FOYER GESCHICHTE

Die Niederlande als Heimat für deutsche Literatur nach 1933

Erinnerung an die großen Verlegerpersönlichkeiten und Fritz Landshoff / 10. Mai: Jahrestag der Bücherverbrennungen durch das NS-Regime

Der 10. Mai 1933 war das Fanal der Judentum aus Portugal lagen (wobei der Hermann (1871-1943) brachte Querido Barbarei in Deutschland. Nicht allein ursprüngliche Familienname »Kerído« auf die Idee, für sein Vorhaben Lands- auf dem Opernplatz in Berlin, son- im portugiesischen »Liebling« bedeu- hoff zu gewinnen. So kam es im Frühjahr dern in insgesamt 93 Städten wurden tet), sollte eigentlich die Diamanten- zur Gründung einer eigenen Abteilung Tausende von Büchern verbrannt, für deutsche Literatur im die vom NS-Staat aus politischen, äs- niederländischen Querido thetischen oder rassischen Gründen Verlag. Was die Akteure abgelehnt wurden. Die meisten ih- noch nicht wussten: Zeit- rer Autoren waren bereits nach dem gleich etablierte Gerard de Reichstagsbrand vom 27. Februar aus Lange (1896-1935) in sei- Deutschland geflüchtet, um ihr Leben nem Allert de Lange Ver- vor der Gewaltherrschaft in Sicher- lag in eben- heit zu bringen. Eines der wichtigsten falls eine eigene Abteilung europäischen Exilländer wurden die schleiferei seines Vaters übernehmen. für deutschsprachige Literatur, deren Niederlande, die bis 1940 geschätzt Nach mehreren erfolglosen Versuchen, Auswahl und Lektorierung durch die rund 20 000 Emigranten aus Deutsch- als Schriftsteller, am Theater und im ehemaligen Kiepenheuer-Mitarbeiter land aufnahmen – häufig zwar nur als Buchhandel seinen künstlerischen Nei- Walter Landauer (1902-1944) und Her- Zwischenstation, aber mit der Mög- gungen nachzugehen, gründete er 1915 mann Kesten (1900-1996) erfolgte. lichkeit, sich frei zu entfalten. einen eigenen Verlag: Em. Querido’s Uit- Im Querido Verlag konnte Fritz gevers-Maatschappij mit Sitz an der Kei- Landshoff mit Unterstützung von Alice Einer der Flüchtlinge war Fritz Lands- zersgracht 333. van Nahuys (1894-1967), die seit den hoff (1901-1988), der seit 1926 als Das ambitionierte Programm aus en- 1920er-Jahren als Übersetzerin für den Mitinhaber und Geschäftsführer den gagierter politischer und anspruchsvol- Verlag tätig war und seit 1931 in die Gustav Kiepenheuer Verlag in Berlin zu ler schöngeistiger Literatur verkaufte Verlagsdirektion aufstieg, bereits 1933 einem der angesehensten Publikations- sich so glänzend, dass Emanuel Querido die ersten acht Titel auf den Markt brin- orte für die moderne Literatur der Wei- damit wohlhabend wurde. Einen Teil gen. Es waren Bücher von Alfred Döb- marer Republik gemacht hatte. Im Ap- seines Reichtums war der sozialistisch lin, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, ril 1933 traf Landshoff an der Centraal eingestellte Verleger bereit, in deutsche Gustav Regler, Anna Seghers, Ernst Station in Amsterdam ein, um sich mit Literatur zu investieren, die nach der Toller und Arnold Zweig. Im Septem- einem der erfolgreichsten Verleger der Machtübernahme der Nationalsozialis- ber 1933 erschien auch die erste Aus- Niederlande über ein bemerkenswertes ten in Deutschland nicht mehr erschei- gabe der von Klaus Mann herausgege- Projekt zu verständigen. nen konnte. Der bereits Ende Februar benen Literarischen Monatsschrift »Die Emanuel Querido (1871-1943), des- 1933 aus Deutschland in die Nieder- Sammlung«, die bis zu ihrer Einstellung sen familiäre Wurzeln im sephardischen lande emigrierte Bestsellerautor Georg im August 1935 ein herausragendes

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worden war, und mit Konrad Merz‘ auto- Güterzug nach Sobibor verschleppt, wo biografischem Roman »Ein Mensch fällt sie kurze Zeit später (am 20. oder 23. aus Deutschland« sogar eine Erstveröf- Juli) ermordet wurden. Gustav Land- fentlichung. Die Verleger hatten auch auer, der bis 1940 die Exilliteratur im Al- den Mut, sich politisch eindeutig gegen lert de Lange Verlag gefördert hat, wird das NS-Regime zu positionieren. Dafür 1943 ebenfalls verhaftet und deportiert. stehen der Roman »Das ist bei uns nicht Er verhungert im Dezember 1944 im KZ möglich« (1936) von Sinclair Lewis, der Bergen-Belsen. eine faschistische Machtübernahme in Fritz Landshoff überlebt im Exil in den USA simuliert, »Moskau 1937. Ein den USA ebenso wie Alice van Nahuys Reisebericht für meine Freunde« von in der Schweiz. 1946 erwecken sie zwar Lion Feuchtwanger ebenso wie die auf- mit dem Roman »Das siebte Kreuz« klärenden Sachbücher von Konrad Hei- von Anna Seghers den Querido Verlag den, Erika Mann und . zu neuem Leben und geben bis 1950 noch insgesamt 26 Buchtitel in deut- 1950 endet die Geschichte scher Sprache heraus, darunter auch die der deutschen Abteilung des Erstausgabe der »Dialektik der Aufklä- Querido Verlags mit einem Ge- rung« von Max Horkheimer und Theo- dächtnisbuch für Klaus Mann. dor W. Adorno (1947). Doch nicht nur die Schatten der vielen toten Kollegen und Freunde lasten auf dem Unterneh- Für sein Engagement hat Emanuel men, sondern auch die starke antideut- Querido einen hohen Preis bezahlen sche Stimmung in den Niederlanden Mehrere kenntnisreiche und einfühlsame müssen. Nach einer Denunziation wur- nach dem Ende der fünf brutalen Be- Bücher befassen sich mit dem Querido den der Verleger und seine Frau Jane im satzungsjahre und der erheblich einge- Verlag ... Juli 1943 bei einer Razzia in ihrem Ver- schränkte Absatzmarkt in Europa. 1950 steck festgenommen und in das Sam- endet die Geschichte der deutschen Ab- Publikationsforum für die aus Deutsch- mellager »Joodsche Schouwburg« in teilung des Querido Verlags mit einem land vertriebenen Autoren bot. 1934 Amsterdam verbracht. Vier Tage spä- Gedächtnisbuch für Klaus Mann, der konnten 13 neue Titel erscheinen, 1935 ter wurden die beiden zusammen mit sich am 21. Mai 1949 in Cannes das Le- 26, 1936 21, 1937 18, 1938 14, im zahlreichen anderen Juden über das ben genommen hatte. Kriegsjahr 1939 nur noch 6 und bis zum »Durchgangslager« Drenthe mit einem Umso wichtiger ist es in der Gegen- deutschen Überfall auf die Niederlande wart, die Erinnerung an diese mutigen am 10. Mai 1940 immerhin noch 5 Titel. Menschen und an eine Literatur wach Überblickt man die insgesamt 111 zu halten, die unter extrem schwierigen Titel umfassende Verlagsproduktion, so politischen Rahmenbedingungen und findet man alle namhaften Vertreter der Lebensumständen entstanden ist. Wer deutschsprachigen Literatur, die teil- mehr darüber erfahren möchte, sei auf weise bis heute gelesen werden. Neben drei Bücher hingewiesen, denen auch den bereits erwähnten Autoren seien meine Darstellung wertvolle Einsichten noch Vicki Baum, Bernard von Brentano, verdankt: die kenntnisreiche und ein- Bruno und Leonhard Frank, Oskar Maria fühlsame Studie »Hölle und Paradies. Graf, Alfred Kerr, Emil Ludwig, Thomas Amsterdam, Querido und die deutsche Mann, Erich Maria Remarque, Joseph Exilliteratur« von Bettina Baltschev (Be- Roth und Jakob Wassermann erwähnt. renberg Verlag, Berlin 2016); Fritz H. Von dem mit Landshoff befreundeten Landshoffs »Amsterdam, Keizersgracht Klaus Mann wurden fünf große Exil- 333. Querido Verlag. Erinnerungen ei- romane veröffentlicht, darunter »Me- nes Verlegers. Mit Briefen und Doku- phisto. Roman einer Karriere« (1936). menten« (Aufbau Verlag, Berlin/Weimar Doch nicht nur die damals bereits be- 1991); »Leben mit dem Feind. Amster- kannten Namen waren vertreten, son- dam unter deutscher Besatzung 1940- dern mit Irmgard Keun auch eine junge 1945« von Barbara Beuys (Carl Hanser Schriftstellerin, deren hoffnungsvolle Verlag, München 2012). Karriere am Ende der Weimarer Repu- ... und den beiden großen Verlegerper- blik durch die nationalsozialistische sönlichkeiten Emanuel Querido und Fritz Dr. Jan-Pieter Barbian, Direktor der Machtübernahme schlagartig beendet Landshoff. Stadtbibliothek Duisburg

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