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Kultur

SPIEGEL-GESPRÄCH „Meine Strafe ist: Ich lebe weiter“ Der britische Rockmusiker über die großen Tage der Kinks, sein neues Soloalbum „Other People’s Lives“ und die Krisen seines Lebens UPPA / PICTURE ALLIANCE/ DPA (L.); DAVID ROSE / CAMERA PRESS / PICTURE PRESS (R.) PRESS / PICTURE ROSE / CAMERA (L.); DAVID DPA ALLIANCE/ / PICTURE UPPA TV-Auftritt der Kinks (1971 in London), Sänger Davies: „Ich hatte gerade beschlossen, ein besserer Mensch zu werden“

Davies, geboren und aufgewachsen in ich aus dem Krankenhaus kam, hatte ich erst jetzt, mit 61, Ihr erstes richtiges Solo- London, gründete 1964 mit seinem da- das Gefühl, dass ich das Album noch mal album herausbringen? mals erst 17-jährigen Bruder Dave und komplett überarbeiten musste. Wissen Sie, Davies: Ich war eigentlich immer ein Mann- zwei weiteren Musikern die Band The ich bin kein besonders religiöser Mensch, schaftsspieler, nicht der egomanische Typ Kinks. „Lola“, „“ und aber ich glaube, ich hatte mein Schicksal Star, der immer im Mittelpunkt sein muss. „“ zählen zu den be- herausgefordert, als ich in New Orleans Ich brauche Leute um mich, mit denen ich rühmtesten Hits der Band, die 1996 zum genau an diesem Tag in dieser Straße arbeiten kann. Seit die Kinks Mitte der bislang letzten Mal auftrat. Der von jun- herumlief – ein bisschen so wie in einem Neunziger aufhörten, gemeinsam aufzu- gen Musikern als großer Songschreiber Graham-Greene-Roman. Ich hatte mich treten, habe ich mich mit der Frage ge- verehrte Ray Davies, 61, verfasste 1994 gerade an diesem Tag mit meiner Freundin quält: Gibt es ein Leben nach den Kinks? seine Autobiografie „X-Ray“. versöhnt und beschlossen, mir dort eine Ich habe ein Buch geschrieben und bin Wohnung zu kaufen. Ich hatte beschlos- mit einer Show namens „Storyteller“ auf- SPIEGEL: Mr Davies, Sie wurden vor gut sen, ein besserer Mensch zu sein. Und getreten, ich bastelte an neuen Songs zwei Jahren angeschossen, wie geht’s Ih- dann kam dieser Typ daher. Ich sah ihn und fand sie miserabel. Ich hatte eine mas- rem Bein? kommen, er passte nicht ins Bild, er ge- sive Krise. Mein Selbstvertrauen war auf Davies: Ganz gut, danke. In meinem rechten hörte nicht dorthin. Und trotzdem war ich null. Dann schrieb ich ein paar Lieder, Bein stecken immer noch Splitter von der nicht aufmerksam genug. die mir besser gefielen, aber im Studio, Kugel, die ich im Januar 2004 in New Or- SPIEGEL: Die Songs wirken, als ob Sie das mit all den Sessionmusikern um mich, kam leans abgekriegt habe. Ich rannte einem Kerl Drama darin verarbeitet hätten. ich mir vor wie Tom Jones. Ich wollte ei- hinterher, der meiner damaligen Freundin Davies: Das Unheimliche war: Ich hatte ne neue Band gründen, die sich wie eine die Tasche entrissen hatte. Dummerweise alles schon vorher in meine Lieder rein- Band anhört. hatte er eine Knarre dabei und hat mich er- geschrieben. Wenn Sie sich jetzt auf dem SPIEGEL: Konnten Sie Ihr Selbstvertrauen wischt. Es war eine dieser Kugeln, die beim Album Songs wie „The Tourist“ anhö- nicht darauf stützen, dass Sie bei den Kinks Aufprall explodieren. Die Gangster sind ren oder „After the Fall“, dann klingen für alle Hits als Songschreiber und Sänger heutzutage oft besser bewaffnet als die Poli- die, als würde ich von dem Überfall in verantwortlich waren und insofern alle zei. Sie besorgen sich all dieses Zeug, das New Orleans erzählen. Aber sie sind bei- Kinks-Alben in gewisser Weise Soloalben sie aus den Computerkriegsspielen kennen, de vorher entstanden. Es gab sogar ei- gewesen sind? mit denen sie ihre Kindheit verballern. nen Song, der den Titel „I, the Victim“ Davies: Das dachte ich, bis ich anfing, solo SPIEGEL: Fiel es Ihnen schwer, nach der trug. Ich konnte ihn nicht auf dem Album zu arbeiten. Aber die Wahrheit ist: Die Verletzung Ihr Soloalbum „Other People’s lassen. Kinks hatten eine Identität, auf die ich Lives“ fertigzustellen? SPIEGEL: Als Sänger der Kinks sind Sie vor mich immer beziehen konnte. Ich meine, Davies: Es war verdammt schwer. Alle mehr als vier Jahrzehnten im Musikge- ich habe mit den Kinks angefangen, als ich Songs waren schon aufgenommen, aber als schäft angetreten. Wie kommt es, dass Sie 19 war. Ich hatte gerade das College ver-

der spiegel 19/2006 131 lassen, ich war noch kein richtiger Er- wachsener. In gewisser Hinsicht habe ich mich von diesem Punkt an bis heute nicht weiterentwickelt. SPIEGEL: Sie fühlen sich immer noch wie ein Teenager? Davies: Genau das. Ich trage immer noch dieselbe Unsicherheit und dieselbe Sehn- sucht mit mir herum, dasselbe emotionale Gepäck. Dabei habe ich eine Menge er- lebt. Der realistische ältere Mann in mir weiß: Nein, so wie du dir das erträumst, wird’s gerade nicht gehen. Es nützt aber al- les nichts: In meinem tiefsten Inneren bin ich noch genauso unreif und hoffnungsvoll wie mit 19. SPIEGEL: Sie hatten Mitte der sechziger Jahre einen wilderen Ruf als die Rolling Stones. Aber worin genau bestand die Identität der Kinks? Davies: Es gab einen Spruch damals, der lautete: Die Rolling Stones predigen die Revolution, aber die Kinks machen wirk- lich Ernst damit. Ich würde sagen, das war stark übertrieben. SPIEGEL: „“, der erste Kinks-Hit aus dem Jahr 1964, gilt mit sei- nem groben Gitarrenlärm Pophistorikern heute als allererster Hardrock-Song. Davies: Ich finde bis heute, dass es ein Bluessong ist. Wir verehrten John Lee Hooker und Chuck Berry, und wir wollten etwas spielen, was dieser Musik ebenbür- tig war. SPIEGEL: Warum wurde die schnelle, smar- te, glamouröse Popmusik von Briten er- funden und nicht von Amerikanern? Davies: Das hatte mit Ökonomie und Geo- grafie zu tun. Mit der Strenge und Härte der Nachkriegszeit, in der England wieder aufgebaut wurde, obwohl es an fast allem fehlte. Wir waren damals in den Sechzi- gern die erste Generation, die überhaupt erst wieder die Wahl hatte, die entscheiden konnte, was sie tun und lassen wollte. Das Bewusstsein des Mangels und der Freiheit prägte unsere Vorstellung von Stil. Hinzu kam: Großbritannien ist ein kleines Land. Es verfügt über eine Boulevardzeitungs- kultur, die alle Dinge schnell zum Kochen bringt. Es ist wie ein Treibhaus. SPIEGEL: Welches war das beste Jahr der Popmusik? Davies: Ich vermute, 1965 oder 1966. Die Beatles hatten damals ihre beste Zeit, ebenso The Who, die Beach Boys. Und auch wir taten ein paar neue Dinge, weil wir merkten, dass wir Grenzen sprengen konnten. Das Ergebnis waren Alben wie „Face to Face“ und Songs wie „Sunny Af- ternoon“. Danach kamen Rückschläge und Enttäuschungen. SPIEGEL: Was war die schlimmste? Davies: Der größte Schlag für die Kinks war, dass wir vom Sommer 1965 an vier Jahre lang nicht in den USA auftreten durften. Nachdem wir eine Konzerttour- nee durch die USA gemacht hatten, ver- hängte die dortige Musikergewerkschaft

132 der spiegel 19/2006 Kultur einen Bann über uns. Das hatte auch mit SPIEGEL: Mag sein, dass Sie früher über an- der Angst der Amerikaner vor der soge- dere geschrieben haben. Aber erzählen Sie nannten British Invasion zu tun. Die Mu- heute auf Ihrem Soloalbum nicht trotz des sikergewerkschaft der USA fand, dass man Titels „Other People’s Lives“ vor allem etwas unternehmen musste gegen all die- von sich selbst? se jungen Schnösel, die da aus England Davies: Gut, aber ich verfremde die Din- kamen und amerikanischen Musikern die ge, indem ich andere Personen benutze. Arbeit wegnahmen. Die jungen Amerika- Kennen Sie Harold Pinters Theater- ner liebten uns, aber die alten hassten uns. stücke? Ich glaube nicht, dass Pinter je SPIEGEL: Hatte es nicht auch böse Krawal- wirklich über andere Leute schrieb. In all le bei Kinks-Konzerten gegeben? diesen verwirrten, seltsamen Menschen Davies: Doch, kurz vor dem Bannspruch steckt eine Menge von ihm selbst drin. gab es einen Aufruhr bei einem Konzert in So sind Schriftsteller und Songschreiber Kopenhagen. Ein Saal im wunderschönen nun einmal. Tivoli-Theater wurde komplett zerstört, als SPIEGEL: Heißt das, Sie haben jenen herben die Polizei ihn stürmte. Ich erinnere mich Abschiedsbrief einer Frau, von dem Ihr an all das zerbrochene Glas. Da hatten wir Song „All She Wrote“ berichtet, selbst unseren schlechten Ruf weg. bekommen? SPIEGEL: Dafür werden Sie von jungen Mu- Davies: Ja, fast alles in dem Lied ist wahr. sikern heute als Vater und Pate des Britpop Sie hat sich verabschiedet, weil Sie einen verehrt. Hören Sie sich junge Bands von neuen Kerl kennengelernt hatte. In einer heute an? Disco! Und sie schrieb, dass der Typ sie an Davies: Klar. Die Arctic Monkeys sind gut. mich erinnere, an mich in jung. Das ist die Auch die Zutons. Und ich mag die Kaiser größte Beleidigung, die Frauen Männern antun können! Sie verlassen dich und verkünden: Der Neue erinnert mich an den Mann, der du früher warst. SPIEGEL: Sie geben seit ein paar Jahren Kurse im Song- schreiben. Was bringen Sie den Leuten bei? Davies: Irgendwer hat be- hauptet, meine Kurse seien eine Mischung aus einem Besuch zum Handauflegen bei Mutter Teresa und ei- nem Aufenthalt in der Gei- selhaft einer südamerika- nischen Befreiungsarmee. Es sind Dreitagesseminare,

REX FEATURES / ACTION PRESS / ACTION REX FEATURES 60 bis 90 Leute, 18 bis 60 Sänger Davies (2005): „Noch immer wie ein Teenager“ Jahre alt. Sie sollen erst mal nur für sich schreiben, des- Chiefs. Obwohl ich sie am Anfang im Ver- halb sind auch keine Journalisten zuge- dacht hatte, dass sie nur herumtricksen und lassen, die darüber berichten wollen. Das ein billiger Medien-Hype sind. Wichtigste ist, die Leute dazu zu brin- SPIEGEL: Auf Ihrer gerade beendeten Tour gen, dass sie sich trauen. Natürlich reden durch Europa singen Sie den Kinks-Song wir auch über Form. Aber letztlich gibt „20th Century Man“, das Lied eines kon- es nur eines, was beim Schreiben zählt: servativen Mannes, der mit moderner der Output. Nur so lernen die Kurs- Kunst nicht viel anfangen kann. Versteckt teilnehmer, dass gute Musik etwas anderes sich Ray Davies in diesem Mann? ist als das, was ihnen bei „Pop Idol“ ge- Davies: Ich habe diesen Song mit 25 ge- boten wird. schrieben. Ich hatte damals keine Lebens- SPIEGEL: Was ist so schlimm an „Pop Idol“? erfahrung, also schrieb ich über Gärtner, Alle machen es nach. Bei uns heißt es über Nachbarn, über Menschen und Din- „Deutschland sucht den Superstar“. ge, die ich kannte. „20th Century Man“ Davies: Es ist ekelhaft. Es ist billig. Die handelt von einem, dem Qualität wichtig größte Lüge besteht darin, dass hier das ist. Ich selber war auf der Art School und System neue Stars züchtet, lauter Robbie- habe sie verlassen, als man uns plötzlich Williams-Kopien. Große Musiker aber er- nur noch Grafik beibringen wollte. Ich kämpfen sich immer ihren eigenen Weg in bewundere bis heute große Maler. Aber das System – gegen das System. ich bin kein Sammler. Die Gemälde, die SPIEGEL: Sie selbst hat das Popstar-Leben ich mir gern kaufen würde, sind schon fast in den Selbstmord getrieben, 1973 lan- geklaut worden, die von Munch zum deten Sie mit einer Tablettenüberdosis im Beispiel. Ich mag Piero della Francesca, Krankenhaus. wegen der Proportionen. Ich mag Francis Davies: Stimmt. Aber ich bin ein schreck- Bacon, wegen der Energie. lich schlechter Selbstmörder. Ich kriege es

der spiegel 19/2006 133 Kultur einfach nicht hin. Im Ernst: Das damals war ein Unfall. Ich fühlte mich total down und bekam Pillen. Ich nahm einfach eine zu viel. Heute denke ich in Momenten des Selbsthasses: Wenn ich mich wirk- lich bestrafen will, dann lebe ich einfach weiter. Es ist wie mit diesem deutschen Torwart … SPIEGEL: … Oliver Kahn? Davies: Ja, man dachte, der Kerl bringt sich eher um, als die Nummer zwei zu sein. Nun findet er sich ab. Und wenn Sie mich fragen: Jens Lehmann ist besser. Nicht nur weil er für Arsenal spielt – mein Team, seit ich mit fünf zum ersten Mal im Stadion war. Lehmann hat Arsenal im Champions- League-Halbfinale gerettet. Kann sein, dass er ein wenig seltsam ist. Aber Torhüter müssen verrückt sein. SPIEGEL: Mr Davies, Pink Floyd haben bei „Live 8“ gespielt, Cream haben sich wie- dervereinigt. Wann treten die Kinks wieder gemeinsam auf? Davies: Ich weiß es nicht. Wir werden si- cher nicht nur mit den Oldies auf Tour HARTMUT SCHWARZBACH / ARGUS SCHWARZBACH HARTMUT Davies (M.), SPIEGEL-Redakteure* „Beim Schreiben zählt nur der Output“ gehen, es müssen neue Songs her. Sie wis- sen vielleicht, dass mein jüngerer Bruder Dave … SPIEGEL: … mit dem Sie sich legendäre Ge- fechte lieferten, unter anderem weil Sie ihm seinen Soloerfolg mit dem Klassi- ker „“ geneidet haben sollen … Davies: … ach was, ich habe sogar mitge- schrieben an dem Lied und ihn ausdrück- lich ermutigt zu einer Solokarriere. Ich wollte ihn unbedingt loswerden damals. Aber ich wollte davon erzählen, dass Dave schwer krank war. Er hatte vor zwei Jahren einen Schlaganfall. Jetzt geht es ihm besser, wir werden uns demnächst treffen. Er macht eine Sprachtherapie, und zwar, in- teressanter Punkt, mit Tony Blairs Sprach- trainer. Ich hoffe inständig, dass er am Ende nicht wie Tony Blair redet: Diese grauenvolle Art, wie Blair über alles spricht, als säße er bei schwerhörigen alten Damen am Krankenbett: Yäss deaaar, Yäss deaar, ich bin’s – Tooony Blääär! SPIEGEL: Mr Davies, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Matthias Matussek, Wolfgang Höbel in Hamburg.

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