JAN WUCHERPFENNIG WILDE JAHRE IN NRW

UNSER LAND

Die 70er- IN DEN Jahre – umwälzende Ereignisse und lieb gewon- nene Erinnerungen. Ein span nendes Jahrzehnt für ganz Nordrhein-Westfalen: ernern Zur Fußball-Weltmeisterschaft ent stehen in Dortmund und Gelsenkirchen neue Stadien, in Bielefeld wird die Tiefkühlpizza erfunden, Ekel Alfred geht in Köln auf Sendung und der erste Opel Manta knattert über die A 40. 7700

NORDRHEIN- WESTFALEN SCHREIBT GESCHICHTE

DROSTE

JAN WUCHERPFENNIG

UNSER LAND IN DEN 70ERN

JAN WUCHERPFENNIG

UNSER LAND IN DEN

NORDRHEIN- WESTFALEN SCHREIBT GESCHICHTE

Droste Verlag Vorwort

4 Unser Land in den 70ern | Nordrhein-Westfalen schreibt Geschichte Vorwort

Die Siebziger waren für mich das Jahrzehnt, in dem ich erwachsen wurde – Abi machte, zum ersten Mal eine lange Zeit im Ausland verbrachte.

Songs von Neil Young oder Bob Dylan zur Gitarre – damit war man dann schon mal einer von den coolen Jungs. Obwohl es den Begriff „cool“ damals noch gar nicht gab. Die Siebziger – das hieß: Parka, gestrickte Endlos-Schals, Jeans mit Schlag, endlose Podiumsdiskussionen oder „Sit-Ins“.

Uns hier im Westen hat diese bunte und stürmische Dekade geprägt und oft auch erschüttert. Auf der einen Seite Flower Power, Disco, schrille Mode und Minipli – auf der anderen Seite leidenschaftliche Proteste, Umbrüche, Skandale. Und Bilder, die sich tief eingebrannt haben – wie das Foto des zerschossenen Wagens von Arbeit- geber-Präsident Hans-Martin Schleyer in Köln. Es war das Jahrzehnt, als der Terror die Republik überzog.

In die Siebziger fielen aber auch legendäre Erfolge für Sportler aus dem Westen wie Heide Rosendahl, Ulrike Meyfahrt, und Günther Netzer mit der Mön- chengladbacher Borussia.

Der WDR hat den Siebzigern hier im Westen eine zehnteilige Reihe gewidmet. Wo- rüber diskutierten die Menschen im Land? Was fand abseits der Metropolen in der Eifel oder in Westfalen statt? Was bewegte die Politik, was die Popkultur? Wie wurde der Strukturwandel bewältigt? Welche Dramen schafften es in die Schlagzeilen? Und welchen Klimbim zeigte das Fernsehen?

Ich freue mich auf viele Erinnerungen und darüber, dass dieses Buch unsere Sende- reihe im WDR-Fernsehen mit Geschichten und vielen Fotos begleitet. Kommen Sie mit auf eine bunte und bewegende Reise durch die Siebziger!

Tom Buhrow Intendant des WDR

Unser Land in den 70ern | Nordrhein-Westfalen schreibt Geschichte 5 Inhalt

Als das Wetter 1970 verrücktspielte

2 Viel Lärm um nichts: Das Düsseldorfer Schauspielhaus wird eröffnet 3 Ein Star in Herne: Udo Jürgens auf Flöz Sonnenschein Titel Nummer eins: Die Borussia Mönchen gladbach startet durch Blick durchs Schlüsselloch: 1971 Das Jahr der Skandale Der Schulmädchenreport erobert den Markt 3 Licht aus, Spot an:

Miss Leichtathletik: Ilja Richter macht Disco Heidemarie Rosendahl springt Weltrekord 32 Vom Buchhändler zum Global Player: Bertelsmann wird zur AG Boah, ey!: Der erste Opel Manta fährt vom 3 Ein Küken in Rom: Band Ingrid Mickler-Becker wird Sportlerin des Jahres In 15 Minuten zum Genuss: Dr. Oetker entdeckt die 3 Das war spitze: Tiefkühlpizza Dalli Dalli und Hans Rosenthal 2 Runter vom Sofa: 3 Exotische Früchte in Köln: Die Trimm-Dich-Bewegung startet Premiere auf der ANUGA 22 Taxi nach Leipzig: 3 Geld verdirbt den Charakter: Der erste Tatort kommt in die Der Bundesligaskandal Wohnzimmer 3 Öffentlich geoutet: 2 Wenn die Sprache versagt: Rosa von Praunheim polarisiert Willy Brandts Kniefall von Bildung für alle: Warschau Das BAföG wird eingeführt 2 Der Schnellsprecher aus dem 2 Ein Tenno in Bonn: Zett-Dee-Eff: Der japanische Kaiser auf Staatsbesuch Die Hitparade wird Kult 3 Der annullierte Triumph: Das Büchsenwurfspiel vom Bökelberg Discounter-Millionen: Die Entführung von Theo Albrecht Einkalkulierte Kostenexplosion: Düsseldorfs neue Messe

6 Unser Land in den 70ern | Nordrhein-Westfalen schreibt Geschichte Inhalt

Dicke Luft und 1973 frischer Wind

Eine Schnauze ohne Herz: Ekel Alfred provoziert 2 Dicke Luft: Smog im Ruhrgebiet Der Vergnügungspark als Parodie: Kalkars Schneller Brüter Aus der Tiefe des Raumes: Günter Netzer wechselt sich selbst ein Der Schlitz im Kleid: Familie Klimbim erobert das Fernsehen Eine Mark mehr: Der Frauen-Streik bei Pierburg 2 Sauber aber wertlos: Beuys’ Badewanne Als wir nach den Autofreie Sonntage: 1972 Sternen griffen Öl als Druckmittel Eine Socke erzählt Geschichten: „ Gekommen, um zu töten“: Lemmi und die Schmöker Klaus Barbie wird in Bolivien entdeckt 2 Erotik auf zehn Etagen: Kölns Eros Center öffnet seine Pforten Als wir unschlagbar waren 3 Große Klänge in kleiner Stadt: 1974 Das Jazzfestival Moers betritt die Bühne Ehrverlust: Lach- und Sachgeschichten: Heinrich Bölls Antwort auf Die Sendung mit der Maus startet Springer Conny Kramer ist tot: Welteroberung en miniature: Juliane Werding singt sich auf Platz Playmobil wird erfunden eins Weiße Wiese, Rote Erde: Von der Raketa zum Rheinpfeil: Das Westfalenstadion wird eröffnet Das Traglügelboot der KD 2 Der Kundschafter des Friedens: Fröhliche Küche: Günter Guillaume wird enttarnt Die Prilblume sprießt Trocken durch die Wildnis: Comic-Kunst: Der Allwetterzoo Münster öffnet Das erste ZACK-Magazin erscheint Hoch auf dem gelben Wagen: 2 Der blonde Barde: Walter Scheel wird Heino besingt den blauen Enzian Bundespräsident Brüder und Schwestern: „Du blöde Sau“: Die erste Homosexuellen-Demo spricht Klartext in Münster Die Legende von Harrys Wagen: Die Bestie von Essen: Derrick ermittelt Udo Schwulera löscht Ein Fußballtraum wird wahr: seine Familie aus Weltmeister im eigenen Land Terror im olympischen Dorf: 2 Wim, Wum, Wendelin: Die Geiselnahme von München Der große Preis wird Quotenhit

Unser Land in den 70ern | Nordrhein-Westfalen schreibt Geschichte 7 Inhalt

1975 Das Jahr der Frau

Glabotki: Die NRW-Gebietsreform Witterungsgeschützt und umweltfreundlich: Die H-Bahn Integration durch Mitbestimmung: Kemnade ’75 International Diplom in Abwesenheit: Semesterbeginn an der Fernuni Hagen Ein positives Alles-mal- ausprobieren: Das erste Yps erscheint 2 Kleines Tütchen, große Literatur: Die Ahoj-Brause wird 50 3 Heiliger Kunstraub: Die Plünderung der Kölner Domschatzkammer No future: Die Sex Pistols und der Punk Sozialismus im Klassenzimmer: 1976 Das Jahr der Helden Dieter Süverkrüp und Baggerführer Willibald 2 „Nicht mal schwimmen kann der“: Bügeleisen, Flitzebogen, Schüssel: Berti Vogts’ Länderspieltor Eröffnung des Müngersdorfer Stadions 2 Schwere Schiebung in Düsseldorf: Die Oberkasseler Brücke wird 2 Unsägliches Grauen: verschoben Der Majdanek-Prozess beginnt 2 Projekt der Sehnsucht: Der Circus Roncalli geht auf Tour 3 Don Hennes: kehrt zurück nach Köln 32 Der Menschenfresser von Duisburg: Die unfassbaren Verbrechen des Joachim Kroll 3 „Dieser nutzlose Boykott“: Annegret Richter holt Gold 3 Gefangen in schwindelnder Höhe: Die Entführung Hendrik Snoeks 3 Ein unbequemer Dichter: Wolf Biermann in Köln 3 Freispruch an der innerdeutschen Grenze: Der Fall Weinhold Lebenslang gezeichnet: Die Entführung von Richard Oetker

8 Unser Land in den 70ern | Nordrhein-Westfalen schreibt Geschichte Inhalt

1978 Rebellion mit Minipli

193 Minuten bis zum Ruhm: Deutschland wird Handball-Weltmeister Als Quote noch nicht alles war: Bio’s Bahnhof Volkes Begehren: Die Kooperative Schule scheitert 2 Ein Buch im Regal: Dem 1. FC Köln gelingt das Double Vom Scheidungskind zum Schlagerstar: Andrea Jürgens auf Erfolgskurs Von Raubkatzen und ihrem Ei: Die Düsseldorfer Panther gehen auf Jagd Deutscher Herbst in Düsseldorf: 1977 Im Zeichen des Terrors Willy Peter Stoll wird erschossen Der versöhnende Landesvater: Ein Grundpfeiler der Johannes Rau wird Ministerpräsident Frauenbewegung: 3 Mit Pfefferminz: Die EMMA erscheint Marius Müller-Westernhagen auf Erfolgskurs Ein Sack voll Pucks: Deutschland schafft den Sprung auf die Liste: Die Kölner Haie werden Deutscher Der Aachener Dom wird Weltkulturerbe Meister Rock satt: Der WDR präsentiert die erste 1979 Der Westen im Umbruch Rockpalast-Nacht Rache an der Kunst: Schund oder Schuldbewusstsein: Bohlmanns Säure-Attentate Die TV-Serie Holocaust wird 2 Sie will keine Schokolade: ausgestrahlt Trude Herr eröffnet ihr Theater Von Licht- und Schattenspielen: Die Praktiken der BILD-Zeitung: Die Gründung des Filminstituts Wallraffs Aufmacher erscheint Düsseldorf Eisstockschießen und 2 Zusammengetretene Hoffnung: Fallrückzieher: Fortuna Düsseldorf steht im Klaus Fischers Jahrhunderttor Europapokalfi nale 140 Stundenkilometer: „Annemih, ich kann nit mih“: Winterberg bekommt einen Dreh mit den Fussbroichs modernen Eiskanal Vom Baggerloch zu WM-Ehren: Der Bankier des Der Sportpark Duisburg Ministerpräsidenten: Demo in Bonn: Ludwig Poullains Rücktritt Die Atomkraft-Gegner gehen auf die Straße 2 Klementine, Tilly und Frau 2 Luxus, Laster, Lügen: Sommer: Vera Brühne wird aus der Haft entlassen Werbung in den Siebzigern 22 Wettrüsten im Kalten Krieg: Der Nato-Doppelbeschluss wird verabschiedet 2 Umweltschutz und Lebensqualität: Gründung der Grünen in NRW 2 Geschichte wird gemacht: Fehlfarben machen neue Musik

Unser Land in den 70ern | Nordrhein-Westfalen schreibt Geschichte 9 1970 Als das Wetter verrücktspielte

NRW liegt bis nach Ostern unter einer dicken Schneedecke. Es folgen Hochwasser und im Sommer Sturm und Regen, eine Missernte ist das Resultat. Willy Brandts Ostpolitik beherrscht die Titelseiten. Ebenso die ungesunde Lebensweise der Deutschen: Sport wird mit der Trimm- Dich-Bewegung massentauglich. Die Profi s von Borussia Mönchengladbach, wie Günter Netzer und Berti Vogts, werden zum ersten Mal Deutscher Meister. Der Meister auf der Straße heißt in diesem Jahr Opel Manta.

1970

16. Januar

Viel Lärm um nichts indestens 0 Millionen Euro Sanierungs- Mkosten für das Düsseldorfer Schauspiel- Das Düsseldorfer Schau- haus veranlassen im Herbst 2016 Oberbürger- spielhaus wird eröffnet meister Thomas Geisel zu dem Statement „Man muss sich entscheiden, ob uns das wert ist, wenn die Kosten signiikant überschritten werden – koste es, was es wolle.“ Ein Aufschrei der Entrüstung geht durch die Düsseldorfer Kunstszene: Das Schauspielhaus sei Teil der renommierten heatergeschichte Düs- seldorfs und deshalb absolut schützens- und erhaltenswert. Bereits 1747 lässt Kurfürst Karl heodor das ehemalige Gießerhaus Grupellos zum heater umbauen. An der Stelle des heutigen Opernhauses wird von 1873 bis 1875 das erste Stadttheater errichtet, Mitte 1904 gründen Louise Dumont und Gustav Lindemann das Schauspielhaus Düsseldorf. An der angegliederten heaterakademie ist Gustaf Gründgens der wohl bekannteste Schüler. Der wird nach dem Krieg Ge- neralintendant der Städtischen Bühnen, als Spielstätte dient das Operettenhaus in der Jahnstraße, die jedoch durch einen Neubau auf dem Trümmergelände östlich des Dreischeibenhauses ersetzt werden soll. Der in Düsseldorf ansässige Architekt Bernhard Pfau zeichnet für den Bau ver- antwortlich. Das benachbarte Dreischei- benhaus ist durch seine Höhe prägend für die Umgebung, Pfau stellt dem ein eigenes Konzept entgegen. Ausgehend von einem kugelförmigen Konzept, ent- wirft er zunächst einen linsenförmigen Baukörper, aus dem sich dann die heuti- ge Form aus einer Schichtung von Schei- ben entwickelt. Die Vorderfront wirkt verschlossen, beinahe abweisend, ein- zig durchbrochen durch einige wenige

Richtfest 1968 mit Fenster, die im ursprünglichen Entwurf Oberbürgermeister Pfaus fehlen und erst auf Wunsch der Mitarbeiter eingefügt werden. Auch das vorge- Willi Becker (2. v. r.) lagerte Kassenhäuschen ist in Pfaus ursprünglichem Entwurf nicht enthalten. Nach fünjähriger Bauzeit wird das Düsseldorfer Schauspielhaus mit der Aufüh- rung von Georg Büchners Dantons Tod am 16. Januar 1970 eröfnet. Und allen Unken- rufen des Oberbürgermeisters zum Trotz, wird es auch nach erfolgter Renovierung wieder seine Pforten öfnen.

12 Unser Land in den 70ern | 1970 1970

19. Januar

Musik für die Kumpel

Ein Star in Herne s ist sechs Uhr morgens, als am 19. Januar 1970 auf der ESchachtanlage Friedrich der Große ¾ in Herne große Auf- Udo Jürgens auf regung herrscht – der Schlagerstar und Teenagerschwarm Udo Flöz Sonnenschein Jürgens hat sich zu einer Grubenfahrt angekündigt. Als er mit einer Mercedes-Pullmann-Limousine auf dem Werksgelände vorfährt, ist die Neugier groß. Der Mann, der 1967 mit Merci Chérie den Grand Prix Eurovision de la Chanson, den heutigen Eurovision Song Contest, ge- wann und die Titelseiten zahlreicher Boulevardzeitungen ziert, wird von der Werks- leitung mit Assessor Carl-Hermann Enneker und dem IGBE-Chef Adolf Schmidt am Werkstor begrüßt und in die Kaue geleitet. Dort zieht er statt des weißen Bademan- tels die weiße Bergmannskleidung an, wird mit Selbstretter und einer Koplampe aus- gestattet und fährt mit seiner Begleitung an Schacht 6 zum Flöz Sonnenschein in 900 Metern Tiefe. Der vollmechanische Streb ist das Vorzeigeobjekt unter den Abbau- betrieben im gesamten Revier. Nachdem Jürgens den Stolz der Zeche besichtigt hat, kehrt er an die Oberläche zurück und geht in die große Lohnhalle der Schachtanlage. Dort warten bereits hunderte von weiblichen Fans und neugierigen Kumpels auf das Konzert, das der Star dort geben wird. Er singt seine Hits Cotton Fields, Old man river, Merci Chérie und Dein letzter Brief. Die Zuhörer sind begeistert, klatschen im Takt mit und tanzen zur Musik. Jürgens nimmt ein Bad in der Direktions-Kaue, trift sich dann mit Werksleitung und Gewerkschaftern zum Mittagessen im Casino Friedrichseck. Dort wird er von seinen zumeist weiblichen Fans umringt und muss noch unzählige Autogramme schreiben, bevor er wieder in die Limousine steigt und Herne verlässt. Auf der Grube und in der Stadt hinterlässt der Besuch des Weltstars nachhaltigen Eindruck. „Udo Jürgens kam als Schwarm der Teenager und ging als Freund der Berg- leute“, schreibt einen Tag später die WAZ.

Unser Land in den 70ern | 1970 13 1970

30. April

s ist der Startschuss in die erfolgreichste Ära der Borussia Verein für Leibes- Eübungen 1900 e.V. Mönchengladbach, als zur Saison 1964/65 Hennes Weisweiler auf Empfehlung Sepp Herbergers Trainer bei Borussia Mönchengladbach wird. Der Verein war bei der Umstrukturierung des Fußball-Ligasystems durch den DFB in die neu geschafene Regionalliga West eingestuft worden – der zweithöchsten deutschen Spielklasse. Weisweiler, der aus Köln-Lechenich stammt, hat zuvor bereits den 1. FC Köln, für den er selbst bis 1952 als Spieler 62 Spiele bestritten hatte, Victoria Köln und den Rheydter SV trainiert, was ihn nicht unbedingt zum Fan-Liebling macht, sind doch dies sportliche Erzrivalen des Eyckener Traditionsvereins. Der Kader der Mannschaft besteht zu Beginn der Saison aus erfahrenen Spielern und jungen Nach- wuchsspielern wie Bernd Rupp und . Be- reits ein Jahr zuvor hatte Manager Helmut Grashof den Titel Nummer eins jungen Günter Netzer verplichten können. Mit einem Die Borussia Mönchen- Durchschnittsalter von gerade einmal 21,5 Jahren ist die Mannschaft die jüngste aller Regionalliga-Mannschaften. gladbach startet durch Wegen ihrer Jugend und der unbekümmerten, erfolgrei- chen Spielweise schreibt der Rheinische Post- Reporter Wilhelm August Hartmann, sie würden spielen wie junge Fohlen – der Begrif Fohlenelf ist geboren. Schon im April ist die Borussia Stafelsieger der Regionalliga West, qualiiziert sich für die Bundesligaaufstiegsrunde in der Gruppe 1. Dort kann sie sich in Hin- und Rückspielen gegen Wormatia Worms, den SSV Reutlingen und Holstein Kiel durchsetzen und steigt als Gruppensieger gemeinsam mit dem Sieger der Gruppe 2, Bayern München, in die auf. Finanziell kann der Verein keine großen Sprünge machen, kann keine fertigen Stars verplichten, sondern setzt auf junge, oft unerfahrene Talente. Zwei davon sind Berti Vogts und Heinz Witt- mann, die 1965 an den Bökelberg, die Spielstätte des Vereins, kommen. Weisweiler versteht es, die Talente seiner Spieler zu fördern und lässt der Mannschaft taktische Freiheiten. Das Abenteuer Bundesliga startet mit einem 1:1 gegen Borussia Neun- kirchen, erster Bundesligatorschütze für die Borussia ist Gerhard Elfert. Doch muss die Borussia auch Lehrgeld zahlen und kassiert mit einem 0:7 gegen Werder Bremen die höchste Heimniederlage der Vereinsgeschichte. Die Saison schließt der Neuling auf Tabellenplatz 13 ab. Insgesamt siebzig Tore in der Folgesaison, ein 11:0 Heimsieg gegen Schalke 04 und Platz acht in der Anschlusstabelle wecken Begehrlichkeiten – die Gehälter der Spieler steigen und einige verlassen den Verein. Heynckes geht nach Hannover, Bernd Rupp zu Werder Bremen, Manager Grashof holt neue Spieler und hat Erfolg, Gladbach wird Dritter in der Saison 1967/68. Zur neuen Saison verstärkt

14 Unser Land in den 70ern | 1970 1970

30. April

Der Meister beim Korso durch die Gladbacher Innenstadt sich die Elf mit Horst Köppel, der bereits Erfahrungen in der deutschen National- mannschaft gesammelt hat und später auch Trainer bei der Borussia wird, Hartwig Bleidick, Gerd Zimmermann, Winfried Schäfer und dem Torhüter Wolfgang Kleff. Der Mann aus Schwerte, der später zum Kulttorhüter wird, kommt in seiner ersten Saison hinter der Nummer eins Volker Danner zu neun Einsätzen. Bereits in seiner zweiten Saison macht ihn Weisweiler zum Stammtorhüter. Die Mannschaft wird auch im Sommer 1969 wieder Dritter. Für die neue Saison 1969/70 legt Weisweiler besonderes Augenmerk auf die Verstärkung der Abwehr. Die erfahrenen Luggi Müller vom 1. FC Nürnberg und Klaus-Peter Sielof vom VFB Stutt- gart verstärken die Hintermannschaft und mit Ulrik le Fevre kommt der erste Däne an den Bökelberg. Die Saison läuft gut für die Borussia. Zum ersten Mal gelingt ein Sieg gegen den späteren Dauerrivalen Bayern München, und am 31. Oktober 1969 übernimmt die Elf vom Niederrhein nach einem 5:1-Sieg über Alemannia Aachen zum ersten Mal die Tabellenführung in der Bundesliga. Dort steht sie auch, als es am 30. April 1970 gegen den Angstgegner Hamburger SV geht. Durch Tore von Laumen, Vogts, Köppel und Bleidick führt die Borussia 4:0, als in der 55. Minute Hans-Wer- ner Kremer den Anschlusstrefer erzielt und die Partie noch einmal zur Zitterpartie für die Fohlen gerät. Die Hanseaten kommen noch auf 3:4 heran, doch dann ist das Spiel zu Ende, Gladbach zum ersten Male Deutscher Meister. Im Mönchengladbacher Stadtteil Eicken läuten die Kirchenglocken, für die Mannschaft geht es zur heimlich vorbereiteten Meisterfeier und die Stadt erlässt dem Verein die Vergnügungssteuer.

Unser Land in den 70ern | 1970 15 1970

Blick durchs Schlüsselloch s ist das erfolgreichste Kinoprodukt EDeutschlands: 100 Millionen Besucher, Der Schulmädchenreport 13 Teile, übersetzt in 38 Sprachen. In ihm erobert den Markt spielen angesehene Schauspieler wie Fried- rich von hun, Jutta Speidel, Sascha Hehn und Heiner Lauterbach mit, von denen heu- te jedoch niemand mehr gern darauf angesprochen wird. Denn wer möchte schon daran erinnert werden, in einem Teil der Filmserie Schulmädchenreport mitgespielt zu haben? Aufklärerisch sollen die Filme sein, so der Düsseldorfer Produzent Wolf C. Hartwig, Licht in die dunklen Geheimnisse jugendlicher Sexualität bringen. Die Kritik sieht dies anders. „Ein schmieriger Film aus verklemmter Doppelmoral. […] Eine kleinbürgerlich-patriarchale Männer- und Altherrenphantasie“, so die Wissenschaftlerin Annette Miersch. Ursprünglich ist der Schulmädchenreport ein 1970 erschienenes Buch des Autors Günther Hunold. Vom Namen her steht es in der Tradition der Kinsey-Reporte, die Einblick in das menschliche Sexualverhalten geben. Laut Autorenvor- wort ist es eine wahrheitsgetreue Darstellung des sexuellen Verhaltens junger Mädchen. Zu diesem Zweck führt Hunold 34 Interviews mit Schülerinnen im Alter von 14 bis 20 Jahren, die die Realschule oder das Gymnasium besuchen. Hunold ent- wirft einen Katalog von 157 Fragen zu hemen wie Steckbrief, Milieu, Träume, Masturbation, Deloration oder Geschlechts- leben. Die „bemerkenswertesten“ Interviews werden im Buch abgedruckt. Sicherlich können Hunold aufklärerische Intenti- onen nicht abgesprochen werden, aber sicher ist auch, dass das Buch die Nachfrage nach sexueller Aufklärungsliteratur und Unterhaltung befriedigt. Als der Filmproduzent Hartwig bei Hunold vorstellig wird, glaubt dieser nicht an den Erfolg der

Filmszene von 1973 Verilmung seines Buches und fordert statt einer Gewinnbetei- ligung eine einmalige Summe von 30.000 DM. Der Film wird ein voller Erfolg. Sechs Millionen Zuschauer gehen in die deutschen Kinos, um das Liebesleben der deut- schen Schülerinnen kennenzulernen, und sehen Kaufhaus-Verkäuferinnen zwischen 16 und 19 Jahren zu, die für eine Tagesgage von 500 DM die Schülerinnen mimen – Arm in Arm mit Heiner Lauterbach.

16 Unser Land in den 70ern | 1970 1970

3. September

ine große deutsche Boulevardzeitung nennt sie 1968 „Miss ELeichtathletik“. Und in der Tat, Heidemarie Rosendahl, ge- boren am 14. Februar 1947 in Hückeswagen, ist bei den Olympi- schen Spielen von Mexiko-Stadt die große deutsche Leichtath- letikhof nung – und enttäuscht auf ganzer Linie. Rosendahl, die bei dem Leverkusener Trainer Gerd Osenberg trainiert und zu dessen Gruppe Ulrike Meyfart gehört, ist Silbermedaillen- gewinnerin im Fünfkampf bei den Europameisterschaften in Budapest geworden und kommt als Favoritin nach Mexiko. Doch im Weitsprung landet sie nur auf Platz acht, den Fünf-

kampf muss sie verletzungsbedingt absagen. Rosendahl bei der Ihr internationaler Durchbruch kommt am 3. September 1970, als sie bei der Uni- Olympiade 1972 in München versiade in Turin mit 6,84 Metern einen neuen Weltrekord springt. Damit verbes- sert sie den erst zwei Jahre alten Weltrekord der Rumänin Vio rica Viscopoleanu um 2 Zentimeter. Diesen hatte sie bei den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt erzielt. Rosendahl war da mit 6,40 Metern Achte geworden. Rund 20 Jahre bleibt ihre Weite als nationaler Rekord bestehen. Zusammen mit den Laufkolleginnen Groh, Schül- ler und Roggenkamp gewinnt sie auch Bronze in der 4x100-Meter-Staf el. Endgültig geht der Stern Rosendahls bei den Olympischen Spielen von München 1972 auf. Am sechsten Wettkampftag gewinnt sie mit einer Weite von 6,78 Metern die erste Gold- medaille für die bundesdeutsche Mannschaft. Zwei Tage später folgt Silber im Fünfkampf – eine zweifel- Miss Leichtathletik hafte Tatsachenentscheidung beim Weitsprung bringt sie um den Sieg. Höhepunkt ist dann der 4x100-Me- Heidemarie Rosendahl ter-Lauf. Eigentlich wollen sie die Sprinterinnen gar springt Weltrekord nicht mitlaufen lassen, zu viel haben sie zuvor leisten müssen – doch Rosendahl geht an den Start. Zusam- men mit Christiane Krause, Ingrid Mickler und Annegret Richter kämpft sie gegen die Staf el der DDR um Gold. Diese hat im Halbi nale einen neuen Europarekord aufgestellt, stellt mit Renate Stecher die frischgekrönte Olympiasiegerin über 100 Meter als Schlussläuferin gegen Rosendahl auf. Aber die westdeutsche Staf el gewinnt mit hauchdünnem Vorsprung in neuer Weltrekordzeit die Goldmedaille. Mit ihren drei Medaillen wird Rosendahl das Gesicht der Olympischen Spiele. Bereits ein Jahr später beendet sie ihre aktive Karriere. „Als einziges Ziel wäre mir der erste Sieben- meter-Sprung einer Frau übriggeblieben. Das war mir, ehrlich gesagt, zu wenig“, sagt später die Frau, die 43 deutsche Titel holt und 42 nationale Rekorde aufstellt.

Unser Land in den 70ern | 1970 17 1970

September

Boah, ey! Der erste Opel Manta fährt vom Band

mmer noch, fast dreißig Jahre Inachdem sie in Mode kamen, kursieren unzählige Mantawitze im Internet. Sie spielen auf die sozialen Merkmale und Verhaltensweisen des angeblich typischen Mantafahrers an: ein Proll, Auto aufgemotzt, Fuchsschwanz an der Antenne, auf dem Rücksitz ein Six- pack, auf dem Beifahrersitz eine Blondine. Er spricht Ruhrpott-Slang, trägt Cowboys- tiefel – Mantaletten –, sein Bildungsniveau ist, wie auch sein Auto, tiefergelegt und der Wortschatz geht selten über das Boah, ey! hinaus. Dem Auto hinter dieser beson- deren Spezies Mann haben in den frühen Neunzigerjahren zwei Filme ein Denkmal gesetzt: Manta – Der Film von Peter Timm und Manta Manta mit Til Schweiger und Tina Ruland. Der Manta ist einer der größten Erfolge der Adam Opel AG. Der Autobauer aus Rüsselsheim verkauft zwischen 1970 und 1988 insgesamt 1.056.436 Autos des inzwi- schen zum Kult gewordenen Modells. Ende der Sechzigerjahre beginnt Opel das Projekt 10 – es soll ein Konkurrenzmodell zum Ford Capri entwickelt werden, der sich, seit 1968 auf dem Markt, sehr gut verkauft. Heraus kommt ein sogenanntes Pony-Car – in Anlehnung an das erste derartige Auto, den Ford Mustang. Die Mo- torhaube ist langgezogen, die Heckpartie hat vier runde Rückleuchten, die breiten Türen haben rahmenlose Fenster und der schwarze Kühlergrill ist mit vier Rund- scheinwerfern versehen. Fahrer und Beifahrer sitzen in stark ausgeformten, anato- mischen Sitzen. Die „Sportschaltung“ ist ein vollsynchronisiertes Viergang-Getriebe mit kurzem Schaltknüppel auf der Mittelkonsole. Nach außen ein Sportwagen, ist der Manta mit eher schwachen Motoren versehen – der Wunsch nach mehr Power ist schnell geweckt. Und da bei Opel alles mit allem zusammenpasst, wird leißig gebas- telt – auf neudeutsch getuned. Ob stärkere Maschine, andere Vergaseranlagen oder Zylinderköpfe: tiefer, schneller, lauter heißt das Motto. Bunte Lackierungen, schwar- ze Scheibenfolie, Heckspoiler breit wie Kneipentheken und 1000-Watt-Anlage rufen Bewunderung, Erstaunen und Heiterkeit hervor. Witze werden gemacht. Witze, die besonders einer nicht verdient hat – der Opel Manta.

18 Unser Land in den 70ern | 1970 1970

1. Oktober

ie ist mit fast achthundert Millionen Stück jährlich der Fast-Food-Favorit der SDeutschen – die Tiefkühlpizza. Und das ist, glaubt man der Wissenschaft, auch gut so. Sie soll wegen der Inhaltsstofe des Tomatenmarks den Körper vor Sonnen- brand schützen – jedoch nur in großen Mengen. Und so können tiefkühlpizzage- stählte deutsche Körper ohne Vorbehalte in der Sonne bruzzeln. Der deutsche Siegeszug der Tiefkühlpizza be- ginnt am 1. Oktober 1970. Da startet der Dr.-Oet- In 15 Minuten zum Genuss ker-Konzern den lächendeckenden Verkauf sei- ner Tiefkühlpizza, belegt mit Mozzarella- und Dr. Oetker entdeckt die Provolone-Käse, Mortadella, Tomaten und Papri- Tiefkühlpizza ka, der Pizza alla Romana. Der Verkauf beginnt zögerlich, nur 500 Pizzen verlassen pro Tag die Fabrik. Dabei lieben die Deutschen mittlerweile die traditionelle Fladenspeise aus Italien, seit 1952 der Italiener Nicola di Camillo in Würzburg die erste Pizzeria in Deutschland, Sabbie di Capri, eröfnet hat. In den USA, wo die Pizza bereits seit 1905 zum festen Speiseplan gehört, produzieren die Celentano-Brüder bereits 1957 die erste Tiefkühlpizza, die schnell zum populärsten Tiefkühlprodukt des Landes wird. In Europa beginnt Romano Freddi 1968 mit der industriellen Produktion von Tiefkühlpizzen – einer seiner Abnehmer wird die Firma Dr. Oetker. Doch ist die Produktion zunächst schwierig: Der gelieferte, rohe Hefeteig ist beim Einfrieren und auch Auftauen oft beschädigt, das Aluminiumge- schirr, in das das Produkt verpackt ist, zu schwer. Aber trotz dieser Anlaufschwierigkeiten entdecken die Deutschen die Tiefkühlpizza bald für sich. Sie ist schnell und einfach zu- bereitet: Karton öfnen, Folie abmachen, das gefrorene Produkt in den vorgeheizten Ofen schieben – und 7 bis 15 Minuten später ist die Pizza fertig. Die Tiefkühlpizza trotzt allen Le- bensmittelskandalen und allen Warnungen vor Übergewicht und gesundheitlichen Problemen. Mit ihr holen sich die Deutschen einen Hauch Urlaub in die

heimischen Küchen, und für eine Gesellschaft, in der es immer Dr. August Oetker 2004 mehr Singlehaushalte gibt, ist sie das perfekte Schnellgericht – Fast Food für zu Hause eben.

Unser Land in den 70ern | 1970 19 1970

nfang der Siebziger: In Deutschland herrschen schwere Zeiten, und das im Awahrsten Sinne des Wortes. Nach den kargen Nachkriegsjahren sorgt das deut- sche Wirtschaftswunder dafür, dass die Deutschen sich endlich Runter vom Sofa wieder etwas gönnen können. Vorbei sind die Zeiten, als Schmal- hans Küchenmeister war, nun wird aus dem Vollen geschöpft. Die Trimm-Dich- Sehr zur Freude der Deutschen, doch zu Lasten ihrer Gesund- Bewegung startet heit. Die Deutschen sind zu fett. Rund ein Drittel der Männer und 40 Prozent der Frauen haben Übergewicht. Das hat Folgen: Etwa 20.000 Herzinfarkte pro Jahr, immer mehr Kreislauferkrankun- gen und Frühpensionierungen rufen die Krankenkassen auf den Plan. Zusammen mit der Politik und der Wirtschaft sagen sie dem Übergewicht und dessen Folgen den Kampf an. Das Ergebnis ist die Trimm-Dich-Bewegung. Erfunden wird sie von Professor Jürgen Palm. Der langjährige Geschäftsführer Breitensport des Deutschen Sportbundes ebnet damit dem Freizeitsport den Weg. Bis in die siebziger Jahre ist Sport eng mit den Begrifen Wettkampf und Leistung, Ju- gend und Erfolg verknüpft, Breiten- und Individualsport existieren nicht. Das ändert sich nun, jetzt entdecken auch die Übergewichtigen, Alten und vermeintlich Leis- tungsschwachen den Sport für sich. Und natürlich brauchen die Deutschen Vorbil- der. Doch nicht top gestylte, selbsternannte Fitnessgurus wie Daniel Aminati oder Sophia hiel, die heute gegen den inneren Schweinehund antreten, sind die Vortur- ner der Sport-Neulinge. Sondern ein kleines freundliches Männchen, quadratisch, praktisch, gut, mit roter Hose, weißem Turnhemd, bravem Scheitel und aufmuntern- dem Lächeln, macht der Republik Beine – Trimmy, das Symbol der neuen Fitness-Be- wegung. Der lächelt von Plakaten und reckt den Zeitungslesern den Daumen in die Höhe. Slogans wie „Laufen ohne Schnaufen“ und „Ein Schlauer trimmt die Ausdau- er“ verhelfen der Bewegung zum Erfolg. Sie trift den Nerv der Zeit. Die Deutschen müssen weniger arbeiten, haben mehr Freizeit, in der es sie hinaus ins Grüne zieht. 1971 wird die Trimm-Spirale eingeführt. Diese ist unterteilt in hundert Felder, jedes Feld ein Punkt. Um die Punkte zu erwerben, stehen dem Trimmer 23 Sportarten und Übungsbereiche zur Auswahl. Einen Punkt gibt es für 5 Minuten Laufen, 10 Minuten Schwimmen oder 15 Minuten Radfahren. Aber auch 60 Minuten Gartenarbeit wer- den mit einem Punkt belohnt. Die Trimm-Spirale liegt in Postkartengröße überall aus oder kann aus allen Broschüren ausgeschnitten werden. Gegen eine Gebühr von 1,50 DM erhält man dann die Anstecknadel plus Urkunde zugeschickt. Das Credo ist: Bewegt euch! Egal wie und wo!

20 Unser Land in den 70ern | 1970 1970

Mit den Olympischen Spielen 1972 erlebt die Trimm-Dich-Bewegung ihren Hö- hepunkt; 94 Prozent der Bevölkerung kennt sie. Fast zeitgleich entstehen in vielen Städten und Gemeinden die Trimmpfade, ein Parcours, in dem an zahlreichen Sta- tionen Übungen abgefordert werden. Dabei werden Klimmzüge, Rumpfbeugen und Bocksprünge wiederentdeckt. Doch gehen diese Pfade nicht auf eine Initiative der Trimm-Dich-Bewegung zurück, vielmehr haben sie ihren Ursprung in den Vita- Parcours aus der Schweiz. Mit Besorgnis betrachten die Sportvereine das Ganze, denn der Sport wird plötzlich als Frei- zeitvergnügen gesehen, nicht mehr als Leistungsschau. Sie reagieren und schaf- fen neue Angebote, speziell auch für Frauen, denn 1971 sind nicht einmal 30 Prozent der Mitglieder des Deutschen Sportbundes Frauen. Die Vereine geben Kurse, führen Volkswettbewerbe ein und erschließen sich neue Zielgruppen. Sind 1970 lediglich 10,1 Millionen West- deutsche Mitglied in einem Sportver- ein, so sind es zehn Jahre später bereits 17 Millionen. Heute heißt Dauerlauf Joggen, aus mui gen Krafträumen sind trendige Fitnessstudios geworden, die Sporthose und das weiße Turnhemd sind functio- nal wear gewichen und Trimmy wurde von all den gut dei nierten Selbstdarstel- lern der heutigen Fitnesswelle ersetzt. Eins ist jedoch geblieben: Die Deutschen sind immer noch zu dick, trotz Zumba, Jogging und Nordic Walking.

Das Logo mit Trimmy

Unser Land in den 70ern | 1970 21