nicht abspreche –, aber ich muss von wenig gelernt zu haben, und uns die Geschichte wie einen dieser Stelle sagen: Er zahlt mit kleiner Münze zurück, Spiegel vorzuhalten. Viele europäische Nachbarn sind wenn er allein aus innenpolitischen Interessen diese Bei- diesem Stereotyp nicht gefolgt. Das hat etwas mit kluger trittsgespräche verhindern will. Das ist die Botschaft mei- Politik zu tun, das hat etwas mit der Entspannungspolitik ner Fraktion an den französischen Präsidenten. zu tun, das hat mit dem Europäer Helmut Kohl zu tun, das hat etwas mit dieser Bundesregierung zu tun, die sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht provozieren lässt. Deswegen sage ich: Wir müssen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denen entgegentreten, die dem Furor des nationalen Al- Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, insbesondere auch beim leingangs und der Ausgrenzung von Menschen erliegen. Meinungsaustausch mit der neuen Kommissionspräsi- Das bleibt die Antwort, auch in dieser Zeit. dentin. Auch wir wünschen uns eine Einigung über eine Kommission, die hoffentlich am 1. Dezember dieses Jah- Vielen Dank. 14392 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Rolf Mützenich (A) (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, teilen wir die Dinge, die (C) der CDU/CSU) Sie skizziert haben. Die Türkei war ein Schwerpunkt Ihrer Rede – völlig zu Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Recht. Uns erreichen schockierende, erschütternde Bilder Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der FDP- aus Syrien mit großen innenpolitischen Auswirkungen Fraktion, Christian Lindner. bei uns, weil auch der innere Frieden in unserem Land bedroht ist, weil auch neue Migrationsbewegungen zu (Beifall bei der FDP) erwarten sind. Der türkische Präsident hat sich in einer für die internationalen Beziehungen nicht akzeptablen Christian Lindner (FDP): Weise über den Bundesminister des Auswärtigen ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! äußert. erfährt hier im Haus oft Kritik – nicht Mein Vorredner, der Kollege Dr. Mützenich, hat seinen immer zu Unrecht. Aber wenn er von außen in dieser Beitrag völlig zu Recht mit den Ereignissen in Halle be- Weise angegriffen wird, dann stellen wir uns alle hinter gonnen. Nach einem solchen Ereignis kann der Deutsche ihn. So geht man mit einem deutschen Außenminister Bundestag nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. nicht um. Der Herr Präsident des Bundestages hat dazu angemesse- ne Worte gefunden. Der Angriff von Halle war nicht nur (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD ein Angriff auf eine Gruppe in unserer Gesellschaft. sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Wenn sich heute einige in unserer Mitte nicht mehr sicher BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fühlen können, dann wird sich morgen niemand mehr in Frau Merkel, von Ihnen hätten wir uns in der Frage Deutschland sicher fühlen. bezüglich der Türkei und Syrien mehr Klarheit ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie wünscht, als Sie sie heute geäußert haben. Wie klar waren bei Abgeordneten der SPD) die Äußerungen aus Deutschland bei dem Völkerrechts- bruch Russlands auf der Krim? Wir sehen jetzt in Syrien Deshalb waren das richtige Worte. dasselbe, nämlich eine völkerrechtswidrige Invasion ei- Sie haben – ich teile das – völlig korrekt auch eine ner islamistischen Präsidialdiktatur. Wir erwarten von gewisse Verrohung unserer politischen Debattenkultur Ihnen, Frau Merkel, dass Sie die völkerrechtswidrige In- in einen Zusammenhang mit diesem Ereignis gebracht. vasion der Türkei in Syrien klar ansprechen. Es darf nicht Das hat zur Empörung eines Teils des Deutschen Bundes- der Eindruck entstehen, dass wir erpressbar geworden tages geführt. Den Kolleginnen und Kollegen der AfD sind aufgrund der Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre. (B) will ich aber sagen: Herr Gauland hat die Gelegenheit (D) verpasst, hier auch nur einen Satz zu den Entgleisungen (Beifall bei der FDP) auf Twitter zu sagen. Der richtige Schritt wäre, Frau Bundeskanzlerin, dass (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Sie jetzt einen Sondergipfel der NATO fordern, zusam- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE men mit unseren Partnern in Frankreich und anderen in GRÜNEN) Europa. Es muss das Gespräch geführt werden mit Herrn Auch aus Ihrer Mitte gab es keine Distanzierung. Hier Erdogan und Herrn Trump, wie die Region auf Dauer gilt: Wer schweigt, stimmt zu. wieder stabilisiert werden kann. Da erwarten wir von Ihnen Führung im westlichen Bündnis. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der FDP) Wenn Sie einen solchen Kollegen weiter einen Ausschuss des Deutschen Bundestages leiten lassen, dann sagt das Ob es in dieser Zeit tatsächlich richtig ist, in der eine etwas über Ihren wahren Charakter aus. Abhängigkeit von der Türkei im Raum steht, Initiativen zu ergreifen, wie die des Bundesinnenministers bei den (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, Bootsflüchtlingen, wage ich in Zweifel zu ziehen. Herr der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Innenminister, Ihnen ist es noch nicht gelungen, die GRÜNEN) Rückführung von sich illegal in unserem Land aufhalten- den Menschen korrekt und wirksam zu organisieren. Alle Frau Bundeskanzlerin, Sie haben unsere Unterstützung Zusagen zu dem Rückführungsabkommen, die Sie in den bei der Linie, die Sie mit Blick auf den möglichen Austritt vergangenen Jahren gemacht haben, haben sich in Wahr- des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union heit als haltlos erwiesen. Jetzt pauschal 25 Prozent der skizziert haben. Wir haben – das haben Sie ausgedrückt – Bootsflüchtlinge aufnehmen zu wollen, ist nichts anderes ein Interesse an intakten, an vitalen, an partnerschaftli- als Beihilfe zur Werbung für die illegalen Schlepperorga- chen und freundschaftlichen Beziehungen zu Groß- nisationen. Von Ihnen hätten wir anderes erwartet. britannien, auch über das Austrittsdatum hinaus. Aber – das verkennt die AfD –: Wir haben nicht nur ein Interesse (Beifall bei der FDP – Widerspruch beim an zukünftig guten Beziehungen zum Vereinigten König- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reich, wir haben auch ein Interesse an der Integrität der Europäischen Union für die 27, die gerne bleiben wollen. Von Ihnen, Herr Seehofer, hätten wir erwartet, dass Sie wieder über die Hotspots in afrikanischen Transitländern (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der unter Verantwortung des Flüchtlingshilfswerks der Ver- SPD) einten Nationen sprechen. Von Ihnen hätten wir erwartet, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14393

Christian Lindner (A) dass Sie über europäischen Grenzschutz sprechen, Front- gierungskoalition? Sie macht einen Alleingang im natio- (C) ex nicht erst 2027 auf volle Mannstärke bringen, sondern nalen Rahmen mit einer Verteuerung des Flugverkehrs. bereits vorher. Von Ihnen hätten wir eine Initiative für Das Ergebnis wird der sogenannte Wasserbetteffekt sein. eine hoheitliche Seenotrettung im Mittelmeer erwartet, Falls tatsächlich in Deutschland weniger Menschen flie- und nicht pauschal eine Politik, der niemand im Europä- gen, dann wird es ab 2021 so sein, dass anderswo in ischen Rat folgen wird. Europa die CO2-Zertifikate günstiger werden. Für das Weltklima erreichen Sie so nichts. (Beifall bei der FDP – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lindner, (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE was reden Sie denn da?) GRÜNEN]: So ein Quatsch!) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier Bemerkenswer- Das Einzige, das Sie erreichen, ist, dass die ganzen Re- tes über die Haushaltsplanung der Europäischen Union gionalflughäfen mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ins von 2021 bis 2027 gesagt. Man konnte heute in der „FAZ“ schwere Fahrwasser geraten. Das ist der einzige Effekt, lesen, dass der deutsche Nettobeitrag von 13,5 Milliarden für das Klima nichts, nur wirtschaftliche Belastung. Euro im Jahr 2018 auf über 30 Milliarden Euro bis 2027 ansteigen kann. Sie haben heute das Wort von einem Ich schließe, Frau Bundeskanzlerin, an dieser Stelle Rabatt in den Mund genommen. Sie haben gesagt, dass mit der Enttäuschung, dass gestern im Kabinett das Kli- Sie bei Ihren Verhandlungen von einem 1-Prozent-Ziel mapaket beschlossen worden ist. Die CDU-Vorsitzende der Wirtschaftsleistung als deutschem Beitrag ausgehen. hatte einen nationalen Klimakonsens angekündigt. In ih- Frau Bundeskanzlerin, diese Ihre Einschätzung teilen wir. rem Sommerinterview wurden parteiübergreifende Ge- Wie viel anders ist das aber als das, was Sie in Ihrem spräche angekündigt. Was wird daraus? Ein reguläres Koalitionsvertrag geschrieben haben, wo Sie seinerzeit parlamentarisches Verfahren. Welche Autorität hat die von sich aus als deutsche Koalition angeboten haben, CDU-Bundesvorsitzende eigentlich, wenn deren Ankün- mehr in die Europäische Union einzahlen zu wollen, ohne digungen belanglos sind? Und welches Interesse haben die Frage zu stellen, wofür? Da müssen doch unsere Part- Sie eigentlich an einem parteiübergreifenden Konsens, ner in Europa irrewerden, wenn auf der einen Seite öffent- der auch Regierungswechsel und Legislaturperioden lich angeboten wird: „Wir zahlen mehr“ und es kurze Zeit überdauert? Gerade in der Frage des Klimaschutzes wird später dann heißt: Deutschland will einen Rabatt. – Das es darauf ankommen, Leitlinien zu beschreiben, die län- ist nicht die Verlässlichkeit und das Leadership, das an- ger als nur zwei Jahre halten – also bis zur nächsten dere von Ihnen in Europa erwarten und das wir von Ihnen Bundestagswahl, die dann spätestens stattfindet – und erwarten. Eine klare Linie wäre notwendig. die Planungssicherheit und Berechenbarkeit bis ins nächste Jahrzehnt gewährleisten. Es ist ein bedauerliches (B) (D) (Beifall bei der FDP – Dr. Franziska Brantner Versäumnis, dass Sie das Angebot der Opposition in die- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein ser Frage in den Wind geschlagen haben. Leadership, sondern Status quo!) (Beifall bei der FDP) Dann muss man auch die Frage stellen: Wie zukunfts- fähig wird eigentlich der Haushalt der Europäischen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Union? Die SPD hat sehr präzise aufgenommen, was Sie gesagt haben. Den Gesichtsausdruck von Herrn Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der CDU/ Schulz, der das in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt CSU Fraktion, Ralph Brinkhaus. hat, bei dieser Passage Ihrer Regierungserklärung hätten (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sehen müssen. Richtig ist aber, dass wir über die Strukturhilfen spre- Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): chen, die es gibt. Welche Bedeutung und welchen Erfolg Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kol- haben die Struktur- und Regionalfonds eigentlich gehabt? lege Lindner, was für einen besseren Platz gibt es, um Da müssen wir heran. Nicht pauschal mehr Geld für die einen Konsens zu erzielen, als dieses Hohe Haus, den Europäische Union zu geben, ist europafreundlich, son- Deutschen Bundestag – dafür ist er da –, als den Vermitt- dern das Geld darauf zu konzentrieren, wo es einen wirk- lungsausschuss und auch den Bundesrat? Insofern besteht lichen Mehrwert gibt, also Forschung, Außenpolitik, hier, denke ich mal, kein Widerspruch. transeuropäische Netze, Grenzschutz und Innovation. Da erwarten wir von Ihnen Initiativen für einen anderen, (Lachen des Abg. Christian Lindner [FDP]) einen zukunftsfesten Haushalt der Europäischen Union. Meine Damen und Herren, Europa ist eine Wertege- meinschaft. Wir haben uns einen Wertekanon über mehr (Beifall bei der FDP) als 3 000 Jahre erkämpft – blutig und mit vielen, vielen Zuletzt, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie über den Kli- Opfern –, in dem wir heute zusammenleben. In diesem maschutz und einen europäischen Green New Deal ge- Wertekanon spielen die Würde des Menschen, Toleranz sprochen. In welchem Zusammenhang steht aber das Kli- gegenüber Andersdenkenden und auch Andersgläubigen, mapaket, das Sie gestern im Kabinett beschlossen haben, Respekt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eine große zu einer europäischen Klimapolitik? Sie widersprechen Rolle. Wir alle sind als Europäer aufgerufen, diese Rechte doch geradezu einem europäischen Einsatz. Wir haben zu verteidigen. Wir machen das hier in Deutschland, aber seit Jahren, um nur ein Beispiel zu nennen, einen Zertifi- auch sehr gerne, indem wir – teilweise zu Recht – auf katehandel im Flugverkehr. Was macht die deutsche Re- andere Länder zeigen. Aber ich glaube, die schrecklichen 14394 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Ralph Brinkhaus (A) Anschläge von Halle zeigen uns, dass wir auf uns selbst nationale Parlamente, vielleicht eine noch größere, weil (C) erst einmal zeigen müssen, wenn es darum geht, diesen die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament europäischen Wertekanon zu verteidigen. schwieriger geworden sind. Wir sind nicht nur der natio- nale Gesetzgeber, nein, wir haben auch eine europäische (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Verantwortung als Treiber im Prozess der europäischen Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Gemeinsamkeiten, aber auch – das ist uns ebenso aufge- GRÜNEN]) geben worden – als Bremser dort, wo das Subsidiaritäts- Ich will jetzt überhaupt nicht spekulieren, was den At- prinzip verletzt wird. tentäter von Halle zu dem gemacht hat, was er ist, und wer dafür verantwortlich war. Aber Fakt ist: Wir haben hier Wir sind die Anwälte unserer nationalen Bürgerinnen ein Klima – das ist eben schon gesagt worden – der Ver- und Bürger auf europäischer Ebene. Deswegen ist meine rohung. Das fängt im Netz an und hört im Deutschen Fraktion entschlossen, noch mehr in Richtung Europa zu Bundestag auf. Oder ist es vielleicht auch umgekehrt, arbeiten, sich noch mehr in Brüssel mit unseren Frak- dass es hier anfängt und im Netz aufhört, meine Damen tionskollegen aus den anderen nationalen Parlamenten und Herren? zu vernetzen. Deswegen hat meine Fraktion ein Posi- tionspapier erstellt, in dem wir ganz genau die Erwartun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen an die neue Kommission, an Ursula von der Leyen neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE aufschreiben. Ich möchte drei Dinge aus diesem Posi- GRÜNEN und des Abg. Christian Lindner tionspapier herausgreifen. [FDP]) , was ich herausgreifen möchte – das ist so Deswegen sind wir alle aufgerufen, uns klarzuma- aktuell, wie es nur sein kann –, ist, dass wir beim Konflikt chen – darin sollten wir uns einig sein –: Wir hier im der Türkei mit Syrien festgestellt haben, dass es ganz, Deutschen Bundestag haben eine ganz besondere Rolle. ganz schwierig ist, eine gemeinsame europäische Haltung Wir haben eine Vorbildfunktion. Wenn wir nicht respekt- dazu zu entwickeln. Wenn wir nicht in der Lage sind, eine voll und achtsam miteinander umgehen, wenn wir nicht gemeinsame europäische außenpolitische Haltung zu ent- die Worte wägen – denn aus Worten werden Taten, meine wickeln, dann verzwergen wir uns, dann machen wir uns Damen und Herren –: klein, (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) (Zuruf von der AfD: Das sind wir schon!) Wer soll es denn sonst machen? Das sollte uns hier in diesem Haus Verpflichtung sein. weil wir dann keine Rolle mehr spielen. Es reicht nicht, eine Haltung zu definieren; wir müssen auch unsere In- (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- teressen definieren. Und unsere Interessen liegen nicht (D) neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- nur in der Türkei und in Syrien, sie liegen beispielsweise SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD) auch auf dem Westbalkan; auch das hat die Bundeskanz- Ich finde es sehr erstaunlich, dass genau an dieser Stel- lerin gesagt. le jetzt Widerspruch vonseiten der AfD kommt; das kön- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei nen Sie an den Fernsehbildschirmen nicht hören. Aber es Abgeordneten der SPD) kam an dieser Stelle, nach dem eben von mir gesagten Satz Widerspruch von der AfD, meine Damen und Her- Und unsere Interessen liegen auch in Afrika. ren. Um unsere Interessen zu wahren, müssen wir hand- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem lungsfähig sein, und handlungsfähig können wir nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- sein, wenn die europäischen Regeln in der Außenpolitik ordneten der FDP und der LINKEN) so weitergelten wie bisher. Wir müssen wirklich hinter- Wir sollten uns auch einig sein: Als wertegeleitete Euro- fragen, ob das Einstimmigkeitsprinzip nicht durch eine päer ist es unser aller Aufgabe, jüdisches Leben auf die- qualifizierte Mehrheit ersetzt werden muss. sem Kontinent zu sichern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der SPD – Zurufe von der AfD) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Warum haben Wir brauchen auch eine gemeinsame europäische Ent- Sie es nicht gemacht?) wicklungspolitik; denn es ist eines der Kernelemente des europäischen Wertekanons, dass wir über Entwick- In unserem wertegeleiteten Europa stehen wir nicht vor lungspolitik versuchen, Frieden in dieser Welt zu stiften, einer Zäsur, aber vor einem Neuanfang. Wir haben ein soweit es uns möglich ist. Ja, aber wir brauchen auch eine neues Parlament, und wir haben eine neue Kommission. stärkere europäische Verteidigungspolitik. Wir sind der Wir werden – die Bundeskanzlerin hat darauf hingewie- Meinung: Wir brauchen einen europäischen Sicherheits- sen – über den mehrjährigen Finanzrahmen sprechen, im rat. Wir sind der Meinung, dass die europäischen Armeen Zuge dessen wir festlegen werden, was unsere Prioritäten mehr kooperieren müssen. Ja, wir sind auch der Meinung: bis 2027 sein werden. Und ja, es ist so: Wir haben den Wir brauchen mehr gemeinsame europäische Rüstungs- Brexit. Ein Land tritt erstmals aus der Europäischen projekte. Union aus. – Jetzt ist die Frage: Was ist die Rolle des nationalen Parlamentes? Wir haben eine große Rolle als (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14395

Ralph Brinkhaus (A) Nur, meine Damen und Herren, das bedeutet, dass am entsprechend müssen unsere Schwerpunkte im Bereich (C) Ende des Tages nicht alles nach deutschen Maßstäben und Außen- und Sicherheitspolitik liegen, müssen unsere Regeln ablaufen kann. Wenn wir das europäisch regeln, Schwerpunkte im Bereich Technologie und Innovation dann müssen wir an der einen oder anderen Stelle Ab- liegen, müssen unsere Schwerpunkte in diesem mehrjäh- striche machen bei Dingen, die uns wichtig und lieb sind. rigen Finanzrahmen im Bereich Klima, Umwelt und Öko- Das beinhaltet der Kompromiss. Der erste Punkt ist also logie liegen. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion wer- die Erwartung an die neue Kommission, eine gemeinsa- den darauf achten, dass genau das im mehrjährigen me Außenpolitik zu entwickeln. Finanzrahmen enthalten ist. Der zweite Punkt ist: Wir müssen eine gemeinsame (Beifall bei der CDU/CSU) Zukunftspolitik machen. Wir brauchen einen Schwer- Jetzt ist es so, liebe Freundinnen und Freunde, meine punkt in der Europäischen Union auf Innovation, auf Damen und Herren, dass wir den Weg mit einem dicken Technologie. Wir brauchen einen gemeinsamen europä- Ziegelstein im Rucksack gehen: Und das ist der Brexit. ischen Digitalmarkt. Wir müssen sehr viel, viel mehr ma- Wir hätten uns gewünscht, Frau Bundeskanzlerin, dass chen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Und weil das wir heute schon weiter gewesen wären; aber es ist nicht in dieser Woche aktuell ist: Wir brauchen eine große Ko- so. Ich habe noch mal nachgeschaut, was wir uns aufge- operation im Bereich Ausbildung, insbesondere im Be- schrieben haben, als der Brexit-Prozess begonnen hat. reich der beruflichen Ausbildung. Das sind nur einige Wir haben gesagt: Wir wollen respektvoll mit den Briten Punkte, die wir formuliert haben und die unseren Konti- verhandeln, weil sie immer unsere Freunde waren, sind nent zukunftsfähig machen. und auch bleiben werden. Wir wollen deswegen respekt- (Beifall der Abg. Nadine Schön [CDU/CSU]) voll mit den Briten umgehen, weil sie uns in ihren Werten und Einstellungen sehr nahe sind. Wir wollen deswegen Der dritte große Punkt – ihn haben wir an den Anfang respektvoll mit den Briten umgehen, weil es auch nach unseres Positionspapiers gestellt, und er spielt auch bei dem Brexit viele, viele Arten der Zusammenarbeit geben Ursula von der Leyen eine ganz wichtige Rolle – ist das wird und geben muss. Daran haben wir uns, meine Da- Thema Klima und Umwelt. Ja, wir haben einiges in men und Herren, auch gehalten. Ich kann seitens der Deutschland auf den Weg gebracht – ich weiß, darüber CDU/CSU-Bundestagsfraktion nur ein Lob an Michel wird diskutiert –, was wir übrigens mit einer bemerkens- Barnier aussprechen. Wir sind in diesem Prozess fair ge- werten Geschwindigkeit – das ist jetzt an die Adresse der blieben – das ist überhaupt keine Frage –, wir sind als Bundesregierung gerichtet – umsetzen. Jede Woche set- Europäer zusammengeblieben, wir haben uns nicht auf- zen wir um, was wir am 20. September beschlossen ha- spalten lassen. Das war nicht selbstverständlich. ben. Es gibt natürlich Menschen, die sagen: Was nützt es, (B) wenn ihr das alleine auf deutscher Ebene macht? Wir Meine Damen und Herren, wir haben – und das gehört (D) brauchen eine europäische Lösung. – Und genau diese zur Fairness dazu – auch gesagt: Es wird kein Rosinenpi- europäische Lösung ist von Ursula von der Leyen skiz- cken geben, sondern wer die Belastungen trägt, der hat ziert worden. Kern dieser europäischen Lösung ist zum auch den Vorteil. Und es kann nicht sein, dass jemand Beispiel, dass der Zertifikatehandel auf die Non-ETS-Be- Vorteile aus dieser Europäischen Union hat, der die Be- reiche, nämlich Mobilität, Gebäude und Wärme, ausge- lastungen nicht trägt. dehnt wird. In meiner ersten Rede zu diesem Thema habe ich eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sache gesagt – die hat uns getragen und trägt uns auch heute noch –, nämlich dass es keine Lösung geben kann, Deswegen ist es richtig, dass in unserem Konzept der die das Karfreitagsabkommen infrage stellt, dass es keine Zertifikatehandel steht; denn er ist in Europa anschluss- Lösung geben kann, die aus Nordirland wieder einen fähig. Ich glaube, das muss unser Ansinnen sein, meine Platz von Krieg und Terror macht. Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Beifall bei der CDU/CSU) Abgeordneten der SPD und der FDP) Das, was wir inhaltlich wollen, ist das eine. Das andere Das muss uns, meine Damen und Herren, auch leiten, ist – auch darüber wird bei diesem europäischen Gipfel und das sind ja auch die Knackpunkte, über die noch ge- gesprochen –: Wie wird das finanziell verankert? Es wird redet wird. Und ich glaube, es ist richtig, dass wir uns die finanziell verankert in einem mehrjährigen Finanzrah- Zeit dafür nehmen, darüber zu reden; denn da jetzt etwas men. Das ist anders als bei uns hier im Bundestag. Wir Falsches zu machen, hätte fürchterliche Folgen. werden uns auf die Eckpunkte der nächsten sechs oder sieben Jahre festlegen. In diesem mehrjährigen Finanz- Damit komme ich zum Anfang meiner Rede zurück. rahmen können wir Prioritäten setzen. Wir können die Ich habe gesagt: Europa ist ein Werteprojekt; das ist über- Prioritäten so setzen, dass wir jedem etwas geben, damit haupt keine Frage. Aber Europa ist auch – und das sehen er irgendwie politisch befriedet ist. Wir können diesen wir wieder einmal am Beispiel Nordirland und Irland – Finanzrahmen so setzen, dass wir jedem etwas geben, immer noch das größte und erfolgreichste Friedenspro- der Strukturen erhalten will. Oder wir können diesen Fi- jekt der Menschheitsgeschichte. nanzrahmen so setzen, dass wir ihn konsequent auf Zu- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) kunft ausrichten. Und das muss doch unser Ansatz sein. Europa muss ein Zukunftsprojekt sein und kein Projekt, Deswegen ist es gut und deswegen ist es richtig, dass wir – das den Nachlass verwaltet, das irgendwie bewahrt. Dem- wie vor jedem Europäischen Rat – hier heute darüber 14396 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Ralph Brinkhaus (A) debattieren, damit wir uns vergewissern und uns daran die langfristige strategische Ausrichtung der Europä- (C) erinnern, wie wichtig dieses Europa für den Frieden auf ischen Union, es geht um zentrale Weichenstellungen. diesem Kontinent ist. Wir alle wissen und sehen, dass sich die Europäische Union in einer ihrer schwersten Krisen befindet. Danke schön. Und, Herr Brinkhaus, EU als Friedensprojekt – ja, sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gut; aber es zeigt sich doch aktuell am Umgang mit der Türkei, in welch dramatischer Krise wir uns befinden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Während wir hier reden, rollen Panzer von der Türkei Jetzt hat das Wort der Fraktionsvorsitzende der Linken, nach Syrien. Jahrelang wurde – auch von hier – der Tür- Dr. Dietmar Bartsch. kei immer wieder signalisiert, dass sie kulturell nicht zur EU passe. Damit haben wir bzw. Sie auch die säkularen (Beifall bei der LINKEN) und demokratischen Kräfte in der Türkei im Stich gelas- sen. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich teile ja Ihre Sicht und Ihre Ich will zunächst ganz kurz Bemerkungen zu den Auffassung, die Aufrufe an Erdogan. schrecklichen Ereignissen in Halle machen: Ich danke (Jan Korte [DIE LINKE]: Zuhören! Hallo, Frau dem Bundestagspräsidenten für seine Worte. Ich finde Bundeskanzlerin, zuhören!) es richtig und vernünftig, dass wir im Anschluss an diese Regierungserklärung und die entsprechende Debatte eine Das ist ja insoweit okay. Aber man muss eines auch er- Vereinbarte Debatte dazu haben. Ich schließe mich den wähnen: Sie haben Herrn Erdogan und die Entwicklung Einschätzungen des Kollegen Rolf Mützenich ausdrück- ja leider, leider unterstützt. Ich will da nur an Ihre Reise lich an, will aber an uns alle appellieren, dass wir eine vor dem entscheidenden Verfassungsreferendum Anfang Verantwortung tragen, und sagen, dass ich mir vor allen 2017 erinnern. Damit haben Sie faktisch Wahlhilfe für Dingen wünsche, dass sich diese Verantwortung dann Erdogan geleistet. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. auch in den anstehenden Haushaltsberatungen zeigt, wo (Beifall bei der LINKEN) wir Projekte, die gegen Rechtsextremismus sind, eben nicht kürzen, sondern aufstocken sollten, meine Damen Jetzt, im Herbst des Jahres 2019, zeigt sich ohne jeden und Herren. Zweifel: Erdogan ist ein Diktator mit Groß- machtfantasien, der einen völkerrechtswidrigen und ver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- brecherischen Krieg führt. Meine Damen und Herren, der (B) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mann hält sich nicht an internationale Absprachen, er hält (D) Zum Europäischen Rat: Ich habe der Bundeskanzlerin sich nicht an geltendes Recht. Mir ist eines nicht klar: aufmerksam zugehört, und mir ist aufgefallen, dass ihre Warum sind Sie als Bundesregierung eigentlich so ängst- Worte den Reden in den vergangenen Jahren sehr, sehr lich? Warum trauen Sie sich nicht einmal, das als völker- ähnlich waren. Es geht wieder um das Thema Irland/ rechtswidrig zu bezeichnen? Nordirland. Es geht um die Zollfrage. Wir sind auf einem besseren Weg, aber noch nicht am Ziel. Das alles ist (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- mehrfach gesagt worden, und wir können nur feststellen, ten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE die Farce – als die ich all das bezeichne – zieht sich in- GRÜNEN) zwischen schon drei Jahre hin. Es gibt allerdings eine Ich kann Ihnen sagen, warum das so ist: Das Flüchtlings- gewaltige Veränderung, und das ist die Tatsache, dass abkommen ist das Erpressungsmaterial, meine Damen inzwischen Boris Johnson Premierminister ist. Er hat of- und Herren. Das Flüchtlingsabkommen versorgt Ankara fensichtlich eine eigene heilige Mission, und das ist die, mit Milliarden, damit Sie Ihre Verantwortung in der EU Premierminister Boris Johnson zu sein. gegenüber den Menschen, die flüchten, nicht wahrneh- men müssen. Das ist die Wahrheit. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) Die hat er erfüllt. Und ich kann nur feststellen: Das ist (Beifall bei der LINKEN) jemand, der noch 2009 in der Parteifamilie der Union war. War es nicht mal Staatsräson, sich nicht erpressbar zu Da sieht man, wie schnell das geht: vom Konservativen machen? Wir sind erpressbar, und das ist überhaupt nicht zum Rechtspopulisten. zu akzeptieren, meine Damen und Herren. (Tino Chrupalla [AfD]: Blödsinn! So ein (Beifall bei der LINKEN) Unsinn!) Weiterhin ist es so, dass Erdogan mit Rüstungsgütern Und ich wünsche mir, Frau Merkel, dass Sie aufpassen, versorgt wird. Seit 2000 sind für 1,75 Milliarden Euro dass das bei Ihrer Partei nicht auch passiert. Das wäre Waffen an die Türkei geliefert worden. 2018 und 2019 zumindest günstig. war die Türkei der größte Abnehmer deutscher Waffen- exporte, und bis Ende August dieses Jahres ist wiederum (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – der höchste Anteil von Deutschland geliefert worden. Das Zuruf von der CDU: Da besteht keine Gefahr!) nennen Sie restriktiv? Nein, das ist überhaupt nicht rest- Bei den Treffen, meine Damen und Herren, geht es riktiv. Die Wahrheit ist, dass der Angriffskrieg gegen die natürlich nicht nur um den Brexit, sondern es geht um Kurden in Nordsyrien eben auch mit deutschen Panzern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14397

Dr. Dietmar Bartsch (A) geführt wird. Diejenigen, die das genehmigt haben, soll- man gar nicht sagen. Setzen Sie sich bitte bei der Europä- (C) ten keine Nacht mehr schlafen können! ischen Union dafür ein, dass es eine humanitäre Lösung für diese Kinder gibt. Das ist doch das Mindeste, was da (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- morgen rauskommen kann. Es sind gar nicht so viele. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bitte klären Sie das, Frau Merkel. Und die Verantwortlichen in den Rüstungskonzernen, die blutige Profite verdienen, sollten ebenfalls nicht schlafen (Beifall bei der LINKEN und dem können, weil sie nämlich an diesem Wahnsinn beteiligt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind. Wir stehen vor Riesenherausforderungen. Es ist so, dass die Kommission immer noch nicht eingesetzt wer- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- den kann. Und interessanterweise ist das Verhältnis ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland-Frankreich jetzt doch vielfach belastet. Da Meine Damen und Herren, es sind die Kurden – und im geht es um die Beitritte. Herr Macron macht Frau von der Übrigen vor allen Dingen die Kurdinnen und Kurden die Leyen verantwortlich, dass die französische Kandidatin an Erdogan ausgeliefert worden sind. Das sind diejeni- nicht gewählt worden ist. Also, der deutsch-französische gen, die die Jesiden zu einem großen Teil vor Tod und Motor stockt offensichtlich sehr. Damit steht auch die Versklavung bewahrt haben. Das sind diejenigen, die tap- Politikfähigkeit der EU infrage. Eines aber ist wiederum fer gegen den IS gekämpft haben. Das ist die Wahrheit. komisch: Ausgerechnet bei Rüstungsexporten kriegten Und wenn jetzt der Generalkommandant Mazlum Koba- Sie gestern eine Lösung hin, nämlich dass 20 Prozent ne wegen des Schutzgesuches an Syrien sagt: „Wenn wir auch deutscher Rüstungsgüter zum Beispiel nach Saudi- zwischen Kompromissen und Genozid an unserem Volk Arabien reingehen können. Das ist doch unfassbar, dass entscheiden müssen, entscheiden wir uns natürlich für das es bei Rüstung immer klappt, aber bei den wichtigen Sa- Leben unserer Menschen“, müssen diese Worte doch alle chen – Kommissionsbesetzung und, und, und – klappt es mehr als nachdenklich machen. Deswegen erwarte ich nicht, meine Damen und Herren. nicht nur, dass keine Waffenexporte in die Türkei mehr genehmigt werden, sondern insbesondere, dass es einen Wir wollen, dass es endlich ein Europa gibt, das auch sofortigen Exportstopp gibt. sozial ausgerichtet ist, wo wirklich Interessen, die den Menschen entsprechen, wahrgenommen werden. Setzen (Beifall bei der LINKEN und dem Sie sich dafür ein, Frau Bundeskanzlerin! Dann können BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir Sie auch partiell unterstützen. Keine einzige Waffe darf mehr an die Türkei geliefert Herzlichen Dank. (B) werden, meine Damen und Herren! Das setzen Sie mal (D) beim EU-Gipfel durch! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der Fraktion Bünd- Die Situation ist in Wahrheit jedoch eine völlig andere. nis90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. Die Bundesregierung hat Anfang der Woche die Weisung ausgegeben, dass ein europäisches Waffenembargo an die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Türkei zu verhindern ist. Das ist doch unfassbar, meine Damen und Herren! Sie bremsen faktisch ein hartes Vor- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gehen, obwohl wir viel härter vorgehen müssten, ob es Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nun Hermesbürgschaften sind, ob es das Einfrieren von Kollegen! Der Täter des schrecklichen antisemitischen Vermögen ist oder, oder, oder. Anschlags in Halle mag bei dieser Tat alleine gehandelt Und eines will ich noch sagen: Wir sind mit der Bun- haben; aber er war Teil eines rechtsextremen Netzes aus deswehr in einer gemeinsamen Mission beim Einsatz Hass und Hetze, das auch im Internet besteht. Counter Daesh. Da sind auch vier Aufklärungstornados (Beatrix von Storch [AfD]: Jetzt bin ich ja in Absprache mit der Türkei unterwegs. Können Sie ei- gespannt, was kommt!) gentlich garantieren, dass diese Aufnahmen, diese Bilder jetzt nicht im Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden Es ist bereits erwähnt worden: Wenn darauf hingewiesen genutzt werden? – Wir dürfen diesen Einsatz auf gar kei- wird, welche Tweets aus den Reihen der Fraktion der AfD nen Fall verlängern, meine Damen und Herren! abgesetzt werden – und das verdeutlicht noch mal, wie problematisch Sie sind –, dann empören Sie sich nicht (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- über Ihren Kollegen, der die antisemitischen Tweets ab- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) setzt, nein, Sie empören sich darüber, dass darauf hinge- Das wäre mal eine Ansage, die deutlich macht, wo die wiesen wird, dass antisemitische Tweets aus Ihren Reihen Bundesregierung steht. abgesetzt werden. Das zeigt das wahre Gesicht der AfD. Das zeigt, dass die AfD eben keine demokratische Partei Ich will gleich noch eine Bemerkung anschließen – ist. was ich selten mache – zu einem Entschließungsantrag von uns. Da geht es um die Aufnahme unbegleiteter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Flüchtlingskinder, die in Griechenland aktuell unter bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- schlimmsten Bedingungen leben müssen – leben kann ordneten der CDU/CSU) 14398 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Anton Hofreiter (A) Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich persönlich Sie haben gesagt, dass die Kommission handeln will und (C) weiß nicht, mit welchen Erwartungen Sie nach Brüssel bis 2050 das Ziel der Klimaneutralität erreichen will. Sie fahren. Aber angesichts des schwachen Beitrags, den Ihre haben aber nicht gesagt, ob die Bundesregierung das un- Bundesregierung zur Lösung vieler Herausforderungen, terstützt. Ich erwarte, dass die Bundesregierung das unter- vor denen die Europäische Union steht, leistet, kann ich stützt. Vor allem erwarte ich, dass Sie es unterstützen, Ihnen nur sagen: Ich erwarte von Ihrem Beitrag nicht dass die 2030-Ziele angeschärft werden; denn ein An- besonders viel. – Wir haben ja eine ganze Reihe von schärfen der 2030-Ziele ist notwendig, um das Ziel der Problemen: außenpolitische Krisen wie in Syrien mit Klimaneutralität bis 2050 überhaupt zu erreichen. dem völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei, den Brexit, die Herausforderungen, die sich aus der Klimakrise er- Frau Bundeskanzlerin, schauen wir uns einmal Ihr Kli- geben. Für all dies bräuchten wir eine starke, eine hand- mapäckchen an: Mit diesem Klimapäckchen werden Sie lungsfähige Europäische Union. Davon sind wir leider nicht Ihre eigenen 2030-Ziele erreichen, damit werden noch weit entfernt. Und, Frau Bundeskanzlerin, von Ihrer Sie nicht das Pariser Klimaschutzabkommen erfüllen, Regierung kommt viel zu wenig, um dies zu ändern. und damit werden Sie ganz sicher auch keine angeschärf- ten 2030-Ziele erreichen. Deswegen sage ich: Sorgen Sie Frau Merkel, Sie haben hier zwar schöne Worte gefun- endlich für wirksamen Klimaschutz. Was wir brauchen, den, geradezu eine Lyrik des Haushaltes vorgetragen, ist eine Bundesregierung, die europapolitisch handlungs- aber Ihre Bundesregierung blockiert und verhindert, dass fähig ist, eine Bundesregierung, die sich endlich traut, die EU die Finanzmittel bekommt, die sie zur Lösung der klimapolitisch zu handeln, und nicht auf dem kleinsten Probleme braucht. gemeinsamen Nenner verharrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Deswegen sage ich: Hören Sie auf, hier schöne Worte zu finden, sondern beenden Sie endlich die Blockade. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel, wir würden uns einfach sehr wünschen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dass Sie mit dazu beitragen, dass die Europäische Union außenpolitisch handlungsfähig wird. Die Europäische Nächster Redner ist der Kollege Martin Schulz, SPD. Union ist ja außenpolitisch auch deshalb nicht handlungs- (Beifall bei der SPD) fähig, weil sie durch den Deal mit dem Autokraten Erdo- gan erpressbar ist. Inzwischen bemüht sich ja sogar Herr Seehofer darum – selbst Herr Seehofer! –, dass wir eine Martin Schulz (SPD): (B) Verteilung der Geflüchteten in Europa hinbekommen. Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Her- (D) (Beifall bei Abgeordneten des ren! Am 17. Oktober 2018, also genau heute vor einem BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jahr, hat der Deutsche Bundestag in der Debatte über die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur Vorberei- Doch was macht die FDP, was macht Herr Lindner? An- tung eines folgenden Europäischen Rates über den Brexit statt das zu unterstützen und damit die Handlungsfähig- diskutiert und über einen Deal, der schon abgeschlossen keit der Europäischen Union zu verbessern, greift Herr war, von dem zu diesem Zeitpunkt die Premierministerin Lindner Herrn Seehofer von rechts an. des Vereinigten Königreichs, Theresa May, sagte: The best deal we could get – der beste Deal, den wir bekom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- men konnten. Das war ein Deal, dem alle anderen 27 EU- wie bei Abgeordneten der SPD – Christian Staaten zugestimmt hatten, darunter solche, die sehr skep- Lindner [FDP]: Ja!) tisch gegenüber der europäischen Integration sind, Polen Das ist skandalös und zeigt, wie wenig die FDP die geo- zum Beispiel oder Ungarn. Warum war das damals so? politischen Herausforderungen begriffen hat. Weil die Europäische Union und ihr Verhandlungsführer, Michel Barnier, den Briten in fast allen Punkten entge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gengekommen waren. So viel zu dem Thema: Wie weit und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten muss die Europäische Union Großbritannien entgegen- der SPD und der CDU/CSU – Christian kommen? Lindner [FDP], an den Bundesminister Horst Seehofer gewandt: Sie wären doch beim Fami- Die Regierungschefin von Großbritannien, die damals liennachzug auch umgefallen, schon vor zwei die Verhandlungen führte, bezeichnete das als den besten Jahren! Drehhofer!) Deal, den dieses Land bekommen kann. Sie ging dann Frau Merkel, was wirklich notwendig wäre, ist, dass Sie zurück nach London und traf auf eine radikalisierte Grup- deutlich machen, dass der Angriff der Türkei in Nord- pe ihrer eigenen Partei, die in Kombination mit den Ultra- syrien völkerrechtswidrig ist, dass Sie sich endlich trauen, nationalisten aus Nordirland nicht bereit war, diesen Deal das zu sagen; denn schon Ihr Handeln bzw. Nichthandeln zu akzeptieren. Der Anführer dieser Bewegung hieß: Bo- bezüglich Afrin hat die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ris Johnson. Dieser Mann ist heute Ministerpräsident. die Türkei wieder in syrische Kurdengebiete einmar- Wie können wir erwarten, dass wir mit dem einen fairen schiert. Deal hinbekommen? Frau Merkel, Sie haben etwas zu den großen Heraus- (Tino Chrupalla [AfD]: Das ist nun mal so, forderungen, die sich aus der Klimakrise ergeben, gesagt. Herr Schulz!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14399

Martin Schulz (A) Alles, was zurzeit abläuft mit diesen Leuten im briti- führen. – Darum wird es in dieser Verhandlungsnacht (C) schen Unterhaus, muss betrachtet werden und nicht nur gehen. das, was in der Nacht verhandelt wird. Ich bin ziemlich sicher, dass die Staats- und Regierungschefs am Ende (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bereit sein werden, einen Kompromiss, der ganz nah bei des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dem ist, was Theresa May ausgehandelt hat, in die Ab- Die Politik dieses Mannes ist klar. Das ist der Ableger stimmung zu geben und dem zuzustimmen. Aber die Ent- von Donald Trump in der Europäischen Union. scheidung wird am kommenden Samstag im Unterhaus fallen. Und die Leute, die dort sitzen, sind die Leute, die (Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) Boris Johnson in die Downing Street gebracht haben. Und – Ja, dass die Methoden, die Trump und Johnson anwen- Boris Johnson ging es vor einem Jahr nicht um die Euro- den, Ihnen gefallen, das wundert mich nicht. Das ist der päische Union, dem ging es auch nicht um den Brexit, gleiche politische Tiefflug, der gleiche politische Flach- dem ging es um ein Machtspiel, kopf, (Tino Chrupalla [AfD]: Das ist ja wie bei ( [AfD]: Das sind gewählte Ihnen!) Volksvertreter, gegen die Sie hetzen!) das er gewonnen hat. Jetzt sitzt er in der Downing Street. wie Sie ihn hier im Bundestag repräsentieren. Hören Sie Jetzt ist es für die Bürgerinnen und Bürger in Groß- doch auf! britannien ebenso wie für die Bürgerinnen und Bürger in allen anderen Ländern der Europäischen Union zum Teil (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sehr schwer, nachzuvollziehen, was da abläuft, warum es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des eine Grenze geben oder keine geben soll, warum es Kon- Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – trollen in der Irischen See geben soll oder nicht. Darum Tino Chrupalla [AfD]: Wahnsinn! Schreien wird es auch gehen. Aber es geht im Wesentlichen um Sie nicht so rum!) etwas ganz anderes, und deshalb müssen wir das Augen- merk auf folgenden Umstand lenken: Er war noch nicht Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: 14 Tage in der Downing Street, da hat er zu verstehen Herr Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage gegeben, was er will. – Boris Johnson will das Vereinigte des Kollegen Bystron? Königreich zum Ableger der Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika machen, vor den Toren der Europä- ischen Union. Martin Schulz (SPD): (B) Nein. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Er will nicht, wie noch Theresa May, eine möglichst nahe Das ist der gleiche intellektuelle Tiefflug, Anbindung an die Europäische Union. (Lachen bei der AfD – [SPD], (Abg. Petr Bystron [AfD] meldet sich zu einer an die AfD gewandt: Getroffene Hunde bel- Zwischenfrage) len!) Boris Johnson hat ganz klar erklärt: Wir wollen mit den den wir in Europa erleben und die gleiche Methodik. Vereinigten Staaten von Amerika eine Präferenzhandels- politik machen, die sich gegen die Europäische Union Ohne jedes Beispiel ist, dass ein Regierungschef aus richtet. einer Telefonunterhaltung mit der Regierungschefin eines anderen Landes bewusst und gezielt Inhalte lanciert. Das (Beatrix von Storch [AfD]: Was für eine hat ja schon Trump-Selenskyj-Qualität, was da abläuft. Hetze!) Warum wird das gemacht? Warum wird die Trump-Me- thode durch Johnson angewendet? Wenn es am Ende so Deshalb sage ich: Man darf nicht am Ende, mitten in sein könnte, dass die Europäische Union sagt: „Um un- der Nacht, morgens um 4 Uhr – wir wissen ja, wie das serer selbst willen werden wir nicht jedem Kompromiss läuft –, wenn keiner mehr die Augen offenhalten kann, zustimmen“, muss es bereits einen Schuldigen geben. sagen: Na, nun mach einen Kompromiss, damit wir das Und wer soll der Schuldige sein? Natürlich die Bundes- Ding vom Tisch kriegen. kanzlerin, natürlich der Macron. Hier wird schon vorweg (Zurufe von der AfD) ein „blame game“ gespielt. Das ist die Methode, mit der man Europa zerstört. Das ist die Methode, mit der man Diesmal darf das nicht so gehen; denn, meine Damen und Vertrauen zerstört. Das ist die Methode, mit der man die Herren, es geht um eines, um den Kernbereich des Be- diplomatischen Grundlagen, die man braucht, um in einer standes des Binnenmarktes der Europäischen Union. globalen Welt zu nachhaltigen Vereinbarungen zu kom- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist men, zerstört. Das, Frau Merkel, dürfen Sie im Europä- nicht mehr so wie früher, wie zu Ihren Zeiten!) ischen Rat nicht zulassen. Man hat am Ende auch die Verpflichtung, Frau Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kanzlerin, auf Folgendes zu achten: Kompromissbereit- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE schaft darf nicht zur Selbstaufgabe der eigenen Prinzipien GRÜNEN) 14400 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Martin Schulz (A) Im Wesentlichen geht es nämlich darum – das ist die (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ (C) Grenzfrage zwischen Irland und Großbritannien –: Be- CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des kommt Boris Johnson was er will, nämlich den ungehin- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) derten Zugang zum größten und reichsten Binnenmarkt der Welt, dem europäischen, ohne gleichzeitig verpflich- damit er den Willen des Volkes vorbringt. tet zu sein, die ökologischen Standards, die sozialen Stan- Die Engländer haben sich in einem Volksentscheid ent- dards, die steuerrechtlichen Standards dieses Binnen- schieden, diese EU zu verlassen. Der wichtigste Grund marktes einzuhalten? Das würde für die Wirtschaft für diese Entscheidung waren Bürokraten wie Sie in unseres Landes – kein Land in der EU ist auf diesen Brüssel. Die Menschen in England haben gesagt: Wir europäischen Binnenmarkt und sein Funktionieren mehr möchten nicht mehr von Brüssel aus regiert werden. als die Bundesrepublik Deutschland angewiesen – bedeu- ten, dass unsere Betriebe, die die Ökostandards und die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sozialstandards einhalten, die anständig Steuern zahlen, NEN]: Er ist nicht demokratisch gewählt wor- erleben würden, dass wir zulassen, dass vor unserer Haus- den!) tür eine Plattform für das Dumping jeder Art und eine Steueroase entstehen. Diese Wettbewerbsverzerrung dür- Also diffamieren Sie den Premierminister nicht dafür, fen wir unseren eigenen Unternehmen und ihren Mitar- dass er sich dafür einsetzt, was das englische Volk will. beiterinnen und Mitarbeitern nicht zumuten. Deshalb: Ja, Das ist genau das, was Sie hier nicht tun. wir wollen eine möglichst enge Anbindung Groß- britanniens an die Europäische Union. Die Frage ist (Beifall bei der AfD) nur: Will Boris Johnson das noch, oder verfolgt er eine völlig andere Politik? Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Schulz, möchten Sie erwidern? – Ja. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Kollege Bystron, würden Sie während der Erwi- GRÜNEN) derung bitte stehen bleiben. So ist es üblich. Darum wird es gehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Deshalb wiederhole ich: Selbstbehauptung ist jetzt ge- GRÜNEN]: Stehen bleiben! Aufstehen! – Wei- fragt. Die Europäische Union ist Großbritannien weit ent- tere Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen) gegengekommen. Ich hoffe, dass es einen fairen Deal – Wenn Sie einen Moment Ruhe bewahren, liebe Kolle- (B) zwischen beiden gibt. Aber eins ist auch klar: Boris John- ginnen und Kollegen, dann kann Herr Bystron mich ver- (D) son war jemand, der vom ersten Tag an in Verbindung mit stehen. seinem Herrenreiter Rees-Mogg und dessen Arroganz ge- genüber jedem und allen, die nicht seiner Meinung sind, Es ist bei uns im Bundestag üblich – es ist nicht im und schon gar gegenüber Europa bewiesen hat, dass er Grundgesetz vorgeschrieben –, dass man eine Antwort des Geistes Kind wie die rechte Seite dieses Hauses ist. In stehend entgegennimmt. einer globalen Welt ist die Renationalisierung die falsche Antwort. Die Globalisierung braucht Regeln – sozial, (Martin Schulz [SPD]: Von mir aus hätte er ökologisch, demokratisch. Das Modell, das dafür steht, sitzen bleiben können! – Gegenruf des Abg. ist die Integration Europas. Tino Chrupalla [AfD]: Sie bleiben immer sit- zen, Herr Schulz! Das wissen wir!) Vielen Dank. – Herr Schulz, aber nach den Regeln, die wir hier haben, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten machen wir es so, und wir belassen es jetzt auch dabei. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Schulz, jetzt haben Sie das Wort.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Martin Schulz (SPD): Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Die britische Regierung, Herr Bystron, wird nach an- Kollegen Bystron, AfD. deren Regeln eingesetzt, als es in anderen Ländern der Fall ist; das nur zu Ihrer Aufklärung. Herr Johnson ist als ( [CDU/CSU]: Auf diese Mitglied des Unterhauses gewählt worden, nicht als Re- Bemerkung können wir auch verzichten!) gierungschef. Dazu ist er von der Queen ernannt worden. Nach meiner Einschätzung hat er im Unterhaus keine Petr Bystron (AfD): Mehrheit, was übrigens der Grund für die Schwierigkei- Herr Schulz, es ist unsäglich, wie Sie hier einen demo- ten bei den Verhandlungen ist. Ich hoffe, Sie haben da- kratisch gewählten Kollegen aus England diffamieren. durch jetzt ein bisschen mehr Einblick in die europäische Das ist ein Premierminister, Politik bekommen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des der von seinem Volk gewählt wurde, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14401

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: europa eine klare Perspektive in der Mitte Europas auf- (C) Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt, zuzeigen. Es ist ein großer Gewinn, dass wir heute so CDU/CSU. viele Gemeinsamkeiten mit Mittel- und Osteuropa haben. (Beifall bei der CDU/CSU) An der Stelle muss ich, sehr geehrter Herr Gauland, schon darauf hinweisen, dass Sie mit einer großen Lei- Alexander Dobrindt (CDU/CSU): denschaft über diejenigen reden, die Europa verlassen. Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit haben Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- diejenigen, die dieses Europa mit Leidenschaft gebaut ren! Ja, es ist doch richtig: Wir können nicht mit den haben und es nicht gespalten haben, dafür gesorgt, dass Rezepten der Vergangenheit die Herausforderungen Eu- wir heute in Wohlstand und in Frieden mit unseren Nach- ropas meistern. Wer meint, er könnte es mit Renationali- barn leben können. sierung schaffen, wer meint, er könnte es alleine, wer meint, er brauche auf der Welt niemand anderen außer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sich selbst, der wird es nicht schaffen, in Zukunft Wohl- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE stand in Europa zu sichern. Aber das ist unsere Aufgabe, GRÜNEN) die wir gemeinsam haben. An der Stelle kann ich Ihnen leider einen Hinweis auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei die Tweets nicht ersparen, auf die mit Blick auf den An- Abgeordneten der SPD) schlag in Halle in Reden jetzt mehrmals Bezug genom- men worden ist. Dass man angesichts dieses Anschlags in Darum hat Martin Schulz natürlich recht mit dem, was er einem Tweet darüber spricht, dass Politiker „in … Syna- sagt. gogen rumlungern“, dass es Ihnen sehr geehrter Herr (Martin Schulz [SPD]: Sehr gut, Alexander!) Gauland, nicht möglich ist, sich davon zu distanzieren und dafür zu sorgen, dass sowas auch Konsequenzen in – Danke. Ich weiß, es ist ungewöhnlich, dass wir uns Ihrer Fraktion hat, bedeutet, dass Sie sich ehrlicherweise gegenseitig loben. sagen lassen müssen, dass es zunehmend unerträglich Aber wenn wir diese Herausforderungen beschreiben, wird, dass Sie hier in diesem Parlament herumlungern. dann glaube ich auch, dass die neue Kommission und die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hier der Linken und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den richtigen Takt vorgeben. Sie hat klar formuliert, dass NEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das be- eine der großen Herausforderungen ein klimaneutrales stimmen Gott sei Dank nicht Sie, Herr Europa ist. (B) Dobrindt!) (D) Lieber Christian Lindner, es ist gerade nicht so, dass Dass wir in diesem Europa jetzt wieder deutlich stärker wir damit einen nationalen Alleingang machen. Das Ge- darauf setzen, dass wir die großen Themen, die interna- genteil ist der Fall: Wir bestimmen das Tempo mit in tionalen Themen bedienen, dass Ursula von der Leyen Europa. Das ist gerade bei den neuen Technologien un- genau darüber spricht, dass es die großen Aufgaben einer sere Aufgabe. Wir als Industrienation, als größte Wirt- zukünftigen Kommission sind, die erledigt werden müs- schaftskraft in Europa, als Exportweltmeister wollen sen, und dass wir keine Kommission brauchen, die quasi doch auch zukünftig bei neuen, bei grünen Technologien als Nationalstaatskommission sich darum kümmert, wei- die Erfolgreichen auf der Welt sein und nicht warten, bis tere Kompetenzen nach innen zu entwickeln, das ist ein andere etwas entwickeln. Deswegen ist es richtig, dass wichtiger Beitrag, wenn es darum geht, auch dafür zu wir im Klimaschutz vorangehen und dafür sorgen, dass sorgen, dass wir wieder mehr Zustimmung in der Öffent- wir in der Zukunft die Ideen für den Weltmarkt produzie- lichkeit für eine europäische Idee erzeugen. ren. Dazu gehört, dass man auch gegenüber Irrungen und (Beifall bei der CDU/CSU) Wirrungen eine klare Absage formuliert. Deswegen, mei- ne Damen und Herren, an all diejenigen, die glauben, man Ja, 1 Billion Euro wird in den nächsten Jahren in Eu- könnte in Europa eine europäische Arbeitslosenversiche- ropa für Investitionen in die Zukunft bereitgestellt, übri- rung organisieren: Eine europäische Arbeitslosenversi- gens auch bereitgestellt für die Sicherung unseres Konti- cherung, die zulasten der Sozialversicherungen in den nents und der Europäischen Union, gerade im Bereich des Nationalstaaten geht, macht kein einziges Land stärker Grenzschutzes mit dem Ausbau von Frontex. Dazu gehört in Europa; die macht den Zusammenhalt schwächer in übrigens auch – das hat Ursula von der Leyen deutlich Europa, und das wollen wir nicht. angemahnt – ein vielleicht neuer, auf jeden Fall respekt- vollerer Ton gegenüber unseren Nachbarstaaten in Mittel- (Beifall bei der CDU/CSU) und Osteuropa. Wir wollen gemeinsam stärker werden und wachsen, Es sei mal daran erinnert: Gerade in diesem besonderen und wir wollen in Europa nicht einseitig umverteilen. Jahr – 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution – sollten Natürlich hat das auch was mit dem Haushalt zu tun, wir uns schon gemeinsam darüber bewusst sein, was die der für die nächsten Jahre fixiert werden soll und über Europäische Union für uns gemeinsam mit unseren ost- den jetzt gesprochen wird. Dieser Haushalt ist stark be- europäischen und mitteleuropäischen Nachbarn bedeutet. einträchtigt auch durch die Situation, dass wir vor einem Meine Damen und Herren, es ist ein Glücksfall der Ge- Brexit stehen und dass wir England möglicherweise als schichte, dass es uns gelungen ist, Osteuropa und Mittel- Partner in der Europäischen Union verlieren. 14402 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Alexander Dobrindt (A) Ich will Ihnen hier klar sagen: Der Brexit ist einer der Deswegen müssen wir genau hinschauen: Welche Bin- (C) schmerzhaftesten Einschnitte in der Geschichte der euro- nenmarktregeln werden gelten? Der Binnenmarkt, das päischen Integration. Es ist schade, wenn wir England als sind eben auch soziale Rechte, Arbeitnehmerschutz, Um- engsten Partner in der EU verlieren, und deswegen geht es weltrecht, Umweltschutz, Verbraucherschutz. Das bedeu- jetzt darum, nicht nur darüber zu reden: Wie kann denn tet auch: Absprachen bei der Steuerpolitik. Da steckt der ein geordneter Brexit ausschauen? Ja, klar, das ist besser Teufel im Detail, und ich bitte diese Bundesregierung, als ein ungeordneter, aber, meine Damen und Herren, nicht zuzustimmen, bevor das Detail geprüft wurde; denn falsch bleibt er trotzdem. Deswegen müssen wir auch am Ende ist der Binnenmarkt wie ein Fahrradschlauch: gerade darüber reden: Wie können wir eine engstmög- Wenn da auch nur ein Loch drin ist, ist das Fahrrad platt. – liche Partnerschaft von England und Deutschland und Wir müssen auf jedes kleine Löchlein aufpassen, damit Europa zukünftig organisieren? am Ende nicht der Binnenmarkt kaputt ist. Diese Prinzi- pien dürfen wir nicht aufgeben. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Großbritannien!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir dürfen nicht nur mit dem Finger auf alle anderen zeigen und sagen: Out is out. – Nein, „Out is out“ darf Frau Merkel hat heute zum europäischen Haushalt ge- nie unser Motto sein. Es geht darum: Wie bekommen wir sprochen. Sie hat im ersten Satz gesagt: Die EU hat große größtmögliche Nähe auch zu England zukünftig in Euro- neue Aufgaben zu finanzieren: Digitalisierung, Außen- pa organisiert? verteidigung, Klima. Im zweiten Satz hat sie gesagt: Es darf nirgends gekürzt werden, vor allen Dingen nicht in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ostdeutschland. Im dritten Satz hat sie gesagt: Es darf Abgeordneten der SPD) auch keinen Cent mehr kosten. – Adam Riese würde sa- gen: Das geht nicht. – Das passt nicht zusammen. Sie Ich weiß, dass die Verhandlungen über den Finanzrah- müssen sich schon entscheiden, und da können wir Ihnen men ausgesprochen schwierig werden, und wir wissen, einen klaren Rat geben: Europas Zukunft gibt es nicht dass wir in Europa neue Aufgaben haben, die wir finan- zum Nulltarif. Nehmen Sie mehr Geld in die Hand! Es zieren wollen. Aber wenn man neue Aufgaben finanziert, ist gut investiertes Geld. Wagen Sie endlich mehr Europa! geht es am Schluss nicht nur darum: Wie kann man neues Geld beschaffen? Es geht vor allem auch darum: Wie (Beifall bei Abgeordneten des kann man mit dem vorhandenen Geld neue Prioritäten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) setzen? Das ist jetzt auch die Herausforderung der Ver- In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie es ja schon drin- handlungen in Brüssel: In Europa Prioritäten setzen, um stehen. Setzen Sie das jetzt um! Es ist unsere Zukunft. (B) die Zukunft Europas und den Wohlstand für unseren Kon- (D) Davon hängt so viel ab! Wir sehen, was in der Welt gerade tinent zu sichern. los ist. Da ist es doch verrückt, jetzt an Europa zu sparen. Herzlichen Dank. Das ist doch das Falscheste, was man tun kann. Wir haben jetzt „50 Jahre Kanzlerschaft Willy Brandt“. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Er hat gesagt: Mehr Demokratie wagen. Er hat außerdem Abgeordneten der SPD) gesagt: Wir machen auch mal die unangenehmen Dinge. – Gehen Sie doch mal in diese Tradition, liebe SPD! Sagen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sie mal Herrn Scholz: Etwas mehr Mut wagen für Euro- Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, hat als pa, für Demokratie, und dafür vielleicht auch mal die Nächste das Wort. schwarze Null infrage stellen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Detlef Seif, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Herren! Gut, dass in die Brexit-Verhandlungen Bewe- gung kommt! Es ist ja ein spannendes Konstrukt, was (Beifall bei der CDU/CSU) wir da haben – manche würden sagen „abenteuerlich“ –: Rechtlich gilt das britische Gesetz, aber alle vereinbaren, Detlef Seif (CDU/CSU): dass sich niemand an das britische Gesetz hält, sondern Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dass stattdessen das europäische gilt. – Weil das so aben- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Get Brexit done! – teuerlich ist, brauchen wir ganz glasklare Verträge und Das war der Spruch auf dem Tory-Parteitag Anfang des Abmachungen, die sicherstellen, dass Nordirland nicht Monats. Wir wollen endlich den Brexit vollziehen. – Und zur Dumpingzone wird, dass es nicht die nächste große es gab frenetischen Applaus, wenn Politiker gesagt ha- Steueroase innerhalb der Europäischen Union wird. Da- ben: Am 31. Oktober ist Schluss. Es folgt keine Verlän- rauf, dies sicherzustellen, kommt es jetzt an. gerung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hier wird eine Dramaturgie aufgebaut, die Johnson sowie bei Abgeordneten der SPD) dann auch mit seinem Angebot noch mal untermauert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14403

Detlef Seif (A) hat. Es handelte sich um das erste und einzige Angebot halb ausgegeben wird, weil es zur Verfügung gestellt (C) von Johnson vom 2. Oktober. Er sagte: Das ist mein letz- wird, aber kein europäischer Mehrwert erkennbar ist, tes Angebot. Nur auf dieser Grundlage kann ein Abkom- muss man sich die Frage stellen: Würde dieses Projekt men geschlossen werden. in Angriff genommen, wenn eben keine Mittel zur Ver- fügung gestellt würden? Da ist ein deutliches Sparpoten- Seit dem Referendum sind fast dreieinhalb Jahre ver- zial. Hier können wir alle von der Kommission erwarten, strichen. Zwei Jahre haben die Briten verplempert. Und dass das auch umgesetzt wird. jetzt kommt Boris Johnson, setzt der EU die Pistole auf die Brust, baut mit seinem Chefberater eine Dramaturgie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf, die uns zwingen soll, im letzten Moment einem Ab- kommen zuzustimmen. Vielen Dank! Meine Damen und Herren, wichtig ist es aber, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. trotz dieser Taktik Johnsons nicht daran gehindert sein Martin Schulz [SPD]) sollten, einen kühlen Kopf zu bewahren. Keine Verhand- lungssituation dieser Welt darf dazu führen, dass wir un- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sere Prinzipien über Bord werfen und im Ergebnis damit Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der der Europäischen Union Schaden zufügen. Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Sicher, für beide Seiten steht viel auf dem Spiel, aber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich besonders für Großbritannien selbst: Politische Instabili- hatte 1992 an der Universität zu Köln im Wahlfach Poli- tät. Die werden in eine handfeste Rezession schlittern. tikwissenschaften die mündliche Prüfung zum politi- Wir alle haben ein Interesse, dass so ein Ergebnis ver- schen System Großbritanniens. Wenn ich in dieser Prü- mieden wird, aber wir dürfen nur einem Abkommen zu- fung gesagt hätte, es sei auch in Großbritannien möglich, stimmen, das die Integrität des Binnenmarkts wahrt. dass jemand Premierminister der Königin wird, der keine (Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner Mehrheit im Parlament hat, hätte man mich, glaube ich, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hochkant aus der Prüfung rausgeschmissen. Wenn, wie vorgeschlagen, Nordirland in einer Zoll- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist falsch! (B) union des Vereinigten Königreichs bleibt, gleichzeitig Das hat es oft gegeben!) (D) Binnenmarktregeln zur Anwendung kommen, aber keine Das zeigt, wie brisant die politische Situation in Groß- Kontrollen auf der irischen Insel durchgeführt werden, britannien ist, und das lenkt, liebe Kolleginnen und Kol- übersteigt das zunächst mal die Fähigkeit, so einen Schritt legen, den Scheinwerfer darauf, dass all das, was jetzt nachzuvollziehen. Da ist höchste Sorgfalt erforderlich; möglicherweise in den Nächten in Brüssel zwischen Bo- sonst werfen wir unsere Prinzipien über Bord. ris Johnson, der EU-Kommission und den Mitgliedsstaa- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ten der Europäischen Union verhandelt wird, am Ende Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE des Tages auch eine Mehrheit im britischen Unterhaus GRÜNEN]) finden muss, genauso wie der Premierminister eine Mehr- heit im britischen Unterhaus für die Regierungserklärung Es ist sehr bedauerlich – wir wollen das alle nicht –; finden muss. Beides ist mit großen Fragezeichen verse- aber wir verplempern eine Menge unserer Zeit mit dem hen. Deswegen kann ich mir sogar vorstellen, dass man Brexit-Verfahren und können uns daher nicht mit den am Ende des Tages doch zu einem Punkt kommt, an dem wichtigsten Themen der Gegenwart beschäftigen. Der beide Seiten vielleicht sagen: Wir müssen uns noch etwas mehrjährige Finanzrahmen der Europäischen Union – er mehr Zeit nehmen. – Zumindest gibt es Kolleginnen und wurde mehrfach angesprochen – ist in den letzten Mona- Kollegen in Großbritannien, die wir übers Wochenende ten deutlich zu kurz gekommen. im Rahmen der NATO-PV getroffen haben und genau das Nach dem vollzogenen Austritt Großbritanniens aus für möglich halten. der Europäischen Union ist eine finanzielle Lücke zu Ich möchte zweitens zum Thema Türkei/Nordsyrien schließen. Alleine bei der Festlegung von 1 Prozent des etwas sagen. Es ist klar gesagt worden, dass wir den Ein- Bruttonationaleinkommens als EU-Haushalt wird satz der Türkei südlich der Grenze für völkerrechtswidrig Deutschland jährlich mit über 10 Milliarden Euro mehr halten, weil er durch den Artikel auf Selbstverteidigung belastet werden. Da kann man einfordern – und dabei ist aus unserer Sicht in dieser Form nicht gedeckt ist. Ich die Bundesregierung zu unterstützen – Sparsamkeit und glaube aber – unabhängig der VN-Charta davon, was Solidität in der Haushaltsführung. die Europäische Union dazu sagt –, dass es noch wichti- Bei dem jetzt vorgelegten Haushalt der Kommission ger ist, dass die NATO eine gemeinsame klare Sprache mit einem Ansatz von 1,114 Prozent des Bruttonationa- findet. Denn auch viele Anhänger Erdogans in der Türkei, leinkommens hat man den Eindruck: Das ist die Blau- Anhänger und Mitglieder der AKP würden es als kritisch pause der vergangenen Jahre – der Fraktionsvorsitzende ansehen, wenn ihr Präsident Streit mit der NATO provo- hat es angedeutet. Es gibt keine neuen Ideen, keine Auf- ziert und die Türkei möglicherweise sogar in ein sicher- gabenkritik, keine Ausgabenkritik. Wenn Geld allein des- heitspolitisches Vakuum jenseits der NATO führt. Ich 14404 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Jürgen Hardt (A) glaube, wenn von der NATO klare Signale kommen – Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ent- (C) dazu sind vielleicht die Verteidigungsminister in der Lage schließungsantrag auf der Drucksache 19/14110. Wer beim Treffen in der kommenden Woche und natürlich stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt auch beim NATO-Gipfel Anfang Dezember –, könnte dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag mit das tatsächlich in der Türkei vielleicht etwas bewegen. denselben Mehrheiten abgelehnt. Ein dritter Punkt, den ich nennen will: Wir haben im Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Entschlie- zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Ich ßungsantrag auf der Drucksache 19/14109. Wir stimmen bin der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie das Thema auf Verlangen der Fraktion Die Linke über den Entschlie- des zukünftigen EU-Haushalts für die nächsten sieben ßungsantrag namentlich ab. Jahre, der ja ab 2021 in Kraft tritt, genannt hat. Denn es wäre wirklich eine große Erleichterung für uns Deutsche, Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die wenn das Schließen einer Vereinbarung über die mittel- vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Alle Urnen sind of- fristige Finanzplanung der EU nicht wieder auf den fenbar vorschriftsmäßig besetzt. Ich eröffne die Abstim- Schultern der deutschen Präsidentschaft im zweiten Halb- mung über den Entschließungsantrag. jahr liegen würde, weil natürlich dann auch die Frage im Raum stünde: Na ja, kann Deutschland nicht über seinen Vizepräsidentin : Schatten springen und vielleicht das eine oder andere Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches Finanzloch decken? – Es wäre deshalb sehr gut, wenn seine Stimme nicht abgeben konnte? – Dann bitte ich, das die Präsidentschaften, die der deutschen Präsidentschaft jetzt zügig zu tun, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres vorhergehen, an diejenigen, die ihre Stimme schon abgegeben haben, bitte diesem Punkt eine Vorentscheidung bzw. gar eine Ent- ich, Platz zu nehmen, damit wir den folgenden Tagesord- scheidung treffen, die Deutschland davon entlastet, an nungspunkt auch mit der entsprechenden Aufmerksam- dieser Stelle wieder der Ausputzer sein zu müssen. keit und Würdigung hier gemeinsam bestreiten können. Ein letzter Punkt, den ich aus der Rede der Bundes- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches kanzlerin hervorheben möchte – ich bin sehr dankbar, seine Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist offensicht- dass sie ihn genannt hat –: Die Europäische Union lich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte braucht mit Blick auf die Herausforderung China eine die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- gemeinsame Strategie, die auch gemeinsam durchgehal- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird ten wird. Auch Deutschland hat mit China immer wieder 1) Ihnen später bekannt gegeben. wichtige Wirtschaftsgespräche geführt, ohne dass man (B) die anderen EU-Staaten entsprechend miteinbezogen Ich bitte jetzt, die notwendige Ordnung im Hause her- (D) hat. Ich finde, wir als Europäische Union sollten zu einer zustellen und Platz zu nehmen. Ich denke, es ist nicht zu gemeinsamen Vorgehensweise gegenüber dieser beson- viel verlangt, sich jetzt zu entscheiden, ob Sie am folgen- deren Form von Imperialismus, den die chinesische Re- den Tagesordnungspunkt teilhaben wollen oder ob Sie gierung pflegt, kommen. Mit diesem „Smart Imperia- andere Dinge – dann aber außerhalb des Plenarsaals – lism“ – so will ich das nennen – soll versucht werden, erledigen müssen. durch Wirtschaftskraft und die Vermengung von Wirt- schaft und Politik in der Welt Einfluss zu nehmen; darauf Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: müssen wir eine gemeinsame Antwort finden. Ich finde es Vereinbarte Debatte gut, dass die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir brauchen eine EU-China-Politik, eine EU-China-Strategie. – Der Bekämpfung des Antisemitismus nach dem Deutsche Bundestag sollte sich dann auch an der Ent- Anschlag auf die Synagoge in Halle wicklung einer solchen Strategie durch entsprechende Debatten hier beteiligen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Herzlichen Dank. Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- Abgeordneten der SPD) minister Horst Seehofer.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD]) Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über drei Entschlie- Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau ßungsanträge der Fraktion Die Linke. und Heimat: Zunächst stimmen wir über den Entschließungsantrag Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- auf der Drucksache 19/14108 ab. Wer stimmt für diesen legen! Ich möchte mich zuerst beim Bundestagspräsiden- Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- ten für seine Worte heute bedanken, weil ich glaube, dass hält sich? – Dann ist der Antrag bei Enthaltung der Frak- sie ein sehr wichtiges, auch geistiges Fundament für un- tion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der ande- sere Debatte heute sind. ren Fraktionen gegen die befürwortenden Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. 1) Ergebnis Seite 14420 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14405

Bundesminister Horst Seehofer (A) Ich kann ihm zustimmen – muss ihm leider zustim- Da gefällt mir auch nicht die Diskussion über die Frage, (C) men –, dass der Antisemitismus in Teilen unserer Gesell- wer zuständig ist. Natürlich sind immer die Länder dafür schaft verankert ist, zuständig, festzulegen, welche Schutzmaßnahmen wo er- griffen werden. Aber ich möchte mich morgen bemühen, (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Im Islamischen dass wir zu einer gemeinschaftlichen Aktion von Bund vor allem!) und Ländern kommen, um diesen Schutz zu gewährleis- mit wachsender Bedeutung für die Sicherheitsbehörden, ten. dass die Thematik Antisemitismus insbesondere in der rechtsextremistischen Szene ein bedeutendes Bindeglied Das Zweite ist: Die Sicherheitsbehörden arbeiten auch darstellt, ebenfalls mit großen Herausforderungen für die heute schon hoch motiviert und hoch qualifiziert an der Sicherheitsbehörden verbunden, und dass die Sicherheits- Bekämpfung der antisemitischen Straftaten und aller an- lage, was den Antisemitismus, den Rechtsextremismus deren Alltagsvorfälle, die auch abscheulich sind. Sie sind und den Rechtsterrorismus angeht, in unserem Lande sehr sensibel und aufmerksam. Aber wir müssen sie – sowohl ernst ist. Wir dürfen andere Bereiche deshalb nicht aus das Bundeskriminalamt als auch das Bundesamt für Ver- dem Blick verlieren, aber ich weise seit Monaten darauf fassungsschutz – massiv organisatorisch und personell hin, dass wir in unserem Lande eine hohe Gefährdungs- stärken. Dafür bitte ich das ganze Haus um Unterstützung lage auf diesem Feld haben. Das zu sehen, ist wichtig für bei dem Haushalt für das nächste Jahr, der jetzt ansteht. unsere Debatte. Wir diskutieren nicht nur über dieses ver- Wir können ja nicht so verfahren, dass wir zur Be- abscheuungswürdige Verbrechen in Halle, sondern über kämpfung des Rechtsterrorismus mehr Personal einset- eine Gesamtentwicklung in unserem Lande, übrigens zen und die Organisationen stärken und deshalb woan- auch mit durchaus beachtlichen internationalen Vernet- ders, wo auch Gefährdungen sind, Personal abbauen. Das zungen. Personal kann nur zusätzlich sein. Also so zu handeln, Aus diesem Grunde möchte ich heute einige Punkte wie man es in der Verwaltung oft macht – wir stocken nennen – insgesamt sechs –, über die wir in der Koalition den einen Bereich auf, indem wir den anderen reduzie- einig sind, dass wir sie jetzt zügig angehen, nach Mög- ren –, wird hier nicht möglich sein. Ich habe mich selbst lichkeit schon in der nächsten Woche. Morgen habe ich sehr in diese Zukunftskonzeption reingekniet. Wir brau- die Innenminister der Bundesländer hier in Berlin zu chen für die Bekämpfung der rechtsextremen Szene die Gast, um auch mit den Bundesländern diese Punkte zu gleichen Einheiten, wie wir sie für die Bekämpfung des besprechen. Ich nehme an, dass die Wahrscheinlichkeit, islamistischen Terrors über die Jahre aufgebaut haben. dass wir uns auf diese Punkte verständigen, sehr, sehr Und das geht nur mit zusätzlichem Personal, einigen hoch ist. Denn jetzt kommt es darauf an, dass wir nach Hundert Stellen. Es gibt große zusätzliche Aufgaben für (B) dieser Betroffenheit, nach dieser Trauer, nach diesem die Behörden. Wir werden morgen mit den Vertretern der (D) Leid den Worten, die wir als Politiker gebraucht haben, Bundesländer darüber reden, dass auch die Bundesländer auch wirklich Taten folgen lassen. Das ist jetzt die Auf- in diese Richtung ihre Kapazitäten aufbauen und dass wir gabe der Stunde. zu einer engsten Zusammenarbeit zwischen den Sicher- heitsbehörden kommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Benjamin Strasser Die ganz große Herausforderung besteht darin, dass [FDP]) wir es nach jetzigem Erkenntnisstand mit frustrierten Ein- Ich habe bereits in meiner früheren Verwendung als zeltätern zu tun haben, potenziellen Einzeltätern. Früher Ministerpräsident in Bayern immer wieder die Freude hat man eine Partei beobachtet, und wenn es keine Auf- über das Glück zum Ausdruck gebracht, dass wir in vielen fälligkeit gab, dann wurde nichts veranlasst. Im Unter- Städten und Gemeinden Deutschlands wieder blühendes schied dazu haben wir es heute mit frustrierten Einzel- jüdisches Leben haben. tätern zu tun, die außerhalb der Öffentlichkeit und ohne zunächst erkennbare Verbindungen zu irgendjemandem (Beifall im ganzen Hause) so einen Frust, so eine Gewaltbereitschaft aufbauen. Die- sen einzelnen Personen und ihren Verbindungen in Das war übrigens – das kann man heute gesichert sagen – Deutschland, aber auch international auf die Schliche zu das Hauptziel des Täters, nämlich – in seinem Sprachge- kommen, ist eine gewaltige neue Aufgabe für die Sicher- brauch – so viele Menschen, so viele Juden zu ermorden heitsbehörden. Aber wenn wir glaubwürdig bleiben wol- wie nur möglich. Und wenn die Tür der Synagoge ihn len gegenüber der Bevölkerung, müssen wir diesen nicht daran gehindert hätte, dann hätten wir ein Blutbad schwierigen Weg gehen; er ist anspruchsvoll. erlebt. Daran kann es keinen Zweifel geben. Weil wir wieder blühendes jüdisches Leben haben, Ich war in Halle. Dort hat ein junger Bürger in die müssen wir – das ist mein erster Punkt – alles Menschen- ganze Stille hinein einen Satz gerufen, der für mich wie mögliche tun, um jüdische Einrichtungen in Deutschland ein Stich ins Herz war: Ihr könnt uns nicht schützen! – durch Polizei und durch bauliche Maßnahmen besser zu Der Satz geht mir seit dem Zeitpunkt nicht mehr aus dem schützen, als das heute der Fall ist. Kopf. Ich habe Verständnis für das Gefühl. Die ganze Stadt ist aufgewühlt; der Täter hat ja richtig gewütet, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD auf völlig unbeteiligte Passanten geschossen, sie bedroht. und der FDP sowie bei Abgeordneten der LIN- Und dieser junge Mann rief: Ihr könnt uns nicht beschüt- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- zen! – Das ist für uns alle ein Auftrag: dass dieser Satz NEN) nicht mehr notwendig ist. 14406 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Bundesminister Horst Seehofer (A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP sagen: Wir lassen beim Sprengstoffrecht und beim Waf- (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie fenrecht alles so, wie es ist. – Wir müssen daran arbeiten. bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Deshalb: Wir wollen jetzt nicht einen Polizeistaat. Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wollen starke Sicherheitsbehörden, die auf der Grundlage unseres Rechts unsere Bürger schützen. Der letzte Punkt in diesem Sofortpaket, wenn ich es mal so nennen darf, ist die Prävention. Wir werden uns – Das Dritte ist: Wir brauchen eine Meldepflicht für die das habe ich mit Frau Giffey vereinbart – mit Spezialisten Anbieter im Internet – Stichwort „Hassparolen“. Ich habe auf diesem Feld aus ganz Deutschland und mit dem Zent- es in meiner ganzen politischen Laufbahn noch nie erlebt, ralrat der Juden zusammensetzen. Wir haben viele Prä- dass, wie im Fall Lübke, über eine so lange Zeit das Opfer ventionsprogramme; wir führen sie auch fort. Trotzdem im Internet verhöhnt und der Täter gefeiert wird. Das ist müssen wir auch hier schauen: Sind wir auf der Höhe der die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Zeit, um an die Menschen ranzukommen, von denen ich gerade sprach und die wir in unsere demokratische Ge- (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja! Genau!) sellschaft zurückholen wollen? Deshalb brauchen wir eine Meldepflicht betreffend das Das sind die sechs Punkte, die ich Ihnen für heute mit- Bundeskriminalamt für die Provider, für die Anbieter, teilen möchte – auf dem Fundament, dass wir eine sehr immer dann, wenn Straftatbestände im Internet verwirk- ernste Lage haben, was den Rechtsextremismus in unse- licht sind, damit diese Dinge dann auch strafrechtlich rem Lande angeht. Das ist keine Panikmache, das belegt verfolgt werden können. die Entwicklung der Straftaten. Das sehen Sie durch den Antisemitismus im Alltag. Und das sehen wir als Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) heitsbehörden durch eine große Gewaltbereitschaft und Die Justizministerin wird ja selber noch sprechen. Ich bin eine hohe Waffenaffinität in dieser Szene. Ich bitte den ihr sehr dankbar dafür, dass wir in dieser Grundhaltung Bundestag hier um Unterstützung. Wir brauchen da und übereinstimmen. Ich glaube, da können wir sehr viel er- dort die entsprechenden Finanzmittel und auch die recht- reichen. lichen Änderungen. Wut und Hass sind immer die Vorstufe zu einer Ge- Ich will Ihnen noch sagen: Ich habe mein ganzes politi- walttat. Lieber Herr Gauland, Sie reden nach mir. sches Leben auch in den Dienst der Bekämpfung von Alexander Dobrindt hat das Beispiel des Tweets genannt, Rechtsextremismus gestellt. Als Ministerpräsident habe in dem es heißt, dass wir dort, wo die Menschen um ihr ich sehr dafür gesorgt, dass die Juden geschützt sind und (B) Leben gefürchtet haben, „rumlungern“. Ich war in der ein blühendes Leben gedeihen kann. Ich gehörte zu den (D) Synagoge, wo man die Kinder und die Frauen in einer Ministerpräsidenten, die das NPD-Verbot an führender Wohnung oberhalb der Synagoge in Sicherheit gebracht Stelle betrieben haben, weil ich mir Beweismaterialien hat, weil man über den Bildschirm alles mitverfolgt hat. angeschaut habe, nämlich die Schießübungen auf lebende Ich fordere Sie einfach auf: Distanzieren Sie sich von Politiker am Wochenende durch solche Kräfte. Das allei- solchen Äußerungen! ne hätte für mich ausgereicht, um eine Organisation zu verbieten. Es ist eigenartig, aber es war so: Ich hatte exakt (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, für den Tag des Anschlages zu einer Antisemitismuskon- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ferenz in meinem Hause eingeladen. Sie musste natürlich GRÜNEN) abgesagt werden; wir werden sie zeitnah nachholen. Es ist einfach eine Grundüberzeugung von mir. Das wollte ich Wir prüfen viertens mit Hochdruck Vereinsverbote von dem Parlament noch mitteilen. rechtsextremistischen Vereinen. Wir machen dies auf dem Boden des Rechtsstaates, das heißt, wir brauchen Wir alle sollten dafür kämpfen, dass Menschen unter- auch die Zusammenstellung der entsprechenden Beweis- schiedlicher Konfessionen, unterschiedlichen Glaubens mittel. Aber glauben Sie mir: Wann immer es rechtsstaat- in diesem Lande friedlich und sicher zusammenleben lich möglich ist, werden wir solche Verbote aussprechen. können. Wenn wir das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nicht gewährleisten können, dann geben wir Wir müssen fünftens das Waffenrecht und das Spreng- die Grundlagen unserer freiheitlichen Grund- und Rech- stoffrecht in den Blick nehmen. Wir müssen viel stärker teordnung preis. an jene heran, die Waffenbesitzkarten haben und gleich- zeitig in rechtsextremen Vereinigungen sind. Und wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie müssen bei der Ausstellung von neuen Waffenscheinen bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- oder Waffenbesitzkarten sehr viel stärker hinschauen, ob SES 90/DIE GRÜNEN) diese Personen in Verbindung mit rechtsextremistischen Die Bürger erwarten – das sagte ich bereits –, dass wir oder terroristischen Vereinigungen stehen. sie schützen. Ich wie auch alle Vertreter der Bundesregie- Es kann nicht angehen, dass ein Auto – wie in diesem rung werden alles dafür tun, dass Juden in unserem Lande Fall – bis zum Dach mit Sprengmitteln beladen ist, dass ohne Bedrohung und ohne Angst leben können. ein Täter vier verschiedene Waffen dabeihat, dass er sich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in Serie die Einzelteile der Waffen bestellt, obwohl der Besitz jedes Einzelteils nach dem geltenden Recht eine Das verbirgt sich hinter dem Satz: Nie wieder! Nie wie- Waffenbesitzkarte voraussetzen würde, und dass wir dann der, meine Damen und Herren! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14407

Bundesminister Horst Seehofer (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich gestatte mir an dieser Stelle einmal die Frage, wer (C) bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und denn das Klima geschaffen hat, das den Anschlag vom des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Breitscheidplatz möglich gemacht hat. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU/ Vizepräsidentin Petra Pau: CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Alexander Gauland für die AfD-Fraktion. Ist es nicht merkwürdig? Wenn ein Islamist tötet, werfen Sie uns vor, wir würden die Tat instrumentalisieren, wenn (Beifall bei der AfD) ein Rechtsextremist tötet, dann sind wir diejenigen, die das Klima geschaffen hätten, in dem solche Taten passie- ren. Dr. Alexander Gauland (AfD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundesminister, solange ein Mitglied der Bundesregie- NEN]: Das ist aber so! – Ulli Nissen [SPD]: rung sagen kann, die AfD sei der politische Arm des Das ist doch auch so!) Rechtsterrorismus, entschuldige ich mich hier für nichts. Wir sind praktisch immer schuld. Das müssen Sie sich Sie müssten damit anfangen. einmal überlegen. (Beifall bei der AfD – Konstantin Kuhle [FDP]: (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD und Schämen Sie sich! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ der LINKEN) DIE GRÜNEN) Es gibt aber nicht nur ein nebulöses geistiges Klima, Meine Damen und Herren, dass in Deutschland im für das wir verantwortlich sein sollen, Jahre 2019 Juden in ihrem Gotteshaus Todesängste aus- stehen müssen, ja, da gebe ich Ihnen recht, das ist ein (Ulli Nissen [SPD]: Wer denn sonst?) ungeheurer Skandal. Ein Angriff auf eine Synagoge in sondern auch konkrete Zustände. Man kann nüchtern Deutschland, das darf nicht sein. feststellen, dass es seit der Ausrufung der Willkommens- (Konstantin Kuhle [FDP]: Schmeißen Sie den kultur 2015 zu einer gewaltigen Radikalisierung und Brandner raus! – Britta Haßelmann [BÜND- Spaltung der gesamten Gesellschaft gekommen ist. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben vom „Vo- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – gelschiss“ in der Geschichte gesprochen! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Das rechtfertigt dann einen sol- (D) GRÜNEN]: Heuchler! – Weitere Zurufe von chen Anschlag?) der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für diese allgemeine Radikalisierung haben jene die Ur- sache gesetzt, die in einem historisch beispiellosen Akt Juden müssen mit Kippa und Davidstern durch deutsche mehr als 1,5 Millionen unserer Kultur fremder Menschen Städte laufen können, ohne dass sie beschimpft und atta- ins Land gelassen haben. ckiert werden. (Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner (Beifall bei Abgeordneten der AfD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar! – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn das nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, hat DIE GRÜNEN) sich dieses Land zu fragen, ob es noch zivilisiert ist. Das alles mindert selbstredend in keiner Weise die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schuld des Banditen von Halle. NEN]: Mit Ihnen nicht! – Ulli Nissen [SPD]: Sie sind ein solcher Heuchler! Widerlich!) (Zuruf von der CDU/CSU: Brandstifter!) Das müsste der Minimalkonsens sein. Aber nicht wir haben die Lage zu verantworten, in wel- cher sich unser Land befindet. Wir haben die Möglichkeit Wenn es aber einen Minimalkonsens gibt, dass so et- geschaffen, sich an der Wahlurne eine andere Politik zu was nie wieder passieren darf, so herrscht bei der Bewer- wünschen. Eine solche machen wir auch. tung der Ursachen jenes Amoklaufes ein gewaltiger Dis- sens. (Beifall bei der AfD) Die beispiellose Hetze, mit der meine Partei in den ver- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE gangenen Tagen überzogen wurde, war der erwartbare GRÜNEN]: Schämen Sie sich!) Versuch, uns eine Mitschuld zu geben. Für alle Parteien außer uns scheint klar zu sein, dass wir (Jan Korte [DIE LINKE]: Haben Sie doch! – ein sogenanntes Klima geschaffen haben, in dem solche Aydan Özoğuz [SPD]: Sie machen menschen- Taten möglich sind. verachtende Politik!) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Meine Damen und Herren, wo war Ihre spontane bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und Mahnwache nach dem Anschlag am Breitscheidplatz, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wo übrigens auch Juden unter den Opfern waren? Ein 14408 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Alexander Gauland (A) Jahr lang haben Sie den Opfern weder persönlich noch gierung gesagt haben, bin ich nicht bereit, in irgendeiner (C) schriftlich kondoliert. Weise Kritik an meinem Freund Brandner zu üben. Das lassen Sie sich gesagt sein! (Beifall bei der AfD – Zurufe der Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD] und Dr. Dietmar (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt Bartsch [DIE LINKE]) bekommt der auch noch Beifall! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Setzen! Sechs! – Wei- Wo war die Mahnwache, als das jüdische Mädchen Su- tere Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem sanna von einem sogenannten Flüchtling ermordet wur- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) de?

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Petra Pau: GRÜNEN]: Wir waren da! Sie waren nicht Das Wort hat die Bundesministerin Christine da, Herr Gauland!) Lambrecht. Im Übrigen hielten Sie, Frau Bundeskanzlerin, Ihre Mahnwache in der Berliner Synagoge, in die wenige Tage (Beifall bei der SPD) zuvor der 23-jährige Mohamad M. versuchte, mit einem Messer bewaffnet einzudringen, „Allahu Akbar“ und Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz „Fuck Israel“ rufend. und für Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten (Zurufe von der AfD: Pfui!) Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mohamad M. ist längst wieder auf freiem Fuß. Sie hielten Ich bin sehr versucht, auf einige dieser kruden Ideen Ihre Mahnwache in einer Stadt, an deren zentralem Platz von eben einzugehen, zwei arabische Rapper auftreten sollten, die in ihren Lie- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: dern von der Vernichtung Israels träumen. Erst nach vie- Lieber nicht!) len Protesten wurde das nicht gemacht. Ich frage mal den Herrn Außenminister: Gibt es einen triftigeren Grund, die aber ich glaube, es wird der Sache nicht gerecht, wenn wir Einreise zu verweigern, als die öffentliche Propaganda dieses Schuldzuschreiben, dieses Beschimpfen weiter zur Vernichtung eines Landes? fortsetzen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, die selektive Betroffenheit NEN) (B) erweckt den Eindruck, dass die Mahnwachen nicht jüdi- (D) schen Opfern gelten, Herr Gauland, das war eines Politikers des Deutschen Bundestages nicht würdig, was hier eben abgeliefert wur- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- de. NEN]: Sie haben nicht das Recht, das zu sa- gen!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE sondern eher den passenden Tätern, wenn sie politisch in GRÜNEN) den Kram passen, um sie gegen uns in Stellung zu brin- gen. Da machen wir bestimmt nicht mit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht erst seit meinem Amtsantritt als Justizministerin beschäftige ich (Beifall bei der AfD – Zurufe vom mich mit der Frage, wie man Hass und Hetze im Alltag, in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diskussionen, in den Parlamenten und auch in der digita- Wenn wir angeblich der politische Arm des Rechtster- len Welt bekämpfen kann. Wir müssen feststellen, dass rorismus im Parlament sind, wie das ein Staatsminister Hass und Hetze immer öfter Taten folgen, schreckliche gesagt hat, dann wären Sie der politische Arm des isla- Taten, wie der Mord an Walter Lübcke und die Morde in mistischen Terrors in diesem Land. Halle. Am letzten Dienstag haben auf Einladung des BMJV (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] zahlreiche betroffene engagierte Demokratinnen und De- [CDU/CSU]: Unverschämtheit! – Dr. Karamba mokraten darüber diskutiert, wie man den Nährboden, der Diaby [SPD]: Kein Wort zu den Opfern von sich immer weiter ausbreitet, bekämpfen, wie man ihn Halle!) austrocknen kann. Der Berliner Rabbiner Teichtal hat Denn während wir angeblich nur für irgendein Klima bei dieser Gelegenheit beschrieben, wie es sich anfühlte, verantwortlich sind, sind Sie für reale Zustände verant- als er mit seinem Sohn nach einem Gottesdienst nach wortlich, für den Import des muslimischen Antisemitis- Hause wollte und auf diesem Weg bespuckt, bedroht mus. und beleidigt wurde. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Geistiger (Zuruf von der AfD: Araber!) Brandstifter!) Die Anwesenden haben ihm dann zur Verabschiedung Solange sich diese Bundesregierung nicht dafür ent- einen schönen Jom Kippur, ein friedliches Versöhnungs- schuldigt, was hier gesagt worden ist, was der Bundesfi- fest gewünscht. Ich hätte mir nicht vorstellen können – nanzminister und was andere Mitglieder der Bundesre- das war ein bitteres Gefühl –, einen Tag später von den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14409

Bundesministerin Christine Lambrecht (A) schrecklichen Morden und Mordversuchen aus antisemi- auch gegen Volksverhetzung und gegen Morddrohungen (C) tischen Gründen an diesem Versöhnungsfest in Halle zu möglich machen. hören. Ja, ich war und ich bin erschüttert, schockiert. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Hinter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bliebenen. Ich danke bei dieser Gelegenheit dem Opfer- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- beauftragten der Bundesregierung, Dr. , der NISSES 90/DIE GRÜNEN) sehr schnell direkte Hilfe und Unterstützung für die Opfer Die Ermittlungsbehörden können nur dann schnell han- und ihre Hinterbliebenen organisiert hat. deln, wenn ihnen die notwendigen Informationen vorlie- gen. Das sind nun einmal die IP-Adressen. Nur so können (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die realen Personen hinter den widerlichen und strafbaren der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Posts ermittelt werden. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Betrof- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fenheit darf uns nicht vom konsequenten Handeln abhal- Deswegen werde ich Ihnen in der nächsten Woche einen ten. Wir haben es mit Rechtsterrorismus zu tun, aus mei- ganz konkreten Vorschlag zu dieser Verschärfung vorstel- ner Sicht der aktuell größten Bedrohung unseres len. Gemeinwesens. Ich werde weiter eine Strafverschärfung hinsichtlich (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Beleidigungen vorschlagen, die in sozialen Medien be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gangen werden. Solche Beleidigungen erreichen ein viel Gegen diese Bedrohung müssen wir auf allen Ebenen und größeres Publikum und sind auch aufgrund der vermeint- mit aller Konsequenz vorgehen. Morde wie die in Halle lichen Anonymität im Netz deutlich aggressiver und per- geschehen nicht im Internet. Es wäre aber naiv, zu glau- sönlich abwertender. ben, dass antisemitische und radikale Hetze im Netz In dieser Woche diskutieren wir im Plenum über die nichts mit der Gewalt im realen Leben zu tun hätte. Wir Verschärfung des Waffenrechts; es steht auf der Tages- müssen den Nährboden für Hass, Hetze und Gewalt aus- ordnung. Die Vorschläge sind gut, aber mir gehen diese trocknen. Schwerste Beleidigungen und Bedrohungen Vorschläge nicht weit genug. Unsere Waffenbehörden hinzunehmen, würde zu einer weiteren Grenzverschie- müssen eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz bung beitragen. Wenn wir – zu Recht – sagen, dass Mei- durchführen können. Waffen gehören nicht in die Hände nungsfreiheit dort aufhört, wo Strafrecht beginnt, dann von Extremisten. Wir dürfen nicht erst warten, bis sie sie müssen wir das als Rechtsstaat auch durchsetzen – auch haben, und sie ihnen dann entziehen, sondern wir müssen (B) im Netz. vorher handeln. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Lassen Sie uns gemeinsam diese Verschärfung ins Waf- Deshalb müssen wir das Netzwerkdurchsetzungsge- fenrecht aufnehmen. setz verschärfen. Schon heute sind soziale Netzwerke verpflichtet, strafbare Beiträge zu sperren oder zu lö- Die zahlreichen Gespräche mit Betroffenen von Hass schen. Doch das reicht nicht. Wir brauchen eine Pflicht, und Hetze haben mir deutlich gemacht, dass es den Het- Morddrohungen und Volksverhetzungen den Strafverfol- zern darum geht, diejenigen, die sich für Demokratie, gungsbehörden zu melden. Toleranz und unseren Rechtsstaat einsetzen, mundtot zu machen. Ich habe ganz oft gehört, dass man das nicht (Beifall bei der SPD) länger erträgt, dass man sich und seine Familie vor so Hetzern muss klar sein, dass sie sich nicht in der Anony- etwas schützt und dass man sein Engagement für diese mität des Netzes verstecken können, dass sie mit Verfol- Gesellschaft deshalb einstellt. Das dürfen wir als wehr- gung rechnen müssen und dass ihnen Strafen drohen. hafte Demokratie nicht zulassen. Diese Menschen sind die Stütze unserer Gesellschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der AfD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Einwand, den ich zuweilen höre, dass ich so Straf- sowie bei Abgeordneten der FDP) verfolgung auf Private übertragen würde, kann und will ich nicht stehen lassen. Zur Bekämpfung von Geldwäsche Wir müssen uns solidarisch hinter sie stellen. Wir müssen und von Terrorismusfinanzierung sind auch heute schon aber auch entsprechend handeln. private Banken verpflichtet, Verdachte an die FIU, die Deswegen will ich § 188 StGB dahin gehend präzisie- Financial Intelligence Unit, zu melden. Nach weiterer ren, dass auch Kommunalpolitiker besser vor Verleum- Prüfung werden diese Vorgänge, wenn sie strafrechtlich dung und übler Nachrede geschützt sind, also dass § 188 relevant sind, an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. StGB in Zukunft auch für sie gilt. Wer § 188 StGB liest, könnte meinen, es wäre schon heute so. Durch Rechtspre- (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) chung ist es aber nicht so. Deswegen müssen wir uns Was zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus- nicht nur solidarisch erklären, sondern durch diese Ver- finanzierung schon heute möglich ist, das müssen wir schärfung eben auch solidarisch handeln. 14410 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Bundesministerin Christine Lambrecht (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Uns Freien Demokraten fällt da manches ein. Folgendes (C) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- gehört nicht dazu: Gamer unter Generalverdacht zu stel- NISSES 90/DIE GRÜNEN) len, altbekannte verdachtsunabhängige Überwachungs- fantasien und Datensammelwut aus der Schublade zu zie- Trotz vieler Vorkommnisse und schrecklicher Taten in hen oder auch einen Extremismus unter Verweis auf einen diesem Land bin ich immer noch davon überzeugt: Un- anderen zu relativieren, gar zu verharmlosen. sere Demokratie ist wehrhaft. Unser Rechtsstaat ist stark. Lassen Sie uns deswegen keine Scheindebatten führen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sondern dafür sorgen, dass wir mit aller Konsequenz ge- der CDU/CSU) gen diejenigen vorgehen können, die diesen Rechtsstaat angreifen. Wer mörderische Anschläge verhindern will, greift zu kurz und denkt zu pauschal, wenn er die Gamerszene Vielen Dank. unter Verdacht stellt. Nicht das Killerspiel macht Men- schen zu Mördern. Genauso wenig reicht es, über irgend- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie eine psychische Disposition von Tätern zu sprechen. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer das tut, kommt nicht zum Ziel: der Verhinderung von Vizepräsidentin Petra Pau: Gewalttaten. Der Ort, den wir suchen müssen, ist der, wo Für die FDP-Fraktion hat nun Linda Teuteberg das Menschen mit menschenverachtender Ideologie aufgela- Wort. den werden. Diese Orte sind nicht geheim; denn Ideolo- gien will von Ideologen verbreitet werden. Hier ist die (Beifall bei der FDP) Wurzel der Gewalt. Die Orte der Verbreitung menschen- verachtender Ideologie muss der Rechtsstaat viel intensi- Linda Teuteberg (FDP): ver ins Visier nehmen, egal ob sie im Internet, in Kame- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! radschaften, in Parteien und damit verbundenen Organisationen oder anderswo stattfindet. Der Rechts- Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es ange- staat sollte die Orte der Hasspredigten mit dem notwen- rechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und digen Aufwand verfolgen und aufsuchen, damit den wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem Brandstiftern das Handwerk gelegt werden kann. wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zer- stört. (Beifall bei der FDP) (B) Dass vielen Menschen dieses Zitat aus dem Talmud in Er muss dabei auch entschlossen zeigen, dass er sein (D) kürzerer Fassung aus dem Film „Schindlers Liste“ be- Gewaltmonopol verteidigt, ob mit Vereinsverboten oder kannt ist, verweist auf die besondere Verantwortung, die im Waffen- und Sprengstoffrecht. Das sollten wir ebenso gerade unser Land dafür hat, dass Jüdinnen und Juden in besonnen wie entschlossen im Innenausschuss beraten. unserem Land sicher und frei leben können. Es wird dafür aber nicht reichen, „Wir sind Rechtsstaat“ zu plakatieren, wie die Bundesregierung es jetzt tut. Das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten muss im Alltag spürbar sein. der SPD) (Beifall bei der FDP) Um die schändliche Auslöschung von Menschenleben geht es bei der Tat von Halle. Deshalb sollten wir uns Es darf eben nicht von der Stärke einer Synagogentür heute nicht verlieren in einem Klein-Klein, in Rabulistik in unserem Land abhängen, ob Jüdinnen und Juden sich über Weckrufe, Alarmzeichen und Zäsuren. Dass Anti- sicher fühlen können. Der freiheitliche Rechtsstaat muss semitismus kein neues Thema ist, dass er ein beschä- den notwendigen Polizeischutz geben. Ja, wir brauchen mender Teil des Alltags in unserem Land ist, ist für uns hohe gemeinsame Standards, und Versäumnisse sind auf- Freie Demokraten nicht neu und nicht überraschend. Al- zuarbeiten. lein: Das beruhigt nicht, das tröstet nicht. Denn es geht (Beifall bei der FDP) nicht um einen Fleiß- oder Überbietungswettbewerb da- rin, wer wann was gefragt, beantragt oder gesagt hat im Das ist so notwendig, so traurig und so unzureichend. Deutschen Bundestag und anderswo. Es geht um eine Denn nicht nur aus praktischen Gründen wird es nicht gemeinsame Verantwortung für ein hohes Gut – unsere reichen, auf Sicherheitstechnik und Polizei zu setzen. Verantwortung dafür, dass jüdisches Leben in Deutsch- Denn was soll das zum Beispiel für Schulen und Sport- land sicher, frei und selbstbestimmt stattfinden kann und vereine bedeuten? Wir müssen die gesellschaftlichen Tü- dass Jüdinnen und Juden selbst darauf vertrauen. ren vor Antisemitismus und menschenverachtendem Ge- dankengut fest verschließen, damit es nicht auf die realen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Türen ankommt wie in Halle. der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Was wird also dieser Verantwortung gerecht? Sicher nicht Reflexe, Aktionismus und Überbietungswettbewer- Dabei kommt Antisemitismus in vielen Formen und in be. vielen Gewändern daher. Er beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes politisches oder gesellschaftliches Lager. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auffällig dabei ist, dass er regelmäßig Hand in Hand Wovon reden Sie?) mit Verschwörungstheorien geht. Diese sind auch dieser Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14411

Linda Teuteberg (A) Tage reichlich im Netz zu finden und auch anderswo zu Ankündigungen nicht als bloße Rituale und Lippenbe- (C) hören. Sie begegnen uns übrigens auch in manchen au- kenntnisse wahrgenommen werden. ßen- und wirtschaftspolitischen Debatten. Sie sind ein hilfloser Reflex auf die Komplexität moderner Gesell- Vielen Dank. schaften und ihrer Herausforderungen. Die Wirklichkeit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist oft ziemlich banal. Das Böse übrigens auch, wie Han- der CDU/CSU und der AfD) nah Arendt so eindrucksvoll beschrieben hat. Welchen Sinn kann also für aufgeklärte Menschen die Beschäfti- gung mit diesen verschiedenen Erscheinungsformen von Vizepräsidentin Petra Pau: Antisemitismus eigentlich haben? Allein den, dieses Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin menschenverachtende Gedankengut zu erkennen und Dr. Petra Sitte das Wort. ihm entschieden entgegenzutreten, wo immer es uns be- gegnet, (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): der SPD) Meine Damen und Herren! Ich komme aus Halle. Bis auch und gerade dort, wo es geschmeidig, gefällig, ver- letzten Mittwoch habe ich, wie so viele in Halle, gedacht: meintlich harmlos daherkommt, und nicht etwa, um Re- Ein Anschlag bei uns? Nein, das ist ausgeschlossen. Wir lativierungen oder Abstufungen vorzunehmen. Denn klar haben in Halle gerade Oberbürgermeisterwahlen, und in ist: Jegliche Erscheinungsform von Antisemitismus ist diesen Tagen haben wir, wie andere auch, Wahlkampf vollkommen inakzeptabel. gemacht. Ich stand mit Freunden und Unterstützern am Uniklinikum, als die Katastrophen-App der Stadt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten plötzlich Gefahr signalisiert hat. Es sollte Verletzte ge- der SPD und der AfD) geben haben; es sollte Tote gegeben haben. Wie Sie sich Es wurde hier schon verschiedentlich angesprochen: denken können, waren wir in diesem Moment gelähmt; Auch Reden sind Taten, und der Weg von Gedanken zu wir waren völlig fassungslos. Später hat sich dann ge- Taten ist oft nicht weit. Sprache ist wichtig und bezeich- zeigt, dass es tatsächlich zwei wehrlose Opfer getroffen nend für die Debatten in einer Gesellschaft. Wenn wir hatte: eine Frau, die in Halle von vielen gekannt wurde, also die Verantwortung, die gesellschaftlichen Türen für sie war eine leidenschaftliche Autogrammsammlerin, und Antisemitismus und Rassismus zu verschließen, ernst einen jungen Mann, der einfach nur Mittagessen war. nehmen, dann gilt auch: Bezeichnungen wie rechtsradi- Man fragt sich natürlich: Wie konnte das passieren, in (B) kal, Nazi, rechtsextrem werden entwertet, und es führt zur (D) Abstumpfung, wenn sie leichtfertig verwendet werden, Halle, in meiner Stadt? Wir haben eine lebendige, inter- nur um unliebsame Meinungen zu diffamieren. Sie wer- nationale Stadtgeschichte. Wir haben eine Kulturszene, den so zur kleinen Münze. die international ist. Wir haben die Universität, die Hoch- schulen. Wir haben eine lebendige, weltoffene Stadtge- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der sellschaft. Und wir haben ein breites Bündnis „Halle ge- AfD) gen Rechts“. Und trotzdem: Es gibt auch in dieser Stadt Diese Worte müssen beschämen, und dafür dürfen sie nur dunkle, es gibt braune Seiten, die wir seit Jahren durchaus erfolgreich bekämpft haben. Wenn beispielsweise in Hal- selten verwendet werden. le die Identitäre Bewegung marschieren wollte, deren (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Haus im Übrigen unweit der Synagoge liegt, dann kam der CDU/CSU) sie genau bis vor die Haustür und keinen Schritt weiter. Lassen Sie uns vielmehr gemeinsam dafür sorgen, dass (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- sich wirkliche Rechtsextremisten nicht ungestört fühlen ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE können in unserem Land. Gegen andere Feinde der offe- GRÜNEN) nen Gesellschaft zu sein, macht einen selbst noch nicht zum glaubwürdigen Verteidiger der offenen Gesellschaft. Genau in diesem Haus hatte der Landtagsabgeordnete Dazu gehört mehr. Leider gibt es auch dazu in diesen Tillschneider von der AfD jahrelang sein Wahlkreisbüro. Tagen viel Anschauungsmaterial. Im Nachbarkreis, in Schnellroda, liegt das rechtsextreme Institut für Staatspolitik vom Vordenker der AfD Götz (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kubitschek. der CDU/CSU und der AfD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Alles Nazis!) Zur Verteidigung der offenen Gesellschaft vertreten wir Freie Demokraten einen ganzheitlichen Ansatz: Wir set- Da werden die rassistischen, antisemitischen Parolen der zen auf die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen im AfD bürgerlich ummantelt, und die ganze Führungsriege Alltag, wo immer ihm menschenverachtende Äußerun- der AfD geht dort ein und aus; zuletzt am gen und menschenverachtendes Verhalten begegnen, auf 20. September. Dort wird vorgedacht und über das Netz die Gesellschaft, wo wir Bildung und Begegnung zur verbreitet, was andere Rechtsextreme in die Tat umset- Prävention brauchen, und auf den freiheitlichen Rechts- zen. Wenn AfD-Brandner twittert, warum vor Moscheen staat, der sein Gewaltmonopol wahren und durchsetzen und Synagogen herumgelungert wird, wenn doch die Op- muss. Lassen Sie uns gemeinsam unserer Pflicht nach- fer Deutsche waren, dann verhöhnen Sie auf eine ungla- kommen, dafür zu sorgen, dass unsere Trauer und unsere ubliche Weise die Opfer. 14412 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Petra Sitte (A) (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der mich dazu, folgende Schlussfolgerung hier noch einmal (C) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich zu ziehen: Es ist kein sicherheitspolitisches, sowie bei Abgeordneten der FDP) es ist kein innenpolitisches Thema. Es ist ein gesell- Meine Damen und Herren, dieser Mann gehört nicht in schaftspolitisches Thema. den Bundestag. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ten der SPD) ordneten der CDU/CSU – Armin-Paulus Meine Damen und Herren, rechtsextreme Strategien, Hampel [AfD]: Das bestimmen nicht Sie! Das antisemitische Strategien und Strategen sind durchschau- bestimmt der Wähler!) bar. Sie, ob getarnt als angebliche Demokraten oder offen Dass in diesem Land wieder ein Klima von Angst und rechtsextrem, wollen uns Angst machen durch Gewalt Ohnmacht herrscht, ist Ihrer Hetze und Ihrem Menschen- und Worte. hass zuzuschreiben. Wir Demokraten werden das nicht zulassen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das müssen Sie gerade sagen!) (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen, dass wir uns zurückziehen. Sie wollen die Hoheit in unseren Köpfen und auf der Straße überneh- Die Synagoge war nicht nur an diesem Tag schutzlos, men. und das, obwohl der Innenminister und die zuständigen Behörden um die Gefahren gewusst haben müssen. Ich (Armin-Paulus Hampel [AfD]: In Ihrem Kopf begreife auch bis heute nicht, wie der Innenminister des wollen wir das nicht!) Landes die Ereignisse ohne den Hauch eines Selbstzwei- fels über eigenes Handeln bewerten kann. Das macht Ich sage Ihnen: Sie werden sich täuschen. mich wütend. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Uns auch!) Wir sind wach, wir bleiben wach, und wir werden das Aber die Menschen sind mehr denn je zusammengerückt – nicht zulassen. Die deutsche Geschichte hat gezeigt, was nicht nur in Halle, sondern auch an vielen anderen Orten (B) nach dem Schweigen kommt. Deshalb sage ich Ihnen (D) sind sie solidarisch zusammengerückt. Das haben die Ge- ausdrücklich: Nie wieder Faschismus! denken an den Tagen danach beeindruckend gezeigt. Wir bieten auch weiter den Nazis unsere Stirn. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Dass das Engagement gegen Nazis in den Jahren zuvor Bündnis 90/Die Grünen immer wieder kriminalisiert, immer wieder diffamiert wurde, ist ein empörendes Versagen deutscher Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben Vereine und Initiativen, die seit Jahren auf- klären, bilden, Opfer beraten, kurzum: die das leisten, was staatliche Einrichtungen und Behörden nicht getan Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben. Diese Vereine müssen endlich dauerhaft unter- NEN): stützt werden. Dazu gehört, dass die Bundesregierung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! endlich aufhört, die Mittel für Programme wie „Demo- Eine Woche ist vergangen, Tage voller Entsetzen und kratie leben!“ zu kürzen. Stocken Sie diese endlich ver- Trauer. Unsere Gedanken sind auch heute bei den Opfern, lässlich auf! bei den Verletzten, bei den Angehörigen, insbesondere (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- bei denen von Jana und Kevin, bei den Menschen, die NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- in der Synagoge waren und um Haaresbreite einem ten der SPD – [CDU/CSU]: furchtbaren Massaker entgangen sind, bei Izzet und sei- Dazu gehört auch, dass Sie endlich aufhören, nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, in deren Imbiss gewaltbereite Vereinigungen zu unterstützen!) ein Mensch erschossen worden ist, die vom Täter und von seinem rassistischen, antisemitischen Weltbild mitge- – Ich wusste, dass das kommt. Genau das ist das Problem meint waren. Eine Woche – es könnten aber auch vier in diesem Land. Wochen oder vier Jahre gewesen sein. Das Schlimme ist: Es könnte morgen wieder passieren. Ja, wir haben (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Denken Sie in Deutschland eine reale Terrorgefahr, nicht nur durch darüber nach! Da hat der Kollege recht!) Islamisten, sondern auch durch Rechtsextreme, und der Dass hier der Innenminister als Erster spricht und in den müssen wir begegnen, und zwar konsequent und nicht Medien fast nur Innenpolitiker zu Wort kommen, führt erst seit heute. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14413

Katrin Göring-Eckardt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- die in dieser Stadt und im ganzen Land bei Jüdinnen und (C) wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Juden herrscht, ausgerechnet die AfD als Opfer darzu- KEN) stellen. Das ist wirklich eine Schande für dieses Land und dieses Parlament, meine Damen und Herren. Wachen Sie auf, meine Damen und Herren! Eine junge Jüdin aus den USA, die an Jom Kippur in der Synagoge in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Halle war, sagte am Sonntag der ARD: Schuldgefühle der bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie Deutschen helfen uns nicht. Uns helfen Taten. – Heute hat bei Abgeordneten der CDU/CSU) Richard Schneider in einem Beitrag für „Zeit Online“ Folgendes gesagt: Wie kann es sein, dass unser Verfassungsschutz immer noch nicht genau weiß, wie viele potenzielle Gewalttäter … ich will als Jude in meinem Alltag frei leben und wir auf der rechten Seite tatsächlich haben? 12 500 atmen können. Es gab Zeiten, da hatte ich geglaubt, Rechtsextremisten gelten als gewaltbereit. Nur 43 sind das sei möglich in Deutschland. Es war möglich. als Gefährder eingestuft. Noch immer klappt die Zusam- Heute ist es nicht mehr möglich. menarbeit zwischen Bund und Länder sowie Ländern und Ländern nicht. Ja, das ist eine echte Gefahr. Das Gemein- Er hat Deutschland, seine Heimat, verlassen. Ich finde, same Extremismus- und Terrorabwehrzentrum hat noch das ist kein Alarmsignal, kein Warnsignal, sondern das ist immer keine Rechtsgrundlage. Ich bin froh, dass Sie jetzt die Situation in unserem Land, der wir endlich, endlich über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz reden, aber Sie mit Taten begegnen müssen, meine Damen und Herren. müssen dann auch konsequent sein. Ich bin froh, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Sie jetzt darüber reden, dass sich beim Waffenrecht etwas wie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. ändern muss. Natürlich! Der Täter hatte seit 2015 eine Jan Korte [DIE LINKE]) Waffe aus dem Darknet. Dazu gehört es, dass wir der Wahrheit mit Klarheit ins (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Selbst Auge blicken. Der NSU, der Mord an Walter Lübcke, gebastelt!) mindestens 169 weitere Todesopfer rechtsextremer Ge- walt seit 1990, etwa 1 600 antisemitische Straftaten im Ja, ein mutmaßlicher Helfer des Lübcke-Mörders ist letzten Jahr von rechter Seite – das ist der Befund in ein verurteilter Rechtsextremist und legal Waffenbesitzer. unserem Land. Deswegen müssen Sie endlich der Realität Darüber müssen Sie sich doch klar sein. Machen Sie es ins Auge blicken und dürfen eben nicht mehr weg- nicht wieder nur halbherzig! Wir werden heute darüber schauen – nicht bei den Sicherheitsbehörden, nicht bei diskutieren, aber ich bitte Sie: Seien Sie endlich konse- (B) Hass und Hetze, online und offline. Sie dürfen sich nicht quent – auch beim Waffenrecht. Das sind wir den Opfern (D) wegducken bei der Stärkung der Demokratie und der Zi- schuldig; das ist nötig, meine Damen und Herren. vilgesellschaft. Das sind drei große Bereiche, und Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- müssen sich heute sagen lassen: Sie haben zu lange weg- wie der Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD] und geschaut, Sie haben zu lange nicht oder nur halbherzig Jan Korte [DIE LINKE]) gehandelt. Deswegen sage ich Ihnen: Fangen Sie jetzt endlich an! Es ist der allerletzte Moment dafür. Wir können die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in unserem Land und von anderen nicht allein einer Holztür (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überlassen. Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Flüchtlingshelfer, Menschen, die sich im Rahmen von Herr Seehofer, Sie haben uns hier sechs Punkte vorge- Aussteigerprogrammen engagieren – hier handeln Men- legt. Ich will zu einigen Stellung nehmen. Ihre Aussage, schen. Wie sähe unsere Gesellschaft ohne ihr Engage- in der Sie von einem Einzeltäter sprechen, zeigt, dass Sie ment aus? es wieder nur halbherzig angehen. Nein, der Täter hasste nicht allein. Völkische Siedler, Reichsbürger, Combat 18, Was erleben wir gleichzeitig? Solche Programme wie die rechtsextremistische Szene – sie alle sind online und „Demokratie leben!“ – Frau Sitte hat darauf hingewie- offline extrem vernetzt. Wir müssen doch jetzt genau hin- sen – sind immer wieder in Gefahr. Wir haben immer schauen. Wir müssen herausfinden, in welchen Netzwer- noch keine Anlaufstellen für Betroffene. Ich habe so ein ken er unterwegs war. bisschen das Gefühl, der Ernst der Lage ist immer noch nicht erkannt worden. Heute hat Frau Giffey wieder an- (Beatrix von Storch [AfD]: Was ist mit unserem gekündigt, ein Demokratieförderungsgesetz zu machen. Combat-18-Verbotsantrag?) Wissen Sie, wann die Bundesregierung das das erste Mal angekündigt hat? Nach dem Anschlag vom Breitscheid- – Frau von Storch, schreien Sie ruhig herum. Das, was Ihr platz. Wie viele Jahre sind seitdem vergangen? Wir haben Fraktionsvorsitzender, Herr Gauland, sich heute geleistet es immer noch nicht. Ich wiederhole meinen Appell: Han- hat, ist, sich hier hinzustellen und angesichts der Opfer deln Sie jetzt wirklich konsequent und beherzt! von Halle und der Angst in der Synagoge in Halle, ange- sichts der Angst, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die Sie instru- mentalisieren wollen! Pfui Deibel! Sie wollen Wir brauchen es für den Zusammenhalt und die Sicher- sie instrumentalisieren, Frau Göring-Eckardt!) heit in unserer Gesellschaft. 14414 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Katrin Göring-Eckardt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liche Gefahr vom rechtsextremistischen Antisemitismus (C) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) bei uns in Deutschland ausgeht. Es hätte dieses Hallen- sischen Fanals nicht bedurft, um zu erkennen, dass wir ein Ja, zwischen den Tatorten und dem Zentrum der rechts- hohes Maß an Antisemitismus bei uns im Land haben und extremen Identitären Bewegung liegt nur ein Kilometer. dass es dringend notwendig ist, mit aller Kraft, mit aller Die Täter von Halle, die Identitären, sehen sich in einem Entschlossenheit und Härte des Rechtsstaates dagegenzu- Rassekrieg. Herr Kubitschek, Ihr geistiger Vater, tut das. arbeiten. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ich habe einen Ich will an dieser Stelle und in dieser Debatte auch anderen Vater! Tut mir leid, Frau Göring-Eck- daran erinnern, dass wir im Deutschen Bundestag am hardt! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska 16. Januar 2018 ein großes Zeichen, eine starke Willens- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rei- bekundung über Fraktionsgrenzen hinweg, gesetzt haben. ßen Sie sich doch mal zusammen!) CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne haben gemeinsam ei- – Ich habe gesagt: Ihr geistiger Vater. – Wie viele von nen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des Antisemi- Ihnen – Frau Sitte hat darauf hingewiesen – sind in tismus und zur Antisemitismusprävention beschlossen. Schnellroda gewesen? Das darf man nicht vergessen, wenn man an dieser Stelle über dieses Thema spricht. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie laufen doch mit den Vaterlandsverrätern und Kommunis- Wir haben damit ein Versprechen abgegeben, das ich ten! Sie laufen doch mit! Sie reihen sich in jede gerne für unsere Fraktion an diesem Tag bekräftigen antidemokratische Demonstration ein! Un- möchte. glaublich!) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Versprechen rei- Wie viele von Ihnen glauben mit Herrn Höcke gemein- chen nicht! Sie regieren! Schützen Sie die Leu- sam, dass man Teile des Volkskörpers abspalten muss? te! – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie sind Wie viele von Ihnen versuchen, die Demokratie, das de- doch die Regierungspartei! Handeln, nicht re- mokratische System in diesem Land, abzuschaffen? Das den!) ist das, was Sie wollen. Wir sind stolz und froh, dass jüdisches Leben in Deutsch- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist land nach dem Holocaust wieder möglich ist. Wir haben Quatsch! So ein Blödsinn! – Dr. Alexander das Versprechen abgegeben, dass wir die Menschen Gauland [AfD]: Erzählen Sie keine Märchen!) schützen und dass wir alles dafür tun, dass unsere jüdi- Das ist das, wogegen wir aufstehen, weil wir an der Seite schen Mitbürgerinnen und Mitbürger sicher und frei in (B) der Jüdinnen und Juden in unserem Land stehen, unserem Land leben können. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann schützen wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Sie sie!) KEN) – Lieber Herr Hampel, Ihnen muss ich jetzt an dieser weil wir an der Seite derjenigen stehen, die Opfer von Stelle einfach sagen: Wissen Sie, Sie und Ihre Fraktion Rassismus sind und die sich bedroht fühlen und weil wir und Ihre Partei sind diejenigen, die an einer erinnerungs- dieses demokratische Land, diesen Rechtsstaat schützen politischen Kurskorrektur arbeiten. Mit dem, was Sie sa- werden, und zwar mit rechtsstaatlichen Mitteln. gen, betreiben Sie Geschichtsrevisionismus. Sie verschie- ben rote Linien. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie Verbotspar- tei! Sie wollen den demokratischen Rechtsstaat (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, schützen? Sie laufen mit Antifa jeden Tag auf der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE der Straße rum!) GRÜNEN) Wir werden klarmachen, dass Sie keine Chance haben, Sie sorgen dafür, dass Dinge denk- und sagbar sind, die es dieses Land zu zerstören, meine Damen und Herren von bisher nicht waren. Auch das befördert Antisemitismus der AfD. bei uns im Land. Das muss in aller Deutlichkeit formuliert werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie KEN) bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Armin- Paulus Hampel [AfD]: Das muss ich mir nicht Vizepräsidentin Petra Pau: sagen lassen! Ich war schon in Israel unter- Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/ wegs, da waren Sie noch in der Grundschule!) CSU-Fraktion. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt muss alles darauf gerichtet sein, zu überlegen, was wir tun können, um solche Attacken, solche versuchten Thorsten Frei (CDU/CSU): Massaker in Zukunft zu verhindern. Ich finde es absolut Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unfair, an dieser Stelle so zu tun, als wären wir, diese Halle haben wir letzte Woche gesehen, was für eine töd- Bundesregierung, und die Fraktionen, die diese Bundes- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14415

Thorsten Frei (A) regierung tragen, auf dem rechten Auge blind. Ich finde ( [CDU/CSU]: Bayerisches (C) das nicht akzeptabel. Modell!) ( [CDU/CSU]: Ja! -Armin- – Ganz genau. Das ist ein wesentlicher Punkt. Paulus Hampel [AfD]: Sie sind auf beiden Au- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen blind!) Lassen Sie mich an dieser Stelle noch sagen: Ich war Lieber Herr Klingbeil, ich finde es auch gegenüber den einigermaßen irritiert ob der Rede von Frau Göring- Innenpolitikern Ihrer Fraktion nicht akzeptabel. Schauen Eckardt; denn sie hat hier so getan, als würden wir irgend- wir uns an, was nach den NSU-Untersuchungsausschüs- etwas nicht tun, obwohl wir die Möglichkeiten dazu hät- sen passiert ist: 47 Empfehlungen, größtenteils umge- ten. Ich glaube, Sie haben sogar von „Wacht auf“ oder so setzt! etwas geredet. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) GRÜNEN]: Waffenrecht!) Wir haben Gesetze verschärft und verändert. Wir haben Denn es ist doch völlig klar, dass allein mehr Personal im zusätzliche Stellen geschaffen. – Das haben diese Bun- Bereich des Bundesinnenministeriums nicht ausreichen desregierung und die sie tragenden Fraktionen gemacht. wird. Wir brauchen auch die rechtlichen Instrumentarien Deshalb kann man an der Stelle nicht davon sprechen, dafür, damit man es richtig einsetzen kann. dass hier irgendjemand, der in diesem Haus Verantwor- tung trägt, auf dem rechten Auge blind wäre. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Die Bundesjustizministerin hat genau diese Punkte er- Nissen [SPD]) wähnt, die wir brauchen, damit das Personal auch wirk- sam eingesetzt werden kann. Deshalb müssen wir an die- Vizepräsidentin Petra Pau: ser Stelle auch über Fragen diskutieren: Wie schaffen wir es, dass es keine schleichende Entwertung der Möglich- Kollege Frei, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten keiten des Verfassungsschutzes im Zeitalter der Digitali- Sie eine Frage oder Bemerkung? sierung gibt? Wir brauchen die Onlinedurchsuchung, die Quellentelekommunikationsüberwachung und vieles an- Thorsten Frei (CDU/CSU): dere mehr. Ja, gerne. (Konstantin Kuhle [FDP]: Was hat denn das (B) (D) Dr. Christoph Hoffmann (FDP): gebracht?) Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Frage Man kann nicht auf der einen Seite kritisieren, dass der zulassen. – Ich will Ihnen von einem Erlebnis berichten, Verfassungsschutz irgendwas nicht auf dem Schirm hat, das schon 20 Jahre her ist. Auf den Straßen Mecklenburg- und ihn andererseits blind und taub machen. Vorpommerns bin ich einmal mit einem amerikanischen Unternehmer unterwegs gewesen. Der wollte investieren, (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. der hatte Millionen dabei. Als uns zwei Jugendliche in Dr. Eva Högl [SPD]) Nazi-T-Shirts entgegenkamen, hat er gesagt: In einem Das ist der Denkfehler, den die Grünen machen, die ur- solchen Land kann ich nicht investieren. Dieselben Ju- sprünglich sogar vorhatten, den Verfassungsschutz zu gendlichen wären in Baden-Württemberg von der Straße zerschießen. So geht es nicht. Das ist an Unglaubwürdig- heruntergepflügt worden. Das Problem ist also durchaus keit nicht zu überbieten. schon alt. Sehen Sie keine Versäumnisse des Innenminis- teriums oder des Innenministers, dass in dieser Frage nie Herzlichen Dank. aufgeräumt worden ist? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Stephan Brandner [AfD]: Wieso hatte der Mil- neten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Sie lionen dabei? Im Koffer, oder was? So Leute verstehen es nicht! Er versteht es nicht!) kenne ich gar nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Thorsten Frei (CDU/CSU): Das Wort hat die Abgeordnete Beatrix von Storch für Lieber Herr Kollege, es ist überhaupt keine Frage, dass die AfD-Fraktion. wir in vielen Fällen besser werden können, und an diesem Punkt müssen wir auch weiterarbeiten. Genau so habe ich (Beifall bei der AfD) die Rede des Bundesinnenministers hier am Pult auch verstanden: dass er ganz konkrete Vorschläge gemacht Beatrix von Storch (AfD): hat, auch quantifiziert hat – nicht erst heute, sondern auch Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- schon in den Wochen und Monaten zuvor –, was wir an ren! Der Angriff auf die Synagoge in Halle und der fol- zusätzlichen Kapazitäten, zusätzlichem Personal, zusätz- gende Doppelmord waren ein Akt des Terrors. Die Jüdi- lichen Mitteln, aber vor allen Dingen auch zusätzlichen sche Gemeinde in Halle hat sich ausdrücklich gegen die gesetzlichen Möglichkeiten brauchen, um diesem Phäno- politische Instrumentalisierung dieses Verbrechens ge- men Herr zu werden. wandt. 14416 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Beatrix von Storch (A) (Zuruf von der CDU/CSU: Was machen Sie Im „Spiegel“ schwadroniert Jakob Augstein über die (C) denn?) jüdische Lobby, ohne die keiner US-Präsident werde, und darüber, dass Israel die ganze Welt am Gängelband führt. Wer wie Sie alle jetzt trotzdem mit dem Finger auf die AfD zeigt, muss wissen, dass dann gleich drei Finger auf (Jan Korte [DIE LINKE]: Thema verfehlt!) ihn zurückzeigen. Die „Süddeutsche Zeitung“ verbreitet antisemitische Ka- (Beifall bei der AfD – Konstantin Kuhle [FDP]: rikaturen im Stil des „Stürmers“, die in jede NPD-Postille Was sagt denn Herr Brandner dazu? – Andrea passen. Und in der „Süddeutschen“ hat der SPD-Mann Lindholz [CDU/CSU]: Was sagen denn die Günter Grass, ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, Kollegen von Ihnen im Landtag dazu?) Israel zum größten Feind des Weltfriedens erklärt. Anders als im Fall Thilo Sarrazin gab es dafür kein Parteiaus- Gewaltbereite Neonazigruppen gibt es in der Bundes- schlussverfahren. republik nicht erst seit gestern. (Konstantin Kuhle [FDP]: Was hat das mit (Zuruf von der FDP: Aber im Bundestag!) Halle zu tun? Ablenkung!) Es gibt sie seit Jahrzehnten. Dass sich diese Gruppierun- Ich stelle fest: Islamkritik ist für die SPD ein Tabu, Anti- gen in Deutschland neben Islamisten, Linksextremisten semitismus ist es nicht. Natürlich nicht! Für Sigmar und kriminellen Clans einnisten konnten, zeigt das Total- Gabriel versagen der etablierten Parteien in der Innen- und Si- (Ulli Nissen [SPD]: Reden Sie zu Halle!) cherheitspolitik. war Israel ein Apartheitsstaat. Martin Schulz hat vor der (Beifall bei der AfD) Knesset die Lüge wiederholt, dass die Israelis die Paläs- tinenser verdursten lassen. Bundespräsident Steinmeier Terroranschläge gegen Juden im Nachkriegsdeutsch- gratuliert dem Iran zur Islamischen Revolution. Islami- land haben eine lange und traurige Geschichte. 1969, sche Revolution heißt Vernichtung Israels. am Jahrestag der Novemberpogrome, legte eine linksext- reme Gruppe eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus in (Martin Schulz [SPD]: Was ist das für ein West-Berlin, 1970 ermordeten arabische Terroristen bei Schwachsinn?) den Olympischen Spielen in München elf israelische Sportler, Das linksliberale Establishment diffamiert den jüdi- schen Staat, befeuert den Antisemitismus und verharm- (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Hören Sie doch lost den Islamismus. Der primitive, gewaltbereite Anti- (B) mal auf!) semitismus von Rechts- und Linksextremisten ist das (D) hässliche Spiegelbild der linksliberalen Israelfeindschaft und 1976 entführten Mitglieder der linksextremen Revo- und des linksliberalen Antisemitismus. Sie zeigen mit lutionären Zellen eine Passagiermaschine nach Entebbe. dem Finger auf die AfD. Drei Finger zeigen auf Sie zu- Dort trennten sie Juden von den Nichtjuden und behielten rück. nur die Juden als Geiseln, um sie gegebenenfalls zu er- morden. Ich empfehle Ihnen das Buch das Historikers Vielen Dank. Jeffrey Herf „Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: und die westdeutsche radikale Linke“. Daraus zitiere ich Das ist unwürdig!) mit Erlaubnis der Präsidentin einen Satz: Diese Links- extremisten waren die ersten Deutschen seit dem Holo- caust, die wehrlose Juden mit der Waffe bedrohten. – Vizepräsidentin Petra Pau: Linksextremisten und Rechtsextremisten sind siamesi- Das Wort hat der Kollege Lars Klingbeil für die SPD- sche Zwillinge, Fraktion. (Konstantin Kuhle [FDP]: Stimmt!) (Beifall bei der SPD)

und es gibt zwischen ihnen eine ganz große Klammer, Lars Klingbeil (SPD): nämlich ihren gemeinsamen Hass auf Israel und ihr Anti- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und semitismus. Dieser Antisemitismus ist kein Randphäno- Kollegen! Als uns am Mittwoch die ersten Nachrichten men gewaltbereiter Extremisten. Er kommt aus der Mitte aus Halle über Schüsse an einer Synagoge erreichten, war des linksliberalen Milieus, aus linksliberalen Leitmedien am Anfang die Hoffnung, dass niemand zu Schaden ge- und aus dem linken Kulturbetrieb. kommen ist, die Hoffnung, dass es sich nicht um einen Vorfall handelt, der jüdisches Leben in Deutschland be- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE droht, die Hoffnung, dass es keine Tat ist, die politisch GRÜNEN]: Wer hat denn von „Vogelschiss“ oder religiös motiviert ist. Diese Hoffnung hat sich im geredet? Wer hat denn vom „Mahnmal der Laufe des Nachmittags leider zerschlagen, und wir alle Schande“ geredet?) mussten erleben, dass sich aufklärte, dass sich ein Nazi, Die vergiften das gesellschaftliche Klima. Das ist der ein Rechtsextremer mitten in Deutschland, mitten im Boden, auf dem der Terror wächst. Jahr 2019 aufmachte, jüdisches Leben in Deutschland auszulöschen, dass in einer Synagoge Todesangst ent- (Beifall bei der AfD) stand bei Menschen, die friedlich ihrem Glauben nach- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14417

Lars Klingbeil (A) gehen wollen. Ich sage Ihnen: Es ist richtig, dass wir uns Hass und Hetze engagieren, die sich in vielen lokalen (C) über diese Tat empören, dass wir hier gemeinsam fest- Initiativen als Künstlerin, als Künstler, als zivilgesell- stellen, dass das nicht passieren darf. Aber wichtiger ist, schaftliche Gruppen engagieren. – Die müssen wir stär- dass wir deutlich machen, auch als politisch Verantwort- ken, und es ist an der Zeit, dass wir hier im Parlament ein liche: Jüdisches Leben in Deutschland muss geschützt Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen, mit dem werden. Die Verantwortung dafür müssen wir als poli- wir all den Menschen den Rücken stärken, die schon seit tisch Verantwortliche tragen, liebe Kolleginnen und Kol- Jahren diese wertvolle Arbeit leisten. legen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Anja Weisgerber Ich sage aber auch: Wenn wir hier im Deutschen Bun- [CDU/CSU]) destag über Hass, Hetze, Rechtsextremismus und Spal- tung reden, dann kommen wir nicht daran vorbei, auch Frau von Storch, Herr Gauland, ich habe mich gerade über die AfD hier im Parlament zu reden. Sie sind die gefragt: Wie muss sich eigentlich jemand fühlen, der die- Partei, die am lautesten nach Anstand schreit und am se Todesangst in der Synagoge erlebt hat, der sie erleben wenigsten Anstand in solchen politischen Debatten hat, musste, der von einer Tür geschützt wurde und der jetzt sehr geehrten Damen und Herren. heute erlebt, wie Sie hier versuchen, diesen feigen An- schlag politisch zu instrumentalisieren? (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten der CDU/CSU und der LINKEN – Zuruf der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des von der AfD: Das ist doch Unsinn!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind die Partei, die versucht, aus einem solch furcht- Ich frage mich wirklich, wie man diese Dreistigkeit baren Anschlag in Halle politischen Profit zu schlagen. haben kann. Wir im Parlament haben häufig unterschied- Sie sind die Partei, die versucht, eine Spaltung in liche Meinungen. Wir haben häufig Differenzen. Wir Deutschland weiter voranzutreiben. streiten über den Weg. Ich habe in den letzten Jahren großartige Kollegen in der Union, bei den Linken, in (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Unsinn! Das ist der FDP, bei den Grünen, natürlich in meiner Fraktion nicht richtig! – Zuruf von der AfD: Das tun kennenlernen dürfen. Was uns eint, ist doch, dass wir Sie doch gerade! – Weitere Zurufe von der gemeinsam die Demokratie stärken wollen, dass wir AfD) den Zusammenhalt stärken wollen. – Ja, hören Sie sich diese Wahrheit an. Das müssen Sie (B) (D) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Dann hetzen Sie hier im Parlament aushalten. Andere Fraktionen im Par- doch nicht!) lament versuchen, diese Gesellschaft zusammenzuhalten, und Sie versuchen, weiter zu spalten. Aber Sie tun das nicht. Sie spalten, und Sie hetzen, und Sie machen Politik auf dem Rücken von Minderheiten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Das ist unanständig, und das muss Ihnen auch in dieser BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutlichkeit gesagt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal ob es die Nazis (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem auf der Straße, die Nazis im Netz oder die Brandstifter im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Parlament sind, ich bin fest davon überzeugt: Die Mehr- ordneten der CDU/CSU und der FDP – Martin heit der Menschen in Deutschland kämpft für eine Demo- Reichardt [AfD]: Sie instrumentalisieren kratie, ist leidenschaftlich dabei, wenn es darum geht, doch!) unser Land und den Zusammenhalt zu stärken. Das soll- ten wir auch in diesen schwierigen Phasen mit Optimis- Wir müssen über die Frage reden: Welche politischen mus tun Konsequenzen folgen aus Halle? Wichtig ist, dass wir uns erst einmal bewusst machen: Es gibt das Problem des (Zuruf von der AfD: Sollten Sie! Warum tun Rechtsterrorismus hier in Deutschland. Es ist zu lange Sie es nicht?) von zu vielen gesagt worden, dass es dieses Problem nicht gibt. NSU, Nordkreuz, Terrorlisten, der Mord an Walter und uns nicht von der schlechten Laune der Nazis anste- Lübcke, das waren alles Anzeichen dafür. Es ist richtig, cken lassen oder, wie es die Hamburger Band Kettcar dass der Rechtsterrorismus jetzt auf der politischen Ta- gesagt hat, uns „von den verbitterten Idioten nicht ver- gesordnung ganz oben steht. bittern lassen“. Herr Seehofer, ich will das sagen: Ich bin Ihnen dank- Vielen Dank. bar für die Worte, die Sie heute hier im Parlament ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten funden haben. Ich bin Christine Lambrecht dankbar da- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- für, dass sie erklärt hat: Der Kampf gegen Hass und Hetze NISSES 90/DIE GRÜNEN) im Netz muss jetzt verstärkt werden. – Das geschieht mit ausgewogenen Vorschlägen, wo wir natürlich die Platt- formen in die Verantwortung nehmen. Ich bin Franziska Vizepräsidentin Petra Pau: Giffey dankbar dafür, dass sie sagt: Wir müssen diejeni- Das Wort hat der Kollege Christoph Bernstiel für die gen stärken, die sich seit Jahren in diesem Land gegen CDU/CSU-Fraktion. 14418 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Genau deshalb müssen wir konsequenter gegen Hetze, (C) Verleumdung und Mobbing vorgehen. Doch wer glaubt, dass Intoleranz und Gewalt dafür die richtigen Instrumen- Christoph Bernstiel (CDU/CSU): te sind, der ist ein Narr. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor einer Woche, ziemlich genau zu (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- dieser Uhrzeit, machte sich ein Wahnsinniger nach Halle NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- auf. Sein Ziel war, so viele Juden wie möglich zu töten. ten der SPD und der FDP) Selbst ein einziger getöteter Jude wäre für ihn ein Erfolg Nur wer Liebe und Mitgefühl in seinem Herzen trägt, gewesen. Er traf eine Christin und einen HFC-Fan. Jana kann erkennen, wann Grenzen überschritten werden und und Kevin – das waren ihre Namen. Seine Mordlust war wann es Zeit ist, zu handeln. nicht gestillt, er setzte seine Fahrt fort. Im benachbarten Wiedersdorf verletzte er ein Ehepaar mit Schüssen Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wurden genug schwer. Es grenzt an ein Wunder, dass diese Menschen Grenzen überschritten. Es ist nun an uns allen, zu zeigen, nicht auch getötet wurden. Durch einen selbstverursach- wie ernst wir es meinen, wenn wir sagen: Nie wieder! ten Verkehrsunfall wurde er schließlich überwältigt und in Gewahrsam genommen. Er hinterließ eine traumati- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem sierte Gemeinde, eine traumatisierte Stadt und vielleicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- sogar eine traumatisierte Nation. ordneten der FDP und der LINKEN) Ich selbst werde nie vergessen, wie es sich angefühlt Vizepräsidentin Petra Pau: hat, als mich gegen 12.40 Uhr eine SMS mit folgendem Inhalt erreicht hat: Amokalarm im Paulusviertel. Bisher Das Wort hat der Kollege Dr. Karamba Diaby für die eine getötete Person, Täter flüchtig. – Zu diesem Zeit- SPD-Fraktion. punkt hatte meine Familie gerade das Haus verlassen (Beifall bei der SPD) und befand sich keine 500 Meter vom Tatort entfernt. Im Laufe des Tages erreichten mich immer dramati- Dr. Karamba Diaby (SPD): schere Meldungen, von denen sich viele Gott sei Dank Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen als falsch erwiesen. Auch zahlreiche Medienanfragen er- und Herren! Meine Gedanken sind bei den Angehörigen reichten mich. Ich muss mit Bestürzung feststellen, dass und Freunden der Opfer des Anschlags in Halle. An je- einige Medien bereits über die Ursachen und die Hinter- nem Tag fuhr ich mit der Straßenbahn zu meinem Bürger- (B) gründe spekuliert haben, während circa 700 mutige Poli- büro, das vom Paulusviertel nur fünf Minuten entfernt (D) zisten noch damit beschäftigt waren, unsere Stadt vor liegt. Meine Tochter rief mich später an und fragte: weiteren Anschlägen zu schützen. An dieser Stelle möch- „Wo bist du, Papa? Du musst sofort nach Hause gehen. te ich allen Einsatzkräften, die in Halle unterwegs waren Es gibt eine Schießerei.“ Ich hörte die Angst aus ihrer und sehr besonnen und mutig agiert haben, meinen tief Stimme. Überall waren Polizeisirenen zu hören. Ich war empfundenen Dank aussprechen. schockiert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Mein Team und ich haben uns im Büro eingeschlossen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Stunden später erfuhr ich, was passiert war. Ein von Hass GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) und durch eine unmenschliche Ideologie getriebener Mensch wollte am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Wilde Spekulationen machten die Runde. Halle sei ei- Kippur, Menschen töten. Was ihn davon abhielt, war ne rechtsextreme Hochburg, die Hooliganszene trage eine die fest verschlossene Tür der Synagoge. In seinem Wahn Mitverantwortung, und die Behörden hätten in Halle viel ermordete der Täter dann zwei völlig Unbeteiligte: vor zu lange weggeschaut, hieß es. Meine Damen und Herren, der Synagoge eine Hallenserin und in einem Dönerimbiss ich als Hallenser kann Ihnen sagen: Das ist Unsinn. Halle einen gerade 20 Jahre alten Merseburger, der als Maler ist keine rechtsextreme Hochburg. Halle ist tolerant, welt- auf einer Baustelle in der Nähe arbeitete. Wir müssen jetzt offen, lebendig, tapfer und mitfühlend. Und trotzdem handeln. Wir müssen aktiv werden. kämpft auch diese Stadt mit dem Krebsgeschwür unserer Gesellschaft. Rechtsextremismus und Hass sind keine ty- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, pischen Phänomene des Ostens. Die traurige Wahrheit ist, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE dass das, was in Halle geschehen ist, überall in Deutsch- GRÜNEN) land hätte geschehen können. Hass und Gewalt sind mit Wir brauchen eine Stärkung der politischen Bildung Vollgas auf dem Vormarsch zur Mitte unserer Gesell- und Medienbildung in Schulen und Jugendeinrichtungen. schaft. Die Strategie ist die gleiche wie seit 100 Jahren: Wir brauchen eine bessere Präventionsarbeit. Und wir Erst vergiftet man mit Worten die Köpfe und die Seelen brauchen endlich ein Demokratiefördergesetz, das unsere der Bevölkerung, dann folgen Taten. Ministerin Franziska Giffey seit Längerem fordert. Unser gemeinsames Ziel muss es daher sein, den Nähr- (Beifall bei der SPD) boden auszutrocknen, auf dem Hass gedeiht. Ich habe mich immer gefragt: Warum werden Organi- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP sationen nur von Jahr zu Jahr gefördert, wenn sie eine und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daueraufgabe wie die Stärkung der Demokratie überneh- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14419

Dr. Karamba Diaby (A) men? Wir brauchen eine dauerhafte Förderung, und zwar worten finden müssen – das wird allerdings nicht in we- (C) jetzt. nigen Tagen gehen –: Was ist der Nährboden für extremistisches Gedankengut, was befördert es, und wie (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie gehen wir damit um? Ich maße mir nicht an, in den we- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nigen Minuten meiner Rede sagen zu können, was der GRÜNEN) Nährboden für extremistisches Gedankengut ist. Aber Wie Sie wissen, soll es Kürzungen bei der Antidiskri- Fakt ist, dass es politische Kräfte in diesem Land gibt, minierungsstelle des Bundes geben. Für mich steht fest: die auf komplexe politische Themen ganz einfache Ant- Wir brauchen hier keine Kürzungen, sondern mehr Inves- worten geben, die sich Sündenböcke suchen: Moslems, titionen. Zugewanderte, Juden, die Altparteien, das Staatsfernse- hen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beatrix von Storch [AfD]: Die AfD auch!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit vergangenem Befördert wird diese Entwicklung durch eine zunehmen- Mittwoch ist Halle ruhiger, stiller geworden. Ich spüre de Verrohung der Sprache, fehlenden Respekt im Um- ein starkes Bedürfnis nach Zusammenhalt und Zusam- gang miteinander und schnelle und leicht zugängliche menstehen: beim Gedenkgottesdienst, bei der Lichterket- Verbreitungswege, gerade im Netz. Schnell ist man in te, bei Mahnwachen. Meine Damen und Herren, jüdi- einer Community, einer Filterblase, wo alles, was nicht sches Leben ist in Halle mit einer aktiven Zivil- und der eigenen Meinung entspricht, kaputtgemacht wird, wo Stadtgesellschaft eng verbunden. Daran kann ein Terror- Halbwahrheiten und aus dem Zusammenhang gerissene anschlag nichts ändern. Sachverhalte für Empörung und Traffic sorgen. Es gibt zahlreiche Kräfte innerhalb des Landes und teilweise (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie auch außerhalb des Landes, die dabei mitmischen. bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden weiterhin gemeinsam mit der Jüdischen Wie gehen wir damit um? Mein Eindruck ist, dass in Gemeinde am Marsch des Lebens teilnehmen und ihn vielen Punkten, über die wir in den letzten Tagen disku- organisieren, am Jerusalemer Platz gemeinsam dem Pog- tiert haben, die Diskussion nicht tief genug geht. Ich bin romverbrechen von 1938 gedenken. Wir werden weiter mir sicher, dass viele Diskussionen zu kurz springen und jedes Jahr die Stolpersteine in unseren Straßen pflegen, wir ganz viele Stellvertreterdebatten in den letzten Tagen und wir werden in den kommenden Wochen die Jüdi- geführt haben. Bei allem, was Sie, Herr Minister, richtig schen Kulturtage in Halle feiern. gesagt haben: Die Frage, ob man die Gamer-Community (B) stärker beobachten müsse, ist abstrus. In Deutschland (D) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) spielen 34 Millionen Menschen Games. Ja, der Extremist von Halle hat sich der Kommunikationskanäle von Ga- Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Wochenende mern bedient, aber deshalb kann man nicht eine ganze werde ich wieder die Straßenbahn in Halle nehmen. Der Community unter Generalverdacht stellen. Anschlag hat etwas geändert, doch eines bleibt bestehen: Die Gesellschaft lässt sich nicht spalten, die Hallenserin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nen und Hallenser lassen sich nicht spalten. Wir lassen der FDP) uns nicht einschüchtern. Wir werden zusammenhalten. Halle bleibt weltoffen. Die Debatte über das Tragen von Waffen ist eine Stell- vertreterdebatte, die nichts mit dem eigentlichen Thema (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, zu tun hat. Bei allem Respekt: Auch die Diskussion über der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ein Demokratiefördergesetz ist viel zu kurz gesprungen. GRÜNEN) Was wir wirklich brauchen, sind bessere Einblicke in Vizepräsidentin Petra Pau: rechte Netzwerke, auch international, und politische Bil- dung, die nämlich elementare Voraussetzung ist, um die Das Wort hat die Kollegin Nadine Schön für die CDU/ Werte unserer freiheitlichen-demokratischen Grund- CSU Fraktion. ordnung zu verstehen und zu leben. Politische Bildung (Beifall bei der CDU/CSU) und eine gute demokratische Debattenkultur müssen schon in der Schule eingeübt werden. Wir brauchen auch Nadine Schön (CDU/CSU): gezielte Programme gegen Extremismus, Rechtsextre- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und mismus, Antisemitismus und Islamismus. Wir haben die Kollegen! Eine Tat wie die in Halle macht uns alle be- Mittel für die Programme verdoppelt, fast verdreifacht. troffen, fassungslos und wütend. Menschen wurden er- Von 2015 bis 2019 sind die Mittel, die wir für „Demo- mordet, auf der Straße, beim Essenholen. Menschen soll- kratie leben!“ einsetzen, von etwa 40 Millionen Euro auf ten ermordet werden, weil sie Juden sind. Der Anschlag – über 100 Millionen Euro gestiegen. Da kann uns wirklich das ist heute von zahlreichen Rednern gesagt worden – ist keiner vorwerfen, wir würden bei „Demokratie leben!“ ein Anschlag auf uns alle. sparen und wir würden die Mittel zurückfahren. Es ist richtig, dass wir den leichten Rückgang von 8 Millionen Nach der Fassungslosigkeit folgt die politische Debatte Euro im Vergleich zum letzten Jahr korrigieren. Auch ich über die richtigen Schlussfolgerungen. Es sind drei Fra- habe mich gewundert, dass der Ansatz des Bundesfami- gen, die uns umtreiben und auf die wir gemeinsam Ant- lienministeriums nicht der gleiche ist wie beim letzten 14420 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Nadine Schön (A) Mal. Wir werden die Mittel wieder auf Vorjahresniveau ne gute demokratische Debatte und ein konsequentes (C) anheben. Das ist vereinbart. Dazu stehen wir. Vorgehen gegen die Feinde unserer freiheitlichen-demo- kratischen Ordnung. Extremismus darf in unserer Gesell- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei schaft keinen Platz haben. Abgeordneten der SPD und der FDP) Zur Debatte über ein Demokratiefördergesetz: Wer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei glaubt denn wirklich, dass wir Demokratie dadurch för- Abgeordneten der SPD und der FDP) dern, dass die Projekte künftig keine Anträge mehr stellen müssen? Wir brauchen gute Projekte. Wir brauchen gute Aussteigerprojekte. Darum geht es. Dafür müssen wir die Vizepräsidentin Petra Pau: Voraussetzungen schaffen. Eine Debatte über ein Demo- Ich schließe die Aussprache zur vereinbarten Debatte kratiefördergesetz ist eine reine Stellvertreterdebatte. zum Thema „Bekämpfung des Antisemitismus nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle“. Zum Schluss: Wir brauchen Plattformen, auf denen sich der politische Diskurs in demokratischer Art und Weise abspielt. Natürlich müssen die Plattformen ihrer Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, Verantwortung gerecht werden. Hetzer, Hass und Extre- gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und mismus vergiften die politische Debatte. Deshalb muss es Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen für Nutzer einfache Wege geben, extremistische Inhalte Abstimmung zum Entschließungsantrag der Fraktion zu melden. Plattformen müssen schnell reagieren, und der Die Linke zu der Abgabe einer Regierungserklärung Staat muss die Täter zur Verantwortung ziehen. Mit dem durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat in NetzDG sind wir einen ganz wichtigen Schritt gegangen. Brüssel bekannt: abgegebene Stimmen 627. Mit Ja haben Diesen müssen wir evaluieren und gegebenenfalls ver- 123 Abgeordnete gestimmt, mit Nein stimmten 504 Ab- bessern. „Verfolgen statt nur löschen“ ist die richtige De- geordnete, es gab keine Enthaltungen. Der Entschlie- vise. Wir brauchen gesellschaftlichen Zusammenhalt, ei- ßungsantrag ist damit abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 627; Ulla Jelpke Kathrin Vogler Dr. Kirsten Kappert- davon Kerstin Kassner Andreas Wagner Gonther ja: 124 Dr. Uwe Kekeritz nein: 503 Katja Keul (B) (D) Jan Korte Sven-Christian Kindler Ja Maria Klein-Schmeink SPD Caren Lay Sylvia Kotting-Uhl Sabine Leidig Oliver Krischer BÜ NDNIS 90/ Stephan Kühn (Dresden) DIE GR ÜNEN Christian Kühn (Tübingen) Luise Amtsberg DIE LINKE Renate Künast Doris Achelwilm Dr. Gesine Lötzsch Markus Kurth Annalena Baerbock Gökay Akbulut Monika Lazar Simone Barrientos Pascal Meiser Sven Lehmann Dr. Dietmar Bartsch Amira Mohamed Ali Dr. Steffi Lemke Lorenz Gösta Beutin Cornelia Möhring Canan Bayram Dr. Matthias W. Birkwald Niema Movassat Dr. Franziska Brantner Dr. Irene Mihalic Heidrun Bluhm-Förster Norbert Müller (Potsdam) Agnieszka Brugger Claudia Müller Michel Brandt Zaklin Nastic Dr. Beate Müller-Gemmeke Dr. Alexander S. Neu Ekin Deligöz Dr. Konstantin von Notz Dr. Birke Bull-Bischoff Katja Dörner Omid Nouripour Sevim Dağdelen Petra Pau Katharina Dröge Friedrich Ostendorff Harald Ebner Cem Özdemir Dr. Tobias Pflüger Matthias Gastel Anke Domscheit-Berg Tabea Rößner Stefan Gelbhaar Claudia Roth (Augsburg) Susanne Ferschl Bernd Riexinger Katrin Göring-Eckardt Dr. Manuela Rottmann Eva-Maria Schreiber Erhard Grundl Dr. Dr. Petra Sitte Anja Hajduk Dr. André Hahn Kersten Steinke Britta Haßelmann Dr. Heike Hänsel Friedrich Straetmanns Dr. Bettina Hoffmann Stefan Schmidt Matthias Höhn Dr. Kirsten Tackmann Dr. Anton Hofreiter Kordula Schulz-Asche Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 201914421

(A) Margit Stumpp (C) Ulrich Lange Jürgen Trittin Dr. Johannes Röring Dr. Julia Verlinden Ursula Groden-Kranich Daniela Wagner Hermann Gröhe Paul Lehrieder Erwin Rüddel Beate Walter-Rosenheimer Klaus-Dieter Gröhler Dr. Michael Grosse-Brömer Dr. Astrid Grotelüschen Anita Schäfer (Saalstadt) Fraktionslos Markus Grübel Andrea Lindholz Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Marco Bülow Oliver Grundmann Jana Schimke Monika Grütters Nikolas Löbel Nein Fritz Güntzler Dr. CDU/CSU Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Nadine Schön Felix Schreiner Jürgen Hardt Dr. Klaus-Peter Schulze Philipp Amthor Dr. Thomas de Maizière Uwe Schummer Peter Aumer Gisela Manderla (Weil am Dorothee Bär Dr. Dr. Rhein) Thomas Bareiß Detlef Seif Mark Helfrich Stephan Mayer (Altötting) (Börde) Dr. Dr. Patrick Sensburg Marc Henrichmann Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Björn Simon Dr. André Berghegger Ansgar Heveling Michelbach Dr. (B) Christoph Bernstiel Dr. Heribert Hirte Dr. (D) Peter Beyer Alexander Hoffmann Karsten Möring Karl Holmeier Elisabeth Motschmann Andreas Steier Axel Müller (Rostock) Hans-Jürgen Irmer Dr. Gerd Müller Sepp Müller Michael Brand (Fulda) Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten (Braunschweig) Dr. Reinhard Brandl Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Torbjörn Kartes Max Straubinger Ralph Brinkhaus Volker Kauder Gitta Connemann Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Dr. Ronja Kemmer Florian Oßner Hans-Jürgen Thies Alexander Dobrindt Josef Oster Alexander Throm Michael Donth Michael Kießling Dr. Dietlind Tiemann Marie-Luise Dött Dr. Hansjörg Durz Axel Knoerig Dr. Volker Ullrich Hermann Färber Jens Koeppen Dr. Dr. Carsten Körber Dr. Christoph Ploß (Kleinsaara) Thorsten Frei Alexander Krauß Eckhard Pols Dr. Gunther Krichbaum Dr. Johann David Wadephul Dr. Hans-Peter Friedrich Rüdiger Kruse (Hof) Michael Kuffer Hans-Joachim Fuchtel Dr. Roy Kühne Alois Rainer Albert H. Weiler Ingo Gädechens Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Dr. Andreas G. Lämmel () 14422 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Dr. Anja Weisgerber Dr. Barbara Hendricks Dr. Götz Frömming (C) Peter Weiß (Emmendingen) Axel Schäfer (Bochum) Dr. Alexander Gauland Gabriele Hiller-Ohm Dr. Nina Scheer Albrecht Glaser Franziska Gminder Annette Widmann-Mauz Dr. Eva Högl Dr. Armin-Paulus Hampel Bettina Margarethe Mariana Iris Harder-Kühnel Wiesmann (Aachen) Elisabeth Winkelmeier- (Wetzlar) Dr. Becker Carsten Schneider (Erfurt) Johannes Kahrs Elisabeth Kaiser Udo Theodor Hemmelgarn Ralf Kapschack Dr. Manja Schüle Lars Herrmann Dr. Gabriele Katzmarek Martin Hess Arno Klare Martin Schulz Dr. Heiko Heßenkemper SPD Lars Klingbeil (Spandau) Karsten Hilse Dr. Bärbel Kofler Frank Schwabe Nicole Höchst Ingrid Arndt-Brauer Daniela Kolbe Elvan Korkmaz-Emre Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Rainer Spiering Leif-Erik Holm Christine Lambrecht Martina Stamm-Fibich Christian Lange (Backnang) Mathias Stein Dr. Helge Lindh Sören Bartol Kirsten Lühmann Norbert Kleinwächter Bärbel Bas Heiko Maas Markus Töns Isabel Mackensen Carsten Träger Jörn König (Heidelberg) Steffen Kotré Christoph Matschie Marja-Liisa Völlers Dr. Rainer Kraft Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Dirk Vöpel Katrin Budde (B) Klaus Mindrup Bernd Westphal Jens Maier (D) Martin Burkert Gülistan Yüksel Dr. Dr. Lars Castellucci Falko Mohrs Dr. Birgit Malsack- Bernhard Daldrup Winkemann Dr. Siemtje Möller Dr. Jens Zimmermann Dr. Karamba Diaby Bettina Müller Esther Dilcher Detlef Müller (Chemnitz) Hansjörg Müller AfD Michelle Müntefering Volker Münz Dr. Dr. Rolf Mützenich Dr. Bernd Baumann Sebastian Münzenmaier Saskia Esken Marc Bernhard Christoph Neumann Ulli Nissen Jan Ralf Nolte Dr. Johannes Fechner Ulrich Oehme Dr. Mahmut Özdemir Stephan Brandner Dr. Edgar Franke (Duisburg) Jürgen Braun Aydan Özoğuz Marcus Bühl Tobias Matthias Peterka Christian Petry Matthias Büttner Paul Viktor Podolay Angelika Glöckner Petr Bystron Jürgen Pohl Sabine Poschmann Tino Chrupalla Stephan Protschka Kerstin Griese Martin Rabanus Martin Reichardt Michael Groß Andreas Rimkus Dr. Roman Johannes Reusch Uli Grötsch Sönke Rix Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Rita Hagl-Kehl Dr. Berengar Elsner von Jörg Schneider René Röspel Gronow Dr. Dr. Michael Espendiller Thomas Seitz Hubertus Heil (Peine) Michael Roth (Heringen) Gabriela Heinrich Susann Rüthrich Dietmar Friedhoff Bernd Rützel Dr. Anton Friesen Dr. Dirk Spaniel Markus Frohnmaier René Springer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 201914423

(A) Beatrix von Storch Christian Dürr Frank Schäffler (C) Wolfgang Wiehle Konstantin Kuhle Dr. Dr. Heiko Wildberg Dr. Matthias Seestern-Pauly Dr. Christian Wirth Daniel Föst Alexander Graf Lambsdorff Frank Sitta Uwe Witt Ulrich Lechte Thomas Hacker Christian Lindner Dr. FDP Bettina Stark-Watzinger (Heilbronn) Grigorios Aggelidis Katrin Helling-Plahr Dr. Marie-Agnes Strack- Oliver Luksic Renata Alt Zimmermann Dr. Jürgen Martens Christine Aschenberg- Benjamin Strasser Dugnus Manuel Höferlin Katja Suding Alexander Müller Dr. Christoph Hoffmann Linda Teuteberg Roman Müller-Böhm Jens Beeck Reinhard Houben Michael Theurer Frank Müller-Rosentritt Dr. Stephan Thomae (Rhein-Neckar) Dr. Martin Neumann Mario Brandenburg (Lausitz) Dr. Florian Toncar (Südpfalz) Dr. Dr. Dr. Andrew Ullmann Dr. Dr. Stefan Ruppert Johannes Vogel (Olpe) Carl-Julius Cronenberg Daniela Kluckert Dr. h. c. Thomas Britta Katharina Dassler Pascal Kober Sattelberger Bijan Djir-Sarai Christian Sauter Katharina Willkomm

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Bundesregierung und vor allem an ihrem Handeln sieht man eindeutig, dass sie sich mit Ökoterroristen jeglicher Beratung des Antrags der Abgeordneten Karsten Couleur verbündet bzw. deren Aktivitäten wohlwollend (B) Hilse, Dr. Heiko Wildberg, Dr. Rainer Kraft, wei- (D) zur Kenntnis nimmt. Sie sind nützliche Idioten der grünen terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Politik der Bundesregierung. Die einen nutzen diese nütz- Echten Umweltschutz betreiben – Aufgabe al- lichen Idioten, um die eigenen Lobbyinteressen gegen ler Klimaschutz- und Energiewendeziele, für den Widerstand Betroffener unter Inkaufnahme der Zer- eine faktenbasierte Klima- und Energiepolitik störung unserer Flora und Fauna durchzusetzen, um das deutsche Volk weiter auszuplündern. Drucksache 19/14069 (Beifall bei der AfD) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Andere sind Opportunisten, die sich nicht vom Fresstrog Ausschuss für Wirtschaft und Energie drängen lassen wollen und deshalb den Ideologen mehr Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die oder weniger blind folgen. Für die dritte und gefährlichste Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Gruppe sind es nützliche Idioten, um, angetrieben von der Widerspruch. Dann ist so beschlossen. grünen Klimasekte, die große Transformation, verhei- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- ßungsvoll verpackt im Klimaschutzplan 2050, hin zu ordnete Karsten Hilse für die AfD Fraktion. einer ökosozialistischen Diktatur voranzutreiben. Die ers- ten Schritte sind getan mit Einführung planwirtschaft- (Beifall bei der AfD) licher Vorgaben dort, wo soziale Marktwirtschaft das Credo sein sollte, mit der Einschränkung der Meinungs- Karsten Hilse (AfD): freiheit, obwohl diese jedem Deutschen gemäß Artikel 5 Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Grundgesetz zugesichert wird, und mit religiös fanati- Landsleute! Mit Genehmigung der Präsidentin beginne schem Eifer statt Vernunft. ich mit einem leicht gekürzten Zitat der Bundesregierung: (Beifall bei der AfD) Liebe Extinction Rebellion Berlin, wir hören euch! Policy Exchange publizierte 2019 einen Report über die Wir kämpfen für dieselbe Sache … Ideologie und Taktik der Extinction Rebellion. Demnach Hier wird eine Organisation hofiert, von der selbst Jutta stehe man in der Führungsebene der Bewegung – an der Ditfurth, eine Mitgründerin der Grünen, sagt, sie sei eine ehemals konservativen CDU sieht man ja eindeutig, dass religiöse-gewaltfreie esoterische Sekte, welche an die die Führungsebene entscheidend ist – für eine subversive Apokalypse der baldigen Auslöschung der Menschheit Agenda, die in einem politischen Extremismus aus Anar- glaubt, der man sich nicht anschließen sollte. An dem chismus, Ökosozialismus und antikapitalistischem Öko- angeführten Zitat und an vielen anderen Aussagen der logismus wurzelt. Wenn die Bundesregierung für dieselbe 14424 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Karsten Hilse (A) Sache kämpft: Gibt es dann hier bald Anarchismus, Öko- schaftlichen Grundlagen und von Teilen unserer Umwelt (C) sozialismus, gibt es dann bald die dritte sozialistische vorantreiben, die Freiheit des deutschen Volkes ein- Diktatur auf deutschem Boden? Dieser Entwicklung schränken und auf dem Weg sind, durch einen grundle- stemmt sich die AfD mit aller Kraft entgegen. genden Umbau unserer Gesellschaft die freiheitlich-de- mokratische Grundordnung auszuhebeln. Herr (Beifall bei der AfD) Haldenwang, übernehmen Sie bitte! Ich benutze nicht Worte wie „bis aufs Blut“ oder „bis aufs Messer bekämpfen“. Das überlasse ich den Vielen Dank. Scharfmachern von CDU/CSU. (Beifall bei der AfD – Helin (Beifall bei der AfD – Lachen beim BÜND- [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Unmöglich!) NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sie sind ein Scharfmacher! Sie Vizepräsidentin Petra Pau: sind überhaupt der Scharfmacher!) Das Wort hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber für die Wir lehnen diese in weiten Teilen irrationale Politik der CDU/CSU-Fraktion. Bundesregierung ab und fordern in unserem Antrag, zu (Beifall bei der CDU/CSU) einer faktenbasierten Energie- und Umweltpolitik zu- rückzukehren. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Die jetzige Energiepolitik fußt auf der Hypothese, dass Erst mal muss ich dazu sagen: Den Sachverhalt in Hal- der Mensch mit seinen CO2-Emissionen das Klima maß- le mit der Umwelt- und Klimapolitik unserer Fraktion in geblich beeinflusst. Dafür gibt es trotz 30-jähriger inten- einen Topf zu werfen, das ist mehr als daneben! siver und mit zig Milliarden gepamperter Forschung kei- nen einzigen wissenschaftlichen Beweis. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der LINKEN – Lachen bei (Widerspruch bei der CDU/CSU) der AfD) Die sogenannten Beweise stammen aus Computermodel- Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- len, deren Voraussagen immer weiter von den real ge- legen! Das Klimapaket, das vergangene Woche von der messenen Daten abweichen. Bundesregierung beschlossen wurde, ist ein konstruktiver (Ulli Nissen [SPD]: Und die Erde ist eine Schritt nach vorne, und viele sagen: Es ist deutlich besser Scheibe!) als sein Ruf. – Ein solch weitgehendes Programm aus erstens Maßnahmen in allen Sektoren, zweitens einer (B) – Schreien Sie ruhig, Frau Nissen, das kenne ich von (D) CO2-Bepreisung und drittens einem regelmäßigen Ihnen. Monitoring hat es in der Form noch nie gegeben, auch (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) nicht unter Rot-Grün. Das gilt es erst mal festzustellen. Aber selbst wenn die Theorie stimmte, würde Deutsch- Klimaschutz darf aber auch nicht zu einer sozialen land, wenn es innerhalb von Jahresfrist kein einziges Frage werden, sondern muss zu einer Frage der Innova- Gramm CO2 mehr emittierte, die theoretische – theoreti- tion und des Fortschritts werden. Und ich sage Ihnen: Die sche! – Erderwärmung um nur 0,000653 Grad Celsius Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die in der ei- verringern. nen oder anderen Richtung anderer Meinung sind und kritisieren, sollen es doch erst mal besser machen, meine (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Damen und Herren. Für diesen aberwitzig geringen Wert auch nur einen (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das haben wir doch einzigen Cent auszugeben, schon vorgelegt! Wir sind besser und schnel- (Ulli Nissen [SPD]: Immer der gleiche ler! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Textbaustein!) GRÜNEN]: Aber gerne!) Flora und Fauna nachhaltig zu schädigen und Menschen- Die Menschen in unserem Land erwarten von uns, dass leben durch einen unausweichlich werdenden Blackout wir Verantwortung übernehmen, und bei einer solch groß- zu gefährden, ist und bleibt ideologischer Unsinn. en Herausforderung wie dem Klimawandel gilt es auch mal, parteiübergreifend konstruktiv in einem Bundesrats- (Beifall bei der AfD) verfahren zusammenzuarbeiten. Dazu lade ich Sie ganz, Und wenn hier einige Politiker aufgrund der Tat eines ganz herzlich ein. Alles andere wäre auch verantwor- Psychopathen, mit dem die AfD nichts, aber auch gar tungslos, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nichts zu tun hat, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU: Das ist ein anderes und das sage ich auch an die Adresse der AfD. Interessant Thema!) an der AfD-Fraktion ist nämlich auch, dass Sie sich selbst die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz gar nicht mehr einig sind. Ihr Kollege Hollnagel räumte fordern, dann kann ich nur sagen, dass Sie alle hier – mit diese Woche gegenüber der „Welt“ ein, dass man einen wenigen Ausnahmen – vom Verfassungsschutz beobach- Einfluss des Menschen auf den Klimawandel nicht leug- tet werden müssten, weil Sie die Zerstörung unserer wirt- nen kann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14425

Dr. Anja Weisgerber (A) (Ulli Nissen [SPD]: Hört, hört!) Wenn die AfD von der Aufgabe aller Klima- und Ener- (C) gieziele spricht, dann sage ich Ihnen ganz klar: Ja, und CO -Emissionen deshalb reduzieren sollte. Man höre 2 Deutschland alleine kann das Klima der Welt nicht retten; und staune! daraus machen wir auch gar keinen Hehl. Deswegen ist (Ulli Nissen [SPD]: Hört, hört!) die Arbeit von Gerd Müller, des Entwicklungshilfeminis- ters, auch an der Stelle so wichtig. Und deswegen ist es Er sagte damit, dass der Klimawandel zumindest auch auch so wichtig, dass wir bei den Weltklimakonferenzen menschengemacht ist. Das zeigt mir, dass zumindest ei- immer wieder dafür kämpfen, dass die Staaten der Welt nige in Ihrer Fraktion sich mit ihrer Rolle als einzige sich auch an die Klimaziele halten, die sie sich selbst Fraktion, die nicht den Klimawandel, aber das Menschen- gesteckt haben. gemachtsein des Klimawandels leugnet, nicht mehr rich- tig wohlfühlen. Aber anstatt das einzugestehen, halten Sie (Karsten Hilse [AfD]: 2030!) einfach tapfer an Ihrer Position fest, und das verstehe ich Da ist das Pariser Abkommen ein Riesenschritt nach an der Stelle nicht. vorn. Das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung Aber ich sage auch: Wir haben doch eine Verantwor- enthält über 60 Maßnahmen in allen Sektoren. Das Ziel tung in der Welt. Wir müssen doch als Vorbild vorange- ist, alle Gesetzentwürfe noch in diesem Jahr im Kabinett hen und müssen zeigen, dass es gelingt, Klimaschutz und zu verabschieden. Das ist ambitioniert, aber machbar. Wirtschaftswachstum nicht als Gegensätze zu begreifen, Erst gestern hat das Kabinett wieder wichtige Maßnah- sondern auch als Chance für die Wirtschaft, sich auf die men verabschiedet, wie zum Beispiel die steuerliche För- Entwicklung von Umweltinnovationen zu konzentrieren. derung der energetischen Gebäudesanierung, worüber ich mich an der Stelle wirklich sehr freue. Das ist ein Erfolg, (Karsten Hilse [AfD]: Am deutschen Wesen und ich hoffe, dass der Bundesrat an der Stelle jetzt nach- soll die Welt genesen?) zieht, meine Damen und Herren. Dann kann Klimaschutz auch ein echtes Konjunkturpro- (Beifall bei der CDU/CSU) gramm sein. Das ist unser Ansatz. Übrigens sind das alles Maßnahmen – diese über 60 Maßnahmen in allen Sektoren –, die zu großen Teilen Vizepräsidentin Petra Pau: auch von anderen Fraktionen hier im Haus gefordert wur- Kollegin Weisgerber, Sie können weitersprechen, tun den, und deswegen hoffe ich, dass wir zu einem konstruk- das dann aber auf Kosten Ihrer Kollegen. tiven Endergebnis kommen. (B) (D) Der Unterschied zu uns liegt allerdings darin, dass wir Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): oft einen realistischeren Blick auf die Auswirkungen auf Vielen herzlichen Dank. die Bürger haben. Wir schaffen zuerst Anreize, und im (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zweiten Schritt steigt dann der Preis deutlich an mit dem Klaus Mindrup [SPD]) nationalen Zertifikatehandelssystem für Wärme und Ver- kehr. So haben die Bürgerinnen und Bürger die Möglich- keit, sich auf diese neue Situation einzustellen, bei ihren Vizepräsidentin Petra Pau: Käufen auch eine bewusste Entscheidung in Richtung Das Wort hat Dr. Lukas Köhler für die FDP-Fraktion. klimafreundliche Technologie zu treffen. Und in einigen Jahren wird der Preis steigen und kann in einem Emis- (Beifall bei der FDP) sionshandel, bei dem sich der Preis am Markt bildet, auch deutlich ansteigen, auch auf die Höhe des von Wissen- Dr. Lukas Köhler (FDP): schaftlerseite geforderten Betrages für die Tonne CO2. Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Vater eines bald vierjährigen Sohnes, und natürlich möchte ich für ihn die Welt zu einem besse- Vizepräsidentin Petra Pau: ren Ort machen. Das ist ganz klar, und ich glaube, das ist Kollegin Weisgerber, gestatten Sie eine Frage oder Be- auch ein Grund dafür, warum ich angefangen habe, Poli- merkung aus der Grünenfraktion? tik zu machen. Ich möchte ihn aber nicht für die heutige Debatte instrumentalisieren, weil er in einer Welt auf- Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): wachsen wird, die mit genügend Problemen zu kämpfen Ich habe noch 44 Sekunden und würde meine Rede hat. Ich möchte eine andere Geschichte erzählen: Mein gern erst zu Ende führen. Sohn spielt sehr gerne ein Spiel: Er hält sich gern seine kleinen Händchen vors Gesicht und tut so, als ob die Welt um ihn herum nicht da wäre. Meine Damen und Herren, Vizepräsidentin Petra Pau: der AfD-Antrag spielt das gleiche Spiel. Ja, dann ist es vorbei. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): und der LINKEN) Okay. – Wir schaffen erst Anreize, und in einem zwei- Es ist hoch beeindruckend, dass Sie völlig ignorieren, ten Schritt, wie gesagt, steigt der Preis an, und das ist dass es – selbst wenn Sie recht hätten – natürlich Klima-, unsere Antwort im Punkt Bepreisung. Energie- und Umweltpolitik gibt und wir diese natürlich 14426 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Lukas Köhler (A) mitgestalten wollen. Sie geben mit Ihrem Antrag jeden peu durch die Klimaschutzmaßnahmen, die sogenannten (C) Anspruch auf Gestaltungswillen ab. Klimaschutzmaßnahmen, unterminiert, zerstört werden, wie auch immer man das nennen will. (Karsten Hilse [AfD]: Das stimmt nicht!) Ich war am Dienstag bei acatech. Dort habe ich nie- Sie verstecken sich hinter Ihren Händen und ignorieren manden von Ihnen gesehen. die aktuelle Debatte. Das, meine Damen und Herren, ist traurig. (Dr. Martin Neumann [FDP]: Doch!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Entschuldigung, Herr Neumann, Sie habe ich gesehen. der CDU/CSU und der SPD) Alles klar. Natürlich ist es richtig, dass wir aktuelle Klimapolitik (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sinnvoll ausgestalten müssen. Frau Weisgerber, Sie haben Keine Details bitte!) uns gerade eingeladen, mitzumachen. Wir warten immer noch auf die Einladung zum Klimakonsens. Wir haben Herr Spaht, einer der Präsidenten von acatech, sprach hier schon tausend Vorschläge dazu eingebracht. Aber ein davon, dass die Warnsignale schon zu sehen sind, dass Klimakonsens ohne Angebot eines parlamentarischen wir das zweite Quartal hintereinander ein Minuswirt- Verfahrens ist ein Witz und ist kein Beitrag zur aktuellen schaftswachstum haben, also ein negatives Wirtschafts- Debatte. Es ist vor allen Dingen kein Bessermachen ei- wachstum, dass wir bei den Exportnationen zurückgestuft nes, so leid es mir tut, im Moment gescheiterten Klima- wurden von Platz drei auf Platz sieben. Das heißt, am paketes. Horizont ist schon zu sehen, dass unsere wirtschaftlichen Grundlagen gefährdet sind. Auch die Ankündigung, circa (Beifall bei der FDP) 100 000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie abzu- bauen, zeigt, welche Auswirkungen das haben wird. Sie haben in Ihrer Rede davon gesprochen, Herr Hilse, dass die wirtschaftliche Grundordnung gefährdet sei. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was hat das mit Klimaschutz zu tun?) (Karsten Hilse [AfD]: Das stimmt nicht! Das habe ich nicht gesagt!) Ich wollte bloß, dass Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht davon gesprochen habe, dass die wirtschaftliche Ich möchte Ihnen kurz den Zusammenhang der Finanzie- Grundordnung zerstört wird, sondern unsere wirtschaft- rung erklären: Wenn Sie Maßnahmen mit Geld finanzie- lichen Grundlagen als Deutschland. ren, dann verbrennt das Geld nicht. (Abg. Karsten Hilse [AfD] meldet sich zu einer Dr. Lukas Köhler (FDP): (B) (D) Zwischenfrage) Herr Hilse, wenn ich auf Ihren Kommentar antworten darf: Sie sprechen von einer kommenden Rezession. Das ist kein Feuer, um CO2 zu erzeugen, sondern das sind Investitionen in Infrastruktur, in Technologien, in Zu- Kommt eine? kunft, in Energieversorgung. Das nennt sich Politik. (Karsten Hilse [AfD]: Ja!) Das nennt sich Investition. Das ist kein Geldverbrennen, und das ist auch keine Gefährdung der wirtschaftlichen Ja, das sehen wir. Kommt Sie wegen der Klimapolitik der Grundordnung, sondern das ist Zukunftsinvestition. Man Bundesregierung, muss es nur richtig ausgestalten. Und da, liebe Bundes- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: regierung, sehe ich bei Ihnen noch einiges an Fehlern. Das schließen wir aus!) von der die Grünen behaupten, dass sie nicht existent ist? Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Köhler, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kung des Abgeordneten Hilse? Eben!) Ich glaube, nicht. Ich glaube, sie kommt davon, dass wir Dr. Lukas Köhler (FDP): Handelskriege haben, dass wir nicht mehr auf Freihandel, Mit dem größten Vergnügen. auf Innovation, auf Fortschritt, auf Zukunft setzen, son- dern auf Protektionismus weltweit, auf die Reduktion (Ulli Nissen [SPD]: Das haben wir aber nicht! – unserer gemeinsamen internationalen, multilateralen Zu- Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sammenarbeit. Wir setzen auf die falschen Ziele. Und, ja: Das ist nicht nötig! – Heiterkeit bei Abgeordne- Macht die Bundesregierung alles richtig? Natürlich nicht. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Müsste die Bundesregierung in Infrastruktur investieren? GRÜNEN) Natürlich. – Guter Punkt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Karsten Hilse (AfD): Sie überfordern die AfD mit komplexen Zu- Es zeichnet Sie aus, dass Sie die Zwischenfrage zulas- sammenhängen!) sen. – Ich wollte bloß richtigstellen, dass ich nicht davon Müsste die Bundesregierung dafür sorgen, dass der Netz- gesprochen habe, dass die wirtschaftliche Grundordnung ausbau schneller vorwärtsgeht? Natürlich müsste die zerstört wird, sondern gesagt habe, dass die wirtschaft- Bundesregierung dafür sorgen, dass wir den Strom, den lichen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland peu à wir produzieren – er ist im Moment volatil –, abspeichern Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 201914427

Dr. Lukas Köhler (A) können. Natürlich! Hat sie dazu Ideen? Weiß ich nicht. wegen lassen Sie uns sinnvolle Klimapolitik machen, und (C) Hat sie angefangen, hat sie Ansätze? Ja, das sieht man. lassen Sie uns das anständig gestalten. Aber das sind die Punkte, warum die wirtschaftliche Danke schön. Gesamtsituation schwächer wird – nicht die Frage der (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Klimapolitik. Ganz im Gegenteil: Wenn wir aufhören, Dr. Barbara Hendricks [SPD]) die Klimapolitik mitzugestalten, auf europäischer Ebene und auch hier in Deutschland, dann werden wir Einbußen beim Fortschritt hinnehmen müssen, dann werden wir Vizepräsidentin Petra Pau: Arbeitsplätze verlieren. Gucken Sie sich doch das Thema Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin „Sustainable Finance“ mal an – dabei geht es um die Rita Schwarzelühr-Sutter. Frage, wie wir nachhaltig investieren –: Wenn wir jetzt aus der Debatte aussteigen, dann, liebe AfD, diskutieren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir nicht mehr darüber mit, wie in Deutschland investiert der CDU/CSU) wird; dann macht das Frankreich. Wenn Sie aus der De- batte raus sind, dann ist Deutschland ganz kaputt. Und das Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei wollen Sie ja wohl auch nicht. der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nuk- leare Sicherheit: (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Karsten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hilse [AfD]: Das will ich nicht! Das stimmt!) Wir haben in diesem Haus schon so oft über die Zusam- menhänge in der Klimapolitik gesprochen, über die Ur- Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir den sachen des Klimawandels und den Klimaschutz. Manch- Anspruch haben müssen, Klimapolitik auszugestalten. mal hat man schon den Eindruck, dass bei vielen eine Ich glaube, dann kommen wir auch zu einem sinnvollen gewisse Beratungsresistenz da ist; man kann vielleicht Weg. Wir haben unseren Plan vorgelegt. Es geht doch auch sagen: Ignoranz von Fakten. darum, Klimapolitik mit der Ausgestaltung von Klima- politik zu machen. Es geht doch darum: Wir müssen das Das fängt damit an, dass man sagt, dass wir im aktuel- Budget, das uns der IPCC vorgibt, festlegen; und darüber len Bericht des World Economic Forum auf Platz sieben hinaus darf nichts mehr ausgestoßen werden. Dieses Bud- gelandet sind, und sagt: Der Klimaschutz ist schuld, dass get über ein Handelssystem zu verteilen, das ist – da ist wir auf Platz sieben sind. – Lesen Sie doch wenigstens sich die Wissenschaft einig – der beste Weg. Hat die den Bericht. Darin steht nämlich nichts vom Klimaschutz, Bundesregierung ein Handelssystem auf den Weg ge- sondern da steht, dass wir bei der Digitalisierung aufholen müssen. Das meine ich: Bleiben Sie doch einfach mal bei (B) bracht? Leider nicht. Sie hat sich für eine CO2-Steuer (D) entschieden. Das ist der falsche Weg, meine Damen und der Sache, und bleiben Sie ehrlich. Herren; aber es ist immerhin der Ansatz eines Weges, auch wenn er in die falsche Richtung führt. (Beifall bei der SPD) Wir haben natürlich Verantwortung. Als Industrieland Lassen Sie mich noch ganz kurz darauf eingehen: Was haben wir eine historische Verantwortung. Wir haben in wäre, wenn wir die Argumentation der AfD zumindest im den vergangenen Jahrzehnten, im vergangenen Jahrhun- Kern ernst nehmen würden? Was wäre, wenn wir sagen dert als Industrieland unseren Anteil am weltweiten CO2- würden: „Mensch, es gibt Wissenschaftlerinnen und Wis- Ausstoß gehabt. Wenn man bei den Fakten bleiben will, senschaftler, die sagen, dass es den menschengemachten kann man auch sagen: Wir sind weltweit auf Platz sechs Klimawandel nicht gibt“? Dann ist das eine Debatte; das bei den Treibhausgasemissionen. Natürlich erwächst da- ist eine wissenschaftliche Debatte, die geführt wird, die in raus eine historische Verantwortung. der Wissenschaft geführt wird. Aber, meine Damen und Herren, ich habe ja am Anfang meinen Sohn erwähnt. Wir haben auch aktuell Verantwortung, nämlich, wie Diese wissenschaftliche Debatte zeigt doch nur, dass es Herr Köhler sehr treffend gesagt hat, gegenüber unseren kritische Stimmen innerhalb der Wissenschaft gibt. Aber Kindern und Enkelkindern. Wir möchten, dass auch die die große Mehrheit ist davon überzeugt, dass es einen nächste Generation ein gutes Leben hat, dass sie mindes- menschengemachten Klimawandel gibt. Da herrscht tens die gleichen guten Bedingungen hat wie wir. Wir Konsens. Aber die Gefahr, dass wir nicht danach handeln, sind nun mal die Generation, die es jetzt noch in der Hand was diese große Mehrheit sagt, und wir dann, in 10, hat. Abwarten wird teuer. Das können wir uns gar nicht 20 Jahren, vor wirklichen Problemen stehen, die weder leisten. ich noch mein Sohn lösen können, diese Gefahr will ich Damit komme ich zu Folgendem: Wir haben auch eine nicht eingehen. Ich will nicht, dass mein Sohn in 20 Jahren Verantwortung für die Zukunft. Es ist unsere Pflicht, da- zu mir sagt: Mensch, Papa, ihr habt doch damals gewusst, für zu sorgen, dass die Menschen in unserem Land eine worum es geht. – Ich will nicht, dass mein Sohn sagt: lebenswerte Zukunft haben. Die Bundesregierung tut das Warum habt ihr damals nichts getan? Ihr hattet alle Mög- mit dem Klimaschutzgesetz und mit dem Klimaschutz- lichkeiten! programm 2030. Wenn Sie dabei nicht mithelfen, enttäu- (Beifall der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] schen Sie vielleicht nicht nur die Bundesregierung. Viel- und Klaus Mindrup [SPD]) leicht enttäuschen Sie damit auch den einen oder anderen Wähler; denn die Wählerinnen und Wähler machen sich Das wäre ein Verrat an meinem Sohn. Diese Gefahr will sehr wohl Gedanken und Sorgen. Sie fragen sich: Wie ich nicht eingehen. Diese Gefahr ist mir zu groß. Des- sieht es in Zukunft aus? Wie geht es tatsächlich weiter? 14428 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann es wirklich (Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD] meldet sich zu (C) nicht oft genug sagen: Klimaschutz ist Zukunftspolitik. einer Zwischenfrage) Man muss die Chancen nutzen, die damit verbunden sind. Ein anderes Beispiel aus Ihrer Dresdener Erklärung Als hochentwickeltes Industrieland haben wir die besten dafür, was Sie den Leuten einfach vormachen. Sie sagen: Voraussetzungen, wegweisende Techniken zu entwickeln Mit Partitionierung und Transmutation lösen wir das und weiter zu verbessern. Wir sind doch auch führend bei Atommüllproblem. Jegliche Nation dieser Welt hat diese der Umwelttechnik. Wenn wir das nicht machen, wer soll Technik bis jetzt noch nicht – ob ideologisch besetzt oder das dann machen, und wer soll sich den Markt dafür er- nicht – auf dem Schirm, noch nicht zur Verfügung. arbeiten? Ich finde, das sind doch beste Voraussetzungen, die wir nutzen sollten. (Karsten Hilse [AfD]: Auf dem Schirm schon!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber Sie geben den Menschen eine Beruhigungspille, und die Menschen werden sehen, dass sie, wenn sie Sie 197 Staaten weltweit haben das Pariser Klimaabkom- gewählt haben, sehr unschön aufwachen und sich in ei- men verabredet, auch mit Blick auf einen Leitmarkt für nem Zustand wiederfinden, in dem sie keine Zukunft ha- klimafreundliche Technologien. Ich glaube, besser kann ben. Deswegen stehen wir für Zukunft. man es gar nicht sagen: Wir haben Spitzentechnologien, und wir können die Welt hier schon ein bisschen besser Herzlichen Dank. machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen uns gemeinsam darum kümmern, dass wir der CDU/CSU) wettbewerbsfähig bleiben. Natürlich haben die Menschen in Deutschland Angst: Wie geht es vor dem Hintergrund Vizepräsidentin Petra Pau: von Digitalisierung und Klimawandel weiter? Aber Bevor ich hier in der Redeliste weitergehe, ganz kurz Angst hat noch nie geholfen. Herr Köhler hat gerade zur Erläuterung meines Vorgehens. Ich habe eben eine mit Blick auf die AfD seinen kleinen Sohn erwähnt, der Zwischenfrage oder -bemerkung gar nicht aufgerufen, sich im Spiel die Hände vor das Gesicht hält. Da fällt mir weil derjenige, der fragen will, in dieser Debatte noch für die AfD das Bild mit den drei Affen ein: Nichts sehen, redet. Wir werden das auch in der weiteren Debatte so nichts hören und überhaupt nichts tun wollen! handhaben. Ebenso bin ich gehalten, soweit das irgend- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wie geht, hier auf die vereinbarten Redezeiten nicht nur entsprechend zu achten, sondern gegebenenfalls auch bei Das ist ein Punkt, zu dem ich sage: Das ist keine Antwort nachfolgenden Rednerinnen und Rednern der Fraktionen (B) auf die Herausforderungen, die die Menschen tatsächlich diese zu verkürzen, wenn Redezeiten ihrer Fraktionskol- (D) beschäftigen. leginnen und -kollegen zuvor überzogen wurden. Der Strukturwandel kommt – allein schon durch die Das Wort hat Lorenz Gösta Beutin für die Fraktion Die Digitalisierung. Den Strukturwandel werden wir nicht Linke. dadurch bewältigen, dass wir nichts tun, sondern wir ha- ben die Verantwortung, und diese Verantwortung über- (Beifall bei der LINKEN) nehmen wir mit dem Klimaschutzgesetz, mit der Ab- schaffung des PV-Deckels, mit dem Kohleausstieg, den Lorenz Gösta Beutin (DIE LINKE): wir beschlossen haben. All das sind Punkte, die wir vo- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ranbringen. Dort investieren wir und zeigen: Wir wollen Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wenn man allein den Menschen vor Ort klarmachen, dass auch sie zu den diesen Antrag der AfD nehmen würde und nicht sehen Gewinnern dieses Transformationsprozesses gehören. würde, dass der Antrag, jegliche Klimaschutzmaßnah- Wir brauchen nicht diesen Alarmismus und diese Beängs- men zu stoppen, hier im Bundestag gestellt worden wäre, tigung, die Sie machen. dann könnte man einfach weitergehen und darüber la- chen. Doch da er hier gestellt worden ist, muss ich einmal (Karsten Hilse [AfD]: Alarmismus machen Sie fragen: Was sagen Sie denn den Menschen im globalen doch!) Süden, auf den Philippinen, die unter Taifunen leiden und Ich will einfach noch mal sagen – um bei den Fakten zu ihre Heimat verlieren? Was sagen Sie den Menschen bei- bleiben –: Sie haben schon ein echtes Talent dafür, so zu spielsweise in Äthiopien, die unter Dürren und Über- tun, als ob tatsächlich wahr wäre, was einfach nicht schwemmungen leiden, die fliehen müssen, weil sie und stimmt. Gestern in der Regierungsbefragung hat Kollege ihre Kinder vom Tod durch Hunger bedroht sind? Ich Kraft tatsächlich behauptet, Deutschland sei das ärmste kann Ihnen etwas sagen: Es interessiert Sie einfach nicht, Land in Europa. weil Sie auf Ihrer kleinen, erbärmlichen nationalistischen Insel leben – nichts anderes. (Dr. Rainer Kraft [AfD]: In der EU!) (Beifall bei der LINKEN) Haben Sie sich schon mal Statistiken zu Europa, zur EU Sprechen wir also über den Antrag. Er enthält zwei angeguckt? Dann müssen Sie schon sagen, wer das populäre Irrtümer, und das macht es so wertvoll, hier im höchste Bruttoinlandsprodukt hat – das ist Deutschland –, Bundestag einmal darüber zu sprechen. wer die niedrigste Arbeitslosigkeit hat: Das ist Deutsch- land. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Sie mit Fakten Erstens. Man geht von der These aus, Deutschland umgehen. habe ja nur einen Anteil von 2 Prozent an den weltweiten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14429

Lorenz Gösta Beutin

(A) CO2-Emissionen und deshalb sei das mit dem Klima- Ich zitiere Ihnen etwas – hören Sie da mal genau zu, (C) schutz ja alles gar nicht so notwendig. Da hilft ein biss- liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und chen einfache Mathematik. Wir gehen davon aus: Wir SPD –: Durch die gezielte Förderung von Gebäudesanie- haben etwa 200 Staaten auf der Welt und 100 Prozent rungen in Gebieten mit einkommensschwachen Haushal- CO2-Emissionen; macht einen Durchschnitt von 0,5 Pro- ten sollten zusätzliche sozialverträgliche Sanierungen an- zent pro Staat. Das heißt, der durchschnittliche Staat auf gereizt werden. – Das klingt jetzt erst mal nach einem der Welt hätte einfach viermal so wenig Ursache wie Programm der Linken – das kann man vielleicht denken –, Deutschland, sich um Klimaschutz zu kümmern. und das ist ja auch der richtige Weg in Zeiten des Mieten- wahnsinns. Was ich zitiert habe, ist eine Passage aus dem Nein, das ist der vollkommen falsche Ansatz. Schaut ursprünglichen Entwurf des Klimapäckchens. Dies wäre man nach Österreich: Österreich hat einen Anteil von genau der richtige Weg gewesen: Klimaschutz mit sozia- 0,2 Prozent an den weltweiten Emissionen. Die Schweiz ler Gerechtigkeit zu verbinden. hat einen Anteil von 0,1 Prozent an den Emissionen. Das heißt, diese Länder könnten jetzt mächtig Kohlekraftwer- (Beifall bei der LINKEN) ke bauen. – So funktioniert internationale Solidarität Was macht die Bundesregierung? Im Entwurf, der am nicht. So funktioniert Kooperation nicht. Das Pariser Kli- maabkommen ist ein Abkommen der Staatengemein- 20. September vorgelegt wurde, an dem Tag, wo 1,4 Mil- lionen Menschen auf die Straße gingen, fehlt genau dieser schaft, und es besagt ganz klar: Jeder muss seinen Beitrag Abschnitt. Herrn Altmaier haben wir gefragt, warum dazu leisten. Das ist der richtige Weg. denn dieser Abschnitt fehlt, und er hat gesagt: Nun, die (Beifall bei der LINKEN) energetische Sanierung war nicht unsere Priorität. – Ge- nau das ist das Problem. Echter Klimaschutz und soziale Zweiter Punkt – auch das wurde eben wieder gesagt –: Gerechtigkeit sind nicht Priorität dieser Bundesregierung. Klimaschutz und Energiewende würden zur Deindustria- Das muss anders werden. lisierung beitragen. Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus: Dadurch, dass die Energiewende ausgebremst (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- wird, kriegen wir Probleme. Wir haben gesehen: In den ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vergangenen Jahren haben wir 80 000 Arbeitsplätze in der Wenn es um den Windkraftausbau geht: Ich empfehle Photovoltaik verloren. Wir haben seit 2017 fast 40 000 Ihnen, einmal nach Sprakebüll im Kreis Nordfriesland zu Arbeitsplätze in der Windkraftbranche verloren. Das ist schauen. Dort gibt es einen Windpark, zwei Solarparks, ein verheerender Trend, der dem Klimaschutz wider- und die erneuerbare Wärme ist in genossenschaftlicher spricht. Das ist das Gegenteil von dem, was wir tatsäch- Hand. Wie machen die das? Ja, die Energie ist dort in (B) lich brauchen. Wir brauchen Investitionen und Aufbau Bürgerinnen- und Bürgerhand: 95 Prozent der Menschen (D) unserer Industrie. sind an der Bürgerinnen- und Bürgerenergie beteiligt. (Beifall bei der LINKEN) Zusätzlich gibt es ein Carsharing mit E-Autos, das jedem Bürger der Gemeinde zur Verfügung steht. Es gibt kosten- Oder schauen Sie in die Autobranche und auf die Zu- freien Schwimmunterricht und Musikunterricht. Sogar liefererbetriebe. Weil diese Koalition es nicht auf die Rei- ein Fahrradweg wurde gebaut, obwohl das Land Schles- he kriegt, das zukunftsfähig zu machen, werden wir auch wig-Holstein gesagt hat: Dafür haben wir leider nicht das dort Tausende von Arbeitsplätzen verlieren. Das heißt, Geld. – Daraufhin hat man gesagt: Wir nehmen die Er- die Energiewende ist nicht nur gesellschaftlich und kli- träge der Windkraft und bauen diesen Radweg, der für mapolitisch notwendig, sie ist auch sozialpolitisch not- uns einfach notwendig ist. – Wenn Sie durch die Gemein- wendig, industriepolitisch notwendig und wirtschaftspo- de gehen und die Leute fragen: „Habt ihr denn Probleme litisch notwendig. mit der Windkraft?“ – wir hören ja, überall gibt es Pro- bleme –, dann schauen sie einen entgeistert an, als wenn (Beifall bei der LINKEN) man von einem anderen Stern kommen würde. Wenn man davon ausgeht, dass diese Irrtümer keine Genau das ist der richtige Weg, den wir brauchen. Hö- Irrtümer sind, kann man natürlich so einen Antrag stellen. ren Sie auf, die Energiewende an die Konzerne zu ver- Wenn man aber davon ausgeht, dass diese Irrtümer Irrtü- scherbeln. Stärken Sie die Bürgerinnen- und Bürgerener- mer sind, muss man die Klimakatastrophe mit allen Mit- gie. Stärken Sie die Genossenschaften. Stärken Sie die teln bekämpfen. Was haben wir von dieser Bundesregie- Kommunen und die Stadtwerke. Dann kann es mit der rung nun vorgelegt bekommen? Wir haben vom Energiewende klappen. Klimakabarett der Bundesregierung ein Klimapäckchen vorgelegt bekommen, von dem die Bundesregierung Vielen Dank. selbst von Beginn an gesagt hat: Es reicht nicht aus, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten, und es reicht (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- vielleicht auch nicht aus, um die eigenen Klimaziele der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundesregierung einzuhalten. – Sie haben also den Mut, mit einem Klimapäckchen anzutreten, das Ihren eigenen Vizepräsidentin Petra Pau: Maßstäben nicht gerecht wird, und das ist doch wahnsin- Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Frak- nig. tion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14430 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer Klimaschutz ernst nimmt, der muss die Erneuer- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! baren massiv ausbauen. Aber mit dem Klimapaket und Klaus Töpfer, Christdemokrat, der vor wenigen Wochen Ihrer gesamten Politik legen Sie eine Verweigerungshal- von Armin Laschet, Christdemokrat, Ministerpräsident in tung an den Tag. Ich hätte hier heute gerne über die Ab- Nordrhein-Westfalen, mit der Laudatio der Bundeskanz- schaffung des 52-GW-Deckels abgestimmt, in großem lerin, bekanntlich Christdemokratin, den Staatspreis be- Konsens, Frau Weisgerber. Das haben Sie aber gestern kommen hat, hat einmal den schönen Satz gesagt: Das im Wirtschaftsausschuss verhindert, weil Sie die Abstim- Erneuerbare-Energien-Gesetz war der größte Beitrag mung nicht zugelassen haben. Lassen Sie uns endlich das Deutschlands zur Entwicklung der Welt; denn wir haben gemeinsame Signal senden, dass wir mit dem Ausbau der dadurch Strom aus Wind und Sonne günstig gemacht. – Erneuerbaren vorangehen! Ihre Politik in Bezug auf das Ich sage ganz klar: Klaus Töpfer hat völlig recht. Das ist Klimapaket ist aber das exakte Gegenteil. Das muss hier die Basis von allem, über das wir hier reden. Wasserstoff, ganz klar und deutlich werden. Elektromobilität, Klimaschutz, das alles ist nur machbar Danke schön. mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Es ist schon, ehrlich gesagt, erstaunlich – um nicht zu sagen: völlig irre –, was da in Deutschland passiert. Wäh- Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege rend die Welt immer mehr in Erneuerbare investiert und Jens Koeppen. ihr Anteil jedes Jahr weiter steigt, in allen Teilen der Welt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nehmen unsere Investitionen in die Erneuerbaren immer weiter ab. Es sieht ganz so aus, dass unser Anteil im Jens Koeppen (CDU/CSU): nächsten Jahr, nachdem in diesem Jahr kaum Windener- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gieausbau stattgefunden hat, erstmals seit Beginn der Kollegen! Ich möchte auf den AfD-Antrag zurückkom- 90er-Jahre, seit dem Stromeinspeisungsgesetz sogar zu- men, auch wenn es mir manchmal schwerfällt. Im AfD- rückgehen wird, weil mehr Anlagen abgebaut als zuge- Antrag heißt es in der Überschrift „Echten Umweltschutz baut werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und das ist betreiben ... für eine faktenbasierte Klima- und Energie- das Gegenteil von Klimaschutz; das muss man an der politik“. Dagegen kann man erst mal nichts haben. Aber, Stelle ganz klar sagen. Herr Kollege Hilse, es fällt mir wirklich schwer, objektiv (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf das einzugehen, was Sie in Ihrem Antrag abgelassen (B) und auch hier mündlich vorgetragen haben; denn das ist (D) Ich hätte mir gewünscht, dass es mit dem Klimapaket schon schwer zu ertragen. Das ist wirklich nichts gewe- am 20. September wenigstens ein Signal gegeben hätte, sen. dass es in eine andere Richtung geht. Aber bei den er- neuerbaren Energien machen Sie das exakte Gegenteil. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE Sie setzen noch eine Botschaft dagegen und sagen: GRÜNEN]: Das ist vollkommen irre!) 1 000 Meter Pauschalabstand. – In dem Papier von Peter Ich sehe auch – das muss man ganz ehrlich sagen –, Altmaier zur Stärkung der Windenergie ist der erste und dass es gerade in diesem Bereich phasenweise zu emo- wichtigste Punkt das Ausbremsen der Windenergie durch tional zugeht, dass wirklich zu wenig Fakten betrachtet einen Pauschalabstand. Meine Damen und Herren von werden und dass es auch nicht immer ergebnisorientiert der Union, von der Großen Koalition, es ist ein Skandal, zugeht. Das ist völlig klar. Aber ich habe Ihren Antrag dass das Regierungspolitik ist. einmal nach echtem Umweltschutz durchforstet. Absolu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) te Fehlanzeige! Zu finden ist nichts davon, nur die altbe- kannte strittige Ablehnung von allen Maßnahmen im Be- Ich finde es, ehrlich gesagt, ein Unding: Wir geben im reich des Klima- und Umweltschutzes und die völlige Rahmen des Strukturwandels Milliarden in die Kohler- Ignoranz gegenüber der Notwendigkeit, national über- egionen – darüber muss man reden –, und dann gibt es die haupt etwas zu machen. Das geht letztendlich einfach Meldung, dass in Lauchhammer, in der Lausitz, 500 Ar- nicht. beitsplätze in der Windenergieindustrie abgebaut werden. Da höre ich nicht den Aufschrei seitens der Regierung: Ich bleibe bei Ihrem Antrag und nehme Ihre Argumen- Da müssen wir etwas tun. – Das ist das Ergebnis Ihrer te einmal auf: Politik. Ich sage ganz klar: In der Zeit, in der Peter Altmaier Wirtschaftsminister ist, sind mehr Arbeitsplätze Erstens. Auch wenn Sie abstreiten, dass die massiven in der Erneuerbaren-Branche vernichtet worden, als der Umweltprobleme menschengemacht sind – das ist ja eine Kohlebereich überhaupt hat, und das ist ein absolutes Position –, werden Sie doch nicht allen Ernstes leugnen, Unding, meine Damen und Herren. dass 7 Milliarden Menschen auf der Welt etwas mit Um- welt und Natur zu tun haben, und Deutschland gehört mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dazu. Das ist Ihre Politik. Die schadet nicht nur dem Klima, (Karsten Hilse [AfD]: Bestreite ich nicht!) sondern deindustrialisiert Deutschland. – Das wissen Sie nicht; das ist klar. Das habe ich ja ge- (Lachen des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD]) sehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14431

Jens Koeppen (A) (Karsten Hilse [AfD]: „Bestreite ich nicht“, mal gespannt drauf! – Steffi Lemke [BÜND- (C) habe ich gesagt!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch bei Zweitens. Auch wenn Sie keinerlei Notwendigkeit se- den Fakten bleiben!) hen, für eine Energiewende und für den Klimaschutz et- Das EEG hat wenig zu einer verlässlichen und bezahlba- was zu tun, werden Sie doch nicht abstreiten, dass wir in ren Energieversorgung beigetragen. irgendeiner Art und Weise mit Ressourcen effizient um- gehen müssen. Zweitens: der Emissionshandel. Wir brauchen drin- gend einen mengenbasierten CO2-Preis, der marktwirt- (Karsten Hilse [AfD]: 1 000 Jahre reicht die schaftlich ermittelt wird Kohle!) (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Ja, richtig!) Drittens. Wenn Sie alle Maßnahmen ablehnen, die das Zeitalter dieses Umdenkens einläuten, und alle Innovatio- und der Innovationen in allen Sektoren anreizt. Wir ha- nen, die die Energieversorgung und die Industrieprozesse ben, Herr Dr. Köhler, einen ersten zarten Ansatz im Pro- umweltschonender machen, gramm vorgesehen. (Karsten Hilse [AfD]: Wir lehnen die (Dr. Lukas Köhler [FDP]: „Einen zarten“ ist Kernenergie nicht ab!) nett formuliert!) dann frage ich mich, welche Objektivität Sie hier an den Wir gehen stufenweise vor und wollen das ETS in allen Tag legen. Sektoren installieren. Übrigens: Das ETS – das wollte ich Man könnte sich doch wenigstens darauf einigen, auch noch sagen – hat durch sein Vorhandensein die größte wenn Sie völlig andere Positionen haben. Aber nichts, gar CO2-Reduktion überhaupt erreicht. nichts steht in Ihrem Antrag. Sie wollen die großen Ener- (Beifall der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/ gieversteher sein; Sie sind aber die Alles-Ablehner. Das CSU]) ist einfach zu wenig. Sie sitzen nun einmal in allen Par- lamenten und müssen auch Vorschläge machen. Keine Das dritte Thema ist CCS. Wir dürfen bestimmte Tech- Vorschläge zu machen, reicht nicht. Niemand hat gesagt, nologien nicht ausschließen. Dazu gehört CCS. Die Re- dass es hier einfach ist. Da müssen Sie endlich hin: Sie duktionsziele sind nur mit CCS und CCU, also Abspei- dürfen nicht nur alles ablehnen. Sie müssen auch Vor- chern und Nutzung, zu erreichen. schläge machen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Also setzen Sie weiter auf Kohle!) (B) (D) Wer faktenbasierte Energie- und Klimapolitik einfordert, Ich verstehe nicht diejenigen, die den Klimaschutz wie der muss auch Vorschläge machen. eine Monstranz vor sich hertragen, diese Technologie Mir gefällt die aufgeheizte Debatte in Deutschland aber verteufeln und Ängste in der Bevölkerung schüren. auch nicht; das muss ich ganz ehrlich sagen. Manchmal Meine Damen und Herren, das ist nicht legitim. ist es zu emotional, zu ideologisch. Manchmal gibt es zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) viel Aktionismus und zu wenig Fakten; das ist klar. Mir sind die Probleme, die wir in diesem Bereich haben, nicht Wir brauchen einen offenen Umgang mit solchen Tech- fremd. Daran muss man natürlich arbeiten. Ich nenne aus nologien. Es stehen spannende Debatten im Klimabereich meiner Sicht einige Punkte: an. Ich freue mich auf die Fakten und auf die vielen neuen Denkprozesse. Herr Dr. Köhler, ich lade Sie herzlich dazu Erstens: das EEG. Eines ist klar: Wer den Klimaschutz ein. ernst nimmt, der muss – Herr Krischer, da bin ich völlig anderer Meinung als Sie - (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Mit größtem Vergnügen!) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wäre auch schlimm, wenn es anders wäre!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: – das glaube ich auch, ja – ineffiziente Gesetze einmal Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege angehen und schauen, wie man mit Gesetzen verfährt, die Dr. Rainer Kraft. ihr Ziel erfüllt haben, also etwas auf den Markt gebracht (Beifall bei der AfD) haben, von dem nun genügend da ist, erneuerbare Ener- gien. Dr. Rainer Kraft (AfD): (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordne- GRÜNEN]: Genügend da?) te! Sehr geehrte Gäste! Frau Schwarzelühr-Sutter, ganz Jetzt ist es teuer und ineffizient geworden. Deswegen kurz zu Ihnen: Ich habe lediglich den „Stern“ zitiert, und brauchen wir eine Roadmap, eine Exit-Strategie für das der hat den Global Wealth Report zitiert, nach dem die EEG. Deutschen die armen Würstchen der EU sind. Also die Kritik bitte nicht an mich richten! Wenn das Fake News (Beifall bei Abgeordneten der FDP – sind, dann richten Sie die Kritik bitte an den „Stern“ oder Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Da bin ich ja den Global Wealth Report. 14432 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Rainer Kraft (A) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie ha- (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Wie hoch war denn (C) ben sich das zu eigen gemacht! Deswegen sind das Wirtschaftswachstum? Wie ist der Zusam- Sie dafür verantwortlich!) menhang zwischen Wirtschaftswachstum und Offensichtlich ist es der Traum der Bundesregierung, CO2-Emissionen?) als energiepolitisches Beispiel für alle Welt in die Ge- – Das Wirtschaftswachstum hat damit nichts zu tun. Wir schichte einzugehen. Meine Damen und Herren, Sie reden über CO2-Emissionen. Relativiert das irgendwas? schaffen das; denn Ihre Politik ist ein abschreckendes Beispiel, ein Beispiel dafür, wie man es nicht macht. (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Oh Gott! Wenn Sie die Zusammenhänge nicht verstehen, lassen Sie Die Klimaforschung und ihre Modelle sind ja in die es einfach! – Christian Dürr [FDP]: Was für ein Jahre gekommen. Man kann inzwischen die Prognosen Dilettantenhaufen! Unfassbar!) der letzten Dekaden mit den tatsächlich beobachteten Werten vergleichen. Diese Überprüfung fällt für die Kli- Die CO2-Emissionen sind global um circa 10 000 Me- maforschung allerdings verheerend aus. Ein Vergleich der gatonnen pro Jahr gestiegen. Das ist der zehnfache Jah- letzten 40 Jahre von 102 Klimamodellen mit den real resgesamtausstoß Deutschlands. Sie müssen also zehn eingetretenen Werten zeigt, dass die gemessenen Fakten Deutschlands zerstören, um bei den CO2-Emissionen al- weit unterhalb der prognostizierten Werte gelegen haben. lein die Zuwächse der Welt seit 1990 aufzufangen. Von Nur ein einziges Modell lag unter den echten Werten, alle einer Nettoeinsparung ist dabei noch nicht einmal die anderen bis doppelt so hoch darüber. Rede. Dazu passt auch das Herumgeeiere um das verbleiben- (Christian Dürr [FDP]: Da muss doch irgend- de Carbon Budget. Der Assessment Report 5 bildet die jemand sein, der Ahnung von so was hat!) Basis für das Pariser Klimaabkommen. Für das Jahr 2018 Ihre Politik ist also nicht nur extrem teuer, sie verspielt räumte uns dieser Bericht global nur noch 120 Gigatonnen nicht nur die Zukunft der jungen Generationen, sie ist CO2 ein, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Der Special auch völlig aussichtslos. Report on Global Warming of 1.5 °C aus dem letzten Jahr hat dieses Budget in der gleichen Frage auf 420 Gigaton- (Beifall bei der AfD) nen einfach mal so aufgeblasen. Das Budget wurde also Und Sie wissen das. Sie wissen, dass Sie das Einspar- mehr als verdreifacht. Und noch dazu räumt der Special ziel 2030 genauso krachend verfehlen werden wie das Report vom letzten Jahr ein, dass diese Prognose mit Ziel 2020. Aber Sie wissen auch, dass es gar nicht um einem Fehler von plus/minus 900 Gigatonnen behaftet diese Ziele geht. Ihr Ziel ist es, den Bürger um immer ist. Das ist mehr als das Doppelte des Budgets in jede mehr seines Geldes zu erleichtern. Sie drohen mit dem (B) Richtung. Meine Damen und Herren, das ist keine Wis- Weltuntergang und schüren eine Massenhysterie, damit (D) senschaft, das ist Klimavoodo! es die Menschen akzeptieren, wenn ihnen zur Weltenret- (Beifall bei der AfD) tung immer mehr von ihrem Besitz und ihrer Freiheit geraubt wird. Ich sage es Ihnen noch einmal ganz deutlich: Ihre Mo- delle der letzten Dekaden haben weit überhöhte Vorher- Meine Damen und Herren, Sie werden unseren Antrag sagen gemacht. Ihr Carbon Budget wird aufgebläht und ablehnen, weil Sie politische Gaukler sind, ist dennoch mit einem dermaßen großen Fehler behaftet, dass es de facto wertlos ist. Und auf derartig unzuver- (Beifall bei der AfD) lässige Prognose verwetten Sie die Zukunft unseres Gaukler, die unsere Bürger nach Strich und Faden aus- Landes, die Zukunft unserer Wirtschaft und das Wohler- nehmen. Aber wenn Sie den Bürgern erst einmal die Er- geben von 80 Millionen Bürgern. Das ist kriminell! sparnisse, die Arbeitsplätze und der jungen Generation die Zukunft genommen haben, dann werden die sich da- (Beifall bei der AfD) ran erinnern, wer ihnen das angetan hat, und Sie bei den Die Genauigkeit Ihrer Vorhersagen liegt also bei unter kommenden Wahlen abstrafen, wie sie es schon in Sach- 10 Prozent. Das bedeutet: 90 Prozent der Modelle sind sen und Brandenburg getan haben. falsch. Wenn ich eine Münze werfe, dann habe ich zumin- Vielen Dank. dest eine 50-Prozent-Chance auf ein richtiges Ergebnis. Das ist fünfmal so viel wie die Modelle, auf die Sie sich (Beifall bei der AfD) hier alle berufen. Ich frage Sie daher: Würden Sie die Zukunft des Landes und Hunderte Milliarden Euro auf einen Münzwurf setzen, selbst wenn dieser Münzwurf Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eine um 500 Prozent bessere Chance auf Richtigkeit hat Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Nina Scheer als die Modelle, denen Sie gläubigst anhängen? Sicher das Wort. nicht. (Beifall bei der SPD)

Was haben Sie denn bisher erreicht? Die CO2-Emissio- nen in Deutschland sind seit 1990 um rund 250 Megaton- Dr. Nina Scheer (SPD): nen per annum, pro Jahr, gesunken, hauptsächlich zurück- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr zuführen auf die Schließung von DDR-Industrieanlagen Präsident! Es wurde schon angesprochen, dass über die in den 90ern; denn seitdem ist in dieser Frage nicht mehr Jahrtausendwende in Deutschland eine Entwicklung ein- viel passiert. gesetzt hat, angetrieben von der SPD, damals in der Koa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14433

Dr. Nina Scheer (A) lition mit den Grünen, die einen gigantischen Wirtschafts- – Sie sind insofern die teuersten, als von Deutschland (C) motor in Richtung Ausbau erneuerbarer Energie bedeu- jedes Jahr 80 Milliarden Euro ausgegeben werden, nur tete, mit weltweiter Ausstrahlungswirkung. Wir haben um fossile Primärenergieressourcen zu importieren. inzwischen weltweit über 11 Millionen Beschäftigte im Bereich der erneuerbaren Energien. Das ist maßgeblich (Karsten Hilse [AfD]: Die Quelle hätte ich auf die hier im Bundestag verabschiedeten Gesetze zu- gerne!) rückzuführen, insbesondere das EEG. Davon ist noch keine Kilowattstunde Strom gewonnen. Es ist auch insofern teuer, als jährlich 57 Milliarden Euro (Beifall bei Abgeordneten der SPD) über klimaschädliche Subventionen auf dem Steuerzahler Insofern verstimmt es mich ein bisschen, Herr lasten. Auch das verschweigen Sie immer. Koeppen, wenn Sie uns jetzt auf solche Abstellgleise Es ist auch eine Lüge, dass die erneuerbaren Energien wie die CCS-Technologie führen. Sie wissen genau, dass und die Energiewende eine Last für die Bevölkerung das hier im Bundestag behandelt wurde. Sie wissen ge- seien, weil an ihr Arbeitsplätze hängen. Sie wissen ganz nau, wie die Gesetzeslage ist. Das ist in Deutschland nicht genau – denn Sie lügen ja –, dass die Arbeitsplätze der mehrheitsfähig. Es ist auch nicht zielführend, in dieser Zukunft daran hängen Frage einen Rückwärtsgang einzulegen. (Karsten Hilse [AfD]: Der teuerste Strom!) (Dr. Lukas Köhler [FDP]: Auch die SPD muss die Wissenschaft akzeptieren!) und dass allein die Automobilwirtschaft 19 Prozent der Exportwirtschaft ausmacht. Wenn wir zum Beispiel – Es ist nicht das Gleis, das uns zu einem Ausbau der Er- selbst wenn wir den Anteil der Automobile im Verkehr neuerbaren führt. senken – die Energiewende im Verkehr nicht hinbekom- men, dann ist ein Riesenanteil der Exportnation Deutsch- Man muss ganz ehrlich sagen: In der Tat ist in den land in einer verlassenen Industrie zu sehen. Sie müssen letzten Jahren die Kurve beim Ausbau der erneuerbaren also die Energiewende auch für die bestehenden Indust- Energien zurückgegangen. Das ist wirtschaftspolitisch rien schleunigst hinbekommen, sonst vernichten Sie die natürlich nicht gut. Arbeitsplätze. (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE – Wenn Sie an der Stelle klatschen, Herr Hilse, dann zeigt GRÜNEN]) das, dass Ihre Beobachtung auch in diese Richtung geht. Ich fasse Ihren Antrag kurz zusammen: Ihr Verspre- (B) Dann müssen Sie aber ehrlich mit sich sein und die Ent- (D) wicklung in dieser Form eigentlich kritisieren, statt den chen an die Bevölkerung ist, dass Sie steigende Arbeits- Ausbau erneuerbarer Energien gänzlich abzulehnen. Es losigkeit produzieren, ist sehr widersprüchlich, wie Sie sich hier verhalten. (Karsten Hilse [AfD]: Das stimmt doch gar (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD]) nicht! Das machen Sie doch gerade!) Wir müssen zusehen, dass es beim Ausbau der erneuer- dass Sie die Vernichtung von Lebensgrundlagen provo- baren Energien keine weiteren Hemmnisse gibt. Wir müs- zieren, dass Sie Kriege um Öl provozieren; sen also zum einen die Hemmnisse abbauen, die in den (Karsten Hilse [AfD]: Die werden doch seit letzten Jahren in der Tat entstanden sind; zum anderen 100 Jahren geführt von den USA! Also wirk- dürfen keine neuen hinzukommen. Teilweise geschieht lich! Ihre kognitiven Fähigkeiten hätte ich hö- das mit dem Klimaprogramm, das jetzt auf den Weg ge- her eingeschätzt!) bracht wird. Allerdings plädiere ich als Abgeordnete da- für, einmal an einem Tisch zusammenzukommen und denn es wird sicher weitere geben. Sie versprechen der weiter gehende Hemmnisse für die Erneuerbaren, deren Bevölkerung auch die Verschärfung von Fluchtursa- Beseitigung offenkundig vonseiten des Koalitionspart- chen. – Ich habe in den wenigen Minuten versucht, eine ners aufgehalten wird, schlichtweg zu beseitigen. kleine Übersetzungshilfe zu leisten; denn das sind die eigentlichen Versprechen Ihres Antrags. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ In Richtung AfD gesprochen: Ich denke, Sie müssen DIE GRÜNEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: sich letztendlich entscheiden. Sie müssen sich entschei- Die SPD verrät die Arbeitnehmer! Toll!) den, ob Sie für bezahlbare Energie sind Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Karsten Hilse [AfD]: Genau!) Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Martin – das geben Sie ja vor zu sein – oder ob Sie weiter lügen Neumann das Wort. wollen. Es ist definitiv eine Lüge, wenn Sie behaupten, dass die erneuerbaren Energien teuer sind, und das wissen (Beifall bei der FDP) Sie. Also, Sie müssen sich schon entscheiden. Dr. Martin Neumann (FDP): (Karsten Hilse [AfD]: Die höchsten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Strompreise in Europa!) Kollegen! Sie sehen es: Es geht mir im Moment gesund- 14434 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Martin Neumann (A) heitlich schlecht. Aber – da bin ich ganz ehrlich – der (Beifall bei der FDP) (C) Energiewende und dem Klimaschutz in Deutschland geht es noch schlechter. Deshalb stehe ich heute hier an dieser Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Stelle. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Julia Ich möchte kurz auf den Antrag der AfD zurückkom- Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen. men. Man kann ganz deutlich sehen, auch an den Formu- lierungen und Feststellungen, dass Opposition eben nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gleich Opposition ist. Während wir uns konstruktiv Ge- danken darüber machen, wie die Energiewende gelingen Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kann, nämlich durch Technologieoffenheit, durch For- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- schungsfreundlichkeit, durch mehr Bildung, durch Ak- men und Herren! Nicht, dass es unbedingt noch eines zeptanz, geht es Ihnen, den Antragstellern, nur darum, weiteren Beweises bedurft hätte; aber mit diesem Antrag den Ausknopf zu drücken. zur Klimapolitik zeigt die Fraktion der AfD wieder ein- mal, wie ewig gestrig sie hier auftritt. Wir wollen beim Klimaschutz Verantwortung tragen und zeigen ganz klar und deutlich, dass politische Verant- Sie von der AfD wollen moderne Industrien und nach- wortung auch in der Opposition existiert. haltige Geschäftsmodelle vernichten. Sie wollen die Ef- fizienzbranche einstampfen. Sie wollen Herstellern, (Beifall bei der FDP) Handwerkern und Wartungsunternehmen, die für die So- Das bedeutet aber auch, dass wir die Klima- und Energie- lar- und Windenergiebranche arbeiten, ihre Arbeitsplätze politik der Bundesregierung nicht in allen Punkten be- nehmen. Das sind Hunderttausende Arbeitsplätze, die auf grüßen. Das Klimapaket – darüber ist mehrfach gespro- Dauer Wohlstand und Beschäftigung sichern könnten. chen worden – ist nämlich ein Konglomerat ineffizienter und teurer Maßnahmen, ohne dass das Gesamtkonzept (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) klar erkennbar ist. Was Sie hier machen, ist rückwärtsgewandt, (Christian Dürr [FDP]: Das ist wahr!) (Karsten Hilse [AfD]: Wenn man in eine Sack- Es fehlt das Management, es fehlt der Mut, und es fehlt gasse fährt, muss man irgendwann umdrehen!) auch die Ausrichtung auf das Ziel, CO2 einzusparen. Das ist wirtschaftsfeindlich, ist in hohem Maße klimafeind- Beispiel Automobilindustrie zeigt es ganz deutlich: Wa- lich. rum gelingt es denn nicht, das Thema E-Fuels endlich auf (B) die Tagesordnung zu heben? Ich glaube, das wäre ein Statt auf Zukunftsenergien und Zukunftstechnologien (D) erster kleiner Schritt in die richtige Richtung. zu setzen, wollen Sie an der Kohle festhalten, einer Tech- nologie aus der Frühzeit der Industrialisierung. Die verkappte CO2-Steuer ist Murks. Sie ist teuer und nicht zielführend. Genau deshalb sagen wir auch, dass die (Karsten Hilse [AfD]: Windmühlen sind viel, Sektoren Gebäude und Verkehr in den europäischen viel älter! Viel, viel älter! – Dr. Rainer Kraft Emissionshandel gehören. Dann stellt sich auch die Frage [AfD]: Windenergie ist älter!) des Preises durch die EEG-Umlage nicht mehr, die letzt- endlich ja die Verbraucher und die Wirtschaft belastet. Dabei ist die Kohlewirtschaft nicht nur äußerst klima- feindlich, sie hat auch aus wirtschaftlichen Erwägungen (Beifall bei der FDP) überhaupt keine Zukunft mehr. Doch Sie von der AfD Es geht, meine Damen und Herren, darum, endlich die wollen den Strukturwandel blockieren, Sie wollen die Chancen zu nutzen, die diese Energiewende innehat. Es Modernisierung der Regionen verhindern, geht darum, neue Umwelttechnologien zu entwickeln und (Karsten Hilse [AfD]: Heute sieht man, wie diese Technologien in andere Länder zu exportieren. diese Modernisierung stattgefunden hat!) Technologieoffenheit, Forschung und Innovation mit dem Ziel, CO2-Emissionen zu senken, das ist die Bot- und Sie wollen Menschen, die heute noch von der Kohle schaft des Tages, und genau daran müssen wir uns orien- leben, eine echte Zukunftsperspektive verweigern. Das tieren. werden wir nicht zulassen! (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wir wollen die sogenannten Innovationsausschreibun- Karsten Hilse [AfD]: Na, mal sehen!) gen, wo wir die Erzeuger mit den Verbrauchern verbinden Was in diesem Antrag der AfD steht, bedeutet: Sie und auch Wettbewerb und Marktorientierung haben; denn wollen auch weiterhin den Menschen in der Lausitz und nur damit kommen wir tatsächlich zum Ziel. Und, liebe im Rheinischen Revier ihre Dörfer wegnehmen und ihre Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen Mut, wir brau- Heimat dem Kohlebagger zum Fraß vorwerfen. Sie wol- chen „German Mut“. Deshalb noch einmal die Bemer- len auch weiterhin die Gewässer in den Kohleregionen kung an die Bundesregierung: Das, was hier im Moment mit den Folgeprodukten des Kohleabbaus verschmutzen. vorliegt, ist das Gegenteil davon. Da müssen wir ran. Sie wollen die Luft weiter mit Quecksilber und anderen Den Antrag der AfD lehnen wir natürlich ab. Schadstoffen aus den Kohleschloten verpesten. So sieht in Wirklichkeit Ihre Heimatliebe aus. Das ist erschüt- Vielen Dank. ternd! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14435

Dr. Julia Verlinden (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Christian Dürr [FDP]: Ja! Da passen die gut (C) Karsten Hilse [AfD]: „Kohleschloten“? Waren zusammen! Die sollten sich mal zusammen- Sie schon mal in einem modernen Kohlekraft- tun!) werk? Da würde man Sie aber wahrscheinlich Herr Gauland, ich muss Ihnen sagen: Ich freue mich, rausschmeißen!) dass Sie gerade wieder ins Plenum gekommen sind; In der Klima- und Umweltpolitik setzen Sie von der (Beifall des Abg. Mark Helfrich [CDU/CSU] – AfD auf stupiden Nationalismus, wo kluge internationale Dr. Alexander Gauland [AfD]: Na wunderbar!) Lösungen notwendig sind. Denn nur mit internationaler Kooperation können wir globale Probleme lösen, indem denn dieser Antrag zu einem so zentralen und wichtigen jedes Land seinen Beitrag leistet. Doch solche Abkom- Thema, der uns hier vorgelegt wurde, ist absolutes Kau- men sind Ihnen offenbar gar nichts wert. Sie verlangen in derwelsch. Der erste Satz geht über zwölf Zeilen. Ich Ihrem Antrag, alle internationalen Verträge zu kündigen. weiß nicht, wie viele Gliedsätze da drin sind; ich musste Das zeigt ungeschminkt Ihre nationalistische Haltung, den Satz fünfmal lesen, um ihn zu verstehen. und das zeigt, dass Sie einfach nicht klarkommen mit dem Gedanken einer gemeinsamen Welt, einer Welt der (Karsten Hilse [AfD]: Das kann ich mir gut Vereinten Nationen. vorstellen!) Sie als die „Hüter“ der deutschen Sprache sollten sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – schämen, uns hier einen solchen Antrag vorzulegen. Karsten Hilse [AfD]: Oh! Eine neue Weltord- nung!) (Widerspruch bei Abgeordneten der AfD) So bleibt Ihr ganzer Antrag heute der traurige Versuch, Das ist wirklich skandalös. Das betrifft zwar nur die äu- ein weiteres Thema zu finden, mit dem Sie die Gesell- ßere Form, aber dafür kann ich hier ganz klar die Note schaft spalten, bei dem Sie Hetze und Hass verbreiten „ungenügend“ geben. können gegen Menschen, die sich für eine lebenswerte (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Zukunft einsetzen und dabei auch an andere denken. Christian Dürr [FDP]) Aber, meine Damen und Herren, das wird Ihnen von der AfD nicht gelingen; denn zuletzt waren 1,4 Millionen Jetzt aber zum Inhalt. Erstens versteht eh keiner, was Menschen in ganz Deutschland für den Klimaschutz auf Sie damit wollen, der Straße. Die große Mehrheit weiß, dass wir beim Kli- maschutz schnell vorankommen müssen, und darüber bin (Karsten Hilse [AfD]: Es stimmt, dass Sie es nicht verstehen!) (B) ich verdammt froh. Deshalb werden Sie von der AfD mit (D) Ihrem beschämenden Versuch kläglich scheitern, hier ei- wahrscheinlich nicht einmal die Mitglieder Ihrer eigenen ne Politik gegen die Zukunftschancen aller zu machen, Fraktion. gegen die Zukunftschancen unserer Kinder und Enkel. (Karsten Hilse [AfD]: Sie verstehen es nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zweitens, Herr Hilse, widersprechen Sie sich damit sel- sowie des Abg. Carsten Träger [SPD]) ber.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Karsten Hilse [AfD]: Sagen Sie es mir ruhig!) Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächstes das Wort In der letzten Sitzungswoche haben Sie sich hier als die der Kollege Oliver Grundmann. Erfinder der synthetischen Kraftstoffe hingestellt, als die- jenigen, die angeblich den ersten Antrag dazu geschrie- (Beifall bei der CDU/CSU) ben hätten. Auf der anderen Seite ist jede Form des Kli- maschutzes des Teufels. Oliver Grundmann (CDU/CSU): (Karsten Hilse [AfD]: Was hat das mit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Klimaschutz zu tun?) Kollegen! Letzte Woche waren Herbstferien in Nieder- sachsen. Meine Familie ist nach Berlin gekommen. Wir Anders kann ich jedenfalls folgende Formulierung in Ih- haben uns einige schöne Tage gemacht, und am ersten rem Antrag nicht verstehen – Zitat –: Tag bin ich wieder auf meiner hauseigenen Joggingstre- … „Klimaschutz“ ist fast immer das genaue Gegen- cke unterwegs gewesen, unter anderem auch hier im Re- teil von Umweltschutz. gierungsviertel. Da kam ich dann plötzlich in dieses Re- bellenlager. Ich hatte noch keine Zeitung gelesen, weil ich (Karsten Hilse [AfD]: Das ist richtig!) vorher im Ausland war. Was ich da erlebt habe, waren Solche kruden Thesen stehen im gesamten Antrag. Duftstäbchen, abgesperrte rituelle Bereiche, und auch an- sonsten war es da ziemlich skurril. Ich habe gemerkt: Die Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin jemand, leben auf einem vollkommen anderen Stern. Jetzt, sieben der immer gerne inhaltlich-sachlich diskutiert und sich Tage später hier in Berlin, habe ich gestern den Antrag der einer sachlichen Diskussion auch nicht verschließen will. AfD in die Hände bekommen. Da habe ich gemerkt, dass Ich will auch, dass darüber wissenschaftsbasiert disku- auch Sie mit Ihren Formulierungen auf einem vollkom- tiert wird. Aber wir brauchen immer eine sachliche men anderen Stern leben. Grundlage. Natürlich haben es die Franzosen mit ihren 14436 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Oliver Grundmann (A) Kernkraftwerken ein Stück weit leichter, die Klimaziele gallischen Dörfer wie Sie. Wir bauen auf die Zukunft, (C) zu erreichen, die Wirtschaft und auf unseren Mittelstand. Da sind wir auf gutem Wege. (Karsten Hilse [AfD]: 75 Prozent!) Danke schön. und klar haben auch die Schweden ein leichteres Spiel mit ihrer Wasserkraft; das will ich überhaupt nicht in Abrede (Beifall bei der CDU/CSU) stellen. Aber wir haben etwas unglaublich Wertvolles, etwas Kostbareres Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zuruf von der AfD: Kohle!) Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Klaus als Stauseen, Uranstäbe oder vielleicht auch als Kohler- Mindrup. eviere. Wir haben nämlich Wissen und Technologien für (Beifall bei der SPD) CO2-neutrale Kraftstoffe, für Wasserstoff, für Biomethan, für synthetische Kraftstoffe, für neue Antriebskonzepte, Klaus Mindrup (SPD): für Brennstoffzellen, für E-Mobilität und vieles mehr, was dort entwickelt wird. Da ist eine solche Dynamik, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und eine richtige Wucht drin. Vor zwei Jahren hätte es im Kollegen! Ich bin fest davon überzeugt, dass Klima- Grunde niemand für möglich gehalten, dass wir diesen schutz, sozialer und wirtschaftlicher Fortschritt zusam- Weg, diese Strecke hier beschreiten würden. men möglich sind, und zwar ganz anders, als die AfD das hier vorgetragen hat. (Karsten Hilse [AfD]: Niemand hätte uns für so verrückt gehalten! Das stimmt!) Ich kann das auch aus eigenem Erleben sagen und be- legen. Wir haben vor 19 Jahren unsere Wohnanlage in Ich glaube, da sind wir wirklich auf einem sehr guten Berlin gekauft. Wir haben eine Genossenschaft gegrün- Weg. det, die Bremer Höhe. Damals gab es Ofenheizungen, die Häuser waren klimaschädlich. Wir haben uns gefragt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wie machen wir das? Wie bekommen wir eine soziale In der nächsten Sitzungswoche haben wir Ocean Ener- Sanierung hin? – Dann haben wir gesagt: Wir machen gy zu Gast im Küstenkreis der Union, ein Unternehmen, ein Quartierskonzept. Wir machen Blockheizkraftwerke. das grünen Wasserstoff mit Schiffen ortsungebunden auf Wir machen Photovoltaik. – Und wir haben das geschafft hoher See für 4 bis 5 Cent je Kilowattstunde produzieren und sind sehr weit vorangekommen. will. Dahinter stehen auch namhafte Unternehmen und (B) wissenschaftliche Einrichtungen. Das ist eine Vision. In diesem Jahr haben wir noch einmal überlegt: Wie (D) Wenn so etwas klappt, wäre das eine tolle Sache. können wir ein Stück weitergehen? Gibt es im Augen- blick eine Alternative zu Erdgas? – Die gibt es noch nicht. In der darauffolgenden Woche wird sich ein Reallabor Dann haben wir gesagt, wir können etwas anderes Sinn- mit CO2-neutralen Kraftstoffen vorstellen, übrigens eines volles machen: Wir investieren jetzt Geld, und zwar frei- der größten Chemieunternehmen bei uns in Norddeutsch- willig, in Biogasanlagen in Nepal mit Atmosfair, sodass land. Wenn es vor vielen Jahren nach den Grünen gegan- wir unsere Klimabilanz weiter verbessern. – Das geht gen wäre, dann würde es die schon gar nicht mehr geben. also. Wir sanieren gerade ein Dorf in Brandenburg. Es Das ist ein tolles innovatives Unternehmen. Dort werden wird immer gesagt: Im ländlichen Raum kann das nicht wir vom Staatssekretär Feicht besucht, der zu uns in den funktionieren. – Wir machen das im Dorf Hobrechtsfelde. Wahlkreis kommt. Dann werden wir ihm diese Projektie- Wir setzen da beim Bau auf Holz. rung vorstellen und ihm zeigen, wie ein großer Energy Hub für Norddeutschland, eine nationale Drehscheibe der Also, man bekommt das alles bezahlbar und sozial hin. Energiezukunft Deutschlands, entstehen wird, mit den Wir sichern Arbeitsplätze im Handwerk, wir sichern Ar- besten Voraussetzungen für LNG, Wasserstoff, syntheti- beitsplätze in der Industrie. Dieses Märchen, das die AfD sche Kraftstoffe. Da haben wir wirklich einen Schatz mit hier zeichnet – wir würden Deutschland deindustrialisie- 50 000 Tonnen Wasserstoff. Da sind wir gut dabei. ren –, ist absoluter Unsinn. Viele Unternehmen – Rolls-Royce, MTU, MAN oder (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der andere Unternehmen aus der maritimen Branchen – wa- Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]) ren schon bei uns im Küstenkreis und haben innovative Ich bin mir ganz sicher: Wir können die Regeln für die Antriebskonzepte und sogar Vorstellungen für große Me- Bürgerenergie verbessern. Das Wichtigste war, dass der thanisierungsanlagen für Afrika. Damit könnten wir den 52-Gigawatt-Deckel jetzt fallen wird, weil Photovoltaik Kontinent stabilisieren und saubere Kraftstoffe für Euro- und Bürgerenergie Hand in Hand gehen. pa herstellen. (Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Unsere Unternehmen sind einfach schon viel weiter. GRÜNEN]: Hand in Hand?) Mit Ihren rückwärtsgewandten Anträgen gefährden Sie im Grunde die Zukunft für unsere Wirtschaft. Sie bedeu- – Der wird natürlich fallen, wenn ich jetzt den Zwischen- ten nämlich das Gegenteil von Planungssicherheit. Des- ruf von Frau Kollegin Verlinden höre. – Aber Gesetze zu wegen auch mein klarer Appell: Ihre Argumentation ist machen, geht nach und nach. Wir machen das. Sie können inkonsequent, so wie der gesamte Antrag. Wir wollen sich auch darauf verlassen: Das Klimaschutzgesetz nach vorne schauen, Sie nach hinten. Wir bauen keine kommt. Das habe ich Ihnen hier angekündigt, dann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14437

Klaus Mindrup (A) kommt es auch. Wir werden auch den 52-Gigawatt-De- Mark Helfrich (CDU/CSU): (C) ckel fallen sehen, und zwar bald. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines wird beim (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lesen des AfD-Antrages, mit dem die Aufgabe aller Kli- der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜND- maschutz- und Energiewendeziele gefordert wird, ganz NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie hier seit klar: Die AfD ist die einzige Partei im Deutschen Bundes- Jahren!) tag, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Jetzt muss ich noch einmal kurz mit den Grünen reden. Ich werde immer kritisiert, dass ich Ihren ehemaligen (Karsten Hilse [AfD]: Richtig! Darauf sind wir Staatssekretär Baake hier so kritisiere. Warum mache auch stolz!) ich das denn? Weil von Herrn Baake die Eigenerzeugung Das ist erschreckend in Zeiten, in denen das Eis der Pol- denunziert wurde. kappen und Gletscher immer schneller an Masse verliert und in denen die Zahl der Tropenstürme dramatisch zu- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE nimmt. GRÜNEN]: Wer war denn dann der Minister?) Der Spruch, dass die Eigenerzeugung Entsolidarisierung (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Stimmt nicht! Fake und Deindustrialisierung ist, hat uns doch über Jahre zu- News!) rückgeworfen. Ist denn die Photovoltaikanlage auf dem Aber wir müssen gar nicht so sehr in die Ferne schauen. Dach unserer Genossenschaft eine Entsolidarisierung? Das Nahe liegt Ihnen ja vermutlich näher. Es reicht bereits Quatsch! Das ist eine Solidarisierung mit den Arbeits- ein Blick in unsere Heimat. Der deutsche Wald stirbt, kräften, die sie hergestellt haben. Das ist eine Solidarisie- rung mit zukünftigen Generationen. Und das Blockheiz- (Marc Bernhard [AfD]: Seit 1980!) kraftwerk im Keller fördert die Industrie. und auch die Landwirtschaft ächzt unter Hitze und Was- Wir müssen doch aus diesen alten Kämpfen heraus- sermangel. kommen. Wir müssen die Bürgerenergie voranbringen. (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU], an die AfD (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gewandt: Da braucht man sich nicht lächerlich der CDU/CSU und der LINKEN) machen!) Das schafft zukunftsfähige Arbeitsplätze, liebe Kollegin- Die AfD fordert in ihrem Antrag die Rückkehr zu einer nen und Kollegen. faktenbasierten Klima- und Energiepolitik. Gerne doch! (B) Sie sagen, der Klimawandel ist nicht menschengemacht. (D) Das Kabinett hat doch auch gute Ansätze: Fakt ist: 99 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wis- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- senschaftler NEN]: Sagen Sie doch mal, was Sie machen!) (Karsten Hilse [AfD]: Da zeigt sich, dass Sie die serielle Sanierung mit PV, die Quartiersansätze und – von Wissenschaft keine Ahnung haben!) ganz wichtig – die Förderung von Wasserstoff. Wasser- sagen, dass der gegenwärtige Klimawandel sehr wohl von stoff ist eine Zukunftstechnologie für die Lausitz. Wasser- Menschen verursacht ist. Da fragt man sich: Wer ist hier stoff geht natürlich nur zusammen mit erneuerbaren Ener- der klimapolitische Geisterfahrer? gien, also mit Windenergie an dieser Stelle und mit Bürgerenergie in Bezug auf die Windenergie. Das müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir zusammendenken. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Ihre nächste These – es wird noch grotesker, hören Sie Lenkert [DIE LINKE]) einmal zu! –: Innerhalb der nächsten zehn Jahre kann unsere Genossen- (Karsten Hilse [AfD]: Ich höre!) schaft zukünftig mit Windgas heizen, und dann sind wir zu 100 Prozent klimaneutral. Das ist doch Fortschritt. Die Sonne ist schuld an der Erderwärmung. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen. Der (Zuruf von der AfD: Wer sonst?) Klimakonsens muss ein Konsens für Bürgerenergie sein. Ich bin ja schon einmal froh, dass Sie die Erderwärmung Dazu lade ich Sie herzlich ein. nicht leugnen; denn laut der Weltorganisation für Meteo- Danke schön. rologie gehen die letzten fünf Jahre in die Geschichte ein, nämlich als die heißesten fünf Jahre, die jemals gemessen (Beifall bei der SPD) wurden. (Karsten Hilse [AfD]: Die wärmsten!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Herr Kollege Mindrup. – Der letzte Fakt ist auch – da ist sich die Wissenschaft wiederum Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege einig –: Die Sonne ist nicht für den Temperaturanstieg Mark Helfrich, CDU/CSU-Fraktion. der vergangenen 50 Jahre verantwortlich. Niemand hat da oben an der Heizung gedreht. Der Temperaturanstieg (Beifall bei der CDU/CSU) ist auf den verstärkten Treibhauseffekt durch die Zunah- 14438 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Mark Helfrich (A) me von Kohlendioxid in der Atmosphäre zurückzufüh- dienen dem Umwelt- und am Ende sogar dem Arten- (C) ren. schutz. (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Herr Kollege Krischer, Sie wissen sehr wohl, dass es nicht Herr Altmaier oder die GroKo waren, die dafür Jetzt kann man sich so wie Herr Gauland hinstellen und sorgen, dass Windprojekte in Deutschland in großem sagen, dass Deutschland nur für 2 Prozent der weltweiten Umfang scheitern. CO2-Emissionen verantwortlich ist. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sagen Doch, genauso ist das!) andere, nicht ich!) Es ist vielmehr das Problem, dass in den Bundesländern Ja, das stimmt. keine Flächen zur Verfügung stehen, und es ist das Prob- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Na also!) lem, dass sich das Instrumentarium, das Sie seit Jahren sehr geschickt für Ihre Politik, Infrastruktur zu verhin- Aber Fakt ist auch, dass wir Deutschen pro Kopf immer dern, nutzen, jetzt leider auch gegen die Infrastruktur noch mehr CO2 ausstoßen als die Chinesen. der Energiewende wendet. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Es geht aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – nicht um Pro-Kopf-Verbrauch!) Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – Hören Sie einmal die Gesamtpassage an, dann können Das wissen Sie, dass das falsch ist!) Sie immer noch maulen! – Wenn sich alle Länder, die Deshalb müssen insbesondere die Kolleginnen und Kol- weniger als Deutschland emittieren, auf dasselbe Gau- legen von den Grünen Farbe bekennen, welche Prioritä- land’sche Scheinargument berufen, könnte der internatio- ten beim Umwelt- und Klimaschutz denn gelten sollen. nale Klimaschutz einpacken. Wir müssen hier schnellstmöglich nachjustieren, damit wir echten Umweltschutz und Klimaschutz hinbekom- (Karsten Hilse [AfD]: Das sagt die Wissen- men. schaft selbst! Also bitte! Das ist doch nicht Gauland!) Meine Damen und Herren, Klimaschutz und Energie- politik brauchen ehrgeizige Ziele, erfüllbare Vorgaben, Für 40 Prozent der weltweiten CO -Emissionen gäbe es 2 Realismus und Akzeptanz. Der Antrag der AfD, die Kli- diese billige Entschuldigung, nichts unternehmen zu maschutz- und Energiewendeziele aufzugeben, entspricht müssen. einer kompletten Kapitulation vor der Realität und ist im (B) (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Übrigen verantwortungslos gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern. Richtig ist, dass wir die Welt nicht alleine retten kön- nen. Das schaffen wir nur gemeinsam. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Karsten Hilse [AfD]: Wer macht mit?) Ich sage: Nicht mit uns! Deswegen haben sich 2015 in Paris 197 Länder auf ein globales Klimaschutzabkommen geeinigt. Herzlichen Dank. (Karsten Hilse [AfD]: Ach ne!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deshalb gibt es auch die gemeinsamen europäischen Energie- und Klimaschutzziele. Auch wenn Sie von der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: AfD das nicht nachvollziehen können: Wir von der Union Das war der letzte Redner zu Tagesordnungspunkt 7. bekennen uns zu den nationalen, europäischen und inter- Ich schließe die Aussprache. nationalen Klimazielen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland hat als Drucksache 19/14069 an die in der Tagesordnung aufge- Industrienation eine Vorbildfunktion in der internationa- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- len Klimapolitik. Wir werden sehr genau beobachtet. verstanden? – Das ist der Fall. Dann machen wir das so. Deutschland muss zeigen, dass es in einem Industrieland Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b, die möglich ist, Wirtschaftswachstum, Energiewende und en- Tagesordnungspunkte 30 f bis 30 k sowie Zusatzpunkt 3 gagierten Klimaschutz gleichzeitig zu erreichen. auf – es handelt sich dabei um die Beratung mehrerer Wir erleben zunehmend, dass ein scheinbarer Zielkon- Vorlagen zur Verkehrspolitik –: flikt zwischen Umweltschutz und Klimaschutz aufge- 30 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten macht wird. Der Titel des AfD-Antrags ist ja der explizite Stephan Kühn (Dresden), Cem Özdemir, Beleg dafür. Auch wenn man sieht, wie unser Naturschutz Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und und unser Planungsrecht Investitionen in Klimaschutz der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN behindern, verzögern und verteuern, könnte man auf die Idee kommen, dass Klimaschutz und Umweltschutz Ge- Klimapaket neu auflegen – Verkehrswen- gensätze sind. Nein, sind sie natürlich nicht. Investitionen de für eine klimafreundliche Mobilität ein- in erneuerbare Energien, Stromnetze oder bei der Bahn leiten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14439

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Drucksache 19/14093 Andreas Wagner, Dr. Gesine Lötzsch, weiter- (C) er Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) KE Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr Haushaltsausschuss schrittweise einführen b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Drucksachen 19/1359, 19/9042 geordneten Cem Özdemir, Matthias Gastel, Sven-Christian Kindler, weiteren Abgeord- j) Beratung des Antrags der Abgeordneten neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Andreas Wagner, Dr. Gesine Lötzsch, Jan GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- Korte, weiterer Abgeordneter und der Frak- setzes zur Änderung des Umsatzsteuerge- tion DIE LINKE setzes Taxigewerbe schützen Drucksache 19/12089 Drucksache 19/10350 Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Überweisungsvorschlag: nanzausschusses (7. Ausschuss) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/14116 Ausschuss für Tourismus f) Beratung der Beschlussempfehlung und des k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Berichts des Ausschusses für Verkehr und Sabine Leidig, Bernd Riexinger, Dr. Gesine digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Fraktion DIE LINKE Hofreiter, Daniela Wagner, Oliver Krischer, Für eine bessere Bahn – Ausstieg und Um- weiterer Abgeordneter und der Fraktion stieg bei Stuttgart 21 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/11235 Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einfüh- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) ren Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Drucksachen 19/9948, 19/14000 Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss (B) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) Daniela Kluckert, Frank Sitta, Grigorios ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Fraktion der FDP Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Matthias Smart Automotive – Anforderungen an Gastel, Stefan Gelbhaar, weiterer Abgeordneter die vernetzte Mobilität im Auto von mor- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen Elektromobilität auf die Überholspur brin- Drucksache 19/14029 gen – Chancen für eine zukunftsfähige Mobi- Überweisungsvorschlag: lität nutzen Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksachen 19/7195, 19/11909 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für zung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag der Frak- Ausschuss Digitale Agenda tion Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung einer allge- Haushaltsausschuss meinen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bun- h) Beratung der Beschlussempfehlung und des desautobahnen – das ist Tagesordnungspunkt 30 f – Berichts des Ausschusses für Verkehr und werden wir später namentlich abstimmen. digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Interfraktionell sind für die Aussprache 60 Minuten dem Antrag der Abgeordneten Oliver Luksic, vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist Frank Sitta, Torsten Herbst, weiterer Abge- das so beschlossen. ordneter und der Fraktion der FDP Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist der Innovationsschub für das autonome Fah- Kollege Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen. ren in Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksachen 19/11118, 19/14001 i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Berichts des Ausschusses für Verkehr und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu Kollegen! Herr Verkehrsminister Scheuer! Liebe Gäste! dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Als Verkehrsminister Scheuer in der letzten Woche davon 14440 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Cem Özdemir (A) sprach – ich darf zitieren –, Opfer einer „bösartigen Kam- Glaubt denn jemand ernsthaft, dass Autos mit 250 Sachen (C) pagne“ zu sein, dachte ich zuerst, er meint die CSU-Wahl- auf der einen und 130 Sachen auf der anderen Spur fahren kampagne von 2013 der Herren Dobrindt und Seehofer werden? Die Zeit der Drängler mit Lichthupe wird dann zur Ausländermaut. Aber, lieber Herr Scheuer, die Opfer- vorbei sein. Sie verteidigen eine Verkehrspolitik von vor- rolle steht Ihnen nicht. Mit der voreiligen Unterzeichnung gestern. der Mautverträge und vor allem mit Ihrem Unwillen zur Aufklärung gegenüber den Bürgern und gegenüber die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sem Parlament haben Sie die vielleicht teuerste Bierzelt- Herr Minister, Sie kosten dem Steuerzahler zu viel idee der Welt zu Ihrem ganz persönlichen Mautdesaster Geld. Sie stehen dem Klimaschutz im Weg. Sie stehen gemacht. dem Fortschritt im Weg. Herr Minister, Sie sind das per- sonifizierte Standortrisiko für die deutsche Autoindustrie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und für unser Land. Wer nicht mit der Zeit geht, der geht und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten mit der Zeit. der FDP) Ich gebe zu, auch ich bin gerne in Bierzelten, zumal in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bayern, unterwegs, aber ich würde niemals auf die Idee kommen, alles, was ich im Bierzelt sage, eins zu eins in Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: einen Gesetzestext des Deutschen Bundestages zu gie- Der Kollege Michael Donth für die CDU/CSU-Frak- ßen. Darauf muss man wirklich erst einmal kommen, tion ist der nächste Redner. liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU! (Beifall bei der CDU/CSU) Angesichts der Klimakrise und der ökonomischen La- ge ist es gerade jetzt unabdingbar, dass wir gemeinsam Michael Donth (CDU/CSU): um die Verkehrspolitik ringen. Große Sorge macht mir Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dabei allerdings die Art und Weise, mit der sich aktuell Kollegen! Wir haben heute ein ganzes Sammelsurium an manche hier ideologisch gegen Innovation und Fortschritt Anträgen zu diesem Tagesordnungspunkt, die alle irgend- aufbäumen und dabei auch noch Applaus von ganz rechts, wie mit Verkehr zu tun haben. Ich konzentriere mich da- von den Populisten und Fanatikern einfahren. Auch das her auf den Antrag der Linken zu Stuttgart 21. Verhältnis zur Wissenschaft muss hier dringend geklärt werden. Den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja, sehr gut!) Bundestages haben Sie verhöhnt; wir alle haben noch Wissen Sie, was die Kolleginnen und Kollegen der die Worte in den Ohren. Es wäre besser gewesen, Sie Linken mit Kaiser Wilhelm II. gemeinsam haben? Nein, (B) hätten auf ihn gehört, den Steuerzahlern wäre viel Geld (D) ich meine nicht, dass beide von gestern sind, sondern ich erspart geblieben. meine die antiquierte Denkweise, die hinter Anträgen wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem heute debattierten „Für eine bessere Bahn – Ausstieg sowie bei Abgeordneten der FDP) und Umstieg bei Stuttgart 21“ steckt. Es ist dieselbe Denkweise wie die des Kaisers, der gesagt haben soll: Übrigens, Ihr Parteifreund Karl-Theodor von und zu Gut- tenberg wusste noch: Auf den Wissenschaftlichen Dienst Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine ist Verlass. vorübergehende Erscheinung. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE Im wahrsten Sinne des Wortes hatte der Kaiser aufs fal- GRÜNEN) sche Pferd gesetzt. Genau das liest man auch aus Ihrem Antrag heraus. Auch beim Klimaschutz im Bereich Verkehr ignorieren Sie leider die Wissenschaft. Statt auf die Verkehrswende Meine Damen und Herren, wenn man beispielsweise setzen Sie auf das Prinzip Hoffnung. Statt die Dieselsub- im Zukunftsbündnis Schiene darüber redet, die Bahn ventionen langsam abzubauen, fördern Sie Diesel weiter- schneller, pünktlicher und innovativer zu machen – das hin mit 8 Milliarden Euro pro Jahr. Von Schöpfungsbe- sind dringend notwendige Steigerungen des jetzigen Zu- wahrung ist in der CSU-Verkehrspolitik nichts zu sehen. stands im Schienenverkehr, richtig –, dann muss man Dagegen legen Sie einen quasireligiösen Eifer beim The- doch auch an dem jetzigen Zustand, an der jetzigen Infra- ma Tempolimit an den Tag, anstatt endlich dafür zu sor- struktur etwas ändern, etwas verbessern. gen, dass wir sofort und umsonst Klimagase einsparen, indem wir endlich den deutschen Sonderweg beim Thema (Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber nicht Tempolimit beenden. Stuttgart 21!) Dann kann ich doch nicht einfach frei nach Kaiser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wilhelm II. an einem Kopfbahnhof festhalten, dessen Meine Damen, meine Herren, die Mehrheit der Bevöl- Leistungsfähigkeit von Bahnexperten bereits seit den kerung möchte ein Tempolimit, die Kirchen wollen es, die 1970er-Jahren infrage gestellt wird. Polizei will es. Hören Sie zumindest auf die deutsche Polizei. Aber auch in diesem Punkt hinken Sie dem tech- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nischen Fortschritt hinterher. Alle, die sich mit dem The- Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wol- ma beschäftigen, wissen: Wenn das automatisierte Fahren len Sie diese Verbesserungen denn bitte weiter kommt, dann kommt natürlich auch das Tempolimit. sabotieren? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14441

Michael Donth (A) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Stimmt Michael Donth (CDU/CSU): (C) doch gar nicht!) Ja. – Sie müssen nun endlich auch akzeptieren: Stutt- gart 21 wird gebaut, hat Baufortschritt. Steigen Sie end- In Ihrem Antrag behaupten Sie, es ginge Ihnen um den lich von dem toten Gaul ab, den Sie hier immer noch Klimaschutz. Falsch! Auch wenn man falsche Behaup- reiten. tungen gebetsmühlenartig aufstellt, werden sie dadurch keinen Deut wahrer. Fakt ist: Der Durchgangsbahnhof Vielen Dank. besitzt mehr Kapazität als der heutige Kopfbahnhof. Fakt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei ist: Gleisflächen – ein Schotterfriedhof von über 100 Hek- Abgeordneten der SPD) tar mitten in der Stadt – werden frei, ein neues grünes Quartier entsteht mitten in der Landeshauptstadt mit ihrer bekannten Luftreinheitsproblematik. Fakt ist: Durch Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kürzere Fahrzeiten werden mehr Personen auf den Zug Für die Fraktion der AfD hat das Wort der Kollege umsteigen. Damit entsteht ausreichend Raum für eine Wolfgang Wiehle. moderne, ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung. Und das nennen Sie dann klimaschädlich! (Beifall bei der AfD) Wolfgang Wiehle (AfD): Ihr nächstes vermeintliches Argument ist der Deutsch- land-Takt. Aber auch das ist falsch! Wie soll bei einem Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- Sackbahnhof, der bereits jetzt an seiner Kapazitätsgrenze gen! Zum wiederholten Male diskutieren wir die soge- ist und der nach Expertise der Gutachter, der Fachleute, nannte Verkehrswende. Dieser Begriff ziert die Über- die das Konzept Deutschland-Takt ausgearbeitet haben, schrift des führenden Antrags dieser Debatte. ungeeignet ist, ein Halbstundentakt auf so vielen Verbin- Verkehrswende wird immer mehr zum Schlüsselwort dungen wie möglich gewährleistet werden? Andersherum für die Umverteilung von Milliarden Euro zu dem Zwe- wird ein Schuh draus: Nur mit dem Durchgangsbahnhof cke, die Bürger dieses Landes nach der Gedankenwelt der wird der Deutschland-Takt in und für Stuttgart überhaupt Grünen und Linken umzuerziehen. erst möglich. (Beifall bei der AfD) Wir wollen möglichst viele Züge auf die Schiene brin- Die Entscheidung, welches Verkehrsmittel man für seine gen, und wir wollen die Zahl der Fahrgäste verdoppeln; täglichen Wege benutzt, soll immer mehr der Staat über- ich glaube, darin sind wir uns zumindest einig. Aber des- nehmen. Die AfD will diese Freiheit beim Bürger belas- halb kann es nicht sein, dass Züge 10 oder 20 Minuten im sen und lehnt eine solche ideologische Verkehrswende (B) Bahnhof auf die Ausfahrt warten müssen, weil ein ande- daher kategorisch ab. (D) rer Zug in dieser Zeit das gesamte Gleisfeld überqueren (Beifall bei der AfD) muss; so ist es seither Usus in Stuttgart. Die Züge müssen auf ausreichend ausgebauten Strecken fahren und die Die Formulierung der Texte ist verräterisch. Der An- Fahrgäste schnell, noch schneller als bisher an ihr Ziel trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1359 ist bringen. Das ist es nämlich, was die Attraktivität des aus dem letzten Jahr. Dort steht schon in der ersten Zeile Schienenverkehrs ausmacht und was dann die Fahrgast- das Wort „Stickoxide“. Ist das nicht inzwischen längst zahlen erhöht. kalter Kaffee? Jetzt schreiben die Grünen das Wort „Kli- ma“ gleich in die Überschrift. Man erkennt das Muster: Das Projekt „Stuttgart 21“, das ja bekanntermaßen Jedes Jahr hat sein neues Umweltthema, das in hysteri- durch einen Volksentscheid demokratisch legitimiert ist, scher Weise hochgepeitscht wird. ist der richtige Weg hin zu einer schnelleren, zu einer (Beifall bei der AfD – Zuruf von der SPD: pünktlicheren und deutschlandweit vertakteten innovati- Quatsch!) veren Bahn. Für das Projekt haben Bauarbeiter und Inge- nieure wirklich herausragende Arbeit geleistet und in we- Die Begründung wechselt, die politische Zielsetzung nigen Jahren bereits knapp 110 der notwendigen bleibt immer die gleiche. 120 Kilometer an Tunneln gebohrt. Eine Riesenumverteilung verbirgt sich im Antrag der Linksfraktion zum sogenannten Nulltarif im öffentlichen Wir haben zusätzlich das Projekt „Digitale Schiene“ Nahverkehr. Busse und Bahnen fahren ja nicht von selbst. auf den Weg gebracht und werden in Stuttgart mit als Personal muss bezahlt werden, Fahrzeuge müssen ge- erstem Knoten die Kapazität durch die innovative digitale kauft und gewartet werden. Wenn es keine Fahrgelder Steuerungstechnik weiter erhöhen. mehr gibt, müssen es die Bürger über ihre Steuern berap- Die Zugreisenden in Stuttgart sehen jeden Tag, wie pen, zum Beispiel auch die, die auf dem Land wohnen unter ihnen ein neuer Bahnhof entsteht, wie Kelchstütze und gar keinen guten öffentlichen Nahverkehr haben. um Kelchstütze gegossen wird. Kurz gesagt: Die Diskus- (Zuruf von der SPD: Muss man erst ausbauen! sion über das Ob und Wie, die Ihrem Antrag zugrunde Das ist doch klar! Logisch!) liegt, ist von vorgestern. Die Grünen wollen ihren Verkehrswendeantrag allen Ernstes mit der Behauptung verkaufen, er bringe mehr Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mobilität. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie soll Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. das funktionieren, wenn Sie durch drastische Preiserhö- 14442 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Wolfgang Wiehle (A) hungen den Kraftstoff teurer machen wollen, wenn Sie Ich befasse mich also mit diesem Antrag. Der erste Satz (C) den Straßenbau bremsen und damit die Staus immer län- beginnt wie folgt: „Mit ihrem kraftlosen Klimapaket ...“ ger werden lassen und wenn Sie bald den Verbrennungs- motor für Neuwagen verbieten wollen? Eines ist richtig: (Gero Storjohann [CDU/CSU]: Das haben die In die Eisenbahn muss mehr investiert werden, und zwar nicht selbst geschrieben!) gezielt dort, wo sie großen Nutzen bringt, zum Beispiel Ich habe mir überlegt, dass ja vielleicht etwas dran ist, im Nahverkehr und bei schnellen Städteverbindungen. dass es also in der Tat kraftlos ist. Wenn ich aber daran denke, dass in diesem Klimapaket zum Beispiel steht, (Beifall bei der AfD) dass wir bei der Kohleverstromung die jetzt installierten Aber sie wird die Straße nicht als Verkehrsträger Nummer Leistungen in Höhe von 40,3 Gigawatt bis zum Jahre eins ersetzen können. 2030 auf 17 reduzieren werden, also 60 Prozent dieser installierten Leistung und damit grundlastfähige Leistung Eine große Bahninvestition ist das Projekt „Stuttgart abschalten werden, plus 2022 noch einmal 10 Gigawatt 21“. Der Aufwand dafür ist in sträflicher Weise unter- herausnehmen werden, nämlich den Atomstrom, halte ich schätzt worden. Aber ein Baustopp, wie er heute wieder das, was wir tun, gar nicht mehr für so kraftlos, sondern gefordert wird, ist nicht mehr sinnvoll, sondern er würde eher für mutig. dem Desaster noch die Krone aufsetzen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Sie schreiben weiter, dass die geplante CO -Beprei- Das hat eine Expertenanhörung schon auf dem Stand von 2 sung wirkungslos sei. Erste Bemerkung dazu: Die Ver- 2018 eindeutig ergeben. Natürlich kann man über den meidungskosten in der Mobilität liegen nicht bei 45 Euro Verbleib von Gleisen an der Oberfläche nachdenken, aber oder 50 Euro, sondern bei knapp 400 Euro pro Tonne. Das in der Gesamtsicht kann die AfD-Fraktion diesen Antrag heißt, sie bleiben sowieso darunter. Der Preis, den wir im der Kollegen von den Linken nicht unterstützen. Jahre 2024 bereits haben werden, ist schon nahe bei den (Zuruf von der CDU/CSU: Oh!) von Ihnen geforderten 40 Euro, nämlich bei 35 Euro pro Tonne CO2. In der mittelfristigen Finanzplanung sind das Ich fasse zusammen: Eine ideologische Verkehrswen- 19 Milliarden Euro, die wir einnehmen. Da sind wir noch de kostet Milliarden und bringt nicht mehr, sondern weni- gar nicht beim höchsten Preis. Wir entziehen sozusagen ger Mobilität. Durch Steuererhöhungen und politische der Volkswirtschaft 19 Milliarden Euro, um sie als Rein- Gängelung wird der Wohlstand vermindert, werden Hun- vestition wieder hineinzubringen. Auch das ist nicht derttausende Arbeitsplätze gefährdet und wird die Frei- kraftlos und mutlos, sondern, wie ich finde, durchaus an- heit im täglichen Leben eingeschränkt. Das ist für unser (B) gemessen. (D) Land der falsche Weg. Deshalb wird sich die AfD einer solchen Politik immer entgegenstellen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD) Schauen wir uns die anderen Bereiche an, um die es geht. Sie schreiben, dass wir in alternative Antriebe und Kraftstoffe investieren müssen. Das tun wir. In dem Be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: richt der Kohlekommission, in dem die Investition von Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Arno 40 Milliarden Euro vorgeschlagen wird, sind zahlreiche Klare. Projekte aufgelistet, bei denen es um Wasserstofftechno- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) logie geht, also um genau das, was Sie wollen, was wir gemeinsam wollen, nämlich das Investment in erneuer- Arno Klare (SPD): bare Kraftstoffe. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Beifall bei der SPD) ren! Ich beziehe mich in meinen Ausführungen in erster Linie auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Kli- Genau das steht dort drin, unterlegt mit 40 Milliarden mapaket neu auflegen …“. Den restlichen Titel können Euro. Da sagen Sie, das sei mutlos und kraftlos? Sie selber lesen. Über dem Antrag stehen die Namen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE derer, die den Antrag gestellt haben, zum Beispiel GRÜNEN]: Ja!) Stephan Kühn (Dresden), Cem Özdemir, Oliver Krischer, Matthias Gastel, Stefan Gelbhaar, Daniela Wagner. Ich Das ist das Gegenteil davon. kenne sie alle aus dem Verkehrsausschuss als Menschen, mit denen man durchaus einen Diskurs führen kann. Wenn ich in die Industrie schaue, dann sehe ich, dass sie ähnlich handelt. H2Stahl zum Beispiel – ich weiß (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE nicht, ob Sie es kennen – ist ein H2-Projekt von thyssen- GRÜNEN]: Immerhin!) krupp in Hamborn. Es gibt noch weitere 18 Projekte, die über die RED II als Reallabore laufen. Sie alle zielen in Bei Ihnen, Herr Krischer, habe ich manchmal, wenn Sie genau diese Richtung und werden mit Geld aus dem hier vorne stehen, einen anderen Eindruck. Deutschen Bundestag, das wir bewilligt haben, finanziert. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das Aber in aller Regel stimmt das. ist Kraftstoff!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14443

Arno Klare (A) Das ist nicht kraftlos, das ist nicht mutlos. Das, was wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (C) tun, macht keine Industrienation außer uns in der Welt. Deswegen sind diese Vorschläge, glaube ich, gut und Keine! richtig und stellen das Gegenteil von dem dar, was die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Anträge der Grünen beinhalten. Wir haben Vertrauen in Fortschritt, in Innovation, in den mündigen Bürger. Das Das ist ein großes Projekt. Wir sind Beispiel und Bench- ist das Gegenteil der ständigen Bürokratisierung und Be- mark für die Welt. vormundung, zum Beispiel durch Tempolimits. Sie haben Ich sage Ihnen einen letzten Satz: Wir werden damit kein Vertrauen in den mündigen Bürger. Das ist der Un- gewinnen, ökologisch und ökonomisch. terschied. (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Stephan (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ich glaube, Sie haben auch die aktuelle Gesetzeslage Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Oliver nicht auf dem Schirm; denn laut § 6 des Straßenverkehrs- Luksic. gesetzes haben wir ja eine situative Richtgeschwindig- (Beifall bei der FDP) keit. Das heißt, man muss angepasst an die Verkehrs- und Wetterlage fahren; also bei schlechtem Wetter und Oliver Luksic (FDP): dichtem Verkehr ist es nicht erlaubt, schneller als 130 km/ h zu fahren. Man ist bei Unfällen dann automatisch in der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Mithaftung. Es ist doch ganz klar, dass diese Gesetzeslage haben heute eine ganze Reihe an Anträgen vorliegen. Er- gut und richtig ist. Das zeigt uns auch der Blick auf die lauben Sie mir zu den Anträgen der FDP und auch zu Zahlen. Die Zahlen sind ganz eindeutig. Das Problem, das denen der Grünen Stellung zu nehmen. wir haben, sind die Landstraßen, aber eben nicht die Bun- Wir machen Vorschläge, wie es mit dem hochautoma- desstraßen, die mit Abstand die sichersten Straßen in tisierten autonomen Fahren vorangehen kann. Minister Deutschland sind, auch im europäischen Vergleich. Wo Scheuer hat ja angekündigt, dazu Vorschläge laut den Sie immer den Vergleich mit anderen Ländern wählen, Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu unterbreiten, möchte ich bezüglich der Energie- und Klimapolitik an- die leider nicht kommen. Also, man merkt: Er ist ein merken: Es steigt weltweit kein anderes Land zeitgleich bisschen gelähmt wegen der Pkw-Maut-Debatte. aus Kohle und Kernkraft aus. – Insofern hinkt also der Vergleich. Vor allem gibt es im Vergleich zu europäischen (B) Auf der anderen Seite haben wir eine Reihe an Vor- Nachbarländern mit Tempolimit in Deutschland weit we- (D) schlägen aus dem Raum der Grünen, überschrieben mit niger Verkehrstote. dem Wort „Verkehrswende“. Wende heißt ja: Umdrehen nach hinten. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann hat sich die Polizei geirrt Ihrer (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE Meinung nach? – Kirsten Lühmann [SPD]: GRÜNEN]: Wir fahren nach vorne! – Cem Und darum müssen wir nicht weitermachen? Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich akzeptiere nicht die Verkehrstoten auf den Hightech! Highspeed! Heimat!) Autobahnen!) Es geht da immer um Verbote, Bürokratisieren, Regle- Das Problem sind die Landstraßen. Die deutschen Auto- mentieren, Verteuern. Lieber Kollege Özdemir, Sie haben bahnen sind sicherer als alle anderen in Europa. Deswe- ja zu Recht gesagt, dass wir eine aufgeheizte Debatte gen gehen Sie da am Thema vorbei. haben; das ist auch wirklich ein Problem. Das liegt aber auch an manchem Beitrag der Grünen. Ich halte zum Bei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten spiel die Forderung nach einem SUV-Verbot angesichts der CDU/CSU) eines tragischen Unfalls für schwierig. Auch den ständi- Das sind die Fakten. gen Vergleich von Autos mit Waffen finde ich so nicht in Ordnung. (Kirsten Lühmann [SPD]: Die Zahlen stagnieren, gehen nicht herunter!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Die Zahlen gehen zum Glück weiter runter. der CDU/CSU und der AfD) Es sind übrigens vor allem Senioren, die gerne SUVs (Kirsten Lühmann [SPD]: Die Zahlen gehen nutzen. Gerade dann, wenn es so einen Unfall gibt, sollte nicht mehr runter!) man das nicht instrumentalisieren für einen solchen Ver- Wir können auch gerne darüber reden, Geschwindigkeit gleich. dort situativ zu begrenzen, wo es Probleme gibt. In unserem Antrag zum autonomen Fahren zeigen wir Das Problem ist, Sie reden immer – nicht nur hier – von auf, was auf nationaler, europäischer und UNECE-Ebene Verboten: SUV, Tempolimit. Der Benziner, der Diesel getan werden muss, um in den Bereichen der Verkehrs- sollen verboten werden, der Nachtflug, der Billigflug, sicherheit, der Innovation nach vorne zu kommen, damit der Kurzstreckenflug sollen verboten werden, die Gas- wir in Deutschland tatsächlich Innovationsführer bleiben. heizung, die Ölheizung, die Plastiktüte, der Luftballon, Das ist wirklich wichtig, auch für den Automobilstandort. die Energydrinks. Alles soll verteuert werden: das Reisen, 14444 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Oliver Luksic (A) die Mobilität, das Fliegen, der Strom, das Fleisch. Wenn Wir legen hier ein Konzept vor für den flächendeckenden (C) es Ihnen wirklich um die Wissenschaft geht, dann müss- öffentlichen Nahverkehr zum Nulltarif: Schrittweise zu- ten Sie beim Thema Globuli vielleicht eine andere, eine nächst für die am meisten belasteten Städte, für weniger esoterische Meinung einnehmen. Schülerinnen und Auszubildende, bald für alle. Nicht ein- mal ein Fitzelchen dieser Idee taucht im Klimapaket der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bundesregierung auf. Dabei wäre es ein Leichtes, das der AfD) nötige Geld dafür aufzubringen. Wir müssen nur endlich Auch bei den Themen Gentechnik und Atomkraft sind die die vielen Milliarden Euro Subventionen für Diesel und Grünen ja auch nicht gerade die Spitze der Aufklärung. Dienstwagen umverteilen, und zwar auf den öffentlichen Nahverkehr. Es ist also ganz klar: Wir müssen auf technische Inno- vationen setzen, Vertrauen in den Bürger haben und dür- (Beifall bei der LINKEN) fen nicht von einer Wende nach hinten reden. Das bringt uns nämlich nicht nach vorne. Darin stimmen wir auch mit den Grünen überein und auch darin, die Bahn endlich in großen Schritten zu stärken und Vielen Dank. in der Fläche als umweltfreundliche Alternative zum Straßenverkehr auszubauen. Für uns heißt Elektromobi- (Beifall bei der FDP – Zurufe vom lität in erster Linie übrigens Zug und Straßenbahn. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir teilen aber nicht den Glauben der Grünen an den Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Markt und den CO2-Preis. Warum? Weil die Macht der Konzerne nicht angegriffen wird. Bei der IAA in diesem Für die Fraktion Die Linke hat das Wort nun die Kolle- Jahr gab es die größten Proteste gegen die Politik der gin Sabine Leidig. Autokonzerne. Die Bundeskanzlerin sagt, dass Staat (Beifall bei der LINKEN) und Autoindustrie enger zusammenarbeiten müssen. Da- bei ist genau das der Grund, weshalb im Verkehrssektor Sabine Leidig (DIE LINKE): die Emissionen nicht sinken. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäs- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Christian Jung te! „Wald statt Asphalt“ – unter diesem schönen Motto [FDP]: Der Verkehr hat aber auch deutlich zu- haben junge Leute in meiner hessischen Heimat gerade genommen!) Bäume besetzt als Protest gegen den Ausbau der A 49, für den die Fläche von 150 Fußballfeldern Wald gerodet wer- Als in den 1970er-Jahren unsere Wälder vom sauren (B) den soll. Der Widerstand wird in der Bevölkerung breit Regen zerstört wurden, hat man nicht den Schwefel ver- (D) unterstützt. Und das ist gut so. In diesem Land sind in den teuert, sondern die Industrie zu Rauchgasentschwefe- vergangenen 30 Jahren 250 000 Kilometer neue Straßen lungsanlagen verpflichtet. Und das hat gewirkt. Als Ende gebaut worden der 80er-Jahre das Ozonloch überhandgenommen hat, hat nicht ein FCKW-Preis die Wende gebracht, sondern das (Andreas Mrosek [AfD]: Gut so!) Verbot dieser zerstörerischen Substanz. Und jetzt muss von Bund, Ländern und Kommunen. Das ist mehr als über das Verbot von Kurzstreckenflügen geredet werden genug. und nicht über 5,50 Euro mehr fürs Flugticket. Damit retten wir das Klima nicht. (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Sie sagen doch, das ist zu wenig! – Zuruf von der FDP: Es gibt (Beifall bei der LINKEN) auch Regionen, die haben Bevölkerungszu- Wir müssen endlich aufhören, so weiterzumachen. wachs!) Die sogenannte Fahrleistung von Lastwagen ist von 30 (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Wo ist denn jetzt auf 70 Milliarden Kilometer pro Jahr angeschwollen, der Ihr Vorschlag?) Autoverkehr von 400 auf 650 Milliarden Kilometer: Ein Das gilt übrigens auch für Stuttgart 21. Wir dürfen nicht wahnsinniges Verkehrswachstum auf der Straße. Damit zulassen, dass eine gut funktionierende Schieneninfra- muss endlich Schluss sein. struktur verkleinert und die Krise der Bahn vergrößert (Beifall bei der LINKEN) wird – für 10 Milliarden Euro. Dieser Verkehr untergräbt die Lebensgrundlagen der (Michael Donth [CDU/CSU]: Sie funktioniert Menschheit. doch nicht gut! Das ist doch das Problem!) (Bernhard Loos [CDU/CSU]: Das ist leicht zu Auch hier gibt es Alternativen, sagen, wenn man nicht auf das Auto angewie- sen ist!) (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Sie haben keine Alternative!) Eigentlich ist völlig klar, was passieren muss: Neben dem Ausstieg aus fossiler Energie brauchen wir eine Ver- Umstieg 21 zum Beispiel. Wir müssen alle zusammen kehrswende mit autofreien Innenstädten, mehr Platz für den Mut aufbringen, Fehler einzugestehen und falsche Radfahrerinnen und Fußgänger, ÖPNV und Bahn für alle. Entscheidungen zu revidieren. Es ist Zeit für eine ganz andere, eine sozial-ökologische und demokratische Ver- (Zurufe des Abg. Bernhard Loos [CDU/CSU]) kehrspolitik, um das Klima zu retten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14445

Sabine Leidig (A) (Beifall bei der LINKEN – Michael Donth – Das ist schon klar. – Das war die Frage. (C) [CDU/CSU]: Demokratischer als ein Volksent- scheid geht es nimmer!) Wir reden aber auch über Klimaschutz. Wir reden da- rüber, wo überall wir CO2 einsparen könnten. Wir be- kommen viele Briefe, in denen von 5 Millionen Tonnen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die Rede ist. Seriöse Berechnungen sprechen eher von Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege 1,8 Millionen Tonnen. Was nachher dabei herauskommt, Gero Storjohann. wissen wir nicht. Klar ist aber: Das ist kein entscheid- (Beifall bei der CDU/CSU) ender Anteil. Der Verkehr hat insgesamt einen Anteil am CO2-Ausstoß von 900 Millionen Tonnen. Diesen wollen Gero Storjohann (CDU/CSU): wir erheblich reduzieren. Es stellt sich da die Frage, ob 1 oder 2 Millionen Tonnen dabei wesentlich ins Gewicht Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten fallen oder nicht. Damen und Herren! Wir haben heute viele Anträge zu beraten. Ich möchte mich auf den Antrag zum allgemei- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Tempolimit von 130 km/h, das die Grünen wieder in NEN]: Es geht um Klimaschutz und Sicher- die Debatte eingeführt haben, konzentrieren. Die Klima- heit!) politik fordert es förmlich heraus, dass wir darüber spre- chen. Die älteren Kollegen wissen: 2013 haben wir das Ein weiterer Aspekt ist die Verkehrssicherheit. Auto- zuletzt gemacht. Da haben wir uns über ein Tempolimit bahnen – das wissen wir – sind die sichersten Straßen in von 120 km/h, 130 km/h gestritten bzw. darüber, ob alles unserem Land. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass ein so bleiben soll, wie es ist. Tempolimit sinnvoll wäre. Sie vergleichen dabei unser Straßensystem mit europäischen Straßen. Innerhalb des Die Grünen bringen viele Argumente vor. Ich möchte deutschen Straßensystems haben wir kein Problem. Das auf den letzten Satz aufmerksam machen: Es ist „eine deutsche Autobahnsystem ist auf hohe Geschwindigkei- konsequente Geschwindigkeitskontrolle“ vonnöten, um ten, nämlich auf 130 bis 150 km/h, ausgelegt. Das ist die Ziele zu erreichen, die sie sich davon erhoffen. Das nicht mit dem in Zypern vergleichbar, wo Sie 100 km/h bedeutet eine Totalüberwachung unserer Autobahnen. fahren dürfen, jeder aber 120 km/h fährt, weil er weiß, (Lachen bei der LINKEN) dass er sowieso nicht kontrolliert wird. Wir schaffen es nicht mal, die Geschwindigkeit in Tem- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- po-30-Zonen zu überwachen – das fordern Eltern ja ein – NEN]: Das ist doch Quatsch! Was ist das für bzw. die Leute anzuhalten, dass sie sich daran halten. Wir ein Quatsch!) (B) schaffen es nicht auf den Landstraßen. Wir schaffen es (D) nirgends. Wir schaffen es nur sporadisch. – Herr Krischer, alles gut! Wenn Sie sich aufregen, liege ich richtig. Da freue ich mich immer. (Zuruf von der AfD: Wir schaffen es auch nicht, die Grenzen zu überwachen!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP – Katharina Dröge [BÜND- Insofern ist der Ansatz, ein Tempolimit von 130 km/h auf NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist übrigens das Autobahnen einzuführen und es dann überwachen zu las- erste Mal, dass Ihre Fraktion klatscht!) sen, zu hinterfragen. Nun gibt es ja auch noch die Länderkompetenz. In (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE Schleswig-Holstein hatten wir mal ein generelles Tempo- GRÜNEN) limit von 120 km/h auf Autobahnen. Das ist wieder auf- Dann stellt sich die Frage, ob sich die Menschen frei- gehoben worden. willig daran halten. Wir haben seit vielen Jahren, seit (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Sehr guter 1978, die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. Und die Verkehrsminister!) Versicherungen legen höchsten Wert darauf. Wenn man sich schneller bewegt und einen Unfall verursacht oder in Ich habe mal geguckt, wie das in Baden-Württemberg ist. einen Unfall verwickelt wird, dann hat man eine gewisse Mein alter Kumpel Winni Hermann von den Grünen ist Mitschuld; die liegt bei 20 Prozent oder höher. Insofern dort zurzeit Verkehrsminister. Es gibt nicht eine einzige gibt es schon Regeln, an die sich die Menschen halten Initiative in Baden-Württemberg, ein generelles allge- müssen. Es gibt ja auch Untersuchungen, die mithilfe von meines Tempolimit auf Autobahnen einzurichten. Werten der Messstellen die durchschnittliche Geschwin- digkeit auf Autobahnen ermittelt haben. Sie liegt bei 116 (Beifall der Abg. Heike Brehmer [CDU/CSU] – bzw. 117 km/h. Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jetzt kommen wir zu der Frage von Cem Özedmir, die NEN]: Ja, weil die Rechtslage es gar nicht her- lautete, ob wir auch diejenigen, die die Lichthupe anwen- gibt!) den, endlich mal zu fassen kriegen, da sie andere Men- schen vielleicht stören oder verunsichern. Insofern: Cem Özdemir hat hier eine bewundernswerte Rede gehalten – hätte eigentlich für den Fraktionsvorsitz (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reichen müssen, hat aber nicht. NEN]: Gefährden! – Cem Özdemir [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gefährden vor allem!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) 14446 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Gero Storjohann (A) Wir arbeiten gern mit Ihnen im Verkehrsausschuss zu- den] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte? (C) sammen. Aber wie gesagt: Ein allgemeines Tempolimit Das ist uns noch gar nicht aufgefallen!) findet nicht die Zustimmung der Unionsfraktion. Wir dass man davon ausgehen muss, dass Sie dieses Verkehrs- werden Ihren Antrag deshalb ablehnen müssen. wendemärchen mittlerweile selber glauben. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD) GRÜNEN]: Was für eine wirre Rede!) Ein Wort noch zu dem Antrag, der gestern gekommen Über 85 Prozent des Verkehrs in diesem Land ist Pkw- ist – gestern! – und die Tagesordnung auch bestimmt. Wie Verkehr. heißt es dort? „Verkehrswende für eine klimafreundliche (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mobilität“. Was Sie vergessen haben, ist – den ersten Satz und der SPD) haben Sie ja auch nicht selbst geschrieben, wie eben schon von Arno Klare festgestellt wurde –: Sie haben – Hören Sie zu! Dann lernen Sie etwas. – Es gibt gar kein den Radverkehr in diesem Antrag nicht aufgeführt. Null. Konzept, diesen Verkehrsanteil signifikant zu verändern. Es gibt auch gar keinen Wunsch der Bevölkerung danach. (Zurufe von der CDU/CSU und der FPD: Oh! Sie haben dafür überhaupt kein Mandat. Oh!) (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Wir haben alle Das kann passieren; auch das verzeihe ich Ihnen. ein Mandat hier!) Wie gesagt: Bei der namentlichen Abstimmung müs- Sie sollen den Wählerwillen erfüllen. Punkt, aus! sen Sie mit der roten Karte abstimmen. (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Wir sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- übrigens alle gewählt!) neten der FDP – Katharina Dröge [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine wirre Und der Wählerwille heißt: Lasst uns an einer staufreien Rede!) Infrastruktur arbeiten. – Die einzige Partei, die diesen Wählerwillen umsetzen will, ist die AfD. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU/ Für die AfD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege CSU – Kirsten Lühmann [SPD]: Haben Sie Dr. Dirk Spaniel. schon einen Vorschlag gemacht, wie man die Staus reduzieren kann? – Michael Donth (Beifall bei der AfD) (B) [CDU/CSU]: Da müssen Sie selber lachen! – (D) Felix Schreiner [CDU/CSU]: Da müssen Sie Dr. Dirk Spaniel (AfD): sogar selber lachen!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute haben wir hier im Plenum die Gelegenheit, Ein weiteres Beispiel für den fast schon manischen über eine Vielzahl von Anträgen zu diskutieren, die einen Kampf der Linksgrünen gegen das Auto ist die Forderung guten Überblick über die aktuelle Debatte in der Ver- nach einem generellen Tempolimit von 130 Kilometern kehrspolitik geben. pro Stunde. Studien und Zahlen scheinen Sie dabei wenig zu interessieren. Bei einem generellen Tempolimit von Wir wissen, dass ein Großteil der arbeitenden Bevöl- 130 km/h würden eventuell nicht mal 0,5 Prozent CO2 kerung in diesem Land täglich auf das Auto angewiesen eingespart werden. Das sagt sogar das Verkehrsministe- ist und mit massiven Stauproblemen zu kämpfen hat. Als rium. Verkehrspolitiker sehe ich mich verpflichtet, diesen Men- schen mit zielgerichteter Politik den Alltag zu erleichtern. (Kirsten Lühmann [SPD]: 1,8 Millionen Ton- nen! Hat Herr Storjohann gerade festgestellt!) (Beifall bei der AfD) Auch Studien zu Unfällen belegen, dass Streckenab- Seit Monaten fahren die Grünen mit Anträgen und öf- schnitte mit Geschwindigkeitsbegrenzungen keineswegs fentlichen Statements eine massive Kampagne gegen den sicherer sind, ganz im Gegenteil. Und weil Sie immer das Autofahrer. Ausland zitieren, sage ich Ihnen: Industrieländer, die ein (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: drastisches Tempolimit haben, zum Beispiel die USA Oh! Oh!) oder Norwegen, haben achtmal mehr Inlandsflugverkehr als Deutschland. Immer wieder ist das vorrangige Ziel, den Radverkehr auszubauen und Autofahrer als Klima- oder Stausünden- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE böcke darzustellen. Sie täuschen die Menschen in diesem GRÜNEN]: Was?) Land mit dem Lügenmärchen von einer Zukunft mit aus- Die Konsequenz eines Tempolimits sind also nicht der gebautem ÖPNV und Fahrradnutzung. Dafür haben Sie Nachtbus, das Lastenfahrrad oder die Bahn, einen schönen Namen erfunden. Er lautet: Verkehrswen- de. Sie von der CDU bzw. von der Regierung haben sich (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ so an die Grünen angebiedert, DIE GRÜNEN) (Lachen bei der CDU/CSU und dem BÜND- sondern die Konsequenz des Tempolimits ist das Flug- NIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Kühn [Dres- zeug. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14447

Dr. Dirk Spaniel (A) (Beifall bei der AfD) Bahnfahren wird im Fernverkehr günstiger. Flugreisen (C) werden teurer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Was für eine Überraschung! Aber das wollen Sie ja ver- ganz im Sinne des Klimaschutzes. Die Senkung der bieten, ist ja klar. Mehrwertsteuer kann – so rechnet man – für bis zu 5 Mil- Deutschland muss endlich wieder ein Vorreiter für das lionen mehr Fahrgäste im Schienenfernverkehr sorgen. Automobil werden, gerne auch für das autonom fahrende Die Formel lautet zunächst einmal: günstigere Zugti- Automobil. ckets – mehr Fahrgäste. Die zweite Formel lautet: Besse- res Angebot – mehr Fahrgäste. Das beste Beispiel dafür (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE ist sicher die Schnellverbindung zwischen München und GRÜNEN]: Mann, Mann, Mann!) Berlin. Schon im ersten Jahr hat die Bahn das Flugzeug Ein Großteil unseres Wohlstands wird in der Automobil- auf dieser Strecke als Marktführer abgelöst. Aus meiner branche erwirtschaftet. Egal wie stark wir die Bahn oder Heimatstadt Nürnberg fliegt heute nichts mehr nach Ber- die Infrastruktur für das Fahrrad ausbauen, in einem mo- lin; das ist eine Konsequenz. dernen Industriestaat ist das Automobil in absehbarer Zeit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der völlig unersetzbar. Das sagen alle Studien dieser Welt. CDU/CSU) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE Die Deutsche Bahn hat verkündet, sofort bis zu 30 neue GRÜNEN]: Alle Studien dieser Welt?) Züge für den Fernverkehr zu bestellen, sodass täglich Gut, an die glauben Sie eh nicht. 13 000 zusätzliche Plätze angeboten werden können. Bis aber die neuen Züge bereitstehen, bleibt es schwierig; Wir müssen unsere Verkehrs- und Infrastrukturpolitik auch das will ich sagen. Angesichts der derzeitigen Situa- an die Realität anpassen. tion, die Sie und wir oftmals erleben, möchte ich mich heute bei den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern bedan- (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE ken, GRÜNEN]: Dann fangen Sie mal an! Ihre Rede müssten Sie mal an die Realität anpassen!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Wir werden diesen Weg weitergehen. Wir werden Ihre BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- realitätsverweigernden Anträge alle ablehnen. Die AfD ordneten der FDP und der Abg. Sabine Leidig ist die einzige Partei, die in diesem Land für die Interes- [DIE LINKE]) sen der Autofahrer eintritt, und das wird so bleiben. die nämlich jeden Tag dafür sorgen, dass die Kundinnen und Kunden noch einigermaßen zufrieden sind. Vielen Dank. (B) Fehler wurden anderswo gemacht, nämlich im Ma- (D) (Beifall bei der AfD – Lachen des Abg. nagement, und das schon vor langer Zeit. Michael Donth [CDU/CSU] – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Sabine Leidig [DIE LINKE]: In der Politik!) Wenn wir es jetzt schaffen, den Anteil des Personenver- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kehrs bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln und den Güter- Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Martin verkehr auf der Schiene im selben Zeitraum erheblich Burkert. ansteigen zu lassen, so könnte alleine die Schiene 15 bis 20 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Deswegen sage (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael ich: Nur mit der Schiene können wir die Klimaziele er- Donth [CDU/CSU]) reichen.

Martin Burkert (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und GRÜNEN) Kollegen! Werte Gäste! Ich freue mich erst mal, dass wir heute über die Verkehrswende sprechen. Es liegen viele Schon heute fährt sie über 90 Prozent ihrer Transport- Anträge vor. leistung elektrisch. 57 Prozent des Bahnstroms wurden 2018 in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt, Als Berichterstatter der SPD-Fraktion für den Schie- und unsere Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat nenverkehr werde ich – wen wundert’s? – über die Bahn klargemacht, dass die im Klimapaket vereinbarten Maß- reden. Da haben wir erstens – das wurde heute noch gar nahmen noch nicht abschließend sind. Weitere Schritte nicht genannt – die Senkung des Umsatzsteuersatzes auf werden und müssen folgen. Mehr Verkehr auf der Schiene Bahntickets für den Schienenfernverkehr, die ja jetzt vom geht nur, wenn auch die Kapazitäten vorhanden sind. Bundeskabinett als Teil des Klimapaketes beschlossen Deshalb muss das Bestandsnetz grundlegend in Ordnung wurde. gebracht werden, und deshalb ist auch die finanzielle (Felix Schreiner [CDU/CSU]: So ist es!) Ausstattung der LuFV, um die wir ja ringen, so wichtig. Endlich wurden damit falsche Anreize im Wettbewerb Mit dem Klimapaket wurde auch vereinbart, dass wir zwischen den Verkehrsträgern korrigiert. ausreichend finanzielle Vorsorge treffen, um die Schiene mit dem Infrastrukturfonds zukunftsfähig zu machen. Mit (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 3 Milliarden Euro werden wir die zehn am meisten fre- Minimal!) quentierten Verkehrsknotenpunkte und Strecken aus- 14448 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Martin Burkert (A) bauen und die Schiene, wie im Koalitionsvertrag verein- haben. Das betrifft den Individualverkehr genauso wie (C) bart, elektrifizieren. Bis 2030 soll der Deutschland-Takt den ÖPNV. Der On-Demand-Verkehr kann gerade im umgesetzt und damit die Grundlage für die Verdoppelung ländlichen Raum leere Busse ersetzen und hier tatsächlich der Fahrgastzahlen und des Schienengüterverkehrs gelegt eine Revolution im ÖPNV voranbringen. Das sind inno- werden. Der Schiene muss also höchste Priorität einge- vative Beiträge für den Klimaschutz, die die FDP hier räumt werden. Das haben wir ja hier im Deutschen Bun- fordert. destag auch so beschlossen. (Beifall bei der FDP) Meine letzten Sätze gelten Stuttgart 21. Ich habe ja prognostiziert, dass wir das Thema alle halbe Jahre ha- Und wo sind eigentlich die CDU, die CSU? Der Minis- ben, lieber Kollege Donth. Das wird hier noch öfter der ter hat schon vor einem Jahr versprochen, dass wir end- Fall sein. Ich will nur drei Punkte sagen: Erstens. Die lich einen Gesetzentwurf zum autonomen Fahren bekom- Deutsche Bahn AG ist im Zeit- und Budgetrahmen. men. Auf dem Tisch liegt gar nichts. Die CDU, die CSU sind gelähmt, oder ihnen fehlen die Kraft und die Ideen. (Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) Zweitens. Die Bundes- und Landesmittel sind gedeckelt. Die FDP fordert Klimaschutz durch Wohlstand, durch Innovationen. Deswegen haben wir diese Woche als Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Smart-Germany-Woche ausgerufen. Wir wollen einen in- Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Ende. novativen Rechtsrahmen zum Ausprobieren. Wir wollen ein Datenrecht, das auch zur Mobilität passt und das auch Martin Burkert (SPD): Chancen eröffnet. Und am Ende wollen wir natürlich – Drittens. Der Zeitpunkt für einen Ausstieg ist längst ganz wichtig – ein sicheres und stabiles Mobilfunknetz; überschritten, und das wissen Sie auch. denn ohne das werden keine Innovationen auf die Straße kommen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klimaschutz geht eben nur mit der Automobilindustrie und auf gar keinen Fall gegen die Automobilindustrie. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Für die Fraktion der FDP hat das Wort die Kollegin AfD) (B) Daniela Kluckert. Alles andere hätte dramatische Folgen für die Innovatio- (D) (Beifall bei der FDP) nen, aber eben auch für die Arbeitsplätze. Und es sind nicht nur die deutschen Arbeitsplätze, die hier in Gefahr Daniela Kluckert (FDP): sind. Es sind genauso die in Rumänien, es sind die in Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Brasilien. ren! Heute geht es hier in der Debatte um Sicherheit und (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) Klimaschutz im Verkehr. Bei der politischen Linken ist schon seit einer geraumen Zeit der Etatismus wieder in Innovationen bringen uns nach vorne, meine Damen und Mode gekommen. Heute geht es um das wirkungslose Herren. Das wollen wir von der FDP stärken. Tempo 130 oder andere Kulturkämpfe gegen das Auto. (Beifall bei der FDP) In der deutschen Automobilindustrie sind 1,8 Millionen Arbeitsplätze verankert, und Tausende Unternehmen im ganzen Land sind von ihr abhängig. Wer sich heute über Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: den Zustand in diesem Land Sorgen macht, der sollte sich Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin mal Gedanken darüber machen, Ingrid Remmers. (Felix Schreiner [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der LINKEN) was denn hier los wäre in der Gesellschaft und in unserer Demokratie, wenn diese Arbeitsplätze, wenn diese Unter- Ingrid Remmers (DIE LINKE): nehmen tatsächlich auf dem Spiel stehen. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zu- hörende! Außer der AfD wissen inzwischen alle, dass die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fortschreitende Klimaerwärmung ein Umdenken erfor- der AfD) dert: In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Automobilindustrie ist bei uns Garant für Wohl- (Beifall bei der LINKEN) stand und eben auch für Innovationen – Innovationen, die wir gerade für den Klimaschutz brauchen. Man nehme Was aber macht unsere Bundesregierung? Sie schnürt ein nur mal die Potenziale der Digitalisierung der Mobilität Klimapäckchen, das in keiner Weise den aktuellen He- der Zukunft. Digitale Verkehrslenkung macht die Städte rausforderungen entspricht. sauberer, weil schon 30 Prozent des Verkehrs bei der Als Linke kämpfen wir für Klimagerechtigkeit. Suche nach Parkplätzen entsteht. Autonomes Fahren ist höchst effizient und deutlich sicherer als das, was wir jetzt (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14449

Ingrid Remmers (A) Was heißt das im Verkehr? Das heißt vor allem, die Men- nisse einfach fertig. Treten Sie endlich zurück. Das ist (C) schen zum Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel längst überfällig. zu bewegen und dabei niemanden von Mobilität auszu- schließen. Sie aber trauen sich in Ihrem Klimapäckchen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- nur Minierhöhungen der Spritpreise zu. Das milliar- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – denschwere Dieselprivileg wollen Sie aber erhalten. Wo- Felix Schreiner [CDU/CSU]: Gut, dass Ihre für eigentlich, wenn doch sowieso ein Wechsel des An- Rede zu Ende ist!) triebs ansteht und ja auch bereits angelaufen ist? Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: An den Bereich Straßenbau wollen Sie gar nicht heran. Wir brauchen dringend ein Umsteuern der Investitionen Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege weg von der Straße hin zur Schiene. Stephan Kühn. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei müsste zunächst mal der Bundesverkehrswegeplan Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gestoppt werden, der den Bau von immer neuen Straßen NEN): noch bis 2030 festschreibt. Dieser Plan ist auch längst von der Realität überholt und damit retro. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie war der gesellschaftliche Rückhalt für (Beifall bei der LINKEN – Gustav Herzog wirksamen Klimaschutz größer, und nie war der Hand- [SPD]: Da stehen aber auch Schiene und Was- lungsdruck, endlich was zu tun, größer. serstraße drin!) (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Deshalb machen Doch nicht mal ein Tempolimit trauen Sie sich zu. Ein wir es ja!) Tempolimit ist eine schnelle, einfache, wirkungsvolle und kostenlose Maßnahme zur Verbrauchsminderung und zur Trotzdem fehlt der Großen Koalition der Mut für wirk- Erhöhung der Verkehrssicherheit. Sie dagegen zeigen samen Klimaschutz. Mit dem Klimaschutzpaket verab- nur, dass Sie gar nichts verstanden haben. schiedet sich diese Bundesregierung von dem Pariser Kli- maschutzabkommen. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Mehr als die Linken!) (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) Sie wollen offenbar weiter mit Vollgas in die Klimakrise Und das ist beschämend. rasen. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Es ist nicht alles falsch, lieber Arno Klare, was im ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Klimapaket drinsteht. Ebenso fehlt Ihnen auch die klare Perspektive dafür, dass wir kleinere, leichtere und verbrauchsärmere Fahr- (Beifall des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] zeuge brauchen. Wir können es uns doch nicht leisten, die [SPD] – Zurufe von der SPD: Ah!) knappen erneuerbaren Energien in Elektro-SUV zu ver- Aber es reicht eben nicht. Eine Ansammlung von Förder- ballern. programmen wirkt nicht, solange klimaschädliche Sub- ventionen nicht abgebaut werden. (Beifall bei der LINKEN) Und sorgen Sie endlich für die nötige Infrastruktur für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – E-Fahrzeuge sowie für die Änderung des Wohneigen- Oliver Luksic [FDP]: Wie beim Tempolimit!) tums- und Mietrechts, die Sie schon längst versprochen In den letzten zehn Jahren haben sich die Subventionen haben. Dann kann auch 2030 endlich Schluss sein mit für Dieselkraftstoffe auf zusammen 76,5 Milliarden Euro dem Verbrennungsmotor. summiert, während in der gleichen Zeit lediglich 5 Mil- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. liarden Euro in alternative Antriebe und Kraftstoffe in- Felix Schreiner [CDU/CSU]) vestiert wurden. Das ist weder technologieoffen, noch sorgt es für Vorfahrt für neue Technologien, die wir ja Kolleginnen und Kollegen, diese Große Koalition hat eigentlich alle wollen. abgewirtschaftet, auch in dieser Frage. Sie verspielen die Zukunft unseres Landes, weil sich die Klimakrise weiter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vertieft, weil Sie es nicht schaffen, der Autoindustrie und Der geplante CO2-Preis für Diesel und Benzin liegt dem Mobilitätssektor die notwendigen Perspektiven zu unterhalb der täglichen Schwankungsbreite an den Tank- geben, und weil Sie die Menschen in den abgehängten stellen. So werden Alternativen jedenfalls nicht gefördert. Regionen ohne Perspektive sitzen lassen und Hundertau- Richtig wäre es gewesen, für fossile Kraftstoffe mit ei- sende von guten Arbeitsplätzen gefährden. Ihre Politik nem deutlich höheren CO2-Preis zu starten und die Ein- wird verheerende Strukturbrüche zur Folge haben. nahmen den Bürgerinnen und Bürgern über ein Energie- (Oliver Luksic [FDP]: Ihre!) geld und über eine Senkung der Stromsteuer vollständig auszuzahlen. Herr Scheuer, Sie und mit Ihnen diese Bundesregie- rung haben angesichts dieser Klimakrise und ihrer Ergeb- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 14450 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Stephan Kühn (Dresden) (A) Davon würden auch Menschen mit kleinem Geldbeutel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) profitieren und übrigens auch diejenigen, die auf keine Pendlerpauschale zurückgreifen können. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Klar ist aber auch: Es ist nicht damit getan, nur An- Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege triebe auszutauschen und mehr Elektroautos auf die Stra- Karl Holmeier. ße zu bringen. Verkehrswende heißt auch, Verkehr auf Bus und Bahn und auf das Fahrrad zu verlagern und das (Beifall bei der CDU/CSU) Angebot dort deutlich auszubauen. Karl Holmeier (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen sowie bei Abgeordneten der SPD) und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrsminister baut aber lieber weiter Straßen, Wir beraten heute über einen großen Strauß von Anträgen als ob es keine Klimakrise gäbe. In den letzten zwei Jah- der Opposition. Wir müssen sie alle ablehnen, weil sie ren ist der Straßenbauetat um 50 Prozent gestiegen. Man einerseits zu weit gehen und andererseits zu kurz sprin- stärkt aber nicht die Schiene, indem man Straßen baut. gen. Bis 2030 sollen die Fahrgastzahlen der Bahn verdoppelt (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) werden. Ein gutes Ziel, aber dafür müssten die Investitio- nen für Aus- und Neubau auch verdoppelt werden. Diese ideologischen Debatten über 100 Prozent Elektro- mobilität und Tempo 130 auf Autobahnen bringen doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nichts. Wir sägen mit diesen Debatten den Baum ab, auf 3 Milliarden Euro bräuchten wir, 1,6 Milliarden Euro dem wir sitzen, stehen im Haushalt. Das ist die Realität. (Beifall des Abg. Bernhard Loos [CDU/CSU]) Der Verkehrsminister hat zusätzliche 900 Millionen bevor neue Bäume in Form von alternativen Kraftstoffen Euro für die Förderung des Radverkehrs angekündigt. gewachsen sind. Schaut man in den Ergänzungshaushalt zum Klimapaket, so stehen dort lediglich 31 Millionen Euro. Übrigens, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zu- Herr Kollege Storjohann, in unserem Antrag steht in ruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was den Forderungspunkten 3 und 10 sehr wohl etwas zum kosten die?) Thema Radverkehr. Lesen Sie einmal nach. Wenn die neuen Bäume – alternative Kraftstoffe wie syn- thetische Kraftstoffe, Erdgas, CNG, LNG, (B) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (D) Lesen!) (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE Der Minister jedenfalls ist Tabellenführer beim Ankün- GRÜNEN]: Wer zahlt das denn?) digen, doch beim Umsetzen bewegt er sich in der Ab- Wasserstoff und auch Elektromobilität – gewachsen sind, stiegszone. Die Kanzlerin hat ihm gestern das vollste Ver- können wir, wie beim Obstbaum, die alten Bäume – Die- trauen ausgesprochen. Er ist also ein Minister auf Abruf. sel und Benzin – zurückschneiden und ersetzen. Die Zeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dazu, meine Damen und Herren, ist noch nicht da. Wir werden gemeinsam mit ihm den Parlamentari- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Untersuchungsausschuss zum Pkw-Mautskandal NEN]: Sagen Sie mal was zur Pkw-Maut!) bearbeiten. Ich sage Ihnen: Sie haben interessante Wis- Darum setze ich mich in meinem Wahlkreis dafür ein, senslücken. Sie haben uns als Opposition vorgeworfen, alternative Kraftstoffe auf den Weg zu bringen. dass wir immer die Maut kritisiert hätten, aber nicht das Vergabeverfahren. Ich empfehle die Lektüre des Proto- (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Sehr gut!) kolls der Sitzung des Verkehrsausschusses vom 7. No- vember letzten Jahres, in der wir eine Selbstbefassung In der vergangenen Woche hatte ich die Gelegenheit, zu den Vergabeverträgen gemacht haben und – übrigens an der Wiedereröffnung der einzigen Erdgastankstelle in fraktionsübergreifend – auf die Problematik hingewiesen unserer Kreisstadt Schwandorf teilzunehmen. Warum haben. Wiedereröffnung? Weil die Tankstelle nach einem Defekt zunächst stillgelegt und abgebaut werden sollte. Erst durch viele Gespräche hat der Betreiber die Sanierung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und Wiedereröffnung beschlossen. Dafür bedanke ich Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. mich. Warum erzähle ich Ihnen das, meine Damen und Her- Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren? NEN): Sie haben einige Erinnerungslücken. Ich empfehle (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE Ihnen, diese Erinnerungslücken zu füllen; denn im Unter- GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!) suchungsausschuss sagen Sie unter Eid aus. Genau dazu werden wir Sie befragen. Erdgas in Form von LNG und CNG ist derzeit für schwe- re Nutzfahrzeuge und auch für Pkw eine verfügbare und Vielen Dank. klimafreundliche Alternative. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14451

Karl Holmeier (A) (Felix Schreiner [CDU/CSU]: So ist es!) Ich finde, es wird höchste Zeit, dass auch die Koali- (C) tionsparteien eine irre Politik in diese Richtung verän- Die Erdgastankstelle in Schwandorf ist damit ein Bau- dern. stein für eine klimafreundliche Mobilität. Weitere Tank- stellen in der Oberpfalz werden folgen. Auch syntheti- (Beifall bei der LINKEN – Felix Schreiner scher Diesel ist eine Alternative. Wir müssen auch ihn [CDU/CSU]: Das war eine Kurzintervention!) in den Markt bringen. Karl Holmeier (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Was ist Ich stimme mit dem Ziel überein, dass sich jeder in klimafreundliche Mobilität? Elektromobilität ja, aber Zukunft Mobilität leisten kann, vor allem im ländlichen nicht nur allein. Der Grundgedanke des Antrags, Elektro- Raum. Das muss unsere Aufgabe in der Politik sein. mobilität auf die Überholspur zu bringen, ist ja richtig. Ja, Elektromobilität muss gefördert werden. Da stimmen wir (Beifall bei der CDU/CSU) überein. Aber Elektromobilität ist nur ein Teil dieser zu- Im Klimaschutzprogramm, meine Damen und Herren, kunftsfähigen und klimafreundlichen Mobilität. Wir haben wir uns auf die Förderung von weiteren Alternati- brauchen verschiedene klimafreundliche Antriebe und ven verständigt. Ich möchte an dieser Stelle unserem Ver- Kraftstoffe für verschiedene Anwendungsbereiche. kehrsminister Andreas Scheuer einen herzlichen Dank Unser Ziel, meine Damen und Herren, muss doch sein, aussprechen für seine guten und wichtigen Initiativen jedem in Zukunft Mobilität zu ermöglichen. Unser Ziel und Vorschläge im Bereich des Klimapakets. Vielen muss sein, dass sich jeder auch in Zukunft Mobilität leis- Dank, Herr Minister. ten kann. Mobilität sichert unsere Freiheit, und Mobilität (Beifall bei der CDU/CSU – Cem Özdemir sichert unseren Wohlstand. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zur (Beifall bei der CDU/CSU) Pkw-Maut?) Das gilt für die Großstadt wie für den ländlichen Raum. Biokraftstoffe, strombasierte Kraftstoffe und Wasser- Deshalb setzen wir von der Union auf Technologieoffen- stoff sind ein bestimmter Teil. Fortschrittliche Biokraft- heit. Dabei spielt Erdgas in der Zukunft eine wichtige stoffe können wir den derzeitigen Kraftstoffen wie Erd- Rolle. gas ohne Weiteres beifügen. Der Anteil am Kraftstoffmix kann schrittweise erhöht werden. Wir können Biokraft- stoffe aus Abfällen und Resten wie zum Beispiel aus Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Gülle oder aus Stroh gewinnen. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage einer (B) Kollegin von der Fraktion Die Linke? Strombasierte Kraftstoffe, kurz E-Fuels, sind eine wei- (D) tere Alternative. Mit E-Fuels haben wir eine Möglichkeit, sauberen und nachhaltig erzeugten Strom als Kraftstoff Karl Holmeier (CDU/CSU): zu nutzen. Dies hat eine ganze Reihe von Vorteilen. Wir Gerne. können Energie auf diesem Weg speichern und transpor- tieren. Wasserstoff als dritter, aber sicher bedeutendster Sabine Leidig (DIE LINKE): alternativer Kraftstoff der Zukunft besitzt die gleichen Vorteile. Gerade das Speichern von Energie wird immer Kollege Holmeier, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich bedeutender. Wasserstoff und E-Fuels sind dafür eine Lö- mit den Entwicklungen in der Bevölkerung zum Thema sung. Deswegen wollen wir die Rahmenbedingungen für Verkehrswende beschäftigen. die industrielle Herstellung beider Kraftstoffe verbessern. (Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Das hat er Meine Damen und Herren, wir brauchen die alternati- gemacht! In seinem Wahlkreis!) ven Kraftstoffe, aber nicht als Gegenentwurf zur Elektro- Es gibt die Studie „Umweltbewusstsein in Deutsch- mobilität, sondern als Ergänzung. Deshalb ist es richtig, land“, die vom Umweltministerium seit vielen Jahren dass wir im Lastwagenbereich die LNG-Nutzung mit be- mit großer Qualität erstellt wird. In diesem Jahr wurde stimmten Mautbefreiungen auf den Weg gebracht haben. eine sehr interessante Veränderung veröffentlicht. Es sind Wichtig ist, den Infrastrukturausbau für die Verteilung der 2 000 Menschen qualifiziert befragt worden, was ihnen Kraftstoffe zu unterstützen. Ich freue mich deshalb über bei der Entwicklung des Verkehrs in Zukunft am Aller- jede Tankstelle mit alternativen Kraftstoffen in meiner wichtigsten ist. Nur 10 Prozent stimmen Ihrer Auffassung Heimat und in Deutschland. zu, dass wirtschaftliche Entwicklung und Wettbewerbs- Ein paar Worte noch zum Tempo 130 auf Autobahnen. fähigkeit das Wichtigste sind.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Frage!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: 40 Prozent sagen: Vor allem geht es darum, Wege kosten- Herr Kollege, Ihre Zeit ist abgelaufen. günstig und bequem zurückzulegen. – Das würden wir alle annehmen. Aber 50 Prozent sagen, sie wollen vor Karl Holmeier (CDU/CSU): allem Umwelt und Klima möglichst wenig belasten. Zur Forderung von Tempo 130 auf Autobahnen möchte ich nur sagen: eine ideologische Forderung. Wir haben (Felix Schreiner [CDU/CSU]: Wo ist die die sichersten und besten Autobahnen auf der Welt und Frage?) werden sie weiter verbessern. Deshalb, liebe Kolleginnen 14452 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Karl Holmeier

(A) und Kollegen, lehnen Sie diesen Antrag und alle weiteren rad zurücklegen. Über 10 Millionen Tonnen CO2 können (C) Anträge der Opposition ab. wir so einsparen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wir sorgen dafür, dass das auch passiert: mit einer Straßenverkehrs-Ordnung, die den Radverkehr attrakti- ver und sicherer macht, und mit kräftigen Investitionen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: in Infrastruktur. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Der Kollege Mathias Stein hat das Wort für die SPD Geld gab es für den Radverkehr aus dem Bundeshaushalt Fraktion. noch nie. Mit dem Klimapaket werden wir in den nächs- (Beifall bei der SPD) ten Jahren mehr als 1 Milliarde Euro in gute Rahmen- bedingungen für den Radverkehr investieren. Mathias Stein (SPD): Meine Damen und Herren, mehr Bahn, mehr saubere Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Antriebe, mehr Schifffahrt, mehr Radverkehr – schreiten Kollegen! Der Klimaschutz im Verkehr ist eine Mammut- wir voran für mehr Klimaschutz und Lebensqualität. aufgabe, und deshalb bin ich froh, dass alle demokrati- schen Parteien hier im Haus bereit sind, sich dieser Mam- Vielen Dank. mutaufgabe zu stellen. Wir streiten nicht mehr um das Ob, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sondern wir streiten um das Wie. Wie der Kollege Martin Burkert ausgeführt hat, setzen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auf einen starken, bezahlbaren Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schienenverkehr. Mein Kollege Klare hat bereits die Be- Der Kollege Felix Schreiner ist der nächste Redner für deutung von alternativen Antrieben herausgestellt und die CDU/CSU Fraktion. auch deutlich gemacht, dass wir mit dem Klimapaket (Beifall bei der CDU/CSU) durchaus mutig und kraftvoll sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Felix Schreiner (CDU/CSU): der CDU/CSU) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gen! Auf den ersten Blick wirken die vorliegenden An- Was mir bisher bei der Verkehrswende noch zu kurz träge wild zusammengewürfelt: Schienenverkehr, Elekt- kommt, ist die Binnenschifffahrt und ihr Beitrag zum (B) romobilität, die Änderungen im Umsatzsteuer- und im (D) Klimaschutz im Güterverkehr. Personenbeförderungsgesetz. Aber auf den zweiten Blick (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der erkennen wir alle: Es geht in dieser Debatte vor allem um AfD und der FDP) eines, nämlich um den Klimaschutz und darum, wie wir unsere Ziele bei diesem wichtigen Thema erreichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bisher einen Anteil der Binnenschifffahrt im Güterverkehr von 8 Pro- Ich glaube, die Debatte hat eines gezeigt, nämlich dass zent. Wenn wir den auf 12 Prozent steigern, dann können wir einen breiten Maßnahmenmix brauchen; denn wäh- rend viele Sektoren ihre Ziele seit 1990 schon erreicht wir 2 Millionen Tonnen CO2 sparen. haben, ist es im Bereich des Verkehrs so, dass wir auf- (Oliver Luksic [FDP]: Machen wir erst mal die grund des Verkehrswachstums unsere erreichten Fort- Rheinvertiefung!) schritte, zum Beispiel bei der Motoreneffizienz, nicht so Jedes Binnenschiff holt 150 Lkws von der Straße. Wenn darstellen können. Deshalb besteht ohne Zweifel großer man 150 Lkws hintereinander aufreiht, dann entspricht Handlungsbedarf.

das 3 Kilometern Straßenverkehr. Doch weder werden wir die CO2-Emissionen allein mit der Elektromobilität senken können, noch werden wir sie (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) mit den 86 Milliarden Euro für die Bahn senken können. Mit mehr Binnenschifffahrt haben wir weniger Stau und Ich denke, eines ist heute klar geworden: Wir brauchen weniger CO2-Ausstoß. Wir werden im Bereich der Bin- einen technologieoffenen Maßnahmenmix. Deshalb ist es nenschifffahrt auch in Infrastruktur investieren. Wir wer- richtig, dass wir bereits zu Beginn dieses Jahres mit der den in alternative Antriebe investieren. Wir werden in die NPM, der Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“, Schleusen investieren. Und ganz wichtig: Wir werden die Andreas Scheuer als Bundesverkehrsminister ins Le- auch in mehr Personal investieren. ben gerufen hat, die Grundlage dafür geschaffen haben. Herr Özdemir, Sie sind übrigens regelmäßig bei den Tref- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fen dabei. der CDU/CSU) Aber das eigentliche Herzstück der Verkehrswende ist (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE aus meiner Sicht das Fahrrad. Wir werden den Fahrrad- GRÜNEN]: Immer!) verkehr in den nächsten zehn Jahren – auch das ist Be- Ich habe gedacht, Sie loben das Ganze heute. Es wurde standteil des Klimapakets – vervierfachen. 50 Prozent nämlich bereits ein Maßnahmenbündel vorgestellt, das aller Autofahrten sind kürzer als 5 Kilometer. Einen jetzt die Grundlage für das Klimaschutzprogramm 2030 Großteil dieser Fahrten können wir leicht mit dem Fahr- ist. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14453

Felix Schreiner (A) (Beifall bei der CDU/CSU) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) NEN]: Anträge, nicht Änderungsanträge!) Über 50 detaillierte Maßnahmen befinden sich teilwei- se in der Umsetzung. Das ist ordentlich. Dafür ist der Deutsche Bundestag da. Darüber muss man diskutieren. Sie von der AfD stellen (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich hierhin und kritisieren die Koalitionsfraktionen in NEN]: Der Minister zensiert doch Wissen- Grund und Boden, bringen aber keine einzige Idee, kei- schaftler!) nen einzigen Antrag ein, aus dem hervorgeht, was man Aber zur Wahrheit gehört auch: Wir müssen uns in die- für den Klimaschutz tun könnte. Wenn Sie meinen, dass sem Parlament in den kommenden Wochen weiter mit das ein Beitrag ist, dann kann ich Ihnen auch nicht wei- einzelnen Maßnahmen beschäftigen. Dazu gehört eine terhelfen, sehr geehrte Damen und Herren. nationale Wasserstoffstrategie. Heute Mittag übergibt un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ser Verkehrsminister übrigens Millionen Förderbeschei- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE de, ich meine: Förderbescheide in Millionenhöhe, für ge- GRÜNEN) nau diesen Bereich. Wir haben Maßnahmen auf den Weg gebracht. Jetzt (Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE geht es um die Umsetzung. Es zeichnet gute Parlamenta- GRÜNEN]: Andersrum wäre auch okay!) rier aus, dass wir für einen breiten Konsens in der Bevöl- Es gehört dazu, dass wir an das Gemeindeverkehrsfinan- kerung sorgen und dass wir in den kommenden Wochen zierungsgesetz, GVFG, rangehen und eine Novellierung und Monaten, wenn es um einige konkrete Gesetzesän- vornehmen. Die Länder warten darauf. Wir machen das derungen gehen wird, in diesem Haus miteinander und Hand in Hand. Übrigens – da komme ich schon wieder nicht gegeneinander an den Lösungen arbeiten. auf meine Freunde bei den Grünen in Baden-Württem- Herzlichen Dank. berg zu sprechen –: Winne Hermann lobt das ganze Ver- fahren. Nur Sie stellen sich hierhin und tun so, als ob (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei nichts passieren würde. Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kurzum, die Debatte hat eines gezeigt: Die Maßnah- So, die letzte Rednerin ist die Kollegin Kirsten men liegen auf dem Tisch. Jetzt müssen wir über die Um- Lühmann, SPD. setzung sprechen. Wenn wir 55 Millionen Tonnen CO2 (B) bis zum Jahr 2030 einsparen wollen, dann müssen wir (Beifall bei der SPD) (D) zum Beispiel auch über das reden, was man gestern im Liebe Kollegen, wenn Sie der Kollegin jetzt noch zu- Kabinett entschieden hat. Man hat sich für den Einstieg in hören würden, wäre ich Ihnen dankbar. die CO2-Bepreisung entschieden. Das ist richtig. Aber man hat auch die Mehrwertsteuersenkung für die Bahn- Kirsten Lühmann (SPD): tickets im Fernverkehr beschlossen. Das ist ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger da draußen: Ab Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum dem 1. Januar 2020 wird das Bahnfahren günstiger, es Thema „Tempo 130 auf Autobahnen“ ist viel gesagt: we- wird attraktiver, und das ist ein toller Beitrag zum Klima- niger Tote, weniger Schwerverletzte, weniger CO2, und schutz in diesem Land. das in erheblich höherem Maße, als das bei einigen Vor- schlägen aus dem Verkehrsministerium der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Oliver Luksic [FDP]: Wieso lehnt das die SPD dann ab?) Zu den Bedenken von den Grünen und der FDP: Man kann in der Berliner Blase leicht über neue Mobilitätsfor- Aus diesem Grund haben wir in den letzten Wochen ver- men reden, die wir auch sehr unterstützen. Aber wenn Sie sucht, unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen, glauben, dass der E-Scooter die Antwort für die Men- seine Meinung hierzu zu ändern. Es ist uns nicht gelun- schen im ländlichen Raum ist, um schneller zum Einkau- gen. Das ist traurig. fen zu kommen, dann irren Sie sich. Bei mir zu Hause im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Schwarzwald wären Sie mit der Einstellung längst ver- Zuruf von der AfD: Gott sei Dank!) hungert. Das ist auch die Wahrheit. Infolge dessen wird ein Großteil unserer Fraktion gegen (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Luksic den Antrag der Grünen stimmen, und zwar nicht aus in- [FDP]: Manchmal ist Fasten doch ganz ge- haltlichen Gründen, sondern – das wissen Sie ganz ge- sund!) nau – allein aus Vertragstreue zu dieser Koalition. – Genau. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit komme ich zu den Kollegen von der AfD. Wis- Aber ich frage mich natürlich, liebe Kolleginnen und sen Sie, ich habe selten so wenige Ideen oder Konzepte Kollegen von den Grünen: Wenn Sie wirklich ernst mei- gehört wie von Ihnen in der heutigen Debatte. Es wurden nen, was Sie hier beantragen, warum machen Sie das hier von den übrigen Oppositionsparteien acht Änderungsan- und nicht in dem Gremium, das die notwendigen Geset- träge eingereicht. zesänderungen beschließen muss, nämlich im Bundesrat? 14454 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Kirsten Lühmann (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (C) Stimme nicht abgegeben hat? – Liebe Kolleginnen und Was ist dort mit den Ländern Baden-Württemberg, Hes- Kollegen, haben alle ihre Stimme abgegeben? – Das ist sen und Schleswig-Holstein? Warum kommt von da kein der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung Antrag? Da gehört er hin. und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 2) der CDU/CSU und der FDP) wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir werden hier heute den Antrag abschließen, aber Liebe Kolleginnen und Kollegen, würden Sie bitte garantiert nicht das Thema. Nächstes Jahr werden wir Platz nehmen. – Bevor wir in der Tagesordnung fortfah- das Verkehrssicherheitsprogramm beschließen, und die ren, möchte ich nach § 32 unserer Geschäftsordnung dem SPD wird dieses Thema wieder aufs Tapet heben. Wenn Kollegen Brandner das Wort zu einer persönlichen Erklä- wir dann Unterstützung aus dem Bundesrat bekämen, rung geben. – Herr Kollege Brandner. würde uns das sehr helfen. Darauf bin ich gespannt. Stephan Brandner (AfD): Danke schön. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit einigen (Beifall bei der SPD) Tagen hat die Angelegenheit um einen Re-Tweet von mir eine Intensität entfaltet, die ich am Anfang und noch bis vor Kurzem so nicht absehen konnte. Es geht um die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Geschichte, die auch heute einige Male zur Sprache Ich schließe die Aussprache. kam, im Zusammenhang mit dem Attentat von Halle und einem Re-Tweet, den ich zu Äußerungen gemacht Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf habe, die ich inhaltlich von Anfang an nicht geteilt habe. den Drucksachen 19/14093, 19/14029, 19/10350 und 19/11235 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schüsse vorgeschlagen. Sind Sie mit diesen Überwei- sungsvorschlägen einverstanden? – Das ist der Fall. Dann – Jetzt können Sie gern darüber lachen, aber wenn Sie von verfahren wir so. mir eine Entschuldigung verlangen, sollten Sie mich auch ausreden lassen. Hinterher können Sie dann sagen, Sie Ich komme zum Tagesordnungspunkt 30 b. Abstim- glauben mir sowieso nicht. mung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ Also: Es hat eine Intensität entfaltet, die ich am Anfang Die Grünen zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Der so nicht sehen konnte. Wir haben es heute noch einmal Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (B) intensiv im Ältestenrat besprochen, und danach hatte ich (D) lung auf Drucksache 19/14116, den Gesetzentwurf der die Möglichkeit, mich noch zehn, fünfzehn Minuten mit Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/ dem Bundestagspräsidenten auszutauschen, der mir vor 12089 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Augen führte, welche Probleme auch in der Außenwir- entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das kung dieser Re-Tweet von mir – den ich, wie gesagt, sind Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt inhaltlich nie geteilt habe – verursacht hat. dagegen? – Das sind CDU/CSU, SPD und FDP. Enthal- tungen? – Bei Enthaltung der AfD ist der Gesetzentwurf Deshalb möchte ich hier klarstellen, dass das, was in- in der zweiten Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach haltlich in dem Re-Tweet stand, nicht ansatzweise von unserer Geschäftsordnung eine weitere Beratung. mir geteilt wird und auch nie geteilt wurde und dass ich bedaure, dass es so aufgefasst wurde, und ich mich dafür Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- entschuldige, wenn sich Menschen durch den Re-Tweet fehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infra- von mir angegriffen oder schlecht behandelt gefühlt ha- struktur zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ben sollten. mit dem Titel „Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen“. Es war mir wichtig, das noch einmal zu sagen. Es tut mir leid, diesen Tweet mit diesen Folgen re-tweetet zu Dazu liegen mir mehrere Erklärungen nach § 31 un- haben. serer Geschäftsordnung vor.1) Vielen Dank. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/14000, den Antrag der Fraktion (Beifall bei der AfD) Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/9948 abzu- lehnen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ausschusses auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/ Vielen Dank, Herr Kollege Brandner. – Wir fahren in Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerin- der Tagesordnung fort. nen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzuneh- men. – Darf ich fragen: Sind die Urnen besetzt? – Jetzt Tagesordnungspunkt 30 h. Abstimmung über die Be- sind alle Urnen besetzt. Ich eröffne die namentliche Ab- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und di- stimmung über die Beschlussempfehlung auf Drucksa- gitale Infrastruktur zum Antrag der Fraktion der FDP mit che 9/14000. dem Titel „Innovationsschub für das autonome Fahren in

1) Anlagen 2 und 3 2) Ergebnis Seite 14458 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14455

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Drucksachen 19/10285, 19/7981, (C) schlussempfehlung auf Drucksache 19/14001, den An- 19/14117 trag der FDP auf Drucksache 19/11118 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – CDU/CSU, b) Beratung des Antrags der Abgeordneten SPD, Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – AfD Ulrike Schielke-Ziesing, Marc Bernhard, und FDP. Enthaltungen? – Die Grünen. Die Beschluss- Jürgen Braun, weiterer Abgeordneter und empfehlung ist damit angenommen. der Fraktion der AfD Beim Tagesordnungspunkt 30 i setzt die Kollegin Ostdeutsche Arbeitnehmer würdigen – Claudia Roth die Sitzung fort. Fondslösung mit Einmalzahlungen Drucksache 19/14073

Vizepräsidentin Claudia Roth: Überweisungsvorschlag: Einen schönen Nachmittag, liebe Kolleginnen und Ausschuss für Arbeit und Soziales Kollegen! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Tagesordnungspunkt 30 i. Abstimmung über die Be- Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich kei- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und di- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gitale Infrastruktur zum Antrag der Fraktion Die Linke Ich eröffne die Aussprache. Die erste Rednerin ist für mit dem Titel „Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr die SPD-Fraktion Daniela Kolbe. schrittweise einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/9042, den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1359 der CDU/CSU) abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Daniela Kolbe (SPD): Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt ha- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ben SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute erneut über das hat die Fraktion der Linken. Enthalten hat sich Bünd- Thema Ostrenten sprechen; denn das ist einfach ein sehr nis 90/Die Grünen. wichtiges Thema. Ich finde es gut, dass wir auch jetzt wieder eine ganze Stunde Zeit haben. Ich gebe aber auch Zusatzpunkt 3. Beschlussempfehlung des Ausschusses zu: Ich hätte bessere Anträge besser gefunden. Mit der für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag der Qualität der Anträge bin ich nicht ganz so zufrieden. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Elektro- (B) mobilität auf die Überholspur bringen – Chancen für eine (Lachen des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE (D) zukunftsfähige Mobilität nutzen“. Der Ausschuss emp- LINKE] – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aus- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache rede!) 19/11909, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 19/7195 abzulehnen. Wer stimmt für Letzte Sitzungswoche habe ich mich an dieser Stelle diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – ausführlich zum Thema Rentenangleichung eingelassen. Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- Ich bleibe dabei: Der Antrag der Linken erweckt leider men. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/ den Eindruck, als wäre hier nichts passiert. Das ist aber CSU, FDP und AfD. nicht der Fall. Die Bundesregierung hat gehandelt. Die Rentenangleichung wird stattfinden. Sicher, es wäre Dagegengestimmt haben die Fraktionen von Bünd- besser gewesen, das früher zu beschließen. nis 90/Die Grünen und der Linken. (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: LINKE]) a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Und Ihr Vorschlag zum Thema Hochwertung ist und Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- bleibt absurd. ziales (11. Ausschuss) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der – zu dem Antrag der Abgeordneten CDU/CSU) Matthias W. Birkwald, Matthias Höhn, Susanne Ferschl, weiterer Abgeordneter Ich will aber auch sagen: Natürlich ist und bleibt das und der Fraktion DIE LINKE Thema Rentenangleichung ein sehr wichtiges Thema. Erst letzte Woche hat mich eine Bürgerin darauf ange- Renteneinheit herstellen – Ostrenten sprochen. Es ging eigentlich um etwas anderes, aber sie umgehend an das Westniveau anglei- musste ihre persönliche Geschichte dann doch loswerden. chen Ihre Erwerbsbiografie verlief erst im Osten, dann lange – zu dem Antrag der Abgeordneten Zeit in Westdeutschland, wo sie mehr Geld für die gleiche Matthias Höhn, Jan Korte, Dr. Gesine Arbeit bekam. Dann ist sie in Rente gegangen. Sie ist Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der zurückgegangen zu ihren Kindern nach Ostdeutschland. Fraktion DIE LINKE Was ist dann passiert? Sie bekam einen Brief von der Rentenversicherung, mit dem ihre Rente angepasst wur- DDR-Renten bewilligen – Ostdeutsche de. Sie hat dann eine niedrigere Rente bekommen. Das Lebensleistungen anerkennen hat sie wie ein Schlag getroffen, nicht so sehr wegen des 14456 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Daniela Kolbe (A) Geldes, sondern wegen der Frage der Anerkennung ihrer Was ich mir von der Linken wünsche, ist, nicht die For- (C) Lebensleistung. derung nach einer Lösung im Rentenrecht zu stellen, Ich will mich heute auf die Rentengruppen konzentrie- (Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE ren, die durch die Rentenüberleitung benachteiligt wur- LINKE]) den. Ich muss zugeben, dass ich mich auch diesbezüglich ein bisschen über den Antrag der Linken ärgere, sondern anzuerkennen, dass die Betroffenen selbst sagen: Wir wollen das abschließend klären; wir anerkennen, dass (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das eine rentenrechtliche Lösung nicht möglich ist, ohne neue halten wir aus!) Ungerechtigkeiten zu schaffen. Deswegen gehen wir den weil mir das Thema so wichtig ist und weil ich da wirklich Weg einer Lösung außerhalb des Rentenrechts, einer po- etwas erreichen will, insbesondere für diese Gruppen. Ich litischen Lösung. – Wenn selbst die Betroffenengruppen glaube, dass hier im Kern ein gesellschaftlicher Konsens das hinbekommen, dann wird es doch auch für Die Linke zu erreichen ist, eine Befriedung; ich habe das hier schon möglich sein, diesen Schritt mitzugehen. Das ist mein das eine oder andere Mal ausgeführt. Ich denke, dass eine Wunsch. Mir geht es hier wirklich um einen breiten par- abschließende, befriedende Lösung in greifbarer Nähe ist. lamentarischen und gesellschaftlichen Konsens. Das ist mein Wunsch an Die Linke. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da muss man aber einen sehr langen Arm haben!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es gibt 17 Betroffenengruppen! Sie haben jetzt 4 auf- Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann muss ich geführt!) feststellen, dass sehr viele Betroffenengruppen schon weiter sind als Die Linke. Ganz viele Gruppen – die – Ich habe mehr als 4 aufgezählt. Reichsbahner, die in der DDR geschiedenen Frauen, die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Oder 5! Bergleute aus der Braunkohleveredelung, die Chemiker Aber nicht 17!) und Physiker, die Postler, die bildenden Künstler, die Leistungssportler und die Krankenschwestern – sind be- Lass uns doch mal darüber reden. Ihr bleibt bei euren reit, über eine abschließende Lösung außerhalb des alten Positionen und glaubt, damit würdet ihr die Welt Rentenrechts zu reden. erklären. Das macht ihr aber gerade nicht. Ihr erklärt nämlich gerade nicht, wie ihr das im Rentenrecht hinbe- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nach kommen wollt, und zwar ohne Widersprüchlichkeiten 30 Jahren sind die mürbe! – Kersten Steinke zwischen ostdeutschen Gruppen. [DIE LINKE]: Immer nur Versprechungen!) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Deswegen (B) Ich muss sagen: Diesen Menschen zolle ich riesengroßen (D) sind sie auch in der Opposition!) Respekt, weil sie sagen: Wir rücken ab von unserer groß- en Forderung, im Rentenrecht recht zu bekommen. Wir Ihr geht auch nicht auf die Frage ein, ob das wirklich wollen eine Befriedung. Wir wollen eine abschließende gerecht regelbar ist ohne Ungerechtigkeiten zwischen Fondslösung, eine Anerkennung, eine Entschädigung au- Ost- und Westdeutschland. Ihr geht nicht auf die Frage ßerhalb des Rentenrechts. – Großen Respekt für diesen ein, wer das eigentlich bezahlen soll, und auch nicht auf Schritt! die Frage, wie man die westdeutschen Kolleginnen und Kollegen dazu bekommt, selbst die der Linken, wenn es (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kersten darauf ankommt, zuzustimmen. All die Fragen klärt ihr Steinke [DIE LINKE]: Die haben die Nase nicht. voll!) Aber die Linken fordern weiterhin eine Änderung des (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der AAÜG. CDU/CSU) Ihr merkt, dass ich da emotional werde. Ich finde, ihr seid (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie ha- auf dem Holzweg. Es wäre gut, hier eine gesellschaftliche ben ja noch nicht mal was vorgelegt! Dann le- und eine parlamentarische Lösung hinzubekommen. gen Sie doch mal was vor! Dann können wir das bewerten!) (Matthias Höhn [DIE LINKE]: Das ist nicht zu – Na ja, wir reden ja gerade über Ihren Antrag. Ich sage fassen!) gleich etwas zur Bundesregierung. Seit vielen Jahren sagen wir: Wir wollen eine Fonds- lösung. – Ich freue mich, dass es bei den Gruppen Bewe- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unser gung gibt. Diese Bewegung wünsche ich mir auch bei den Antrag sagt, dass Sie mal was vorlegen sollen!) Linken. Im Kern geht es mir bei der Angleichung der – Sie sagen aber nicht: „Legen Sie mal was vor“, sondern Rentengruppen und der Angleichung zwischen Ost und Sie sagen: Legen Sie mal etwas vor, wie man das im West aber vor allen Dingen um eins: um die Anerkennung AAÜG ändern kann. von Lebensleistungen. So viel man auch über die GroKo meckern kann, beim Thema Angleichung haben wir eini- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Oder ges auf den Weg gebracht. Wir kriegen das mit den etwas anderes! Aber Sie legen gar nichts vor!) Rentengruppen hin; da bin ich sicher. Und, lieber Koali- – Das steht da nicht drin. Das wäre nämlich mein Wunsch tionspartner, eine echte Grundrente außerhalb der Grund- an Die Linke. Meine Wünsche sind ja nicht unerfüllbar. sicherung werden wir doch wohl auch noch hinbekom- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14457

Daniela Kolbe (A) men. Das wäre jedenfalls etwas, womit wir uns wieder der Betriebszugehörigkeit vor. Das wären dann beispiels- (C) Respekt in der Bevölkerung erarbeiten könnten. weise bei einem Reichsbahner bei einer Betriebszugehö- rigkeit von 20 Jahren 8 000 Euro einmalige Abfindung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Abfindungen sollen steuer- und beitragsfrei gestellt werden. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir plädieren für eine Fondslösung außerhalb des So- Vielen Dank, Daniela Kolbe. – Nächste Rednerin: zialgesetzbuches VI und legen auch fest, dass der Fonds Ulrike Schielke-Ziesing für die AfD-Fraktion. vom Bund und den neuen Bundesländern aus Steuern finanziert werden muss. Das bedeutet, dass die ostdeut- (Beifall bei der AfD) schen Länder gemeinsam mit dem Bund aktiv an einer praktikablen Lösung arbeiten und damit den ehemaligen Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): ostdeutschen Arbeitnehmern auch ihre Würde zurückge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen ben können. Wir Ostdeutschen wollen nicht einfach nur und Herren! Verehrte Bürger! Vor rund drei Wochen ha- dabei zuschauen, wie jemand unsere Situation verbessert, ben wir schon einmal, bei der ersten Lesung, über dieses nein, wir wollen unsere Situation auch aktiv mitgestalten. Thema hier im Plenum gesprochen. Die Fraktion der Lin- ken hat einen weiteren Antrag zu ihrem ersten Antrag Weiterhin wollen wir Verbesserungen für ehemalige gestellt, den wir zwar interessant finden, aber dem wir DDR-Flüchtlinge erreichen. Wir wollen denjenigen, die in dieser Form nicht zustimmen können. An sich ist es seinerzeit einen Feststellungsbescheid nach dem Fremd- eine Schande, dass Sie wieder ein so wichtiges Thema für rentenrecht erhalten haben, diese Rentenberechnung auch Ihren Wahlkampf missbrauchen. zubilligen. (Lachen der Abg. Kersten Steinke [DIE (Beifall bei der AfD) LINKE]) Im Interesse eines gesellschaftsübergreifenden Rechts- In der Überschrift Ihres Antrags klingen Sie noch friedens ist 30 Jahre nach der Wende auch eine Lösung für kämpferisch: „DDR-Renten bewilligen – Ostdeutsche diese ehemaligen DDR-Flüchtlinge geboten. Vielleicht Lebensleistungen anerkennen“. – Toll, würde sich jeder kann die Bundesregierung diesmal das einhalten, was Bürger denken. Schauen wir dann aber auf die konkreten sie einmal versprochen hat. Dem stehen übrigens auch Forderungen, dann heißt es lediglich: Für das Anspruchs- keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Die Bundesre- (B) und Anwartschaftsüberführungsgesetz seien bis zum gierung muss hier nur handeln. (D) 3. Oktober 2020 geeignete Regelungen vorzulegen, die alle in der DDR erworbenen Rentenansprüche gerecht (Beifall bei der AfD) anerkennen. Verehrte Bürger und Zuhörer, die Wiedervereinigung Ja, was heißt das denn genau? Im ersten Teil haben Sie begann vor rund 30 Jahren und ist bis heute nicht voll- den Istzustand ja korrekt beschrieben, und dann besteht kommen abgeschlossen. Wir haben uns von einer Dikta- Ihre Forderung aus diesem einen Satz. Das ist uns zu tur befreit und mussten feststellen, dass alles, was die wenig. Die Bundesregierung schafft es ja noch nicht ein- Menschen in Ostdeutschland geleistet haben, auf einmal mal, den Härtefallfonds aufzusetzen, den sie im Koali- wertlos war. Wir mussten uns an ein neues System anpas- tionsvertrag festgelegt hat. Wie soll sie denn bei Ihrer sen und hatten wenige Möglichkeiten, es mitzugestalten. unspezifischen Forderung tätig werden? Wir helfen Ihnen Die erste Erfahrung vieler Ostdeutscher mit Einigkeit und jedoch gerne, damit den Menschen in Ostdeutschland Recht und Freiheit war leider die Arbeitslosigkeit. Das auch wirklich geholfen werden kann. Daher stellen wir Ergebnis sehen wir heute in Form von niedrigen Renten hier einen eigenen Antrag. für viele der heutigen ostdeutschen Rentner. Die fehlende Überleitung von Rentenanwartschaften aus DDR-Son- Bei der in den 1990er-Jahren erfolgten Rentenüberlei- derversorgungssystemen kam dann noch hinzu. Hier wol- tung von Ost- in Westrenten ist es zu Ungerechtigkeiten len wir mit unserem Antrag einen Ausgleich schaffen. gekommen. Im DDR-Rentensystem gab es unzählige spezifische Regelungen für verschiedene Berufsgruppen, Das Umsetzungsdatum für unseren Antrag ist kein Zu- die nur teilweise von Ost- in Westrente übergeleitet wur- fall: Am 3. Oktober 2020 begehen wir 30 Jahre deutsche den. Dies führte zu Härtefällen und wird von vielen Be- Einheit. Wir meinen, dass dies ein sehr gutes Datum ist, troffenen als ungerecht empfunden. Nun ist es fast ein um diese lange währende Ungerechtigkeit bei der Ding der Unmöglichkeit, fast 30 Jahre nach der Wende Rentenanpassung ein für alle Mal zu beenden und damit für einzelne Berufsgruppen rückwirkend eine Anpassung auch in diesem Punkt die Wende zu vollenden. der Rentenüberleitung vorzunehmen. Hier aber nichts zu Vielen Dank. machen und zu hoffen, dass sich diese Probleme durch Zeitablauf regeln, das kann es auch nicht sein. (Beifall bei der AfD) Wir wollen mit unserem Antrag einen anderen Weg gehen. Wir wollen über Einmalzahlungen, deren Höhe Vizepräsidentin Claudia Roth: sich aus der Dauer der Betriebszugehörigkeit ergibt, diese Vielen Dank, Kollegin Schielke-Ziesing. – Bevor ich Ansprüche abfinden. Wir schlagen hier 400 Euro je Jahr Frau Schimke aufrufe, möchte ich Ihnen das von den 14458 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- und 19/14000. Abgegebene Stimmkarten 631. Mit Ja ha- (C) nis der namentlichen Abstimmung bekannt geben. Es ben gestimmt 498, mit Nein haben gestimmt 126 Kolle- geht um die namentliche Abstimmung über die Be- ginnen und Kollegen, Enthaltungen 7. Die Beschluss- schlussempfehlung zum Antrag von Bündnis 90/Die Grü- empfehlung ist angenommen.1) nen „Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen“, Drucksachen 19/9948 1) Anlage 18

Endgültiges Ergebnis Ingo Gädechens Axel Knoerig Josef Oster Abgegebene Stimmen: 631; Dr. Thomas Gebhart Jens Koeppen Henning Otte davon Alois Gerig Markus Koob Ingrid Pahlmann ja: 498 Eberhard Gienger Carsten Körber Sylvia Pantel nein: 126 Eckhard Gnodtke Alexander Krauß Dr. Joachim Pfeiffer enthalten: 7 Ursula Groden-Kranich Gunther Krichbaum Stephan Pilsinger Hermann Gröhe Rüdiger Kruse Dr. Christoph Ploß Ja Klaus-Dieter Gröhler Michael Kuffer Eckhard Pols CDU/CSU Michael Grosse-Brömer Dr. Roy Kühne Thomas Rachel Dr. Michael von Abercron Astrid Grotelüschen Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Kerstin Radomski Stephan Albani Markus Grübel Andreas G. Lämmel Alexander Radwan Philipp Amthor Manfred Grund Katharina Landgraf Alois Rainer Peter Aumer Oliver Grundmann Ulrich Lange Dr. Peter Ramsauer Dorothee Bär Monika Grütters Dr. Silke Launert Eckhardt Rehberg Thomas Bareiß Fritz Güntzler Jens Lehmann Lothar Riebsamen Norbert Barthle Olav Gutting Paul Lehrieder Josef Rief Maik Beermann Christian Haase Dr. Katja Leikert Johannes Röring Manfred Behrens (Börde) Florian Hahn Antje Lezius Stefan Rouenhoff Veronika Bellmann Jürgen Hardt Andrea Lindholz Erwin Rüddel Sybille Benning Matthias Hauer Dr. Carsten Linnemann Albert Rupprecht (B) Dr. André Berghegger Mark Hauptmann Patricia Lips Stefan Sauer (D) Melanie Bernstein Dr. Matthias Heider Nikolas Löbel Anita Schäfer (Saalstadt) Christoph Bernstiel Mechthild Heil Bernhard Loos Dr. Wolfgang Schäuble Peter Beyer Thomas Heilmann Dr. Jan-Marco Luczak Andreas Scheuer Marc Biadacz Frank Heinrich (Chemnitz) Daniela Ludwig Jana Schimke Steffen Bilger Mark Helfrich Karin Maag Tankred Schipanski Peter Bleser Rudolf Henke Yvonne Magwas Dr. Claudia Schmidtke Norbert Brackmann Michael Hennrich Dr. Thomas de Maizière Patrick Schnieder Michael Brand (Fulda) Marc Henrichmann Gisela Manderla Nadine Schön Dr. Reinhard Brandl Ansgar Heveling Dr. Astrid Mannes Felix Schreiner Silvia Breher Christian Hirte Matern von Marschall Dr. Klaus-Peter Schulze Sebastian Brehm Dr. Heribert Hirte Andreas Mattfeldt Uwe Schummer Heike Brehmer Alexander Hoffmann Dr. Michael Meister Armin Schuster (Weil am Rhein) Ralph Brinkhaus Karl Holmeier Jan Metzler Torsten Schweiger Gitta Connemann Erich Irlstorfer Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Astrid Damerow Hans-Jürgen Irmer Michelbach Detlef Seif Alexander Dobrindt Thomas Jarzombek Dr. Mathias Middelberg Reinhold Sendker Michael Donth Andreas Jung Dietrich Monstadt Dr. Patrick Sensburg Marie-Luise Dött Ingmar Jung Karsten Möring Thomas Silberhorn Hansjörg Durz Alois Karl Elisabeth Motschmann Björn Simon Thomas Erndl Anja Karliczek Axel Müller Tino Sorge Hermann Färber Torbjörn Kartes Sepp Müller Enak Ferlemann Volker Kauder Carsten Müller Katrin Staffler Dr. Maria Flachsbarth Dr. Stefan Kaufmann (Braunschweig) Dr. Wolfgang Stefinger Thorsten Frei Ronja Kemmer Stefan Müller (Erlangen) Albert Stegemann Dr. Astrid Freudenstein Roderich Kiesewetter Dr. Andreas Nick Andreas Steier Dr. Hans-Peter Friedrich Michael Kießling Petra Nicolaisen Peter Stein (Rostock) (Hof) Dr. Georg Kippels Michaela Noll Sebastian Steineke Hans-Joachim Fuchtel Volkmar Klein Florian Oßner Johannes Steiniger Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14459

(A) Dieter Stier Sabine Dittmar Josephine Ortleb Marcus Bühl (C) Gero Storjohann Dr. Wiebke Esdar Mahmut Özdemir Matthias Büttner Stephan Stracke Saskia Esken (Duisburg) Petr Bystron Max Straubinger Yasmin Fahimi Aydan Özoğuz Tino Chrupalla Dr. Peter Tauber Dr. Johannes Fechner Christian Petry Joana Cotar Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Detlev Pilger Dr. Gottfried Curio Alexander Throm Dr. Edgar Franke Sabine Poschmann Siegbert Droese Dr. Dietlind Tiemann Ulrich Freese Thomas Ehrhorn Antje Tillmann Dagmar Freitag Dr. Berengar Elsner von Markus Uhl Angelika Glöckner Martin Rabanus Gronow Dr. Volker Ullrich Timon Gremmels Andreas Rimkus Dr. Michael Espendiller Oswin Veith Kerstin Griese Sönke Rix Peter Felser Kerstin Vieregge Michael Groß Dennis Rohde Dietmar Friedhoff Volkmar Vogel (Kleinsaara) Uli Grötsch Dr. Martin Rosemann Dr. Anton Friesen Christoph de Vries Bettina Hagedorn René Röspel Markus Frohnmaier Dr. Johann David Wadephul Rita Hagl-Kehl Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Götz Frömming Dirk Heidenblut Susann Rüthrich Dr. Alexander Gauland Nina Warken Hubertus Heil (Peine) Bernd Rützel Albrecht Glaser Kai Wegner Gabriela Heinrich Sarah Ryglewski Franziska Gminder Albert H. Weiler Marcus Held Axel Schäfer (Bochum) Armin-Paulus Hampel Marcus Weinberg Wolfgang Hellmich Udo Schiefner Mariana Iris Harder-Kühnel (Hamburg) Gustav Herzog Dr. Nils Schmid Verena Hartmann Dr. Anja Weisgerber Gabriele Hiller-Ohm Uwe Schmidt Dr. Roland Hartwig Peter Weiß (Emmendingen) Thomas Hitschler Ulla Schmidt (Aachen) Jochen Haug Ingo Wellenreuther Dr. Eva Högl Dagmar Schmidt (Wetzlar) Martin Hebner Marian Wendt Frank Junge Carsten Schneider (Erfurt) Udo Theodor Hemmelgarn Josip Juratovic Johannes Schraps Annette Widmann-Mauz Thomas Jurk Michael Schrodi Lars Herrmann (B) Bettina Margarethe Oliver Kaczmarek Dr. Manja Schüle Martin Hess (D) Wiesmann Johannes Kahrs Ursula Schulte Dr. Heiko Heßenkemper Klaus-Peter Willsch Elisabeth Kaiser Martin Schulz Karsten Hilse Elisabeth Winkelmeier- Ralf Kapschack Nicole Höchst Becker Swen Schulz (Spandau) Gabriele Katzmarek Martin Hohmann Oliver Wittke Frank Schwabe Arno Klare Dr. Bruno Hollnagel Emmi Zeulner Andreas Schwarz Lars Klingbeil Leif-Erik Holm Paul Ziemiak Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Bärbel Kofler Rainer Spiering Johannes Huber Daniela Kolbe Mathias Stein Fabian Jacobi SPD Anette Kramme Kerstin Tack Niels Annen Christine Lambrecht Claudia Tausend Stefan Keuter Ingrid Arndt-Brauer Christian Lange (Backnang) Markus Töns Norbert Kleinwächter Heike Baehrens Helge Lindh Carsten Träger Enrico Komning Ulrike Bahr Isabel Mackensen Ute Vogt Jörn König Doris Barnett Caren Marks Marja-Liisa Völlers Steffen Kotré Dr. Matthias Bartke Dirk Vöpel Dr. Rainer Kraft Sören Bartol Christoph Matschie Bernd Westphal Rüdiger Lucassen Dr. Matthias Miersch Bärbel Bas Dagmar Ziegler Frank Magnitz Klaus Mindrup Lothar Binding Stefan Zierke Jens Maier (Heidelberg) Susanne Mittag Dr. Jens Zimmermann Dr. Lothar Maier Leni Breymaier Falko Mohrs Dr. Birgit Malsack- Dr. Karl-Heinz Brunner Claudia Moll Winkemann Katrin Budde Siemtje Möller AfD Corinna Miazga Martin Burkert Bettina Müller Dr. Bernd Baumann Andreas Mrosek Dr. Lars Castellucci Detlef Müller (Chemnitz) Marc Bernhard Hansjörg Müller Bernhard Daldrup Michelle Müntefering Andreas Bleck Volker Münz Dr. Daniela De Ridder Dr. Rolf Mützenich Peter Boehringer Sebastian Münzenmaier Dr. Karamba Diaby Dietmar Nietan Stephan Brandner Christoph Neumann Esther Dilcher Ulli Nissen Jürgen Braun Jan Ralf Nolte 14460 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Ulrich Oehme Dr. Christian Jung SPD Alexander Ulrich (C) Gerold Otten Karsten Klein Hilde Mattheis Kathrin Vogler Tobias Matthias Peterka Dr. Marcel Klinge Johann Saathoff Andreas Wagner Paul Viktor Podolay Daniela Kluckert Harald Weinberg Jürgen Pohl Pascal Kober Katrin Werner DIE LINKE Stephan Protschka Dr. Lukas Köhler Hubertus Zdebel Martin Reichardt Carina Konrad Doris Achelwilm Pia Zimmermann Martin Erwin Renner Wolfgang Kubicki Gökay Akbulut Sabine Zimmermann Simone Barrientos (Zwickau) Roman Johannes Reusch Konstantin Kuhle Lorenz Gösta Beutin Ulrike Schielke-Ziesing Alexander Kulitz Heidrun Bluhm-Förster Dr. Robby Schlund Alexander Graf Lambsdorff BÜ NDNIS 90/ Michel Brandt Jörg Schneider Ulrich Lechte DIE GR ÜNEN Christine Buchholz Uwe Schulz Christian Lindner Luise Amtsberg Dr. Birke Bull-Bischoff Thomas Seitz Michael Georg Link Lisa Badum Martin Sichert (Heilbronn) Fabio De Masi Annalena Baerbock Detlev Spangenberg Oliver Luksic Anke Domscheit-Berg Margarete Bause Dr. Dirk Spaniel Dr. Jürgen Martens Susanne Ferschl Dr. Danyal Bayaz René Springer Christoph Meyer Nicole Gohlke Canan Bayram Beatrix von Storch Alexander Müller Dr. Gregor Gysi Dr. Franziska Brantner Dr. Alice Weidel Roman Müller-Böhm Dr. André Hahn Agnieszka Brugger Dr. Frank Müller-Rosentritt Heike Hänsel Dr. Anna Christmann Wolfgang Wiehle Dr. Martin Neumann Matthias Höhn Ekin Deligöz Dr. Heiko Wildberg (Lausitz) Andrej Hunko Katja Dörner Dr. Christian Wirth Hagen Reinhold Ulla Jelpke Katharina Dröge Uwe Witt Bernd Reuther Kerstin Kassner Harald Ebner Dr. Stefan Ruppert Dr. Achim Kessler Matthias Gastel Katja Kipping FDP Dr. h. c. Thomas Kai Gehring Sattelberger Jan Korte Grigorios Aggelidis Stefan Gelbhaar Christian Sauter Caren Lay Katrin Göring-Eckardt (B) Renata Alt (D) Frank Schäffler Sabine Leidig Erhard Grundl Christine Aschenberg- Dr. Wieland Schinnenburg Ralph Lenkert Dugnus Anja Hajduk Matthias Seestern-Pauly Michael Leutert Nicole Bauer Britta Haßelmann Stefan Liebich Jens Beeck Frank Sitta Dr. Bettina Hoffmann Dr. Gesine Lötzsch Dr. Jens Brandenburg Judith Skudelny Ottmar von Holtz (Rhein-Neckar) Dr. Hermann Otto Solms Thomas Lutze Dr. Kirsten Kappert- Mario Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Pascal Meiser Gonther (Südpfalz) Dr. Marie-Agnes Strack- Amira Mohamed Ali Uwe Kekeritz Dr. Marco Buschmann Zimmermann Cornelia Möhring Katja Keul Karlheinz Busen Benjamin Strasser Niema Movassat Sven-Christian Kindler Carl-Julius Cronenberg Katja Suding Norbert Müller (Potsdam) Maria Klein-Schmeink Britta Katharina Dassler Linda Teuteberg Zaklin Nastic Sylvia Kotting-Uhl Bijan Djir-Sarai Michael Theurer Dr. Alexander S. Neu Oliver Krischer Christian Dürr Stephan Thomae Thomas Nord Stephan Kühn (Dresden) Hartmut Ebbing Manfred Todtenhausen Petra Pau Christian Kühn (Tübingen) Dr. Marcus Faber Dr. Florian Toncar Sören Pellmann Renate Künast Daniel Föst Dr. Andrew Ullmann Victor Perli Markus Kurth Otto Fricke Gerald Ullrich Tobias Pflüger Monika Lazar Thomas Hacker Johannes Vogel (Olpe) Ingrid Remmers Sven Lehmann Peter Heidt Sandra Weeser Martina Renner Steffi Lemke Katrin Helling-Plahr Nicole Westig Bernd Riexinger Dr. Tobias Lindner Markus Herbrand Katharina Willkomm Eva-Maria Schreiber Dr. Irene Mihalic Torsten Herbst Dr. Petra Sitte Claudia Müller Manuel Höferlin Nein Helin Evrim Sommer Beate Müller-Gemmeke Dr. Christoph Hoffmann Kersten Steinke Dr. Konstantin von Notz Reinhard Houben CDU/CSU Friedrich Straetmanns Omid Nouripour Ulla Ihnen Dr. Andreas Lenz Dr. Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff Olaf In der Beek Wilfried Oellers Jessica Tatti Cem Özdemir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 201914461

(A) Filiz Polat Dr. Wolfgang Strengmann- Fraktionslos SPD (C) Tabea Rößner Kuhn Elvan Korkmaz-Emre Claudia Roth (Augsburg) Margit Stumpp Marco Bülow Kirsten Lühmann Dr. Manuela Rottmann Markus Tressel Martina Stamm-Fibich Corinna Rüffer Jürgen Trittin Enthalten Manuel Sarrazin Dr. Julia Verlinden Ulle Schauws CDU/CSU DIE LINKE Dr. Frithjof Schmidt Daniela Wagner Stefan Schmidt Beate Walter-Rosenheimer Martin Patzelt Matthias W. Birkwald Kordula Schulz-Asche Gerhard Zickenheiner Dr. Matthias Zimmer Klaus Ernst

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU- Auch gibt es immer wieder eine unredliche Debatte mit Fraktion. der Behauptung, in der Tarifpolitik gebe es unglaubliche Unterschiede; das sei alles furchtbar ungerecht. Wie sieht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) es denn aus in der Tarifpolitik? Die Tarifsteigerungen in den neuen Bundesländern waren mit 3,3 Prozent in die- Jana Schimke (CDU/CSU): sem Jahr höher als im Westen; da waren es nämlich nur Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vor- 3 Prozent. schläge, über die wir heute hier wieder diskutieren, die Besonderheiten des DDR-Rentenrechts durch nachträg- (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Trotzdem sind liche Veränderungen im heutigen Rentenrecht zu über- sie niedriger als im Westen!) winden, zu verändern, werden immer mit denselben Ar- gumenten bedient: Man verdiene im Osten weniger; Auch die Angleichung der Tariflöhne schreitet voran. Wir haben eine Vielzahl von Branchen, in denen die Löhne (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weniger bereits heute angeglichen sind. In diesen Branchen gibt es erhalten! Verdient hätten sie das!) einen einheitlichen Mindestlohn in Ost und West. es sei alles furchtbar ungerecht; wir hätten ganz schlimme (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Ta- Zustände in den neuen Bundesländern. – Das ist das, was (B) rifbindung sinkt! Wer bekommt denn im Osten (D) mich immer wieder aufregt. Ich habe eine Bitte an die noch Tariflohn?) Kollegen, insbesondere von den Linken, die hier solche Vorschläge auch immer wieder anbringen: Machen Sie Dazu gehört zum Beispiel der Bau, dazu gehören die Ge- doch den Osten nicht immer so schlecht. rüstbauer, dazu gehört auch die Aus- und Weiterbildung, und dazu gehören viele andere Bereiche. Da haben wir (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Wer macht bereits die Lohn- und Tarifeinheit in Ost und in West. denn den Osten schlecht? Was ist das für ein Quatsch?) Meine Damen und Herren, was gibt es sonst noch zu Wir sind im 30. Jahr der deutschen Einheit. Wir sind im sagen? Ich würde gerne mit einer immer wieder getätigten 30. Jahr des Mauerfalls, und es hat sich wirklich eine falschen Aussage aufräumen: Die gesetzliche Rente, die Menge getan; Menschen in Ostdeutschland bekommen, ist im Schnitt höher als in den alten Bundesländern. Das muss an dieser (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Aber nicht bei Stelle auch mal gesagt werden. Die durchschnittliche ge- der Rentenangleichung!) setzliche Rente liegt mit 1 100 Euro höher als in West- aber keiner redet darüber. Das möchte ich heute mal tun, deutschland; da bezieht man im Schnitt 1 067 Euro ge- liebe Kolleginnen und Kollegen. setzliche Rente. Frauen in den neuen Bundesländern bekommen im Schnitt 918 Euro, im Westen 628 Euro. (Beifall bei der CDU/CSU) Woran liegt das? Daran, dass wir eine ganz andere Er- Was können wir denn sagen? Was haben wir denn an- werbsgeschichte haben, - zubieten? Das kann ich Ihnen sagen: In 2018 sind die Löhne in den neuen Bundesländern erneut stärker gestie- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen als im Westen. Die Lohnlücke zwischen Ost und Frau Kollegin – – West, auf die Sie sich immer wieder berufen, die Sie hier immer wieder anbringen, wird ebenfalls kontinuierlich kleiner. 2017 betrug sie noch 19 Prozent; jetzt sind es Jana Schimke (CDU/CSU): 16 Prozent. Ich finde es schon bemerkenswert, dass sol- – weil die Menschen in den neuen Bundesländern che Zahlen erreicht werden. lange und mehr gearbeitet haben, und das zahlt sich aus. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 17,9 Pro- zent! Das andere sind Umfragezahlen! Die rea- Vizepräsidentin Claudia Roth: le Zahl ist 17,9 Prozent!) Frau Kollegin – – 14462 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Jana Schimke (CDU/CSU): in jeder Beratung über dieses Thema immer anders gehört (C) Nein, ich möchte bitte meine Rede fortsetzen. haben –: Die Ursachen für diese Herausforderungen, Här- ten und Probleme liegen nicht nach 1990, sondern die liegen vor 1990, Vizepräsidentin Claudia Roth: Dann sagen Sie Nein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD – Dr. Gesine Jana Schimke (CDU/CSU): Lötzsch [DIE LINKE]: Was ist das für ein Entschuldigung. Ich möchte bitte meine Ausführungen Quatsch?) fortführen. nämlich im völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch Was an dieser Stelle auch mal gesagt werden muss: Für der DDR und der Vernichtung des Altersvorsorgesystems 1 000 in einem Monat verdiente Euro bekommt man in der Bürgerinnen und Bürger, die eine Zeit in der ehema- den ostdeutschen Bundesländern eine höhere Rente als in ligen DDR gelebt haben. den westdeutschen Bundesländern. Das ist Ausdruck der Dass es überhaupt gelungen ist, diese große Aufgabe gesamtdeutschen Solidarleistung, einer Zusammenführung von zwei Sozialsystemen zu (Beifall bei der CDU/CSU) schaffen, das ist einer gemeinsamen Leistung der Men- schen in Ost und West zu verdanken, bei besonderer Leis- die hier seit vielen Jahren stattfindet. tung der Menschen in Ostdeutschland. Wie ist das gelun- Aber was ist die Ursache dafür, dass wir dennoch über gen? Zum einen indem man die Einzahlungen in die Unterschiede – die räume ich ja durchaus ein – reden? Die Rentenversicherung der Bürgerinnen und Bürger im öst- Ursache liegt darin, dass wir im Osten eben eine andere lichen Teil unseres Landes höhergewertet hat als in West- Vorsorgestruktur als im Westen haben. Wir haben im Os- deutschland und zum anderen indem man mit Blick auf ten weniger betriebliche Altersvorsorge. Die Menschen die reale wirtschaftliche Entwicklung und die Lohnent- betreiben nicht so viel private Vorsorge, und das führt wicklung den Rentenwert, der die Rentenhöhe in jedem natürlich unterm Strich dazu, dass am Ende dann im Ge- Jahr bemisst, niedriger angesetzt hat. Was wir jetzt ma- samten weniger herauskommt. chen und was ich für richtig halte, und zwar auf Entschei- dung der Großen Koalition in der letzten Legislaturperio- Was ist die Lösung? Was braucht man? Was muss man de – das ist einer der wenigen Punkte, bei dem man Ihre vorschlagen? Das kann ich Ihnen sagen. Einiges haben Rentenpolitik mal loben kann, liebe Kolleginnen und wir schon gemacht: Wir haben mit dem Betriebsrentens- Kollegen –, ist, dass das angeglichen wird. Das ist für tärkungsgesetz eine ganze Reihe getan, um in der zweiten eine ganze Erwachsenengeneration nach der Wiederver- (B) Säule für Verbesserungen zu sorgen. Wir wollen was in einigung natürlich richtig, weil es endlich einheitliche (D) der dritten Säule machen. Wir wollen die private Vorsorge Verhältnisse in unserem Land schafft. weiter stärken. Das ist unser Ziel. (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald Wir stärken auch die Förderung von Eigentumsbil- [DIE LINKE]: Die werden dann weniger Rente dung. Das Baukindergeld ist eine ganz wichtige Maßnah- bekommen als nach dem alten Recht, weil die me, um Vorsorge auch im Bereich der Eigentumsbildung Löhne niedriger sind! Die Renten werden sin- zu fördern. Wir haben Anreize gesetzt, um länger zu ar- ken!) beiten. Meine Damen und Herren, last, but not least, wir sorgen dafür, dass es unserer Wirtschaft weiterhin gut Aber was Sie vorschlagen, liebe Kolleginnen und Kol- geht; denn das ist die grundlegende Voraussetzung dafür, legen von den Linken, ist nicht eine Angleichung. Sie dass wir in Deutschland ein funktionierendes soziales schlagen vor, dass nur das eine angeglichen wird. Wenn Sicherungsnetz haben. man bei einer Waage aber nur auf der einen Seite das Gewicht verändert, dann schafft man keine Gleichbe- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. handlung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Lin- (Beifall bei der CDU/CSU) ken, sondern das ist schlicht eines, nämlich unfair, und deshalb ist das, was Sie vorschlagen, falsch. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen Dank, Jana Schimke. – Nächster Redner: für die der CDU/CSU) FDP-Fraktion Johannes Vogel. Was Sie konkret wollen, ist, dass künftig zwar der (Beifall bei der FDP) Rentenwert gleich ist, aber dass die Einzahlungen eines gut verdienenden Ingenieurs in Dresden mehr wert sind Johannes Vogel (Olpe) (FDP): als die einer Krankenpflegerin in Duisburg. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Der hat trotz- legen! Die Herausforderung, über die wir heute reden – dem 25 Prozent und mehr weniger! – Matthias die Schwierigkeiten und auch Härten im W. Birkwald [DIE LINKE]: Das gibt es in der Rentenüberleitungsprozess nach 1990 –, war nicht ein- Realität nicht!) fach. Aber man muss zur politischen Ehrlichkeit sagen – das ist etwas, was wir in der ersten Lesung von Ihnen ganz Sie überwinden keine Spaltung; Sie schaffen neue Spal- anders gehört haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von tung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, den Linken, was wir auch in der Ausschussberatung und und das ist die falsche Politik. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14463

Johannes Vogel (Olpe) (A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) meine Fraktion seit mittlerweile fast 30 Jahren regelmä- (C) ßig immer wieder Anträge zu diesem Thema stellt. Worum es hier geht, das kann man, glaube ich, nicht nur an der Unausgegorenheit dieses Antrags erkennen, (Beifall bei der LINKEN – Abg. Matthias W. sondern das kann man auch daran erkennen, dass Sie Birkwald [DIE LINKE] zeigt ein Papier – diesen Antrag in der letzten Sitzungswoche eingebracht Frank Sitta [FDP]: Immer zu Wahlkämpfen! – haben, ihn durchgepeitscht haben, ohne Anhörung, die Max Straubinger [CDU/CSU]: Es macht die Sie sonst für jeden Ihrer Anträge wollen, Argumente nicht besser! – Johannes Vogel [Ol- pe] [FDP]: Der Unterschied ist, dass die An- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: gleichung jetzt Rechtslage ist!) Genau!) Es ist uns herzlich egal, ob gerade Wahlkampf ist oder und ihn heute zur Abstimmung vorlegen. Komischerwei- nicht. Sie wissen sehr genau, wie viel wir dazu vorgelegt se haben Sie auch Ihre Wahlkampf-Evergreens noch in haben, wie viel Sie dazu vorgelegt haben, liebe Kollegin- den Antrag gepackt: gesetzlicher Mindestlohn in irgend- nen und Kollegen. welcher Höhe, absurdes Verbot der Zeitarbeit. (Beifall bei der LINKEN) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir machen das seit 30 Jahren!) Ich komme zu dem Redebeitrag von Frau Kolbe. Liebe Kollegin, Sie haben die Qualität der Anträge bemängelt. All das lässt bei jedem Kollegen und jeder Kollegin in Ich will zu Beginn bemängeln, dass wir nach über 25 Jah- jeder anderen Fraktion nur den Eindruck entstehen, dass ren hier immer noch darüber reden müssen, dass es Un- es nur um eines geht: um den Landtagswahlkampf in gerechtigkeiten bei der Rentenüberleitung gibt, liebe Kol- Thüringen. Die Menschen in unserem Land, auch und legin Kolbe. gerade in Thüringen, haben eine seriösere Rentenpolitik verdient als das, liebe Kolleginnen und Kollegen von den (Beifall bei der LINKEN) Linken. Wenn Ihnen der Antrag zu kurz ist, nicht detailliert (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) genug ist, liebe Kollegin Kolbe: Richtig ist, dass wir dafür sorgen müssen, dass das (Daniela Kolbe [SPD]: Komplett falsche Lohngefälle in unserem Land überwunden wird. Das gibt Richtung!) es aber doch längst nicht mehr nur zwischen Ost und Auf dem Tisch des Kollegen Birkwald liegen die ganzen West, sondern das gibt es auch zwischen Frankfurt am Konzepte und Broschüren. Wir können Ihnen alle gern Main und der Eifel genauso wie zwischen Jena und der noch mal zuschicken. Sie kennen das alles. Was ich er- (B) Uckermark. Da müssten wir ansetzen, liebe Kolleginnen (D) warte, liebe Kollegin Kolbe, sind weniger sozusagen war- und Kollegen, zum Beispiel durch Freiheitszonen, wie me Worte von diesem Pult seitens der Koalition. Ich er- wir Freie Demokraten das vorschlagen. warte, dass Sie endlich mal zur Sache kommen und etwas (Beifall bei der FDP) entscheiden. In Ostdeutschland haben wir längst tolle Regionen, wo es (Beifall bei der LINKEN – Daniela Kolbe wirtschaftlich großartig läuft: Leipzig, Jena, Ilmenau. Wir [SPD]: Tun wir ja!) sollten dafür sorgen, dass es auch in den ländlichen Re- Sie haben hier all die betroffenen Gruppen aufgezählt: die gionen in Ostdeutschland besser läuft. Um diese Politik geschiedenen Frauen, die Ingenieure, die Leute in der sollten wir uns kümmern. Ihr Antrag leistet leider keinen Bergbauveredelung usw. usf. Beitrag dazu. Jetzt komme ich zu Ihrem nächsten Argument. Ich fin- Vielen Dank. de es schon zynisch, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja!) dass Sie sich im Jahr 2019 hierhinstellen und darauf ab- Vizepräsidentin Claudia Roth: heben, dass ein Teil dieser Gruppen jetzt, nach so vielen Vielen Dank, Johannes Vogel. – Nächster Redner: für Jahren, bereit ist, eine Lösung außerhalb des Rentenrechts die Fraktion Die Linke Matthias Höhn. in Betracht zu ziehen, und uns vorwerfen, dass wir diesen (Beifall bei der LINKEN) Schritt noch nicht gegangen sind. Liebe Kollegin Kolbe, nach fast 30 Jahren sind die Leute vielleicht müde und Matthias Höhn (DIE LINKE): sagen: Gut, dann nehmen wir eben eine andere Lösung; aber wir wollen eine Lösung. – Sie haben bis heute über- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und haupt noch keine Lösung vorgelegt, Frau Kolbe; das ist Herren! Es ist nun schon eine ganze Menge gesagt wor- das Problem. den; darauf will ich gern reagieren. Ich fange mal mit dem Punkt „Wahlkampf“ an; das ist von mehreren angespro- (Beifall bei der LINKEN) chen worden. Das Einzige, was wir von Ihnen kennen – das kennen Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie wir aus dem Koalitionsvertrag –, ist der Härtefallfonds. noch nicht so lange im Bundestag sind – das bin ich auch Nun gut. Was dabei konkret herauskommt, wissen wir bis nicht –, können Sie es nachlesen. Sie werden finden, dass heute nicht; Sie haben dazu auch heute wieder nichts ge- 14464 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Matthias Höhn (A) sagt. Was im Koalitionsvertrag dazu steht – das ist das Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Einzige, worauf ich mich beziehen kann –, ist komplett Herr Kurth, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -- unzureichend. Sie beziehen sich dort auch nur auf einen bemerkung von Frau Lötzsch? Teil der Betroffenen, nämlich auf die, die in der Grund- sicherung oder in Grundsicherungsnähe sind. Nur, liebe Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir über die Überlei- Aber gern. Bitte schön. tung von DDR-Renten reden, reden wir nicht über Almo- sen, sondern über Gerechtigkeit, und deswegen ist das Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): keine adäquate Lösung. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage oder Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bemerkung zulassen. – Wenn ich mich recht entsinne, war der Beitritt nach Artikel 23 etwas, was viele scharf (Beifall bei der LINKEN) kritisiert haben, und zwar genau aus den Gründen, die Sie gerade beschrieben haben, nämlich dass für viele Men- Vizepräsidentin Claudia Roth: schen nicht die Rechte gewährleistet wurden. Helfen Sie Vielen Dank, Matthias Höhn. – Nächster Redner: für mir doch mal auf die Sprünge! Wenn ich mich recht ent- Bündnis 90/Die Grünen Markus Kurth. sinne, waren große Teile Ihrer politischen Formation, zu- mindest damals im Gebiet der DDR, dafür, dass kein Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tritt erfolgt – es gab die Demonstrationen „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ –, sondern dass eine Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zusammenführung nach Artikel 146 der gerechtere Weg Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist. Darum frage ich Sie: Warum verteidigen Sie jetzt den Herr Höhn, das mögen viele von den verschiedenen Beitritt nach Artikel 23, wenn es doch eine viel bessere Gruppen in der DDR, die in einem sogenannten Zusatz- und gerechtere Lösung gegeben hätte? versorgungssystem waren, subjektiv so empfinden und wahrnehmen; Rechtsansprüche in dem Sinne, wie Sie (Beifall bei der LINKEN) suggerieren, bestehen gleichwohl nicht, und das liegt an der Art und Weise, wie die Vereinigung vollzogen worden Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist. Ich glaube, Frau Lötzsch, da gibt es insofern ein ge- wisses Missverständnis, als ich den Beitritt nach Arti- (Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/ kel 23 GG nicht verteidigt, sondern nur erklärt habe, dass CSU] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: er sich so vollzogen hat, mit ebendieser weitreichenden (B) Haben wir nicht suggeriert! Quod erat de- Folge, dass das DDR-Rentenrecht dadurch quasi ausra- (D) monstrandum! – Weitere Zurufe von der LIN- diert worden ist, KEN) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ja Es war ein Beitritt – das bedauern wir sehr; wir wollten das Problem!) eine neue Verfassung –; das heißt, die DDR hat aufgehört zu existieren und mit ihr sämtliche Rentengesetze und wie viele andere rechtliche Vorschriften im Übrigen auch. andere Gesetze. Meine Partei – da erinnere ich mich noch ganz genau –, die damals westdeutschen Grünen, haben sich für eine (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Und das findet ihr richtig, oder was?) neue Verfassung entschieden. Ich glaube, es ging um Ar- tikel 146 des Grundgesetzes, oder, Frau Präsidentin? Das heißt aber natürlich nicht – das will ich auch mal klarstellen, damit das niemand in den falschen Hals (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kriegt –, dass wir bei bestimmten Gruppen innerhalb die- NEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: ser Zusatzversorgungssysteme nicht trotzdem eine politi- „146“ stimmt, Markus!) sche Entscheidung treffen können und auch sollten, näm- – Artikel 146 stimmt. lich dort, wo es bestimmte Härten gibt. Meine Fraktion hat ebenfalls Anträge gestellt, zum Beispiel im Falle der Auch Bündnis 90, der andere Teil unserer Partei, mit Balletttänzerinnen, der besonders schlimm betroffenen dem wir ja zusammengewachsen sind, wollte eine neue Arbeiter in der Braunkohleveredelung, der Kranken- Verfassung. Der Beitritt nach Artikel 23 hat gerade auch schwestern, der in der DDR geschiedenen Frauen und Bündnis 90, die ostdeutschen Bündnis 90/Die Grünen, anderer Gruppen, also dort, wo sozusagen politisch be- quasi untergepflügt. Die ganze Bürgerrechtsbewegung gründbare Ansprüche sind. – Das nur mal zur systemati- ist mit ihren Anliegen gar nicht wirklich zum Zuge ge- schen Klarstellung, kommen, weil auf den Montagsdemos im Frühjahr plötzlich der Slogan laut wurde: Kommt die D-Mark, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bleiben wir; kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr. – Daran weil Sie immer wieder den Eindruck zu erwecken ver- kann ich mich noch ganz genau erinnern. Ich habe näm- suchen, es seien Menschen betrogen worden oder, wie Sie lich damals in Berlin gewohnt und mich in Ost wie in in Ihrem Antrag schreiben, gedemütigt worden. Das ist West bewegt. Den ganzen Prozess habe ich aus nächster definitiv falsch. Nähe erfahren. Ich habe auch bei vielen dafür geworben, dass man sich mit dem Ganzen Zeit lässt, dass man die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Wirtschafts- und Währungsunion nicht übers Knie bricht, Unsinn! Das haben wir auch nie gesagt!) nicht eins zu eins. Auch die Treuhand habe ich von An- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14465

Markus Kurth (A) fang an absolut kritisch gesehen. Es hätte natürlich vieles Deswegen ist, wenn man die Rentenwerte in Ost und (C) anders, besser laufen können. West angeglichen hat, die Höherwertung nicht mehr ge- rechtfertigt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich finde, er gibt uns in dem Interview noch einen ganz Jetzt kommen wir wieder zur Rente zurück. interessanten Satz mit. Er sagt nämlich: (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der … Förderung darf keine Subventionierung des Ab- LINKEN) stands sein, sondern muss eine Investition in den Aufholprozess sein. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heißt, es ist eine aktive, vorwärtsgerichtete Perspek- Ich komme wieder zur Rente. Mir war nur wichtig, das tive. Ihre Perspektive ist demgegenüber rückwärtsgerich- zu erklären und die historische Wahrheit noch mal ge- tet. radezuziehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dicker?) sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Sie versuchen mit einer Demütigungsrhetorik, die über- Da wir gerade bei der Vergangenheit sind: Herr Kolle- haupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, Leute auf- ge Vogel hat ganz zu Recht den ökonomischen Ausgangs- zuwiegeln; anders kann man das kaum sehen. punkt benannt. Da möchte ich Christa Luft zitieren. Das ist die letzte Wirtschaftsministerin der SED-geführten (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Wir müssen Regierung Modrow gewesen. nicht aufwiegeln!) (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Ach was!) Diese Rhetorik ist – in der Tat – auch faktisch falsch. Sie hat letztes Jahr ein sehr interessantes Interview ge- Jedes Jahr fließen rund 30 Milliarden Euro zusätzlich geben und gesagt, dass die Überzentralisierung elend war. an ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner über den Trans- Sie spricht von Umweltsünden, Ersatzteilproblemen, fer von der westdeutschen in die ostdeutsche nicht funktionierendem Materialfluss. Sie sagt: Rentenkasse. Das ist eine Tatsache. Das ist eine Solidar- leistung. Das ist seit vielen Jahren so der Fall. Das ist auch Dann kam ʼ72 diese elendigliche Enteignung der gut, und das ist okay. restlichen kleinen und mittelständischen privaten Unternehmen. Das hat viel Produktivität, Flexibilität (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und (B) und Motivation gekostet. … So gibt es eine ganze warum soll das aufhören?) (D) Reihe von Dingen, die dazu führten, dass die Pro- – Das hört auch nicht auf, weil die Ungleichheiten öko- duktivität immer weiter abfiel. nomischer Art, beim Beschäftigungsstand usw. bestehen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb bleiben, auch wenn die Höherwertung eines Tages nicht erhält die geschiedene Frau weniger Rente? mehr da ist. Das versteh ich nicht!) Ich finde, dass man diese Solidarleistung auch würdi- Das hat Christa Luft gesagt. Damit wird auch klar, dass gen muss. Mit Ihrer Demütigungsrhetorik ziehen Sie die- wir es mit einem langgreifenden Strukturwandelprozess se Solidarleistung aber in den Dreck. Das finde ich nicht zu tun haben, so wie in Pirmasens, wie im Saarland, wie in Ordnung. im Ruhrgebiet, wie in Bremerhaven. Das erklärt die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Lohnungleichheit. Sie war zu Anfang so krass, dass die wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Höherwertung durchaus berechtigt war. Aber jetzt sind SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: wir 30 Jahre weiter. Innerhalb der Länder der früheren Machen wir nicht! Es gibt keine Demütigungsr- DDR gibt es eine sehr differenzierte Landschaft. Wer das hetorik!) übrigens auch verstanden hat, ist Bodo Ramelow, der ja eine tolle rot-rot-grüne Regierung anführt. – Mir ruft gerade der Kollege zu, es gebe keine Demütigungsrhetorik. Dann lesen Sie mal Ih- (Widerspruch bei der FDP) ren eigenen Antrag. Er sagt in einem Interview vor ein paar Wochen: (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Eben!) Ungleiche Lebensverhältnisse sind im Übrigen kein Da steht der Satz drin: Diese Demütigung muss aufhö- reines Ost-West-Problem, sondern ein Problem ren. – Das haben Sie selbst geschrieben. Behaupten Sie benachteiligter Regionen insgesamt. Die gibt es im nicht das Falsche. Osten und im Westen. (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Matthias! – Das ist der entscheidende Punkt. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- keine Demütigungsrhetorik! Das ist die Wahr- wie bei Abgeordneten der FDP – Kersten heit!) Steinke [DIE LINKE]: Deshalb kriegt die ge- Ein weiterer Punkt ist: Dort, wo wir Regelungen ha- schiedene Frau ihre Ansprüche nicht? So ein ben – es wurde schon von Frau Schimke genannt, der ich Quatsch!) sonst selten zustimme –, beispielsweise bei den Tarifver- 14466 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Markus Kurth (A) trägen, bei den Löhnen, haben wir die Ost-West-Anglei- Ich komme aus dem Ruhrgebiet und kann deshalb, (C) chung quasi schon vollzogen. Da kann man natürlich glaube ich, ganz gut nachempfinden, was Strukturwandel jammern und schimpfen und sagen: Die Tarifbindung bedeutet. Ich kann auch gut nachempfinden, welche Leis- ist in Ostdeutschland zu niedrig. – Und genau das stimmt tung die Menschen in den neuen Bundesländern nach der auch. Sie ist zu niedrig. Deswegen brauchen wir eine Wende vollbracht haben. Viele von ihnen mussten sich erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifver- neu erfinden, den Beruf wechseln, mit Arbeitslosigkeit trägen. umgehen, die Heimat verlassen, weil keine Arbeit mehr da war. Das sind Umbrüche, die auch heute noch dazu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) führen, dass die Renten und Löhne hinter dem Westni- Das wäre der richtige Weg und nicht der, irgendwie über veau liegen. Das bestreitet ja niemand ernsthaft. Es ist die Rentenversicherung nachzutarocken. Ich bin wie Bo- auch so, dass für einen Großteil der Bürgerinnen und do Ramelow dafür, dass man in den Aufholprozess, in den Bürger im Osten die gesetzliche Rente das Haupteinkom- Aufbau investiert, anstatt rückwärtsgewandt Abstände zu men im Alter ist. Deshalb ist es gut, dass spätestens ab subventionieren. Ich glaube auch: Nur so gewinnt man 2025 die Renten in ganz Deutschland gleich berechnet Wahlen in Ostdeutschland. werden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nicht gut; denn dann be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommen die weniger Rente in Zukunft!) sowie des Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Nun sagt Die Linke – Matthias, hör zu! –: Alles gut und schön. Aber erstens geht es nicht schnell genug, und Vizepräsidentin Claudia Roth: zweitens gibt es nach wie vor erhebliche Unterschiede Vielen Dank, Markus Kurth. – Nächster Redner: für die bei den Löhnen. Deshalb müsse es auf absehbare Zeit SPD-Fraktion Ralf Kapschack. dabei bleiben, dass Rentenbeiträge im Osten anders, näm- (Beifall bei der SPD) lich besser beurteilt und behandelt werden als im Wes- ten. – Das geht nicht! Ralf Kapschack (SPD): (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Verehrte Zuschauer! Ich habe mich vor ein paar Tagen NIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. zusammen mit Daniela Kolbe, Peter Weiß und Albert Birkwald [DIE LINKE]: Warum?) (B) Weiler mit Vertretern von Männern und Frauen getroffen, (D) die sich durch die deutsche Einheit in ihrer Altersversor- Deshalb werden wir euren Antrag auch ablehnen. Denn es gung benachteiligt fühlen – Menschen, deren Zusagen gibt auch zwischen anderen Landesteilen und innerhalb aus der DDR sich plötzlich in Luft aufgelöst haben, Men- von Landesteilen erhebliche Lohnunterschiede. Trotz- schen, für die in der DDR andere Regeln galten als zur dem kommt niemand auf die Idee, regional unterschied- gleichen Zeit in Westdeutschland. Das sind ehemalige liche Rentensysteme einzufordern, zum Beispiel in Nie- Reichsbahner, das sind in der DDR geschiedene Frauen, derbayern – davon hat uns Max Straubinger in der das sind Beschäftigte in der Chemieindustrie, ehemalige Ausschusssitzung erzählt – oder in Schleswig-Holstein. Leistungssportler usw. usw. Das macht klar – das ist, Ihre Forderung würde neue Ungerechtigkeiten schaffen. glaube ich, unbestritten –: Auch 30 Jahre nach der deut- Das wollen wir nicht. Gleiches Rentenrecht in Deutsch- schen Einheit gibt es noch eine Reihe von Problemen, land heißt gleiche Kriterien, gleiche Rentenwerte im gan- auch bei der Rente. Aber klar ist auch: 30 Jahre nach zen Land. der deutschen Einheit kann man auch sagen: Wir haben Die Unterschiede im Lohnniveau haben in erster Linie eine Menge geschaffen und geschafft, auch bei der Rente. etwas mit Wirtschaftsstruktur, mit mangelnder Tarifbin- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Weiß dung und niedrigen Löhnen zu tun. Wir sind überzeugt, [Emmendingen] [CDU/CSU]) dass gute Löhne, starke Tarifbindung und sichere Arbeits- plätze die beste Grundlage für eine gute Rente sind. Was die genannten Gruppen angeht: Im November werden Bund und Länder einen Vorschlag machen, wie (Beifall bei der SPD) man da helfen kann. Das haben wir im Koalitionsvertrag Es ist natürlich richtig, dass eine gute Arbeitsmarkt- so verabredet, und dann machen wir das auch so. Dafür politik denjenigen, die bereits in Rente sind oder kurz brauchen wir keine Aufforderung, von keiner Seite. vor der Rente stehen, nicht mehr hilft. Deshalb streiten Es gibt also ganz konkret etwas zu tun. Allerdings: wir vehement für eine Grundrente, Allgemein von einer Benachteiligung der Menschen in den neuen Bundesländern zu reden, ist nicht nur falsch, (Beifall bei der SPD) sondern es ist auch politisch gefährlich. und zwar ohne eine Bedürftigkeitsprüfung, so wie wir sie von der Grundsicherung kennen. Das verstehen wir unter (Beifall bei der SPD) Anerkennung von Lebensleistung. Unsere Grundrente Denn diese Grundmelodie – die findet sich auch im An- würde vielen Rentnern und vor allem Rentnerinnen in trag der Linken – nutzt nur denen, die dieses Land spalten den neuen Bundesländern helfen; denn wer jahrelang ge- wollen. Bei aller Kritik: Das, glaube ich, wollt ihr nicht. arbeitet hat, der muss das Gefühl haben, eine Rente zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14467

Ralf Kapschack (A) bekommen, die er oder sie sich selber erarbeitet hat, und (Beifall bei der AfD) (C) kein Almosen. Die Argumentation, die Sie bringen, ist folgende: Die (Beifall bei der SPD) Rentenkassen sind leer, das Geld ist knapp. – Meine lie- ben Kollegen, das Geld ist nicht knapp; es wird nur nicht Das gilt überall: in Ost wie in West. richtig verteilt. Es kommt nicht bei denen an, die es ver- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. dient haben. (Beifall bei der SPD) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da kommen wir zum Pudels Kern!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich kann Ihnen gerne sagen, wo das Geld ausgegeben wird, das eigentlich unseren ostdeutschen Rentnern zu- Vielen Dank, Ralf Kapschack. – Nächster Redner: für steht. die AfD-Fraktion Jürgen Pohl. (Zurufe von der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der AfD) – Genau: bei der illegalen Einwanderung! Jürgen Pohl (AfD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen! Damen und Herren an den TV-Geräten! Thema heute: Ost- und West- Dort werden jedes Jahr aufs Neue Milliarden versenkt, rente, eine Debatte, die für die etablierten Parteien eigent- die keinen erkennbaren Nutzen für unser Gemeinwohl lich peinlich sein muss. Für unsere Mitmenschen im Os- bringen. ten ist es entwürdigend, dass wir schon wieder hier stehen (Gabriele Katzmarek [SPD]: Das hat ja nicht und über die Ostrente diskutieren müssen. lange gedauert!) Gerade Sie hier im Parlament und in der Regierung Stattdessen führen wir Diskussionen über die Kosten der haben es in den letzten 30 Jahren nicht für nötig gehalten, Rentenangleichung, als ginge es hier um irgendwelche die bestehenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Sie ha- Zuschüsse zu einem Rentnertreff. Ich kann Ihnen versi- ben zwar die Angleichung der Renten für das Jahr 2024 chern, liebe Kollegen: Der Buhmann sind Sie bei den beschlossen – 34 Jahre nach der Wiedervereinigung; das Ostrentnern schon lange! sind sechs Jahre mehr, als die Mauer stand –, andererseits schaffen Sie den Höherwertungsfaktor ab. Frau Kollegin Wir haben für die Rentner ein Konzept vorgelegt, Schimke, der Verdienstabstand besteht immer noch. Wir (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) haben den Sachverhalt, dass es Berufsgruppen gibt, in NEN]: Sie haben doch gar kein Konzept! – (D) denen Facharbeiter im Osten weniger verdienen als die Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben Hilfsarbeiter im Westen. überhaupt kein Konzept! – Peter Weiß [Em- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE mendingen] [CDU/CSU]: Sie wollen die Rente GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) abschaffen!) Das heißt, ohne diesen Höherwertungsfaktor haben wir mit dem wir die Ungleichheiten bei der Rentenumstellung eine Armutsrente im Osten, auf Dauer eine Rente zweiter mit einer Fondslösung beseitigen. Liebe Rentner an den Klasse für Deutsche zweiter Klasse in Mitteldeutschland. TV-Geräten, ich sage Ihnen eines: Alle Parteien, von den Das werden wir kriegen. Linken bis zu den Liberalen, haben diese gerechte Lösung unisono abgelehnt. Und warum? Weil sie von uns kam? (Beifall bei der AfD) Nein. Weil sie überhaupt kein Interesse haben, das Elend bei den Ostrentnern auszugleichen. Es drängt sich einem der Eindruck auf, dass die Alten vor allen Dingen im Osten von der Politik als überflüssi- Danke schön. ger Ballast angesehen werden. Ich sage Ihnen: Unsere Alten sind kein Kostenfaktor. Wir müssen endlich denen (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Achtung entgegenbringen, die dieses vereinte Land auf- [DIE LINKE]: Wir haben ein Rentenkonzept! gebaut haben. Würde im Alter lässt sich nicht mit Geld Sie nicht! Sechs! Setzen!) aufwiegen; das ist klar. Aber ohne Geld lässt sich auch nicht in Würde altern. Das müssen Sie sich merken. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächster Redner: Frank Heinrich für die CDU/CSU- (Beifall bei der AfD) Fraktion. Es muss in einem der reichsten Länder der Welt möglich (Beifall bei der CDU/CSU) sein, dass denen Respekt gezollt wird, die ihn auch ver- dienen. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Bei Ihnen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und geht es nur um Möglichkeiten!) Kollegen! Sie von den Linken bemängeln regelmäßig, wie es auch Kollegin Kolbe gesagt hat, Wir führen wie arme Krämerseelen erbärmliche Debatten um ein paar Euro und schicken unsere Rentner zur Tafel. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, Gratulation! danke schön, damit es alle hören!) 14468 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) dass die Rentenüberleitung nicht ausreichend sei und fällt, wenn es um Finanzierung und um die Frage der (C) nicht sämtliche Besonderheiten des DDR-Rechts abde- Absicherung geht. Und natürlich – auch die Grünen ha- cke. Ich habe laut genickt, samt meinen Händen, als Herr ben das immer wieder formuliert – gibt es nicht nur den Vogel in seiner Rede sagte, dass es tatsächlich verdächtig Ost-West-Unterschied, es gibt auch den Nord-Süd- und ist, dass diese Anträge so kurz vor der Wahl in Thüringen den Stadt-Land-Unterschied. Diese Unterschiede lassen kommen. Das sollten die Wählerinnen und Wähler in sich nicht einfach durch Pauschalität aufheben. Thüringen auch wissen, zumal Thüringen in der Statistik zur Rente mit am besten abschneidet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Inhalte der heutigen Anträge haben wir schon öfter Die Rentenüberleitung war und ist eine großartige besprochen; Ihr Antrag von der AfD ist dazugekommen. Leistung, nein, ich behaupte, die wahrscheinlich größte Seit 1992 – ich habe in der letzten Sitzungswoche diesen sozialpolitische Leistung der deutschen Einheit. Dreisprung angesprochen: wo kommen wir her, wo ste- hen wir, und wo gehen wir hin? – war das Thema immer (Beifall bei der CDU/CSU) wieder Gegenstand parlamentarischer Anträge und An- Letzter Punkt. Ich möchte kurz auf Ihren Antrag von hörungen von Sachverständigen. Es ist nichts Neues der AfD und die Lösung eingehen, die Sie vorschlagen. dabei, nichts gravierend Neues. Im Ergebnis sind die An- Sie wissen, dass auch wir als Union über bestimmte Här- träge immer gleich. Forderungen nach einer Nachbesse- tefallgruppen diskutiert haben. Der Knackpunkt ist das rung der Rentenüberleitung lassen sich aber nicht herlei- Äquivalenzprinzip. Ihr Vorschlag mit den Einmalzahlun- ten, wie höchstrichterlich vom Bundessozialgericht und gen ist allerdings sehr grob. Da soll die Bemessungs- vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde. grundlage die Betriebszugehörigkeit sein; es ist die Rede Von unserer Seite ist immer wieder gesagt worden – von mindestens 400 Euro pro Jahr. Beispielhaft haben Sie einige Vorredner haben es auch gesagt –: Es geht um 7 Gruppen genannt – Sie reden immer von 17 Gruppen –: Dankbarkeit für das bisher Erreichte; meine Kollegin Hochschullehrer, Ärzte, Ingenieure, Lehrer, Künstler und Schimke hat es gesagt. Darüber, über das seit 1990 Er- Wissenschaftler. Ihr Antrag fußt letztlich ausgerechnet reichte, können wir doch bitte auch einmal reden; immer- auf den Berufsgruppen – das ist die Frage nach den Krite- hin feiern wir jetzt zu mehreren Anlässen 30 Jahre Mauer- rien; was ist da letztlich der Rahmen? –, die im Regelfall fall. In der DDR erworbene Versicherungszeiten wurden schon jetzt nicht geringe Renten bekommen. Es wird der mit Stichtag 1. Januar 1992 in die gesamtdeutsche Ren- Eindruck erweckt, dass das ein großzügiger Umgang mit tenversicherung überführt. Das Renten-Überleitungsge- Steuermitteln ist, und das ist ähnlich wie bei den Linken. setz sollte dafür sorgen, dass die Renten in den neuen Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (B) Bundesländern nach den gleichen Grundsätzen berechnet (D) werden wie die Renten in den alten Bundesländern. Dann (Beifall bei der CDU/CSU) waren da die 27 Zusatz- und 4 Versorgungsysteme; ein sehr komplexes Mobile, wenn man sich das einmal so Vizepräsidentin Claudia Roth: vorstellen will, das über das Anspruchs- und Anwart- schaftsüberführungsgesetz in die Rentenversicherung Vielen Dank, Frank Heinrich. – Nächster Redner: für überführt wurde. die FDP-Fraktion Gerald Ullrich. Jetzt gibt es das gleiche Rentenrecht in Ost und West. (Beifall bei der FDP) Mit dem Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz vom 17. Juli 2017 haben wir festgelegt, dass die Rentenwerte Gerald Ullrich (FDP): schrittweise bis spätestens 1. Juli 2024 – Sie haben es Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und gerade angesprochen, Herr Pohl – vereinheitlicht werden, Kollegen! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich und parallel dazu entfällt zum 1. Januar des darauffolgen- einmal vor: Sie kommen nach Hause, und Ihr Haus steht den Jahres auch die Hochwertung der Löhne. in Flammen. Sie möchten mit dem Löschen beginnen, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann aber die Feuerwehr, die auch schon da ist, hält Sie fest. werden die Renten sinken!) Sie müssen zuschauen, wie Ihr Haus abbrennt. Und hin- terher kriegen Sie noch eine Rechnung von der Feuer- Das ist ein sehr langwieriger, mathematisch komplexer wehr dafür, dass Sie zugucken durften. – Genau das, Prozess – wie bei einem Mobile. Aber mathematisch gibt meine Damen und Herren, ist bei den Enteignungen in es eben zwei Anteile in dieser Gleichung: Nehmen wir die den 70er-Jahren in der DDR passiert. eine Hälfte weg, dann fällt der Konsens in sich zusam- men. Die Abschaffung der Hochwertung der Löhne im (Beifall bei der FDP) Osten funktioniert nicht ohne die andere Seite. Diese Gruppe von Menschen haben Sie noch nicht ein- Das schafft neue Ungerechtigkeiten und birgt sozialen mal angesprochen. Auch wenn Sie 32 Gruppen bilden Sprengstoff. Einer meiner Kollegen hat es gerade gesagt: würden, wäre diese Gruppe nicht dabei; das garantiere Wir können doch nicht erwarten, dass wir mit den Kol- ich Ihnen. Dass es diese Gruppe gab, ist der Grund dafür, legen aus dem Westen eine Mehrheit bekommen, wenn dass im Herbst 1989 die Wirtschaft der DDR den Herztod auf einmal neue Ungerechtigkeiten zuungunsten be- erlitten hat, während die Führung der DDR schon lange stimmter Gruppen im Westen entstehen. Eine neue, enor- den Hirntod erlitten hatte; das können Sie mir glauben. me Steuerlast entsteht. Das nehmen Sie in Kauf. Eine Steuerfinanzierung ist auch das Einzige, was Ihnen ein- (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14469

Gerald Ullrich (A) Die Sozialsysteme brachen zusammen wie ein Schnee- (Jürgen Pohl [AfD]: Lesen Sie erst mal, dann (C) ballsystem. Sie bekamen keine neue Nahrung, weil unser wissen Sie Bescheid!) Geld auf der Welt nichts wert war. Der Einzige, der uns Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, meine Da- jemals einen Kredit gegeben hat, war der Herr Strauß, und men und Herren. dafür mussten wir, Gott sei Dank, unsere Selbstschussan- lagen abbauen. Noch einmal einen herzlichen Dank nach (Beifall bei der FDP) Bayern dafür. (Kerstin Tack [SPD]: Was erzählt der denn da?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke, Gerald Ullrich. – Nächster Redner: für die Es ist doch heutzutage ein Treppenwitz der Geschichte, Fraktion Die Linke Matthias W. Birkwald. dass genau die Nachfolgeorganisation derjenigen, die für diese Misere verantwortlich sind und die diese leeren (Beifall bei der LINKEN) Versprechungen gemacht haben, heute von diesem Parla- ment erwartet, dass wir deren leere Versprechungen erfül- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): len sollen. Beim besten Willen, meine Damen und Her- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ren, das geht einen großen Schritt zu weit. ren! Ja, Herr Vogel, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rentnerinnen und Rentner gehören grundsätzlich zu den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gewinnern der deutschen Einheit, der CDU/CSU) Die Lebensleistung der DDR-Bürger war in der Tat (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So groß, und es ist immer wieder erstaunlich, dass sie trotz ist es!) und nicht wegen des alten DDR-Regimes überhaupt mög- trotz aller Fehler bei der Rentenüberleitung. Aber: Wer lich war. Eine Lösung, die ich vorzuschlagen hätte, hängt nach dem Mauerfall in Ostdeutschland geboren wurde, mit dem Härtefallfonds zusammen: Warum geben Sie uns wird nach geltendem Recht auch in den nächsten 30 Jah- nicht endlich die Kontonummern von Ihren alten SED- ren eine niedrigere Rente für die gleiche Lebensleistung Genossen, erhalten, und das ist ungerecht. Das akzeptiert die Linke nicht. (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Was ist das jetzt?) (Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Em- mendingen] [CDU/CSU]: Stimmt aber nicht!) auf denen Sie das SED-Vermögen bis heute verstecken? Union und SPD sagen ja, das liege an den niedrigen (B) (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Löhnen. Genau. Darum ist die Linke die einzige Fraktion (D) Abgeordneten der CDU/CSU) im Deutschen Bundestag, die einen gesetzlichen Min- Das wäre mal ein guter Grundstock, den wir nehmen destlohn in Höhe von 12 Euro in Ost und West fordert. könnten, um den Härtefallfonds für die Leute, die es wirk- (Beifall bei der LINKEN) lich betrifft, aufzulegen und den Leuten im Härtefall auch zu helfen. Sie sind schuld an diesen Härtefallen, meine Und: Wir Linken sind die einzige Fraktion im Deutschen Damen und Herren. Bundestag, die für ein Rentenniveau in Höhe von 53 Pro- zent kämpft. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das nützt doch auch nichts!) Erstaunt bin ich über den Antrag der AfD. Herr Pohl, in Thüringen weiß man nichts von diesem Antrag – ganz Und: Die Linksfraktion ist die einzige Fraktion im Bun- ehrlich –, weil Herr Höcke nämlich Herrn Aust beauftragt destag, die den Sumpf des Niedriglohnsektors vollständig hat, ein völlig anderes Rentenkonzept, das 100 Prozent austrocknen will. Und ja, die Linke ist die einzige Frak- konträr zu Ihrem ist, in die Welt zu setzen. tion im Bundestag, die ostdeutsche Löhne bei der Rentenberechnung so lange weiter auf das westdeutsche (Zuruf des Abg. Jürgen Pohl [AfD]) Niveau umrechnen will, bis die Löhne in den neuen Bun- desländern durchschnittlich genauso hoch sind wie in den Im Osten spielt die AfD schon lange keine Rolle mehr. Im alten Bundesländern. Osten spielt der Flügel des Herrn Höcke eine Rolle. Ich bin gespannt, welche Maßnahmen Sie hier in diesem (Beifall bei der LINKEN) Hause in Zukunft noch machen wollen, wenn Herr Höcke Meine Damen und Herren, 30 Jahre nach dem Mauer- erst mal Ihren Laden übernommen hat. Darauf freue ich fall liegen die Löhne im Osten immer noch 17,9 Prozent mich schon, das wird lustig; das kann ich Ihnen garantie- unter denen im Westen. Da sage ich: Das ist inakzeptabel. ren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Jörn König [AfD]) Wir brauchen gleiche Löhne für gleiche und gleichwerti- ge Arbeit und gleiche Renten für gleiche Lebensleistun- Sie wollen eine Fondsrente, und Herr Aust möchte gerne gen. eine Staatsbürgerrente haben. Das sind die großen Unter- schiede. (Beifall bei der LINKEN) 14470 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Matthias W. Birkwald (A) Oder kürzer: Die Lohnmauer muss weg! hier an dieser Stelle etwas öffentlich sagen darf, was mir (C) am Herzen liegt, auch wenn es in dem Falle nicht direkt (Beifall bei der LINKEN) zum Thema gehört. Dennoch werde ich es tun. Die Rentenwerte in Ost und West anzugleichen, ist ein Als ich vor etwa drei Wochen an dieser Stelle eine großer Erfolg. Aber es gibt keinen Grund, die Umrech- Kippa getragen habe, war das ein klares Bekenntnis für nung der Löhne bis 2025 abzuschaffen, wie Union und das friedliche Zusammenleben mit unseren jüdischen SPD das beschlossen haben; denn in Ostdeutschland Mitmenschen. Der fremdenfeindliche Anschlag in Halle schuften doppelt so viele Menschen im Niedriglohnsektor hat leider gezeigt, dass Antisemitismus und Fremdenhass wie in Westdeutschland. immer noch tiefe Wurzeln in Deutschland haben. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist die Lassen Sie mich bitte dem schon Gesagten noch etwas Wahrheit!) hinzufügen. Als Demokraten dürfen wir Fremdenfeind- Sie sagen, Frau Kolbe, mit der Umrechnung müsse lichkeit in Deutschland keinen Fußbreit Platz lassen. jetzt Schluss sein; denn sonst erhielte eine ostdeutsche Facharbeiterin mit 3 000 Euro Bruttolohn mehr Rente (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: als eine westdeutsche Fachkraft mit 3 000 Euro Brutto- Was hat das mit Fremdenfeindlichkeit zu tun?) lohn. Viele Menschen im Osten können von 3 000 Euro Judenhass muss durch Aufklärung und Sensibilisierung brutto nur träumen, meine Damen und Herren. in Deutschland noch konsequenter bekämpft werden. Strafen, meine Damen und Herren, reichen dazu nicht (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. aus. Ich habe dazu alle Ministerpräsidentinnen und Mi- Daniela Kolbe [SPD]) nisterpräsidenten angeschrieben und appelliere hier noch In Wirklichkeit erhält die ostdeutsche Fachkraft mit ei- einmal, dieses Thema bereits in den Grundschulen und nem vergleichbaren Beruf nur 2 490 Euro brutto und eben weiterführenden Schulen zum Pflichtinhalt zu machen nicht 3 000 Euro wie die westdeutsche Fachkraft. Das ist und auch den Religionsunterricht nicht ausfallen zu las- euer aller Rechenfehler. sen, wie das zum Beispiel in Thüringen gang und gäbe ist. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Daniela Kolbe [SPD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, wir sind jetzt aber bei der Rentendebatte. Meine Damen und Herren, solange das Lohnniveau in Ich möchte Sie daran erinnern. dem alten Bundesland mit dem niedrigsten durchschnitt- lichen Einkommen – das ist Schleswig-Holstein – noch Albert H. Weiler (CDU/CSU): (B) deutlich über dem neuen Bundesland mit dem höchsten (D) Durchschnittseinkommen liegt – das ist Sachsen –, so Ja, dazu komme ich gleich. – Mein Sohn hat viele Jahre lange brauchen wir noch die Umrechnung. Deswegen lang keinen Religionsunterricht bekommen. ist die Umrechnung völlig richtig. Ich bin überzeugt, dass wir eine Pflicht haben, die Kin- der in Deutschland über das Judentum aufzuklären, aber (Beifall bei der LINKEN) auch über das Christentum, das aus dem Judentum er- Die Umrechnung ist eben keine Höherwertung und wachsen ist. Ich hoffe sehr – damit will ich dann auch auch keine Hochwertung. Sie sorgt vielmehr dafür, dass zum Thema kommen –, jemand, der in Erfurt 45 Jahre lang Haare schneidet, am Ende eine vergleichbare Rente erhält wie jemand, der in Vizepräsidentin Claudia Roth: meiner Heimatstadt Köln 45 Jahre lang Haare geschnitten hat. Die Umrechnung ist ein hervorragendes Werkzeug; Ja, bitte. denn mit jedem Angleichungsschritt bei den Löhnen schmilzt sie ab. Sie löst sich von selbst auf, wenn Sie Albert H. Weiler (CDU/CSU): endlich Ihr Versprechen einhalten. Also: Sie muss so – dass wir uns gemeinsam dazu entschließen, uns dem lange erhalten bleiben, bis sich etwas ändert in Dresden Hass in unserem Land und überall in der Welt zu stellen. und im Eichsfeld. Am besten bald. Meine Damen und Herren, zum Thema. Seit vielen Herzlichen Dank. Jahren setze ich mich für diejenigen ein, die im Rahmen des Rentenüberleitungsgesetzes benachteiligt worden (Beifall bei der LINKEN) sind. Es war mir sehr wichtig, und es ist mir mit meinen Kollegen auch gelungen, für Betroffene in der Grund- Vizepräsidentin Claudia Roth: sicherung eine Härtefallfondslösung im Koalitionsver- Vielen Dank, Matthias W. Birkwald. – Nächster trag festzuhalten. Redner: für die CDU/CSU-Fraktion. Das ist an die AfD und an die Linken adressiert, die das (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt, glaube ich, bestreiten. Dieser Härtefallfonds ist auf dem Weg. Aktuell erar- Albert H. Weiler (CDU/CSU): beitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe konkrete Lö- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und sungsvorschläge, die noch in diesem Jahr vorgestellt wer- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tri- den sollen. Bereits in dieser Woche habe ich gemeinsam büne und vor den Bildschirmen! Ich danke Gott, dass ich mit meinen Kollegen Peter Weiß, Daniela Kolbe und Ralf Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14471

Albert H. Weiler (A) Kapschack mit Vertretern des runden Tisches zusammen- (Beifall bei der SPD – Peter Weiß [Emmendin- (C) gesessen und über Lösungsvorschläge diskutiert. Dabei gen] [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!) ist das herausgekommen, was hier von der Linken be- Die Rentenangleichung ist längst beschlossene Sache. stritten wird: Wir waren uns darin einig, dass die Aner- Sie ist 2017 beschlossen worden, auf Drängen der SPD, kennung der Lebensleistung das Ziel sein soll und dass aber gemeinsam in einer Koalition. Es ist auch kein Ge- wir in der Lage sein sollten, dies umzusetzen. heimnis, dass die SPD sich eine schnellere Angleichung Fest steht auch, dass sich die Bundesländer bei der gewünscht hätte. Wir hatten damals 2020 im Blick. Da- Ausgestaltung des Härtefallfonds finanziell beteiligen rauf haben wir uns nicht einigen können, aber die müssen. Damit nehme ich gerade auch die Landesregie- Rentenangleichung läuft, und die Rentnerinnen und rungen mit Beteiligung der Linken in die Pflicht, die an Rentner im Osten Deutschlands bekommen jedes Jahr dieser Stelle zeigen können, dass es ihnen tatsächlich um eine größere Rentenerhöhung als im Westen. Dafür hat das Wohl der Menschen geht und nicht um Sozialpopu- die SPD gemeinsam mit der Koalition gesorgt. lismus kurz vor der Thüringen-Wahl. Denn gerade Ihr Antrag ist ein bunter Mix allgemeiner sozialpolitischer (Beifall bei der SPD) Forderungen, die ohne Konzept und ohne Finanzierungs- Man kann zwar immer darüber lamentieren – so wie vorschläge aufgelistet werden und nichts anderes als re- die Linke das wieder getan hat –, was alles noch nicht alitätsferne Wahlversprechungen sind. gemacht worden ist, und mit einem Stapel von Konzepten und Papieren winken. Aber am Ende zählt ja die Realität. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 3,1 Mil- liarden! Das kann ich Ihnen einfach sagen! Aus (Zuruf von der LINKEN: Ja, eben!) Steuermitteln!) Für Sie will ich es mal mit Brecht sagen. Vielleicht Meine Damen und Herren, Ihr Plan ist so durchschau- verstehen Sie es dann. Von Brecht stammt der schöne bar, dass hoffentlich niemand darauf hereinfallen wird. Vers: Die vorliegenden Anträge der Linken und der AfD zei- gen, dass Links und Rechts sich nicht zu schade sind, Und weil der Mensch ein Mensch ist, rentenpolitische Fragen für eine Spaltung Deutschlands drum braucht er was zu essen, bitte sehr! auszunutzen. Hier sollen Jung gegen Alt und Ost gegen Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, West ausgespielt werden. Das riecht förmlich nach einer das schafft kein Essen her. Griechenland-Koalition von Links und Rechts, das heißt Genau so ist das auch bei der Rente, meine sehr geehrten einer Koalition zwischen AfD und Linken. Damen und Herren. (B) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) Weiler, Sie reden sich gerade um Kopf und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE Kragen!) LINKE]: Machen Sie doch!) Ich bin sehr gespannt auf Thüringen. Am Ende, Herr Birkwald, kommt es doch nicht darauf an, Meine Damen und Herren, bei diesem Spiel machen wer den schönsten, aber einen unrealistischen Antrag wir nicht mit. Wir wollen Verlässlichkeit. Der Härtefall- stellt. Am Ende kommt es darauf an, dass die fonds wird bereits ausgearbeitet, die Rentenangleichung Rentnerinnen und Rentner mehr im Portemonnaie haben, ist schon lange beschlossen, und deswegen lehnen wir und dafür haben SPD und Union gemeinsam gesorgt. Ihre Anträge ab. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Und wir arbeiten weiter an dem Thema. Denn jeder, der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sich mit der Rente beschäftigt, weiß: Es gibt Sorgen. Es Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Freuen gibt Menschen mit sehr niedrigen Renten. Es gibt Men- Sie sich, dass es Indemnität für Sie gibt!) schen in den neuen Bundesländern, die sich im Rentensystem ungerecht behandelt fühlen. Deshalb gibt es eine Arbeitsgruppe. Bundesminister Heil hat sich die- Vizepräsidentin Claudia Roth: ses Themas angenommen. Auch Frau Kolbe hat eben Vielen Dank, Kollege Weiler. – Nächster Redner: für schon etwas dazu gesagt. Es wird in Kürze Vorschläge die SPD-Fraktion Christoph Matschie. geben, wie wir mit diesen offenen Fragen umgehen, und (Beifall bei der SPD) dann können wir das inhaltlich diskutieren. Was mir und der SPD aber noch wichtiger ist, ist die Christoph Matschie (SPD): Tatsache, dass es sehr viele Menschen gibt, die nur über Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! sehr niedrige Renten verfügen. Das ist ein Problem, das Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem hier besonders im Osten Deutschlands auftritt, weil hier in den schon viele Argumente hin- und hergegangen sind, will 90er- und auch in den 2000er-Jahren die Löhne deutlich ich ein paar grundsätzliche Dinge sagen. Sowohl die Lin- niedriger waren, weil Menschen oft arbeitslos bzw. in ke als auch die AfD versuchen hier, den Eindruck zu er- Maßnahmen waren und deswegen nur niedrige wecken, als seien sie die beiden Parteien, die für die Rentenansprüche erworben haben. Deshalb ist es uns Renteneinheit in Deutschland sorgen. Das ist komplett wichtig, dass wir im Rentensystem diese niedrigen falsch, meine Damen und Herren. Renten aufwerten. Wir wollen die Grundrente, und zwar 14472 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Christoph Matschie (A) ohne Bedürftigkeitsprüfung. Ich bin sicher, wir werden Deshalb ist am Ende dieser Debatte zuerst festzustel- (C) bei der Grundrente gemeinsam etwas hinbekommen. len: Die Rentenüberleitung ist ein großer Erfolg für die Menschen in Ostdeutschland. Denn damit haben sie ne- (Beifall bei der SPD) ben der Freiheit, die sie mit der Wiedervereinigung er- Es geht nicht um Almosen, wenn wir keine Bedürftig- langt haben, auch eine verlässliche Rente bekommen, mit keitsprüfung wollen, sondern hier geht es um erworbene der sich die Rentnerinnen und Rentner mehr leisten kön- Rentenansprüche, die nur deshalb niedriger sind, weil die nen als mit früheren Ostmarkrenten, mit denen das per- Verdienste niedriger waren, und die aufgewertet werden sönliche Lebensgefühl möglicherweise nicht ganz so sollen. großartig untermauert werden konnte. Das ist ja der große Gewinn für die ältere Generation im Osten Deutschlands, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verehrte Damen und Herren. Ich hoffe, wir bekommen mit CDU und CSU am Ende (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine gemeinsame Regelung hin, von der möglichst viele Menschen profitieren. Ich verstehe bis heute nicht, werte Das Zweite ist, dass es bei der Rentenüberleitung da- Kolleginnen und Kollegen, warum Sie die Zahl derjeni- rum ging, Beitragsleistungen nach westdeutschem Recht gen, die davon profitieren können, so sehr eingrenzen zugrunde zu legen und entsprechend zu bewerten, statt wollen. Es sind Millionen von Rentnerinnen und nach irgendwelchen imaginären sonstigen Vorstellungen Rentnern, die diese Aufstockung, die Grundrente brau- oder Versprechungen vorzugehen, die auch im DDR- chen. Lassen Sie uns deshalb endlich einen vernünftigen Recht nicht mit Beitragsleistungen untermauert waren, Kompromiss machen, und zwar ohne Bedürftigkeitsprü- sondern die aufgrund bestimmter Vereinbarungen getrof- fung. fen worden sind. Das kann ja keine Grundlage für ein neues Rentenrecht sein. Das bedeutet letztendlich, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD – die Rentenüberleitung auch unter dem Gesichtspunkt der Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nie und gerichtlichen Überprüfung als rechtens anerkannt worden nimmer!) ist. Das reicht manchen vielleicht nicht aus; das kann ich zugestehen. Allerdings möchte ich durchaus sagen: Am Ende aber – damit komme ich zum Schluss – wer- Bevor es in Westdeutschland einen Rentenausgleich für den wahrscheinlich, wenn wir eine Lösung hinbekommen geschiedene Frauen gab, haben wir auch da nicht im haben, die Linken und vielleicht auch die AfD dann wie- Nachhinein ausgeglichen. Auch das muss man leider Got- der rufen: Das ist alles viel zu wenig! Das reicht nicht tes hier feststellen. aus! – Was mich dann aber interessiert, ist, dass viele Menschen mehr Geld im Portemonnaie haben, und das Ich muss feststellen: Wir haben in Ostdeutschland wie (B) (D) wird so sein. in Westdeutschland letztendlich die gleiche Ungerechtig- keit, und das kann man so nicht ausgleichen. Man muss es (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel vielleicht auch für das Rechtsempfinden der Menschen mehr?) entsprechend darstellen, dass es der Rechtsentwicklung Denn darum geht es: nicht besser reden, sondern besser mit geschuldet ist, wo sie sich positiv für die Betroffenen machen, Herr Kollege! ausgewirkt hat. Das sollte man hier natürlich auch aner- kennen. (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel mehr denn?) Ich bin aber schon über den Antrag der AfD überrascht, die sich bisher auf überhaupt keine Rentenpolitik einigen konnte. Die einen wollen nur noch ein Kapitalsystem, Vizepräsidentin Claudia Roth: andere wollen alles verstaatlicht haben. Sie sollten sich Vielen Dank, Christoph Matschie. – Der letzte Redner erst einmal Gedanken machen, was Sie in der in dieser sehr lebendigen Debatte: Max Straubinger für Rentenpolitik machen wollen. Deshalb ist all das, was die CDU/CSU-Fraktion. hier getätigt werden soll, völlig unzureichend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Letztes noch. Die Kollegen der SPD, der Herr Max Straubinger (CDU/CSU): Kapschack und der Herr Matschie, haben beide einer Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Grundrente, und zwar in höchstmöglicher Form, das Wort Wir bringen heute eine Debatte zum Abschluss, die wir geredet. Die Frau Kollegin Schimke hat dargestellt, dass ob der immerwährenden Anträge der Linkenfraktion je- die Renten in Ostdeutschland bei den Männern wie bei des Jahr oder vielleicht sogar jedes halbe Jahr wieder den Frauen durchschnittlich höher sind als die Renten in führen, jetzt gepaart und zusätzlich mit untermauert von Westdeutschland. der AfD-Fraktion. Da zeigt sich also: Links und rechts haben dahingehend die gleiche Qualität, zu urteilen bzw. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber die zu polemisieren und die Unzufriedenheit mancher Men- Alterseinkommen sind niedriger!) schen hier letztendlich als Politik darstellen zu wollen. Ihrer Meinung nach begründet das dann eine Grundrente, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Den ers- die besonders den Menschen im Osten eine Hilfestellung ten Satz meiner Rede haben Sie nicht mitbe- geben soll. Wie hoch soll denn dann hinterher die Grund- kommen!) rente sein? Das muss ich die Kollegen fragen. Ich muss Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14473

Max Straubinger (A) sagen: Sie wecken Erwartungen, die in keinster Weise 36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (C) erfüllbar sind. Das ist hier zu bemängeln. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. November 2018 Ich halte daran fest, was wir im Koalitionsvertrag hier- zwischen der Bundesrepublik Deutsch- zu niedergelegt haben, dass nämlich die Menschen, die land und der Ukraine über Soziale Sicher- 35 Jahre und mehr in die Rente eingezahlt haben, dann, heit wenn sie auf Grundsicherung angewiesen sind, 10 Prozent mehr erhalten sollen. Das ist unsere Vereinbarung. Diese Drucksache 19/13449 können wir morgen umsetzen. Dann wird auch die Le- Überweisungsvorschlag: bensleistung derer, die langjährig eingezahlt haben, be- Ausschuss für Arbeit und Soziales lohnt werden. Da bitte ich unseren Koalitionspartner, das sehr schnell zu erledigen. Dann haben wir auch diesen b) Erste Beratung des von der Bundesregierung Teil der Koalitionsvereinbarung umgesetzt. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ausbildung zur Anästhesietechnischen Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Assistentin und zum Anästhesietechni- schen Assistenten und über die Ausbil- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dung zur Operationstechnischen Assisten- tin und zum Operationstechnischen Vizepräsidentin Claudia Roth: Assistenten Vielen Dank, Max Straubinger. – Damit schließe ich Drucksache 19/13825 die Aussprache. Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Ausschuss für Gesundheit (f) fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung Drucksache 19/14117. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/ eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 10285 mit dem Titel „Renteneinheit herstellen – Ostren- Weiterentwicklung des Berufsbildes und ten umgehend an das Westniveau angleichen“. Wer der Ausbildung der pharmazeutisch-tech- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt nischen Assistentinnen und pharmazeu- dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung tisch-technischen Assistenten (PTA-Re- ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von formgesetz) (B) SPD, CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Dage- Drucksachen 19/13961, 19/14088 (D) gengestimmt hat die Fraktion Die Linke, und enthalten hat sich die Fraktion der AfD. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tion Die Linke auf Drucksache 19/7981 mit dem Titel Änderung des Übereinkommens über den „DDR-Renten bewilligen – Ostdeutsche Lebensleistun- internationalen Eisenbahnverkehr (CO- gen anerkennen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- TIF) vom 9. Mai 1980 in der Fassung des fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Änderungsprotokolls vom 3. Juni 1999 Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Drucksache 19/13962 Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt hat die Frak- Überweisungsvorschlag: tion Die Linke, und enthalten hat sich die Fraktion der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) AfD. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf e) Beratung des Antrags des Bundesministe- Drucksache 19/14073 an den Ausschuss für Arbeit und riums der Finanzen Soziales vorgeschlagen. Sind Sie mit diesem Überwei- Entlastung der Bundesregierung für das sungsvorschlag einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Haushaltsjahr 2018 verfahren wir so weiter. – Haushalts- und Vermögensrechnung des Ich bitte zwischendurch um Ihre Aufmerksamkeit, weil Bundes für das Haushaltsjahr 2018 – wir noch eine ganze Menge abzustimmen haben. Sie wol- len ja wissen, worüber Sie abstimmen; davon gehe ich Drucksache 19/11040 aus. Überweisungsvorschlag: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 k sowie Haushaltsausschuss Zusatzpunkte 4 a bis 4 i auf. Es handelt sich um Über- f) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. desregierung Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überweisun- Masterplan Stadtnatur – Maßnahmenpro- gen. Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 f sowie 36 h bis gramm der Bundesregierung für eine le- 36 k sowie Zusatzpunkte 4 a bis 4 i: bendige Stadt 14474 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Drucksache 19/11220 die Ausführung und die Finanzierung des (C) Gesamthaushaltsplans der Union im Jahr Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) 2020 im Zusammenhang mit dem Austritt Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Vereinigten Königreiches aus der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Union (Brexit EU-Haushalt Ausführungs- und Finanzierungsgesetz 2020 – Bre- h) Beratung des Antrags der Abgeordneten xitHHG 2020) Stephan Protschka, Franziska Gminder, Mariana Iris Harder-Kühnel, weiterer Abge- Drucksache 19/14021

ordneter und der Fraktion der AfD Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Landwirtschaftliche Familienbetriebe vor Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Folgen einer Änderung der Düngever- ordnung schützen b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Canan Bayram, Drucksache 19/14071 weiteren Abgeordneten und der Fraktion Überweisungsvorschlag: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Ver- i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul- ankerung eines Verfahrens zur Überprü- rich Oehme, Dietmar Friedhoff, Markus fung von Entscheidungen über den Ein- Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der satz der Bundeswehr im Ausland) Fraktion der AfD Deutschsprachige Publikationen von mi- Drucksache 19/14025 nisteriell mandatierten, politisch hand- Überweisungsvorschlag: lungsempfehlenden Institutionen der Ent- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie wicklungspolitik Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 19/14068 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung rich Oehme, Dietmar Friedhoff, Markus Frohnmaier, weiterer Abgeordneter und der j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fraktion der AfD (B) Beate Müller-Gemmeke, Katja Keul, Anja (D) Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Frak- Transparente Dokumentation deutscher tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklungspolitik Beschäftigte vor Mobbing am Arbeitsplatz Drucksache 19/14072 schützen Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/6128 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Stephan Thomae, Konstantin Kuhle, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Fraktion der FDP k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Dr. Bettina Hoffmann, Uwe Einbürgerung von im Nationalsozialismus Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Verfolgten und deren Nachfahren umfas- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN send und klar gesetzlich regeln Mängel in Pestizidzulassungsverfahren Drucksache 19/14063 beheben – Umwelt und Gesundheit wirk- Überweisungsvorschlag: sam schützen Ausschuss für Inneres und Heimat Drucksache 19/14090 e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pascal Kober, Michael Theurer, Grigorios Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Fraktion der FDP Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hartz IV entbürokratisieren – Bagatell- ZP 4 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der grenze einführen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Drucksache 19/14064 eines Gesetzes zur Erteilung der Zustim- mung nach § 8 des Integrationsverantwor- Überweisungsvorschlag: tungsgesetzes zum Vorschlag der Europä- Ausschuss für Arbeit und Soziales ischen Kommission für eine Verordnung f) Beratung des Antrags der Abgeordneten des Rates über Maßnahmen betreffend Cornelia Möhring, Doris Achelwilm, Simone Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14475

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Barrientos, weiterer Abgeordneter und der Steuergleichheit sicherstellen – BFH-Entschei- (C) Fraktion DIE LINKE dung zur sogenannten Urlaubssteuer schnell im Bundessteuerblatt veröffentlichen Umsatzsteuer auf Menstruationsprodukte absenken Drucksache 19/14070

Drucksache 19/10280 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Finanzausschuss (f) Federführung strittig Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Zimmermann, Susanne Ferschl, Matthias W. Fraktion der AfD an die in der Tagesordnung aufgeführ- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der ten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/ Fraktion DIE LINKE CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzaus- schuss, die Fraktion der AfD wünscht Federführung beim Pflegelöhne auf Tarifniveau sofort refi- Ausschuss für Tourismus. nanzieren Drucksache 19/14023 Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der AfD abstimmen: Federführung beim Aus- Überweisungsvorschlag: schuss für Tourismus. Wer stimmt für diesen Über- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Ausschuss für Gesundheit gen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen der AfD und Bünd- h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla nis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt haben die Fraktio- Jelpke, Heike Hänsel, Michel Brandt, weiter- nen der Linken, der SPD, der CDU/CSU und der FDP. er Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Für eine schnelle Aufnahme unbegleiteter Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen. Sie er- Flüchtlingskinder aus den EU-Hotspots in innern sich sicher: Federführung beim Finanzausschuss. Griechenland Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei- Drucksache 19/14024 sungsvorschlag ist angenommen. Zugestimmt haben die (B) (D) Überweisungsvorschlag: Fraktionen von der Linken, von SPD, Bündnis 90/Die Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Grünen, CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt hat die Auswärtiger Ausschuss AfD. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- i) Beratung des Antrags der Abgeordneten NEN] meldet sich zur Geschäftsordnung zu Agnieszka Brugger, Claudia Roth (Augs- Wort) burg), Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter Wir können nicht noch einmal abstimmen. Aber ich und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebe das Wort der Parlamentarischen Geschäftsführerin. NEN Sie können eine Erklärung zu Ihrem Abstimmungsfehl- Militäroffensive der Türkei in aller Schär- verhalten abgeben. fe als völkerrechtswidrig verurteilen und klare Konsequenzen ziehen Drucksache 19/14094 Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrte Frau Präsidentin! Vielen Dank für diese Ge- Überweisungsvorschlag: legenheit. Ich muss mich für meine Fraktion dafür ent- Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie schuldigen, dass uns im ersten Verfahren über die Feder- Verteidigungsausschuss führung ein Abstimmungsfehler unterlaufen ist und wir Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auch da schon für die Überweisung an den Finanzaus- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an schuss waren. – Vielen Dank, dass ich das richtigstellen die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu darf. überweisen. Sie sind mit diesen Überweisungsvorschlä- gen einverstanden? – Ja, dann verfahren wir so. (Dr. Roland Hartwig [AfD]: Wir haben uns schon gewundert!) Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkt 36 g: Vizepräsidentin Claudia Roth: Beratung des Antrags der Abgeordneten Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich rufe die Tagesord- Sebastian Münzenmaier, Christoph Neumann, nungspunkte 37 a bis 37 r sowie Zusatzpunkte 5 a bis 5 c Dr. Axel Gehrke, weiterer Abgeordneter und der auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla- Fraktion der AfD gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. 14476 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Tagesordnungspunkt 37 a: wieder vereinzelt Kolleginnen von der SPD und der Lin- (C) ken, die sich hingestellt haben. Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Die Abstimmungen sind ernst zu nehmen. Ich sage das Gesetzes zur Änderung des Telekommunika- nicht noch einmal. Ich rufe Sie sonst namentlich auf und tionsgesetzes sage, wie Sie abzustimmen haben, wenn Sie nicht regel- konform daran teilnehmen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Tagesordnungspunkte 37 c bis r. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Drucksachen 19/13441, 19/14115 Tagesordnungspunkt 37 c: Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14115, Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache ausschusses (2. Ausschuss) 19/13441 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Sammelübersicht 335 zu Petitionen setzentwurf zustimmen wollen, nun um das Handzei- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Drucksache 19/13557 Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, tungen? – Die Sammelübersicht 335 ist einstimmig ange- CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen. Dagegenge- nommen. stimmt haben die Fraktionen von AfD und Linken. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 37 d: Dritte Beratung Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sammelübersicht 336 zu Petitionen Wer stimmt dagegen? – Ich frage auch Sie dahinten, die Drucksache 19/13558 stehen. Dann muss ich das aufnehmen. Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 336 ist einstim- Grünen und FDP. Dagegengestimmt haben die Fraktio- mig angenommen. nen von der Linken und der AfD und einige Kolleginnen Tagesordnungspunkt 37 e: (B) und Kollegen, die es vorgezogen haben, stehen zu blei- (D) ben, anstatt sich zu setzen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 37 b: Sammelübersicht 337 zu Petitionen Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Drucksache 19/13559 über die Feststellung des Wirtschaftsplans des Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- ERP-Sondervermögens für das Jahr 2020 tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 337 ist einstim- (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2020) mig angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Tagesordnungspunkt 37 f: ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Drucksachen 19/13442, 19/14119 ausschusses (2. Ausschuss) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in Sammelübersicht 338 zu Petitionen seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14119, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Drucksache 19/13560 19/13442 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – hält sich? – Die Sammelübersicht 338 ist angenommen Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD, FDP und AfD, bei entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zu- Gegenstimmen der Linken und Enthaltung von Bünd- gestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die nis 90/Die Grünen. Linke, Bündnis 90/Die Grünen, FDP. Dagegengestimmt hat die Fraktion der AfD. Tagesordnungspunkt 37 g: Dritte Beratung Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Sammelübersicht 339 zu Petitionen Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Drucksache 19/13561 wurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- FDP. Dagegengestimmt hat die Fraktion der AfD und tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 339 ist angenom- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14477

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) men bei Zustimmung von den Fraktionen der Linken, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und bei (C) SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP und bei Gegenstimmen der AfD. Gegenstimmen der AfD. Tagesordnungspunkt 37 m: Tagesordnungspunkt 37 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 345 zu Petitionen Sammelübersicht 340 zu Petitionen Drucksache 19/13567 Drucksache 19/13562 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Sammelübersicht 345 ist angenommen hält sich? – Die Sammelübersicht 340 ist angenommen. bei Zustimmung der SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grü- Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU nen, CDU/CSU, bei Gegenstimmen von FDP- und der und FDP. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der AfD-Fraktion und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. AfD und der Linken, und enthalten hat sich Bündnis 90/ Tagesordnungspunkt 37 n: Die Grünen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Tagesordnungspunkt 37 i: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 346 zu Petitionen ausschusses (2. Ausschuss) Drucksache 19/13568 Sammelübersicht 341 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Drucksache 19/13563 tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 346 ist angenom- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- men bei Zustimmung von den Fraktionen der SPD, der tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 341 ist einstim- CDU/CSU, der FDP und der AfD, bei Gegenstimmen der mig angenommen. Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 37 j: Tagesordnungspunkt 37 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) (B) Sammelübersicht 342 zu Petitionen Sammelübersicht 347 zu Petitionen (D) Drucksache 19/13564 Drucksache 19/13569 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 342 ist angenom- hält sich? – Die Sammelübersicht ist angenommen bei men bei Zustimmung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Zustimmung der Fraktion Die Linke, der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und AfD und bei Gegenstimmen der SPD, CDU/CSU und der AfD-Fraktion, bei Gegenstim- Linken. men von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Tagesordnungspunkt 37 k: Tagesordnungspunkt 37 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 343 zu Petitionen Sammelübersicht 348 zu Petitionen Drucksache 19/13565 Drucksache 19/13570 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- hält sich? – Die Sammelübersicht 343 ist angenommen tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 348 ist angenom- bei Zustimmung von den Fraktionen der Linken, der men bei Zustimmung von SPD-, CDU/CSU- und AfD- SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD und Fraktion und bei Gegenstimmen von FDP, Bündnis 90/ bei Gegenstimmen der FDP. Die Grünen und den Linken. Tagesordnungspunkt 37 l: Tagesordnungspunkt 37 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 344 zu Petitionen Sammelübersicht 349 zu Petitionen Drucksache 19/13566 Drucksache 19/13571 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 344 ist angenom- tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 349 ist angenom- men bei Zustimmung der Fraktionen von der Linken, der men bei Zustimmung der Fraktionen von den Linken, der 14478 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) SPD, CDU/CSU und bei Gegenstimmen von den Fraktio- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, (C) nen der AfD, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen. um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- Tagesordnungspunkt 37 r: tung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt ausschusses (2. Ausschuss) hat die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich Bündnis 90/ Die Grünen. Sammelübersicht 350 zu Petitionen Ich bitte jetzt in der Drucksache 19/13572 dritten Beratung Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Keine. Die Sammelübersicht 350 ist angenom- und Schlussabstimmung diejenigen, die dem Gesetzent- men bei Zustimmung von SPD- und CDU/CSU-Fraktion wurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt und Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke, Bünd- dagegen? – Und wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist nis 90/Die Grünen, der FDP- und der AfD-Fraktion. angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt hat Zusatzpunkt 5 a: die Fraktion Die Linke. Enthalten hat sich Bündnis 90/ Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Die Grünen. von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 8. Juni Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- 2017 zur Änderung des Vertrags vom 29. Juni ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf 2000 über ein Europäisches Fahrzeug- und Drucksache 19/14147. Wer stimmt für diesen Entschlie- Führerscheininformationssystem (EUCARIS) ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Was macht die FDP? Die weiß nicht so recht. Drucksache 19/11468 (Zuruf von der FDP: Dagegen!) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Verkehr und digitale Infrastruktur – Gut. – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist (15. Ausschuss) abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt haben die Fraktionen von Drucksache 19/14104 SPD, CDU/CSU und FDP. Enthaltungen kamen von Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur den Fraktionen der AfD und der Linken. empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- (B) Zusatzpunkt 5 c: (D) che 19/14104, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/11468 anzunehmen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung und Land- Zweite Beratung wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Abgeordneten Renate Künast, Friedrich Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sehe ich keine. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben Die Wünsche der Verbraucherinnen und Ver- die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ braucher, Bauern und Bäuerinnen ernst neh- CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion men – Verpflichtendes Tierhaltungs- und Her- Die Linke. kunftskennzeichen einführen Zusatzpunkt 5 b: Drucksachen 19/13070, 19/13706 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- zur Änderung von Vorschriften über die au- che 19/13706, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die ßergerichtliche Streitbeilegung in Verbrau- Grünen auf Drucksache 19/13070 abzulehnen. Wer chersachen und zur Änderung weiterer Geset- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt ze dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung Drucksachen 19/10348, 19/10991 ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt haben die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken. ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Enthalten hat sich die Fraktion der AfD. schuss) So, durchatmen hier oben. Drucksache 19/14142 Ich rufe die Zusatzpunkte 6 a bis 6 f auf: Wahlen zu Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- Gremien. fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/ 14142, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zu- Drucksachen 19/10348 und 19/10991 in der Ausschuss- nächst zu zwei offenen Wahlen und einer geheimen Wahl, fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- jeweils mit Stimmkarte und Wahlausweis. Danach folgen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14479

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Wahlen mittels Handzeichen. Bitte nehmen Sie dafür Auf Drucksache 19/13016 schlägt die Fraktion der (C) nach der geheimen Wahl Ihre Plätze wieder ein. AfD die Abgeordneten Marcus Bühl und Wolfgang Wiehle vor. Sie können bei beiden Kandidaten entweder Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise. „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“ ankreuzen. Auch diese Sie benötigen jetzt drei Wahlausweise in den Farben Wahl findet offen statt; das heißt, es kann wieder am Platz Gelb, Blau und Rot. Die Abgabe des Wahlausweises dient gewählt werden. Denken Sie an die Abgabe Ihres blauen als Nachweis für die Beteiligung an der jeweiligen Wahl. Wahlausweises vor dem Einwurf der blauen Stimmkarte. Kontrollieren Sie bitte daher, ob die Wahlausweise auch Ihren Namen tragen. Das ist nicht ganz unwichtig. Die Ich frage: Sind die Urnen besetzt? – Dann eröffne ich Wahlen werden einzeln aufgerufen und durchgeführt. Die die zweite Wahl; Farbe Blau, Bundesschuldenwesenge- Stimmkarten für die offenen Wahlen in den Farben Gelb setz. und Blau wurden bereits ausgegeben. Wer noch keine Stimmkarte hat, kann diese jetzt noch von den Plenaras- Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle abgege- sistentinnen und Plenarassistenten erhalten. Gewählt ist ben? – Wer fehlt noch? Gibt es noch ein Problem? – Das jeweils, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des wird hier oben geklärt. Es ist jetzt zum zweiten Mal, dass Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens jemand nicht geguckt hat, ob der Name draufsteht. Ich 355 Stimmen erhält. Sie können zu jedem Kandidaten- bitte Sie, schon noch zu überprüfen, ob Sie unter Ihrem vorschlag entweder „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“ an- eigenen Namen abstimmen. Macht Sinn. Andersherum kreuzen. Wenn Sie bei einem Namen mehr als ein Kreuz macht es vielleicht Ärger, wenn herauskommt, dass es oder gar kein Kreuz machen oder andere Namen als die nicht Ihrer war. der vorgeschlagenen Kandidaten oder Zusätze eintragen, ist – logisch – diese Stimme ungültig. Ich schließe die Wahl. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Wir kommen nun zur ersten offenen Wahl; daher rufe ich Zusatzpunkt 6 a auf: Zusatzpunkt 6 c: Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushalts- Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums ordnung gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- nismusgesetzes Drucksache 19/13015 Drucksache 19/13017 (B) Für die nun folgende Wahl brauchen Sie die gelbe (D) Stimmkarte und Ihren gelben Wahlausweis. Wir wählen jetzt ein ordentliches Mitglied sowie ein Auf Drucksache 19/13015 schlägt die Fraktion der stellvertretendes Mitglied. Auf Drucksache 19/13017 AfD die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann schlägt die Fraktion der AfD als Mitglied den Abgeord- vor. neten Albrecht Glaser und als stellvertretendes Mitglied den Abgeordneten Volker Münz vor. Diese Wahl findet offen statt. Die Stimmkarte können Sie also an Ihrem Platz ankreuzen. Bitte geben Sie an der Ich bitte um Aufmerksamkeit für ergänzende Hinweise Urne zuerst Ihren gelben Wahlausweis ab, bevor Sie Ihre zum Wahlverfahren. Für diese Wahl benötigen Sie Ihren gelbe Stimmkarte einwerfen. roten Wahlausweis. Weiterhin benötigen Sie eine rote Stimmkarte sowie einen Wahlumschlag. Diese Unterla- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die gen erhalten Sie von den Schriftführerinnen und vorgesehenen Plätze einzunehmen, und frage, ob die Plät- Schriftführern an den Ausgabetischen vor den Wahlkabi- ze an den Urnen besetzt sind. – Das ist der Fall. Dann nen. Zeigen Sie bitte dort Ihren roten Wahlausweis vor. eröffne ich die erste Gremienwahl; Farbe Gelb, Ver- Sie können bei beiden Kandidaten „ja“, „nein“ oder „ent- trauensgremium. halte mich“ ankreuzen. Haben alle Kolleginnen und Kollegen gewählt, inklu- sive der Schriftführerinnen und Schriftführer? – Dann Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihre Stimm- schließe ich die Wahl. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen karte nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die später bekannt gegeben.1) Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Um- schlag legen. Ich weise explizit darauf hin, weil es schon Zusatzpunkt 6 b: passiert ist – nicht nur einmal –, dass das Fotografieren Wahlvorschlag der Fraktion der AfD oder Filmen der ausgefüllten Stimmkarte einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis darstellt und die Ordnung und Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß Würde des Hauses verletzt und entsprechend sanktioniert § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes wird. Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind ver- pflichtet, diejenigen, die ihre Stimmkarte außerhalb der Drucksache 19/13016 Wahlkabine kennzeichnen oder in den Umschlag legen, Für die Wahl der Mitglieder benötigen Sie nun eine zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in diesem Fall blaue Stimmkarte und Ihren blauen Wahlausweis. jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.

1) Ergebnis Seite 14491 D 2) Ergebnis Seite 14491 D 14480 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, CSU-Fraktion. Der Wahlvorschlag ist dennoch abge- (C) die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die lehnt. dritte Wahl; Wahlausweis Farbe Rot, Sondergremium. Zusatzpunkt 6 f: Ich bin von meinem Kollegen Vizepräsidenten darauf Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, hingewiesen worden, dass ich mich noch einmal klarer SPD, AfD und FDP ausdrücken sollte. Ich habe gesagt: Es ist gegen die Ord- nung und Würde des Hauses, wenn bei einer solchen Wahl der Mitglieder des Kuratoriums der Stif- Wahl fotografiert oder gefilmt wird. Ich habe weiter ge- tung „Deutsches Historisches Museum“ sagt: Wenn es herauskommt, wird sanktioniert. Das Drucksachen 19/14040, 19/14041, 19/14042 heißt – ich will das ganz deutlich machen –, ich behalte mir empfindliche Ordnungsmaßnahmen vor. Nur, dass Wir kommen zunächst zu den Wahlvorschlägen der das jeder weiß. Fraktionen CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/ 14040. Wer stimmt dafür? – Das sind CDU/CSU, Grüne, SPD, FDP und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Ent- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: haltungen? – Bei Enthaltung der AfD-Fraktion sind die Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf jetzt fragen: Wahlvorschläge angenommen. Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte abge- geben? – Ich bitte auch die Schriftführerinnen und Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Schriftführer, dies zu tun. – Gut. Ich schließe die Wahl auf Drucksache 19/14041. Wer stimmt dafür? – Die AfD. und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Fraktionen. Enthal- Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis werde ich Ihnen tungen? – Es gibt eine Reihe von Enthaltungen aus den später bekannt geben.1) Reihen der CDU/CSU-Fraktion. Der Wahlvorschlag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zu den Wahlen mittels Handzeichen. Wenn Sie bitte alle Platz nehmen würden, damit wir einen Wir kommen zum Wahlvorschlag der Fraktion der FDP Überblick über das Abstimmungsverhalten haben. auf Drucksache 19/14042. Wer stimmt dafür? – Linke, SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Zusatzpunkt 6 d: Einige Abgeordnete der AfD-Fraktion. Enthaltungen? – Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Wiederum einige Kolleginnen und Kollegen aus der AfD- Fraktion. Der Wahlvorschlag ist damit angenommen. Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: (B) Europas“ a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (D) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Drucksache 19/13018 Einführung einer Nachunternehmerhaftung Hier liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der AfD auf in der Kurier-, Express- und Paketbranche Drucksache 19/13018 vor. Wer stimmt für diesen Wahl- zum Schutz der Beschäftigten (Paketboten- vorschlag der AfD? – Das ist die AfD. Wer stimmt dage- Schutz-Gesetz) gen? – Das sind alle übrigen Fraktionen des Hauses. Ent- Drucksachen 19/13958, 19/14089 haltungen? – Keine. Der Wahlvorschlag ist damit abgelehnt. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Dr. Roland Hartwig [AfD]: Es gibt Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Enthaltungen bei der CDU!) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten – Entschuldigung! Also noch einmal zurück. Darf ich Beate Müller-Gemmeke, Katharina Dröge, noch einmal nach Enthaltungen fragen? – Es gibt eine Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und Reihe von Enthaltungen in der CDU/CSU-Fraktion. Den- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch ist der Wahlvorschlag der AfD abgelehnt. Arbeitsbedingungen in der Paket- und Lo- Zusatzpunkt 6 e: gistikbranche verbessern und Nachunter- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD nehmerhaftung einführen Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der Drucksache 19/13390 „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Drucksache 19/13019 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktion der AfD c) Beratung des Antrags der Abgeordneten auf Drucksache 19/13019 vor. Wer stimmt dafür? – Das Pascal Meiser, Susanne Ferschl, Matthias ist die AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle übrigen W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Es gibt wieder der Fraktion DIE LINKE eine Reihe von Enthaltungen in den Reihen der CDU/ Paketboten wirksam schützen – Qualität der Paketzustellung verbessern und Pa- 1) Ergebnis Seite 14491 D ketbranche umfassend regulieren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14481

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Drucksache 19/14022 auftragnehmer überlegen, wen sie sich als Subunterneh- (C) mer aussuchen, da sie im Zweifelsfall für die Sozialver- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) sicherungsbeiträge ihrer Subunternehmer einstehen Ausschuss für Wirtschaft und Energie müssen, wenn die nicht eintreibbar sind. Und das hat Interfraktionell sind 38 Minuten vereinbart. – Es gibt Folgen für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. keinen Widerspruch. Meine Damen und Herren, wir reden über Menschen, Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Bundesmi- die jeden Tag hart arbeiten, die Pakete schleppen, die sich nister Hubertus Heil. – Herr Minister, Sie haben das Wort. anstrengen und die anständige Löhne, Arbeitsbedingun- gen und den sozialen Schutz unserer Gesellschaft ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dient haben. Da werden wir Recht und Gesetz durchset- der CDU/CSU) zen. Das ist der Ansatz dieser Bundesregierung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- les: Dieses Gesetz wird helfen, so wie es inzwischen im Bau- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- bereich hilft; das sagen die Bauindustrie, das Bauhand- ren! Ich weiß nicht, ob Sie das schon einmal erlebt haben – werk, die IG Bau sowieso. Wir haben diesen Ansatz seit ich glaube, das geht vielen Menschen so –: Ich kam im einigen Jahren auch in der fleischverarbeitenden Indust- Februar ganz unverhofft in die Situation, dass ich auch rie, und auch in diesem Bereich werden wir es durchset- einmal Homeoffice machen durfte. Ehrlich gesagt, war es zen. eine Situation, die viele kennen, die kleine Kinder haben: Ich weiß, dass das Recht das eine ist. Dafür, es durch- Meine Tochter war krank und konnte nicht in die Kita; sie zusetzen, braucht es aber noch etwas anderes. Dieses hatte Fieber. Ich habe dann erlebt, dass Homeoffice nicht Gesetz passt zu dem Gesetz zur Schwarzarbeitsbekämp- so romantisch ist, wie es in einigen Diskussionen im po- fung, das mein Kollege, der Bundesfinanzminister Olaf litischen Raum manchmal erscheint. Wir hatten auf der Scholz, auf den Weg gebracht hat. Wir brauchen nämlich anderen Seite viele Telefonate und Akten zu bearbeiten, auch die entsprechenden Kontrollen und die Mittel für die wie das halt so ist. Ich gebe zu, ich war ein bisschen Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll. Wir brauchen gestresst. Noch etwas mehr gestresst war ich aber, weil auch das entsprechende Personal. Die Durchsetzung von ich – wir wohnen in einem großen Haus – dann wie viele Recht und Gesetz ist das, was wir erreichen wollen. Menschen erlebte, dass gefühlt einmal die Stunde die Türglocke ging und jemand ein Paket abgeben wollte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das war an dem Tag eine ganze Menge. (B) der CDU/CSU) (D) Ich will damit Folgendes sagen: Ich habe erst später Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie- eine Zahl gelesen, die verdeutlicht, wie diese Branche in ßend sagen: Meine Bitte ist, das Gesetz, das wir heute den letzten Jahren boomt. Im Bereich von Paketzustell-, einbringen, im parlamentarischen Verfahren gründlich, Express- und Kurierdiensten sind im vergangenen Jahr in aber auch zügig zu beraten, damit es zum anstehenden diesem Land mit über 80 Millionen Einwohnern sage und Weihnachtsgeschäft schon gilt. In etwa zehn Wochen ist schreibe 3,5 Milliarden Sendungen auf den Weg gebracht Weihnachten, und wir wissen, dass das Paketaufkommen worden. Die Branche boomt vor allen Dingen infolge des nun zunimmt. Wir müssen den Beschäftigten in Deutsch- Onlinehandels, weil viele Menschen im Internet bestel- land deutlich machen, dass wir Ausbeutung nicht zulas- len; das ist bequem. Aber es ist in der Regel nicht so, dass sen. Auch im Zeitalter des Onlinehandels und der Digita- die Pakete dann von Flugdrohnen in die Häuser gebracht lisierung darf niemand Digitalisierung in Deutschland mit werden, sondern von Paketboten. Und weil viele große Ausbeutung verwechseln. Daher sorgen wir auch mit die- Paketbringdienste das mit ihrem Personal nicht mehr be- sem Gesetz dafür, dass Recht und Ordnung am Arbeits- wältigen, sind sie dazu übergegangen, Subunternehmer markt gelten. zu beauftragen. Das, meine Damen und Herren, ist an sich nicht schlimm. Schlimm ist aber, dass diese Kon- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. struktion von Sub-Sub-Subunternehmern missbraucht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wird, um Arbeitnehmerrechte in Deutschland auszuhe- beln und Sozialversicherungsbeiträge zu hinterziehen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das werden wir nicht länger zulassen. Vielen Dank, Herr Minister. – Der nächste Redner für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die AfD-Fraktion: Der Kollege Jürgen Pohl. der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (Beifall bei der AfD) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb haben wir über die Ergebnisse der Kontrollen, Jürgen Pohl (AfD): über die uns der Zoll informiert hat, in der Koalition be- Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Damen und raten und entschieden, dass wir das Prinzip der General- Herren auf den Rängen und Zuhause! Der Minister hat unternehmerhaftung auch auf die Paketzustell-, Express- es schon gesagt: Kaum eine Branche ist in den letzten und Kurierbranche beziehen werden. Das ist ein probates Jahren so rasant gewachsen wie die Kurierbranche, eine Mittel. Es hat sich bewährt – wie seit vielen Jahren in der Branche, die unter extremem Konkurrenzdruck steht. In Bauindustrie –, weil es dazu verhilft, dass sich General- dieser Branche sind Leiharbeit, Werkverträge sowie 14482 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Jürgen Pohl (A) Scheinselbstständigkeit an der Tagesordnung. Und wa- Weihnachten herum. Heute ist das normaler brutaler All- (C) rum? Weil die Damen und Herren von den Sozialdemo- tag für diese unterbezahlten Arbeitnehmer. kraten, der ehemaligen Arbeiterpartei unter Schröder, überhaupt erst den Grundstein dafür gelegt haben, näm- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) lich mit der Agenda 2010. Diese Agenda war das Funda- Das ist Ausdruck eines krassen Missverhältnisses zwi- ment für den Niedergang der sozialen Marktwirtschaft in schen Kundenrechten und Arbeitnehmerpflichten. der Paketbranche. (Abg. Christian Dürr [FDP] meldet sich zu (Beifall bei Abgeordneten der AfD) einer Zwischenfrage) Ein viel zu niedriger Mindestlohn und prekäre Be- Aber jetzt, wo uns die ganze Sache um die Ohren fliegt, schäftigungsverhältnisse sind hier an der Tagesordnung, wird schnell ein Gesetz gestrickt, um den kleinen Mann verursacht durch eine neoliberale Wirtschaftspolitik, ruhig zu stellen. Wir brauchen kein neues schlechtes Gesetz, wir brauchen mehr Kontrolle. (Christian Dürr [FDP]: Oh ja, genau!) bei der der Mensch auf der Strecke geblieben ist. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Christian Dürr [FDP]: Unfassbar! Da kommen Herr Kollege. das Sozialistische und das Nationale zusam- men!) Jürgen Pohl (AfD): Eine Zwischenfrage möchte ich auch nicht. Danke. – – Ach hören Sie doch auf mit Sozialismus! Der Mensch Mit diesem Gesetz wird nämlich nichts an den Löhnen steht im Mittelpunkt und nicht das Paket, mein Herr. Es ist geändert. Es führt nur dazu, dass die Menschen mit Ar- doch die Frage, wo wir stehen wollen. mutslohn später eine Armutsrente bekommen. Diese Menschen, diese Zusteller werden im Rentenalter noch (Christian Dürr [FDP]: Was ist das für eine Pakete zustellen müssen, weil sie in Armut sind und, dämliche Aussage! Wie peinlich ist das denn?) wenn die FDP etwas zu sagen hat, in Armut bleiben wer- Wenn alles ständig verfügbar sein soll zu einem Preis, den. der anständige Löhne von Anfang an ausschließt, wenn kostenlose Lieferungen und Retouren eingeplant sind, (Beifall bei der AfD) wie soll dann eine vernünftige Kalkulation möglich sein, Dieses Gesetz wird nichts richten. Wir müssen das in der angemessene Löhne berücksichtigt werden? Das Übel an der Wurzel packen. Wir müssen überlegen, ob müssen Sie klären! die Marktmacht der in diesem Bereich vorhandenen Ge- (B) (D) neralauftraggeber tatsächlich so bestehen bleiben kann. (Christian Dürr [FDP]: Sie müssen mal Ihr Was hier beschlossen werden soll, ist ein zahnloser Pa- Verhältnis zur Marktwirtschaft klären!) piertiger ohne effektive Kontrolle. Erst werden hehre Ab- Diese kostenlosen Retouren sind nur möglich, wenn der sichten verkündet, um diese Absichten dann durch die volle Kostendruck bis nach unten, an den Zusteller durch- Hintertür wieder aufzuheben. gereicht wird. Das ist eine Wirtschaftskultur, die Leistun- Sie wollen ein Beispiel haben? Das Beispiel gebe ich gen zum Nulltarif anbietet. Dies führt unweigerlich zu Ihnen: Der Auftraggeber soll dafür Sorge tragen, dass die einer Unternehmenskultur, in der der kleine Mann nichts SV-Beiträge abgeführt werden. Das ist gut gemeint, Herr mehr Wert ist. Sie sind keine Partei für den kleinen Mann. Minister Heil. Das Problem ist aber: Wenn ich mich durch Wir als AfD, als neue Volkspartei stehen dafür ein. Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheini- (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: Ist gung exkulpieren kann, bleibt alles beim Alten, dann pas- klar! Die AfD ist ja sozialistischer als die siert gar nichts. Diejenigen, die für solche Verhältnisse Linkspartei! – Zurufe von der SPD) verantwortlich sind und Geld verdienen, die müssen in der Verantwortung stehen. Wenn wir uns die Angelegenheit ansehen, dann stellen wir fest, dass das letztlich mit der Abschaffung des Post- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) monopols anfing, was zur Folge hatte, dass Firmen wie Bisher ist das reine Flickschusterei. Das Gesetz würde die PIN AG vor Einführung des Mindestlohns die lediglich den Niedriglohn, der in diesem Bereich bezahlt Briefzusteller für knapp unter 8 Euro auf die Straße wird, legalisieren. Humane Arbeitsverhältnisse in einer schickten. sozialen Marktwirtschaft sehen für uns in der AfD anders aus. Was hier beschlossen werden soll, ist das finanzielle (Christian Dürr [FDP]: Herr Gauland, ist das Aus der kleinen Paketboten zugunsten von Amazon und die Meinung der AfD?) Zalando. Das soll so wohl nicht sein. Danach kamen mit der Einführung der Arbeitnehmerfrei- Dankeschön. zügigkeit Kolonnen von Ausländern und Drittstaatlern in die EU, die ihre Fachkenntnisse für einen kümmerlichen (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Lohn anbieten. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Alles wirr!) Wenn bei mir – das ist tatsächlich passiert – am Sams- tagabend um halb neun noch der Paketbote klingelt, dann Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ist das krank. Früher gab es solche Hektik um Punktlandung, sehr gut. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14483

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Trotzdem (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Weiß (C) wirr!) [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die nächste Rednerin: die Kollegin Gisela Manderla, Soziale Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn CDU/CSU-Fraktion. alle am Wertschöpfungsprozess Beteiligten auch den ihnen zustehenden Anteil erhalten. Neben dem Lohnan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) spruch gehören dazu in Deutschland auch die Sozialver- Wenn jetzt alle ihre Redezeit einhalten, schaffen wir es sicherungspflicht und die damit verbundenen Leistungs- vielleicht doch, die Sitzung vor 5.15 Uhr zu beenden. ansprüche von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Genau aus diesem Grund gibt es schon jetzt in allen Bran- Gisela Manderla (CDU/CSU): chen zur Absicherung des Mindestlohnanspruchs eine Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegen Haftung des Auftraggebers, der einen Subunternehmer und Kolleginnen! Ich werde versuchen, die Redezeit ein- beauftragt. Deshalb haften bereits nach geltendem Recht zuhalten. – Mit dem Gesetz zur Einführung einer Nach- Paketdienstleister, die Pakete von Subunternehmern zu- unternehmerhaftung in der Kurier-, Express- und Paket- stellen lassen, gegenüber den Arbeitnehmern der Subun- branche wollen wir Missstände beheben, die sich in den ternehmer für möglicherweise nicht erfüllte Mindestloh- vergangenen Jahren in diesem Bereich aufgrund der star- nansprüche. ken Wachstumszahlen ergeben haben. Meine Damen und Hier und heute reden wir über die Frage, ob wir eine Herren, wir haben es uns mit diesem Gesetzentwurf nicht solche Generalunternehmerhaftung auch für ausstehende leicht gemacht; denn es betrifft viele Beteiligte, viele Sozialversicherungsbeiträge in der Paketbranche einfüh- Akteure in der Branche. ren wollen. Wie schon gesagt wurde: Vergleichbare Re- Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat auf gelungen gibt es in der Fleischwirtschaft und der Bau- Initiative von Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef branche. Lassen Sie mich hier eines klarstellen: Wir Laumann bereits 2018 die Arbeitsschutzaktion „Fairer reden hier nicht über ein neues Rechtsinstitut, sondern Versandhandel“ auf den Weg gebracht. Wir als CDU ha- über eine Regelung, die beim Anspruch auf Mindestlohn ben diese Missstände schon seit längerer Zeit im Blick geltendes Recht ist und die es in Bezug auf Sozialver- und frühzeitig gehandelt, liebe Kollegen und Kollegin- sicherungsbeiträge bereits in zwei Branchen gibt. In der nen. Baubranche hat sich dieses Instrument wirklich bewährt. Es ist allerdings unabdingbar, dass der Zoll deutlich (Beifall bei der CDU/CSU) verstärkte Kontrollen durchführt. Deshalb ist es wichtig, Die Umsätze im deutschen Onlinehandel haben sich in dass wir den Zoll personell deutlich aufgestockt haben (B) den letzten zehn Jahren mehr als vervierfacht. Minister und damit die Möglichkeiten zur Kontrolle sehr stark ver- (D) Heil hat es schon gesagt: Im vergangenen Jahr gab es bessert haben. 3,5 Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen. Das sind 5 Prozent mehr als 2017. Vom zunehmenden Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzent- Onlinehandel profitieren viele Branchen. Auch der sta- wurf ist, glaube ich, rundum eine gute Sache. Ich hoffe tionäre Einzelhandel ergänzt seine Angebote teilweise in auf gute Beratungen und auf Ihre Zustimmung. Richtung Versandhandel, um wettbewerbsfähig zu blei- Vielen Dank. ben. In den vergangenen Jahren aber hat sich gezeigt, dass es auch zahlreiche Menschen gibt, die zwar an dieser (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei positiven Entwicklung durch ihre Arbeitskraft mitwirken, Abgeordneten der SPD) aber nicht in gleichem Maße von ihr profitieren. Mehr noch, einige Beschäftigte in der Branche leiden unter Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: diesem Wachstum. Manche Paketdienste haben einen Teil Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner: Carl- ihrer Aufträge an Subunternehmer abgegeben, wo es in Julius Cronenberg, FDP-Fraktion. Teilen – ich betone: in Teilen – der Branche zu deutlichen Verstößen gegen das Arbeitszeit- und das Mindestlohn- (Beifall bei der FDP) gesetz sowie zu Sozialleistungs- und Sozialversiche- rungsbetrug kam. Das ist in einer sozialen Marktwirt- Carl-Julius Cronenberg (FDP): schaft so nicht hinnehmbar, liebe Kollegen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spä- Kolleginnen. testens mit der Schwerpunktkontrolle des Zolls im Feb- ruar hat sich bestätigt, was wir schon lange befürchtet (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei haben. Es wurden zahlreiche Missstände aufgedeckt, Abgeordneten der LINKEN) Missstände, die gegen geltendes Recht verstoßen; das Eine bundesweite Razzia des Zolls am 8. Februar 2019 wurde von den Vorrednern bereits angesprochen. Es hat gezeigt, dass jedes sechste überprüfte Beschäfti- kam zu Verstößen gegen das Mindestlohngesetz und das gungsverhältnis tendenziell als kritisch einzustufen ist. Arbeitszeitgesetz, zu Sozialversicherungsbetrug, Ich möchte einmal Papst Leo XIII zitieren, der in seiner Schwarzarbeit usw. usf. großen Sozialenzyklika „Rerum novarum“ aus dem Jahr 1891 schreibt: Herr Heil, Sie haben bereits im März diesen Missstän- den den Kampf angesagt. Das war gut und richtig so. Nun, Dem Arbeiter den ihm gebührenden Verdienst vor- nach einem halben Jahr, schlagen Sie dem Haus ein neues zuenthalten, ist eine Sünde, die zum Himmel schreit. Gesetz vor. Ich hätte mir gewünscht – ich denke, die 14484 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Carl-Julius Cronenberg (A) Bürgerinnen und Bürger erwarten das auch zu Recht –, halten, in Haftung nimmt, der stellt doch sich und seiner (C) dass der Staat zunächst alles daransetzt, die Gesetze, die Politik am Ende ein Armutszeugnis aus, der kapituliert wir haben, durchzusetzen, bevor er neue schreibt. vor denen, die er vorgibt bekämpfen zu wollen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Sven Lehmann [BÜND- Der vorliegende Entwurf beschränkt sich keinesfalls NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben ja nichts zu auf den kritischen Bereich der Paketzustellung. Vielmehr befürchten!) adressieren Sie im Gesetzestext ausdrücklich alle Unter- Da sind die Grünen und die Linken konsequenter, die mit nehmen im Speditions-, Logistik- und Transportgewerbe. massiven Einschränkungen der Vertragsfreiheit und auch Unbestritten, auf der letzten Meile herrschen mitunter der Tarifautonomie die gesamte Branche an planwirt- inakzeptable Zustände. Das rechtfertigt aber nicht, dass schaftliche Ketten legen wollen. Das ist nicht unser Pro- Sie eine ganze Branche mit über 600 000 Beschäftigten gramm. unter Generalverdacht stellen, sozusagen in toto in Sip- penhaft nehmen. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn?) (Beifall bei der FDP) Eine kurze Schlussbemerkung kann ich Ihnen, Herr Damit treffen Sie auch Tausende von redlichen Spedi- Minister, nicht ersparen. Sie haben sich sieben Monate tionsunternehmen, die Tag für Tag die komplexen Liefer- Zeit gelassen, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dem Par- ketten unserer Wirtschaft mit Waren versorgen. lament werden jedoch nur drei Tage Zeit gelassen, die Sachverständigenanhörung auszuwerten und die Ergeb- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das nisse dann im Ausschuss und im Plenum zu debattieren. machen wir zugunsten der Ehrlichen!) Ein respektvoller Umgang mit dem Parlament sieht für Der Geltungsbereich ist entweder unscharf oder zu weit mich anders aus. Da müssen sich Bürgerinnen und Bürger gefasst. Beides ist unzulässig. doch fragen, ob es der Bundesregierung am Ende mehr um die Beruhigung der politischen Großwetterlage geht (Beifall bei der FDP) als um die gute Absicht, Paketboten zu schützen. Die Branche funktioniert übrigens seit über 100 Jahren hochgradig arbeitsteilig. Jeder Transport wird vom Spe- (Beifall bei der FDP) diteur organisiert und vom Frachtführer gefahren. Jedes Branchenunternehmen entscheidet selbst, welchen Teil Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: des Jobs es selbst übernimmt und welchen Teil es Ver- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege (B) tragspartnern übergibt. Diese Arbeitsteilung ergibt Tag Pascal Meiser. (D) für Tag Millionen von einzelnen Vertragsverhältnissen. Das ist, wie gesagt, im Handelsgesetzbuch seit über (Beifall bei der LINKEN) 100 Jahren so angelegt. Es drängt sich so ein bisschen der Verdacht auf, dass sich das Arbeitsministerium mit Pascal Meiser (DIE LINKE): den normalen Abläufen der Branche nicht so richtig be- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das schäftigt hat. Für mich jedenfalls sieht Zielgenauigkeit Geschäft mit der Auslieferung von Paketen boomt, und anders aus. das nicht nur in Weihnachtszeiten. Doch bei den Beschäf- (Beifall bei der FDP) tigten, den Paketbotinnen und Paketboten, kommt von diesem Boom kaum etwas an. Mehr noch – wir haben Das Ministerium schlägt das Instrument der Nachun- es schon gehört –: Viele von denen, die Tag für Tag un- ternehmerhaftung vor. Wozu führt das? Zigtausende ehr- zählige Pakete bis an die Haustüren schleppen, werden liche Unternehmen werden Unbedenklichkeitsbescheini- auch noch schamlos ausgebeutet, häufig zulasten ihrer gungen beantragen und verwalten müssen. Diejenigen, Gesundheit. Ich finde, das ist ein unhaltbarer Zustand. die teils mit krimineller Energie zu Missbrauch anstiften oder ihn selbst betreiben, schicken die Paketboten in die (Beifall bei der LINKEN) Selbstständigkeit. Auch massive Verstöße gegen geltendes Arbeits- und (Christian Dürr [FDP]: Richtig!) Sozialrecht sind inzwischen umfangreich dokumentiert. Selbst das „Handelsblatt“ bezeichnete die Paketbranche Hat der Bote mehrere Auftraggeber, treffen nicht einmal als „Hort der Gesetzlosen“. Wer selbst einmal mit Be- die Kriterien der Scheinselbstständigkeit zu, und Paket- troffenen geredet hat, weiß, dass diese Zustände System boten und Behörden und wir alle schauen weiter in die haben. Gezielt lagern große Paketdienstleister die Paket- Röhre. Die Ehrlichen werden mit mehr Bürokratie belas- zustellung an Subunternehmen, ja an ganze Subunterneh- tet. Die Übeltäter treiben Zusteller in prekäre Selbststän- merketten aus, die sich teilweise über halb Europa erstre- digkeit. So setzt man Fehlanreize. Das können Sie nicht cken. Hermes und GLS arbeiten sogar fast ausschließlich ernsthaft wollen. mit Subunternehmen. Systematisch befreien sie sich so von jeglicher sozialer Verantwortung für ihre Paketboten (Beifall bei der FDP) und von der Verantwortung für die Einhaltung geltenden Wer nicht in der Lage ist, gute Gesetze durchzusetzen, Arbeits- und Sozialrechts, natürlich wohl wissend, wel- wer am Ende die Unternehmen einer ganzen Branche, die che Schweinereien bei ihren Subunternehmern so laufen, sich mit überwältigender Mehrheit an Recht und Gesetz um Kosten und Löhne zu drücken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14485

Pascal Meiser (A) Genau weil das alles System hat, liebe Kolleginnen und unternehmen anmelden und Pakete ausliefern kann. Die (C) Kollegen, ist es in der Tat ein längst überfälliger Schritt, Erlaubnis zur Auslieferung von Paketen muss, wie es bei die großen Paketunternehmen in die Pflicht zu nehmen der Briefpost der Fall ist, an das Vorliegen einer qualifi- und dafür haften zu lassen, wenn ihre Subunternehmer zierten Lizenz gekoppelt werden, keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) so wie es übrigens auch die Gewerkschaft Verdi fordert. Wir als Linke haben dazu in unserem Antrag umfassende Der dazu vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregie- Vorschläge gemacht. Wenn Sie im weiteren Gesetzge- rung enthält allerdings völlig überflüssigerweise erheb- bungsprozess noch ein wenig bei uns abschreiben wol- liche Schlupflöcher. Nehmen Sie die Haftungsausschlüs- len – nur zu! Die Kundinnen und Kunden würden es se für Subunternehmer, die in der Vergangenheit Ihnen danken und die Paketbotinnen und Paketboten so- ordnungsgemäß Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wieso. haben. Diese Ausschlüsse öffnen doch Tür und Tor für Missbrauch. Oder nehmen Sie die Dokumentation der Vielen Dank. geleisteten Arbeitszeit. Für etwaige Kontrollen ist sie un- verzichtbar. Aber anders als zum Beispiel in den Regel- (Beifall bei der LINKEN) ungen für die Fleischbranche, die schon erwähnt wurden, an deren Vorbild sich Ihr Entwurf auch sonst orientiert, ist Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: hierzu für die Paketbranche nichts vorgesehen, und das, Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin obwohl dies selbst der Bundesrat in seiner Stellungnahme Beate Müller-Gemmeke. ausdrücklich fordert. Ich sage Ihnen: Arbeitszeiten müssen endlich verläss- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich dokumentiert werden. Nur so können die bestehen- den Regelungen in der Praxis kontrolliert werden, Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Mi- und nur so können unbezahlte Mehrarbeit und Lohnraub nister! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! In verhindert und bestehende Ansprüche vor Gesetz durch- Deutschland werden jedes Jahr – es wurde schon gesagt – gesetzt werden. weit mehr als 3 Milliarden Pakete zugestellt. Über die (B) Wie erklären Sie den Paketbotinnen und Paketboten Pakete wissen die Unternehmen alles: wann sie tatsäch- (D) eigentlich, dass das Gesetz bis Ende 2025 zeitlich befris- lich zugestellt werden, wo sie sich gerade befinden. Wie tet werden soll – eine Befristung, die bekanntlich im Re- viele Zustellerinnen und Zusteller unter ihrem Firmen- ferentenentwurf des Arbeitsministeriums so noch aus- logo unterwegs sind, das wissen viele Paketdienste aber drücklich abgelehnt wurde? Glauben Sie etwa ernsthaft, nicht; denn nur zwei große Unternehmen arbeiten in der die Probleme der Branche hätten sich in fünf Jahren erle- Paketzustellung noch mit eigenen Beschäftigten. Die an- digt? Das ist doch absurd. deren setzen auf Subunternehmen, und was daraus ent- steht, ist bekannt: Scheinselbstständigkeit, Leiharbeit, (Beifall bei der LINKEN) Arbeit auf Abruf, teilweise katastrophale Arbeitsbedin- gungen, Lohndumping. Der harte Wettbewerb in dieser Klar ist zudem: Damit die Nachunternehmerhaftung Branche geht voll und ganz zulasten der Beschäftigten, tatsächlich greift, braucht es ein engmaschiges Kontroll- und damit muss Schluss sein. netz und ausreichend Personal bei den zuständigen Be- hörden. Deshalb sorgen Sie endlich für ausreichend Per- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sonal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit! Das, was und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten bisher geplant ist, reicht doch hinten und vorne nicht aus. der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Deshalb begrüßen auch wir ausdrücklich die Nachun- Aber auch die bestgemachte Nachunternehmerhaftung ternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge. Wir wird für sich genommen nur ein Tropfen auf dem heißen fordern das schon lange; denn die großen Paketunterneh- Stein bleiben; denn die unterschlagenen Sozialversiche- men müssen Verantwortung übernehmen. Die Nachunter- rungsbeiträge sind nur die Spitze des Eisbergs an Proble- nehmerhaftung ist für uns aber nur ein erster kleiner men in der Branche. Diese Probleme baden nicht nur die Schritt in die richtige Richtung, und deshalb fordern wir Paketbotinnen und Paketboten aus. Fehlerhafte Zustel- heute mit einem eigenen Antrag noch weitere konkrete lungen und verlorengegangene Sendungen sind vielerorts Maßnahmen. an der Tagesordnung und zeigen, wie sich die Qualität der Zustellungen für die Kundinnen und Kunden in den letz- Erstens. Die Nachunternehmerhaftung funktioniert nur ten Jahren verschlechtert hat. mit flächendeckenden Kontrollen, und das muss besser laufen als in der Fleischbranche. Kaum gab es in der Ich sage Ihnen: Das Problem in der Branche ist inzwi- Fleischbranche die Nachunternehmerhaftung, haben sich schen so groß, dass es einer umfassenden Regulierung der die Kontrollen dort halbiert. Damit ist das Gesetz ins Paketbranche bedarf. Dazu gehört auch, dafür zu sorgen, Leere gelaufen, und das darf sich bei der Paketbranche dass nicht jeder einfach so mir nichts, dir nichts ein Paket- auf gar keinen Fall wiederholen. 14486 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Beate Müller-Gemmeke (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) und bei der LINKEN) Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Die Kontrollen müssen verstärkt werden. Dazu braucht Uwe Schummer. die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht nur Planstellen, (Beifall bei der CDU/CSU) vielmehr müssen die Stellen endlich auch besetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Uwe Schummer (CDU/CSU): sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Zweitens. Die Arbeitszeit muss lückenlos dokumen- Ich hatte die Freude, noch vor dieser Debatte mit Karl- tiert werden, und zwar an dem Tag, an dem gearbeitet Josef Laumann – Herr Kollege Cronenberg, Gruß aus wird, und nicht erst sieben Tage später. Wenn jede Paket- Nordrhein-Westfalen! – zu telefonieren. Es gibt eine Ini- bewegung in Echtzeit nachvollzogen werden kann, dann tiative des Landes NRW für den Bundesrat, mit der im wird doch auch die Dokumentation der Arbeitszeit kein Grunde das, was hier diskutiert wird, die Generalunter- Problem sein. Diese lückenlose Dokumentation ist not- nehmerhaftung, massiv unterstützt wird und sogar noch wendig; denn nur so sind die Kontrollen auch tatsächlich weiter ausformuliert wird. Da wäre es hilfreich, wenn die effektiv. FDP in Berlin nicht so redet und in Düsseldorf völlig anders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Christian Dürr [FDP]: Tun wir doch gar nicht!) Drittens. Ganz wichtig: Die Beschäftigten brauchen Da müssen Sie sich schon ein bisschen einigen. Da ist, mehr Unterstützung. Bei der Nachunternehmerhaftung glaube ich, die Position für die Generalunternehmerhaf- geht es ja nur um die Sozialversicherungsbeiträge. Den tung ziemlich eindeutig. nichtbezahlten Lohn müssen die Beschäftigten weiterhin individuell einklagen, und das ist ein steiniger Weg. Des- Ich erinnere mich noch an eine interessante Talkshow halb fordern wir einen kollektiven Rechtsschutz, ein Ver- bei Plasberg. Da waren der Herr Heil und auch der ge- bandsklagerecht; denn wir dürfen die Menschen nicht schätzte Kollege Lambsdorff. Auf die Frage, was denn da alleinlassen. zu tun ist, antwortete der Kollege Lambsdorff: Wir Libe- ralen sind für Wettbewerb, und weil wir für Wettbewerb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind, wollen wir die Akzeptanz, und deshalb ist es richtig, und bei der LINKEN) solche Instrumente zu nutzen. (B) Wir haben noch drei weitere Forderungen – die kann Ich denke, dass wir miteinander Vertreter der sozialen (D) ich nur ganz kurz in Stichworten ansprechen –: Die Ent- Marktwirtschaft sind. Ich habe noch erlebt, wie die Post- senderichtlinie muss endlich umgesetzt werden, damit reform 1989 durchgeführt wurde, in meiner Funktion da- Tarifverträge mit ganzen Entgeltgittern allgemeinver- mals im CDA-Bundesvorstand. Das Geschäftsmodell bindlich erklärt werden können und dann auch für Sub- dieser Postreform, der Dreiteilung damals, war nicht unternehmen aus dem Ausland gelten. Scheinselbststän- Wildwest, das Geschäftsmodell war soziale Marktwirt- digkeit muss konsequent verhindert werden. Und wir schaft, in der der Staat eine Funktion hat: Er ist Anwalt brauchen Equal Pay in der Leiharbeit, und zwar ab dem der Schwachen, er ist Hüter des Gemeinwohls, und er ist ersten Tag. Schiedsrichter im Wettbewerb. Wenn im Wettbewerb et- was schiefläuft, dann hat der Staat sich entsprechend ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusetzen. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Bei verschiedenen Kontrollen, beispielsweise in Nord- rhein-Westfalen, hat man festgestellt, dass 48 Prozent der Das ist alles notwendig; denn das eigentliche Problem kontrollierten Fahrer von Subunternehmen vier und mehr ist doch viel größer. Das Problem ist, dass verantwor- Verstöße hatten. Sobald ein Verstoß vorhanden ist, ist tungsvolle Unternehmen mit eigenen Belegschaften im offenkundig die Seriosität des Subunternehmens nicht Nachteil sind, weil die anderen an Subunternehmerketten so, dass alles andere glatt läuft. Deshalb ist die Koordina- geben und damit die Preise drücken, und zwar auf Kosten tion von verschiedenen Kontrollen wichtig. Bei einer der Beschäftigten. Das müssen wir ändern. Hier ist die Razzia in Hamburg hat man festgestellt, dass bei über Nachunternehmerhaftung, wie gesagt, ein erster Schritt – 60 Prozent der kontrollierten Mitarbeiter von Subunter- dem werden wir auch zustimmen –, aber es müssen wei- nehmen im Paketzustelldienst ein Verdacht auf illegale tere Maßnahmen folgen. Das Ziel muss sein, dass Paket- Beschäftigung und Sozialbetrug besteht. Bei Razzien in dienste wieder eigene, bei ihnen angestellte Zustel- Thüringen hat man festgestellt, und zwar bei Subunter- lerinnen und Zusteller beschäftigen, und zwar nehmen, die für den Götterboten arbeiten, dass mit Mit- sozialversicherungspflichtig und, liebe FDP, natürlich arbeitern aus Moldawien gearbeitet wurde, die mit rumä- auch tariflich bezahlt. nischen Pässen, über mafiöse Strukturen gefälscht, ins Vielen Dank. Land gekommen sind. Es gibt eine Anzeige von einem Unternehmen in russischer Sprache für Osteuropa, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Paketdienstleister, -zubringer anzuwerben: mit polni- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schem Visum, Erwerbstätigkeit in Deutschland. – Das der SPD) ist eine Form von Schleuserei. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14487

Uwe Schummer (A) Wenn wir feststellen, dass der mittlere Bruttolohn bei wir damit einen fairen Wettbewerb auf den Weg bringen (C) den Paketzustellern in den letzten zehn Jahren um 15 Pro- wollen. zent gesunken ist, während bei anderen im Wirtschafts- bereich dieser mittlere Bruttolohn um 24 Prozent gestie- Die Kontrollen des Zolls haben es gezeigt: Der Min- gen ist, dann ist offenkundig Gefahr im Verzug, und da ist destlohn wird unterschritten. Zahlreiche Fälle von illega- der Staat im Sinne der sozialen Marktwirtschaft gefor- ler Beschäftigung gibt es. Die Sozialbeiträge werden dert. nicht gezahlt. – Diese ganze Branche hat ein dickes Prob- lem. Einige Paketdienste arbeiten fast ausschließlich mit Von daher sehen wir das Instrument, die Generalunter- Subunternehmern. Aktuell diktieren die Generalunter- nehmerhaftung, als ein richtiges an. Auch der Bundesver- nehmer mit Dumpingpreisen die Bedingungen für die band der Kurier-Express-Post-Dienste mit 750 mittel- Nachunternehmer, und denen bleibt oft nichts anderes ständischen Unternehmen, die dort organisiert sind, übrig, wenn sie die Aufträge erhalten wollen, als das in unterstützt uns in dieser Frage. Form schlechter Arbeits- und Sozialbedingungen weiter- zugeben. Da werden und da dürfen wir nicht länger zu- Soziale Marktwirtschaft ist nicht die Schutzmacht von schauen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Täuschern und Tricksern. Wir wollen die Einzelnen, die täuschen und tricksen, erwischen, und wir wollen den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wettbewerb wieder anständig organisieren, damit die Ak- der CDU/CSU und der LINKEN) zeptanz, wie das Herr Lambsdorff sehr richtig gesagt hat, Kollege Cronenberg, ich schätze Sie sehr, aber nach in der Bevölkerung wieder steigt. Man kann die Arbeit dem, was Sie heute hier gesagt haben delegieren – das ist unsere Botschaft –, aber nicht die Verantwortung für anständige und faire Arbeitsverhält- (Christian Dürr [FDP]: War goldrichtig!) nisse. – Sie sprachen von Generalverdacht und Sippenhaft –, Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart: „Sozialbe- (Christian Dürr [FDP]: Na klar!) trug und Sozialdumping darf es auf unseren Straßen nicht geben.“ Wir brauchen klare Regelungen der Haftung ent- sollten Sie noch einmal nachlesen. Wir werden die Spreu lang der Logistikkette. – Und das machen wir. vom Weizen trennen; denn die seriösen Unternehmer sind diejenigen, die wir stärken, die wir schützen wollen. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei sind diejenigen, die ordentlich arbeiten. Die können sich Abgeordneten der SPD) dadurch, dass sie seriöse Subunternehmer beauftragen – jetzt sind wir schon im Detail: Präqualifizierung, Unbe- (B) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: denklichkeitsbescheinigung –, von viel Bürokratie entlas- (D) Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die SPD-Frak- ten, und das ist auch gut so. Deswegen ist das das genaue tion der Kollege Bernd Rützel. Gegenteil von Generalverdacht, und es ist das Gegenteil von Sippenhaft. (Beifall bei der SPD) Wir wollen die schwarzen Schafe in dieser Branche erreichen. Das werden wir. Wir werden die Paketboten Bernd Rützel (SPD): schützen. Wir werden für fairen Wettbewerb sorgen. Wir Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und werden den Sozialbetrug – niemand will, dass es den Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In gut zwei gibt – einschränken und abschaffen. Wir müssen das Monaten ist Weihnachten. Ganz besonders viele Men- schnell tun, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn ruck- schen bestellen im Internet ganz viele Geschenke, und zuck ist wieder Weihnachten. Das kommt immer über- noch viel mehr Menschen müssen dann unterwegs sein, raschend. Die Paketbotinnen und -boten sollen in diesem nämlich 500 000 jeden Tag, um diese Pakete zu uns an die Jahr auf ein gutes Weihnachtsfest blicken können. Des- Haustür zu bringen. Im ganzen Jahr sind sonst ungefähr wegen machen wir das. 250 000 Menschen jeden Tag unterwegs. Diese Branche brummt. Sie ist richtig explodiert. Keiner weiß mehr, wie Vielen Dank. man die 3,5 Milliarden Pakete – das sind 46 Pakete für (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU sowie bei jeden Einzelnen, vom Baby bis zum Opa –, die pro Jahr Abgeordneten der LINKEN) im Durchschnitt unterwegs sind, an die Frau und an den Mann bringt. Dieser Druck wird oft an die Subunterneh- mer weitergegeben. Es herrscht ein gnadenloser Druck in Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dieser Branche. Die Subunternehmer, die da umhersausen Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist und im Februar wohl auch an der Haustür unseres Ar- der Kollege Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion. beitsministers geklingelt haben – ein Homeoffice ist im- (Beifall bei der CDU/CSU) mer etwas Gutes; das kommt dann dabei heraus –, haben im wahrsten Sinne des Wortes ihr Päckchen zu tragen. Stephan Stracke (CDU/CSU): Wir haben das erfolgreich schon in der Baubranche und Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- in der Fleischwirtschaft gemacht; das ist heute angeklun- ren! Als Union stehen wir für Fairness am Arbeitsmarkt gen. Wir werden die Nachunternehmerhaftung auch in und das Funktionieren der Sozialsysteme. Soziale Markt- der Paketbranche einführen, weil wir die Paketboten wirtschaft bedeutet fairen Wettbewerb und faire Arbeit. schützen, weil wir für Beitragsehrlichkeit sorgen und weil Einen Wildwuchs auf dem Arbeitsmarkt lehnen wir ab. 14488 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Stephan Stracke (A) Wir wollen keinen Wettbewerb um die billigsten Hände. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Wir wollen keinen Wettbewerb auf dem Rücken der Ar- Vielen Dank, Kollege Stracke. – Ich schließe die Aus- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern wir wollen sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. einen, der auf guten Arbeitsbedingungen beruht und na- türlich auch die gesetzlichen Regelungen einhält. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/13958, 19/14089, 19/13390 und Wichtigstes Mittel und Instrument des Staates, diese 19/14022 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Regeln sicherzustellen, sind Kontrollen. Gerade in Bran- schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – chen, in denen Arbeitnehmerrechte unter Druck geraten, Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. setzen wir auf mehr und intensive Kontrollen. Dafür ist Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zuständig. Wir verset- zen sie in die Lage, dass sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Beratung des Antrags der Abgeordneten Deshalb haben wir im Sommer einen deutlichen Perso- Reinhard Houben, Dr. h. c. Thomas Sattelberger, nalaufwuchs mit einer mittelfristigen Verdopplung der Michael Theurer, weiterer Abgeordneter und der Stellen auf 13 500 beschlossen. Eine personell gut ausge- Fraktion der FDP stattete Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist zentral, um ge- gen Lohndumping und Missbrauch vorzugehen. Smart Germany – Deutschland als Leitmarkt für Industrie 4.0 etablieren Meine sehr verehrten Damen und Herren, Anfang Feb- Drucksache 19/14030 ruar 2019 hat eine bundesweite Schwerpunktprüfung der Finanzkontrolle in der Kurier-, Express- und Paketbran- Überweisungsvorschlag: che stattgefunden. Die Auffälligkeiten bei den Prüfungen Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss Digitale Agenda hat das Bundesarbeitsministerium als so gewichtig an- gesehen, dass es bei der Nachunternehmerhaftung eine Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten Neubewertung vorgenommen hat. So hat die Parlamenta- vereinbart. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann machen rische Staatssekretärin Anne Kramme aus dem Bundes- wir das so. arbeitsministerium auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Dezember schriftlich erklärt – ich zitiere –: Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Reinhard Houben, FDP-Fraktion. Die Effekte einer etwaigen Einführung einer Gene- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ralunternehmerhaftung in der Paketbranche auch für (B) Sozialversicherungsbeiträge lassen sich nicht prog- (D) nostizieren. Reinhard Houben (FDP): Herr Präsident! Deutschlands Industrie ist in der Re- Bundesarbeitsminister Heil hat diese Bewertung keine zession. Das ist der eindeutige Befund der Gemein- drei Monate später kassiert. Er hat nun den Vorschlag der schaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute von Ausdehnung der Nachunternehmerhaftung auf die So- Anfang Oktober. Die industrielle Produktion verläuft be- zialversicherungsbeiträge für die Paketzustellung unter- reits seit gut anderthalb Jahren nicht gut. Der Auftrags- breitet. Diese Nachunternehmerhaftung ist im Bereich eingang ist dramatisch eingebrochen; dennoch handelt der Bauwirtschaft unbestritten und trägt mit dazu bei, die Bundesregierung nicht. Die mittelstands- und wett- dass schwarze Schafe aus dem Markt geworfen werden. bewerbsfeindliche Industriestrategie 2030 ist das Einzige, Das war das zentrale Motiv, warum wir als Union gesagt was Wirtschaftsminister Peter Altmaier für die deutsche haben: Wir übertragen diesen Gedanken auch auf die Industrie bislang zustande gebracht hat. Mittlerweile hat Fleischwirtschaft; auch hier sind die Ergebnisse gut. aber die Unionsfraktion die Strategie kassiert. Das Miss- trauen gegenüber dem eigenen Parteifreund scheint sehr Nun kommt eine Haftungsregelung auch für die Paket- groß zu sein. Trotz dieser Nachhilfe: Für den Minister zustellung, allerdings mit einem gesetzlichen Verfallda- schafft es die Koalition nicht, Maßnahmen für die Indust- tum versehen. Innerhalb von sechs Jahren wollen wir rie umzusetzen. Peter Altmaier kann es offensichtlich prüfen, ob das neue Instrument tatsächlich einen wirksa- nicht, die Unionsfraktion darf es nicht, und die SPD men Beitrag für mehr Fairness auf dem Arbeitsmarkt für möchte es nicht. Paketboten bietet. Die Nachunternehmerhaftung ist für uns Teil eines Gesamtkompromisses, auch mit Blick auf (Beifall bei der FDP) die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier durch- Diese Passivität der Koalition gefährdet die Zukunft gesetzte erhebliche Bürokratieentlastung für die Wirt- der deutschen Industrie. Wir sind der festen Überzeu- schaft, insbesondere für kleine und mittelständische Un- gung, dass wir jetzt die deutsche Industrie dabei unter- ternehmen. Das zeigt: Bürokratieentlastung und fairer stützen müssen, auch in Zukunft weltweit spitze zu sein. Wettbewerb sind uns wichtig, damit unternehmerisches Das geht aber nicht durch Eingriffe in den Wettbewerb Handeln gelingen kann, es erfolgreich bleibt und Arbeit- oder die Subventionierung spezifischer Projekte. Wir nehmerrechte gesichert bleiben. Deshalb beschreiten wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass die deutsche Indust- diesen Weg. rie auch nach der vierten industriellen Revolution vorne- weg geht, statt hinterherzulaufen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Rützel [SPD]) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14489

Reinhard Houben (A) Industrie 4.0 ist kein Zukunftskonzept mehr, sondern (Beifall bei der FDP) (C) an vielen Stellen bereits Realität. (Christian Dürr [FDP]: Genau!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Der Nächste ist Kollege Axel Knoerig, CDU/CSU- Die intelligente Vernetzung von Maschinen und Prozes- Fraktion. sen birgt unglaubliche Chancen für die Industrie, um Ent- wicklung, Produktion, Vertrieb, Nutzung und Wartung zu (Beifall bei der CDU/CSU) optimieren, aber auch zu flexibilisieren. Axel Knoerig (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Es ist noch nicht entschieden, meine Damen und Herren, Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die welche Unternehmen und Volkswirtschaften am Ende am FDP hat in dieser Woche gleich drei Anträge zum Thema meisten profitieren werden. Unser Antrag zeigt die ent- Smart Germany vorgelegt. Dieser Antrag hier hat das scheidenden Maßnahmen auf, die ergriffen werden müs- Ziel, Deutschland als Leitmarkt für Industrie 4.0 zu etab- sen, damit die deutsche Industrie in Zukunft erfolgreich lieren. Ja, meine Damen und Herren: Die Grundlagen ist. dafür haben wir doch schon längst gelegt. Bereits 2011 haben wir, CDU/CSU und FDP, als Zukunftsprojekt im Vielen von Ihnen wird OPC UA nichts sagen. Das ist Rahmen der Hightech-Strategie im Grunde genommen auch nicht weiter schlimm. Aber das ist ein offener die Plattform Industrie 4.0 beschlossen. Seitdem haben Schnittstellenstandard, der Maschinen befähigt, ihre Pro- wir – mit Blick zur SPD – vielfältige Maßnahmen ge- duktion digital zu vernetzen, unabhängig, von welchem troffen, die die Digitalisierung unterstützen. Im Mittel- Hersteller die Maschinen stammen. Er hilft, die Entwick- punkt steht dabei die Plattform Industrie 4.0, ein bundes- lung der Industrie 4.0 deutlich zu beschleunigen. Dieser weites Netzwerk aus Wirtschaft, Wissenschaft, Standard wurde maßgeblich in Deutschland entwickelt. Gewerkschaften und Politik. Diese gibt Handlungsemp- Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Standard weltweit fehlungen und Impulse, damit Industrie 4.0 auf breiter gilt, damit deutsche Unternehmen weiterhin weltweit Basis in den Unternehmungen angewandt wird. Dazu ge- führend sein können. hört natürlich auch die Vernetzung auf internationaler Ebene mit Partnern und Unternehmen. (Beifall bei der FDP) Das alles kommt doch dem Mittelstand zugute; denn Industrieunternehmen arbeiten bei der Entwicklung digitale Produktionsverfahren bieten gerade den kleinen der Standards international zusammen; Kooperationen und mittleren Unternehmen große Chancen. (B) fehlt aber häufig die nötige Rechtssicherheit. Unterneh- (D) men geraten so in den Konflikt mit Wettbewerbs- oder (Beifall bei der CDU/CSU) Kartellrecht. Daher brauchen wir Klarheit durch eine eu- Viele von ihnen waren bislang noch zu zögerlich bei der ropäische Gruppenfreistellungsverordnung für die Zu- Einführung digitaler Prozesse. Eine neue Umfrage des sammenarbeit. Auch das heutige Haftungsrecht kann Digitalverbands Bitkom zeigt aber: Drei von vier Unter- mit der Digitalisierung nicht mithalten. Wir brauchen nehmen sehen sich inzwischen auf dem Weg in die In- ein neues KI-Haftungsrecht, das Industrie anzieht und dustrie 4.0. Das haben wir auch auf der Hannover-Messe den Markt nicht belastet, im April gesehen. Wenn ich „wir“ sage, meine ich unse- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ren Ausschuss, den Wirtschaftsausschuss. Wir waren am Stand der Plattform Industrie 4.0; auch die FDP war mit aber Geschädigte angemessen kompensiert. – Jetzt dürft dabei. Da haben die Firmen deutlich gemacht, wie gut wir ihr klatschen. bei Industrie 4.0 aufgestellt sind. (Beifall bei der FDP) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, wir müs- Mir ist auch klar, dass gleich wieder kritisiert wird, sen nicht, wie Sie es fordern, mehr „passende Rahmen- dass wir für eine Flexibilisierung im Arbeitsrecht streiten. bedingungen dafür … schaffen, dass Deutschland vom Wer aber glaubt, mit dem Arbeitsrecht des 20. Jahrhun- digitalen Wandel der Industrie langfristig profitiert“. derts die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lösen Das haben wir bereits. zu können, verbaut die Chancen für mehr Beschäftigung (Zurufe von der FDP) und Wohlstand. Dadurch haben wir enorme Fortschritte gemacht – mit (Beifall bei der FDP) smarten Fabriken, Cloud-Computing, neuen Geschäfts- Die Regelungen für Arbeits- und Ruhezeiten müssen modellen und Dienstleistungen. Das bestätigen auch die flexibilisiert sein. Wir sagen andererseits aber auch klar: aktuellen Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums: Eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit wollen wir aus- 40 Milliarden Euro wollen die Unternehmen jährlich bis drücklich nicht. Wir wollen, dass die Industrie in 2020 in die Industrie 4.0 investieren. Das beschert unserer Deutschland in der Lage ist, weltweite Innovationen vo- Wirtschaft ein zusätzliches Wachstum in Höhe von ranzutreiben und davon zu profitieren. Technischen Re- 153 Milliarden Euro. volutionen begegnet man dadurch, dass man ihre Chan- (Beifall bei der CDU/CSU) cen begreift und nutzt, statt sich vor ihnen zu verstecken. Meine Damen und Herren, die Treiber der Digitalisie- Vielen Dank. rung sind vor allem klassische Wirtschaftsbranchen: die 14490 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Axel Knoerig (A) Maschinen- und Anlagenindustrie, die Elektroindustrie, auch eine neue Führungskultur. Das ist entsprechend zu (C) die chemische Industrie und die Gesundheitswirtschaft. überdenken. So ist Deutschland weiter die Nummer eins bei Fabrik- ausstattung und Produktionstechnik. Wie sichern wir die Meine Damen und Herren, um Deutschland eine Spit- Leitmärkte? Das ist doch die zentrale Frage. Und: Wie zenposition auf den Leitmärkten zu sichern, brauchen wir können wir diese noch weiter ausbauen? Diese grundle- aber vor allem eins – das ist Unternehmergeist. Hier hat genden Fragen zum Großen und Ganzen stellt die FDP die FDP recht mit ihrer Forderung – ich will sie heute ja gar nicht erst. Stattdessen geht ihr Antrag direkt ins Klein- nicht nur schelten; das ist durchweg ein positiver Punkt –, gedruckte und listet unzählige Details auf. dass Wirtschaft als Unterrichtsfach verbessert werden sollte. Wir müssen junge Menschen schon in der Schule, Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Federfüh- in der Ausbildung und im Studium für das Unternehmer- rung für Industrie 4.0 auch in der neu ausgerichteten tun begeistern. Hightech-Strategie 2025. Wir fördern die Leitmärkte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei von Industrie 4.0 auf umfassende Weise: Auf der Ange- Abgeordneten der FDP) botsseite unterstützen wir die Leitbranchen über die so- genannte öffentliche Beschaffung, etwa indem wir Fuhr- Ich habe gerade an einer Universität in Kanada gese- parks von Behörden mit Elektrofahrzeugen ausstatten. hen, wie Selbstständigkeit das Studienziel sein kann – Außerdem verbessern wir den Marktzugang durch Inves- und nicht das Ausfüllen von Bewerbungsbögen. Auch titionsförderung und staatlich geförderte Marketingstra- die Digitalisierung braucht, wie jede große Innovations- tegien. Auf der Nachfrageseite stärken wir die Leitmärkte welle, tatkräftige selbstständige Unternehmer. Wir müs- über die Programm- und Projektförderung. Und in Ko- sen daher an einer neuen Gründerkultur arbeiten, damit operation mit dem Bundesforschungsministerium werden junge Leute Freude an Unternehmensgründungen haben. neue Produktionstechnologien und Werkstoffinnovatio- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen gefördert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, was mich Abgeordneten der SPD) besonders irritiert an Ihrem Antrag, ist die Forderung unter Punkt 7 a. Sie wollen die Novelle der Außenwirt- schaftsverordnung von Dezember 2018 rückgängig ma- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: chen. Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion der Kollege Tino Chrupalla. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Da habe ich (B) mich auch gewundert!) (Beifall bei der AfD) (D) Damit schaden Sie aber doch vor allem dem Mittelstand. Tino Chrupalla (AfD): Ziel der Novelle war es ja, Direktinvestitionen ausländ- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und ischer Geldgeber in deutsche Firmen besser zu kontrol- Herren! Liebe Landsleute! Der Antrag der FDP fordert lieren; denn chinesische Konglomerate sind hier als Ein- die Bundesregierung dazu auf, die Chancen der Digitali- zelfirmen aufgetreten, um in großem Stil Unternehmen sierung zu ergreifen, um Deutschlands Führungsrolle im aufzukaufen. Dem haben wir, denke ich, zu Recht einen Bereich Industrie 4.0 zu sichern. Deutschland soll „Smart Riegel vorgeschoben, indem wir die Investitionsprüfung Germany“ werden. Die deutsche Industrie ist aktuell mit transparenter gemacht haben. 22,7 Prozent an der deutschen Bruttowertschöpfung be- teiligt. Bevor wir sie auf ganz neue Füße stellen, hätte ich (Beifall bei der CDU/CSU) allerdings gern noch ein paar Fragen dazu gestellt. Investoren müssen jetzt ihre Firmendaten umfassend of- Erstens. Man muss kein Prophet sein, um absehen zu fenlegen. Damit haben verdeckte Monopolisten keinen können, dass der Stromverbrauch mit der Digitalisierung Zugang mehr zu unseren Märkten. Und das ist kein Pro- enorm ansteigen wird. Wo soll dieser Strom herkommen? tektionismus, wie uns die FDP vorwirft, sondern dient Und was ist an dieser Entwicklung nachhaltig? Ist das vielmehr dem Schutz des freien und fairen Wettbewerbs. jetzt Fortschritt oder fortschreitender Stromverbrauch? Unsere Außenwirtschaftspolitik ist verantwortungsvoll Dazu lese ich in Ihrem Antrag nichts. Die Bundesregie- und sehr wohl auch vorausschauend. rung hat dazu ja leider auch noch keine Zahlen. Meine Damen und Herren, 15 Millionen Arbeitsplätze Zweitens. Was wird aus den Arbeitsplätzen, die durch hängen direkt und indirekt von der Industrieproduktion die Digitalisierung wegfallen? Sie betonen hier die Chan- ab. Auch für die Beschäftigten entstehen mit Industrie 4.0 cen der Digitalisierung. Wir lesen ja auch in sämtlichen neue Perspektiven. Jetzt komme ich auf etwas, was Sie, Regierungspapieren immer nur von Chancen. Aber was Herr Houben, schon gesagt haben: Sie setzen sich ledig- ist eigentlich mit den Risiken? Josef Kaeser von Siemens lich mit der Flexibilisierung der Arbeit auseinander. Ich hat schon vor drei Jahren davor gewarnt, dass neun von sage hier als stellvertretender Vorsitzender der Arbeitneh- zehn Menschen bei der Digitalisierung verlieren werden. mergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz klar: Nur einer von zehn Menschen wird profitieren. Wir müssen Industrie 4.0 als ganzheitliche Aufgabe be- greifen. Das heißt für die Unternehmen – gerade auch mit (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Blick auf die Fachkräftesicherung –: Qualifizierung, in- Kaeser sprach damals sogar von möglichen sozialen Un- nerbetriebliche Mitbestimmung; wir brauchen in Teilen ruhen. Das klingt für mich erst mal nicht besonders smart. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14491

Tino Chrupalla (A) (Beifall bei der AfD) machen, die so leicht angreifbar sind, sind wir weder (C) digital noch sonst irgendwie souverän, Auch aus handwerkspolitischer Perspektive kommen mir einige Bedenken. In Studien des Instituts für Arbeits- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) markt- und Berufsforschung liest man, dass vor allem Handwerksberufe wie Fleischer, Bäcker und Textilberufe ganz zu schweigen von der inneren Sicherheit, die durch ein hohes Substituierbarkeitspotenzial aufweisen. Auf gut die zunehmende Vereinzelung junger Menschen, die sich Deutsch: Diese Tätigkeiten können auch von Maschinen in virtuelle Welten flüchten, auch gefährdet ist. übernommen werden. Da fragt man sich: Warum sollen (Falko Mohrs [SPD]: Was ist denn jetzt Ihr Vor- wir diese Entwicklung auch noch mit Steuergeld be- schlag? Wollen Sie das Internet abschalten?) schleunigen? Wie wollen Sie den Bürgern erklären, dass sie auch noch dafür bezahlen sollen, dass der Staat Robo- Apropos „smart“. Wie kommt es eigentlich, dass Sie ter subventioniert, die ihre Arbeitsplätze ersetzen, zumal hier ständig englischsprachige Begriffe verwenden, wenn in strukturschwachen Regionen? es darum geht, wie wir unser Leben und unsere Zukunft hier in Deutschland gestalten wollen? Sind Sie nicht wil- Ich möchte die FDP auch mal grundsätzlich fragen, lens oder nicht in der Lage, eigene nationale Konzepte zu welche Qualität diese smarten Arbeitsplätze haben wer- entwickeln, die zu unserer Kultur und zu unserer Gesell- den, die Sie hier generieren wollen, und wer für solche schaft passen? Berufe überhaupt geeignet ist. Das geht jetzt in den Be- reich Arbeitspsychologie; aber das sind doch ganz wich- (Beifall bei der AfD – Zurufe der Abg. tige Fragen. Wenn wir unser Land so gestalten wollen, Christian Petry [SPD] und Manuel Höferlin dass hier alle gut und gerne leben wollen, dann sollte man [FDP]) sich diese Fragen schon mal stellen. Im Gegensatz zu Finden Sie, dass diese Vorgehensweise einer ehemaligen vielen Menschen mit Bürojobs machen die Handwerker, Kulturnation vom Range Deutschlands gerecht wird? die ich kenne, ihren Beruf sehr gerne. Ein Bäcker hat mir neulich mit leuchtenden Augen erzählt, wie sehr er seinen (Zuruf von der SPD: Damit haben Sie nichts zu Beruf liebt. Und ausgerechnet die Tätigkeit des Bäckers tun!) wird in der genannten Studie für zu 100 Prozent ersetzbar Wir verwehren uns dem Fortschritt übrigens genauso erklärt. Und wenn ich als Malermeister nur noch Drohnen wenig wie Herr Kaeser. Aber es gibt diese offenen Fra- lenke, die für mich das Haus streichen, dann hat das mit gen, und die sind alles andere als unerheblich. Solange Handwerk sicherlich nichts mehr zu tun. diese Fragen nicht geklärt sind, lehnt die AfD-Fraktion (Beifall bei der AfD) diese Anträge ab. (B) (D) Noch eine Frage, die unsere Bürger sicherlich bren- Vielen Dank. nend interessiert: Wozu brauchen wir eigentlich die vie- len Fachkräfte aus dem Ausland, wenn hier in den nächs- (Beifall bei der AfD) ten Jahrzehnten sowieso 40 bis 70 Prozent der Arbeitsplätze wegbrechen? Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir weiter- (Beifall bei der AfD) machen in der Aussprache, gebe ich Ihnen die von den Natürlich sollen auch abgelegene Orte einen Internet- Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergeb- anschluss und Mobilfunkempfang haben – keine Frage. nisse der Wahlen bekannt. Aber bei Ihrer Antragsserie hier gewinnt man den Ein- Zunächst Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Ver- druck, dass Sie ganz Deutschland in ein Silicon Valley trauensgremiums gemäß § 10a der Bundeshaushaltsord- verwandeln wollen. Da frage ich mich, ob das erstrebens- nung: abgegebene Stimmen 617. Mit Ja haben gestimmt wert ist. Auf ihrer Delegationsreise hat die Enquete-Kom- 162, mit Nein 425, Enthaltungen 30. Die Abgeordnete mission KI ja erfahren, dass die Arbeitsbedingungen dort Dr. Birgit Malsack-Winkemann hat damit die erforder- alles andere als ideal sind und dass die Überlebensdauer liche Mehrheit von mindestens 355 Stimmen nicht er- von Start-ups auch sehr kurz ist. Das kann ich zum Bei- reicht.1) spiel von Meisterbetrieben hierzulande nicht sagen. Die sind recht stabil, und es besteht weiterhin eine große Ergebnis der zweiten Wahl, der Wahl von zwei Mit- Nachfrage. gliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschulden- wesengesetzes: Hier wurden 618 Stimmen abgegeben. Drittens. Sie fordern die Regierung in Ihrem Antrag Auf Marcus Bühl entfielen 162 Jastimmen, 425 Nein- auf, für Datensicherheit zu sorgen. Da muss ich wirklich stimmen, 31 Enthaltungen. Auf Wolfgang Wiehle entfie- sagen: Mit Verlaub, das ist natürlich völlig naiv und uto- len 174 Jastimmen, 411 Neinstimmen, 33 Enthaltungen. pisch. Kein Netzwerk ist sicher, egal wie viel Aufwand Damit haben weder Marcus Bühl noch Wolfgang Wiehle Sie auch betreiben wollen. Nicht mal hier im Bundestag die erforderliche Mehrheit erreicht.2) sind wir sicher, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen. Wir haben es doch auch erst neulich hier erlebt. Vor allen Ergebnis der dritten Wahl, der Wahl eines ordentlichen Dingen in den letzten Jahren gab es mehrere Hackeran- Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des griffe auf Krankenhäuser, auf Stahlwerke, auf Überwa- chungskameras. Viele Fälle sind uns nicht mal bekannt. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4 Wenn wir uns von ausländischen Technologien abhängig 2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 5 14492 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Stabilisierungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stim- Dann recyceln Sie mal wieder Ihre Idee der Freiheits- (C) men 623, ungültig 2. Mit Ja haben gestimmt 136, mit zonen. Diesmal sollen es digitale sein. Wir haben uns Nein 457, Enthaltungen 28. Der Abgeordnete Albrecht daran gewöhnt. Ansonsten wollen Sie vor jeder Landtags- Glaser hat damit die erforderliche Mehrheit von mindes- wahl eine Freiheitszone da einführen, wo gerade gewählt tens 355 Stimmen nicht erreicht, ist also ebenfalls nicht wird. In Wahrheit geht es Ihnen immer darum, eine Spi- gewählt.1) rale nach unten bei den Sozialstandards durchzuführen. Ich habe es Ihnen mehrfach gesagt: Das ist mit uns nicht Schließlich das Ergebnis der vierten Wahl, der Wahl zu machen. eines stellvertretenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 Stabilisierungsmechanismusgesetz: (Beifall bei der SPD – Martin Reichardt [AfD]: Hier wurden 623 Stimmen abgegeben, ungültig 1. Jastim- Das ist ja ganz neu!) men 171, Neinstimmen 421, Enthaltungen 30. Der Abge- ordnete Volker Münz hat damit ebenfalls nicht die erfor- Ihr Antrag ist ein bisschen kompasslos. Das wundert derliche Mehrheit von mindestens 355 Stimmen erreicht mich nicht unbedingt; Sie haben damals ja noch nicht mal und ist damit ebenfalls nicht gewählt.2) den Weg nach Jamaika gefunden. Vielleicht haben Sie deswegen auch die Phantomschmerzen. Aber, wie gesagt, Wir fahren fort in der Aussprache zu TOP 11. Das Wort der Antrag hilft uns nicht weiter. hat für die SPD-Fraktion der Kollege Falko Mohrs. (Reinhard Houben [FDP]: Ein bisschen mehr!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn wir über Industrie 4.0 sprechen, ist festzuhalten, der CDU/CSU) dass das ja quasi eine deutsche Erfindung ist. Wir haben immer gesagt: Wir wollen bei der Innovation unserer In- Falko Mohrs (SPD): dustrie darauf setzen, dass wir eine gute, eine starke In- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dustrie haben, die sich weiterentwickelt. Also das Gute ren! Was haben wir eben in der Aussprache gelernt, Herr behalten, das Gute weiterentwickeln, das Gute fördern, Chrupalla? Die AfD hat offensichtlich nicht nur ein Ge- und daraus wird auch gute Zukunft. Also Aufbauen auf sellschafts- und Menschenbild von 1930, sondern auch unseren Stärken, Vernetzung in Echtzeit – darum geht es ein Wirtschaftsbild von 1930. Mehr ist dazu nicht zu sa- doch bei Industrie 4.0. gen. Deswegen ist es wichtig, dass wir als Bundesregierung (Martin Reichardt [AfD]: Dafür haben wir bald in dem Bereich von Innovationen und Zukunftspolitik 30 Prozent und ihr bald 3!) Dinge vorgelegt haben. Wir arbeiten beispielsweise an der Forschungsförderung; da werden die Beratungen jetzt (B) Wir haben auch gelernt – und das ist gut –, dass Ihre (D) auch intensiviert werden. Wir arbeiten im Bereich der Kandidaten wieder nicht gewählt wurden. Vielen Dank digitalen Ökosysteme intensiv daran, wie wir die Bedin- an das Haus an dieser Stelle. gungen für Start-ups verbessern können. Wir arbeiten mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unserem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand da- der LINKEN) ran, dass die Innovationen auch in die Industrie gebracht werden. Wir arbeiten beispielsweise bei der Frage der Kommen wir zum Antrag: Toller Titel, Qualifizierung von Fachkräften daran, wie wir es über die gesamte Bildungsbiografie schaffen – und zwar an- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Toller gefangen von der Digitalisierung in der Schule über die Inhalt!) Berufsausbildung, über das Studium, aber auch mit Din- hoher Anspruch, keine Hilfe. So würde ich den Antrag am gen wie dem Qualifizierungschancengesetz –, die Quali- Ende zusammenfassen. Er zeigt auch die Inkonsistenz fizierung der Fachkräfte auf dem neuesten Stand zu hal- von dem, was Sie hier eigentlich fordern. Erinnern wir ten. uns einmal an die gestrige Sitzung des Wirtschaftsaus- schusses: Da mussten wir feststellen, dass Sie einen An- Das, meine Damen und Herren, ist wirklich zukunfts- trag nach dem anderen vorgelegt haben, um die Mittel im weisende Industriepolitik. Damit werden Grundlagen da- Innovationsbereich herabzusetzen, wahrscheinlich ein- für gelegt, dass wir es schaffen, unsere Stärken der Indust- mal quer durch die Bank, immer mit der Begründung, rie zu nutzen, auszubauen und in eine wirklich digitale da sei ja in der Vergangenheit zu wenig abgeflossen. Zukunft zu führen. Wer Innovationspolitik mit dem Blick nach hinten ma- Sie fordern ja – ich nenne es noch mal kurz zur Ein- chen will, der sollte an dieser Stelle wirklich nicht ver- ordnung – in Ihrem Antrag auch, dass sämtliche Ein- suchen, zukunftsgerichtete Anträge zu formulieren. Dass nahmen der Frequenzversteigerung nur noch für die digi- Sie in Ihrem Antrag schreiben, Sie wollten den Mittel- tale Infrastruktur ausgegeben werden sollen. Damit stand stärken, aber genau die Mittel für ihn kürzen wol- schwächen Sie beispielsweise den DigitalPakt Schule len, ist schon etwas schwierig. und nehmen einem wichtigen Bildungsbereich Gelder weg, der aber eben diese Gelder für Innovation und Di- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gökay gitalisierung braucht. Akbulut [DIE LINKE]) Unsere Vorstellung ist eine andere. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 6 2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 6 (Zuruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14493

Falko Mohrs (A) Wir wollen die Infrastruktur ausbauen. Wir haben im 5G- Interessant ist Ihr Antrag deshalb auch aus dieser Per- (C) Bereich unsere Modellregionen. Wir haben in Wolfsburg spektive, weil Sie eigentlich immer fordern – auch im eine, und ich hoffe, dass wir im ländlichen Raum, bei- Ausschuss bei den Abstimmungen; mein Vorredner hat spielsweise in Helmstedt, eine bekommen. So gestalten auf die gestrige Sitzung hingewiesen –: Der Staat soll sich wir Zukunft, und zwar statt mit Ihren Elfenbeinanträgen aus der Industriepolitik raushalten. – Jetzt legen Sie als mit wirklicher Praxisorientierung. FDP einen großen Antrag vor und sagen wie immer, der Markt werde schon alles regeln. Wir sagen deutlich: Der Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. Markt wird in der Zukunft sicherlich nicht alles regeln. Deshalb brauchen wir gerade den Staat und auch eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesregierung, die aktiver wird, als es in der Vergan- der CDU/CSU) genheit der Fall war.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der LINKEN) Der Kollege Alexander Ulrich ist der Nächste für die Aber was machen Sie natürlich wieder? Wofür die FDP Fraktion Die Linke. einen aktiven Staat will – dafür benutzen Sie auch dieses Thema wieder –, ist der Abbau von Arbeitnehmerrechten. (Beifall bei der LINKEN – Martin Reichardt Sie wollen an das Arbeitszeitgesetz und an die Ruhezei- [AfD]: Da spricht der Staatsratsvorsitzende!) ten. Sie wollen im Prinzip, dass der Beschäftigte in der digitalen Welt rund um die Uhr erreichbar ist. Wir sagen: Alexander Ulrich (DIE LINKE): Hände weg vom Arbeitszeitgesetz! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN) Kollegen! Die Industrie in Deutschland steht wahrlich vor großen Herausforderungen. Wir haben eine abschwä- Das jetzige Arbeitszeitgesetz ist auch in der digitalen chende Konjunktur. Wir haben Handelsschwierigkeiten, Welt anwendbar. die die Industrie bemerkt. Wir haben Veränderungen Wenn es um Fachkräfte geht, wird immer wieder der durch die zukünftige Entwicklung der Automobilindust- Fachkräftemangel herbeigeredet und gesagt, dass wir rie. Wir haben im Stahlbereich Probleme. Wir haben die auch Zuwanderung in den Arbeitsmarkt brauchen. Alles Klimafrage, die zu vielen Unsicherheiten in einem sehr gut und schön, aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wer gute wichtigen Industriezweig führt, an dem sehr viele Ar- Fachkräfte will, muss auch in der digitalen Arbeitswelt beitsplätze hängen. Man kann sagen, dass die deutsche dafür sorgen, dass diese Arbeitsplätze von guter Arbeit Industrie systemrelevant ist für das, was in Deutschland geprägt sind, von Mitbestimmung geprägt sind und von (B) passiert. Deshalb, glaube ich, ist es dringend notwendig, Tarifverträgen geprägt sind. Wenn man das vorweist, fin- (D) mehr als in der Vergangenheit über Industriepolitik zu det man auch in der digitalen Welt gute Fachkräfte. reden und Industriepolitik auch wieder zu betreiben. (Beifall bei der LINKEN) Das, was die Bundesregierung bisher angeboten hat, ist wahrlich zu wenig. Es gibt zwar ein Papier des Wirt- Ich komme zum Schluss. Sie werden mit Ihrem Antrag schaftsministers, der aber noch nicht einmal die Zustim- in diesem Hohen Haus wahrscheinlich keine Mehrheit mung von seiner eigenen Fraktion bekommt. Seitdem ist finden, zu wenig passiert. Wir als Linke sagen deutlich: Wir brau- (Reinhard Houben [FDP]: Das überrascht uns, chen gerade in dieser unsicheren Zeit einen aktiven Staat, ehrlich gesagt, nicht!) der Industriepolitik tatsächlich auch umsetzt – durch Maßnahmen, durch Investitionen in den sozialökologi- auch weil er ein Sammelsurium ist, eigentlich nichts aus- schen Umbau, durch Investitionen in Forschung, Ent- sagt. Wir werden sehen, ob Sie den Antrag im Ausschuss wicklung und Innovation. Dafür muss auch die schwarze noch zur Disposition stellen und ob wir es dort überhaupt Null infrage gestellt werden. diskutieren. (Beifall bei der LINKEN) Aber noch einmal, liebe FDP: Ich glaube, Sie müssen sich entscheiden, ob der Markt alles regeln soll oder ob Anders als die FDP, die mit ihrem Antrag wieder mal wir einen aktiven Staat brauchen. nur Unternehmensinteressen verfolgt, sagen wir als Lin- ke: Gegen technischen Fortschritt wollen wir uns gar (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das sind nicht wehren. Technischer Fortschritt macht Sinn. – Wir immer diese alten mühsamen Klischees!) sagen aber deutlich: Technischer Fortschritt muss auch zu Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir müssten eigentlich als sozialem Fortschritt führen. Das, was in der Industrie Opposition gemeinsam diese schwache Bundesregierung passiert, die Sprünge, die in der Produktivität gemacht antreiben. Denn industriepolitisch kommt von Herrn werden können, dürfen nicht nur einseitig bei den Unter- Altmaier viel zu wenig, und auch von der Bundesregie- nehmen, bei den Aktionären landen, sondern sie müssen rung und aus den Koalitionsfraktionen kommt viel zu auch einen Mehrwert haben für die Beschäftigten in Form wenig. Wir brauchen mehr Investitionen, wir brauchen von Qualifizierung, in Form von höheren Einkommen mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge, wir brauchen und möglicherweise auch in Form von weniger Arbeits- auch viel mehr gute Arbeit und eine Ausweitung der Mit- zeit. bestimmung über das Betriebsverfassungsgesetz. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. 14494 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Alexander Ulrich (A) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Ausgerechnet Herr Chrupalla hat auf das Thema Ener- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gie hingewiesen. Aber ich glaube, der Kontext war etwas Der Kollege Dieter Janecek ist der nächste Redner für anders als bei uns Grünen. Seine Idee war sinngemäß, als Bündnis 90/Die Grünen. Antidigitalisierungspartei zu sagen: Wozu brauchen wir eigentlich Digitalisierung? Gerade in Bezug auf den länd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lichen Raum ist das, finde ich, eine seltsame Ansicht, die Sie da vertreten. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Chrupalla, ich habe (Tino Chrupalla [AfD]: Sie haben es nicht gerade im Internet über eine Suchmaschine, die es auch verstanden! Sie müssen hinhören!) auf Deutsch gibt, nachgeschaut, ob die AfD sich mal zum Sie versuchen ja immer, für den kleinen Mann einzutre- Thema „Smart City“ verhalten hat. Das hat sie diverse ten. Wollen Sie also Ihren Leuten vor Ort sagen, dass man Male getan. Herr Brandner hat sich dafür eingesetzt, die keinen Breitbandausbau und keine digitale Infrastruktur Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein hat sich dafür braucht? Das ist nicht die Lösung, aber die Frage, wie wir eingesetzt. Kommen Sie also ein bisschen runter mit der den steigenden Energiebedarf in Zukunft decken können, Emotion bei der Verwendung solcher Begriffe! ist ja relevant, Wenn Sie Joe Kaeser zitieren, dann sollten Sie auch (Tino Chrupalla [AfD]: Mit was? Mit zitieren, dass er sagte: Die AfD ist ein Risiko für den Windrädern oder was?) Standort Deutschland. – Das ist ein Zitat von ihm. und auch diese Frage muss man beantworten, wie übri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gens auch eine weitere Frage. bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Alexander Wenn wir Prognosen zufolge im Jahr 2021 durch die Gauland [AfD]: Herr Kaeser ist auch ein Risiko Digitalisierung 50 Milliarden Endgeräte haben, dann re- für Deutschland!) den wir auch in metallurgischer Hinsicht – Stichwort „Seltene Erden“ – über eine ganze Menge an neuen Res- Sie haben ihn mehrfach zitiert. Insofern Glückwunsch zu sourcen, die wir brauchen werden. Wir müssen uns auch dieser Konnotation, die Sie herstellen konnten. fragen, wie wir das verträglich hinbekommen. Denn wir Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Houben: Smart Ger- haben bereits eine Klimakrise, und wir wollen sie nicht durch die Digitalisierung verschärfen. Wir wollen Digita- (B) many, Smart Cities, Smart Home, Smart Automotives – (D) die FDP will gerne smart schreiben; das ist auch okay. lisierung, Industrie 4.0 dafür nutzen, um zu Lösungen zu kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist, ob dann auch die Anträge smart – oder ich würde sagen: schlau – sind. Ich sage Ihnen vorweg: Es Ein Punkt, in dem wir mit Ihnen einig sind, Herr gibt eine ganze Reihe von Forderungen in diesem Antrag, Houben, ist das Thema IT-Sicherheit. Hier sorgt leider bei denen wir mit Ihnen übereinstimmen. Das gilt bei- der Vorratsdatenspeicherminister Horst Seehofer dafür, spielsweise für die Schwerpunktsetzung auf die Standar- dass wir bei der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht vo- disierung und die Forderungen, auf europäischer Ebene rankommen. Ich glaube, es wäre eine Standardsetzung, Rahmenbedingungen zu schaffen, das Thema „Künstli- die wir brauchen könnten, dass wir in Deutschland siche- che Intelligenz“ voranzutreiben und die Forschungsför- re Infrastrukturen schaffen und sagen: Wir wollen auch derung auf den Mittelstand und die kleinen Unternehmen beim Vertrauensschutz die Nummer eins sein. Das haben auszudehnen. Sie richtig formuliert. Aber beim Innovationsbegriff gibt es Unterschiede Beim Thema „europäische Cloud“ ist Herr Altmaier zwischen uns. Ich glaube nicht, dass allein Digitalisierung mit Gaia-X nach vorne gegangen. Ich weiß noch nicht, der wesentliche Fortschritt ist, sondern das kann sie nur was das ist, aber es klingt erst mal besser als der KI-Air- sein, wenn sie in ein anderes Thema eingeordnet wird, bus, den er sonst immer vorangeschoben hat. nämlich die Ressourcenschonung, die Energiewende, al- (Heiterkeit bei der SPD) so letztlich in die Frage, wie wir klimaschonend wirt- schaften können. Das haben Sie in Ihrem Antrag, der Ich glaube, selbst in der SPD gibt es da leichte Zustim- immerhin acht Seiten umfasst, nicht erwähnt, und die mung, auch wenn sie nur verschämt ist. Die Frage wird Frage ist, warum Sie das nicht erwähnt haben. Denn einfach sein: Kommen wir in der deutschen Wirtschaft man könnte auch auf den Gedanken kommen – und das und der deutschen Industrie aus den Datensilos heraus, wäre in den letzten Wochen auch eine Möglichkeit für die und schaffen wir es, zu Kooperationen zu kommen, am Bundesregierung gewesen –, zu sagen: Zusammen mit besten auf einer treuhänderisch fairen Basis? Denn ich einer sehr innovativen ökologischen Rahmenpolitik, mit glaube, man kann das nicht dem Markt alleine überlassen, der Wirtschaftspolitik und der Digitalisierung machen sonst machen die Amazons dieser Welt das Geschäft. Das wir Industrie 4.0 zu einem Leitthema und helfen damit, machen sie zurzeit ohnedies schon. Von der Qualität her, dass wir bei ressourcenschonenden Technologien an die muss man sagen, sind sie da momentan führend. Aber Weltspitze kommen. Das fehlt aber in Ihrem Antrag. unsere Aufgabe muss es sein – und da unterstützen wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14495

Dieter Janecek (A) Sie auch bei Ihrem Anliegen –, dieses Thema auf die überlegenswert, dieses von der Bundesregierung entwi- (C) Ebene zu heben, dass wir selber führend sind. ckelte Instrument auf andere Bereiche zu übertragen. Wir sehen: Die FDP zeichnet nach, was die Bundesregierung Und wenn wir Klimakrise und Digitalisierung zusam- vorgelegt hat. men denken, dann wird etwas daraus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Vielen Dank. Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beispiel Nummer zwei: Die FDP wünscht sich Expe- rimentierräume, damit sich Innovationen entfalten kön- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nen. Diese sind nicht nur in der neuen Blockchain-Strate- Vielen Dank. – Der nächste Redner: der Kollege gie enthalten, sondern die Bundesregierung hat bereits im Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion. Juli dieses Jahres ein Handbuch für die Etablierung von Reallaboren veröffentlicht, das jeder Region, jeder Kom- (Beifall bei der CDU/CSU) mune, jedem Bürger und sogar der FDP zur Verfügung steht. Auch hier lernen wir: Die FDP will, was die Bun- Hansjörg Durz (CDU/CSU): desregierung macht. Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Falko Mohrs [SPD]: Das sind die Phantom- Liebe Kollegen von der FDP, zu Beginn möchte ich Sie schmerzen der FDP!) erst mal loben. Denn gleich zweimal in Ihrem Antrag darf ich lesen, dass Ihre Forderungen allenfalls im Rahmen der Beispiel Nummer drei. Die FDP bittet in ihrem Antrag verfügbaren Haushaltsmittel umgesetzt werden sollen. darum, dass die Bedürfnisse der Industrie beim Ausbau Diese Unterstützung für die schwarze Null freut mich, digitaler Infrastruktur besonders berücksichtigt werden. und die staatsmännische Verantwortung, die Sie damit Mit Blick auf die Auktion der 5G-Frequenzen darf ich zeigen, umso mehr. Denn den vorangegangenen Anträgen feststellen: Genau das tun wir. Indem wir lokale Frequen- Ihrer Fraktion durfte ich stets entnehmen, dass Sie Ihre zen eigens für Unternehmen reserviert haben, geben wir Ideen und Förderungen im Bereich der Digitalwirtschaft als eines der ganz wenigen Länder auf der Welt Firmen mit Geldern aus dem Verkauf der Staatsanteile an Post die Möglichkeit, eigene 5G-Netze aufzubauen. Hier gilt: und Telekom finanzieren wollen. Ich gratuliere Ihnen, Während die FDP noch fordert, setzt die Regierung be- dass ein Umdenken stattgefunden hat. Schön, dass Sie reits um. unser Tafelsilber nicht mehr verscherbeln wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) der SPD) Und weil loben viel mehr Spaß macht, als nur zu kri- Beispiel Nummer vier. Die FDP will, dass Europa sei- tisieren, will ich damit gleich weitermachen. Denn die ne digitale Souveränität erhält. In bestimmten Bereichen Ideen und Vorschläge Ihres Antrags können sich in der würde ich sagen: Wir müssen sie erst einmal wieder Tat sehen lassen. Mehr noch: Viele davon klingen sogar schaffen. Dass ein europäisches Angebot an Cloud-An- richtig gut – so gut, dass sich dem geneigten Leser die bietern nötig ist, kann ich nur bekräftigen. Frage stellt, ob sie nicht schon mal irgendwo gehört wur- den. Woran mag das liegen? Vielleicht daran, dass kaum Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eines der Projekte, die Teil dieses Maßnahmenpotpourris Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sind, wirklich neu oder gar innovativ ist. Das merkt man Kollegen Reinhard Houben? allein schon an den Formulierungen: Wer eine umfassen- de Innovationsoffensive fordert und gleich danach mit Hansjörg Durz (CDU/CSU): Worten wie stärken, nachbessern, ausweiten und verste- tigen um sich schmeißt, der muss zugeben, dass er vieles, Können wir am Ende machen. Ich will das gedanklich was diese Bundesregierung macht, zumindest im Grund- zu Ende bringen. satz aus tiefstem Herzen begrüßt. Wir sind gerade bei dem Thema Cloud-Anbieter. Gaia- X wurde erwähnt. Falls Ihnen das noch nicht bekannt ist, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei ist das kein Problem. Ich bin mir sicher, dass Peter Abgeordneten der SPD) Altmaier Ihnen bei der Vorstellung des Projekts Ende Beim Blick auf die einzelnen Maßnahmen wird das umso dieses Monats auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung klarer. ein paar Plätze in den vordersten Reihen reservieren wird. Beispiel Nummer eins: Die FDP fordert eine transpa- Beispiel Nummer fünf. Die FDP hat die Idee, die Da- rente Erfolgskontrolle zur Hightech-Strategie. Transpa- tenschutz-Grundverordnung unter die Lupe zu nehmen. renz ist gut, Erfolgskontrolle auch. Ich bin sicher, dass Sie fordert die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwiefern Sie sich bei dieser Forderung ein Beispiel an einem ande- die Datenschutzregeln innovationshemmend wirken. Ich ren Projekt der Bundesregierung genommen haben. Denn kann Ihnen sagen: Das wird diese Regierung tun, allein ein im Internet zugängliches Dashboard wird die Abar- schon deshalb, weil sie mit europäischen Partnern an der beitung der Umsetzungsstrategie sichtbar und nachvoll- Revision der Datenschutz-Grundverordnung im Jahr ziehbar machen, und zwar jeden einzelnen der über 500 2020 arbeitet. Im Übrigen haben wir darüber hinaus im Umsetzungsschritte der Digitalisierung. Es ist in der Tat Rahmen der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 bereits 14496 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Hansjörg Durz (A) Gedanken eingebracht zu Modellen, die zwei Dinge zu- Was konkret das Thema Vergabe der lokalen Frequen- (C) gleich schaffen, nämlich mehr Transparenz für Daten- zen angeht: Da gibt es diese Diskussion, und da bin ich emittenten und mehr Möglichkeiten für Unternehmen, mir sicher, dass innerhalb der Bundesregierung eine Lö- an Daten zu kommen. Dieses Modell des Datentreuhän- sung gefunden werden wird, die dazu führt, dass die Un- dertums scheint der FDP neu zu sein; in ihrem Antrag ternehmen in Deutschland tatsächlich auch wirtschaftlich kommt es zumindest nicht vor. Während die FDP also vertretbar diese Frequenzen nutzen können und dann ei- noch dieses entdecken muss, entwickeln wir die Idee gene lokale Netze aufbauen können. Wir sind eines der weiter. ganz wenigen Länder auf der Welt, die tatsächlich diese lokalen Netze zur Verfügung stellen. Das ist, denke ich, Liebe Kollegen der FDP, alles in allem ist Ihr Antrag wirklich eine hervorragende Leistung. von einer Innovationskraft geprägt, die mit der Chinas vergleichbar ist – jedoch nicht des heutigen Chinas, son- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dern der Volksrepublik von vor zwanzig Jahren; damals der SPD – Reinhard Houben [FDP]: Zum Da- war das Plagiieren das Einzige, worin die Chinesen wirk- tum sagen Sie lieber nichts, Herr Kollege!) lich gut waren. So ist auch dieser Antrag in weiten Teilen bloß eine Kopie, eine bloße Wiedergabe der Politik dieser Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Koalition. Der nächste Redner: der Kollege Dr. Jens Danke. Zimmermann, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der SPD) Dr. Jens Zimmermann (SPD): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist eine Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem bekannte Staffel, die mittlerweile quasi als Fortsetzung Kollegen Reinhard Houben. kommt: smarte Überschriften für schlanke Anträge. (Reinhard Houben [FDP]: „Gute-KiTa- Reinhard Houben (FDP): Gesetz“, kann ich dazu nur sagen!) Danke schön, Herr Präsident. – Herr Durz, Herr Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP – es sind keine Knoerig, Sie haben uns jetzt breit erzählt, wie wunderbar Kolleginnen von Ihnen da, also: liebe Kollegen –, Sie die Situation der deutschen Industrie im Moment ist. Herr kommen diese Woche mit einer ganzen Reihe von An- Ulrich hat dazu ja entsprechende Worte gefunden. (B) trägen, alles unter einer großen Überschrift. Das ist erst (D) Konkret möchte ich nachfragen. Ja, in unserem Papier einmal eine gute Idee. Ich habe mich gefragt: Wie sind einige Dinge drin, die auch von der Bundesregierung schaffen Sie es eigentlich – wer ist da so fleißig? –, so adressiert worden sind. Sie nennen zum Beispiel ganz viele Anträge zu produzieren? Haben Sie quasi ein in- konkret die Vergabe der 5G-Frequenzen für Unterneh- ternes Digitalministerium? men. Stimmen Sie mir zu, dass es ein Problem ist für (Zurufe von der FDP: Haben wir, ja!) die aktuellen Interessenten dieser 5G-Frequenzen, dass sich die Ministerien Wirtschaft und Finanzen über die Aber man stellt bei Ihren Anträgen immer wieder fest: Höhe der jeweiligen Gebühren für die Vergabe dieser Alles schon mal da gewesen, nicht wirklich viel Neues 5G-Frequenzen streiten und sich nicht einigen können? drin, im Prinzip immer nur ein neuer Mix aus bekannten Halten Sie das nicht für eine Maßnahme, die ganz konkret Forderungen. Ich will aber auch sagen: Ganz viele Forde- der deutschen Industrie schadet? rungen sind dabei, denen wir uns auch anschließen, viele vernünftige Forderungen sind mit drin. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Kollege Durz, Sie können antworten, müssen aber FDP) nicht. – Da können Sie sich gerne selbst beklatschen. – Aber wir (Heiterkeit) wollen ja hier vorankommen. Deswegen hilft es nichts, wenn wir alle vier Wochen die gleichen Anträge nur mit einer neuen Überschrift von Ihnen präsentiert bekommen. Hansjörg Durz (CDU/CSU): Herr Kollege Houben, vielen Dank für die Frage. Zu- Weil Sie das Thema Frequenzen angesprochen haben: nächst: Es sind nicht wenige Punkte, sondern ich habe nur Da ist Ihr Antrag irgendwie widersprüchlich. Auf der wenige Punkte aufzählen können im Rahmen der Zeit, die einen Seite dürfen diese Frequenzauktionen um Gottes übereinstimmen mit den Maßnahmen, die bereits von der Willen nicht zu viel erlösen. Gleichzeitig haben Sie jede Bundesregierung auf den Weg gebracht wurden. Zu vie- Menge Vorschläge, wofür die Erlöse ausgegeben werden len der Punkte, die Sie aufgeführt haben, hat die Bundes- sollen, vor allem – das ist Ihr einziger Vortrag zum Thema regierung bereits etwas auf den Weg gebracht. Es ist auch Breitbandinfrastruktur – möchten Sie, dass Gutscheine nicht so, dass hier alles nur rosig dargestellt wurde, son- verteilt werden. Das ist ein System, das es gibt; aber dern es wurde an vielen Punkten gesagt: Wir müssen da das ist jetzt auch nicht wirklich ein Durchbruch. Eigent- besser vorankommen. Gaia-X ist ja ein Thema, das vo- lich wollen Sie ja gar nicht, dass mit den Auktionen Geld rangebracht wird. eingenommen wird. Man muss natürlich auch sagen: Die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14497

Dr. Jens Zimmermann (A) Erlöse der Frequenzauktion fließen in den Digitalpakt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Wo investieren wir? Das geht doch komplett in die Infra- Vielen Dank. Ich schließe die Aussprache. struktur. Sie werden mir zustimmen, dass digitale Infra- struktur in den Schulen genau im Sinne Ihres Antrags ist, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf meine Damen und Herren von der FDP. Drucksache 19/14030 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jan verstanden? – Das ist so. Dann machen wir das so. Metzler [CDU/CSU]) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zusatz- Sie müssen sich anschauen, was die Bundesregierung punkt 7 auf: und die Fraktionen schon gemeinsam auf den Weg ge- bracht haben mit der KI-Strategie, mit der Umsetzungs- 12 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- strategie Digitalisierung, mit der Blockchain-Strategie. gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Sie sprechen zu Recht das Thema Fachkräfteweiterbil- Entlastung insbesondere der mittelständi- dung an. Aber eine Lösung, was eigentlich getan werden schen Wirtschaft von Bürokratie (Drittes Bü- soll, präsentieren Sie in Ihrem Antrag nicht. Wir haben rokratieentlastungsgesetz) Hubertus Heil in der Debatte zuvor gehört: Wir haben Drucksachen 19/13959, 19/14076 eine Nationale Weiterbildungsstrategie. Wir arbeiten an dem Arbeit-von-morgen-Gesetz, das genau die wirt- Überweisungsvorschlag: schaftlich schwierige Situation adressiert und die Frage Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz stellt: Wie können wir da für die Digitalisierung etwas Finanzausschuss herausholen, nämlich zusätzliche Fachkräfte? Das alles Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit machen diese Bundesregierung und die Koalition bereits, Ausschuss für Tourismus und das geht, muss ich wirklich sagen, weiter als alles das, was in Ihrem Antrag steht, meine Damen und Herren ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael von der FDP. Theurer, Reinhard Houben, Thomas L. Kemmerich, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der tion der FDP CDU/CSU) Smart Germany – Verwaltung digitalisieren, Worüber ich mich wirklich gewundert habe: In Ihrem Bürokratie abbauen Antrag stehen viele handwerklich vernünftige Dinge, aber wir reden doch über Industrie 4.0, und bei Industrie Drucksache 19/14031 (B) (D) 4.0 sind der Kern der ganzen Geschichte die Daten, der Überweisungsvorschlag: Umgang mit den Daten. Ja, Sie haben etwa über Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Schnittstellen und über Standards geschrieben; aber das Ausschuss für Inneres und Heimat Finanzausschuss ist ja so klein, das ist ja mikroskopisch in diesem Antrag. Ausschuss Digitale Agenda Dabei sind Daten doch der Kern der Sache. Entscheidend dafür, ob wir bei Industrie 4.0 erfolgreich sind, ist doch, Interfraktionell sind 38 Minuten vereinbart. – Es gibt dass wir den großen Datenschatz, den vor allem der Mit- keinen Widerspruch. Dann machen wir das so. telstand in Deutschland aktuell hat, gemeinsam heben. Ich eröffne die Aussprache. Klaus-Peter Willsch für die Einfach nur in einen Antrag zu schreiben, wir müssen CDU/CSU-Fraktion ist der erste Redner. die DSGVO schleifen, (Beifall bei der CDU/CSU) (Reinhard Houben [FDP]: Das steht doch nicht drin!) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): das ist irgendwie schachbrettartig, meine Damen und Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Herren von der FDP. ren! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer, auch an den Bild- Wenn ich mir also Ihren Antrag anschaue, dann muss schirmen! Heute also beraten wir in erster Lesung über ich sagen: Ich freue mich schon auf die Debatte morgen; das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz. Was lange währt, da kommt ja noch mal ein ganzer Stoß von Anträgen von wird irgendwann gut, sagt ja der Volksmund. Wir hätten Ihnen. Ich hoffe, dass die KI, die bei Ihnen die Anträge uns noch ein bisschen mehr gewünscht; aber das, was wir zusammenstellt, da ein bisschen kreativer war. erreicht haben, ist ein gutes Stück des Weges. Wenn der Staat regulierend eingreift, wenn er Bürokratie aufbaut – Für die SPD kann ich ganz klar sagen: Es ist wichtig, wir haben ja keinen Mangel an Verwaltung oder Büro- dass wir diesen Wandel in der Industriegesellschaft fair kratie, sondern eher ein Übermaß –, dann ist er rechen- gestalten und dass wir ihn auch im Sinne der Beschäftig- schaftspflichtig und muss sagen, warum er das tut. Die ten gestalten. Davon, meine Damen und Herren von der Regulierung muss einen Mehrwert haben, der über das FDP, ist in Ihrem Antrag erst recht nichts zu sehen. Kujonieren der Bürger hinausgeht; sie muss wirklich sinnvoll sein. Herzlichen Dank. Wir haben uns das deshalb im Koalitionsvertrag vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der genommen. Wir wussten: Es wird ein harter Weg. Wenn CDU/CSU) man übermäßige Regulierung und Bürokratie abbauen 14498 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Klaus-Peter Willsch (A) will, ist es oft so, dass sich zwar grundsätzlich alle einig 150 Millionen Meldescheine pro Jahr damit überflüssig (C) sind, aber sich dennoch Widerstand aufbaut, nicht nur von machen. den Menschen, die die Paragrafen sozusagen verkörpern, weil sie selbst darin ihren Lebenszweck sehen, diese oder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) jene Statistik zu führen, sondern häufig auch von uns aus „Schluss mit der Zettelwirtschaft!“ hätte ich persönlich der Politik; denn bei Evaluierungen von Vorhaben muss auch gerne bei den Aufbewahrungsfristen im Steuer- und man natürlich Daten erheben. Handelsrecht gesagt. Aber da konnten wir trotz Steilvor- Es ist für mich ein Faszinosum, dass ich in etwa gleich- lage vom Bundesrat noch keine Übereinstimmung erzie- em Umfang einerseits von Bürgern angesprochen werde, len. Die Verkürzung der Frist bei der Aufbewahrung von die sagen: „Das kann doch nicht sein, dass das nicht ge- zehn auf acht Jahre würde den Fiskus nur 200 Millionen regelt ist, dass es hier so und da anders ist. Das müsst ihr Euro kosten, aber die Wirtschaft um 1,7 Milliarden Euro doch mal regeln“, und andererseits von Bürgern gefragt entlasten. Dass wir das liegen lassen, kann ich nicht ver- werde: Muss man das denn auch noch regeln? Ist das stehen. Mein Appell geht an die Kollegen in der Koali- nicht zu viel? Haben wir nicht zu viel an Regulierung? tion, dass wir darüber noch einmal intensiv nachdenken; denn das ist ein Hebel, den man heutzutage nicht mehr an Wir glauben, wir haben zu viel, und wollen das, was vielen Ecken findet, um eine solche Entlastung auf den möglich ist, in dieser Koalition möglich machen. Wir Weg zu bringen. haben den Gesetzentwurf auf dem Tisch. Ich will dem Was wir geschafft haben, ist, die Frist für die Vorhal- Bundeswirtschaftsministerium, das das Thema mit frisch- tung von Datenverarbeitungssystemen für steuerliche em Wind angegangen ist, ganz herzlich danken, nicht nur Zwecke von zehn auf fünf Jahre zu verkürzen. Da hat dem Minister, sondern auch den vielen Rädchen auf der sich auch schon so mancher gefragt, weshalb man denn Arbeitsebene rund um Frau Dr. Kollmann und ihrem ständig seinen alten, eigentlich nicht mehr genutzten Team. Was wir erreicht haben, kann sich sehen lassen. Computer updaten muss, nur damit die Finanzverwaltung Immerhin entlasten wir die Wirtschaft um gut 1,1 Milliar- glücklich ist. Da haben wir jetzt zumindest eine Halbie- den Euro. Wie gesagt, das eine oder andere, das wir jetzt rung der Frist, und man kann nach Ablauf der Frist die nicht konsentieren können, muss man dann eben im Büro- Daten auf einem USB-Stick speichern und die Sache da- kratieentlastungsgesetz IV machen. Das bleibt sicher eine mit erledigen. Aufgabe. Eine echte Erfolgsgeschichte ist – um das als letzten „Schluss mit der Zettelwirtschaft!“, so könnte man den Punkt hervorzuheben – die gemeinsame Bund-Länder- Gesetzentwurf überschreiben. Wir haben zunächst die Arbeitsgruppe zur Bereinigung und Reduzierung von Sta- (B) Digitalisierung des gelben Zettels, der Arbeitsunfähig- tistikpflichten. Da ist wirklich gut gearbeitet worden. Es (D) keitsbescheinigung, auf den Weg gebracht und damit eine hat sich gezeigt – das habe ich eben schon angedeutet –: erhebliche Entlastung für Wirtschaft wie auch für die Für jede Statistik – sie ist immerhin mal eingeführt wor- Bürger geschaffen. Mit dem Terminservice- und Versor- den – gibt es irgendeinen Grund. Man will beispielsweise gungsgesetz von Jens Spahn haben wir bereits zum 1. Ja- wissen, wie viel Zuwachs es im Baumbestand gibt und nuar 2021 ein elektronisches Verfahren zur Übermittlung was in Thüringen anders ist als in Hessen oder in Sachsen. der Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Es gibt immer Ausforschungswünsche und Bedarf, Dinge Krankenkassen eingeführt. Das wollen wir jetzt mit zu wissen. dem BEG III erweitern. Die Krankenkassen müssen eine Krankmeldung zum Abruf für die Arbeitgeber erzeugen. Aber was uns am meisten stört – das geht auch mir Wer krank ist, muss also in Zukunft weder einen gelben persönlich so –, ist, wenn man von verschiedenen Dienst- Zettel bei seiner Krankenkasse noch bei seinem Arbeit- stellen ständig das Gleiche gefragt wird und immer wie- geber einreichen. Es läuft alles digital im Hintergrund. der das gleiche blöde Formular ausfüllen muss, in das Wer die Grippe hat, kann direkt nach dem Arztbesuch man zum wiederholten Male seine Kinder eintragen nach Hause gehen und muss nicht erst noch zur Post. muss – bei mir sind es fünf; es dauert deshalb besonders Das ist ein Fortschritt, den wir an dieser Stelle erreichen. lange. Man fragt sich dann schon, warum sie einem nicht Wir reden von 77 Millionen gelben Zetteln, die es in den Datenbestand, den sie eh schon haben, vorgedruckt Zukunft nicht mehr braucht. Das alleine entlastet die zuschicken können. Als ich gefragt wurde, ob alle meine Bürger sowie die Wirtschaft jeweils um eine halbe Mil- Kinder noch bei mir wohnen – meine Kleine war damals liarde Euro. Das ist eine stolze Summe. drei Jahre alt –, habe ich mir gedacht, ich müsste eigent- lich mal zurückschreiben: Nee, sie ist gestern ausgezo- Ich glaube, jeder hat schon einmal die folgende Situa- gen. tion erlebt – unser tourismuspolitischer Sprecher, Paul Lehrieder, wird nachher noch mehr darüber sagen –: (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Übernachtung im Hotel – man muss erst mal einen Mel- Da greift man sich wirklich manchmal an den Kopf, wenn dezettel ausfüllen und warten, bis man dran ist. Das Hotel man solche Erlebnisse hat. muss den Zettel ein Jahr lang aufbewahren, ihn dann aber aus Datenschutzgründen zuverlässig vernichten und, und, Wir haben mit der Registermodernisierung, mit dem und. Ich bin Horst Seehofer dankbar, dass wir hier einen Basisregister, das angelegt werden soll, einen wesentli- wesentlichen Schritt ins 21. Jahrhundert machen konnten. chen Schritt auf dem Weg zum Once-Only-Prinzip ge- Wir werden das Verfahren mit der Digitalisierung deut- macht, also dass Bürger und Unternehmen nur an einer lich vereinfachen und die bislang notwendigen circa Stelle ihre Daten abgeben müssen. Die Behörden können Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14499

Klaus-Peter Willsch (A) dann untereinander darauf zugreifen; damit werden (Beifall bei der AfD) (C) Mehrfachabfragen erspart. Nehmen wir uns die einzelnen Themen vor. Die Regel- Der Bundesrat hat uns in seine Stellungnahme noch ein ungen im deutschen Baurecht sind mittlerweile total aus- paar schöne Dinge hineingeschrieben, die wir uns noch geufert. Nachweispflichten schießen wie Pilze aus dem einmal sorgfältig anschauen sollten, Frau Kollegin Boden, man muss Sachverständige hinzuziehen. Bund, Poschmann. Er hat gesagt, wir sollten die Grenze für Länder und Kommunen schaffen immer mehr Auflagen die geringwertigen Wirtschaftsgüter von 800 auf 1 000 Eu- und erhöhen die Abgaben. Auch die technischen Anfor- ro anheben. Das ist etwas, was Menschen schnell merken, derungen steigen. Klima- und der Energiesparwahn tun was die Spürbarkeit von Gesetzgebungsprozessen erhöht. ihr Übriges. Infolgedessen ist unser Land ein Stück weit unsozialer Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geworden. Die Kosten für die eigengenutzte Immobilie Herr Kollege, die Zeit ist knapp. haben sich gegenüber dem durchschnittlich zur Verfü- gung stehenden Einkommen deutlich erhöht. Damit ver- Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): hindert die Bundesregierung die Schaffung von Wohn- Ich sehe es. – Zum Schluss weise ich auf die DSGVO eigentum. Das verstößt gegen das Sozialstaatsprinzip im hin. Die Europäische Kommission hat uns bescheinigt, –, Grundgesetz. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schauen wir uns andere Themenfelder, zum Beispiel Das können Sie im Ausschuss alles beraten. das Steuerrecht, an. Gerade die Regelungen im Steuer- recht sind ausufernd. Es stellt sich zum Beispiel die Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Frage, warum denn die Gewerbesteuer noch nicht abge- – dass wir da „Gold Plating“ betreiben. Wir sollten schafft ist. Ihre Funktion kann doch die Einkommen- auch noch einmal darüber nachdenken, ob wir hier nicht steuer sehr gut mit übernehmen. Warum leisten wir uns eine gefälligere und für die Menschen leichter handhab- die Gewerbesteuer noch als einen deutschen Sonderweg? bare Lösung hinkriegen. Andere Staaten haben sie schon längst abgeschafft. Vielen Dank für die Geduld. Stichwort: „EU“. Von der EU kommt in Sachen Büro- (Beifall bei der CDU/CSU) kratie nichts Gutes. Die EU-Gesetzgebungsmaschinerie spuckt andauernd neue Verordnungen und Richtlinien (B) aus. Mittelständlern fehlen einfach die Kapazitäten und (D) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: auch die Expertise, um den Anforderungen entsprechend Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Steffen nachzukommen. Diverse Informations- und Dokumenta- Kotré. tionspflichten in vielen Themenbereichen ufern aus. Das betrifft zum Beispiel das Kaufrecht, das Verbraucherrecht (Beifall bei der AfD) oder das Umweltrecht, um nur einige zu nennen. Für diesen Papierkram muss immer mehr Arbeitszeit aufgew- Steffen Kotré (AfD): endet werden. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Aufwuchs an Bürokratie ist leider nie ge- Im Zusammenhang mit der EU möchte ich auch die ringer geworden, auch mit den vorangegangenen Büro- Ökodesign-Richtlinie nennen, mit der uns vorgeschrieben kratieentlastungsgesetzen nicht. Immer dann, wenn ein werden soll, bestimmte Produkte nicht mehr zu kaufen. solches Gesetz kam, ist die Bürokratie ein bisschen ge- Wir müssen die Axt radikal an die Wurzel der Bürokratie sunken, gleichzeitig kamen aber andere Maßnahmen, die legen, meine Damen und Herren die Bürokratie wieder um ein Vielfaches aufgebaut ha- ben. Ich erinnere an die Dokumentations- und Auskunfts- (Beifall bei der AfD) pflichten zum Mindestlohn Hochgradig lästig sind auch Forderungen in Bezug auf die sogenannte Diversity-Policy. Unternehmen müssen (Falko Mohrs [SPD]: Die Leute müssen Erklärungen zu Vielfalt abgeben. Das bedeutet nichts an- vernünftig bezahlt werden! Das ist wichtig!) deres als die Einführung von Quoten. Jede Quotenrege- oder zum Beispiel an die Energieeinsparverordnung. lung ist aber eine Quotenregelung zu viel. Quotenrege- lungen haben zur Folge, dass derjenige, der aufgrund der Herr Willsch, Sie sagen, Sie hätten sich mehr ge- Quote weichen muss, diskriminiert wird. Leistung und wünscht. Das kann ich ausdrücklich unterschreiben. Wir Fähigkeit sollten im Vordergrund stehen, nicht eine irre- hätten uns auch mehr gewünscht, sehr viel mehr. Das ist levante Eigenschaft. jetzt nichts Falsches, was die Bundesregierung hier vor- gelegt hat; aber es ist enttäuschend, weil es zu wenig ist, Ein ganz wichtiger Punkt betrifft die Ausgestaltung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das hören (Falko Mohrs [SPD]: Was wollen Sie denn wir ständig. Es passiert aber einfach nichts. Planungs- noch? Den Mindestlohn aushöhlen, oder was?) und Genehmigungsverfahren müssen endlich verkürzt es nicht tiefgreifend ist und es nur bei Reförmchen bleibt werden. Großflughäfen können nur noch in China oder und es eben keine Reformen sind. anderswo gebaut werden, aber nicht mehr in Deutschland. 14500 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Steffen Kotré (AfD) (A) Das ist leider so. Wir sind auf das Niveau eines Entwick- Jetzt zum Thema Bürokratieabbau: Kürzlich besuchte (C) lungslandes zurückgefallen, meine Damen und Herren. ich ein mittelständisches Unternehmen in meinem Wahl- kreis. Der Inhaber des Unternehmens zeigte mir seinen (Beifall bei der AfD) Aktenschrank, gefüllt mit viel Papier, und fragte mich: Ist Stichwort: „Erhebung von statistischen Daten“. Wenn das denn alles notwendig? – Andererseits war ich bei der Staat von einem Unternehmen die Herausgabe statis- einer Zeitschrift zu Gast, die einen Artikel zum Thema tischer Daten verlangt, soll er dafür gefälligst zahlen. Das „Strategien, wie man den Mindestlohn auf legale Art um- heißt, wir schlagen vor, dass beispielsweise eine DIN-A4- gehen kann“ veröffentlicht hat. Seite, auf der ein Unternehmen Auskünfte an den Staat, An diesen beiden Beispielen sehen wir doch, dass wir an staatliche Behörden übermittelt, 5 Euro kostet. Diese auf der einen Seite manches regeln, sogar nachregeln Summe deckt zwar nicht die Verwaltungskosten des Un- müssen, um Menschen zu schützen. Auf der anderen Sei- ternehmens, zeigt aber dem Staat, den Verwaltungen, dass te dürfen wir aber die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürokratie die Unternehmen Geld kostet. Die Verwaltun- Bürger nicht lähmen. gen müssten in Zukunft sorgsam überlegen, welche Daten sie eigentlich brauchen. Eine solche Regelung würde das Wir wissen auch, dass sich manches verselbstständigt Verantwortungsbewusstsein der Verwaltungen stärken. bzw. mit der Zeit überholt ist. Deshalb haben wir uns Das sind innovative Methoden, von denen wir noch viel selbst diszipliniert. Wir haben 2015 die „One-in, one- mehr haben müssten. out“-Regelung eingeführt und dafür gesorgt, dass wir, wenn wir ein neues Gesetz erlassen, bürokratische Belas- Ich nenne einen Punkt, der bereits angesprochen wur- tungen nur in dem Maße einführen dürfen, wie bisherige de. Ich frage mich: Warum muss ich bei verschiedenen bürokratische Belastungen abgebaut werden. Dass das Behörden immer die gleichen Angaben machen? Wann gut funktioniert, wird vom Normenkontrollrat überwacht. kommen wir dazu, dass bestimmte Daten nur einmal an- Wir können dabei also nicht tricksen, sondern es wird gegeben werden müssen? Das ist dringend notwendig. geschaut, ob wir Regulierungen abschaffen. Der Datenschutz ist überreguliert. Allein die Daten- Ich finde, diese Regelung sollte es auch auf europä- schutz-Grundverordnung macht den Betrieben erhebliche ischer Ebene geben. Wir sollten auf europäischer Ebene Schwierigkeiten. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist eine „One-in, one-out“-Regelung schaffen und einen völlig überflüssig. Wir haben genug Strafgesetze. Weg Normenkontrollrat einrichten. Frau von der Leyen kann damit! das gerne in Angriff nehmen. Es ist mir an dieser Stelle leider nicht vergönnt, noch (Beifall bei der SPD) (B) weiter in die Tiefe zu gehen. Wir wollen aber mehr als den Status quo. Deshalb (D) bringen wir schon das Dritte Bürokratieentlastungsgesetz Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: auf den Weg. Der wesentliche Bestandteil dieses Gesetzes Das stimmt. ist die Digitalisierung. Ich denke, damit kommen wir ei- nen großen Schritt voran. Steffen Kotré (AfD): Ich danke den Ministern Scholz und Heil für zwei gute Das Thema ist so umfassend; man müsste eigentlich Vorschläge, die in dieses Gesetz Eingang fanden. Dabei noch weiter ins Detail gehen. Ich hoffe, dass die Bundes- geht es einmal um die Digitalisierung von Krankmeldun- regierung an diesem Thema dranbleibt und weiter nach- gen; der gelbe Schein entfällt zukünftig. Außerdem geht legt. es um das Register für Unternehmensstandards, in das sich Unternehmen nun nur einmal eintragen müssen. Alle Vielen Dank. Ministerien können darauf zugreifen. (Beifall bei der AfD) Der dritte wichtige Punkt geht nicht auf einen Vor- schlag aus den beiden genannten Ministerien zurück. Die Initiative stammt aus dem Innenministerium. Er be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: trifft die Möglichkeit der digitalen Meldung von Hotel- Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Sabine übernachtungen. Auch hierbei entfällt der Papierkram Poschmann. zukünftig. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jan Hinzu kommen 14 Einzelmaßnahmen. Insgesamt sor- Metzler [CDU/CSU]) gen wir damit für eine jährliche Entlastung der Unterneh- men um 1,1 Milliarden Euro. Ich denke, das kann sich Sabine Poschmann (SPD): durchaus sehen lassen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD) Kollegen! Ein Satz zu Herrn Kotré: Dass Vielfalt nicht Ihr Ding bzw. das der AfD ist, brauchen Sie wirklich nicht zu Was mit uns Sozialdemokraten allerdings nicht geht, betonen; das wissen wir alle. ist ein Aufweichen der Aufschreibung beim Mindestlohn. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Enrico Über 1 Million Beschäftigte bekommen heute immer Komning [AfD]: Vielfalt schon, Quoten nicht!) noch nicht den ihnen zustehenden Mindestlohn. Die Auf- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14501

Sabine Poschmann (A) weichung der Aufschreibung würde Kontrollen erschwe- desregierung dem Bürokratieabbau einräumt: Keine! (C) ren. Ich finde, ein Umgehen des Mindestlohns darf bei Nicht einmal jedes Ministerium ist hier vertreten und uns kein Kavaliersdelikt sein, sondern muss eine strafbare von Titularministerin Staatsministerin Grütters abgese- Handlung bleiben und als solche auch wahrgenommen hen sind keine Ressortminister anwesend, wenn ich das werden. aus dem Augenwinkel richtig sehe. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, Bürokratie ist wie eine He- cke. Sie wächst von alleine und muss gelegentlich auf Deshalb muss das genauso bekämpft werden wie Stock gesetzt werden. Wer heute die Herbstprognose Schwarzarbeit; denn das schadet unserer Gesellschaft. des Bundeswirtschaftsministeriums für die deutsche Gestern hatte ich ein Treffen mit Vertretern des DGB. Wirtschaft anschaut, der muss ja in Sorge sein über den Ich fand folgende Idee ganz amüsant: Der DGB könnte Abschwung. Wir stehen nicht an der Schwelle zu einer sofort – jetzt kommt es – auf den Mindestlohn und auf die Rezession, wir sind mittendrin. Da wäre es an der Zeit Mindestausbildungsvergütung verzichten, wenn wir in und richtig, jetzt gegenzusteuern und die Bürgerinnen diesem Land 100 Prozent Tarifbindung hätten. und Bürger, die Industrie, die Wirtschaft, insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe, die Selbstständigen, (Beifall bei der SPD) die Handwerker, wirklich kraftvoll von Bürokratie zu ent- So einfach ist das, muss man sagen. Die Tarifvertrags- lasten. parteien und vor allem die Innungen sind also aufgefor- (Beifall bei der FDP) dert, wieder an einen Tisch zurückzukehren. Wir haben einen eigenen Antrag eingebracht, der all Auch ich hätte natürlich weitere Vorschläge für das die Dinge aufzählt, die gemacht werden könnten. Der Bürokratieentlastungsgesetz, die das Leben der Bürger- Gesetzentwurf der Regierung kommt spät. Schon zu Be- innen und Bürger, aber auch den Alltag der Unternehmen ginn des Jahres haben wir beantragt, dass das BEG III erleichtern könnten. Ich denke da zum Beispiel an die endlich kommt. Die Expertenanhörung ist ein Jahr her. Vereinfachung von Anträgen. Es kann nicht sein, dass Da hätte mehr passieren können, da hätte mehr passieren man beinahe ein Professor sein muss, um Anträge aus- müssen. Nachdem führende Wirtschaftsforscher ja jetzt füllen zu können. Ich denke auch an die Beschleunigung öffentlich staatliche Investitionen fordern und, sehr ge- von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Ich finde, ehrte Frau Staatssekretärin Ryglewski, auch der Bundes- wenn wir den Strukturwandel in überschaubarer Zeit er- finanzminister öffentliche Investitionen fordert, sage ich: folgreich gestalten und Fortschritte beispielsweise beim Nehmen Sie doch mal den Bürokratieabbau als eine In- sozialen Wohnungsbau erzielen wollen, müssen wir vestition in die Leistungsfähigkeit der Verwaltung und (B) Strukturen verschlanken. der deutschen Wirtschaft. Damit könnte man den Men- (D) schen sofort helfen. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Bereich betrifft sowohl den Bund als auch (Beifall bei der FDP) die Länder. Deutschland ist Exportweltmeister. Auf der Das vorliegende Gesetz der Bundesregierung müsste anderen Seite aber gibt es 16 Bundesländer mit zum Teil im Sprachgebrauch der Bundesregierung aber Tropfen- 16 verschiedenen Regelungen. Ich nenne als ganz einfa- auf-den-heißen-Stein-Gesetz oder „Kleines-Entlastungs- ches Beispiel den Rauchmelder. Es gibt in den Ländern gesetz“ heißen. unterschiedliche Pflichten, ab wann Rauchmelder einge- baut werden müssen oder von wem die Wartung über- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) nommen werden muss. Ich finde, das muss nicht sein. Die meisten enthaltenen Maßnahmen sind ja richtig, Es muss aber auch nicht alles ins Bürokratieentlastungs- wie zum Beispiel die Abschaffung des gelben Krankmel- gesetz III. Das Finanzministerium digitalisiert gerade den dungsscheins. Allerdings wird das Ganze nur sehr halb- Bereich Zoll, also auch hier Entlastung. Wir müssen also herzig angegangen. Sehr geehrter Herr Kollege Durz, dranbleiben, auch bei neuen Gesetzen Zurückhaltung Plagiat: Da hat die Regierung Dinge aufgegriffen, die üben. Im Ruhrgebiet sagt man dazu: So rum wird ein schon lange in FDP-Anträgen drinstehen. Schuh draus. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank. Zu wenig und zu spät, meine Damen und Herren! Es (Beifall bei der SPD) fehlt die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für steuerrelevante Unterlagen. Es fehlt die Garantie zeitna- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: her Betriebsprüfungen. Es fehlt eine qualitative und quan- Vielen Dank. – Der nächste Redner: der Kollege titative Weiterentwicklung des Ansatzes „One in, one Michael Theurer, FDP-Fraktion. out“ zu „One in, two out“, und es fehlen zentrale Anlauf- stellen für Unternehmensgründungen. Die Digitalisie- (Beifall bei der FDP) rung der Register ist zwar angesprochen, aber sie ist nicht etatisiert, und sie ist nicht Bestandteil dieses Gesetzes. Michael Theurer (FDP): Meine Herren Vizepräsidenten! Sehr geehrte, liebe (Beifall bei der FDP) Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick auf die Regierungs- Da kann ich nur sagen: Zu wenig, zu spät! Da ist zu klein bank zeigt, welche Bedeutung, welche Priorität die Bun- gedacht. Wir sollten größer denken. 14502 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Michael Theurer (A) Die Handlungsbedarfe, meine Damen und Herren, hat heute Teile für Vergaser herstellen, die künftig in Elektro- (C) ja auch Herr Altmaier erkannt – zumindest teilweise. autos nicht mehr gebraucht werden, oder mittelständische Aber er ist wohl beim Bürokratieabbau im Kabinett ge- Maschinenbauer. Oft haben diese Unternehmen nicht ge- nauso umgefallen wie bei der kompletten Abschaffung nügend Kapital, neue Produkte zu entwickeln. Ihre Exis- des Soli. Die wird großspurig eingefordert, aber es wird tenz ist bedroht. Viele Beschäftigte fragen sich zu Recht, nicht geliefert, meine Damen und Herren. ob es ihren Arbeitsplatz und ihren Beruf in fünf oder zehn Jahren noch geben wird und was aus ihnen werden soll, (Beifall bei der FDP) wenn dem nicht so ist. Darauf verdienen die Menschen Ankündigungen, Herr Minister Altmaier, reichen nicht eine Antwort, und es ist nicht akzeptabel, dass die Bun- aus. Die Entlastung muss beherzt angegangen werden. desregierung hier weitgehend konzeptionslos ist. Am Tag, an dem das Bürokratieentlastungsgesetz III in Kraft tritt, wird bereits das Bürokratieentlastungsge- (Beifall bei der LINKEN) setz IV notwendig sein. Diesen Mittelständlern und ihren Beschäftigten ist we- der mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung (Beifall bei der FDP) noch mit der Erleichterung bei der Vorhaltung von Daten- Wir fordern an dieser Stelle, dass dringend ein neues verarbeitungssystemen für steuerliche Zwecke wirklich Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg gebracht wird; geholfen. Hier ist aktive Struktur- und Industriepolitik denn das, was Sie hier vorlegen, reicht nicht aus, um die gefordert. deutsche Wirtschaft aus der Rezession zu holen. Wir wol- len die deutsche Wirtschaft aus der Rezession holen. Wir (Beifall bei der LINKEN) wollen Freiräume schaffen für die Unternehmen, damit Wir schlagen zum Beispiel vor, einen Zukunftsfonds sie wieder Arbeitsplätze und Wohlstand sichern können. einzurichten, der mit 20 Milliarden Euro im Jahr die Transformation gerade der mittelständischen Betriebe er- Vielen Dank. möglicht. Es geht nämlich um den Erhalt und die Schaf- (Beifall bei der FDP) fung zukunftsfähiger Arbeitsplätze. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Es ist an der Zeit, die konjunkturellen Probleme und die Vielen Dank, Herr Kollege Theurer. – Als Nächster hat strukturellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen das Wort für die Fraktion Die Linke der Kollege Bernd zusammen anzugehen. Die Bundesregierung muss drin- Riexinger. gend umsteuern. Der Bund muss mehr in den Ausbau der (B) (Beifall bei der LINKEN) öffentlichen Infrastruktur investieren, in Bildung, Ge- (D) sundheit, öffentlichen Personennahverkehr und den Bau Bernd Riexinger (DIE LINKE): von bezahlbaren Wohnungen. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im (Beifall bei der LINKEN) vorliegenden Entwurf erklärt die Bundesregierung den Bürokratieabbau – ich zitiere – zum „Schlüsselthema“ Statt weiter an dem Dogma der schwarzen Null festzu- und zum „Kernbestandteil der Mittelstandspolitik“. Ist halten, muss mit kräftigen Investitionen der Weg zu einer Ihnen das nicht etwas peinlich angesichts der Konjunktur- CO2-freien Wirtschaft eingeschlagen werden. Kein prognose, die Sie heute veröffentlicht haben? Die aktuelle Beschäftigter soll sich zwischen Arbeitsplatz und Klima- wirtschaftliche Lage betrachten völlig zu Recht viele Be- schutz entscheiden müssen. schäftigte mit Sorge. (Beifall bei der LINKEN) (Reinhard Houben [FDP]: Nicht nur Die Bundesregierung macht den Fehler, abzuwarten, Beschäftigte!) bis sich die konjunkturellen Probleme der vorrangig ex- Der Stand der Kurzarbeit ist so hoch wie in der Rezession portabhängigen Branchen in die gesamte Wirtschaft rein- 2012/2013. Jedes achte Unternehmen im verarbeitenden gefressen haben. Jetzt muss gehandelt werden. Bringen Gewerbe erwartet in den kommenden Monaten Kurzar- Sie öffentliche Investitionen auf den Weg für den drin- beit. Anstatt Bürokratieabbau als Schlüsselthema breitzu- gend notwendigen sozial-ökologischen Umbau. Das wür- treten, sollte die Bundesregierung glaubwürdige und de mittelständischen Betrieben, vor allem den Beschäf- brauchbare Konzepte vorlegen, wie Arbeitsplätze gesi- tigten, - chert werden können. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Abseits der aktuellen konjunkturellen Lage führen Kli- makrise, Digitalisierung und globale Handelskonflikte zu großen Umbrüchen in der Wirtschaft. Das deutsche Ex- Bernd Riexinger (DIE LINKE): portmodell erweist sich als krisenanfällig und kann nicht – deutlich mehr helfen als das bisschen Bürokratieab- einfach so fortgesetzt werden. Allein durch die Umstel- bau, das Sie hier vorgelegt haben. lung auf Elektromobilität sind in der Automobilindustrie Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. rund 100 000 Arbeitsplätze bedroht. Dies betrifft vor al- lem mittelständische Zulieferer, zum Beispiel die, die (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14503

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: aber nicht immer bedeutet Digitalisierung auch tatsäch- (C) Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin hat liche Entlastung. Warum nicht diese Form der Melde- das Wort die Kollegin Claudia Müller, Bündnis 90/Die pflicht komplett abschaffen? Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Andere europäische Länder sind da deutlich weiter. In diese Richtung können und sollten wir auch gehen. Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Ein weiterer Punkt: die digitale Arbeitsunfähigkeitsbe- men und Herren! Der Berg kreißte und gebar eine Maus. scheinigung. Sie schließen hier eine Lücke – das ist sehr Das passt leider auch auf diesen Gesetzentwurf. Erst mit sinnvoll –, die sonst 2021 durch den Gesetzentwurf des großer zeitlicher Verzögerung im Vergleich zu Ihren An- Gesundheitsministeriums entstehen würde, der beinhal- kündigungen und dann plötzlich mit größter Eile vorge- tet, dass die Ärzte ab 2021 die Bescheinigung digital an stellt, ist der ganze Vorgang vom Misstrauen der Koali- die Krankenkassen übermitteln sollen. Dass diese dann an tionäre untereinander geprägt. Es gibt hier eine die Arbeitgeber weitergegeben werden soll, ist durchaus Parallelität in den Abläufen bezüglich des vorletzten Ta- eine sinnvolle Idee und klingt nach einer Selbstverständ- gesordnungspunktes, dem Gesetzentwurf zum Schutz der lichkeit. Das wird zum Teil schon praktiziert, zum Bei- Paketbotinnen und Paketboten. Genau diese Kopplung spiel durch die AOK in Bayern. Es ist also nicht beson- bestimmt das Timing Ihrer Vorgehensweise. Inhalte und ders innovativ, sondern Sie sind bei diesem Punkt eher übliche Verfahren wurden und werden beiseitegewischt. etwas spät dran. Dafür ist er nicht ausgearbeitet genug. Nicht nur die Dreitagesfrist, die die Verbände für ihre Die Entlastung wird auch nicht so groß sein, wie Sie es Stellungnahmen hatten, ist zu kritisieren, sondern auch momentan prognostizieren. Das alles gilt nur für die ge- der Ablauf, den wir nächste Woche sehen werden: Mon- setzliche Versicherung. Das heißt, wir werden hier ein tag die Anhörung, Mittwoch die Behandlung im Aus- doppeltes System bekommen: einmal für die gesetzlichen schuss, und am Donnerstag soll das Ganze dann verab- und einmal für die privaten Versicherungen. Sie können schiedet werden. Das macht vor allen Dingen eines mich jetzt überraschen und ankündigen, dass Sie eine deutlich, nämlich dass Sie nicht gedenken, aus den Anhö- Bürgerversicherung einführen wollen, das bezweifle ich rungen Hinweise und Anregungen von den Expertinnen an dieser Stelle aber sehr stark. und Experten aufzunehmen. Es geht darum, den Gesetz- entwurf schnell durchzubringen und immer in Parallelität (Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD]) mit dem Gesetzesvorhaben zur Nachunternehmerhaf- Ganz ehrlich: Die Eile ist hier unnötig; denn Sie haben bis (B) tung. Ganz ehrlich: Das hat dieses Thema nicht verdient. 2021 Zeit. (D) Erst ewig Zeit lassen und dann diese Eile, das ist dessen nicht würdig. Ein letzter Punkt. Beim Thema Basisregister kündigen Sie in diesem Gesetzentwurf ein zukünftiges Gesetz an, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) also in einem Gesetz ein Gesetz. Diesem Vorgehen ist auch geschuldet, dass viele gute Vorschläge – nicht nur von uns, sondern von verschieden- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sten Gremien – den Weg nicht in dieses Gesetz geschafft Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. haben. Nehmen wir zum Beispiel die Abschaffung der Poolabschreibung durch eine Erhöhung der Grenze für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auf 1 000 Euro. Das hätte eine tatsächliche Entlastung Ich komme gleich zum Schluss. gebracht und ist übrigens eine Forderung des Bundesra- tes. Das findet sich leider nicht so in Ihrem Gesetzentwurf Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wieder. Ja. Auch die Höhe der Istbesteuerung wird nicht angefasst. Hier fordert der Bundesrat die Anhebung auf mindestens Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 600 000 Euro; denn das wäre eine Angleichung an die Was dieses Gesetz vor allen Dingen ist, ist die Ankün- Buchführungsgrenze. Daran gehen Sie nicht. Wir Grüne digung des Bürokratieentlastungsgesetzes IV, das wir haben sogar vorgeschlagen, hier deutlich weiter zu gehen, dann hoffentlich in ein paar Jahren sehen werden. und haben eine Vervierfachung der jetzigen Summe auf 2 Millionen Euro gefordert. Das hieße, dass insbesondere Ich danke für die Aufmerksamkeit. kleinere Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von bis zu 2 Millionen Euro die Umsatzsteuer erst abführen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) müssen, wenn sie die Einnahmen tatsächlich haben. Das wäre auch für diese Unternehmen eine Entlastung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Paul Lehrieder, CDU/CSU-Frak- Schauen wir uns einmal ein paar Punkte an, für die Sie tion. sich besonders feiern: die Digitalisierung der Melde- pflicht in Hotels. Grundsätzlich ist Digitalisierung schön, (Beifall bei der CDU/CSU) 14504 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Paul Lehrieder (CDU/CSU): tion – bereits mit dem am 1. November 2015 in Kraft (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- getretenen Bundesmeldegesetz abgeschafft, mit dem die be Kollegen! Ich muss zunächst einmal Herrn Theurer Hotelmeldepflicht schon erheblich vereinfacht wurde. ansprechen. Sie sind der Auffassung: Das Gesetz, das Seitdem können Beherbergungsbetriebe diese Daten, wir jetzt vorlegen, ist zu wenig, zu klein, zu wenig ambi- wenn sie bei der Buchung bereits übermittelt wurden oder tioniert. Herr Theurer, am 19. November 2017 hatten Sie bekannt sind, vorab auf dem Meldeschein für uns eintra- es in der Hand, sich selber in die Regierung zu begeben, gen, und wir müssen nur noch unterschreiben. Das ist um uns nicht als Opposition zu kritisieren, sondern um schon eine deutliche Entlastung. mit Gestaltungswillen voranzugehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Immer wieder der SPD) das Gleiche!) Aber diese Unterschrift verursacht immer noch einen Dieser Phantomschmerz der abgebrochenen Koalitions- enormen Aufwand und erhebliche Kosten. Ich bitte Sie, verhandlungen steckt Ihnen heute noch in den Knochen, sich diese Zahlen zu merken: Pro Jahr fallen in Deutsch- und den hört man bei fast jeder Rede der FDP heraus. land circa 150 Millionen Meldescheine an. Das vorge- Herr Theurer, es ist schade. Hätten Sie bei uns mitge- schriebene papierhafte Meldeverfahren verursacht in macht, dann hätten wir eine Koalition, in der wir Ihre den Betrieben durch Anschaffung, Handling, Lagerung Ideen in diese Richtung aufgreifen können. und anschließende Vernichtung eine Kostenbelastung von rund 100 Millionen Euro jährlich. Angesichts der (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Theurer zunehmenden Digitalisierung bedeutet das für die Bran- [FDP]: Eine bessere Ausrede haben Sie auch che nicht nur eine erhebliche bürokratische Belastung, nicht für Ihr eigenes Versagen!) sondern auch eine deutliche Einschränkung der Service- Jetzt haben wir mit der Sozialdemokratie eine Lebens- qualität beim Reisen, für die Hotelgäste zu Recht immer abschnittsgefährtin, mit der wir ein gutes Gesetz auf den weniger Verständnis aufbringen. Weg gebracht haben: das dritte Bürokratieentlastungsge- setz. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kolleginnen, Wir haben schon seit einiger Zeit nach einer Lösung liebe Kollegen: Wenn ich in einer Rede über Bürokratie- gesucht, mit der Betriebe und Gäste entlastet werden kön- abbau spreche, dann gähnen die Leute, sie sind gelang- nen. Das war vor allem deshalb nicht ganz einfach, weil weilt. Das glaubt uns draußen niemand mehr. In diesem die Hotelmeldepflicht, Frau Müller, auch der Gefahren- Fall haben wir endlich einmal einen Gesetzentwurf, bei abwehr und der Strafverfolgung dient. Selbst bei einer dem wir mit Bürokratieabbau Ernst machen. falschen Identitätsangabe können auf handschriftlich aus- (B) gefüllten Meldescheinen Anhaltspunkte für die Identifi- (D) (Michael Theurer [FDP]: Selbsterkenntnis ist zierung von Personen bereitgestellt werden, etwa durch der erste Weg zur Besserung!) DNA-relevante Spuren. Ich darf mich sehr herzlich bei Als tourismuspolitischer Sprecher unserer Fraktion den beiden beteiligten Ministerien bedanken, zunächst möchte ich mich natürlich schwerpunktmäßig auf den beim Innenminister Horst Seehofer und seinem Staats- Bereich Hotelübernachtungen kaprizieren und genau die- sekretär Marco Wanderwitz, mit dem wir im Vorfeld diese ses Detail erläutern und auch Frau Müller ein paar er- Frage kontrovers und sehr lange diskutiert haben, aber klärende Worte mitgeben, damit sie weiß, warum eine auch herzlichen Dank an Wirtschaftsminister Peter Registrierung von Hotelgästen überhaupt noch sinnvoll Altmaier und seinen Staatssekretär und Tourismusbeauft- und erforderlich ist. ragten der Bundesregierung Thomas Bareiß. Das Zusam- menwirken der beteiligten Ministerien hat super geklappt. (Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE Auch denen haben wir es zu verdanken, dass wir diese GRÜNEN]: Das weiß ich!) Entlastung hinbekommen konnten. Herzlichen Dank. – Ich komme gleich dazu, keine Angst. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir alle kennen die bishe- Insbesondere angesichts einer zunehmenden Nutzung rige Praxis nur zu gut. Bei jeder Übernachtung wird uns von privaten Übernachtungsangeboten im Rahmen der an der Rezeption ein Meldeformular gegeben, das um- sogenannten Sharing Economy, für die die Meldepflicht ständlich ausgefüllt und unterschrieben werden muss. und damit diese Vorschrift nicht gilt, verliert die hand- Das ist bisher gesetzlich vorgeschrieben. Die Meldeschei- schriftliche Unterzeichnung von Meldescheinen an Be- ne müssen von den Betrieben ab dem Tag der Anreise ein deutung. Jahr aufbewahrt und dann innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun eine Op- Ohne ausgefüllten Meldeschein bekommen wir keinen tion für ein digitales Meldeverfahren eingeführt werden, Schlüssel für das Zimmer oder keine Zimmerkarte, auch bei dem die eigenhändige Unterschrift durch andere, si- wenn die Anreise lang und ermüdend war und wir einfach chere Verfahren ersetzt wird. Dies soll in Verbindung mit nur ins Zimmer gehen möchten. Selbst wenn wir online den Vorgaben der Zahlungsdiensterichtlinie zur starken gebucht haben, müssen wir am Empfang warten und die Kundenauthentifizierung oder den elektronischen Funk- übermittelten Daten noch einmal schriftlich bestätigen. tionen des Personalausweises erfolgen. Gleichzeitig wird Bis vor wenigen Jahren mussten wir sogar auch noch sichergestellt, dass das bisherige papierhafte Meldever- zwingend unsere persönlichen Daten handschriftlich auf fahren auch zukünftig von den Beherbergungsbetrieben dem Meldeschein eintragen. Dies haben wir – die Koali- beibehalten werden kann und keine Verpflichtung zur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14505

Paul Lehrieder (A) Investition in digitale Infrastrukturen oder Softwarelö- (Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD]) (C) sungen besteht. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, da ich nun Dies ist eine deutlich bessere Lösung als etwa die gänz- das letzte Wort als Rednerin in dieser Debatte habe, lasse liche Abschaffung der Hotelmeldepflicht, wie sie von den ich es mir nicht nehmen, für einen positiven Ausklang zu Grünen – Kollegin Müller hat es gesagt – gefordert wird; sorgen. Ich bin Tourismuspolitikerin. Deshalb freue ich denn wir brauchen natürlich die statistischen Daten, wer mich sehr, dass mit diesem Gesetz die Tourismusbranche wo wie lange übernachtet. So ist es zum Beispiel für die deutlich entlastet werden wird; Infrastrukturplanung von Städten und Gemeinden unver- zichtbar, dass die Gästeübernachtungen in Hotels und (Beifall bei der SPD) Pensionen erfasst werden. Auch hier geht es um Planung denn wir werden das nervige Hotelmeldeverfahren ver- und vorbereitende Tätigkeiten. Diese Informationen nicht einfachen. Wir haben es schon gehört – wir wissen es mehr bereitzustellen, wäre unverantwortlich und welt- eigentlich alle –: Wer heute in einem Hotel oder einer fremd. Ferienwohnung übernachten will, muss – das ist doch etwas umständlich – ein Formular ausfüllen und unter- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Bürokratieabbau schreiben. Wir meinen, dass das nicht mehr in unsere Zeit ist und bleibt ein Kernbereich, der in dieser Koalition passt. Daher werden wir mit dem vorliegenden Gesetz- gut aufgehoben ist. Vor allem der Mittelstand, der auf- entwurf das Meldeverfahren an die digitale Zeit anpassen. grund begrenzter finanzieller und sachlicher Ressourcen in besonderer Weise von regulatorischen Vorhaben be- (Beifall bei der SPD) troffen ist, kann entlastet werden. Frau Kollegin Poschmann, Sie hatten es angesprochen: Wir müssen Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ist dies weiter dranbleiben. Da bin ich voll bei Ihnen. Ich könnte in Ihrer Regierungszeit nicht gelungen. Ich finde, deshalb mir gut eine langfristige Flexibilisierung der Arbeitszeit sollten Sie sich mit Kritik besser zurückhalten. im Bereich der Gastronomie vorstellen. Der DEHOGA (Beifall bei der SPD) wünscht mehr Flexibilität beim Einsatz von Fachkräften, ohne den Arbeitnehmerschutz zu vernachlässigen. Wir kommen mit unserer Initiative übrigens auch ei- nem dringenden Wunsch der Tourismusbranche nach; denn die handschriftlichen Notizen sind nicht nur zeit- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: aufwendig, sie verschlingen obendrein große Mengen Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit deutlich über- von Papier. Pro Jahr werden etwa 150 Millionen Hotel- schritten. meldescheine beschrieben. Das sind so viele Zettel, dass man sie einmal um die halbe Welt wickeln könnte, wenn (B) Paul Lehrieder (CDU/CSU): man sie aneinander kleben würde – und das jedes Jahr. (D) Vielleicht können wir uns darüber verständigen. Die Hotels sind obendrein noch verpflichtet, den Papier- wust ein Jahr lang aufzubewahren. Damit, meine Damen Herr Präsident, ich bin gerade einmal 17 Sekunden und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir über der Zeit. Ich hoffe, dass Sie bei jedem Kollegen so jetzt Schluss. streng sind wie bei mir. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. (Beifall bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] Herzlichen Dank. [CDU/CSU]: Großartig!) Alle Meldescheine dürfen jetzt in digitaler Form ge- (Beifall bei der CDU/CSU) speichert werden. Nun liegt es an den Hotel- und Über- nachtungsbetrieben, den Sprung in das digitale Zeitalter Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu wagen und den digitalen Meldeschein in ihren Betrie- Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie waren schon 20 Se- ben einzuführen. Ich bin mir sicher, liebe Kolleginnen kunden über Ihrer Zeit. Wenn wir das bei jedem Redner und Kollegen, dass das viele Betriebe aufgreifen werden; zulassen, wird aus 5.25 Uhr 9 Uhr. Dann können wir denn damit lässt sich richtig viel Geld einsparen, insge- durchtagen. samt rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Als letzte Rednerin hat die Kollegin Gabriele Hiller- Meine Damen und Herren, nicht nur die Betriebe kön- Ohm von der SPD-Fraktion das Wort. nen aufatmen. Frohe Botschaft auch für die Gäste: Mit dem digitalen Meldeschein wird das Einchecken ins Ho- (Beifall bei der SPD) tel endlich so entspannt wie der Urlaub selbst. So sieht Bürokratieabbau aus. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorlie- der CDU/CSU) genden Bürokratieentlastungsgesetz werden wir zeitrau- bende, teure und nervige bürokratische Vorgänge mit Vizepräsident Wolfgang Kubicki: großer Freude in die Vergangenheit katapultieren. Es Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit schließe ich die wurden bereits viele Aspekte des vorliegenden Gesetz- Aussprache. entwurfes erwähnt. Meine geschätzte Kollegin Sabine Poschmann hat die Erfolge und Ziele der SPD sehr gut Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf dargestellt. Danke schön. den Drucksachen 19/13959, 19/14076 und 19/14031 an 14506 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- – heißt es darin - (C) schlagen. Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann wird so ermöglicht es uns, Muster zu erkennen und Urteile verfahren. zu fällen. … Geschichte erlaubt uns, verantwortlich zu sein … Ich nutze die Zeit des jetzt erfolgenden Sitzplatzwech- sels für einen Hinweis. Nach der bisherigen Planung wird Zweifellos sind es vor allem die bitteren Erfahrungen die Sitzung bis morgen früh, 5.25 Uhr, dauern. Sie kennen des 20. Jahrhunderts, die für ein verantwortungsbewuss- meine Einstellung dazu: Ich halte das für unvertretbar, tes „Wehret den Anfängen“ gleichermaßen Motivation insbesondere den Bediensteten des Deutschen Bundesta- und Argumente liefern. Doch was uns erlaubt, Hand- ges gegenüber. lungsspielräume zu erkennen und Gefühle der Ohnmacht zu überwinden, ist die Erinnerung an demokratische (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sternstunden und Hoffnungsträger, an Momente also, in denen demokratische Werte den Sieg davongetragen ha- Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer dringend, ben, und an Menschen, deren Mut, Zuversicht und bereits jetzt darüber nachzudenken, welche diskussions- Weitsicht diesen Siegen den Weg geebnet haben. In die- reduzierenden Maßnahmen ergriffen werden können, da- sem Sinne begrüße ich den Antrag der Koalitionsfraktio- mit wir früher und auch glücklich ins Bett gehen können. nen, Orte der Freiheit und Demokratie stärker ins öffent- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Schon liche Bewusstsein zu rücken. Diese Orte brauchen und geschehen! Herr Präsident, wir sind dabei!) verdienen mehr Respekt und mehr Raum in unserem Selbstverständnis: – Ich habe in die Union immer großes Vertrauen, weil ich weiß, wie aktiv Sie an der Debattenkultur nach 23 Uhr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie teilnehmen. des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt als gleichermaßen mahnende und motivierende Erinne- wäre ich vorsichtig!) rung, dass Demokratie kein Geschenk ist, sondern eine Errungenschaft, kein ständiger Besitz, sondern stetes Be- – Ich bin da, keine Sorge. mühen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 31 auf: In diesem Sinne fördert der Bund Museen und Gedenk- Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ stätten, die Zeugnis ablegen vom Ringen um Freiheit und CSU und SPD Demokratie, wie beispielsweise die Stiftung Hambacher Schloss, das Deutsche Historische Museum oder auch die (B) (D) Orte der Freiheit und Demokratie: 100 Jahre Politikergedenkstiftungen des Bundes. Darüber hinaus Weimarer Reichsverfassung – Demokrati- wird die Bundesregierung eine Förderkonzeption für die scher Aufbruch und Scheitern der ersten deut- Orte der Freiheit und Demokratie in Deutschland vorle- schen parlamentarischen Republik gen. Mein Haus erarbeitet derzeit Vorschläge, sowohl für mögliche institutionelle Förderungen als auch für Projek- Drucksache 19/11089 te. Ich bin sehr dankbar für das sehr breite zivilgesell- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die schaftliche Engagement in diesem Bereich, etwa im Rah- Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hierzu men der AG „Orte der Demokratiegeschichte“. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Dem berechtigten Anliegen, die lange Geschichte des nerin Frau Staatsministerin Monika Grütters für die Bun- Ringens um Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrech- desregierung das Wort. te und Demokratie stärker im öffentlichen Bewusstsein zu (Beifall bei der CDU/CSU) verankern, wäre allerdings nicht gedient, wenn der Ein- druck entstünde, dass damit das Gewicht des Gedenkens Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- an den Holocaust und an die Opfer totalitärer Diktaturen kanzlerin: relativiert werden könnte. An der Fortschreibung der Ge- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und denkstättenkonzeption des Bundes halten wir deshalb Kollegen! fest, um den Blick zu schärfen für Entwicklungen, die einst zu Krieg und Vernichtung, zu Gewalt und Unter- Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir können drückung geführt haben. Nicht zuletzt der entsetzliche, aus ihr lernen. antisemitisch motivierte Terroranschlag in Halle zeigt, wie bitter notwendig dies ist und bleibt. Mit diesem Satz beginnt das Büchlein „Über Tyrannei“ des amerikanischen Historikers Timothy Snyder. Aus den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Erfahrungen der europäischen Geschichte destilliert er bei Abgeordneten der LINKEN) „Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ gegen Dema- gogen und Autokraten – für Bürgerinnen und Bürger, die Deutschland, meine Damen und Herren, verdankt seine das weltweite Erstarken populistischer Demokratiever- heutige Identität und sein mittlerweile wieder sehr hohes ächter mit Sorge beobachten. Ansehen in der Welt zweifellos auch seiner schonungslosen Auseinandersetzung mit der Vergangen- Die Geschichte heit. Zu Recht sind wir vorsichtig, wenn es darum geht, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14507

Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin Monika Grütters (A) stolz und selbstbewusst auf die eigene Geschichte zurück- Das liegt daran, dass Sie das Erinnern an Weimar mit (C) zuschauen. Doch es stärkt die Kräfte der Zivilgesellschaft einem völlig falschen und auch sehr gefährlichen politi- und damit auch die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie, schen Narrativ verbinden: In der Weimarer Republik habe wenn wir die Chance haben, nicht nur am Ringen mit der es zu wenig Demokraten gegeben, das habe es den Ext- Vergangenheit zu reifen, sondern auch im Bewusstsein remisten von links und vor allem dann von rechts ermög- der eigenen Freiheitstraditionen zu wachsen. Arbeiten licht, die Demokratie zu beseitigen. – Das ist nicht ganz wir also gemeinsam daran, dass auch die Sternstunden falsch, aber allzu simpel; sei’s drum! – Aber heute – so deutscher Demokratiegeschichte ihren angemessenen lautet Ihre völlig abstruse Parallele – gebe es eine ähnlich Platz in unserem Selbstverständnis finden. gelagerte Bedrohung der Demokratie, und die bösen Rechtspopulisten, namentlich die AfD, seien in der Rolle Vielen Dank. der damaligen Extremisten. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem FDP) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Leider ist das so!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Meine Damen und Herren, eine größere Infamie und Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Redner Pervertierung der Wahrheit ist kaum vorstellbar. Die Al- hat das Wort der Kollege Dr. Marc Jongen, AfD-Fraktion. ternative für Deutschland hat sich gegründet, um Demo- kratie und Rechtsstaatlichkeit, die heute aus ganz anderen (Beifall bei der AfD) Gründen in Gefahr sind, zu schützen und, wo nötig, wie- derherzustellen. Dr. Marc Jongen (AfD): (Beifall bei der AfD) Herr Präsident! Frau Staatsministerin Grütters! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Antrag der Regierungskoali- Wenn Sie schon nach Parallelen zu Weimar suchen tion erinnert an 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung, wollen, dann fassen Sie sich an die eigene Nase, und die erste demokratische Verfassung auf deutschem Bo- schauen Sie auf die unselige Tradition der Notstandsver- den, auf die wir stolz sein können, meine Damen und ordnungen und der Ermächtigungsgesetze, mit denen Par- Herren. lamentarismus und Demokratie damals immer mehr aus- gehebelt worden sind. Die Weimarer Reichsverfassung war viel besser, als ihr Ruf es lange gewesen ist. Die Weimarer Republik ist nicht (René Röspel [SPD]: Da hat die SPD als Einzige dagegengestimmt!) (B) wegen, sondern trotz ihrer Verfassung gescheitert. Diese (D) Position setzt sich unter Historikern immer mehr durch, Sie haben hier im Deutschen Bundestag am 29. Ju- und es ist gut, wenn das jetzt Eingang in unsere nationale ni 2012 die Einrichtung des ESM-Schirms, des Euro-Ret- Erinnerungskultur findet. tungsschirms, mit Zweidrittelmehrheit beschlossen (Beifall bei der AfD) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was hat das mit dem Ermächtigungsgesetz zu tun?) Neben dem Parlament wurde damals übrigens auch der Reichspräsident – vergleichbar dem Bundespräsidenten – und damit die Finanzhoheit des deutschen Parlaments de direkt vom Volk gewählt. Außerdem gab es Volksabstim- facto abgetreten an eine demokratisch nicht legitimierte mungen auf nationaler Ebene. Das sind Instrumente de- Monsterbehörde in Brüssel. mokratischer Mitbestimmung, die wir dringend wieder- einführen sollten, meine Damen und Herren. (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was für ein Blödsinn!) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Oder denken Sie an die Septembertage 2015, als Bun- Dr. Barbara Hendricks [SPD]) deskanzlerin Merkel das Recht, auch das Verfassungs- Ich darf bei dieser Gelegenheit erwähnen: Die AfD- recht, brach Fraktion bedarf der Nachhilfe durch Ihren Antrag nicht. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist Wir haben unseren Fraktionssaal hier mit sieben Gemäl- falsch!) den zur deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte ausgestattet, und eines davon bezieht sich auf die und Hunderttausende ohne weitere Kontrolle einreisen Weimarer Reichsverfassung. Andere Bilder zeigen das ließ unter dem Vorwand des Asylansuchens. Hambacher Fest und die erste Nationalversammlung in (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das ist falsch! der Frankfurter Paulskirche 1848, Ereignisse, die Sie im Das ist vom Bundesverfassungsgericht bestä- Antrag zu Recht als wichtige Vorstufen zur Weimarer tigt worden!) Verfassung erwähnen. Das hat mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nichts Sehr gerne würden wir dem Antrag also zustimmen, mehr zu tun, meine Damen und Herren. und doch können wir uns nur enthalten, und ich will Ihnen erklären, warum: (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider [Er- furt] [SPD]: Blödsinn! – Britta Haßelmann (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Darauf können [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie wir auch verzichten!) doch vor Gericht verloren!) 14508 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Marc Jongen (A) Und dann hilft es auch nichts, an sogenannten Orten Sie wollen eben nicht sichtbar werden lassen, dass die (C) der Demokratie an die Weimarer Reichsverfassung zu AfD wie keine andere Partei Demokratie und Rechtsstaat- erinnern, wie es Ihr Antrag vorsieht. Es drängt sich viel- lichkeit hochhält in diesem Land. Lassen Sie ab von die- mehr der Eindruck auf, Sie schaffen hier Museen der sen diffamierenden Narrativen! Ehren Sie Demokratie Demokratie genau in dem Maße, wie Sie die reale Demo- und Rechtsstaat in Ihrem Handeln genauso, wie Sie es kratie immer weiter aushöhlen. in Ihren schönen Worten in dem Antrag tun, dann stim- men wir gerne zu. – So nicht. Und weil Sie sich immer so gern – von linksradikal ganz außen bis linksliberal von der FDP – hier die demo- Vielen Dank. kratischen Fraktionen nennen: (Beifall bei der AfD) (Lachen und Zurufe bei der SPD) Demokratie zeigt sich nicht in Blockbildung und Wagen- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: burgmentalität. Demokratie zeigt sich im Aushalten von Als nächste Rednerin hat das Wort für die SPD-Frak- Differenzen und zivilisiertem Streit. Dass die AfD als tion die Kollegin Katrin Budde. Rechtsstaatspartei (Beifall bei der SPD) (Widerspruch bei der SPD) Katrin Budde (SPD): heute im Bundestag sitzt, ist ein Beweis dafür, dass unsere Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das letzte Demokratie eben noch lebt und die Bürger nicht wie in Jahrhundert war das Jahrhundert der Ideologien, das der Weimarer Republik schon resigniert haben und sich stimmt. Aber das letzte Jahrhundert war auch das Jahr- extremistischen Kräften überlassen. hundert der Demokratie; denn ohne dieses Jahrhundert könnten wir bestimmte Jubiläen, die ganz wichtig sind (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann für unsere Geschichte und für die heutige Demokratie, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen heute gar nicht feiern. Da sind 100 Jahre Weimarer von Ihnen keine Belehrungen in Sachen Demo- Reichsverfassung. Da sind 100 Jahre Frauenwahlrecht, kratie!) 80 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Friedliche Revolution, Sie fordern unter anderem, den Weimarer Republik e. 29 Jahre deutsche Einheit, um nur einige zu nennen. V. in die Förderung des Bundes zu übernehmen. Man öffnet die Website dieses Vereins und findet ganz oben Aber auch seit dem letzten Jahrhundert wissen wir, die Ankündigung zu einer Podiumsdiskussion über die dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, nicht unan- (B) Weimarer Republik in der geschichtspolitischen Debatte. greifbar ist, dass sie anstrengend ist, und dass Demokratie (D) eben nicht heißt: Ich bekomme automatisch Recht. Denn (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es wird in der Demokratie mit Mehrheit entschieden, NEN]: Da sollten Sie mal hingehen! Da könn- nachdem diskutiert wurde, nachdem Argumente ausge- ten Sie was lernen!) tauscht und abgewogen wurden, nachdem Kompromisse gefunden wurden. Darin ist – ich zitiere – von der Herausforderung durch heutige Nationalisten, Rechtspopulisten, Faschisten und Die Demokratie garantiert eines, und das ist ganz wich- Rechtsextreme die Rede, tig: Sie garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwür- de, die Freiheit der Person, die unverletzlich ist, die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gleichheit vor dem Recht, die Gleichberechtigung, die NEN]: Das ist bestimmt eine gute Veranstal- Unverletzlichkeit der Wohnung, die Religionsfreiheit, tung!) Versammlungs- und Meinungsfreiheit, das Briefgeheim- und wir wissen natürlich genau, wer mit den Rechtspo- nis, Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Lehre, die Frei- pulisten gemeint ist: niemand anders als unsere Rechts- zügigkeit und die Berufsfreiheit. – Es klingt doch gut, staatspartei AfD. wenn man so aufzählt, was der Wert von Demokratie ist, und welche Chancen darin stecken. Und dass das zu (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE verteidigen ist, darin sind wir uns hier garantiert einig. GRÜNEN]: Da sollten Sie mal hingehen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hier wird nicht die Demokratie verteidigt. Hier wird Ge- der CDU/CSU und der FDP) schichtspolitik missbraucht zur Unterdrückung einer Die Weimarer Reichsverfassung hat damals ja nicht freien und offenen Debatte über zentrale Fragen der De- nur das parlamentarische System und die Grundrechte mokratie in unserem Land. des Einzelnen geregelt, sondern eben auch das Gemein- (Beifall bei der AfD) schaftsleben. Und damals sahen es die Verfassungsmütter und -väter als notwendig an, dass zum Beispiel jedem Es wundert vor diesem Hintergrund nicht – ich komme Schüler bei Beendigung des Schulbesuchs ein Abdruck zum Schluss –, dass Sie uns hier im Bundestag untersagen der Verfassung ausgehändigt wurde. Das regt vielleicht wollen, unseren Fraktionssaal offiziell „Saal Paulskirche“ zum Lesen an und ist, glaube ich, eine kleine, aber gute zu nennen. Idee, die sich auch in diesem Antrag wiederfindet. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Dass Weimar nach knapp 15 Jahren gescheitert ist, war GRÜNEN]: So weit kommt’s noch!) nicht Schuld der Verfassung. Deutschland hat zum einen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14509

Katrin Budde (A) unter den Kriegsfolgen gelitten, und es gab – ja – zu ten mit anderen, mit Sozialdemokraten, Zentrumspoliti- (C) wenige überzeugte Demokratinnen und Demokraten, kern und Liberalen, eine Verfassung schuf, die es schwer und das ist nicht zu simpel gedacht, sondern ist die bittere haben würde. Er wusste, dass eine Verfassung allein eine und böse Wahrheit. Aber Demokratie ist wichtig. Sie ga- Demokratie nie würde garantieren können. Und trotz- rantiert Frieden und Freiheit, Mitsprache und Sicherheit, dem: Wenn man die Debatten um die Weimarer Reichs- und auch dafür haben wir im Herbst 1989 gekämpft; denn verfassung und ihre Entstehung liest, dann liest man et- Freiheit und Demokratie waren für uns nicht Alltag und was vom Glanz, von der Hoffnung, von der Zuversicht, nicht selbstverständlich. die Demokraten 1918 und 1919 hatten und in diese Ver- fassung setzten. Auch heute, im wiedervereinten Deutschland nach 29 Jahren ist Demokratie keine Selbstverständlichkeit. Schon bald wurde diese Verfassung von denjenigen, Das darf sie auch nicht sein; denn sie lebt und sie muss die den Ersten Weltkrieg maßgeblich mitverantwortet ha- gelebt werden. Wir müssen weiter jeden Tag an jedem ben, von Nationalisten, von Monarchisten und von Men- Ort, wo wir stehen, für sie kämpfen. Wir müssen sie ver- schen, die glaubten, dass die Meinung des anderen nicht teidigen, müssen sie vor ihren Feinden schützen. Und ja, zu tolerieren sei, in den Dreck gezogen und diskreditiert. in diesen Zeiten antidemokratischer, nationalistischer, Schon bald mussten Sozialdemokraten, Liberale, Zent- extremistischer Bestrebungen ist es umso wichtiger und rumspolitiker und andere feststellen, dass ihr Rückhalt umso nötiger, das Wissen über unsere Demokratie zu in der Bevölkerung schwand. Und doch ist das Narrativ, stärken und ihre Vorteile systematisch zu erklären. Das das wir über drei, vier Jahrzehnte in der Bundesrepublik ist die Voraussetzung, das ist die Herausforderung, vor Deutschland hatten, die Weimarer Reichsverfassung sei der wir als Demokratinnen und Demokraten tagtäglich ob ihrer Konstruktionsmängel gescheitert, ein falsches stehen. Vor ihr stehen wir auch in diesem Hause – ich Narrativ. Eine Demokratie ohne Demokraten kann nicht brauche auf die Vorgängerrede nicht einzugehen, sie funktionieren. Deswegen sollten wir immer, auch heute, spricht für sich. darauf drängen, die Mitte dieses Hauses stark zu machen und sie gegen die Ränder zu verteidigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Volker Kauder [CDU/ Demokratieförderung und Extremismusprävention CSU]) gibt es heute schon, es gibt zahlreiche Projekte und Bun- desprogramme – das ist gut – und ehrenamtliches Enga- Ich finde den Inhalt des Antrags gut. Er postuliert eine gement. Es ist gut, wenn wir die Orte der deutschen De- positive Erinnerungskultur. Wir können auch mal Ge- mokratiegeschichte, authentische Orte, an denen man meinsamkeiten haben. Ich hätte es noch besser gefunden, (B) erleben, sehen und fühlen kann, was und wie positiv De- wenn wir ihn gemeinsam erarbeitet hätten, wenn man uns (D) mokratie ist, zusätzlich stärken. Es ist gut, wenn wir nicht gefragt hätte, ob wir mittun wollen, ob wir daran mitwir- nur das Scheitern dieser Demokratie, sondern auch das ken wollen, anstatt ihn zu einem exklusiven, koalitionä- Positive und die Möglichkeiten der Demokratie heraus- ren Dokument zu machen. Ich glaube einfach, es gibt stellen. mehr Gemeinsamkeiten, die wir nach vorne stellen soll- ten. (Beifall bei der SPD) (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Mit uns Es ist Krieg und keiner geht hin – das ist ein Spruch, auch!) den wir, glaube ich, gerne hören. Es ist Demokratie und keiner macht mit – das darf aber nie passieren; denn das – Mit Ihnen meinetwegen auch, gerne. könnte tödlich sein. Lassen Sie uns deshalb daran arbei- Eine Gemeinsamkeit will ich noch nennen. Unser Reli- ten, die Demokratie weiter zu stärken. gionsverfassungsrecht hat man damals Staatskirchen- recht genannt und es ist bis heute geltendes Recht und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Teil unseres Grundgesetzes. Das ist ein sehr modernes der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Religionsverfassungsrecht – Weimar lebt in unserer Ver- Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]) fassungsordnung fort –; es garantiert, dass jeder Mensch seinen eigenen Glauben, auch seinen Nichtglauben leben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kann, und zwar im Rahmen einer verfassungsmäßigen Vielen Dank, Frau Kollegin Budde. – Als nächster Ordnung. Das war schon 1919 viel moderner als ein strik- Redner hat das Wort der Kollege Dr. Stefan Ruppert, ter Laizismus, der heute nach Kopplungen, nach Foren FDP-Fraktion. sucht, wo Religiosität und Staatlichkeit ins Gespräch kommen. Ein ganz hochmoderner Teil unserer heutigen (Beifall bei der FDP) Verfassung ist also das Religionsverfassungsrecht. Das sollten wir meiner Meinung nach offensiv bekennen Dr. Stefan Ruppert (FDP): und verteidigen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hugo Preuß, ein linksliberaler Staatsrechtler, ein Jude, der im (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Elisabeth Kaiserreich unter Antisemitismus gelitten hatte, war Motschmann [CDU/CSU] und Dr. Barbara maßgeblicher Verfasser der Weimarer Reichsverfassung. Hendricks [SPD]) Er wusste, dass er auf dem Boden von übertriebenem Ein dritter und letzter Gedanke. Wenn ich höre, dass Nationalismus, von Erstem Weltkrieg, von Millionen To- von 100 Deutschen, die gefragt werden, was sie an 14510 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Stefan Ruppert (A) Deutschland toll finden, 93 Prozent angeben, dass sie das (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Aber zuhören (C) Grundgesetz toll finden, aber nur ungefähr 50 Prozent, müssen Sie!) dass sie den Bundestag toll finden, mit jemandem, der „Vogelschiss“ sagt, rede ich nicht, mit (Dietmar Friedhoff [AfD]: Woran das wohl Rechten rede ich nicht, mit Neonazis rede ich nicht, mit liegt?) Faschisten rede ich nicht. dann denke ich: Ist das nicht ein alarmierendes Signal? Es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – herrscht ein Verständnis von der Verfassung vor, nach Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist mir völ- dem diese sozusagen per se der Garant einer verfassungs- lig klar!) mäßigen Ordnung sei. Aber eine Verfassung muss Frei- Halten Sie sich da raus! Sie verstehen davon eh nichts. heitsräume erst schaffen. Diese Freiheitsräume müssen genutzt werden und von Demokraten gestärkt werden. Bemerkenswert ist übrigens, dass in Ihrem Antrag mit Der Pluralismus in einem Land ist Voraussetzung einer keinem Wort die Novemberrevolution erwähnt wird. Die starken Demokratie und nicht die Verfassung. Die garan- hat doch überhaupt erst dazu geführt, dass die Hohenzol- tiert nur, dass die Demokratie gelebt werden kann, und lern abdanken mussten. Die Novemberrevolution hat die schafft ihr Raum. In diesem Sinne brauchen wir Demo- Weimarer Verfassung doch überhaupt erst möglich ge- kraten für das Grundgesetz. Die Weimarer Reichsverfas- macht. sung hatte davon leider deutlich zu wenige, vor allem am Die Ursache des Scheiterns lag aber auch – da kommt Ende ihrer Geltung. man nicht dran vorbei – in der Verfassung selbst. Sie Vielen Dank. enthielt zwar vieles, was uns heute wertvoll ist, auch vieles, was wir heute als selbstverständlich empfinden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Viele Dinge wurden schon genannt: Wahlrecht, Frauen- der SPD und der Abg. Katharina Landgraf wahlrecht, Achtstundentag, Mutterschutz, Betriebsräte- [CDU/CSU]) gesetz, Pressefreiheit und vieles, vieles mehr. Fakt ist aber auch, dass sich an der sozialen Ungerechtigkeit nichts Vizepräsident Wolfgang Kubicki: änderte. Der Kaiser dankte ab; aber die alten Eliten blie- Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ruppert. – Als nächste ben am Ruder. Rednerin spricht zu uns Simone Barrientos, Fraktion Die (Rainer Spiering [SPD]: Das waren keine Linke. Eliten!) (Beifall bei der LINKEN) Und in der Verfassung wurde mit der starken Stellung des (B) Reichspräsidenten eine Art Minikaiser etabliert, der das (D) Simone Barrientos (DIE LINKE): Parlament auflösen und ohne parlamentarische Mehrhei- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und ten mithilfe von Notverordnungen regieren konnte. Wo- Kollegen! Liebe Gäste! Es ist gut, dass es diesen Antrag hin das führte, wissen wir hier alle. gibt, und auch die darin enthaltenen Forderungen sind (Michael Frieser [CDU/CSU]: So einfach ist nicht falsch. Erlauben Sie mir trotzdem, auf die das nicht!) Schwächen einzugehen. Damit das Erinnern einen Sinn hat, müssen wir anerken- Warum wir uns erinnern müssen und wollen, das wis- nen, dass das Scheitern der Weimarer Republik entschei- sen wir. Wir tun das, wir müssen das tun, damit wir Fehler dend mit ihrem Entstehen zu tun hatte. Die Ermordung nicht wiederholen. So ist es zwar richtig, dass, wie im von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht steht exemp- Antrag formuliert, die positiven Aspekte der Weimarer larisch für den rechten Terror schon zu Beginn der Verfassung im Gedenken herausgehoben werden sollen, Weimarer Republik. erinnern müssen wir uns aber auch, um das Scheitern der Weimarer Republik zu begreifen; denn nur daraus lernen Dieser Antrag, dieses Thema hätte es wirklich verdient, wir. im Kulturausschuss mit Sachverständigen debattiert zu werden. Wir bitten Sie deshalb, dem Vorschlag auf Über- Im Antrag heißt es – ich zitiere –, dass die Weimarer weisung in den Ausschuss zuzustimmen. Bei einer So- Republik letztlich – wir hörten das schon – vor allem am fortabstimmung wird sich meine Fraktion enthalten müs- Mangel an überzeugten Demokratinnen und Demokraten sen; denn die wichtigste Lehre aus dem Scheitern der scheiterte. Aber das greift zu kurz. Zum Scheitern trug ersten deutschen parlamentarischen Republik ist, dass auch die Spaltung der Arbeiterbewegung bei. Ja, die KPD man sich verbünden muss gegen rechts. Mein Kollege hatte daran einen großen Anteil, aber eben auch die SPD. von der FDP, der vor mir gesprochen hat, sieht das ge- Zum Scheitern führten vor allem schon zu Beginn der nauso; das finde ich gut. Gerade in diesen Zeiten des Weimarer Republik die verhängnisvollen Bündnisse rechten Terrors wäre es richtig gewesen, diesen Antrag von bürgerlichen und monarchistischen Eliten mit mili- gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen einzu- tanten Freicorps und schließlich mit den Nazis. bringen. Das wäre ein gutes Zeichen gewesen. Diese Chance wurde vertan. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Weil ihr die Republik umschmeißen wolltet! Weil die Linke (Beifall bei der LINKEN) die Republik kaputtmachen wollte!) Das führt den im Antrag formulierten Anspruch leider ad – Mit Ihnen rede ich nicht, Herr Gauland, absurdum. 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Simone Barrientos (A) Eine Schlussbemerkung muss ich mir erlauben: Im An- Die Gleichsetzung, die Sie in Ihrem Antrag vorneh- (C) trag heißt es – ich men, wonach radikale Linke wie extreme Rechte glei- chermaßen die gesellschaftlichen Ränder des Hufeisens zitiere –: besetzten, verharmlost das, wofür die Rechte steht. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes hatten das Privileg, sich an der Weimarer Reichsverfassung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) orientieren zu können, und wägten gleichzeitig ab, Es verharmlost die gegen Menschenleben gerichtete Ge- welche Normen übernommen, verändert oder ver- walt militanter Nazis damals und heute. worfen werden sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Auch in der Zeit zwischen Mauerfall und Wiederver- wie bei Abgeordneten der LINKEN – Simone einigung wurde eine Verfassung entworfen. Auch bei die- Barrientos [DIE LINKE]: So ist es!) sem Entwurf wurde abgewogen, welche Normen über- nommen, verändert oder verworfen werden sollten. Gerade nach den Morden und dem versuchten Massen- Stellen Sie sich vor, wir hätten zumindest Teile ins mord in der Synagoge von Halle ist klar: Wir können Grundgesetz übernommen oder gar eine gemeinsame diese Verharmlosung nicht mehr hinnehmen. Verfassung für dieses Land geschrieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Diese Gleichsetzung ist nicht nur historischer Unfug; sie ist darüber hinaus der Kern des durchschaubaren Schmie- Simone Barrientos (DIE LINKE): rentheaters, das die Rechtsradikalen und ihre Spießgesel- Vielleicht wäre es dann heute besser bestellt um dieses len aufführen, Land. (Beifall bei Abgeordneten des Vielen Dank. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) besonders die, die hier im Bundestag „höcken“. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Simone Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat Barrientos [DIE LINKE]) (B) das Wort der Kollege Erhard Grundl, Bündnis 90/Die (D) Grünen. Streichen Sie diese Verharmlosung aus Ihrem Antrag; dann könnten wir zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, die Weimarer Vordenker Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- der Demokratie sollten wir ehren. Wir dürfen aber nicht ren! Sehr geehrte Abgeordnete von CDU/CSU und SPD! vergessen: Die Weimarer Verfassung hatte ihre schönsten In Ihrem Antrag steht einiges, was ich gerne unterschrei- Momente auf Papier. Es herrschte nach wie vor der von be. Selbstbewusst Orte der Entstehung von Demokratie Heinrich Mann so klug charakterisierte Untertanengeist, und Freiheit zu würdigen, ist heute wichtiger denn je. der das deutsche Bürgertum prägte, und den der Autor Diese Orte vergegenwärtigen uns die Errungenschaften Jörg Mielczarek so beschreibt: „… Kriecherei gegenüber der ersten deutschen Demokratie. Sie rufen uns aber auch allem Mächtigen und Starken, unerbittliche Brutalität ge- schmerzhaft ins Bewusstsein: Demokratien können genüber Schwächeren und Untergebenen …“ Dieser Un- scheitern. Weimar ist gescheitert, weil eine Demokratie – geist wurde zum Wegbereiter für die brutale Verfolgung ich wiederhole es gerne – Demokratinnen und Demokra- und Ermordung von Minderheiten, sozial Benachteiligten ten braucht, und sie fehlten in Weimar. und Andersdenkenden im Nationalsozialismus. Entscheidend für uns heute ist es, das Scheitern der Mit einer Vorstellung von Gleichheit und der Sozial- Weimarer Republik zu begreifen, ethik einer demokratisch verfassten Gesellschaft, wie wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sie heute leben können, hatte das sehr wenig zu tun. Die Geschichte der Weimarer Verfassung führt uns vor allem zu verstehen, wie rechter Extremismus in einem demo- eines vor Augen: dass die Demokratie nicht schläfrig kratischen Rahmen so stark werden konnte, dass die na- werden darf, dass wir uns jederzeit gegen menschenver- tionalsozialistischen Verbrechen möglich wurden. Es achtende Undemokraten zur Wehr setzen müssen, dass es geht dabei nicht, wie Sie im Antrag schreiben, um An- mit den als Biedermännern getarnten „Brandner-Stiftern“ griffe rechtsradikaler und linksradikaler Gruppierungen. niemals eine Händereichung geben darf – auf keiner po- Es geht um das Erstarken von Rechtsextremismus mit litischen Ebene, seiner menschenverachtenden Ideologie. Es geht um die Machtergreifung durch die NSDAP. Es geht um singuläre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Menschheitsverbrechen, für die Deutsche verantwortlich wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- sind. KEN) 14512 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Erhard Grundl (A) dass wir die Umschreibung und Verfälschung unserer Ge- darüber reden, wie wir Orte des Gedenkens, der Freiheit, (C) schichte nicht hinnehmen dürfen, ganz egal, ob der Ver- der Demokratie fördern wollen, dann vergessen wir dabei such von Vogelschisstheoretikern nicht, welch dunkle Stunden aus dieser Weimarer Repub- lik über unser Land gekommen sind. Die dunkelste Stun- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Genau das de überhaupt war die, die wir mit dem Holocaust und dem fehlte noch!) Nationalsozialismus hatten. Es hat eben damit begonnen, oder von den Nachfahren der Steigbügelhalter des Natio- dass zu wenige sich für diese Demokratie eingesetzt ha- nalsozialismus, wie es die Hohenzollern waren, unter- ben und dass zu viele bereit waren –, darin sehe ich die nommen wird. Parallele zur heutigen Zeit, auch hier im Deutschen Bun- destag –, diese Weimarer Verfassung und dieses zarte Unser Auftrag heute ist es, das Demokratieversprechen Pflänzchen der Demokratie kaputtzumachen, lächerlich des Grundgesetzes zu erfüllen – ein Auftrag, der Demo- zu machen. Mancher Satz, den ich auch heute höre –, kratinnen und Demokraten erfordert, damals wie heute. da ist von „Systempresse“ und vielem anderen die Rede –, Ich danke Ihnen. ist damals von der Rechten formuliert worden –, so wie heute auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Wolfgang Kubicki: GRÜNEN) Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat Das hat die Weimarer Republik kaputtgemacht, meine das Wort der Kollege Volker Kauder, CDU/CSU-Frak- sehr verehrten Damen und Herren. tion. Deshalb sagen wir: Wir wollen uns an diese dunklen (Beifall bei der CDU/CSU) Stunden erinnern; das darf nie wieder passieren. Zur glei- chen Zeit wollen wir aber auch einen Beitrag zur Stär- Volker Kauder (CDU/CSU): kung des demokratischen Bewusstseins, vor allem auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! bei unserer Jugend, leisten, in einer Zeit, in der es welche Die Regierungskoalition legt heute einen Antrag vor, gibt, die genau dieses nicht wollen. Jetzt kann man natür- der natürlich etwas zur Weimarer Reichsverfassung sagt – lich sagen: Hättet ihr uns mitgenommen! Hättet ihr uns auch aus Anlass des Jubiläums –, der aber auch darüber daran beteiligt! hinausgeht. Was ich bei den allermeisten Vorrednern eben (B) nicht gehört habe – ich bedauere das –, ist, dass wir nicht (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Genau das kann (D) bei der Würdigung der Weimarer Reichsverfassung ste- man sagen!) hen bleiben dürfen, sondern dass wir aus Weimar lernen müssen – nicht nur können –, was wir für die Demokratie Ich sage: Schauen Sie sich den Antrag an. Wir fordern die in heutiger Zeit zu tun haben. Bundesregierung auf, ein Konzept vorzulegen, eine Struktur vorzulegen. Wir sagen, dass wir dafür 10 Millio- Ich bin dankbar, dass von vielen heute festgestellt wor- nen Euro im Jahr zur Verfügung stellen. Wenn das Kon- den ist, dass die Weimarer Republik trotz der Weimarer zept der Bundesregierung vorliegt, dann müssen wir es Verfassung – und nicht wegen der Weimarer Verfassung – auch noch miteinander besprechen und diskutieren. Das gescheitert ist. Es ist aber auch richtig, dass die Väter und können wir doch dann gemeinsam machen. Mütter des Grundgesetzes aus der Weimarer Verfassung Gutes, sehr Gutes, übernommen, aber Problematisches (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Wir nehmen nicht übernommen haben – aus gutem Grund. Sie beim Wort!) Wenn wir heute über die Weimarer Verfassung reden, – Ja klar, das können Sie immer. Ich halte mein Wort dann machen wir ja keinen historischen Verfassungskon- immer. vent, sondern wir fragen: Was brauchen wir daraus für die heutige Zeit? Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die lei- Dann ist noch Folgendes dazu zu sagen: Ich bin der der Gottes noch gar nicht so alt ist, sondern eher in der Meinung, dass wir jetzt darüber abstimmen müssen. Es ist neueren Geschichtswissenschaft formuliert worden ist – etwas ganz Neues, dass der Bundestag sagt: Wir wollen die aber völlig richtig ist: Die Weimarer Republik war 10 Millionen Euro für dieses Konzept zur Verfügung stel- natürlich durch Nazis gefährdet. Aber sie ist nicht da- len. – Jetzt sind die Haushaltsplanberatungen, und ich durch gescheitert, sondern sie ist gescheitert, weil zu we- möchte mit dem beschlossenen Antrag die Forderung nig aufrechte Demokratinnen und Demokraten für diese nach Bereitstellung dieser 10 Millionen Euro noch in Weimarer Verfassung eingetreten sind. die Bereinigungssitzung bringen. Deswegen muss dieser (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Antrag jetzt beschlossen werden, und dafür bitte ich um und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Zustimmung. Geben wir ein Zeichen, dass es über die Koalition hinaus bei den allermeisten in diesem Bun- Deswegen ist die wichtige Position, die wir heute dar- destag ein klares Signal für Demokratie gibt. legen: Wir müssen etwas für das Bewusstsein tun, dass Demokratie nicht einfach da ist, sondern immer wieder (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie aufs Neue gegen Herausforderungen, aber auch gegen bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Gleichgültigkeit erworben werden muss. Wenn wir jetzt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14513

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Drittens. Wir haben hier im Bundestag eine rechtsext- (C) Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat remistische Partei, deren Vertreter von Umsturz fabulie- der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion, das Wort. ren, davon, das Parteiensystem abzuschaffen, von Sys- temparteien und Systempresse reden. Das, meine (Beifall bei der SPD) Damen und Herren, zeigt uns nur, dass wir die Demokra- tie und unsere Freiheit, unseren Rechtsstaat verteidigen Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): müssen, dass er nicht selbstverständlich ist, dass wir um Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- die Köpfe der Menschen jeden Tag kämpfen müssen, und ber Volker Kauder, vielen Dank für diese engagierte Re- dass nichts von selber kommt. de, auch für die Zusammenarbeit bei der Erarbeitung die- ses Antrags. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Warum machen wir den? Zum einen, in der Tat, um die Orte der Demokratiegeschichte, die Orte der Freiheitsbe- Aus diesem Grund bitten wir heute um die Abstim- wegung in Deutschland zu würdigen. Nicht immer nur die mung. Wir wollen das klare Bekenntnis des Bundestages, negativen oder die dunklen Seiten der Geschichte, auch auch als Bindung für uns selbst: Wir wollen in den nächs- die positiven, die hellen Seiten, auf die wir stolz sein ten Jahren 10 Millionen Euro pro Jahr für die Stätten der können, wollen wir würdigen und erlebbar machen. Das Demokratie, der Freiheitsgeschichte zur Verfügung stel- ist die Paulskirche. Das ist das Hambacher Schloss. Das len. – Und ja, die Kolleginnen und Kollegen werden im ist natürlich auch Weimar, die Weimarer Republik als Kulturausschuss bei der Erarbeitung des Konzepts einge- Symbol, als Synonym für die erste freiheitliche demo- bunden; Frau Staatsministerin Grütters hat das gesagt. Ich kratische Grundordnung und Verfassung in Deutschland. halte es für notwendig, diese für unseren Staat elementa- ren Voraussetzungen auch als Bilder, als historische Es ordnet sich ein in die 100-Jahr-Feier, die wir in Punkte zu fördern und sie nicht nur kommunalen Ein- diesem Jahr in Weimar selbst hatten, am 6. Februar, in richtungen zu überlassen. Das ist eine Verpflichtung des die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Stein- Bundes und des Bundestages. Ich finde, wir müssen dem meier hier im Deutschen Bundestag für die Stärkung un- auch gerecht werden. serer Demokratie. Ich glaube, dass der Bundestag sich diese Veränderung des Geschichtsbildes zu eigen macht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie und das nicht nur vom Scheitern her betrachtet, sondern bei Abgeordneten der FDP) auch von den Ursachen her. Das hat hier während der Debatte eine Rolle gespielt. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) Und ja, es ist richtig: Es gab zu wenig Demokraten. – In Vielen Dank, Herr Kollege Schneider. – Als letztem (D) manchen Teilen kann man sagen: Vielleicht ist es auch Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem heute noch so. Auch die heutige Demokratie ist gefährdet. Kollegen Michael Frieser, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Sie ist nicht für ewig bestimmt, sondern sie lebt von et- was. Um das Böckenförde-Diktum zu zitieren: (Beifall bei der CDU/CSU)

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Vo- Michael Frieser (CDU/CSU): raussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Danke schön. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Die müssen wir Bürgerinnen und Bürger selbst jederzeit Kolleginnen und Kollegen! Dieses Berlin war schon vor schaffen. Das Scheitern der Weimarer Republik, die Ge- 100 Jahren ein besonderes Pflaster, etwas unruhig, mit der walt, die Morde sollten uns Mahnung sein, in der Demo- einen oder anderen politischen Mine versehen und durch- kratie der heutigen Zeit dies für immer zu verhindern. aus widersprüchlich. Da hat sich in 100 Jahren nicht sehr viel verändert. Das war der Ausgangspunkt dafür, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten man nach Weimar ging. Man war der Auffassung: Dieses der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Pflaster ist tatsächlich noch nicht reif für eine solche Ver- Erstens. In der heutigen Zeit nehmen das Vertrauen in sammlung. die Demokratie und das Verständnis für demokratische Wir gedenken nicht nur der Verfassung selber; wir ge- Prozesse ab. Immer mehr Menschen suchen einfache denken auch „100 Jahre Ebert-Rede“. Ich wollte schon Antworten. Das zeigt zum Beispiel erschreckend die neue am Anfang des Jahres manchmal sagen: Liebe SPD, sei Shell-Jugendstudie. Viele junge Menschen fühlen sich stolz auf diesen Mann und diese Rede, die sehr modern von der Politik nicht verstanden und übernehmen in Tei- war, nicht nur deshalb, weil er die Welt nach der Kata- len auch die Argumentationsmuster von Populisten. strophe des Ersten Weltkriegs fast angefleht hat, Deutsch- Zweitens. Es wächst bei uns die Ungleichheit zwischen land einen Weg zurück zu bahnen, sondern auch wegen Arm und Reich, zwischen Stadt und Land, zwischen seiner Bemerkungen: Die Revolution war nicht der Grund Weltoffenen und Heimatverbundenen. Es ist ein für das Scheitern. Die Revolution war nicht der Grund für materieller und ein kultureller Riss, der durch unsere Ge- den Zustand Deutschlands. Es war ein monarchistisches sellschaft geht – ähnlich wie wir das heute Morgen bei der Deutschland, und davon hat sich ein Volk selbst befreit. Regierungserklärung zum Europäischen Rat, bei der Bre- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) xit-Debatte mit Blick auf die Entscheidung des britischen Volkes hatten: auch dort eine klare Spaltung der Gesell- Diese Parallelen halte ich für äußerst interessant, weil schaft. sie in das hineinführen, was wir schon aus Bezügen von 14514 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Michael Frieser (A) 1849 kennen, also die elementaren Grundrechte. Wir hat- „Orte der Freiheit und Demokratie: 100 Jahre Weimarer (C) ten damals schon, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- Reichsverfassung – Demokratischer Aufbruch und derts, die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit Scheitern der ersten deutschen parlamentarischen Repub- als Schutzrechte des Individuums vor dem Staat. Das lik“. Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die macht diese Verfassung so modern. Linke haben ihren Antrag auf Ausschussüberweisung dankenswerterweise zurückgezogen. Wir kommen damit Ich will es heute um Gottes willen nicht zu genau neh- zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 19/ men, aber man muss schon auch mal etwas sagen dürfen. 11089 in der Sache. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Schwäche der Verfassung, die Ermächtigung, sei das Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist Problem gewesen, hört man immer mal. Nein, Ebert hat dieser Antrag bei Enthaltungen der Fraktion Bündnis 90/ die Weimarer Republik jahrelang stabilisieren können, Die Grünen und der Fraktion der AfD mit den Stimmen weil er in der Lage war, die Macht so zu händeln, dass der anderen Fraktionen des Hauses angenommen. sie sich wirklich konzentrieren ließ. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 sowie Zusatz- Weimar ist nicht an seiner Verfassung gescheitert. Das punkt 8 auf: hören wir heute nicht zum ersten Mal. Wenn eine Ver- fassung nicht auch von den Menschen gelebt wird, akzep- 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea tiert wird, verteidigt wird, kann sie noch so gut sein, kann Rößner, Margit Stumpp, Dr. Konstantin von sie noch so tolle Rechte als Schutzrechte vor dem Staat Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion haben, die zu einer Selbstverständlichkeit einladen – die- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN se Verfassung, dieser Staat, diese Gesellschaft kann dann nicht überleben. Das ist die Parallele zu heute, nämlich Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Bestand dass der Staat eigentlich immer nur als derjenige ange- und Weiterentwicklung sichern sehen wird, der zu versorgen hätte, der etwas zur Ver- Drucksache 19/8475 fügung stellen müsste, der die Gewähr dafür übernehmen müsste, dass es dem Land, den Menschen gut geht. Ja, das Überweisungsvorschlag: ist in der Tat so, aber selbstverständlich ist das nicht. Ausschuss für Kultur und Medien (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Unser Antrag schafft zumindest die Eingangspforte, Ausschuss Digitale Agenda um am Bewusstsein zu arbeiten. Das Bewusstsein ist das Entscheidende; denn Bewusstsein stellt sich nicht ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas von allein ein. „Erinnerungskultur“ mag für den einen Hacker, Katja Suding, Grigorios Aggelidis, wei- oder anderen heutzutage fast schon ein etwas angestaub- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (B) ter Begriff sein. Aber das Bilden von Bewusstsein ist (D) Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Zukunfts- etwas, wozu der Mensch, wozu eine Gesellschaft lange fest machen und gesellschaftliche Akzeptanz braucht. Verloren geht das Bewusstsein dafür, was man an erhöhen seiner Verfassung, an seinen Rechten, an seinen Abwehr- rechten gegenüber dem Staat hat, schnell. Das ist genau Drucksache 19/14032 die Angst, die mich umtreibt, wenn wir diese Demokratie Überweisungsvorschlag: im Grunde auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zur Ver- Ausschuss für Kultur und Medien (f) fügung stellen, wenn jeder sie verächtlich machen kann, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz so tun kann, als würde er ihr vertrauen und ihr eine gute Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Zukunft wünschen, aber in Wahrheit die Axt an die Wur- Ausschuss Digitale Agenda zeln dessen legt, was diese Verfassung und dieses Land wirklich ausmacht. Dagegen gilt es als Demokraten auf- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die zustehen. Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- nerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kolle- Deshalb kann ich nur sagen, meine sehr verehrten Da- gin Tabea Rößner das Wort. men und Herren: Wir wissen seit Platon: Auch eine De- mokratie setzt die Vernunft der Gesellschaft und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bürger voraus. – Kämpfen wir dafür, dass diese Vernunft im demokratischen Sinne wächst! Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An dieser Stelle erklärt Ihnen ja gerne der Kollege Amthor die Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fassung. Aber: Er muss wohl noch etwas an seiner Didak- tik feilen. Gefruchtet hat es bislang jedenfalls nicht in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: allen Reihen des Parlaments. Dann müssten wir uns nicht Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die immer wieder unqualifizierte Äußerungen zum öffent- Aussprache. lich-rechtlichen Rundfunk anhören. Wenn der zum Bei- spiel als „Staatsfunk“ oder „Lügenpresse“ beschimpft Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/ wird, ist das für mich als Medienpolitikerin und Journa- CSU und SPD auf Drucksache 19/11089 mit dem Titel listin schier unerträglich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14515

Tabea Rößner (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Wissen Sie: Meine Oma hat immer gesagt: Wer schreit, CDU/CSU) der hat unrecht. Wer hier wie Herr Gauland oder Frau von Storch von einem steuerfinanzierten Rundfunk träumt, hat es einfach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nicht verstanden. bei der SPD, der FDP und der LINKEN) Es braucht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwar mehr denn je -

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Töns [SPD]) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion? als unabhängigen Wegweiser im Informationsdschungel mit besonderen Anforderungen an Qualität und journalis- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tischer Sorgfalt, staatsfern und gruppenfern und frei von Nein, ich habe ja noch nicht einmal angefangen. – Die marktwirtschaftlichen Zwängen. Genau deshalb müssen von der Verfassung geforderte Staatsferne ergibt sich wir für ihn kämpfen. gerade daraus, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- eben nicht von den Launen des Finanzministers abhängt. wie der Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] und Deshalb wird er über eine Abgabe direkt von den Bürger- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) innen und Bürgern finanziert. Ein Staatsrundfunk am Gängelband des Finanzministers ist schlichtweg verfas- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Bekenntnis sungswidrig. zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Es ist höchste Zeit für eine Reform. Wenn der „Weltspiegel“ dem Sport (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weichen muss, wenn Dokumentationen nur noch im Ihre Schwierigkeiten mit der Unabhängigkeit der Öffent- Nachtprogramm laufen, wenn Kultursender zu reinen lich-Rechtlichen eint Sie mit autoritären Regimen. Das Musikabspielwellen werden sollen, dann müssen wir zeigt: Demokratie und unabhängige Medien bedingen uns im Sinne der Zuschauerinnen und Zuschauer Gedan- sich gegenseitig. ken machen – und zwar jetzt. Wir müssen bei aller Unab- hängigkeit deutlich machen, was diese Gesellschaft von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ihrem öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet. Dann Wo keine Demokratie, da keine freie Presse; wo keine können wir gerne darüber reden, was das kostet. Aber (B) freie Presse, da keine Demokratie: Aus diesem Gedanken in dieser Reihenfolge; alles andere ist Unsinn. (D) und als Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus ist der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN öffentlich-rechtliche Rundfunk 1945 eingeführt worden. sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) Wer heute gar seine Abschaffung fordert – so wie Herr Brandner –, der hat es auf unsere Demokratie abgesehen, und das dürfen wir nicht zulassen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abg. Martin Rabanus [SPD]) Und da freue ich mich ausgesprochen, dass die FDP Dabei kommt die AfD in den von Ihnen als „gleichge- ihre bisherige Position überarbeitet hat und sich gegen schaltet“ oder „linksgrün“ geschmähten Medien ziemlich eine Indexierung ausspricht. Wir haben einen umfangrei- oft zu Wort. Die Opferrolle, in die Sie sich so gerne be- chen Antrag erarbeitet, damit wir über diese zentralen geben, kauft Ihnen höchstens Ihre eigene Filterblase ab. Fragen breit diskutieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn Sie beim Klima an Kevin Kühnert scheitern, ist Frau Kollegin, bitte. aber nicht Herr Lanz schuld, und wenn Sie zur Rente nichts zu sagen haben, nicht Frau Illner oder Frau Will. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Wir brauchen eine öffentliche Debatte. Deshalb schla- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gen wir eine Expertenkommission vor. KEN) (Das Mikrofon wird abgeschaltet) Die Wahrheit ist doch: Sie reden von Unabhängigkeit, aber Sie wollen Propaganda. Sie reden von Meinungs- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: freiheit, aber Sie verbreiten Hass und Hetze. Frau Kollegin, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das musste ja gen. kommen!) (Siegbert Droese [AfD]: Danke, Herr Präsi- Und Sie faseln von Staatsfunk, ertragen aber einfach kei- dent! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Gott ne Fakten. sei Dank!) 14516 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Sie sind 40 Sekunden über der Zeit, und ich bitte Sie jetzt, Moderatoren sollen Politik kritisch begleiten, aber nicht (C) Platz zu nehmen. – Es hört Sie keiner mehr; ich habe Politik machen. Ihnen das Mikrofon abgestellt. Fakt ist: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird wie (Die Rednerin spricht ohne Mikrofon weiter) nie zuvor attackiert und diffamiert als „Staatsfunk“, „Sys- temmedien“, „Propagandasender“. So soll seine Glaub- Frau Kollegin, bitte, oder sollen Sie begleitet werden? würdigkeit unterminiert werden. Das ist perfide. Wer so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – agiert, legt die Axt an eine Wurzel unserer Demokratie. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn nicht so viel reingequatscht worden wä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei re!) Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AfD-Fraktion hat Sie braucht unabhängigen Journalismus. Fakt ist: Die um eine Kurzintervention gebeten, der ich nicht stattgebe, Öffentlich-Rechtlichen bieten Angriffsfläche. Das Privi- weil die AfD noch vollständige Redezeit hat und Sie an leg der Gebührenfinanzierung basiert auf einem Auftrag. der Sachdebatte teilnehmen können. Das gilt nicht nur für Es ist zu sorgen für Information, Bildung, Beratung, Un- die AfD, sondern grundsätzlich. terhaltung und insbesondere Kultur – für Meinungsviel- falt. Als Nächstes hat für die CDU/CSU-Fraktion die Kol- legin Gitta Connemann das Wort. Schon die Enquete-Kommission des Deutschen Bun- destages „Kultur in Deutschland“ sah Defizite, von der (Beifall bei der CDU/CSU) Transparenz über die Programmgestaltung bis zur Fair- ness von Beschäftigungsverhältnissen. Nicht jeder Hin- Gitta Connemann (CDU/CSU): weis wurde aufgegriffen. Das sieht man am Programm „Hier ist RIAS Berlin – eine freie Stimme der freien heute: Welt!“ Diesen Satz kannten Millionen von Hörern. Ab 1946 wurde in West-Berlin gesendet, aber auch im Osten (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Stimmt!) gehört – heimlich, unter hohem Risiko. RIAS informierte „Sturm der Liebe“, „Rote Rosen“, „In aller Freund- über die Grenzen hinweg. RIAS stärkte den Widerstand schaft“. gegen die kommunistische Diktatur. Auch RIAS hat zum Sturz der Mauer beigetragen. Dies zeigt: Demokratie (Manfred Grund [CDU/CSU]: braucht freie Berichterstattung. „Lindenstraße“!) (B) (Beifall bei der CDU/CSU) An Unterhaltung fehlt es bei der ARD nicht. Bildung (D) gab es gerade um 19.45 Uhr für fünf Minuten bei „Wissen Und es zeigt: Für Menschen in Unfreiheit sind freie Me- vor acht“ zum Thema „Ist Tiefkühlgemüse ungesund?“. dien eine Quelle der Hoffnung. Das ZDF kommt um 0.40 Uhr mit „aspekte extra“ von der Wir, die CDU/CSU, bekennen uns zum öffentlich- Frankfurter Buchmesse seinem Kulturauftrag nach. So rechtlichen Rundfunk. Er steht für Meinungsfreiheit, für bitte nicht! Informationsfreiheit. Zur Wahrheit gehört: Diese ist welt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. weit in Gefahr. Dabei denke ich zum Beispiel an Russ- Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) land. Dort gibt es brutale Zensur. Das bekommt gerade unser Auslandssender, die , zu spüren. Ihr Kultur gehört nicht in die Nacht oder den Spartenkanal droht der Entzug der Sendeerlaubnis wegen eines Tweets. und ist mehr als Event. Einschaltquoten und Klickzahlen Russen werden dafür sogar zu Lagerhaft verurteilt. Kritik sind kein Maßstab für Qualität und Relevanz. Ohne diese ist in Russland eben unerwünscht. wird auf Dauer die Frage nach der Berechtigung der Ge- bührenfinanzierung gestellt. (Thomas Ehrhorn [AfD]: Einmischung unerwünscht!) Fakt ist: Politik darf kein Programmgestalter sein. Die Demokratie geht anders. Deshalb ist für uns der öffent- Anstalten müssen selbst entscheiden können, welche An- lich-rechtliche Rundfunk existenziell. gebote sie Zuschauern, Hörern und Nutzern im Fernse- hen, Radio und Internet unterbreiten. Im Gegenzug müs- Fakt ist: Rundfunklandschaft und Nutzerverhalten ha- sen sie ihren Auftrag erfüllen. Das braucht Aufsicht. Für ben sich verändert. Digitalisierung ist hier nur ein Stich- mich persönlich gehört das derzeitige System aber auf wort. Hierauf müssen die Öffentlich-Rechtlichen reagie- den Prüfstand. Einige dieser Punkte klingen in den vor- ren können. Dafür brauchen sie das erforderliche liegen Anträgen an. Beide haben nur ein grundsätzliches Handwerkszeug. Für faire Regeln rund um das Internet Problem: den Adressaten. Der Bund ist nicht für den wurde aktuell der Rundfunkstaatsvertrag angepasst. Hier Rundfunkstaatsvertrag zuständig. Dieser wird einzig gibt es allerdings sicherlich noch Handlungsbedarf sei- und allein zwischen den Ländern geschlossen. Der Bund tens der Länder. Das Handwerk muss aber auch verant- trägt nur einen Sender: die Deutsche Welle. Diese wird wortungsvoll eingesetzt werden, auch außerhalb des In- von uns in diesem Jahr ganz bewusst gestärkt; denn sie ist ternets. Wer Kommentar und Bericht vermengt, riskiert unsere freie Stimme für eine freie Welt. seine Glaubwürdigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Beifall bei der CDU/CSU) Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14517

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nativen politischen Sichtweisen mehr. Sie verkünden fast (C) Vielen Dank, Frau Kollegin Connemann. – Als näch- ausschließlich nur noch Botschaften, die den Machtinte- ster Redner hat das Wort der Kollege Martin Erwin ressen der Regierenden oder der gierig regieren Wollen- Renner, AfD-Fraktion. den dienlich scheinen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Das sehe ich aber ganz anders!) Martin Erwin Renner (AfD): Früher hieß es, die Medien seien die vierte Gewalt in Grüß Gott, Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Sehr unserer Demokratie und damit die Kontrolleure der poli- geehrte Herren! Liebe Zuschauer! Es sind nur noch we- tischen Macht. Und heute? Heute sind die Medien zu nige da. – Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute Herolden, zu Lautsprechern, zu Meinungsverstärkern über die vorliegenden Anträge zum Thema „öffentlich- der politisch Mächtigen geworden. Kritische Berichter- rechtlicher Rundfunk“ sprechen – sicher nicht wegen der stattung, alternative Sichtweisen, neutralen, ideologie- Inhalte, aber doch, weil es dringend notwendig ist, dass in freien Journalismus findet man zumeist nur noch im be- diesem Parlament über das Thema „öffentlich-rechtlicher nachbarten Ausland - Rundfunk“ gesprochen wird. Bündnis 90/Die Grünen möchten seinen Bestand und seine Weiterentwicklung (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Russland sichern, die FDP möchte ihn zukunftsfest machen und zum Beispiel! Supermedien!) seine gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen. Schon die Ti- tel sind bezeichnend, der Inhalt noch viel mehr. Sie kennen das aus der Geschichte –, wie in den unseligs- ten Zeiten: damals bei der BBC und später dann im so- Die Grünen fordern, was Grüne eben immer so fordern: genannten Westfernsehen. Alle diese Entwicklungen Diversität, Quoten, Plattformen für ideologische Absur- bleiben dem Bürger nicht verborgen. ditäten, die außer ihnen kaum jemand täglich sehen und hören möchte, für die der Bürger aber zahlen soll. Jetzt soll die öffentliche Meinungsbildung noch unver- hohlener, noch drastischer beeinflusst und gelenkt wer- (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann den und dann auch noch ausgestattet werden mit Zu- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) kunftsgarantien für die Perpetuierung des heute schon – Jawohl. – Die Grünen haben weder die Demokratie unerträglichen und immer schlimmer werdenden Zu- noch die Rundfunk- und Medienfreiheit in ihren grund- stands. Dem Bürger sollen seine Mündigkeit und die Fä- sätzlichen Strukturen und ihren Voraussetzungen jemals higkeit zur Bildung einer eigenen Meinung vom übergrif- richtig verstanden. figen Nanny-Staat noch weiter abgesprochen und (B) entzogen werden, und dann wird er sogar noch gezwun- (D) (Beifall bei der AfD) gen, für die vorgekauten Meinungen und die eigene Ent- Ich denke, das sind einfach Kobolde für die Grünen. mündigung Gebühren zu zahlen. Und das soll die gesell- schaftliche Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rundfunks befördern? Wohl kaum. NEN]: Über wen sprechen Sie? Über sich selbst?) In unserer noch sogenannten Demokratie, in der ein privates Zusammenkommen zum Kaffeetrinken mit Zum Antrag der FDP. Meinen Sie nicht, dass der un- dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei zum abhängige und staatsferne öffentlich-rechtliche Rundfunk Verlust der beruflichen Existenz des hessischen Filmför- in erster Linie selber für seine gesellschaftliche Akzep- derchefs führte, wo bleibt denn da der weiträumige me- tanz verantwortlich ist? diale Aufarbeitungsansatz des angeblich so staatsfernen (Thomas Hacker [FDP]: Der Rundfunkauftrag und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks? wird von der Politik formuliert!) Meine Damen und Herren, das Thema der vorgelegten Sie haben hier zwar einige der vielen Probleme erkannt, Anträge ist richtig; der Zeitpunkt ist lange überfällig. verleugnen aber die Ursachen. Fragen Sie doch erst ein- Doch die hier aufgezeigte Stoßrichtung ist grundverkehrt. mal, warum wir denn überhaupt eine so ausgesprochen Die Probleme sind weitaus komplexer. Ganz sicher ist, große Medienkrise in unserem Land haben. dass die Organisation und der Auftrag des öffentlich- Wir erleben heute eine Symbiose, eine gegenseitige rechtlichen Rundfunks grundlegend infrage gestellt ge- Abhängigkeit von Politik und Medien zu allfälligem ge- hören. genseitigem Nutzen. Der Bürger sieht sich einem schier (Beifall bei Abgeordneten der AfD) erdrückenden politmedialen Komplex gegenüber, der ihn unentwegt mit voller gleichgeschalteter Lautstärke be- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bedarf einer struktu- schallt, einer Lautstärke, die keinen Widerspruch zum rellen und entideologisierenden Reform. Und ganz sicher Gesagten, zum Dargestellten mehr zulässt. Dieser polit- sollte diese nicht wieder durch die Etablierung einer Ex- mediale Komplex mit seiner allgegenwärtigen politi- pertenkommission geschehen, einmal mehr bestehend schen Korrektheit schränkt den Korridor des Denk- und aus staatsgeldgierigen Geschwätzwissenschaftlern aus Sagbaren, aber auch den Korridor der freien und unab- dem internationalsozialistischen One-World-Phantasma- hängigen Informationsgewinnung für den Bürger in uner- Spektrum. Vielmehr muss ein solches Gremium zur Re- träglicher Weise ein. Die Medien und insbesondere der formfindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ganz öffentlich-rechtliche Rundfunk transportieren keine alter- zwingend aus den Mitgliedern dieses Parlaments zusam- 14518 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Martin Erwin Renner (A) mengestellt werden, inklusive der Parlamentarier der man sich anschaut, wie die Abstimmungsprozesse zwi- (C) Landesparlamente, - schen den Ländern funktionieren. Unter dem Vorsitzland Rheinland-Pfalz wird in der Rundfunkkommission der Länder jetzt der Medienstaatsvertrag beraten, der den Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Rundfunkbegriff erweitert und modernisiert und sich Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. erstmals auch der Aufgabe stellt, die großen Gatekeeper im Internet in eine Regulierung aufzunehmen – ich nenne Martin Erwin Renner (AfD): einmal das Stichwort „Plattformen intermediärer Video- – weil es um den Fortbestand unserer Demokratie geht. streaming-Dienste“. Das ist gut, und das ist richtig so. Die Länder erfüllen ihre Aufgabe, und wir können den Dialog (Beifall bei Abgeordneten der AfD) zwischen den Ländern und dem Bund weiter organisieren Sie werden in Kürze Vorschläge zu diesem Thema von und befördern. Wenn wir das gemeinsam tun, dann finde uns präsentiert bekommen. ich das tatsächlich ganz großartig.

Pax vobiscum! Die Vorschläge der FDP sind für meine Fraktion – so (Beifall bei der AfD) will ich es einmal sagen – doch zu klein. Sie zielen eher darauf ab, den Funktionsauftrag der öffentlich-rechtli- chen Rundfunkanstalten und der Sender auf eine minima- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: le Basis zu beschränken. Das wird den Herausforderun- Bei Ihnen war ich diesmal großzügig; Sie waren näm- gen aus unserer Sicht nicht gerecht. lich 40 Sekunden drüber. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Martin Rabanus, SPD-Fraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich sagen: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und eine viel- (Beifall bei der SPD) fältige und freie Medienlandschaft sind konstitutiv für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der öf- Martin Rabanus (SPD): fentlich-rechtliche Rundfunk ist für mich so etwas wie die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Achillessehne derselben: finde es gut – insofern danke ich auch der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion –, dass wir das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Thema öffentlich-rechtlicher Rundfunk und seine Bedeu- tung in der dualen Medienordnung heute Abend hier elementar für die Funktionsweise, für die Beweglichkeit anhand der vorliegenden Anträge diskutieren und bespre- des Gesamtsystems. Ich weiß im Moment sehr wohl, wo- (B) chen können. Da will ich in aller Klarheit unmissver- von ich rede, wie es ist, wenn das mit der Achillessehne (D) ständlich sagen: Die SPD steht nicht nur zur dualen Me- nicht mehr so funktioniert, wie es soll. dienordnung, sondern auch zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In diesem Sinne: Lassen Sie uns dafür werben und der CDU/CSU) dafür streiten, dass die Stabilität und die Funktionsfähig- keit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhalten blei- Er hat in der Tat mehr denn je die Aufgabe, zu einer ben. Mit Ihnen darüber im Ausschuss zu diskutieren, da- pluralen Meinungsbildung in der Bevölkerung beizutra- rauf freue ich mich. gen. Er steht für Meinungsvielfalt und für Ideologiefrei- heit. Er steht gerade in einer Zeit, in der die Verfügbarkeit Herzlichen Dank. von Informationen über elektronische Medien größer und größer wird, dafür, gegen Fake News, gegen Desinforma- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tion – von welcher Seite auch immer – und gegen Popu- der CDU/CSU) lismus angehen zu können. Das ist in der Tat von zentraler Bedeutung für unsere Demokratie, für unser funktionie- rendes demokratisches Gemeinwesen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege. Wir haben Ihrem Handicap Was an dem Antrag der Grünen gut ist – wenn ich das, hier ausreichend Rechnung getragen. liebe Kollegen, einmal so werten darf –, ist, dass Sie das im Grunde ja genauso sehen. Das muss uns Demokraten Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie von ei- aus meiner Sicht in der Tat auszeichnen. Dass ich nicht nem Zwischenstand unterrichten – dieses Haus ist doch jede einzelne Ihrer Forderungen für meine Fraktion oder lernfähig –: Wir haben es bis jetzt durch die vielfältigen auch für die Koalition querschreiben würde, gehört zum Reden, die bereits jetzt zu Protokoll gegeben worden demokratischen Diskurs. Was ich für maßgeblicher halte – sind, geschafft, das Ende der Verweildauer auf 2.50 Uhr da kann ich an bereits vorgetragene Kritik anschließen –, zu reduzieren. Das ist immer noch ein Ansporn, sich da- ist, dass in Ihrem Antrag die Bundesebene in geradezu ran zu beteiligen, dass es auch noch früher werden kann. maßregelnder Form auf die Länderkompetenz einwirken soll. Das halte ich – vorsichtig formuliert – für schwierig. Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Denn tatsächlich liegt die Verantwortung für die Medien- Thomas Hacker, FDP-Fraktion. politik in Deutschland aus gutem Grund bei den Ländern, und dort liegt sie auch gut. Das kann man sehen, wenn (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14519

(A) Thomas Hacker (FDP): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er- Herr Kollege Hacker, erlauben Sie eine Zwischenfrage innern Sie sich: Kein Sonntag ohne „Tatort“, jeden Abend aus der AfD-Fraktion? schaut die Familie gemeinsam Nachrichten, „heute“ beim ZDF oder die „Tagesschau“ bei ARD. Über Jahrzehnte war der öffentlich-rechtliche Rundfunk der häufigste Thomas Hacker (FDP): Gast in den Wohnzimmern der Republik. „War“, meine Können wir am Schluss machen. Damen und Herren; denn private Rundfunksender ergän- zen die Programme, und die digitale Revolution verändert Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Mediennutzung und das Medienverhalten der Gesell- Nein, am Schluss kann man keine Zwischenfrage mehr schaft in atemberaubendem Tempo. stellen. Information und Unterhaltung sind im Internet durch Sky, Netflix, Amazon Prime – und wie die Anbieter alle Thomas Hacker (FDP): heißen mögen – jederzeit verfügbar und werden jederzeit Dann sollen sie eine Kurzintervention machen. genutzt. Kaum einer der jüngeren Generation sitzt Punkt 20 Uhr daheim im Wohnzimmer auf der Couch. Lineares (Martin Rabanus [SPD]: Netter Versuch!) Fernsehen, meine Damen und Herren, konsumieren heute überwiegend nur noch Personen über 60 Jahre. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Gleichzeitig verschwindet das Vertrauen der Menschen Okay. Also: Sie wollen sie nicht zulassen. in Medien. Ist eine Nachricht glaubwürdig, oder sind es doch nur Fake News, die gerade verbreitet werden? Im- mer mehr Akteure versuchen, Einfluss zu nehmen, ver- Thomas Hacker (FDP): suchen, Menschen durch direkte Ansprache zu beeinflus- Nein. – Es ist richtig und wichtig, die digitale Agenda sen, versuchen, ihre oft abstrusen Botschaften unter das ins Zentrum zu setzen; aber es reicht eben nicht aus. Wir, Volk zu bringen. Populismus scheint hier ein leichtes Ge- liebe Kollegen von den Grünen, sehen den öffentlichen schäft zu sein. Rundfunk als einen Akteur in einer pluralistischen Me- dienlandschaft – gleichberechtigt mit privaten Anbietern, Das, meine Damen und Herren, sind die Herausforde- nicht bevorzugt. rungen, die wir angehen müssen. Wir Freie Demokraten wollen diese Herausforderung angehen. Meine Damen und Herren, wenn es uns gelingt, den (B) Rundfunkauftrag neu und fokussiert zu fassen und den (D) (Beifall bei der FDP) Strukturanpassungsprozess im öffentlichen Rundfunk en- gagiert und konsequent fortzuführen, dann haben wir Wir Freie Demokraten bekennen uns zum öffentlich- auch die Chance, auf das leidige Thema „Erhöhung der rechtlichen Rundfunk und wollen ihn gerade deshalb fit Rundfunkbeiträge“ die richtige Antwort zu geben. Die für die Zukunft machen. Wir wollen einen starken öffent- Beiträge können dann dauerhaft und deutlich gesenkt lichen Rundfunk, der durch Qualität überzeugt. Wir wol- werden. Die einfache, aber schlechte Lösung der perma- len einen öffentlichen Rundfunk, der sich auf seine Kern- nenten Beitragserhöhung durch die Indexierung ist dann aufgaben konzentriert, der sich auf die Bereiche hinfällig. Information, Bildung und Kultur fokussiert und damit Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei den Bürgern zurück- (Beifall bei der FDP) gewinnt. Lieber Kollege Rabanus, die FDP im Deutschen Bun- (Beifall bei der FDP) destag hat Vertrauen in die Arbeit ihrer Landtagsfraktio- Und wir wollen das Programm digitaler und online besser nen, in die Länderkompetenzen. Wir arbeiten eng zusam- verfügbar machen. Ja, wir Freie Demokraten sind davon men, nehmen Impulse aus den Ländern auf und überzeugt, dass der begonnene Strukturwandel beim öf- entwickeln sie gemeinsam weiter. Genau deswegen stelle fentlich-rechtlichen Rundfunk noch nicht ausreicht, um ich mir die Arbeit, wenn wir über die Zukunft des öffent- den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. lichen Rundfunks reden, so vor: Bund und Länder ge- meinsam, Impulse aus der Gesellschaft aufnehmen und Denkverbote darf es nicht geben. Brauchen wir tat- weiterentwickeln. Dazu sind wir Freie Demokraten be- sächlich zwei nationale Sender? Können vielleicht noch reit, und dazu laden wir auch ein. weitere Länderanstalten enger zusammenarbeiten oder gar fusionieren? Ist es tatsächlich notwendig, wenn es Herzlichen Dank. doch staatlich garantierte Beitragseinnahmen gibt, zu- (Beifall bei der FDP) sätzlich noch Werbung und Sponsoring zu verkaufen? Und wie sieht es mit den horrenden Preisen für Groß- ereignisse in Unterhaltung und Sport aus? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Hacker. – Als nächste Red- Der Antrag der Grünen beschäftigt sich vor allem mit nerin erhält das Wort die Kollegin Doris Achelwilm, der digitalen Agenda des öffentlichen Rundfunks. Das ist Fraktion Die Linke. richtig und wichtig. Aber lässt sich allein damit schon die Zukunft meistern? (Beifall bei der LINKEN) 14520 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Doris Achelwilm (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Anwesende! So ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlimm sieht es mit der Akzeptanz des Öffentlich-Recht- Zum technischen Wandel. Digitalisierung, neue End- lichen tatsächlich nicht aus. 83 Prozent der in Deutsch- geräte und Nutzungsgewohnheiten bedeuten, dass es für land Befragten geben laut einer aktuellen Umfrage von den Öffentlich-Rechtlichen auch neue Rahmenbedingun- Infratest an, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk für gen durch die Politik braucht. Um die regulatorischen sie unverzichtbar ist. Herausforderungen wurde sich jahrelang, auch hier im (Beifall des Abg. Martin Rabanus [SPD]) Hause, zu wenig gekümmert. Eine zentrale Frage ist tat- sächlich – da stimmen wir zu –: Wie gehen wir mit Platt- In allen Altersgruppen genießt er breite Unterstützung formen wie YouTube und Facebook um, die bislang und mehr Glaubwürdigkeit als die Privaten. Daran zeigt weitgehend außerhalb der Medienpolitik operieren? Hier sich, dass viele Beschäftigte bei ARD, ZDF und Deutsch- braucht es endlich zeitgemäße Konzepte, wie zum Bei- landfunk wichtige wertgeschätzte Arbeit leisten. spiel den Angang einer gemeinsamen öffentlich-rechtli- (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. chen Mediathek, Algorithmentransparenz, gerade auch Birkwald [DIE LINKE]: Sehr richtig! Sehr für die privatwirtschaftlichen Plattformen. Der Öffent- richtig!) lich-Rechtliche muss sich sichtbar im Netz präsentieren können. Uns kommt bei der aktuell recht breiten Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch noch einiges Statt Sendeanstalten mit Obergrenzen für Text – Stich- zu kurz. Die Situation gut ausgebildeter Mitarbeiter und wort „Presseähnlichkeit im digitalen Raum“ – unnötig zu Journalisten und Journalistinnen, die jeden Tag das in- gängeln, wäre es an der Zeit, Internetriesen wie Apple, haltliche Programm stemmen, gehört sicherlich dazu. Google, Amazon, Facebook zu kontrollieren, die genauso wenig Steuern zahlen, wie sie Verantwortung für Hetze Ein besonderes Augenmerk liegt für die Linke auf den im Netz übernehmen. Arbeitsbedingungen der vielen sogenannten festen Freien, ohne die der öffentlich-rechtliche Rundfunk gar (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- nicht mehr laufen würde. Dass sie sozialversicherungs- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – rechtliche Nachteile haben und ihr Berufsleben nur be- Simone Barrientos [DIE LINKE]: Genau!) dingt planen können, kann nicht zufriedenstellen. Hier müssen die zuständigen Länder zusammen mit Freienver- Bei Fragen zur Ausgestaltung des Rundfunkbeitrages – tretung und Personalräten erreichen, dass prekäre Arbeit immer ein hitziges Thema – fehlt uns sozusagen deutlich wieder zurückgedrängt statt ausgeweitet wird. soziale Kompetenz. Jedes Jahr gibt es dreieinhalb Millio- (B) nen Mahn- und Vollstreckungsverfahren beim Beitrags- (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- service. Dieser unschöne und unnötige Aufwand ließe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sich deutlich reduzieren, wenn die Rundfunkbeiträge von den Menschen, die etwa im BAföG- oder SGB-II- Gleichstellung und Diversität in den Redaktionen und Bezug auf Antrag befreit sind, als Verwaltungsakt staat- vor der Kamera sind ebenfalls Themen, die höher hängen lich kompensiert würden. müssen. Der Nachholbedarf ist bekannt. Wenn jenseits solcher Aufgaben die Zukunft des Öf- So ein Modell, das auch laut Wissenschaftlichem Dienst fentlich-Rechtlichen bei der FDP vor allem dann doch die Staatsferne nicht berührt, könnte die Beitragshöhe auch in Sparmaßnahmen und schlanken Strukturen gese- stabilisieren und dafür sorgen, dass die Sendeanstalten hen wird, geht das an zentralen Bedarfen vorbei und für die nächsten Jahre Planungssicherheit haben. Wir hof- macht auch etwas hellhörig. Wir sind nicht für Zusam- fen, dass über solche Ansätze gründlicher nachgedacht menführungen und Zusammenlegungen von Anstalten. wird. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Die föderale Senderlandschaft und auch die kleinen An- (Beifall bei der LINKEN) stalten gehören nämlich mit ihren regionalen Arbeits- und Entwicklungsbedingungen und crossmedialen Vorzeige- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: produktionen mindestens erhalten und unterstützt. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem öffentlich- das Wort der Kollege Christoph Bernstiel, CDU/CSU- rechtlichen Rundfunk kommt in einer veränderten Me- Fraktion. dienlandschaft tatsächlich eine besondere Verantwortung zu, die er noch nicht ganz auslotet. Es ist bei allen Klä- (Beifall bei der CDU/CSU) rungsbedarfen enorm wichtig, ihn zu haben, gerade jetzt. Er sollte sich selbstbewusst um die Rolle bemühen, über- Christoph Bernstiel (CDU/CSU): zeugender Gegenpol zu Fake-News-Blasen, Desinforma- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und tion und flacher Klick- und Quotenorientierung zu sein. Kollegen! Liebe noch anwesende Gäste! Ich bin ein groß- In diesem Sinne erwarte ich übrigens auch von ARD- er Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sendungen Talkshows, dass Beiträge, die Antisemitismus relativie- wie „Leschs Kosmos“, „nano“, ZDFneo, aber auch Pro- ren, klar eingeordnet und nicht einfach so stehen gelassen grammformate wie „extra 3“ und „Die Anstalt“ gehören werden. dazu. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14521

Christoph Bernstiel (A) Was man zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch Aber – das ist der Grund, warum wir Ihren Anträgen (C) sagen muss: Er scheint ja sehr gut zu funktionieren; das nicht zustimmen können –: Das müssen wir in den Län- zeigt die Debatte hier. Lieber Herr Renner, Sie haben sich dern diskutieren; das wurde hier schon angesprochen. vorhin so köstlich darüber beschwert, dass Sie durch die Aber ich bin gerne bereit, den Kollegen auch in den Medien angeblich diskreditiert würden. Sie haben gesagt: Rundfunkanstalten Ihre Anregungen vorzutragen. – Da- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Vasall der Re- mit haben wir, sehr geehrter Herr Präsident, 50 Sekunden gierung. Redezeit gespart. (Christoph Neumann [AfD]: Nein!) (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die kriege ich!) Ich kann Ihnen als Angehöriger einer Regierungspartei sagen: Wir sehen das ganz anders. – Wenn Sie jetzt die Herzlichen Dank. Debatte hier verfolgt haben, dann haben Sie festgestellt, (Beifall bei der CDU/CSU) dass eigentlich jeder irgendwie etwas zu kritisieren hat und sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Stück weit nicht richtig behandelt fühlt. Das zeigt doch: Das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: System funktioniert. Genau das ist seine Aufgabe, näm- Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich will das mit der Be- lich keinen besonders herauszugreifen, sondern alle merkung begleiten, dass der Deutsche Bundestag sein gleichmäßig zu kritisieren. Das ist doch ein gutes Zei- Geld wert ist. chen, meine lieben Damen und Herren. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der CDU/CSU) CDU/CSU und der FDP) Aber es gibt natürlich auch Dinge, die zu kritisieren Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner sind. Ich danke ausdrücklich den Kollegen von den Grü- hat das Wort der Kollege Helge Lindh, SPD-Fraktion. nen und auch von der FDP dafür, dass sie eine sehr schöne (Beifall bei der SPD) Auflistung gemacht haben – das kann jeder nachlesen –, welche Punkte tatsächlich zu kritisieren sind und welche Helge Lindh (SPD): Dinge in Zukunft besser laufen müssen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen: Das ist die haben 50 Sekunden Redezeit gespart, Herr Bernstiel. Frage des Budgets und der Finanzierung. Die Kommis- sion zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkan- (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Für Frau (B) stalten hat bereits angekündigt, dass sie im nächsten Jahr Motschmann!) (D) eine Erhöhung von 3 Milliarden Euro möchte. Dem öf- – Für Frau Motschmann. Das ist wunderbar. Für mich fentlich-rechtlichen Rundfunk steht ein Budget von un- wäre es aber auch sinnvoll gewesen. Trotzdem wären gefähr 8 Milliarden Euro zur Verfügung. Jetzt kann man das nicht unbedingt 50 Sekunden mehr Wahrheit, sondern sagen: Das ist sehr viel Geld. – Ja, das ist auch sehr viel eher 50 Sekunden, die ich nutzen muss, um Sie in einem Geld. Punkt zu kritisieren. Wir sind uns im Grundsätzlichen einig. Aber ich erlaube mir am Anfang doch die Bemer- Ich möchte dieser Zahl eine andere Zahl gegenüber- kung: ob es wirklich angebracht ist, den Wunsch nach stellen, da genau dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk einer Etatsteigerung und Budgetfragen des öffentlichen diese andere Zahl kritisiert hat. Da ging es um die Finan- Rundfunks mit dem Etat des Bundestages zu vergleichen, zierung des Deutschen Bundestages. Der Bundestag sei um dann aus unserer Sicht, also als diejenigen, die ja zu groß und zu teuer; darüber können wir diskutieren. selber die Betroffenen sind, darüber zu richten, dass das Aber das komplette Budget des Deutschen Bundestages zu viel sei. Ich halte das für etwas problematisch. beträgt ungefähr 973 Millionen Euro. Das heißt, nicht einmal ein Achtel dessen, was dem kompletten öffent- Ich wünsche mir einen öffentlich-rechtlichen Rund- lich-rechtlichen Rundfunk zur Verfügung steht. Im nächs- funk, der sehr gut ausgestattet ist, der exzellente Arbeits- ten Jahr sollen wir ernsthaft darüber diskutieren, dass zu bedingungen hat. Es ist meine geringste Sorge, dass die- dem Budget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch ser öffentliche Rundfunk besser ausgestattet sein könnte einmal 3 Milliarden Euro hinzukommen sollen. Damit als der Bundestag. Ich glaube, diesen Zustand werden wir wären wir bei 11 Milliarden Euro gegenüber ungefähr leicht überleben. 973 Millionen Euro für den Deutschen Bundestag. (Beifall bei der SPD) Da muss ich Ihnen sagen: An diesem Verhältnis kann Wir haben in der SPD-Fraktion einen leichten Wett- etwas nicht stimmen. Da müssen wir sehr genau, natürlich bewerb: Der Kollege Rabanus hat mit seiner Achillesfer- in Absprache mit unseren Ländern, darüber diskutieren: se vorgelegt und dann auch noch zu Recht davon gespro- Können wir diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk mo- chen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk so was wie derner und effizienter gestalten? Können wir über Fragen die Achillesferse des Mediensystems und der Informa- reden wie: Ist die Quote wirklich das ausschlaggebende tionslandschaft sei. Sie sehen es mir nicht an, aber neh- Kriterium? Wie viel Konkurrenz gibt es eigentlich zu den men Sie jetzt an, ich stünde mit gebrochenem Herzen vor privaten Medien? Wann kommen die wirklich relevanten Ihnen. Dinge in die Hauptsendezeiten? Das alles sind Punkte, die wir diskutieren müssen. (Zurufe von der SPD: Oh!) 14522 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Helge Lindh (A) Ich steigere das Ganze noch und sage: Tatsächlich – das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) meine ich bitterernst – ist dieser öffentlich-rechtliche Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Rundfunk, der gegenwärtig aus vielen Ecken angegriffen wird, ohne Zweifel so etwas wie die Herzkammer des Zugangs zu Bildung und Information in diesem Land. Helge Lindh (SPD): Vielen Dank. Ich möchte Ihnen auch ein Beispiel nennen – für die (Beifall bei der SPD) AfD-Fraktion wäre das besonders hilfreich, geradezu ein Bildungserlebnis –: die Medienplattform funk. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, im Rahmen des Öffentlich- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Rechtlichen gerade die Zielgruppe der 14- bis 29-Jähri- Vielen Dank, Herr Kollege Lindh. – Als letzte Redne- gen zu erreichen. In dieser sehr wertvollen Plattform fin- rin erhält das Wort für einen Vierminutenbeitrag die Kol- det sich unter anderem eine Sendereihe namens „Jäger & legin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-Fraktion. Sammler“. Einer der Moderatoren ist Tarik Tesfu. Er hat aus Sicht der Feinde des öffentlich-rechtlichen Rund- (Beifall bei der CDU/CSU) funks und der Freunde des Rechtspopulismus etwas ganz Schlimmes gemacht: Er wagt es, schwul, schwarz und Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Feminist zu sein, und auch, sich gegen Faschismus ein- Plus 50 Sekunden! – Herr Präsident! Liebe Kollegin- zusetzen. nen und Kollegen! Die 26 Forderungen und Punkte in dem Antrag der FDP sowie die 18 in dem der Grünen Das Ergebnis seines Auftretens, das mutig und ein Bei- sind gut gemeint, aber falsch adressiert. Nicht wir, der spiel ist für die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rund- Bundestag, sondern die Bundesländer sind zuständig. funks, ist, dass er bergeweise Drohungen, sogar Mord- Diese Zuständigkeit hat sich in 70 Jahren bewährt. Des- drohungen erhält und andere höchst unappetitliche halb wollen wir sie auch nicht ändern. Aber wir nehmen Erfahrungen machen musste. die Wünsche der Opposition natürlich gerne entgegen und stellen uns der Diskussion. Gerade in Zeiten zunehm- (Martin Rabanus [SPD]: Pfui!) ender Desinformation, von Propaganda und Hass im Netz ist eine unabhängige Berichterstattung sehr, sehr wertvoll Kaum hatte ich mit ihm ein Interview geführt, konnte ich und wichtig. selber die sehr unerfreuliche Erfahrung einer Morddro- hung und der Aussetzung eines Kopfgeldes machen. Ge- Das Medienangebot in Deutschland ist eines der qua- rade diese Erfahrung von Tarik Tesfu und anderen sollte litativ hochwertigsten und vielfältigsten der Welt – dank (B) uns, glaube ich, Grund genug sein, alles zu tun, um diesen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie der privaten (D) öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stärken. Medien; auch das sei hier gesagt. Das duale System hat sich bewährt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Britta Haßelmann Diese vielfältige Medienlandschaft müssen wir erhal- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten und schützen. – Ich habe mir nicht träumen lassen, dass wir das irgendwann mal so formulieren müssen. Deshalb ist es bei allem Respekt vor der liberalen Me- Dennoch wird über die Legitimation des öffentlich-recht- dienpolitik aus meiner Sicht kein Kriterium, dass diese lichen Rundfunks derzeit verstärkt diskutiert: Sind die öffentlich-rechtliche Struktur besonders schlank und ef- Gebühren zu hoch? Brauchen wir den öffentlich-recht- fizient sein muss. Das klingt mir ein bisschen zu sehr nach lichen Rundfunk im digitalen Zeitalter überhaupt noch? neoliberaler Folklore. Auch die Idee, wir bräuchten eine Diese Fragen sind legitim; denn sie werden von etwa nationale Rundfunkanstalt und möglichst weniger Sen- einem Drittel der Deutschen gestellt. der, ist eher so was wie ein Minimalismus, den wir uns nicht leisten können. Wir müssen uns auf diesem Gebiet Allerdings gibt es immer häufiger polemische, haltlose Maximalismus leisten. Kritik. Mit Vorwürfen wie „Staatsfunk“, „Lügenpresse“ oder „Fake News“ wird man ARD und ZDF in keinster (Beifall bei der SPD) Weise gerecht. Wer das Vertrauen – und das sage ich in Richtung AfD – in unsere öffentlich-rechtlichen Medien Die Debatte, zum Beispiel um den Klimaschutz, zeigt, zerstört, der zerstört Demokratie. dass es nicht immer gut ist, allein vom Nutzer her zu denken und zu fragen: Wie bringen wir das mit seinem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Verhalten in Einklang? Wie teuer ist das? Vielmehr müs- der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: So ein sen wir uns das Ganze systemisch angucken. Deshalb Stuss!) brauchen wir zum Beispiel beim Klimaschutz einen ganz Deshalb fordere ich Sie auch hier auf: Hört endlich auf starken öffentlichen Personennahverkehr. Wir brauchen mit den substanzlosen Angriffen auf die öffentlich-recht- auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk; denn dieser ist lichen Medien! nichts anderes als der öffentliche Personennahverkehr zu Information, zu Bildung und auch zu Unterhaltung, ge- (Thomas Ehrhorn [AfD]: Sagt Ihnen der Fall rade für diejenigen, die nicht die Möglichkeit haben, Monika Lazar irgendwas? – Gegenruf der durch Elternhaus oder anderes solche Zugänge automa- Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE tisch zu bekommen. GRÜNEN]: Mir sagt der Fall Ehrhorn was!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14523

Elisabeth Motschmann (A) – Denken Sie lieber mal darüber nach, dass eben diese 13 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (C) Medien demokratische Werte vermitteln, dass sie über- desregierung eingebrachten Entwurfs eines parteilich sein müssen, dass sie Kultur und Information, Gesetzes zur Änderung des Neunten und Bildung und Unterhaltung gewährleisten müssen, damit des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und wir dieses breite Programmangebot haben. anderer Rechtsvorschriften Ich habe erstens den Wunsch, dass nicht nur Einschalt- Drucksache 19/11006 quoten das Programm bestimmen, ich habe zweitens den Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Wunsch, dass programmankündigende Trailer weniger schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus- Gewalt enthalten – Werbung mit brutalen Szenen ist nicht schuss) verantwortbar und garantiert im Übrigen auch keine hö- heren Einschaltquoten –, und drittens habe ich den Drucksache 19/14120 Wunsch – diesen Wunsch verstehen Sie alle, und er liegt mir sehr am Herzen –, dass es mehr Frauen vor der Ka- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des mera gibt. Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- ziales (11. Ausschuss) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens der SPD) Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel Das Bemühen der Sender erkenne ich an. Bis zum Alter (Olpe), weiterer Abgeordneter und der von Mitte 30 ist das Verhältnis von Frauen und Männern Fraktion der FDP vor der Kamera ausgeglichen. Super! Aber ab einem Al- ter von 35 bricht der Graben auf. Je älter sie werden, desto Beschäftigungssituation für Menschen weniger sind Frauen im Fernsehen vertreten, und das ist mit Behinderung verbessern nicht in Ordnung. – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören Pellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Birkwald, weiterer Abgeordneter und der SPD, der FDP und der LINKEN) Fraktion DIE LINKE Ab 50 Jahren ist nur noch ein Viertel der Protagonisten Ausgleichsabgabe deutlich erhöhen weiblich; bei 59 Jahren endet die Statistik. Ich komme da und Beschäftigungsquote anheben also gar nicht mehr vor. – zu dem Antrag der Abgeordneten (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – (B) Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Markus (D) Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Tragisch! – Christoph Kurth, weiterer Abgeordneter und der Bernstiel [CDU/CSU]: Skandal!) Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In den Talkshows und Nachrichtensendungen beträgt Bundesteilhabegesetz nachbessern und der Anteil der Expertinnen nur 21 Prozent, und das reicht volle Teilhabe ermöglichen nicht. Drucksachen 19/9928, 19/11099, 19/5907, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der 19/14120 SPD und der FDP) ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Es reicht mir jetzt langsam, dass wir das immer wieder Suding, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer sagen müssen. Abgeordneter und der Fraktion der FDP Danke schön. Heranziehung von Pflegekindern als Leis- tungsberechtigte durch einen Kostenbeitrag (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei abschaffen Abgeordneten der SPD) Drucksache 19/10241

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Überweisungsvorschlag: Vielen Dank, Frau Kollegin Motschmann. – Mit die- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sem dringenden Appell für mehr Frauen, auch für mehr Haushaltsausschuss gestandene Frauen im Fernsehen beende ich die Debatte. Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Aber ich derung des Neunten und des Zwölften Buches Sozialge- war in der Zeit!) setzbuch liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/8475 und 19/14032 an die in der Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Sie sind mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstan- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. den, wie ich sehe und höre. Dann wird so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b sowie nerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Kerstin Zusatzpunkt 9 auf: Griese für die Bundesregierung das Wort. 14524 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Leistungen der Blindenhilfe erhalten. Auch das ist also (C) CDU/CSU) eine Verbesserung.

Kerstin Griese, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Meine Damen und Herren, das Bundesteilhabegesetz minister für Arbeit und Soziales: war die große sozialpolitische Reform, die wir in der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- letzten Legislaturperiode beschlossen haben. Deshalb ne sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen das möchte ich bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass Bundesteilhabegesetz und damit die Politik für Menschen zum 1. Januar kommenden Jahres weitere wesentliche mit Behinderungen und für mehr Inklusion weiter- Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensan- entwickeln. rechnung in der Eingliederungshilfe in Kraft treten. Das ist ein echter Meilenstein für Menschen mit Behinderun- Bei dem hier vorliegenden SGB-IX-/SGB-XII-Ände- gen; denn die Einkommensanrechnung wird deutlich ver- rungsgesetz geht es neben einigen technischen und redak- bessert, und die von vielen als sogenanntes Heiratsverbot tionellen Korrekturen auch um einige wichtige Punkte, angesehene Anrechnung des Partnereinkommens wird damit das Bundesteilhabegesetz zukunftsfest und abgeschafft. Zudem erhöhen wir die Vermögensfreigren- belastbar ausgerichtet ist. ze deutlich auf 50 000 Euro. Deshalb: Ein echter Meilen- stein für Menschen mit Behinderungen. Damit das Bundesteilhabegesetz zum 1. Januar 2020 gut und problemlos in Kraft treten kann, haben wir hier (Beifall bei der SPD) mit einem Änderungsantrag folgende Änderung vorge- nommen: Ab 1. Januar 2020 werden die Fachleistungen Was mir ganz wichtig ist: Damit fördern und unterstüt- der Eingliederungshilfe und die existenzsichernden Leis- zen wir auch die Erwerbstätigkeit und Erwerbsfähigkeit tungen getrennt ausgezahlt. Dafür müssen die Träger der von Menschen mit Behinderungen, die im Alltag ja oft- Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe ihre bisherigen mals wesentlich mehr leisten müssen und mehr Probleme Verfahren umstellen. Leistungsberechtigte Personen er- haben als Menschen, die keine Beeinträchtigung haben. halten ihre Rente nun vollständig auf ihr eigenes Konto – Ich sage an dieser Stelle vielen Dank an alle Beteilig- zum Monatsende, wie das bei Renten üblich ist. ten, die dabei mitgeholfen haben, dass wir nun mit diesem Damit alle Menschen mit Behinderungen aber schon SGB-IX-/SGB-XII-Änderungsgesetz auch die letzten Anfang Januar für ihren Lebensunterhalt aufkommen Hürden abbauen können, damit die nächste Stufe des können, muss ihnen ihr Bedarf für den Lebensunterhalt Bundesteilhabegesetzes am 1. Januar 2020 gut in Kraft zu Beginn dieses Monats in voller Höhe zur Verfügung treten kann. stehen. Das wird jetzt durch einen Änderungsantrag si- Mein Dank gilt besonders dem Deutschen Verein, der (B) chergestellt. Damit wird Anfang Januar 2020 kein Abzug die Umsetzungsbegleitung maßgeblich und federführend (D) von der Grundsicherung aufgrund der erst Ende Januar organisiert hat, und gilt den Verbänden und Vertretungen zufließenden Rente stattfinden. Der Bund übernimmt für von Menschen mit Behinderungen, die immer beteiligt diese einmalige Umstellung die Kosten. waren. Mit dem Bundesteilhabegesetz stärken wir die Selbst- Ich danke auch den Berichterstatterinnen und Berich- bestimmung von Menschen mit Behinderungen erheb- terstattern im Bundestag für ihre Arbeit und bitte Sie lich. Wir holen die Menschen mit Behinderungen in die herzlich um Zustimmung zu diesem Gesetz. Mitte unserer Gesellschaft; denn da gehören sie auch hin. Vielen Dank. Das Bundesteilhabegesetz umzusetzen, ist ein langer Prozess. Es ist ein lernendes Gesetz, und diese Reform (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tritt in drei Stufen in Kraft. Zwei Etappen haben wir be- der CDU/CSU) reits genommen, die dritte und wohl bedeutendste Stufe steht uns jetzt unmittelbar bevor, die Reform der Einglie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: derungshilfe zum 1. Januar 2020. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Als nächster Das heißt: Die Betroffenen können in Zukunft selbst Redner erhält das Wort der Kollege Uwe Witt, AfD-Frak- entscheiden, welche Leistungen der Eingliederungshilfe tion. sie von wem in Anspruch nehmen. Diese Entscheidungen (Beifall bei der AfD) können jetzt nicht mehr über die Köpfe der Menschen mit Behinderungen hinweg getroffen werden. Damit schaffen Uwe Witt (AfD): wir mehr Selbstbestimmung. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten te Gäste des Hohen Hauses! Im Jahr 2018 gab es laut der CDU/CSU) Mikrozensus 3,1 Millionen Menschen mit Behinderung im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Um diesen Men- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine weitere Ände- schen zu helfen und ihnen eine selbstbestimmte Lebens- rung, die wir umsetzen, ist ein höherer Freibetrag für führung zu ermöglichen, debattieren wir heute hier. erwerbstätige blinde Menschen, der bisher nur galt, wenn daneben Leistungen der Hilfe zur Pflege oder der Ein- Geplant ist, dass für jeden Menschen mit Behinderung gliederungshilfe bezogen wurden. Mit dem Änderungs- zukünftig ein sogenannter Teilhabeplan erstellt werden antrag wird nun klargestellt, dass dieser privilegierte Frei- soll. Hieraus werden dann alle verfügbaren Leistungen betrag auch für diejenigen gilt, die ausschließlich in zwei Hilfearten unterteilt und – auch das wird neu sein – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14525

Uwe Witt (A) getrennt voneinander finanziert. Das heißt, zukünftig auch und gerade was den Übergang von einer Behinder- (C) wird zwischen der Hilfe zum Lebensunterhalt und den tenwerkstatt in den ersten Arbeitsmarkt betrifft. Hier be- Fachleistungen zum Bewältigen des Lebens bei freier darf es einer guten und individuellen Beratung; denn die Wahl der Wohnform unterschieden. Welche Unterstüt- Teilhabe am Arbeitsleben ist ein wichtiger Faktor, damit zung dabei ein Mensch mit Behinderung erfährt, soll zu- Menschen mit Behinderung trotz ihrer Behinderung am künftig also vom persönlichen Bedarf abhängen. Leben teilhaben können. Bei Menschen mit Behinderungen in Wohngruppen (Beifall bei der AfD) etwa sollen die reinen Wohnkosten nunmehr akribisch von den Leistungen zur Eingliederungshilfe getrennt wer- Begrüßenswert wäre es, wenn noch mehr Unterneh- den. Diese akribische Trennung kann sich in der Praxis men schwerbehinderte Menschen ausbilden und indivi- problematisch auf die beteiligten Personenkreise auswir- duell fördern. Daher haben wir als AfD die Einführung ken, da ganz neue Instrumente der Bedarfserhebung im eines Bonussystems für Arbeitgeber gefordert, die über Teilhabe- und Gesamtplanverfahren geschaffen werden. der gesetzlichen Quote schwerbehinderte Menschen be- schäftigen. Das weckt Interesse an individuellen Förder- Laut einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunterneh- möglichkeiten, auch bei den 37 000 Unternehmen in mens Curacon gibt es bei den Trägern der Eingliede- Deutschland, die keinen Menschen mit Behinderung be- rungshilfe extreme Vorbehalte und Verunsicherungen, schäftigen. und zwar durch zu spät verabschiedete Ausführungsge- setze, ausstehende Landesrahmenverträge, hohe Aufwän- (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Alle de im Vorbereitungsprozess und Zweifel an der Errei- Sachverständigen fanden das falsch!) chung der gesetzlichen Ziele des Bundesteilhabegesetzes. Wir alle müssen gemeinsam in diesem Hohen Hause Aus diesen Gründen müssen wir hier dafür Sorge tra- weitere Anstrengungen unternehmen, damit Deutschland gen, dass sich der eigentliche Ansatz, mehr Teilhabe für die Einhaltung der Behindertenrechtskonvention, welche Menschen mit Behinderung, durch die Einführung und sie im Jahr 2009 unterschrieben hat, erreicht. Diese Ver- die geplanten Änderungen im SGB IX und im SGB XII pflichtung gegenüber den Menschen mit Behinderung nicht ins Gegenteil verkehrt. sollte dementsprechend auch so umgesetzt werden. Bereits bei der Anhörung am Montag haben mehrere Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Bei dem vor- Sachverständige diverse Umsetzungsprobleme benannt liegenden Gesetzentwurf ist festzuhalten: Die Bundesre- und Ihnen auch Verbesserungsvorschläge gemacht. Zu gierung nimmt einige wichtige Korrekturen vor, die aber Recht wurde kritisiert, dass Deutschland die Behinder- leider nicht weit genug gehen. Auch durch das kurze Zeit- fenster bis zum Inkrafttreten der neuen Regelungen bleibt (B) tenrechtskonvention nicht zielgerecht umsetzt. Zusätzlich (D) haben Sie mit dem Bundesteilhabegesetz ein Bürokratie- abzuwarten, inwieweit die Umsetzung bis 1. Januar 2020 monster geschaffen, anstatt Leistungen für Menschen mit auf Länderebene überhaupt gelingen kann. Behinderung individuell und fallbezogen unkompliziert Vielen Dank. bewilligen zu können. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD)

Leider haben Sie auch im Bereich der Teilhabe im Ar- Vizepräsidentin Claudia Roth: beitsleben zu kurz geworfen. Seit 2015 kritisiert der Fach- ausschuss der UN, wie sich in einigen Bereichen das Le- Die Präsidentin bedankt sich. Danke schön, Uwe Witt. ben von Menschen mit Behinderung in Deutschland Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur entwickelt hat. Für den Bereich „Arbeit und Beschäfti- nächsten Runde. – Nächster Redner: für die CDU/CSU- gung“ kritisierte der UN-Fachausschuss insbesondere fi- Fraktion Wilfried Oellers. nanzielle Fehlanreize, die Menschen mit Behinderungen am Eintritt oder Übergang in den allgemeinen Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU) markt hindern, und den Umstand, dass Behindertenwerk- stätten weder auf den Übergang zum allgemeinen Ar- Wilfried Oellers (CDU/CSU): beitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Der Ausschuss der UN empfiehlt weiterhin, durch ent- Herren auf den Zuschauerrängen! Wir beraten heute ein sprechende Vorschriften wirksam einen inklusiven, mit Änderungsgesetz zu den Sozialbüchern XII und IX. Dies dem Übereinkommen in Einklang stehenden Arbeits- sind Konsequenzen aus dem Bundesteilhabegesetz, das markt durch folgende Maßnahmen zu schaffen: durch wir in der letzten Legislaturperiode verabschiedet haben Beschäftigungsmöglichkeiten an zugänglichen Arbeits- und das für Menschen mit einer Beeinträchtigung viel- plätzen, insbesondere für Frauen mit Behinderung, durch fältige Verbesserungen mit sich gebracht hat. Bei einem die sukzessive Abschaffung der Behindertenwerkstätten solch großen Gesetzesvorhaben, das wir hier gestemmt durch Ausstiegsstrategien und Zeitpläne sowie durch An- haben, kann es natürlich sein – und das ist leider Gottes reize für die Beschäftigung bei öffentlichen und privaten eingetreten –, dass es im Rahmen der gesetzlichen For- Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt. mulierungen Unklarheiten und Widersprüche gibt. Durch Liebe Kollegen, die Anhörung am Montag hat deutlich dieses Änderungsgesetz werden entsprechende Korrekt- gemacht, dass Sie gerade im Bereich der Teilhabe am uren vorgenommen, die sich vornehmlich auf redaktio- Arbeitsleben deutliche Verbesserungen schaffen müssen, nelle Dinge beschränken. Ich bin in meiner Rede im Rah- 14526 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Wilfried Oellers (A) men der ersten Lesung darauf eingegangen und darf da- vermeintlich davon ausgeht, dass diese Einrichtungen (C) rauf verweisen. nicht tunlich sind, sage ich Ihnen für meine Fraktion ganz deutlich, dass wir ohne diese Einrichtungen nicht aus- Ausdrücklich eingehen möchte ich auf die Änderungs- kommen. anträge, die wir Ihnen vorgelegt haben und für die wir um Zustimmung bitten. Eine ganz wichtige und vor allen Herzlichen Dank. Dingen dringliche Regelung bezieht sich auf die Nicht- anrechnung der Renten, um Zahlungslücken für den Mo- (Beifall bei der CDU/CSU) nat Januar 2020 zu vermeiden; es geht um § 140 SGB XII. Frau Staatssekretärin Griese ist schon sehr ausführlich auf Vizepräsidentin Claudia Roth: die Umstände eingegangen. Aufgrund des Systemwech- Vielen Dank, Wilfried Oellers. – Nächster Redner: für sels, den wir jetzt anstreben, hin zur Trennung von Ein- die FDP-Fraktion Jens Beeck. gliederungshilfen und existenzsichernden Leistungen, kommt es zu dieser Problematik bei der Anrechenbarkeit (Beifall bei der FDP) und zur Anrechnungslücke. Hier würden wir sehenden Auges in die Situation geraten, dass die Menschen, die Jens Beeck (FDP): von dieser Anrechnungsthematik betroffen sind, für den Hochverehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Monat Januar einen Einnahmeausfall hätten und so ihr nen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste des Hauses! Frau tägliches Leben nicht finanzieren könnten. Das können Staatssekretärin Griese, mit dem vorliegenden Reparatur- wir natürlich nicht hinnehmen. Hier ist dringender Hand- gesetz werden überfällige Nachjustierungen im Bundes- lungsbedarf geboten. Deswegen planen wir die einmalige teilhabegesetz vorgenommen, die aber mit Abstand nicht Aussetzung der Anrechnung für den Monat Januar 2020. ausreichen. Frau Griese, wenn Sie sagen, damit würden Die Kosten werden vom Bund übernommen. In die Über- die letzten Hürden abgeräumt, um zu einer erfolgreichen gangsregelung – das ist auch ganz wichtig, weil man da Implementierung zum 1. Januar 2020 zu kommen, dann noch einmal nachjustieren musste – sind alle Betroffenen weiß ich, weil ich Sie hoch schätze und respektiere, dass einbezogen, sodass im Ergebnis jeder Leistungsberech- Sie das selbst nicht geglaubt haben. tigte von dieser positiven Regelung profitieren kann. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Ein weiterer Punkt – die Staatssekretärin hat es schon DIE GRÜNEN) angesprochen – ist die Ausweitung und Klarstellung bei der Einkommensfreiheit für erwerbstätige Blinde nach Wir Freien Demokraten schlagen vor, die Integration § 82 Absatz 6 SGB XII. Die bisherige Regelung besagt, von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeits- (B) dass von diesem privilegierten Freibetrag nur erwerbstä- markt zu verbessern, indem wir die Kopplung an § 18 (D) tig Leistungsberechtigte profitieren können. Personen, Absatz 1 SGB IV, die dazu führt, dass der sogenannte die „nur“ ein Blindengeld erhalten, aber keine weiteren Minderleistungsausgleich nur auf Mindestlohnniveau er- Einkünfte haben, profitieren von diesem Freibetrag nicht. folgen kann, endlich aufheben; Das ist eine Ungleichbehandlung. Hier wollen wir Ab- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hilfe schaffen. Deswegen erfolgt auch hier eine entspre- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chende Anpassung. Das hemmt nämlich insbesondere bei Menschen mit ho- Darüber hinaus werden wir bei der Ermittlung von Be- her Qualifikation, die zum Teil ihre Behinderung erst darfssätzen im Hinblick auf die durchschnittlichen nach langer Erwerbstätigkeit erfahren haben, die Integra- Warmmieten Konkretisierungen vornehmen, unter wel- tion in den Arbeitsmarkt und stigmatisiert die Leistung chen Rahmenbedingungen hier die entsprechenden Ver- dieser Menschen, die eben deutlich mehr leisten können. gleichszahlen heranzuziehen sind. Als weiteren Punkt möchte ich die Ergänzungen in § 45 Satz 3 SGB XII er- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Corinna wähnen. Auch das ist eine Änderung in Folge des Bun- Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) desteilhabegesetzes, damit auch im Teilhabeplanverfah- ren die Feststellung der Dauerhaftigkeit einer vollen Wir müssen gerade für Menschen mit psychischen Er- Erwerbsminderungsrente erfolgen kann. krankungen mehr tun. Dazu ist das Instrument der ande- ren Leistungsanbieter eingeführt worden, das, unabhän- Wir werden mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute gig davon, Herr Oellers, wie man zu Werkstätten für hoffentlich mit Ihrer Zustimmung verabschieden werden, Menschen mit Behinderungen steht, flexibler und schnel- nicht aufhören, tätig zu sein. Mit dem sich schon im par- ler am Markt auch für kleinere und spezifischere Gruppen lamentarischen Verfahren befindlichen Angehörigen- mit deren Bedarfen operieren soll. Wenn das funktionie- Entlastungsgesetz werden wir weitere Verbesserungen ren soll, müsste man sie auf der einen Seite von zu viel für Menschen mit einer Beeinträchtigung vornehmen. Bürokratie entlasten und auf der anderen Seite mindes- Ich möchte hier schon einmal das Budget für Ausbildung tens bei der Privilegierung etwa im Bereich der Aus- ankündigen und insbesondere auch die Entlastung von gleichsabgabe gleichstellen. Die GroKo macht mit die- Angehörigen. sem Gesetzentwurf den genau gegenteiligen Schritt und entzieht dieses Privileg den anderen Leistungsanbietern Weil in meiner Vorrede die Werkstätten für Menschen endgültig. Auch das ist ein völlig falscher Weg, den die mit Behinderung kritisiert worden sind, möchte ich die GroKo an dieser Stelle geht. letzten Sekunden dazu nutzen, eine Lanze für sie zu bre- chen. Auch wenn die UN-Behindertenrechtskonvention (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14527

Jens Beeck (A) Im Gegenzug fehlt in diesem Gesetz eigentlich alles an Sören Pellmann (DIE LINKE): (C) materiellen Verbesserungen; da ist gar nicht viel drin. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etliches versäumen Sie hier. Und das, was Sie machen, Zunächst möchte ich vorab sagen: Die Anhörung am machen Sie viel zu spät; denn, wie wir schon gesagt ha- Montag hat erneut deutlich gezeigt, welche gravierenden ben, zum 1. Januar 2020 ändert sich Dramatisches. Mängel insbesondere bei der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen in Gesetzentwürfen noch immer vor- Für die Familien, für die Betroffenen, für die Leis- liegen. Eine Anhörungsfrist von zehn Tagen ist eben deut- tungserbringer und auch für die Kostenträger sind ganz lich zu wenig. viele Fragen nach wie vor offen. Das betrifft insbesondere die eben nicht sehr personenzentrierte Trennung von (Beifall bei der LINKEN) Fachleistungen der Eingliederungshilfe zu Leistungen Zweiter Kritikpunkt in Bezug auf die Anhörungen. zum Lebensunterhalt. Sie haben zugelassen, dass Quad- Wenn man mit Interessenvertreterinnen und Interessen- ratmeter und Flächen in den Einrichtungen dem SGB- vertretern spricht, wird man gespiegelt bekommen, dass XII-Bereich und dem SGB-IX-Bereich aufwendig zuge- es nicht einmal möglich ist, dass der Deutsche Bundestag ordnet werden mussten, um jetzt, zehn Wochen bevor das Dokumente, die in diesen Anhörungen verwendet wer- Gesetz in Kraft tritt, zu sagen: Es ist vielleicht gar nicht so den, barrierefrei zur Verfügung stellt. So viel zur UN- nötig gewesen, diese Zehntausenden von Stunden zu in- BRK. vestieren, weil wir jetzt sagen: Oberhalb der 125-Prozent- Grenze werden die Fachleistungen von der Eingliede- (Beifall bei der LINKEN sowie bei rungshilfe übernommen. – Das hätte man viel früher ma- Abgeordneten der FDP) chen können. Dann hätten die Einrichtungen die Chance Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für uns ein gehabt, sich früher auf das einzustellen, was zum 1. Januar deutlicher Rückschritt und ein Verstoß gegen die UN- 2020 erfolgt. Behindertenrechtskonvention, insbesondere wenn es um Es geht aber noch weiter. Nachdem Sie zugelassen ha- Partizipation geht. Ich habe dazu bei der Bundesregierung ben, dass man Einkauf und Zubereitung von Mittagessen angefragt und erhoffe mir in der nächsten Woche eine unterschiedlich bewerten muss, kommt mit dem Gesetz Antwort, wie denn die Bundesregierung zukünftig bei für die Elektromobilität – früher hieß es Jahressteuerge- Anhörungen mit der barrierefreien Verfügbarkeit von Do- setz – noch eine möglicherweise teilweise Umsatzbe- kumenten umgehen wird. steuerung des Mittagessens in den Einrichtungen hinzu. Nun aber zu den heute hier zu beratenden Anträgen und Das soll Personenzentriertheit sein? Ich kann Ihnen nur zum Gesetzentwurf. Die verpflichtende Beschäftigungs- sagen: Das versteht niemand. quote wurde gesenkt. Man hat gehofft, dass die Wirt- (B) (D) schaft selbst die Initiative ergreift und mehr Menschen (Beifall bei der FDP) mit Behinderungen beschäftigt. Der Beschluss, die Sie hätten sich handlungsfähig zeigen können, indem Schwerbehindertenausgleichsabgabe abzusenken, feierte Sie das, was in umfassenden Änderungsanträgen im Aus- vor wenigen Tagen im Übrigen 19. Geburtstag. schuss von den Freien Demokraten, von den Grünen, von Ich bin in den Katakomben des Deutschen Bundestages den Linken eingebracht worden ist, in den Gesetzentwurf gewesen, im Keller, und habe im Archiv gekramt. Da gibt aufgenommen hätten, um zu einer besseren Integration es eine Drucksache mit der Nummer 14/3799. Sie ist zum 1. Januar 2020 beizutragen. Das versäumen Sie hier schon einige Jahre alt; sie stammt aus dem Jahr 2000. leider. Umgekehrt holen Sie die Regelung zur drohenden Damals hieß der Bundeskanzler Gerhard Schröder. Es Zahlungslücke, die Sie aus dem Entwurf herausgenom- ging um den Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und men und in das Angehörigen-Entlastungsgesetz gepackt Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Entwurf eines haben, jetzt wieder zurück. Das ist mit Verlaub, Frau Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwer- Staatssekretärin Griese, Chaos und keine strukturierte Tä- behinderter“. Ich zitiere daraus: tigkeit zum Wohle der Menschen mit Behinderung. Das hilft am Ende nicht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Chan- cengleichheit schwerbehinderter Menschen im Ar- Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. Das Repara- beits- und Berufsleben verbessert und die Arbeits- turgesetz, das Sie jetzt selbst so nennen, bleibt unzurei- losigkeit schnellstmöglich und nachhaltig abgebaut chend. Zehn Wochen vor dem Jahreswechsel ist das ein werden. Gesetzentwurf der verpassten Gelegenheiten. Deswegen Um einen Anreiz für die Wirtschaft zu schaffen, senkte ist er auch nicht zustimmungsfähig. man die Schwerbehindertenausgleichsabgabe von 6 auf Vielen Dank. 5 Prozent. Das ist fast 20 Jahre her. Wenn man sich die Unterlagen zur Anhörung zum da- (Beifall bei der FDP) maligen Gesetzentwurf anschaut, stellt man fest, dass zwei Angehörte hervorstechen. Das ist zum einen der Vizepräsidentin Claudia Roth: Deutsche Gewerkschaftsbund. Er sprach damals schon, Vielen Dank, Jens Beeck. – Nächster Redner in der vor fast 20 Jahren, davon, dass die Höhe der Ausgleichs- Debatte: Sören Pellmann für die Fraktion Die Linke. abgabe deutlich zu gering berechnet sei und man, wenn man die Quote absenkt, schauen müsse, ob das tatsächlich (Beifall bei der LINKEN) Wirkung entfaltet. Man hat gehofft, dass es innerhalb 14528 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Sören Pellmann (A) eines Jahres zur Evaluierung kommt. Und die Bundesver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (C) einigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – auch sie wie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. ist damals angehört worden – hat ausgeführt, dass man Sören Pellmann [DIE LINKE]) gegen Sanktionen, Pflichtquoten und eine Ausgleichsab- Ich muss Ihnen aber leider sagen – es waren ja nicht alle, gabe sei und die Leistungsfähigkeit von Behinderten – so die heute Abend anwesend sind, am Montag bei der An- hieß es damals noch – generell infrage stelle. hörung –: Dort sind uns solche Geschichten erzählt wor- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: den. Jeder, der in diesem Bereich arbeitet, weiß, dass es Unglaublich!) oft vorkommt, dass Leute dahin gehend beraten werden, eine Arbeit in den Werkstätten aufzunehmen. Wenn man sich die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen anschaut, wird man feststellen, dass Ich erinnere noch einmal daran, wozu das Bundesteil- diese, gemessen an der Zahl der Betroffenen, deutlich habegesetz auch gedacht war, was der Anspruch, was die erhöht ist. Menschen mit Behinderung sind länger ar- Erwartung war und was wir auch erwarten konnten, dass beitssuchend als Menschen ohne Behinderung. Wollen nämlich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Be- wir diese Benachteiligungen weiter dulden? hinderung in diesem Land tatsächlich verbessert wird. Wir können heute, nachdem das Gesetz doch einige Jahre (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) alt ist, konstatieren, dass es leider keine solche Wirkung Wollen wir diese Menschen allein der freien Wirtschaft erzielt hat. Die Bundesregierung leistet mit dem, was sie überlassen? Die Linke sagt klar Nein. heute an Nachbesserungen vorlegt, dazu auch keinen we- sentlichen Beitrag. Wir müssen sagen: Das ist wieder ein- (Beifall bei der LINKEN) mal deutlich zu kurz gesprungen. Auch das Wegducken vor der Wirtschaft muss endlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Ende haben. Deswegen hat die Linke vorgeschlagen, sowie bei Abgeordneten der FDP) die Ausgleichsabgabe deutlich zu erhöhen; denn nur eine Schauen wir uns die Situation in Deutschland an, und Erhöhung schafft für die Wirtschaft Anreiz und Ver- bleiben wir beim Thema Arbeit: Es arbeiten immer mehr pflichtung, damit tatsächlich mehr Menschen mit Menschen in Werkstätten und eben nicht weniger, wie es Schwerbehinderung eingestellt werden. eigentlich der Anspruch dieser Bundesrepublik sein (Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE müsste. Das bedeutet, dass diese Menschen für sehr we- LINKE]) nig Geld arbeiten – im Durchschnitt für 200 Euro pro Monat – und dass sie mit sehr wenigen Perspektiven ar- (B) Ein zweiter Punkt, auf den ich schon eingegangen bin, beiten; denn weniger als 1 Prozent der Menschen, die in (D) ist die Anhebung der Ausgleichsabgabe auf die ursprüng- diesen Werkstätten beschäftigt sind, bekommen jemals liche Höhe von 6 Prozent. Auch das hat in der Anhörung die Chance, da wieder raus auf den allgemeinen Arbeits- am Montag eine Rolle gespielt. Wenn man sich die tat- markt zu kommen. sächlichen Arbeitslosenstatistiken, und zwar die unge- schönten, anschaut, stellt man fest: Das ist kein Hexen- Mit dem Bundesteilhabegesetz sollten Alternativen zur werk. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam wirken. Arbeit in Werkstätten geschaffen werden. Es wurde end- lich eine bundesgesetzliche Regelung für das sogenannte Vielen Dank. Budget für Arbeit umgesetzt. Für diejenigen, die es nicht wissen: Das ist dazu gedacht, dass Leute, die vielleicht (Beifall bei der LINKEN) ein bisschen langsamer arbeiten, einen Lohnkostenzu- schuss bekommen, damit sie auf dem normalen Arbeits- Vizepräsidentin Claudia Roth: markt einen Arbeitsplatz finden. Das ist ein super Ge- Vielen Dank, Sören Pellmann. – Nächste Rednerin: für danke. Man kann das auch perfekt umsetzen. Aber die Bündnis 90/Die Grünen Corinna Rüffer. Bundesregierung hat es leider so geregelt, dass wir heute in der Situation sind, dass es faktisch nicht mehr Budgets (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gibt als vor der Einführung auf bundesweiter Ebene. Die- ses Instrument funktioniert so nicht, es fliegt so nicht. Wir Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): brauchen an der Stelle ganz dringend Nachbesserungen, Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Demokratinnen und um Leuten Perspektiven zu geben, die im Moment in Demokraten! Wir stellen uns jetzt einmal vor, wir hätten Werkstätten sind. einen behinderten Menschen vor uns, einen jungen Men- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen, vielleicht 25 Jahre alt, der mit der Bitte zur Bun- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) desagentur für Arbeit geht: Ich möchte in einem ganz normalen Unternehmen beschäftigt werden. – Wir stellen Wir haben ein anderes Instrument, das im Bundesteil- uns dann vor, was ihm geantwortet wird. Das ist nicht habegesetz angelegt ist, die sogenannten anderen Leis- etwa: „Welche Unterstützung brauchen Sie denn, um die- tungsanbieter. Auch dieses Instrument war dazu gedacht, ses Ziel zu erreichen?“, sondern: „Warum gehen Sie denn Alternativen zur Werkstatt zu ermöglichen. Man hat ex- nicht in eine Werkstatt?“ Das ist, liebe Kolleginnen und plizit gesagt: Diese Alternativen sollen möglichst be- Kollegen, ein Zustand, den wir so nicht akzeptieren kön- triebsnah organisiert sein, und sie sollen sich von Werk- nen. Ich glaube, wir sind uns an der Stelle auch alle einig, stätten in diesem Sinne auch total unterscheiden. – Jetzt dass so etwas nicht passieren darf. stellen wir aber fest – auch wieder bei der Anhörung am Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14529

Corinna Rüffer (A) Montag; aber die Fachkundigen unter uns wussten das –: gliederungshilferechtes und unterstreichen damit deut- (C) Es gibt in ganz Deutschland, in der gesamten Bundes- lich, dass Leistungsberechtigte eben nicht als Bittsteller republik 14 andere Leistungsanbieter. Das ist unglaub- zum Amt kommen, sondern auf Augenhöhe ihre Anträge lich. Und die müssen dann auch noch nach Kriterien ar- stellen können. beiten, die denen der Werkstätten ähneln, sodass sie sozusagen gar keine andere Leistung erbringen können. (Beifall bei der SPD) Ein Sachverständiger hat gesagt: Die Idee der anderen Zweitens. Die Höhe der Leistung bestimmt sich künf- Leistungsanbieter ist gut. Die gesetzliche Ausformulie- tig nicht danach, in welcher Wohnform die Menschen rung scheint mir blamabel zu sein. – Man könnte hier leben, sondern nach ihrem persönlichen, individuellen stundenlang weiterreden. Bedarf. Der Mensch und sein persönlicher Bedarf treten in den Vordergrund und in den Blickpunkt. Vizepräsidentin Claudia Roth: Drittens. Für die Menschen mit Behinderungen bedeu- Nein, ganz sicher nicht. tet dieses Gesetz ganz konkret, dass sie ab dem 1. Januar 2020 Leistungen erhalten werden, unabhängig davon, ob Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sie ambulant, teilstationär oder stationär untergebracht Ganz sicher nicht. – Meine Zeit geht jetzt leider zu sind und in solchen Einrichtungen leben. Sie können Ende. Liebe Leute, wir sehen: Wir haben so viel zu tun selbstständig wählen, wo sie wohnen, wie sie wohnen. in diesem Bereich, dass wir heute Abend nicht einmal Das ist ein ganz großer Gewinn für die Menschen in die- einen Anfang gemacht haben. ser Personengruppe. Was ich auch sagen will: Sie bekom- men nicht länger einen Pauschbetrag, sondern ein eigenes Vielen Dank. Bankkonto. Das ist alles ganz entscheidend für mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Selbstbestimmung, für ein Mehr an selbstbestimmtem und bei der LINKEN sowie des Abg. Jens Leben. Beeck [FDP]) (Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Mit dem heutigen Beschluss – das wurde mehrfach gesagt – nehmen wir die Reformstufe zur Umsetzung Vielen Dank, Corinna Rüffer. – Der nächste Redner, des Bundesteilhabegesetzes auf, eine der größten sozialen Torbjörn Kartes, gibt seine Rede zu Protokoll.1) Reformen in den letzten Jahrzehnten, und sorgen dafür, Dann ist die nächste Liverednerin Angelika Glöckner dass die dritte Reformstufe störungsfrei in Kraft treten (B) für die SPD-Fraktion. kann. (D) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wilfried Ich möchte noch einen Gedanken ausführen, der hier Oellers [CDU/CSU]) mehrfach geäußert wurde: Wir stellen auch klar, dass so- genannte andere Leistungsanbieter eben nicht gleichge- Angelika Glöckner (SPD): setzt werden mit anerkannten Werkstätten für Menschen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und mit Behinderungen. Die Vorzüge, die Werkstätten haben, Kollegen! Ich möchte noch einmal auf „zehn Jahre UN- nämlich dass Betriebe ihre Aufträge auf ihre Ausgleichs- Behindertenrechtskonvention“ zurückkommen. Diese abgabe anrechnen lassen können oder dass öffentliche zehn Jahre stehen – das können wir jetzt feststellen, ent- Auftraggeber vorzugsweise an die Werkstätten ihre Auf- gegen allem, was wir gehört haben – für mehr Barriere- träge vergeben, sollen nicht auch für die anderen Leis- freiheit, für mehr Selbstbestimmung, für mehr Inklusion. tungsanbieter gelten. Darauf – das sage ich ganz deutlich – wollen wir uns nicht ausruhen. Wir wollen und wir werden die Situation von (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Menschen mit Behinderungen Stück um Stück verbes- NEN]: Warum wollen Sie die Werkstätten denn sern. Das ist der Anspruch der SPD-Fraktion, und das besserstellen?) werden wir genau so verwirklichen. Wir wollen, dass die Werkstätten nicht in ihrer Land- schaft vergrößert werden. Vielmehr ist es die Intention (Beifall bei der SPD) des Gesetzes, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen Ich bin auch deshalb sehr froh, dass wir heute Abend ganz näher an den Arbeitsmarkt herankommen. konkret das SGB IX-/SGB XII-Änderungsgesetz vorle- gen. (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann geben Sie doch den anderen Leis- Natürlich machen wir damit einen ganz wichtigen tungsanbietern die Freiheit, die sie brauchen!) Schritt nach vorne; denn bei diesem Änderungsgesetz geht es im Kern um mehr Teilhabe von Menschen mit Das ist eine Chance für die Menschen, aus den Werkstät- Behinderungen. Ich will an drei Punkten konkret aufzei- ten herauszukommen. Der Antrag der FDP konterkariert gen, was damit gemeint ist. genau diesen Gedanken. Deswegen kann man ihn in der logischen Folge nur ablehnen. Erstens. Wir lösen das Eingliederungshilferecht aus dem Fürsorgerecht heraus als einen eigenen Teil des Ein- (Beifall bei der SPD) Ich möchte noch sagen – meine Zeit ist leider schon 1) Anlage 7 bald um –: 14530 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Angelika Glöckner (A) (Dr. Matthias Bartke [SPD]: Nur die Redezeit!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der (C) SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE Ja, es ist viel getan worden, und wir werden noch viel tun. GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie sehr, die- sem Gesetz und den Änderungsanträgen der Koalition – Ja, Herr Amthor, Vorsicht. zuzustimmen. Es ist ein gutes Gesetz. Es lohnt sich. Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- Vielen Dank. lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck- sache 19/14120 fort, Tagesordnungspunkt 13 b. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der FDP auf Drucksache 19/9928 mit dem Titel „Be- Vizepräsidentin Claudia Roth: schäftigungssituation für Menschen mit Behinderung Vielen Dank, Angelika Glöckner. – Der nächste verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Redner, Peter Aumer, CDU/CSU-Fraktion, gibt seine Re- 1) lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die de zu Protokoll. Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt ha- Damit schließe ich die Aussprache. ben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und AfD. Dage- gengestimmt hat die Fraktion der FDP, und enthalten ha- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- ben sich die Fraktionen der Linken und Bündnis 90/Die desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Grünen. Änderung des Neunten und des Zwölften Buches Sozial- gesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften. Der Aus- Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c schuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchsta- seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags be a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/ der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/11099 mit dem 14120, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Titel „Ausgleichsabgabe deutlich erhöhen und Beschäfti- Drucksache 19/11006 in der Ausschussfassung anzuneh- gungsquote anheben“. Wer stimmt für diese Beschluss- men. empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu- Hierzu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der gestimmt haben die Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf und AfD. Dagegengestimmt haben die Fraktionen der Drucksache 19/14143 vor, über den wir zuerst abstim- Linken und Bündnis 90/Die Grünen. men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer (B) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d (D) antrag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegenge- des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 19/5907 stimmt haben die Fraktionen der SPD, der CDU/CSU mit dem Titel „Bundesteilhabegesetz nachbessern und und der FDP. Enthalten hat sich die Fraktion der AfD. volle Teilhabe ermöglichen“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der und AfD. Gegenstimmen kamen von den Fraktionen der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zu- Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten hat sich gestimmt haben die Fraktionen der Linken, der SPD, von die Fraktion der FDP. Bündnis 90/Die Grünen und der CDU/CSU, in geografi- scher Reihenfolge. Dagegengestimmt hat keine Fraktion. Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird die Überweisung Enthalten haben sich die Fraktionen von FDP und AfD. der Vorlage auf Drucksache 19/10241 an die in der Tages- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich Dritte Beratung gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind. Dann verfahren wir so. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt auf. Das ist Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- der Tagesordnungspunkt 16: entwurf ist angenommen bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU Beratung des Antrags der Abgeordneten Albrecht bei Enthaltung der Fraktionen von FDP und AfD. Glaser, Tobias Matthias Peterka, Thomas Seitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Es ist wirklich zu laut auf der Regierungsbank. Es tut mir leid. Wahlrechtsreform jetzt – Bundestag auf eine definitive Mandatszahl verkleinern (Beifall bei der LINKEN und dem Drucksache 19/14066 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Schauen Sie, wie ruhig es heute da unten ist. Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung 1) Anlage 7 Federführung strittig Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14531

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gen. Es geht um die angemessene Größe des Deutschen (C) Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich kei- Bundestages und nicht zuletzt um eine Menge Geld. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die AfD strebt, wie schon in ihrem Grundsatzpro- Ich warte, bis die Kolleginnen und Kollegen entweder gramm 2016 beschlossen, einen Bundestag mit weniger den Raum verlassen haben oder Platz genommen haben. als 500 Sitzen an. Das von uns vorgeschlagene Modell lässt auch beliebige andere Größenordnungen zu. Es soll Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Albrecht beim Prinzip des Verhältniswahlrechts mit personaler Glaser für die AfD-Fraktion. Komponente bleiben. Dabei soll das System der Wahl (Beifall bei der AfD) von Direktkandidaten so ausgestaltet werden, dass Über- hang- und Ausgleichsmandate nicht mehr entstehen. Er- reicht wird dies dadurch, dass bei unveränderten Wahl- Albrecht Glaser (AfD): kreisen in jedem Bundesland nur so viele Direktbewerber Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und zum Zuge kommen, wie der jeweiligen Partei Sitze nach Herren! Stellen wir uns vor, es wäre in diesen Wochen dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Dieses Ziel wird Bundestagswahl. Dann würde bei Zugrundelegung der dadurch erreicht, dass die Zahl der Direktmandate pro heutigen demoskopischen Verhältnisse ein Bundestag Bundesland und Wahlvorschlag auf die Zahl der durch von mehr als 800 Abgeordneten entstehen. Das Bundes- die Zweitstimme errungenen Mandate begrenzt wird. wahlgesetz sieht eine Sollzahl von lediglich 598 Manda- ten vor. Die eine Hälfte dieser Mandate soll durch die Demokratietheoretisch ist eine solche Vorgehensweise Wahl von Direktkandidaten besetzt werden, die zweite nicht zu beanstanden und wird bereits seit vielen Jahren in Hälfte wird durch die Bewerber auf den Landeslisten be- süddeutschen Bundesländern bei den Landtagswahlen setzt, und zwar so, dass jeder Partei so viele Sitze zuge- praktiziert. sprochen werden, wie es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Bei der Zuteilung der Listenbewerber werden (Leni Breymaier [SPD]: Ja, leider!) jedem Wahlvorschlag die bereits errungenen Direktman- date angerechnet. Dies führt zu dem Problem, dass eine Der Neuzuschnitt aller Wahlkreise, der bei anderen Re- Partei, die mehr Direktmandate gewonnen hat, als ihr formvorschlägen erforderlich ist – wir werden dazu über die Verhältniswahlstimmen zustehen, sogenannte gleich Entsprechendes hören –, entfällt bei diesem Vor- Überhangmandate erhält. Um dem Prinzip der Verhältnis- schlag. wahl Rechnung zu tragen, werden sodann sogenannte Es ist einzuräumen, dass bei dem vorgeschlagenen Ausgleichsmandate zusätzlich vergeben. Wahlmodus in einigen Wahlkreisen kein Direktmandat (B) (D) Bekanntlich haben wir derzeit 709 Abgeordnete. So entsteht. Irgendwo muss das Wunder geleistet werden. sinnvoll die Verknüpfung einer Verhältniswahl mit Ele- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Obwohl er es menten einer direkten Persönlichkeitswahl ist, so unbe- gewinnt!) friedigend ist die geschilderte Situation. Ein Zustand, der seit Jahren von vielen klugen und weniger klugen Men- – Er gewinnt eben nicht. Er hat eine Voraussetzung nicht schen beklagt wird. erfüllt, um zu gewinnen. – Diese Einbuße an direkter Demokratie gleichen wir dadurch aus, dass das Zweit- Verdienstvollerweise hat der Herr Bundestagspräsident stimmenverfahren als offene Listenwahl ausgestaltet kurz nach der Konstituierung des jetzigen Bundestages wird. Dabei soll jeder Wähler mehrere Stimmen bekom- eine Kommission mit Vertretern aller Parteien einberu- men, mit denen er einzelne Bewerber ankreuzt und damit fen, welche Lösungsvorschläge erarbeiten sollte. Be- Einfluss auf die Reihenfolge der Bewerber auf der Lan- dauerlicherweise ist es auch nach 14 Monaten Beratung desliste nehmen kann. Eine hoch demokratietheoretisch nicht gelungen, eine Lösung zu ermitteln. Seit dem Früh- attraktive Situation. jahr 2019 hat es keinen Fortgang in dieser Sache gegeben, obwohl der Zeitpunkt der nächsten Bundestagswahl im- Das Problem unseres Bundestagswahlsystems, direkt- mer näher rückt. demokratische Elemente mit dem Prinzip der Verhältnis- Zitat: wahl in Einklang zu bringen, ohne die Kontrolle über die Größe des Parlaments zu verlieren, könnte durch unseren In Sorge um das Ansehen der Demokratie appellie- Vorschlag gelöst werden, und dies alles noch in dieser ren wir deshalb an den Deutschen Bundestag, die Legislaturperiode, meine Damen und Herren. – Ich kom- Reform des Bundestagswahlgesetzes alsbald in An- me gleich zum Ende. griff zu nehmen. Die echte Reform in dieser Zeit würde das Vertrauen in Dieses Zitat entstammt einem Brief von hundert Staats- die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie bei einer rechtslehrern und Staatsrechtslehrerinnen, der am breiten Mehrheit der Wähler stärken. Ansonsten ist nicht 20. September der Öffentlichkeit bekannt gegeben wor- zu erkennen, dass wir bis Ende der Legislaturperiode den ist, wenngleich mit eher schwachem medialen Echo. überhaupt eine Lösung haben. Dann können Sie sich vor- stellen, was das alles bedeutet. Da die AfD bereits in der Schäuble-Kommission einen eigenen Vorschlag vorgelegt hatte, der das geschilderte Herzlichen Dank. Problem einer angemessenen Lösung zuführt, sehen wir uns nun veranlasst, diesen auch im Parlament einzubrin- (Beifall bei der AfD) 14532 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: der Union, wollen eine Verkleinerung oder zumindest (C) Vielen Dank, Albrecht Glaser. – Nächster Redner für ein weiteres Anwachsen des Parlaments verhindern. die CDU/CSU Fraktion: Ansgar Heveling. Der Antrag der AfD liefert hierzu allerdings keinen (Beifall bei der CDU/CSU) konstruktiven Beitrag. Er missachtet den sogenannten Satz vom Widerspruch und damit die Axiome der tradi- Ansgar Heveling (CDU/CSU): tionellen Logik: Zwei einander in derselben Hinsicht wi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dersprechende Aussagen können nicht zugleich zutreffen. Wahlrecht gehört unzweifelhaft zum öffentlichen Recht, aber als ich gestern erstmalig die Forderung aus dem An- (Zuruf von der LINKEN: Wohl wahr!) trag der AfD-Fraktion las, dachte ich zuerst an eine zivil- Sie fordern einerseits, das personalisierte Verhältniswahl- rechtliche Vorschrift – § 275 BGB: recht beizubehalten. Gleichzeitig wollen Sie andererseits Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, so- die Zahl der Mitglieder des Bundestages auf maximal 598 weit diese für den Schuldner oder für jedermann un- Mitglieder deckeln, und das wollen Sie zudem bei Beibe- möglich ist. haltung der derzeitigen Anzahl von 299 Wahlkreisen er- reichen. Leider, meine sehr geehrten Damen und Herren Genau das machen Sie, Kolleginnen und Kollegen von von der AfD, verraten Sie uns nicht, wie alle diese sich der AfD: Sie fordern etwas Unmögliches ein. Sie folgen widersprechenden Ziele zusammen erreicht werden sol- mit dem vorliegenden Antrag wieder einmal Ihrem übli- len. chen Schema: Erstens haben wir keine Ahnung von der Sache, aber es könnte populär sein, auf das Thema auf- (Beatrix von Storch [AfD]: Sie haben es zuspringen. einfach nicht verstanden!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Gerade weil diese Ziele im Widerspruch zueinander ste- Peter Boehringer [AfD]: Reden Sie mal zur Sa- hen, können sie nicht ohne Weiteres gemeinsam erreicht che!) werden. Das aber ist doch die Herausforderung, vor der wir stehen: Zweitens haben wir weiter keine Ahnung von der Sache, aber ein paar wüste Behauptungen werden wir schon zu- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja, ja, intellek- sammenquirlen können. tuell! Intellektuelle Herausforderungen, das ist (Peter Boehringer [AfD]: Kommen Sie doch schwer! Das verstehe ich!) mal zur Sache!) Welche Ziele sind wir bereit zu durchbrechen? (B) (D) Drittens. Wir haben noch immer keine Ahnung von der Bei Ihrem untauglichen Versuch werfen Sie ganz ne- Sache, aber irgendwie merken wir, dass das hinten und benbei einen ehernen und in § 4 Absatz 4 Satz 2 des vorne nicht klappt, also sollen sich andere darum küm- Bundeswahlgesetzes geregelten Grundsatz über Bord: mern, in diesem Fall die Bundesregierung. In Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Konkret!) in jedem Fall. – Das wird hier aktuell von keiner Frak- tion – außer von Ihnen – angezweifelt. Nach Ihren Vor- Et voilà, alles ein bisschen herumrühren, und fertig ist der stellungen ist im Ergebnis nicht mehr jeder Wahlkreis mit Antrag der AfD. einem direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag ver- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der treten. SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Wenn das personalisierte Verhältniswahlrecht beibe- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der halten werden soll, dann ist es nach den Vorgaben des FDP) Bundesverfassungsgerichts schlicht unmöglich, den Bun- Dabei haben Sie sich schon den falschen Adressaten destag auf 598 Mitglieder im Maximum zu deckeln. ausgesucht. Das Wahlrecht wird traditionell durch Ge- Wenn Sie suggerieren, das sei möglich, dann streuen setzentwürfe aus der Mitte des Parlaments geregelt. Sie der Bevölkerung Sand in die Augen. Deswegen arti- kulieren Sie dieses Ziel auch gar nicht in einem Gesetz- (Peter Boehringer [AfD]: Wo steht das?) entwurf, sondern Sie fordern andere mit einem Antrag Der Deutsche Bundestag fordert nicht die Bundesregie- zum Handeln auf. rung auf, einen Gesetzentwurf zum Wahlrecht vorzule- gen, sondern legt selbst einen Gesetzentwurf vor. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jetzt kommt Ihr Lösungsvorschlag!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- Was bleibt, ist die dringende Frage nach einer echten NISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Boehringer Reform unseres Wahlrechts. Dazu muss man zuerst die [AfD]: Das ist antidemokratisch, was Sie sa- Ziele für eine Neugestaltung des Wahlrechts festlegen. gen!) Wenn man eine fest definierte Größe des Bundestages erreichen will, stehen einem eigentlich nur drei Wege – Na, es ist also „antidemokratisch“, wenn aus der Mitte offen: des Parlaments etwas kommt? Ich glaube, das erklärt vie- les. Die Mitte des Parlaments ist ja nun das Demokra- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tischste, was es geben kann. – Wir alle, auch wir von Drei gleich!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14533

Ansgar Heveling (A) ein reines Mehrheitswahlrecht, ein reines Verhältniswahl- (Beifall bei der FDP) (C) recht oder ein echtes Zweistimmenwahlrecht, das Erst- Das Problem ist aber zu ernst; denn der Bundestag ist in und Zweitstimme streng trennt. Will man dagegen im der Tat viel zu groß. Das hat nicht nur etwas mit Geld zu System der personalisierten Verhältniswahl bleiben, muss tun, sondern auch mit Arbeitsfähigkeit, mit der Würde der man akzeptieren, dass es keine fest definierte Größe ge- konzentrierten Arbeit eines Parlaments. Wir müssen da- ben kann, allenfalls eine Regelgröße kann angestrebt wer- hinkommen, dass der Bundestag wieder kleiner wird. den. Für eine Annäherung an eine Regelgröße gibt es Deswegen haben die Grünen, die Linken und die FDP dann drei Stellschrauben: die Zahl der Wahlkreise, etwai- einen Gesetzentwurf erarbeitet. Das ist übrigens monate- ge Durchbrechungen des strengen Proportionalitätsprin- lange Arbeit. Da sind Mitarbeiter und Abgeordnete, die zips bei den Zweitstimmen oder eine Abschaffung der sich jede Regelung, jede Kommentierung ansehen. Das Mindestsitzzahl der Länder. Wirklich wirksam sind aller- ist eine Aufgabe, der Sie sich überhaupt nicht unterzogen dings nur Kombinationen aus mindestens zwei der Instru- haben. mente. Sie, meine Damen und Herren von der AfD, setzen stattdessen auf Unmögliches. Das aber ist im Wahlrecht (Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN ebenso wie im Zivilrecht ausgeschlossen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf erar- beitet. Wir sagen nicht, dass wir den Stein der Weisen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP gefunden haben, aber wir sagen, wir erreichen das Ziel: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Der Bundestag muss kleiner werden, um arbeitsfähig zu des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]) sein, und das können Sie eben nur, wenn Sie – wenn Sie im bestehenden System bleiben wollen – die Zahl der Vizepräsidentin Claudia Roth: Wahlkreise verringern. Vielen Dank, Ansgar Heveling. – Zur Klarstellung: Die Debattendauer geht bis in die frühen Morgenstunden, des- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem wegen lasse ich keine Zwischenfragen und keine Kurz- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. interventionen mehr zu. Auch wenn es nicht um Ihre Ge- Leni Breymaier [SPD]) sundheit geht, es geht um die Gesundheit unserer Nun sind wir als Vertreter kleinerer Parteien etwas ge- Parlamentsassistenten und -assistentinnen und unserer wohnt, was Sie noch nicht so gut kennen. Wir betreuen Protokollantinnen. nämlich fünf, sechs oder sieben Wahlkreise. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (B) SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) NIS 90/DIE GRÜNEN) Wir reisen viele Hundert Kilometer durchs Land und Sonst hätten wir andere Regelungen finden müssen. kümmern uns. Bei mir sind es sechs, bei anderen sind Der nächste Redner ist Dr. Stefan Ruppert für die FDP- es sieben Wahlkreise. Sie haben in der Regel einen oder Fraktion. zwei. Ich sage nicht, dass es gut ist, wenn ein Wahlkreis zu groß wird, aber es ist eben nicht so, dass die Demo- (Beifall bei der FDP) kratie in sich zusammensinkt, wenn es plötzlich weniger Wahlkreise in Deutschland gibt. Dr. Stefan Ruppert (FDP): (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herren! Seit 1848 mühen sich Parlamentarier darum, ei- gene Regeln für ihre Wahl durchzusetzen. Sie haben das Wenn man die Menschen fragen würde: „Was ist gegen Fürsten versucht zu erstreiten. Sie haben sich Ge- schlimmer: 10 Prozent größere Wahlkreise zu haben oder danken gemacht, wie ein Parlament gewählt wird. Sie von 800 Abgeordnete im Parlament sitzen zu haben?“, dann der AfD sitzen seit zwei Jahren in diesem Parlament und würden viele antworten: Wir wollen einen kleineren Bun- seit zwei Jahre höre ich: „Danke, Merkel“, „Merkel ist an destag. allem schuld“, „Seehofer ist schuld“, und heute sagen Sie: (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem „Wir kriegen nichts hin, und wir wollen eine Bundesre- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gierung, die eine parlamentarische Aufgabe für uns über- nimmt“, nur weil Sie nicht in der Lage waren, ein Gesetz Deswegen muss man solche Fragen immer fair miteinan- zu schreiben? Das ist schon sehr bemerkenswert. der besprechen. Wir haben einen Vorschlag gemacht, mit dem statt 80 Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, heute nur 71 hier wären oder nur 59 Grüne oder nur 61 der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Linke; das wäre zumindest im ersten Fall ein deutlicher GRÜNEN) Verlust. Man kann sich schon fragen, ob es nicht totale Arbeits- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) verweigerung ist, wenn eine Fraktion sagt: „Wir müssen ein Problem angehen“, aber keinen einzigen Beitrag dazu Aber es ist eben so: Wer das Parlament verkleinern will, leistet und keinen Gesetzentwurf vorlegt, wie Sie das hier der darf nicht nur bei den anderen anfangen, sondern der heute tun. muss bei sich selbst anfangen. 14534 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Stefan Ruppert (A) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem periode gern die Schritte zu einem zeitgemäßen Wahl- (C) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) recht gehen. Als Sozialdemokraten werden wir es aller- Deswegen ist es so inakzeptabel, dass es eine Fraktion im dings nicht zulassen, dass einzelne Parteien auf den Deutschen Bundestag gibt, die nur Vorschläge gemacht eigenen Vorteil bedacht sind. hat, die ihre eigene Zahl an Abgeordneten erhöht und die (Zuruf von der FDP: Sehr gut!) Zahl der Abgeordneten anderer verringert und die da- durch die Verkleinerung des Bundestages blockiert, und Wir werden es nicht zulassen, dass eine Fraktion allein in das ist die Unionsfraktion. diesem Haus blockiert, liebe CDU/CSU. (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ihr könntet ja auch mal Diese Blockadehaltung müssen Sie aufgeben. Die müs- Direktmandate gewinnen!) sen Sie dringend aufgeben, weil das Vertrauen in die par- lamentarische Demokratie wegen Ihrer Blockadehaltung Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier sonst sinkt. und heute insgesamt als Parteien und Fraktionen, die wir hier in diesem Bundestag vertreten sind, auch Verantwor- Sie haben die Mitarbeiterpauschale erhöht, Sie haben tung für alle Parteien da draußen tragen, die einen Sitz im die Parteifinanzierung erhöht, Sie haben die Stiftungsfi- Deutschen Bundestag anstreben. nanzierung und die Fraktionsfinanzierung erhöht. Das Wahlrecht zu ändern, bedeutet, in höchst eigener (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja, und ihr habt Angelegenheit als Deutscher Bundestag zu entscheiden. alles mitgenommen!) Deshalb ist es handwerklich – das haben auch meine Vor- Sie haben das Ergebnis demokratischer Wahlen damit rednerinnen und Vorredner gesagt, liebe Kolleginnen und ein Stück wieder nivelliert. Kollegen von der AfD-Fraktion – völlig untauglich und peinlich, auf die Bundesregierung zu verweisen und zu (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: sagen: Schreibt uns da einmal etwas auf, was wir be- Was soll der Populismus! Macht es doch schließen können! – Das wird einem Parlamentarier ein- besser!) fach nicht gerecht. Aber das ist nicht das Ergebnis. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man muss Wahlen auch in Zukunft gewinnen, um mehr Abgeordnete zu bekommen, und darf nicht am Reißbrett Es ist unsere Aufgabe, es ist unsere Pflicht als Parla- (B) agieren. Deswegen freuen wir uns auf die positiven Sig- mentarier, ein Wahlrecht vorzuschlagen und am Ende ei- (D) nale der SPD. Bitte geben Sie Ihre Blockadehaltung end- nen über Parteigrenzen hinweg einvernehmlichen Vor- lich auf, damit wir wieder zu einer besseren und kleineren schlag zu beschließen. Alles andere zeugt von einem Zusammensetzung des Deutschen Bundestages kommen! aus meiner Sicht sehr fragwürdigen Demokratieverständ- nis; denn bei der gemeinsamen Geschäftsgrundlage – das Vielen Dank. habe ich eingangs gesagt – zu einer Wahl sollte das Ein- vernehmen über Parteigrenzen hinweg auch hergestellt (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem werden. Deshalb sollten wir uns um ein anständiges Ver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- fahren kümmern, bevor wir alle gemeinsam unsere Inhal- ordneten der SPD) te einbringen. Deshalb mahne ich auch: In eigener Ange- legenheit zu entscheiden, muss einem noch strengeren Vizepräsidentin Claudia Roth: Rechtfertigungsmaßstab genügen. Die Haltung der Par- Vielen Dank, Dr. Stefan Ruppert. – Nächster Redner: teien muss sich lückenlos und verständlich der Bewertung Mahmut Özdemir für die SPD-Fraktion. im Lichte der Öffentlichkeit stellen und hinterfragt wer- den können. Jede Fraktion muss das Mittel benennen, mit (Beifall bei der SPD) dem sie den Zweck erreichen will, dem Anwachsen des Bundestages bremsend, stoppend oder gar zurückdrän- Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): gend Einhalt zu gebieten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich könnte den Antrag kurz zusammenfassen: widersprüchlich, wirr und unfä- Ich denke auch, dass es viel weniger die sich erhöhende hig. Man kann an dieser Debatte heute sehen, was eigent- Mitgliederzahl des Deutschen Bundestages ist, die die lich passiert, wenn man über die gemeinsame Geschäfts- Gemüter erregt, sondern vielmehr die Tatsache, dass grundlage in diesem Haus, in unserer Demokratie, reden wir gar nicht mehr in der Lage sind, unser Wahlrecht in will und sich dann im Klein-Klein verliert. Wenn jede drei Sätzen zusammenzufassen und den Wählerinnen und Partei, jede Fraktion anfängt, eigene Gesetzentwürfe vor- Wählern am Infostand zu erklären. zulegen, ist das nicht gut für unsere gemeinsame Ge- schäftsgrundlage hier in diesem Land. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt!) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auf offener Bühne wird sich dann zeigen, wer sich dem NEN]: Was? Wie bitte? Die SPD dagegen?) Zweck verpflichtet sieht und wem die Sicherung der ei- Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und genen Pfründe wichtiger ist. Deshalb bin ich sehr dafür, Kollegen, wir werden als SPD-Fraktion in dieser Wahl- dass wir ein Verfahren vereinbaren, das den Prozess für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14535

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) die Menschen in diesem Land nachvollziehbar macht, keit der Lebensverhältnisse in diesem Land, und das Ver- (C) statt Anträge zu stellen und Verwirrung zu stiften. hältniswahlrecht hebt diesen Verfassungsauftrag wiederum von Anfang an in einen gemeinsamen Verant- Ich warne allerdings auch davor, Ziele mit Selbstzwe- wortungsrahmen. Meine Fraktion und auch ich persön- cken zu verwechseln. Sich mit der leicht dahergebrüllten lich halten allerdings gleichermaßen die Herstellung von Begründung, der Bundestag sei zu groß und zu teuer, echter Gleichberechtigung und Parität im Wahlrecht für einen Selbstzweck zu schaffen und dann in einen Antrag einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt. zu gießen, ist für sich genommen respektlos. Die Wähler- innen und Wähler haben sich schließlich frei entschieden. (Beifall bei der SPD) Das Wahlverhalten und die Auswirkung auf unser Wahl- recht und die Mitgliederzahl des Bundestages sind Er- Genauso sehen wir die Notwendigkeit, über das Wahl- gebnis des Wählerwillens, und deshalb sollte man auch alter und die Absenkung des Wahlalters gemeinsam zu Respekt zeigen. diskutieren.

(Beifall bei der SPD) Im Ergebnis: Wir Sozialdemokraten lehnen diesen An- Dass der Deutsche Bundestag aktuell 709 Abgeordnete trag der AfD-Fraktion ab, weil er falsche Zwecke ver- zählt, darf uns dabei nicht gleichgültig sein. Für sich ge- folgt. Wir wollen eine einvernehmliche Wahlreform in nommen ist es aber auch kein Grund zur Besorgnis. Aber diesem Hause in einem nachvollziehbaren Verfahren, ein nicht mehr nachvollziehbares System von Überhang- bei dem sich alle Fraktionen bekennen müssen, unter mandaten, die wiederum einen Ausgleich auslösen, der der sachverständigen Bewertung der Auswirkungen jedes verfassungsrechtlich erstritten worden ist, hat die Gren- einzelnen Vorschlags auf die Größe des Bundestages. zen der Akzeptanz in der Öffentlichkeit, denke ich, hin- reichend ausgereizt. Vor allem muss das Ganze für die Menschen im Land vom Einwurf ihrer Stimme bis hin zur Sitzzuteilung hier (Beifall bei Abgeordneten der SPD) heute im Hause nachvollziehbar sein, und zwar, ohne dass sie Begriffe wie Divisorverfahren mit Standardrundung Es verhält sich so wie mit einem Antriebsstrang, bei oder Sainte-Laguë-Verfahren googeln oder nachschlagen dem Motor und Getriebe harmonieren müssen: Es muss müssen. Das ist ein Wahlrecht, das die Menschen wollen, ein ausgewogenes Verhältnis von demokratischer Kraft eines, das sie verstehen, eines, das sie nachvollziehen des Wahlvolkes und parlamentarischer Umsetzung des können und wo sie sehen können: Wie kommt meine Wählerwillens hergestellt werden. Ziel und eben nicht Stimme zu dem Vertreter, der am Ende des Tages meine Zweck des Wahlrechtes ist es, das Wahlergebnis bei jeder Interessen im Deutschen Bundestag vertreten soll? Dafür Bundestagswahl bestmöglich in eine tatsächliche Man- (B) sollten wir uns einsetzen in einem anständigen, offenen (D) datsverteilung umzusetzen, ohne dabei das System von und transparenten Verfahren, wo alle sich bekennen müs- Personenwahl in den Wahlkreisen und Landeslisten aus sen und sich alle auch der Wertung stellen müssen, was dem Gleichgewicht zu bringen. Jede Umdrehung unseres ihr Vorschlag der eigenen Fraktion am Ende des Tages in Demokratiemotors muss also eine Kraftaufnahme in je- der Konsequenz, in der Auswirkung, in der Ummünzung dem Rädchen und jeder Welle des Bundestagsgetriebes in Mandate hier im Hause auch bedeutet. gewährleisten. (Peter Boehringer [AfD]: Das sind Plattitüden (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hier, das ist unglaublich!) Sagen Sie doch mal, was Sie wollen!) Folglich ist es das Ziel eines guten Wahlrechts, einen Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche gerechten Ausgleich zu finden. Jede bei der uns allen noch einen schönen Abend. Bundestagswahl abgegebene Stimme muss die gleich- wertige Chance erhalten, die Zusammensetzung dieses (Beifall bei der SPD) Bundestages zu beeinflussen. Und ich betone: Auch die Stimmen, die sich in der konkreten Zusammensetzung Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht widerspiegeln, oder die Stimmen, die der erfolglose Vielen Dank, Mahmut Özdemir. – Nächster Redner für Direktkandidat oder die Direktkandidatin erhielten, wer- die Fraktion Die Linke: Friedrich Straetmanns. den von unserem Wahlrecht nicht unter den Tisch ge- kehrt. Das alles hat Vorrang für mich, noch bevor wir (Beifall bei der LINKEN) über die Größe des Bundestages reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Boehringer [AfD]: Vorrang vor den Men- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- schen!) nen und Kollegen! Herr Glaser, Sie waren wie ich Teil der Das Bundeswahlrecht zum Gegenstand der Debatte zu Wahlrechtskommission und haben uns dort unter ande- machen, halte ich dennoch für richtig. Wir haben als So- rem ein Wahlrecht von Mitte des 19. Jahrhunderts als zialdemokraten klare Ideen zur umfassenden Verände- großen Wurf vorgestellt. Im November 2018, also vor rung des Wahlrechts. Das Direktmandat und die Verhält- rund elf Monaten, haben Sie uns dann im Prinzip genau niswahl wollen wir möglichst als paritätische Einheit diesen Vorschlag hier bereits präsentiert. Sie haben es in schützen. Die Direktmandate haben einen Verfassungs- elf Monaten nicht geschafft, Ihre Ideen in Form eines auftrag für uns. Sie sind der Garant für die Gleichwertig- Gesetzentwurfs auszuarbeiten. 14536 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Friedrich Straetmanns (A) (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie Das sind fast 80 weniger als aktuell und circa 190 weniger (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE als das, was aktuell an Prognosen immer wieder im Raum GRÜNEN) steht. Warum Ihr Vorschlag von 598 Sitzen, also etwas Ohne weitere Bearbeitung legen Sie Ihren Vorschlag weniger, akzeptabler sein soll als unserer, erschließt sich nun erneut – weniger als 48 Stunden bevor er hier im mir keineswegs. Plenum diskutiert wird – vor. Das ist unkollegial und wird Zuletzt zur Wahlkreisgröße – das ist bereits angespro- der wichtigen Sache, die die Wahlrechtsreform zweifels- chen worden –: Es ist völlig richtig, dass unser gemein- ohne darstellt, in keiner Form gerecht. samer Vorschlag die Vergrößerung einiger Wahlkreise zur (Beifall bei der LINKEN und dem Folge hätte. Aber das ist immer noch besser, als einige Wahlkreise zu Verlierern zu stempeln, die gar keine Di- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rektmandate mehr erhalten. Dass eine Verringerung der Mandate dringend notwen- dig ist, da sind wir uns einig. Aber Ihr Vorschlag, dass wir (Beifall bei der LINKEN) die Direktmandate mit den schlechtesten Ergebnissen Und wissen Sie, mein Wahlkreis und mein Betreuungs- verfallen lassen sollen, ist hanebüchen und hätte schlim- wahlkreis, in denen ich an fast jedem Wochenende und in me Folgen. Er entspricht aber perfekt Ihrem Politikver- den sitzungsfreien Wochen unterwegs bin – fast aus- ständnis: Der „glorreiche“ Wahlsieger wird mit Macht schließlich mit Bahn und Rad –, ist ganz Ostwestfalen- belohnt, während der „schmachvolle“, nur knappe Wahl- Lippe, und das ist noch einmal ein ganzes Stück größer sieger in einem umkämpften Wahlkreis auf der Strecke als der größte Wahlkreis, den wir aktuell kennen. Ich bleibt. Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass direkt würde es mir weniger aufwendig wünschen – aber es gewählte Abgeordnete vor allem auch integrierend in ih- geht! rem Wahlkreis wirken sollen und dass es dann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die engen, heterogenen Wahl- Deshalb finde ich, ist unser konkreter Vorschlag eine kreise sind, bei denen diese Integrationsrolle unbesetzt wichtige Diskussionsbasis, während Sie sich im Unge- bleibt? Und was ist mit den dort abgegebenen Stimmen, fähren verlieren. Ihr Vorschlag taugt noch nicht einmal, die Sie nonchalant unter den Tisch fallen lassen? Oder um eine ernsthafte Debatte über das Wahlrecht zu führen. entspricht das genau Ihrem Kalkül, die Stimmung weiter hochkochen zu lassen und da Zwietracht zu säen, wo der Vielen Dank. Boden am fruchtbarsten ist? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Was glauben Sie denn, was passiert, wenn beispiels- ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) weise eine Stromtrasse entweder durch den einen oder (D) den anderen Wahlkreis verlaufen soll und einer der beiden Wahlkreise über keinen direkt gewählten Abgeordneten Vizepräsidentin Claudia Roth: verfügt, der sich mit Vehemenz in die Verhandlungen ein- Vielen Dank, Friedrich Straetmanns. – Nächste Redne- bringt? Was meinen Sie, wo die Trasse dann mit großer rin: für Bündnis 90/Die Grünen Britta Haßelmann. Wahrscheinlichkeit verlaufen wird und wie es dann um die von Ihnen in Ihrem Antrag immer wieder so schein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heilig ins Feld geführte Demokratiezufriedenheit in die- sowie des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) sem Wahlkreis so bestellt sein wird? Ich glaube nicht, dass der von Ihnen an anderer Stelle mal wieder bemühte, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): angeblich so einheitliche Volkswille den konkreten Nach- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- teil übertünchen wird. ren! Eine Wahlrechtsreform ist zwingend notwendig. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Britta Dass dabei die AfD nicht gebraucht wird und dass sie Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch nicht in der Lage ist, konzeptionell und inhaltlich einen wie auch immer gearteten Beitrag zu leisten, sehen Nicht grundsätzlich falsch finde ich das Element Ihres wir am vorliegenden Antrag. Vorschlages, dass innerhalb der Parteilisten Reihungen durch die Wählerinnen und Wähler beim Urnengang vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- genommen werden können. Innerhalb Ihres Vorschlages wie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- sind die Folgen jedoch fatal, weshalb er in diesem Zu- KEN) sammenhang abzulehnen ist. Neben der ohnehin schon Ganz kurz zum Antrag: Handwerklich ist er schlecht, die stark von der Person geprägten Erststimme würden Sie Rechtslage ist stümperhaft recherchiert, und inkonse- auch bei der Zweitstimme der Persönlichkeit mehr Ge- quent ist er auch noch. wicht geben, wodurch Inhalte immer weiter in den Hin- tergrund rücken. Das schadet aber unserer Demokratie, Handwerklich schlecht ist er deshalb, meine Damen die ja an erster Stelle ein Wettstreit von Ideen sein soll. und Herren, weil es sich um das originäre Recht eines Parlamentes, eines souveränen Parlamentes handelt, mit (Beifall bei der LINKEN) dem Wahlrecht über die Grundsätze der Wahlen, des Zu- Zuletzt möchte ich auf Ihre Kritik an dem von meiner standekommens dieses Parlamentes, selbst zu entschei- Kollegin Haßelmann, meinem Kollegen Ruppert und mir den und selbst dazu einen Vorschlag vorzulegen. Dazu vorgestellten Vorschlag eingehen. Wir halten eine Absen- ist die AfD ganz offenkundig nicht in der Lage und sucht kung auf rund 630 Mandate für durchaus substanziell. Hilfe bei der Bundesregierung. Wie ärmlich! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14537

Britta Haßelmann (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlagen Sie eine Vergrößerung des Deutschen (C) und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Bundestages vor?) LINKEN und der Abg. Sylvia Pantel [CDU/ Wer 29 Prozent der Stimmen erzielt, kann auch nur für CSU]) 29 Prozent in den Deutschen Bundestag einziehen. Das ist Zweiter Punkt. Die Rechtslage ist stümperhaft recher- der Grund, weshalb Sie an dieser Stelle so aufjaulen und chiert. Im zweiten Punkt unter II. Ihres Antrags fordern die Wahlrechtsreform blockieren. Sie wollen einfach Sie, sicherzustellen, nicht wahrhaben, dass Sie von dem personalisierten Ver- hältniswahlrecht, das wir im Moment haben, viel stärker dass die in § 1 … BWahlG … festgelegte Regel- profitieren, als wenn man einfach einen Deckel auf die größe des Deutschen Bundestages von 598 Abge- Höchstzahl machen würde, nämlich 630. Sie alle wissen, ordneten unterschritten oder zumindest eingehalten dass das Modell, das Sie vorgeschlagen haben, Sie außer- wird. ordentlich privilegiert hätte: 27 Mandate über dem Zweit- stimmenergebnis der Union. Das, meine Damen und Her- Meine Damen und Herren, eine Unterschreitung der ren, ist mit uns nicht zu machen. Größe von 598 Abgeordneten sieht das Gesetz gar nicht vor. Noch nicht mal in der Lage, richtig zu zitieren! Meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Damen und Herren, die Frage, welche Regelgröße der bei der SPD, der FDP und der LINKEN) AfD vorschwebt, bleibt ein Rätsel. Darüber wird sich Das verzerrt das Zweitstimmenergebnis. Das würde be- ausgeschwiegen. Es könnte unpopulär sein, sich dazu deuten, dass nicht mehr jede Stimme gleich viel wert ist. zu positionieren. Deshalb sage ich Ihnen: Lösen Sie die Blockade auf. Punkt drei: Inkonsequenz des Antrags. Meine Damen Hören Sie auf mit der Mähr, wir wären alle bevorteilt und Herren, vorhin wurde schon die ein Jahr tagende und Sie wären benachteiligt. Jede Fraktion ist proportio- Wahlrechtskommission angesprochen. In dieser Wahl- nal betroffen. Das ist so. rechtskommission habe ich mich ungefähr jeden zweiten Mittwoch mit den Äußerungen des Wahlrechtsexperten Vizepräsidentin Claudia Roth: der AfD-Fraktion beschäftigt, der sich für ein Präferen- Frau Kollegin. zwahlsystem aussprach. Wir sollten gedanklich Anleihe nehmen entweder bei Australien oder bei Malta, Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die sind in Und der SPD kann ich nur raten, sich endlich mal zu Australien auch nicht blöder als Sie! Die sind positionieren. (B) (D) da auch nicht blöd, Frau Haßelmann!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und wir sollten auf jeden Fall zu einem Präferenzwahl- und bei der FDP) system kommen. Meine Damen und Herren, braucht es noch irgendeines Beweises, weshalb wir uns nicht weiter Vizepräsidentin Claudia Roth: mit den Vorschlägen, die Sie schon in der Wahlrechts- Vielen Dank, Britta Haßelmann. – Nächster Redner: kommission geäußert haben, befassen sollten? Ich glau- Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion. be, eines solchen Beweises braucht es wirklich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Michael Frieser (CDU/CSU): KEN und des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Kümmern Sie sich ruhig weiter darum, mit Herrn Herren! Das war wirklich ein eingesprungener Glaser theoretische Diskussionen über Präferenzwahlsys- Haßelmann: Man betont das personalisierte Verhältnis- teme oder was auch immer zu führen, aber lassen Sie uns, wahlrecht, um sofort in der nächsten Volte ungerührt da- meine Damen und Herren, endlich hier im Deutschen von zu reden, dass man gern mal die Wahlkreise opfert Bundestag die notwendige Wahlrechtsreform auf den und die Axt an die Wurzel der direkten Demokratie in Weg bringen. Wir brauchen eine Wahlrechtsreform. Sie diesem Hause anlegen möchte, und dann am Ende des ist zwingend notwendig. Unsere parlamentarische Demo- Tages darüber hinwegzutäuschen, dass auch die Grünen kratie ist von unschätzbarem Wert. Wir brauchen dafür überproportional von genau dieser Rechtsprechung – Pro- Akzeptanz, und wir brauchen die Fortführung des perso- porzherbeiführung auf Bundesebene – profitiert haben. nalisierten Verhältniswahlrechts. Dazu braucht es aber Das ist die Wahrheit und nichts anderes. hier im Bundestag eine Mehrheit für eine Verkleinerung (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Theurer des Bundestages. Und da muss die Union aus meiner [FDP]: Also in Baden-Württemberg gewinnen Sicht ihre Blockade endlich aufgeben, und der Wahrheit die Grünen jetzt die Direktmandate!) mal ins Auge sehen, meine Damen und Herren. Jetzt dürfen wir bitte wenigstens den Versuch unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen, die Prioritäten, die wir seit 2012 im deutschen und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Wahlrecht haben, etwas zu ordnen: Es sollten alle Lan- SPD und der LINKEN – Patrick Schnieder desteile vertreten sein, der Erfolgswert der abgegebenen [CDU/CSU]: Sie wollen doch eine Vergröße- Stimmen sollte zu einem ungefähren Gleichgewicht füh- rung des Deutschen Bundestages! Warum ren, der Proporz auf Bundesebene sollte gewahrt bleiben, 14538 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Michael Frieser (A) das sogenannte negative Stimmengewicht sollte vermie- auch ein Listenmandat. Deshalb ist die entscheidende (C) den werden. Jeder, der hier sitzt, und jeder, der sich mit Botschaft für uns schon die, dass wir mal deutlich machen diesem Thema ein bisschen beschäftigt hat, weiß ganz müssen: Was will man denn am Ende des Tages? Natür- genau, dass diese Änderungen eingeflossen sind. Das lich geht es um die Repräsentation. Natürlich geht es um wurde übrigens zusammen mit den Grünen und der die entscheidende Frage, dass dieses Land in den einzel- FDP beschlossen. Man hat ja immer den Eindruck, dass nen Landesteilen auch wirklich ordentlich direkt legiti- dieses Wahlrecht entweder zufällig irgendwoher kam miert ist von unten. Das ist die Aufgabe. Das einfache oder plötzlich vor der Haustür lag. Zerschlagen von Wahlkreisen wird am Ende des Tages dabei nicht helfen. (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Wovor haben Sie denn eigentlich Angst? Vor dem deut- schen Wähler? Es ist doch kein Naturgesetz, dass entwe- Nein, dieser Deutsche Bundestag hat das tatsächlich auch der die Union oder die SPD Direktmandate gewinnt. mit Ihren Stimmen beschlossen. Schauen Sie sich die Karten mal an. Die entscheidende (Beifall bei der CDU/CSU) Botschaft kann nur darin bestehen, dass wir aufpassen müssen, dass man bei einem personalisierten Verhältnis- Deshalb müssen wir mal wieder zurück. wahlrecht tatsächlich in der Lage ist, dieses Land auch Es ist so: Die Arbeitsfähigkeit dieses Parlaments steht weiterhin so zu führen, wie wir es für richtig empfinden, tatsächlich im Ruf. Wir wissen das. Natürlich kann man nämlich in Direktmandaten und mit Mandaten, beruhend sagen: 709 Abgeordnete, gemessen an der Tatsache, dass auf Landeslisten. Das können wir, wie ich meine, natür- wir keine zweite Kammer haben, ist noch keine Katastro- lich nur miteinander machen; aber wenn Sie diese Linie phe. Aber ungebremstes Wachstum, das ist das, wovor derartig verletzen und verlassen, dann wird ein Konsens wir tatsächlich Achtung haben müssen. Da kann der in der Tat sehr, sehr schwierig. AfD-Antrag selbstverständlich überhaupt nicht helfen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jetzt wird es wirklich krude. Der letzte Satz in der Be- Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) gründung, wir könnten ein bisschen im bestehenden Recht etwas drehen und dann ließe sich einfachgesetzlich Vizepräsidentin Claudia Roth: jedes Problem an dieser Stelle beseitigen, ist entweder Vielen Dank, Michael Frieser. – Letzter Redner in der Humbug, was ganz besonders schlimm wäre, oder vor- Debatte: Philipp Amthor für die CDU/CSU-Fraktion. sätzlich Unwahrheit, was noch wesentlich schlimmer wä- re. Deshalb kann ich nur sagen: Die Unionsseite hat fünf (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Modelle angeboten. (D) Philipp Amthor (CDU/CSU): (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Verfassungswidrig Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! war Ihr Vorschlag!) Auch wenn das jetzt hier anders behauptet wird, muss Als CSU-Mann darf ich einmal sagen: Wir haben auch doch eines mal klar sein: Auch für die CDU/CSU-Bun- von dieser tatsächlichen Wahlreform überhaupt nicht pro- destagsfraktion ist unumstößlich: Wir wollen, dass der fitiert. Bundestag verkleinert wird. Wir kennen auch die Stim- men aus der Bevölkerung zu diesem Thema. (Lachen bei der FDP und der LINKEN) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Echt? – Zuruf Deshalb kann man natürlich an dieser Stelle auch kein des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) Wahlsystem vorlegen, von dem so etwas ausgeht. Ich sage Ihnen auch ganz persönlich: Ja, ich nehme das (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ernst, und es ist auch richtig, dass uns 100 deutsche NEN]: Selbst das Innenministerium fand Ihr Staatsrechtsprofessoren davor warnen, den Eindruck zu Modell verfassungswidrig!) erwecken, dass uns das eigene Hemd näher ist als der Rock des Gemeinwohls. Sie wissen, Frau Haßelmann: Im bestehenden System lässt sich das Wahlrecht nur ändern, wenn Sie den Mut zu Aber auch wenn wir uns darin einig sind, muss doch einem echten Zweistimmenwahlrecht haben. Schon heute auch mal eines klar sein: Der Populismus, den Sie hier ist es so, dass in diesem Deutschen Bundestag 40 Prozent von rechts nach links vertreten haben, den machen wir der Abgeordneten mit einem Direktmandat sitzen und nicht mit. dass 60 Prozent der Abgeordneten über eine Liste einge- zogen sind. Die Lösung, die bei Ihrem Vorschlag heraus- (Beifall bei der CDU/CSU) kommt, ist: Streichen wir die Direktmandate weg, damit Zum AfD-Vorschlag ist ja schon einiges gesagt wor- sich dieses Verhältnis noch ein Stückchen hin zum Fal- den – immerhin. Der Antrag ist ja ziemlich paradox; aber schen, also weg vom personalisierten Verhältniswahl- er enthält ja eine richtige Überlegung – das muss man recht, entwickelt. Das kann nicht die Wahrheit sein. sagen –: Sie sagen einerseits, Sie wollten die Zahl der 299 Wahlkreise nicht reduzieren – das wollen wir auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. nicht –, und Sie sagen andererseits, Sie wollten das per- Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]) sonelle Element bei der Verhältniswahl stärken; das ist Der Schuldige ist sehr schnell ausgemacht: Tötet das auch richtig. Aber – das hat der Kollege Heveling ausge- Überhangmandat! Sie wissen, jedes Überhangmandat ist führt – die Vorschläge, die Sie machen, werden dem über- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14539

Philipp Amthor (A) haupt nicht gerecht. Denn wenn man Ihren Vorschlag (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (C) umsetzt, bei Direktmandaten eine Kappungsgrenze zu Abgeordneten der SPD) ziehen, dann führt das dazu – um es pointiert zu sagen –, 299 Wahlkreise heißt 299-mal Basisdemokratie. Das dass Wahlkreise existieren, die im Bundestag gar keine heißt Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern vor Ort Abgeordneten haben. Doch Wahlkreise ohne Abgeordne- und nicht gegenüber irgendwelchen Hinterzimmern, wo te, das macht keinen Sinn. Deswegen ist Ihr Vorschlag Sie Ihre Landeslisten ausklüngeln. falsch und kein Beitrag für eine Lösung in dieser wichti- gen Diskussion, meine Damen und Herren. (Lachen bei der AfD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Zuruf des Abg. Armin-Paulus Deswegen setzen wir auf die Verantwortung vor den Bür- Hampel [AfD]) gern. Wenn Sie die Direktmandate angehen, lösen Sie nicht das Größenproblem des Bundestages. Sie machen Wir müssen mal schauen: Wo liegt hier eigentlich das ihn nicht demokratischer, und deswegen wollen wir die Problem? Wir haben von der Opposition jetzt einiges ge- Listenmandate angehen, meine Damen und Herren. Das gen die Direktmandate gehört. Aber nicht die 299 direkt- ist der richtige Weg für die Diskussion. demokratischen Wahlkreismandate sind das Problem, sondern das Problem liegt ganz woanders. Das können (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wir uns ganz einfach vor Augen führen, wenn wir uns mit neten der SPD – Britta Haßelmann [BÜND- einfacher Arithmetik mal die Zahlen anschauen: Das NIS 90/DIE GRÜNEN]: So wird das nichts! – Bundeswahlgesetz geht von 598 Abgeordneten aus, pari- Zurufe von der LINKEN) tätisch 299 Wahlkreisabgeordnete, 299 Listenabgeordne- te. Wie hat sich das in der Realität entwickelt? Seit der Vizepräsidentin Claudia Roth: Jahrtausendwende – 2002, 2005, 2009, 2013 und 2017 – Vielen Dank, Philipp Amthor. – Ich schließe die Aus- haben wir immer 299 Direktmandate gehabt. Die Anzahl sprache. der Listenmandate ist hingegen explodiert: 304, 315, 323, 332 und jetzt 410 Listenmandate. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/14066 an die in der Tagesordnung aufge- (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Da wird doch selbst dem Langsamsten aus der Opposition und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung klar: Das Problem liegt nicht bei den Direktmandaten, beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Die Fraktion (B) sondern bei den Listenmandaten, meine Damen und Her- der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für (D) ren. Recht und Verbraucherschutz. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Theurer schlag der Fraktion der AfD: Federführung beim Aus- [FDP]: Das liegt auch an den schlechten Wah- schuss für Recht und Verbraucherschutz. Wer stimmt lergebnissen der CDU!) für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage- Ich muss dann doch etwas sagen, was Sie sich viel- gen? – Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvor- leicht nicht vorstellen können – es geht darum, dass Sie schlag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der behaupten, das Festhalten an den Direktmandaten be- AfD. Dagegengestimmt haben die Fraktionen Die Linke, günstige einseitig die Union –: SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- GRÜNEN]: Ist so!) schlag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen: Federführung beim Ausschuss Es ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass die Union die für Inneres und Heimat. Wer stimmt für diesen Überwei- Direktmandate gewinnt. Wenn Sie sich anstrengen, ge- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- lingt Ihnen das vielleicht auch, meine Damen und Herren. gen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist angenom- men. Zugestimmt haben die Fraktionen Die Linke, SPD, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP, und dage- Wir werden also dafür arbeiten, dass das nicht passiert. gengestimmt hat die Fraktion der AfD. Es geht nun darum, dass das Problem die Listenman- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: date sind. Ich will Ihnen einmal auch demokratiepraktisch Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- die Größe des Problems vor Augen führen. Wenn ich in gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än- meinen Wahlkreis im Osten Mecklenburg-Vorpommerns derung des Strafgesetzbuches – Versuchsstraf- schaue, dann sehe ich schon heute eine Größe, die das barkeit des Cybergroomings 1,926-Fache des Saarlandes umfasst. Nichts gegen die saarländischen Kollegen, aber angesichts von Wahlkrei- Drucksache 19/13836 sen, die jetzt schon doppelt so groß wie das Saarland sind, Überweisungsvorschlag: erweisen Sie der Demokratie einen Bärendienst, wenn Sie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Inneres und Heimat die Wahlkreise noch größer machen wollen, meine Da- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend men und Herren. Das finden wir nicht richtig. Ausschuss Digitale Agenda 14540 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die wir in unserem Entwurf gezielt die für die Praxis bedeut- (C) Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen samen Fälle der sogenannten – in Anführungszeichen – Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich warte, „Scheinkinder“ herausgegriffen und nicht zusätzlich auch bis die Kolleginnen und Kollegen Platz genommen ha- eine zeitliche Vorverlagerung der Strafbarkeit vorgese- ben. – Ich darf Sie bitten, beschleunigt den Raum zu ver- hen. Ich darf Sie deshalb um Unterstützung des Gesetz- lassen oder Ihre Plätze einzunehmen. entwurfs der Bundesregierung bitten. Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssek- Vielen Dank. retär Christian Lange für die Bundesregierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU)

Christian Lange , Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Vizepräsidentin Claudia Roth: ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Vielen Dank, Christian Lange. – Nächster Redner: für Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und die AfD-Fraktion . Herren! Viele Kinder haben heute einen unbeschränkten (Beifall bei der AfD) Internetzugang. Sie nutzen soziale Medien und die viel- fältigen anderen Kommunikationsmöglichkeiten im Roman Johannes Reusch (AfD): Netz. Das Internet bietet ihnen Chancen, sich zu entfalten Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD- und zu lernen. Zugleich sind Kinder im Netz aber auch Fraktion begrüßt ausdrücklich den Vorstoß der Bundes- besonderen Gefahren ausgesetzt. Täter nutzen die Ano- regierung. Es ist gut, wenn die Ermittlungsmöglichkeiten nymität des Internets zur ungestörten Kontaktaufnahme. der Polizei verbessert werden, insbesondere auf diesem Dabei geben sie sich nicht selten als Kinder oder Jugend- Feld. liche aus. Ihre jungen Opfer sind oft unerfahren, neugie- rig und nicht in der Lage, gefährliche Situationen zu er- Ob die Angriffe des Bundesrats gegen die gefundene kennen. rechtliche Konstruktion zutreffen oder nicht, werden wir im Ausschuss sicherlich klären; dafür ist hier nicht der Vor diesem Hintergrund haben wir im Jahr 2003 das Ort. Cybergrooming unter Strafe gestellt, also das gezielte Ansprechen von Kindern im Internet mit dem Ziel der Was man aber auf jeden Fall tun sollte, ist, dem An- Anbahnung sexueller Kontakte. Der Straftatbestand greift liegen des Bundesrates hinsichtlich der Änderung des allerdings nicht, wenn der Täter lediglich glaubt, auf ein § 184b StGB zu folgen; denn das ist eine absolute Paral- (B) Kind einzuwirken, tatsächlich aber mit einem Erwachse- lelproblematik. Auch dort hat die Polizei nach geltendem (D) nen kommuniziert, zum Beispiel mit einem wachsamen Recht weniger Möglichkeiten, als sie bräuchte, um solche Elternteil oder einem Polizeibeamten. Das wollen wir mit Sittenstrolche zu überführen. dem vorliegenden Gesetzentwurf nunmehr ändern. Denn die Strafbarkeit darf nicht davon abhängen, ob die kon- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE taktierte Person den Vorstellungen des Täters entspre- GRÜNEN]: Sittenstrolche?) chend tatsächlich ein Kind ist oder nicht. Wir wollen des- Deswegen möchte ich anregen, dass die Regierungsfrak- halb eine Versuchsstrafbarkeit beim Cybergrooming tionen sich das zu eigen machen, einen kleinen Ände- einführen, um auch diese Fälle strafrechtlich zu erfassen rungsantrag schreiben und das aufnehmen. Dann hätten und Täter nicht straflos davonkommen oder sogar weiter- wir zwei Lücken auf einmal geschlossen, und das wäre machen zu lassen. Damit setzen wir zugleich eine Verein- gut. barung aus dem Koalitionsvertrag um. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Darüber hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll der im Jahr 2016 neu eingeführte Straftatbestand der se- (Beifall bei der AfD – Dr. Johannes Fechner xuellen Belästigung geändert werden. Er soll künftig nur [SPD]: Mehr hat er nicht zu sagen?) noch von schwereren Sexualdelikten und nicht mehr von sonstigen Delikten mit schwererer Strafandrohung ver- Vizepräsidentin Claudia Roth: drängt werden. Die Verletzung der sexuellen Selbstbe- Vielen Dank, Roman Reusch. – Nächster Redner: stimmung soll stets im Schuldspruch zum Ausdruck kom- Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion. men. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat damit einen ausgewogenen Entwurf vorgelegt, der beste- – Das stimmt. Er hat Zeit eingespart. Danke schön. – Herr hende Strafbarkeitslücken schließt, ohne dabei über das Frei, jetzt machen Sie es nach! Ziel hinauszuschießen. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Schaffen Sie es Dabei möchte ich mit Blick auf die Einführung der in einer Minute, Herr Frei!) Versuchsstrafbarkeit beim Cybergrooming noch einmal betonen: Es handelt sich bei dem betroffenen Tatbestand Thorsten Frei (CDU/CSU): um ein Gefährdungsdelikt. Er stellt schon in seiner ak- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tuellen Fassung strafwürdige Vorbereitungshandlungen Wir freuen uns sehr, dass die Bundesregierung diesen als vollendete Tat unter Strafe. Gerade deshalb haben Gesetzentwurf nunmehr vorgelegt hat, um beim Cyberg- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14541

Thorsten Frei (A) rooming auch den untauglichen Versuch strafbar zu ma- wir schauen, ob wir Möglichkeiten finden, dass Polizis- (C) chen. Ich glaube, dass es ein wichtiger und notwendiger ten, dass Ermittler in das Darknet vorstoßen können, ohne Schritt ist, um Strafbarkeitslücken zu schließen. In der Tat sich selber strafbar zu machen, indem sie sich im Zweifel ist es aber auch so, dass wir uns Gedanken machen müs- mit Material, das technisch und computergeneriert erstellt sen, ob dieser Schritt schon ausreichend ist oder ob wir ist, in diesen Bereichen Zugang verschaffen. weitere Schritte benötigen, um den Anforderungen ge- recht zu werden. Ich finde, wir sollten alles Mögliche tun, um sicherzu- stellen, dass wir Strafbarkeitslücken in diesem Bereich Das Cybergrooming, also das gezielte Ansprechen von schließen, dass wir das Internet für Kinder sicherer ma- Kindern im Internet zum Zwecke der Anbahnung von chen und dass wir denen auf die Schliche kommen, die sexuellen Kontakten, ist etwas, was zutiefst verab- Kinder missbrauchen, malträtieren, in schlimme Zustän- scheuungswürdig ist. Wir haben das heute in § 176 StGB de bringen, die häufig ein Leben lang andauern. Ich glau- bereits geregelt, nicht aber den Fall, dass am anderen be, dass es wirklich den Ehrgeiz lohnt, in den parlamen- Computer, am anderen Ende der Leitung sozusagen, El- tarischen Beratungen zu schauen, wie wir den tern, Ermittler, Polizisten oder andere sitzen. Gesetzentwurf, der ein wichtiger und ein guter Schritt Man muss sich einmal vorstellen, was das in Wahrheit in die richtige Richtung ist, noch besser machen können. bedeutet. Das kann man an einem Fall sehen, der sich in Vielen Dank. Hessen im Herbst 2012 abgespielt hat. Da haben sich Ermittlerteams auf einer Plattform, die hauptsächlich (Beifall bei der CDU/CSU) von Kindern genutzt wird, in Fake Accounts als zwei zwölfjährige Mädchen ausgegeben, und innerhalb kürz- Vizepräsidentin Claudia Roth: ester Zeit haben etwa 400 Erwachsene, in der Regel Män- Vielen Dank, Thorsten Frei. – Nächster Redner: ner, versucht, sich diesen zu nähern, und zwar mit sexuell Stephan Thomae für die FDP-Fraktion. eindeutigen Bemerkungen. Wenn man sich einmal anschaut, was da für Dinge zur (Beifall bei der FDP) Sprache gekommen sind, nämlich dass sich die vermeint- lichen Mädchen vor der Webcam ausziehen sollten, dass Stephan Thomae (FDP): die Erwachsenen selber angeboten haben, sich zu entblö- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ßen, dass sie zu sexuellen Handlungen verleiten wollten, Es ist ein Grundsatz des deutschen Rechtes, dass reine dann ist augenfällig, dass an dieser Stelle etwas getan Vorbereitungshandlungen für eine Straftat straffrei blei- werden muss, dass wir hier eine Strafbarkeitslücke haben, ben sollen. Warum? Die Tat ist ja noch nicht einmal bis (B) dass wir alles unternehmen sollten, diese zu schließen und zum Versuchsstadium gediehen. Der Zeitpunkt des „Jetzt (D) damit das Internet für die Kinder ein Stück weit sicherer geht es auch los“ ist nicht erreicht. Die Tat ist von der zu machen. Vollendung der Rechtsgutverletzung einfach noch zu weit entfernt. Deswegen sind reine Vorbereitungshandlungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei nach deutschem Strafrechtsgrundsatz straffrei. Abgeordneten der SPD) Es gibt ein paar Ausnahmen im Strafrecht, zum Bei- Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinweisen, spiel im Fall von Terrorismus. Es gibt eine Ausnahme dass wir uns, wenn wir uns diesen schmalen Entwurf des auch bei Staatsschutzdelikten und seit 2015 auch beim § 176 Absatz 6 StGB anschauen, überlegen müssen, ob Straftatbestand des Cybergroomings, § 176 Absatz 4 wir die Wertungswidersprüche vollständig auflösen. Da Nummer 3 des Strafgesetzbuches. Hier werden auch Ein- ist in der Tat die Frage, warum beispielsweise das Zeigen wirkungshandlungen, also der Versuch, etwas einzulei- von pornografischen Filmen oder Bildern weniger straf- ten, damit am Ende eine sexuelle Handlung, also eine würdig sein soll als anzügliche Chats, die ja unter diese Straftat, zustande kommt, unter Strafbarkeit gestellt. Also Regelungen fallen. nicht die sexuelle Handlung als solche ist strafbar, son- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dern die Vorbereitung einer sexuellen Handlung. Das ist eine Ausnahme im deutschen Strafrecht. Hier ist die Ein- Es stellt sich auch die Frage, warum beispielsweise der wirkung als Vorbereitungshandlung strafbar, auch wenn ganz normale Versuch im Bereich des § 176 StGB, also es zu der eigentlichen Rechtsgutverletzung gar nicht wenn sozusagen nur aus technischen Gründen die Über- kommt. tragung der Bild- oder Filmnachrichten, der Chats, schei- tert, nicht gleichermaßen strafwürdig ist. Das ist ein Meine Damen und Herren, auch wir sehen Cybergroo- Punkt, über den wir uns im parlamentarischen Verfahren ming natürlich als großes Problem an, gar keine Frage. noch Gedanken machen sollten. Aber was macht die Regierung hier? Die erste Vorverla- gerung, die geschieht, nämlich dass die Einwirkungs- Was wir an vielen Stellen auch sehen – deswegen handlung, die Vorbereitung strafbar wird, wird sozusagen möchte ich diesen Punkt hier ansprechen –: Ermittler noch einmal verschärft, indem Sie sagen: Schon der un- müssen auch in die Lage versetzt werden, solchen krimi- taugliche Versuch soll strafbar werden. nellen Tätergruppen tatsächlich beizukommen. Vieles, was sich im sogenannten Darknet abspielt, findet in ge- Moralisch ist das gut nachvollziehbar. Aber wenn nun schlossenen Foren statt, in die man nur dann hinein- am anderen Ende eben ein Agent Provocateur, ein Tat- kommt, wenn man sich selber durch das Hochladen por- provokateur, also ein Erwachsener, sitzt, dann bedeutet nografischer Schriften strafbar macht. Deswegen sollten das: Wir verlagern die Strafbarkeit noch mal einen wei- 14542 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Stephan Thomae (A) teren Schritt nach vorne. Das erscheint auf den ersten noch die Selbstbestimmung des Kindes gibt, die § 176 (C) Blick zwar intuitiv und sinnvoll. Aber das heißt: Sie legen Strafgesetzbuch schützt. noch mal eine Schippe drauf. Sie wollen dies sogar auch dann unter Strafe stellen, wenn der Täter irrigerweise Thomas Fischer, ehemaliger Richter am Bundesge- annimmt, am anderen Ende sitze ein Kind oder ein Ju- richtshof, schrieb im „Spiegel“ treffend, dass mit dem gendlicher. Also nicht nur die Vorbereitungshandlung zu Änderungsvorschlag der Bundesregierung der „Versuch einer Vollendung der Straftat, sondern auch der untaug- des Versuchs“ strafbar wird. Denn die jetzige Regelung liche Versuch zu einer solchen Vorbereitungshandlung betrifft ja, wie gesagt, de facto schon ein Versuchsdelikt. soll strafbar werden. Eine Rechtsgutverletzung ist nicht notwendig, es muss also niemandem etwas passiert sein. Wenn nun Vorfeld- Das ist dogmatisch extrem weitgehend, und es ist so handlungen strafbar werden, etwa der Versuch, überhaupt kompliziert, wie ich es darstelle. Minderjährige zu finden, auf die man im Chat einwirken kann, dann wird die Vorbereitung der Vorbereitung be- (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aber es ist reits strafbar. Was die Bundesregierung mit ihrem Gesetz- sehr gut!) entwurf vorgelegt hat, ist eine deutliche Vorverlagerung Deswegen sind wir der Meinung, dass man sehr gut über- der Strafbarkeit, die in dieser Form das Strafrecht bisher legen sollte, ob wirklich der Zweck jedes Mittel heiligt nicht kennt. Deshalb sehen wir als Linke das sehr kritisch. oder ob es nicht dabei bleiben sollte, dass wir solche Tat- provokationen als nicht strafbar ansehen. Sie erfinden (Beifall bei der LINKEN) gerne neue Befugnisse und neue Straftatbestände. Auch Und es gibt ja eine Lösung: Für Dinge, die im Vorfeld wenn das intuitiv nachvollziehbar sein mag: Wir sollten einer Rechtsgutverletzung liegen, ist das polizeiliche Ge- es bei der Dogmatik belassen, dass Vorbereitungshand- fahrenabwehrrecht da. Diejenigen Erwachsenen, die den- lungen nach Möglichkeit nicht strafbar sein sollten, weil ken, sie würden auf ein Kind einwirken, obwohl sie in sie von der eigentlichen Rechtsgutverletzung einfach Wirklichkeit zum Beispiel mit einem Polizisten chatten, noch zu weit entfernt sind. sind gefährlich. Damit ist das Polizeirecht anwendbar. Dieses soll Gefahren für Rechtsgüter im Voraus abweh- Vielen Dank. ren. Es gibt viele Mittel im Polizeirecht: Gefährderan- (Beifall bei der FDP) sprache, Überwachungsmaßnahmen. Denkbar ist auch, dass man beim Verdacht auf Straftaten – und der Verdacht liegt nahe, wenn ein Erwachsener eine angeblich Minder- Vizepräsidentin Claudia Roth: jährige anspricht – über die StPO eine Wohnraumdurch- Vielen Dank, Stephan Thomae. – Nächster Redner: für suchung durchführt. Man kann Computer und Handy (B) (D) die Fraktion Die Linke Niema Movassat. durchleuchten. Man kann also dem potenziellen Täter mit der heutigen Rechtslage schon zeigen: Wir haben dich Niema Movassat (DIE LINKE): im Visier, und wir kriegen dich, wenn du eine Straftat Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden begehst. – Was wir aber nicht brauchen, ist eine immer über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- weitere Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich des derung des Cybergrooming-Tatbestandes. Cybergroo- polizeirechtlichen Gefahrenabwehrrechts. ming meint, dass erwachsene Männer versuchen, in Cha- träumen und sozialen Medien auf unter 14-Jährige (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- einzuwirken, um sie zu sexuellen Handlungen zu über- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) reden. Es handelt sich um die Vorbereitung zum sexuellen Lassen Sie mich noch einen zweiten kurzen Punkt an- Missbrauch. Das ist zum Glück gemäß § 176 Absatz 4 führen. Durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung Nummer 3a Strafgesetzbuch strafbar. wird der Einsatz von staatlichen Lockvögeln weiter nor- Es handelt sich um einen Tatbestand, der im Vorfeld malisiert. Denn nach dieser Änderung ist schon strafbar, einer Rechtsgutverletzung liegt. Es muss also nicht erst wer einen Kontakt mit einem Lockvogel anbahnt. Als zum Missbrauch kommen. Es reicht die Absicht des Tä- Linke halten wir den Einsatz von staatlichen Lockvögeln ters, diese durch Einwirkung auf die Minderjährige er- eines Rechtsstaats für unwürdig. Jedenfalls muss der reichen zu wollen. Faktisch handelt es sich um ein Ver- Rahmen, in dem staatliche Lockvögel agieren dürfen, suchsdelikt. Die Strafandrohung ist gut und sinnvoll, weil wesentlich detaillierter geregelt werden. sie eine generalpräventive Wirkung hat. Sie soll verhin- Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, in dern, dass es zum sexuellen Missbrauch kommt. Der Ge- ihren Stellungnahmen haben der Deutsche Anwaltverein setzentwurf der Bundesregierung, den wir hier diskutie- und der Kriminalpolitische Kreis, ein Zusammenschluss ren, missachtet aber den Sinn und Zweck des Strafrechts. mehrerer Strafrechtsprofessoren, wie ich finde, mit sehr Um was geht es? Die Bundesregierung will beim Cy- überzeugenden Argumenten Ihren Gesetzentwurf kriti- bergrooming zusätzlich den sogenannten „untauglichen siert. Es wäre sehr gut, wenn Sie diese Kritik ernst neh- Versuch“ strafbar machen. Es geht um den Fall, bei men würden. dem der Erwachsene denkt, im Chat sitze ihm eine Min- Danke schön. derjährige gegenüber. In Wirklichkeit ist es aber etwa ein Polizist, der sich als minderjährig im Chat ausgibt, um (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. potenzielle Täter zu locken. Bisher ist der Erwachsene in Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE diesen Fällen nicht zu bestrafen, weil es weder ein Kind GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14543

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: zählt auch die Gefährderansprache; der Kollege hat das (C) Vielen Dank, Niema Movassat. – Nächste Rednerin: hier schon angeführt. Da hätte man Maßnahmen ergreifen Canan Bayram für Bündnis 90/Die Grünen. können oder könnte sie ergreifen, ohne den Tatbestand zu ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sexueller Missbrauch von Kindern wird nach § 176 Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Absätze 1 bis 3 StGB mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und bis zu 10 Jahren, in schweren Fällen mit Freiheitsstrafe Herren! Die digitale Welt birgt für Kinder und Jugend- nicht unter einem Jahr bestraft. Diese Strafbarkeit wollen liche verschiedenste Gefahren. Dazu gehören unbeab- Sie jetzt vorverlagern, und wegen dieser Vorverlagerung sichtigte Vertrags- und Urheberrechtsverletzungen eben- wollen Sie eine ausdrückliche Strafbarkeit des Versuchs so wie eigenes strafrechtlich relevantes Verhalten, vor dieser Vorbereitungshandlung einführen. Wir finden das allem aber die Gefahr, selbst Opfer einer Straftat zu wer- deswegen falsch, weil es rechtsstaatlich gar keinen Grund den. Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet, dafür gibt. Wir sind der Auffassung, dass die Entwurfs- Opfer von Hate Speech, Cybergrooming oder sexueller verfasser sich zwar bemüht haben, keine generelle Ver- Gewalt zu werden. suchsstrafbarkeit zu schaffen, sondern die Versuchsstraf- barkeit allein auf den genannten Fall des untauglichen Effektiver Schutz vor sexuellem Missbrauch von Kin- Versuchs zu beschränken, aber auch das ist danebenge- dern braucht mehr als den wohlfeilen Ruf nach mehr gangen. Strafrecht. Zentral ist die Erhöhung des Entdeckungsrisi- kos für Straftäter – also mehr Personal und Technik bei Fazit: ein auch handwerklich holpriger Gesetzentwurf. der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Wir setzen daher darauf, dass wir das in der Anhörung im Ausschuss am 6. November korrigieren können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke schön. und mehr Aktivität für Prävention auf allen Ebenen, im Netz und in der Bildung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Daran mangelt es vielfach. Das führt dazu, dass sich Vielen Dank, Canan Bayram. – Nächste Rednerin: Straftäter im Netz sicher fühlen, keine Angst haben, ent- Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frak- deckt und verurteilt zu werden. Notwendig ist aber nicht tion. nur eine bessere Ausstattung der Polizei, sondern auch (B) (D) eine koordinierte Vernetzung aller kinderschutzrelevan- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Akteure. Darauf kommt es an, meine Damen und Herren. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beim Cybergrooming geht es um zwei Dinge. Zum einen Beim einschlägigen Strafrecht muss die Bundesregie- geht es um den Befund, dass Kinder viel zu oft mit se- rung über die bisherigen Änderungen hinaus die Reform xualisierten Inhalten oder sogar mit Übergriffen konfron- von Gesetzen mit Blick auf Straftaten gegen die sexuelle tiert werden. Sie brauchen einen Schutzraum, und den Selbstbestimmung endlich systematisch angehen. Hierfür müssen wir liefern, wir Erwachsene, wir als Staat. Der liegt seit Mitte 2017 ein Bericht der dazu vom Bundes- andere Punkt ist: Das Internet hat viele Regeln verändert. justizministerium eingesetzten Reformkommission vor, Es schafft neue Möglichkeiten des Zugangs, und es der nicht länger in der Schublade verbleiben darf. Beim schafft den Deckmantel der Anonymität. Unter diesem sogenannten Cybergrooming ist die Bedeutung des ein- Deckmantel der Anonymität tun eben viele Menschen schlägigen Straftatbestandes nach den Verurteilungszah- etwas, was sie unter ihrem Klarnamen nicht tun würden. len gering. Denn kommt es zu keinem Treffen mit dem Das ist beim Cybergrooming der Fall, aber das Phänomen Kind, bestehen Beweisprobleme. Kommt es zu einem haben wir auch in einem anderen Zusammenhang des Treffen, ist bereits der Hauptstraftatbestand des sexuellen Öfteren gesehen: bei Hass und Hetze im Netz; auch das Missbrauchs erfüllt. Das Dunkelfeld aber ist nach allsei- wurde heute hier diskutiert. tiger Einschätzung sehr hoch, und darum müssen wir uns Beim Cybergrooming kommt beides zusammen, wenn kümmern. Erwachsene diese neuen technischen Möglichkeiten nut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zen, um sich direkt an den Eltern vorbei Zugang zum Kind zu verschaffen, mit dem Ziel, ein reales Treffen zu Gerade deshalb hätte sich das Bundesjustizministerium verabreden und dann letztendlich auch einen sexuellen vor allem mit den bestehenden Möglichkeiten der Gefah- Übergriff zu begehen. Die Frage, wie das technisch geht, renabwehr und mit Ermittlungsmaßnahmen beim untau- ist ganz einfach zu beantworten: Fast jedes größere Kind glichen Versuch des sogenannten Cybergroomings aus- hat mittlerweile ein internetfähiges Smartphone, und vie- einandersetzen müssen, etwa mit Ermittlungsmaßnahmen le Spiele haben eine Chatfunktion, durch die es Tätern wie der Durchsuchung und Beschlagnahme aufgrund ei- ermöglicht wird, direkt den Kontakt herzustellen. nes Anfangsverdachts des Missbrauchs, weil nach krimi- nalistischer Erfahrung von den Verdächtigen vielfach Die Zahlen belegen, dass das häufiger vorkommt, als weitere einschlägige Straftaten begangen werden. Dazu wir uns das vorstellen mögen. Der Unabhängige Beauf- 14544 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) tragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs geht Vielen Dank. (C) davon aus, dass schon über 15 Prozent der Kinder bis 14 Jahre im Netz solche ungewollten Konfrontationen (Beifall bei der CDU/CSU) erlebt haben. Und wir wissen aus Gesprächen mit Prakti- kern, dass das von vielen Tätern in der beschriebenen Art Vizepräsidentin Claudia Roth: und Weise genutzt wird. Ein Beispiel aus Hessen: Ermitt- Vielen Dank, Elisabeth Winkelmeier-Becker. – Näch- ler haben innerhalb von nur acht Tagen fast 400 solcher ster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Johannes Fechner. Fälle aufgedeckt. Auch aus Nordrhein-Westfalen gibt es dazu Schilderungen. (Beifall bei der SPD)

Cybergrooming, also die Anbahnung des Kontaktes zu Dr. Johannes Fechner (SPD): Kindern im Netz, ist strafbar. Aber das Problem ist: Wenn Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Täter mit einem Kind chattet, dann wird das häufig Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Die nicht aufgeklärt. Das Kind schämt sich, es geht nicht zu Polizeiliche Kriminalstatistik 2018 zeigt eine ganz seinen Eltern. Wir haben also ein großes Dunkelfeld. schreckliche Zahl: Über 14 000 Ermittlungsverfahren Wenn hingegen anstelle des Kindes ein Ermittler oder wurden wegen sexueller Gewalttaten gegen Kinder in ein Elternteil am anderen Ende der Leitung sitzt, dann Deutschland eingeleitet. Das sind schreckliche Zahlen; ist das nach heutiger Rechtslage nicht strafbar. Der bloße denn dahinter verbergen sich schlimme Schicksale von Versuch ist nicht strafbar, und das heißt: Obwohl wir Kindern, die ihr Leben lang durch diese schlimmen Straf- wissen, dass es einen Täter gibt, der sich vorgenommen taten traumatisiert sind. Deswegen: Lassen Sie uns ge- hat, ein Kind zu täuschen, der zu dem Kind Kontakt auf- meinsam mehr gegen Kindesmissbrauch und sexuelle bauen will, der letztendlich übergriffig werden will, gibt Gewalt gegen Kinder tun, meine sehr geehrten Damen es keine Handhabe gegen ihn. und Herren! Mit dem Gesetzentwurf, der heute eingebracht wird, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wollen wir diesen untauglichen Versuch gezielt unter der CDU/CSU) Strafe stellen, um den Ermittlungs- und Verfolgungs- druck zu erhöhen und schon zu einem frühen Zeitpunkt Für uns in der SPD ist eine zentrale Maßnahme, dafür einschreiten zu können, zu dem das eben heute noch nicht mehr Personal bei der Justiz und bei der Polizei zu möglich ist. schaffen. Das hat heute noch keiner gesagt; aber für uns ist das eines der wichtigsten Handlungsfelder, um gegen (Beifall bei der CDU/CSU) Kindesmissbrauch vorzugehen. Auch deshalb haben wir (B) Es ist richtig, dass damit die Strafbarkeit vorverlagert zusammen mit den Ländern den Pakt für den Rechtsstaat (D) wird, aber es gibt dafür einen guten Grund; denn jedes geschlossen und haben gesagt: Wir wollen 2 000 neue Zuwarten würde das Kind zusätzlich gefährden, und das Stellen bei den Staatsanwaltschaften und den Gerichten wollen wir verhindern. schaffen. – Dafür haben wir viel Geld ausgegeben, aber das ist gut angelegtes Geld; denn wir sind der Meinung: (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn es um sexuelle Gewalt, gerade gegen Kinder, geht, Es geht darum, möglichst effektiv gegen Täter, die so dann darf deren Bekämpfung nicht am Geld scheitern, etwas tun wollen, vorzugehen, und es geht auch darum, liebe Kolleginnen und Kollegen. das Kind schon vor der sexualisierten Kommunikation, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die dem ja vorausgeht, zu schützen; denn auch das ist der CDU/CSU) schon belastend. Es verwirrt das Kind und setzt es unter Druck. Wir wollen auch das Strafrecht verbessern. Speziell mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellen wir den Versuch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) des Cybergroomings unter Strafe. Das heißt, es ist schon Wir wollen diese Lücke endlich schließen. Mit Heiko strafbar, wenn der Täter irrig glaubt, auf ein Kind einzu- Maas haben wir schon darüber diskutiert – er hat es nicht wirken, in Wirklichkeit jedoch mit einem Erwachsenen aufgegriffen. Auch Ministerin Barley hat es liegen lassen. kommuniziert. Wir haben es aber im Koalitionsvertrag vereinbart und Cybergrooming ist eine ganz besonders perfide Ma- sind froh, dass wir es jetzt endlich aufgreifen. Wir würden sche; denn die Straftäter nutzen die Anonymität des Inter- gerne weitere Schritte folgen lassen, um dem Schutz der nets gezielt aus, um mit Kindern und Jugendlichen in Kinder vor sexuellen Übergriffen noch mehr Gewicht zu Kontakt zu kommen. Scheinbar harmlos, tatsächlich aber geben. doch mit eindeutigen Absichten des sexuellen Miss- brauchs, nehmen sie über dieses sogenannte Cybergroo- Vizepräsidentin Claudia Roth: ming Kontakt zu Kindern auf. Für die Kinder ist oft nicht Kommen Sie bitte zum Schluss. erkennbar, dass sie in Gefahr sind, wenn sie scheinbar harmlos in Onlinechats von vermeintlich Gleichaltrigen kontaktiert werden. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Aber ich denke, wir haben mit diesem Gesetzentwurf Deshalb wollen wir die Kinder durch dieses Gesetz einen guten Vorschlag vorliegen. Wir werden versuchen, besser schützen. Ja, das führt zu einer Vorverlagerung ihn auch mit den Anregungen aus dem Bundesrat noch der Strafbarkeit, aber wir glauben, dass es angesichts weiter zu verbessern. des immer weiter zunehmenden Ausmaßes an Kinderpor- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14545

Dr. Johannes Fechner (A) nografie und Gefahren für die Kinder erforderlich ist, spielplätzen. Er musste Gesicht zeigen, und dabei hatte er (C) dass zukünftig eben auch derjenige bestraft wird, der irrig das Risiko, entdeckt zu werden. glaubt, ein Kind anzusprechen, es aber tatsächlich mit Heute, im Zeitalter des Internets, eröffnen sich für ei- einem Erwachsenen zu tun hat. Denn damit zeigt der nen solchen Sexualstraftäter ganz neue Möglichkeiten. Täter doch, dass er gefährlich ist. Dadurch zeigt sich eine Unter dem Schutz der vermeintlichen Anonymität findet abstrakte Gefahr für die Kinder, und das ist für uns der heute Cybergrooming tragischerweise in deutschen Kin- Grund, hier tätig zu werden und die Strafbarkeit auszu- der- und Jugendzimmern jeden Abend hundertfach, ja weiten. So etwas können wir nicht hinnehmen, liebe Kol- tausendfach statt. Erwachsene Täter, meist Männer, ge- leginnen und Kollegen. ben sich als vertrauenswürdig und/oder minderjährig aus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie erschleichen Vertrauen. Das Ziel ist letztendlich die der CDU/CSU) Schaffung eines Vertrauensverhältnisses, das am Schluss in sexuellen Kontakt einmünden soll. Das erreicht man Wir präzisieren den Straftatbestand der sexuellen Be- entweder durch ein Livetreffen oder am Schluss durch die lästigung, und auch dadurch schaffen wir einen besseren Erpressung. Das ist eine echte Masche; das ist heute hier strafrechtlichen Schutz; denn nach geltendem Recht wird noch überhaupt nicht angeklungen. der Strafrahmen der sexuellen Belästigung nur dann an- gewandt, der Täter also nur dann deswegen bestraft, wenn Die Situation ist so problematisch, dass der Cyberkri- seine Tat nicht schon nach einem anderen Straftatbestand minologe Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhoch- mit schwerer Strafe bedroht ist. Begeht also ein Täter schule für Polizei in Brandenburg – Frau Präsidentin, etwa eine Körperverletzung und eine sexuelle Belästi- ich zitiere – folgenden Satz gesagt hat: gung gleichzeitig, ist die Rechtslage im Moment so, dass Ich … gehe davon aus, dass im Prinzip heutzutage er nicht wegen sexueller Belästigung bestraft werden kaum ein Kind im digitalen Raum aufwachsen kann, kann, dass diese Tat also nicht im Schuldspruch berück- das nicht in irgendeiner Form mit so einem Sexual- sichtigt werden kann. täter konfrontiert wird. Häufig empfinden Opfer doch gerade die sexuelle Be- Das muss man sich mit Blick auf die heutige Realität mal lästigung als schwerwiegender, sind eher dadurch traum- auf der Zunge zergehen lassen. atisiert als beispielsweise durch die Körperverletzung. Wir schließen mit diesem Gesetzentwurf heute eine Deswegen stellen wir mit diesem Gesetz klar, dass eine Lücke. Kommt es bei einem Kontakt mit einem verdeck- Bestrafung wegen sexueller Belästigung nur dann aus- ten Ermittler, der auf einer Schülerplattform als, sagen scheidet, wenn die Tat schon nach einem anderen Straf- wir mal, „Lisa12“ unterwegs ist, zu eindeutig strafbaren tatbestand strafbar ist, der auch die sexuelle Selbstbestim- (B) Handlungen bis hin zur Übermittlung von pornografi- (D) mung schützt. schen Schriften, ist das bis heute nicht strafbar. Die Pra- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen weiter xis – auch das ist mir bei der FDP, bei den Grünen und bei gegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung den Linken viel zu wenig rübergekommen – sagt uns ganz vorgehen. Das müssen wir in erster Linie machen, indem eindeutig: Wenn wir diese Täter dingfest machen wollen, wir die Sicherheitsbehörden stärken: mehr Personal bei dann nützen nicht zehn Kriminologen mehr, dann nützen den Jugendämtern, bei der Polizei und auch bei der Justiz. nicht zehn Kriminalbeamte mehr, sondern dann brauchen Aber wir müssen auch zu Verbesserungen im Strafgesetz- wir einen Straftatbestand, weil der Täter sonst ungescho- buch kommen. Wir können es nicht hinnehmen, dass ren davonkommt. weiterhin so viele Kinder misshandelt werden. Dem dient (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dieses Gesetz. Stimmen wir ihm zu! Wir als Union haben diese Thematik für uns eigentlich Vielen Dank. schon seit fünf Jahren im Blick. Mit Heiko Maas war das leider überhaupt nicht umzusetzen. Wir haben in der letz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Legislaturperiode immerhin noch ein Fachgespräch der CDU/CSU) machen können. Auch da waren die Rückmeldungen aus der Praxis erschreckend eindeutig. Es war für uns Vizepräsidentin Claudia Roth: ein Erfolg, dass wir das Thema in den Koalitionsvertrag Vielen Dank, Dr. Fechner. – Letzter Redner in dieser reinverhandeln konnten. Wir fanden es sehr schade, dass Debatte: Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Frak- unter Justizministerin da zunächst einmal tion. überhaupt nichts passiert ist. Als dann im „Spiegel“ stand, dass die Union einmal die Woche nachgefragt hat, was (Beifall bei der CDU/CSU) mit dem Referentenentwurf ist, dass ich als Berichterstat- ter schon angeboten hatte, den Entwurf im Notfall selbst Alexander Hoffmann (CDU/CSU): zu schreiben, weil er so komplex nicht zu sein scheint, hat der Entwurf just acht Tage später das Licht der Welt erb- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lickt. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! In den das parlamentarische Verfahren. 90er-Jahren musste sich ein Sexualstraftäter, der mit Kindern, mit Jugendlichen zum Zwecke der sexuellen Ich sage Ihnen: Wenn wir die Risiken des Netzes für Kontaktaufnahme anbandeln wollte, dem realen Leben Kinder reduzieren wollen, wenn wir Kinderpornografie stellen. Er musste sich aufhalten an Schulen, an Kinder- im Netz effektiv beenden und bekämpfen wollen, dann 14546 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Alexander Hoffmann (A) sollten wir uns im parlamentarischen Verfahren über wei- Sichere Kryptographieverfahren für (C) tere Dinge Gedanken machen. Wir sollten uns überlegen, Quantencomputer entwickeln ob wir zu einer Strafbarkeit von Plattformbetreibern im Darknet kommen, ob wir wie in den USA eine Melde- Drucksachen 19/4845, 19/11758 pflicht für Internetprovider etablieren können, wenn sie, ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario auch zufälligerweise, Kinderpornografie auf ihren Ser- Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios vern feststellen. Wir sollten uns Gedanken machen, wie Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- wir für Ermittler Zugang auf Kinderpornografieplattfor- tion der FDP men im Darknet schaffen, zum Beispiel mit computerge- neriertem Material. Da gibt es schon einen Vorstoß im Smart Germany – Deutschland digital stär- Bundesrat. ken, Onlinekurs „Künstliche Intelligenz“ initi- ieren

Vizepräsidentin Claudia Roth: Drucksache 19/14034 Herr Kollege Hoffmann, Ihre Redezeit. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Für all das sollten wir das parlamentarische Verfahren Ausschuss Digitale Agenda nutzen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu kei- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen Widerspruch. Und Sie sollten zum Ende kommen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu neh- men, und eröffne die Aussprache. Das Wort hat Katja Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Suding für die FDP-Fraktion. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Katja Suding (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Digitalisierung und künstliche Intelligenz erleichtern Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) heute schon unser Leben. Suchmaschinen geben Aus- (D) Danke schön, Herr Hoffmann. – Damit schließe ich die künfte in Bruchteilen von Sekunden. In der Landwirt- Aussprache. schaft spart künstliche Intelligenz Fläche, Dünger und Pflanzenschutzmittel. Und in der Medizin erkennt KI Tu- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs more und Herzinfarkte, rettet also Leben. Ein solches auf Drucksache 19/13836 an die in der Tagesordnung Smart Germany kann aber noch viel mehr. Dazu bringen aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere wir als FDP-Fraktion in dieser Sitzungswoche 25 Anträge Überweisungsvorschläge? – Dem ist nicht so. Dann ver- in den Deutschen Bundestag ein; denn wir brauchen und fahren wir wie vorgeschlagen. wir wollen unbedingt ein solches Update für Deutsch- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b sowie land. Zusatzpunkt 10 auf: (Beifall bei der FDP) 18 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Der uns hier vorliegende Antrag befasst sich mit künst- Katja Suding, Grigorios Aggelidis, Renata licher Intelligenz an den Schulen; denn auch an den Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Schulen kann künstliche Intelligenz durch Learning Ana- der FDP lytics eine ganze Menge bewirken. Interaktive Schulbü- Smart Germany – Learning Analytics und cher erfassen den Lernfortschritt. Sie werten Wissenslü- Künstliche Intelligenz in der Schule för- cken aus und schlagen passgenaue Übungen vor. dern, Lerndaten schützen Algorithmen erkennen, ob ein Schüler besser im Frontal- unterricht, in Gruppenarbeit oder mit einem Video lernt. Drucksache 19/14033 Auch die Gefahr, ein Lernziel zu verfehlen, erkennt die künstliche Intelligenz frühzeitig, sodass Lehrer und Schü- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- ler leichter gegensteuern können. Das mag für manchen zung (f) wie Science-Fiction klingen, ist aber längst Realität – nur Ausschuss Digitale Agenda nicht an deutschen Schulen, und genau das müssen wir b) Beratung der Beschlussempfehlung und des verändern. Berichts des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung (Beifall bei der FDP) (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Auch in Deutschland wollen viele Lehrer anfallende neten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja Lerndaten nutzen, um ihre Schüler besser zu unterrichten. Suding, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter Aber sobald sich ein Lehrer absichern will, dass er die und der Fraktion der FDP Daten auch rechtskonform einsetzt, beginnt für ihn ein Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14547

Katja Suding (A) Hürdenlauf in der Dunkelkammer. Die Fallstricke er- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben gesehen, (C) kennt er erst, wenn es zu spät ist, wenn er gestolpert ist. die Sitzungsleitung hat gewechselt. Da wir es nach 23 Uhr Denn schon für den Einsatz eines digitalen Vokabeltrai- haben, gelten folgende Regelungen: Zwischenfragen und ners braucht ein Lehrer Einverständniserklärungen aller Interventionen werden nicht mehr zugelassen. Die Rede- Eltern und auch der Schüler, sobald sie älter als 16 Jahre zeiten werden exakt eingehalten. Nach einmaliger Auf- sind. Manche müssen 120-seitige Datenschutzerklärun- forderung von mir werden binnen zehn Sekunden die gen unterzeichnen ohne Rechtsbeistand. Wieder andere Mikrofone ausgeschaltet. Das erlaubt § 35 Absatz 3 der werden vom Datenschutzbeauftragten erst dann gestoppt, Geschäftsordnung nicht nur, das schreibt sie sozusagen wenn die digitalen Lernmittel längst eingesetzt werden. vor, und daran wollen wir uns jetzt halten – damit da keine Wir brauchen endlich Klarheit darüber, was erlaubt ist Missverständnisse entstehen. und was nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Beifall bei der FDP) SPD, der FDP und der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Das Ausland macht uns übrigens längst vor, wie die GRÜNEN]) Nutzung von Lerndaten die Unterrichtsqualität verbes- sert. Dafür brauchen wir auch in Deutschland klare Stan- Auch appelliere ich noch mal an die Bereitschaft von dards, welche Lerndaten wie, wofür und wie lange erho- einigen Kolleginnen und Kollegen, die ich sehr schätze – ben und genutzt werden dürfen. Klare Standards geben insbesondere auch aus meiner eigenen Fraktion –, darü- allen Betroffenen Sicherheit. Die Schüler wissen, dass der ber nachzudenken, ob sie ihre Reden wirklich halten müs- Ausrutscher in Mathe kein Problem bei der Bewerbung sen. Denn um diese Uhrzeit kann es manchmal sinnvoller für ein späteres Studium wird. Die Lehrkräfte wissen, sein, sie zu Protokoll zu geben, als sie zu halten. welches interaktive Schulbuch sie einsetzen dürfen und welches eben nicht. Und die Entwickler wissen, welche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Vorgaben ihre Software erfüllen muss. Von klaren Regeln SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- haben also alle was, meine Damen und Herren. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Als Nächster hat das Wort der Kollege Andreas Steier, (Beifall bei der FDP) CDU/CSU-Fraktion. Wir müssen darüber hinaus die Lehrkräfte unterstüt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zen; denn mit ihnen steht und fällt die Nutzung von Lern- daten. Einige Lehrer sind als KI-Pioniere an den Schulen (B) unterwegs; ihr Wissen haben sie sich selbst angeeignet. Andreas Steier (CDU/CSU): (D) Wir müssen aber allen Lehrern, und zwar schon im Lehr- Sehr geehrter Herr Präsident, auch ich werde mich be- amtsstudium und auch in Fortbildungen, vermitteln, wie mühen, die fünf Minuten einzuhalten. Liebe Kolleginnen sie ihren Unterricht mithilfe von Daten verbessern kön- und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren an den nen und wie sie ihre pädagogischen Konzepte dadurch Bildschirmen! unterstützen können. (Heiterkeit) Als Bund haben wir genug Möglichkeiten, gemeinsam Wir besprechen heute drei Anträge der FDP zum Thema mit den Ländern die Nutzung und den Schutz von Lern- „Weiterbildung und Lernen bei KI“ und zum Thema daten zu fördern. Die müssen wir nutzen. Das Thema „Quantencomputer“, wozu Frau Suding eben nichts aus- „smarte Datennutzung“ gehört in die Qualitätsoffensive geführt hat. Lehrerbildung. Fördern wir doch entsprechende For- schungsprojekte! Und nutzen wir die Möglichkeiten des Mit Letzterem möchte ich heute beginnen. Beim The- neuen Artikel 104c Grundgesetz! Frau Karliczek ist bei ma Quantencomputer halte ich den Antrag bzw. die Her- dieser wichtigen Debatte nicht hier. Ich fordere sie aber an leitung der FDP für sehr interessant, weil sie mich ein dieser Stelle noch mal auf: Die Verhandlungen über einen bisschen an meinen Sohn erinnert. Der ist jetzt im fünften Digitalpakt 2.0 müssen jetzt endlich beginnen. Schuljahr und kam jüngst vor ein paar Tagen zu mir und sagte: Papa, ich weiß jetzt, wie ein Computer rechnet. – (Beifall bei der FDP) Er hatte gerade das binäre Zahlensystem in der Schule Wenn wir Learning Analytics an unseren Schulen för- durchgenommen. Um aber zu verstehen, wie ein Quan- dern und dem einen klaren Rahmen setzen, dann stärken tencomputer rechnet, da muss man schon in die Oberstufe wir die Bildung unserer Kinder und dann schützen wir gehen und in die Physik hineingehen, da muss man sich gleichzeitig ihre Lerndaten. Das und nicht weniger haben mit der Schrödinger-Gleichung auseinandergesetzt ha- unsere Schülerinnen und Schüler verdient: weltbeste Bil- ben. Dann versteht man, dass kein Entweder-oder exis- dung. tiert, sondern es auch Dinge gibt, die zwischen Entweder und Oder liegen. (Beifall bei der FDP) Von daher, liebe Kollegen der FDP: Es wäre interessant gewesen, wenn Sie in diesem Antrag etwas Neues ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schrieben hätten, vielleicht Physik als Pflichtfach bis Vielen Dank, Frau Kollegin Suding. Das war vorbild- zum Abitur; dann hätte dieser Antrag etwas Neues ge- lich: Sie haben die Redezeit eingehalten. bracht. 14548 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Andreas Steier (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- entwickeln können. Die Ergebnisse dieser Projektgruppe, (C) neten der SPD – Katja Suding [FDP]: Das ist so die in die Bildung, Weiterbildung, Forschung und auch in neu, dass Sie noch gar keine Ahnung davon die Arbeitswelt hineinstrahlen, sollten wir gemeinsam haben!) nutzen und sie auch gemeinsam ausarbeiten. Ich fordere Zu Quantencomputern und Quantentechnologie hat die alle Fraktionen auf, daran mitzuwirken, dass wir ein gutes Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode schon Ergebnis finden. In diesem Sinne freue ich mich auf die einige Programme aufgerufen. Sie haben schon gelobt, Debatte in den weiterführenden Ausschüssen über das dass Deutschland in der Verschlüsselung bereits einen Thema. Wir werden da weiter mitdiskutieren. guten Ruf hat. Von daher sind wir da schon auf einem Ich darf meinen Kolleginnen danken, die leider heute guten Weg gewesen. Die Förderprogramme zeigen auch ihre Reden zu Protokoll gegeben haben, Dietlind Wirkung. Wir haben in der Quantenkryptografie und in Tiemann und Ronja Kemmer; die beiden werden die Bil- der Postquantenkryptografie gute Programme angesto- dungsthemen natürlich weiter betreuen. Ich freue mich ßen; entsprechend ist Deutschland da in der Welt sehr auch, dass ich hier im Bundestag mal Erwin Schrödinger gut etabliert. an führender Stelle erwähnen durfte. Um diese Dinge auch weiter zu fördern – denn das Von daher vielen Dank; ich freue mich schon auf die Problem ist ja nicht nur das Verstehen, sondern auch weitere Diskussion. das Umsetzen einer neuen Technologie –, haben wir hier bereits 2018 ein neues Programm angestoßen. Wir geben Vielen Dank. über 650 Millionen Euro für diese neue Technologie aus. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist gut investiertes Geld; das hält den Standort Deutschland auch an der Spitze. Von daher sind wir da auf einem guten Weg und lehnen deshalb den ersten An- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: trag der FDP-Fraktion ab. Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Michael Espendiller, AfD-Frak- In den beiden anderen Anträgen geht es um Lernen und tion. Weiterbildung in der KI, um junge Menschen und auch Menschen, die schon im Berufsleben sind, entsprechend (Beifall bei der AfD) weiterzuqualifizieren. Es ist richtig, dass unsere Gesell- schaft da natürlich Möglichkeiten finden und auch Unter- Dr. Michael Espendiller (AfD): stützung geben muss, gerade junge Leute in diesem Be- Danke. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte reich weiterzubilden, und dass wir die digitale Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf den Tribünen (B) Ausbildung auch hier voranbringen. Genau da setzt unser und bei YouTube! Die Magentas: 2013 aus dem Bundes- (D) DigitalPakt an: diese Kenntnisse auch in den Schulen ein- tag geflogen, 2017 medienwirksam abgelehnt, in die Re- zuführen. gierung zu gehen, seitdem bemühte Opposition und pe- netrante Besserwisser. (Zuruf von der FDP: Eben nicht!) (Lachen bei der FDP – Katja Suding [FDP]: Aber wenn ich mir das konkret anschaue – gerade auch Das sagt der Richtige!) in Rheinland-Pfalz –, dann muss ich feststellen: Der Bund investiert zwar Geld in die Schulen, indem er die Aus- In dem ersten Machwerk der FDP, das heute auf der stattung finanziert, aber in der Umsetzung sieht man Din- Tagesordnung steht, findet man Vorschläge zur Förde- ge, die ich nicht zielführend finde. Zum Beispiel redet rung von Learning Analytics und künstlicher Intelligenz man im Wissenschaftsausschuss in Rheinland-Pfalz nur in der Schule. Worum geht es dabei konkret? Die FDP über digitale Medienkompetenzen. Da ist mehr gefordert, will bundesweit von allen Schulen, von allen Schülern auch in Ihrem Sinne, damit wir die Gesellschaft entspre- und von allen Lehrern sogenannte Lerndaten erheben – chend weiterbringen können. Da fordere ich auch, dass die totale Erfassung! Diese Daten sollen dann ganz zent- man Programmieren möglichst früh in der Schule ansetzt, ral in der Schul-Cloud gespeichert werden. Die Lehrer weil jemand, der programmieren kann, weiß, wie Ursa- werden dadurch zu Marionetten von Lernsoftware mit che-Wirkung-Folgen in einem Computerprogramm ent- künstlicher Intelligenz degradiert. stehen. So jemand weiß dann auch, wie man künstliche Die FDP will uns außerdem erzählen, dass das im Aus- Intelligenz weiterentwickelt. land längst alles gang und gäbe ist. Und on top wollen uns Herr Röspel, wir sind in der Enquete-Kommission die Magentas dann auch noch verkaufen, dass dadurch „Künstliche Intelligenz“ in der neuen Projektgruppe 4 das Bildungssystem besser wird. damit befasst, die Themen Arbeit, Bildung und Schule zu behandeln. In Projektgruppe 4 sind wir gefordert, nicht (Zuruf: Haha! – Zuruf von der FDP: Das macht nur das Thema Arbeit zentral zu belegen, sondern auch keiner!) das Thema Bildung/Weiterbildung in dem Kontext mit Liebe FDP, Sie verlieren in Ihrem Digitalisierungs- guten Forderungen zu belegen. wahn wie immer das große Ganze völlig aus dem Blick. (Beifall des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein- (Beifall bei der AfD) Neckar] [FDP]) Wenn dieser Antrag von Ihnen zur Realität wird, dann In dieser Projektgruppe sollten wir uns auch darüber haben wir den gläsernen Schüler. Die gesamte Gedanken machen, wie wir Deutschland weiter- Schullaufbahn jedes einzelnen Schülers soll gespeichert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14549

Dr. Michael Espendiller (A) und zentral erfasst werden. Aber was ist der oberste auszuführen, für die die heutigen Supercomputer Jahre (C) Grundsatz beim Datenschutz? Dass man Daten gar nicht oder Jahrzehnte brauchen. Mit einem funktionstüchtigen erst erhebt. Mit Ihrer Datensammlung ist es nur noch eine Quantencomputer wären alle heute gängigen Verschlüs- Frage der Zeit, bis ein vergeigtes Diktat aus der dritten selungstechniken kinderleicht zu knacken. Klasse später einmal darüber entscheidet, ob man den heiß begehrten Traumjob im Erwachsenenalter bekommt Aber wie ist denn der aktuelle Forschungsstand? Mo- oder nicht. mentan ist sich die Fachwelt noch nicht ganz sicher, ob der Beweis für die sogenannte Quantensouveränität be- (Zuruf von der SPD: Oh! – Stephan Albani reits erbracht wurde oder nicht. Aber die FDP weiß es [CDU/CSU]: Quatsch!) offenbar mal wieder besser Ihnen ist das total egal. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Unsere Schulen sind heute schon regelrechte Brenn- und sieht gleich Nachholbedarf bei der Bundesregierung. punkte. Schüler, Lehrer und Eltern entfremden sich zu- Was Sie komplett vergessen: Das Bundesforschungsmi- nehmend voneinander. Und Sie wollen jetzt unausgereifte nisterium hat schon ein Forschungsprogramm zur Post- Konzepte zur künstlichen Intelligenz in den Unterricht quantenkryptografie. Das haben Sie nicht gelernt. Bloß einbauen. Ich kann mir das schon vorstellen: Der Lehrer weil einer Ihrer Referenten in irgendeinem Tech-Blog sagt „Hü!“, die KI sagt „Hott!“. Super, Sie machen damit etwas Cooles gelesen hat, müssen Sie hier noch lange die Klassenzimmer in diesem Land zum bildungspoliti- keinen Antrag stellen. schen Krisengebiet. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Krie- Abschließend dann noch zu dem Antrag der FDP zu gen wir erst mal unsere normalen Bildungsinhalte – Le- einem Onlinekurs zur künstlichen Intelligenz nach finni- sen, Schreiben, Rechnen – richtig hin! schem Vorbild. Ich habe mir das angesehen. Die Finnen haben ja privatwirtschaftlich so einen Kurs aufgesetzt. (Thomas Ehrhorn [AfD]: Genau so ist es!) Das ist eine gute Idee. Den ins Deutsche übersetzen zu lassen, dafür sind wir auch. Sachen auf Deutsch finden Wir müssen die Schüler fit machen für den Arbeitsmarkt wir von der AfD grundsätzlich gut. oder das Studium. Die FDP will hier nur optimierte Fach- idioten mit Tablet haben. (Lachen bei Abgeordneten der FDP) (Martin Reichardt [AfD]: Damit kennen sie Ihr Antrag geht aber auch hier viel zu weit und dreht auch (B) sich ja aus!) wieder hart an der Bürokratieschraube. „Privat vor Staat“: (D) Bei Learning Analytics haben wir ein ganz grund- Das hatten Sie früher mal bei sich im Programm – heute sätzliches Problem: Von den Schülern werden Messdaten leider nicht mehr. erhoben. Wenn ich aber etwas messen will, brauche ich Danke für die Aufmerksamkeit. objektive Kriterien. Einfach gesagt: Ich kann messen und speichern, dass der kleine Peter 92 von 100 Punkten im (Beifall bei der AfD) Mathetest hatte. Aber ich kann nicht messen, dass Peter ein richtig guter Schulfreund für seine Mitschüler ist. Ich Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kann nicht messen, ob er hilfsbereit ist, und ich kann nicht messen, ob er „Prometheus“ so vorträgt, dass man eine Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Espendiller. – Als näch- Gänsehaut bekommt. ster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kollege René Röspel das Wort. Learning Analytics reduziert unsere Schüler und auch Lehrkräfte auf reine Datenlieferanten. Alle erzeugen Da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten. Lehrer sollen ihren Unterricht mit Cloud-Tools pla- der CDU/CSU) nen und in einer zentralen Cloud speichern, auf die weiß Gott wer nachher Zugriff hat. Wie weit sind wir dann René Röspel (SPD): eigentlich noch davon entfernt, lediglich Wirte einer all- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- mächtigen Datenmatrix zu sein? ren! Wir behandeln jetzt seit einigen Tagen eine ganze (Beifall bei der AfD – Lachen bei Reihe von Anträgen der FDP unter dem Stichwort „Smart Abgeordneten der FDP) Germany“, gleich zwei vom Vortag, und insgesamt sind es, glaube ich, 25 Anträge. Das ist nicht unsere Welt, und das ist auch nicht mein Bildungsideal. Wir in der AfD vertreten das Bildungs- (Beifall bei der FDP) ideal von Humboldt: Schüler sollen mündige Erwachsene werden, die ganzheitlich gebildet sind. Deswegen werden Ich finde, man hätte da einiges zusammenfassen kön- wir Ihren Antrag ablehnen. nen; das wäre sicherlich kompakter möglich gewesen. Aber ich glaube, darum geht es Ihnen gar nicht, sondern Der Digitalfetisch der FDP führt uns dann auch noch es geht Ihnen um Profilierung in der Opposition. Das mag zum Thema Quantencomputer und Datensicherheit. okay sein. Aber ich hatte beim Lesen ein bisschen den Quantencomputer sind der Theorie nach in der Lage, in Eindruck, Sie haben da irgendeinen Fleißigen – es mag Sekunden oder Minuten komplexe Rechenoperationen auch künstliche Intelligenz sein –, 14550 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

René Röspel (A) (Michael Theurer [FDP]: Besser künstliche Ich bin auch Vater von fast drei schulpflichtigen Kin- (C) Intelligenz als gar keine Intelligenz!) dern, und ich kann Ihnen sagen: Nicht einmal ein Bruch- teil der Forderungen, die die FDP in ihrem Antrag gestellt auf den Sie angewiesen sind in dieser Frage, der sich mal hat – übrigens an den Bund gerichtet, der gar nicht origi- Studien anguckt, Ergebnisse von Thinktanks, und dann när zuständig ist, Frau Suding; die Länder sind doch zu- das, was man mal so als Forderung in den Deutschen ständig –, nichts von dem, was Sie vom Bund fordern und Bundestag einbringen kann, einfach in diese Anträge was eigentlich von den Ländern zu erfüllen ist, wird in reinschreibt. Ich glaube, das ist nicht so richtig gute Op- Nordrhein-Westfalen von Ihren Ministern auf den Weg positionsarbeit, auch wenn vieles davon sicherlich lesens- gebracht. wert und auch durchaus nachdenkenswert ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Michael Theurer [FDP]: Sie sollten sich besser der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE um eine gute Regierungsarbeit bemühen!) GRÜNEN und des Abg. Karsten Hilse [AfD]) Wir haben aber an Ihrem Antrag zur Quantentechnolo- Also kann das nur Profilierung in der Opposition hier gie gesehen, dass da auch Scheuklappen im Spiel sind. sein. Da, wo Sie regieren, kriegen Sie es nicht hin. Sie Denn diesen Antrag hatten wir im Ausschuss schon sehr kriegen es nicht hin. ausführlich behandelt, und dabei kam ziemlich deutlich heraus, was die Bundesregierung schon alles macht: Seit (Widerspruch bei der FDP) 2015 wird an Kryptografieverfahren gearbeitet, von 2018 Ich will zum Schluss sagen: Es kann nicht am Geld bis 2022 werden mehr als 650 Millionen Euro für dieses liegen, dass Sie es in Nordrhein-Westfalen nicht hinkrie- Thema verausgabt. Alle, die in der Ausschusssitzung da- gen. Denn dank der SPD haben wir in der letzten Koali- bei waren, haben merken können, dass es einen Aha-Ef- tion erreicht, dass Nordrhein-Westfalen über den Länder- fekt bei der FDP gab, als man gesehen hat, was alles von finanzausgleich 1,1 Milliarden Euro mehr bekommt und dem Antrag und den Forderungen, die die FDP darin dass Nordrhein-Westfalen über den DigitalPakt Schule, erhebt, eigentlich schon umgesetzt wird. Vielleicht wäre den die SPD auf den Weg gebracht hat, 1 Milliarde Euro es deswegen sinnvoll, nicht nur mal schnell aufzuschrei- zur Verfügung gestellt bekommt. ben, was andere für sinnvoll halten oder denken, sondern auch wirklich zu schauen, wie das bislang umgesetzt Also, liebe FDP: Sie können keine Opposition, und da, wird. wo Sie in Verantwortung sind, versagen Sie leider gna- denlos. (Michael Theurer [FDP]: Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung!) (Zuruf von der FDP: Lächerlich!) (B) Der zweite Antrag, auf den ich mich jetzt in der Nacht Das tut mir weh für die Schüler, aber es ist leider so. (D) in aller Kürze beziehen will, betrifft KI und Schule. Auch Deswegen: Profilieren Sie sich gerne weiter in der Op- in diesem Antrag steht eine Menge, worüber man sich position. Wir werden Sie an Ihrem Handeln messen. Gedanken machen kann und muss. Deswegen finde ich Vielen Dank. es bedauerlich, wie wir mit solchen essenziellen Fragen wie dem Umgang mit den Daten von Schülern und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schülerinnen umgehen. Deswegen haben wir doch alle der CDU/CSU) gemeinschaftlich vor etwa fast genau einem Jahr eine Enquete-Kommission eingerichtet: um uns mit genau sol- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: chen Fragen interfraktionell auseinanderzusetzen und Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Kollegin Dr. Birke dem Gesetzgeber möglichst gute Empfehlungen zu ge- Bull-Bischoff, Fraktion Die Linke, hat ihre Rede zu Pro- ben. Ich finde, da hätte die FDP vielleicht mal an sich tokoll gegeben; hervorragend.1) halten und sich in diesen Prozess einreihen können, den wir ja gerade sehr intensiv begehen, und sie hätte sich erst Die Kollegin Margit Stumpp, Bündnis 90/Die Grünen, mal Gedanken machen sollen: Macht es eigentlich Sinn, ist die nächste Rednerin. so etwas in der Schule oder in anderen Bereichen anzu- wenden? Aber gut, Sie wollten sich, glaube ich, in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Opposition profilieren. Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann springe ich einfach mal von der Opposition zur Herr Präsident, man bekommt ja fast schon ein Regierungsarbeit der FDP. Ich wohne in Nordrhein-West- schlechtes Gewissen, wenn man nächtens hier spricht. falen; darüber bin ich ganz froh. Da gibt es die FDP in Zusammenarbeit innerhalb einer Koalition. (Zuruf von der CDU/CSU: Ah!) So sollte es eigentlich nicht sein im Parlamentarismus. (Zuruf) Sehr geehrter Herr Präsident! Noch anwesende Damen – Nein, andere Kriterien spielen eine Rolle dafür, weshalb und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der ich froh bin. – In Nordrhein-Westfalen regiert eine FDP! Ihr Antrag enthält ja wichtige und richtige Punkte. schwarz-gelbe Koalition. Da besetzt die FDP die Minis- Klare Standards für Software und Datenschutz, Aufklä- terien für Schule, Kinder, Familie, Wirtschaft und Digita- rung, zeitgemäße Lehrerbildung, europäische Clouds, les.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP) 1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14551

Margit Stumpp (A) verbindlicher Rechtsrahmen, Datensouveränität – alles zu stellen haben: Globalisierung, Digitalisierung, Hetero- (C) Essentials der Digitalisierung in Schulen, dringend not- genität, Inklusion. wendig, aber an sich nichts Neues. Und das ist der Punkt: Beim Lesen Ihres Antrags drängte sich mir zunehmend Gerade zu Letzterem, der Inklusion, verlieren Sie in der Eindruck auf, Digitalisierung – gestern in aller Mun- Ihrem Antrag übrigens keine Silbe. Dafür stehen Effi- de – reicht heute nicht mehr. Das neue Buzzword ist KI, zienzgewinne im Vordergrund. und deswegen muss KI diese Woche in jedem Antrag der Unser Bildungsverständnis ist ein grundlegend ande- FDP vorkommen, Sinnhaftigkeit second. res. Für gute Bildung und nicht nur dort gilt bei uns Grü- nen der Grundsatz: Natürliche Intelligenz first, KI se- Unter dem Schlagwort „Learning Analytics“ folgt die cond. FDP einem neoliberalen Gespenst namens Bildungsöko- nomie. Der Ansatz, durch Mechanisierung, Automatisie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung und Vereinheitlichung das Lernen effizienter zu ma- chen, ist uralt und immer wieder gescheitert. Das hat Gründe. Lernerfolg ist eben nicht ein Ergebnis automati- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: sierter Prozesse, und das Ziel von Lernen ist nicht Mess- Vielen Dank, Frau Kollegin Stumpp. Sie müssen kein barkeit. Es geht vielmehr um Persönlichkeitsentwicklung schlechtes Gewissen haben, wenn Sie hier reden. Das ist und Verständnis. in diesem Hause so üblich: dass man ohne Gewissen re- det. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit) Diese elementaren menschlichen Entwicklungs- und Lernprozesse werden mittels der schwachen KI kaum Die Kollegin Ronja Kemmer, CDU/CSU-Fraktion, die zu erfassen sein. Dazu müssten Kinder ständig elektro- Kollegin Marja-Liisa Völlers, SPD-Fraktion, und die Kollegin Dr. Dietlind Tiemann, CDU/CSU-Fraktion, ha- nisch und vollüberwacht lernen. Chinesische Verhältnisse 1) im Klassenzimmer: Wollen Sie das wirklich? ben ihre Reden zu Protokoll gegeben. Lernerfolg ist abhängig von menschlichem Miteinan- Damit schließe ich die Aussprache. der im sozialen Raum, also vom Schul- und Lernklima. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Das ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, die als den Drucksachen 19/14033 und 19/14034 an die in der wesentliche Faktoren für gelingende Bildung die Bezie- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. hung zur Lehrkraft und in Deutschland leider immer noch Sind Sie mit den Überweisungsvorschlägen zu den Tages- die soziale Herkunft benennt. Das heißt, wir haben in ordnungspunkten 18 a und Zusatzpunkt 10 einverstan- (B) unserem Bildungssystem doch ganz andere und deutlich den? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann können wir so (D) wichtigere Herausforderungen als einen unzureichenden verfahren. Einsatz von KI. Tagesordnungspunkt 18 b. Wir kommen zur Be- Vielleicht meinen Sie aber doch nur Lernprogramme, schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- die beim Erreichen eines bestimmten Kenntnisstands das schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag nächste Level freischalten – sei es beim Vokabellernen der Fraktion der FDP mit dem Titel „Sichere Kryptogra- oder beim Bruchrechnen – und den Lernstand speichern. phieverfahren für Quantencomputer entwickeln“. Der Das ist keine schwache KI, das ist schlicht linear. Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/11758, den Antrag der Fraktion der FDP Aber selbst bei solchen digitalen Lernmitteln gibt es, auf Drucksache 19/4845 abzulehnen. Wer stimmt für die- auch wenn Sie etwas anderes suggerieren, international se Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse darüber, enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung ge- ob und unter welchen Umständen der Einsatz zu besse- gen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Fraktionen rem Lernerfolg führt. Forschung zu Einsatz und Ergeb- AfD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke mit den Stimmen nissen von Learning Analytics fehlt ganz. Hochwertige von CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen. Trainingsdaten und Transparenz der Algorithmen? Fehl- anzeige! Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b sowie Zusatzpunkt 11 auf: Bei jeglicher Forschung und jeglichen Standards wol- len Sie Learning Analytics umgehend etablieren. Damit 17 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung bleiben Sie Ihrer Linie treu, jetzt halt: KI first, Digitali- eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- sierung second, Standards third, Bedenken fourth or fifth zes zur Änderung des Waffengesetzes und or whatever. Die Reihenfolge ist im Grundsatz verkehrt, weiterer Vorschriften (Drittes Waffen- im Hinblick auf Bildungs- und Zukunftschancen von Kin- rechtsänderungsgesetz – 3. WaffRÄndG) dern geradezu ein Frevel. Drucksache 19/13839 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Dabei ist offensichtlich: Damit Schulen bessere Bil- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz dungsergebnisse erzielen, müssen wir zuerst die Lernbe- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft dingungen verbessern und vor allem die Lehrenden stär- Verteidigungsausschuss ken. Das ist den vielen Herausforderungen geschuldet, denen sich Lehrkräfte in unserer modernen Gesellschaft 1) Anlage 8 14552 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten pflichten für Waffen oder auch für wesentliche Bestand- (C) Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, teile von Waffen erweitert. Wir sind gerade dabei, mit den Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeord- Ländern ein Nationales Waffenregister II zu schaffen, in neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE das diese Kennzeichnungen und Dokumentationen ent- GRÜNEN sprechend aufgenommen werden. Daneben geht es da- rum, dass wir beispielsweise bestimmte Magazingrößen Tödliche Gefahr durch Schusswaffen ein- verbieten – auch in Umsetzung der EU-Feuerwaffenricht- dämmen linie –, wenn deren Benutzung nicht erforderlich ist zur Drucksache 19/14092 Jagd oder auch zum sportlichen Schießen.

Überweisungsvorschlag: Ein weiterer wichtiger Punkt sind Bereiche, in denen Ausschuss für Inneres und Heimat (f) sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass Waffen in Sportausschuss falsche Hände geraten. Dazu gehört beispielsweise, dass ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten ursprünglich erlaubnisfreie Salutwaffen umgebaut wer- Konstantin Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios den. Wir regeln dies derart, dass erlaubnisfreie Salutwaf- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- fen in Zukunft entweder erlaubnispflichtig oder auch in tion der FDP Teilen verboten werden. Darüber hinaus führen wir für bisher erlaubnisfreie sogenannte Dekowaffen eine Regis- Freiräume für Jäger und Sportschützen – Für trier- und Kennzeichnungspflicht ein. eine schonende Umsetzung der EU-Feuerwaf- fenrichtlinie Ein sehr wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht, dass es uns mit den gefundenen gesetzlichen Regelungen gelun- Drucksache 19/14035 gen ist, für die betroffenen Schützen, insbesondere die Überweisungsvorschlag: Sportschützen, sehr verträgliche Lösungen zu schaffen, Ausschuss für Inneres und Heimat (f) was den Nachweis des Bedürfnisses anbelangt. Wir haben Sportausschuss festgelegt, dass jemand, der zehn Jahre aktives Mitglied Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die in einem Schützenverein ist und damit auch deutlich unter Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Beweis gestellt hat, dass er nachhaltig dem Schützensport Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. nachgeht, dann außen vor ist, was die Bedürfnisprüfung anbelangt. Ich erachte dies als einen sehr wichtigen Fort- Ich bitte, tatsächlich jetzt die Wiedersehensfeierlich- schritt, gerade auch gegenüber den fast 2 Millionen Sport- keiten einzustellen. – Das gilt auch für die SPD, freund- schützinnen und Sportschützen in Deutschland. licherweise. (B) (D) Ich eröffne also die Aussprache und erteile zunächst für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Bundesregierung Herrn Parlamentarischen Staatssek- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir nehmen retär Stephan Mayer das Wort. an bestimmten Stellen auch Entbürokratisierungsmaß- nahmen vor. Beispielsweise schaffen wir Rechtsklarheit (Beifall bei der CDU/CSU) dahin gehend, dass Schalldämpfer erlaubnisfrei erworben und besessen werden dürfen, also ohne zusätzliche, ge- Stephan Mayer, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- sonderte Erlaubnis. Auch was die Ausreichung von nister des Innern, für Bau und Heimat: Nachtsichtgeräten anbelangt – insbesondere zur Beja- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- gung des Schwarzwildes und zur Bekämpfung der Afri- nen! Sehr geehrte Kollegen! Die Bundesregierung hat kanischen Schweinepest –, wird es in Zukunft waffen- Ihnen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Waf- rechtlich erleichtert, diese dann auch für die jagdliche fengesetzes vorgelegt. Mit diesem Gesetzentwurf setzen Benutzung zu verwenden. wir insbesondere die EU-Feuerwaffenrichtlinie aus dem Jahr 2017 um. Diese EU-Feuerwaffenrichtlinie ist ent- Ein dritter Punkt im Bereich Entbürokratisierung ist, standen im Lichte der schrecklichen Terroranschläge ins- dass wir die Händler und auch die Hersteller von Waffen besondere in Paris und in Brüssel. Mit diesem Gesetzent- von dem teilweise sehr komplizierten Führen von Waf- wurf nehmen wir eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU- fenbüchern entbinden. Dieses händische Führen der Waf- Feuerwaffenrichtlinie vor. fenbücher wird in Zukunft durch die elektronische Ein- gabe in das von mir schon erwähnte Nationale Um eines klar zum Ausdruck zu bringen: Dieser Ge- Waffenregister digital ersetzt. setzentwurf zur dritten Novelle des Waffengesetzes rich- tet sich schwerpunktmäßig gegen Terroristen, schwer- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich punktmäßig gegen Kriminelle; es soll die illegale bin der Überzeugung, dass dieser Gesetzentwurf insge- Beschaffung von Waffen deutlich erschwert werden. Die- samt eine ausgewogene Lösung ist. Ich weiß, dass es an ser Gesetzentwurf richtet sich nicht gegen Legalwaffen- der einen oder anderen Stelle insbesondere im Bereich besitzer, insbesondere nicht gegen unbescholtene der Betroffenenkreise die Befürchtung gibt, dass wir die Schützen, Jäger, Waffensammler, Waffenhändler. Schützen und Jäger über Gebühr traktieren und drangsa- lieren. Wir nehmen selektiv Verschärfungen am Waffengesetz vor, beispielsweise um es den Sicherheitsbehörden zu Ich möchte aber abschließend noch einmal darauf hin- erleichtern, den Lebenszyklus einer Waffe besser nach- weisen: Wir sind aus meiner Sicht trotz des Umstandes, zuvollziehen. Deshalb werden die Kennzeichnungs- dass das deutsche Waffenrecht heute schon eines der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14553

Parl. Staatssekretär Stephan Mayer (A) schärfsten Waffenrechte in Europa ist, verpflichtet, noch halb wird sich meine Fraktion dem entschlossen (C) mehr dafür zu tun, um zu verhindern, dass Waffen in entgegenstellen. falsche Hände geraten, insbesondere dass Terroristen oder Hochkriminelle sich auf relativ einfachem Weg ille- (Beifall bei der AfD) gal Waffen beschaffen können. Sie wollen den illegalen Zugang zu Schusswaffen und Ich bin der festen Überzeugung, dieser Gesetzentwurf die Nutzung legaler Schusswaffen für Terroranschläge ist wohlaustariert. Er kann an der einen oder anderen erschweren. Genau das werden Sie aber nicht erreichen; Stelle natürlich noch verbessert werden. Das obliegt jetzt denn Terroristen lassen sich von keinem noch so scharfen dem Parlament. Ich darf die Kolleginnen und Kollegen Waffengesetz davon abhalten, sich Waffen illegal zu be- abschließend aber ganz herzlich bitten, diese Verhandlun- schaffen oder selbst herzustellen. Auch der Täter von gen, diese Gespräche zeitnah zu führen, weil wir insbe- Halle hat ja die bei der Tat eingesetzten Waffen selbst sondere, was die Vorgaben der Umsetzung der EU-Feuer- gebaut. Damit ist doch bewiesen: Ihre Waffenrechtsver- waffenrichtlinie anbelangt, hier auch unter gewissen schärfungen hätten Halle nicht verhindert. Stattdessen zeitlichen Vorgaben stehen. Ich freue mich auf intensive, trifft es rechtstreue Sportschützen und andere Legalwaf- seriöse und detailreiche, aber hoffentlich dann auch zeit- fenbesitzer, und das tragen wir nicht mit. nahe Verhandlungen gemeinsam mit dem Parlament. (Beifall bei der AfD) Danke für die Aufmerksamkeit. Auf aktuelle Herausforderungen wie den illegalen Waffenhandel über das Darknet oder 3-D-Drucker zur (Beifall bei der CDU/CSU) Eigenproduktion von Schusswaffen hat Ihr Entwurf keine Antwort. Stattdessen enthält er Regelungen, die keinerlei Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sicherheitsgewinn bringen, aber mit einem hohem Kos- Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist ten- und Verwaltungsaufwand verbunden sind, und trotz der Kollege Martin Hess, AfD-Fraktion. Überregulierung erzielen Sie keine Rechtssicherheit. Sol- che Regelungen sind nicht nur nutzlos, sondern gängeln (Beifall bei der AfD) auch unsere ohnehin schon am stärksten kontrollierten und gesetzestreuen Sportschützen. Martin Hess (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Ich will das an zwei Beispielen klarmachen: Sie haben Herren! Wir haben in Deutschland sehr strenge waffen- bereits in der Vergangenheit wiederholt die Bedürfnisprü- rechtliche Bestimmungen. Dennoch gelingt es Extremis- fung verschärft. Jetzt müssen Legalwaffenbesitzer eine ten und Terroristen, Anschläge mit illegalen Schusswaf- abermals verschärfte Bedürfnisprüfung über sich ergehen (B) (D) fen zu begehen. lassen – und das wesentlich häufiger als früher. Das stellt einen Generalverdacht gegenüber 3 Millionen Sport- (Zuruf von der AfD: So ist es!) schützen dar, und das ist mit uns nicht zu machen. Dies liegt ganz einfach daran, dass sich solche Subjekte (Beifall bei der AfD) nicht an geltendes Recht halten. Deshalb ist eines klar: Unser Problem ist nicht ein zu laxes Waffengesetz; unser Sie erklären Magazine ab einer bestimmten Ladekapa- Problem ist, dass in unserem Land Terroristen und Extre- zität kurzerhand zu verbotenen Gegenständen. Dabei misten und der illegale Waffenhandel immer noch nicht schaffen Sie aber weder Ausnahmeregelungen für inter- effektiv bekämpft werden. national anerkannte Sportdisziplinen noch sorgen Sie für besitzerfreundliche Regelungen für Magazine, die sich in (Beifall bei der AfD) Kurz- und Langwaffen verwenden lassen. So geraten Die Verantwortung hierfür tragen alleine Sie, die Alt- Sportschützen in die Situation, sich strafbar zu machen, parteien. Sie sind es, die im Bund und in den Ländern Ihre wenn sie ein legal erworbenes Magazin in einer legalen Sicherheitspolitik umsetzen. Waffe benutzen. Wir nennen das Kriminalisierung von rechtstreuen Bürgern, und das lassen wir nicht zu. (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der AfD) Die Verantwortlichkeit für dieses massive Versagen in der Terror- und Extremismusbekämpfung allen Ernstes der Beide Vorgaben der EU-Feuerwaffenrichtlinie, auf die AfD in die Schuhe schieben zu wollen, wie Sie das heute ich mich gerade bezogen habe, sind in anderen EU-Staa- in Bezug auf das Verbrechen in Halle ohne Unterlass ge- ten im Sinne und Interesse der Waffenbesitzer umgesetzt tan haben, das ist nicht nur wahrheitswidrig, es ist nieder- worden. Sie hingegen haben den Gesetzentwurf wesent- trächtig und es ist schäbig. lich restriktiver ausgelegt, als Sie das müssten, und damit stellen Sie für jeden klar und erkennbar Ihr Misstrauen (Beifall bei der AfD) gegenüber gesetzestreuen Bürgern dar, womit Sie diese in Fakt ist: Wir müssen Terroristen und Extremisten ef- die Nähe von Extremisten und Terroristen stellen. So fektiv bekämpfen. Dies darf aber nicht zu blindem Ak- kann und darf man nicht mit Sportschützen umgehen. tionismus führen. Wir dürfen vor allem keine Gesetzes- Und deshalb: Schluss mit dieser Verbotskultur! änderungen beschließen, die keinerlei Sicherheitsgewinn bringen, aber unbescholtene Bürger massiv in ihren Frei- (Beifall bei der AfD) heitsrechten beeinträchtigen. Genau das tut die Bundes- Wer wirklich Sicherheit schaffen will, der sorgt dafür, regierung mit ihrem Gesetzentwurf aber, und genau des- dass endlich effektive Maßnahmen gegen Terroristen und 14554 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Martin Hess (A) Extremisten getroffen werden, der verhindert, dass Ter- kann. Diese sind aber klug genug, auf einen solchen He- (C) rorkämpfer nach Deutschland zurückkehren, die an voll- rold gerne zu verzichten. automatischen Waffen ausgebildet wurden und Menschen ermordet haben, der sorgt endlich für eine Bundeszustän- (Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD) digkeit bei der Terrorbekämpfung und der wendet den Sie haben eben wieder – und Sie entblöden sich ja Gefährdergewahrsam konsequent an, um diese tickenden nicht, das jedes Mal zu machen – die Altparteien ange- Zeitbomben zu entschärfen. Das wäre ein wirklicher Si- klagt und dargestellt, wir würden mit einer Verschärfung cherheitsgewinn. Sie sind aber offensichtlich nicht wil- des Waffenrechts die falschen Maßnahmen einleiten. Ich lens, die tatsächlichen Sicherheitsprobleme in unserem sage Ihnen mal, was hier eine sinnvolle Maßnahme Ihrer- Land zu lösen. seits wäre, um Extremismus und Gewalttaten von rechts- radikalen Bürgern dieses Landes zu minimieren: Ein Bei- Solange es in diesem Land möglich ist, dass islamische trag wäre, wenn Sie solche Reden wie die, die Sie eben Hochzeitskorsos, bei denen mit großkalibrigen Waffen gehalten haben, künftig nicht mehr halten würden. Ein geschossen wird, durch die Gegend fahren, ohne dass anderer Beitrag wäre, wenn Sie Herrn Brandner, Vorsit- der Staat dies unterbindet, so lange sind Verschärfungen zender des Rechtsausschusses in diesem Bundestag, nach des Waffenrechts, die nur rechtstreue Bürger betreffen, seinem unsäglichen Tweet nach Halle aus Ihrer Fraktion der blanke Hohn. und Partei ausschließen würden. Das wäre ein Beitrag (Beifall bei der AfD) gegen Extremismus und Gewalt in diesem Land. Um es kurz und knapp zu fassen: Bekämpfen Sie end- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich effektiv Antisemitismus und Terrorismus in Deutsch- der CDU/CSU – Martin Hess [AfD]: Ich lasse land, und hören Sie auf, Sportschützen, Waffensammler mir von Ihnen die Kritik an der Regierung nicht und Jäger zu drangsalieren! verbieten!) Abschließend noch einige Sätze zum Antrag der Grü- Ich halte es für richtig, ernsthaft und mit Nüchternheit nen: Nach Ihrem Krieg gegen die Autofahrer scheinen sowie Ehrlichkeit über die Hintergründe dieses Waffen- jetzt die Sportschützen an der Reihe zu sein. Ihr Ziel ist gesetzes zu sprechen. Es gibt eine Vorgabe durch die EU- ganz offensichtlich einzig und allein die Vernichtung der Waffenrichtlinie. Diese gebietet uns, im Lichte – nein, ich Schützentradition in Deutschland. muss sagen: im Schatten – der schrecklichen Ereignisse von Paris Verschärfungen vorzunehmen; Herr Mayer hat das eben schon umfassend geschildert. Wir können auch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: nicht einfach herumstehen. Es ist überfällig, dass wir han- Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. (B) deln. (D) Martin Hess (AfD): Gleichzeitig – und das meine ich eben mit einer Nicht- Ich kann Ihnen aber versichern: Damit werden Sie ge- instrumentalisierung – dürfen wir keinen Generalver- nauso scheitern wie mit Ihrem Tempolimit von 130 auf dacht gegenüber Sportschützen, Jägern und Waffen- Autobahnen. sammlern erheben, und genau das tun wir auch nicht. Wir wägen genau ab, auch in Bezug auf das jeweilige (Beifall bei der AfD) Bedürfnis, und sorgen dafür, dass die Praktikabilität des Sportschützentums, des Jagens und des Sammelns nicht Vizepräsident Wolfgang Kubicki: maßlos eingeschränkt wird, und gleichzeitig bedenken wir, dass wir der Sicherheit gerecht werden müssen. Ge- Vielen Dank. – Als Nächster hat das Wort erneut der rade bei so einem sensiblen Thema wie Waffen gilt: in Kollege Helge Lindh, SPD-Fraktion. dubio pro securitate. (Beifall bei der SPD) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Oh!) Helge Lindh (SPD): Wir müssen im Zweifel die Sicherheit ins Zentrum stel- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich len. muss Ihnen fast danken, Herr Hess; denn Sie haben ge- Nach dem, was wir im Zusammenhang mit Walter zeigt, dass eine Grundlinie meiner Ausführungen richtig Lübcke erlebt haben, und nach der Situation, die wir jetzt ist. in Halle erlebt haben – ein randvoll mit Waffen und (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Donnerwetter!) Sprengstoff beladener Wagen –, kann doch wirklich nie- mand ernsthaft davon sprechen, dass es keinen Bedarf Ich wollte nämlich ins Zentrum meiner Rede stellen – und gibt, beim Waffenrecht Verschärfungen vorzunehmen. das werde ich auch tun –, dass wir ernsthaft mit dieser Wer das tut, handelt fahrlässig. Thematik umgehen müssen und dass es wichtig ist, dass wir es endlich schaffen, von jeder Form der Instrumenta- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lisierung abzusehen und dem Thema gerecht zu werden, Wir müssen uns auch fragen – da schließe ich uns alle gerade angesichts der Ereignisse der letzten Monate. Sie ein –, ob wir in der Vergangenheit vielleicht nicht schon dagegen haben ein blendendes Beispiel dafür abgegeben, früher hätten handeln müssen. Das entlässt uns aber nicht auf welche infame Weise man dieses Thema instrumenta- aus der Pflicht, jetzt zu handeln. lisieren kann und dass man sich auf schäbigste Art und Weise als Herold von Jägern und Sportschützen darstellen (Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14555

Helge Lindh (A) – Herr Hess, auch wenn Sie noch so schreien, wird diese Vielen Dank. (C) Wirklichkeit dadurch nicht geleugnet werden. – Es gibt so etwas wie ein „Vetorecht der Wirklichkeit“, und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieser Wirklichkeit sind wir verpflichtet. der CDU/CSU) Deshalb ist es richtig und notwendig, dass wir auch Dinge wie die Regelabfrage werden umsetzen müssen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Es ist eine dringende Notwendigkeit, dass Menschen, Vielen Dank. – Als Nächster hat nun das Wort der die verfassungsrechtlich auffällig sind und beobachtet Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion. werden, keinen Zugang zu Waffen haben. Das dient (Beifall bei der FDP) dem Schutz der gesamten Bevölkerung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Konstantin Kuhle (FDP): Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ver- GRÜNEN]) gangenen Woche hat ein schrecklicher antisemitischer Deshalb halte ich es für sehr richtig, dass die Justizminis- und rechtsextremer Terroranschlag in Halle an der Saale terin eine Rückwirkung anstrebt. Es kann nicht sein, dass in Sachsen-Anhalt stattgefunden. Die Gründe, warum bei Extremisten in diesem Land, zum Beispiel Reichsbürger diesem Anschlag nicht mehr Menschen zu Tode gekom- und andere, massenhaft Waffen sammeln. Das ist nicht im men oder verletzt worden sind, sind die Stabilität der Sinne des Gesetzgebers, und das ist auch nicht im Sinne Synagogentür, aber auch die Strenge des deutschen Waf- von Sportschützen, Jägern und Sammlern, die aufrechte fenrechtes gewesen. Deswegen ist es richtig, dass das Bürger sind. deutsche Waffenrecht streng ist. Das deutsche Waffen- recht muss auch streng bleiben, und wir sollten uns in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) diesem Hause einig sein, dass gefährliche Schusswaffen Deswegen werden wir jetzt im Laufe des Gesetzge- nicht in die Hände gewaltbereiter Extremisten gehören. bungsverfahrens alles Notwendige in Bezug auf die Re- gelabfrage, auf Fragen zu erhöhter Sicherheit, zu der Ein- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dämmung illegaler Waffen und zu der Umwandlung von der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des Dekowaffen und legalen Waffen in gefährliche, illegale BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Waffen angehen und diese Umwandlung beschränken. Dazu muss man aber sagen: Wenn jemand die freiheit- Gleichzeitig sprechen wir keinen Generalverdacht gegen- lich-demokratische Grundordnung ablehnt, dann ist es über Sportschützen aus. Wir achten darauf, dass die Um- nach geltendem Waffenrecht heute schon möglich, ihm (B) setzung des Bedürfnisnachweises – und genau das wird entweder gar keine waffenrechtliche Erlaubnis zu geben (D) geschehen – verhältnismäßig und auch praktikabel er- oder ihm die waffenrechtliche Erlaubnis zu entziehen. folgt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von Herr Mayer, Sie haben ja noch mal dazu aufgefordert, der AfD: Sehr richtig!) dass wir im Verfahren noch Verbesserungen erreichen. Zum Beispiel müssen wir auch in Bezug auf das Jagen Es ist schon heute so, dass der Großteil der Gefahr von mit Nachtsichtgeräten – mein Kollege Post und ich sind illegalen Schusswaffen und nicht von den Besitzerinnen da in engen Gesprächen – Vernunft walten lassen und und Besitzern legaler Waffen ausgeht. Deswegen muss kluge Regelungen finden. Ein anderes Beispiel ist die man sehr genau darauf achten, dass eine Gesetzesver- Situation der Sachverständigen; denn wir brauchen aus schärfung, die jetzt von der SPD im Ausschussverfahren unserer Sicht dringend mehr Schießstandsachverständige vorgeschlagen wird, am Ende nicht dazu führt, dass die- in diesem Land. jenigen, die dafür bezahlen müssen, die Sportschützen, die Jäger und die übrigen Waffenbesitzer sind, die legal (Konstantin Kuhle [FDP]: Das stimmt!) über Waffen verfügen. Sie dürfen durch diese Gesetzes- Da wir erlebt haben, dass in Paris – damit komme ich initiative nicht unter Generalverdacht gestellt werden – zum Schluss meiner Ausführungen – aus einer Dekowaf- auch nicht, nachdem diese Intitiative im Ausschuss be- fe eine Mordwaffe wurde, und da wir erlebt haben, dass in handelt wurde. München Ähnliches mit einer Theaterwaffe geschah – ich sehe die Mordtat im OEZ in München in einer Linie mit (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei anderen Taten, die wir schrecklicherweise miterleben Abgeordneten der CDU/CSU) mussten –, gebietet es die Verantwortung für uns alle, Lieber Staatssekretär Mayer, Sie haben ja dargestellt, gerade in Fragen des Waffenrechtes nicht die eine gegen dass der Gesetzentwurf nicht perfekt ist und dass wir im die andere Gruppe auszuspielen, wie es die AfD macht, Ausschuss noch die eine oder andere Änderung daran und sich nicht als vermeintliche Verteidiger von Sport- vornehmen können. Was ich aber nicht akzeptiere, ist, schützen zu gebärden, sondern im Sinne genau dieser dass Sie sagen, dass wir uns damit beeilen müssen; denn Legalwaffenbesitzer dafür zu sorgen, dass die Waffen die Umsetzungsfrist der EU-Feuerwaffenrichtlinie ist nicht in die falschen Hände kommen. Es kann nicht sein, schon Ende letzten Jahres ausgelaufen. Wenn Sie den Ge- dass wir es zulassen, dass sich hier Extremisten munitio- setzentwurf schneller vorgelegt hätten, dann könnten wir nieren; denn die sind mit der rechtsradikalen Propaganda, im Ausschussverfahren auch sorgfältiger sein. die ich mir auch heute in diesem Haus wieder viel zu oft anhören musste, schon genug munitioniert. (Beifall bei der FDP) 14556 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Konstantin Kuhle (A) Dass jetzt das Parlament ausbaden soll, dass die Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) regierung hier über Gebühr umsetzt, ist nicht zu akzep- tieren. Deswegen werden wir uns bemühen, das Ganze Auch die Innenministerkonferenz hat ja längst erkannt, sorgfältig zu machen. dass wir eine gesetzliche Grundlage brauchen, mit der dafür gesorgt wird, dass schon allein die Mitgliedschaft (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung zur waffen- der AfD) rechtlichen Unzuverlässigkeit führt. In der Vorlage der Bundesregierung, über die wir heute sprechen, findet sich Warum wird bei der Bedürfnisprüfung eine Schippe dazu aber leider nichts. Dabei ist doch lange bekannt, dass draufgelegt, die die EU-Feuerwaffenrichtlinie nicht ver- insbesondere viele Personen aus dem sogenannten langt? Warum wird Chaos bei den Magazingrößen ge- Reichsbürgerspektrum – das ist ja hier auch schon ange- schaffen? Warum wird Chaos bei den Magazinteilen ge- klungen – ganz legal über eine erhebliche Zahl scharfer schaffen? Warum werden die Umsetzungsspielräume, die Schusswaffen verfügen. wir haben, bei den Waffensammlern, bei den Waffen- händlern nicht genutzt? Warum verpassen Sie die Chan- Das wurde ja nicht zuletzt durch die tödlichen Schüsse ce, beim Nationalen Waffenregister für eine Vereinfa- eines Reichsbürgers auf einen Polizisten in Georgensg- chung und für eine Digitalisierung zu sorgen? Das münd besonders deutlich, und auch Markus H., der der wären wirkliche Schritte, die dazu führen würden, dass Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke verdächtigt wird, man diese EU-Feuerwaffenrichtlinie eins zu eins umsetzt soll laut Presseberichten eine Waffenbesitzkarte gehabt und nicht eine Schippe drauflegt, wie es die Bundesregie- haben. Auch aus dem NSU-Kontext wissen wir, dass rung mit diesem Gesetzentwurf leider macht. zahlreiche Rechtsextremisten ganz legal Schusswaffen besitzen. Wir sehen also: Das bisherige System funktio- (Manuel Höferlin [FDP]: Wieder mal!) niert nicht. Das müssen wir dringend ändern. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns daran arbei- ten, dass Extremisten nicht in den Besitz von Schusswaf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fen kommen. Lassen Sie uns die Kommunikation zwi- Die Erkenntnisse über die hohe Waffenaffinität in der schen dem Verfassungsschutz und der Waffenbehörde rechten Szene machen diese, aber auch weitere Korrekt- verbessern. Aber lassen Sie uns nicht diejenigen dafür uren am deutschen Waffenrecht besonders dringend. Da- bezahlen und unter Generalverdacht stellen, die redlicher- zu haben wir in unserem Antrag ja auch Vorschläge ge- weise als rechtschaffene Bürger – weil es ihr Beruf ist, macht. So muss zum Beispiel die Möglichkeit, den weil es ihr Ehrenamt ist, weil sie eine besondere Prüfung Zugang zu Waffen und Munition im Rahmen einer Ver- gemacht haben – im Besitz legaler Schusswaffen sind. urteilung konsequent einzuschränken, verstärkt in den (B) Das wäre genau der falsche Weg, und das wäre ein fal- Blick genommen werden. (D) sches Signal. So ist dieser Gesetzentwurf deswegen nicht zustimmungsfähig. Auch die eben von mir genannten Vorschläge zur Zu- verlässigkeitsprüfung sollten aufgegriffen werden; denn – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten jetzt mal im Ernst – wir reden hier im Zusammenhang mit der AfD) Sportschützen ja nicht über Bälle oder Tennisschläger, sondern über im Kern tödliche Werkzeuge, meine Damen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und Herren. Herzlichen Dank, Herr Kollege Kuhle. – Die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke, hat ihre Rede zu Proto- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1) koll gegeben. Deswegen besteht hier ja auch Handlungsbedarf. Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Darüber hinaus muss die Bundesregierung endlich den Dr. Irene Mihalic. Mut finden, bei Schusswaffengewalt auch statistisch ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nauer hinzuschauen. Als einzige Statistik in diesem Be- reich erfasst die Polizeiliche Kriminalstatistik nur, ob bei Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einer Straftat mit einer Waffe gedroht oder mit einer Waf- fe geschossen worden ist. Nicht mal die Zahl der Opfer Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- wird staatlicherseits gezählt. Deswegen brauchen wir be Kollegen! Es wird immer wieder gesagt, dass Deutsch- endlich eine valide Opferstatistik. land eines der schärfsten Waffengesetze überhaupt habe. Aber was nützt denn das schärfste Waffenrecht, wenn es Wir wollen aber auch wissen, was für Waffen für wel- uns eben nicht davor schützt, dass Waffen in die falschen che Straftaten verwendet werden – und möglichst auch, Hände gelangen? Der Gesetzentwurf der Bundesregie- woher diese Waffen stammen. rung greift daher massiv zu kurz. Denn eines ist ja ganz klar: Sie können schon lange niemandem mehr erklären, (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Messer zum Beispiel!) weshalb es nicht längst gängige Praxis ist, dass Waffen- Das wäre der richtige Ansatz, damit wir bei nächster Ge- behörden Erkenntnisse des Verfassungsschutzes so be- legenheit über ein Waffenrechtsänderungsgesetz spre- rücksichtigen können, dass sich das gesamte gewaltberei- chen können, das tatsächlich mehr für die Sicherheit aller te rechte Spektrum eben nicht legal bewaffnen kann. Menschen in diesem Land leistet.

1) Anlage 9 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14557

Dr. Irene Mihalic (A) Die jetzt vorgenommene Umsetzung der EU-Feuer- Kerstin Kassner (DIE LINKE): (C) waffenrichtlinie leistet höchstens einen sehr kleinen Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Schritt in diese Richtung, und selbst dabei stand die Bun- gen! Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst desregierung in der Europäischen Union bisher hart auf heißt Rekommunalisierung. der Bremse. Ich will an dieser Stelle nur mal daran er- innern, dass wir einen Vorschlag der EU-Kommission aus (Bernhard Daldrup [SPD]: Oh! – Dr. Marie- 2006 hatten, der deutlich schärfer war. Deswegen rate ich Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das Ge- hier strengstens davon ab, die nun endlich vorgelegte spenst fängt mit „K“ an und hört mit „R“ auf! – Umsetzung noch weiter zu verwässern. Michael Theurer [FDP]: Was ist das?) Wir brauchen nicht das vermeintlich schärfste Waffen- Die Zeit von Neoliberalismus statt Gemeinsinn und ge- recht, sondern ein Waffenrecht, das tatsächlich dort rest- meinschaftlicher Verantwortung ist wohl vorbei. riktiv wirkt, wo es gilt, sich erheblichen Gefahren entge- (Beifall bei der LINKEN – Michael Theurer genzustellen. Es ist daher dringend nötig, dass man auch [FDP]: Quatsch! – Dr. Marie-Agnes Strack- diesen Gesetzentwurf auf seine Praxistauglichkeit hin Zimmermann [FDP]: Das ist Geschwätz!) prüft, und deswegen möchte ich mich schon jetzt dafür aussprechen, dass wir im Innenausschuss eine Experte- Starke Kommunen gibt es nur, wenn von den Verant- nanhörung zu diesem Thema machen. Ich hoffe auf kon- wortlichen vor Ort auch über etwas entschieden werden struktive Beratungen in der Sache. kann. Die Daseinsvorsorge gehört aus meiner Sicht in die öffentliche Hand und damit unter demokratische Kontrol- Ganz herzlichen Dank. le. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Ob unsere Gesellschaft funktioniert, entscheidet am Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ende das kommunale Handeln. Dafür haben wir in den Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Marc vergangenen Jahren wiederholt zahlreiche Beweise ge- Henrichmann, CDU/CSU-Fraktion, und der Kollege sammelt. So waren es etwa die Kommunen, die im Axel Müller, ebenfalls CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Jahr 2015 in erster Linie die Aufnahme und Versorgung Reden zu Protokoll gegeben.1) der Geflüchteten organisiert haben. Damit schließe ich die Aussprache. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das hat damit nichts zu tun!) (B) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (D) den Drucksachen 19/13839, 19/14092 und 19/14035 an Auch findet die Bewältigung der Strukturkrisen durch die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Deindustrialisierung – nicht nur, aber vor allem auch im schlagen. Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen Osten – vor Ort statt. einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be- Nach einer langen Zeit der finanziellen Ausblutung schlossen. vieler Kommunen, was zum Verlust öffentlichen Eigen- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: tums wie auch zahlreicher Fachkräfte führte, ist es nun wirklich Zeit, umzudenken. Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Kassner, Heidrun Bluhm-Förster, Caren Lay, wei- (Beifall bei der LINKEN) terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Privatisierung und öffentlich-private Partnerschaften brachten bei Weitem nicht die gewünschten und verspro- Kommunen fördern und Rekommunalisie- chenen Lösungen der kommunalen Probleme. Die Nega- rung unterstützen tivbeispiele sind so zahlreich wie bedrückend. Drucksache 19/10755 Ich erinnere nur an den Verkauf des gesamten Woh- Überweisungsvorschlag: nungsbestandes in Dresden im Jahre 2006. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (f) Ausschuss für Inneres und Heimat (Bijan Djir-Sarai [FDP]: Das war doch die Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Kommune, oder nicht?) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die – Natürlich war es die Kommune. Aber warum? Weil sie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen finanziell so schlecht dastand, dass sie nach Wegen zur Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Lösung gesucht hat. (Bijan Djir-Sarai [FDP]: Deren Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für die Verantwortung!) Fraktion Die Linke der Kollegin Kerstin Kassner das Wort. Heute konstatiert die Stadt Dresden, dass sie mit der nun nicht mehr vorhandenen Möglichkeit, kommunal zu (Beifall bei der LINKEN) steuern und zu lenken, ein riesiges Problem hat. Und was hat die Stadt Dresden machen müssen? Sie hat eine 1) Anlage 9 neue Wohnungsgesellschaft gegründet. 14558 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Kerstin Kassner (A) Ein anderes Beispiel ist die in der Nähe meines Wahl- Wir sind gegen die Bevormundung von oben. Vor Ort (C) kreises gelegene Stadt Rostock, die größte Stadt Meck- weiß man am besten, wie man Projekte zielführend um- lenburg-Vorpommerns. Dort wurde in den 90er-Jahren setzt. Das müssen wir hier im Bund nicht regeln. Und die Wasserwirtschaft privatisiert. Das hat dazu geführt, glauben Sie: Vor Ort wünscht man sich, dass wir hier in dass sich Bürgerinitiativen gegründet haben, dass es eine Berlin nicht alles regeln. – Haben wir den Mut, den Men- große Bewegung gab, diese Entwicklung wieder zurück- schen in den Kommunen mehr Freiheit zu geben! zudrehen. Am Ende ist es gelungen: In Rostock gibt es wieder eine kommunale Wasserwirtschaft. Das ist ein (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Erfolg. Unterstützung!) Meine Damen und Herren, mit der KfW und der Part- (Beifall bei der LINKEN) nerschaft Deutschland, PD, Berater der öffentlichen Hand In meiner Zeit als Landrätin habe ich es sehr schwer GmbH, haben die Kommunen starke Partner an ihrer gehabt, die erfolgte Privatisierung des „Rasenden Ro- Seite, die die Kommunen bei der Umsetzung realistischer lands“, unserer Kleinbahn auf der Insel Rügen, rückgän- Vorhaben unterstützen. Entgegen der Auffassung der Lin- gig zu machen. Aber mit Unterstützung des Landes ken reicht es nicht aus, zinsfreie Darlehen zur Verfügung Mecklenburg-Vorpommern ist uns das gelungen. Die zu stellen. Es geht darum, auch die Folgekosten im Blick Kleinbahn befindet sich wieder im Eigentum des Land- zu behalten. Das ignoriert die Linke in ihrem Antrag kom- kreises Vorpommern-Rügen und fährt und fährt, und das plett, und sie setzt die Kommunen damit einem extremen ist gut so. Finanzrisiko aus. (Beifall bei der LINKEN) (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Ach! Ein Quatsch!) Solche Beispiele wird es zukünftig, wenn wir das wol- len und unterstützen, viele geben, ganz einfach, weil wir Dies geht wiederum zulasten der dort lebenden Bürger- wollen, dass die Daseinsvorsorge organisiert wird. Und innen und Bürger. Wunsch und Wirklichkeit passen hier wer könnte das besser als die Kommunen vor Ort? eindeutig nicht zusammen. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, viel länger möchte Meine Güte! Du liebes bisschen!) ich mich eigentlich gar nicht mit diesem ideologisch mo- tivierten Antrag beschäftigen, Deshalb, denke ich, ist die Rekommunalisierung tatsäch- lich ein Gewinn für die Demokratie. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der größte Ideologe redet von Ideologie!) (B) Es gibt viele Möglichkeiten, sich hier zu beteiligen. Ich (D) rufe hiermit die Kommunen dazu auf, das zu tun, und wir aber ich muss doch noch mal zwei Dinge klarstellen: sollten das nach besten Kräften unterstützen. Wie und Ohne ÖPP-Vereinbarung wäre die im Antrag kritisierte welche Möglichkeiten es dafür gibt, darüber werden wir Maßnahme im Landkreis Offenbach möglicherweise in den Ausschüssen diskutieren. Ich freue mich darauf. nicht realisiert worden – mit dem Ergebnis einer schlechten Schulinfrastruktur. Dabei erweckt die Linke Vielen Dank. den Eindruck, die Mehrausgaben im Landkreis Offen- (Beifall bei der LINKEN) bach seien ausschließlich ÖPP-begründet. Das ist aber falsch. Mehrausgaben ergaben sich aus der in den letzten Jahren angestiegenen Umsatzsteuer, aus der Steigerung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der Nutzungsintensität, durch eine flächendeckende Ein- Vielen Dank, Frau Kollegin Kassner. – Als Nächstes führung von Ganztagsschulen und durch die Einrichtung hat das Wort der Kollege Eckhard Pols, CDU/CSU-Frak- zusätzlicher EDV-Räume sowie die hieraus resultieren- tion. den Folgekosten. Diese Kostensteigerungen wären auch (Beifall bei der CDU/CSU) bei einer Eigenerledigung ohne ÖPP-Maßnahme angefal- len. Da muss man, liebe Kolleginnen und Kollegen der Eckhard Pols (CDU/CSU): Linken, beim Anträgeschreiben auch mal ehrlich sein. Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Die Rolle der PD ist in Ihrem Antrag verzerrt darge- Damen und Herren! Man könnte sagen: „Täglich grüßt stellt. Die PD hält Kommunen nicht zu ÖPP-Maßnahmen das Murmeltier“. Es grüßt sicherlich nicht täglich, aber an, sondern berät über die Chancen und Risiken von ÖPP- regelmäßig. Mindestens einmal pro Legislaturperiode be- Projekten. fassen wir uns mit diesem Antrag der Linken, ohne dass er dadurch besser wird. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es gibt aber mehr Risiken!) Die Linke will den Kommunen die Form ihrer Auf- Dabei ist auch klar: Kann eine Kommune die Investition gabenerfüllung vorschreiben. Wir als Union nehmen aus eigener Kraft nicht leisten, ist ÖPP kein adäquater kommunale Selbstverwaltung ernst und wollen Hand- Ersatz. lungsoptionen eröffnen. Dort, wo kommunale Angebote zielführend sind, sollen diese geschützt werden. Wer aber Die PD ist das einzige deutschlandweit und auf allen auf private – genauer gesagt: partnerschaftliche – Auf- staatlichen Ebenen agierende Beratungsunternehmen der gabenerledigung setzt, soll ebenfalls Unterstützung be- öffentlichen Hand. Die PD berät die öffentliche Hand bei kommen. Vorhaben zu innovativer und nachhaltiger Infrastruktur Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14559

Eckhard Pols (A) sowie zur Modernisierung von Verwaltungsprozessen. erfolgen, sodass die ersten Standorte bereits jetzt, Mit- (C) Die PD erfüllt die Funktion einer öffentlichen Inhouse- te 2019, genutzt werden können. Beratungsgesellschaft für Bund, Land und insbesondere Kommunen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja der Hammer!) Meine Damen und Herren, nicht ohne Grund haben sich vor rund elf Jahren, als der Umwandlungsprozess Die Baumaßnahmen dürfen dabei natürlich die Einsatz- von ÖPP Deutschland zu PD lief, viele Kommunen zu fähigkeit der Feuerwehren zu keinem Zeitpunkt beein- einer Beteiligung entschlossen. Dabei ging es um mehr trächtigen. Wer nicht ganz weltfremd ist, der weiß, was als darum, die Inhouse-Fähigkeit herzustellen. Mit der PD das für eine Herausforderung ist und wie nötig externe spart man Zeit und Verwaltungsaufwand und stellt man professionelle Unterstützung ist. sicher, dass man von Spezialisten für die öffentlichen Be- Dies ist nur ein Beispiel von vielen, die ich nennen lange beraten wird, und das sind doch die entscheidenden könnte, meine Damen und Herren. Sie sehen, wie erfolg- Punkte. reich hier auf verschiedenen Ebenen zusammengearbeitet Kommunen werden bei der Erstellung von Ausschrei- wird. Daher ist Ihre Kritik hier völlig fehl am Platze. bungsunterlagen und durch die Begleitung des Vergabe- Vielen Dank. verfahrens professionell unterstützt. Auch die Durchfüh- rung von Abstimmungsworkshops, die Konzeption, (Beifall bei der CDU/CSU) Begleitung und Auswertung von Onlinebefragungen sind im Service enthalten und gehen weit über das hinaus, was Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die Linke der PD als Aufgabe unterstellt. Das zeigt mal Vielen Dank, Herr Kollege Pols. – Liebe Kolleginnen wieder eines, meine Damen und Herren: Die Linke ist und Kollegen, wir begrüßen den neuen Tag. Es ist weit von der Realität in unserem Lande entfernt. 0.00 Uhr, und damit hat für den neuen Tag als Erster (Zurufe von der LINKEN: Oh!) das Wort der Kollege Marc Bernhard von der AfD-Frak- tion. Es ist doch so: Viele Kommunalverwaltungen haben per- sonelle Engpässe und müssen solche Aufgabenbereiche (Beifall bei der AfD – Dr. Marie-Agnes Strack- ohnehin an private Planungsbüros auslagern. Zimmermann [FDP]: Geisterstunde! – Gegen- ruf des Abg. Michael Theurer [FDP]: Ein Ge- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: spenst geht um! – Gegenruf der Abg. Langweilig! Hatten wir schon!) Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das ist die echte Geisterstunde!) (B) Kommen wir also zum Abschluss von der Ideologie (D) auch mal zur Praxis: Marc Bernhard (AfD): (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Genau. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! 2001, Langweilig!) kurz bevor Gregor Gysi Berliner Wirtschaftssenator wur- Das Jüdische Museum Berlin möchte museumsbegleiten- de, hat er zu der Privatisierung bei den Wohnungsbauge- de Dienstleistungen kontinuierlich, wirtschaftlich und sellschaften gesagt: „Mit mir wird das gehen. Und die qualitativ verbessern. Die PD beriet das Jüdische Mu- PDS in Berlin hat sich schon länger entschieden, diesen seum Berlin dazu, ob diese Dienstleistungen für den künf- Weg zu gehen.“ Und in den zehn Jahren Ihrer direkten tigen Museumsbetrieb gebündelt in einer ÖPP-Service- oder indirekten Regierungsbeteiligung sind Sie diesen gesellschaft erbracht werden können. Die Vorteile liegen Weg auch konsequent gegangen. auf der Hand: Erhöhung der Servicequalität, Erzielen von Gleich noch im Jahr 2001 haben Sie durch den Verkauf Wirtschaftlichkeitsvorteilen, kontinuierliche Verbesse- der Wohnungsbaugesellschaft Gehag mit der Privatisie- rung der Serviceprozesse sowie der Servicesteuerung. – rung von 21 000 Wohnungen angefangen. 2004 wurden Das hätte man ohne die fachliche Beratung so nicht er- dann durch den Verkauf der nächsten Wohnungsbauge- reichen können. sellschaft, der GSW, weitere 64 000 Wohnungen priva- Ein weiteres innovatives PD-geleitete Projekt aus dem tisiert. Es wurde von Ihnen stillschweigend verscherbelt, ländlichen Raum möchte ich auch noch nennen. Die Ge- was das Zeug hält. meinde Stemwede ist mit etwa 165 Quadratkilometern (Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann Ausdehnung eine der größten Flächengemeinden in [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) Nordrhein-Westfalen. Zugleich gehört Stemwede zu den am dünnsten besiedelten Regionen des Landes. Um dem Insgesamt haben Sie in den Jahren 2001 bis 2011 rund Brandschutzbedarfsplan gerecht zu werden, hat die Ge- 150 000 Wohnungen allein hier in Berlin privatisiert. meinde ein Konzept für die zukünftige Unterbringung Im Übrigen ist Deutschland das einzige Land, das sei- von 13 Löschgruppen ihrer Einsatzfahrzeuge entwickelt. nen öffentlichen Wohnraum an Finanzinvestoren verkauft Aus wirtschaftlichen Gründen sollen einzelne Lösch- hat, und Sie von den Linken waren ganz vorne mit dabei. gruppen zusammengelegt und die Anzahl der Standorte auf acht konsolidiert werden. Fünf Standorte sollen neu (Beifall bei der AfD) errichtet werden, an einem Standort sollen umfangreiche Das Fazit der Berliner Mietergemeinschaft über die An- und Umbauten erfolgen. Der Neubau der fünf Feuer- rot-rote Regierung lautete damals: Es gab bisher keine wehrgerätehäuser soll auf Wunsch der Gemeinde parallel Regierung, die so gnadenlos die Marktentwicklung und 14560 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Marc Bernhard (A) die Bedürfnisse der wirtschaftlich schwachen Schichten Ansonsten gilt jedoch: Der Staat ist eben nicht der (C) ignoriert hat. bessere Unternehmer. Da sich Staatsbetriebe in der Regel auf ein Monopol stützen, sind deren Leistungen für die (Zuruf von der AfD: Hört! Hört) Bürger meistens teurer, qualitativ schlechter und 2007 haben Sie dann sogar noch die Berliner Sparkasse bürokratischer. verhökert. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Jetzt wollen Sie mit Ihrem Antrag alles wieder rekom- Die Geschichte der Privatisierung hat eines ganz klar munalisieren, also Ihre eigenen Fehler rückgängig ma- gezeigt: dass Sie alle hier die einfachsten Grundregeln chen. Das ist schon mal gut. Denn wenigstens haben ignoriert haben, nämlich erst zu überlegen und dann zu Sie erkannt, dass Ihre eigene Politik Unsinn ist und einen handeln. Sonst müssten wir hier und heute nicht über erheblichen Beitrag zur Wohnungsnot in Berlin geleistet diesen Antrag reden. hat. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Denn ob Sie es glauben oder nicht: Die Aufgabe des Aber jetzt greifen Sie wieder in die sozialistische Motten- Staates ist nicht die Verwirklichung von irgendwelchen kiste und fabulieren über Enteignungsfantasien für die Ideologien, Privatisierung oder Verstaatlichung, sondern Wohnungen, die Sie vor wenigen Jahren selbst verkauft seine Aufgabe ist, ausschließlich dafür zu sorgen, dass es haben. Was für eine unsinnige und verlogene Politik ist den Menschen in unserem Land besser geht. das eigentlich? (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: (Beifall bei der AfD) Sie widersprechen sich aber!) Es ist zwar richtig, dass der Staat sich viel stärker bei der Beseitigung der Wohnungsnot engagieren muss, aber Vizepräsident Wolfgang Kubicki: durch das Enteignen von Wohnungen wird nicht eine ein- Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der zige zusätzliche Wohnung geschaffen. Kollege Bernhard Daldrup, SPD Fraktion. (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Das stimmt (Beifall bei der SPD) doch gar nicht!) Bernhard Daldrup (SPD): Im Zentrum der Maßnahmen muss also der Neubau von Wohnungen stehen. Nur das und nichts anderes hilft den Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vie- (B) Menschen. les von dem, was in dem Antrag geschrieben worden ist, (D) ist meines Erachtens durchaus richtig, und die Beschrei- (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Sie haben bung, die eben gegeben wurde, hat, ehrlich gesagt, relativ nichts verstanden!) wenig mit dem Thema zu tun. Sie ist auch nicht wider- spruchsfrei – wenn ich das so sagen darf. Der Verkauf der Dabei ist es völlig egal, ob der Staat oder private Unter- Wasserbetriebe ist falsch, aber gleichzeitig ist der Staat nehmen diese Wohnungen bauen. Hauptsache, sie werden der schlechtere Unternehmer? Da muss man doch eine überhaupt gebaut. Linie haben. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Aber die Linken sind ja in diesem Haus leider nicht die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einzigen, die den Bürgern durch ihre Politik schaden. Aber der Grundsatz ist jedenfalls richtig: Öffentliche Da- (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Ja, Sie zum seinsvorsorge gehört in öffentliche Verantwortung. Das Beispiel!) ist doch unstrittig. Öffentliche Verantwortung muss aber nicht in jedem Fall immer auch nur in öffentlicher Träger- Auch Sie von der CDU/CSU und von der SPD haben zum schaft liegen. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Gesichts- Beispiel durch Ihre fatale Privatisierung der Wasserbe- punkt. triebe hier in Berlin dafür gesorgt, dass das Trinkwasser massiv verteuert wurde. Aber auch Sie haben zwischen- Jetzt will ich mich aber, ähnlich wie der Kollege Pols, zeitlich selbst erkannt, dass Ihre Politik schädlich für die auf das konzentrieren, was im Antrag steht, liebe Kerstin. Menschen ist. Wenigstens diesen einen Fehler haben Sie Dann wird nämlich klar, dass es um die PD, die Partner- mithilfe von Zigmillionen Euro Steuergeldern teuer repa- schaft Deutschland, und um die KfW geht. Deswegen riert. Denn Betriebe wie zum Beispiel die Wasserversor- will ich zu Anfang Folgendes sagen: Darauf bezogen ist gung dürfen niemals privatisiert werden. dieser Antrag bedauerlicherweise völlig hinter der Zeit. Denn die Organisation der PD hat sich völlig verändert. (Beifall bei der AfD) Sie hat heute ein Riesenspektrum von Aufgaben. Sie ist keine AG mehr; sie ist heute eine GmbH. Das steht auch Wasser ist die Grundlage allen Lebens, und so etwas schon im Antrag. Sie gehört komplett der öffentlichen darf auf keinen Fall in die Hände von privaten Unterneh- Hand. mern gegeben werden. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass jeder bezahlbaren Zugang zu sauberem Wasser hat. Die Inzwischen sind neben dem Bund 9 Bundesländer, 54 wesentlichen Lebensgrundlagen der Menschen zu si- Kommunen und Landkreise, 3 kommunale Spitzenver- chern, ist eine Kernaufgabe des Staates. bände, 7 Stiftungen, Anstalten und Körperschaften des Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14561

Bernhard Daldrup (A) öffentlichen Rechts und über 90 sozusagen öffentliche Rechtsform ist nicht entscheidend. Deswegen glaube ich, (C) Mitgesellschafter dabei. Das wäre alles nicht möglich, wir sollten das alles, die PD wie auch die KfW, weiter wenn es eine AöR werden würde. Das könnt ihr doch kritisch beraten. Aber für den Antrag gibt es, ehrlich ge- nicht im Ernst wollen. Deswegen muss man sich ein biss- sagt, keine Veranlassung. Deswegen lehnen wir ihn ab. chen mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. (Beifall bei der SPD) Die PD ist inhousefähig – das ist eben schon gesagt worden –; das heißt, sie kann ohne Ausschreibung von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Kommunen beauftragt werden, wenn die Kommunen An- teile an der PD erwerben. Das ist mit etwa 1 000 Euro Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat das Wort die möglich. Das ist ein eminenter Vorteil. Warum sollten wir Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP- den denn aufgeben? Das wäre völlig falsch. Fraktion. Die strategische Ausrichtung der PD hat sich komplett (Beifall bei der FDP) verändert. Ihr Beratungsangebot umfasst Bausanierung, Projektplanung kommunaler Krankenhäuser, Rathäuser, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Schulen, kommunale Beleuchtungsprojekte, ÖPNV, IT- Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin Kassner Systeme, modernes E-Government usw. Bei den von von den Linken, in der Tat geht ein Gespenst um, aber der PD in diesem Zusammenhang realisierten Geschäften eher bei Ihnen in der Fraktion als durch Deutschland. Ich spielen ÖPP-Projekte schon wegen des Zinsmarktes heu- finde es immer wieder schön; denn wenn es Sie nicht te so gut wie gar keine Rolle mehr. gäbe, müsste man Sie wirklich erfinden, weil jedes Mal in die ideologische Tiefgrube gestiegen wird: die ganz Beim Wohngipfel haben wir beschlossen –, und das bösen Privaten und der gute Staat. Das passt natürlich findet eigentlich auch eure Unterstützung –, dass der unheimlich gut zum Zeitgeist, aber es macht Ihren Antrag Bund die Kommunen bei der Gründung kommunaler definitiv nicht besser. Wohnungsgesellschaften unterstützen soll. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dazu braucht es vor allen Dingen intelligentere und Die PD Deutschland nimmt diese Beratungsaufgabe überzeugendere Argumente, und die habe ich weder in wahr. Der Investitionsberatungstitel dafür wurde um Ihrem Antrag gelesen, noch haben Sie hier gerade auch 1 Million Euro aufgestockt. Mittlerweile gibt es acht Pro- nur ein Wort dazu gesagt, wie Sie sich das vorstellen. Ihre jekte, bei denen sie diese Beratungsleistung erfüllt, darun- Beispiele zeigen lediglich, dass es nicht geschafft wurde, ter Monheim und Paderborn. Das ist doch etwas, was wir faire Verträge zwischen Staat und Unternehmen auszu- (B) eigentlich gemeinsam wollen, auch unter der Zielsetzung (D) handeln. Natürlich können Verträge anständig gestaltet dieses Antrags. werden. Aber für 1 Euro verkaufen, keine Bedingungen Die PD wird mit 4 Millionen Euro aus dem Bundes- stellen, und am Ende herumheulen, wie es beispielsweise haushalt unterstützt. Für die Kommunen sind die Bera- beim Berliner Spaßbad SEZ der Fall war – übrigens von tungsleistungen fast immer kostenlos. Auch das ist doch Rot-Rot verbockt –: So geht es nicht. wichtig. (Beifall bei der FDP) Vor diesem Hintergrund könnte selbstverständlich bei- spielsweise ein Rekommunalisierungsprojekt von der PD Daseinsvorsorge ist in der Tat ein hochsensibler Be- beraten werden. Auch das ist eine vernünftige Regelung. reich. Es geht um die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit elementaren Dingen wie Wasser und Energie. Damit wären wir bei der KfW. Die KfW stellt bereits Der Auftrag der Kommunen ist klar: eine zuverlässige, heute zinsgünstige Kredite für Kommunen zur Verfü- bezahlbare Versorgung flächendeckend zu organisieren. gung – aktuell zu 0,05 Prozent per anno, das heißt mit Das ist nicht profan. anderen Worten: nahe null –, die auch für Rekommuna- lisierungen genutzt werden können. Deswegen ist die Wir haben in Deutschland unterschiedliche Anforde- KfW ein vernünftiges und sinnvolles Instrument. rungen, die sich nicht nur zwischen Stadt und Land unter- scheiden. Deshalb darf hier auch nicht platt und undiffe- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) renziert argumentiert werden. Bei dem im Antrag angesprochenen Investitionskredit (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Kommunale und Soziale Unternehmen liegt der Zinssatz machen Sie doch!) gegenwärtig bei jährlich 1,03 Prozent; er wird deswegen für ÖPP gar nicht mehr genutzt. Ich bin gar kein Anhän- Eine Blankoabrechnung mit allem, was nicht kommunal ger davon, aber ich glaube, die Freiheit der kommunalen bzw. staatlich gesteuert ist, ist total daneben. Es ist übri- Selbstverwaltung muss so weit gehen, dass Kommunen gens auch nicht sinnvoll. Energieversorgung kann auch selbst entscheiden dürfen, ob sie das machen wollen, ob privat Sinn machen. sie das in Anspruch nehmen. Sie wissen genau, dass die aktuelle Stromnetzregulie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der rung die Interessen der Öffentlichkeit wahrt, und das ist FDP) für den Staat und damit für alle Steuerzahler in der Re- publik letztlich günstiger. Summa summarum ist der vorliegende Antrag meiner Meinung nach nicht auf der Höhe der Zeit. Die Frage der (Beifall bei der FDP) 14562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) Da macht man einen Vertrag mit gesicherter Kontrolle tisierung kommunaler Daseinsvorsorge ist in Teilen (C) und entsprechenden Vertragsstrafen; Lasten und Wohl durchaus berechtigt; in der Summe ist sie mir zu pauschal. wohlgemerkt auf beide Partner gleich verteilt. So wird Die Ergebnisse vergangener Privatisierungen waren ein Schuh daraus. für die Kommunen in der Tat vielfach ernüchternd, so- Übrigens, da Sie gerade aus ihrer Landratsvergangen- wohl hinsichtlich der Qualität, der Wirtschaftlichkeit als heit geplaudert haben, kann ich aus meiner Vergangenheit auch der politischen Steuerbarkeit. So hat etwa der CDU- als Bürgermeisterin der Stadt Düsseldorf erzählen: Da geführte Hamburger Senat 2004 gegen den Willen der haben wir die Stadtwerke verkauft und damit den Kern- Bevölkerung den Landesbetrieb „Krankenhäuser Ham- haushalt komplett entschuldet.Und – gute Nachricht – das burg“ verkauft. Hygienemängel, großer Druck auf die Kohlekraftwerk gehört der Vergangenheit an. Heute steht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der trotz einer da das modernste Gaskraftwerk Europas bei stabilen Prei- Sperrminorität geringe Einfluss Hamburgs waren die Fol- sen. Sie müssen mal kommen; dann zeige ich es Ihnen. ge. (Beifall bei der FDP) Dresden – dieses Beispiel haben Sie selbst gebracht, Frau Kassner – hat sich 2006 durch den Totalverkauf Aber warum glaube ich, Sie überzeugen zu können? Ihre seines kommunalen Wohnungsbestandes zwar komplett Kollegen, die Linken im Düsseldorfer Stadtrat, haben es entschuldet, langfristige Einnahmen und vor allem die bis heute nicht kapiert. Irgendwann ist es auch gut; das Gewährleistung sozialverträglicher Mieten wurden aber muss man nicht weiter erklären. diesem Zweck geopfert. Wohin die blinde Komplettkommunalisierung auf län- Das sind nur zwei von vielen Beispielen, wo Privatisie- gere Frist führt, kennen wir – ich muss es leider sagen – rungen eher schädlich als nützlich waren. Vor diesem aus der DDR: Wenn die glorreich erworbenen Strukturen Hintergrund stehen wir einer Rückübertragung privatis- sanierungsbedürftig werden und sich kein Mensch mehr ierter Aufgaben in kommunale Verantwortung sehr auf- darum kümmert – machen Sie die Augen auf! –, ist alles geschlossen gegenüber. jämmerlich und kaputt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und ein Letztes: Zu glauben, dass persönliche Interes- sen in der privaten Wirtschaft eine höhere Relevanz ha- Energiewende und Stadtwerke beispielsweise in öf- ben als bei den Kommunen, ist lächerlich; das wissen Sie. fentlicher Hand sind eine große Chance, um auf kommu- Da, wo Menschen sind, werden auch Fehler gemacht, naler Ebene die Jahrhundertaufgabe Energiewende und Stichworte „Wiederwahl“, „Postenvergabe“ oder „Beför- Klimaschutz zu beschleunigen. derung“, je nachdem. Transparenz und Effizienz: Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) wird weder bei privaten noch bei kommunalen Unterneh- (D) men in manchen Bereichen besonders geschätzt. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Dabei sind ge- rade die Städte und Gemeinden gefordert; sie spielen bei Lange Rede, kurzer Sinn: Ihre antiquierten Reflexe der Umsetzung eine zentrale Rolle. gehen einem wirklich auf den Keks, auch um diese Uhr- zeit. Dass aber eine gute kommunale Daseinsvorsorge nur dann gelingen kann, wie der Antrag der Linken sinnge- (Widerspruch bei der LINKEN) mäß meint, wenn diese immer, überall und ausschließlich – Nein, entschuldigen Sie, aber es hat nichts damit zu tun. von der öffentlichen Hand erbracht wird, ist für mich zu Um es deutlich zu sagen: Vor jedem Abschluss müssen kurz gegriffen. Ich finde, es ist nicht an uns, die kommu- die privaten Partner, Konzessionsvergaben und Partner- nalen Entscheidungsträger, also die gewählten Bürger- schaften genau geprüft werden. meisterinnen und Bürgermeister, die Stadt-, Markt-, Ge- meinde- und Kreisräte aller Parteien zu belehren, wie sie Deswegen: Ab in die Mottenkiste! Nehmen Sie das die Daseinsvorsorge am besten gewährleisten. Es gehört Gespenst, und fahren Sie aufs Land hinaus! zur kommunalen Autonomie und Selbstverwaltungsga- rantie, dass Kommunen selbst entscheiden können, ob (Beifall bei der FDP – Dr. Kirsten Tackmann sie eine Aufgabe selbst wahrnehmen und wie sie diese [DIE LINKE]: Das war eine ausgesprochen in- wahrnehmen. Vorgaben hinsichtlich der Rechtsform oder telligente Rede! Hochmut kommt vor dem bundespolitischer Druck in Richtung Rekommunalisie- Fall!) rung sind hier fehl am Platz. Die Kommunen, denke ich, können das gut selbst entscheiden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das be- Als nächster und letzter Redner zu dem Tagesordnungs- streitet doch niemand!) punkt erhält der Kollege Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Die im Antrag der Linken erhobenen Forderungen er- wecken zudem den Eindruck, als wären Beratungsleis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tungen und zinsverbilligte Investitionskredite die ent- scheidenden Gründe für die Privatisierung kommunaler Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Daseinsvorsorge, Stichwort „PD oder KfW“. Abgesehen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- davon, dass schon heute Rekommunalisierungen über In- nen und Kollegen! Die vorgebrachte Kritik an der Priva- vestitionskredite der KfW mitfinanziert werden, ist der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14563

Stefan Schmidt (A) eigentliche Punkt ein ganz anderer. Es war doch die unzu- Gisela Manderla (CDU/CSU): (C) reichende Finanzausstattung, welche viele Kommunen in Sehr geehrter Herr Präsident Kubicki! Sehr geehrte der Vergangenheit in schlecht ausgeführte Privatisierun- Kollegen und Kolleginnen! Wir beraten heute über das gen getrieben hat und heute die Rückübertragung priva- Gaststaatgesetz. Internationale Organisationen sind ein tisierter Aufgaben erschwert. essenzieller Bestandteil unserer Außenpolitik und fördern die Zusammenarbeit auf globaler Ebene. Diese Institutio- Es ist also zuerst einmal die Aufgabe der Länder und nen sind in wichtigen Bereichen der internationalen Ko- auch des Bundes, für eine kostendeckende Finanzierung operation für uns von großer Bedeutung. kommunaler Aufgaben zu sorgen, damit Städte und Ge- meinden überhaupt die Freiheit haben, zu entscheiden, ob Auch neuere Formen der internationalen Zusammen- sie eine Aufgabe selbst wahrnehmen oder durch Dritte arbeit wie zum Beispiel Organisationen, welche aus staat- erledigen lassen. lichen und nichtstaatlichen Mitgliedern bestehen, nehmen vor allem in der globalen Umwelt-, Klima- und Entwick- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lungspolitik vermehrt besondere Positionen ein. Obwohl sowie bei Abgeordneten der SPD) die Bundesrepublik, insbesondere Nordrhein-Westfalen, Das, denke ich, sollten wir auch berücksichtigen, wenn mit dem internationalen Standort Bonn, ein höchst attrak- wir den Antrag im zuständigen Ausschuss behandeln. tives Umfeld für internationale Organisationen bietet, ist Darauf freue ich mich. Ihnen allen noch einen schönen die momentan noch unzureichende Gesetzeslage ein Hin- Abend und ein baldiges Nachhausekommen. dernis für Deutschland als deren Ansiedlungsort. Vielen Dank. Nicht nur Bonn profitiert als internationaler Standort. Sehr verehrte Frau Kollegin Strack-Zimmermann aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Düsseldorf, als Kölnerin mit einer 2 000 Jahre alten inter- sowie bei Abgeordneten der FDP) nationalen Geschichte kann ich das nur betonen. Für die gesamte Region und das ganze Land ist die Ansiedlung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: internationaler Organisationen politisch, wirtschaftlich Herr Kollege Schmidt, Sie bleiben doch bis zum und gesellschaftlich absolut gewinnbringend. Die Mitar- Schluss hier, nicht? – Alles klar. beiterinnen und Mitarbeiter der internationalen Organisa- tionen kaufen zum Beispiel vor Ort ein und beleben damit Die Kollegen Michael Kießling, CDU/CSU-Fraktion, die gesamte Wirtschaft der Region. Davon profitieren am und Elisabeth Kaiser, SPD-Fraktion, haben ihre Reden 1) Ende besonders auch die Einzelhändler und die kleinen zu Protokoll gegeben. und mittleren Unternehmen. (B) (D) Damit schließe ich die Aussprache. Auch politisch bieten Ansiedlungen internationaler Or- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf ganisationen große Vorteile. So steigern diese unter an- Drucksache 19/10755 an die in der Tagesordnung aufge- derem das Ansehen und den Einfluss unseres Landes auf führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie mit diesen internationaler Ebene, und durch den intensiven Erfah- Überweisungsvorschlägen einverstanden? – Ich sehe, das rungsaustausch untereinander tragen sie vor allen Dingen ist der Fall. Dann verfahren wir so. zum gegenseitigen Verständnis bei. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Das reibungslose Funktionieren der in unserem Staat tätigen Organisationen sowie die Möglichkeit, die Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Rechtspersönlichkeit, Vorrechte und Immunitäten trans- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über parent zu bestimmen, liegen deshalb in unserem besonde- Vorrechte, Immunitäten, Befreiungen und Er- ren Interesse. Die vorhandenen Regelungen für die An- leichterungen in der Bundesrepublik Deutsch- siedlung existieren nur für den Bereich der Vereinten land als Gaststaat internationaler Einrichtun- Nationen und verteilen sich vor allem auf mehrere völker- gen (Gaststaatgesetz) rechtliche Abkommen. Und wir alle wissen: Sie sind Drucksache 19/1719 nicht mehr zeitgemäß. Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- Der vorliegende Gesetzentwurf auf Initiative des gen Ausschusses (3. Ausschuss) Landes Nordrhein-Westfalen regelt die wesentlichen Fra- gen für internationale Organisationen, die sich in Drucksache 19/14100 (neu) Deutschland ansiedeln wollen. Deshalb ist es eine gute und vernünftige Debatte, die wir führen, und ich bitte um Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Ihre Zustimmung. Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vielen Dank. Ich erteile als erster Rednerin der Kollegin Gisela (Beifall bei der CDU/CSU) Manderla, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegen Manderla, auch für die 1) Anlage 10 charmante Art, mich darauf hinzuweisen, dass ich ihren 14564 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Namen falsch betont habe. – Als nächster Redner hat der Statt irgendwelche NGOs hier bei uns in Deutschland (C) Kollege Dr. Anton Friesen, AfD-Fraktion, das Wort. anzusiedeln, wäre es doch viel besser, im Rahmen der Völkerverständigung zum Beispiel ein deutsch-russi- (Beifall bei der AfD) sches Jugendwerk ins Auge zu fassen Dr. Anton Friesen (AfD): (Zuruf von der CDU/CSU: Trollfabrik bei uns Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und ist auch schön!) Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! und im Osten Deutschlands in der wunderbaren südthü- ( [SPD]: Und Bürgerinnen!) ringischen Stadt Suhl einzurichten. Die Bundesregierung möchte mit dem vorliegenden Ent- Vielen Dank. wurf eines Gaststaatgesetzes einen rechtlichen Rahmen (Beifall bei der AfD – Ulrich Lechte [FDP]: schaffen, um abseits der bislang notwendigen aufwändi- Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!) gen Einzelfallprüfung ein verlässliches Regelwerk einzu- richten. Prinzipiell ist das ein begrüßenswertes Vorhaben. Jedoch gibt es aus unserer Sicht mehrere kritische Punkte, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: weswegen wir ihm nicht zustimmen werden. Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Friesen. – Die Kollegin Dr. Barbara Hendricks, SPD-Fraktion, der Kollege Ulrich Zu der Kritik im Einzelnen. Zunächst einmal zielt der Lechte, FDP-Fraktion, und die Kollegin Kathrin Vogler, Gesetzentwurf auf nichtstaatliche internationale Einrich- Fraktion die Linke, haben ihre Reden zu Protokoll ge- tungen, das heißt auch auf Nichtregierungsorganisatio- geben.1) – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja nen, sogenannte NGOs. Abseits der NGO-Euphorie Dörner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. sehen wir die Tätigkeit vieler sogenannter Nichtregie- rungsorganisationen durchaus kritisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Beispiel ist die George-Soros-Stiftung „Open So- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ciety Foundations“, die im Juni dieses Jahres verkündet Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- hat, sich in Ostdeutschland anzusiedeln. Sie hat bekannt- be Kollegen! Zu sehr früher Stunde ein sehr wichtiger lich bereits seit 2018 ein Büro in Berlin. Diese Stiftung Gesetzentwurf für die internationalen Organisationen in hat ein Jahresbudget von 1 Milliarde US-Dollar. Das ist unserem Land. Gerade wir in Bonn, dem Sitz der UN hier fast so viel Geld wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt in Deutschland und unserer vielen internationalen Nicht- des westafrikanischen Staats Gambia. regierungsorganisationen, haben sehr lange für dieses (B) In der Tat ein Global Player, der sich für die Auflösung Gaststaatgesetz gekämpft. Wir haben für ein solches (D) der gewachsenen europäischen Identitäten einsetzt: So Gaststaatgesetz gekämpft, um den Organisationen, aber forderte George Soros im September 2015 in der „Finan- auch insbesondere den Mitarbeitenden in den Organisa- cial Times“, die EU solle für die vorhersehbare Zukunft tionen ihre Arbeit zu erleichtern, und natürlich auch, um mindestens 1 Million Asylbewerber aufnehmen, und für neue Nichtregierungsorganisationen die Ansiedlung zwar jährlich. Staaten wie Ungarn, die ihre Souveränität bei uns im Land besonders attraktiv zu machen. noch ernst nehmen, setzen solche NGOs vor die Tür. Die Schweiz beispielsweise hat seit 2007 ein solches (Beifall bei der AfD – Dr. Volker Ullrich [CDU/ Gesetz. Das hat einen ganz klaren Vorteil für den Standort CSU]: Was sagen Sie denn zur Wissenschafts- Genf gebracht. Ich bin sehr froh, dass wir mit dem Ge- freiheit?) setzentwurf heute nachziehen. Klar ist: NGOs sind nicht demokratisch legitimiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Aber sie haben trotzdem Wissenschaftsfreiheit!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, alleine in Bonn werden rund 100 Organisationen vom Gaststaatgesetz Ihre Tätigkeit ist oftmals intransparent. profitieren, darunter Forschungsinstitutionen wie das cae- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Genauso in- sar, das Paralympische Komitee oder der Forest Steward- transparent wie die Parteienfinanzierung der ship Council – um nur drei zu nennen, aber auch um AfD, oder?) deutlich zu machen, wie vielfältig die Bandbreite der Or- ganisationen ist, die jetzt davon profitieren können. Wir Deswegen sagen wir: Genauso wie in Israel oder in den in Bonn jedenfalls freuen uns, wenn es an unserem Stand- Vereinigten Staaten müssen wir mit einem entsprechen- ort noch mehr werden. den gesetzlichen Rahmen verhindern, dass die Tätigkeit der Nichtregierungsorganisationen gegen die Souveräni- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tät, gegen die nationalen Interessen unseres Landes ge- sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) richtet ist. Es ist sehr gut, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es (Beifall bei der AfD – Zuruf vom BÜND- jetzt endlich verbindliche und einheitliche Rahmenbedin- NIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch! – Christian gungen für die Nichtregierungsorganisationen gibt, bei- Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- spielsweise mit Blick auf den Status der Institutionen, auf NEN]: Ich bin froh, dass Sie diese Interessen nicht bestimmen!) 1) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14565

Katja Dörner (A) Einreise- und Aufenthaltsfragen, aber auch beispielswei- Enthaltung der AfD-Fraktion mit der Zustimmung aller (C) se auf Versicherungsfragen. anderen Fraktionen des Hauses der Gesetzentwurf in drit- ter Beratung und Schlussabstimmung angenommen. Es ist allerdings – auch das muss ich sagen – sehr bedauerlich, dass von der Bundesregierung bzw. den Re- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: gierungsfraktionen der sehr gute Gesetzentwurf, der uns ja über den Bundesrat erreicht hat – er geht noch auf eine Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Initiative der ehemaligen rot-grünen Landesregierung in eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- Nordrhein-Westfalen zurück –, an ganz wichtigen Stellen derung des Deutschen Richtergesetzes (Stu- verwässert worden ist. Wir Grünen hätten es beispiels- dien- und Prüfungszeit im Studiengang weise positiv gefunden, wenn die liberalen Visaregelun- „Rechtswissenschaft mit Abschluss erste Prü- gen aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates erhalten ge- fung“) blieben wären. Wir hätten auch mehr Flexibilität im Drucksache 19/8581 Hinblick auf die Renten- und Krankenversicherung be- grüßt. Nichtsdestotrotz ist es ein guter erster Schritt, und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- es spricht nichts dagegen, diese Schwächen in dem ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- Gesetz dann in einem zweiten Schritt zu beheben. schuss) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/13617 sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Probleme un- nis 90/Die Grünen vor. serer Welt sind global und international, und sie können Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die nur durch verstärkte Zusammenarbeit über Ländergren- Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen zen hinweg gelöst werden. Die internationalen Nichtre- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gierungsorganisationen leisten einen sehr wichtigen und wertvollen Beitrag dazu. Sie haben sehr gute Rahmen- Ich eröffne die Aussprache gebe dem Kollegen bedingungen verdient, und ich bin der Meinung, dass Dr. Patrick Sensburg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. wir da heute einen guten Schritt weiterkommen. Deshalb unterstützen wir diesen Gesetzentwurf und freuen uns, (Beifall bei der CDU/CSU) dass er in Kraft tritt. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegen! Lieber Herr Staatssekretär Lange, herzlichen sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) Dank, dass ich die Gelegenheit habe, heute zuerst reden zu dürfen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Während wir hier um halb eins über die Änderungen Vielen Dank, Frau Kollegin Dörner. – Der Kollege im Deutschen Richtergesetz debattieren, studieren sicher- Andreas Nick, CDU/CSU- Fraktion, hat seine Rede zu lich viele Studentinnen und Studenten in ganz Deutsch- Protokoll gegeben.1) land jetzt noch in den Bibliotheken, die lange Öffnungs- zeiten haben, oder zu Hause, gebeugt über die Lehrbücher Damit schließe ich die Aussprache. zum Strafrecht, Zivilrecht und Öffentlichen Recht, über Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- Kommentare oder über Fallsammlungen. rat eingebrachten Gesetzentwurf über Vorrechte, Immu- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Richtig nitäten, Befreiungen und Erleichterungen in der Bundes- beschriebenes Schicksal eines Jurastudenten!) republik Deutschland als Gaststaat internationaler Einrichtungen. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in Das machen sie nach der Regelung im Deutschen Richter- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14100 gesetz innerhalb von vier Jahren. Wenn man die (neu), den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksa- Schwerpunktbereichsklausuren und -prüfungen und den che 19/1719 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Bereich der schlüssel- und fachspezifischen Fremdspra- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- chenausbildung hinzunimmt, dann machen sie das inner- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – halb von 4,5 Jahren; so steht es zumindest im Gesetz. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist bei In der Realität ist es aber anders. In der Realität hat sich Enthaltung der AfD-Fraktion mit den übrigen Stimmen die Studienzeit bei Studenten der Rechtswissenschaften der Fraktionen des Hauses der Gesetzentwurf in zweiter von im Jahre 2006 im Durchschnitt ungefähr 9,6 Seme- Beratung angenommen. stern auf 11,3 Semester verlängert. Das müssen wir zur Dritte Beratung Kenntnis nehmen. Das ist auch eine Folge daraus, dass wir in den Jahren 2002 und 2003 mit dem Gesetz zur und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Reform der Juristenausbildung neue Inhalte geschaffen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – haben. Wir haben die Schwerpunktbereiche geschaffen, Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist bei wir haben die Schlüsselqualifikationen ergänzt, und wir wünschen uns von unseren Studierenden Fremdsprachen- 1) Anlage 11 qualifikationen. Das führt dazu, dass die Studienzeiten 14566 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Dr. Patrick Sensburg (A) länger geworden sind, und das hat natürlich auch Konse- Dieser Vorwurf begleitet die rechtswissenschaftliche (C) quenzen für die Studierenden der Rechtswissenschaften. Ausbildung bereits seit den 50er-Jahren. Bis heute hat sich an diesem Vorwurf nur wenig geändert – im Gegen- Wir möchten mit dieser Änderung die Regelstudien- teil. zeiten verlängern. Wir möchten den Studierenden die Chance geben, innerhalb der Regelstudienzeiten zu Nehmen wir beispielsweise den Stadtstaat Hamburg: studieren. Das hat natürlich auch Konsequenzen, zum Das Zentral-Justizamt für die Britische Zone hat im Jahr Beispiel bei der Beantragung von BAföG. Dadurch kön- 1949 die Hamburgische Justizausbildungsordnung erlas- nen die Studierenden in Zukunft länger BAföG erhalten. sen. Diese Ausbildungsordnung bestand im Wesentlichen Das ist fair im Vergleich zu anderen Studiengängen, näm- bis 1972 fort. Nach dieser Ausbildungsordnung mussten lich zu den Masterstudiengängen. Das hat natürlich, weil Studenten der Rechtswissenschaften nur sechs Semester es sich im Hochschulrahmengesetz widerspiegelt, auch studieren und fünf Leistungsnachweise erbringen, bevor Konsequenzen bei der Hochschulplanung, der Hörsaal- sie zur Prüfung zugelassen werden konnten. § 16 der planung und der ganzen Planung der Ausstattung unserer Hamburger Justizausbildungsordnung legte für Klausu- Universitäten. ren fest, dass die Aufgaben einen „rechtlich und tatsäch- lich einfachen Fall betreffen“ sollten, soweit dieser Fall Ich glaube, das ist sehr gerecht, und deswegen ist die dem Prüfling hinreichend Gelegenheit gab, „seine Fähig- Diskussion auch gut und richtig. Wenn Studieninhalte keit zur Erörterung von Rechtsfragen darzutun“. erweitert werden, wie das in den letzten Jahren immer wieder passiert ist, dann ist es richtig, die Studienzeit- Menschen, die sich heute für ein Jurastudium entschei- regelung im Deutschen Richtergesetz, nämlich in § 5a den, wissen hingegen, dass sie sich eines der lerninten- und in § 5d, anzupassen und die Studienzeit zu verlän- sivsten Fächer ausgesucht haben. Neben einer Vielzahl an gern. Das machen wir mit dem vorliegenden Gesetzent- Klausuren und Hausarbeiten, die ein Student anfertigen wurf. Das stärkt einmal die Stellung unserer Studieren- muss, erfordert ein rechtswissenschaftliches Studium ei- den, sodass sie länger BAföG bekommen können, und nen Grundlagenschein, mindestens zwei Seminararbei- das stärkt auch die Position unserer Hochschulen und ten, eine Schlüsselqualifikation, einen Fremdsprachen- unserer rechtswissenschaftlichen Fakultäten, da sie nun nachweis mit rechtlichem Bezug, mehrmonatige besser planen können. Praktika und das Belegen eines Schwerpunktbereichs. Wenn die Studenten dann endlich scheinfrei sind, wartet Dies ist auch in enger Zusammenarbeit mit dem Deut- auf sie noch mindestens ein Jahr der intensiven Examens- schen Juristen-Fakultätentag besprochen. Ich glaube, vorbereitung für das schriftliche erste juristische Staats- dass der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute in examen. der zweiten und dritten Lesung debattieren, gut ist: gut (B) für unsere Juristinnen und Juristen in der Ausbildung, gut (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: „Erstes (D) für die Rechtswissenschaften und gut für die rechtswis- Examen“ heißt das!) senschaftlichen Fakultäten. Darum bin ich mir sicher, Erwähnt werden muss auch, dass die Menge an zu dass wir alle diesen Gesetzentwurf auch unterstützen wer- bewältigendem Stoff um ein Vielfaches höher ist als noch den. vor einigen Jahrzehnten. Alleine der Themenkomplex Herzlichen Dank. Europarecht beinhaltet seit dem Vertrag von Lissabon schon mehr, als manch einer der Juristen unter Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU) jemals gelernt hat. Die tatsächliche Studiendauer im Fach Jura lag im Jahr Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 2016, wie vorhin schon gesagt, durchschnittlich bei Vielen Dank, Herr Professor Sensburg. – Bevor ich 11,3 Semestern. Es ist daher angemessen, die Studien- dem Kollegen Jens Maier das Wort erteile, möchte ich und Prüfungszeit zu erhöhen. Auch BAföG-Empfänger darauf hinweisen, Frau Brantner, dass es vielleicht sinn- sollten die Möglichkeit bekommen, ihr Studium erfolg- voll wäre, die Rednerin für den nächsten Tagesordnungs- reich abzuschließen, ohne zu zeitig ins Examen zu gehen. punkt herbeizurufen. In einem Punkt ist der Gesetzentwurf allerdings wider- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sprüchlich. Wenn die tatsächliche Studiendauer im Fach GRÜNEN]: Habe ich gerade schon gemacht!) Rechtswissenschaften durchschnittlich 11,3 Semester be- – Das ist gut. – Herr Kollege Maier, Sie haben das Wort. trägt: Warum wird die Studienzeit nicht gleich auf fünf- einhalb Jahre erhöht? Hierauf habe ich im Rechtsaus- (Beifall bei der AfD) schuss keine Antwort erhalten. Gleichwohl: Das Gesetz ist überfällig. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu. Jens Maier (AfD): Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Das Jurastudium ist zu umfangreich, es dauert zu (Beifall bei der AfD) lange, es ist zu kompliziert, und der zu bewältigende Stoff ist kaum noch überschaubar. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aber es ist Vielen Dank, Herr Kollege Maier. – Die Kolleginnen schön! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder und Kollegen Katrin Helling-Plahr, FDP-Fraktion, Niema [SPD]: Ja, finde ich auch!) Movassat, Die Linke, Katja Keul, Bündnis 90/Die Grü- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14567

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) nen, Esther Dilcher, SPD-Fraktion, und Dr. Volker recht herzlich. 40 Minuten haben Sie schon ein neues (C) Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Pro- Lebensjahr. tokoll gegeben.1) (Beifall) Damit schließe ich die Aussprache. Sie haben jetzt das Wort. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Richtergesetzes (Studien- und Prüfungszeit im Stu- diengang „Rechtswissenschaft mit Abschluss erste Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Prüfung“). Der Ausschuss für Recht und Verbraucher- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Kollegen! Wir alle profitieren davon, wenn sich afghani- Drucksache 19/13617, den Gesetzentwurf des Bundesra- sche Ortskräfte in den Dienst der Bundeswehr und deut- tes auf Drucksache 19/8581 in der Ausschussfassung an- scher Ministerien stellen, um deren Arbeit vor Ort zu er- zunehmen. möglichen. Gerade die Bundeswehr ist auf die Orts- und Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- Sprachkenntnisse dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbei- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/14099 vor, über ter angewiesen. Wenn diese Menschen und deren Fami- den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände- lienangehörige aufgrund ihrer Arbeit für deutsche Insti- rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – tutionen vor Ort dann aber von den Taliban oder vom IS Dann ist der Änderungsantrag bei Enthaltung der FDP- bedroht werden, dann wird es leider etwas leise um das Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Thema „Solidarität und verlässliche Partnerschaft“. und der Linken mit den Stimmen von CDU/CSU-, SPD- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion und der Fraktion der AfD abgelehnt. sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Die Chancen für bedrohte afghanische Ortskräfte, in Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Deutschland aufgenommen zu werden, stehen nämlich chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. nicht gut. 2017 wurden nur drei afghanische Ortskräfte Dann ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange- über das sogenannte Ortskräfteverfahren aufgenommen, nommen. 2018 waren es gar keine. Dritte Beratung Das liegt mitnichten daran, dass sich die Sicherheits- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem lage in Afghanistan verbessert hat. Nein, das Verfahren ist (B) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – unter anderem deswegen zum Erliegen gekommen, weil (D) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Mit den die Hürden zu hoch sind; denn nach dem Status quo muss Stimmen des gesamten Hauses ist der Gesetzentwurf an- die afghanische Ortskraft zunächst erst mal nachweisen, genommen. dass sie akut und über das normale Maß hinaus gefährdet ist. Bei Drohbriefen der Taliban hat man vielleicht noch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: gute Chancen, die deutschen Behörden von einer Bedro- Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise hung zu überzeugen. Bei Einschüchterungsbesuchen, bei Amtsberg, Agnieszka Brugger, Omid Nouripour, mündlichen Drohungen auf der Straße oder bei Bedro- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- hungen mit Waffen ist der Nachweis im Nachhinein meist NIS 90/DIE GRÜNEN gar nicht möglich. Die generelle Gefahr, die von Islamis- ten für afghanische Ortskräfte ausgeht, lässt sich aber Verantwortung anerkennen – Gruppenverfah- nicht abstreiten. Denn eines ist doch völlig klar: Wenn ren zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte die Gefahr für deutsche Soldaten und Mitarbeitende deut- einführen scher Institutionen wächst, dann wächst sie auch für die Ortskräfte. Drucksache 19/9274

Überweisungsvorschlag: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Auswärtiger Ausschuss Der Wehrbeauftragte des Bundes sagte jüngst, dass die Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Taliban momentan alle internationalen Akteure verstärkt Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ins Visier nehmen. Bundespolizisten – das wissen Sie – mussten nach dem Anschlag auf das „Green Village“ aus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Kabul ausgeflogen werden, weil die Sicherheitslage zu Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen prekär war. Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die afghanischen Ortskräfte, meine Damen und Her- Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich der Kollegin ren, sind – und das kommt erschwerend hinzu – in beson- Luise Amtsberg, die ich sehr schätze, das Wort erteile – derem Maße exponiert und den Anfeindungen von Ter- wir hatten schon Gelegenheit, gemeinsam den Landtag roristen ausgesetzt. Sie gelten den Taliban als von Schleswig-Holstein zu beglücken –, gratuliere ich Kollaborateure und Verräter, und da sie als Einheimische Frau Kollegin Amtsberg zu ihrem heutigen Geburtstag in der Regel nicht in den stark abgesicherten Militär- camps leben, sind sie noch schutzloser und werden noch 1) Anlage 12 leichter Opfer von Übergriffen. 14568 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Luise Amtsberg (A) Wegen dieser generellen Gefährdungslage fordern wir cken zur Bevölkerung, und wir müssen als Arbeitgeber (C) mit diesem Antrag ein Gruppenverfahren zur Aufnahme hier auch Verlässlichkeit zeigen. Ja, den Ortskräften ge- afghanischer Ortskräfte. Das Gruppenverfahren soll es bühren auch unser Dank und unsere Anerkennung. den Betroffenen erleichtern, den Beweis für eine latente oder akute Gefährdung anzutreten. Es soll aber auch das Gegenwärtig arbeiten 551 Ortskräfte für Deutschland, äußerst schwierige und oftmals gefährliche Visaverfahren und natürlich hat der deutsche Staat für diese Ortskräfte erleichtern; denn momentan können die Menschen wegen auch eine besondere Fürsorgepflicht – nicht nur was die der zerstörten Visaabteilung der deutschen Botschaft Vi- Einreise nach Deutschland anbelangt. Vielmehr geht es saanträge nicht mehr in Kabul stellen, sondern sie müssen beispielsweise auch um die Weiterbildung, die wir anbie- nach Islamabad oder Neu-Delhi, und auch für diese Län- ten, oder um die Weitervermittlung in neue Arbeitsver- der brauchen sie Visa. hältnisse oder um großzügige Abfindungen bei Beendi- gung der Beschäftigungsverhältnisse. Und ja, am Ende, Außerdem müssen die Menschen die höchstgefährli- also dann, wenn eine konkrete Gefährdung vorliegt, müs- che Reise in die entsprechende Botschaft, vorbei an den sen wir auch entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen mobilen Checkpoints der Taliban, überhaupt erst einmal und Perspektiven aufzeigen. Das tun wir, gezielt, konkret überleben. Es kann im Übrigen auch nicht sein, dass die in jedem Einzelfall. afghanischen Ortskräfte – das kommt noch dazu –, wenn sie über das Verfahren Schutz in Deutschland suchen, Jedes Ressort hat einen Beauftragten benannt – das ist hohe finanzielle Kosten tragen müssen. Auch das ist ein das heutige Verfahren –, der die individuellen Gefähr- Hinderungsgrund. dungstatbestände so schnell wie möglich überprüft. Er hat Beweise, kennt die Faktenlage und hat auch die ent- Ich will Ihren Bedenken gegen ein solches Gruppen- sprechenden Ortskenntnisse. Über das Auswärtige Amt verfahren gleich entgegenwirken. Dieses Gruppenverfah- geht das Ganze dann an das Innenministerium. Dort kön- ren sorgt mitnichten dafür, dass die Bundeswehr zum nen dann aus humanitären Gründen entsprechende Auf- „Durchlauferhitzer“ von Ausreisewilligen wird, wie nahmen erfolgen. Über 800 Ortskräfte haben in der Ver- man es hier ab und zu hört. gangenheit eine derartige Aufnahme erreicht, 768 sind Erstens. Es kann nicht jede beliebige Person einfach für tatsächlich nach Deutschland gekommen, und zusätzlich die Bundeswehr arbeiten, weil es natürlich Einstellungs- kamen knapp 2 500 Familienangehörige dieser Ortskräf- voraussetzungen und auch Sicherheitsüberprüfungen te. gibt. Zweitens. Wenn in einem Einzelfall ganz offensicht- Nun soll es nach den Wünschen der Grünen ein soge- lich keine Bedrohungslage vorliegt, was durch die Bun- nanntes Gruppenaufnahmeverfahren geben: Jeder, der für deswehr substantiiert darzulegen wäre, kann die Aufnah- (B) deutsche Institutionen gearbeitet hat, soll als gefährdet (D) me auch abgelehnt werden. gelten und dann nach Deutschland kommen können. Ein Gruppenverfahren bedeutet, eine kleine, stark in- Das ist quasi eine Umkehr der Beweislast und der Darle- dividualisierte Gruppe von Menschen auf möglichst un- gungslast. Das ist eine gewohnt pauschale Lösung. Wenn bürokratischem Weg in Sicherheit zu bringen, und ich alles so einfach wäre, dann könnte man das so machen. denke, das ist das, was wir uns auch als Ziel setzen soll- Als Beleg dafür, dass wir hinter anderen Ländern zu- ten. Gerade auch mit Blick auf die Bundeswehr und die rückstehen, werden uns Dänemark und Großbritannien vielen Menschen, die mit Ortskräften vor Ort zusammen- genannt, die ein solches Gruppenaufnahmeverfahren an- gearbeitet haben und sich ausdrücklich für diese Sache geblich durchführen. Ich habe mich darüber schon ge- aussprechen, bitte ich Sie wirklich inständig darum, die- wundert, da Dänemark insbesondere mit afghanischen sen Menschen Gehör zu schenken, im Ausschuss weiter Flüchtlingen durchaus konsequenter umgeht, als dies bei- zu beraten, wie wir das am besten organisieren können, spielsweise Deutschland macht. und mit uns gemeinsam hier einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Machen wir mit Dänemark und Großbritannien also den Faktencheck: Tatsächlich gab es in Großbritannien Herzlichen Dank. und Dänemark im Rahmen des militärischen Bezugs ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sprechende Spezialprogramme. Aber es hat sich dabei nur um Personen gehandelt, die für die dortigen Einheiten an vorderster Front stationiert waren, und das galt nicht für Vizepräsident Wolfgang Kubicki: alle. Dänemark wurde dann mit dem Dolmetschergrup- Vielen Dank, Frau Kollegin Amtsberg, und weiterhin penverfahren dahin gehend tätig, dass über dieses Ver- frohe Feierlichkeiten! – Als Nächster hat das Wort der fahren gerade einmal 5 Ortskräfte aufgenommen wurden. Kollege Alexander Throm, CDU/CSU-Fraktion. Weil es größere Einheiten und dadurch mehr Ortskräfte gab, waren es bei Großbritannien 415. Ich nenne im (Beifall bei der CDU/CSU) Gegensatz dazu nochmals die Zahl von 800 Ortskräften in Deutschland. Alexander Throm (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Außerhalb dieser Spezialprogramme, Frau Kollegin, Kollegen! Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die machen es Dänemark und Großbritannien so ähnlich afghanischen Ortskräfte für unsere deutschen Einheiten wie wir; sie führen nämlich individuelle Prüfungen durch. und Ämter eine wichtige Rolle spielen. Die Ortskräfte Diese führen aber nicht dazu, dass es dann tatsächlich sind unverzichtbare Kontaktpersonen, sie bilden die Brü- eine Einreisemöglichkeit betreffend die Länder Groß- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14569

Alexander Throm (A) britannien und Dänemark gibt, sondern beispielsweise (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE (C) eher Umsiedlungen und Sicherheitsratschläge vor Ort. GRÜNEN]: Sie haben mit Putin geredet!) So viel also zum Check der Fakten aus Ihrem Antrag! Mit Stand 6. Juni 2019, also Juni dieses Jahres, wurden Ich glaube, dahinter müssen wir uns mit unserem Verfah- insgesamt 1 999 Gefährdungsanzeigen eingereicht. Da- ren und mit unseren Zahlen wirklich nicht verstecken. von wurden 1 994 Gefährdungsanzeigen geprüft. 811 af- ghanische Ortskräfte haben eine Aufnahmezusage nach (Beifall bei der CDU/CSU) § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz erhalten. Schlussendlich sind 768 Ortskräfte mit ihren Familien – das waren dann Wir glauben, dass sich unser individuelles Verfahren noch mal 2 482 Personen, also insgesamt 3 250 Men- durchaus bewährt hat. Schon allein die Zahlen sprechen schen – von Afghanistan nach Deutschland ausgereist. eine deutliche Sprache. Pauschallösungen, die Sie hier vorschlagen, helfen weder uns noch Afghanistan, und (Beifall des Abg. Johannes Vogel [Olpe] deswegen wollen wir an unserem Verfahren weiter fest- [FDP]) halten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch mit diesem Verfahren, wie in der Vergangenheit, unserer Ver- Auch wenn man kein Mathegenie ist, merkt man, dass antwortung gerecht werden. 3 250 etwas mehr als 3 ist. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, belegt ganz deutlich, dass das der- Da ich noch ein bisschen Redezeit übrig habe: Herz- zeitige Ortskräfteverfahren ausgezeichnet funktioniert. lichen Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Amtsberg! Mehr muss man nicht sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Antrag ist abzulehnen. Vielen Dank. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat (Beifall bei der AfD) das Wort der Kollege Lars Herrmann, AfD-Fraktion. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Nun spricht zu uns der Kollege Helge Lindh, SPD-Fraktion – mit dem Lars Herrmann (AfD): Angebot einer verkürzten Redezeit. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Die Grünen konstruieren mal wieder Probleme, wo (Beifall bei der SPD) gar keine sind, und lassen dabei einfach Zahlen und Fak- (B) (D) ten unter den Tisch fallen, um ein möglichst dramatisches Helge Lindh (SPD): Bild zu zeichnen. Mit „Fakten unter den Tisch fallen las- Herr Präsident, immer diese Anspielungen auf meine sen“ meine ich nicht, dass man als grüne Bundestagsab- Redezeit! geordnete sich in einen Bioladen in Leipzig einschleicht, (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE zu erwähnen vergisst, dass man Bundestagsabgeordnete GRÜNEN]: Immerhin acht Minuten!) ist, Ich muss gestehen, dass es mir nicht gelingen wird, Frau (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE Amtsberg so formvollendet zu gratulieren, wie Sie das GRÜNEN]: Zum Thema, Herr Kollege!) gemacht haben. Aber ich gratuliere ihr nach meinen Mög- und dort eine normale Kundin mimt, die AfD-Produkte lichkeiten: Herzlichen Glückwunsch! boykottiert, (Heiterkeit) (Beifall bei der AfD – Luise Amtsberg [BÜND- Fürsorgepflicht und Verantwortung sind das, worum es NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) hier heute geht. Deshalb halte ich es auch für völlig legi- tim, dass es einen solchen Antrag gibt. Er wäre besonders sondern mit den fehlenden Fakten meine ich die Zahlen in angebracht, wenn wir kein entsprechendes Verfahren hät- Ihrem Antrag. Sie stützen sich auf eine kleine Anfrage aus ten. Dies ist aber der Fall, und deshalb fasse ich mich kurz dem letzten Jahr und betrachten nur Zahlen und Zeiträu- und beschränke ich mich auf eine Aufklärung über den me, die in das eigene, sehr begrenzte Weltbild der Grünen Sachverhalt. passen. Ganz konkret wird von Ihnen der Zeitraum von Januar 2017 bis Ende September 2018 genannt, in dem Wir haben nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz bereits tatsächlich nur elf Gefährdungsanzeigen von afghani- seit Jahren ein zwischen vier Ministerien abgestimmtes schen Ortskräften gestellt und lediglich drei Aufnahme- Verfahren, mit dem versucht wird, die Ausübung der Für- zusagen erteilt wurden. sorgepflicht umzusetzen. Dieses Verfahren ist so ausge- staltet, dass die Aufnahme außerhalb des normalen Asyl- Da fällt mir – ich will keine Werbung machen – das verfahrens – das ist im Übrigen eine deutlich bessere Motto vom Nachrichtensender Phoenix ein, in dem es Situation als die in Dänemark – organisiert wird. sinngemäß heißt: Das ganze Bild sehen! – Wenn man beim Thema „Ortskräfteverfahren in Afghanistan“ das Um ganz ehrlich zu sein: Es ist keineswegs so, dass zur ganze Bild betrachtet, dann erkennt man, dass es ganz Antragstellung grundsätzlich nur der auf jeden Fall be- anders aussieht, als es die Kollegen der Grünen hier schwerliche Weg nach Islamabad oder nach Neu-Delhi zeichnen. verlangt wird, sondern es besteht auch die Möglichkeit, 14570 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Helge Lindh (A) dass die Beschäftigten, wenn sie noch in Diensten sind, ihrem Land engagiert und ihr Leben riskiert haben. Das (C) den Antrag bei der jeweiligen Dienststelle stellen, und geschieht hier. Ich glaube, wir können stolz auf unsere zwar auch noch zwei Jahre nach Beendigung der Be- Bundeswehr, auf die Polizistinnen und Polizisten und auf schäftigung. Erst wenn diese Zweijahresfrist überschrit- diese Ortskräfte sein. ten ist, besteht nur noch dieser alternative Weg. Das heißt, In diesem Sinne: Eine gute Nacht! das ist ein sehr wohlabgestuftes Verfahren, mit dem ver- sucht wird, der Gefährdung auf angemessene Weise ge- (Beifall bei der SPD) recht zu werden und nicht zu hohe Kriterien an das Ver- fahren anzulegen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Es gilt auch schon – das muss man der Aufklärung Herzlichen Dank, Herr Kollege Lindh. Sie haben sich wegen sagen – im Kleinen eine Form der Vermutungs- noch einmal selbst übertroffen. – Als letzter Redner zu regelung; denn innerhalb dieser Zweijahresfrist wird an- diesem Tagesordnungspunkt spricht zu uns der Kollege genommen, dass ein Zusammenhang zwischen der Tätig- Benjamin Strasser, FDP-Fraktion. keit und der Gefährdungslage durch die Taliban besteht. Das heißt, das ist ein sehr wohlüberlegtes Verfahren, und (Beifall bei der FDP) es setzt sich auch entsprechend fort. Benjamin Strasser (FDP): Wenn die Meldung seitens des BMI erfolgt, wird die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Verteilung der Menschen nach dem Königsteiner Schlüs- Kollegen! In Bezug auf den Antrag der Grünen möchte sel vorgenommen. Die Kommune wird informiert, die ich für die Fraktion der Freien Demokraten vor allem Kommune organisiert die Abholung der betroffenen Per- zwei Aspekte beleuchten: Ihr Antrag zeigt einerseits zu sonen vom Flughafen, und dann erfolgt die Zuweisung in Recht das Unvermögen der Bundesregierung auf, afgha- eine Einrichtung, die im Idealfall – so, wie man es in nische Ortskräfte umfassend zu schützen und ihnen bei meiner Kommune Wuppertal versucht – eine Privatwoh- Bedarf auch Zuflucht in Deutschland zu gewähren. Das nung, in anderen Fällen aber auch eine Gemeinschafts- ist in der Tat richtig. Andererseits muss ein derartiges unterkunft ist. Das heißt, diese Menschen befinden sich Verfahren auch dem Spannungsfeld zwischen den An- im Vergleich zu anderen geflüchteten Menschen sehr sprüchen von Schutzberechtigten und der gleichzeitigen wohl in einer deutlich besseren Situation, und das ist auch Aufrechterhaltung von Sicherheitsstandards gerecht wer- berechtigt. den. Warum aber lehnen wir Ihre Idee eines Gruppenver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon alarm- fahrens ab? Ich kann Ihnen eindeutig sagen: weil das aus ierend, dass es die Bundesregierung auch 18 Jahre nach (B) (D) unserer Sicht eine Ungerechtigkeit gegenüber anderen, Beginn des Einsatzes in Afghanistan offensichtlich nicht auch vulnerablen Gruppen wäre. Ich selbst habe hier an geschafft hat, die notwendigen Weichen für ein geregeltes dieser Stelle im Zusammenhang mit den sicheren Her- Verfahren zu stellen, das den Bedarfen auch wirklich ge- kunftsstaaten ausgeführt, dass ein sicherer Herkunftsstaat recht wird. nicht bedeutet, dass der Einzelfall nicht geprüft wird. Das heißt aber auch, dass wir die Gefährdungslage im Einzel- (Beifall bei der FDP) fall prüfen. Deutsche Bürokratie macht auch vor der afghanischen Deshalb halten wir es sehr wohl für angebracht, dass Grenze keinen Halt, augenscheinlich auch dann nicht, auch hier nach einem Kriterienkatalog, nach bestimmten wenn es dabei um Freunde und Verbündete geht, die für Vorgaben geprüft wird, ob im Einzelfall eine Gefährdung Deutschland Verfolgung im eigenen Land riskieren. vorliegt oder nicht. Wenn wir das nicht täten, wäre dies Die Bilanz wurde vorgetragen: Von Januar 2017 bis aus unserer Sicht gegenüber anderen Gefährdeten, deren September 2018 wurden gerade mal elf Gefährdungsan- Einzelfälle auch geprüft werden – zum Beispiel bei Men- zeigen gestellt und lediglich drei Aufnahmezusagen er- schen aus Afghanistan; das wissen wir alle –, eine nicht teilt. Wir haben die Situation, dass Anträge in Islamabad angebrachte Situation und Regelung. und Neu-Delhi gestellt werden müssen. Das ist also ein Deshalb macht nicht ein Gruppenverfahren Sinn, son- System, das nicht hält, was es verspricht, nämlich Schutz dern der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist der rich- für diejenigen zu bieten, die ihr Leben für den Wieder- tige. Gleichzeitig sind wir und auch das BAMF weiterhin aufbau des Landes riskieren. offen, Verbesserungen im Verfahren durchzuführen und Dabei stehen afghanische Ortskräfte mit und für uns an uns dann anzugucken, wie viele Menschen davon profi- vorderster Front. Sie ermöglichen Einsätze der Bundes- tieren können und wie sich die Zahlen entwickeln, und wehr und zahlreicher deutscher NGOs. Dafür schulden das sind gegenwärtig eine bis drei Personen pro Monat. wir als Bundesrepublik diesen Menschen genauso wie Das heißt, davon, dass hier systematisch Hilfe unters- ihren Familien Schutz. agt wird, kann keinesfalls die Rede sein. Wir sind uns, glaube ich, alle darin einig, dass wir Verantwortung ha- (Beifall bei der FDP) ben, dass wir dieser Verantwortung gerecht werden und Wir dürfen die Menschen vor Ort, die sich dafür ent- dass wir uns bedanken müssen: bei den Ortskräften, aber scheiden, auf unserer Seite zu stehen, nicht im Stich las- auch bei unserer Bundeswehr und den Polizistinnen und sen; denn genau diese Menschen sind es, die das Potenzial Polizisten, die sich in Form von Patenschaftsnetzwerken haben, Afghanistan wieder dauerhaft zu stabilisieren. Der der Menschen annehmen, die sich als Ortskräfte für uns in politische Wiederaufbau Afghanistans braucht Menschen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14571

Benjamin Strasser (A) mit Courage und ein Verständnis demokratischer Werte. Überweisungsvorschlag: (C) Das stellen die Ortskräfte mit ihrer Arbeit täglich aufs Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Neue unter Beweis. 27 Minuten sind vereinbart. – Es gibt keinen Wider- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten spruch. Dann ist das so beschlossen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache mit dem Redner Axel Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl diese Müller, CDU/CSU-Fraktion. Schutzgewährung selbstverständlich sein muss, möchte ich aber auch den zweiten Aspekt nicht vernachlässigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke, wir hätten eigentlich die Chance, uns ohne Vorbehalte in dieser wichtigen Sache zu einigen; daran Axel Müller (CDU/CSU): gibt es eigentlich nichts zu rütteln. Dennoch gibt es in Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- diesem Antrag einige Punkte, die mir persönlich zu pau- men und Herren Kolleginnen und Kollegen! Zu vorge- schal sind und die ich in dieser Form deshalb auch nicht rückter Stunde ein etwas dröges Thema: Es geht um die uneingeschränkt unterstützen kann. Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Ju- gendstrafverfahren. Es geht um die Umsetzung einer eu- Mit einem „Gruppenverfahren für die großzügige Auf- ropäischen Richtlinie aus dem Jahre 2016, die sich mit nahme“, wie es in Ihrem Antrag steht, können wir uns in Strafverfahren gegen Kinder bzw. mit Verdächtigen im dieser Einfachheit eben nicht anfreunden. Auf eine indi- Jugendstrafverfahren beschäftigt. Neben den vorgenom- viduelle Prüfung der Hintergründe und Umstände jedes menen Änderungen im Jugendgerichtsgesetz geht es auch Antragstellers müssen wir pochen; um zahlreiche andere Änderungen im Zusammenhang (Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt mit dem Jugendstrafrecht, die sich in anderen Gesetzen [FDP]) wiederfinden, die allerdings hier nicht von solcher Rele- vanz sind, dass man sie um diese Zeit morgens noch vor- denn obwohl wir Dankbarkeit für die Zusammenarbeit tragen müsste. schulden, dürfen wir das Verfahren keinem möglichen Missbrauch zum Opfer fallen lassen. Zwei Grundsätze kennzeichnen das Jugendstrafrecht: Der erste Grundsatz ist, dass im Jugendstrafrecht generell Wir stimmen dem Anliegen des Antrags in der Sache der Erziehungsgedanke gilt, also nicht das Abschre- zu. Für uns Freie Demokraten bedarf der Antrag aber ckungsprinzip, wie man es im Erwachsenenstrafrecht einiger Anpassungen, die das Gleichgewicht zwischen anwendet, um Nachahmungstäter von entsprechenden Sicherheit und Schutz klarer herausstreichen. Daher wer- (B) Taten abzuschrecken. Es geht im Jugendstrafrecht darum, (D) den wir Ihren Antrag in der Beratung auch weiter kon- dass man den Jugendlichen mit den Sanktionen, mit dem struktiv begleiten. Maß der Sanktion und der Art der Sanktion, davon ab- Lassen Sie es mich so zusammenfassen: In der Sache halten möchte, weiter straffällig zu werden. ist Ihr Antrag richtig, aber bei den einzelnen Forderungen Der zweite generelle und wichtige Punkt im Jugend- müssen wir nachjustieren. Wir freuen uns auf die Bera- strafrecht ist, dass die Sanktion der Tat auf dem Fuße tungen im Ausschuss. folgen sollte, um den jugendlichen Täter zur Umkehr zu Vielen herzlichen Dank. bewegen oder eine negative Entwicklung, die sich ab- zeichnet, zu stoppen. Daher unterliegt das Jugendstraf- (Beifall bei der FDP) verfahren auch einem ganz besonderen Beschleunigungs- gebot. Genau dieser Anforderung wird der vorgelegte Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Gesetzentwurf nicht in ausreichendem Maße gerecht, da er das Verfahren durch nicht notwendige und nach der Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Reden von Ulla Richtlinie auch nicht erforderliche Aufblähungen und Jelpke, Josef Oster und Reinhard Brandl gehen zu Proto- Ausdehnungen verzögert. Ich mache meine Behauptung koll,1) sodass ich die Aussprache zu diesem Tagesord- an zwei zentralen Punkten fest: nungspunkt an dieser Stelle schließen kann. Erstens. Die Bestellung eines Verteidigers soll künftig Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf in jedem Fall – auch wenn es um die Frage geht, ob eine Drucksache 19/9274 an die in der Tagesordnung aufge- Jugendstrafe vorbehalten oder festgesetzt werden soll – führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- zwingend sein. Das ist mit dem Gedanken des Jugend- verstanden? – Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. strafrechts gerade nicht zu vereinbaren. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: § 27 des Jugendgerichtsgesetzes beschäftigt sich genau Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- mit diesem Punkt. In § 27 wird letztendlich dann darauf gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- erkannt, dass die Festsetzung einer Jugendstrafe nur vor- kung der Verfahrensrechte von Beschuldigten behalten wird. Es wird ein Zeitkorridor von in der Regel im Jugendstrafverfahren sechs Monaten geschaffen, in dem das Gericht den Ju- gendlichen weiter beobachtet und am Ende feststellt: Ja, Drucksache 19/13837 er hat schädliche Neigungen – wie es im Jugendstrafrecht leider immer noch heißt, und es bedarf einer Jugendstrafe, 1) Anlage 13 oder es bleibt beim Schuldspruch. 14572 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Axel Müller (A) Wenn das Gericht eine Jugendstrafe nachträglich fest- - „böte“, sagte ich –, aber insoweit sind die Messen eh (C) setzen will, gibt es ein sogenanntes Nachverfahren. Es ist gesungen: Es ist geltendes EU-Recht, und wir haben als unstreitig, dass in diesem Nachverfahren die Bestellung nationaler Gesetzgeber nur die Hacken zusammenzu- eines Verteidigers zwingend ist. Der Gesetzestext, der schlagen und das auszuführen. vorgelegte Entwurf, macht aber keinen Unterschied zwi- schen der vorbehaltenen Jugendstrafe und der im Nach- Die Frage ist, ob die Umsetzung nun korrekt erfolgt verfahren festgesetzten Jugendstrafe. Ich zitiere: oder ob man da ein Haar in der Suppe findet. Da hat der Kollege Müller schon völlig zu Recht ein paar Härchen In beiden Fällen gefunden. Auch mir ist sauer aufgestoßen, dass das alles in der Praxis wohl sehr umständlich sein wird. – so lautet die Begründung - Aber weitere Erörterungen dazu kann ich mir, denke schwebt das Damoklesschwert einer zu vollstreck- ich, sparen. Wir haben am Montag bereits die Anhörung enden Jugendstrafe über den betroffenen Jugendli- der Sachverständigen zu diesem Thema im Rechtsaus- chen. schuss. Da können wir das alles in extenso erörtern, zu Das ist, wie ich gerade aufgezeigt habe, gerade nicht der dieser Stunde nicht mehr. Deswegen wünsche ich allen Fall. – Das würde im Extremfall dazu führen, dass eine eine gute Nacht. Hauptverhandlung, bei der am Ende nur festgestellt wer- (Beifall bei der AfD) den könnte, dass ein Schuldspruch das Richtige ist und die vorbehaltene Jugendstrafe auszusprechen ist, unter Umständen neu begonnen werden müsste, und wider- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: spricht damit dem Beschleunigungsgrundsatz. Vielen Dank, Herr Kollege. – Alle übrigen Reden ge- hen zu Protokoll,1) sodass ich die Aussprache an dieser Der zweite Punkt, an dem ich meine Behauptung fest- Stelle schließen kann. machen möchte, dass der Gesetzestext letztendlich über die Richtlinie und die verfolgten Zielsetzungen hinaus- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs geht, ist, dass künftig in allen Fällen, auch bereits vor auf Drucksache 19/13837 an den Ausschuss für Recht Anklageerhebung, ein Jugendgerichtshilfebericht, mög- und Verbraucherschutz vorgeschlagen. Gibt es andere lichst in schriftlicher Form, vorgelegt werden muss. Der Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren Jugendgerichtshilfebericht dient aber dazu, dem Gericht wir wie vorgeschlagen. eine Entwicklung des Jugendlichen aufzuzeigen; er dient dazu, dem Gericht eine Entscheidungshilfe zu liefern. Der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 und den Zusatz- (B) Staatsanwalt braucht das gerade nicht. Er wird ohne Ju- punkt 12 auf: (D) gendgerichtshilfebericht Anklage erheben. Die Zeit zwi- schen der Anklageerhebung und der Hauptverhandlung 24 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- wird dann dazu genutzt, den Jugendgerichtshilfebericht gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure- einzuholen. Das ist genügend, ausreichend und dient, wie gelung des Rechts der notwendigen Verteidi- gesagt, dem Beschleunigungsgrundsatz. gung All das zeigt nach meiner Überzeugung, dass noch Drucksache 19/13829 einiges zu diskutieren sein wird, und wir werden, hoffe Überweisungsvorschlag: ich, das weitere parlamentarische Verfahren dazu nutzen, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz um trotz der aufgezeigten Kritikpunkte hier Verbesserun- gen zu erzielen. Das ist in anderen Punkten ja auch ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten schon – das will ich nicht verschweigen – gelungen. In Dr. Jürgen Martens, Stephan Thomae, Grigorios diesem Sinne: Lassen Sie es uns angehen! Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Danke schön. Für eine konsequente Umsetzung der PKH- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Richtlinie – Recht auf Verteidigung ab der ers- ten Stunde vorbehaltlos gewährleisten Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Drucksache 19/14036 Vielen Dank, Kollege Müller. – Das Wort hat für die AfD-Fraktion der Kollege Roman Reusch. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (Beifall bei Abgeordneten der AfD) 27 Minuten sind interfraktionell vereinbart. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Roman Johannes Reusch (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bereits Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt wieder der Kol- erwähnte, diesem Gesetzentwurf zugrundeliegende EU- lege Axel Müller. Richtlinie böte in der Tat Anlass zu längeren Ausführun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen, und zwar zu sehr kritischen

(Marianne Schieder [SPD]: Oh nein!) 1) Anlage 14 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14573

(A) Axel Müller (CDU/CSU): Strafprozessordnung, die immer dann angewandt wird, (C) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- wenn der Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung gen! Wieder ein spannendes Thema: Es geht erneut um zur Hauptverhandlung nicht erscheint oder sich zumin- die Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Insgesamt dest vorübergehend verborgen hält, sodass auch eine Vor- möchte der Europäische Rat – darauf fußt diese Richt- führung zur Hauptverhandlung erfolglos ist. Er wird linie – mit fünf Maßnahmen die Rechte der Beschuldigten dann, wenn er ergriffen wird, dem Richter vorgeführt, im Strafverfahren verbessern. und der nimmt ihn vorübergehend in Haft, bis die Haupt- verhandlung durchgezogen werden kann. Es handelt sich In diesem Fall geht es um die Prozesskostenhilfe- oftmals um kleine Delikte mit weniger größeren Straff- Richtlinie und die Festsetzung einer Verteidigung. Ich olgen, sodass eine längere Inhaftierung unverhältnismä- will nicht verschweigen, dass es nicht ganz einfach ist, ßig wäre. diese Richtlinie umzusetzen, weil die Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe, die eher dem Zivilprozess Der Gesetzentwurf sieht künftig auch für diese Fälle zuzurechnen ist, dem Strafrecht etwas wesensfremd er- die Notwendigkeit eines Verteidigers vor. Man bedenke, scheint. Das liegt zum einen daran, dass wir eben nicht was das in der Praxis bedeutet: Der Richter muss mit dem darüber entscheiden, ob ein Erfolg sozusagen die Bestel- Verteidiger einen Termin finden; dessen Kalender muss lung eines Verteidigers rechtfertigen dürfte. Es gibt Mit- berücksichtigt werden. Unter Umständen geht das zulas- gliedstaaten, in denen der Beschuldigte in jedem Fall ten des Beschuldigten, weil der dann auch mehrere Wo- sämtliche Kosten zu tragen hat; da mag das alles ange- chen oder gar Monate in Haft zu verbleiben hat. bracht sein. Der deutsche Strafprozess kennt allerdings, Ganz nebenbei bemerkt muss der Angeklagte im Falle schon von seinem Wesen her, eine umfassende Fürsorge seiner Verurteilung auch diese Verteidigerkosten zahlen, zugunsten des Beschuldigten, was die Sicherstellung sei- auch wenn am Ende vielleicht nur eine geringe Strafe ner Verteidigung anbelangt. steht. Woran liegt das? Wie kommt der Gesetzentwurf Zudem findet in der Richtlinie noch ein Perspektiv- dazu? Zwei kurze Antworten möchte ich Ihnen liefern: wechsel statt, und dieser findet sich dann auch im vorge- Meines Erachtens wurde die Richtlinie an einer Stelle legten Gesetzentwurf wieder. Dieser Perspektivwechsel zumindest falsch interpretiert. Artikel 4 der Richtlinie besagt, dass nicht mehr wie bisher aus der Sicht des Ge- sieht nämlich nicht vor, dass es um die Hauptverhand- richts darüber entschieden werden soll, ob eine Verteidi- lungshaft, um den Angeklagten geht. Es geht vielmehr gung notwendig ist, sondern künftig sozusagen schon in um die Untersuchungshaft, um die Vorführung des Be- einem früheren Stadium des Verfahrens, im Ermittlungs- schuldigten. Insoweit schießt der Gesetzentwurf über die verfahren, diese Frage geklärt werden muss. Zielsetzungen der Richtlinie hinaus. (B) (D) Genau da schießt der vorgelegte Gesetzentwurf über Und der zweite Grund: Der Gesetzentwurf übersieht die Zielsetzung der Richtlinie hinaus: indem nämlich aber vor allem, dass in den Erwägungen zu Nummer 9 nach § 136 der Strafprozessordnung künftig die Polizei der Richtlinie ausdrücklich festgehalten ist, dass der Be- vor einer ersten Vernehmung des Beschuldigten oder ei- schuldigte selbst darüber entscheiden darf, ob er einen ner Gegenüberstellung sicherstellen muss, dass ein Ver- Verteidiger möchte oder nicht. Genau diese Möglichkeit teidiger bestellt ist. Das stellt nach meiner persönlichen des autonomen Verzichts nimmt der Gesetzentwurf in der Überzeugung die Polizei – und das haben auch die Be- vorgelegten Fassung dem Beschuldigten. kundungen der Polizei ergeben – vor eine nicht zu löse- Meine Damen und Herren, lassen Sie auch in diesem nde Aufgabe. Die Polizei ist mit der Sachverhaltsaufklä- Fall das weitere Verfahren uns die Möglichkeit geben, rung befasst. Die rechtliche Bewertung eines diese von mir aufgezeigten Mängel zu beseitigen, und Sachverhalts – Einstellung des Verfahrens oder Anklage- zu einer, wie ich meine, wirklichen Verbesserung der erhebung mit der Notwendigkeit einer Verteidigerbestel- Rechte des Beschuldigten kommen. lung – obliegt der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigerbe- stellung gehört nicht zu den Kernkompetenzen der Danke schön. Polizei. (Beifall bei der CDU/CSU) Ganz nebenbei bemerkt werden durch diese Gesetzes- änderung schnelle Aufklärungserfolge, wie wir sie nach Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dem Mordfall Lübcke oder jetzt auch nach dem Attentat Vielen Dank. – Der nächste Redner: der Kollege in Halle zu verzeichnen hatten, künftig eher infrage ge- Thomas Seitz, AfD-Fraktion. stellt. In beiden Fällen hatten wir frühe Geständnisse der Beschuldigten. Ich prophezeie, dass es das künftig so (Beifall bei der AfD) nicht mehr geben wird. Und diese Geständnisse wirken sich zwingend strafmildernd zugunsten der Angeklagten Thomas Seitz (AfD): aus. Insofern bringt die Umsetzung der Richtlinie in der Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und jetzt vorgelegten Form nicht unbedingt eine Verbesserung Herren! Der vorgelegte Gesetzentwurf umfasst elf Seiten der Rechte des Beschuldigten. Das wollen wir so nicht mit prozessualem Klein-Klein, dem nur Juristen folgen haben. können, die regelmäßig im Strafrecht unterwegs sind. Ein weiterer Kritikpunkt, den ich hier anbringen möch- Das gewählte kurze Debattenformat ist zwar für diese te, ist die künftige Behandlung der sogenannten Haupt- kleinteilige Materie unzureichend, reicht aber aus, um verhandlungs- oder Ungehorsamshaft nach § 230 der Not und Elend eines Parlaments aufzuzeigen, das schon 14574 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Thomas Seitz (A) lange über seine Gesetzgebung größtenteils nicht mehr und das Wohl des Steuerzahlers zu opfern, um Interessen (C) autonom entscheidet, sondern gezwungen ist, EU-Richt- Ihrer besserverdienenden Klientel bedienen zu können. linien willfährig in nationales Recht umzusetzen. Dafür gibt es von der AfD keine Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Danke. Diese Scheingesetzgebung ist der Mehrzahl unserer (Beifall bei der AfD) Bürger überhaupt nicht bewusst, auch weil dies in der Debatte oft unerwähnt bleibt. Denn nur um in untertäni- ger Manier Vorgaben aus Brüssel in deutsche Gesetzes- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sprache zu übersetzen, bräuchte es kein teures und mit Die übrigen Reden gehen zu Protokoll.1) über 700 Abgeordneten deutlich aufgeblähtes Parlament. Dafür genügt vollauf unsere bewährte Ministerialverwal- Ich schließe die Aussprache. tung. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 19/13829 und 19/14036 an den Ausschuss (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Timon für Recht und Verbraucherschutz vorgeschlagen. Sind Sie Gremmels [SPD]: Kandidieren Sie doch fürs damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann verfahren EU-Parlament!) wir so. Auch der vorliegende Entwurf dient im Wesentlichen der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie den Zusatz- Umsetzung einer EU-Richtlinie, die, wie so viele andere punkt 13 auf: Rechtsetzungsakte der EU, nicht hilfreich und für Deutschland sogar nachteilig ist. 25 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Länder, deren Strafprozessrecht wirklich gravierende Änderung des Direktzahlungen-Durchfüh- Defizite aufweist und die keinen fairen Zugang zu quali- rungsgesetzes fizierter Verteidigung ermöglichen, werden diese Richt- linie jedenfalls in der Rechtsanwendung wohl kaum wie Drucksache 19/13960 vorgesehen umsetzen. Überweisungsvorschlag: Die wirklich gewichtige Änderung der Rechtslage für Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Deutschland besteht in der zeitlichen Vorverlagerung der ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bestellung eines Pflichtverteidigers, wofür es aus unserer Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, Harald Sicht keine überzeugende rechtsstaatliche Begründung Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (B) gibt. Diese aufgezwungene Reform dient dem pekuniären BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Interesse der Rechtsberatungslobby – auf Kosten der Jus- sowie der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, tizhaushalte der Länder und der Strafverfolgungspraxis. Kersten Steinke, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Zumindest gibt es am Entwurf zur Umsetzung dieser Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE fragwürdigen Richtlinie nicht allzu viel zu kritisieren. Er Weidetierprämie für Schafe und Ziegen jetzt hält am bewährten Konzept der notwendigen Verteidi- auf den Weg bringen gung fest und überträgt nicht das Prinzip der Prozesskos- tenhilfe im Widerspruch zu unserer Rechtstradition auf Drucksache 19/14095 das Strafverfahren. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Positiv ist auch, dass der Entwurf sich weitgehend da- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit rauf beschränkt, die Vorgaben der EU nur umzusetzen, statt sie noch übertrumpfen zu wollen. Das gilt auch für Interfraktionell sind 27 Minuten vereinbart. – Es gibt die bekundete Offenheit der Regierung für die Ände- keinen Widerspruch. Dann machen wir das so. rungsvorschläge des Bundesrates. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Neben den Kritikpunkten, die der Kollege Müller Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. schon angeführt hat, habe ich noch auf einen hinzuwei- (Beifall bei der CDU/CSU) sen: Die Qualität der Strafverteidigung daran messen zu wollen, dass ein Anwalt der Rechtsanwaltskammer sein Max Straubinger (CDU/CSU): Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigung an- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das zeigt, ist bürokratischer Unfug und ändert nichts an Direktzahlungen-Durchführungsgesetz in seiner aktuel- schlechten Strafverteidigern, die im Einzelfall bestellt len Fassung stellt bereits heute die Finanzierung der Län- werden. derprogramme zur Umsetzung der zweiten Säule in der Zum Schluss noch einige Worte zu dem Antrag der Agrarpolitik sicher. In dem Fünfjahreszeitraum 2016 bis FDP-Fraktion. Sie gehen über die Vorgaben der EU- 2020 stehen jährlich über den von den Agrarministern im Richtlinie hinaus und produzieren damit noch mehr Jahr 2013 festgelegten Umschichtungssatz von 4,5 Pro- Pflichtverteidigung zulasten des Steuerzahlers. Und wes- zent rund 224 Millionen Euro zusätzlich für die zweite halb? Nur um die Taschen von Rechtsanwälten zu füllen. Säule zur Verfügung. Ihr Antrag zeigt wieder einmal, dass Sie immer noch die alte FDP sind: allzeit bereit, Ihre angeblichen Grundsätze 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14575

Max Straubinger (A) Für die finanziell klammen Bundesländer ist von Vor- Nehmen wir die existenziellen Sorgen ernst, und hören (C) teil, dass die Umschichtungsmittel in vollem Umfang im wir endlich mit dem ideologischen Bauern-Bashing auf! jeweiligen Bundesland verbleiben und nicht kofinanziert In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk- werden müssen. Die SPD- und grünengeführten samkeit. Bundesländer haben mit der Kofinanzierung in der Regel häufig Schwierigkeiten. Darum sind diese Bundesländer (Beifall bei der CDU/CSU) auch so heiß darauf, diese Mittel, wo möglich, von der ersten in die zweite Säule zu verschieben. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Gut Vielen Dank, Herr Kollege Straubinger. Sie haben Zeit erkannt!) eingespart, sehr löblich. – Für die AfD hat der Kollege Das ist der wahre Grund dafür. Das Geld anderer gibt sich Stephan Protschka das Wort. halt ein bisschen leichter aus, als wenn man es selber mit (Beifall bei der AfD) aufbringen müsste, und man kann damit auch Haushalts- löcher stopfen. Stephan Protschka (AfD): Ohne eine Änderung des Direktzahlungen-Durchfüh- Habe die Ehre, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen rungsgesetzes erhöhen sich die Direktzahlungen im Jahr und Kollegen! Schön, dass Max Straubinger – er kommt 2020 um rund 14 Euro je Hektar für jeden Betrieb in ja aus meinem Landkreis –, der am Dienstag ganze zwei Deutschland. Für einen durchschnittlichen bayerischen Minuten im Ausschuss anwesend war, jetzt schon so viel Betrieb wären das rund 500 Euro mehr anstelle einer Fachkompetenz mit sich bringt, dass er gleich eine Rede zusätzlichen Kürzung von rund 160 Euro im Jahr 2020. halten kann. Damit verlieren insgesamt die deutschen Bäuerinnen und (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das schafft nur Bauern 75 Millionen Euro im Jahr 2020. die Union!) Bisher sieht dieser Vorschlag keine Kompensation sei- Liebe Regierung, Sie legen mit diesem Gesetzentwurf tens des Bundesfinanzministers vor. Denn umgeschichte- die Axt an die Einkommens- und Risikoabsicherung un- te Mittel stehen nicht zwingend für Maßnahmen in der serer Landwirte. Es geht immerhin um 75 Millionen Eu- Landwirtschaft zur Verfügung und sind immer mit zusätz- ro. Das ist ein weiterer Meilenstein der bauernfeindlichen lichen Auflagen versehen. Politik der Regierungskoalition, die sich wie ein roter Zum Vergleich: Die hart erkämpfte Erhöhung der Un- Faden durch die Legislaturperiode zieht. Sie – auch die terstützung bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossen- Union – rauben mit Ihrer Agrarpolitik den landwirtschaft- (B) schaft wird im Jahr 2020 durch die vorgesehene erhöhte lichen Familienbetrieben jede Planungssicherheit und ge- (D) Umschichtung vollständig aufgebraucht. Das ist für mich fährden so ihre Existenz. Sie beschleunigen damit das keine seriöse Politik. Auf der einen Seite unterstützen wir Höfesterben dramatisch. unsere Betriebe, auf der anderen Seite ziehen wir den (Beifall bei der AfD) Bäuerinnen und Bauern das Geld wieder aus der Tasche; das muss man doch sehen. Liebe CDU/CSU, Sie erinnern sich vielleicht, dass Sie sich selbst Anfang des Jahres vehement gegen eine Um- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schichtung der Mittel ausgesprochen haben. Ihre eigene Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: So darf es Begründung war damals, dass eine Kürzung der Direkt- nicht sein!) zahlungen existenzgefährdend für die Landwirte sei. Die Ich stehe zur Vertragstreue und Zuverlässigkeit gegen- Agrarministerkonferenz im April fasste den gleichen Be- über unseren Bäuerinnen und Bauern. Daher lehne ich die schluss. Und jetzt soll plötzlich doch umgeschichtet wer- vorgesehene Umschichtung in 2020 ohne eine Kompen- den? Wisst ihr jetzt, was ihr wollt, oder nicht? Wir, die sation ab. Eine Umschichtung in 2020 für das Jahr 2021 AfD, wollen, dass die Landwirte in naher Zukunft wieder war nie vorgesehen. Die gekürzten Mittel fehlen auf den von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können und keine Höfen, beispielsweise für notwendige Investitionen in Direktzahlungen mehr nötig haben, meine Damen und Betriebsgebäude oder auch zur Stärkung der betriebli- Herren. chen Risikovorsorge. (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Carina (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Konrad [FDP]) der Abg. Carina Konrad [FDP]) Trotzdem muss es eine Art Bestandsschutz geben. Die grünen Kreuze und die für kommenden Dienstag Denn die Landwirte haben mit diesem Geld schon für angekündigten bundesweiten Demonstrationen der Bäue- 2020 geplant. Aber der GroKo ist die Existenz unserer rinnen und Bauern, die von der Basis organisiert werden, kleinen und mittleren Familienbetriebe egal. sind ein Alarmzeichen. Unsere Bäuerinnen und Bauern (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Oh!) rufen um Hilfe. Es geht um ihre betriebliche Existenz und die gesellschaftliche Akzeptanz eines ganzen Berufsstan- Was hat das mit verlässlicher Politik zu tun, meine Damen des. Ein Weiter-so wird nicht mehr akzeptiert. und Herren? Stehen wir zu unseren Bäuerinnen und Bauern! Wofür brauchen Sie eigentlich 2020 so dringend diese 75 Millionen Euro in der zweiten Säule? Die meisten (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesländer rufen die Fördermittel bis dato gar nicht 14576 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Stephan Protschka (A) zu 100 Prozent ab; nur drei Bundesländer haben das ge- für einen Hektar in den neuen Bundesländern zugrunde (C) macht. Warum also muss man umschichten bzw. aufsto- legen, dann haben Sie eine Realverzinsung von über cken? 2 Prozent. Die kriegt in Deutschland im Moment sonst keiner. Das heißt, das, was wir hier machen, ist das Big Mit der AfD ist Ihre bauernfeindliche Politik nicht zu Business des Immobiliengeschäfts. machen. Ihre fehlende Glaubwürdigkeit und Verlässlich- keit sind der Grund, warum Ihnen immer mehr Bürger Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, das möglichst nicht mehr vertrauen und warum Sie die Wahlen in Bran- ruhig anzugehen. Das werde ich jetzt auch wieder tun. denburg und Sachsen massiv verloren haben. Sie werden Kehren wir jetzt zu den 75 Millionen Euro zurück, und auch in Thüringen massiv verlieren. Sie werden in Zu- erkennen wir an, dass das christliche Abendland und die kunft weiterhin massiv an die AfD verlieren. deutsche Landwirtschaft – vor allem die kleinbäuerliche Danke. Schönen Feierabend. Habe die Ehre. Landwirtschaft – dadurch nicht untergehen werden. (Beifall bei der AfD) Mit 75 Millionen Euro, die in diesem Fall eingesetzt werden für Einzelmaßnahmen, können wir unglaublich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: viel erreichen. Ich führe ein paar Beispiele an, wo wir mit 75 Millionen Euro wirklich viel erreichen können, Der Kollege Rainer Spiering spricht für die SPD-Frak- und zwar setze ich das in Relation zu dem Haushalt für tion. Forschung. Der landwirtschaftliche Haushalt ist, was die (Beifall bei der SPD) reale Substanz angeht, ja eher ein kleiner Haushalt. Von den knapp 6 Milliarden Euro fließen 4,5 Milliarden Euro Rainer Spiering (SPD): in die bäuerliche Sozialversicherung; es bleiben ungefähr Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es 1,5 Milliarden Euro übrig. Davon sind 500 Millionen Eu- irritiert mich schon, dass wir um diese Uhrzeit jetzt noch ro Forschungsmittel, immerhin ein Drittel; das halte ich so ein Feuerwerk an Polemik erleben. für gut. Wenn Sie diese 75 Millionen Euro in Relation zu den 500 Millionen Euro sehen, dann werden Sie merken, Es hilft aber nichts. Ich versuche mal, das ein bisschen dass 75 Millionen Euro sehr viel Geld sind. Wenn diese einzuordnen. Mittel zweckgebunden für bestimmte Forschungsprojek- (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Das geht te eingesetzt werden, dann können wir mit 75 Millionen gar nicht!) Euro sehr viel erreichen. Wir reden von 75 Millionen Euro – und jetzt wird der Die Frage, die sich an den 1,5 Prozentpunkten ent- (B) Untergang des Abendlandes und der bäuerlichen Land- scheidet, ist: Wollen wir mit dem Gießkannenprinzip auf- (D) wirtschaft beschrien. hören und punktuell forschungsgerecht arbeiten? Wir re- den über die Digitalisierung der Landwirtschaft. Wir sind (Friedrich Straetmanns [DIE LINKE]: Das ist dabei, große Forschungsprojekte aufzulegen, um eigene halt so!) IT-Plattformen zu entwickeln. Da können wir mit 75 Mil- Das kann man machen. Ich frage nur, ob das sinnvoll ist. lionen Euro ganz viel erreichen. Wir reden über 11 Millionen Hektar. Das passt ganz gut zu den 75 Millionen Euro. Das heißt, es geht um 7 Euro Wenn wir – ich wage es kaum zu träumen – diese Zahl pro Hektar. auf 3 Prozentpunkte verdoppeln oder gar auf 4,5 Prozent- punkte verdreifachen würden, dann könnten wir 225 Mil- (Carina Konrad [FDP]: Ich dachte, es geht um lionen Euro für eine IT-gesteuerte Landwirtschaft einset- 4,50 Euro!) zen, die allen dient: den kleinen und den großen. Wenn mir jetzt jemand erklären will, dass bei einem 20- Deswegen kann ich Sie abschließend nur bitten, diese Hektar-Hof und einem Verlust von 140 Euro pro Jahr der 1,5 Prozentpunkte richtig einzuordnen: Sie sind ein klei- Untergang des Hofes prognostiziert werden kann, dann ner Schritt auf dem richtigen Weg. Sie bedeuten nicht den habe ich Schwierigkeiten mit der mathematischen Glei- Untergang der bäuerlichen kleinteiligen Landwirtschaft chung. Andersherum wird ein Schuh daraus, nämlich und sind für die großen Betriebe in ihrer Substanz absolut wenn man sich nicht mit den kleinen Höfen beschäftigt, verkraftbar. Insofern würde ich sagen: Es ist ein kleiner sondern mit den großen Betrieben. Wenn wir von 1 000, Schritt in die richtige Richtung – aber es darf durchaus 2 000, 3 000 Hektar sprechen, was der Größe von Be- mehr sein. trieben entspricht, wie sie jetzt in den neuen Bundeslän- dern aufgekauft werden, dann reden wir plötzlich über Herzlichen Dank. 7 000, 14 000, 21 000 Euro. Worum geht es also? Um den Bestandsschutz kleiner bäuerlicher Betriebe? Oder (Beifall bei der SPD) geht es um das große Immobiliengeschäft? Denken Sie einfach darüber nach! Die Rechnung ist relativ einfach. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wenn wir allein von 275 Euro als Grundzahlung im Vielen Dank, Kollege Spiering, auch für die eingespar- Rahmen der Direktzahlungen ausgehen und von einem te Zeit. – Für die FDP spricht der Kollege Dr. Gero Hof von 1 000 Hektar – das ist in den neuen Bundes- Clemens Hocker. ländern nicht ungewöhnlich –, dann geht es um 275 000 Euro. Wenn Sie einen Kaufpreis von 15 000 Euro (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14577

(A) Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): (Beifall bei der FDP) (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- und es wäre gut, wenn wir uns alle in diesem Haus wieder ren! Landwirtschaft im Jahre 2019 braucht nichts weniger mehr daran orientieren würden. als mehr Mittel in der zweiten Säule. Landwirtschaft im Jahre 2019 braucht endlich von der Politik das Bekennt- (Rainer Spiering [SPD]: Was ist genau mit dem nis, dass sie sich in Zukunft wieder mehr an wissenschaft- Nitrat? – Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Tackmann lichen Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen ori- [DIE LINKE]) entiert. – Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? (Beifall bei der FDP) Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, Land- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wirtschaft sehnt sich danach, dass sie von Gesellschaft Nein, es gibt jetzt keine Zwischenfragen mehr. und Politik anerkannt wird. Das ist vielleicht in einer Zeit, in der die Regale so voll sind wie nie zuvor und die aller- Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): meisten Menschen in unserem Land nie wirklich Hunger Na ja, dann sehen Sie es mir nach, dass ich das nicht gelitten haben, besonders schwer. beantworten kann, weil ich das nicht vernommen habe. Landwirtschaft in Deutschland darf aber sehr wohl den Anspruch haben, dass sie von Politik und Gesellschaft Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wertgeschätzt wird, weil sie in der Lage ist, die hochwer- tigsten Lebensmittel zu erzeugen, nach den höchsten Kommen Sie bitte zügig zum letzten Satz. Standards hergestellt. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist sehr wohl Grundlage für Wertschätzung. Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Geld in ländliche Regionen fließen zu lassen, ist eine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gute Idee. Die Probleme der Landwirtschaft des Jahres der CDU/CSU) 2019 lassen sich aber nicht allein mit mehr Geld lösen, Ich sage das ganz ausdrücklich: So, wie sich die Land- sondern wir sollten mehr auf Wissenschaft, auf wissen- wirtschaftsministerin vor wenigen Tagen im Thüringer schaftliche Erkenntnisse und auf Anerkennung setzen. Wahlkampf eingelassen hat, ist das das ausdrückliche Ge- Vielen Dank. genteil von Wertschätzung. Sie hat nämlich recht lapidar erklärt – vielleicht aus einer Bier- oder auch aus einer (Beifall bei der FDP) Weinlaune heraus –, man könne ja die im Raum stehen- (B) (D) den Strafzahlungen, wenn die Nitratvorgaben nicht ein- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gehalten werden, mit den Ansprüchen verrechnen, die die Alle übrigen Reden zu diesem Tagesordnungspunkt Landwirte aus der Landwirtschaftlichen Sozialkasse er- gehen zu Protokoll1). worben haben. Das hat mit Wertschätzung gegenüber den Bäuerinnen und Bauern überhaupt nichts zu tun. Ich schließe die Aussprache. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf dass die Lebensleistung von vielen Tausend Menschen in den Drucksachen 19/13960 und 19/14095 an die in der Deutschland jemals zuvor so pauschal und so allgemein Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. quasi als Verfügungsmasse für einen politischen Kuhhan- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann del auf dem Altar irgendwelcher innerkoalitionären Dis- verfahren wir so. kussionen geopfert wurde. Das ist unerträglich, und die Ministerin wäre gut beraten, sich davon zu distanzieren Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c sowie und sich dafür zu entschuldigen. Zusatzpunkte 14 und 15 auf: 26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der FDP) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gegenwärtig werden in Deutschland viele Tausend Regelung der Wertgrenze für die Nichtzu- grüne Kreuze aufgestellt, und diese Kreuze stehen nicht lassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum dafür, dass irgendein Landwirt mehr finanzielle Mittel Ausbau der Spezialisierung bei den Ge- haben möchte, sondern sie stehen dafür, dass Landwirte richten sowie zur Änderung weiterer zivil- sich wünschen, dass sich die Politik wieder zur Wissen- prozessrechtlicher Vorschriften schaft als Grundlage für ihre Entscheidungen bekennt und damit aufhört, quasi aus dem Bauch heraus, manchmal Drucksache 19/13828 nach Gutsherrenart Entscheidungen zu treffen, die häufig Überweisungsvorschlag: genug jeder wissenschaftlichen Grundlage entzogen sind. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Chemischer Pflanzenschutz, Nitratrichtlinie, Insekten- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten schutz: Landwirte dürfen den Anspruch haben, dass die Katja Keul, Dr. Manuela Rottmann, Luise Politik nicht aus dem Bauch heraus entscheidet, sondern Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der dass wissenschaftliche Erkenntnisse endlich wieder Ein- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gang in politische Entscheidungen finden. Das sind wir den Landwirten in Deutschland schuldig, 1) Anlage 16 14578 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Zivilprozess im 21. Jahrhundert – Verfah- CSU]: Aber nur, weil sie gehört haben, dass (C) ren und Abläufe effektiv gestalten du redest!) Drucksache 19/14028 – Wahrscheinlich, ja. – Seit 2002 haben wir bekanntlich die Regelung, dass Beschwerden gegen die Nichtzulas- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sung der Revision zum BGH durch Berufungsgerichte nur möglich sind, wenn das jeweilige Verfahren einen c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beschwerdewert von mehr als 20 000 Euro hat. Schon Dr. Manuela Rottmann, Katja Keul, Oliver mehrfach haben wir diese Regelung verlängert und dabei Krischer, weiterer Abgeordneter und der zeitlich befristet. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Um es klar zu sagen: Wir brauchen jetzt eine Dauer- Zivilprozess im 21. Jahrhundert – Strate- lösung, und die schaffen wir mit diesem Gesetzentwurf. gischer Verhinderung der Revision entge- Es muss auf Dauer gesichert sein, dass der BGH nicht genwirken überlastet ist, damit die höchstrichterlichen Urteile zeit- Drucksache 19/14027 nah ergehen. Deswegen ist das eine sehr gute Regelung, die wir heute hier vorliegen haben. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Warum brauchen wir eine solche Beschränkung? Die für Zivilsachen zuständigen BGH-Richter sind erheblich ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan überlastet. 2018 wurden rund 3 600 Nichtzulassungsbe- Thomae, Katrin Helling-Plahr, Grigorios schwerden eingereicht, und wenn wir diese Regelung zur Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Wertgrenze jetzt nicht verlängern würden, dann hätten tion der FDP wir noch mehr solcher Verfahren und erhebliche Über- Zivilprozesse modernisieren – Für ein leis- lastungen für den BGH. Wichtige Grundsatzurteile wür- tungs- und wettbewerbsfähiges Verfahrens- den nicht zeitnah ergehen, und damit würden wichtige recht Rechtsfragen nicht beantwortet werden. Drucksache 19/14037 Daneben werden wir mit diesem Gesetz die Speziali- sierung der Gerichte vorantreiben. Wir wollen, dass die Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Richter, die sich auf ein Rechtsgebiet spezialisiert haben, sich dort gut auskennen, Erfahrungen haben und kompe- ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin tent sind, die entsprechenden Fälle entscheiden. Das wird (B) Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios die Qualität der Rechtsprechung steigern und dazu füh- (D) Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- ren, dass die Verfahren beschleunigt werden. tion der FDP (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nichtzulassungsbeschwerde auch bei kleinen Streitwerten zulassen – Wertgrenze bei der Schließlich sorgen wir mit vielen weiteren Regelungen Nichtzulassungsbeschwerde wieder abschaf- im Gesetzentwurf dafür, dass Zivilprozesse effektiver fen werden – zum Beispiel werden Vergleichsabschlüsse ver- einfacht –, ohne dass das mit Nachteilen für den Rechts- Drucksache 19/14038 schutz der Bürgerinnen und Bürger einhergehen würde. Überweisungsvorschlag: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, das ist ein Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz guter Gesetzentwurf. Wir vermeiden eine Überlastung Interfraktionell sind für die Aussprache 27 Minuten des BGH und beschleunigen die Zivilprozesse, ohne dass vereinbart. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das wir dabei Rechtsschutzmöglichkeiten beschneiden. Stim- so beschlossen. men wir also diesem Gesetzentwurf zu! Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt für die SPD- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns ja Fraktion der Kollege Dr. Johannes Fechner. in der langen Nacht der Rechtspolitik mit fünf Tagesord- nungspunkten zu diesem Bereich, und bei keinem einzi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen dieser Tagesordnungspunkte war der Vorsitzende des der CDU/CSU) Rechtsausschusses anwesend. Dr. Johannes Fechner (SPD): (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- GRÜNEN]: Ja! – Marianne Schieder [SPD]: hörer auf den Tribünen haben wir keine mehr. Sehr ge- Sauerei!) ehrte BGH-Richterinnen und BGH-Richter, die jetzt wahrscheinlich in Karlsruhe vor den Bildschirmen sitzen Ich finde, das geht nicht; das ist einfach unmöglich. Diese und sich diese Debatte zu diesem wichtigen Gesetzent- Mischung aus Faulheit und Desinteresse zeigt, dass es wurf live anschauen! dem Herrn Brandner seinem Schwerpunkt nach mehr um Hetze gegen Minderheiten als um die politische Sach- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der arbeit hier geht. Das will ich in aller Deutlichkeit hier so CDU/CSU und des Abg. Friedrich Straetmanns sagen. Bei fünf Tagesordnungspunkten schwänzt er die [DIE LINKE] – Sebastian Steineke [CDU/ rechtspolitischen Debatten. Das geht nicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14579-14608

Dr. Johannes Fechner (A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- Sie führt zu einer Entlastung des BGH, der Bürger fällt (C) KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hinten runter. sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der AfD: Schäbig! – Gegenruf von der SPD: Bürgerfreundlich wäre es, wenn man das Berufungs- Fakt!) verfahren noch einmal auf den Prüfstand stellen und die Möglichkeiten dort nutzen würde. Ich spiele hier insbe- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sondere auf den § 522 Absatz 2 ZPO an, der es ermög- licht, eine Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Der Kollege Jens Maier hat das Wort für die AfD-Frak- Beschluss zurückzuweisen. tion. (Beifall bei der AfD – Armin-Paulus Hampel Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, in der das alte [AfD]: Dafür ist der Maier da!) Berufungsrecht galt; das war vor 2002. Da war die münd- liche Verhandlung obligatorisch, und der Einzelrichter Jens Maier (AfD): der Berufungskammer wurde nur mit Zustimmung der Die letzte Rede. Parteien tätig. Zu meiner Zeit am Landgericht wurden (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sehr viele Fälle durch Berufungsrücknahme oder Ver- GRÜNEN]: Die müssen Sie nicht halten!) gleich erledigt. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Es macht für den Bürger und für das Erscheinungsbild ren! Es ist beschämend, dass ein Gesetzentwurf dieser der Justiz im Hinblick auf die Akzeptanz von Entschei- Tragweite mitten in der Nacht quasi an der Öffentlichkeit dungen einen Unterschied, ob ich als Bürger im vorbei Eingang in die Parlamentsdebatte gefunden hat. schriftlichen Verfahren einen Hinweisbeschluss, also ein Stück Papier, erhalte, in dem zur Berufungsrücknahme (Marianne Schieder [SPD]: Am Herrn geraten wird, oder ob dieser Rat mündlich von einer Kam- Vorsitzenden vorbei auch!) mer erteilt wird, besetzt mit drei Richtern, die einem Au- Es geht in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in der ge in Auge ihre Gründe erklären. Hauptsache darum, welche Möglichkeiten ein Bürger hat, (Beifall bei der AfD) in Zivilsachen an das oberste Zivilgericht zu kommen. Es geht um effektiven Rechtsschutz, eine Säule des Rechts- Bei der Expertenanhörung im Rechtsausschuss im staates. Darüber wird hier mitten in der Nacht debattiert. Mai 2018 wurde von Dr. Greger, einem ehemaligen BGH-Richter, für eine Aufhebung des § 522 Absatz 2 Weiter beschämend ist die Fantasielosigkeit und man- und Absatz 3 mit der Begründung plädiert, dass diese gelnde Kreativität, die dem Gesetzentwurf immanent ist. (B) Regelung zu einer Zunahme unbegründeter Nichtzulas- (D) (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Mangelnde sungsbeschwerden geführt hätte. Kreativität!) Über den Weg eines verbesserten Berufungsverfahrens Eine mehrmals verlängerte Frist der provisorischen Re- lassen sich demnach viele unbegründete Nichtzulas- gelung soll nun zur endgültigen Lösung gemacht werden. sungsbeschwerden vermeiden. Das könnte insgesamt, Der Beschwerdewert für die Nichtzulassungsbeschwerde und zwar wertunabhängig, zu einer Reduktion der Zahl zum BGH lag bei mehr als 20 000 Euro. Das soll weiter- der Verfahren beim BGH führen. Das müssen wir im hin so bleiben. – Das ist ja toll! Niemand kann einem die Rechtsausschuss noch weiter erörtern. Zahl von 20 000 erklären. Warum 20 000? Warum nicht 30 000 oder 10 000? Diese Zahl ist völlig willkürlich Vielen Dank und gute Nacht. gegriffen. Weil man sich in den Jahren der ständigen Ver- längerung der Frist der provisorischen Lösung daran ge- (Beifall bei der AfD) wöhnt hat, will man offenbar an den 20 000 Euro fest- halten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die übrigen Reden gehen zu Protokoll.1) – Ich schlie- (Marianne Schieder [SPD]: Ja, was ße die Aussprache. wollen denn Sie?) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Dass Rechtsstreitigkeiten mit geringerem Streitwert den Drucksachen 19/13828, 19/14028, 19/14027, 19/ genauso das Potenzial in sich tragen können, eine Ein- 14037 und 19/14038 an den Ausschuss für Recht und heitlichkeit der Rechtsprechung bei bestimmten Fragen Verbraucherschutz vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- herzustellen standen? – Dann verfahren wir so. (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Ihr Vorschlag!) Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. bzw. der Rechtsfortbildung zu dienen, ist offensichtlich. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Über die Wertgrenze den Weg hin zum BGH abzuschnei- tages auf heute, Freitag, den 18. Oktober 2019, allerdings den, erscheint vor diesem Hintergrund als unangemessen erst um 9 Uhr, ein, sodass Sie bis dahin noch ein bisschen und hat mit effektivem Rechtsschutz nichts zu tun. ausruhen können. (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder Die Sitzung ist geschlossen. [SPD]: Wenn er nur vorliest, kann er auch zu Protokoll geben!) (Schluss: 1.40 Uhr)

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altenkamp, Norbert Maria CDU/CSU Thews, Michael SPD Auernhammer, Artur CDU/CSU Vaatz, Arnold CDU/CSU Feiler, Uwe CDU/CSU Vries, Kees de CDU/CSU Freihold, Brigitte DIE LINKE Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Gerdes, Michael SPD Weber, Gabi SPD Gerster, Martin SPD Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU Gottberg, Wilhelm von AfD *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Hartmann, Sebastian SPD

Jensen, Gyde* FDP Anlage 2 Kamann, Uwe fraktionslos Erklärung nach § 31 GO Kemmerich, Thomas L. FDP der Abgeordneten Andreas Rimkus und Bernd Krings, Dr. Günter CDU/CSU Westphal (beide SPD) zu der namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Ausschus- Lauterbach, Dr. Karl SPD ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, (B) Marwitz, Hans-Georg von CDU/CSU Daniela Wagner, Oliver Krischer, weiterer Abge- (D) der ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Allgemeine Höchstgeschwindigkeit von Mieruch, Mario fraktionslos 130 km/h auf Bundesautobahnen einführen Nahles, Andrea SPD (Tagesordnungspunkt 30 f) Nestle, Dr. Ingrid BÜNDNIS 90/ Anlässlich des entsprechenden Antrages der Fraktion DIE GRÜNEN Bündnis 90/Die Grünen stimmen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages heute über die Einführung einer Nüßlein, Dr. Georg CDU/CSU allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen ab. Paus, Lisa BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Wir persönlich halten ein solches Tempolimit sachlich für den richtigen Weg. Warum wir uns trotzdem dazu Petry, Dr. Frauke fraktionslos entschieden haben, gegen den Antrag zu stimmen, möch- ten wir an dieser Stelle erklären. Post (Minden), Achim SPD Im Koalitionsvertrag mit der Union haben wir uns ge- Pronold, Florian SPD genseitig darauf festgelegt, dass wir im Sinne einer best- möglichen Regierungsarbeit auch im Parlament unser Rabanus, Martin SPD Vorgehen und unsere Positionen abstimmen. Das ist nicht Röttgen, Dr. Norbert CDU/CSU immer einfach, ist grundsätzlich aber eine Notwendigkeit für gute gemeinsame Arbeit. Dieses Prinzip ist übrigens Schüle, Dr. Manja SPD auch kein Alleinstellungsmerkmal der Großen Koalition. Auch Bündnis 90/Die Grünen sind auf der Ebene der Schulz, Jimmy FDP Bundesländer Teil von Koalitionen, in denen potenziell Uneinigkeit in der Frage eines Tempolimits besteht. Inso- Schwartze, Stefan SPD fern möchten wir an dieser Stelle auch anmerken, dass die politische Taktik der Autoren durchaus etwas seicht und Stadler, Svenja SPD durchschaubar daherkommt. Steffel, Frank CDU/CSU Auch wenn wir also das Prinzip der Einvernehmlich- keit der Koalitionspartner grundsätzlich respektieren, 14610 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) müssen wir dennoch anmerken, dass eine offene und nisters und ohne die Unterstützung unseres Koalitions- (C) sachliche Diskussion zu einer allgemeinen Geschwindig- partners leider nicht realisierbar ist. keitsbegrenzung nicht im erforderlichen Maße stattge- funden hat. Der nach dem Ressortprinzip zuständige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat die aufkei- mende Diskussion in den entsprechenden Fachgremien Anlage 3 darüber Anfang dieses Jahres unverzüglich beendet und – für uns unverständlich – an dieser Stelle eine rote Linie Erklärungen nach § 31 GO eingezogen. Aus diesem Grund ist es uns auch besonders wichtig, mit dieser Erklärung festzuhalten, dass es sich zu der namentlichen Abstimmung über die Be- um eine politische Entscheidung handelt und nicht um schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr eine sachliche. und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Anton Hofreiter, Daniela Wagner, Im vergangenen Jahr 2018 ereigneten sich auf Bundes- Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der autobahnen über 20 000 Unfälle mit Personenschäden, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Allgemeine bei denen beinahe 400 Personen ums Leben gekommen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Bundes- sind. Diese Unfallzahlen stagnieren seit Jahren. Dabei autobahnen einführen kommen wissenschaftliche Studien und Analysen regel- mäßig zu der Einschätzung, dass eine allgemeine Ge- (Tagesordnungspunkt 30 f) schwindigkeitsbegrenzung hier zu einer nennenswerten Verbesserung führen könnte. Auch wenn genaue Progno- Martin Burkert (SPD): Ich habe mich immer öffent- sen wie immer in solchen Szenarien schwierig sind – Fakt lich für ein Tempolimit auf den Autobahnen eingesetzt. ist, dass überhöhte oder nicht angepasste Geschwindig- Seit der Entscheidung des SPD-Bundesparteitags 2007 in keit bei knapp der Hälfte aller schweren Unfälle auf Auto- Hamburg ist diese Frage geklärt. Ich streite mit meiner bahnen eine Rolle spielt. Mit einer Geschwindigkeitsbe- Partei und meiner Fraktion engagiert dafür, dass dies in grenzung geht es dabei natürlich nicht nur um die die Realität umgesetzt wird. Bislang gibt es von den Grü- Reduzierung der Zahl der Unfalltoten, sondern auch der nen über die Länder keine Bundesratsinitiative dazu. Schwerverletzten. Die Argumente für ein Tempolimit sind vielfältig, un- Auch mit Blick auf den dieser Tage vieldiskutierten ter anderem Vorteile für den Klimaschutz, mehr Ver- Klimaschutz bietet ein allgemeines Tempolimit ein nen- kehrssicherheit sowie weniger Staus. nenswertes Potenzial. Der Kraftstoffverbrauch hängt ex- Leider ist ein Tempolimit mit unserem Koalitionspart- (B) ponentiell mit der Geschwindigkeit zusammen. Ein ner nicht durchsetzbar – wie leider viele andere wichtige (D) durchschnittlicher Pkw verbraucht bei 160 km/h bis zu Dinge auch nicht. Aber ich respektiere, dass für die Zeit 35 Prozent Kraftstoff mehr als bei 130 km/h. Die AG1 der der gemeinsamen Koalition für uns wie auch für den Koa- Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität kommt zu litionspartner das Verabredete gilt. dem Schluss, dass mit einem Tempolimit 1,2 Millio- nen Tonnen CO2 eingespart werden könnten, der ADAC Sosehr ich mir ein solches Tempolimit wünsche, und spricht sogar von „bis zu 2 Millionen Tonnen“. Gerade im sosehr ich auch in Zukunft dafür eintreten werde, eine Verkehrsbereich ist die Frage, wie die Klimaschutzziele Gewissensfrage kann ich dafür nicht in Anspruch neh- erreicht werden sollen, noch nicht vollständig beantwor- men. Deshalb lehne ich den Antrag der Fraktion Bünd- tet. Gemessen am Gesamtvolumen der angestrebten Min- nis 90/Die Grünen, entgegen meiner inhaltlich festen derung von circa 60 Millionen Tonnen bis 2030 wäre dies Überzeugung, ab. ein nennenswerter Beitrag. Dr. Lars Castellucci (SPD): Aus meiner Sicht gibt es Sachlich kommen wir also zu der Einschätzung, dass nur Argumente für ein allgemeines Tempolimit: Derzeit ein allgemeines Tempolimit durchaus ein Schritt in die sind etwa 70 Prozent aller Bundesautobahnen, BAB, ohne richtige Richtung wäre. Damit bin ich übrigens auch in Geschwindigkeitsbegrenzung. Im Jahr 2018 ereigneten unserer Partei nicht alleine: Die SPD hat bereits 2007 sich auf allen BAB 20 537 Unfälle mit Personenschaden. einen entsprechenden Beschluss für ein Tempolimit ge- Dabei starben 383 Personen. Die Unfallzahlen stagnieren fasst. Angesichts der Ablehnung seitens unseres Koali- seit Jahren. Eine genaue Prognose der Effekte eines all- tionspartners und des zuständigen Ministers müssen wir gemeinen Tempolimits auf die Unfallzahlen ist zwar nicht nun also eine schwierige Abwägung vornehmen. möglich, allerdings gibt es klare Hinweise auf einen po- sitiven Effekt eines allgemeinen Tempolimits auf die Ver- Um unsererseits auch weiterhin ein verlässlicher Part- kehrssicherheit. So kommt eine Untersuchung des ner in der Koalition zu bleiben, fühlen wir uns letztend- Landes Brandenburg aus dem Jahr 2007 zu dem Ergebnis, lich der Einhaltung unserer getroffenen Vereinbarung dass die Einführung eines Tempolimits auf der A 24 zwi- verpflichtet, weshalb wir uns trotz unserer sachlichen Be- schen Wittstock/Dosse und Havelland eine effektive Re- wertung dazu entschieden haben, der Beschlussempfeh- duktion der Unfallzahlen von 26,5 Prozent bewirkt habe. lung des Verkehrsausschusses zuzustimmen und den An- Ähnliche Effekte seien auch in Nordrhein-Westfalen zu trag zum Tempolimit somit abzulehnen. Fest steht, dass beobachten gewesen. die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Bun- desautobahnen richtig wäre. Fest steht aber auch, dass ein Diese Zahlen lassen sich zwar nicht ohne Weiteres auf solches Vorhaben ohne Bewegung des zuständigen Mi- das Gesamtnetz der Autobahnen übertragen, da die Ef- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14611

(A) fekte eines nicht nur streckenabschnittsweise begrenzten Im Koalitionsvertrag mit der CDU und CSU haben wir (C) Tempolimits nicht kalkuliert werden können. Dennoch uns darauf geeinigt, dass über das Verfahren und die Ar- gehen seriöse Schätzungen davon aus, dass ein allgemei- beit im Parlament Einvernehmen zwischen den Koali- nes Tempolimit die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten tionsfraktionen hergestellt wird. Beim Thema Höchstge- um 80 bis 140 Fälle reduzieren könnte. Fakt ist, dass schwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen ist 42 Prozent aller schweren Unfälle auf Autobahnen soge- das bisher nicht gelungen, deshalb werde ich den Antrag nannte Geschwindigkeitsunfälle sind. Die Wahrschein- der Grünen heute ablehnen und so den Koalitionsvertrag lichkeit, dass die Zahl der schweren Unfälle stark rück- einhalten. läufig wäre, ist damit hoch. Neben der Zahl der Getöteten ist auch die Zahl der Schwerverletzten durch Unfälle auf Meine Fraktion und auch ich persönlich werden uns Bundesautobahnen ein wichtiger Faktor, der durch die aber weiter für ein allgemeines Tempolimit einsetzen. Geschwindigkeitsbegrenzung reduziert werden könnte. Bereits 2007 hat die SPD einen entsprechenden Beschluss für ein Tempolimit gefasst, bisher hat ihr aber die Durch- Festzustellen bleibt, dass keine Studie bislang zu dem setzungskraft gefehlt, diese wichtige Forderung auch in Ergebnis gekommen ist, ein Tempolimit hätte insgesamt Regierungshandeln umzusetzen. negative Effekte auf die Unfallzahlen. Deshalb ist davon auszugehen, dass ein Tempolimit in jedem Fall positive Elvan Korkmaz-Emre (SPD): Die Fraktion Bünd- Effekte auf die Unfallzahlen hätte. nis 90/Die Grünen fordert in ihrem Antrag auf Druck- sache 19/9948 den Deutschen Bundestag dazu auf „zum Auch mit Blick auf den Klimaschutz ist ein großes 1. Januar 2020 auf Bundesautobahnen eine generelle Ge- Einsparpotential von CO2-Emmissionen zu erwarten. schwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h einzuführen“. Der Kraftstoffverbrauch hängt exponentiell mit der Ge- schwindigkeit zusammen. Ein Pkw verbraucht bei Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat sich 160 km/h bis zu 35 Prozent Kraftstoff mehr als bei bereits im Jahr 2007 mit einem Parteitagsbeschluss für 130 km/h. Die AG1 der Nationalen Plattform Zukunft die Einführung eines generellen Tempolimits von der Mobilität kommt zu dem Schluss, dass 1,2 Millio- 130 km/h auf Autobahnen ausgesprochen. Leider wird diese Meinung nicht von ihrem Koalitionspartner im nen Tonnen CO2 eingespart werden könnten, der ADAC spricht sogar von „bis zu 2 Millionen Tonnen“ – und all Deutschen Bundestag, der CDU/CSU, und dem Bundes- dies ohne nennenswerte Kosten. Gemessen am Gesamt- verkehrsminister, Andreas Scheuer, geteilt. volumen der angestrebten Minderung im Verkehrssektor Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf geeinigt, bis 2030 von ungefähr 60 Millionen Tonnen wäre dies ein dass über das Verfahren und die Arbeit im Parlament Ein- erheblicher Beitrag. (B) vernehmen zwischen den Koalitionsfraktionen hergestellt (D) wird. Beim Thema Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h Im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU haben wir uns auf Bundesautobahnen ist dies nicht gelungen. Deshalb darauf geeinigt, dass über das Verfahren und die Arbeit im stimme ich dem Antrag der Grünen nicht zu – jedoch auch Parlament Einvernehmen zwischen den Koalitionsfrak - nicht dagegen. tionen hergestellt wird. Beim Thema Höchstgeschwin- digkeit von 130 km/h auf Bundesautobahnen ist dies aber Als zuständige Berichterstatterin für die Verkehrssi- nun nicht der Fall, deshalb werde ich den Antrag der cherheit der SPD-Bundestagsfraktion bewerte ich den Grünen ablehnen und so den Koalitionsvertrag einhalten. vorliegenden Antrag vornehmlich unter diesem Gesichts- Meine Fraktion und ich persönlich werden uns auch wei- punkt. Oberstes Leitprinzip unserer Politik soll die „Vi- terhin für ein allgemeines Tempolimit einsetzen. sion Zero“ sein, das heißt das Ziel, die Zahl der Verkehrs- toten auf null zu reduzieren. Welchen Beitrag leistet dazu Saskia Esken (SPD): Es gibt keine vernünftigen ein Tempolimit auf Bundesautobahnen? Gründe, gegen ein Tempolimit zu sein: Ein Tempolimit Derzeit sind circa 70 Prozent aller Bundesautobahnen spart bis zu 2 Millionen Tonnen CO2 ein – und die Maß- ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Im Jahr 2018 ereig- nahme kann sofort umgesetzt werden und kostet den neten sich auf das Gesamtnetz bezogen 20 537 Unfälle Steuerzahler keinen Cent. Auch bedeutet es mehr Sicher- mit Personenschaden, wobei 383 Personen starben. Diese heit und weniger Unfälle, mehr Fahrkomfort und weniger Unfallzahlen stagnieren seit Jahren. 42 Prozent aller Stau. Rund 57 Prozent der Deutschen wünschen sich da- schweren Unfälle auf Autobahnen sind sogenannte Ge- her eine Beschränkung der Geschwindigkeit auf Auto- schwindigkeitsunfälle. bahnen – auch ich zähle zu dieser Mehrheit. Studien zur potenziellen Auswirkung eines Tempoli- Dass Deutschland dennoch das einzige EU-Land und mits auf Bundesautobahnen beschäftigen sich stets – und der einzige Industriestaat weltweit ohne ein Tempolimit notwendigerweise – mit den empirischen Effekten in be- ist, liegt unter anderem an der Union: Bundesverkehrs- stimmten Einzelfällen, in denen auf bestimmten Teilstü- minister Andreas Scheuer setzt sich auch weiterhin für cken der Bundesautobahn ein Tempolimit eingerichtet eine „freie Fahrt für freie Bürger“ ein und hat eine auf- wurde. Eine Untersuchung des Landes Brandenburg aus keimende Diskussion in den entsprechenden Fachgre- dem Jahr 2007 führte zu dem Ergebnis, dass die Einfüh- mien Anfang des Jahres unverzüglich beendet. Ohne die rung eines Tempolimits auf der A 24 zwischen Wittstock/ Unionsparteien wird es allerdings in dieser Legislaturpe- Dosse und Havelland eine effektive Reduktion der Un- riode keine Mehrheit für ein Tempolimit geben können, fallzahlen von 26,5 Prozent bewirkt hat. Ähnliche Effekte da auch FDP und AfD dagegen sind. sind auch in Nordrhein-Westfalen zu beobachten. 14612 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Unterschiedliche Quellen berichten, dass ein generel- diese unsere Programmatik in die Realität umgesetzt (C) les Tempolimit auf Bundesautobahnen die Zahl der im wird. Die Argumente dafür sind vielfältig. Vorteile für Straßenverkehr Getöteten um 80 bis 140 Fälle reduzieren den Klimaschutz, mehr Verkehrssicherheit und eine bes- könnte. Eine unmittelbare Extrapolation auf das sere und entspanntere Fahrkultur liegen auf der Hand. Gesamtnetz ist sicherlich nicht zulässig, da die Effekte eines nicht nur streckenabschnittsweise begrenzten Tem- Leider ist ein solches Tempolimit nicht gemeinsam mit polimits nicht mit letzter Gewissheit kalkuliert werden unserem Koalitionspartner durchsetzbar – wie leider viele könnten. Wir können jedoch begründet davon ausgehen, andere wichtige Dinge auch nicht. Ich finde das nicht gut dass sich die positiven Effekte durchaus verstärken kön- und engagiere mich für andere politische Mehrheiten. nen. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest die Zahl der Aber ich akzeptiere, dass für die Zeit des gemeinsamen schweren Unfälle stark rückläufig wäre, ist jedenfalls Regierens das gemeinsam Verabredete bzw. das gemein- hoch. sam Mögliche gilt. Das gilt für die Abgeordneten des Koalitionspartners sicher genauso. Sosehr ich mir ein sol- Jenseits dieser Spekulationen bleibt festzuhalten, dass ches Tempolimit wünsche, eine Gewissensfrage will ich immerhin keine Studie zu dem Ergebnis kommt, ein Tem- dafür für mich nicht in Anspruch nehmen. Deshalb lehne polimit hätte insgesamt negative Effekte auf die Unfall- ich den Antrag gegen meine inhaltliche Überzeugung ab. zahlen, sodass wir davon ausgehen müssen, dass ein Tem- polimit auf jeden Fall positive Effekte auf die Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich werde dem Unfallzahlen hätte. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zustim- Und auch unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes men. und hinsichtlich der Prävention von gesundheitlichen Der Verkehrssektor muss einen angemessenen Beitrag Folgen des Verkehrs erscheint ein Tempolimit sinnvoll. zur Erreichung der nationalen Klimaziele leisten. Für die Der CO -Ausstoß, die Emissionen von NO (Stickstoff- 2 x Akzeptanz der Bevölkerung für Klimaschutzmaßnahmen oxide) oder CO (Kohlenmonoxid) und auch die Lärm- ist es jedoch erforderlich, die Mobilität auch in Zukunft emissionen korrelieren allesamt mit der gefahrenen Ge- zu erhalten, wir müssen sie aber klimafreundlicher ge- schwindigkeit. Die AG1 der Nationalen Plattform stalten. Deshalb setzen wir nach dem Prinzip der Techno- Zukunft der Mobilität kommt zu dem Schluss, dass logieoffenheit auf alternative Antriebstechnologien, al- 1,2 Millionen Tonnen CO durch die Einführung eines 2 ternative Kraftstoffe sowie auf weitere Maßnahmen, Tempolimits von 130 km/h auf Bundesautobahnen ein- beispielsweise zur Steigerung der Attraktivität des öffent- gespart werden könnten; der ADAC spricht sogar von lichen Personennahverkehrs. Das Klimaschutzpro- „bis zu 2 Millionen Tonnen“. Wenn wir im Verkehrssek- gramm 2030 der Bundesregierung enthält hierzu ein um- tor bis 2030 ungefähr 60 Millionen Tonnen CO einspa- (B) 2 fassendes Maßnahmenbündel, das in den kommenden (D) ren wollen, wäre das ein Anfang – der keine Kosten ver- Wochen und Monaten umgesetzt wird. ursacht. Aus diesen Gründen halte ich den Parteitagsbeschluss Der Antrag enthält nichts zu diesen vielen und deutlich aus dem Jahre 2007 nach wie vor für richtig. Fakt ist effektiveren Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Ver- jedoch, dass für ein Tempolimit derzeit im Bundestag – kehrssektor. Der Antrag erweckt damit den Eindruck, selbst wenn die SPD sich dazu entschließen würde, einen dass mit dieser einen Maßnahme alleine ein wesentlicher Grundsatz der Koalitionsarbeit zu verletzen – keine Beitrag zur CO2-Einsparung geleistet werden kann. Zur Mehrheit existiert. Denn neben der CDU/CSU-Fraktion Klimaschutzwirkung eines Tempolimits von 130 km/h sind auch FDP und AfD gegen ein Tempolimit. Traurig, auf Bundesautobahnen enthält der vorliegende Antrag aber wahr. aber gar keinen konkreten Minderungsbetrag. Aus diesen Gründen lehne ich den vorliegenden Antrag ab. Daher enthalte ich mich meiner Stimme. Um die Klimaschutzwirkung eines Tempolimits be- Frank Schwabe (SPD): Ich habe in der SPD dafür werten zu können, bedarf es einer umfassenden Daten- gestritten, dass wir uns für ein Tempolimit von 130 km/ grundlage und Bewertung durch das Bundesministerium h auf der Autobahn einsetzen. Spätestens mit der Debatte für Verkehr und digitale Infrastruktur. Dafür setze ich und den Entscheidungen des Bundesparteitags der SPD mich ein. 2007 ist diese Frage geklärt. Und deshalb streite ich mit meiner Partei und meiner Fraktion engagiert dafür, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14613

(A) Anlage 4 (C)

Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung t eilgenommen haben (Zusatzpunkt 6 a) Abgegebene Stimmkarten: 617 Abgeordnete/r Ja-Stim- Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen men* Dr. Birgit Malsack- 162 425 30 Winkemann

Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Dr. Thomas Gebhart Volker Kauder Dr. Michael Meister Dr. Michael von Abercron Alois Gerig Dr. Stefan Kaufmann Jan Metzler Stephan Albani Eberhard Gienger Ronja Kemmer Dr. h. c. (Univ Kyiv) Philipp Amthor Eckhard Gnodtke Roderich Kiesewetter Dr. Mathias Middelberg Peter Aumer Ursula Groden-Kranich Michael Kießling Dietrich Monstadt Dorothee Bär Hermann Gröhe Dr. Georg Kippels Karsten Möring Thomas Bareiß Klaus-Dieter Gröhler Volkmar Klein Elisabeth Motschmann Norbert Barthle Astrid Grotelüschen Axel Knoerig Axel Müller Maik Beermann Markus Grübel Jens Koeppen Dr. Gerd Müller Manfred Behrens (Börde) Manfred Grund Markus Koob Sepp Müller Veronika Bellmann Oliver Grundmann Carsten Körber Dr. André Berghegger Monika Grütters Alexander Krauß Carsten Müller (B) (Braunschweig) (D) Melanie Bernstein Fritz Güntzler Gunther Krichbaum Stefan Müller (Erlangen) Christoph Bernstiel Olav Gutting Rüdiger Kruse Dr. Andreas Nick Peter Beyer Christian Haase Michael Kuffer Petra Nicolaisen Marc Biadacz Florian Hahn Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Michaela Noll Steffen Bilger Jürgen Hardt Andreas G. Lämmel Wilfried Oellers Peter Bleser Matthias Hauer Katharina Landgraf Florian Oßner Norbert Brackmann Mark Hauptmann Ulrich Lange Josef Oster Michael Brand (Fulda) Dr. Matthias Heider Dr. Silke Launert Henning Otte Dr. Reinhard Brandl Mechthild Heil Jens Lehmann Ingrid Pahlmann Silvia Breher Thomas Heilmann Paul Lehrieder Sylvia Pantel Sebastian Brehm Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Katja Leikert Martin Patzelt Heike Brehmer Mark Helfrich Dr. Andreas Lenz Dr. Joachim Pfeiffer Ralph Brinkhaus Rudolf Henke Antje Lezius Stephan Pilsinger Gitta Connemann Michael Hennrich Andrea Lindholz Dr. Christoph Ploß Astrid Damerow Marc Henrichmann Dr. Carsten Linnemann Eckhard Pols Michael Donth Ansgar Heveling Patricia Lips Marie-Luise Dött Christian Hirte Nikolas Löbel Thomas Rachel Hansjörg Durz Dr. Heribert Hirte Bernhard Loos Kerstin Radomski Thomas Erndl Alexander Hoffmann Dr. Jan-Marco Luczak Alexander Radwan Enak Ferlemann Karl Holmeier Daniela Ludwig Alois Rainer Dr. Maria Flachsbarth Erich Irlstorfer Karin Maag Dr. Peter Ramsauer Thorsten Frei Hans-Jürgen Irmer Yvonne Magwas Eckhardt Rehberg Dr. Astrid Freudenstein Thomas Jarzombek Dr. Thomas de Maizière Lothar Riebsamen Dr. Hans-Peter Friedrich Andreas Jung Gisela Manderla Josef Rief (Hof) Ingmar Jung Dr. Astrid Mannes Johannes Röring Michael Frieser Alois Karl Matern von Marschall Stefan Rouenhoff Hans-Joachim Fuchtel Anja Karliczek Andreas Mattfeldt Erwin Rüddel Ingo Gädechens Torbjörn Kartes Stephan Mayer (Altötting) Albert Rupprecht 14614 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Stefan Sauer Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Udo Schiefner (C) Anita Schäfer (Saalstadt) Elisabeth Winkelmeier- Thomas Jurk Uwe Schmidt Dr. Wolfgang Schäuble Becker Oliver Kaczmarek Ulla Schmidt (Aachen) Andreas Scheuer Oliver Wittke Johannes Kahrs Dagmar Schmidt (Wetzlar) Jana Schimke Emmi Zeulner Elisabeth Kaiser Johannes Schraps Tankred Schipanski Paul Ziemiak Ralf Kapschack Michael Schrodi Dr. Claudia Schmidtke Dr. Matthias Zimmer Gabriele Katzmarek Ursula Schulte Patrick Schnieder Lars Klingbeil Martin Schulz Nadine Schön SPD Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Felix Schreiner Niels Annen Daniela Kolbe Frank Schwabe Dr. Klaus-Peter Schulze Ingrid Arndt-Brauer Elvan Korkmaz-Emre Andreas Schwarz Uwe Schummer Heike Baehrens Anette Kramme Rita Schwarzelühr-Sutter Armin Schuster (Weil am Ulrike Bahr Christine Lambrecht Rainer Spiering Rhein) Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Martina Stamm-Fibich Torsten Schweiger Doris Barnett Helge Lindh Mathias Stein Detlef Seif Dr. Matthias Bartke Kirsten Lühmann Kerstin Tack Reinhold Sendker Sören Bartol Isabel Mackensen Claudia Tausend Dr. Patrick Sensburg Bärbel Bas Caren Marks Markus Töns Thomas Silberhorn Lothar Binding Katja Mast Carsten Träger Björn Simon (Heidelberg) Christoph Matschie Ute Vogt Tino Sorge Leni Breymaier Hilde Mattheis Marja-Liisa Völlers Jens Spahn Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Matthias Miersch Dirk Vöpel Katrin Staffler Katrin Budde Klaus Mindrup Bernd Westphal Dr. Wolfgang Stefinger Martin Burkert Susanne Mittag Gülistan Yüksel Albert Stegemann Dr. Lars Castellucci Falko Mohrs Dagmar Ziegler Andreas Steier Bernhard Daldrup Claudia Moll Stefan Zierke Peter Stein (Rostock) Dr. Karamba Diaby Siemtje Möller Dr. Jens Zimmermann Sebastian Steineke Esther Dilcher Bettina Müller Johannes Steiniger Sabine Dittmar Detlef Müller (Chemnitz) (B) AfD (D) Dieter Stier Dr. Wiebke Esdar Michelle Müntefering Gero Storjohann Saskia Esken Dr. Rolf Mützenich Dr. Bernd Baumann Stephan Stracke Yasmin Fahimi Dietmar Nietan Marc Bernhard Max Straubinger Dr. Johannes Fechner Ulli Nissen Andreas Bleck Dr. Peter Tauber Dr. Fritz Felgentreu Josephine Ortleb Peter Boehringer Hans-Jürgen Thies Dr. Edgar Franke Mahmut Özdemir Stephan Brandner Alexander Throm Ulrich Freese (Duisburg) Jürgen Braun Dr. Dietlind Tiemann Dagmar Freitag Aydan Özoğuz Marcus Bühl Antje Tillmann Christian Petry Matthias Büttner Markus Uhl Angelika Glöckner Detlev Pilger Petr Bystron Dr. Volker Ullrich Timon Gremmels Sabine Poschmann Tino Chrupalla Oswin Veith Kerstin Griese Florian Post Joana Cotar Kerstin Vieregge Michael Groß Dr. Sascha Raabe Siegbert Droese Volkmar Vogel (Kleinsaara) Uli Grötsch Martin Rabanus Thomas Ehrhorn Christoph de Vries Bettina Hagedorn Andreas Rimkus Berengar Elsner von Gronow Marco Wanderwitz Rita Hagl-Kehl Sönke Rix Dr. Michael Espendiller Nina Warken Metin Hakverdi Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Peter Felser Kai Wegner Dirk Heidenblut René Röspel Dietmar Friedhoff Albert H. Weiler Hubertus Heil (Peine) Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Anton Friesen Marcus Weinberg Gabriela Heinrich (Hamburg) Marcus Held Michael Roth (Heringen) Dr. Alexander Gauland Dr. Anja Weisgerber Wolfgang Hellmich Susann Rüthrich Albrecht Glaser Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks Bernd Rützel Franziska Gminder Marian Wendt Gustav Herzog Sarah Ryglewski Armin-Paulus Hampel Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Johann Saathoff Mariana Iris Harder-Kühnel Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler Axel Schäfer (Bochum) Verena Hartmann Bettina Margarethe Dr. Eva Högl Dr. Nina Scheer Dr. Roland Hartwig Wiesmann Frank Junge Marianne Schieder Jochen Haug Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14615

(A) Martin Hebner FDP Frank Schäffler Pascal Meiser (C) Udo Theodor Hemmelgarn Grigorios Aggelidis Dr. Wieland Schinnenburg Amira Mohamed Ali Waldemar Herdt Renata Alt Matthias Seestern-Pauly Cornelia Möhring Lars Herrmann Christine Aschenberg- Frank Sitta Niema Movassat Martin Hess Dugnus Judith Skudelny Norbert Müller (Potsdam) Dr. Heiko Heßenkemper Nicole Bauer Dr. Hermann Otto Solms Zaklin Nastic Karsten Hilse Jens Beeck Bettina Stark-Watzinger Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Nicole Höchst Dr. Jens Brandenburg Dr. Marie-Agnes Strack- (Rhein-Neckar) Zimmermann Petra Pau Martin Hohmann Mario Brandenburg Benjamin Strasser Sören Pellmann Dr. Bruno Hollnagel (Südpfalz) Katja Suding Victor Perli Leif-Erik Holm Dr. Marco Buschmann Michael Theurer Tobias Pflüger Karlheinz Busen Fabian Jacobi Stephan Thomae Ingrid Remmers Carl-Julius Cronenberg Jens Kestner Manfred Todtenhausen Martina Renner Britta Katharina Dassler Stefan Keuter Dr. Florian Toncar Bernd Riexinger Bijan Djir-Sarai Norbert Kleinwächter Dr. Andrew Ullmann Eva-Maria Schreiber Christian Dürr Enrico Komning Gerald Ullrich Dr. Petra Sitte Hartmut Ebbing Jörn König Johannes Vogel (Olpe) Helin Evrim Sommer Dr. Marcus Faber Steffen Kotré Sandra Weeser Kersten Steinke Daniel Föst Dr. Rainer Kraft Nicole Westig Friedrich Straetmanns Otto Fricke Rüdiger Lucassen Katharina Willkomm Dr. Kirsten Tackmann Thomas Hacker Frank Magnitz Jessica Tatti Peter Heidt Alexander Ulrich Jens Maier Katrin Helling-Plahr DIE LINKE Kathrin Vogler Dr. Lothar Maier Markus Herbrand Doris Achelwilm Andreas Wagner Dr. Birgit Malsack- Torsten Herbst Gökay Akbulut Winkemann Harald Weinberg Dr. Gero Clemens Hocker Simone Barrientos Katrin Werner Corinna Miazga Manuel Höferlin Lorenz Gösta Beutin Hubertus Zdebel Andreas Mrosek Reinhard Houben Matthias W. Birkwald Pia Zimmermann (B) Hansjörg Müller Ulla Ihnen Heidrun Bluhm-Förster (D) Sabine Zimmermann Volker Münz Olaf In der Beek Michel Brandt (Zwickau) Sebastian Münzenmaier Dr. Christian Jung Christine Buchholz Christoph Neumann Karsten Klein Dr. Birke Bull-Bischoff BÜNDNIS 90/ Jan Ralf Nolte Dr. Marcel Klinge Sevim Dağdelen DIE GRÜNEN Ulrich Oehme Daniela Kluckert Fabio De Masi Luise Amtsberg Gerold Otten Dr. Lukas Köhler Anke Domscheit-Berg Lisa Badum Carina Konrad Klaus Ernst Tobias Matthias Peterka Annalena Baerbock Wolfgang Kubicki Susanne Ferschl Paul Viktor Podolay Dr. Danyal Bayaz Konstantin Kuhle Nicole Gohlke Jürgen Pohl Canan Bayram Alexander Kulitz Dr. Gregor Gysi Martin Reichardt Dr. Franziska Brantner Alexander Graf Lambsdorff Dr. André Hahn Martin Erwin Renner Dr. Anna Christmann Ulrich Lechte Heike Hänsel Roman Johannes Reusch Ekin Deligöz Christian Lindner Matthias Höhn Ulrike Schielke-Ziesing Katja Dörner Michael Georg Link Andrej Hunko Jörg Schneider (Heilbronn) Katharina Dröge Ulla Jelpke Uwe Schulz Oliver Luksic Harald Ebner Kerstin Kassner Thomas Seitz Christoph Meyer Matthias Gastel Dr. Achim Kessler Martin Sichert Alexander Müller Kai Gehring Katja Kipping Roman Müller-Böhm Stefan Gelbhaar Detlev Spangenberg Jan Korte Dr. Dirk Spaniel Frank Müller-Rosentritt Katrin Göring-Eckardt Jutta Krellmann Erhard Grundl René Springer Dr. Martin Neumann (Lausitz) Caren Lay Anja Hajduk Beatrix von Storch Hagen Reinhold Sabine Leidig Britta Haßelmann Dr. Harald Weyel Bernd Reuther Ralph Lenkert Dr. Bettina Hoffmann Wolfgang Wiehle Dr. Stefan Ruppert Michael Leutert Ottmar von Holtz Dr. Heiko Wildberg Dr. h. c. Thomas Stefan Liebich Dieter Janecek Dr. Christian Wirth Sattelberger Dr. Gesine Lötzsch Dr. Kirsten Kappert- Uwe Witt Christian Sauter Thomas Lutze Gonther 14616 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Uwe Kekeritz Sven Lehmann Filiz Polat Margit Stumpp (C) Sven-Christian Kindler Steffi Lemke Tabea Rößner Markus Tressel Maria Klein-Schmeink Dr. Tobias Lindner Claudia Roth (Augsburg) Dr. Julia Verlinden Sylvia Kotting-Uhl Dr. Irene Mihalic Dr. Manuela Rottmann Daniela Wagner Oliver Krischer Claudia Müller Corinna Rüffer Beate Walter-Rosenheimer Stephan Kühn (Dresden) Beate Müller-Gemmeke Manuel Sarrazin Gerhard Zickenheiner Christian Kühn (Tübingen) Dr. Konstantin von Notz Stefan Schmidt Renate Künast Omid Nouripour Kordula Schulz-Asche Fraktionslos Markus Kurth Friedrich Ostendorff Dr. Wolfgang Strengmann- Monika Lazar Cem Özdemir Kuhn Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 5

Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilgenommen haben (Zusatzpunkt 6 b) Abgegebene Stimmkarten: 618 Abgeordnete/r Ja-Stim- Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen men* Marcus Bühl 162 425 31 – Wolfgang Wiehle 174 421 33 – (B) (D) Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Ralph Brinkhaus Manfred Grund Andreas Jung Dr. Michael von Abercron Gitta Connemann Oliver Grundmann Ingmar Jung Stephan Albani Astrid Damerow Monika Grütters Alois Karl Philipp Amthor Michael Donth Fritz Güntzler Anja Karliczek Peter Aumer Marie-Luise Dött Olav Gutting Torbjörn Kartes Dorothee Bär Hansjörg Durz Christian Haase Volker Kauder Thomas Bareiß Thomas Erndl Florian Hahn Dr. Stefan Kaufmann Norbert Barthle Enak Ferlemann Jürgen Hardt Ronja Kemmer Maik Beermann Dr. Maria Flachsbarth Matthias Hauer Roderich Kiesewetter Manfred Behrens (Börde) Thorsten Frei Mark Hauptmann Michael Kießling Veronika Bellmann Dr. Astrid Freudenstein Dr. Matthias Heider Dr. Georg Kippels Sybille Benning Dr. Hans-Peter Friedrich Mechthild Heil Volkmar Klein Dr. André Berghegger (Hof) Thomas Heilmann Axel Knoerig Melanie Bernstein Michael Frieser Frank Heinrich (Chemnitz) Jens Koeppen Christoph Bernstiel Hans-Joachim Fuchtel Mark Helfrich Markus Koob Peter Beyer Ingo Gädechens Rudolf Henke Carsten Körber Marc Biadacz Dr. Thomas Gebhart Michael Hennrich Alexander Krauß Steffen Bilger Alois Gerig Marc Henrichmann Gunther Krichbaum Peter Bleser Eberhard Gienger Ansgar Heveling Rüdiger Kruse Norbert Brackmann Eckhard Gnodtke Christian Hirte Michael Kuffer Michael Brand (Fulda) Ursula Groden-Kranich Alexander Hoffmann Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Reinhard Brandl Hermann Gröhe Karl Holmeier Andreas G. Lämmel Silvia Breher Klaus-Dieter Gröhler Erich Irlstorfer Katharina Landgraf Sebastian Brehm Astrid Grotelüschen Hans-Jürgen Irmer Ulrich Lange Heike Brehmer Markus Grübel Thomas Jarzombek Dr. Silke Launert Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14617

(A) Jens Lehmann Stefan Rouenhoff Annette Widmann-Mauz Thomas Hitschler (C) Paul Lehrieder Erwin Rüddel Bettina Margarethe Dr. Eva Högl Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Wiesmann Frank Junge Dr. Andreas Lenz Stefan Sauer Klaus-Peter Willsch Josip Juratovic Antje Lezius Anita Schäfer (Saalstadt) Elisabeth Winkelmeier- Thomas Jurk Becker Andrea Lindholz Dr. Wolfgang Schäuble Oliver Kaczmarek Oliver Wittke Dr. Carsten Linnemann Andreas Scheuer Johannes Kahrs Emmi Zeulner Patricia Lips Jana Schimke Elisabeth Kaiser Paul Ziemiak Nikolas Löbel Tankred Schipanski Ralf Kapschack Dr. Matthias Zimmer Bernhard Loos Dr. Claudia Schmidtke Gabriele Katzmarek Dr. Jan-Marco Luczak Patrick Schnieder Lars Klingbeil Daniela Ludwig Nadine Schön SPD Dr. Bärbel Kofler Karin Maag Felix Schreiner Niels Annen Daniela Kolbe Yvonne Magwas Dr. Klaus-Peter Schulze Ingrid Arndt-Brauer Elvan Korkmaz-Emre Dr. Thomas de Maizière Uwe Schummer Heike Baehrens Anette Kramme Gisela Manderla Armin Schuster (Weil am Ulrike Bahr Christine Lambrecht Dr. Astrid Mannes Rhein) Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Matern von Marschall Torsten Schweiger Doris Barnett Helge Lindh Andreas Mattfeldt Detlef Seif Dr. Matthias Bartke Kirsten Lühmann Stephan Mayer (Altötting) Reinhold Sendker Sören Bartol Isabel Mackensen Dr. Michael Meister Dr. Patrick Sensburg Bärbel Bas Caren Marks Jan Metzler Thomas Silberhorn Lothar Binding Katja Mast Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Björn Simon (Heidelberg) Christoph Matschie Michelbach Tino Sorge Leni Breymaier Hilde Mattheis Dr. Mathias Middelberg Jens Spahn Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Matthias Miersch Dietrich Monstadt Katrin Staffler Katrin Budde Klaus Mindrup Karsten Möring Dr. Wolfgang Stefinger Martin Burkert Susanne Mittag Elisabeth Motschmann Albert Stegemann Dr. Lars Castellucci Falko Mohrs Bernhard Daldrup (B) Axel Müller Andreas Steier Claudia Moll (D) Dr. Gerd Müller Peter Stein (Rostock) Dr. Karamba Diaby Siemtje Möller Sepp Müller Sebastian Steineke Esther Dilcher Bettina Müller Carsten Müller Johannes Steiniger Sabine Dittmar Detlef Müller (Chemnitz) (Braunschweig) Dieter Stier Dr. Wiebke Esdar Michelle Müntefering Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Saskia Esken Dr. Rolf Mützenich Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Yasmin Fahimi Dietmar Nietan Petra Nicolaisen Max Straubinger Dr. Johannes Fechner Ulli Nissen Michaela Noll Dr. Peter Tauber Dr. Fritz Felgentreu Josephine Ortleb Wilfried Oellers Hans-Jürgen Thies Dr. Edgar Franke Mahmut Özdemir Florian Oßner Alexander Throm Ulrich Freese (Duisburg) Josef Oster Dr. Dietlind Tiemann Dagmar Freitag Aydan Özoğuz Henning Otte Antje Tillmann Sigmar Gabriel Christian Petry Ingrid Pahlmann Markus Uhl Angelika Glöckner Detlev Pilger Sylvia Pantel Dr. Volker Ullrich Timon Gremmels Sabine Poschmann Martin Patzelt Oswin Veith Kerstin Griese Florian Post Dr. Joachim Pfeiffer Kerstin Vieregge Michael Groß Dr. Sascha Raabe Stephan Pilsinger Volkmar Vogel (Kleinsaara) Uli Grötsch Martin Rabanus Dr. Christoph Ploß Christoph de Vries Bettina Hagedorn Andreas Rimkus Eckhard Pols Marco Wanderwitz Rita Hagl-Kehl Sönke Rix Thomas Rachel Nina Warken Metin Hakverdi Dennis Rohde Kerstin Radomski Kai Wegner Dirk Heidenblut Dr. Martin Rosemann Alexander Radwan Albert H. Weiler Hubertus Heil (Peine) René Röspel Alois Rainer Marcus Weinberg Gabriela Heinrich Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Peter Ramsauer (Hamburg) Marcus Held Michael Roth (Heringen) Eckhardt Rehberg Dr. Anja Weisgerber Wolfgang Hellmich Susann Rüthrich Lothar Riebsamen Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Barbara Hendricks Bernd Rützel Josef Rief Marian Wendt Gustav Herzog Sarah Ryglewski Johannes Röring Kai Whittaker Gabriele Hiller-Ohm Johann Saathoff 14618 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Axel Schäfer (Bochum) Verena Hartmann FDP Christian Sauter (C) Dr. Nina Scheer Dr. Roland Hartwig Grigorios Aggelidis Frank Schäffler Marianne Schieder Jochen Haug Renata Alt Dr. Wieland Schinnenburg Udo Schiefner Martin Hebner Christine Aschenberg- Matthias Seestern-Pauly Uwe Schmidt Udo Theodor Hemmelgarn Dugnus Frank Sitta Ulla Schmidt (Aachen) Waldemar Herdt Nicole Bauer Judith Skudelny Dagmar Schmidt (Wetzlar) Lars Herrmann Jens Beeck Dr. Hermann Otto Solms Johannes Schraps Martin Hess Dr. Jens Brandenburg Bettina Stark-Watzinger Michael Schrodi Dr. Heiko Heßenkemper (Rhein-Neckar) Dr. Marie-Agnes Strack- Ursula Schulte Karsten Hilse Mario Brandenburg Zimmermann (Südpfalz) Martin Schulz Nicole Höchst Benjamin Strasser Dr. Marco Buschmann Swen Schulz (Spandau) Martin Hohmann Katja Suding Karlheinz Busen Frank Schwabe Dr. Bruno Hollnagel Michael Theurer Carl-Julius Cronenberg Andreas Schwarz Leif-Erik Holm Stephan Thomae Britta Katharina Dassler Rita Schwarzelühr-Sutter Fabian Jacobi Manfred Todtenhausen Bijan Djir-Sarai Rainer Spiering Jens Kestner Dr. Florian Toncar Christian Dürr Martina Stamm-Fibich Stefan Keuter Dr. Andrew Ullmann Hartmut Ebbing Mathias Stein Norbert Kleinwächter Gerald Ullrich Dr. Marcus Faber Enrico Komning Johannes Vogel (Olpe) Kerstin Tack Daniel Föst Jörn König Sandra Weeser Claudia Tausend Otto Fricke Steffen Kotré Nicole Westig Markus Töns Thomas Hacker Dr. Rainer Kraft Katharina Willkomm Carsten Träger Peter Heidt Rüdiger Lucassen Ute Vogt Katrin Helling-Plahr Frank Magnitz Marja-Liisa Völlers Markus Herbrand DIE LINKE Jens Maier Dirk Vöpel Torsten Herbst Doris Achelwilm Dr. Lothar Maier Bernd Westphal Dr. Gero Clemens Hocker Gökay Akbulut Gülistan Yüksel Dr. Birgit Malsack- Winkemann Manuel Höferlin Simone Barrientos Dagmar Ziegler Corinna Miazga Reinhard Houben Lorenz Gösta Beutin (B) Stefan Zierke (D) Andreas Mrosek Ulla Ihnen Matthias W. Birkwald Dr. Jens Zimmermann Hansjörg Müller Olaf In der Beek Heidrun Bluhm-Förster Volker Münz Dr. Christian Jung Michel Brandt AfD Sebastian Münzenmaier Karsten Klein Christine Buchholz Dr. Bernd Baumann Christoph Neumann Dr. Marcel Klinge Dr. Birke Bull-Bischoff Marc Bernhard Jan Ralf Nolte Daniela Kluckert Sevim Dağdelen Andreas Bleck Ulrich Oehme Pascal Kober Fabio De Masi Peter Boehringer Gerold Otten Dr. Lukas Köhler Anke Domscheit-Berg Stephan Brandner Tobias Matthias Peterka Carina Konrad Klaus Ernst Jürgen Braun Paul Viktor Podolay Wolfgang Kubicki Susanne Ferschl Marcus Bühl Jürgen Pohl Konstantin Kuhle Nicole Gohlke Matthias Büttner Martin Reichardt Alexander Kulitz Dr. Gregor Gysi Petr Bystron Martin Erwin Renner Alexander Graf Lambsdorff Dr. André Hahn Tino Chrupalla Roman Johannes Reusch Ulrich Lechte Heike Hänsel Christian Lindner Joana Cotar Ulrike Schielke-Ziesing Matthias Höhn Jörg Schneider Michael Georg Link Andrej Hunko Siegbert Droese (Heilbronn) Uwe Schulz Ulla Jelpke Thomas Ehrhorn Oliver Luksic Thomas Seitz Kerstin Kassner Berengar Elsner von Christoph Meyer Gronow Martin Sichert Dr. Achim Kessler Alexander Müller Dr. Michael Espendiller Detlev Spangenberg Katja Kipping Roman Müller-Böhm Peter Felser Dr. Dirk Spaniel Jan Korte Frank Müller-Rosentritt Dietmar Friedhoff René Springer Jutta Krellmann Dr. Martin Neumann Dr. Anton Friesen Beatrix von Storch (Lausitz) Caren Lay Dr. Alexander Gauland Dr. Harald Weyel Hagen Reinhold Sabine Leidig Albrecht Glaser Wolfgang Wiehle Bernd Reuther Ralph Lenkert Franziska Gminder Dr. Heiko Wildberg Dr. Stefan Ruppert Michael Leutert Armin-Paulus Hampel Dr. Christian Wirth Dr. h. c. Thomas Stefan Liebich Mariana Iris Harder-Kühnel Uwe Witt Sattelberger Dr. Gesine Lötzsch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14619

(A) Thomas Lutze Andreas Wagner Katrin Göring-Eckardt Omid Nouripour (C) Pascal Meiser Harald Weinberg Erhard Grundl Friedrich Ostendorff Amira Mohamed Ali Katrin Werner Anja Hajduk Cem Özdemir Cornelia Möhring Hubertus Zdebel Britta Haßelmann Filiz Polat Niema Movassat Pia Zimmermann Dr. Bettina Hoffmann Tabea Rößner Norbert Müller (Potsdam) Ottmar von Holtz Sabine Zimmermann Claudia Roth (Augsburg) Zaklin Nastic (Zwickau) Dieter Janecek Dr. Manuela Rottmann Dr. Alexander S. Neu Dr. Kirsten Kappert- Corinna Rüffer Thomas Nord BÜNDNIS 90/ Gonther Manuel Sarrazin Petra Pau DIE GRÜNEN Uwe Kekeritz Sören Pellmann Katja Keul Ulle Schauws Luise Amtsberg Victor Perli Maria Klein-Schmeink Stefan Schmidt Lisa Badum Tobias Pflüger Sylvia Kotting-Uhl Kordula Schulz-Asche Annalena Baerbock Ingrid Remmers Oliver Krischer Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Danyal Bayaz Martina Renner Stephan Kühn (Dresden) Kuhn Bernd Riexinger Canan Bayram Christian Kühn (Tübingen) Margit Stumpp Eva-Maria Schreiber Dr. Franziska Brantner Renate Künast Markus Tressel Dr. Petra Sitte Dr. Anna Christmann Markus Kurth Dr. Julia Verlinden Ekin Deligöz Helin Evrim Sommer Monika Lazar Daniela Wagner Katja Dörner Kersten Steinke Sven Lehmann Beate Walter-Rosenheimer Katharina Dröge Friedrich Straetmanns Steffi Lemke Gerhard Zickenheiner Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner Dr. Tobias Lindner Jessica Tatti Matthias Gastel Dr. Irene Mihalic Alexander Ulrich Kai Gehring Claudia Müller Fraktionslos Kathrin Vogler Stefan Gelbhaar Beate Müller-Gemmeke Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. (B) (D) Anlage 6

Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Zusatzpunkt 6 c) Abgegebene Stimmkarten: 623 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Albrecht Glaser 136 457 28 2 Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Abgegebene Stimmkarten: 623 Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Volker Münz 171 421 30 1 Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

CDU/CSU Thomas Bareiß Dr. André Berghegger Peter Bleser Dr. Michael von Abercron Norbert Barthle Melanie Bernstein Norbert Brackmann Stephan Albani Maik Beermann Christoph Bernstiel Michael Brand (Fulda) Philipp Amthor Manfred Behrens (Börde) Peter Beyer Dr. Reinhard Brandl Peter Aumer Veronika Bellmann Marc Biadacz Silvia Breher Dorothee Bär Sybille Benning Steffen Bilger Sebastian Brehm 14620 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Heike Brehmer Volker Kauder Wilfried Oellers Hans-Jürgen Thies (C) Ralph Brinkhaus Dr. Stefan Kaufmann Florian Oßner Alexander Throm Gitta Connemann Ronja Kemmer Josef Oster Dr. Dietlind Tiemann Astrid Damerow Roderich Kiesewetter Henning Otte Antje Tillmann Michael Donth Michael Kießling Ingrid Pahlmann Markus Uhl Marie-Luise Dött Dr. Georg Kippels Sylvia Pantel Dr. Volker Ullrich Hansjörg Durz Volkmar Klein Martin Patzelt Oswin Veith Thomas Erndl Axel Knoerig Dr. Joachim Pfeiffer Kerstin Vieregge Enak Ferlemann Jens Koeppen Stephan Pilsinger Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Maria Flachsbarth Markus Koob Dr. Christoph Ploß Christoph de Vries Thorsten Frei Carsten Körber Eckhard Pols Dr. Johann David Wadephul Dr. Astrid Freudenstein Alexander Krauß Thomas Rachel Marco Wanderwitz Dr. Hans-Peter Friedrich Gunther Krichbaum Kerstin Radomski Nina Warken (Hof) Rüdiger Kruse Alexander Radwan Kai Wegner Michael Frieser Michael Kuffer Alois Rainer Albert H. Weiler Hans-Joachim Fuchtel Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Peter Ramsauer Marcus Weinberg Ingo Gädechens Andreas G. Lämmel Eckhardt Rehberg (Hamburg) Dr. Thomas Gebhart Katharina Landgraf Lothar Riebsamen Dr. Anja Weisgerber Alois Gerig Ulrich Lange Josef Rief Peter Weiß (Emmendingen) Eberhard Gienger Dr. Silke Launert Johannes Röring Marian Wendt Eckhard Gnodtke Jens Lehmann Stefan Rouenhoff Kai Whittaker Ursula Groden-Kranich Paul Lehrieder Erwin Rüddel Annette Widmann-Mauz Hermann Gröhe Dr. Katja Leikert Albert Rupprecht Bettina Margarethe Wiesmann Klaus-Dieter Gröhler Dr. Andreas Lenz Stefan Sauer Klaus-Peter Willsch Astrid Grotelüschen Antje Lezius Anita Schäfer (Saalstadt) Markus Grübel Dr. Wolfgang Schäuble Elisabeth Winkelmeier- Andrea Lindholz Becker Manfred Grund Andreas Scheuer Dr. Carsten Linnemann Oliver Wittke Oliver Grundmann Jana Schimke Patricia Lips Emmi Zeulner Monika Grütters Tankred Schipanski (B) Nikolas Löbel Paul Ziemiak (D) Fritz Güntzler Dr. Claudia Schmidtke Bernhard Loos Dr. Matthias Zimmer Olav Gutting Dr. Jan-Marco Luczak Patrick Schnieder Christian Haase Daniela Ludwig Nadine Schön SPD Florian Hahn Karin Maag Felix Schreiner Jürgen Hardt Yvonne Magwas Dr. Klaus-Peter Schulze Niels Annen Matthias Hauer Dr. Thomas de Maizière Uwe Schummer Ingrid Arndt-Brauer Mark Hauptmann Gisela Manderla Armin Schuster (Weil am Heike Baehrens Dr. Matthias Heider Dr. Astrid Mannes Rhein) Ulrike Bahr Mechthild Heil Torsten Schweiger Matern von Marschall Nezahat Baradari Thomas Heilmann Detlef Seif Andreas Mattfeldt Doris Barnett Frank Heinrich (Chemnitz) Reinhold Sendker Stephan Mayer (Altötting) Dr. Matthias Bartke Mark Helfrich Dr. Patrick Sensburg Dr. Michael Meister Sören Bartol Rudolf Henke Thomas Silberhorn Jan Metzler Bärbel Bas Michael Hennrich Björn Simon Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Lothar Binding Marc Henrichmann Michelbach Tino Sorge (Heidelberg) Ansgar Heveling Dr. Mathias Middelberg Jens Spahn Leni Breymaier Christian Hirte Dietrich Monstadt Katrin Staffler Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Heribert Hirte Karsten Möring Dr. Wolfgang Stefinger Katrin Budde Alexander Hoffmann Elisabeth Motschmann Albert Stegemann Martin Burkert Karl Holmeier Axel Müller Andreas Steier Dr. Lars Castellucci Erich Irlstorfer Dr. Gerd Müller Peter Stein (Rostock) Bernhard Daldrup Hans-Jürgen Irmer Sepp Müller Sebastian Steineke Dr. Karamba Diaby Thomas Jarzombek Carsten Müller Johannes Steiniger Esther Dilcher Andreas Jung (Braunschweig) Dieter Stier Sabine Dittmar Ingmar Jung Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Dr. Wiebke Esdar Alois Karl Dr. Andreas Nick Stephan Stracke Saskia Esken Anja Karliczek Petra Nicolaisen Max Straubinger Yasmin Fahimi Torbjörn Kartes Michaela Noll Dr. Peter Tauber Dr. Johannes Fechner Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14621

(A) Dr. Fritz Felgentreu Josephine Ortleb Peter Boehringer Gerold Otten (C) Dr. Edgar Franke Mahmut Özdemir Stephan Brandner Tobias Matthias Peterka Ulrich Freese (Duisburg) Jürgen Braun Paul Viktor Podolay Dagmar Freitag Aydan Özoguz Marcus Bühl Jürgen Pohl Sigmar Gabriel Christian Petry Matthias Büttner Martin Reichardt Angelika Glöckner Detlev Pilger Petr Bystron Martin Erwin Renner Timon Gremmels Sabine Poschmann Tino Chrupalla Roman Johannes Reusch Kerstin Griese Florian Post Joana Cotar Ulrike Schielke-Ziesing Michael Groß Dr. Sascha Raabe Siegbert Droese Jörg Schneider Uli Grötsch Martin Rabanus Thomas Ehrhorn Uwe Schulz Bettina Hagedorn Andreas Rimkus Berengar Elsner von Thomas Seitz Rita Hagl-Kehl Sönke Rix Gronow Martin Sichert Metin Hakverdi Dennis Rohde Dr. Michael Espendiller Detlev Spangenberg Dirk Heidenblut Dr. Martin Rosemann Peter Felser Dr. Dirk Spaniel Hubertus Heil (Peine) René Röspel Dietmar Friedhoff René Springer Gabriela Heinrich Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Anton Friesen Beatrix von Storch Marcus Held Michael Roth (Heringen) Dr. Alexander Gauland Dr. Harald Weyel Wolfgang Hellmich Susann Rüthrich Albrecht Glaser Wolfgang Wiehle Dr. Barbara Hendricks Bernd Rützel Franziska Gminder Dr. Heiko Wildberg Gustav Herzog Sarah Ryglewski Armin-Paulus Hampel Dr. Christian Wirth Gabriele Hiller-Ohm Johann Saathoff Mariana Iris Harder-Kühnel Uwe Witt Thomas Hitschler Axel Schäfer (Bochum) Verena Hartmann Dr. Eva Högl Dr. Nina Scheer Dr. Roland Hartwig FDP Frank Junge Marianne Schieder Jochen Haug Grigorios Aggelidis Josip Juratovic Udo Schiefner Martin Hebner Renata Alt Thomas Jurk Uwe Schmidt Udo Theodor Hemmelgarn Christine Aschenberg- Oliver Kaczmarek Ulla Schmidt (Aachen) Waldemar Herdt Dugnus Johannes Kahrs Dagmar Schmidt (Wetzlar) Lars Herrmann Nicole Bauer (B) Elisabeth Kaiser Johannes Schraps Martin Hess Jens Beeck (D) Ralf Kapschack Michael Schrodi Dr. Heiko Heßenkemper Dr. Jens Brandenburg Gabriele Katzmarek Ursula Schulte Karsten Hilse (Rhein-Neckar) Lars Klingbeil Martin Schulz Nicole Höchst Mario Brandenburg Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Martin Hohmann (Südpfalz) Daniela Kolbe Frank Schwabe Dr. Bruno Hollnagel Dr. Marco Buschmann Elvan Korkmaz-Emre Andreas Schwarz Leif-Erik Holm Karlheinz Busen Anette Kramme Rita Schwarzelühr-Sutter Fabian Jacobi Carl-Julius Cronenberg Christine Lambrecht Rainer Spiering Jens Kestner Britta Katharina Dassler Christian Lange (Backnang) Martina Stamm-Fibich Stefan Keuter Bijan Djir-Sarai Helge Lindh Mathias Stein Norbert Kleinwächter Christian Dürr Kirsten Lühmann Kerstin Tack Enrico Komning Hartmut Ebbing Daniel Föst Isabel Mackensen Claudia Tausend Jörn König Otto Fricke Caren Marks Markus Töns Steffen Kotré Thomas Hacker Katja Mast Carsten Träger Dr. Rainer Kraft Peter Heidt Christoph Matschie Ute Vogt Rüdiger Lucassen Katrin Helling-Plahr Hilde Mattheis Marja-Liisa Völlers Frank Magnitz Dr. Matthias Miersch Markus Herbrand Dirk Vöpel Jens Maier Klaus Mindrup Torsten Herbst Bernd Westphal Dr. Lothar Maier Susanne Mittag Dr. Gero Clemens Hocker Gülistan Yüksel Dr. Birgit Malsack- Falko Mohrs Winkemann Manuel Höferlin Dagmar Ziegler Claudia Moll Corinna Miazga Reinhard Houben Stefan Zierke Siemtje Möller Andreas Mrosek Ulla Ihnen Dr. Jens Zimmermann Bettina Müller Hansjörg Müller Olaf In der Beek Detlef Müller (Chemnitz) Volker Münz Dr. Christian Jung Michelle Müntefering AfD Sebastian Münzenmaier Karsten Klein Dr. Rolf Mützenich Dr. Bernd Baumann Christoph Neumann Dr. Marcel Klinge Dietmar Nietan Marc Bernhard Jan Ralf Nolte Daniela Kluckert Ulli Nissen Andreas Bleck Ulrich Oehme Pascal Kober 14622 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Dr. Lukas Köhler DIE LINKE Tobias Pflüger Dr. Kirsten Kappert- (C) Gonther Carina Konrad Doris Achelwilm Ingrid Remmers Uwe Kekeritz Wolfgang Kubicki Gökay Akbulut Martina Renner Katja Keul Konstantin Kuhle Simone Barrientos Bernd Riexinger Alexander Kulitz Lorenz Gösta Beutin Eva-Maria Schreiber Sven-Christian Kindler Alexander Graf Lambsdorff Matthias W. Birkwald Dr. Petra Sitte Maria Klein-Schmeink Ulrich Lechte Heidrun Bluhm-Förster Helin Evrim Sommer Sylvia Kotting-Uhl Christian Lindner Michel Brandt Kersten Steinke Oliver Krischer Michael Georg Link Christine Buchholz Friedrich Straetmanns Stephan Kühn (Dresden) (Heilbronn) Dr. Birke Bull-Bischoff Dr. Kirsten Tackmann Christian Kühn (Tübingen) Oliver Luksic Sevim Daĝdelen Jessica Tatti Renate Künast Christoph Meyer Fabio De Masi Alexander Ulrich Markus Kurth Alexander Müller Anke Domscheit-Berg Kathrin Vogler Monika Lazar Roman Müller-Böhm Klaus Ernst Andreas Wagner Sven Lehmann Frank Müller-Rosentritt Susanne Ferschl Harald Weinberg Steffi Lemke Dr. Martin Neumann Nicole Gohlke Katrin Werner Dr. Tobias Lindner (Lausitz) Dr. Gregor Gysi Hubertus Zdebel Dr. Irene Mihalic Dr. André Hahn Hagen Reinhold Pia Zimmermann Claudia Müller Heike Hänsel Bernd Reuther Sabine Zimmermann Beate Müller-Gemmeke Matthias Höhn (Zwickau) Dr. Stefan Ruppert Dr. Konstantin von Notz Andrej Hunko Dr. h. c. Thomas Omid Nouripour Sattelberger Ulla Jelpke BÜNDNIS 90/ Friedrich Ostendorff Christian Sauter Kerstin Kassner DIE GRÜNEN Dr. Achim Kessler Cem Özdemir Frank Schäffler Luise Amtsberg Katja Kipping Filiz Polat Dr. Wieland Schinnenburg Lisa Badum Jan Korte Tabea Rößner Matthias Seestern-Pauly Annalena Baerbock Jutta Krellmann Claudia Roth (Augsburg) Frank Sitta Dr. Danyal Bayaz Caren Lay Dr. Manuela Rottmann Judith Skudelny Canan Bayram (B) Sabine Leidig Corinna Rüffer (D) Dr. Hermann Otto Solms Dr. Franziska Brantner Ralph Lenkert Manuel Sarrazin Bettina Stark-Watzinger Dr. Anna Christmann Michael Leutert Ulle Schauws Dr. Marie-Agnes Strack- Ekin Deligöz Stefan Liebich Stefan Schmidt Zimmermann Katja Dörner Benjamin Strasser Dr. Gesine Lötzsch Kordula Schulz-Asche Thomas Lutze Katharina Dröge Katja Suding Dr. Wolfgang Strengmann- Pascal Meiser Harald Ebner Kuhn Michael Theurer Amira Mohamed Ali Matthias Gastel Margit Stumpp Stephan Thomae Kai Gehring Cornelia Möhring Markus Tressel Manfred Todtenhausen Stefan Gelbhaar Niema Movassat Dr. Julia Verlinden Dr. Florian Toncar Katrin Göring-Eckardt Norbert Müller (Potsdam) Daniela Wagner Dr. Andrew Ullmann Erhard Grundl Zaklin Nastic Beate Walter-Rosenheimer Gerald Ullrich Dr. Alexander S. Neu Anja Hajduk Gerhard Zickenheiner Johannes Vogel (Olpe) Thomas Nord Britta Haßelmann Sandra Weeser Petra Pau Dr. Bettina Hoffmann Nicole Westig Sören Pellmann Ottmar von Holtz Fraktionslos Katharina Willkomm Victor Perli Dieter Janecek Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14623

(A) Anlage 7 Dieser Satz zeigt: Bei der Verwirklichung von echter, (C) gelebter und aktiver Teilhabe steht der Mensch im Mittel- Zu Protokoll gegebene Reden punkt. Dieser Ansatz und sein Erfolg spiegeln sich auch bei meinen Besuchen in Werkstätten und im persönlichen zur Beratung Kontakt mit Menschen mit Behinderung wider. a) des von der Bundesregierung eingebrachten Uns als Parlament muss es daher ein Anliegen sein, Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des sowohl die Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu Neunten und des Zwölften Buches Sozialgesetz- stärken als auch ihre Selbstbestimmung auszubauen. Auf buch und anderer Rechtsvorschriften diesem Weg ist der heutige Entwurf ein weiterer Schritt im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes, um die Einglie- b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des derungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiter- Ausschusses für Arbeit und Soziales zuentwickeln, bei dem es bei Leistungserbringung der – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Beeck, Eingliederungshilfe keinen Unterschied mehr zwischen Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), wei- ambulanter, teilstationärer und stationärer Leistung mehr terer Abgeordneter und der Fraktion der gibt. FDP: Beschäftigungssituation für Menschen Der Gesetzentwurf greift hierbei die Empfehlungen der mit Behinderung verbessern „Arbeitsgruppe Personenzentrierung“ auf und ist für die – zu dem Antrag der Abgeordneten Sören zukünftige Trennung der Fachleistungen der Eingliede- Pellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. rungshilfe im SGB IX von den Lebensunterhaltsleistun- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der gen des SGB XII elementar. Fraktion DIE LINKE: Ausgleichsabgabe Mit der Personenzentrierung werden die Lebensum- deutlich erhöhen und Beschäftigungsquote stände der Menschen mit Behinderung im Alltag verbes- anheben sert. – zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Be- Rüffer, Anja Hajduk, Markus Kurth, weiter- hinderung sind zentrale Themen für unser Land und un- er Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sere Gesellschaft. Der Umgang mit diesem Thema zeigt NIS 90/DIE GRÜNEN: Bundesteilhabegesetz nicht nur, welchen Stellenwert die Würde des Menschen nachbessern und volle Teilhabe ermöglichen in unserer Gesellschaft einnimmt, sondern auch, wie in sowie unserer Gesellschaft echter Zusammenhalt ausgestaltet (B) wird. Hierfür müssen wir noch viel stärker ein Bewusst- (D) – des Antrags der Abgeordneten Katja Suding, sein schaffen, das zur Bereitschaft eines Perspektivwech- Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abge- sels führt, um aktive, alltägliche und gelebte Inklusion zu ordneter und der Fraktion der FDP: Heranzie- ermöglichen. hung von Pflegekindern als Leistungsberechtig- te durch einen Kostenbeitrag abschaffen Gelebte Inklusion fängt damit an, in Gesellschaft und Politik eine Sensibilität für die Anliegen der Menschen (Tagesordnungspunkt 13 a und b sowie Zusatz- mit Behinderung zu schaffen. Dieses Gesetz bereitet den punkt 9) Weg, damit Menschen mit Behinderung in einer offenen und inklusiven Gesellschaft leben können. Gerade für Peter Aumer (CDU/CSU): Teilhabe geht uns alle an! Menschen mit Behinderung ist die Bedeutung, durch Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft bedarf es die eigene Arbeit zum Lebensunterhalt beizutragen, ein aller! Gelebte Teilhabe eröffnet Chancen, stiftet Identität, elementrarer Bestandteil von physischer und psychischer sorgt für Zusammenhalt und schützt vor Ausgrenzung. Teilhabe. Die personenzentrierte Ausrichtung der Ein- gliederungshilfe legt hierfür beispielsweise schon bei Das Bundesteilhabegesetz ist ein wichtiger Schritt zur Schule und Ausbildung die dafür so wichtigen Grund- Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die steine. Bitte stimmen Sie aus diesen Gründen dem Ge- Umsetzung des 2016 beschlossenen Bundesteilhabege- setzentwurf zu. setzes macht Änderungen und Korrekturen erforderlich. Der vorgelegte Gesetzentwurf setzt aber nicht nur das Torbjörn Kartes (CDU/CSU): Am 1. Januar 2020 tritt Bundesteilhabegesetz um, sondern baut auch gleichzeitig die dritte Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes in die Teilhabe aus. Kraft – eine gute Nachricht für viele Menschen, die oft nicht den Eindruck haben, mittendrin und Teil unserer Mit dem 1. Januar 2020 wird die Eingliederungshilfe Gesellschaft zu sein: weil sie körperliche Beeinträchti- für Menschen mit Behinderungen konsequent personen- gungen haben, weil sie geistig behindert sind. Für sie alle zentriert ausgerichtet. Eine stärkere Personenzentrierung wollen wir mehr gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbe- ist in meinen Augen eine Voraussetzung für eine erfolg- stimmung. reiche und gelebte Teilhabe. Dies unterstreicht auch das Zitat unseres früheren Bundespräsidenten Richard von Damit das Bundesteilhabegesetz das für sie leisten Weizsäcker bei der Eröffnungsveranstaltung der Tagung kann, verabschieden wir heute diese Gesetzesänderung. der Bundesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“: Es ist ein Reparaturgesetz. Damit nehmen wir Korrekt- Es ist normal, verschieden zu sein. Es gibt keine Norm uren vor: im Sozialgesetzbuch Neun, das das Eingliede- für das Menschsein. rungshilferecht regelt, und im Sozialgesetzbuch Zwölf, 14624 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) das die Sozialhilfe regelt. Damit schaffen wir Klarheit meiner Sicht nur dann, wenn wir auch regeln, was junge (C) und sorgen für eine reibungslose und rechtssichere Um- Menschen in Heimen zukünftig behalten dürfen. So wie setzung des Bundesteilhabegesetzes. jetzt kann die Regelung nicht bleiben, und daher hoffe ich, dass wir uns alsbald auf eine Gesetzesänderung zu- Eine wichtige Änderung aber kommt mit diesem gunsten der jungen Menschen verständigen können. Klar Gesetz heute nicht oder besser noch nicht – leider! Und ist: Das geht nur gemeinsam mit den Bundesländern, und dennoch möchte ich dafür heute ein Plädoyer halten. Wir daher können wir das heute auch noch nicht mit auf den möchten als Unionsfraktion gerne auch eine Änderung Weg bringen. Aber wir sollten das lösen. Es gibt gute am Sozialgesetzbuch Acht vornehmen und damit Jugend- Argumente dafür: für mehr gesellschaftliche Teilhabe, liche, die in Heimen untergebracht sind, besserstellen. für mehr Selbstständigkeit und weil es unsere gesell- Heute ist es nämlich so: Wenn Jugendliche eine Ausbil- schaftliche Verantwortung ist. dung machen oder neben der Schule einer kleinen Be- schäftigung nachgehen, dann müssen sie 75 Prozent von ihrem verdienten Geld wieder abgeben. Begründet wird das mit den Kosten fürs Wohnen im Heim, für Verpfle- Anlage 8 gung, für Sozialarbeit, für die Krankenkasse.

Die meisten Jugendlichen haben das Glück, bei den Zu Protokoll gegebene Reden eigenen Eltern zu wohnen. Sie dürfen in vielen Fällen ihren Verdienst behalten. Aber diejenigen, die im Heim zur Beratung wohnen, geben von 200 Euro 150 Euro wieder ab. Das a) des Antrags der Abgeordneten Katja Suding, halte ich nicht für gerecht. Das ist auch kein Zeichen, dass Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abge- sich Leistung lohnt und Arbeit eine gute Sache ist. Und ordneter und der Fraktion der FDP: Smart nicht zuletzt fehlt den jungen Leuten dadurch auch die Germany: Learning Analytics und Künstliche Möglichkeit, Geld anzusparen, für den Führerschein zum Intelligenz in der Schule fördern, Lerndaten Beispiel oder für eine Mietkaution, wenn sie dann mal schützen allein wohnen wollen. Aber genau das ist doch Selbstbe- stimmung und gesellschaftliche Teilhabe: mobil sein, im b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Arbeitsleben ankommen, in den eigenen vier Wänden Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- wohnen. Und genau deshalb ist diese aktuelle Regelung nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abge- falsch. ordneten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter und Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts- der Fraktion der FDP: Sichere Kryptographie- (B) pflege, also AWO, Diakonie, Caritas usw., kommt zu dem (D) verfahren für Quantencomputer entwickeln Schluss – ich zitiere –: „Insgesamt stellt die Kostenher- anziehung über das SGB VIII eine hohe Demotivation – des Antrags der Abgeordneten Mario Branden- junger Menschen in den Hilfen für Erziehung dar … burg (Südpfalz), Katja Suding, Grigorios Der von allen Akteuren angestrebte Verselbständigungs- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- prozess des jungen Menschen wird darüber erheblich ge- tion der FDP: Smart Germany – Deutschland fährdet.“ Recht haben sie – und wir brauchen diese Än- digital stärken, Onlinekurs „Künstliche Intelli- derung mit einem deutlich höheren Anteil, den die jungen genz“ initiieren Menschen behalten dürfen. (Tagesordnungspunkt 18 a und b sowie Zusatz- Wir waren in diesem Haus auch schon weiter: Im Kin- punkt 10) der- und Jugendstärkungsgesetz aus dem Jahr 2017 war vorgesehen, dass wir hier auf 50 Prozent gehen und zu- Ronja Kemmer (CDU/CSU): In der Debatte über sätzliche Freibeträge für Einkommen aus Schülerjobs, künstliche Intelligenz dominieren immer noch oft die Ferienjobs, Praktika und Ausbildungsvergütungen Ängste und Sorgen. Das betrifft gerade auch den Bereich schaffen. Leider ist das Gesetz im Bundesrat aus anderen Arbeit. Statt die Chancen, die mit KI für die Zukunft der Gründen gestoppt worden, sodass wir uns erneut damit Arbeit entstehen, offensiv in den Mittelpunkt zu stellen, befassen müssen – und in dieser Frage natürlich auch den werden vonseiten der politischen Linken eher noch Ängs- Schulterschluss mit den Bundesländern noch suchen te geschürt. Es wird in den Vordergrund gestellt, dass müssen. durch KI Arbeitsplätze wegfallen werden. Immerhin ist heute die Regelung vom Tisch, die das Ja, es werden durch KI einige Arbeitsplätze wegfallen. Familienministerium in den ursprünglichen Gesetzent- Aber warum sprechen wir nicht besser direkt darüber, wurf geschrieben hatte: dass künftig nicht mehr das dass mehr neue Jobs durch Digitalisierung und insbeson- Durchschnittseinkommen des Vorjahres zur Berechnung dere KI entstehen werden als alte wegfallen? Das BMAS der Kostenheranziehung junger Menschen genommen geht in seinem Jobmonitor davon aus, dass bis 2025 etwa wird, sondern das aktuelle Monatseinkommen. Dies hätte 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, aber gleich- in vielen Fällen aktuell sogar noch zu Verschlechterungen zeitig ungefähr 2,1 Millionen neue entstehen werden. für die Betroffenen geführt, und das kann ich zu Hause bei Und nicht nur, dass mit KI zusätzliche Jobs entstehen, mir niemandem erklären. sondern KI kann ganz maßgeblich zur Entlastung und Man kann sicher darüber diskutieren, auf was bei der Unterstützung von Arbeitnehmern führen, den Anteil an Berechnung Bezug genommen werden soll – aber aus monotonen Arbeitsvorgängen reduzieren, wodurch mehr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14625

(A) Raum für kreative und erfüllende Aufgaben entsteht. Stu- Sprung nach vorne letztendlich aber nur von den Ländern, (C) dien zufolge lässt sich das BIP in Deutschland bis 2030 konkret von der Kultusministerkonferenz, erfolgen. allein durch KI um über 11 Prozent steigern. Das ent- spricht einer Wertschöpfung von 430 Milliarden Euro. Wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass wir politi- sche Rahmenbedingungen brauchen, die die Nutzung von KI bedeutet darum eine riesige Chance. Mit der richti- Daten in der Schule ermöglichen, dann stimme ich Ihnen gen Gestaltung von KI können wir unsere soziale Markt- zu. Wenn Sie aber für die Erreichung dieses Ziels fordern, wirtschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Artikel 91b Absatz 2 Grundgesetz zu ändern, dann ist das Deutschland stärken. Chancen erkennen und nutzen, statt doch nichts weiter als ein trojanisches Pferd, liebe Kol- Ängste zu schüren: Dafür setzen wir uns als CDU/CSU legen von der FDP, mit dem Sie bewirken wollen, dass der ein. Bund die finanziellen Verpflichtungen der Länder über- nimmt. Beim Thema Datenschutz, um das es Ihnen aber Ganz essenziell ist dafür, Wissen über KI zu vermitteln. angeblich geht, kommen wir mit einer Änderung von Von der Schule über die berufliche Bildung und die Hoch- Artikel 91b, seien Sie da doch ehrlich, keinen Schritt schule bis hin zu Weiterbildung und lebenslangem Ler- weiter. nen. Die beiden Anträge, die die FDP dazu vorgelegt hat, gehen vom Grundsatz in die richtige Richtung. Den DigitalPakt haben wir als CDU/CSU mit der Än- derung von Artikel 104c auf den Weg gebracht, damit der Ich möchte mich mit Blick auf die begrenzte Zeit auf Bund die Länder selektiv und zielgerichtet unterstützt – Ihren Antrag zu „Künstliche Intelligenz in der Schule“ und nicht, dass der Bund in Form eines Rundum-sorglos- konzentrieren. Sie schreiben, dass andere Staaten beim Pakets für die Länder alles, was mit digitaler Bildung zu KI-gestützten Einsatz von Learning Analytics in der tun hat, anstelle der Länder finanziert. Auch nach der Schule weiter sind als Deutschland. Das ist erst mal rich- Grundgesetzänderung bleibt es für uns als CDU/CSU da- tig, und da müssen wir ganz schnell aufholen. Daran be- bei, dass die originäre Verantwortung für das Bildungs- steht kein Zweifel. wesen klar in der Zuständigkeit der Länder liegt. Das ist für uns als Union ein Thema von höchster Prio- Als CDU/CSU wollen wir Learning Analytics ent- rität, und darum unternehmen wir sehr viel in diesem schlossen vorantreiben. Wir sind überzeugt davon, dass Bereich. Zum Beispiel haben wir für die zweite Förder- beim KI-unterstützten Lernen große Chancen liegen. phase der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ im vergan- Richtig angewandt, kann mit KI die Motivation von genen Sommer gemeinsam mit den Ländern eine zusätz- Schülern gesteigert werden, es lassen sich schnellere, liche Förderrichtlinie für den Zeitraum 2020 bis 2023 aber auch nachhaltigere Lernerfolge erzielen. beschlossen, bei der ein klarer Schwerpunkt auf die „Di- (B) gitalisierung in der Lehrerbildung“ gelegt wurde. Hiermit Für Lehrer entsteht beim Unterricht mit KI-gestützten (D) haben wir einen guten Rahmen für Learning Analytics Medien die Möglichkeit, Schüler individueller zu be- gesetzt. Für einen pädagogisch sinnvollen und erfolgrei- treuen, mehr auf unterschiedliche Stärken und Lernstände chen Umgang mit KI ist es wichtig, dass die Vermittlung einzugehen. Ich bin auch überzeugt davon, dass KI mehr von Kenntnissen über KI und maschinelles Lernen immer Kreativität eröffnet als der althergebrachte Frontalunter- stärker ins Zentrum der Didaktik rückt. richt. Zweifel habe ich aber an Ihrer Analyse und impliziten Dafür müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen Schuldzuweisung an die Bundesregierung, dass, wie Sie schaffen. Das tun wir als Bund. Schaffen können wir es schrieben, die „deutschen Datenschutzstandards“ dafür aber nur gemeinsam mit den Ländern. verantwortlich sind, dass wir beim Einsatz von KI in den Schulen hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben. Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): Mittlerweile exis- Hier möchte ich daran erinnern, dass Datenschutz im Be- tiert kaum noch ein Lebensbereich, der nicht unmittelbar reich Schulen bislang in der Hoheit der Länder liegt. von der Digitalisierung berührt, häufig sogar geprägt wird. Wir haben diese Entwicklung manchmal als einen Weil wir in der digitalen Schulbildung bundesweit an- sprunghaften, aber in jedem Fall konstant anhaltenden schlussfähige Lösungen erreichen wollen, haben wir von Prozess wahrgenommen. Nicht selten gleichen wir diesen Unionsseite bei der Gestaltung des DigitalPakts Schule mit dem ab, was wir „von früher“ kennen, auch wenn sich besonderen Wert darauf gelegt, dass ein fester Anteil der diese Vergangenheit in Jahren deutlich unterscheiden Mittel für länderübergreifende Zusammenarbeit festge- mag. schrieben wurde. Dies betrifft sowohl den Bereich Qua- lifizierung des Lehrpersonals, den Bereich Infrastruktu- Beispielsweise erzählen wir uns ungläubig davon, wie ren für die Bereitstellung von digitalen Bildungsmedien man ohne Mobiltelefone kommuniziert, sich orientiert, wie auch die Entwicklung von onlinebasierten Verfahren informiert und Notizen verwaltet hat. Wir mussten uns zur Diagnostik und Leistungsfeststellung. Die einzelnen präziser verabreden, Karten und Umgebungen lesen ler- Maßnahmen sind in Anlage 1 der Verwaltungsvereinba- nen, Lexika benutzen und Kalender führen. Diese Selbst- rung nachzulesen. verständlichkeiten mehrerer Generationen sind heute im Alltag – und damit ist in großen Teilen auch der Schul- Wir arbeiten vonseiten des Bundes also mit Hochdruck alltag gemeint – nicht mehr präsent. daran, die Bedingungen für Learning Analytics für ganz Deutschland zu verbessern, und wir wirken auf die Län- Verstehen Sie mich nicht falsch: Der technologische der ein, Hindernisse abzubauen. Mit Blick auf die Regel- Fortschritt ist in erster Linie eine immense Erleichterung ungen beim Schutz von Schülerdaten kann ein großer der täglichen Dinge, ich selbst könnte mir weder meinen 14626 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Beruf noch mein Privatleben ohne die vielen Vorteile der prominent, und das Geld floss reichlich. Doch nach nur (C) Digitalisierung vorstellen. Auch möchte ich nicht jenen einem Jahr musste die Organisation wieder dichtmachen. das Wort reden, die vor allem die Risiken oder Gefahren Puff, 100 Millionen Dollar futsch! Der Grund: Die Eltern darin sehen, wie etwa die Veränderung der Arbeitswelt. und die amerikanische Öffentlichkeit hatten zu große ethische und datenschutzrechtliche Bedenken. Es hatte Wenn es aber um die Bildung von Kindern und Jugend- zu viel Kritik gegen Learning Analytics gegeben. lichen geht, muss ein Spagat gelingen: Es kann nichts anderes das Ziel sein, als junge Menschen mithilfe von Als ausgebildete Lehrerin bin ich – auch mit dieser digitaler Technologie fit für eine von dieser geprägten Geschichte im Hinterkopf – immer besonders gespannt, Welt zu machen. Das heißt, dass Kinder von Beginn an wenn die Arbeits- und Lebenswelt Schule verändert wer- einen pädagogisch geeigneten, sinnvollen Zugang zu den soll. So auch heute. Liebe Kolleginnen und Kollegen Technik und Software haben sollen. von der FDP, Sie wollen Learning Analytics an Schulen einführen. Sie möchten also das Sammeln von Daten un- Es gibt – da haben die Kollegen von der FDP recht – serer Schülerinnen und Schüler erlauben. Diese Daten zahlreiche innovative digitale Lernmittel, die durch ge- sollen in Algorithmen eingespeist werden. Die Algorith- schulte Lehrkräfte optimal genutzt werden können. men erstellen dann Profile und errechnen so Wahrschein- Durch den DigitalPakt Schule kann sich in den nächsten lichkeiten über individuelles Lernverhalten. Jahren flächendeckend vieles bewegen lassen. Mir scheint aber, dass Sie mit Ihrer Forderung nach einem Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch: Das Konzept Digitalpakt 2.0 zum jetzigen Zeitpunkt die Realitäten Learning Analytics bietet enorme Chancen in den Berei- und Herausforderungen an unseren Schulen verkennen chen Lernen und Lehren. Eine Lehrkraft kann damit zum und weit übers Ziel hinausschießen. Vielerorts wäre Beispiel testen, wie gut eine neue Lernmethode funktio- man wohl froh, könnte man sich mit den Hürden bei niert, ein Schüler kann herausfinden, wie lange er im den Learning Analytics befassen und nicht mit den grund- Durchschnitt für einzelne Schritte einer Matheaufgabe legenden Inhalten von Schule. braucht. Learning Analytics kann helfen, herauszufinden, Traurige Fakten sind aber: 18,5 Prozent der 10-jährigen wo individuelle Schwächen und Wissenslücken liegen. Kinder sind heute funktionale Analphabeten, können Es gibt jedoch auch große und begründete Bedenken nicht sinnentnehmend lesen. Schülerinnen und Schüler gegen eine überstürzte Einführung an Schulen – sowohl schreiben langsamer, immer unleserlicher und bekom- aus pädagogischer Sicht als auch im Hinblick auf Daten- men beim Schreiben schnell Krämpfe in der Hand. schutz. Gleichzeitig weisen Wissenschaftler nach, dass das Erler- nen der Handschrift in der kindlichen Entwicklung wich- Aus pädagogischer Sicht müssen wir aufpassen, dass (B) tige neuronale Vernetzungen fördert. Schreib- und Lese- das Sammeln von Daten kein Selbstzweck wird. Learning (D) vermögen werden laut entwicklungspsychologischen Analytics ist pädagogisch erst dann relevant, wenn aus Studien nur ausgebildet, wenn man mit der Hand schreibt. der Unmenge Daten auch wertvolle Aussagen entstehen; denn Lernverhalten ist ein Bildungsprozess, der nicht Universitäten und Betriebe verzweifeln an den Mathe- vollständig statistisch erfasst werden kann. Wenn die Sta- matikleistungen ihrer Auszubildenden und Studierenden, tistik zum Beispiel sagt, dass eine Schülerin schlecht in die ohne technische Hilfsmittel nicht in der Lage zum Grammatik ist, dann können auch persönliche Umstände Kopfrechnen oder zu einfachen Dreisatzlösungen sind. dafür verantwortlich sein. Bei der Auswertung von nack- Das legt nahe, dass diese elementaren Fähigkeiten nicht ten Daten ist also Vorsicht geboten. ausreichend eingeübt wurden und hier in den Lehrplänen nachgebessert werden muss. Und besonders wichtig ist natürlich auch die Frage des Datenschutzes; denn auch beim digitalen Lernen – wie Mein nachdrücklicher Wunsch ist es, dass all jene beim Onlineshoppen – hinterlassen wir Spuren, Spuren, „analogen“ Fähigkeiten und, ja, Kulturtechniken über mit denen sich wunderbar ein Profil zusammenschustern der notwendigen Digitalisierung von Bildung nicht aus lässt, ein Profil, mit dem man unser Verhalten vorhersa- dem Blick geraten. Für mich ist es in keiner Weise ver- gen kann. Ich will nicht verantworten, dass das Daten- tretbar, dass meine Bedenken vor einem Verlust „traditio- profil hinter einer Person wichtiger wird als die Person neller“ Lerninhalte mit einem knappen „Das brauchen wir selbst. alles nicht mehr“ vom Tisch gewischt werden. Glücklicherweise erkennt die FDP einige dieser Pro- Gemeinsam müssen wir darauf hinwirken, dass sich bleme und schreibt, dass sie – Zitat – „eine Vermarktung“ digitale und analoge Kompetenzen nebeneinander erler- von Profilen, die Learning Analytics von Schülerinnen nen lassen und nicht in Konkurrenz zueinander gestellt und Schülern erstellt, „verhindern“ will. Das hat mich werden. Bildung basiert auch auf dem Erlernen des Lern- besonders bei Ihnen gefreut, werte Kolleginnen und Kol- ens, und wir brauchen eine sinnvolle Ergänzung der be- legen der FDP. Eigentlich wollen Sie ja immer so viel wie währten Inhalte durch digitale Technik, nicht deren Er- möglich dem Markt unterwerfen. Schön, dass Sie bei den satz. Daten unserer Kinder haltmachen. Marja-Liisa Völlers (SPD): Vor ein paar Jahren pump- Lassen Sie uns die Fehler aus den USA nicht wieder- te die Bill & Melinda Gates Foundation 100 Millionen holen. Wenn schon die amerikanische Öffentlichkeit ge- Dollar in eine private Organisation. Sie sollte ein neues gen das Sammeln und Analysieren von Schülerdaten pro- Konzept namens Learning Analytics an amerikanischen testiert, dann ist Vorsicht geboten. Schließlich haben die Schulen einführen. Der Hype war groß, die Unterstützung USA ein deutlich laxeres Verständnis von Datenschutz als Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14627

(A) wir hier in Europa. Für uns ist Datenschutz ein Grund- Auskünfte über das Lernverhalten, die Lernaktivitäten (C) recht und nicht verhandelbar. und Einstellungen in Echtzeit gegeben. Es findet eine permanente Protokollierung statt. Es ist möglich, indivi- Der Antrag der FDP hat durchaus einige gute Punkte, duelle und dynamische Curricula zu erstellen und ein und ich finde es gut, dass Sie die Debatte weiter voran- Feedback in Echtzeit zu geben. So können komplette Bil- treiben. Aber zu viele Fragen bleiben einfach noch offen: dungs- und Erwerbsbiografien erhoben werden, unter Hat Learning Analytics Zugang zu privaten Daten? Wer Rückgriff auf die Daten der Lernenden und ihr soziales kann diese Daten sehen? Wie kann eine Anonymisierung Umfeld, aber auch unter Rückgriff auf externe Daten. sichergestellt werden, und wie verhindern wir eine mög- Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Hier beginnen sich liche Re-Personalisierung? die Geister – auch die digital affinen – zu scheiden. Es ist gut, dass wir diese offenen Punkte mit der KI- Welche Probleme werden nun damit aufgerufen? Ers- Strategie der Bundesregierung angehen. Mit ihr untersu- tens: Probleme des Datenschutzes. Wenn man weiß, dass chen wir die Einsatzmöglichkeiten von Learning Analy- personenbezogene Daten als Währung des 21. Jahrhun- tics, und zwar unter voller Berücksichtigung ethischer derts gelten, ist hier mindestens Skepsis angesagt. Daten- und datenschutzrechtlicher Fragestellungen. Wenn all schutz muss das Primat haben! Die Hoheit über die Daten diese Fragen geklärt sind, dann wird Learning Analytics muss bei den Lernenden bzw. ihren Eltern bleiben. Auch kommen und mit all seinen Vorzügen unsere Schulen be- muss Transparenz geschaffen werden: Wer sammelt wel- geistern. che Daten zu welchem Zweck und wie lange werden diese Daten gespeichert? Die nächste unbeantwortete Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): Lassen Sie Frage, die sich stellt, ist: Was passiert, wenn Schülerinnen mich mit einer grundsätzlichen Bemerkung beginnen, und Schüler oder Eltern der Speicherung personenbezo- auch um Missverständnisse zu vermeiden: Computer, gener Daten widersprechen? Laptops und Smartphones gehören zur Lebenswirklich- keit junger Menschen. Schon allein daraus ergibt sich, Zweitens: Lernen im Sinne von Verstehen lässt sich dass wir sie zum Gegenstand von Bildungs- und Lern- nicht automatisieren und auch nicht automatisiert über- prozessen machen müssen. prüfen. Deshalb muss es um ganzheitliche Bildung gehen. Neben MINT-Bildung braucht es immer auch ethische Aber: Es sind und bleiben Werkzeuge und kein Selbst- und ästhetische Bildung. Es muss um eine Bildung gehen, zweck! Und wie das nun einmal bei Werkzeugen so ist, die alle Sinne anspricht, nicht nur die, die die Tastatur kommt es darauf an, wie man mit ihnen umgeht und zu bedienen und auf den Bildschirm reagieren. Durch Malen welchem Zweck man sie gebraucht. Was den Zweck be- nach Zahlen entwickelt sich nur ein Restbestand von Kre- trifft, muss man deutlich sagen: Es geht immer noch um ativität! (B) Bildung! Und das ist in der Tat ein Selbstzweck. (D) Bildung bedeutet im humanistischen Sinne, die Welt Alles in allem vermittelt ein Bildungscontrolling mit- und sich selbst zu entdecken, zu verstehen und zu ver- hilfe von Learning Analytics ein Verständnis von Bil- ändern – eine reflektierende, abwägende Auseinanderset- dung, das mehr mit Messen, Kontrollieren und Standardi- zung mit sich selbst und der Welt, die im besten Falle sierung als mit Kreativität, Selbstbestimmung, Entfaltung dazu führt, seinen Platz in dieser Welt zu finden. und Vielfalt – den eigentlichen Quellen von Bildung – zu tun hat. Bildung bedeutet nicht – und hier zitiere ich mit Er- laubnis des Präsidenten den Medienwissenschaftler Claus Drittens: Bildung ist und bleibt ein sozialer Prozess. Pias –: Lernen ist und bleibt Beziehungsarbeit zwischen den Lernenden untereinander und zwischen Lernenden und Wie bekommt man mit möglichst wenig Ressourcen Lehrenden. Bildung meint nicht Verhaltens- und Lern- möglichst viel Stoff möglichst schnell in die Köpfe? konditionierung! Learning Analytics verspricht, gerade für Menschen mit Handicaps oder besonderen Bedürfnis- Bildung in einer digitalen Gesellschaft muss ein sozia- sen, eine Individualisierung von Lernprozessen. Wir hät- ler Prozess kollaborativen Lernens und Arbeitens sein, ten uns da aber gründlich missverstanden, wenn das eine der eine kritische Sicht auf die Dinge ermöglicht und Isolation vor dem Rechner und individualisierte Lernpro- junge Leute in die Lage versetzt, kritische Distanz zu gramme bedeuten soll. Soziales Handeln darf nicht auf wahren. den Austausch zwischen Mensch und Maschine reduziert Unter Beachtung des zuvor Gesagten zielt Bildung in werden! einer digitalen Gesellschaft auf die Herausbildung einer digital mündigen Persönlichkeit ab, die in der Lage ist, Alles das heißt unter dem Strich nicht, dass wir Lear- hinter die Kulissen zu schauen, sich selbst ein Bild zu ning Analytics und KI in Schule und Bildung ablehnen. machen, entscheidungsfähig zu werden und letztlich Nein! Aber das Pädagogische muss die Federführung be- selbst zu entscheiden. So viel zum Grundsätzlichen! halten, nicht das Konzept von IT-Konzernen und -Lob- byisten. Hier ist eine kritische Distanz nötig. Digitale Was heißt nun Learning Analytics, also die Steuerung Lernumgebungen müssen das Werkzeug der Lernenden von Lernprozessen durch Algorithmen? Es handelt sich und Lehrenden werden oder bleiben, statt beides aus der dabei um eine kleinteilige, auch psychometrische Ver- Cloud heraus algorithmisch berechnet zu steuern. Es kann messung der Lernenden per Kamera und Mikrofon. Es gut sein, dass dieses Ziel mit den Interessen großer IT- findet eine Auswertung aller Aktionen per Mustererken- Konzerne und -Lobbyisten und den Absichten, die sie mit nung und Statistik statt. Letztlich werden datenbasierte Learning Analytics verbinden, nicht zusammengeht. Des- 14628 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) halb brauchen Pädagoginnen und Pädagogen sowie Lern- All dies sollten wir bei der Reaktion auf das schreck- (C) ende Aufmerksamkeit, kritische Distanz und die Besin- liche Attentat in Halle nicht vergessen. Sicherheit – ja, nung darauf, was Bildung eigentlich bedeutet und was unbedingt! Aktionismus – nein! Bildung eigentlich braucht. Zur Genese des Gesetzes: Die EU-Feuerwaffenricht- linie ist die gesetzgeberische Reaktion auf die Charlie- Hebdo-Attentate in Paris im Jahr 2015. Ziel der Richtlinie ist es, Anschläge zu verhindern. Die europäische Richt- Anlage 9 linie zeigt: „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ – auch wenn ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen Zu Protokoll gegebene Reden der EVP die größten Brocken aus dem Weg geräumt ha- ben. Dort, wo die Richtlinie zwingend Änderungen im zur Beratung Waffengesetz vorschreibt, werden wir als Union dies um- a) des von der Bundesregierung eingebrachten setzen. Im parlamentarischen Verfahren werden wir als Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung Unionsfraktion genauestens darauf achten, dass die des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften Richtlinie eins zu eins in nationales Recht umgesetzt (Drittes Waffenrechtsänderungsgesetz – wird. Genau das hat auch der Bundesinnenminister ver- 3. WaffRÄndG) sprochen. b) des Antrags der Abgeordneten Dr. Irene Darüber hinaus sind in dem Gesetz des BMI Regel- Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth ungen enthalten, die nichts mit der EU-Richtlinie zu tun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der haben, die ich aber sehr begrüße. Aus Gründen des Ge- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tödli- sundheitsschutzes soll der Zugang von Jägern zu che Gefahr durch Schusswaffen eindämmen Schalldämpfern – die mitnichten lautloses Schießen er- möglichen – erleichtert werden. Dieser Vorschlag findet – des Antrags der Abgeordneten Konstantin meine Zustimmung. Die bundeseinheitliche Regelung Kuhle, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, wird dazu führen, dass Jäger künftig für den Erwerb weiterer Abgeordneter und der Fraktion der von Schalldämpfern für Langwaffen keiner Erlaubnis FDP: Freiräume für Jäger und Sportschützen – mehr bedürfen. Für eine schonende Umsetzung der EU-Feuer- Eine ähnlich pragmatische bundeseinheitliche Rege- waffenrichtlinie lung würde ich mir für den Einsatz der Nachtzieltechnik (Tagesordnungspunkt 17 a und b sowie Zusatz- wünschen. Auch das BMEL hat offenbar noch massive (B) punkt 11) Bedenken. Vor einer waffenrechtlichen Freigabe müssen (D) die Ergebnisse des dortigen Feldversuches abgewartet werden. Es fehlen belastbare Erkenntnisse zu sämtlichen Marc Henrichmann (CDU/CSU): Das nun vorliegen- jagdlichen Folgen und zu Sicherheitsbedenken bei einer de Dritte Waffenrechtsänderungsgesetz dient im Wesent- flächendeckenden Freigabe von Nachtzielgeräten. Eine lichen der Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie in waffenrechtliche Freigabe kann nur – auch um Flicken- nationale Gesetze. teppiche zu vermeiden – unter Verknüpfung mit näheren Überschattet werden die anstehenden parlamentari- Regelungen durch das Bundesjagdgesetz erfolgen. schen Beratungen von dem schrecklichen Attentat in Hal- Magazine, Bedürftigkeit, Schießstandsachverständige, le. Ich kann mich den Worten meiner Kolleginnen und NWR II, Bürokratieaufwand, Sicherheitsgewinn durch Kollegen aus der vereinbarten Debatte am gestrigen Mitt- Änderungen bei Salut- und Dekowaffen: Der vorliegende woch nur anschließen: Wir müssen alles Menschenmög- Gesetzentwurf enthält an vielen Stellen Formulierungen, liche unternehmen, um solche Taten in Zukunft zu ver- über die wir im Ausschuss und während des parlamenta- hindern. Das Waffenrecht rückt da natürlich in den Fokus. rischen Verfahrens dringend reden müssen. Nur mit dem Blick auf die Frage „Welchen Sicherheitsgewinn erzeu- Bevor ich auf das zur Beratung anstehende Gesetz ein- gen wir tatsächlich?“ können wir zu guten Lösungen gehe, möchte ich drei Vorbemerkungen machen: kommen. Wir sind es den Menschen schuldig, dass wir Erstens: Kriminelle dürfen nicht in den Besitz von Sicherheit erzeugen und sie nicht nur vorgaukeln. Waffen kommen. Das ist unstrittig in diesem Hohen Der Halle-Attentäter hat Waffen und Munition selbst Haus. gefertigt und Magazine mit dem 3D-Drucker gebaut. Statt „analog“ die Anmeldung unzähliger vorhandener Maga- Zweitens: Wie der renommierte Terrorismusforscher zine zu verwalten, sollten polizeiliche Kapazitäten lieber Peter Neumann vom King’s College London feststellt, für Netzfahndung nach Bauplänen für Waffen oder On- hat das strenge deutsche Waffengesetz Schlimmeres ver- linebestellungen von Waffenteilen verwendet werden. hindert. Der mutmaßliche Täter von Halle hatte keinen Zugang zu funktionierenden Legalwaffen gefunden. Meine verbleibende Redezeit möchte ich aber dazu nutzen, um auf zwei Debatten einzugehen, die jetzt mit Drittens: Die Legalwaffenbesitzer in Deutschland – die dem Anschlag von Halle in den Mittelpunkt der waffen- vielen Jäger, Sportschützen etc. – halten sich an die stren- rechtlichen Debatte gerückt sind. Es sind die Themen gen Gesetze und stellen auch kriminalstatistisch keine „Messerverbotszonen“ und „Regelabfrage des Verfas- Gefährdung dar. sungsschutzes für Legalwaffenbesitzer“. Ich wiederhole, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14629

(A) damit kein falscher Zungenschlag hereinkommt, noch ben mir gesagt: „Mensch, gute Idee. Als Polizei kennen (C) einmal mein zu Beginn dieser Rede formuliertes Be- wir unsere Pappenheimer. Mit dieser Regelung können kenntnis: Ich spreche mich mit aller Vehemenz dafür wir denen richtig auf den Zahn fühlen …“ Von einer sol- aus, dass Kriminelle, Islamisten, Extremisten und Reichs- chen Regelung würde auch eine klare Botschaft ausge- bürger nicht in den Besitz von Waffen kommen dürfen. hen: Als Staat trauen wir unseren rechtschaffenen Bür- Bezüglich der Frage „Verfassungsschutz und Regelab- gern – gegen Extremisten und Straftäter gehen wir mit frage für Legalwaffenbesitzer“ spreche ich mich aus aller Härte vor. Gründen der Entlastung der Behörden wie aus verfas- sungsrechtlichen Gründen dafür aus, dass die Verfas- Auch diese Regelungen sollten, neben der Umsetzung der sungsschutzämter selbst anstatt der Waffenbehörden zyk- EU-Feuerwaffenrichtlinie in das Dritte Waffenrechtsän- lisch und noch regelmäßiger ihre Daten mit denen des derungsgesetz, aufgenommen werden. Es gibt noch viel NWR abgleichen. Feinde unserer freiheitlich demokrati- zu besprechen. In diesem Sinne freue ich mich auf die schen Grundordnung dürfen keine waffenrechtliche Er- Debatten im Ausschuss. laubnis haben. Axel Müller (CDU/CSU): 2016 begann in Deutschland Wir sollten bei Straftätern ansetzen, ihnen intensiver eine neue Phase des Terrors. Nach zwei Anschlägen in auf die Finger schauen. Das bringt mich zum Thema Bayern – einer im Olympiapark in München, einer in „Waffenverbotszonen“. Die Innenministerkonferenz hat Ansbach – und einem Anschlag auf dem Weihnachts- das BMI gebeten, eine Verordnungsermächtigung für markt am Berliner Breitscheidplatz war für uns alle klar, die Länder zu schaffen, die es den Kommunen ermög- dass nunmehr der Terror auch an den Grenzen Deutsch- licht, das Mitführen von Messern in sensiblen Bereichen lands nicht mehr haltmachte. Eine schmerzliche Erfah- (zum Beispiel im Umfeld von Kinder-, Jugend- und Bil- rung, die unsere Freunde in Frankreich ein Jahr zuvor dungseinrichtungen sowie des öffentlichen Personenver- bei den Anschlägen in der Charlie-Hebdo-Redaktion oder kehrs) nach einer Risiko- und Lageeinschätzung durch den Terroranschlägen am 13. November in Paris machen die örtlichen Polizeibehörden bei Bedarf untersagen zu mussten. Diese schrecklichen Ereignisse, bei denen können. Bereits heute gibt es eine ganze Reihe von Trage- mehrfach Schusswaffen gegen wehrlose Menschen zum und Führverboten von Messern und nach § 42 WaffG tödlichen Einsatz kamen, führten zu einer Änderung der auch Verbotszonen. EU-Waffenrichtlinie im Jahre 2017, die es nunmehr ins Stichwort Kontrolldelikt: Erfahrungen bei der Be- deutsche Recht umzusetzen gilt. kämpfung der Drogenkriminalität stimmen mich skep- Welch verheerendes Leid mit Waffen angerichtet wer- tisch, dass die Polizei dies, angesichts der zahlreichen den kann, wenn sie in den falschen Händen sind, haben (B) Aufgaben, wird leisten können. Die nötigen Kontrollen uns die Amokläufe zweier Schüler in Erfurt und Winnen- (D) stellen einen erheblichen Grundrechtseingriff für unbe- den in 2002 bzw. 2009 gezeigt. scholtene Bürger dar. Wir bringen Bürger in Alltagssitua- tionen – beispielsweise beim Schneiden eines Apfels, bei Wie immer, wenn es um die Umsetzung einer Richt- der Abholung eines Kindes von Schule, Pfadfindergrup- linie der Europäischen Union geht, sind die Handlungs- pen, Wanderungen etc. – in die Bredouille. Ihnen droht spielräume des nationalen Gesetzgebers begrenzt. Auf eine Kriminalisierung in Alltagssituationen. Deutschland bezogene Regelungen müssen den Anforde- rungen der Richtlinie gerecht werden. Im vorliegenden Messer sind potenziell gefährlich; da dürfte es keine Fall der Waffenrichtlinie sind dies mit Blick auf die er- zwei Meinungen geben. Sie sind ein Alltags- und Kultur- wähnten Ereignisse im Wesentlichen drei Ziele, die der gut und für viele Menschen ein nützliches Werkzeug. Gesetzgeber, also wir, zu beachten haben. Erstens: Der Messer sind aber erst aufgrund der Art ihrer konkreten illegale Zugang zu scharfen Schusswaffen soll erschwert Verwendung gefährlich. Der Besitz und das Mitführen werden. Zweitens: Der Lebenszyklus sämtlicher Schuss- dieser Gegenstände überschreitet für sich genommen waffen – von der Herstellung bis zur Vernichtung – soll die Gefahrenschwelle nicht. durchgängig nachvollziehbar werden. Wer hat wann Gleichwohl weiß ich, dass die Zunahme von Messer- welche Waffe besessen und sie gegebenenfalls wem als kriminalität ein trauriger Anlass ist, die bisherigen Regel- Helfershelfer – wie im Mordfall Walter Lübcke – zur ungen zu überdenken. Ich stehe jeder Verschärfung, die Verfügung gestellt? Drittens: Die Nutzung legaler einen echten Sicherheitsgewinn bedeutet, offen gegen- Schusswaffen zur Begehung terroristischer Anschläge über. Mancher Debattenbeitrag ist da aber eher Effekt- soll erschwert, im Idealfall verhindert werden. hascherei. Ein Kernthema des Waffenrechts ist, dass derjenige, Deshalb sollten wir nach meiner festen Überzeugung der mit Waffen Umgang hat, der Erlaubnis bedarf. Denn im Rahmen der parlamentarischen Beratungen neben den der Umgang mit Waffen ist wegen der Gefahren, die von längst bestehenden Möglichkeiten zur Ausweisung von ihnen ausgehen, grundsätzlich verboten. Man spricht von Verbotszonen zu gesetzlichen Regelungen kommen, die einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das scheint mir bei bei Straftaten wie Körperverletzung ein – gegebenenfalls der Diskussion – wer sich eventuell durch die Novellie- auf fünf oder zehn Jahre befristetes – Waffenführverbot rung gegängelt fühlt oder eine unberechtigte Einschrän- nach sich ziehen. kung verspürt – ein bisschen in den Hintergrund geraten zu sein. Ich habe mit vielen Polizeibeamten und Beamten des Zolls, die beim Kampf gegen Clans in NRW einen tollen Um eine Erlaubnis zu bekommen, hat der Antragsteller Job machen, über diesen Vorschlag gesprochen. Alle ha- nachvollziehbare Voraussetzungen zu erfüllen, es trifft 14630 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) ihn gewissermaßen eine Bringschuld. Neben der Volljäh- ständlich grundsätzlich positiv gegenüber. Die Bundesre- (C) rigkeit sind Zuverlässigkeit, persönliche Eignung gefragt; gierung schießt jedoch über das von der EU-Richtlinie Sachkunde und das Bedürfnis müssen nachgewiesen wer- Geforderte hinaus. So will sie etwa eine Meldepflicht den. An genau diesen Voraussetzungen der Zuverlässig- für sogenannte Dekorationswaffen, also unbrauchbar ge- keit, Eignung und Sachkunde setzen die Änderungen des machte Originalwaffen. Deutschland hat allerdings be- Waffengesetzes an. reits seit 2016 eine der strengsten Deaktivierungsvorga- ben für Waffen weltweit. Zudem wird vielen Besitzern Ich verkenne nicht, dass dabei auch denjenigen, die solcher Stücke gar nicht bewusst sein, dass sie einen grundsätzlich die Zuverlässigkeit erfüllen dürften, mehr plötzlich meldepflichtigen Gegenstand im Haushalt ha- abverlangt wird; beispielsweise beim Schießsport und bei ben. dem Nachweis von dessen Ausübung: 18 Schießtage in drei Jahren, also 6 pro Jahr oder alle zwei Monate einen je Wir schlagen deshalb vor, nur und ausschließlich Neu- besessene Waffe. anschaffungen erlaubnispflichtig zu machen. Sammler, die in der Vergangenheit Dekowaffen auf dem Flohmarkt Das mir in Zuschriften geschilderte Beispiel des Sport- erworben haben, wären damit aus dem Schneider. Alles schützen mit 10 Waffen, der dadurch 60 Tage gebunden andere wäre eine bürokratieaufwendige Kriminalisierung würde, erscheint mir bei insgesamt circa 5,4 Millionen harmloser Sammler, die zudem keinen Sicherheitsgewinn Schusswaffen und circa 1 Million (Verhältnis 1:5) waf- bringen würde. fenrechtlicher Erlaubnisinhaber dann doch recht kon- struiert. Regelmäßig werden bei Razzien im rechten Milieu große Mengen Schusswaffen sichergestellt. Selbst in Fäl- Dass der Entwurf aufgrund der notwendigen Allge- len, in denen es sich um knallharte Nazis handelt, ver- meingültigkeit auch die eine oder andere Erschwernis harmlosen Polizei und Bundesregierung die Besitzer sol- mit sich bringt, ist mir wohl bewusst. cher Waffen gerne als verschrobene Waffennarren. Terrorbekämpfung, Schutz der Bevölkerung sind nicht Die NSU-Morde, der Mord am Kasseler Regierungs- nur Aufgaben des Staates, sondern von uns allen, auch die präsidenten Walter Lübcke und der antisemitische Terror- Waffenbesitzer müssen dazu einen Beitrag leisten. Dies anschlag auf eine Synagoge in Halle mit zwei Todesop- geschieht aber in unserem deutschen Rechtsstaat traditio- fern haben auf erschreckende Weise deutlich gemacht, nell nicht über einen flächendeckenden Aufbau von waf- dass Faschisten Gewehre und Pistolen nicht aus bloßer fentragenden Bürgerinnen und Bürgern, sondern über ein Sammelleidenschaft horten. Sie wollen diese Waffen restriktives Waffenrecht. Die Vereinigten Staaten von auch einsetzen. Sie bereiten sich auf einen Bürgerkrieg Amerika stehen da in einer anderen historischen Tradi- vor, sie legen Todeslisten mit den Namen politischer (B) tion. Gegner an – und sie morden! Die permanente Verharm- (D) Ein Gedanke zum Schluss. Die Waffenbehörde braucht losung der zunehmenden Bewaffnung von Faschisten mit aus meiner Sicht aber noch mehr, um die um eine Er- Schusswaffen muss ein Ende haben! laubnis nachsuchende Person zu überprüfen. Daher muss Anfragen beim Verfassungsschutz für die Vergabe von im weiteren Verfahren auch debattiert werden, inwieweit Waffenbesitzkarten – oder gar Regelanfragen, wie vom es neben den bisher bestehenden Auskunftsmöglichkei- Bundesrat gefordert – halten wir nicht für zweckdienlich. ten Bundeszentralregister und staatsanwaltschaftliches Ich erinnere nur daran, dass V-Leute des Geheimdienstes Register nicht auch noch der Schaffung einer Regelan- wiederholt Waffen in die Naziszene eingeschleust haben. frage bei den Verfassungsschutzämtern bedarf, um dort 2007 beschaffte Sebastian S., ein hochkrimineller bekannt gewordenen Extremisten und Staatsleugnern, V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes, einem Dort- wie beispielsweise Reichsbürgern, die strafrechtlich noch munder Neonazi eine Waffe. Oder denken wir an den nicht in Erscheinung getreten sind, die Möglichkeit zum Nazi-Kader Carsten S., der als V-Mann „Piatto“ für den legalen Waffenbesitz zu verwehren. brandenburgischen Verfassungsschutz arbeitete und in Waffen gehören nicht in die falschen Hände, und davor Waffengeschäfte verwickelt war. Alles keine Einzelfälle! muss der Staat seine Bevölkerung schützen. Der vorge- Wie wenig so eine Behördenanfrage beim Verfas- legte Gesetzesentwurf bietet dazu Ansätze, die es nun- sungsschutz bringt, zeigt zudem der Lübcke-Mord. Noch mehr zu diskutieren gilt. 2015 stellte der hessische Verfassungsschutz auf Behör- denanfrage dem mutmaßlichen Komplizen des Mörders, Ulla Jelpke (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Ge- Markus H., ausdrücklich eine Unbedenklichkeitser- setzentwurf möchte die Bundesregierung das deutsche klärung zum Erhalt einer Waffenbesitzkarte aus, obwohl Waffengesetz an EU-Richtlinien anpassen, die in Reak- dieser einschlägig in der Naziszene unterwegs war. tion auf die schweren Terroranschläge in Frankreich im H. hortete mehrere Schusswaffen, von ihm soll auch die Jahr 2015 beschlossen wurden. Sie will sowohl den ille- Tatwaffe stammen. Der Verfassungsschutz hat oft genug galen Zugang zu scharfen Schusswaffen als auch die Nut- bewiesen, dass er gar kein wirkliches Interesse hat, gegen zung legaler Schusswaffen für terroristische Anschläge die rechtsextreme Szene vorzugehen. Lieber hält er seine erschweren. Zudem sollen legale Schusswaffen über ih- schützende Hand über seine Spitzel und V-Leute, egal ren gesamten Lebenszyklus behördlich zurückverfolgt wie kriminell und gefährlich diese sind. werden können. Statt Regelanfragen beim Geheimdienst fordern wir, Dem Ziel, den Missbrauch von Schusswaffen so weit dass Polizei und Ordnungsbehörden konsequent von wie möglich zu verhindern, steht Die Linke selbstver- den bestehenden Möglichkeiten zur Feststellung der waf- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14631

(A) fenrechtlichen Unzuverlässigkeit Gebrauch machen, um Hand verbleiben –, mehr Gestaltungsspielräume, niedrig- (C) Rechtsextremen den Waffenbesitz zu verunmöglichen. ere Verbraucherpreise und positive Effekte für die Kom- Denn eins ist klar: Nazis, Reichsbürger und Pegida-Het- munen in der Gewinnabführung. Die Wirklichkeit gestal- zer dürfen auf gar keinen Fall auf legale Weise in den tet sich aber anders: Eine Garantie auf stetige Gewinne Besitz von Schusswaffen kommen. Und wenn sie bereits gibt es nicht, die Rentabilität kommunaler Unternehmen eine Waffenerlaubnis haben, muss diese unverzüglich wi- ist ungewiss, und niedrigere Preise gibt es eher bei priva- derrufen und es müssen ihnen die Waffen entzogen wer- ten Anbietern. den! Darüber hinaus steht fest, dass jede Entscheidung, als Kommune wirtschaftlich tätig zu werden, sowohl von der Kommune selbst wie von ihren Bürgern sehr kritisch ge- prüft werden muss. Für diese kritische Prüfung durch die Anlage 10 Bürger spricht ein weiterer Zusammenhang: Denn eine natürliche Folge der Rekommunalisierung ist es, dass Zu Protokoll gegebene Reden sich der Preis einzelner Leistungen nicht mehr am Wett- zur Beratung des Antrags der Abgeordneten bewerb messen muss. Das ist auch so gewollt. Auch Die Kerstin Kassner, Heidrun Bluhm-Förster, Caren Linke begründet kommunales Engagement mit dem Ziel, Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE aus den Erträgen eines Bereiches Leistungen auf anderen LINKE: Kommunen fördern und Rekommunali- Feldern zu finanzieren. Und das bedeutet ganz konkret: sierung unterstützen Im Fokus steht nicht ein möglichst günstiger Preis für den Bürger; denn die Linken vergessen wieder mal, dass auch (Tagesordnungspunkt 20) Kommunen gewinnorientiert handeln müssen. Ihre Idee ist weit entfernt vom Grundgedanken der sozialen Markt- Michael Kießling (CDU/CSU): Unsere soziale Markt- wirtschaft, vom Nutzen für unsere Bürgerinnen und wirtschaft ist Ausdruck von Wohlstand und Sicherheit. Bürger. Zudem geraten mit Ihren Gedanken zur Rekom- Sie verbindet wirtschaftliche Dynamik mit sozialem Aus- munalisierung die großen wirtschaftlichen und gestalteri- gleich, und deren Erfolg basiert auf Wettbewerb, auf Ge- schen Chancen einer effizienteren Aufgabenteilung der winnstreben – denn auch Gewinnstreben ist wichtig – und öffentlichen Hand mit Privaten aus dem Blick. auf privatem Eigentum. Das führt letztendlich zu Wachs- tum, zu Innovation und zu sozialer Stabilität. Ich sage Wir als Union hingegen streben auch weiterhin einen Ihnen, liebe Fraktion Die Linke: Haben Sie Mut zur so- Mittelweg an, bei dem die Förderung von öffentlich-pri- zialen Marktwirtschaft und zu privatem Eigentum und vaten Partnerschaften zur Lösung einer funktionierenden (B) verlassen Sie den Pfad Ihrer Ideologie. Denn Ihre Kom- Kommune beitragen. Damit ist allen mehr geholfen als (D) mandofantasien der Rekommunalisierung zeigen uns nur mit dem Staatssozialismus in Ihrem Antrag. Nehmen wir eines: dass Sie in den letzten Jahren nichts gelernt haben. beispielsweise die bayerische Abfallwirtschaft: Über 5,9 Millionen Tonnen Haushaltsabfälle fallen jährlich in Es ist unbestreitbar, dass Städte und Gemeinden mo- Bayern an. 66,9 Prozent des Abfalls werden in Bayern derne Dienstleister für Bürger und Wirtschaft sind, und recycelt oder für die Energieerzeugung genutzt. Rund die Qualität kommunaler Leistungen ist ein zentraler 12 600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten Standortfaktor für unsere Unternehmen und ihre Beschäf- in der privaten Entsorgungswirtschaft in Bayern – Ten- tigten. Aber: Trotz der hohen Zuwachsraten bei den denz steigend. Gemeindesteuern sind die vorhandenen finanziellen Spielräume der Kommunen begrenzt. Neue Herausforde- Warum berichte ich Ihnen davon? Hierbei geht es um rungen können nur bewältigt werden, wenn es gelingt, sehr gut funktionierende privatwirtschaftliche Strukturen, bestehende Aufgaben effizienter zu lösen, und Kommu- nachhaltiges und soziales Wirtschaften und zudem siche- nen können ihre Effizienz und Wirtschaftlichkeit aus ei- re Arbeitsplätze, die Sie mit Ihren ideologischen Ideen gener Kraft deutlich ausbauen. gefährden. Ein Blick auf den bayerischen Verbraucher unterstreicht diese Haltung: 97 Prozent der bayerischen Wie kann das aber gelingen, liebe Fraktion der Linken? Bevölkerung sind mit ihrem Müllentsorger zufrieden. Genau, mit einem Beitrag durch private Unternehmen, 65 Prozent der bayerischen Bevölkerung erwarten stei- die den Kommunen auf vielen Feldern als Dienstleister gende Entsorgungskosten, wenn die Entsorgung vermehrt und Partner zur Verfügung stehen. Eine Kommune, die durch die Kommunen erfolgt. Und am wichtigsten: das nutzt, kann ihren Bürgern im Wettbewerb weiter- Bürger in Landkreisen mit kommunaler Entsorgung zah- entwickelte, oft günstigere Leistungen zur Verfügung len 14 Prozent mehr Müllgebühr. stellen. Das ist soziale Marktwirtschaft im Sinne der Ver- braucher. Aber wir wissen auch, dass die Möglichkeiten Sie sehen: Ihre Idee der Rekommunalisierung stellt dazu vielfach nicht ausgeschöpft werden. zum Teil gewachsene, hoch leistungsfähige private Ver- sorgungsstrukturen infrage. Ich rede hierbei jedoch nicht Wo wir gerade offen und ehrlich über die Potenziale von der kommunalen Daseinsvorsorge in der Trinkwas- der öffentlich-privaten Partnerschaften sprechen, so serversorgung und beim Abwasser. Die muss öffentlich möchte ich auch offen und ehrlich über den Antrag der bleiben. Das Problem des Antrags ist, dass Sie keine Al- Linken reden. Ihr Antrag rangiert zwischen Wunsch und ternative aufzeigen, wo angesetzt werden muss, um pri- Wirklichkeit. Ihr Wunsch lautet: mehr Kontrolle – bei- vatwirtschaftliche Erfahrungen, Kompetenzen und Ange- spielsweise sollen die Betriebe zur Erbringung von Auf- bote in unseren Kommunen besser zum Tragen zu gaben der kommunalen Daseinsvorsorge in öffentlicher bringen. 14632 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Liebe Fraktion Die Linke, dort, wo öffentliche und treffen. In das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen (C) private Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen, wollen wir nicht eingreifen. muss für gleiche Wettbewerbsbedingungen gesorgt wer- den. Wo Ziele am besten gemeinsam verfolgt werden, Die Rekommunalisierung ist eine Reaktion auf die Pri- müssen Kooperationsmöglichkeiten ausgebaut werden. vatisierungswelle der späten 1990er- und frühen 2000er- Und deshalb ist es unser Ziel, notwendige Dienstleis- Jahre, bei der auch Kommunen Liegenschaften veräußert tungsangebote für Wirtschaft und Bürger mithilfe privater und die Leistungserbringung im öffentlichen Sektor zu- Unternehmen nachhaltig, sicher und bezahlbar zur Ver- nehmend an private Unternehmen vergeben haben. Auch fügung zu stellen. Dafür haben wir mitunter die Kredit- die Fraktion Die Linke kann sich dabei von einer Mitver- programme der KfW und die PD-Berater der öffentlichen antwortung auf kommunaler Ebene nicht freisprechen. Hand GmbH. Sie stehen den Kommunen mit Rat und Tat Das zurückzudrehen kostet Geld. Das erlebt das Land zur Seite. Unsere Zauberworte heißen also: Wir führen Berlin jetzt. Und auch in meinem Heimatland Thüringen die bestehenden Programme und die Beratung auch wei- hat die Landesregierung beschlossen, Anteile vom bishe- terhin fort; denn die öffentliche Hand ist nicht immer der rigen Mehrheitsgesellschafter Benson Elliot an der Ge- bessere Unternehmer. Wir verfolgen Realpolitik und kei- raer Wohnungsbaugesellschaft Elstertal zurückzukaufen. ne träumerische Ideologie – dafür haben wir ja die An- träge der Linken. Damit es dazu in der Zukunft nicht mehr kommen muss, müssen wir die Kommunen handlungsfähig ma- Elisabeth Kaiser (SPD): Wir debattieren heute einen chen, ohne sie zu beschneiden. Das Konnexitätsprinzip Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kommunen einzuhalten, aber auch die kommunale Selbstverwaltung fördern und Rekommunalisierung unterstützen“. Unsere zu achten, ist uns dabei wichtig. Lebensqualität in Städten und Gemeinden hängt entschei- dend von der Qualität kommunaler Daseinsvorsorge ab. Zur kommunalen Daseinsvorsorge gehören nicht nur selbstverständliche Leistungen wie die Versorgung mit Anlage 11 Strom und Trinkwasser. Auch ob Grünflächen sauber, Schulen und Turnhallen in Schuss sind, ob es Kindergär- Zu Protokoll gegebene Reden ten, ausreichend bezahlbaren Wohnraum und Nahverkehr gibt – all das gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge. zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Vorrechte, Immuni- Die Daseinsvorsorge gehört zum Kernbestand kommu- täten, Befreiungen und Erleichterungen in der Bun- naler Selbstverwaltung. Im Mittelpunkt stehen für uns desrepublik Deutschland als Gaststaat internatio- (B) dabei die Bürgerinnen und Bürger, nicht der Gewinn ei- naler Einrichtungen (Gaststaatgesetz) (D) nes Unternehmens. (Tagesordnungspunkt 19) Die Kommunen zu fördern, wie es der erste Teil Ihres Antragstitels beschreibt, das ist tagtäglicher Auftrag der Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Als Standort von In- SPD-Bundestagsfraktion. Allein in der letzten Legislatur- stitutionen und Einrichtungen der Vereinten Nationen und periode haben wir mit rund 60 Milliarden Euro die bisher der Europäischen Union hat Deutschland eine lange Tra- größte Entlastung für die Kommunen in der Geschichte dition. Für diese Konstellationen verfügen wir auch über der BRD durchgesetzt. Diesen Weg gehen wir weiter. klare gesetzliche Regelungen, die eine Ansiedlung deut- Wir investieren in Schulen, Kindergärten und Pflege. lich begünstigen. Wir investieren in die dezentrale Energieversorgung und So ist die Präsenz der Vereinten Nationen in Bonn vor mobilisieren Milliarden für den sozialen Wohnungsbau allem seit dem Regierungsumzug kontinuierlich gewach- und in den Ausbau von Breitband. Wir passen die Städte- sen. Heute befinden sich 20 Einrichtungen mit knapp bauförderung den aktuellen Herausforderungen an und 1 000 Mitarbeitern vor Ort, darunter das Freiwilligenpro- wollen sie auf dem Rekordniveau von 790 Millionen Eu- gramm der Vereinten Nationen und das Sekretariat des ro auch in 2020 fortsetzen. Wir haben die Rechtsgrund- Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über lage geschaffen, dass Länder und Kommunen ein Erstzu- Klimaänderungen. Bonn ist nach den VN-Sitzen in Wien griffsrecht auf alle entbehrlichen Liegenschaften der und Genf der größte Standort der Vereinten Nationen in BImA haben. Die Kommunen können diese Liegenschaf- Europa und einer wichtigsten Außenposten der Institution ten zum Zweck des sozialen Wohnungsbaus auch an pri- weltweit. Dies zeigt sich auch darin, dass seit 1999 bereits vate Dritte weiterveräußern. Für den sozialen Wohnungs- dreimal eine Weltklimakonferenz in der Bundesstadt bau kann die BImA Verbilligungen bis zu 100 Prozent des stattgefunden hat. Grundstückskaufpreises einräumen. Mit der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Als SPD ist es uns wichtig, dass die Handlungsfähig- Main als einem der sieben EU-Organe ist auch die Euro- keit unserer Kommunen im Mittelpunkt steht, wenn es päische Union in Deutschland prominent vertreten. Da- um Daseinsvorsorge geht. Wie Kommunen jeden Tag neben verfügen wir über weitere EU-Einrichtungen wie für einen funktionierenden Alltag sorgen, liegt in der Or- zum Beispiel die Europäische Agentur für Flugsicherheit ganisationshoheit der Kommunen. Die Entscheidung, in Köln. welche öffentlichen Dienstleistungen von kommunaler Hand angeboten und welche Leistungen von Privatunter- Jenseits der Vereinten Nationen und der Europäischen nehmen übernommen werden, haben die Kommunen zu Union ist die Präsenz internationaler Einrichtungen in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14633

(A) unserem Land bislang jedoch noch steigerungsfähig. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Als ich 1970 für mein (C) Zwar haben etwa das Europäische Patentamt in München Studium nach Bonn zog, war die Stadt stark durch den und die Europäische Organisation für die Nutzung me- Deutschen Bundestag und die Bundesministerien ge- teorologischer Satelliten (EUMETSAT) in Darmstadt ih- prägt. Einige von Ihnen wissen noch, welchen Einfluss ren Sitz hier. Im internationalen Vergleich mit anderen nicht nur die Ministerien, sondern vor allem auch die westlichen Staaten wie zum Beispiel mit den traditionel- zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die da- len VN-Standorten wie Österreich oder der Schweiz malige sogenannte provisorische Hauptstadt hatten. Die nimmt Deutschland jedoch eine zurückgestellte Rolle ein. Menschen haben dort nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt, ihre Kinder gingen in Bonn zur Schule, die Andere Gaststaaten haben durch die gezielte Gewäh- Leute kauften dort ein und gingen essen. rung von allgemeinen Vorrechten und Erleichterungen ihre Attraktivität als Standort deutlich erhöht. In der Als 1999 der Bundestag und große Teile der Bundes- Schweiz gibt es bereits seit 2007 ein Gaststaatgesetz. Ös- ministerien nach Berlin umzogen, kamen zwar nicht alle terreich hat zum Beispiel der Weltbankgruppe erst kürz- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit in die Hauptstadt, lich umfassende Vorteile gewährt, um einen Ausbau der jedoch bedeutete dies einen ernstzunehmenden Bruch für Präsenz der Institution in Wien zu erreichen. meine damalige Arbeitsstadt – ich war Abgeordnete und Die bislang in Deutschland übliche Praxis, jeweils ein- Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister zelne Sitzabkommen auszuhandeln, bringt in den Bewer- der Finanzen – und auch andere Teile des Rheinlands. bungsverfahren für die Ansiedlungen internationaler Die Stadt Bonn und die sozialdemokratisch geführte Einrichtungen deutliche Nachteile mit sich. Die Bundes- nordrhein-westfälische Landesregierung handelten schon regierung kann vor dem Verhandlungsbeginn beispiels- vor dem Umzug, um die Lücke, die sich durch das Berlin/ weise keine verlässlichen Aussagen zu wichtigen Bonn-Gesetz auftat, zu schließen. Mit Unterstützung der Rahmenbedingungen wie etwa Immunitäten und Be- Bundesregierung ließen sich seit 1996 zahlreiche Orga- freiungen von Steuern und Abgaben treffen. nisationen der Vereinten Nationen am Rhein nieder. Nicht Daher begrüßen wir ausdrücklich den vorliegenden zuletzt mit der Einweihung des UN-Campus 2006 war Gesetzesentwurf, der Deutschlands Position im Standort- Bonn auch international als großer und wichtiger inter- wettbewerb um internationale Einrichtungen aufwertet. nationaler Standort bekannt. Heute sind 20 Organisatio- Dieser regelt zum ersten Mal die Ansiedlung internatio- nen der Vereinten Nationen mit nahezu 1 000 Mitarbei- naler Einrichtungen in Deutschland auch jenseits von terinnen und Mitarbeitern in Bonn; die wichtigste ist das Vereinten Nationen und Europäischer Union einheitlich Klimasekretariat mit seinen rund 450 Beschäftigten. und transparent. Durch die Präsenz der Vereinten Nationen wurde es für (B) (D) Der Entwurf trägt zudem vor allem der veränderten viele NGOs zunehmend attraktiver, nach Bonn zu ziehen, Landschaft der internationalen Einrichtungen Rechnung. wodurch sich im Laufe der Jahre zahlreiche internationale Nichtregierungsorganisationen und Organisationen mit Es wurden zum einen hybride Formen der internatio- „hybridem“ Charakter, die sowohl staatliche als auch nalen Zusammenarbeit berücksichtigt. Darunter fallen in- nichtstaatliche Akteure zu ihren Mitgliedern zählen, am ternationale Institutionen wie etwa die Organisation für Rhein angesiedelt haben. Dies kommt nicht nur der Stadt Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die zugute, sondern der gesamten Bundesrepublik. keine Rechtssubjekte im Sinne des Völkerrechts sind. Auch quasizwischenstaatliche Organisationen, in denen Leider ist es bis heute nicht leicht, internationale Or- Staaten und nichtstaatliche Mitglieder zusammenwirken, ganisationen in Deutschland anzusiedeln – trotz des groß- sind Teil der hybriden Gruppe. Diese spielen vor allem in en Erfolges in den vergangenen Jahrzehnten. Wir haben der Umwelt- und Klimapolitik eine besondere und wachs- zwar ein klares Regelwerk für die Organisationen der ende Rolle, was für den Standort Bonn von Bedeutung ist. UNO, alle anderen Akteure werden darin jedoch nicht berücksichtigt. Außerdem nimmt die internationale Kon- Darüber hinaus geht der Entwurf auf die sogenannten kurrenz um die Ansiedlung solcher Organisationen deut- internationalen Nichtregierungsorganisationen ein. Die lich zu. Viele Staaten bemühen sich intensiv um den Zahl und Bedeutung dieser rein privatrechtlich organis- Zuzug solcher Einrichtungen. Sie haben rechtliche Rah- ierten, aber im öffentlichen Interesse handelnden Einrich- menbedingungen geschaffen, die es internationalen Or- tungen nimmt gleichfalls stetig zu. ganisationen deutlich erleichtern, sich anzusiedeln. Dies Klar ist hierbei: Die zusätzliche Ansiedlung von inter- fehlt uns in der Bundesrepublik bislang, und dieses Prob- nationaler Einrichtungen in Deutschland kann zweifels- lem werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf be- ohne auch bedeutende wirtschaftliche Vorteile für unser heben. Für uns ist es wichtig, die Ansiedlung und Stellung Land mit sich bringen. Ökonomische Überlegungen be- der Organisationen durch einen rechtlichen Rahmen ver- stimmen jedoch nicht alleine unser Handeln. bindlich zu regeln, um Transparenz und eine Vereinfa- chung der Abläufe zu erreichen. Denn Deutschland hat Vielmehr spiegelt die Debatte hier auch unseren Ein- als demokratisches, weltoffenes und sicheres Land viele satz für den Multilateralismus als ein zentrales Leitmotiv Standortvorteile. deutscher Außenpolitik wider. Gerade in Zeiten, in denen die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene zuneh- Die Regelungen über Vorrechte, Privilegien, Immuni- mend infrage gestellt wird, muss deutlich werden: Multi- täten und Befreiungen für internationale Einrichtungen, laterale Kooperation ist eine Erfolgsgeschichte. Das die sich in Deutschland niederlassen wollen, werden heu- Gaststaatgesetz setzt hierfür ein deutliches Zeichen. te jedoch jeweils im Einzelfall aufwendig geklärt und 14634 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) verhandelt. Dies zieht langwierige Verfahren nach sich. Bonn, Dresden, Frankfurt am Main, Hamburg, München (C) Zusammen mit der mangelnden Transparenz der recht- und Nürnberg. Das ist gut, aber auch ausbaufähig. Die lichen Rahmenbedingungen ergibt sich dadurch ein Ansiedlung weiterer internationaler Organisationen in Standortnachteil für uns. Deutschland ist ein richtiges und wichtiges Anliegen. Die Rahmenbedingungen dafür wollen wir mit dem Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir Gaststaatgesetz verbessern. Rechtssicherheit. Wir können mit dem Gaststaatgesetz nicht alle Einzelheiten regeln, schaffen aber einheitliche, Ich will Sie nicht mit trockenen Details der Gesetzes- transparente und verbindliche Grundlagen für Verhand- materie langweilen, aber einen Punkt möchte ich doch lungen und berücksichtigen damit ausdrücklich alle wei- gerne herausgreifen, der mir ein Herzensanliegen ist: teren Formen internationaler Einrichtungen, die keine UNO-Organisationen sind. Mit dem Änderungsantrag Der Gesetzentwurf enthält jetzt in § 3 eine Passage, die von SPD und Union zum Gesetzentwurf präzisieren wir besagt, dass sich die betreffenden internationalen Orga- die Rahmenbedingungen und berücksichtigen sowohl nisationen „überwiegend aus Haushaltsbeiträgen der Mit- verfassungs- als auch europarechtliche Vorgaben. Dies gliedstaaten“ finanzieren müssen. Damit geht man auf die hatte der Beschluss des Bundesrates nicht in ausreichen- schwierige Finanzlage von vielen internationalen Orga- der Weise getan. Damit gibt es künftig klare Regeln für nisationen ein, die sich immer weniger auf feste Beiträge internationale Nichtregierungsorganisationen und soge- ihrer Mitglieder verlassen können, sondern stattdessen nannte hybride Einrichtungen. Projektgelder von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren einsammeln müssen. Es war kein Zufall, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Gesetzesinitiative in den Bundesrat eingebracht hat, An dieser Stelle möchte ich Jürgen Stock dafür danken, und auch wenn ich gerade viel von der Stadt Bonn ge- dass er als Interpol-Generalsekretär die Abhängigkeit In- sprochen habe, ist dies ein Gesetz, das der gesamten Bun- terpols von finanziellen Beiträgen aus der Privatwirt- desrepublik zugutekommen wird. schaft reduziert hat. Ich gratuliere ihm zu seiner gestrigen Wiederwahl bei der Interpol-Generalversammlung und Ulrich Lechte (FDP): Angesichts der aktuellen Krise wünsche ihm viel Erfolg bei seiner zweiten Amtszeit. des multilateralen Systems ist es wichtig, dass wir uns auf Auch bei der UN ist die Finanzfrage ein Problem. UN- allen Ebenen für die Stärkung des Multilateralismus ein- Generalsekretär António Guterres hat erst letzte Woche setzen. Kern des Multilateralismus ist die regelbasierte vor der schlimmsten finanziellen Krise seit zehn Jahren internationale Zusammenarbeit. Zwischen den Staaten gewarnt. Der Fokus der Berichterstattung lag dabei auf soll die Stärke des Rechts gelten, nicht das Recht des den Pflichtbeiträgen, die aber mittlerweile nur noch (B) Stärkeren. Internationale Organisationen, wie die Verein- knapp 20 Prozent des gesamten UN-Budgets ausmachen. (D) ten Nationen, die Welthandelsorganisation und der Euro- parat, spielen bei der Entwicklung und Einhaltung dieser Der Großteil des Budgets speist sich aus zweckgebun- Regeln eine Schlüsselrolle. denen Zahlungen – und hier trägt Deutschland eine Mit- schuld. Der Anteil von zweckgebundenen Zahlungen aus Die Rahmenbedingungen für solche internationalen Deutschland nimmt seit 2014 rapide zu, also seitdem das Organisationen müssen uns daher allen ein wichtiges An- Auswärtige Amt nicht mehr von der FDP geführt wird. liegen sein. Unter der GroKo halten wir uns leider nicht an die Vor- Das vorliegende Gaststaatgesetz ist ein Beitrag, um die gaben des „UN Funding Compact“ und des „Grand Bar- Rahmenbedingungen zu verbessern. Ganz konkret geht gain“. Das halte ich für sehr bedenklich. Bei der Finan- es um eine Vereinfachung des Verfahrens zur Ansiedlung zierung internationaler Organisationen sollten wir selbst von internationalen Organisationen. Die bisherige zeit- mit gutem Beispiel voranschreiten, statt nur eine solche aufwendige Praxis einer Aushandlung von Sitzabkom- Klausel in unser Gaststaatgesetz zu schreiben. men und der Verabschiedung eines Vertragsgesetzes in Dem Gesetz stimmen wir aber natürlich zu. jedem Einzelfall wäre dann überflüssig. Wir orientieren uns dabei am Vorbild der Schweiz, die vor zwölf Jahren Kathrin Vogler (DIE LINKE): Die Linke begrüßt, dass ein solches Gaststaatgesetz beschlossen hat. es mit dem Gaststaatsgesetz für internationale Einrichtun- Die Initiative für unser Gaststaatgesetz hat dankens- gen einfacher wird, sich in der Bundesrepublik anzusie- werterweise die Landesregierung von NRW ergriffen, deln. Internationale Organisationen leisten einen wichti- die dabei besonders den UN-Standort Bonn im Auge hat- gen Beitrag zur Verständigung und damit zum Frieden. te. Vor weniger als einem Monat war ich zusammen mit Für Einrichtungen jedoch, die nicht Gremien der Verein- unserem FDP-Fraktionsarbeitskreis Internationales beim ten Nationen oder der Europäischen Union sind, gab es UN-Campus in Bonn und habe Gespräche mit Mitarbei- bisher keine einheitlichen und transparenten Regelungen, tern verschiedener UN-Organisationen dort geführt. Ich zum Beispiel was ihren rechtlichen Status in der Bundes- möchte ihnen an dieser Stelle für ihre wertvolle Arbeit republik betrifft. Das Gaststaatgesetz will hier Abhilfe und ihren Einsatz für die internationale Zusammenarbeit schaffen. danken. In vielen Themenfeldern spielen internationale Ein- Aber das Gaststaatgesetz ist keine Lex Bonn; es soll in richtungen, auch solche, in denen staatliche Institutionen ganz Deutschland bei der Ansiedlung internationaler Or- zum Beispiel mit nichtstaatlichen oder privatwirtschaft- ganisationen helfen. Deutschland ist bereits jetzt Sitz von lichen Akteuren zusammenarbeiten, heute eine wichtige 31 UN-Einrichtungen an sieben Standorten: Berlin, Rolle. Ich denke da etwa an Umwelt- und Klimapolitik, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14635

(A) internationale Gesundheitspolitik, globale Wirtschaftspo- Antriebskraft unseres Gemeinwesens. Entsprechende (C) litik, globale Gerechtigkeit oder Vorbeugung gewaltsa- Vergünstigungen wie im Gaststaatgesetz wären auch für mer internationaler Konflikte. Die Stärkung nichtstaatli- diese Organisationen eine Ermutigung. cher Organisationen, etwa wenn sie Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Akteuren eingehen, sorgt für mehr Autonomie der Organisationen und schützt sie vor der Vereinnahmung durch Industrielobbyisten. Anlage 12 Es geht also um den Schutz der Eigenständigkeit und den Abbau von Hindernissen, um Deutschland als Stand- Zu Protokoll gegebene Reden ort für nichtstaatliche internationale Organisationen at- zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten traktiver zu machen. Denn nehmen diese Organisationen Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deut- ihren Sitz in Deutschland, fangen die Probleme erst an: schen Richtergesetzes (Studien- und Prüfungszeit Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind international, im Studiengang „Rechtswissenschaft mit Abschluss die Angehörigen auch, ebenso die Finanzen dieser Orga- erste Prüfung“) nisationen. Und diese internationalen Strukturen treffen dann auf die deutsche Bürokratie. (Tagesordnungspunkt 21)

Die Landesregierung meines Bundeslandes Nordrhein- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir werden heute ei- Westfalen hat die Initiative für diesen Gesetzentwurf er- nes der wohl kürzesten Änderungsgesetze abschließen. griffen, und sie hatte dabei sicherlich auch entsprechende Es werden lediglich zwei Zahlen ersetzt. Aus vier wird Erfahrungen aus der Bundesstadt Bonn im Blick. Bonn viereinhalb und aus viereinhalb wird fünf. Gemeint ist die beherbergt eine ganze Reihe internationaler Organisatio- Verlängerung der Studienzeit im Studiengang Rechtswis- nen, den UN-Campus und viele unabhängige Nichtregie- senschaften mit dem Abschluss der Ersten juristischen rungsorganisationen, also NGOs, die sich um wichtige Prüfung auf viereinhalb Jahre und die von Studien- und globale Fragen wie Klima, Umwelt oder Frieden küm- Prüfungszeit auf fünf Jahre. Trotz der Kürze entfaltet mern, oder Organisationen wie Care International oder diese Änderung im Deutschen Richtergesetz keine un- das Internationale Paralympische Komitee. Aus Bonn, wesentliche Relevanz. Durch die Verlängerung der Re- der provisorischen Bundeshauptstadt des Kalten Krieges, gelstudienzeit weitet sich um den gleichen Zeitraum die ist heute eine attraktive Welt-Gemeinschafts-City gewor- Förderung der Studierenden nach dem Bundesausbil- den. dungsförderungsgesetz, kurz BAföG genannt, aus. Das Aber ich glaube, es wäre falsch, diese wichtige Frage ist der Grund, weshalb wir heute über dieses Gesetz ent- (B) (D) vor allem unter dem Gesichtspunkt des Standortwettbe- scheiden. werbs zu diskutieren. Der Kern des Problems ist doch, Für diese Änderung liegen die Fakten auch klar auf dass internationale Organisationen die für ihr Engage- dem Tisch. Die tatsächliche Studiendauer hat sich nach ment dringend benötigten personellen und zeitlichen Res- Einführung der universitären Schwerpunktbereichsprü- sourcen allzu oft für die Überwindung bürokratischer fung auf durchschnittlich 11,3 Semester verlängert, so- Hürden aufwenden müssen. Dass dieser Gesetzentwurf dass die Anhebung der Regelstudienzeit gerechtfertigt nun diesen Organisationen entgegenkommt und unnötige ist. Dies ist insbesondere auch im Vergleich mit den Mas- bürokratische Stolpersteine aus dem Weg räumt, ist hilf- terstudiengängen angemessen, die ebenfalls zumeist eine reich. Regelstudienzeit von fünf Jahren vorsehen. Es ist derzeit sehr widersprüchlich, wenn ein Master Recht, möglicher- Weniger hilfreich ist allerdings der Änderungsantrag weise mit einer Spezialisierung auf einem Rechtsgebiet, der Koalition, die Voraussetzungen für die Einräumung mit einer längeren Regelstudienzeit veranschlagt ist als der Rechtsstellung internationaler NGOs (§ 33 des Ge- das Jurastudium mit den Zugangsmöglichkeiten zu den setzentwurfes) betreffend: Bitte behalten Sie nicht nur die klassischen juristischen Berufen. Frage im Blick, was die NGOs für die Bundesregierung tun können, sondern auch, was die Regierungspolitik für Mit der Ausweitung der BAföG-Förderdauer werden die NGOs tun kann. Denn NGOs sind oftmals nicht nur sich positive Folgen für den persönlichen Studienerfolg „näher dran“ an Problemen, sie funktionieren auch als und den Abschluss der Ersten juristischen Prüfung der Impulsgeber und Welterklärer besser, wenn man ihnen Studierenden einstellen. Wir nehmen den Leistungsdruck Freiräume lässt und sie nicht allzu sehr den Erfordernis- und gewährleisten nicht zuletzt vergleichbare Bedingun- sen staatlicher Politik unterordnet. gen für alle Studierenden – ob anspruchsberechtigt oder nicht. Denn für eine qualitativ gute Juristenausbildung Eine weitere Anregung zum Schluss: Wäre es nicht zählen nicht nur die Inhalte. Es müssen auch die ent- sinnvoll, solche Vereinfachungen und Vergünstigungen sprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. auch fortschrittlichen hiesigen Organisationen und Insti- Es kann nicht unser Ziel sein, dass fleißige Studierende tutionen, zum Beispiel im sozialen, politischen und kul- in der Examensvorbereitungsphase zur Bestreitung des turellen Bereich, zu gewähren? Stattdessen hören wir im- Lebensunterhalts einem Knochenjob in der Kneipe bis mer wieder von Bemühungen, etwa der Vereinigung der spät in die Nacht nachgehen müssen und damit letztend- Verfolgten des Naziregimes, dem globalisierungskri- lich ihren Examenserfolg gefährden. tischen Netzwerk Attac oder der Umwelthilfe die Ge- meinnützigkeit zu entziehen. Zivilgesellschaftliches En- Eine Beschneidung der Studieninhalte zur Verkürzung gagement ist aber auf allen Ebenen eine wesentliche der Studiendauer kann auch keine Alternative sein. Das 14636 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Qualitätsmerkmal der deutschen, auch im Ausland hoch- Katrin Helling-Plahr (FDP): Der geplanten Verlänge- (C) geschätzten Juristenausbildung möchten wir aufrechter- rung der Studien- und Prüfungszeit für den Studiengang halten und nicht gefährden. Wir brauchen gut ausgebil- „Rechtswissenschaft mit Abschluss erste Prüfung“ auf dete und zunehmend spezialisierte Juristen. Denn in fünf Jahre ist in dieser Form zuzustimmen. Justiz, Verwaltung, Anwaltschaft und Wirtschaft besteht Einige Gründe dafür macht der vorliegende Antrag weiterhin ein hoher Bedarf. So stellt die Länderjustiz im bereits deutlich. Auf zwei Aspekte möchte ich aber noch Rahmen der Vereinbarungen zum Pakt für den Rechts- genauer eingehen. Begrüßenswert ist zum einen der An- staat 2 000 neue Richter und Staatsanwälte ein. Für die satz, nicht etwa zu versuchen, die Inhalte des Studiums so Zukunft wird es nicht anders aussehen, wenn in den zu beschneiden, dass Studium und Prüfung in der Regel nächsten zehn Jahren 40 Prozent aller Juristen aus dem auch in viereinhalb Jahren abgeschlossen werden können. Justizdienst ausscheiden werden. Es gibt schon jetzt viele im Lebens- wie juristischen Ar- Die Verlängerung der Regelstudienzeit ist sicherlich beitsalltag höchst relevante Rechtsbereiche, in die Studie- nur ein kleiner Baustein für eine gute Juristenausbildung. rende regelmäßig nur einen rudimentären oder überhaupt Im Gesamtkontext ist sie aber, so pathetisch es klingen keinen Einblick erhalten; denken wir an das Familien- mag, ein Beitrag zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit oder Sozialrecht. Würde man Inhalte beschneiden, müss- und des Rechtsstaats in Deutschland. Mit Blick auf Ihre te man sich zugleich vom Bild des Juristen als General- eigenen Erfahrungen des (Jura-)Studiums kann ich nur isten auf allen Rechtsgebieten verabschieden. Das kann um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten. nicht unser Ziel sein. Es ist zudem im Vergleich unverständlich, warum je- Esther Dilcher (SPD): Selten waren sich die Fraktio- mand, der einen Bachelor- und einen Masterabschluss nen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz so anstrebt, dafür meist fünf Jahre Regelstudienzeit, also einig wie bei diesem Gesetzentwurf. Alle Vertreterinnen zehn Semester, hat. Ich bilde mir, da ich ja selbst Jura und Vertreter der demokratischen Bundestagsfraktionen studiert habe, jedenfalls ein, dass Umfang und Inhalt ei- haben sich für eine Verlängerung der Regelstudienzeit im nes klassischen Jurastudiums mindestens mit einem rechtswissenschaftlichen Studium ausgesprochen. Wa- Bachelor- und Masterstudium vergleichbar sind, wenn rum sich allerdings die AfD im Ausschuss enthalten nicht sogar darüber hinausgehen. Eine Verlängerung er- hat, ist mir schleierhaft! scheint auch aus diesem Grund geboten. Wir alle kennen den Ausspruch „Unsere Kinder sollen Konsequenz der Verlängerung der Studien- und Prü- es einmal besser haben“. Im Studium sehen viele Men- fungsdauer ist dann auch, dass die Förderungshöchst- schen nach wie vor eine Chance des sozialen Aufstiegs. dauer nach § 15a Absatz 1 Bundesausbildungsförde- Aber noch immer sind die Bildungschancen und ein Stu- (B) rungsgesetz um ein Semester erhöht wird. Einfacher (D) dium von der sozialen Herkunft abhängig. Mit dem vor- ausgedrückt: Studierende können ein Semester länger liegenden Gesetzesentwurf haben wir eine Ungleichbe- BAföG erhalten. In der Praxis führte die bestehende Re- handlung von Studierenden der Rechtswissenschaften gelung nämlich immer wieder auch dazu, dass eine fi- ausgeräumt: Die gesetzliche Regelstudienzeit wird an nanzielle Unterstützung durch das Amt für Ausbildungs- die Dauer der Masterstudiengänge angepasst und verlän- förderung trotz zügigen Studierens kurz vor der Ersten gert. Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die juristischen Prüfung aussetzte. Die Studenten befinden finanzielle Förderung von Studentinnen und Studenten. sich in dieser Zeit in der lernintensivsten und auch psy- Es werden gerade die Studierenden von dem Gesetzes- chisch anstrengendsten Phase. Anders gesagt: Die Zeit entwurf profitieren, die auf die staatliche Unterstützung der Examensvorbereitung ist nicht die beste Zeit, um sich durch BAföG angewiesen sind. Studierende, die ihren einen Nebenjob zu suchen. Wer keine familiäre Unter- Abschluss nicht innerhalb der kürzeren Regelstudienzeit stützung hat, konnte das Studium dann oft nicht so zügig erreichen konnten, waren oft gezwungen, nebenbei zu zum Abschluss bringen wie gewünscht; manche mussten arbeiten, was die Studienzeit zusätzlich verlängerte. Denn es aus finanziellen Gründen sogar ganz abbrechen. Damit wer arbeiten muss, um das Studium zu finanzieren, kann standen und fielen die Bildungschancen mit der sozialen sich nicht in vollem Umfang auf die Studieninhalte kon- Herkunft und dem Geldbeutel. Wir als FDP-Fraktion ste- zentrieren. hen für weltbeste Bildung, für gerechte Bildungschancen Als Gesetzesgeber haben wir die Juristenausbildung für jedermann! Die Anpassung ist daher dringend gebo- stetig thematisch erweitert. Auch daher ist es fair und ten. geboten, den Studierenden mehr Zeit einzuräumen. Da- mit werden nicht zuletzt auch die Erfolgschancen für Niema Movassat (DIE LINKE): Eine Erhöhung der Studierende erhöht, die auf eine staatliche finanzielle Hil- Regelstudienzeit für das Jurastudium von derzeit neun auf fe angewiesen sind. Durch die Verlängerung der Regel- zehn Semester ist angesichts einer tatsächlichen Studien- studienzeit inklusive Staatsprüfung auf fünf Jahre können dauer von durchschnittlich 11,3 Semestern zu begrüßen Studierende auch für diese Zeit BAföG erhalten. Für viele und längst überfällig. Sie ermöglicht Studierenden einen Studierende ist dies eine existenzielle Frage! längeren Bezug des BAföG und sollte dazu führen, dass die Fristen für den Freiversuch in den Prüfungsordnungen Ich freue mich sehr, dass der Gesetzentwurf zur Ände- der Länder ebenfalls verlängert werden. rung des Deutschen Richtergesetzes und die damit ein- hergehende Verlängerung der Regelstudienzeit der Ebenfalls begrüßen wir den von der Fraktion Bünd- Rechtswissenschaften von allen demokratischen Fraktio- nis 90/Die Grünen eingebrachten Änderungsantrag, Rich- nen mitgetragen werden. terinnen und Richter bundesweit dazu zu berechtigen und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14637

(A) zu verpflichten, sich in fachlicher Hinsicht fortlaufend bei einiger Disziplin noch gerade so in etwa fünf Jahren (C) weiter- und fortzubilden. Es ist nicht einleuchtend, wes- das Studium auch ohne gewerbliches Repetitorium be- wegen von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwäl- wältigen. Inzwischen ist auch das nicht mehr möglich. tinnen und Staatsanwälten im Gegensatz zu den ihnen vor Auch der Aufbau des Studiums hat sich verändert, etwa Gericht begegnenden Anwältinnen und Anwälten nicht durch die Einführung der universitären Schwerpunktbe- verlangt wird, ihre juristischen Fachkenntnisse während reichsprüfung und von Schlüssel- und Fremdsprachen- der gesamten Dauer ihrer Berufsausübung auszubauen. qualifikationen. Nichtsdestotrotz verbleiben auch nach Verabschiedung Wir sind der Auffassung, dass der vorliegende Gesetz- der vorliegenden Änderungen grundsätzliche Probleme entwurf mit der Verlängerung der Regelstudienzeit auf hinsichtlich der universitären Ausbildung im Jurastudium fünf Jahre – insbesondere mit Blick auf die BAföG-För- und im Allgemeinen. derungshöchstdauer – ein berechtigtes Anliegen verfolgt. Erstens hat das Konzept der Regelstudienzeit mit der Die Erweiterung der Regelstudienzeit darf aber nicht zum tatsächlichen Studiendauer wenig gemein und führt auch Anlass genommen werden, die Studieninhalte und den im Jurastudium zu einer noch stärkeren psychischen Be- Prüfungsstoffes noch weiter aufzustocken, denn dadurch lastung der Studierenden. Die Regelstudienzeit soll Stu- würde der beabsichtigte Entlastungseffekt für die Studier- dierende aus Kostengründen dazu anhalten, ihr Studium enden gleich wieder zunichtegemacht. Es sollte vielmehr möglichst schnell abzuschließen, anstatt frei und selbst- überlegt werden, wie die Studien- und Prüfungsinhalte in bestimmt in ihrem jeweils eigenen Tempo zu lernen. Wir Zukunft sinnvoll angepasst und verschlankt werden fordern daher, auf das Kriterium der Regelstudienzeit in könnten – aber diese Frage bedarf einer eigenen Debatte jedem Studiengang komplett zu verzichten. zu einem anderen Zeitpunkt. Zweitens wird im Jurastudium die von den Studieren- Wir dürfen hier nicht nur über die Ausbildung reden, den zu lernende Stoffmenge immer größer. Neue Aspekte sondern müssen auch über Fortbildung reden. Mit unse- und Nebengebiete kommen stetig dazu. Dass die jetzige rem Änderungsantrag fordern wir deshalb, das Recht auf Stoffmenge nicht bewältigbar ist, zeigt sich auch darin, Fortbildung und die damit korrespondierende Pflicht für dass die große Mehrheit der Studierenden auf den Besuch alle Richterinnen und Richter gesetzlich im Deutschen kommerzieller Vorbereitungskurse – der Repetitorien – Richtergesetz festzuschreiben. Die Qualifizierung der für eine erfolgreiche Ablegung ihrer Abschlussprüfungen Richterinnen und Richter ist schließlich nach der Ausbil- angewiesen ist. Zugleich werden in der ersten juristischen dungsphase nicht abgeschlossen, sondern erfasst gerade Prüfung auch weiterhin keine Gesetzeskommentare zu- auch Fort- und Weiterbildung – insbesondere in Berei- gelassen. Anstatt beim Prüfungsstoff immer mehr Detail- chen, die nicht Gegenstand der juristischen Ausbildung (B) wissen abzufragen, sollte von den Studierenden ein ver- sind, wie etwa das Familienrecht. Dieses Anliegen wird (D) tieftes Verständnis der Kernbereiche des deutschen auch von der Richterschaft selbst an uns herangetragen Rechts sowie seiner Systematik und methodische Kom- und wurde gerade erst in der Anhörung in der letzten petenz verlangt werden. Sitzungswoche von allen Experten einhellig unterstützt. Viele Richterinnen und Richter nutzen bereits die sich Drittens fixiert sich alles im Jurastudium auf die Able- bietenden Fortbildungsmöglichkeiten, stoßen zum Teil gung der Examensprüfung. Das führt bei vielen Studier- jedoch auf Schwierigkeiten, wenn es etwa um die Kosten- enden zu einer psychischen Belastung, die krank macht. übernahme geht. Außerdem werden Richterkarrieren im- Wer im Examen durchfällt, steht nach vielen Jahren Stu- mer mehr nach Erledigungszahlen ausgerichtet, sodass dium mit leeren Händen da. Notwendig wäre, während sich scheinbar selbst schädigt, wer sich freiwillig Zeit des Studiums einen Abschluss, etwa einen Bachelor, ein- für wichtige Fortbildungen nimmt. Es geht also nicht zuführen. nur darum, eine Fortbildungspflicht zu normieren, son- Viertens ist in der Examensprüfung die Digitalisierung dern vor allem darum, das Recht auf Fortbildung zu stär- immer noch nicht angekommen. Im Jurastudium werden ken und der Richterschaft bedarfsgerechte und kosten- immer noch fünfstündige Klausuren per Hand geschrie- freie Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung zu ben. Dies hat mit der juristischen Praxis nichts zu tun und stellen. Zuallererst muss die Deutsche Richterakademie steht konträr zu dem Ziel einer praxisnahen Ausbildung als zentrale Fortbildungsstelle mit den entsprechenden im Rahmen des Jurastudiums. Ressourcen ausgestattet werden. In geeigneten Bereichen könnte zudem E-Learning als zeit- und aufwandsparende Wir plädieren als LINKE für eine Debatte über die Fortbildungsmethode angeboten werden. Auch im Hin- Reform des Jurastudiums. Nichtsdestotrotz begrüßen blick auf die bereits bestehenden Fortbildungsangebote wir eine Erhöhung der Regelstudienzeit und werden für Rechtsanwälte sind Kooperationen und Synergieef- dem Gesetzentwurf sowie dem Änderungsantrag der fekte denkbar. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Fort- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Her- und Weiterbildung erfasst sowohl die Richterinnen und ren Goethe oder Bismarck haben zu ihrer Zeit etwa drei Richter im Bundes- als auch im Landesdienst. Das BMJV Jahre das Studentenleben genossen, dabei noch mehrmals hatte 2018 im Zusammenhang mit der Kritik des Bundes- den Studienort gewechselt und dann mal eben die juris- rechnungshofes an der Finanzierung der Deutschen Rich- tische Staatsprüfung abgelegt. Seitdem sind Berge von terakademie klargestellt, dass der Bund für die Qualität Gesetzen und Rechtsprechung schier in den Himmel ge- der Justiz insgesamt verantwortlich und für die Rechts- wachsen. Zu meiner Zeit – vor 30 Jahren – konnte man pflege in letzter Instanz zuständig sei. Außerdem rekru- 14638 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) tierten die obersten Gerichtshöfe des Bundes ihr Stamm- Das Innenministerium, das Auswärtige Amt und das (C) personal nahezu ausschließlich aus der Landesjustiz. Da- Entwicklungsministerium haben in einer eigens einge- mit sei der Bund auf eine qualifizierte Weiterbildung der richteten Ressortarbeitsgruppe konkrete Maßnahmen Landesbediensteten angewiesen. Dieser Argumentation zur Unterstützung der hiervon betroffenen Ortskräfte des BMJV schließen wir uns ausdrücklich an. Um eine erarbeitet. Die Ortskräfte werden vollumfänglich über leistungsfähige Justiz zu erhalten und zu stärken und eine Handlungsmöglichkeiten für den Fall einer individuellen effektive Rechtspflege im Sinne der Bürgerinnen und Bedrohung, aber auch zu Beschäftigungs- sowie Ausbil- Bürger zu gewährleisten, ist es notwendig, das Recht dungsmöglichkeiten informiert. Trotzdem bietet die Bun- und die Pflicht zur Fortbildung für Richterinnen und desregierung jeder individuell gefährdeten Ortskraft die Richter im Deutschen Richtergesetz zu verankern. Die Aufnahme in Deutschland an. Mittel hierfür sollten im Hinblick auf den vereinbarten Pakt für den Rechtsstaat zur Verfügung gestellt werden. Da die Gefährdungssituation regional sehr unter- schiedlich ist und je nach Art der Beschäftigung und Bleiben Sie also nicht bei der Ausbildung stehen – Sichtbarkeit in der Bevölkerung erheblich variiert, hat stimmen Sie für unseren Änderungsantrag und bringen sich das individualisierte Verfahren gegenüber einer Sie auch die Fort- und Weiterbildung einen großen Schritt Gruppenaufnahme bewährt. Die Einstufung der Gefähr- voran. dung erfolgt dabei in drei Kategorien: Kategorie 1: kon- krete Gefährdung; Kategorie 2: latente Gefährdung; Ka- tegorie 3: keine individuelle Gefährdung.

Anlage 13 Allen in Beschäftigung stehenden afghanischen Orts- kräften, die von den Ressortbeauftragten in die Gefähr- dungskategorie 1 und 2 eingestuft worden sind, wird Zu Protokoll gegebene Reden durch das Innenministerium zunächst eine formlose Auf- zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise nahmezusage für Deutschland erteilt, welche für die ge- Amtsberg, Agnieszka Brugger, Omid Nouripour, samte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses gültig ist. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses NIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortung anerken- kann die Aufnahmezusage innerhalb einer Frist von sechs nen – Gruppenverfahren zur Aufnahme afghani- Monaten zur Visumbeantragung genutzt werden. scher Ortskräfte einführen Die Ortskräfte kennen diese und weitere Regelungen (Tagesordnungspunkt 23) und werden auch beraten und betreut. Dadurch ist jeder Beteiligte gezwungen, den Einzelfall genau zu betrachten (B) (D) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): In Afghanistan und dem jeweiligen Bedürfnis des Betroffenen nachzu- sind momentan – Stand 7. Oktober 2019 – 1 165 Bundes- kommen. Gleichzeitig berücksichtigen wir das Interesse wehrsoldaten im Rahmen der Mission „Resolute Sup- der afghanischen Regierung und Zivilgesellschaft, die port“ eingesetzt. Ohne die Unterstützung und Mitarbeit sich gegen jede Form von Pauschallösungen ausgespro- der Ortskräfte für die Bundeswehr, wie beispielsweise chen haben. Sprachmittler, Wachen, Reinigungskräfte, Feldlagerbe- Zusätzlich wird bei Beendigung des Beschäftigungs- trieb oder Bauarbeiter, kann kein Einsatz der Bundeswehr verhältnisses aufgrund der Reduzierung der deutschen bewältigt werden. Das gilt übrigens nicht nur für Afgha- Präsenz in Afghanistan eine großzügige Abfindung ge- nistan. währt. Und zwar unabhängig von der Dauer des Beschäf- Zudem ist die Bundeswehr nicht allein in Afghanistan. tigungsverhältnisses und unabhängig von einer mögli- Das ist ein ressortübergreifender Einsatz. Im Oktober chen Ausreise nach Deutschland. 2018 waren insgesamt für die in Afghanistan tätigen deut- Im Antrag wird eine Paketlösung vorgeschlagen. Hier schen Ministerien 576 Ortskräfte beschäftigt (BMI, AA, sollen die Ortskräfte wählen zwischen Abfindung, Aus- BMVg). Darüber hinaus sind für die Durchführungsorga- reise, Schulung usw. unter dem Motto: „Nimm das Geld – nisationen des Bundesministeriums für wirtschaftliche aber dann bekommst du keine Schulung!“ Das ist nicht Zusammenarbeit und Entwicklung, der Kreditanstalt für unsere Auffassung von persönlicher Fürsorge und Nach- Wiederaufbau und der Gesellschaft für Internationale Zu- sorge. sammenarbeit sowie für politische Stiftungen circa 1 300 lokale Mitarbeiter tätig. Unsere Ortskräfte gehören zu den gut ausgebildeten Fachkräften im Land und sind daher für die weitere Ent- Diese Menschen sind wichtig, und das stellt auch kei- wicklung Afghanistans unverzichtbar. Daher unterstützen ner infrage – ganz im Gegenteil. Die in Afghanistan täti- die beteiligten Ressorts Weiterbildungsmaßnahmen und gen Ressorts sind sich der Fürsorgepflicht gegenüber ih- die Vermittlung ihrer Ortskräfte mit dem Ziel, ihnen best- ren afghanischen Mitarbeitern bewusst. Dies gilt mögliche Voraussetzungen für die rasche Aufnahme ei- insbesondere für all diejenigen, deren Beschäftigungsver- nes neuen Arbeitsverhältnisses zu schaffen. hältnis aufgrund der Reduzierung der deutschen Präsenz in Afghanistan endet. Der verantwortungsvolle Umgang Sie sehen selbst, dass wir das, was im Antrag als Lö- mit den Ortskräften ist dabei ein Gradmesser der Verläss- sung vorschlagen wird, schon längst umsetzen, und zwar lichkeit Deutschlands als Arbeitgeber und dient nicht zu- für viel mehr Ortskräfte aus unterschiedlichsten Tätig- letzt der Sicherheitsvorsorge für unser deutsches Personal keitsfeldern, nicht nur für Sprachmittler oder bei den in Afghanistan. Streitkräften eingesetzte Ortskräfte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14639

(A) Besonders hervorheben möchte ich die Arbeit, die len Feldzug gegen die Islamisten. Sie haben deshalb den (C) durch das „Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte großen Wunsch, den Wiederaufbau ihres Landes tatkräf- e.V.“ geleistet wird. Im Antrag wird ebenfalls positiv da- tig zu unterstützen. Diese Opferbereitschaft kann man rauf eingegangen. Ich möchte ordnungshalber ergänzen, nicht genug bewundern und würdigen. dass dieser gemeinnützige Verein aus den Reihen der Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, aktiven Patinnen und Paten des Patenschaftsprogramms wenn man Ihren Antrag weiterdenkt, wozu würde das der Bundeswehr gegründet wurde. General a. D. Wieker dann führen? Meine Antwort: Man würde dem Land jeg- hat in seiner Funktion als Generalinspekteur der Bundes- liche Zukunftsperspektiven rauben. Ortskräfte gehören wehr im April 2016 die Schirmherrschaft über den Verein oft zu den gut ausgebildeten Fachkräften des Landes übernommen. General Zorn hat die Weiterführung der und sind daher für die weitere Entwicklung Afghanistans Schirmherrschaft entsprechend als Nachfolger übernom- unverzichtbar. Die Ausreise nach Deutschland erheblich men. Mit Stand vom 27. September 2019 verfügt der Ver- zu erleichtern, hieße, das Land seiner zukünftigen Füh- ein über 159 freiwillige Patinnen und Paten. Dem gegen- rungskräfte und Gestalter zu berauben. Es hieße, das zarte über stehen 165 ehemalige Ortskräfte, die in das Pflänzlein Demokratie zu zerstören. Gerade in der derzeit Patenschaftsprogramm aufgenommen sind. sensiblen Situation braucht das Land seine klugen Köpfe. Die Bundesregierung gewährleistet die Durchführung Die Einführung eines pauschalen Gruppenverfahrens, aller genannten Möglichkeiten, obwohl wir selbst eine wie es die Grünen fordern, geht also nicht nur an der bittere Erfahrung machen mussten. Bei einem Bomben- tatsächlichen Gefährdungslage in Afghanistan vorbei, anschlag im Diplomatenviertel in Kabul am 31. Mai 2017 nein, es sendet auch das völlig falsche Signal an die af- kamen fast 200 Menschen ums Leben, rund 500 wurden ghanische Bevölkerung. verletzt, darunter auch Angehörige der deutschen Bot- schaft. Die Botschaft in Kabul wird wieder aufgebaut. Ich möchte noch einmal ganz deutlich betonen, dass Es besteht temporär trotzdem die Möglichkeit, die nöti- auch ich mich nicht gegen den Schutz von mutigen Af- gen Anträge für Visa in Islamabad oder Neu-Delhi zu ghaninnen und Afghanen sperre, die eine individuelle stellen. Bedrohung durch die Taliban erfahren. Selbstverständlich hat Deutschland hier die Verantwortung, im Sinne der Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft sind wichtige Sicherheit dieser Menschen, die uns bei unserem Einsatz Elemente für die Stabilisierung Afghanistans. Mit dem unterstützt haben, zu handeln. Und das tun wir bereits Wiederaufbau und damit, dass wir selbst im Land bleiben, sehr erfolgreich. zeigen wir, dass sich dieser Weg lohnt. Und dieser Weg führt nicht über eine pauschale Lösung mit einem pau- Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Grünen fordern die schalen Antrag für ein Gruppenverfahren. Er bietet keine (B) erleichterte Aufnahme sogenannter afghanischer Orts- (D) echte Alternative. kräfte und ihrer Familien. Ortskräfte sind jene Afghanen, Wir lehnen den Antrag ab. die für die Bundeswehr oder andere deutsche staatliche Institutionen arbeiten. Josef Oster (CDU/CSU): In einer komplexen Welt Besatzungsarmeen waren schon immer auf die Unter- gibt es leider nur selten einfache Lösungen. Der Antrag stützung durch örtliche Hilfskräfte angewiesen. Da macht der Grünen ist aber genau das: der Versuch, ein komple- die Bundeswehr keinen Unterschied. Daraus erwächst ihr xes Problem mit einer einfachen Antwort wegzuwischen. natürlich auch eine Verantwortung für die Menschen, die In dem Land, das fast doppelt so groß ist wie Deutsch- infolge der zunehmenden Eskalation der kriegerischen land, kann man nicht von einer einheitlichen Sicherheits- Auseinandersetzungen in Afghanistan häufig gefährdet lage sprechen. Zwischen Kunduz im Norden und Kanda- sind, weil sie von vielen Afghanen als Verräter angesehen har im Süden, zwischen den westlichen Landesteilen an werden. der iranischen Grenze und den Provinzen an der Grenze Es hat schon seine Logik, dass die Fraktion der Grünen zu Pakistan im Osten bestehen gravierende Unterschiede diesen Antrag stellt. Schließlich waren es die Grünen, die in der Gefährdungssituation. 2001 gemeinsam mit der SPD beschlossen haben, die Es stimmt, dass die Taliban in einigen Gebieten ihren Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Nach neu- Einfluss wieder ausbauen, für Angst und Gewalt sorgen. eren Zahlen wurden bislang 770 Ortskräfte, die für die Es stimmt aber auch, dass sich in anderen Regionen, auch Bundeswehr tätig gewesen waren, in Deutschland aufge- durch die tatkräftige Unterstützung deutscher Soldatin- nommen. Dabei wird die Frage, ob ihnen und ihren Fami- nen und Soldaten und der Bundespolizei, stabile politi- lien in Afghanistan Gefahr für Leib und Leben droht, von sche und wirtschaftliche Verhältnisse entwickelt haben. der Bundesregierung offenbar ziemlich restriktiv beant- wortet. Jedenfalls wurde nach Angaben der Bundesregie- Aber dieses Engagement wäre nicht auf fruchtbaren rung aus dem vorigen Jahr nur einem Drittel der Anträge Boden gefallen, wenn nicht zahlreiche Afghaninnen und entsprochen. Afghanen die internationalen Kräfte im Kampf um De- mokratie und Freiheit unterstützt hätten. Das afghanische Die Tatsache, dass die Ortskräfte hochgradig gefährdet Volk bemüht sich unter großem Einsatz, einen Schluss- sind und Schutz in Deutschland suchen müssen, ist ein strich unter das düstere Kapitel seiner Geschichte zu zie- klares Zeichen dafür, dass der Kriegseinsatz der Bundes- hen. Generationen haben nur Krieg und Terror erlebt, von wehr am Hindukusch nichts verbessert, sondern alles ver- der sowjetischen Besatzung über die terroristische Herr- schlimmert hat. Die Linke hat stets gegen den Kriegsein- schaft der Taliban bis zum anschließenden internationa- satz der Bundeswehr in Afghanistan votiert. Und sie hat 14640 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) schon immer dafür plädiert, Menschen in Not Schutz zu Anlage 14 (C) gewähren. Das gilt auch für die Ortskräfte. Zu Protokoll gegebene Reden Man sollte sich dabei jedoch keinen Illusionen über deren Motivlage hingeben und wie die Grünen behaup- zur Beratung des von der Bundesregierung eingeb- ten, sie hätten Leib und Leben „für die Verteidigung von rachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Frieden und Demokratie“ riskiert. In der Regel wird es Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugend- wohl schlicht und einfach die Aussicht auf eine über dem strafverfahren afghanischen Durchschnitt liegende Entlohnung gewesen (Tagesordnungspunkt 22) sein. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Der vorliegende Spätestens seit dem Massaker von Kunduz im Jahr Gesetzentwurf zur Stärkung der Verfahrensrechte von 2009, als auf deutschen Befehl bis zu 140 Zivilistinnen Beschuldigten im Jugendstrafverfahren setzt die EU- und Zivilisten, darunter auch Frauen und Kinder, durch Richtlinie 2016/800 um. einen Luftangriff getötet wurden, konnten alle Ortskräfte wissen: Sie stehen im Sold einer Truppe, die nicht davor Wie auch im Erwachsenenstrafrecht muss es als Dauer- zurückschreckt, auch Zivilistinnen und Zivilisten zu tö- aufgabe eines Rechtsstaates betrachtet werden, die Ver- ten. Das ändert nichts daran, dass diesen Ortskräften fahrensregeln regelmäßig an aktuelle Entwicklungen Schutz in Deutschland zusteht – nicht weil sie der Bun- anzupassen. Dabei muss ein Rechtsstaat besonders deswehr gedient haben, sondern ganz einfach deshalb, gründlich die Rechte des Beschuldigten im Blick haben. weil sie und ihre Familien bedroht sind. Im Jugendstrafrecht kommt hinzu, dass hier – anders Zu kritisieren ist aber die Schieflage in der Debatte: Es als im Erwachsenenstrafrecht – nicht der Sühne- und ist unverantwortlich und zynisch, die Ortskräfte praktisch Strafcharakter im Mittelpunkt steht, sondern der Erzie- für die „besseren“ Schutzbedürftigen zu erklären. Der hungsgedanke. Diesem muss im Jugendstrafrecht auch Krieg, mit dem vor allem die NATO Afghanistan über- das Strafverfahren bereits Rechnung tragen. Der Erzie- zogen hat, hat das Leben dort für alle Einwohner zu einer hungsgedanke soll damit bereits bei der gerichtlichen Dauergefährdung gemacht. Es gibt keine sicheren Gebie- Aufarbeitung der Tat implementiert werden. te in Afghanistan, für niemanden. Dazu trifft der vorliegende Entwurf Neuregelungen zum Beispiel hinsichtlich der Frage, wann ein Verteidiger Ortskräfte, denen eine Gefährdung attestiert wird, ha- hinzuzuziehen ist oder ab wann im Verfahren die Jugend- (B) ben die Chance auf eine sichere und legale Einreise nach gerichtshilfe zu beteiligen ist. Wobei ich Letzteres vom (D) Deutschland. Allen anderen Verfolgten wird dieser Weg Regelungsumfang schon auch hinterfragen möchte, da verwehrt. Wir hätten es begrüßt, wenn die Grünen hier die Jugendgerichtshilfe bereits heute in jeder Lage des klargestellt hätten: Alle Schutzsuchenden verdienen die Verfahrens zu beteiligen ist. Möglichkeit auf ein faires Verfahren in Deutschland bzw. in Europa, und das bedeutet, dass ihnen allen sichere und Insgesamt halte ich deshalb den vorliegenden Entwurf legale Fluchtwege eröffnet werden müssen. für durchaus gelungen. Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch gleich auf Punkte hinweisen, über die wir im Dass den Ortskräften, die hier Schutz gefunden haben, parlamentarischen Verfahren dringend sprechen sollten: immer nur eine kurze Aufenthaltsfrist zugestanden wird, Ich habe eingangs den Erziehungsgedanken im Ju- die dann verlängert werden muss, ist ebenfalls ein Un- gendstrafrecht herausgestellt. Ausfluss dieser Idee ist ding. Sie werden ja nicht abgeschoben, und zwar völlig zu auch das Gebot, dass ein Jugendstrafverfahren möglichst Recht, weil ihre Rückkehr sie in Lebensgefahr bringen beschleunigt durchgeführt werden soll. Denn nur die zeit- würde. Nur: Das gilt für alle Afghanen, auch für abge- nahe, spürbare Konsequenz verspricht die gewünschte lehnte Asylsuchende. Deshalb darf es generell keine Ab- erzieherische Wirkung. Heute ist es deshalb so, dass der schiebungen nach Afghanistan geben; auch hier ist die Jugendgerichtshilfebericht parallel im Verfahren einge- Besserstellung der Ortskräfte nicht gerechtfertigt. holt wird. Das spart Zeit und verzögert das Verfahren nicht unnötig. Nach dem vorliegenden Entwurf soll das Zum Schluss möchte ich anmerken: Die Forderung der aber dahin gehend geändert werden, dass die Staatsan- Grünen, ein Gruppenverfahren für die Aufnahme der waltschaft die Anklage erst dann erheben darf, wenn Ortskräfte einzuführen und grundsätzlich von ihrer Ge- der Jugendgerichtshilfebericht vorliegt. Wir sollten also fährdung auszugehen, wird bestimmt den Widerspruch dringend überlegen, ob das dem Grundsatz der Beschleu- der AfD erregen. Sie wird wohl argwöhnen, hier würde nigung noch ausreichend Rechnung trägt. einer umfangreichen Einwanderung die Tür geöffnet. Auch die Frage der Hinzuziehung eines Verteidigers ist Wir unterstützen diese Forderung nach einem Grup- meines Erachtens nach dem vorliegenden Entwurf nicht penverfahren. Sollte es tatsächlich so kommen, dass alle zufriedenstellend gelöst. Dieser soll dann hinzugezogen Ortskräfte sofort die Koffer packen und nach Deutschland werden, wenn es möglich erscheint, dass beim Beschul- kommen, wäre das ganz hervorragend. Wenn in Afgha- digten erhebliche erzieherische Defizite festgestellt wer- nistan keiner mehr die Bundeswehr versorgt, ist diese den. Diese Prognoseentscheidung ist aber in der Regel in ihrerseits gezwungen, den Kriegseinsatz zu beenden. Da- diesem frühen Stadium des Verfahrens nicht sicher zu mit wäre den Menschen in beiden Ländern gedient. treffen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14641

(A) Insgesamt also viele Fragen, die wir im parlamentari- Am gravierendsten wirkt sich hier Ihre Regelung zu (C) schen Verfahren vertiefen sollten. Darauf freue ich mich § 68b Jugendgerichtsgesetz aus. Sie untergraben mit einer sehr. Ausnahmeregelung das Recht der Beschuldigten auf Zu- gang zu einem Rechtsbeistand. Sie wollen in bestimmten Fällen Ausnahmen machen, in denen eine Vernehmung Katharina Willkomm (FDP): In formaler Hinsicht belegt die Bundesregierung auch mit diesem Entwurf, auch ohne Verteidiger möglich sein soll. So sollen danach dass sie nicht auf der Höhe der Zeit ist; denn rechtlich Vernehmungen im Vorverfahren und Gegenüberstellun- hätte Deutschland die zugrundeliegende EU-Richtlinie gen bereits vor der Bestellung des Pflichtverteidigers 2016/800 bis zum 11. Juni 2019 umsetzen müssen. Da durchgeführt werden können, wenn gab es noch nicht einmal einen Regierungsentwurf. Bis ein sofortiges Handeln der Strafverfolgungsbehör- zur ersten Lesung heute sind es nur wenige Monate Ver- den zwingend geboten ist, um eine erhebliche Ge- fristung. Man könnte denken: „Nicht der Rede wert“, fährdung eines sich auf eine schwere Straftat bezieh- wenn, ja wenn diese Regierung nicht allwöchentlich bei enden Strafverfahrens abzuwenden. Themen wie Digitalisierung, deutscher Syrienpolitik oder ineffizientem Klimaschutz deutlich machen würde, wie Eine solche Ermessensregelung beim Verzicht auf ei- symptomatisch dieser Fristverstoß ist. nen Verteidiger bei Jugendlichen bringt großes Miss- brauchspotenzial mit sich, und ein solcher Missbrauch Dem Inhalt des Entwurfs nach will die Bundesregie- wird im Nachhinein sehr schwer beweisbar sein. Das rung europäisches Recht umsetzen. Sie verfolgt das Ziel, Problem kennen wir aus der Praxis. Sie sollten insoweit die Mindeststandards an Verfahrensrechten zu erhöhen, dem Rat der Bundesrechtsanwaltskammer Folge leisten die gegenüber jugendlichen Beschuldigten in einem und die Regelung einfach ersatzlos streichen. Entgegen Strafverfahren zu achten sind. Leider halten die konkre- Ihrer Annahme schadet eine frühzeitige Verteidigung ei- ten Regelungen nicht ganz, was der Vorspann verspricht. nem Verfahren nämlich nicht, sie sorgt vielmehr für einen So weist die Bundesrechtsanwaltskammer auf ein be- ordnungsgemäßen Ablauf. stimmtes Regel-Ausnahme-Verhältnis hin. Die Regel lautet: Ein jugendlicher Beschuldigter ist durch einen Ein weiteres gravierendes Problem findet sich in Ihrer Rechtsbeistand zu unterstützen, sobald er davon in geplanten Regelung zu § 68 Jugendgerichtsgesetz: Sie Kenntnis gesetzt ist, dass er Verdächtigter oder Beschul- wollen, dass einem Jugendlichen ein Pflichtverteidiger digter ist. Die Ausnahme soll sein, dass ein Strafverfahren bestellt wird, wenn „die Verhängung einer Jugendstrafe auch gegen einen unverteidigten Jugendlichen fortgeführt … zu erwarten ist“. Damit blenden Sie die Erwartung werden darf. Ihr Entwurf stellt das aber auf den Kopf. Sie eines Jugendarrestes aus. Das Gericht kann gegenüber einem Jugendlichen einen Dauerarrest in einer Arrestan- (B) machen die Fortführung ohne Verteidigung zum Regel- (D) fall! stalt bis zu vier Wochen verhängen. Wir wissen: Im Er- gebnis gibt es hier keinen großen Unterschied zu einer Noch lauter ist die Kritik der Anwaltschaft am neuen Freiheitsstrafe. Warum für einen solchen Fall also keine § 68b JGG. Die BRAK spricht sogar von einer sachlich Pflichtverteidigerbestellung nötig sein soll, kann ich da- nicht gerechtfertigten, geradezu zynisch wirkenden her nicht nachvollziehen. Freiheitsentzug ist Freiheitsent- Schlechterstellung der Jugendlichen, die sich keinen zug. Wenn ein solcher droht, müssen gerade Jugendliche Wahlverteidiger leisten können. wirksam verteidigt sein. Auch für diese gilt die Un- schuldsvermutung. Über diese und eine Reihe weiterer Punkte werden wir Es gibt seitens meiner Fraktion noch weitere Kritik- im Rechtsausschuss, vorneweg in der am Montag statt- punkte, die können wir dann ebenfalls im Ausschuss be- findenden Sachverständigenanhörung, zu sprechen ha- sprechen. Vielleicht lassen Sie sich ja noch von einem ben. Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen der modernen Strafverfahren überzeugen, das Strafverteidi- Union und der SPD nicht nur an dieser Anhörung teil- gerinnen und Strafverteidiger nicht als Feinde betrachtet. nehmen, sondern die Argumente der Experten auch in- haltlich berücksichtigen werden. Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Jugendgerichtsgesetz wurde in den letzten Jahren immer Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Der Gesetz- nur bruchstückhaft behandelt. Im Jahr 2007 wurde die entwurf, um den es heute geht, soll die Rechte von Be- Ausrichtung des Jugendstrafverfahrens am Erziehungs- schuldigten im Jugendstrafverfahren stärken – ein wichti- gedanken ausdrücklich festgeschrieben. Das Jugendstraf- ges Anliegen. Gerade bei den Beschuldigtenrechten für verfahren muss gleichermaßen eine Antwort auf den Um- Jugendliche im Strafverfahren sollten höchste Standards gang mit leichtdelinquentem Verhalten von Jugendlichen gelten, denn es geht um die Zukunftsaussichten junger wie auch auf Schwerstkriminalität bieten. Der hierfür zur Menschen. Verfügung stehende Sanktions- und Maßnahmenkatalog muss den Erziehungsauftrag des Jugendstrafrechts wider- Leider weist Ihr Entwurf teilweise erhebliche Mängel spiegeln. Eine Überprüfung der bestehenden Regelungen, auf, die den positiven Ansatz gleich wieder zunichtema- ob diese zur Erreichung des Erziehungszieles zweckmä- chen. Wie bei Ihrem heute ebenfalls zu diskutierenden ßig und geeignet sind, steht seit Langem aus. Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der notwen- digen Verteidigung haben Sie 2018 zunächst einen disku- Die Bundesregierung hätte die Umsetzung der Richt- tablen Referentenentwurf vorgelegt, den sie nun – an ei- linie zum Anlass nehmen können und zum Anlass neh- nigen Stellen verschlechtert – zur Diskussion stellen. men müssen, das Jugendgerichtsgesetz einer Evaluation 14642 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) zu unterziehen, um lange überfällige Änderungen anzu- heute auch noch den Gesetzentwurf zur Neuregelung des (C) stoßen. Auch bei diesem Entwurf sind nur partielle Än- Rechts der notwendigen Verteidigung. In beiden Fällen derungen im Jugendgerichtsgesetz vorgesehen. geht es um die Umsetzung einer EU-Richtlinie aus dem Paket der Verfahrensgarantien, das einheitliche Mindest- Mit der Jugendgerichtshilfe ist im deutschen Jugend- standards für Strafverfahren in unserem gemeinsamen strafrecht die Möglichkeit einer individuellen Begutach- europäischen Rechtsraum schaffen soll. Bei der hier be- tung der jugendlichen Beschuldigten bereits verankert. troffenen Richtlinie handelt es sich um Verfahrensgaran- Aufgabe der Jugendgerichtshilfe ist die Feststellung der tien für eine besonders schutzbedürftige Gruppe, nämlich persönlichen Bedarfe eines Jugendlichen auf Schutz, Er- für unter 18-Jährige, die Beschuldigte in einem Strafver- ziehung sowie Ausbildung und dem Jugendgericht Emp- fahren sind. fehlungen für Maßnahmen zu erteilen. Erfreulich ist, dass nunmehr die frühestmögliche Einbeziehung der Jugend- Die jungen Beschuldigten sollen das gegen sie geführte gerichtshilfe konkret geregelt wird. Ebenso ist erfreulich, Strafverfahren verstehen und ihm folgen können; sie dass Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bei Nichter- sollen in die Lage versetzt werden, ihr Recht auf ein faires scheinen eines Vertreters in der Hauptverhandlung die Verfahren auszuüben. Drei Regelungsbereiche sind dabei dadurch entstandenen weiteren Kosten auferlegt werden besonders wichtig: die Mitwirkung der Jugendgerichts- können. Zu weit und unkonkret ist dann wiederum die hilfe – mit einer weiteren Konkretisierung ihrer Aufgaben Regelung, die einen Verzicht der Mitwirkung durch die im Jugendstrafverfahren –, die audiovisuelle Aufzeich- Jugendgerichtshilfe zulässt. Eine konsequente Regelung, nung von Vernehmungen jugendlicher Beschuldigter die nur wenige Ausnahmefälle zum Verzicht auf die Mit- sowie die notwendige Verteidigung. Letzterer wird wirkung der Jugendgerichtshilfe erlaubt, wäre hier wün- weitgehend bereits durch den eingangs genannten Ge- schenswert gewesen. setzentwurf zur notwendigen Verteidigung in der Straf- Der Republikanische Anwältinnen- und Anwältever- prozessordnung umgesetzt. Die für den vorliegenden Ent- ein e. V. hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen: wurf maßgebliche Kinderrichtlinie enthält aber zur Was nach wie vor fehlt im JGG ist eine Regelung zum notwendigen Verteidigung noch deutlich strenger gefass- rechtlichen Verhältnis der JGH zum Jugendlichen und te Vorgaben. seinem Umfeld: Fragen etwa zu Auskunftspflichten res- Im Übrigen ist unser Jugendstrafrecht mit den vorhan- pektive Schweigerechten und zu Belehrungen werden denen Regelungen des Jugendgerichtsgesetzes und mit auch vom SGB VIII (dort insbesondere §§ 8, 52) allen- den korrespondierenden Bestimmungen des Jugendhil- falls unzureichend beantwortet; die Anwendbarkeit des ferechts im Sozialgesetzbuch VIII schon heute auf einem SGB X im Jugendstrafverfahren erscheint fraglich. Das sehr guten Stand im Hinblick auf den Umsetzungsbedarf. Freiwilligkeitsprinzip muss aber gewahrt bleiben. – Inso- (B) Es bedarf aber einiger Nachjustierungen im Jugendge- (D) weit wurde hier eine Gelegenheit versäumt, dieses Defizit richtsgesetz. Aus unserer Sicht haben viele davon eher zu beheben. klarstellenden Charakter. Es geht darum, wie die beste- Grundsätzlich ist als positiv zu bewerten, dass ein henden Verfahrensvorschriften unter Berücksichtigung Pflichtverteidiger nun spätestens vor einer ersten Verneh- der Grundgedanken und des erzieherischen Anliegens mung oder Gegenüberstellung des Jugendlichen bestellt des Jugendstrafrechts schon heute durch Polizei, Jugend- werden muss. Der Gesetzesentwurf übersieht dabei aber, hilfe und Jugendstrafjustiz in der Praxis gestaltet werden. dass Jugendliche bei ihrer ersten Vernehmung in aller Regel auf Ermittlungsbeamte, nämlich die Polizei, tref- So werden in Stellungnahmen zu dem Vorhaben, ins- fen. Es wird nunmehr in das Ermessen der Ermittlungs- besondere vonseiten kommunaler Träger der Jugendhilfe, beamten gestellt, zu beurteilen, ob ein Fall der notwen- zum Teil erhebliche zusätzliche Belastungen befürchtet. digen Verteidigung vorliegt. Unbeantwortet bleibt die Dazu kann ich Ihnen versichern, dass Praxistauglichkeit Frage, wie die Aussage eines Jugendlichen zu verwerten und Ressourcenschonung im Rahmen der Richtlinienvor- ist, dem vor seiner ersten Vernehmung kein Pflichtvertei- gaben und unter Beachtung des fachlich Sinnvollen von diger bestellt worden ist, obwohl die gesetzlichen Gründe Anfang an leitende Aspekte für uns waren. Von der Richt- hierfür vorlagen. Dies verwundert umso mehr, da nun- linie eröffnete Flexibilität wurde dabei genutzt, unange- mehr die erste Vernehmung des jugendlichen Beschuldig- messene Belastungen so weit wie möglich zu vermeiden. ten audiovisuell aufgezeichnet werden soll und damit Die EU-Kommission wird das sicherlich sehr kritisch noch größere Bedeutung im Verlauf des Jugendstrafver- prüfen. Ich bin mir aber gewiss, dass wir die von der fahrens erhält. Richtlinie gelassenen Spielräume nicht überreizt haben. Die Mängel des Regierungsentwurfs verdeutlichen, Wir sind uns hier sicher einig, dass unser Anliegen dass eine Evaluation der Praxis des Jugendstrafverfahrens auch bei der jetzt anstehenden parlamentarischen Arbeit dringend angezeigt ist und die Bundesregierung diese nicht ausschließlich sein kann, Jugendstrafverfahren Pflicht nicht ernst genommen hat. möglichst kostengünstig zu gestalten. Die einheitliche Gewährleistung des Schutzes junger Beschuldigter und Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- die Berücksichtigung ihres besonderen Unterstützungs- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit dem bedarfs sind uns sehr wichtig. Eine frühzeitige verfah- Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrech- rensangemessene Kooperation von Justiz und Jugendge- te von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren steht heute richtshilfe kann im Ergebnis Verfahrenskosten sogar ein Vorhaben auf der Tagesordnung, dem die Bundesre- senken. Nicht zuletzt kann sie die Wiedereingliederung gierung eine große Bedeutung beimisst. Wir behandeln und ein künftiges Leben ohne Straftaten fördern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14643

(A) Das Gesetzgebungsvorhaben steht unter ganz erheb- ich nicht ein, dass wir der Polizei ihre Arbeit schwerer (C) lichem Zeitdruck. Die Umsetzungsfrist der Richtlinie ist machen, als diese ohnehin schon ist. bereits im Juni abgelaufen. Wegen äußerst schwieriger Abstimmungsprozesse, gerade auch in dem teilweise vor- Hinzu kommt, dass die Richtlinie auch vorsieht, dass greiflichen Parallelprojekt zur notwendigen Verteidi- man auf die Beiordnung eines Rechtsbeistands verzichten gung, war es nicht möglich, die Frist einzuhalten. Die kann. Auch dies kommt in der Praxis gar nicht so selten Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren vor. Es gibt einfach Angeklagte, die keinen Rechtsanwalt eingeleitet. Bei einem zügigen Abschluss und Inkrafttre- wollen. Das ignoriert der vorliegende Entwurf völlig. Die ten des Gesetzes noch in diesem Jahr haben wir aber Aus- Möglichkeit des Verzichts sieht er nämlich an keiner Stel- sicht, eine sonst drohende sehr hohe Pauschalstrafe zu le vor. Ich will heute schon deutlich machen, dass das vermeiden. einen dringenden Ergänzungswunsch der Union darstellt. Liest man die Richtlinie genau, muss man zudem fest- Ich bitte nicht nur daher, sondern auch wegen des wich- stellen, dass die Richtlinie vom „Beschuldigten“ spricht. tigen sachlichen Anliegens sehr um Ihre Unterstützung Damit wird klar, dass sie nicht für den „Angeklagten“ gilt, für dieses Gesetzgebungsprojekt. also ab Erhebung der Anklage. Damit ist auch die Haupt- verhandlungshaft nicht erfasst, also die Haft für den An- geklagten, der zur Hauptverhandlung nicht erscheint. Auch diesbezüglich erweitert der vorliegende Entwurf Anlage 15 die notwendige Verteidigung auf einen Bereich, in dem es die Richtlinie nicht vorgibt, wo aber erhebliche Verzö- Zu Protokoll gegebene Reden gerungen eintreten können, weil zum Beispiel der Richter den neuen Termin zur Hauptverhandlung in seinen ohne- zur Beratung hin schon engen Sitzungskalender einpflegen muss, das – des von der Bundesregierung eingebrachten aber nun auch noch in Abstimmung mit dem Verteidiger. Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung Ich will abschließend nochmal deutlich machen, dass ich es auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gebo- – des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen ten finde, optimale Rechtsschutzmöglichkeiten für einen Martens, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, Beschuldigten zu gewährleisten. Dabei sollte aber sicher- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der gestellt sein, dass Ermittlungsarbeit nicht unendlich er- FDP: Für eine konsequente Umsetzung der schwert wird. Daher wäre meine Bitte, dass wir genau PKH-Richtlinie – Recht auf Verteidigung ab darauf im parlamentarischen Verfahren besonderen Wert (B) (D) der ersten Stunde vorbehaltlos gewährleisten legen.

(Tagesordnungspunkt 24 und Zusatzpunkt 12) Stephan Thomae (FDP): „Sie sind verhaftet. Sie ha- ben das Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Der vorliegende leisten können, wird Ihnen einer zugewiesen.“ Diese ein- Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der notwen- prägsamen Sätze aus amerikanischen Blockbuster-Fil- digen Verteidigung setzt die EU-Richtlinie 2016/1919 men hat jeder schon oft gehört. Ihre Anwendung sollte um. Hierbei soll das Recht auf einen Verteidiger in den rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit sein. Denn die notwendigen Fällen in ein sehr frühes Stadium vorver- Pflichtverteidigung ab der ersten Stunde ist ein Gebot lagert werden. der Fairness und für Beschuldigte elementar. In Deutsch- land heißt es aber bislang: „Sie haben das Recht auf einen Bisher war für die Frage, wann ein Verteidiger zu be- Anwalt.“ Punkt! stellen ist, § 140 StPO maßgeblich. Hiernach war ein Verteidiger unter anderem dann notwendig, wenn zum Das ist unzureichend. Denn wer als Einzelner der ge- Beispiel dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last ge- ballten Staatsgewalt gegenübersteht, braucht eine effek- legt wurde, ein Berufsverbot im Raum stand oder der Fall tive Verteidigung, und zwar bereits ab einem möglichst bestimmte rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten frühen Zeitpunkt des Verfahrens. So werden bereits im aufwies. Nun soll der notwendige Verteidiger bereits Ermittlungsverfahren wichtige Weichen für das Verfah- vor der ersten Vernehmung des Beschuldigten bestellt ren gestellt und einschneidende Maßnahmen gegen den werden. Beschuldigten ergriffen, die bereits unabhängig vom Ausgang des Verfahrens erhebliche Auswirkungen auf Ich will nicht verhehlen, dass ich dieser Neuregelung sein Leben haben können. Auch der mittellose Beschul- wenig abgewinnen kann. Denn für die Polizei entsteht digte benötigt bereits in dieser Phase den juristischen Bei- zunächst einmal ein zusätzlicher, nicht unerheblicher stand, den der vermögende Beschuldigte ohnehin bereits Prüf- und Arbeitsaufwand. Hinzu kommt der Umstand, beauftragt. dass sich – und das zeigt die Praxis – die Geständnisbe- reitschaft eines Beschuldigten häufig reduziert, hat er sich So sieht es auch Artikel 4 der sogenannten PKH-Richt- erstmal mit einem Verteidiger beraten. Wir sollten diesen linie vor, die eigentlich bis zum 5. Mai 2019 in nationales Umstand nicht außer Acht lassen. Es wäre naiv, zu glau- Recht hätte umgesetzt werden müssen. Auch wenn der ben, dass jede Verteidigungsstrategie zwangsläufig in ein ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- Geständnis einmündet. Das lassen unsere StPO und unser hofs folgend eine unmittelbare Anwendbarkeit der StGB auch zu, das will ich nicht werten. Allerdings sehe PKH-Richtlinie oder zumindest einzelner Richtlinienbe- 14644 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) stimmungen anzunehmen ist, muss die richtlinienkonfor- tenrechte auf Verfahrensbeistand und Prozesskostenhilfe, (C) me Umsetzung in nationales Recht zügig erfolgen. von einer wirklichen Umsetzung der EU-Richtlinie aus dem Jahr 2016 ist er jedoch wie so oft weit entfernt. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der PKH-Richtlinie weist allerdings gra- Zunächst hatte die Bundesregierung im Oktober ver- vierende Mängel auf und kommt über ein Entwurfssta- gangenen Jahres einen durchaus diskussionswürdigen dium nicht hinaus. Im Vergleich zum Referentenentwurf Referentenentwurf vorgelegt. Der hier präsentierte Ent- stellt er sogar eine Verschlechterung dar. So wurde die wurf fällt aber deutlich dahinter zurück. Ein Beispiel: Die zunächst vorgesehene verpflichtende Beiordnung eines Gewährung von Rechtsbeistand wird durchweg antrags- Pflichtverteidigers in Fällen der notwendigen Verteidi- abhängig ausgestaltet. Ich will einmal erklären, was das gung von Amts wegen durch ein Antragsrecht des Be- bedeutet: Beschuldigte sollen in einer gegebenenfalls äu- schuldigten ersetzt. Eine Beiordnung soll nach den Wün- ßerst angespannten Situation, etwa im Rahmen einer po- schen der Bundesregierung nur noch in bestimmten lizeilichen Vernehmung, beantragen, anwaltlichen Bei- Einzelfällen erfolgen. stand zu bekommen. Das führt dazu, dass dieser Antrag oft nicht gestellt wird und die Polizei auf die Überforde- Das Recht der notwendigen Verteidigung als reines rung des oder der Beschuldigten keine Rücksicht nimmt. Antragsrecht auszugestalten, führt aber zu einer unver- Wenn aber etwa eine Verteidigung vom Gesetz als not- hältnismäßigen Beschränkung der Beschuldigtenrechte, wendig erachtet wird, dann ist sie eben notwendig und die nicht hinnehmbar ist. Vielfach kann ein Beschuldigter kann nicht von einem förmlichen Antrag abhängig ge- in diesem Verfahrensstadium noch gar nicht überblicken, macht werden. ob er einen Verteidiger benötigt. Gerade ein Beschuldig- ter, der sich keinen Wahlverteidiger leisten kann, wird Und ich will Ihnen auch sagen, wozu das führt: Ver- zudem vor dem hohen Kostenrisiko zurückschrecken. mögende Beschuldigte werden weiterhin von Beginn der Beschuldigte könnten durch Druck der Ermittler dazu ge- Ermittlungen an anwaltlich betreut sein, Vermögenslose drängt werden, auf eine Verteidigung zu verzichten. Hier nicht oder erst später. Für dieses Phänomen gibt es einen besteht dringender Nachbesserungsbedarf. Offenbar ver- Namen: Klassenjustiz! Dieses Motiv zieht sich leider steht die Bundesregierung nicht oder will nicht verstehen, durch Ihren gesamten Entwurf, sei es bei den Belehrungs- dass das Recht der notwendigen Verteidigung gerade pflichten oder bei der Ausgestaltung zum Europäischen nicht auf vermögende, professionelle Kriminelle abzielt, Haftbefehl. die ohnehin auf einen Wahlverteidiger zurückgreifen, sondern auf den mittellosen Beschuldigten. Ein weiteres Motiv zieht sich ebenfalls durch diesen Entwurf: Sie empfinden die Verteidigung im Strafverfah- Darüber hinaus will die Bundesregierung bei einer ren als lästig für die Justiz. Damit sind Sie auf einem (B) drohenden Freiheitsstrafe von sechs Monaten bzw. einem schädlichen Irrweg; die diesbezügliche Kritik der (D) Jahr nicht automatisch einen Fall der notwendigen Ver- Bundesrechtsanwaltskammer sollte Ihnen ja bekannt teidigung anerkennen. Nach der Rechtsprechung des sein. EGMR ist im Interesse der Rechtspflege eine rechtliche Vertretung allerdings erforderlich, wenn überhaupt eine Wissen Sie, ich war als Referendar einem älteren Kol- Freiheitsstrafe auf dem Spiel steht. Der europarechtliche legen zur Ausbildung zugeteilt, der früher gelegentlich Fair-Trial-Grundsatz umfasst das Recht auf einen Rechts- als Vertreter eines Kollegen am Volksgerichtshof aufzu- beistand, insbesondere die Anwesenheit des Anwalts und treten hatte. Dieser hat mir nachdrücklich und anschau- die aktive Beratung während der gesamten Vernehmung. lich die Bedeutung eines fairen Verfahrens und die Not- Eine Einschränkung ist nur aus zwingenden Gründen ge- wendigkeit einer Verteidigung, die diesen Namen auch rechtfertigt. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, verdient, klargemacht. Keine Angst, ich will ihr Gesetz die notwendige Verteidigung für sämtliche Fälle vorzu- keineswegs in die Nähe der NS-Justiz rücken. Aber diese sehen, bei denen eine Freiheitsstrafe auf dem Spiel steht. Lehre aus der Unrechtsjustiz lag schon vor nun knapp 40 Jahren offen vor uns. Es wird endlich Zeit, die richti- Um der Bundesregierung etwas Schützenhilfe zu ge- gen Schlussfolgerungen aus dieser Lehre zu ziehen. Un- ben und aufzuzeigen, wie eine europarechtskonforme sere Kritik an der detaillierten Ausgestaltung werden wir Umsetzung der PKH-Richtlinie gewährleistet werden im Ausschuss weiter konkretisieren kann, haben wir einen eigenen Antrag gestellt. Dann heißt es demnächst auch sonntagabends im Tatort: „Sie haben Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der das Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen leisten Regierungsentwurf dient der Umsetzung der Prozesskos- können, wird Ihnen einer zugewiesen.“ tenhilfe-Richtlinie (PKH-Richtlinie), durch die Beschul- digten in Strafverfahren das Recht auf eine effektive Ver- Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Das Thema, teidigung durch Zugang zu einem Rechtsbeistand um das es hier geht – den Beschuldigten unabhängig gewährleistet werden soll. von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit Rechtsbeistand zu gewähren –, ist wichtig. Leider wird diesem wichtigen Die Bundesregierung hat die Richtlinie zum Anlass Anliegen durch Ihren hier vorliegenden Entwurf eines genommen, das Recht des Beschuldigten auf eine effek- Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen tive Verteidigung zu erschweren. Das im deutschen Straf- Verteidigung nicht annähernd Rechnung getragen. prozessrecht bewährte Modell der notwendigen Verteidi- gung wird beibehalten. Dieses ist gleichwertig zum An einigen Stellen geht Ihr Entwurf zwar in die richtige Prozesskostenhilfemodell in Strafsachen, da es den Be- Richtung, wie etwa bei der Erweiterung der Beschuldig- darf eines Beschuldigten an einem Pflichtverteidiger vo- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14645

(A) raussetzt und die gerade im frühen Verfahrensstadium des lungen in den Gesetzentwurf aufzunehmen, wird es in (C) Strafverfahrens schwer zu beantwortende Frage der Be- letzter Konsequenz zu einem massiven Einschnitt in die dürftigkeit weniger stark gewichtet. Der Bundesregie- Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren kommen. rungsentwurf sieht vor, dieses schützende System bei der Verteidigerbestellung auszuhöhlen. Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir be- Die Bestellung von Pflichtverteidigern zeichnet sich fassen uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf eines nach bisherigem Recht dadurch aus, dass eine Mitwir- Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen kung durch den Beschuldigten in den von der Strafpro- Verteidigung. Dieses Vorhaben knüpft an das Zweite zessordnung genannten Fällen nicht erforderlich ist. Das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschul- Gesetz sieht für eine notwendige Verteidigung vor, dass digten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffen- dem Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite gestellt wird. rechts an, dass wir in der vergangenen Legislaturperiode Der Beschuldigte wird dadurch im Strafverfahren ge- beraten und beschlossen haben, um das deutsche Recht an stärkt beziehungsweise handlungsfähig. Es ist daher die Vorgaben der Europäischen Union zum Recht auf Zu- scharf zu kritisieren, dass der Regierungsentwurf die Ein- gang zu einem Rechtsbeistand anzupassen. Zur Umset- führung eines Antragserfordernisses für die Bestellung zung der sogenannten Prozesskostenhilfe-Richtlinie sind eines Pflichtverteidigers einführt. Diese Regelung ist jetzt Änderungen unseres Rechts der notwendigen Ver- ein Eingriff in die Rechte des Beschuldigten auf ein faires teidigung erforderlich, auch wenn das deutsche Strafver- Verfahren. Nur wenn sichergestellt ist, dass sich ein Be- fahrensrecht gerade mit dem System der Pflichtverteidi- schuldigter ordnungsgemäß in einem Strafverfahren gung die Beschuldigtenrechte bereits in hohem Maße verteidigen kann, sind die Grundzüge eines fairen Ver- schützt. fahrens gewährleistet. Durch das Antragserfordernis wer- den gerade Bürger benachteiligt, die zum ersten Mal mit Deutschland hat sich vor dem Hintergrund des hohen Strafverfolgungsorganen in Berührung geraten. Klare Wertes, den das deutsche Strafverfahrensrecht den Be- Strukturen und gesetzliche Vorgaben zum Schutze von schuldigtenrechten beimisst, auf internationaler und eu- Beschuldigten im Strafverfahren dienen gerade auch un- ropäischer Bühne immer besonders engagiert für einen bescholtenen Bürgerinnen und Bürger. hohen Standard der Beschuldigtenrechte in Strafverfah- ren eingesetzt. Dass wir dabei auch die Effektivierung des Ob der Fall einer Pflichtverteidigerbestellung ohne An- Strafverfahrens nicht aus den Augen verlieren, zeigt der tragserfordernis des Beschuldigten vorliegt, wird mit der in unserem Haus erarbeitete Entwurf eines Gesetzes zur vorgesehenen Gesetzesänderung in die Verantwortung Modernisierung des Strafverfahrens, der bereits in weni- und das Ermessen von Polizeibeamten gelegt, die in der gen Wochen Gegenstand einer Anhörung im Bundestag (B) Regel als Erste mit dem Beschuldigten in Berührung sein wird. (D) kommen. Dadurch wird die Grundlage für eine massive Ungleichbehandlung in Strafverfahren geschaffen. So ist Der vorliegende Gesetzentwurf konzentriert sich dem- es ein Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Ermittlun- gegenüber darauf, die verbleibenden Maßnahmen zu gen aufnimmt, der seine Laufbahn gerade erst begonnen treffen, die erforderlich sind, um gerade auch finanz- hat, oder ein Polizeibeamter, der bereits seit Längerem schwachen Beschuldigten europarechtskonform einen Berufserfahrung sammeln konnte. Für den Fall der beson- effektiven Zugang zu einer Verteidigerin oder einem Ver- deren Schutzbedürftigkeit eines Beschuldigten, in dem teidiger zu ermöglichen. Dabei soll das im deutschen von dem Antragserfordernis abzusehen ist, werden keine Strafverfahrensrecht seit Langem bewährte System der Kriterien vorgegeben, wann eine solche vorliegt. Auch notwendigen Verteidigung grundsätzlich beibehalten hier kommt es subjektiv auf die jeweilige Situation der werden. Vernehmung und des Vernehmungsbeamten an, ob der Die Rechte von finanzschwachen Beschuldigten wol- Beschuldigte den gebotenen Rechtsschutz erhält. Zu- len wir entsprechend den Richtlinienvorgaben insbeson- gleich regelt der Gesetzentwurf auch nicht die Verpflich- dere dadurch stärken, dass ihnen die Möglichkeit eröffnet tung von Polizeibeamten, im Falle einer notwendigen wird, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers oder einer Verteidigung die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu Pflichtverteidigerin in den Fällen notwendiger Verteidi- veranlassen. gung bereits in einem frühen Stadium des Strafverfah- Die Regelung, die Vernehmungen des Beschuldigten rens, also auch schon vor ihrer ersten Vernehmung, durch vor Mitwirkung eines Pflichtverteidigers durchzuführen, Stellen eines entsprechenden Antrags zu erreichen. Be- wenn der Beschuldigte hierauf verzichtet, ist ebenso stark schuldigte müssen damit künftig nicht mehr nur deshalb abzulehnen. auf eine frühzeitige Verteidigung im Ermittlungsverfah- ren verzichten, weil sie nicht die Mittel haben, einen Die Bundesregierung sorgt mit diesem Gesetzentwurf Wahlverteidiger oder eine Wahlverteidigerin aus eigener für einen Paradigmenwechsel im Strafverfahrensrecht, Tasche zu bezahlen. Allerdings soll es den Beschuldigten der dafür sorgt, dass sogar Bürger, die bereits von Ermitt- auch weiterhin freistehen, sich ihrer ersten wie auch wei- lungsmaßnahmen betroffen waren, nunmehr unaufgeklärt teren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren ohne an- über ihre Rechte im Strafverfahren sind. waltlichen Beistand zu stellen. Die geplanten Änderungen im Strafverfahrensrecht Diese Wahlfreiheit des Beschuldigten endet aber dort, sind mit dem Rechtsgrundsatz auf ein faires Verfahren wo nach den Richtlinienvorgaben kein Spielraum für eine nicht vereinbar und daher abzulehnen. Selbst wenn die Prüfung mehr besteht, ob die Verteidigerbestellung im Bundesregierung sich noch bemüßigen sollte, Klarstel- Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Das ist na- 14646 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) mentlich in den von der Richtlinie ausdrücklich geregel- Nun soll nach dem Willen der Koalition ein kleiner Teil (C) ten Fällen der Haft und der Vorführung vor einen Haft- des Geldes aus der ersten in die zweite Säule verschoben richter der Fall. Während eine Pflichtverteidigerbestel- werden. Ziel ist, mehr öffentliche Leistungen, zum Bei- lung nach derzeitiger Rechtslage erst erfolgen muss, spiel für Natur- und Klimaschutz, honorieren zu können. wenn Untersuchungshaft im regulären Strafverfahren tat- Denn die Gelder der ersten Säule werden pro Hektar sächlich vollstreckt wird, fordert das europäische Recht, bewirtschafteter Fläche verteilt und viel zu wenig für dass ein staatlich zumindest vorfinanzierter Rechtsbei- öffentliche Leistungen, was verschiedene Studien auch stand bereits dann zur Verfügung gestellt wird, wenn belegen. Und auch ihr ursprüngliches Ziel der Stabilisie- der oder die Beschuldigte dem Gericht zur Entscheidung rung der ohnehin oft niedrigen Einkommen in Agrarbe- über eine Haft vorgeführt wird. Dabei differenziert das trieben erfüllen die Flächenprämien nur noch begrenzt. europäische Recht gerade nicht zwischen unterschiedli- Letztlich fließen deshalb aktuell zum Beispiel viele För- chen Haftgründen, sondern geht davon aus, dass Haft dergelder in die Taschen von landwirtschaftsfremden In- gleich Haft ist. Im System der notwendigen Verteidigung vestoren oder Landbesitzenden und kommen damit zu ist deshalb eine Pflichtverteidigerbestellung von Amts wenig den Menschen, der Natur oder der Gesellschaft wegen auch bei Haft im beschleunigten Verfahren und zugute. Das kritisiert auch Die Linke schon lange. Diese bei der sogenannten Hauptverhandlungshaft geboten, Gerechtigkeitslücke muss geschlossen werden. die verhängt werden kann, wenn der Angeklagte nicht zur Verhandlung erscheint. Im Auslieferungsrecht bedarf Eine Möglichkeit wäre eine Kürzung der Flächenprä- ein Festgenommener besonderen Schutzes, da er sich mit mie zugunsten der freiwilligen Programme. Aber das zwei verschiedenen Rechtssystemen konfrontiert sieht. In Leben ist oft etwas komplizierter. Denn das hat auch konsequenter Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie ist Nachteile: Zum Beispiel können nicht alle nachhaltig daher die Bestellung eines Rechtsbeistandes ab dem Mo- wirtschaftenden Agrarbetriebe die Kürzung ihrer Flä- ment der Festnahme vorgesehen. chenprämie über die Teilnahme an freiwilligen Program- men ausgleichen, zum Beispiel sind Weidetierhalterinnen Ich bin zuversichtlich, dass wir das Gesetzgebungsvor- und -halter, deren Flächen nicht in den vorgesehenen För- haben, das schließlich auch im Bundesrat weitgehende dergebieten liegen, auf die Flächenprämie angewiesen. Zustimmung gefunden hat, damit zügig abschließen kön- Wir können doch kein Interesse daran haben, dass sie nen, um unseren europäischen Verpflichtungen nunmehr aufgeben und noch schneller von den Heuschrecken auf- nachkommen zu können. gekauft werden. Auch kleine und Nebenerwerbsbetriebe könnten noch mehr unter Druck geraten. Denn gerade die Agrarbetrie- (B) be, die mit dem Rücken zur Wand stehen, haben oft gar (D) Anlage 16 nicht die Kraft, Fördermittel zu akquirieren. Außerdem werden im Rahmen dieser Programme höchstens die Kos- Zu Protokoll gegebene Reden ten gedeckt. Es fehlt bisher eine echte Einkommenswirk- samkeit. zur Beratung Deshalb bleibt es für Die Linke Ziel, flächendeckend – des von der Bundesregierung eingebrachten wichtige Gemeinwohlleistungen verpflichtend und mit Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung einem Einkommensbonus in der ersten Säule zu veran- des Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes kern. Landwirtschaftsfremde Investoren müssen dagegen von Agrarsubventionen ausgeschlossen werden. Und lei- – des Antrags der Abgeordneten Friedrich der belegen Studien eben auch, dass circa 30 Prozent der Ostendorff, Steffi Lemke, Harald Ebner, weiter- Mittel der zweiten Säule in den Verwaltungen hängen er Abgeordneter und der Fraktion BÜND- bleiben, was die Wirksamkeit der Verschiebung auch be- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten schränkt. Dass die Programme der zweiten Säule nach Dr. Kirsten Tackmann, Kersten Steinke, wie vor ohne parlamentarische Beteiligung geschrieben Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter werden, wie gern behauptet wird, spricht nicht zwingend und der Fraktion DIE LINKE: Weidetierprä- gegen diese Umverteilung, aber eben auch nicht zwin- mie für Schafe und Ziegen jetzt auf den Weg gend dafür. bringen Richtig ärgerlich an dem Gesetzentwurf ist allerdings (Tagesordnungspunkt 25 und Zusatzpunkt 13) das, was nicht drinsteht. Denn wieder soll es keine Wei- detierprämie geben, die aber dringend gebraucht wird. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Heute geht es Als Linke fordern wir sie seit Jahren. Gerade hat sich um die Frage, wie die Verteilung der EU-Agrarförderung auch der Bundesrat sehr eindeutig dafür ausgesprochen. gerechter werden kann. Konkret: Die EU-Agrarfördergel- Sie weiter zu verweigern, ist unterlassene Hilfeleistung. der werden über zwei Säulen verteilt. Die deutlich größ- Ausgerechnet in dem Bereich der Tierhaltung, der für uns ere erste Säule umfasst die Flächenprämie, die pro Hektar alle wichtig ist, weil die Agrarlandschaft, die Natur und direkt an die Agrarbetriebe gezahlt wird. Die zweite Säule die Deiche tiergerecht gepflegt werden, wird der Tierhal- umfasst den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die ter aber dafür durch den Markt nicht entlohnt, und die Entwicklung des ländlichen Raums, kurz ELER. Über ihn Hirtinnen und Hirten werden auch beim Herdenschutz werden vor allem freiwillige Programme wie zum Bei- längst nicht so unterstützt, wie das existenziell erforder- spiel Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen finanziert. lich wäre. Solange diese Gerechtigkeitslücke nicht end- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14647

(A) lich geschlossen wird, kann Die Linke keinesfalls einem Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär bei der (C) solchen Gesetz zustimmen. Deshalb beantragen Linke Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: und Grüne eine solche Weidetierprämie heute erneut. Zunächst möchte ich Ihnen kurz den Gesetzesentwurf der Bundesregierung vorstellen, damit alle wissen, worü- ber wir diskutieren: Mit der Änderung des Direktzahlun- Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen-Durchführungsgesetzes will die Bundesregierung die Endlich haben Sie von CDU/CSU, aber auch die Bundes- Umschichtung der im Rahmen der Gemeinsamen Agrar- ministerin erkannt, dass bis zu 15 Prozent der Flächen- politik (GAP) bereitgestellten Mittel aus der ersten in die zahlungen der ersten Säule umgeschichtet werden kön- zweite Säule für 2020 um 1,5 Prozentpunkte moderat nen. Allerdings ist die leichte Anhebung von 4,5 Prozent erhöhen – von derzeit 4,5 auf 6 Prozent. Insgesamt sollen auf 6 Prozent nach wie vor wenig ambitioniert. so 301 Millionen Euro für das Antragsjahr 2020 umge- schichtet werden. Der letzte Vorschlag der alten EU-Kommission, die Mittel der zweiten Säule um ungefähr 15 Prozent zu kür- Durch die Erhöhung müssen die Landwirte zusätzlich zen, würde massive Einschnitte für viele wichtige Um- auf etwa 4,50 Euro pro Hektar bei den Direktzahlungen weltprojekte bedeuten. Die Förderung für Umwelt-, Na- verzichten. Wenn wir von einem durchschnittlichen Be- tur- und Tierschutz auszubauen, ist gänzlich unmöglich. trieb mit 60 Hektar ausgehen, dann sind das etwas weni- Deshalb ist es unbedingt erforderlich, bei knapper werd- ger als 300 Euro, genauer gesagt 270 Euro pro Betrieb. enden Haushaltsmitteln den Unsinn der Gießkannenför- Ich glaube, das ist verkraftbar für unsere bäuerlichen Be- derung leistungslos auf die Fläche zu reduzieren. Das triebe, zumal über 90 Prozent der Mittel über Programme Prinzip „Wer viel hat, dem wird gegeben“ ist anachronis- der zweiten Säule an landwirtschaftliche Betriebe zurück- tisch. Das sorgt weiterhin für eine Verschärfung innerhalb fließen. der Landwirtschaft, wodurch es kleinen und mittleren Betrieben immer schwerer gemacht wird, mit den großen Die Entscheidung der Bundesregierung für diese mo- Agrarkonzernen um Flächen zu konkurrieren. derate Erhöhung der Umschichtung kommt für viele Landwirte überraschend. Viele treibt die Sorge um, dass Dieser Entwicklung muss durch die Umschichtung der dies der Einstieg in einen schleichenden Ausstieg aus den ersten in die zweite Säule entgegengewirkt werden. Die Direktzahlungen bedeutet. Doch auch nach 2020 wird es vom Bundesrat geforderte Erhöhung der Umschichtung eine primäre Aufgabe der GAP sein, die Einkommen un- auf 8,5 Prozent ist zwar besser, aber auch noch unzurei- serer Landwirte mit Direktzahlungen zu stützen, damit sie chend. Die jetzt ausstehende Erhöhung um 1,5 Prozent auch weiterhin ihrer verantwortungsvollen Aufgabe – die sind rund 75 Millionen Euro. Das sind gerade einmal Erzeugung unserer Lebensmittel – nachkommen können. (B) 4,50 Euro pro Hektar! Der Bundesratsansatz von 8,5 Pro- Gleichzeitig müssen wir mit der künftigen GAP auch auf (D) zent würde immerhin noch zusätzlich 125 Millionen Euro die großen Herausforderungen reagieren, vor denen die in die zweite Säule umschichten. Landwirtschaft steht: im Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz. Was den Erhalt von Dauergrünland angeht, zeigt sich wieder einmal, wie viel Arbeit das Ministerium in den Tatsächlich ist die Erhöhung der Umschichtung auf Ausbau von Schlupflöchern steckt. Wenn ein Betriebsin- 6 Prozent ein guter Kompromiss. Die umgeschichteten haber jedes Jahr bis zu 500 Quadratmeter Dauergrünland Mittel kommen auch weiterhin der Landwirtschaft und umwandeln darf, ohne dafür eine Genehmigung einzuho- der Vitalisierung ländlicher Räume zugute – also auch len, erschwert es wieder den so notwendigen Grünlander- unseren Bauern. Und unsere Bundesländer erhalten damit halt. Auch kleine Grünlandflächen sind zum Beispiel für die Möglichkeit, ihre Förderprogramme für Leistungen den Insekten- und Artenschutz von erheblicher Bedeu- der Landwirte im Klima- und Umweltschutz durchzufi- tung. Sie dürfen nicht durch eine einfache Bagatellrege- nanzieren. Das sind zum Beispiel Maßnahmen zur För- lung gefährdet werden. derung des ökologischen Landbaus, der Grünlandextensi- vierung sowie der Erweiterung der Fruchtfolgen zur Weiter ignoriert der Änderungsentwurf die angespann- Steigerung der Biodiversität. Darüber hinaus können sie te Situation der noch circa 900 verbliebenen Wanders- neue Anträge bewilligen, zum Beispiel für den Ökoland- chäfer in Deutschland, die ohne eigene Flächen wirt- bau. schaften. Diese traditionelle Form der Haltung von Etliche Länder haben hier sowie in der Agrarumwelt- Schafen und Ziegen ist nicht nur besonders tiergerecht, förderung weiteren Finanzierungsbedarf. Die Erhöhung sondern trägt auch einen wichtigen Teil zur Pflege der der Umschichtung ist somit ein Beitrag zu einer nach- ländlichen Räume bei. Leider ist sie durch die schlechten haltigeren und umweltschonenderen Bewirtschaftung Preise unwirtschaftlich. und greift damit ein wichtiges Anliegen der Gesellschaft auf. Eine weitere Erhöhung der Umschichtung – womög- Es muss endlich gehandelt werden. Die Einführung lich bis zu 15 Prozent, wie auch vorgeschlagen wurde – einer Weidetierprämie, wie vom Bundesrat gefordert, ist lehnt die Bundesregierung aber ab. dringend notwendig. Deshalb stellen wir gemeinsam mit den Linken den Antrag, zukünftig jedes Muttertier mit Aus gutem Grund: Die Länder haben zwar die Verant- 30 Euro zu fördern. In Zeiten, in denen die Umwelt- wortung, die ELER-Mittel insgesamt zu verausgaben. und Klimaprobleme immer deutlicher werden, muss end- Gleichzeitig verfügen sie aber über ein höchst unter- lich zielgerecht entschieden werden. Halbherzigkeit wird schiedliches Absorptionsvermögen, diese Mittel auch zu dem nicht mehr gerecht. nutzen. Noch mehr Mittel als von der Bundesregierung 14648 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) vorgeschlagen in die zweite Säule umzuschichten, birgt Entwurf angeht und die wir in den nächsten Wochen noch (C) deshalb das Risiko, dass EU-Mittel am Ende dort gar ausführlich beraten werden, möchte ich an dieser Stelle nicht genutzt werden und somit verfallen würden. Das nur einige herausgreifen: ist nicht vermittelbar: weder unseren Landwirten noch der breiten Öffentlichkeit. Die Bundesregierung begrüßt Erstens. Im Mittelpunkt des Entwurfes steht die dauer- daher, dass der Bundesrat dies auch so sieht. hafte Festschreibung der Wertgrenze für die Nichtzulas- sungsbeschwerde in Zivilsachen in Höhe von 20 000 Euro Der Vorschlag der Bundesregierung ist ein guter Kom- in § 544 Absatz 2 ZPO n. F., bislang im EGZPO. Das ist promiss für unsere Landwirte und Verbraucher, für das zunächst einmal insoweit richtig, als damit das unwürdige Klima und die Umwelt genauso wie für unsere Höfe und Verfahren immer wieder nur befristeter Verlängerungen die ländliche Entwicklung. Daher bitte ich Sie, den Ge- dieses jetzt schon geltenden Rechtszustandes ein Ende setzesentwurf der Bundesregierung zu unterstützen. findet. Das ist aber auch sachlich richtig, weil es zur Ehr- lichkeit gehört, einzugestehen, dass Recht Geld kostet und dass auch das staatliche Justizsystem eine Ressource darstellt, die nur endlich zur Verfügung steht. Den Zu- Anlage 17 gang zu diesem System an eine leicht ermittelbare Größe, nämlich den Streitwert, anzuknüpfen, ist daher im Grund- Zu Protokoll gegebene Reden satz richtig. zur Beratung Das erschwert allerdings den Revisionszugang für Sachverhalte, die nur einen kleinen Streitwert haben, a) des von der Bundesregierung eingebrachten gleichwohl aber – insbesondere wegen ihres häufigen Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der oder wiederholten Auftretens – hohe rechtspolitische Be- Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde deutung. Allerdings lässt sich dieses Problem in der Pra- in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung xis durchaus lösen, etwa durch entsprechende Angaben bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zum Streitwert – die dann naturgemäß, aber zu Recht zivilprozessrechtlicher Vorschriften auch höhere Kosten nach sich ziehen –, vor allem aber b) des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, durch die Zusammenfassung von Verfahren. Gerade in Dr. Manuela Rottmann, Luise Amtsberg, wei- diesem letzten Punkt wird aber im Zusammenhang mit terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- den weiteren Reformüberlegungen zum kollektiven NIS 90/DIE GRÜNEN: Zivilprozess im 21. Jahr- Rechtsschutz zu prüfen sein, wie schon von Gesetzes hundert – Verfahren und Abläufe effektiv wegen mit Fällen umzugehen ist, in denen der Streitwert (B) gestalten im rechtlichen Einzelfall klein, die wirtschaftliche (D) Bedeutung wegen der faktischen Auswirkung auf ver- c) des Antrags der Abgeordneten Dr. Manuela gleichbare Fälle aber deutlich größer ist. Auf diese Frage Rottmann, Katja Keul, Oliver Krischer, weiter- weist der Antrag der FDP – Drucksache 19/14038 – zwar er Abgeordneter und der Fraktion BÜND- hin, aber ohne wirklich weiterführende Lösungsansätze NIS 90/DIE GRÜNEN: Zivilprozess im 21. Jahr- zu bieten. Der Antrag der Grünen – Drucksache hundert – Strategischer Verhinderung der 19/14027 – gibt demgegenüber zu diesem Problemkreis Revision entgegenwirken durchaus bedenkenswerte Anregungen. – des Antrags der Abgeordneten Stephan Zweitens. Einen weiteren hier erwähnenswerten Thomae, Katrin Helling-Plahr, Grigorios Schwerpunkt des Gesetzes stellen die erweiterten Vorga- Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- ben für die Spezialisierung der Land- und Oberlandesge- tion der FDP: Zivilprozesse modernisieren – richte dar, § 72a Absatz 1, Nummern 5 bis 7 GVG-E und Für ein leistungs- und wettbewerbsfähiges Ver- entsprechend § 119a GVG-E. Neben den Pressesachen fahrensrecht und dem Erbrecht möchte ich naturgemäß das Insolvenz- – des Antrags der Abgeordneten Katrin Helling- recht hier in besonderer Weise hervorheben. Plahr, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Dem Insolvenzrecht wird damit künftig dieselbe Spe- FDP: Nichtzulassungsbeschwerde auch bei klei- zialisierung zuteil, wie sie für „Handelssachen“ in Form nen Streitwerten zulassen – Wertgrenze bei der der Kammern für Handelssachen schon seit Ewigkeiten Nichtzulassungsbeschwerde wieder abschaffen gilt. Und das ist richtig so, weil es sich jedenfalls bei den praktisch wichtigsten Insolvenzen, nämlich den Unter- (Tagesordnungspunkt 26 a bis c sowie Zusatzpunk- nehmensinsolvenzen, der Sache nach ebenfalls um Wirt- te 14 und 15) schaftsrecht handelt. So sehen dies auch verschiedene ausländische Rechtsordnungen. Die Änderungen sind da- Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Wir beraten heute in her ein erster Schritt in die Richtung einer Stärkung auch erster Lesung den von der Bundesregierung eingebrach- des Standorts Deutschland für wirtschaftsrechtliche Strei- ten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze tigkeiten, wie dies im Allgemeinen Teil der Gesetzesbe- für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum gründung zu Recht hervorgehoben wird. Dass sie ande- Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur rerseits noch nicht ausreichen, wie sowohl der Grünen- Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften. Antrag – Drucksache 19/14028 – als auch der FDP-An- Unter den zahlreichen wichtigen Detailfragen, die der trag – Drucksache 19/14037 – hervorheben, ist richtig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14649

(A) Aber weitere Schritte in diese Richtung werden noch fol- lige Befristung hingewiesen und eine Verstetigung ange- (C) gen. mahnt. Im Detail ist hervorzuheben, dass nach der Vorstellung Nach sieben Befristungen innerhalb von achtzehn Jah- der Entwurfsverfasser zu den von der neuen Spezialzu- ren soll nun mit diesem Gesetzentwurf die Wertgrenze ständigkeit erfassten insolvenzrechtlichen Streitigkeiten von 20 000 Euro verstetigt werden. Ich halte dies für unter anderem gehören sollen: „Haftungsklagen gegen einen richtigen Schritt, da wir mit einer solchen Regelung Geschäftsleiter wegen Zahlungen bei materieller Insol- nun für Rechtsuchende, aber auch für die Rechtsanwen- venz nach § 64 des Gesetzes betreffend die Gesellschaf- der in der Justiz und Anwaltschaft, mehr Rechtssicherheit ten mit beschränkter Haftung und vergleichbaren An- schaffen. spruchsgrundlagen wie § 92 Absatz 2, § 93 Absatz 2 Vor allem sichern wir aber die Funktionstüchtigkeit des Nummer 6 des Aktiengesetzes oder die §§ 130a, 177a Bundesgerichtshofs und verhindern eine Überflutung der des Handelsgesetzbuchs (HGB) sowie Klagen, mit denen Zivilsenate mit Nichtzulassungsbeschwerden. Bereits nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO heute stehen sich zugelassene Revisionen und Nichtzu- und vergleichbaren Anspruchsgrundlagen wie die lassungsbeschwerden im Verhältnis von 1:5 gegenüber. §§ 130a, 177a HGB Haftungsansprüche wegen Insol- Ein Wegfall der Streitwertgrenze würde demnach die venzverschleppung geltend gemacht werden.“ Das über- Zahl der Nichtzulassungsbeschwerden noch weiter an- zeugt in der Sache, kann aber möglicherweise noch Ab- steigen lassen. Dazu kommt noch, dass die Zulassungs- grenzungsbedarf zur Kammer für Handelssachen quote im einstelligen Prozentbereich liegt und damit, auf schaffen. wenige Fälle beschränkt, nicht erfolgreich ist. Drittens. Dass der Entwurf schließlich – noch – keine Sicherlich wäre eine andere Möglichkeit, den Bundes- Vorgaben zur Digitalisierung der Justiz enthält – so die gerichtshof mit Personal- und Sachmitteln so auszustat- Kritik der Grünen in Drucksache 19/14028 –, ist richtig. ten, dass künftig alle Nichtzulassungsbeschwerden ohne Aber seien Sie sicher: Hier werden wir in den in Vorbe- Rücksicht auf den Streitwert entschieden werden können. reitung befindlichen Gesetzgebungsverfahren noch nach- Aber wären damit die Aufgaben des Bundesgerichtshofs legen. Schließlich haben wir diesen Punkt nicht ohne als eines der obersten Gerichtshöfe noch gewährleistet? Grund im Koalitionsvertrag gerade für das Insolvenzrecht Bei einer deutlich erhöhten Zahl an Zivilsenaten möchte verbindlich vereinbart. Wir haben aber bereits bei der ich bezweifeln, ob eine überschaubare und vor allem ein- Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspost- heitliche Rechtsprechung noch gewährleistet werden fachs gesehen, dass man sich dem Sachverhalt aufgrund kann. Das ist aber gerade die Aufgabe eines obersten Ge- seiner Komplexität in einem angemessen ausführlichen richtshofs: Rechtseinheit sichern, grundsätzliche Rechts- (B) Rahmen widmen muss. fragen klären und Recht fortbilden. (D) Ich freue mich auf die weitere Beratung. Für die richtige Tatsachenfeststellung und Rechtsan- wendung stehen vielmehr zwei Instanzen in der Justiz Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): In Zivilsachen ist der der Länder zur Verfügung. Je nach Eingangsinstanz, ob Zugang zum Bundesgerichtshof durch die Zulassung der Amts- oder Landgericht, entscheiden über die Berufun- Revision durch das Berufungsgericht möglich. Als Zulas- gen die Land- oder Oberlandesgerichte und gewährleisten sungsvoraussetzung zählt § 543 Absatz 2 BGB die grund- die notwendige Einzelfallgerechtigkeit. In den Bundes- sätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Notwendigkeit ländern wird eine qualitativ hochwertige Rechtsprechung der Fortbildung des Rechts oder die Gewährleistung einer geleistet, die maßgeblich zu Rechtssicherheit und Rechts- einheitlichen Rechtsprechung auf. Das erfolgt völlig un- frieden beiträgt. Mit dem Pakt für den Rechtsstaat wird abhängig vom Streitwert. Wird die Revision nicht zuge- auch die Länderjustiz nochmals personell verstärkt, um lassen, so kann gleichwohl eine Nichtzulassungsbe- diese Standards zu erhalten und weiter ausbauen zu kön- schwerde erhoben werden. Der Bundesgerichtshof prüft nen. Ich sehe deshalb keine Notwendigkeit, einen Rechts- anschließend, ob das Berufungsgericht die Voraussetzun- weg über drei Instanzen für jeglichen Rechtsstreit bereit- gen der Zulassung verkannt hat. In diesen Fällen hat der zustellen. Der Bundesgerichtshof soll sich vielmehr auf Streitwert eine Relevanz, da die Nichtzulassungsbe- seine Kernaufgaben besinnen. schwerde an die Bedingung einer Beschwer von über Die Verstetigung der Wertgrenze der Nichtzulassungs- 20 000 Euro anknüpft. beschwerde ist sicherlich das Hauptanliegen dieses Ge- setzgebungsvorhabens. Allerdings finden sich noch wei- Nun ist es noch nicht so lange her, dass wir letztmals tere wichtige Regelungen zur Stärkung der Justiz und der über die Befristung dieser Wertgrenze in diesem Haus Steigerung der Effizienz des Zivilprozesses in diesem gesprochen haben. Mit Gesetz vom 21. Juni 2018 wurde Gesetzentwurf. die Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde in § 26 Nummer 8 S. 1 EGZPO erneut um eineinhalb Jahre, Mit der Aufnahme weiterer obligatorischer Spezial- bis zum 31. Dezember 2019, verlängert. Das Auslaufen spruchkörper bei den Land- und Oberlandesgerichten dieser Regelung ist der Grund, weshalb wir nun heute wird die Spezialisierung weiter ausgebaut. Künftig soll erneut darüber beraten. Es war für uns auch damals schon es spezielle Kammern und Senate für Pressesachen, das gewissermaßen befremdlich, dass wir eine Regelung aus Erbrecht, insolvenzrechtliche Streitigkeiten und Be- dem Jahr 2001 nach wiederholten Befristungen erneut schwerden sowie Anfechtungssachen nach dem Anfech- verlängerten. Wie andere Kollegen habe auch ich in den tungsgesetz geben. Wie es in der Anwaltschaft bereits Ausschussberatungen und Plenarreden auf eine letztma- geschehen ist, müssen wir auch bei den Gerichten den 14650 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) Sachverstand für diese Rechtsmaterien noch weiter bün- Außerdem ist es nicht erklärlich, warum familienge- (C) deln. Auf der anderen Seite können wir in unserem föde- richtliche Streitigkeiten der Nichtzulassungsbeschwerde ralen System mit großen Gerichten in den Ballungszent- nicht zugänglich sind. Gerade auch im Familienrecht be- ren und eher kleineren Gerichten in der Fläche nicht den steht großer Bedarf an einer Vereinheitlichung der Recht- gleichen Spezialisierungsgrad garantieren. Deshalb er- sprechung sowie der Sicherstellung eines Gleichlaufs mit halten die Landesregierungen die Ermächtigungsbefug- sonstigen zivilgerichtlichen Verfahren. Dass dort Nicht- nis zur Errichtung weiterer Spezialspruchkörper und kön- zulassungsbeschwerden nicht statthaft sind, ist nicht nur nen flexibel auf die jeweiligen regionalen und systemwidrig, sondern im Hinblick auf die gerade in Fa- strukturellen Situationen in den Ländern reagieren. Zu- miliensachen regelmäßig bestehende herausragende letzt wird mit einer Vielzahl von punktuellen Änderungen Wichtigkeit der Entscheidungen für die Betroffenen ge- der ZPO die Effizienz des Zivilprozesses gesteigert. So radezu ignorant. Lassen Sie uns das ändern! soll künftig die Hinzuziehung von Sachverständigen auch Und schließlich: Wenn Sie, liebe Bundesregierung und außerhalb einer förmlichen Beweisaufnahme zur Unter- Kolleginnen und Kollegen von der GroKo, wissen möch- stützung des Gerichts möglich sein oder die Vorausset- ten, wie ein zukunftsorientierter und moderner Zivilpro- zungen des gerichtlichen Vergleichs vereinfacht werden. zess aussehen kann: Schauen Sie sich unseren Antrag Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Wir „Zivilprozesse modernisieren – Für ein leistungs- und brauchen aber vor allem einen schnellen Abschluss des wettbewerbsfähiges Verfahrensrecht“ an. Gesetzgebungsverfahrens, damit die Streitwertgrenze der In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Diskus- Nichtzulassungsbeschwerde ab dem 1. Januar 2020 fort sion im Ausschuss. gilt. Machen wir uns an die Arbeit. Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): Wir beraten heute Katrin Helling-Plahr (FDP): Heute Nacht haben wir erneut die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesge- den Gesetzentwurf zur Regelung der Wertgrenze für die richtshof. Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Ände- Unter Rot-Grün wurde 2001 die Zivilprozessordnung rung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften zu be- dahin gehend reformiert, dass die Zurückweisung soge- raten. nannter „offensichtlich unbegründeter“ Anträge auf Be- rufung nach § 522 ZPO vereinfacht wurde. Die Zurück- Der Entwurf enthält tatsächlich auch positive Gesichts- weisung ist per einfachen Beschluss möglich. Um punkte. So ist etwa die weitere Spezialisierung unserer hiergegen vorzugehen, ist die Nichtzulassungsbeschwer- Zivilgerichte ausdrücklich zu begrüßen. de beim BGH ins Leben gerufen worden. Doch aktuell (B) (D) Bereits zum zweiten Mal in dieser Wahlperiode disku- gilt eine Wertuntergrenze von 20 000 Euro, damit eine tieren wir nun über die Wertgrenze für die Nichtzulas- solche Beschwerde überhaupt erst zulässig ist. Liegt der sungsbeschwerde in Zivilsachen. Nachdem die Bundes- Beschwerdewert unter dieser Grenze, gibt es kein Rechts- regierung die Übergangsregelung in dem EGZPO immer mittel. und immer wieder verlängert hat, wollen Sie die Wert- Auch wir Linken wollen unseren Rechtstaat stärken. grenze nun dauerhaft implementieren – das Ganze, ohne Vor allem in Zeiten schwindenden Vertrauens in Politik die Wertgrenze überhaupt einmal gründlich evaluiert zu ist es wichtig, dass unsere Justiz schnell und schlagkräftig haben. Holen Sie das endlich nach! handelt. Die Bürgerinnen und Bürger müssen darauf ver- trauen können, dass sie zu ihrem Recht kommen und An- Wir finden, die Bedeutung einer Rechtssache ist nicht sprüche geltend machen können. Das ist nur mit einem allein durch den Wert der mit der Revision geltend zu funktionierenden Rechtsstaat möglich. machenden Beschwer determiniert oder durch diesen li- mitiert. Auch Rechtsfragen aus regelmäßig weniger Meine Damen und Herren, Sie haben vielleicht bereits streitwertträchtigen Lebensbereichen müssen einer die Plakate der neuen Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“ höchstrichterlichen Klärung zugänglich sein und sind gesehen, einer Initiative, die vom Bundesjustizministe- nicht weniger wichtig als große Wirtschaftssachen. Eine rium in Auftrag gegeben wurde. Mit dieser bundesweiten dauerhafte Rechtswegverkürzung ist deshalb nicht hin- Kampagne will das Ministerium den Rechtsstaat sichtba- nehmbar und vor dem Hintergrund sinkender Eingangs- rer und verständlicher machen und das Vertrauen der Bür- zahlen an den Zivilgerichten nicht verständlich. Lassen gerinnen und Bürger in den Rechtsstaat stärken. Das fin- Sie uns die Wertgrenze deshalb schrittweise zurückfüh- den wir eine sinnvolle Initiative. ren. Doch wenn Sie es wirklich ernst meinen, das Vertrauen Wir sind weiter der Auffassung, dass die richtige Reak- der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat dauerhaft tion auf steigende Fallzahlen in höheren Instanzen auf- zu stärken, reicht eine nett gemeinte Posterkampagne grund mangelnder Akzeptanz von Rechtsprechung nicht nicht aus, dann sind eben Taten und wirksame Maßnah- Rechtswegverkürzung sein darf. Deshalb ist im Rahmen men gefragt, die auch ankommen. Vor diesem Hinter- eines effektiven und bürgernahen, einheitlich angewand- grund ist es kaum verständlich, wieso diese Übergangs- ten und auf echte Befriedungswirkung gerichteten Pro- regelung, wonach eine Nichtzulassungsbeschwerde erst zessrechts die Regelung des § 522 Absatz 2 ZPO zu strei- ab einem Streitwert von 20 000 Euro möglich sei, nun chen und den Parteien im Zuge einer mündlichen dauerhaft gemacht werden soll. Was hat dies mit einer Verhandlung stets die Möglichkeit zur mündlichen Kom- Stärkung des Rechtsstaates zu tun? Dies bedeutet eine munikation mit dem Berufungsgericht zu eröffnen. Schwächung unseres Rechtsstaates, keine Stärkung! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019 14651

(A) Denn dieser Richtwert ist sowohl völlig willkürlich als Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder das (C) auch viel zu hoch. Wie erklären wir den Bürgerinnen und Produkthaftungsrecht; vieles davon wurde durch die EU Bürgern, dass sie bei 19 900 Euro Beschwerdewert leider vorangetrieben. Aber materielle Ansprüche sind wenig Pech haben und kein Rechtsmittel gegen eine Zurückwei- wert, wenn das Verfahrensrecht im 19. Jahrhundert ste- sung zur Verfügung steht? Dies ist für viele Menschen cken bleibt. sehr viel Geld! Diese Ungleichbehandlung wird bei jeder Beschwerdewertgrenze fortbestehen – wir lehnen sie da- Zahlreiche Vorschläge der im Vorfeld des Entwurfs her ab! konsultierten Experten werden allerdings nicht berück- sichtigt. Reformen, die seit Langem von einer breiten Die Linke ist nicht der Meinung, dass alles unter Fachöffentlichkeit gefordert werden, wurden abermals 20 000 Euro Streitwert nicht den vollen Instanzenzug ignoriert: Im Regierungsentwurf findet sich nichts dazu, verdient. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerbera- die Kollegialentscheidung anstelle des Einzelrichters als tung berichtet mir von vielen Fällen, in denen Menschen Regel zu installieren. Die internationale Konkurrenzfä- wegen sehr viel geringerer Beträge als dieser Wertgrenze higkeit des Rechtsstandortes Deutschland steht massiv in die Schuldenfalle, in Existenznot, in völlige Verzweif- unter Druck, etwa vor dem Hintergrund von Commer- lung geraten. Genau diese Menschen haben auch ein cial-Court-Angeboten in Paris und Amsterdam. Die Recht auf alle Instanzen! Wir Linken sagen dazu: Die Schwierigkeiten und Erfahrungen der Gerichte bei der Reform der Zivilprozessordnung von 2001 ist geschei- Aufarbeitung großer Wirtschaftsskandale – vom Absturz tert! Sie hat weder zu einer Arbeitsentlastung beim der Telekom-Aktie bis zum Dieselskandal – bieten genug BGH noch zu einer entsprechenden Vereinheitlichung Anlass für Reformen, etwa für die Einführung echter der Rechtsprechung beigetragen. So entstehen durch die- Gruppenverfahren oder die Eindämmung des systemati- ses Gesetz einige Verfahren erst – zum Beispiel über die schen Herauskaufens aus der Revision. Höhe des Streitwerts. Meine Fraktion fordert daher, dass § 522 ZPO wieder abgeschafft wird. Wir wollen keine Eine echte Reform der Zivilprozessordnung steht aber Zurückweisung ohne mündliche Verhandlung durch ei- nicht auf der Agenda der Justizministerin. Dabei ist nicht nen unanfechtbaren Beschluss. die Strafgerichtsbarkeit, sondern eine moderne Zivilge- richtsbarkeit der Teil des Rechtsstaates, mit dem der Nor- Der eigentliche Grund für diese ganze Debatte heute ist malbürger die meisten Erfahrungen macht. Ich fürchte, klar: Unsere Gerichte sind nahezu flächendeckend seit dass wahrscheinlich auch zum 150. Geburtstag der ZPO Jahren viel zu schlecht ausgestattet. Die Richterinnen nicht Sie es gewesen sein werden, die ein Verfahrensrecht und Richter sind überlastet, die Verfahren dauern zu für das 21. Jahrhundert geschafft haben. lange. Bessern Sie hier endlich mit mehr Personal nach, (B) anstatt den Menschen ein Rechtsmittel zu verwehren! Ein Christian Lange, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- (D) Verstoß gegen den Geist des Rechtsstaates darf niemals ministerin der Justiz und für Verbraucherschutz: Seit dem mit einer Arbeitsentlastung beim BGH gerechtfertigt Jahr 2002 ist die gesetzliche Regelung, wonach die Be- werden! Die Linke wird diesen Gesetzesentwurf daher schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum ablehnen. Bundesgerichtshof in Zivilsachen einen Beschwerdewert von mehr als 20 000 Euro erfordert, befristet. Die Rege- Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lung ist seither immer wieder verlängert worden und hat NEN): Die Zivilprozessordnung trat vor 140 Jahren, am sich inzwischen in der Praxis bewährt. Sie verhindert eine 1. Oktober 1879 in Kraft. Sie stammt also aus einer Zeit, Überlastung des Bundesgerichtshofs und gewährleistet als es noch keinen Dieselskandal geben konnte. Denn damit, dass dieser seiner Aufgabe, für die Einheitlichkeit Rudolf Diesel meldete den Dieselmotor erst 1892 zum der Rechtsprechung und die Klärung grundsätzlicher Fra- Patent an. Es gab noch keine Massenschäden bei Verbrau- gen zu sorgen, dauerhaft nachkommen kann. Auswertun- cherinnen und Verbrauchern. Erst die Industrialisierung gen haben ergeben, dass sich die Eingangszahlen beim hat die Produktion von Massengütern überhaupt ermög- Bundesgerichtshof langfristig auf einem hohen Niveau licht. Es gab keine Konkurrenz zwischen Rechtsstandor- bewegen. ten in Europa und weltweit, während sich heute Unter- nehmen und Anleger den für sie international günstigsten So ist die Zahl der eingegangenen Revisionen und Gerichtsstand auswählen. Vor 140 Jahren dominierte der Nichtzulassungsbeschwerden zwischen 2011 und 2016 individuelle Rechtsstreit zwischen zwei gleich starken sogar signifikant angestiegen: von 3 357 im Jahr 2011 Parteien. Dafür hat die Zivilprozessordnung gute Dienste auf 4 545 im Jahr 2016. Der ganz überwiegende Teil geleistet. davon sind Nichtzulassungsbeschwerden. Seit 2017 ist zwar ein leichter Rückgang der Eingangszahlen zu ver- Nun vermisse ich keine Jubiläumsfeier, ich vermisse zeichnen, die Geschäftsbelastung des Bundesgerichtshofs aber die Erkenntnis im Justizministerium, dass wir das bleibt aber weiterhin hoch. Zeitalter der Industrialisierung schon lange hinter uns ge- lassen haben, dass das Zeitalter der Digitalisierung an- Im Jahr 2017 belief sich die Zahl der Revisionen und bricht, dass viele Privatrechtsverhältnisse von strukturel- Nichtzulassungsbeschwerden auf 4 127, davon 3 486 ler Ungleichheit zwischen Unternehmen mit großen Nichtzulassungsbeschwerden, und im Jahr 2018 auf Rechtsabteilungen und Kleingewerbetreibenden, Kunden 4 088, davon 3 600 Nichtzulassungsbeschwerden. Ohne oder Einzelaktionären geprägt sind. die Wertgrenze wäre mit einem erheblichen Anstieg von Nichtzulassungsbeschwerden zu rechnen, und es würde Auf viele dieser Veränderungen haben wir im materiel- zu einer nicht mehr tragbaren Belastung des Bundesge- len Recht reagiert, durch Verbraucherschutzrecht, das richtshofs kommen. Es ist an der Zeit, die Wertgrenze für 14652-14690 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Oktober 2019

(A) die Nichtzulassungsbeschwerde, nun – wie im Gesetzent- Schließlich soll durch den Gesetzentwurf die Effizienz (C) wurf vorgesehen – dauerhaft in der Zivilprozessordnung im Zivilprozess ohne Einbußen des Rechtsschutzes ge- festzuschreiben. steigert werden. Hierzu enthält der Gesetzentwurf ein ganzes Paket von Vorschriften. So sollen beispielsweise Der Gesetzentwurf enthält darüber hinaus auch eine Vergleichsschlüsse vor Gericht vereinfacht werden und Reihe weiterer Regelungen zur Stärkung der Justiz in Gerichte künftig über Nebenforderungen, Tatbestandsbe- Zivilsachen. Der Wandel der Lebensverhältnisse, die richtigungs- und Urteilsergänzungsanträge sowie die vor- wachsende Komplexität der Rechtsbeziehungen sowie läufige Vollstreckbarkeit ohne mündliche Verhandlung die veränderten Erwartungen an die Justiz machen immer entscheiden können, falls diese nicht erforderlich er- wieder gesetzliche Anpassungen des Verfahrensrechts er- scheint. forderlich.

Ein wichtiges Element des Gesetzentwurfs ist die wei- Der Gesetzentwurf enthält zahlreiche Regelungen zur tere Spezialisierung der Gerichte. Bereits mit dem Gesetz Stärkung der Qualität und Effizienz der Justiz in Zivil- zur Reform des Bauvertragsrechts vom 28. April 2017 sachen. Daher hat es uns gefreut, dass wir zu unserem wurden zum 1. Januar 2018 für Verfahren in Bau-, Arzt- Gesetzentwurf von den Ländern und den Verbänden sehr haftungs-, Bank- und Versicherungssachen obligatorische viele positive Rückmeldungen erhalten haben. Ich bin mir Spezialspruchkörper bei den Land- und Oberlandesge- sicher, dass wir mit den im Gesetzentwurf vorgeschlage- richten eingeführt. Diese Entwicklung wurde seither all- nen Regelungen einen wichtigen Beitrag leisten können, seits begrüßt und soll fortgesetzt werden. um die hohe Qualität der Ziviljustiz für die Zukunft zu So wollen wir, dass künftig auch in Pressesachen, er- sichern. Ich danke Ihnen schon jetzt für Ihre Unterstüt- brechtlichen Streitigkeiten und Insolvenzsachen bundes- zung. weit Spezialspruchkörper bei den Land- und Oberlandes- gerichten eingerichtet werden. Gerichtliche Verfahren erfordern in vielen Bereichen neben der Kenntnis des Prozessrechts und des materiellen Rechts ein tiefgreifen- Anlage 18 des Verständnis für die zu beurteilenden Sachverhalte sowie die damit verbundenen speziellen fachlichen und Erklärung nach § 31 GO praktischen Fragestellungen. Rechtsanwälte haben sich bereits seit Längerem auf bestimmte Rechtsmaterien spe- des Abgeordneten Wilfried Oellers (CDU/CSU) zu zialisiert. Mit der Spezialisierung bei den Gerichten, die der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- wir nun weiter ausbauen wollen, wird die Qualität richter- empfehlung des Ausschusses für Verkehr und digi- (B) licher Arbeit weiter gesteigert und eine effiziente Verfah- tale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- (D) rensführung begünstigt. ten Dr. Anton Hofreiter, Daniela Wagner, Oliver Wir wollen den Ländern außerdem die Möglichkeit Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion geben, bei sich noch weitere spezialisierte Spruchkörper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Allgemeine Höchst- einzurichten und Rechtsstreitigkeiten an ausgesuchten geschwindigkeit von 130 km/h auf Bundesautobah- Gerichten zu konzentrieren, wo dies sinnvoll erscheint. nen einführen Damit können die Länder auf regionale und strukturelle Besonderheiten flexibel Rücksicht nehmen und, falls nö- (Tagesordnungspunkt 30 f) tig, durch eine Konzentration von Sachen beispielsweise eine Spezialisierung auch in Gebieten vornehmen, wo die Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt. Mein Vo- Fallzahlen gering sind. tum lautet Ja.

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