Neue Strategien der israelischen Imagewerbung | Seite 2

Cultur(e)scapes | Seite 3

Es reicht nicht, die israelische Politik verbal zu kritisieren | Seite 5

Richtlinien für den kulturellen Boykott von Israel | Seite 7

Der Staat Israel – ein Apartheidregime | Seite 10 über neue Medien, trendige Zeitschrif- Neue Strategien der ten, bekannte Labels und gezielte Ko- operationen verbreitet werden. In Pro- israelischen Imagewerbung jekten wie der Beach (Wien, New York), einer zweiwöchigen Som- Life Style, Kreativität, Vielfalt – seit einigen Jahren sucht Israel neue Wege merparty auf der kroatischen Insel Pag, in der Imagewerbung, um seinem schlechten Ruf zu begegnen und von Auftritten an Tourismusmessen mit seiner Politik gegenüber den PalästinenserInnen abzulenken. schwulenspezifischer Werbung oder einem israelischen Model, das in der Armee gedient hat und im Bikini für das Cover eines Männermagazins posiert, wird Israel als cooles, aufgeschlosse- nes, kreatives und vielseitiges Land be- worben, das sich für Tourismus ebenso eignet wie für die Durchführung von Fachtagungen. Gezielt werden Jour- nalistInnen, FestivaldirektorInnen, KulturmanagerInnen, ArchitektInnen, WissenschaftlerInnen etc. nach Israel eingeladen. „Creative Energy“ nennt sich die Imagekampagne unterdessen – mit Kultur als Werbeträger. „Wer vertritt Israel am besten: ein Fachmann für Sperranlagen oder eine Rap-Gruppe?“, betitelte Haaretz 2005 einen Artikel. Isaac Zablocki, Gründer und Direktor des Israeli Film Center in den USA, sieht die Aufgabe seiner Institution darin, neue Eindrücke von einem „Israel voller Unschuld, Humor und Idealen“ zu ver- Flugblatt der BDS-Gruppe Berlin zur Internationalen Tourismusmesse in Berlin, März 2011 mitteln. Arye Mekel, Direktor der Ab- teilung für Wissenschaft und Kultur im israelischen Aussenministerium, meinte Jeder Staat versucht, durch gezielte Propaganda im neuen Kleid 2009, als Israel wegen seiner Kriegs- Förderung und Werbung seine Interes- führung im Gazastreifen weltweit im sen im Ausland zu vertreten. Für Israel, Seit 2006 wird im Aussenministerium Kreuzfeuer der Kritik stand: „Wir wer- das hochgradig von der finanziellen neben der traditionellen Propaganda- den bekannte Schriftsteller und Auto- und ideellen Unterstützung westlicher tätigkeit (Hasbara) ein Konzept verfolgt, ren, Theaterensembles und Ausstellun- Regierungen abhängig ist, ein schwie- das die Aufmerksamkeit gezielt vom gen entsenden … So kann Israel von riges Unterfangen. Trotz einem dichten Palästina-Konflikt weg auf positive Bil- seiner schöneren Seite gezeigt werden Netz an Lobbyisten und Institutionen der lenken will. Daniel Saranga, als PR- und man bringt uns nicht nur mit Krieg weltweit kämpft das Land mit seinem Stratege an der Entwicklung des Kon- in Verbindung.“ schlechten Image, vor allem wegen zepts beteiligt, geht davon aus, dass seiner Politik gegenüber den Palästi- die israelkritische Öffentlichkeit durch nenserInnen. In Europa wurde Israel Argumente nicht zu überzeugen ist. Kulturschaffende als laut einer EU-Umfrage 2003 als eine Als Zielgruppe gelten daher insbeson- Botschafter der grössten Bedrohungen für den dere jüngere und liberale Menschen, Weltfrieden wahrgenommen, in den die über ihnen wichtige „Konzepte und Kulturschaffende, die staatliche Unter- USA wird es vor allem mit Religion und Werte“ angesprochen werden sollen, stützung für Auslandsauftritte erhalten, Krieg assoziiert. Hier soll eine neue PR- um so die „blinde“ Kritik an Israel zu mussten sich einige Jahre lang ver- Strategie Abhilfe schaffen. durchbrechen. Als Themen eignen sich pflichten, Israel gut zu vertreten – die neben Hightech und Innovation auch neue PR-Strategie scheint ohne diese Mode, Essen, Kultur und Life Style, die Verträge auszukommen. Die Frage, wie

2 (un)politisch die Auftritte israelischer Kulturschaffender sein sollten, wird von den Fachleuten unterschiedlich be- urteilt, wie an der Herzlya-Konferenz 2010 zum Thema „Winning the Battle of the Narrative“ deutlich wurde. Ein- fache Botschaften wie die Betonung von Israels Friedensbereitschaft seien durchaus erfolgreich, verschiedene An- sätze müssten sich nicht unbedingt aus- schliessen. Larry Defner, Kommentator bei der Post, zweifelt, wie sinnvoll es ist, politische Realitäten ganz auszu- klammern. Wesentlich effizienter sei ein gewisses Mass an Selbstkritik bezüglich dem Umgang mit den PalästinenserIn- Flugblatt der US-Kampagne für akademischen und kulturellen Boykott gegen den Auftritt der nen, wie sie , David Grossman Batsheva Dance Company im Februar 2009 und andere üben. Gerade in Europa kommen israelische MusikerInnen, Au- torInnen und Filmschaffende, die sich Cultur(e)scapes Israel mit den Auswirkungen von Krieg und Im Herbst geht in verschiedenen Schweizer Städten das vom israelischen Besatzung auf das Bewusstsein ihrer Staat angeregte und mitfinanzierte Kulturfestival Culturescapes Israel (jüdischen) Gesellschaft auseinanderset- 2011 über die Bühne – nicht ohne Proteste der BDS-Bewegung. zen, gut an. Dessen ist sich die Regie- rung bewusst, weshalb solche Produk- Der erste Hinweis kam vom internatio- persönliche Protestschreiben. Im Früh- tionen auch gefördert werden. Denn nalen Netzwerk: Das Schweizer Kultur- jahr richtete sich BDS Schweiz in einem die systematische Diskriminierung und festival Culturescapes sei, wie dessen offenen Brief an Culturescapes und rund Vertreibung der PalästinenserInnen, die Direktor an einer Podiumsdiskussion 60 institutionelle Partner und Sponsoren dem Selbstverständnis von Israel als jü- in Akko verriet, im Herbst 2011 dem des Festivals, darunter Pro Helvetia, die dischem Staat zugrunde liegt, stellen sie Schwerpunktland Israel gewidmet − auf Christoph-Merian-Stiftung, kantonale nicht infrage. Anfrage des israelischen Botschafters in Behörden und unterstützende Politike- Für David Saranga stehen zwar Bern. Das zu einem Zeitpunkt, wo welt- rInnen. Sie wurden aufgefordert, von während Kriegen „die unmittelbaren weit eine kritische Öffentlichkeit, nam- der Durchführung des Festivals im gege- strategischen Interessen im Vorder- hafte Völkerrechtler und andere Persön- benen Rahmen abzusehen bzw. sich aus grund“, doch in „normalen Zeiten müs- lichkeiten mit Nachdruck fordern, Israel dem Projekt zurückzuziehen. Der Brief sen wir unseren Kredit aufbauen, um für seine Missachtung internationaler wurde zusammen mit Hintergrundin- in schlechteren Zeiten davon zehren Rechtsstandards zur Rechenschaft zu formationen und einem sarkastischen zu können“. Entscheidend ist weniger, ziehen. Für viele AktivistInnen war klar, Kommentar der israelischen Aktivistin worüber ein Rapper spricht; was zählt dass dieses Festival nicht ohne Proteste Tali Shapiro auf der BDS-Website pub- ist, dass möglichst viele Auftritte statt- über die Bühne gehen darf. liziert. In Reaktion auf eine verunglimp- finden und Kontakte geknüpft werden, fende Glosse von Sibylle Berg erschien die eine positive emotionale Botschaft in der Basler Zeitung ein Leserbrief, der enthalten. Kritik am Festival die Anliegen des Boykotts unterstrich. Die Kritik am Festival richtet sich ge- Quellen siehe Dossier Imagewerbung: Im Dezember traf sich erstmals auf na- gen den Rahmen, das heisst die Betei- > www.bds-info.ch > Culturescapes tionaler Ebene eine Gruppe von Aktivis- ligung des israelischen Staats. Culture- tInnen, um das Vorgehen zu beraten, scapes gibt sich als fortschrittliches Pro- und nahm Kontakt zur palästinensi- jekt des kulturellen Austauschs, macht schen Kampagne für den akademischen sich aber zum Gehilfen der offiziellen is- und kulturellen Boykott (PACBI) und raelischen PR-Strategie. Durch die Beto- zur israelischen Gruppe Boycott from nung künstlerischer Kreativität und Viel- Within (BFW) auf. Der Direktor von Cul- falt soll gezielt von der systematischen turescapes, Jurriaan Cooiman, erhielt Zerstörung der palästinensischen Kultur

3 und Gesellschaft abgelenkt werden. Ethische Verantwortung Dennoch zeigt die Kampagne Wir- Auch deutsche Solidaritäts- und BDS- kung: Einzelne VeranstalterInnen haben Gruppen forderten einen Veranstalter in Der offene Brief wurde bei Culture- sich vom diesjährigen Festival zurückge- Lörrach auf, sich nicht am Festival zu be- scapes und den Partnerinstitutionen zogen – zum Teil mit explizit politischer teiligen, und das Forum für Menschen- rege diskutiert. Anfang Juni wurden Begründung. Das für die Eröffnungs- rechte in Israel/Palästina äusserte sich VertreterInnen von BDS Schweiz zu veranstaltung engagierte Trio Joubran kritisch. BDS Schweiz forderte Bundes- einem Gespräch mit Culturescapes mit drei palästinensischen Musikern aus präsidentin Micheline Calmy-Rey und eingeladen und konnten vor rund 25 Israel sagte seine Teilnahme ab, nach- den Basler Regierungspräsidenten Guy VertreterInnen von beteiligten Institu- dem es vom institutionellen Rahmen Morin auf, aus dem Patronat zurück- tionen die Kritik noch einmal äussern des Festivals erfuhr. zutreten. Deren aktive Unterstützung und auf die Argumente der Festival- Im September soll an einer kont- ist besonders problematisch, da auch macher reagieren. Viele Veranstalte- roversen Podiumsdiskussion die Frage die Schweiz und erst recht Basel bis- rInnen pochen zwar auf die politische der politischen Relevanz von Kultur und lang konkrete Schritte gegenüber Israel Relevanz von Kultur, der Frage ihrer die Bedeutung des kulturellen Boykotts zum wirksamen Schutz der palästinen- eigenen ethischen Verantwortung bei aufgegriffen werden. Die Veranstaltun- sischen Bevölkerung und zur Durchset- der Auswahl der Partner weichen sie gen des Festivals werden Gelegenheit zung des Völkerrechts vermissen lassen. unter Verweis auf die Kritikfähigkeit bieten, mit kreativen Protesten ein kul- Kritik an der Mitwirkung von Guy Morin des Publikums und der geladenen turinteressiertes Publikum anzuspre- äusserten auch Mitglieder von BastA!, KünstlerInnen aber aus. chen. > [email protected] die mit diesem im Grünen Bündnis sind.

internationaler Rechtsstandards gegen- Die politische Verantwortung über Israel zu unterstützen. Kulturinsti- tutionen und KünstlerInnen stehen vor von Kulturprojekten der Wahl, wie sie auf diesen Aufruf re- agieren. Sie entscheiden, mit welchen In Reaktion auf den offenen Brief von BDS Schweiz an Culturescapes Geldgebern sie zusammenarbeiten und haben sich Festivaldirektor Jurriaan Cooiman und weitere Veranstalter welche Regimes sie damit legitimieren. dazu geäussert, warum sie am Israel-Schwerpunkt festhalten. Eine kleine, aber wachsende Zahl israelischer Kulturschaffender sieht im «Boykott ist das falsche Signal, insbe- die Fortsetzung der bestehenden Un- palästinensischen Boykottaufruf den sondere wenn Kulturschaffende davon rechtsverhältnisse zahlt die palästinen- besten Ansatz zur Überwindung der betroffen sind», schreiben Cooiman sische Gesellschaft einschliesslich ihrer israelischen Apartheid. Ihnen drohen und andere Partnerinstitutionen. Wie Kulturschaffenden heute jedoch einen der Verlust von Subventionen, Auf- im offenen Brief und Gesprächen mit hohen Preis. Wie lange sollen sie noch trägen, Stellen und neuerdings auch den Veranstaltern betont, richtet sich vertröstet werden, bis auch das kultu- Prozesse und Geldstrafen. Angesichts der kulturelle Boykott nicht gegen Kul- rell interessierte Publikum in Europa re- der Lage vor Ort ist Kulturinstitutionen turschaffende und ihre Werke. Er rich- agiert? und KünstlerInnen in der Schweiz, die tet sich gegen die Zusammenarbeit mit auf die gesellschaftliche Relevanz ih- einem Regime, das laufend Völker- und rer Arbeit pochen, zuzumuten, dass Menschenrechtsverletzungen begeht, Verantwortung von sie sich nicht für die israelische Propa- die von unabhängigen Organisationen Kulturveranstaltern ganda hergeben und den Unrechtszu- bestens dokumentiert sind. stand nicht dulden. Ebenso ist schwei- Die Boykottbewegung misst geis- Die israelische Politik der Diskriminie- zerischen Kulturschaffenden zuzumu- tigem und künstlerischem Schaffen rung, Segregation, Vertreibung und ten, dass sie Auftritte ablehnen, die eine hohe Bedeutung bei. Sie setzt Zerstörung der palästinensischen Ge- von offiziellen israelischen Institutio- sich entschieden für Bedingungen ein, sellschaft und Kultur wird von westli- nen mitfinanziert werden. Anstatt sich unter denen Kulturschaffende aus Is- chen Regierungen finanziell und ideell hinter der Erhabenheit von Kultur zu rael/Palästina ihre Werke unabhängig gestützt. Deshalb appelliert die palästi- verschanzen, wäre es an der Zeit, dass von ethnisch-religiöser Zugehörigkeit nensische Zivilgesellschaft an die Welt- auch Kulturinstitutionen ethische Stan- gleichberechtigt zeigen können. Für öffentlichkeit, sie bei der Durchsetzung dards einhalten.

4 Dialog als Selbstzweck Es reicht nicht, die israelische «Die Wirkung von Culturescapes zielt auf Dialog, auf Öffnung der Wahrneh- Politik verbal zu kritisieren mung, auf Reflexion», argumentieren Cooiman und Partnerinstitutionen. In- Interview mit dem israelischen Filmemacher Eyal Sivan während der Israeli wiefern der Begriff Dialog bei Kultur- Apartheid Week im März 2011 veranstaltungen berechtigt ist, bei de- nen mehrheitlich fertige Produktionen konsumiert werden, sei dahingestellt. Warum unterstützt du den palästi- Wenn damit das Israel-Festival gerecht- nensischen Aufruf zum kulturellen fertigt und so getan wird, als würde Boykott Israels? Culturescapes einen positiven Beitrag Ich finde den palästinensischen Aufruf zur Lösung eines politischen Prob- ausgesprochen klar und präzis. Er greift lems leisten, klingt dies wie ein Hohn. sowohl die Schwierigkeiten als auch die Der Palästina-Konflikt ist kein Problem Widersprüche auf, die im Rahmen des mangelnder Wahrnehmung – und isra- akademischen und kulturellen Boykotts elische Kultur, nebenbei bemerkt, in Eu- bestehen. Zudem ist es in der aktuellen ropa auch keine Unbekannte. Seit Jah- Situation dringend nötig, Druck auf die ren wird der Begriff Dialog missbraucht, privilegiertesten Schichten der israeli- um die PalästinenserInnen hinzuhalten schen Gesellschaft, AkademikerInnen und von ihren Rechten abzulenken, und Kulturschaffende, auszuüben. Die- während die israelische Regierung täg- ser Druck ist aufgrund ihres Verhältnis- lich neue völkerrechtswidrige Fakten ses zum Staat nötig. schafft. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Dialog ist dann sinnvoll, wenn er Frage der Gleichheit im Hinblick auf die auf gleichberechtigter Basis stattfindet, Lebensbedingungen der Palästinense- anstatt Unterdrückungsverhältnisse zu rInnen. Es geht nicht an, Kunstausstel- verschleiern. Die internationale Bewe- lungen, wissenschaftliche Tagungen gung für den kulturellen Boykott Isra- und Aufführungen zu organisieren, els ist ein positives Beispiel von Dialog wenn die PalästinenserInnen aus den Eyal Sivan in La Chaux-de-Fonds. Foto: R. Ventrella zwischen Kulturschaffenden über eth- besetzten Gebieten – die zum Teil nur nisch/nationale Grenzen hinweg, um wenige Kilometer entfernt leben – dar- dasselbe: Es reicht nicht, zu sagen, repressionsfreie Kulturräume für alle zu an nicht teilnehmen können. Eine Ant- man ist gegen die israelische Politik, ermöglichen. wort darauf ist eben, Gleichheit durch- man muss auch entsprechend han- zusetzen. deln, Stellung beziehen und damit Par- Ausführliche Antworten zu den genannten tei ergreifen, das heisst, gewisse Dinge und weiteren Argumenten von Culture- Ist der kulturelle Boykott nicht kon- verweigern. Ich weigere mich, einen scapes und Partnerinstitutionen – beispiels- traproduktiv, da er Kulturschaffen- Staat und eine Politik zu vertreten, die weise der Hinweis darauf, dass die Veran- de und Intellektuelle trifft, die zu ich als verbrecherisch betrachte. staltung mit Steuergeldern gezahlt wird, als den schärfsten KritikerInnen der würde sie damit gerechtfertigt – finden sich israelischen Politik zählen? auf unserer Website. Was kann der Boykott bewirken? > www.bds-info.ch Der Boykott richtet sich per Definition Kann er wirklich zu einem grund- nicht gegen Personen, sondern ganz legenden Wandel der israelischen klar gegen Institutionen. Kunstwerke Politik gegenüber den Palästinen- oder Personen, die sich nicht dafür serInnen beitragen? hergeben, als BotschafterInnen des Welchen Einfluss der Boykott haben Staates Israel aufzutreten, werden wird, wissen wir noch nicht. Was wir nicht boykottiert. Umgekehrt können wissen ist, dass er der israelischen Re- Kulturschaffende, so fortschrittlich sie gierung ziemlich Sorge bereitet und sie auch sein mögen, boykottiert werden, unterdessen enorme Mittel einsetzt, wenn sie sich für eine solche Strategie um den Boykott zu bekämpfen. Die einspannen lassen. Bei Politikern for- israelischen Behörden fürchten eine dert man Taten statt Worte. Hier gilt Kampagne, der es gelingt, den israeli-

5 schen Staat zu delegitimieren. Was gut Der Israel-Boykott wird zudem nicht konkretem Engagement. Wir haben es ist, denn sie haben sich daran gewöhnt, von einem Staat durchgesetzt. Die Nazis mit einem problematischen Paradox zu gar nichts mehr zu fürchten. Ich denke, setzten ihren Boykott ja staatlich durch tun: Wenn wir als kritische Israelis auf- der Boykott hat einerseits eine psycho- und erliessen dafür eigene diskriminie- treten, heisst es oft: „Zum Glück gibt logische Wirkung und er erlaubt ande- rende Gesetze. BDS ist ein Appell der es Leute wie Sie in Israel.“ Andererseits rerseits, auf internationaler Ebene den Zivilgesellschaft, der von den Palästi- tragen wir dazu bei, ein positives Image Finger und den Akzent auf den verbre- nenserInnen ausgeht und in Solidarität von Israel zu verbreiten, was wir ja ei- cherischen Charakter der heutigen isra- mit ihnen unterstützt wird. gentlich nicht wollen. elischen Politik zu legen. Deshalb muss klar unterschieden Dass der Boykott selbst einen Ist es nicht ein Widerspruch, den werden zwischen einer kritischen grundlegenden Wandel herbeiführen akademischen und kulturellen Boy- und einer oppositionellen Haltung. Es kann, glaube ich nicht. Er muss Teil kott zu unterstützen, während du ist ein Unterschied, ob man nur von einer Reihe von Massnahmen im Rah- selbst an einer israelischen Uni un- Menschenrechten redet oder real et- men des palästinensischen und inter- terrichtest? Wie kannst du deine po- was erreichen will und sich klar für nationalen Kampfes sein, wobei das litischen Überzeugungen mit deiner den politischen Kampf ausspricht. Es Völkerrecht als unabdingbare Grundla- beruflichen Existenz vereinbaren? ist ein Unterschied, ob man zionistisch ge dient, aber auch die Frage der Dis- Genau, ich sage immer: Ich kann mich ist oder nicht, ob man prozionistisch kriminierung und der Besatzung dazu- nicht selbst boykottieren. Ich bin ein oder antizionistisch ist. Zudem ist es gehören. In dieser Hinsicht kann der Israeli, ich unterrichte an einer israeli- insbesondere für die internationale Boykott tatsächlich Wirkung zeigen. schen Universität und rufe gleichzeitig Solidaritätsszene wichtig, hier genau zum Boykott auf. Weil es ein Boykott hinzusehen und nicht immer für bare Wie kann man zum Boykott Israels ist, der vom Ausland ausgeht, von einer Münze zu nehmen, wenn Leute für aufrufen, wenn man weiss, dass internationalen Bewegung, der ein Zei- den Frieden oder gegen die Besatzung die Nazis zum Boykott jüdischer chen an Israel sendet. Wenn mich mor- eintreten; das ist noch kein regimekri- Geschäfte aufriefen, um dann zum gen meine eigene Uni bitten würde, sie tischer Diskurs. Wenn man Leuten wie Völkermord an Juden/Jüdinnen im Ausland zu vertreten, würde ich das Amos Oz, wie Peace Now etc. zuhört, überzugehen? ablehnen. Ich vertrete Eyal Sivan, vor die im Grunde eine ethnische, rassis- Der Nazi-Aufruf zum Boykott jüdischer meinen Studenten, das ist alles. Da gibt tische, extrem zionistische Haltung Produkte war ein nicht zu rechtfertigen- es keinen Widerspruch. vertreten und den bestehenden Staat der Einsatz des Boykott-Instruments. verteidigen, wäre es wichtig, klarer zu Der Israel-Boykott gilt aber nicht jüdi- Ist es gefährlich, in Israel für den differenzieren, sich nicht von Worten schen Personen, man boykottiert keine Boykott einzutreten? blenden zu lassen, sondern darauf zu Ethnie, sondern eine Politik. Darin liegt Es ist ein neues Gesetz in Beratung, das achten und nachzufragen, wofür sie der ganze Unterschied. Im vorliegenden Geld- und Gefängnisstrafen für Perso- sich real einsetzen. Fall geht es nicht um einen Boykott ge- nen vorsieht, die zum Boykott aufrufen. gen eine spezifische Eigenschaft einer Das verstärkt die Bedeutung des Ap- Eyal Sivan, geboren in Israel, Fotodo- bestimmten Personengruppe, sondern pells. Ja, es wird gefährlich werden, und kumentationen, zahlreiche Dokumen- es geht darum, welche Politik unter- die internationale Boykottbewegung tarfilme zu politischen Themen, unter- stützt und mitgetragen wird. Das ist et- wird dem Rechnung tragen müssen. Es richtet in Paris, London und Israel was völlig anderes. Die Botschaft heisst: wird einen Zeitpunkt geben, an dem Wenn ihr die israelische Politik nicht wir faktisch zu politischen Dissidenten unterstützt, unterliegt ihr dem Boykott werden, und zum Teil wird es auch Eyal Sivan in der Schweiz nicht. Es genügt, die politischen Ansich- Aufrufe zur Unterstützung politischer ten zu ändern, dann wird der Boykott Flüchtlinge und Ähnliches geben. So Im Rahmen der Israeli Apartheid eingestellt – das ist ein stichhaltiges Ar- weit ist es noch nicht: Israel behauptet Week 2011 wurde der neuste Film gument. ja, eine Demokratie zu sein. Aber dem- „Jaffa –The Orange’s Clockwork“ Die Gegner setzen das Argument nächst könnte das der Fall sein. in Zürich, Basel, Bern, Neuchâtel, der Nazis ein, um einzuschüchtern. La Chaux-de-Fonds, Lausanne und Juden/Jüdinnen in der zionistischen Ist es nicht ein Fehler, wenn durch Genf gezeigt. In mehreren Städten Bewegung haben problemlos zu die- den Boykott verhindert wird, dass fand anschliessend ein Gespräch mit sem Mittel gegriffen, um jahrelang die kritische israelische Stimmen zu dem Regisseur statt. Der Film kann arabische Bewegung zu boykottieren, Wort kommen? bei uns zum Preis von Fr. 30.- bestellt selbst in den 30er-Jahren, als die Nazis Ich denke, es besteht ein Unterschied werden. > [email protected] in Deutschland die Juden boykottierten. zwischen wohlmeinender Kritik und

6 Ein Schlüsselargument des südafri- Richtlinien für den kulturellen kanischen Apartheidregimes und seiner Verteidiger gegen den kulturellen und Boykott von Israel sportlichen Boykott lautete, dass dieser die Meinungsfreiheit und die Freiheit Die Palästinensische Kampagne für den akademischen und kulturellen des kulturellen Austauschs verletze. Dies Boykott Israels (PACBI) hat auf der Grundlage intensiver Diskussionen wurde von Enuga S. Reddy, Direktor des über die anwendbaren Kriterien und der Erfahrungen der letzten Jahre United Nations Centre Against Apart- im Oktober 2010 Richtlinien für den kulturellen Boykott veröffentlicht. heid, 1984 strikt zurückgewiesen: „Es ist, gelinde gesagt, eher seltsam, dass das südafrikanische Regime, das […] der afrikanischen Bevölkerungsmehr- heit […] alle Freiheiten versagt, […] zum Verteidiger der Freiheit der Künstler und Sportler der Welt werden soll. Wir ha- ben eine Liste von Leuten, die in Süd- afrika aufgetreten sind, aus Unkenntnis der Situation oder aus Geldgier oder aus Achtlosigkeit gegenüber Rassismus. Sie müssen davon überzeugt werden, dass sie die Apartheid nicht weiter stüt- zen, nicht weiter von Apartheidgeldern profitieren und nicht länger der Propa- ganda des Apartheidregimes dienen.“ ähnlich zielt der palästinensische Boy- kott auf kulturelle Institutionen, Projek- te und Veranstaltungen, die weiterhin den Zwecken des israelischen Kolonial- Flashmob vor der Oper in Tel Aviv gegen eine Aufführung der Cape Town Opera aus Südafrika im Oktober 2010. Foto: Oren Zivi/Activestills und Apartheidregimes dienen.

Seit April 2004 ruft PACBI Intellektuel- le und AkademikerInnen weltweit auf, Boykottaufruf aus Anlass der 60-Jahr-Feiern von „alle israelischen akademischen und kulturellen Institutionen umfassend und Israel konsequent zu boykottieren, um einen Beitrag zu leisten im Kampf für die Be- Am 8. Mai 2008 erschien in der Flüchtlingen die von der UNO zugesi- endigung der israelischen Besatzung, International Herald Tribune ein halb- cherten Rechte verweigert, bloss weil der Kolonisierung und des Apartheidsys- seitiges Inserat unter dem Titel „Kein sie nicht jüdisch sind. Israel hält im- tems“. Eine wesentliche Inspirationsquel- Grund zum Feiern“, in dem Dutzen- mer noch widerrechtlich palästinen- le ist dabei die Boykottkampagne gegen de von international anerkannten sisches und anderes arabisches Land das südafrikanische Apartheidregime. Kulturschaffenden wie Mahmoud besetzt und verletzt dadurch zahlrei- Im Jahre 2006 starteten palästinen- Darwish, Augusto Boal, Ken Loach, che UNO-Resolutionen. Es verletzt sische Kulturschaffende ihre Kampa- Andre Brink, Ella Shohat, Judith But- laufend in grober Weise internatio- gne, die international Resonanz fand. ler, Vincenzo Consolo, Ilan Pappe, nales Recht und fundamentale Men- Der bekannte britische Künstler und David Toscana, Aharon Shabtai und schenrechte, ohne dafür zur Rechen- Schriftsteller John Berger veröffentlichte andere als Antwort auf die welt- schaft gezogen zu werden, mit der eine Stellungnahme, die von Dutzenden weiten Feierlichkeiten zum „60. Ge- grosszügigen wirtschaftlichen, diplo- KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und burtstag Israels“ folgende Stellung- matischen und politischen Unterstüt- FilmemacherInnen unterstützt wurde. nahme unterschrieben: zung der USA und Europas. Die eige- Darin appellieren sie an alle Kulturschaf- „Es gibt keinen Grund zu feiern! Is- nen palästinensischen BürgerInnen fenden weltweit, sich dem palästinen- rael ist nach 60 Jahren immer noch sind immer noch institutionalisierter sischen Aufruf zum kulturellen Boykott ein Staat, der den palästinensischen Diskriminierung ausgesetzt.“ anzuschliessen.

7 Richtlinien für den kulturellen nenserInnen immer als Quelle der Er- Grundrechten oder schwere Völker- Boykott mutigung und Inspiration angesehen rechtsverletzungen rechtfertigen, ver- worden sind, sind die PalästinenserIn- teidigen oder sogar befürworten. Als allgemeine Regel sei festgehalten, nen zunehmend der Meinung, dass dass bis zum Beweis des Gegenteils Solidarität bedeutet, dem Boykottauf- Gestützt auf die bisherigen Ausfüh- alle israelischen Kulturinstitutionen ruf nachzukommen, statt den Besuch rungen gilt der palästinensische kultu- mitverantwortlich für die Aufrecht- palästinensischer Institutionen zu ver- relle Boykott Israels für folgende Situ- erhaltung der israelischen Besatzung binden mit dem Besuch oder der Teil- ationen: und der Verweigerung der Grund- nahme an Konferenzen und Anlässen a) Das kulturelle Produkt ist von einer rechte der PalästinenserInnen sind, von zu boykottierenden israelischen offiziellen israelischen Instanz oder indem sie dazu schweigen oder aktiv Institutionen. Internationale Besuche- von nicht israelischen Institutionen, die daran beteiligt sind, diese zu rechtfer- rInnen, die darauf bestehen, israelische der israelischen Imagewerbung (Brand tigen, zu beschönigen oder sonst wie Kultureinrichtungen in ihr Programm Israel) oder ähnlichen Propaganda- die Aufmerksamkeit von Israels Ver- einzubeziehen, und damit gegen den zwecken dienen, in Auftrag gegeben letzungen des internationalen Rechts Boykott verstossen, können nicht er- worden. und der Menschenrechte abzulenken. warten, von palästinensischen Kultur- b) Die Veranstaltung ist teilweise oder Folglich sind alle diese Institutionen einrichtungen willkommen geheissen vollständig von einer offiziellen israeli- (vor allem staatliche und öffentliche zu werden. schen Körperschaft oder einer mitver- Kulturinstitutionen), alle ihre Produkti- „Produktion“ bezeichnet hier kul- antwortlichen Institution gesponsert onen und alle Veranstaltungen, die sie turelle Produktionen wie Filme oder oder finanziert. finanzieren oder mittragen, zu boykot- andere Kunstformen, „Veranstaltung“ c) Die Veranstaltung oder das Projekt tieren. Aus dem gleichen Grund sind Filmfestivals, Konferenzen, Kunstaus- vertreten eine verlogene Symmetrie internationale KünstlerInnen und Kul- stellungen, Tanz- und Musikauffüh- oder Ausgewogenheit. turschaffende dringend aufgerufen, rungen, Tourneen von KünstlerInnen, davon abzusehen, ihre Werke (z.B. Fil- SchriftstellerInnen etc. Die genannten Gekürzt und mit Zwischentiteln versehen me, Installationen, literarische Werke) Kriterien erheben keinen Anspruch auf durch die Redaktion, ungekürzt auf bei mitverantwortlichen israelischen Vollständigkeit und sollen andere ver- > www.bds-info.ch/kampagnen/pacbi- kriterien-fuer-kulturellen-boykott Kultureinrichtungen oder Veranstal- nünftige Grundsätze, die einen Boy- > www.pacbi.org tungen auszustellen, aufzuführen oder kott rechtfertigen, weder vorwegneh- vorzutragen oder die Veröffentlichung men noch ersetzen oder entkräften. oder Ausstellung ihrer Werke in deren Dies gilt insbesondere für Produktio- Rahmen zu bewilligen. Veranstaltun- nen oder Veranstaltungen, die explizit gen und Projekte mit Personen, die Kriegsverbrechen, Rassendiskriminie- diese mitverantwortlichen Institutio- rung, Apartheid, Unterdrückung von nen repräsentieren, sind ebenso zu boykottieren. „Der Kampf gegen die Apartheid beginnen, um einen neuen Weg in wurde in der Vergangenheit schon Richtung Gerechtigkeit und Frieden Palästinensische weitaus konsequenter geführt. Die in- zu beschreiten. Ihr Ruf wurde auf der KünstlerInnen nicht zum ternationale Antwort auf das Regime internationalen Ebene von den Uni- Ausgleich zwingen in Südafrika war ziviler Ungehorsam versitätsdozentInnen mehrerer eu- und eine Boykott- und Desinvestiti- ropäischer Länder, von Filmemache- Internationale Kulturschaffende, die onskampagne. Schliesslich verhängte rInnen und ArchitektInnen und auch dem Boykottaufruf nicht nachkom- die UNO Anti-Apartheid-Sanktionen, von einigen mutigen israelischen Dis- men und versuchen, zum „Ausgleich“ die einen Regierungswechsel ohne sidentInnen aufgenommen. Jetzt ist palästinensische Institutionen zu besu- furchtbares Blutvergiessen ermög- es an der Zeit, dass noch mehr Per- chen, gehen von der „Gleichwertig- lichten. Heute fordern uns palästi- sonen diese Kampagne unterstützen. keit von Gerechtigkeit und Ungerech- nensische DozentInnen, Schriftstelle- Schon Primo Levi hat die Frage ge- tigkeit“ aus, vor der Nelson Mandela rInnen, FilmemacherInnen und NGOs stellt: „Wann, wenn nicht jetzt?“ gewarnt hat. Obwohl Besuche in den auf, nach dem historischen Vorbild besetzten palästinensischen Gebieten der Anti-Apartheidbewegung einen Ausschnitt aus dem internationalen durch internationale UnterstützerIn- Boykott der akademischen Institutio- Aufruf für den kulturellen und akade- nen und VerteidigerInnen der paläs- nen und des Kulturbetriebs Israels zu mischen Boykott Israels 2006 tinensischen Rechte von den Palästi-

8 nen in Montreal (Kanada), die einen na- Von Südafrika bis Nordamerika, tionalen Aufruf für den Boykott Israels unterzeichneten, gefolgt von 100 nor- von Montreal bis Berlin wegischen Kulturschaffenden. Bekann- te KünstlerInnen wie die Musiker Elvis Die palästinensische Initiative für einen akademischen und kulturellen Costello, Carlos Santana, Roger Waters, Boykott von Israel erhält weltweit wachsende Unterstützung. PACBI die SchauspielerInnen Meg Ryan und versteht sich als Teil der internationalen BDS-Bewegung. Dustin Hoffmann, die britische Gruppe Tindersticks, die französische Sängerin Vanessa Paradis oder der amerikanische Folksänger Devendra Banhart sagten ihre Auftritte in Israel ab.

Kein Auftritt für den Apartheidstaat

Mit dem israelischen Krieg gegen den Gazastreifen 2008/09 hat die BDS- Bewegung auch in Europa spürbar Fuss gefasst. In Ländern wie Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz sind nationale BDS-Netzwerke entstanden. In Grossbritannien und Schottland ist die BDS-Bewegung, insbesondere der akademische Boykott, schon älter und besser verankert. In Berlin forderte die Flashmob vor der Oper in Tel Aviv gegen eine Aufführung der Cape Town Opera aus Südafrika im BDS-Gruppe diesen Frühling die Schau- Oktober 2010. Foto: Oren Zivi/Activestills bühne Berlin auf, ihre Hamlet-Inszenie- Einer der grössten Erfolge der Bewe- nicht angebracht, wäre es auch falsch rung am Israel Festival in Jerusalem vom gung für einen akademischen Boykott von der Cape Town Opera, in Israel auf- 3. bis 4. Juni 2011 abzusagen. Im offe- war der Beschluss des Senats der süd- zutreten.“ nen Brief weist die Gruppe insbesonde- afrikanischen Universität Johannesburg, Aus dieser Mobilisierung ging ein re darauf hin, dass die Stadt Jerusalem die langjährigen Beziehungen zur Ben- Aufruf südafrikanischer KünstlerInnen als Mitveranstalter Teil der israelischen Gurion-Universität des Negev ab April hervor, sich der BDS-Bewegung anzu- Besatzungsmacht in der Westbank ist, 2011 abzubrechen. Dem Beschluss war schliessen und nicht bei Anlässen von die an der aktuellen Vertreibung paläs- eine Petition von 400 südafrikanischen Institutionen aufzutreten, die die isra- tinensischer BewohnerInnen beteiligt AkademikerInnen, dem südafrikani- elische Apartheid unterstützen oder ist. „Im Gegensatz zu Hamlet haben schen Gewerkschaftsverband COSATU mittragen. Die Mobilisierungen sind Sie eine Wahl: Auf der einen Seite kön- und Artikel zahlreicher Medien voraus- Ausdruck der breiten Unterstützung für nen Sie sich über alle systematischen gegangen. Auch Erzbischof Desmond den Boykott Israels in Südafrika, wo die Menschenrechtsverletzungen des staat- Tutu, Nobelpreisträger und international Erfahrungen mit der Apartheid noch im- lichen Sponsors des Israel-Festivals hin- anerkannter Sprecher gegen das südaf- mer präsent sind. wegsetzen und werden dadurch zum rikanische Apartheidregime, schloss sich Boykottaufrufe von KünstlerInnen Werkzeug der israelischen Hasbara-Poli- dem Aufruf an. wurden auch in diversen anderen Län- tik, also der israelischen Regierungspro- Desmond Tutu unterstützte eben- dern lanciert. Den Start machte im Sep- paganda. Auf der anderen Seite können falls den Aufruf an die südafrikanische tember 2009 eine an das Filmfestival von Sie sich dafür entscheiden, dem Aufruf Gruppe Cape Town Opera, nicht in Israel Toronto gerichtete Erklärung unter dem zu folgen, den die palästinensische Zi- aufzutreten. „Wie unter der Apartheid, Titel „No celebration of occupation“, vilgesellschaft mit über 170 Nichtregie- als wir internationalen KünstlerInnen der sich 1000 KünstlerInnen weltweit rungsorganisationen 2005 verfasst hat: sagten, Auftritte in Südafrika – einer Ge- anschlossen. Darin wurde das Festival keine institutionellen Besuche in Israel, sellschaft mit diskriminierenden Geset- aufgefordert, nicht in Tel Aviv zu gastie- bis Israel sich an verbindliches Völker- zen und ethnischer Segregation – seien ren. Danach waren es 500 KünstlerIn- recht hält.“ > www.pacbi.org

9 Der Staat Israel – Facetten der Apartheid Als 1967 das Westjordanland und der ein Apartheidregime Gazastreifen besetzt wurden, war das Apartheid-System bereits etabliert. Seit Die westliche Nahost-Berichterstattung und die öffentlichen Diskussionen 1967 haben alle israelischen Regierun- über Kompromisslösungen im Palästina-Konflikt beschränken sich gen die jüdische Besiedlung dieser Ge- auf Symptome und Auswirkungen. Die politischen und ideologischen biete vorangetrieben. Die Besatzung Grundlagen blieben lange ausgeblendet. Seit ein paar Jahren pochen nun entspricht der Natur und Logik des poli- die PalästinenserInnen stärker auf ihre Rechte und der Charakter Israels tischen Zionismus, dem es darum geht, wird genauer untersucht. die Vorherrschaft der jüdischen Bevölke- rung zu gewährleisten, und stellt nicht etwa eine isolierte Kriegshandlung dar. Die israelische Politik in den besetzten Gebieten folgt der Behandlung, die die arabische Bevölkerung innerhalb Israels nach der Staatsgründung erfahren hat- te. Im Gegensatz zur jüdischen Bevöl- kerung wurden die PalästinenserInnen dem Militärrecht unterstellt und durf- ten sich nur in einem eng begrenzten Gebiete aufhalten. Obwohl die Palästi- nenserInnen in Israel 20% der Bevölke- rung stellen, leben sie auf nur 2,5% des Staatsgebietes. Das Ausmass der Getto- isierung der PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten ist mit den südafri- kanischen Bantustans vergleichbar, aber auch in Israel besteht noch immer eine weitgehende Segregation. Nach der Vertreibung, palästinensisches Flüchtlingslager in Jordanien, UNRWA-Archiv Zum Regime der israelischen Apart- heid gegenüber der palästinensischen Es gibt immer mehr Stimmen, die das weigerte ihnen das Rückkehrrecht. Be- Bevölkerung gehören unter anderem Grundproblem und die Ursache des wusst wurde in den ersten Jahren nach die grossflächige Enteignung von Land, Palästina-Konflikts im kolonialistischen der Staatsgründung ein Rechtssystem die Zerstörung von landwirtschaftlichen Charakter des Staates Israel mit seiner aufgebaut, das der ethnisch-religiösen Strukturen, die Errichtung von Sied- zionistischen Politik und seinem Apart- (in völkerrechtlicher Terminologie „ras- lungsblocks und -strassen, die diskrimi- heidregime gegenüber der arabischen sischen“) Vorherrschaft der jüdischen nierende Verteilung von Wasser, Häu- Bevölkerung sehen. Bevölkerung bzw. der Diskriminierung serzerstörungen, Ausgangssperren, die Das Verbrechen der Apartheid wird der nicht jüdischen Bevölkerung dient. Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Völkerrecht als systematische rassis- Dabei wurde im Gegensatz zu Südafri- der PalästinenserInnen, die Zerstörung tische Diskriminierung und Unterdrü- ka auf eine allzu offensichtliche Geset- des Strassennetzes und Blockaden, die ckung definiert, die im Zusammenhang zessprache verzichtet und stattdessen Errichtung einer Trennmauer in den be- mit einem institutionalisierten Regime meist das Mittel der indirekten Diskrimi- setzten Gebieten und selbst zwischen in der Absicht begangen wird, dieses nierung gewählt. In Israel selbst ist die arabischen und jüdischen Ortsteilen in Regime aufrechtzuerhalten. Segregation weniger offensichtlich als Israel, die willkürliche Verhängung von In Israel ist ein solches diskriminie- in den besetzten Gebieten. Dies ist mit Administrativhaft, die Unterdrückung rendes Regime seit der Gründung des ein Grund, warum sich die Weltöffent- von Gewerkschaften und politischem Staates etabliert. Im Laufe des Krieges lichkeit nur langsam über die Art und Widerstand sowie die Einschränkung und der Staatsgründung 1948 wurden den Charakter des israelischen Systems der Meinungsfreiheit. 750 000 PalästinenserInnen vertrieben. bewusst wird. Umso wichtiger ist es, Zur Verschleierung des politischen Mithilfe des israelischen „Absentee die institutionellen Faktoren deutlicher Charakters der israelischen Apartheid Property Law“ von 1950 wurden sie in den Vordergrund zu stellen. trägt auch die Tatsache bei, dass der grösstenteils enteignet und man ver- Staat von Beginn an wichtige Funktio-

10 An einem Checkpoint wartende Palästinenser. Foto: Daniel Berchtold nen an parastaatliche jüdische Organi- vilen, politischen und wirtschaftlichen und die kritischen Stimmen innerhalb sationen übertragen hat. Insbesondere Rechte aller, die Anerkennung der Reli- Israels zu unterstützen, bis sich das in der Frage des Bodens und anderen gionsfreiheit und anderer Grundfreihei- Rechtssystem ändert und die israelische strategischen Domänen überlässt der ten, das gleiche Recht auf Bildung und Politik der Apartheid ein Ende findet. Staat die rassistische, diskriminieren- die Garantie der Versammlungs- und Die Erfahrung mit dem Apartheidre- de Politik anderen und kann nicht auf Meinungsfreiheit im gesamten heu- gime in Südafrika hat gezeigt, dass eine Anhieb mit diesen Strukturen assoziiert te von Israel kontrollierten Territorium Zusammenführung von tief zersplitter- werden. Die World Zionist Organisati- sind nicht nur universelle Werte, son- ten Bevölkerungsteilen zu einer funkti- on, die Jewish Agency for the Land of dern die einzige Alternative für einen onierenden Einheit und Nation möglich Israel und der Jewish National Fund le- gerechten Frieden. ist. Der Antiapartheidkampf der Paläs- gen in ihren Statuten ausdrücklich fest, In diesem Sinne versteht sich die in- tinenserInnen und der internationalen dass sie nur für das Wohl der jüdischen ternationale BDS-Bewegung, die diese BDS-Kampagne stützt sich nicht nur auf Bevölkerung tätig sein dürfen. Durch Rechte ins Zentrum stellt, als gewaltlo- das internationale Recht, sondern auch dieses System der Auslagerung von ses Instrument der Zivilgesellschaften, auf die Erfahrungen der Schwarzen und staatlichen Aufgaben an zionistische um Druck auf Israel und die eigenen der Weltgemeinschaft mit dem Kampf Organisationen sind z. B. 93% des Bo- nationalen Regierungen auszuüben gegen die Apartheid in Südafrika. dens innerhalb Israels Juden/Jüdinnen vorbehalten. Die vier Säulen des israelischen Apartheidregimes

1. Gesetze und eine Politik, welche die Bevorzugung der vorherrschenden Bevöl- Bei den Wurzeln ansetzen kerungsgruppe gemäss ethnisch-religiösen Kriterien institutionalisiert. 2. Systematische Absonderung, Zerteilung und Segregation der untergeordneten Die Lösung des Nahostkonflikts kann Gruppe. nur darin liegen, das Internationale 3. Systematische Umsiedlung der Bevölkerung, verbunden mit der Entnationalisie- Recht, insbesondere das Verbot der rung (Staatenlosigkeit) von Flüchtlingen der unterdrückten Gruppe. Apartheid sowie die Menschenrechte 4. Systematische Unterdrückung des Widerstands der unterdrückten Gruppe. und die einschlägigen UNO-Resoluti- (Basierend auf: Occupation, Colonialism, Apartheid? A re-assessment of Israel’s practices onen durchzusetzen. Die vollständige, in the OPT under international law; HSRC, Cape Town, South Africa, Mai 2009) gleichberechtigte Anerkennung der zi-

11 Impressum Palästina-Info Sommer 2011, Auflage 2000, erscheint halbjährlich. Herausgeberin: Palästina-Soldarität Region Basel, www.palaestina-info.ch Kontakt: [email protected] MitarbeiterInnen an dieser Nummer: Oren Zivi/Activestills (Foto), Birgit Althaler, Claudine Faehndrich, Daniel Berchtold (Foto), Jenny Bolliger (Fotobearbeitung, Korrekturen), Urs Diethelm, Georg Iliev (Layout), Stephanie Selg, Roberto Ventrella (Foto), Magdalena Wehrli (Korrekturen)

So hilft Ihre Spende konkret September 2011: 20 Jahre Die Palästina-Solidarität Region Basel „Friedensverhandlungen“ erhält zahlreiche kleinere und grös- sere Spenden. Sie ermöglichen un- Die Bilder sind eindrücklich, wie Tau- Bedingungen aber für unzureichend, sere Arbeit. Hier einige Beispiele, wie sende von palästinensischen Flücht- um die Rechte der PalästinenserInnen wir dieses Geld in letzter Zeit einge- lingen zum Teil durch Minenfelder auf durchzusetzen. Daher ruft der BNC die setzt haben. israelische Grenzzäune zugehen und ihr Zivilgesellschaft weltweit auf, weiter Recht auf Rückkehr einfordern, das die für die BDS-Kampagne zu mobilisieren, 200 Franken für Raummiete UNO bereits 1948 zugesichert hatte. um das Ende von Besatzung und Ver- 200 Franken kostete die Raummiete Die Mehrheit der palästinensischen Be- treibung sowie Gleichberechtigung und im Unternehmen Mitte für die Ver- völkerung lebt heute im Exil ausserhalb das Recht auf Rückkehr durchzusetzen. anstaltung mit der Palästinenserin von Palästina. Sie wurden im Zuge der Ohne Druck von unten hätten sich die Rajaa Omari von elBalad aus Haifa. Staatsgründung Israels vertrieben, um meisten westlichen Regierungen auch Wir konnten die Flugreise von ihr einen Staat mit mehrheitlich jüdischer nicht bewegen lassen, Sanktionen ge- mit zahlreichen VeranstalterInnen in Bevölkerung zu gründen. Die Protest- gen das Apartheidregime in Südafrika Deutschland teilen. Zu den Kosten aktionen fanden am 14. Mai 2011 zum zu verhängen. kam nur die Zugreise zum nächsten 63. Jahrestag der Nakba an der Grenze Veranstaltungsort und die Werbung. zum Libanon, zu Syrien und zu Jordani- en statt. Geheimdiplomatie 500 Franken für die Miete des Seit 20 Jahren wird die Hoffnung auf Kinos eine Lösung des Palästinakonflikts durch Anfang Jahr veröffentlichten Al Jazeera So viel kostete die Miete des Kinos, Verhandlungen geweckt, die zu einem und Guardian Geheimdokumente über um den Film „Jaffa – The Orange’s palästinensischen Staat neben dem jü- die Verhandlungen zwischen der Pa- Clockwork“ von Eyal Sivan zu zei- dischen Staat führen sollen. Doch nicht lästinenserbehörde (PA) und Israel. Die gen. Dazu kamen die Kosten für die nur die Verhandlungen sind ins Stocken „Palestine Papers“ machten offensicht- Reise des Regisseurs von Paris nach geraten, auch das Ziel ist gescheitert. lich, wie wenig Israel den Palästinensern Basel, ein kleines Honorar und der Das Gebiet, das die Palästinenserbehör- entgegenkommt und wie weit die PA Werbeflyer. de real kontrollieren kann, umfasst eini- bereit ist, wichtige Rechte aufzugeben ge Bantustans im Westjordanland und (Selbstbestimmung über Ostjerusalem, 10 000 Franken für BDS Schweiz das Freiluftgefängnis Gaza. Was bringt Rückkehrrecht der Flüchtlinge). Der Nach Vorliegen der Jahresrechnung die Ausrufung eines Pseudostaates in palästinensisch-französische Anwalt Zi- haben wir diesen Frühling beschlos- diesen Gebieten der palästinensischen yad Clot, der mehrere Monate als Be- sen, der BDS-Bewegung in der Bevölkerung? Weniger Repression und rater der Verhandlungsdelegation der Schweiz ein Startbudget zur Verfü- mehr Bewegungsfreiheit? Ein Ende der PLO tätig war und dazu im Herbst 2010 gung zu stellen. BDS Schweiz wird Blockade des Gazastreifens? Die Mög- ein Buch mit dem Titel „Il n’y aura pas damit hauptsächlich die Zeitung und lichkeit zur Rückkehr der Flüchtlinge? d’Etat palestinien“ veröffentlicht hat, ein Plakat zum Konsumboykott (siehe Gleichberechtigung in Israel? All das ist räumte im Mai 2011 im Guardian ein, Beilage) vorfinanzieren. Die Zeitung kaum zu erwarten. den beiden Medien einen Teil der Infor- wurde auch der Wochenzeitung Der Nationale Ausschuss der pa- mationen zugespielt zu haben. Darin (WOZ) beigelegt. lästinensischen BDS-Kampagne (BNC) schreibt er: „Die sogenannten Friedens- begrüsst zwar, wenn international verhandlungen waren eine trügerische Der allergrösste Teil unserer Akti- das Recht der PalästinenserInnen auf Farce, wobei Israel einseitig seine Bedin- vitäten erfolgt wie bisher in ehren- Selbstbestimmung anerkannt wird. Er gungen durchsetzte und von den USA amtlichem Engagement. hält die Anerkennung eines palästi- und der EU systematisch unterstützt nensischen Staates unter den aktuellen wurde.“ Besten Dank für Ihren Beitrag! Palästina-Solidarität Region Basel, Ziyad Clot wird am 7. September 2011 auf Einladung der Palästina-Solida- 4002 Basel rität zum Thema Palästinenserstaat und Verhandlungsprozess sprechen PC 40-756856-2 (Unternehmen Mitte, Basel, Beginn 19.30 Uhr).