Hanno Plass

Süda!rikanische Juden und Jüdinnen stellten im Verhältnis zu ihrer Anzahl ZWISCHEN überproportional viele Gegner*innen der . "ber !ün! Jahrzehnte leis- teten jüdische Aktivist*innen wie Esther und Hymie Barsel, Lionel »Rusty« und Hilda Bernstein, Rica Hodgson, , Denis Goldberg, Joe Slovo und Ruth First Widerstand gegen das Apartheid-Regime. Ihre Bereitscha!t, ihr ANTISEMITISMUS Leben !ür die Be!reiung vom rassistisch begründeten weißen Minderheitsregime zu riskieren, war keineswegs selbstverständlich. In diesem Buch untersucht Hanno Plass das Phänomen der überproportionalen Beteiligung jüdischer Süd- UND APARTHEID a!rikaner*innen hinsichtlich der Rolle, des Ein#lusses und der Motive der jüdi- schen Oppositionellen. Welche Er!ahrungen haben sich in ihren Entscheidungen zum Widerstand niedergeschlagen? Lässt sich darin eine »jüdische Er!ahrung«, Jüdinnen und Juden in Südafrika (1948–1990) eine Art »jüdischer Er!ahrungsraum« erkennen? Nach einem historischen "berblick, der einerseits die wesentlichen Weichen- stellungen !ür die Gesellscha!t der Apartheid skizziert und andererseits die Ko- ordinaten der jüdischen Community au!grei!t, stellt Hanno Plass unter Rück- gri!! au! biographische Zeugnisse und Interviews die Widerstandspraxis mit dem Hauptaugenmerk au! die jüdischen Aktivist*innen und deren Beteiligung wie auch ihre Stellung innerhalb der Opposition dar.

Hanno Plass, geboren 1980, studierte Geschichte und Soziologie an der Univer- sität Hamburg. Er ist Fellow am Zentrum !ür Antisemitismus!orschung in Ber- lin. 2015 hat Hanno Plass den Sammelband »Klasse Geschichte Bewusstsein. Was bleibt von Georg Lukács’ Theorie?« im Verbrecher Verlag herausgegeben. Heute ist er unter anderem in der poli tischen Bildungsarbeit der Rosa-Luxem- burg-Sti!tung in Hamburg tätig. !"#$#"%&"# !"#'() Verö!entlicht mit Unterstützung der Herbert und Elsbeth Weichmann-Sti"tung Hamburg

In memoriam Denis Goldberg (1933–2020)

Erste Au"lage Verbrecher Verlag Berlin 2020 www.verbrecherei.de

© Verbrecher Verlag 2020

Lektorat: Theresa Meschede Satz: Christian Walter Druck und Bindung: CPI Clausen & Bosse, Leck

ISBN #$%-&-#'$&(-)&(-*

Printed in Germany

Der Verlag dankt Fabrice Rüping. Abkürzungen $ $ 3.b Der Congress o! Democrats $ % & A"rikanistische Kritik an der Beteiligung des COD an der Kongress-Allianz $ $ % Der COD – ein jüdisch geprägtes Sammelbecken der weißen Linken $ $ ' 1. EINLEITUNG $ ) Exkurs: The Guardian und Fighting Talk – Publizistik als politische Praxis $ $ ( Der Congress o" the People und die von 1955 $ ' ) 1.a Fragestellung $ & Die Kommunistische Partei und ihre Rekonstituierung $ ' ( 1.b Forschungsstand $ + Parteikon"erenzen im Untergrund $ ) ) Die SACP-Auslandsgruppe in London $ ) * 1.c Theoretische Rahmung ) $ Die Diskussion um »Non-Racialism« $ ) + 3.c Nach dem Congress o! the People: Verschär!ung des Kon!likts $ ) ( 1.d Quellenlage )& Der Weg in den Untergrund: Sharpeville und das Ende des Legalismus 1960 $ , * 1.e Zum Au!bau der Arbeit ,% Diskussion um den »Speer der Nation« in Süda"rika $ - - Erste Anschläge gegen den Apartheidstaat: tollkühn und naiv $ - + 1.! Vorbemerkungen ,' Das National Committee "or Liberation / A"rican Resistance Movement $ - ( »Ein allerletztes Mal« – Die Razzia von Rivonia, 11.7.1963 $ & ) Wer ist jüdisch? ,' Der Antisemitismus der Sicherheitspolizei $ & * Schwarz, weiß, indisch und coloured in Süda"rika ,' Gender ,, 3.d Exkurs: Inhaltliche Arbeit: die These des »Colonialism o! a Persönliche Notiz ,, Special Type«, die Verabschiedung der Freedom Charter und Ronald Segals »A!rica South« $ * % 2. HISTORISCHER HINTERGRUND ,- Colonialism o" a Special Type (CST) $ * % Die Freedom Charter $ * , 2.a Jüdische Einwanderung nach Süda!rika im ./. und 01. Jahrhundert ,& A"rica South – intellektuelle Einheits"ront $ * ( Der zweite süda"rikanische Krieg (1899–1902) -) 3.e Push and Pull – Fluchtwege aus Süda!rika $ + , Politische Ausdi!erenzierung der jüdischen Gemeinscha"t -, ,konomischer Au"stieg – mühsam, aber stetig -* Bannung $ + - Innenpolitische Kon-ikte: Einwanderungsbeschränkung und Antisemitismus - + Detention: Gewahrsam und Schutzha"t $ + ( Die Periode des Zweiten Weltkriegs &' Untergetaucht in Swasiland $ ( % Im Ge"ängnis – Gewahrsam 1956 $ ( ' 2.b Die Entwicklung der Apartheid und der Widerstand &- Gewahrsam im Ausnahmezustand 1960 $ ( ) Widerstandskampagnen + ' »Bye, bye, blue sky!« – 90-Tage-Schutzha"t, 1964 '%% Au" dem Weg in den Untergrund + + Folter '%' Die Schlapobersky-A!äre 1969 '%, Mord(drohungen) '%& 3. WIDERSTAND – FLUCHT – EXIL () Ge"ängnisalltag nach 1964 ' % + Flucht aus Süda"rika ' $ $ 3.a Formen des Widerstands gegen die Apartheid () Exit Permits ' $ , Weichenstellung des Widerstands: Politisierung in der Armee () Passangelegenheiten / Grenzverkehr ' $ & 1948: Wahlsieg der »home "ront "ascists« (- Illegale Ausreise nach Botswana ' $ + Ernüchterung und Di!erenzen in der Opposition $ % % Ver"olgte und ihre Familien ' ' $ Das Tre!en in der Darragh Hall, November 1952 $ % $ Die Trennung von liberaler und radikaler Opposition $ % , 3.! Exil im Herzen des Commonwealth: »unsichtbare« Emigranten ''* Mit der Partei au" der Party , $ ( Exil, Emigration oder Diaspora? ' ' + Exkurs: Der Treason Trial (1956–1961) und der (1963–1964) ,'' Ankun"t in England ')' Hochverrat: Treason Trial, 1956–1961 ,'' Ansprechpersonen und Unterkun"t, Wohnorte und Au"enthalt ')- Sabotage: Rivonia Trial, 1963–1964 , ' + Etablierung, Au"enthaltsrecht und Asyl ' ) + Arbeitsplätze ' , $ 5. RÜCKKEHR ,)* Im inneren Kreis des politischen Exils '-, An den Rändern der Polit-Szene '-& 5.a Legalisierung des ANC und Remigration , ) + Wer geht und wer geht wann? ,,% 3.g Organisationsarbeit im Exil ' & $ Operation Vula – Absicherung der Veränderung und Anti-Apartheid Movement '&- Selbstverteidigung des ANC? ,,& Der ANC in London '*' Au"bau des »neuen« Süda"rikas und Regierungsverantwortung , - $ Internationale Solidarität – der International De"ence and Aid Fund '** Die South A"rican Communist Party im Exil ' + ) 5.b Verbleib im Exil ,-)

3.h Kon!likte in der politischen Diaspora '(- 5.c Umkämp!2e Vergangenheit – umkämp!2e Gegenwart? ,-- A"rikanistische Kritik am ANC: Die »Achterbande«, Der jüdische Beitrag zum Kamp" gegen die Apartheid in Süda"rika ,-& der PAC und Black Consciousness '(& Das SAJBD und die jüdischen Radikalen ,-( Kommunisten und Trotzkisten )%% Bruchstellen – Kon-ikte zwischen linken Aktivisten und der Community ,&' Exkurs: Searchlight South A"rica )%, Das AAM und die City o" London Anti-Apartheid Group ) % + 5.d Die Rolle der »weißen« jüdischen Anti-Apartheid-Aktivisten – eine Bilanz ,*% 4. VERORTUNGEN: ZWISCHEN JÜDISCHKEIT UND KOMMUNISMUS ) $ * 6. SCHLUSS ,*( 4.a Exkurs: Juden und süda!rikanischer Nationalismus ) $ +

4.b Wer bin ich? Selbstbewusstsein und Selbstbeschreibung )'( 7. DANK - % $ Pro.lierung der eigenen Identität )'( Ent"remdung von der Familie )'( Politik als Familientradition ))- 8. QUELLEN UND LITERATUR -%* Ent"remdung von der weißen Minderheit ) ) + Agitation innerhalb der jüdischen Minderheit ),% 8.a Interviews -%* Ent"remdung von der etablierten jüdischen Community ),' »Jode, julle predikant is hier« – Besuche des Rabbiners ),& 8.b Archivquellen, Privatarchive und E-Mail-Korrespondenz - % + Juden im Ge"ängnis )-% Archivquellen - % + Selbstbild und Zuschreibung: jüdisch vs. weiß? )-) Privatarchive - $ ' Familie und Ausbildung ) + $ 8.c Onlineartikel, -dokumente und Filme - $ ) 4.c "ber die Grenzen des Ethnischen hinweg? )(' Freundscha"t und Liebe )(, 8.d Periodika -'' Politik über die Farbschranke hinweg ,%' Das alternative Milieu der Opposition – Kultur, Politik und Freundscha"t , $ $ 8.e Literatur und gedruckte Quellen -') ABKÜRZUNGEN

Abkürzungen

AAM Anti-Apartheid Movement AAM Anti-Apartheid Movement Archives, Rhodes House, Bodleian Library, Ox!ord AES Army Education Scheme AGM Annual General Meeting (Jahreshauptversammlung) ANC A!rican National Congress ARM A!rican Resistance Movement Bund Allgemeiner jüdischer Arbeiterbund (osteuropäische jüdische Arbeiterpartei) CLAAG City o! London Anti-Apartheid Group COP Congress o! the People CPC Coloured People’s Congress (ehemals SACPO) CPSA Communist Party o! South A!rica (bis 1950) EC Executive Committee FEDSAW Federation o! South A!rican Women Frelimo Frente de Libertação de Moçambique ICS Institute o! Commonwealth Studies, Senate House, London JAA Jews Against Apartheid JFJ Jews !or Justice (Kapstadt) JSJ Jews !or Social Justice () JWC Jewish Workers Club / Yiddisher Arbeter Club KP Kommunistische Partei LBC Le!2 Book Club LBIYB Yearbook o! the Leo Baeck Institute MCA Mayibuye Centre Archives, University o! the Western Cape, Kapstadt MCF Movement !or Colonial Freedom MK Umkhonto We Sizwe, Speer der Nation MP Member o! Parliament, UK MPLA Movimento Popular Libertação de Angola NEUM Non-European Unity Movement NC National Committee NCL/ARM National Committee !or Liberation / A!rican Resistance Move- ment NP National Party PAC Pan-A!rican Congress

11 1. EINLEITUNG ABKÜRZUNGEN

RCG Revolutionary Communist Group SACPO South A!rican Coloured People’s Organisation (später CPC) SADET South A!rica Democracy Education Trust SAHA South A!rican History Archive, Johannesburg SACP South A!rican Communist Party (ab 1950/1953, vorher CPSA) 1. EINLEITUNG SACTU South A!rican Congress o! Trade Unions SAIC South A!rican Indian Congress SOMAFCO Solomon Mahlangu Freedom College SPSL Society !or the Protection o! Science and Learning (heute CARA, Council !or Assisting Re!ugee Academics) SWAPO South-West A!rica People’s Organisation (Namibische Be!reiungsbewegung) TIC Transvaal Indian Congress USAA Union o! South A!rican Artists Im Jahr 2011 wurde durch drei verschiedene a!rikanische Staaten ein Set Wits University o! the Witwatersrand Johannesburg von Sammlerbrie!marken herausgegeben, das au! den ersten Blick son- UCT University o! Cape Town (Universität Kapstadt) UNHCR United Nations High Commissioner o! Re!ugees derbar schien. Die zwöl! Marken waren süda!rikanischen Apartheids- UWC University o! the Western Cape (Universität des Westkaps) gegnern gewidmet, allerdings nicht den bekannten wie , Steve Biko oder Desmond Tutu. Die »legendären Helden A!rikas« waren explizit jüdische Aktivistinnen und Aktivisten. Eine begleitende Internetseite stellte sie in kurzen Porträts vor.4 Die Ehrung wird au! der Website wie !olgt begründet: In the anti Apartheid South African Liberation struggle, it was esti- mated that Jews were over represented by 2,500 percent in their pro- portion to the governing population. This stamp issue acknowledges the extraordinary sacri56ces made by Jews to the liberation of their Af- rican brethren, and these stamps recognize some of the most signi56cant contributors to global humanity in the 20th Century.7

Die Marken überraschen auch, weil die Gewürdigten in einem als »schwarz« wahrgenommenen Kon#likt als »weiß« galten und damit Mitglieder der »rassisch« privilegierten Bevölkerungsminderheit waren. Aus welchem Grund sollten sie also ihre Privilegien, ihre Karriere, ihre

. Siehe www.legendaryheroesofafrica.com/ (letzter Zugri8!: 28.05. 2013). 0 Siehe ebd. Mittlerweile ist der Inhalt der Website unter lhoa.weebly. com/ zu 56nden (letzter Zugri8!: 24.8.2016).

12 13 1. EINLEITUNG ABKÜRZUNGEN

Familien, ihre Gesundheit oder gar ihr Leben riskiert haben, um ein Ge- munisten war dies ein Einwanderungshintergrund. Esther war in Li- sellscha!tssystem zu verändern, das ihnen nur Annehmlichkeiten ver- tauen geboren worden; Hymie war Sohn litauischer Einwanderer nach sprach? Süda!rika. Die ostjüdische, genauer: litauisch-jüdische – litwakische – Erstaunlich war, dass kein Staat des subsaharischen A!rikas die Mar- Herkun!t, die, wenn nicht die eigene, so doch die !amiliäre Er!ahrung ken ausgab, sondern die westa!rikanischen Staaten Liberia, Gambia und von Hunger, Ausgrenzung, staatlicher Diskriminierung und antisemiti- Sierra Leone. Obwohl Sierra Leone zeitgleich mit dem osta!rikanischen scher Gewalt bedeutete, konstituierte ihren Er!ahrungshintergrund, vor Tansania die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangt hatte und Li- dem sie die Diskriminierung, Ausbeutung, Ausgrenzung und Gewalt beria sowieso unabhängig von den europäischen imperialen Mächten gegen die schwarze Mehrheit Süda!rikas wahrnahmen. Gochin rekapi- gewesen war, war keines der ausgebenden Länder !ür eine pro#ilierte Un- tulierte den Impuls der jüdischen Aktivisten, die sagten: »Wie kannst terstützung des Kamp!es gegen den Apartheidstaat bekannt. du nur daneben stehen und zuschauen, wie anderen das angetan wird, Au#klärung brachte ein Artikel im Jewish Journal aus Los Angeles.; was uns angetan wurde. Du musst dich erheben.« So hatte Grant Gochin, selbst süda!rikanisch-jüdischer Emigrant, die Für Hymie und Esther Barsel zog ihr Engagement schnell Repres- Idee gehabt, die Gedenkbrie!marken herauszugeben. Er wollte der po- sionen nach sich. Ihre Tochter Sunny Lubner, die 1976 in die USA pulären Gleichsetzung des israelischen Staates mit dem Apartheids- auswanderte, erinnerte sich, dass sie immer wussten, dass ihr Tele!on ab- regime etwas entgegensetzen, teilte er der Zeitung mit. Die Gedenkbrie!- gehört wurde. Ihr Vater war auch einer der Angeklagten im »Hochver- marken sollten dazu dienen, die Schmähung Israels als »Apartheidstaat« ratsprozess« von 1956, bei dem er aber wie auch alle anderen Angeklag- zurück- und au! den außerordentlichen Anteil jüdischer Süda!rikaner ten !reigesprochen wurde. Ihre Mutter hingegen wurde 1964 !ür drei und Süda!rikanerinnen am Be!reiungskamp! hinzuweisen. Gochin ist Jahre inha!tiert und stand danach vier Jahre unter Hausarrest.9 verwandt mit zwei der Porträtierten: Hymie und Esther Barsel waren Die zwöl! au! den Brie!marken abgebildeten Jüdinnen und Juden sein Onkel und seine Tante. Neben dem beabsichtigten au#klärerischen stehen stellvertretend !ür die signi#ikante Beteiligung von süda!rikani- Anspruch würden die Brie!marken den herausgebenden Ländern Devi- schen Juden am breit ge#ächerten Widerstand gegen die Apartheid. Das seneinkün!te ausländischer Sammler und Sammlerinnen bringen. Dies gesamte Spektrum der Opposition wird hier au!gegri!!en: von Helen sei !ür die drei a!rikanischen Staaten ein Grund gewesen, die Marken Suzman, die !ür eine liberale, parlamentarische Opposition steht, über auszugeben. Solch eine Praxis sei nicht ungewöhnlich, denn in manchen Baruch Hirson, der den trotzkistischen Flügel repräsentiert, und Ronald Ländern würden diese Sondermarken 80 Prozent der Jahreseinnahmen Segal, der eine undogmatische sozialistische Position verkörpert, bis zu der Post ausmachen, wie der Zeitungsartikel betonte, auch wenn Puris- einer Reihe !ührender Kommunisten wie dem Ehepaar Barsel oder Lio- ten diese Praxis nicht goutierten.< nel »Rusty« Bernstein und dessen Frau Hilda. Dieser radikale Flügel Esther und Hymie Barsel teilten einige elementare Aspekte ihres des Widerstands gegen die Apartheid steht im Zentrum der Au!merk- Lebens. Neben ihrer politischen "berzeugung als passionierte Kom- samkeit dieser Arbeit.

= Siehe Jonah Lowen!eld: A!rican Stamps Honor Jews Who !ought Apartheid, Jewish Journal, 12.04.2011, www.jewishjournal.com/passover/ article/african_ stamps_honor_jews_who_fought_apartheid_01..1>.0 (letzter Zugri8!: 28.5. 2013). > Vgl. Lowen!eld, A!rican Stamps. : Siehe Lowen!eld, A!rican Stamps.

14 15 1. EINLEITUNG 1.A FRAGESTELLUNG 1.a Fragestellung kratischen Gesellscha!t aus? Es soll auch untersucht werden, wie weit die Beziehungen zwischen den jüdischen Aktivisten und ihren Mitstrei- tern reichten und ob es – entgegen der Ideologie des Apartheidstaates – Das Phänomen der überproportionalen Beteiligung jüdischer Süda!ri- ein gemeinsames Milieu gegeben hat. Zudem wird beleuchtet, ob nicht kaner am Kamp! gegen die Apartheid kann als allgemein anerkannt gel- erst diese Utopie den Juden des Landes einen Platz in einer !eindseligen ten.D Jedoch wird dieses Phänomen selten weitergehender behandelt und ethnozentristischen – nicht nur rassistischen, sondern auch antisemiti- au! die Rolle, den Ein#luss und die Motive der jüdischen Oppositionellen schen – Gesellscha!t wie der süda!rikanischen sichern sollte. Zuletzt stellt hin be!ragt. Dieses Desiderats der Forschung soll sich in der vorliegenden sich die Frage, weshalb die jüdischen Aktivisten bereit waren, ihre Privi- Arbeit angenommen werden. Im Folgenden wird von drei Forschungs- legien zu op!ern und ihr Leben au!s Spiel zu setzen. hypothesen ausgegangen. Die erste konstatiert das Phänomen einer er- Drittens soll die Kontinuität der ein#lussreichen politischen Arbeit kennbaren Gruppe jüdischer Süda!rikaner, die einen prominenten Platz dieser distinkten Gruppe zum Anlass genommen werden, ihre Rolle im in der Opposition eingenommen haben. Es wird nach deren gemein- Be!reiungskamp! in Süda!rika und nach ihrer Flucht in den 1960er Jah- samen Merkmalen ge!ragt und untersucht, welche Er!ahrungen sich in ren im Exil zu untersuchen. Welchen Ein#luss hatte sie au! die Exilorga- deren Entscheidungen zum Widerstand niedergeschlagen haben und ob nisationen? Wandelten sich ihre Er!ahrungen? Die Er!ahrungen und die sich darin eine spezi#isch jüdische Er!ahrung, eine Art jüdischer Er!ah- politische Arbeit nach der Transition 1990/1994 – ihrem Sieg – bildeten rungsraum, erkennen lässt. den Abschluss vieler Lebenswege der jüdischen Aktivisten. Zweitens wird angenommen, dass die gemeinsame Opposition in Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich also von 1948 bis in die Süda!rika einen Kontakt über die Schranken der »rassischen« Gruppen 1990er Jahre. und ethnischen Grenzen hinweg impliziert. Inwie!ern war dieser Kon- In der Forschung wurden die genannten Aspekte bisher zwar ge- takt Teil einer radikalen Praxis und Widerständigkeit? Drückte sich in sondert, jedoch nicht in einer zusammenhängenden Form behandelt. diesem Kontakt auch eine Utopie einer zukün!tigen egalitären, demo- Auch die Motive und Er!ahrungen der jüdischen Oppositionellen blie- ben nur ein randständiges Thema. Sie selbst emp!anden es bisweilen als geradezu natürlich, in Widerstand und Opposition aktiv gewesen zu E Vgl. Joshua N. Lazerson: Against the Tide. Whites in the Struggle Against Apartheid, Mayibuye 50, Boulder 1994, S. 25; Immanuel Suttner: Introduc- sein.? Dieser Er!ahrung entsprechend behauptete ein !ührender Histori- tion, in: ders. (Hg.): Cutting Through the Mountain. Interviews with South ker der jüdischen Minderheit Süda!rikas schlicht, jüdische Oppositio- A!rican Jewish Activists, Johannesburg 1997, S. 2–4, hier S. 2; James T. Camp- nelle würden nicht »gemacht, sondern so geboren«.@ Jedoch – darau! bell: Beyond the Pale. Jewish Immigration and the Le!2, in: Milton Shain / Richard Mendelsohn: Memories, Realities and Dreams. Aspects o! the South wies Ezra Mendelsohn hin – gebe es eine radikale Traditionsbildung, vor A!rican Jewish Experience, Johannesburg 2000, S. 96–162, hier S. 98; Gideon allem im linken osteuropäischen Judentum, die nicht nur zu konstatie- Shimoni: Accounting !or Jewish Radicals, in: Shain/Mendelsohn, Memories, ren, sondern auch erklärbar sei.A Realities and Dreams, S. 163–186, hier S. 163; ders.: Community and Con- science. The Jews in Apartheid South A!rica, Hanover/ London 2003, S. 73 !.; Shula Marks: Review Apartheid and the Jewish Question, Journal o! Sou- thern A!rican Studies, Jg. 30 (2004), H. 4 (Special Issue: Writing in Transition B Vgl. Albie Sachs, SAHA AL2460, A19.1a, S. 8. in South A!rica: Fiction, History, Biography), S. 889–900, hier S. 899; Richard C Vgl. Shimoni, Accounting, S. 186; ders., Community, S. 104. Mendelsohn / Milton Shain: The Jews in South A!rica. An Illustrated History, / Vgl. Ezra Mendelsohn: On Modern Jewish Politics, New York / Ox!ord 1993, Johannesburg/Kapstadt 2008, S. 145. S. 32.

16 17 1. EINLEITUNG 1.B FORSCHUNGSSTAND Die Verbindung zwischen Jüdischkeit und linker politischer Hal- Historiographische Forschungen über politisch radikale jüdische tung ist ein Phänomen, das auch Lenin schon würdigte.4G Die Frage nach Organisationen behandeln besonders Vorläu!er oder Organisationen aus den Gründen dieser, wie Lenin sagte: »Au!geschlossenheit !ür die !ort- dem Um!eld der Süda!rikanischen Kommunistischen Partei (bis 1950 schrittlichen Bewegungen des Zeitalters«44, ist auch der Hintergrund CPSA, ab 1953 SACP). Diese Vorgeschichte des Widerstands gegen die der vorliegenden Arbeit. Apartheid datiert in eine Zeit des politischen Au!ruhrs im Lande, in wel- cher sich aber das Ende der rassistischen Herrscha!t erahnen ließ. Die erste dieser Arbeiten war Ta!!y Adlers Studie über den Jewish Workers’ Club (JWC) in Johannesburg aus dem Jahr 1979.47 Adler zeigt anhand 1.b Forschungsstand der Aktivitäten des JWC au!, dass au! der Ebene der gemeinsamen Politik »Rasse«-Schranken regelmäßig überschritten wurden.4; Nach !ast zehn Jahren !olgte Evangelos A. Mantzaris Arbeit über den jiddisch-sprachigen Innerhalb der Forschungsliteratur lassen sich drei verschiedene themati- Zweig der International Socialist League in der Zeit zwischen den Welt- sche Felder eingrenzen. Das erste behandelt die Geschichte der jüdischen kriegen, welche eine der Gründungsorganisationen der CPSA 1920 war.4< Minderheit und der linken Strömung in ihr. Diese wird wesentlich von Mantzaris trug auch mit seiner Darstellung zu den Kapstädter jüdischen süda!rikanisch-jüdischen Autoren vorgelegt und ist Teil einer selbstkri- Gewerkscha!ten dazu bei, die Geschichte der jüdischen Radikalen vor tischen Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Gemeinscha!t wäh- der Apartheidära zu er!orschen.49 rend der Apartheid und einer Re#lexion des jahrzehntelang dominanten Auch in einer der Studien zur Geschichte der jüdischen Gemein- Narrativs einer homogenen, harmonischen und er!olgreichen jüdischen scha!t in Süda!rika aus dem Jahr 1980 kommt der Autor, Gideon Shimoni, Minderheit. Das zweite, kleinere Feld bezieht sich eben!alls im Wesent- au! die jiddisch-sprechenden Radikalen der ersten Häl!te des 20. Jahr- lichen au! die süda!rikanische Geschichte und !okussiert die Geschichte der Linken des Landes und deren Beitrag zu einer gemeinsamen, nicht- rassistischen Oppositionsbewegung. Die Kategorien, entlang derer die .0 Siehe Ta8!y Adler: Lithuania’s Diaspora: The Johannesburg Jewish Workers’ rassistischen Unterscheidungen und deren Durchkreuzung dargestellt Club, 1928–1948, in: Journal o! Southern A!rican Studies, Jg. 6 (1979), H. 1, Special Issue on Urban Social History, S. 70–92. werden, !olgen denen des Apartheidsystems – weiß, schwarz, indisch, .= Vgl. ebd., S. 81–84. coloured. Schließlich untersucht das dritte Feld der Forschungsliteratur .> Siehe Evangelos A. Mantzaris: Radical Community. The Yiddish-speaking das Exil der politischen Opposition und den Anti-Apartheids-Kamp! branch o! the International Socialist League, 1918–1910, in: Belinda Bozzoli (Hg.): Class, Community and Con#lict. South A!rican Perspectives, History in Großbritannien. Darin wird jedoch nicht nach unterschied lichen Mi- Workshop 3, Johannesburg 1987, S. 160–179. Michael Harmel, selbst jüdischer grationser!ahrungen der Exilanten und auch nicht hinsichtlich ihrer Er- Kommunist und zeitweise theoretischer Kop! der SACP, schrieb 1971 in seiner !ahrungen im Zu#luchtsland di!!erenziert. Eloge au! die KP Süda!rikas nur von einer »ähnlich gesinnten Gruppe«, die gemeinsam mit einer ultralinken Abspaltung der International Socialist Lea- gue zur CPSA übergegangen wäre (A. Lerumo [d. i. Michael Harmel]: Fi!2y Fighting Years. The South A!rican Communist Party 1921–1971, London 1971, S. 40). .1 Vgl. Lenin: Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, in: ders.: Werke, .: Siehe Evangelos A. Mantzaris: Jewish Trade Unions in Cape Town, South Bd. 20, S. 1–37, hier S. 10. A!rica, 1903–1907: A Socio-Historical Study, in: Jewish Social Studies, Jg. 49 .. Ebd. (1987), H. 3/4, S. 251–264.

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