Premierenfieber Wie Im Himmel
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AUSGABE #20 | SEP/OKT 2021 #20 | SEP/OKT AUSGABE PREMIERENFIEBER WIE IM HIMMEL | LA BOHÈME | LACHESIS | DER GRAF VON LUXEMBURG CINDERELLA | DIE ABENTEUER DES BRAVEN SOLDATEN SCHWEJK | ODE | DIE NIBELUNGEN DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN | JENNY HÜBNER GREIFT EIN | MONGOS | DIE ZERTRENNLICHEN NATUR UND KUNST MĂDĂLINA DIACONU 04 IM INTERVIEW INHALTAusgabe #20 September/Oktober 2021 Die Ästhetikerin und Kunstphilosophin Mădălina Diaconu registriert für die gegenwärtige Kunst eine Hinwendung zur Materialität. Natur und Kunst sieht sie dabei durchaus in einem Bezugsrahmen. Silvana PREMIERENFIEBER CARTE BLANCHE Steinbacher hat sich mit der vielseitigen Wissen- schaftlerin im Wiener Donaupark auch über Umwelt- 10 DER CHOR – 49 „TÖLE! NEIN! HEULE! AHHH! HÖHLE!“ ethik und fernöstliche Naturphilosophien unterhalten. METAPHER FÜR DIE MENSCHHEIT Amato Gabriel über Die Katze, die ihre Musicalpremiere Wie im Himmel eigenen Wege ging 22 „OPERETTE SICH WER KANN!“ EXTRA Bestandsaufnahme eines Genres Premiere der Operette Der Graf von 32 DAS MESSERSCHARFE DENKEN PREMIERENFIEBER Luxemburg DES ANDREI TARKOVSKY Electronic Opera Tarkovsky – Der 8. Film KLIRRENDE KLÄNGE 30 VON DER SELBSTENTMACHTUNG im Rahmen des Ars Electronica Festivals DES MENSCHEN WIE KLINGT KÄLTE? Das Dilemma der künstlichen Intelligenz 58 KOCHKÜNSTLER*INNEN 18 Uraufführung der Kammeroper Lachesis Selbst wenn die Musik von La Bohème an verschiedenen Kochen mit Sofie Pint, Stellen die Atmosphäre des kalten, winterlichen Paris Schauspielerin im Jungen Theater beschwört, müssen Sie nicht befürchten, sich beim 38 WENN ALLE ALLE SPIELEN? Premiere von Thomas Melles rasantem Besuch einer Vorstellung dieser Oper eine Verkühlung Dialogstück Ode BRUCKNER ORCHESTER LINZ einzufangen. Denn Puccinis Partitur hält genug andere Passagen bereit, die ob ihrer emotionalen Dichte die 42 DIE NIBELUNGEN? AN DER DONAU? 60 DIE FÜSSE FEST AUF DEM BODEN, Herzen zu erwärmen vermögen. DEN KOPF IM HIMMEL Premiere von Friedrich Hebbels Trauer- La Bohème The Symphonies – Complete Versions Edition spiel Die Nibelungen in der Fassung von ab 25. September 2021 Susanne Lietzow 62 MUSIK UND DIE WIRKLICHKEIT Großer Saal Musiktheater 46 DIE LIEBE ALS NATURGEWALT von Markus Poschner Premiere von Goethes Wahlverwandt- 66 DAS BOL IM SEPTEMBER UND OKTOBER schaften in den Kammerspielen GASTSPIELE 50 AB IN DEN WALD PREMIERENFIEBER Premiere des preisgekrönten Stücks Die 68 UNSERE GÄSTE IM SEPTEMBER UND OKTOBER Zertrennlichen von Fabrice Melquiot | 10+ Martina Schwarzmann, Maschek, UNTER Christoph Moschberger und da Blech- 52 EINE FRAGE DES KOSTÜMS hauf’n, die zebras … LEUTEN Premiere des Theaterabenteuers 34 Jenny Hübner greift ein | 6+ Was hätte Jaroslav Hašek wohl ohne das Wirtshaus HINTER DEM VORHANG gemacht? Ohne die Menschen dort mit all ihren 54 BEHINDERT, ODER WAS? 70 DIE TANZKAPITÄNIN Erlebnissen und Anekdoten? Ohne die trunkene Premiere von Sergej Gössners Theater- Hannah Moana Paul, Resident Dance Geselligkeit? stück Mongos über Freundschaft, Liebe, Captain Musical Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk Coming-of-Age, verpasste Gelegenheiten 72 4 DINGE ab 18. September 2021 und die Akzeptanz des eigenen Körpers | 13+ Schauspielhaus EDITORIAL Die ersten Premieren der neuen Spielzeit nun fächern dieses Themenspektrum in allen Sparten NATUR und Genres auf: In der Oper untersuchen wir in Puccinis La Bohème Künstlertum als Lebensge- fühl und Selbstbetrug, die beide durch die Er- UND fahrung des Todes desillusioniert werden. Wenn nicht der Tod, so greift doch statt seiner KUNST die ästhetisch-soziale Ächtung in der Erstauf- führung von Thomas Melles Theaterstück Ode in das Künstlerleben ein. Die Uraufführung von Lachesis berichtet von der immer mehr durchlässigen und fließenden Grenze zwischen Natur und Kunst, der Virtua- lität und Kybernetik, wobei anknüpfend an die griechische Philosophie eine science fiction er- zählt wird. – Und die Flucht in Fantasiewelten wie bei Jenny Hübner greift ein oder in Die Zer- trennlichen hat im und durch den Lockdown an Dringlichkeit gewonnen, ebenso wie die Refle- xion auf Versehrtheit und Vergänglichkeit in In den zurückliegenden Zeiten des Lockdowns, Mongos. Im Musical Wie im Himmel wiederum der das öffentliche und kulturelle Leben lähmte, wird die Erfahrung der Kunst als (Selbst)The- haben sich die Lebensgewohnheiten der Men- rapie zu einem Befreiungsprozess. Und im schen verändert. Vieles verlagerte sich in die Tanz wird die Verwandlung Cinderellas als virtuell-mediale Realität der Zoom-Konferen- ein Grundthema menschlichen Lebens in die zen und Video-Calls, der E-Mails und Telefonate. Emanzipation einer fiktiven Künstlerbiografie Und Isolation, Anonymität, Einsamkeit sind als überführt. So wie die Biografie ist auch die ohnehin existierende Prozesse und Phänomene Historiografie „Geschichte“ mithin Fiktion, als der Moderne nochmals deutlicher geworden, Ablagerung von Lebenswelten nacherzählt ja, vergrößerten sich. durchaus künstlich: Sie bildet gewissermaßen eine Schnittmenge von Natur und Kunst; das Die Rückzugs- und Erfahrungsräume von Na- jedenfalls mag man durch deren Mythologisie- tur und Kunst wurden durch die Abwesenheit rung bei Schwejk komisch und in Nibelungen oder Veränderung praktizierten Glaubens tragisch erkennen. gleich welcher Konfession mit Bedeutung auf- geladen; und dabei wurden die Erfahrungswerte Insofern berühren und verschmelzen Natur und Rezeptionsmechanismen intensiviert, weil und Kunst zu einem assoziativen Bedeutungs- Natur oder Kunst in der Regel nur allein auf- geflecht, in dem wir eben so die Erfahrungen genommen werden konnten. Und die Kunst- der zurückliegenden anderthalb Jahre versu- rezeption reduzierte sich auf Lektüre oder an- chen in unsere künstlerische Arbeit der neuen dere Medien, waren doch Museen, Konzertsäle Spielzeit zu übersetzen. und Theater auch als Räume sozialer Erfah- rung verschlossen. Die Bedeutung nun der Naturwirklichkeit und der der nachgeahmten Wirklichkeit von Kunst hat sich dadurch ge- wandelt –: Manches wird durch Mangel oder Abwesenheit bewusst, vieles erfährt neue Qua- HERMANN SCHNEIDER Foto: Robert Josipović lität. Intendant 3 NATUR UND KUNST „DIE NACHAHMUNG DER KREATIVITÄT DER NATUR IST EINE HERAUSFORDERUNG FÜR DIE KUNST.“ Die Ästhetikerin und Kunstphilosophin Mădălina Diaconu registriert für die gegen- wärtige Kunst eine Hinwendung zur Mate- rialität. Natur und Kunst sieht sie dabei durchaus in einem Bezugsrahmen. Silvana Steinbacher hat sich mit der vielseitigen Wissenschaftlerin im Wiener Donaupark auch über Umweltethik und fernöstliche Naturphilosophien unterhalten. Fotos: Herwig Prammer 4 NATUR UND KUNST MĂDĂLINA DIACONU Mădălina Diaconu,1970 in Bukarest geboren, lehrte an einigen europäischen Universitäten, seit 2006 am Institut für Philosophie in Wien. Mădălina Diaconu publizierte zahlreiche Bücher, unter anderem Sinnes- „IM THEATER, SO DENKE ICH, IST DER SCHREI ODER DIE raumstadt. Eine multisensorische Anthropologie, 2012, NICHT ARTIKULIERTE SPRACHE INTERESSANTER ALS EIN TEXT, Phänomenologie der Sinne, 2013 DER STARK INTELLEKTUALISTISCH AUSGERICHTET IST.“ Frau Dozentin Diaconu, das Motto der Spiel- und die Künstler*innen treten innerhalb zeit 2021/2022 des Linzer Landestheaters dessen in den Hintergrund oder schaffen lautet Natur und Kunst. Sehen Sie Natur die Bedingungen für diesen Prozess. und Kunst, beides sehr weit gefasste Be- griffe, in einer Divergenz, schließen sie Natur wird nicht mehr nur als Original gese- einander aus? hen, sondern auch als aktive Kraft. Der französi- sche Maler, Bildhauer und Performancekünst- Nein, sie schließen sich nicht aus. Es gab immer ler Yves Klein hat bereits in den 1960er-Jahren Wellen, und wenn wir die Kunstgeschichte be- eine Leinwand aufs Autodach montiert und ist trachten, dann sehen wir, dass in der Kunst damit von Paris nach Nizza gefahren, die Lein- manchmal das Künstliche und manchmal das wand hat Gewitter, Wind und sogar Blitze „er- Natürliche betont wird. In der romantischen lebt“, und sie wurde am Ende von den Natur- Ästhetik haben wir auch das Bild der Kreativität kräften gestaltet. Kleins Intention war es, einen oder das Genie als Naturphänomene. Ich glaube Rahmen dafür zu schaffen, dass die Natur ihre an den Zeitgeist im Sinne eines tiefen Bedürfnis- Spuren hinterlässt. Was wir sehen, sind Spuren. ses der Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit. Aber das, was die Spuren hinterlassen hat, ist abwesend, und diese Vergegenwärtigung der Welches tiefe Bedürfnis der Gesellschaft, Abwesenheit spielt heute eine große Rolle. um bei Ihrer Formulierung zu bleiben, nehmen Sie zurzeit in diesem Zusammen- Sie beschäftigen sich schon seit vielen hang wahr? Jahren mit Olfaktorik, also der Lehre vom Geruch. Ich habe den Eindruck, dass Man spricht vom Ende der Repräsentation. wir in unserer hauptsächlich auf Techno- Was heutzutage in der Kunst interessiert, ist logie und Vernunft basierenden Welt den die Ästhetik der Materialität. Im Theater, so Zugang, die Nähe zu einigen unserer Sinne, denke ich, ist der Schrei oder die nicht artiku- vor allem dem Geruchs- und Geschmacks- lierte Sprache interessanter als ein Text, der sinn, vernachlässigt haben. Welche Er- stark intellektualistisch ausgerichtet ist. Die kenntnisse haben Sie dahingehend? Natur ohne Abbildung zu thematisieren, ist eine Herausforderung für die Kunst. Es stellt Ich denke auch, dass wir bestimmte Sinne ver- sich die Frage, wie man die Natur beispielsweise nachlässigen, vor allem den Geruchssinn, mit in eine Ausstellung bringen kann. Wir finden dem ich mich schon seit Jahrzehnten beschäftige. etwa Moore, und