Forum für historische Kommunikationsforschung

Heimat in der Fremde

Der Kulturpublizist Ludwig Ullmann

Katholische Journalistik in Österreich 1933— 1938

Der Filmpublizist Arnold

Sonka, Serke, Wehle und ich 4/88 Jahrgang 3 Medieninhaber und Herausgeber: Verein „Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung (AHK)“, 1014 Wien, Postfach 208; Vorstand des AHK: DDr. Oliver Rathkolb (Obmann), Dr. Hannes Haas (Obmann-Stv.), Dr. Roman Hummel (Obmann-Stv.), Dr. Wolfgang Duchkowitsch (Geschäftsführer), Dr. Peter Malina (Geschäftsführer-Stv.), Margit Suppan (Kassierin), Dr. Theodor Venus (Kassier-Stv.), Margit Steiger (Schriftführerin), Dr. Fritz Hausjell (Schriftführer-Stv.)

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ISSN 0259—7446 Medien & Zeit 4/88

Inhalt Editorial

„In Wahrheit hat mein ,Exil‘ schon damals, im Einer Verfolgung durch die Nationalsozialisten Februar 1934, begonnen.“ Auszüge aus: Heimat gewärtig, floh der Theaterfachmann, Feuilletonist in der Fremde. Ein Buch der Erinnerung und der und Schriftsteller Ludwig Ullmann in der Nacht vom Gegenwart. 11. zum 12. März nach Ungarn. Mit einem biographi­ Ludwig Ullmann...... 3 schen Porträt, verfaßt von Heinz Lunzer, wollen wir im Bedenkjahr 1988 noch einmal auf das Schicksal Ludwig Ullmann. von Emigranten aufmerksam machen. Heinz L u n ze r...... 14 Mit Auszügen aus der bisher ungedruckten Bio­ Katholische Journalistik in Österreich 1933— graphie Ullmanns, Heimat in der Fremde, wollen wir 1938. diesen selbst sprechen lassen. Gerade sein Satz, „Es Michael Schmolke...... 17war, so scheint es in der Rückschau, eine sorglose Welt“, verpflichtet uns, vom Thema „Exil“ nicht zu Der Filmpublizist Arnold Roger Manvell 1909— lassen. 1987. Eine bio-bibliographische Notiz. „Wie haben die Menschen in den dreißiger Winfried B. L e r g ...... 25 Jahren das vor ihnen Liegende zu sehen, zu erraten, zu Sonka, Serke, Wehle und ich. beurteilen versucht, was wir im historischen Rück­ Eckart Früh...... 30 spiegel geschärften Blicks zu erkennen meinen.“ Ei­ nem „inneren Zwang“ verpflichtet, durch die Brille Rezensionen seines Vaters auf jene Jahre zu schauen, entwirft Wolfgang Duchkowitsch...... 33 Michael Schmolke ein zeitgeistiges Szenario, in dessen Vordergrund die beruflich-geistige Sozialisation eines beliebigen katholischen, „reichsdeutschen“ Journali­ sten steht. Wir möchten hier Ihre Aufmerksamkeit auf den Ausgangspunkt dieses Szenario lenken: Die Zu­ friedenheit des Journalisten mit dem „Schriftleiterge­ setz“ vom 4. Oktober 1933; eine „öffentliche Aufga­ be“ und die „innere Pressefreiheit“, wofür er sich jahrelang eingesetzt hat, ist endlich anerkannt. Der Ausschlußparagraph (§ 5, Z. 3), wonach künftig nur mehr jener Journalist als Schriftleiter tätig sein kann, der „arischer Abstammung ist und nicht mit einer Person nicht arischer Abstammung verheiratet ist“, berührt ihn nicht, betrifft ihn nicht, „denn er ist ja katholisch“. Falls sich sein Gewissen angesichts der Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer, sozialisti­ scher oder kommunistischer Kollegen dennoch be­ droht gefühlt haben sollte, so kann er zur Sicherung seiner Zufriedenheit Argumente anführen, die ihm österreichische Publizisten vor und nach der „Mach­ tergreifung“ Hitlers als Zuspruch und Trost dienten: Joseph Eberle, Redakteur der Reichspost, mit seiner Großmacht Presse (3. Aufl. 1920) sowie der Chefre­ dakteur des katholischen Grazer Volksblattes, Ro­ chus Kohlbach, Doktor der Theologie und späterer Dompfarrer, mit seiner Arbeit Kreuz und Feder, 1933. Um Verständnis für „Anpasser“ zu wecken, verweist Schmolke auf Einzelheiten persönlicher Lebensge­ schichten, wie das vergebens gerichtete Ansuchen Leopold Husinskys um Aufnahme in den „Reichsver­ band der deutschen Presse“, datiert mit 3. Februar 2 Medien & Zeit 4/88

1939. Husinsky, „Mischling ersten Grades“, Redak­ ge individuelle Schwächen zu kaschieren. Substantiell teur bei der Reichspost und später beim Volksblatt, erschiene es angesichts nationalsozialistischer Mittä­ hatte dabei „starke Argumente eingebracht, nämlich terschaft unseres Landes freilich, zu erforschen, in sechs minderjährige Kinder und eine Auswahl selbst­ welcher Weise und zu welchen Anlässen ähnlich oder verfaßter antimarxistischer und antisemitischer Arti­ parallel zum Nationalsozialismus verlaufende ideolo­ kel aus den Jahren 1929 bis 1938“ . Wie traurig für gische Muster von katholischen Massenmedien vor einen Kollegen, ebenfalls „Mischling ersten Grades“, dem „Anschluß“ verbreitet worden sind oder aber wie der — unverheiratet, kinderlos und, weil Opernkriti­ solche abgewertet wurden. Dabei wird es notwendi­ ker, mit weniger Gelegenheit ausgestattet, antimarxi­ gerweise auf die Beurteilung der Frage ankommen, ob stisch und antisemitisch zu schreiben — um die Erklären der Vergangenheit und Lernen aus Ge­ gleichen Ausnahmsargumente ringt. Die Frage, wel­ schichte unabdingbar vor Verstehen der Vergangen­ ches Argument Husinsky stärker zum „Einsatz“ heit geht. gebracht hat, läßt dieser Beitrag offen, ein soziales Seit der deutlich zugenommenen Bereitschaft der oder ein politisches. Andere Fragen, insbesondere Kommunikationswissenschaft, sich historischen Fra­ jene, die sich an „rhetorisch“ formulierte anschließen gen unter Zugrundelegung neuer Aspekte zu stellen, können, freilich ebenso. Kein Verständnis für Vertrie­ gewinnt auch die nationale wie auch internationale bene, wohl aber für Anpassung? Der Abdruck des Geschichte des eigenen Faches zunehmend mehr an Referats von Michael Schmolke, gehalten im Rahmen Bedeutung. Einen Beitrag zur Blickfelderweiterung der Veranstaltung des Verbandes katholischer Publi­ liefert Winfried B. Lerg, indem er den englischen zisten Österreichs, „‘Gruß Gott’ und ‘Heil Hitler’. Filmpublizisten und Wissenschaftler Arnold Roger 1938 — Erinnerungen und Gewissensforschung ka­ Manvell im Rahmen einer bibliographischen Skizze tholischer Journalisten“ (Wien, 26.—28. Februar porträtiert. Schon während des 2. Weltkriegs mit 1988) soll angesichts des ausgehenden Gedenkjahres Aufgaben der Filmpropaganda betraut, untersuchte dazu Anreiz bieten und verpflichten, die begonnene Manvell im Rahmen seiner vielfältigen Wissen­ Diskussion um Anpasser und Aufpasser, Duckende schafts- und Praxisleistungen nicht nur die Rolle des und Deckende, Kriecher und Kriegende, Mittäter und Films während dieser Zeit, sondern auch die Biogra­ Täter von Schreibtisch Gnaden im Sinne der Opfer phie und Geschichte des „Dritten Reichs“. fortzuführen und zu verdichten. Der Folgen sind Eckart Früh enthüllt, wie es einem Unbeteiligten nämlich zu viele, und der Fragen immer noch zu passieren kann, als Helfershelfer und Stichwortbrin­ wenige. Antworten auf weitere werden es weisen und ger in das Buch Böhmische Dörfer — Wanderungen wissen lassen, ob in Zukunft die Idee des Aufklärens durch eine verlassene literarische Landschaft von Jür­ von Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit gen Serke (vgl. dazu die Rezension in Medien & Zeit, weniger geteilte Priorität genießt. Zuliebe der Gegen­ 88/2) zu geraten. wart sollte immerhin vermieden werden, um Ver­ Die Redaktion ständnis für Augenschließen zu heischen oder sonsti­

Autoren dieser Ausgabe:

Dr. Eckart Früh (1942), Leiter des Tagblatt-Archivs, Wien Dr. Winfried B. LERG (1932), Direktor des Instituts für Publizistik der Universität Münster Dr. Heinz Lunzer (1948), Leiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien Dr. Michael SCHMOLKE (1934), Ordinarius am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg Ludwig U llmann (1887— 1959), Journalist Medien & Zeit 4/88 3

„reichsdeutsche Tourist“ die eigentliche Sommer- Einnahmequelle gewesen. Wien selbst blieb eine im Gefühl und in der Erwerbslogik vielfach kosmopoliti­ Ludwig Ullmann sche Stadt und sie blieb die Hochburg einer richtig demokratisierten Arbeiterschicht. Aber wir gingen „In Wahrheit hat und lebten auch hier vorbei an den Massen der leicht mein ,Exil‘ schon damals, verführbar, weil halbgebildet Unzufriedenen, an den seit den Weltkriegstagen schon enterbten früheren im Februar 1934, begonnen/4 Behaglichkeitsapathikem des Mittelstandes, an den Auszüge aus: ehemaligen Nörglern und jetzigen Geheimabzeichen- Heimat in der Fremde Trägern. Wir unterschätzten zudem der sogenannten Ein Buch der Erinnerung und der Gegenwart rechtsstehenden Kreise Liebäugeln mit einer „Autoritäts“-Maschinerie, wie sie der auch vom Die ereignisvielfäl tigen zwei J ahrzehn te zwischen liberalen Wiener Bürgertum irrtümlich als „Ord­ dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg erscheinen nungsmann“ geachtete Mussolini bestechend ange­ mir heute in der Erinnerung fast wie ein geschlossenes wandt hatte. Wir waren politisch zu wenig bewandert, Ganzes. Eine absteigende Linie trat in meinen äuße­ noch interessiert, zu erkennen, daß eine wirtschaftlich ren Lebensumständen erst durch den „Umsturz“ des rechtens mißvergnügte Volksmasse nur recht behut­ Jahres 1934 ein. Aber auch dieser beließ mich im sam und theoriengläubig belehrt und kontrolliert von gewohnten Milieu und in den alten Beziehungen, rechtlichen, aber zivilisiert kampfscheuen Sozialisten, deren wirklich gefühlsmäßig fest gegründete auch dem überdies mit den offiziellen Machtmitteln verse­ mein berufliches und politisches Ungemach überdau­ henen Einfluß einer vorurteilsvollen Reaktion und erten. Ich setze zunächst daher die Erzählung, viel­ einer so skrupellosen wie glänzend finanzierten sub­ mehr Schilderung in der einheitlichen Richtung fort kutanen Propaganda unterlag. Wir hatten im Aus­ [...]. land iiie längere Zeit gelebt und wußten erfahrungsge­ Es war, so scheint es in der Rückschau, eine mäß daher wenig vom unbeugsamen Gemeinschafts­ sorglose Welt. Sie war es natürlich nicht .. ... geist der Schweizer, vop der Alltagsdemokratie des Kämpfe, Spannungen, Ungewißheiten, Ungerechtig­ Franzosen, von der Habeas Corpus-Fairneß des keiten erfüllten auch sie. Ihr Traum-Zauber entfloß Briten, von der „Vier Freiheiten“- vielmehr einer gewissen Nichtbeachtung der geänder­ Selbstverständlichkeit des Amerikaners. Wir tanzten ten, namentlich der politischen, Umstände und Bedin­ so wohl nicht auf einem Vulkan, aber wir saßen auf gungen. Diese wurden nun nicht einfach übersehen, ihm in Premierenfauteuils und bei Schriftstellerban­ aber der Abbröckelungsprozeß, den sie auch psycho­ ketten. Wir schrieben, diskutierten, debattierten, be­ logisch an dem so organisch anmutenden Gesamtge­ geisterten uns, als lebten wir tatsächlich in dem bilde unserer Existenz vollzogen, nicht zur Kenntnis Rokoko eines Kulturzeniths, der schon in eine Däm­ genommen. Wir unterschätzten die nunmehrige merung übergegangen war, die wir für leichte Som­ Kleinheit des Landes in jedem Sinne trotz der Mah­ mernebel hielten. Es nimmt sich nach den seitherigen nungen der Volkswirtschaftler. Wir lebten mit intel­ Entscheidungen und Erfahrungen aus, wie die antike, lektuellem und sozialem Elfenbeinturm-Starrsinn an von Göttertücke verhängte Verblendung. Die Pracht der Oberfläche einer unterirdisch sich folgerichtig der alten Lebenskulissen war zu bestechend. Die vorbereitenden Aushöhlung. Wir leugneten die vor Philhamonikergeigen — wenn auch schon vielfach unseren Augen sich vollziehende Veränderung des geführt von naziparteitreuen Händen — sangen be­ Volkscharakters oder vielmehr dessen Anpassung an rauschend wie einst, große Dirigenten und überzeu­ die prekären Lebenstatsachen. Wir fuhren alljährlich gende Schauspieler, schöpferische Regisseure und nach Oberösterreich oder ins Salzburgische, in die weltbrüderlich gesinnte Dichter woben ein unzerreiß­ Steiermark oder nach Tirol und ignorierten die schon bar dünkendes Zaubemetz. Schärfere Beobachter historisch gewordene Spaltung unserer Heimat in verkündeten mit belächelten Kassandrarufen die zwei volksklimatisch völlig heterogene Gebiete. Schreckensbilanz einer Statistik, die exakt genug „Westlich von St. Pölten“ nämlich setzte ein Sehn­ nachwies, daß ein Sechsmillionenvolk mit einer Zwei- suchtsdrang ein, der unbeschadet des passiveren Kon­ millionen-Hauptstadt ohne ausreichende Industrie, servativismus der Bauernbevölkerung nicht nur auf ohne zumindest ausreichende Rohstoffe, ohne ent­ jener Salzburger Gedenktafel „Heim ins Reich“ woll­ sprechend breites Agrar-Flachland nicht vom Export te und dies egoistischer schon verklausuliert hatte in gefälliger Luxusartikel und vom vielbesungenen den nicht vergessenen Tagen, da namentlich im Fremdenverkehr leben könne. Ein anderes, gefährli­ westlichen Teil unserer Alpenprovinzen der cheres Defizit wurde noch unbegreiflicher 4 Ludwig Ullmann Medien & Zeit 4/88 vernachlässigt: Das Vertrauen in die altüberlieferte Weltrevolutions-Propaganda, ein grandioses soziales „österreichische Seele“ war groß. Man traute ihr Werk vollbracht, vorbildliche Arbeiterwohnhäuser keinen Haßfanatismus zu, keinen politischen Extre­ von Riesenformat, technisch modernst eingerichtet, mismus, keinen Verzicht auf die bewährten Rückhalte fast luxuriöse Volksbäder und eine wahre Volksuni­ an bequemer Duldsamkeit, lässigem Dahingleiten versität allgemein zugänglicher wissenschaftlich seri­ und rechtzeitiger Kompromißbereitschaft. Das: „... öser Lehrkurse geschaffen. Das Bürgertum stand dem Es wird schon nicht so arg werden ... “ und: „... Der nicht unbedingt feindselig gegenüber, aber seine kon­ österreichische Pallawatsch wird auch mit dem Hitler servativen Schichten versagten psychologisch im ver­ fertig werden... “ wurden von gedankenlosen Phrasen trauensvollen Festhalten an der parlamentarischen zu selbstbetrügerischen Überzeugungen erhoben. Linie, obwohl das Gesamt-Wahlresultat des ganzen Und man lebte in einem kuriosen Überschätzungstau- Landes immer wieder fast eine bürgerliche Zweidrit­ mel, der Wiens überall auf dem Erdenrund gepriesene tel-Majorität ergab. Eine Verschärfung der Innenpo­ Kulturfreudigkeit, den Hort der Mozartsonate, des litik brachte leider die Aufstellung beiderseitiger be­ Schubertliedes, des Straußwalzers, der Sachertorte waffneter Formationen, deren Berechtigung in einem und der Heurigenrührung für weltunentbehrlich hielt. streng wahldemokratischen Staate mit logisch unpar­ Man blickte auf den in Salzburg dirigierenden Tosca­ teilicher Polizeigewalt nicht recht einzusehen war. Sie nini, den ehernen Verfechter aller Kunst- und Men­ wurde seitens der Sozialdemokraten in einem frühen schenfreiheit, wie auf den Garanten des Schutzes, den Zeitpunkt vorgenommen, als der Staatsapparat noch uns die Liebe und Schätzung der großen demokrati­ wenig verläßlich gefügt schien und von der Gegenseite schen Weltkräfte gewähre. Hätte man aber die Hal­ anläßlich einer emotionell begreiflichen (antisoziali­ tung dieses Unentwegten genauer beobachtet, man stische tötliche Schußangriffe waren von einem ländli­ hätte rechtzeitig aufzuhorchen begonnen, schon als er chen Geschworenengericht freigesprochen worden während seines letzten Sommergastspiels unmutig mit ...), aber unglückselig zerstörerischen Wiener Mas­ der Abreise drohte. Es war ohne sein Wissen die senkundgebung nachgeahmt worden1. „Schutzbund“ Radio-Übertragung seiner Meistersinger ins „deut­ und „Heimwehr“ bildeten bald hinlänglich armierte sche Bruderland“ — das es für die „Maßgebenden“ private Kriegslager, als deren Manifeste die immer auch nach Hitlers Machtergreifung geblieben war — unverhohlen gereizteren Programme der beiderseiti­ vereinbart worden. Hier begann jener selbstzufriede­ gen Parteipresse fungierten. Diese Parteipresse, ur­ ne Kompromißgeist Wege zu gehen, die genügend sprünglich auf die intellektuell maßvolle, sachlich bewiesen, daß nicht nur die Intellektuellen den Maß­ argumentierende Arbeiterzeitung und auf die katho­ stab der Bewertung der politischen wie der morali­ lisch traditionspreisende Reichspost beschränkt, ver­ schen Situation verloren hatten.[...] suchte nun Schritt um Schritt eine Ausbreitung, die Diese Volk war klein geworden, aber darum dem großbürgerlichen, parteilosen, vielgelesenen, nicht minder zerklüftet in seinen Bestrebungen und aber parteipolitisch nicht gestützten Zeitungstyp der Neigungen. Es hatte in seinen Grundtypen nicht viel gebildeten Bourgeoisie Wirkungsterrain abgewinnen übrig für irgendwelchen Radikalismus. Sozialdemo­ wollte. Diese „großen“ Blätter waren redigiert, ge­ kratische Arbeiter meines Betriebes, die eines Tages schrieben und tendiert, als regierte noch immer Kaiser als Besichtigungs- und Diskussions-Delegation nach Franz Joseph mit einem sprachenreichen, lärmenden, Sowjetrußland entsandt worden waren, äußerten vor­ aber kompromißbereiten Abgeordneten- und einem sichtig, aber trotz aller Parteidisziplin kräftig genug darüber schwebenden passiv loyalen Herrenhaus. Sie ihr Erstaunen über ein System, das im Namen eines hatten ein hohes Kulturniveau, einen schwungvollen weltnotwendigen Umbaus der sozialen Ordnung vor­ literarischen Teil, vor allem aber einen behutsam läufig weder Streikrecht noch „Koalitionsfreiheit“, kommentierenden Leitartikel, der einen „Liberalis­ will sagen: freie Wahl frei aufgestellter Vertreter mus der guten Erziehung“ vertrat, ohne daß sich eine kannte. Die „drohende Bolschewisierung“ Öster­ einzige Wahlstimme jemals darum bekümmerte. Sie reichs war ein Schlagwort, das in monarchistischen stellten im Grunde eine Fiktion dar, aber mit stattli­ und klerikalen Kreisen zirkulierte, aber keinerlei chen Auflagenziffern. Tatsachenstützung aufzuweisen hatte. Der oft so Unser eigener Blätter-Konzern war nun schon genannte „Austro-Marxismus“ war natürlich grund­ gegen Ende der zwanziger Jahre in finanzielle Schwie­ sätzlich antikapitalistisch, aber er glaubte an ein rigkeiten geraten, die rechtzeitig durch das Eingreifen evolutionistisches Verfahren auf parlamentarisch-de­ einer „Gruppe“ gelöst wurden. Sie bestand aus Kauf­ mokratischem Wege durch Aufklärung und Wer­ leuten und Industriellen2, die in schlichter Anonymi­ bung. Wien wählte seit Kriegsende seinen Gemeinde­ tät prangten, hinter denen aber die „Arbeiterbank“ rat mit ansehnlicher sozialdemokratischer Mehrheit stand, der sozialdemokratischen Partei Finanzinsti­ und dieses Regime hatte, ohne jede tut. Dieser Vorstoß auf das bürgerliche Presse-Gebiet Medien & Zeit 4/88 Heimat in der Fremde 5

wurde ängstlich „getarnt“, als Chef-Leiter aller drei Händen eines seltsamen Biedermanns aus dem Burg­ Zeitungen ein wohl linksgerichteter, aber als Privat­ enland, Ex-Politikers und alles andere eher als bil­ person „parteiloser“ Journalist berufen, ungarischer dungsstolzen Selfmademanns, der sich in erstaunli­ Emigrant auch er, aber als Kenner und passionierter chem Tempo als untragbar erwies, zumal der durch­ Analytiker der zeitgenössischen deutschen Literatur schnittliche Geschäftsgang des ganzen Betriebs noch metierbekannt3. Die Verschiebung der politischen immer zu wünschen übrig ließ5. Jener „Tarnungs- Haltung des Konzerns von einem reservierten Libera­ Verwaltungsrat“, der die Aktien des Unternehmens lismus zu einer noch immer vorsichtigen, aber durch­ von den Vor-Inhabern, denen sie Castiglioni6 überlas­ sichtig eindeutigen „Linkslinie“ erregte ein Aufsehen, sen, übernommen hatte, entschloß sich zu einer das durch die rege und spürkräftige lokale Gerüchte­ überenergischen Lösung. Zum „Generaldirektor“ bildung eifrig ergänzt wurde. Wien war niemals eine wurde ein Druckereibesitzer ernannt, der in der Partei Stadt, die „öffentliche“ Geheimnisse respektierte. seiner Karriere wegen geschätzt war, die ihn vom Man wußte in den einschlägigen Kreisen sehr bald Setzerlehrling hatte aufsteigen lassen zu einem kleinen Bescheid um die Hintergründe dieser Besitzverschie­ Großunternehmer, der den Ottakringer Volksdialekt bung und die drei Organe erhielten nicht minder rasch demonstrativ gebrauchte, rundum Jedermann duzte [...] den Spitznamen der „rosaroten“. Ich hatte man­ und — ein brillanter Techniker seines Faches zweifel­ che Mühe mit meinem neuen „Vorgesetzten“, der ein los — gerne unter „streikenden“ Rotationsmaschinen sonderbar trockener Sanguiniker war, trotz seiner verschwand, um mit „schmierigen und schwieligen nichtdeutschen Abstammung ein wahrer Sprachpe- Arbeiterhänden“ just in dem Augenblicke wieder dant und leidenschaftlicher Parteigänger wie Debatter aufzutauchen, da eine Parteigröße — das ohnehin seit in stilistischen Fragen und Geschmacksdifferenzen. Anbeginn so fragile „Geheimnis“ wurde nun nicht Gewöhnt an ein zeitlich ungebundenes Literatenle­ mehr so streng gewahrt — visitierend durch die ben, an nächtliche Diskussionen und Meditationen, Arbeitsräume schritt. „Generalhilfsarbeiter“ nannte lag er in einem ständigen Kriege mit unseren durch er sich selbst mit gut gespielter naiver Rauheit, die eine das maschinelle Gebot des Druckes und der Errei­ eminente Schlauheit und Geschäftsenergie verbarg. chung diverser Bahnzüge geregelten Redaktionsstun­ Der Wackere verstand es, in Kürze den ansehnlichen den. Ein Mann von Geschmack und kritischem Maschinenpark des Unternehmens mit Hilfe einer Feinsinn, wäre er ein idealer Redakteur der Literatur- smart ausgedachten Aktienverschiebung seiner eige­ Rubrik gewesen und all dessen, was ein Zeitungsblatt nen Druckerei einzuverleiben und auch die Redak­ an glossatorischem und aphoristischem Schmuck tionsräume — die in der Grünangergasse hinter dem nötig hat. Aber er vergaß, daß die politische Führung Stephansplatz eine gewisse Lokalberühmtheit erlangt der Blätter die rechtzeitige Angabe von Leitartikelthe­ hatten — in das Haus dieser Druckerei, der „Inva“— men erforderte, daß der Depeschenteil entsprechend sie trug den Namen nach der „Invaliden-Genossen- geordnet und appretiert werden mußte. Er überließ schaft“ — verlegen zu lassen. Unsere neue Arbeits­ diese nun penibler gewordene Aufgabe seinen näch­ stätte war — welch Zeichen der Zeit — einstmals die sten Mitarbeitern und mir vor allem die der „Einrich­ Kaserne der kaiserlichen Arcierenleibgarde, neben tung“ und des „Umbruches“. Es war eine unfrohe dem barockprächtigen Palais Trautsohn, gewesen. Zusammenarbeit, die unter dem permanenten Miß­ Karl Lang, der „Inva-Lang“, wie er genannt wurde, trauen des an sich wenig Zeitungsbegeisterten litt und durchlief die kahlen, primitiven Zimmer des langge­ an seiner Nichterfassung typisch journalistischer Ge­ streckten, nur einen Stock hohen Gebäudes, hemdär­ gebenheiten und Chancen. Seine Abneigung gegen die melig zur Eile antreibend, mit oft nestroyschem Morgenstunden nötigte mich, die in ihrer Auflage auf Redefluß, mit den Arbeitern in feuchtfröhlicher Fide- eine Ziffer unter Tausend gesunkene Mittagszeitung lität kameradisierend, wohlwollend argwöhnisch uns radikal auf eine farbige „Headline“-Taktik und auf „Intelligenzlern“ gegenüber. Ein ungehobelter, doch einen lebendigen deskriptiven Inhalt ganz nach eige­ müheloser Menschenkenner, rastlos selbst Tag und nem Gutdünken umzuarbeiten. Die Auflage stieg von Nacht den Druckverlauf mit dämonischer Sachkennt­ April bis Juli auf etwa 20.0004, ohne daß dies die nis beschleunigend und überwachend, in Konferenzen allgemeine Redaktions-Verdrossenheit behoben hätte — die er über alles liebte und uns immer wieder und mein eigenes Mißbehagen einem begabten, und aufzwang — wahre Volksreden voll saftigsten Phra­ auf seine Art intensiven Arbeitskameraden gegen­ senreichtums, akkompagniert von vergnügtem Faust­ über, der sichtlich Freundschaft zu halten suchte, schlagtrommeln, haltend, spüräugig hinter jedem ohne sie zu erwerben fähig zu sein. Diesen Zustand Zeit- oder Einfalls-Versäumnis her, hatte er aber einen beendete erst ein neuer Wechsel in der Ober-Chefred- untrüglichen Blick für Fleiß und Leistung, auch auf aktion, der aber zu den skurilsten Zuständen führen Gebieten, die ihm sozusagen spirituell unzugänglich sollte. Der geschäftliche Kurs lag damals in den waren. Ich erfreute mich daher seiner Zuneigung, die 6 Ludwig Ullmann Medien & Zeit 4/88 mit einer oft richtigen Volkssänger-Ironie gegenüber Laufe seiner Druckereibesitzer-Erlebnisse kennenge- meinen literarischen Produkten nicht sparte — sie erst lemt und zum Sozialisten „bekehrt“ hatte7. Der halbzufrieden knurrend anerkennend, als ich feststell­ unscheinbare, brave Berufsroutinier fühlte sich wenig te, die nächtlich mit gelegentlicher Hilfe einer Cognac- wohl in der Rolle eines „Geschöpfes“ des ungeliebten Flasche zu verfassen —, hingegen befriedigt und Journalistenverhöhners und bekundete dies zunächst erfreut über alles, was er an meinem Arbeitsquantum mir gegenüber offen und verlegen. Ich hatte aber, mit der Uhr und angesichts der Auflagenziffer konsta­ ohnehin mit meinem engeren Stoffgebiet nunmehr tieren konnte. Der eher kleine, schmale, schmächtige, überbeschäftigt, keinen Grund zur Unzufriedenheit. lächelnde Berserker mit dem hübschen Knabenge­ Auch diesem seinem Vertrauensmann setzte Lang sicht, gar nicht der usuelle Typ des breitschultrigen bald einen Über-Vertrauensmann an die Seite, der Emporkömmlings, hätte in meiner späteren Exil- aber zugleich die „Schätzung“ des Pressedeparte­ Heimat Amerika vermutlich den Aufstieg zu einem ments der Regierung in einem Zeitpunkte besaß, da Millionärs-Zeitungskönig glatt vollzogen. Wiens In­ die Parteigegensätze sich schon auf das Äußerste telligenzkreise hatten für so robuste Ellbogentaktiker zugespitzt hatten, ein Beweis für die fragwürdige kein Organ. Der „Inva-Lang“, unbekümmert in der Geschicklichkeit des Mannes, dem die „Linken“ so Brüskheit, mit der er Bereicherungs- wie Spar-Maß- sehr vertrauten8. Die chefredaktionellen Zustände nahmen durchführte, mit schlecht gemimter Treu­ wurden daher logisch reichlich verworrene. Eine mehr herzigkeit und ehrlich nur in seiner Verachtung aller minder mechanische Gruppierung des Blattinhaltes Bildungselemente, häufte mehr Haß als Erfolg an. mit einzigem Bedacht auf knallende Überschriften Seine Manieren wie seine Methoden schadeten seri­ fand ein pittoreskes Gegenspiel in den federnd aggres­ öseren Hintermännern, die, von dem energetischen siven, durchdacht boshaften und vergnüglich einfalls­ „Mann aus dem Volk“, dem kernigen Klang seiner reichen „p. d.“-Aufsätzen und in meinen immer Suada und den jäh zugreifenden, aber „schwieligen“ kämpferischer werdenden Kritiken und Rubrik-Leit­ Händen fasziniert, keiner Warnung vor Prestige- wie artikeln. Ich muß meines seither verblichenen Schul­ Qualitäts-Verlust Raum gaben. Sie hatten immerhin kameraden Leo Prerovsky hier gedenken, der Tür an als politischen Chefredakteur der Allgemeinen den in Tür und oft auch Tisch an Tisch in diesen Jahren mein Linkskreisen als witzigen und scharfen Polemiker Bürogenosse war, ein fast zarter Stilist von beißendem geschätzten „p. d.“, alias Paul Deutsch, berufen, Humor und plastischer Bildkraft, unauffälliger Epi- einen luciden Stilisten und Argumentiker, der der kuräer eines sanften geistigen Lebens, von Jugend an ideale Kampf- und Hohn-Artikler schien. Deutsch, kränklich, zurückgezogen Büchern und Träumen als homo privatus überlegen-phlegmatisch, stilles lebend, ein geborener Glossator im Pariser Sinn, Vorsichhinleben liebend, ein disponierender Schach- souverän im Temperament und graziös in der Be- und sonstiger Spieler und alerter, urteilsfreier Bücher­ hendheit der Form. leser, Chroniqueur und Personalkenner von reicher, Die Allgemeine rückte allmählich in die vorderste namentlich parlamentarischer Erfahrung, wohlwol­ Brennlinie der politischen Aufmerksamkeit. Das far­ lend und vorurteilsrein von Charakter und ein untrüg­ bige Herumfuchteln Langs verschärfte ohne sachli­ licher Schätzer intellektueller Arbeit, stand in steter chen oder gar inneren Zusammenhang die vielfache sarkastisch betonter Spannung zu dem listig burschi­ Mißliebigkeit der anti-offiziösen Dialektik „p. d.“s kosen „Oberkurs“, schloß sich hingegen an meine und der immer ungebundenere „Nazigeist“ demaskie­ Person wie an meine „Rubrik“ bald verständnisvoll renden und denunzierenden „Ausfälle“ „1. u.“s. Die an, nicht kargend mit Beifall und Rat. Dem letzteren Gegenschläge aus dem Nazi-Lager begrenzten ihre verdankte diese „kulturpolitische“ Theaterspalte An­ Wucht mit der schimpfwortverbrämten Feststellung, regung wie Ausbau.... „p. d.“ und „1. u.“ wurden bald daß ich „aus rassischen“ Gründen handle, jüdische tägliche Angriffsobjekte der noch völlig ungehindert Schauspieler „hinauflobe“, arisch-deutsche Künstler erscheinenden Wiener Naziblätter, die wohl schmal aber heimtückisch kompromittieren wolle. Ich habe an Umfang und Auflage, aber gut finanziert und auf diese Albernheiten niemals auch nur mit einem ungescheut im Ton waren. Unseres Hemdärmel- Wort erwidert, was nur private Tobsuchtsäusserun­ Diktators unermüdliches Mißtrauen, das auch im gen beschleunigte, die mir wieder durch willige „Ka­ Freundeskreise unausgesetzt nach oft pueril kon­ näle“ — schon sahen die „Heime“ der Theaterwelt struierten Anlässen spähte, hatte aber neben „p. d.“ (oder noch oder schon wieder ...) als Besucher auch einen zweiten „amtierenden“ politischen Leiter beru­ die Nazi-Kritiker und -Romanciers — zuflossen: fen, dem nun ein großer Teil der früher von mir Diese wieder bekundeten, der „1. u.“ sei doch kein versehenen Agenden, vor allem die sogenannte „Ein­ Volljude, warum also diese unkluge Gehässigkeit, richtung“ des Blattes zufiel. Es war dies ein früherer deren Abblasung man gebührenden Dank wissen deutschnationaler „Hauptschriftleiter“, den Lang im würde und, einmal vielleicht, wertvollen. ... Ich blieb Medien & Zeit 4/88 Heimat in der Fremde 7 stumm auch diesen so primitiven wie unpsychologi­ Burgtheatergastspiel eines unanzweifelbar bedeuten­ schen Versuchsballons gegenüber und mag nicht den Schauspielers gewidmet hatte, der Hitlers zuletzt dadurch Erbitterung und ohnmächtige Wut „Staatsrat“ und Parteianhänger war, gleichwohl die hervorgerufen haben. Im Zuge der schon beginnen­ Wiener Gesellschaft seiner „Rasse-Vorurteilslosig­ den Weltverschiebung erscheinen — namentlich im keit“ versicherte und sogar in Reinhardts Salzburger Rückblick — meine hartnäckigen Bemühungen, die Faw^r-Aufführungen mitwirkte9. Ich fand den Tatbe­ nazistische Überflutung und Durchsetzung Öster­ stand — wie überhaupt die Doppelgesichtigkeit aller reichs auf einem knapp gezogenen Wirkungsfeld zu der unverzagten Mimen, die auf unseren Bühnen und bekämpfen, fast als Don Quichoterie. Ihr Leseerfolg in unseren Filmateliers die harmlosen Biedermänner bei den Gleichgesinnten und Gleichbesorgten war spielten, um sich auf der Rückreise in der ersten nicht gering, doch fehlte die Rückendeckung von Grenzstation wieder mit dem Parteiabzeichen zu „oben“ her völlig. Ich fiel den Regierungsstellen schmücken — gelinde ausgedrückt: pitoyabel. Ich schon durch meine rege Begutachtung all dessen, was erfuhr bald darauf, daß die „Bundestheaterbehör­ offiziell und „offiziös“ im Bereich staatlicher Betrie­ den“ sich mit einer Beschwerde über mich an die be, etwa an den Bundestheatern, wie Staatsoper und Regierung gewandt hatten, wegen „Schädigung der Burgtheater nunmehr hießen, an Nazismus der Mit­ Bundestheater“. Dieser „Akt“ lag aber vorläufig in glieder wie eigens herbeigeholter Gäste geduldet, ja einer Schreibtischlade des „Pressechefs“ des Bundes­ geflissentlich übersehen wurde, höchst unangenehm kanzleramts. Der erfahrene und zurückhaltend ge­ auf. Ich mißfiel höchlich, als ich eines Tages in meiner wandte Beamte empfing in den ersten Jännertagen des Rubrik Alfred Kerrs vernichtende Abrechung mit Jahres 1934 meinen Besuch, den die erschreckte Gerhart Hauptmann abdruckte. Ich tat dies zwar Verwaltung meine Blattes von mir dringend erbeten ohne Kommentar — der sich Kerrs Peitschenhieben hatte. Ich hatte keinen Grund, diesen Besuch zu logischer Aburteilung und Verachtung gegenüber unterlassen. Eduard Ludwig, selbst aus dem Journali­ erübrigte — aber eine Phalanx „vaterländischer“ stenstand aufgestiegen, vieljähriger Presseberater ei­ Schriftsteller bildete sich sofort, die, leider mit dem ner ganzen Reihe von Kabinetten, nunmehr bereits Dichter schön geschlossener Verse und konzis bewe­ mit dem Titel eines „bevollmächtigten Ministers und gender religionsdramatischer Spiele: Max Mell an der außerordentlichen Gesandten“ versehen, war mir seit Spitze, entrüstet gegen die Verunglimpfung des „gro­ zwei Jahrzehnten als ein versatil verbindlicher Mann ßen deutschen Dichters und Mannes“ protestierte, persönlich bekannt. Ich hatte ihn nach dem Ende des dessen Kotau vor Goebbels und dem Hakenkreuz Ersten Weltkrieges öfters aufzusuchen gehabt, als ich offenbar als unantastbare Privatangelegenheit be­ für eine Genfer Depeschen-Agentur tägliche Tele­ trachtet wurde. Diese Situation einer Sisyphusvertei- gramme über die politische Situation senden mußte. digung ohne eigentliche Waffenbrüderschaft — die Die Ludwigsche Amtsführung wahrte in ihren For­ Wiener bürgerliche Presse hielt sich dem Anwachsen men durchaus die traditionellen, zwanglos distin­ des Hitlerismus jenseits wie diesseits der Grenzen guierten Allüren der alten Ballhausplatz-Courtoisie. gegenüber mit irrtumsreicher Diplomatie zurück und Sein Wartezimmer war stets gefüllt mit „militanten“ die offen sozialistische verfocht mit reichlicher Erwä­ Kollegen, die sich Rat oder Auskunft holen wollten gung den jeweiligen Parteistandpunkt — verschärfte und man hatte vollauf den Eindruck, daß der kluge sich, als Hitler Reichskanzler geworden war und die Stratege weiter und unauffällig gesponnener Bezie­ einheimische Leisetreterei darauf hinweisen konnte, hungen sich nicht ungern aufsuchen ließ. Beruhte daß man ja nun einer „Regierung“, noch dazu einer doch auf der Beeinflussung der Presse ohne offiziellen des „Bruderlandes“ gegenüberstehe, dessen „Reich­ Nachdruck, und lediglich durch Handhabung der soberhaupt“ Schmähungen entrückt werden und des­ Tastatur eben dieses Kontaktes, zum Teil seine Posi­ sen jetzt amtlich geschützte Ideologie, sosehr sie leider tion und deren Stützung durch das Vertrauen seiner der katholischen Weltanschauung widerspräche, Vorgesetzten, unter denen ein so gewiegt kühler nicht überflüssig gereizt werden solle. Es kam der Tag Menschenkenner wie Seipel ihn sehr schätzte. Ludwig der Bücherverbrennung in Berlin, die ein Polemiker war aus der christlichsozialen Partei in den Regie­ von meiner Einstellung und Überzeugung als das rungsdienst gelangt, doch unanzweifelbar frei von quittieren mußte, was sie war: Das „kulturkämpferi­ persönlichen Parteigefühlen und vor allem in dem sche“ Signal der Geistvemeinung und der Gewaltver­ allmählich so penibel gewordenen Punkte des subku­ herrlichung. [...] tan bereits durch alle Schichten (bis hoch hinauf) Das Maß meiner Sünden gegen die Bruder- schleichenden Antisemitismus korrekt und sachlich. Freundschaft mit dem „Reich“ war voll. Dieses Jahr Doch scheint der heftige „Rassefeldzug“, den die 1933 brachte es zum Überfließen. Charakteristisch einheimische Nazipresse führte, die Regierung selbst, genug geschah dies durch Ausführungen, die ich dem an deren Spitze bereits der für seine Person verbissen 8 Ludwig Ullmann Medien & Zeit 4/88

österreichisch und katholisch empfindende auch als Referent eines an sich „unpolitischen“ Ress­ Dr. Dollfuß stand, in einer Hinsicht irritiert zu haben. orts — den persönlichen Verkehr mit dem Bundes­ Sie befürchtete offensichtlich eine werbende Wirkung pressedienst seit Jahren unterlassen, doch gegen eine auf weitere, primitivere Bevölkerungskreise und ver­ meinungsfreie Aussprache nichts einzuwenden. Diese suchte einem offenen, für unpopulär gehaltenen Ent­ Aussprache fand in den ersten Jännertagen des Jahres gegentreten auszuweichen. Jener übergewitzte „Chef4 1934 statt. Ludwig ließ es hiebei an privater Herzlich­ unseres Unternehmens hatte sich, nicht gerade partei­ keit nicht fehlen, wahrte den diplomatischen Ton treu, doch vom altösterreichischen Hange zum recht­ nicht ohne beruhigende leise Ironie und verwies zeitigen Kompromiß geleitet, indirekt mit dem „Bun­ zunächst lächelnd auf das bei ihm „schlummernde“ despressedienstleiter“ in Verbindung gesetzt, seit die Dossier meiner „Verfehlungen“ gegen die Interessen sozialdemokratische Partei taktisch ein wenig ins der Bundestheater. Ich will den Bericht über diese an Hintertreffen geraten war. Ludwig hatte offenbar der Grenze des Grotesken balancierenden Tatbestän­ kein Hehl daraus gemacht, daß die streitbaren „p. d.“- de nicht noch weiter komplizieren, muß aber doch und „1. u.“-Aufsätze der Regierung, die einen Zwei­ erklärend beifügen, daß ich mir die heftigste Abnei­ frontenkrieg gegen die Sozialisten und gegen die Nazis gung des nunmehrigen Leiters der Bundestheaterver­ zu führen sich gezwungen glaubte und dabei die waltung, Sektionschef Pernters, zugezogen hatte. Methode der Vermeidung von „Reizungen“ für die Pernters Amtseinsetzung, besser gesagt: der Sturz zielsicherste hielt, recht unbequem seien. Eine am seines Vorgängers, des Generalintendanten Schneid- Sylvestertag des Jahres 1933 einberufene Verwal­ erhan, war von mir scharf glossiert worden. Schneid- tungsratsitzung unserer Blätter beriet hierauf unter erhan, ein früherer Industrieller, seinem Habitus nach des „Inva-Lang“ wortreichem Druck über die tunli­ ein gemessener Patrizier, formbedacht und repräsen­ che Ausbootung, will sagen: Kündigung und vertrags­ tationsfreudig — dessen ein wenig amateurhafte, in gemäße Abfertigung der beiden nunmehr so „bela­ der Etikette dikatorische, aber in Geistesgesinnungs­ stenden“ Redaktionsmitglieder. Es muß hiezu in fragen konziliante Amtsführung ich keineswegs stets Erinnerung gerufen werden, daß die Sozialdemokra­ gelobt hatte — war offensichtlichst entfernt worden, ten Monate vorher schon den wenig bedachten Schritt um die Bundestheater politisch noch verläßlicher zu vollzogen hatten, den ihre Partei vertretenden Vize­ besetzen. Dies und die Art, in der dies geschah — präsidenten des Parlaments zum demonstrativen Schneiderhan hatte noch zwei Stunden vor seiner Rücktritt zu bewegen10. Worauf dieses überhaupt „Demission“ mit mir gesprochen und mußte mir nicht mehr einberufen und ein „autoritativer“ Kurs plötzlich telephonisch mitteilen, daß er nicht mehr im — das Vorbild Mussolinis war zu verlockend gewor­ Amte sei, was seine Amtsdiener etwa längst wußten in den — versucht wurde. Es war die übliche großange­ der Minute, da ich sein Büro verließ — hatte ich legte Maifeier der Sozialdemokratie bereits untersagt, entsprechend festgestellt, nicht ohne einen Sarkas­ bzw. vom Stadtinnern durch waffenstarrendes Mili­ mus, der mir einen gedächtnisstarken Feind schuf. ... täraufgebot abgelenkt worden, die „Linkskreise“ Ludwig selbst war an diesen Theaterbataillen uninte­ fühlten sich zu einer Auseinandersetzung gedrängt, ressiert und riet mir nur eifrigst, die Bundestheater deren Verantwortung sie mit Recht nicht auf sich doch von nun an zu schonen und: „catholica...“ noch nehmen wollten, verharrten daher in einer geärgerten, mehr... In dieser Hinsicht hatte ich das unbeschwerte­ aber passiven Abwartestimmung. Männer wie Lang ste Gewissen, erinnerte mich aber plötzlich, einige waren nicht gesonnen, ihre eigenen Interessen hero­ Monate vorher in Vertretung des beurlaubten „p. d.“ isch zu gefährden. Es wäre, sagte einer seiner Partisa­ einer antiliberalen Rede des Erzbischofs Innitzer, nen in jener Sitzung, in der augenblicklichen Situation übrigens in respektvollstem Tone, erwidert zu haben. auch „ein Goethe“ zu kündigen, sollte dies das Auch hier hatte mich eine „richtige“ Ahnung geleitet, Weitererscheinen unserer Zeitungen sichern. Es kam wie des Kirchenfürsten spätere Stellungnahme in den jedoch nicht zu diesem Kündigungsbeschluß, dessen ersten Hitlertagen bewies... Doch ergab jene Unterre­ Aufsehen als das einer glatten Kapitulationserklä­ dung erst in ihrem sich erwärmenden Verlaufe mein rung die aufrechteren Verwaltungsräte denn doch eigentliches „crimen“. Es bestand darin, daß ich, wie scheuten. Hingegen sollte ich nun — so wurde mir der Pressechef es formulierte, gegen die Nazis einen wärmstens nahegelegt — einen Schritt unternehmen, „Offensivkrieg“ führe, während die Regierung es für den ich jahrelang aus begreiflichem Takt unterlassen angemessen halte, „defensiv“ zu bleiben, in einem hatte, nämlich den verstimmten „Presseminister“ Kampf, den sie notgedrungen auf sich genommen aufsuchen und mich mit ihm möglichst einigen. Ich habe. Ich, so meinte Ludwig, mehr bedauernd als war weder Parteimitglied, noch politisch überhaupt beschuldigend, „erzeuge“ dadurch „neue Nazis“. Ich irgendwie festgelegt, führte keinen Krieg gegen die war ehrlich verblüfft über dieses logische Beweisver­ gewählte Regierung meines Landes, hatte wohl — fahren, das eine anfechtbare Folgerung zog aus einer Medien & Zeit 4/88 Heimat in der Fremde 9 anfechtbaren Voraussetzung. Denn weder waren die um der „Roten“ lieber nicht bedienen wollte, um einheimischen Hitleranhänger harmlose Schwärmer, klerikale, bäuerliche, kapitalistische Vorurteile zu gegen die man sich nicht zur Wehr zu setzen brauchte, schonen. Das Bittere an der Sachlage war das wahr­ noch bedurfte es zu ihrer täglichen, durch Geld und nehmbare, wenn auch offiziell verschwiegene Einge­ wildeste Propaganda wohlorganisierten Vermehrung ständnis, daß Heer und Polizei offenbar schon von meiner polemischen, in Wahrheit kulturverteidigen­ einer nationalsozialistischen Agitation durchdrungen den Ausführungen. Ein so weit- wie politikkundiger waren, die eben angeblich eine zuverlässigere „zweite Mann hatte hier einleuchtend die Rolle eines bloßen Armee“ nötig machte. Jenes „Schutzbund“-Verbot Echos der Meinung, besser gesagt: Formulierung mußte die Arbeiterschaft, die eine parlamentarisch übernommen, die seinen Vorgesetzten im Augenblick geschaffene und beschworene Verfassung zu verteidi­ beliebte. Ich konnte sie nicht entkräften, doch wußte gen zumindest ehrlich überzeugt war, logisch tief mein erfahrungsreicher Diskussionspartner, daß ich, treffen, bei der abwartenden Konzentration der Ar­ soweit meine eigene „Verwaltung“ mich von nun an beitermiliz in den Parteihäusern und Großwohnbau­ nicht hindern würde, in den großen Überzeugungsfra­ ten jedoch noch keine Kampfherausforderung bedeu­ gen unnachgiebig zu bleiben entschlossen sei. Er ten. Vermutlich fühlten sich beide Seiten im Recht, unterstrich daher nochmals eindringlicher: „Bundes­ wobei die Regierung aber von einem wohl kaum theater“ und „catholica“ und wir schieden mit einem begründeten Mißtrauen gegenüber den Absichten der Händedruck und seiner Versicherung, es werde von Sozialisten geleitet war, die zweifellos an einem auf­ nun an in beiderseitigem Wollen um Österreichs richtigen Bündnis gegen den gemeinsamen Feind, den Bestes ein „schönes Einvernehmen“ herrschen. Ich Nazismus, teilgenommen hätten. Auch der berühmte bin noch heute überzeugt, daß diese Worte ehrlich „erste Schuß“ jenes 12. Februar blieb umstritten. Er vermeint waren. Ludwigs Stärke war die der ge­ fiel aus dem sozialdemokratischen Parteiheim in Linz, schmeidigen Vermeidung unüberbrückbarer Gegen­ wurde aber von der noch immer verhandlungsbereiten sätze, er betonte ein prinzipielles Attachement den Partei als die Tat eines Provokateurs bezeichnet. Die Berufskollegen seiner Jugend gegenüber und in mei­ Angst der Minister, die Arbeiter könnten und würden nem speziellen Falle mag er überdies ein besseres aus ihren „Festungen“ in die Wiener Straßen mar­ Urteil gehabt haben als seine Auftraggeber. schieren und zum offenen Putsch übergehen, gleich­ Am 12. Februar 1934 aber war es zu Ende mit falls ein eher psychotisches Symptom, diktierte den allem „Einvernehmen“. Ich schreibe keine politischen „zuvorkommenden“ Angriff. Ein wahrer großer Memoiren und will daher die Analyse der Ereignisse Staatsmann — der der zähe, entschlossene, aber von dieses Tages, der Vorbereitungen und Voraussetzun­ „Marxistenhaß“ erfüllte Dr. Dollfuß nicht war — gen, unterlassen. Beide großen politischen Parteien hätte sicherlich den Ausbruch der Katastrophe ver­ haben einander die Verantwortung für den Ausbruch hindert. Die Arbeiter blieben, mit einer Disziplin und eines Bürgerkrieges, der das virtuelle, bedingende einer Vermeidung aller Übergriffe, die selbst ihre Ende der inneren Selbständigkeit Österreichs bedeu­ Gegner anerkannten, in der Defensive und wurden tete, in wortreichem Duell der Argumente und Be­ daher — man ließ gegen ihre nur durch Hausmauern schuldigungen zugeschoben. Fest steht nur, daß die gedeckten Positionen sogar Artillerie auffahren — längst nurmehr aus „bürgerlichen“ Ministern beste­ mühelos niedergeworfen. Der Sieg der „Autorität“ hende Regierung das ohnehin einstweilen lahmgelegte belastete sich leider mit einem neuen fast neurotischen parlamentarische System als drückend und hinderlich Akt, der Hinrichtung einer Reihe überzeugungstreuer empfand, gestützt auf eine ziffernmäßig zu schwache und menschlich hochanständiger Kämpfer. Es half Mehrheit und bedroht durch die „Großdeutschen“ in dann nichts mehr, daß die bald zurückkehrende ihren eigenen Reihen, die wenig verhohlen sich jeder Besinnung auf weitere Verfahren gegen die flugs schärferen Unterdrückung der nazistischen Propa­ verhafteten Parteiführer verzichtete und sich um eine ganda widersetzten. Das im „Verordnungswege“ — Pazifizierung der Gemüter bemühte. Eine unheilbare ohne Beschluß des ja nicht tagenden Parlaments — Spaltung war vollzogen, die Wiener Arbeiter verga­ erlassene Verbot der sozialdemokratischen Parteimi­ ßen diese Februartage niemals und ein großer Teil der liz, des „Schutzbundes“, bzw. die Anordnung seiner Bevölkerung verharrte so dem Hereinbrechen der Entwaffnung, hätte eine gewisse innere Berechtigung Naziwelle gegenüber in erbitterter Passivität. (die der Beschränkung des Waffentragens und Ar- Am Vormittag jenes 12. Februar hatte unsere meespielens auf die staatlichen Exekutivkräfte) erwie­ Redaktion noch gearbeitet. Ich hatte das Manuskript sen, wenn das gleiche Verfahren der bürgerlichen eines Premieren-Referates in die Setzerei geschickt „Heimwehr“ gegolten hätte. Diese wurde aber als und erhielt es zur Mittagsstunde vom Metteur zurück, einzige verläßliche Defensiv-Formation gegen die mit dem verwunderten Bemerken, seine Maschinen Nazibewegung angesehen, gegen die man sich wieder­ seien ohne „Strom“. Ein Blick durchs Fenster zeigte 10 Ludwig Ullmann Medien & Zeit 4/88 patrouillierende Polizisten, die — eine noch nie vor­ siegestrunkene Heimwehr zur Räumung des Gebäu­ dem gewahrte Erscheinung— mit Infanteriegewehren des zu bewegen, grotesker Weise ohne daß diese ausgerüstet waren. Die Straßenbahnen standen still, davon wußte, noch erfuhr, daß der vielgesichtige, das Elektrizitätswerk arbeitete nicht mehr (die Arbei­ unterdessen gleichfalls bereits verhaftete „Inva- ter hatte es, wie bald bekannt wurde, verlassen, um Lang“ in dessen Hofe einen erheblichen Teil der gegen den Kampfausbruch in Linz zu protestieren). Waffen des Schutzbundes vergraben hatte. (Worauf, Ich machte einen kurzen Erkundungsgang ins nächst­ wäre dieses Faktum der Regierung bekannt gewesen, gelegene Kaffeehaus, fand bei meiner Rückkehr ins sich zumindest ein militärischer Anlaß für den Ge­ Büro die Kollegen in ratloser Beratung, die nur waltstreich hätte basieren lassen ...) So war das Ende feststellen konnte, daß unser Nachmittagsblatt, die der Allgemeinen Zeitung gekommen. Die sie stützende Allgemeine, keinesfalls werde erscheinen können, und Arbeiterbank war ebenfalls „okkupiert“ worden, die forderte sie auf, meinem Beispiel zu folgen und die buchstäblich auf die Straße gesetzten Redakteure weitere Entwicklung der Ereignisse in ihren Wohnun­ hatten weder Geld noch Entschlußkraft, eine Neu­ gen abzuwarten. Diese Entwicklung sagte ich voraus, gründung unter anderem Titel zu versuchen. Sie soweit sie zunächst unsere Zeitung betraf. Sie hatten waren zudem — mich miteingeschlossen — um ihre durch „p. d.“s sardonische Hiebe die „Heimwehr“ vertraglich zugesicherten, in langjähriger Arbeit genügend herausgefordert — für den scharfsichtigen wohlverdienten Abfertigungen gebracht worden. Ei­ Politik-Kommentator waren „Hahnenschwanz“ (das nigen, politisch harmloseren, sprang Ludwig bei, Jagdhut-Federabzeichen auf den Militärkappen der indem er sie bei diversen, ihm verpflichteten Zeitun­ Heimwehrleute) und „Hakenkreuz“ recht wenig gen untergebracht, „p. d.“ und ich selbst mußten froh geistverschieden — und ein rüder Vergeltungsakt war sein, nicht verhaftet zu werden, obzwar hiefür weder unschwer zu prophezeien. Er traf auch prompt ein. ein polizeilicher noch ein politischer Grund vorlag. Ich verbachte den Nachmittag zu Hause und entging Ich durfte damals eine Ziffer von 60.000 Schilling als so dem Überfall einer Heimwehrpatrouille, die, in Luft zerronnenen Abfertigungsanspruch buchen. geführt von einem als Sportgröße bekannten jugendli­ Meine Situation war eine recht prekäre dadurch, daß chen Wiener Antiquitätenhändler, vor unserem Red­ kein Wiener Blatt es gewagt hätte, mich, den „Kultur­ aktionsgebäude Maschinengewehre aufstellte und bolschewiken“, wie mich die Nazipresse — die vor­ dieses dann „stürmte“, um lediglich einen invaliden derhand ungehindert weiter erschien — getauft hatte, Druckereiportier und einige erschreckte Stenotypi­ zu beschäftigen. Genauer berichtet: Der Einfall kam stinnen anzutreffen. Keine Regierungsstelle hatte wohl dem oder jenem Zeitungschef schon binnen diese juristisch höchst bedenkliche Maßnahme ange­ kurzem. Aber die vorsichtige Anfrage bei Ludwig ordnet, sowohl Minister Ludwig als der rasch einge­ ergab stets eine entsetzte Abmahnung. Ich suchte den setzte neue „autoritäre“ Wiener Bürgermeister wur­ Pressechef — wiederum nur gedrängt von besorgten den durch diese Redaktions-Belagerung und -Erstür­ und eifrigst zusprechenden Freunden — erst nach mung unliebsam überrascht. Es kam bald zu Tage, Monaten wieder auf. Ich muß zugeben, daß er mich in daß ein „Konkurrenz“-Abendblatt, das die Heim­ gewohnter Gewandtheit keineswegs mit Vorwürfen wehrkreise selbst herausgaben und das nur einen empfing, sondern meine nach wie vor grundsatztreuen schmalen Leserkreis erobern konnte, von diesem Feststellungen mit neutraler Freundlichkeit anhörte. „revolutionären Akt“ Vorteil ziehen wollte. ... Am Ich wies daraufhin, daß ich kein Parteipolitiker noch nächsten Morgen konnte ich von meinen Fenstern aus Parteimitglied sei, österreichische Interessen stets ver­ — sie blickten auf die Straßenfront, an deren nächster teidigt und lediglich den „gemeinsamen Feind“, den Ecke unser Zeitungshaus lag — das Redaktionsperso­ Nazismus, bekämpft hätte. Ludwigs lächelnde, aner­ nal, wieder einmal ratlos, versammelt vor dem kleinen kennenswert offene Erwiderung war, daß er dies alles Park gegenüber stehen sehen. Vor dem Redaktionsge­ — abseits etlicher mir vorzuwerfender journalisti­ bäude sicherten bajonettblitzende Heimwehrposten scher „Temperamentsakte“ — gerne glauben wolle, Wien gegen unsere gefährlichen Artikel. Meine Kolle­ daß aber zunächst davon diverse „Stellen“ überzeugt gen unternahmen kaum angebrachte noch zweckvolle werden müßten, bei denen er meinen Besuch befriedi­ Bemühungen, das Wiedererscheinen der Blätter zu gend „vorbereiten“ wolle. Ich erfuhr nie, welche erreichen. An der zu Minister Ludwig wandelnden Stellen gemeint waren, da in den darauffolgenden Deputation nahm ich, überzeugt von einem Mißer­ Tagen alle meine Versuche, mit Ludwig eine neue folg, nicht teil. Sie wurde amikal empfangen und Aussprache telephonisch zu vereinbaren, mißglück­ dilatorisch vertröstet. Ludwigs Absicht zielte deutlich ten. Er war nie „zu erreichen“, obzwar ich einmal darauf, die vielgelesenen Organe keineswegs stillzule­ seine Stimme deutlich erkennbar durch den „Draht“ gen, sondern entsprechend umorganisiert wieder auf­ hörte. Mag sein, daß seine Bemühungen gescheitert leben zu lassen. Es gelang aber auch ihm nicht, die waren und er mir weitere Depressionen ersparen Medien & Zeit 4/88 Heimat in der Fremde 11 wollte. Kurz darauf aber ereignete sich der mißglückte recht labilen Taktik, diese Agitation im Lande durch Nazi-Putsch vom Sommer 1934. Dollfuß wurde er­ Verbote, Einsperrungen und Verhaftungen zu be­ mordet, Ludwig mit den anderen Ballhausplatz-Be­ kämpfen, mit dem amtlichen Nazismus Deutschlands amten für einige Stunden von den Aufrührern verhaf­ hingegen sich möglichst amikal zu stellen. Es hub die tet. Ich gehörte nicht zu jenen, die Dollfuß ungerecht unselige Epoche der Tätigkeit Papens als Gesandter beurteilten, obwohl er zweifellos mir dies nicht mit Hitlers in Wien an und jenes „Presseabkommens“, gleichem vergalt. Die Nazis wußten, warum sie ihn das den Wiener Zeitungen jeden Angriff, ja jede töteten. Es war die eigentliche Wegbereitung für den Verteidigung im Kulturkämpfe untersagte, indes die vier Jahre später erzwungenen „Anschluß“. Der hart- Organe der Goebbelsschen „Linie“ munter drauflos­ köpfige, schlau widerspenstige, verbissen mißtrau­ schreiben durften. ische Bauernsohn wäre nie zu bewegen gewesen, eine Und es begann die Blütezeit der großen Feigheit ahnungslose „Besprechungsfahrt“ zu Hitler zu unter­ und der versteckten Anbiederung an die werbege­ nehmen. Er war nicht einzuschüchtern und nicht zu wandte Barbarei. Meine persönlichen Umstände wa­ umgarnen, er mußte beseitigt werden. Die Tatsache, ren just dadurch bedingt. Ich war ohne geldliche daß sich die österreichischen Nazis nunmehr außer­ Entschädigung „kaltgestellt“ worden und verdankte halb des Gesetzes gestellt hatten, milderte im Prinzip es nur der Voraussicht meiner Frau, daß wir noch die offizielle Sozialistenphobie nicht. Man exekutierte über einen sehr kleinen Sparpfennig verfügten. Eine die Dollfußmörder, aber der neue Bundeskanzler öffentliche Arbeitsmöglichkeit gab es zunächst für Schuschnigg war als Privatperson wohl kulturbe­ mich nicht und ich unterließ auch weitere Versuche, stimmter und soignierter als sein Vorgänger, doch von den Pressechef von meiner sachlichen Loyalität zu der Überzeugung durchdrungen, daß Österreich als überzeugen. Es schien mir unbillig, nicht das Los der „zweite deutsche Staat“ sich im „deutschen meiner sozialistischen Kollegen teilen zu sollen und Raum“ befinde. Nazi-Sympathien lagen ihm gewiß ich war andererseits fest davon überzeugt, daß meine fern, ein grundsätzlicher Faszist war er ebenso wenig, hinlänglich abgestempelte Nazigegnerschaft der aber auch er im Bann der „Mussolini-Einstellung“ Regierung nach wie vor nur eine Peinlichkeit bedeute. und hielt so zumindest als vorübergehenden Zustand Wohl grüßten mich jetzt auch schon wieder mit ein „autoritäres Regime“ in Österreich für unver­ beziehungsvollem Lächeln Nazi-Journalisten, mir of­ meidlich. Dieses hatte nun die entmachtete, aber fenbar stumm bedeuten wollend, nun hätte ich den zu erbittert grollende Arbeiterschaft gegen sich und nicht erwartenden Dank vom Hause Österreich. Dafür minder weite, bereits „nazisierte“ Schichten des klei­ grüßten unterschiedliche Bühnenkünstler den ent­ nen Bürgertums, namentlich außerhalb Wiens, die, thronten Rezensenten gar nicht oder betont salopp. am heftigsten in Kärnten, während der Juli-Putschta- Ich erfuhr die wohltuende und unbekümmerte Treue ge offen gegen das Bundesmilitär gekämpft hatten. meiner nächsten Freunde und auch etlicher nur Die Geste der Auflösung auch der chrisltich-sozialen „näherer“. Mutige Theaterdirektoren — es verdienen Partei und der Errichtung einer „vaterländischen Jahn und Preminger11 hiefür genannt zu werden — Front“, die alle früheren Parteien vereinigen sollte, luden mich weiterhin zu ihren Premieren. Nur das wurde von den respektlosen Wienern flugs ins Lächer­ staatliche Burgtheater entzog mir, nicht überraschen­ liche gezogen. Man nannte das „Front“-Abzeichen, der Weiset mein persönliches „ganzjähriges“ General- ein rotweißrotes Knopflochbändchen, den probenpermit. Ich erfuhr nun, was es in einem auch „G’wissenswurm“ (nach dem Volksstück Anzengru­ nur milde „autoritäten“ Staate bedeute, eine „oben“ bers) und kolportierte die Anekdote von Schuschnigg mißliebige Person zu sein. Nur wenige „Häuser“ und dem Dorfbürgermeister. Dieser letztere habe dem erkühnten sich, zu festlichen „Routs“ noch einen Bundeskanzler auf dessen Fragen treuherzig erklärt, Mann zu bitten, dessen Anwesenheit eine vielleicht seine „Einwohnerschaft“ zähle mindestens 40 Prozent erscheinende offizielle Persönlichkeit irritieren könn­ „Sozi“ und 60 Prozent „Nazi“. Und auf Schuschniggs te. Ich nahm dies mit dem gebotenen Humor hin und entsetzten Ausruf: „Ja, ist denn bei Euch niemand in gemäß meiner Überzeugung, daß Einladungen, wie der Vaterländischen Front?“ beruhigend versichert: sie mir vordem etwa „großpatrizische“ Buchverlage „Oh, in der Vaterländischen Front sind sie alle.“ Das hatten zugehen lassen — als ich bei einer solchen Regieren war unter solchen Umständen gewiß nicht Gelegenheit einmal einer leichten Erkältung wegen leicht, das Ministerium konnte sich nur auf die abgesagt hatte, wollte man mich in einem geheizten überzeugt klerikalen Kreise stützen und auf die Auto abholen lassen — auch an den Portier meines besonneneren kultivierten Bürger, die jedoch jene Redaktionshauses ergangen wären, wäre er über Sozialistenverfolgung stillschweigend mißbilligten. Nacht auf meinen „Rezensentenstuhl“ gesetzt wor­ Heer und Polizei wurden zudem immer energischer den. Bitterer traf mich eine wichtigere und wesentli­ von der Naziagitation durchzogen. Man griff zu der chere Enttäuschung. Ich hatte es während meiner 12 Ludwig Ullmann Medien & Zeit 4/88

Kritiker-Laufbahn ängstlich vermieden, mich als dabei blieb es nun wieder einmal. Der Gute hatte Dramatiker zu betätigen. Ich fand zwar die vieldisku­ natürlich seiner Vorgesetzten Behörde Meldung zu tierte „Inkompatibilität“ dort nicht gegeben, wo das erstatten. Ob er es getan oder weislich unterlassen, Talent des Kritiker-Autors ihm logisch auch andere erfuhr ich nie ganz genau. Der Verleger selbst interve­ Bühnen — neben den von ihm rezensierten — öffnete, nierte, erzielte aber nur die Auskunft, daß ein Werk wollte jedoch nicht selbst Streitobjekt in einer Ausein­ des „1. u.“ doch im Burgtheater „derzeit“ nicht andersetzung werden, die eine zeitlang ziemlich heftig gespielt werden könne. Meine Autorschaft war aber tobte und an der ich selbst mitunter teilgenommen nun schon zu bekannt geworden und die privaten hatte, mich aus „Tunlichkeit“ auch prinzipiell stets Bühnen hatten ebensowenig Lust, den „bedenklichen für die Trennung der beiden Funktionen ausspre­ Mann“ zu lancieren, wie auch der Verlag meinen chend. Nicht nur die nunmehr mir aufgezwungene Vorschlag, wenigstens zum Druck zu schreiten, zwar Muße, sondern offenbar auch ein lange zurückgehal­ nicht direkt ablehnte, aber auch nicht verwirklichte. tener Drang zur dichterisch-dramatischen Konzep­ Das Absatzgebiet in Österreich erscheinender Bücher tion ließen mich binnen wenigen Monaten des Jahres war das Deutsche Reich, das die eigentlich entschei­ 1934 eine Reihe von Dramen niederschreiben, deren dende Zahl der Leser und vor allem der Käufer stellte. Verfasserschaft ich leider nicht pedantisch genug Schon hatte der gleiche Verlag umsichtig begonnen, geheimhielt. Ich überreichte das erste einem früheren nur mehr „arische“ Dichter herauszubringen und Schulkollegen, der sich bis zum Direktor des derzeit seine zwei bedeutendsten „nichtarischen“ in eine größten Wiener Literatur-Verlages hinaufgearbeitet Schweizer Zweckgründung verschoben, die in Fach­ hatte12, und bat ihn, das Manuskript vom Lektor des kreisen bereits der „rituelle Verlag“ genannt wurde. Verlages als anonymes lesen zu lassen. Das geschah, Ich mußte meine Dramen weiter auf meinem Schreib­ und das wörtliche Urteil beider lautete, daß es sich um tisch liegen lassen und ein besonderes tragisches ein „Kunstwerk von Rang und Bedeutung“ handle. Geschick fügte es, daß ich deren Kopien sowohl bei Ich las nun etliche der nach und nach entstehenden meiner Flucht aus Wien, wie bei der aus Paris im Stich weiteren Arbeitern im Hause dieses Verlagsdirektors lassen mußte. Nur ein Teil davon konnte später nach vor, in einem kleinen und sich zum Schweigen ver­ Amerika nachgesandt werden. Von ungefähr der pflichtenden Kreise, dem verläßliche Beurteiler wie Hälfte dieser geistigen Schmerzenskinder besitze ich Buschbeck, Berta Zuckerkandl, Paula Wessely, Hans nicht einmal mehr eine Zeile. Es war einzig Ernst Jaray ... angehörten, und zog Theaterroutiniers wie Lothar, der als Direktor der „Josefstadt“ sich ent­ Emil Geyer und Raoul Aslan zu Rate. Man maß den schloß, eine Mozart-Komödie (auch sie ist verloren), in Versen geschriebenen, teils historischen, teils histo­ die ich unterdessen geschrieben hatte, im „Studio“ risch-visionären Stücken einen unleugbaren literari­ seiner Bühne spielen zu lassen. Ich besprach bereits schen Wert und eine konzise dramatische Kraft zu. mit dem nominierten Regisseur die Rollenverteilung, Ich fügte ihnen später einen. dramatisch-lyrischen aber Hitler war schneller. Vor Beginn dieser Proben Roman hinzu, der einen der genialsten Dichter der noch inszenierte er seine eigene Tragikomödie des Vergangenheit zum Helden hatte. Ich hatte aber zu „Anschlusses“. Und ein anderer, aufrichtigerer Verle­ wenig beachtet, daß wir uns im „halbfaszistischen“ ger, dem ich meinen Roman angeboten hatte, setzte Österreich und im „deutschen Raum“ befanden. Der mir die Sachlage freimütig und selbst erbittert ausein­ betreffende Verlag erklärte sich bereit, meine Dramen ander: Es war kein Platz im „deutschen Raum“ für die zu vertreiben, hütete sich aber wohl vor einer Buch­ Dichtungen eines nazifeindlichen „Halbariers.“ ausgabe. Immerhin legte er dem Burtheaterdirektor Es war kein Platz mehr überhaupt für aufrechte Röbbeling eines ohne Bekanntgabe des Autorenna­ Meinung. Es wimmelte wohl jetzt von Dramatikern, mens vor. Der gewiegte Theaterpraktikus zeigte sich die „vaterländisch“ eingestellt, fast alle sich „privat“ überrascht von der Bühnenkraft des Werkes und schon mit „der Partei“ verständigt hatten. Sie wurden erwog bereits die Besetzung. Nun verbot ein Statut ostentativ gespielt und verlegt, mit Nachlaß — darf des Burgtheaters aber bereits die Aufführung anony­ man wohl feststellen — des Geniebeweises. Einzelne mer Produkte und weiters mußte ich den Vertretern von ihnen gestalteten die deutsche — und die österrei­ des Verlages klar machen, daß es kaum loyal wäre, chische — Vergangenheit mit unverhohlener „völki­ den Burgtheaterleiter, dem ich selbst oft kritisch scher“ Einstellung und mit deutlichen „Führer“- genug entgegengetreten war, in eine peinliche Situ­ Glorifikationen. Das störte aber auch das Burgthea­ ation zu bringen. Ich ließ mich also bei Röbbeling ter nicht. Es war ein großes Wettrennen um die Gunst melden und bekannte mich als Verfasser. Der Biedere der einstweilen Regierenden, aber auch um die des zeigte sich keineswegs chokiert, sondern versicherte voraussichtlich unausbleiblichen Regimes. Die ein­ auch mir gegenüber, daß es ja ein tüchtiges Theater­ heimischen Nazikreise und ihre „vaterländisch“ ge­ stück sei (... in seinem Munde ein hohes Lob). Aber tarnten Mitläufer — deren viele bis dahin keinerlei Medien & Zeit 4/88 Heimat in der Fremde 13

„rassische“ Abneigung gegen Theaterdirektoren, 1 Im Zuge der Demonstrationen gegen das politische Ten­ Verleger und gastfreie Bankiers gezeigt hatten — denzurteil eines Geschworenengerichtes, das Mitglieder der rechts­ konservativen Frontkämpfervereinigung von der Anklage des mögen sich ehrlich in dem Hoffnungstraum gewiegt Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens freisprach — während haben, ein autonomes Nazi-Österreich errichten und eines Zusammenstoßes zwischen der Frontkämpfervereinigung dieses im alten Kompromiß- und Vertuschungsgeiste und dem sozialdemokratischen Schutzbund im burgenländischen installieren zu können. An diesem Selbstbetrug nah­ Schattendorf waren ein kriegsinvalider Hilfsarbeiter und ein acht­ men grotesker Weise jüdische Verleger und Filmun­ jähriger Bub getötet worden — wurde am 15. Juli 1927 der Justizpalast in Brand gesteckt, und die Polizei erschoß, ohne ternehmer mit mehr Unbekümmertheit als Takt oder Rücksicht darauf zu nehmen, ob es sich um Gewalttäter oder Rücksicht eifrigst teil. Jedes „geistige“ Verkaufsob­ Brandstifter oder einfache Passanten und passive Demonstranten jekt, das mit dem Export nach Deutschland rechnete, handelte, 85 Menschen; 4 Polizeibeamte wurden ebenfalls getötet. wurde schonungslos „arisiert“, die Filmateliers gin­ Selbst der für die Polizeiaktion mitverantwortliche christlichsoziale gen darin glorreich voran, geflüchtete deutsche Minister und Vizekanzler Hartleb sprach im Nachhinein von einer Schauspieler jüdischen oder halbjüdischen „Bluts“ „Hasenjagd“. 2 Die „Wiener Allgemeine Zeitungs- und Verlags AG“ war überschwemmten Wien und dankten es dem Präsiden­ am 26. 2.1923 in Wien gegründet worden, möglicherweise u. a. mit ten des Bühnenvereins (der Schauspielergewerk­ Geld der ungarischen Regierung. schaft), Hans Homma, daß sie fast immer die Auftritt­ 3 Geza Herczeg, geb. 1888, war seit 1906 als Journalist tätig serlaubnis erhalten konnten. Homma, ein starker und (Kriegsberichterstatter bereits vor dem 1. Weltkrieg u. a. für die Neue Freie Presse, den Pester Lloyd, das Berliner Tagblatt); nach herber Charakter-Darsteller, hatte das Amt nach dem 1918 im ungarischen Pressedienst; 1921— 1924 Neue Freie Presse; 34er Putsch übernommen, da er als Christlichsozialer 1924— 1928 Herausgeber und Chefredakteur der Wiener Allgemei­ galt, es aber mit aufrechter Objektivität geführt und nen Zeitung, Extrablatt und Mittagszeitung. Übersetzte Mussolinis sich einen Ruf der persönlichen Courage geschaffen, 100 Tage für die deutschsprachige Erstaufführung am Wiener der später zu seiner Absetzung durch die Nazis und zu Burgtheater (April 1933); ging 1934 nach Hollywood und lebte .einem Sterben in Armut und Einsamkeit führen sollte. 1938— 1941 in New York. 4 Die WAZ hatte die Zeitungsabteilung und den Zeitungs* Homma war es, der mir in einer unbelauschten druck von Elbemühl zur Gänze übernommen, daher auch das Cafehaus-Ecke anvertraut hatte, wie erschüttert er Wiener Extrablatt, die Wiener Mittagszeitung neben der Wiener darüber sei, daß Mitglieder seines Bühnenvereins- Allgemeinen Zeitung (6 Uhr-Blatt). Präsidiums bei Fahrten zu Kongressen nach Deutsch­ 5 Gemeint ist wahrscheinlich Geza Hacsak; im Compaß des Jahres 1926 scheint er als Mitglied des Verwaltungsrates auf. land sich jenseits der Grenze stolz mit dem „Parteiab­ 6 Camillo Castiglioni, geb. 1879, gest. 1957; einer der „Infla­ zeichen“ schmückten. (Es war natürlich nicht das der tionsmillionäre“ der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, der große „Vaterländischen Front“.) [...] Gewinne, aber auch ungeheure Verluste durch Bank- und Indu­ Diese Jahre waren also wohl reich an Enttäu­ striespekulationen erzielte, sowie als Kulturmäzen auftrat (u. a. schungen und Entbehrungen — nicht zuletzt an etablierte er für Max Reinhardt das Theater in der Josefstadt). moralischen — aber auch an Arbeit und stetigem 7 Dr. Eugen Vogel. 8 Unbekannt. Planen und Versuchen. In Wahrheit hat mein „Exil“ 9 Werner Krauß, der den Mephisto in Goethes Faust spielen schon damals, im Februar 1934, begonnen. Die sollte, war Preußischer Staatsschauspieler, aber nicht Staatsrat. geistige, wie die sittliche Atmosphäre meiner Heimat Faust wurde jedoch nicht wie geplant gespielt, sondern nach dem veränderte sich rapid. Das geflüsterte Wort und der „Anschluß“ durch Egmont ersetzt. unruhig mißtrauische Blick beherrschten den gesell­ 10 Am 4. März 1933 hatten Renner und seine beiden Stellver­ treter der Reihe nach ihre Funktion als Präsident des Nationalrates schaftlichen Verkehr. Die ehemals so vivide Theater­ niedergelegt, um jeweils ihre Partei bei einer umstrittenen Abstim­ welt verlor ihren Glanz, da die „Umstände“ einen mung über einen Eisenbahnerstreik zu unterstützen, da die Regie­ Spielplan dünner Pathosdramatik oder mondäner rung Dollfuß nur eine Stimme Mehrheit hatte und der Präsident des Unterhaltungsware diktierten. Problematischere Li­ Nationalrates nicht mitstimmen durfte. Der Nationalrat ging teratur — welcher Art immer — erschien nicht mehr. verhandlungsunfähig auseinander und die Situation wurde von Dollfuß mißbraucht, um von einer „Selbstausschaltung des Parla­ Man fuhr kaum mehr ins Ausland — sehr zum ments“ zu sprechen und mit Hilfe des „Kriegswirtschaftlichen Schaden unserer Informiertheit —, weil die Mittel Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahre 1917“ autoritär ohne parla­ dazu nicht minder fehlten, wie die Überzeugung, daß mentarische Demokratie weiterzuregieren. die wachsamen Behörden dies gerne gesehen hätten. 11 Rolf Jahn war Direktor des „Deutschen Volkstheaters“ — Im engeren Freundeszirkel erörterte man offen die suchte aber in den letzten Monaten vor dem „Anschluß“ die politische Nähe zur Deutschen Gesandtschaft in Wien. Otto heranrückende Gefahr, wiegte sich aber noch immer Preminger war 1928— 1934 Direktor des Theaters in der Josefstadt in der trügerischen Hoffnung, das politische Schicksal und emigrierte anschließend über Großbritannien in die USA. werde den Untergang eines Kulturjuwels, wie es Wien 12 Paul Zsolnay Verlag in Wien. unserem Gefühl nach nach wie vor war, nicht zulas­ sen. Und noch immer wurden in diesem Wien Träume gesponnen, die aussichtsreicher schienen, als die ge­ waltsam herbeigeführte Situation. 14 Medien & Zeit 4/88

und 1918 herausgab, zählen zu den wichtigsten Perio­ dica des Expressionismus in Wien. In den Jahren von 1917 bis 1922 war Ullmann Heinz Lunzer Dramaturg der „Neuen Wiener Bühne“. Im Frühjahr 1912 erhielt Ullmann die Möglich­ Ludwig Ullmann1 keit, für die Zeitungen des Elbemühl-Konzerns als Feuilletonist und als Theaterberichterstatter zu arbei­ Der Theaterfachmann, Feuilletonist und Schrift­ ten (v. a. in der Wiener Mittags-Zeitung und im steller Ludwig Ullmann lebte von 1887 bis 1959. Fremden-Blatt). Von 1913 bis 1934 war er leitender Er besuchte in Wien, seiner Geburtsstadt, das Angestellter und Theaterreferent der Wiener Allge­ Gymnasium und die Universität. Er schrieb bei Jakob meinen Zeitung; zumeist versah er die Aufgaben eines Minor eine Dissertation über die Hogarth-Studien Chefredakteurs. Lichtenbergs (1910). Die Arbeit wurde approbiert, „Vermeiden Sie“, sagte er (Kraus), „Ihren Stil doch erschien der Kandidat nicht zu den Prüfungen, adjektivisch zu schmücken und zuviel Gedankeninhalt weil er mittlerweile Arbeit gefunden hatte, die seine in einen Satz drängen zu wollen. Es ist richtig, daß ein Zeit und Energie ganz in Anspruch nahm. ,schmackhafter' Stil Ihnen eine rasche journalistische Noch während des Studiums hatte Ullmann Karriere gewähren kann. Aber auf dem anderen Wege durch Otto Soyka Zutritt zum Cafehauskreis um würden Sie bei Ihrer Begabung ein bedeutender Stilist Peter Altenberg, Karl Kraus, Adolf Loos und Alfred werden ... “. Ich hätte es leichter gehabt, diesem Rat zu Polgar gefunden, und durch ebendessen Vermittlung folgen, denn er ,purifizierte' meine Artikel vor meinen frühe Gedichte in der Wiener Kulturzeitschrift Der Augen. Ich habe mich dann später dennoch einer Merker veröffentlicht; bald publizierte er auch in Ton überladenen Schreibweise hingegeben (und von ihr erst und Wort und in Der Strom. In den Jahren 1910 und nach Jahrzehnten, stark unter dem Eindruck französi­ 1911 war er Mitarbeiter der Zeitschrift Die Fackel:; scher Klarheit und angelsächsischer Bündigkeit, im Ullmann erstellte das erste Register dieser Zeitschrift Sprachlichen zurückgefunden).“2. (1909) und erledigte für Kraus sekretarielle Aufgaben Ullmann zählte in den zwanziger und dreißiger (1910 bis 1912), ähnlich wie dies in den Jahren Jahren zu den wichtigsten und einflußreichsten Kul­ unmittelbar vor 1914 Berthold Viertel und Philipp turpolitikern auf dem Gebiet des Theaters. In seinen Berger taten. täglichen Beiträgen in der Wiener Allgemeinen Zei­ Von 1910 bis 1912 war Ullmann Vorsitzender des tung berichtete er nicht nur über Aufführungen in „Akademischen Verbands für Literatur und Musik in Wien, bei den Salzburger Festspielen und gelegentlich Wien“. Diese ambitionierte studentische Gruppe or­ aus dem Ausland, sondern auch über perspektivische ganisierte in den Jahren von 1909 bis 1914 eine Reihe Fragen des Theater- und Filmbereichs. Zunehmend wichtiger Veranstaltungen, die ein breites Wiener seit dem Ende der zwanziger Jahre, mit größter Publikum mit in- und ausländischer Literatur, Aspek­ Direktheit 1933 und 1934, schrieb Ullmann gegen die ten der Wiener Kulturpolitik und Musik, zumeist kulturpolitischen Maßnahmen des Nationalsozialis­ avantgardistischer Tendenzen, bekannt machte (u. a. mus, gegen die Beschwichtigungsmaßnahmen der Diskussion um das Loos-Haus am Michaelerplatz, österreichischen Regierung und gegen das Doppel­ Karl May als Fürsprecher des Pazifismus im Sofien­ spiel vieler Theaterleute, die sowohl in Österreich als saal, das „Watschenkonzert“ Schönbergs, Lesung auch im Dritten Reich gern gesehen sein wollten und von Schnitzlers verbotenem Professor Bernhardi, Her­ entsprechend leichtherzig und charakterlos handelten mann Hesse). und sprachen. Ullmann verfaßte seine mutigen Dar­ Ullmann und Max Sokal motivierten Kraus, stellungen und Offenlegungen mit dem Grundtenor regelmäßig Vorlesungen zu veranstalten, die 1910 bis eines heftigen moralischen Gerechtigkeitssinnes, 1912 vom „Akademischen Verband“ organisiert wur­ gebildet aus einem fortschrittlich-bürgerlichen Ehr- den. Paul Stefan, der für musikalische BelangeZustän- und Demokratieverständnis; so prangerte er scho­ dige, brachte jene aufsehenerregenden Aufführungen nungslos die Berliner Bücherverbrennungen an und von Werken Arnold Schönbergs, Alban Bergs und berichtete engagiert und gut informiert über das Anton Weberns. Ullmann war gemeinsam mit Erhard Verhalten der österreichischen Delegation auf dem Buschbeck, Heinrich Nowak und Robert Müller für internationalen P.E.N.-Club-Kongreß in Ragusa und die Abwicklung des literarischen Programms des die Spaltung des österreichischen P.E.N.-Clubs im „Akademischen Verbands“ verantwortlich, das auch Jahr 1933. die unregelmäßige Herausgabe der , Flugblätter4 mit Wiener Allgemeine Zeitung, die sich seit den späten dem Titel Der R uf besorgte. Diese und die Zeitschrift zwanziger Jahren in sozialdemokratischem Besitz Der Anbruch, die Ullmann mit Otto Schneider 1917 befand, eingestellt. Mühsam fand Ullmann in den Medien & Zeit 4/88 Ludwig Ullmann 15

nächsten Jahren Arbeit, da er als scharfer Bekämpfer Österreich (Paris, Mai 1940). Diese Publikationen und des Nationalsozialismus dem Zensur übenden Bun­ die Tätigkeit der Pressebetreuung der deutschsprachi­ despressedienst nicht genehm war. 1934 und 1935 gen Produktionen im Theatre Pigalle5 erbrachten redigierte er eine Wochenzeitschrift mit dem Titel natürlich kein ausreichendes Einkommen. Ullmann Fledermaus. Wochenblatt für Theater, Film, Musik, war auf die Unterstützungen des deutschen Exil- Radio, Sport, Mode und Gesellschaft; mit dieser unpo­ P.E.N.-Clubs in London (H. Ould, Robert Neumann) litischen Programmzeitschrift nahm Ullmann die In­ und des „Genfer Intellektuellen-Komitees“ (Gins­ tention seiner moralisierenden Offensiven der Jahre berg, Schulthess)6 angewiesen. vor 1934 zurück; er druckte Beiträge sowohl von Am 10. Juni 1940 fuhren Ullmann und seine Frau demokratisch gesinnten Autoren wie von Anhängern mit einem jener Züge, die die Massenevakuation aus des Ständestaats oder des Nationalsozialismus. Das Paris vor den anrückenden deutschen Truppen be­ Blatt mit starkem kulturpolitischem Akzent mußte werkstelligten, in den Süden, und zwar bis Montau­ nach 42 Nummern eingestellt werden; Ullmann trug ban. Dort wohnten sie, wie eine Reihe anderer einen beträchtlichen Teil des Defizits aus eigener Flüchtlinge, zumeist Sozialdemokraten, während des Tasche. Sommers. Friederike Maria Zweig initiierte ein Pro­ Von 1935 bis 1938 war er Theaterkritiker des jekt von Theaterfestspielen für Mexiko analog zu den Montagblatts Der Morgen, das 1934/1935 Hans Salzburger Festspielen. Ullmann lieferte einen Pro­ Habe und dann der frühere Besitzer Maximilian grammentwurf. Das Projekt wurde von der demokra­ Schreier herausgab. tischen mexikanischen Regierung gutgeheißen, 20 In den dreißiger Jahren fungierte Ullmann als Visa für diesen Zweck bereitgestellt. Sie verfielen für Pressechef der Paula Wessely Films; zum Aufstieg Ullmann und seine Frau und die meisten anderen dieser Schauspielerin, zu der er in einem politisch vorgeschlagenen Mitarbeiter, da eine Ausreise von konfliktreichen Verhältnis stand, hatte er nicht unwe­ Frankreich nach Mexiko nicht mehr möglich war. sentlich beigetragen. Im September 1940 übersiedelten Ullmanns nach Rudolf Beer, Theaterdirektor der ,Scala4, be­ Marseille, um ihre Visa- und Ausreiseanträge zu schäftigte Ullmann 1937 und 1938 als Dramaturgen betreiben. Obwohl noch im selben Herbst 1940 von und als Lehrer der Theatergeschichte in seiner Schau­ Ernst Lothar, der 1939 in die USA emigriert war, ein spielschule. Für diese Tätigkeit begann Ullmann eine Antrag auf ein Einreisevisum für Ullmann und seine umfassende internationale Theatergeschichte zu Frau in die USA gestellt worden war, mußten sie bis schreiben, die er im amerikanischen Exil fortsetzte. Mai 1942 auf dessen positive Erledigung warten. Das Manuskript ist etwa 3.500 Seiten stark. Eine Anfänglich habe diefinanzielleSicherstellung Lothars Publikation war im Verlag Erwin Müller 1948 ge­ nicht gereicht, dann wurde das Ansuchen in Washing­ plant, gelangte jedoch nicht zur Ausführung3. ton dilatorisch behandelt. Ullmann konnte während In den dreißiger Jahren, als sein Einfluß gebro­ der zwanzigmonatigen Wartezeit in Marseille keiner chen war, reduziert auf politisch neutrale Referate, irgendwie gearteten publizistischen Tätigkeit nachge­ schrieb Ullmann mehrere Theaterstücke historischen hen. Seine finanzielle Lage war trostlos, das Warten Inhalts, die offenbar nur zum Teil erhalten sind. Aus zermürbend. Er wurde vom ,Centre Americain de politischen Gründen unterließ der Zsolnay-Verlag, Secours4 betreut und von verschiedenen Komitees dessen Theaterabteilung den Vertrieb zugesagt hatte, finanziell unterstützt; Razzien entkam er nur durch den Druck; auf Grund der Mißliebigkeit, die Ullmann Krankschreiben entgegenkommender Ärzte — Ull­ im Ständestaat begegnete, wurde eine Aufführungs­ mann hatte dieselbe Taktik bereits in Paris angewen­ zusage für „Eugenie“4 seitens des Burgtheaterdirek­ det, um den Internierungen bei Kriegsausbruch im tors Röbbeling 1934 rückgängig gemacht. September 1939 und beim deutschen Angriff auf In der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 floh Frankreich im Mai 1940 zu entgehen (er war nicht im Ullmann, der eine Verfolgung durch die Nationalso­ Lager von Colombes oder später in einem anderen zialisten gewärtigte, nach Ungarn. Dort nahmen ihn Lager in Südfrankreich). Seine intellektuelle Tätigkeit Imre Bekessy und Lajos Hatvany auf. Es gelang ihm bestand in einer intensiven Korrespondenz mit Berta die Bahnfahrt über Jugoslawien und Italien in die Zuckerkandl, mit der er auf sehr vertrautem Fuße Schweiz, wo er seine Frau traf; von dort fuhren sie stand; ihr half er bei der Erstellung ihres zweiten weiter nach Paris. Memoirenwerks, des sogenannten Telefontagebuchs Auf der ersten Station des Exils in Frankreich (das 1970 ohne Erwähnung Ullmanns publiziert wur­ war ihm eine bescheidene publizistische Tätigkeit de). Ferner arbeitete Ullmann an einem Manuskript möglich; er schrieb in der Pariser Tageszeitung, in der mit dem Titel „Gedanken eines Emigranten. Tage­ Zukunft, Paris, in den Nouvelles d’Autriche und in der buch einer Robinsonade des Geistes44, das allerdings einzigen Nummer der ,Revue antihitlerienne4 Freies keine Daten enthält und dessen Chronologie schwer 16 Heinz Lunzer Medien & Zeit 4/88 zu rekonstruieren ist; die Handschrift umfaßt über 750 Seiten. Ullmann konnte es (im Gegensatz zu den 1 Die folgenden Angaben beruhen großteils auf der Autobio­ Aufzeichnungen aus Paris) ins amerikanische Exil graphie Ullmanns „Heimat in der Fremde“, deren vollständigstes retten; es bildete die Grundlage für den entsprechen­ Exemplar die „Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur“ in Wien aufbewahrt (Sammlung Ullmann) und deren den Teil der dort verfaßten Autobiographie. Veröffentlichung sie plant. Das Schiff ,Serpa Pinto4 verließ am 31. Mai 1942 2 Heimat in der Fremde, Bl. 17. den Hafen von Marseille nach Algier. Mit dem Zug 3 Der Aufbau, 23. 4. 1948, S. 13. wurden die Reisenden nach Casablanca gebracht 4 Brief Ullmanns an Erhard Buschbeck vom 29. 5. 1950, (marokkanische Grenze Oudjda), außerhalb der österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung Inv. Nr. 1000/46—2. Stadt in ein Lager gebracht und am 7. Juni erneut 5 Biographical Statement, Nachlaß Universität Zürich und eingeschifft. Die Überfahrt nach New York dauerte Dokumentationsstelle, Sammlung Ullmann. 23 Tage, einen Aufenthalt auf den Bermudas einge­ 6 Heimat in der Fremde, Bl. 180. rechnet. 7 wie Anm. 4. Bis zu seinem Tod wohnte Ullmann in New 8 Ullmann an Oskar Maurus Fontana vom 28. 7. 1951, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, I. N. 212.221. York, abgesehen von einer kurzen Europareise im Sommer 1955. Wiederholt weigerte er sich nach 1945, zurückzukehren und Arbeit in Österreich zu nehmen; er sah zu wenig Bereitschaft seiner ehemaligen Lands­ leute, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Demge­ genüber rühmte er den von Freiheits- und Gleichheits­ gefühlen geprägten ,american way of life4. Weitgehend in ärmlichen Verhältnissen schrieb Ullmann für Emigrantenblätter (Freiheit fiir Öster­ reich bzw. Austrio-American Tribune, Austrian Demo­ cratic Review), gelegentlich für den Aufbau und die New Yorker Staatszeitung und Herold. Zwischen 1943 und 1946 erhielt Ullmann drei fellowships4 für die Arbeit an der Theatergeschichte, die er in der vielge­ lobten New York Public Library recherchierte. Neben anderen Jobs unterrichtet Ullmann gele­ gentlich internationale Theatergeschichte an Erwin Piscators Dramatic Workshop an der New School for Social Research und war als Konsulent von Film- und Theateragenturen tätig, basierend auf seiner profun­ den Kenntnis der deutschsprachigen Schauspieler, insbesondere der Emigranten. Erst ab den fünfziger Jahren schrieb Ullmann regelmäßiger für deutschsprachige europäische Blät­ ter, darunter Die Zeit, Hamburg, und Neues Öster­ reich, Wien, als Vermittler der österreichischen Kul­ tur in Amerika und als Vermittler amerikanischen Selbstverständnisses für Europäer. Die Autobiographie Ullmanns, „Heimat in der Fremde44, war 1948 fertiggeschrieben; sie blieb bisher ungedruckt. Das Memoirenwerk enthält aufschluß­ reiche Erzählungen zur Kultur der ausgehenden Monarchie und der ersten Republik; etwa die Hälfte des Manuskripts ist der Emigration gewidmet.

In einem ,Wiedergutmachungsprozeß4 erreichte Ullmann die Auszahlung der 1934 nach Einstellung der Wiener Allgemeinen Zeitung nicht ausgefolgten Abfertigung nach 22 Dienstjahren7. Eine österreichi­ sche Pension geringer Höhe erhielt Ullmann ab 1952, seinem 65. Lebensjahr8. Medien & Zeit 4/88 17

Die dreißiger Jahre verdienen es, als Beginn des neubürgerlichen Zeitalters interpretiert zu werden. Im historischen Rückblick, sagt der Münsteraner Ge­ Michael Schmolke schichtsprofessor Hans-Ulrich Thamer1, stelle sich „das nationalsozialistische Deutschland als eine Sym­ Katholische Journalistik biose von terroristischer Diktatur und deutscher in Österreich 1933— 1938 Bürgerlichkeit dar“; von den beiden nebeneinander bestehenden und einander fördernden Aspekten „Normalität und Terror“ sah der Bürger viel leichter Die neben dem eigentlichen Nachdenk-Thema und lieber die Normalität. dieses Jahres angesagten Gesprächsstoffe unserer Nehmen wir an, er sei Journalist gewesen. Dann Tage bringen es mit sich, daß ich mich immer wieder sah er — ich mache jetzt meine These mit einem frage und meiner Frage auch immer sorgfältiger auf deutschen und einem österreichischen Zeitgeistbild den Grund zu gehen versuche: wie haben die Men­ aus dem Jahre 1933 anschaulich —, im Spätsommer schen in den dreißiger Jahren das v o r ihnen Liegende 1933, wie in Berlin ein Gesetzentwurf von 1924 aus zu sehen, zu erraten, zu beurteilen versucht, was wir einer Schublade des Reichsinnenministeriums gezo­ im historischen Rückspiegel geschärften Blicks zu gen und im Reichsministerium für Volksaufklärung erkennen meinen. und Propaganda weiterbearbeitet wurde. Im Ent­ Je mehr ich erfahre oder in Wissen und Erinne­ wurf2 steht z. B., rung wiederbeleben kann, desto vorsichtiger wird — daß der „Schriftleitungsteil“ einer Zeitung öffent­ meine Antwort, desto drängender empfinde ich die lichen Interessen dient, Notwendigkeit, die Bilder mit immer mehr und immer — daß der Schriftleiter bei nur begrenzter Einwir­ feineren Strichen zu zeichnen. Das ist vielleicht etwas kungsmöglichkeit des Verlegers publizieren darf, anderes, als zum historischen Anlaß politisch-ideolo­ was die Linie des Blattes nicht verletzt, gisch verlangt wird. Aber ich kann mich dem inneren — daß Landespressekammern und Landesschriftlei­ Zwang nicht entziehen, der mir aufträgt, durch die terkammern gegründet werden sollen. Brillen meines Vaters auf jene Jahre zu schauen. Das sollen. kann die Augen überanstrengen, denn, physisch wie Im überarbeiteten Entwurf, der am 4. Oktober 1933 metaphorisch g3sprochen: Er war kurzsichtig, und ich als „Schriftleitergesetz“ in Kraft tritt, steht z. B., konnte in leidlichem Frieden altersweitsichtig werden. — daß die Arbeit des Schriftleiters eine öffentliche Wer darf dem Kurzsichtigen welche Vorwürfe ma­ Aufgabe ist, chen? — daß der Verleger den Schriftleiter zwar auf die Bei der Bewältigung der Anstrengung hilft der in Richtlinien des Blattes verpflichten, ihn aber da­ unseren Tagen zum Schlagwort verschlissene Begriff durch nicht in der Erfüllung der öffentlichen des Zeitgeistes. Aufgaben behindern darf, — daß der Schriftleiter dem Reichsverband der 1. Zeitgeist Deutschen Presse und damit der Reichspressekam­ mer angehören muß. Der Zeitgeist der dreißiger Jahre in Deutschland und Österreich war nicht der Zeitgeist des SS-Staates, Kann unser journalistischer Zeitgenosse nicht und als der SS-Staat sich voll entfaltet hatte, im zufrieden sein mit dem neuen Gesetz? Hat er sich Zweiten Weltkrieg nämlich, war der Normalbürger nicht jahrelang eingesetzt für die Anerkennung der fast ausschließlich mit existenziellen Nöten beschäf­ „öffentlichen Aufgabe“ und für die „innere Presse­ tigt: Zwar war das Heroische angesagt, aber der freiheit“, die ihm hier verbrieft und vorher von den Zeitgeist war längst auf der Flucht, — seine Slogans Verlegern stets verweigert wurde? wurden gesungen: „Ich weiß, es wird einmal ein Übersieht er womöglich den Paragraphen 5, Zif. Wunder geschehen“ und „Es geht alles vorüber“ . In 3, wonach er künftig Schriftleiter nur sein darf, wenn den dreißiger Jahren aber sollte alles erst kommen: er „arischer Abstammung ist und nicht mit einer „In die Zukunft ziehn wir Mann für Mann“. Real Person nicht arischer Abstammung verheiratet ist“ ? konnte damals das junge Ehepaar die Herrenzimmer- Nein, er übersieht diesen Punkt nicht, aber ihn betrifft Garnitur in Eiche massiv kaufen und auf den KDF- er ja nicht, denn er ist ja katholisch. Er hat, als er Wagen zu sparen beginnen. Was mit jenem frisch Anfang der zwanziger Jahre Journalist werden wollte, konstruierten Auto des Österreichers Ferdinand Por­ von seinem noch katholischeren Vater ein Buch in die sche und den Kreuzfahrten der „Wilhelm GustlofF“ Hand gedrückt bekommen, das gerade in dritter begann, präformierte bereits die Zeitgeist-Symbole Auflage erschienen war: Großmacht Presse. Den Haß der 50er und 60er Jahre: Volkswagen und Mallorca. der „herrschenden Presse“ gegen das Christentum 18 Michael Schmolke Medien & Zeit 4/88 finde man nur erklärt, wenn man, „wissend daß die der Nation, als des Volks der Dichter und Denker, Hauptdrahtzieher Juden und jüdisches Kapital — wäre zu wünschen und erwarten gewesen, daß die jene als Haupttriebkräfte in Rechnung setze(n), die siegreichen Scharen des Hakenkreuzes auf ihrem einst auf dem Markt von Jerusalem so grausam Triumphzug noch etwas genauer unterschieden hät­ ,crucifige Jesum4 schrieen ..." Das schrieb da ein ten zwischen marxistischen Volksvergiftern im Zei­ gewisser Joseph Eberle3, Redakteur der Reichspost tungsleben und den Blättern, die schon um 1919 die und später der Zeitschriften Neues Reich und Schöne­ bolschewikische Hochflut abgewehrt, schon seit ihrer re Zukunft in Wien. Gründung der ,Basis unserer gesamten Moral4 ge­ Unser reichsdeutscher Zeitgenosse hatte viel­ dient haben, als die Reichskanzler Hitler das Chri­ leicht neben dem Schriftleitergesetz die jüngste Neuer­ stentum in seinem Programmaufruf am 1. Februar scheinung zur katholischen Publizistik auf dem bezeichnet hat."6 Kein Grund zur Beunruhigung also, Schreibtisch liegen. Sie kam aus Graz, von der Styria, und auch den jüdischen Kollegen im Reich ging es und ein angesehener Kollege, Chefredakteur des wohl nicht ganz so schlimm, weiß Kohlbach noch im katholischen Grazer Volksblatts spendete Trost mit April 1933: Im Reichsverband der Deutschen Presse „Kreuz und Feder", falls sich das Gewissen des dürfen Juden „nur Mitglieder bleiben, wenn sie 1914 deutschen Kollegen doch betroffen gefühlt haben bereits dem Verband angehörten und außerdem den sollte4: Der „Judenstämmling" verfüge nicht nur über Weltkrieg an der Front mitmachten"7. Dem Lauf der Eigenheiten, „die sittlich einwandfrei sind". Das Geschichte sei vorgegriffen: Kohlbach wurde, wenn „deutsche Gemüt" empfinde sie als Entartung. Karl Maria Stepan sich richtig erinnert, schon in der „Wo immer jüdische Macher eine Zeitung anfan­ Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 verhaftet8, seine gen, stellen sie die Neugründung nach Technik und Beschwörung der siegreichen Scharen des Haken­ Organisation, nach Umfang und Verbreitung schein­ kreuzes hatte nichts gefruchtet. bar spielerisch in einem Format hin, das für Deutsche, Ein drittes Zeitgeistbild vereint unseren katholi­ zumal für Katholiken, die ihr Hauptaugenmerk stets schen Journalisten aus dem Altreich mit einem Ost­ auf Gründlichkeit, auf Gesinnung richten, auch nach märker auf der gemeinsamen großdeutschen Bühne, jahrzehntelangem Ringen oft unerreichbares Ideal realiter im Großdeutschen Reich Adolf Hitlers, aber bleibt." idealiter in einer ganz anderen Sphäre. Dazu sollen Noch stärkeren Trost spendet der Grazer Kolle­ zwei Nestoren katholischer Publizistik mit absolut ge, der Doktor der Theologie und spätere Dompfarrer weißer Weste zu Wort kommen: Karl Bringmann und Rochus Kohlbach, wenn es um die 1933 noch unange­ Friedrich Funder9. nehm frischen Erinnerungen an die Gewaltstreiche Funder, in den dreißiger Jahren ebenso kämpfe­ der SA gegen kommunistische und sozialdemokrati­ rischer Antimarxist wie nationaler Österreicher und sche Zeitungen geht5: „Der Nationalsozialismus hat, deshalb kein Anschluß-Freund, dachte ebenso anti­ und das ist ein Verdienst, dem zuliebe man ihm schon nationalsozialistisch wie deutsch. Die Regierung in einige unartige Kinderkrankheiten verzeihen darf, bei Wien sei nicht weniger deutsch als jene in Berlin, Übernahme der Regierungsmacht die sozialistische schrieb im Mai 1933 seine Reichspost, „das Deutsche Presse in schärfste Zucht genommen, beziehungsweise Reich habe demnach keine Veranlassung, sich um das verboten, er hat aber auch die kommunistischen Deutschtum in Österreich zu sorgen"10. Gottlosenverbände aufgelöst und die derbe Gottlo­ Und Karl Bringmann, 1938 Redakteur der in den senpropaganda abgestellt. Es ist aber auch dankbar letzten Zügen liegenden katholischen Germania, reka­ anzuerkennen, daß sich die parteioffiziellen Führer pituliert den März 1938: „Als Österreich ,heim-ins- des Hakenkreuzes bemühen, neben dem nationalen Reich4 kam und zur,Ostmark4 wurde, war das für uns Gedanken auch die religiöse Gefühlswelt und Wil­ junge Katholiken, die wir wirklich groß-deutsch dach­ lenskraft in den Dienst des staatlichen Neuaufbaues ten (,aber doch nicht so ... !4), eine schwierige Ent­ zu stellen. Aber gerade aus dieser objektiven Einstel­ scheidung. Die Germania würdigte das Ereignis mit lung heraus muß bedauert werden, daß Braunhemden einer Sonntagsbeilage. Aufmachung ,Das größere im ersten Machtrausch der Regierungsgewalt nicht Deutschland4 und der Klosterneuburger Altar über den entsprechenden Unterschied machten zwischen die ganze Breite."11 marxistischen und katholischen ,Widersachern4, son­ Großdeutsch, aber doch nicht so! In der Tat hat dern in Einzelfallen katholische Zeitungshäuser und ja der deutsche/österreichische Katholizismus seit der Schriftleiter unverdientester Behandlung aussetzten; Paulskirche (1848/49) mehrheitlich das großdeutsche Credo gebetet, und zwar anfangs überhaupt mit dem „Freilich waren auch die angedeuteten Fakten Blick nach Wien; aber auch nach Gründung des derart, daß man bedauern muß: mit Rücksicht auf die Bismarck-Reiches taten sich viele deutsche Katholi­ Größe des geschichtlichen Ereignisses und die Würde ken schwer mit der Umorientierung auf Berlin. Medien & Zeit 4/88 Katholische Journalistik in Österreich 1933— 1938 19

Großdeutsch im katholisch-politischen Sinne war dreißiger Jahren in einem relativ ansehnlichen Zu­ weniger eine Ideologie als ein fortgesponnener My­ stand. Funder16 nennt 1931 13 Tageszeitungstitel und thos, beladen mit den inzwischen verklärten Erinne­ 50 Wochenblätter von recht verschiedener Funktion, rungen an ein Jahrtausend katholischer Kaiser, die mehrheitlich jedoch Informationswochenzeitungen, zuletzt so gut wie immer Habsburger gewesen waren. die dem heutigen Typ Niederösterreichische Nachrich­ Seit den zwanziger Jahren berührt sich der Mythos ten oder Oberösterreichische Rundschau entsprechen. gelegentlich wieder mit der politischen Realität — Die 13 Tageszeitungen Funders decken sich bis man höre Funder, aber auch etwa den Chefredakteur auf einen Fall {Neue Post, Gmunden) mit einer der Salzburger Chronik, Kanonikus Leonhard Stein­ graphischen Darstellung bei Kohlbach (S. 221): wender, der 1932 schreibt: „Ostmärker sein, Österrei­ Grazer Volksblatt Reichspost cher sein, ist darum ein wundervoller gesamtdeutscher Innsbrucker Zeitung Salzburger Chronik Beruf.“ 12 Kärnter Tagblatt 6-Uhr-Blatt Hitlers Großdeutschland von 1938 dürfte jedoch Das Kleine Volksblatt Tiroler Anzeiger großdeutsch denkende Katholiken österreichischer Kleine Zeitung Vorarlberger Volksblatt wie deutscher Staatsbürgerschaft kaum noch in Ver­ Linzer Volksblatt Welt-Blatt Die Neue Zeitung suchung geführt haben, es sei denn, sie waren obend­ rein Nationalsozialisten. Beim 6-Uhr Blatt handelt es sich um eine Abend- Als Karl Bringmanns erwähnte Anschluß-Beila­ Ausgabe des Grazer Volksblattes, ebenso bei der ge in der Germania erschien, war Funder schon Innsbrucker-Zeitung im Verhältnis zum Tiroler Anzei­ verhaftet. Beider Zeitungen erloschen wenig später, ger. Die katholische Presse war in den dreißiger die Reichspost mit dem 30. September, die Germania Jahren weder nach Titelzahl noch nach Auflagen eine mit dem 31. Dezember 1938. Für jene, die inzwischen „Großmacht“ (vgl. die Tabelle am Ende der Anmer­ begreifen gelernt hatten, ein Vorzeichen zum endgülti­ kungen !). Von den Zeitungsverboten des Jahres 1934 gen Ende der Bürgerlichkeit, für die große Mehrheit nicht betroffen, war sie dennoch politisch gehemmt, aber nicht deutbar, denn sie hatte diese Blätter nie und zwar auch oder gerade dann, wenn sie sich voll goutiert. auf die Linie der Vaterländischen Front einschwören Im übrigen war aber auch Funder nicht frei von ließ. einer gewissen Geneigtheit zu Strukturen des bürgerli­ Von der deutschen katholischen Presse unter­ chen Totalitarismus. „Voll hinter dem Konzept der schied sich die österreichische durch ein auffälliges Neuordnung Österreichs nach berufsständischen Strukturmerkmal: Sie stand fast zur Gänze im Eigen­ Prinzipien“ stehend, hat er die Errichtung der „öster­ tum katholischer Preßvereine, die in den Jahren reichischen Pressekammer“ im Herbst 1936 mit ange­ zwischen 1869 und 1908 entstanden waren17. sehen und offensichtlich als die normale Entwicklung Funder lobt die Preßvereinskonstruktion als „ein der politischen General-Linie Österreichs akzep­ von allen Fährlichkeiten und Unsicherheiten des tiert13. Am 13. März 1938 verließ er Wien, aber nicht privaten Besitzes befreites Fundament“. Es half der eigentlich auf der Flucht14, sonst hätte er sich nicht katholischen Presse „Krisen überstehen, denen priva­ sofort — einmal mehr bürgerliche Strukturen respek­ te Verleger schwerlich gewachsen gewesen wären“18. tierend — in St. Veit an der Glan angemeldet, wo er Freilich wurde so auch manche Kümmerer-Existenz am 14. März verhaftet wurde, — er habe sich nicht verschleiert, uncfgegen nationalsozialistische Presse­ vorstellen können, „daß man mit Gesinnungsgegnern politik stellten die Vereine schon gar keinen Schutz so entwürdigend verfahren würde“15. dar. Sie wurden 1938 ohne Zögern teils aufgelöst, teils Viele seiner Kollegen haben sich das auch weiter­ durch nationalsozialistische Vereinsgründungen un­ hin nicht vorstellen können. Warum auch sollte es terlaufen, geänderten Satzungen unterworfen oder außergewöhnlich sein, um Aufnahme in die Reich­ zwangsaufgekauft. Die Rückstellungsverfahren zo­ spressekammer anzusuchen, wo es doch eh eine gen sich teilweise bis in die Mitte der 50er Jahre hin19. österreichische Pressekammer, wenn auch ohne Daß die Nationalsozialisten mit den katholi­ Zwangsmitgliedschaft für Journalisten, gegeben hat­ schen Zeitungen 1938 in der Regel kurzen Prozeß te? Schließlich hatte man einen bürgerlichen Arbeits­ machen konnten, lag jedoch nicht, wahrscheinlich platz. Er schien jetzt sicherer denn je, und in eine nicht einmal in erster Linie an der einheitlichen Berufsliste eingetragen zu sein, hat das Gefühl des Preßvereinsstruktur, die natürlich leichter zu ergrei­ Gesichert-Seins möglicherweise noch verstärkt. Dar­ fen war als die vielfältigen Konstruktionen der Presse auf komme ich in Kapitel 4 zurück. im Altreich. Vielmehr konnten die einfallenden NS- Funktionäre auf mittlerweile fünfjährige Erfahrun­ 2. Medien gen mit der Presselenkung zurückgreifen Und zusätz­ lich auf ihre österreichischen „U-Boote“, die als Die katholische Presse Österreichs war in den Experten für die meist schon am 12. März erfolgte 2 0 Michael Schmolke Medien & Zeit 4/88

Übernahme der Betriebe bereitstanden. Die Übernah­ Einräumungen durchsetzt, und es scheint so, daß me spielte sich mit bemerkenswertem Zynismus ab, Sozialismus und Kommunismus jedenfalls für die wobei freilich viele Einzelheiten noch ungeklärt sind. gefährlicheren Feinde gehalten wurden. Warum z. B. wurde die Salzburger Chronik sofort in Die folgenden Aussagen stützen sich auf zwei Salzburger Zeitung20 umbenannt, während an ande­ „Vorher-Nachher“-Untersuchungen. Die ältere, eine ren Orten die Titel beibehalten wurden? In Salzburg Salzburger Dissertation von Brigitta Rodler, ver­ wie in anderen Redaktionen21 durften nicht nur, gleicht je 42 Leitartikel des großdeutsch-nationalen sondern mußten vorerst einmal die Redakteure blei­ Salzburger Volksblatts und der katholischen Salzbur­ ben, sich auf die neue Linie festlegen; sie konnten aber ger Chronik aus der Zeit vom 1. Februar bis zum 30. dennoch folgende Sätze in der Ausgabe vom 12. März April 1938 und versucht auch, Wertungen zu erfassen. publizieren22: Die jüngere, eine ad-hoc-Analyse von Erich Hamber- „Der Wandel der Dinge, der seit den Abendstun­ ger (Februar 1988), fragt nach dem Vorkommen den des gestrigen Tages eingetreten ist, bringt es mit bestimmter Themen in der Reichspost, der Kleinen sich, daß unser Blatt heute unter einem neuen Titel Zeitung und der Salzburger Chronik in den Monaten erscheint. (...) Das Gewissen, die ewige und bleibende Oktober 1937 bis Mai 1938. Was die Häufigkeit des Richtschnur eines jeden Menschen, ist und bleibt für Vorkommens bestimmter Themen betrifft, so sind den Einzelnen Weiser und Führer. Aber eines ist uns beide Salzburger Blätter vor dem 12. März in je ihrer jedenfalls geblieben, Österreich, die Heimat, an der Weise um Österreich besorgt. Auf den ersten fünf wir alle, aus tiefstem Herzen hängen, und der wir auch Rangplätzen liegen Österreich, das Deutsche Reich, weiterhin unsere Treue bewahren wollen, so wie wir Schuschnigg, der Nationalsozialismus in Österreich auch dem deutschen Volke Österreichs unsere Treue und die deutsch-österreichischen Beziehungen, wie sie wahren wollen und unsere Kräfte widmen werden. zuletzt im Berchtesgadener Abkommen ihre Verfesti­ (...) Jede Zeit verlangt nach Aufbauarbeit, auch die gung gefunden hatten. Daß nach dem 12. März Hitler neue, in die wir jetzt eingetreten sind. Dieser Aufbau­ auf Rang 1 bzw. 3 (Chronik) rückt, ist nicht überra­ arbeit zu dienen, den religiösen und sittlichen Grund­ schend. sätzen getreu, die wir immer vertreten haben, wird der Was aber die Bewertung angeht, so wird sich Zweck unseres Blattes sein. Wir rechnen auch für die niemand wundern, daß nach der Gleichschaltung bei Zukunft wie bisher mit der Treue unserer Leser, mit Volksblatt und Chronik die Themen Nationalsozialis­ denen uns zumeist schon langjährige Gesinnungsge­ mus (in allen Facetten), Deutsches Reich, Anschluß meinschaft aufs herzlichste verbindet.“ und Hitler ganz ins positive Feld gerückt sind. Diese Gesinnungsgemeinschaft war freilich in Überraschend ist vielmehr, daß diese Themen in der jenen Tagen nicht intakt. „Zitternd vor Hoffnung, es Chronik vor dem 12. März ganz entschieden im sei nicht das Böse“23, hieß die Spitze der Kirche den negativen Feld placiert gewesen waren, wobei nur „Garanten“ deutscher Bürgerlichkeit willkommen, Hitler eine (positive) Ausnahme gemacht hatte. während die katholische Tagespresse von einem Tag Hamberger operierte bei seiner Analyse mit auf den anderen aufhörte, katholisch zu sein, und ihre ähnlichen Kategorien, bezog aber bewußt kirchliche Chefredakteure festgesetzt wurden. bzw. kirchenpolitische Themen ein, wobei er aus ursprünglich 23 Beobachtungsfeldern sieben The­ 3. Themen menschwerpunkte herausfilterte: das selbständige Österreich, die österreichische Wirtschaftslage, die Die Vorarbeiten zu diesen Skizzen zeigten deut­ weltanschauliche Auseinandersetzung zwischen Na­ lich, daß es zum Thema Katholische Presse im tionalsozialismus und katholischer Kirche, die Ständestaat erhebliche Forschungslücken gibt. Denn Kampfmaßnahmen gegen die katholische Kirche im mit dem Ausschau-Halten nach Faschismus-Ver­ Dritten Reich sowie Maßnahmen gegen Kirchen dächtigen ist es, wie wir aus dem Beispiel Joseph generell, das antisemitische Thema und schließlich Eberle lernen können, nicht getan. Besonders dünn ist kirchliche Stimmen zum Anschluß. unser Wissen um die Inhalte der katholischen Tages­ Bei allen drei Zeitungen (RP, K l Z., S. Chr.) publizistik, soweit es um die politisch und kirchenpo­ steht, was nicht jeder erwartet, thematisch die öster­ litisch brisanten Themen geht. Die wenigen vorhande­ reichische Wirtschaftslage im Vordergrund, und zwar nen Analysen erlauben die Hypothese: Die katholi­ als ein Vorher- und Nachher-Thema. Ein typisches sche Presse hat in jenen Jahren das Autoritäre um der Vorher-Thema sind nationalsozialistische Kampf­ Ordnung willen begrüßt und dem Antisemitismus maßnahmen gegen die Kirche, wobei sie bei der zumindest nicht widersprochen. Sie hat sich anderer­ Chronik die relativ größte Themen-Teilmenge stellen. seits vor 1938 in der Regel für ein freies und selbstän­ Dabei mag die Nähe der Grenze eine Rolle gespielt diges Österreich eingesetzt. Ihre Kritik am deutschen haben. Die Kleine Zeitung hingegen verzichtet auf Nationalsozialismus war von wohlwollenden Medien & Zeit 4/88 Katholische Journalistik in Österreich 1933— 1938 21

Kirchenkampf-Berichterstattung, und auch die welt­ auch eine Viertelseite für reserviert anschauliche Auseinandersetzung mit dem National­ hatte25. Joseph Eberle, in gewisser Weise ein Paradies­ sozialismus kommt nur in Chronik und Reichspost vogel unter den katholischen Journalisten, von den vor, hier allerdings auch noch nach dem Anschluß in Nationalsozialisten ebenso gehaßt wie einkalkuliert, nennenswertem Umfang. geht schließlich auch noch den Weg der Opfer26. Aber Ein Vorher- und Nachher-Thema ist für alle drei bevor er 1941 ins Gefängnis kommt und aus der Blätter der Komplex des Antisemitischen, wobei rein Berufsliste gestrichen wird, muß er doch erst einmal in quantitativ bei Chronik und Kleiner Zeitung nach dem diese Liste aufgenommen, Mitglied der Reichspresse­ 12. März jeweils gut dreimal so viele antisemitische kammer geworden sein. Das mußten sie alle werden Anlässe zur Sprache kommen wie vorher, bei der wollen, nachdem am 11. bzw. 14. Juni 1938 das Reichspost aber siebenmal so viele. Diesem Befund Reichskulturkammer- und das Schriftleitergesetz für wäre natürlich qualitativ nachzugehen und ebenso der Österreich verbindlich gemacht worden waren27. Sie Dominanz des Themas Wirtschaft. In ihm scheint mir „alle“, für deren Nachkriegskarriere Fritz Hausjell zweierlei zu stecken: die kritische Frage gestellt hat, waren nicht ahnungs­ Mehr als in der eigentlichen Österreich-Diskus­ los. Sie hatten die Entwicklung der nationalsozialisti­ sion die existenzielle Sorge um das Land, wobei schen Presselenkung fünf Jahre lang beobachten auch ein positives Vorausdenken anklingt, so etwa können, und sie konnten auch wissen, was es bedeute­ wenn die Chronik sich und ihren Lesern am 29. te, daß Reichspressechef Otto Dietrich und sein Dezember 1937 geradezu Mut zuspricht: „Es ist Stellvertreter Helmut Sündermann schon mit Hitler notwendig und berechtigt, auf diese Lichtseiten in der nach Wien kamen, ihnen voraus Beauftragte Max österreichischen Wirtschaftsentwicklung hinzuwei­ Amanns und Max Winklers28. Aber für jene, die nicht sen“ und — Schande über neidische Nachbarn — sofort festgenommen wurden, ging es zunächst „Die Behauptung eines sudetendeutschen Blattes, scheinbar normal weiter: Österreich hätte die größte Arbeitslosigkeit auf der „Die Taktik des nationalsozialistischen Propa­ ganzen Welt, ist daher nicht nur eine Unfreundlich­ gandaapparates lief sichtlich darauf hinaus, schockar­ keit, sondern auch falsch“. tige Veränderungen im Wiener Pressewesen zunächst Genau hier aber hatten Hitlers Propagandisten zu vermeiden. Das Fallbeil schlug nicht plötzlich zu, leicht ansetzen. Der „Wirtschaftsaufbau Öster­ der Prozeß der Eliminierung der jüdischen Journali­ reichs“, die „neuen starken Impulse“, schnellste För­ sten vollzog sich sukzessive und sollte auf diese Weise derung in kürzester Zeit, Lohn und Verdienst für die das weitere, wenn auch limitierte Erscheinen der arbeitslosen Volksgenossen (Chronik, 16. 4. 38), das wichtigsten Zeitungen sicherstellen. Zwangsläufig alles versprach ja mehr: nämlich die letzendliche kam es unter solchen Umständen zu absurden Kon­ Absicherung der Normalität, eine Hoffnung, entstan­ trastszenen. Während sich in aller Öffentlichkeit den aus der Sorge um Österreich und deshalb viel­ antisemitische Exzesse abspielten und die illusionären leicht am Anfang blind für den anderen Aspekt, den Erwartungen, daß die Judengesetze in Wien nur eine Terror. realistisch-gemäßigte Anwendung finden würden, von Tag zu Tag dahinschwanden, setzten eine Anzahl 4. Menschen jüdischer Journalisten aus bloßer Existenzangst, im „Nur wer begreifen lernt, wie man unter den besten Einvernehmen mit den ,arischen4 Kollegen, Bedingungen totalitärer Herrschaft leben konnte, ihre Arbeit fort.“29 Hausjell vermutet, daß die Gal­ seine individuellen Wünsche und seine sozialen Hoff­ genfrist spätestens im September 1938 zu Ende gewe­ nungen unter dem Hakenkreuz realisieren konnte, sen sei30. Bis 30. Juni hatte sich, wer in Österreich ohne daß man damit bloßer Opportunist oder gar Journalist bleiben wollte, beim „Reichsverband der gleich Verbrecher war, wie man damit aber gleichzei­ deutschen Presse, Landesverband Ostmark“ anzu­ tig das Regime stärkte, ob man es wollte oder nicht, melden. Die Ansuchen seien von Juni bis August sehr der wird zu einem differenzierteren Verhältnis zu zügig erledigt worden. Aber das gilt nur für die klaren unserer schockierenden Vergangenheit finden.“24 Fälle. Die im Sinne des Nationalsozialismus „Zuver­ Die Emigranten und die Opfer der ersten Tage lässigen“ durften weiterschreiben, die politischen kamen nicht in die Versuchung, ihre individuellen Gegner und eindeutigen Nicht-Arier in der Regel Wünsche und sozialen Hoffnungen unter dem Haken­ nicht. Aber die Regel kannte Ausnahmen: Paragraph kreuz verwirklichen zu wollen. Zu den Geprüften 9 des Schriftleitergesetzes eröffnete selbst Nicht- gehörte neben Funder, Steinwender und Stepan auch Ariern die Aussicht auf Ausnahmebewilligungen. Sie jener Rochus Kohlbach, der 1933 in seinem „Presseal­ konnten 1938 nur noch „Mischlingen“ erteilt wer­ bum für das christlich-deutsche Volk“ unter den den31. Günstig für die Antragsteller wirkte sich aus, „Aussprüchen von Volksführern und Geistmännem“ „wenn sie im Weltkrieg an der Front für das Deutsche 22 Michael Schmolke Medien & Zeit 4/88

Reich oder seine Verbündeten gekämpft haben oder Für den Wissenschaftler stellt sich hier die m. E. wenn ihre Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen noch offene Frage, ob und, wenn ja, warum die sind. (...) Darüber, wer als,gefallen1 234 56 zu gelten hat, vgl. katholische Publizistik der ersten Republik auf dem § 16 DurchfVO. Anm. 3.“ Felde von Antimarxismus und Antisemitismus stets kritischer und polemischer operierte, als wenn es um Es hatte eben alles seine Ordnung, und wer Warnung vor dem Nationalsozialismus ging. arbeiten wollte und vielleicht noch eine Familie zu Wie sehr dieser das öffentliche katholische Wort ernähren hatte, der schrieb seine Beitrittserklärung gefürchtet hat, das nachzuweisen, braucht man nicht und argumentierte, wie es ihm die Hoffnung auf die gleich den Grafen Galen anzurufen. Ich begnüge mich Ausnahmebewilligung diktierte. Oskar Maurus Fon­ und gebe das Schlußwort dem nationalsozialistischen tana (1889— 1969) konnte sich auf die Frontkämpfer- und vielleicht sogar katholischen — ich weiß es nicht Klausel berufen32. Beim Ansuchen auf Erhöhung — Journalisten Hanns Schopper. Er nimmt die seiner Offizierspension — er hatte zunächst Schreib­ Reichspost pars pro to to für die katholische Journali­ verbot — half sie ihm nichts, und dies, obwohl er im stik Österreichs bis 1938: „Die Reichspost, die zu Juli 1939 für sich Vorbringen konnte, „daß ich mit Luegers, ja selbst noch zu Seipels Zeit ein angesehenes Bewilligung des Herrn Reichspropagandaministers Organ verkörperte, verleugnete ihre Tradition völlig, meinem journalistischen Beruf nachgehen und damit und ab 1930 sank ihr Niveau auf jenes irgendeiner für die hohen Ziele der Volksgemeinschaft tätig sein Judenzeitung. Wahre Haßorgien wurden in ihren darf — eine Aufgabe, der ich mich freudig und mit Spalten aufgeführt, die heute — wenn man in einem dem Einsatz meiner besten Kräfte zum Wohle des alten Bande blättert — hilflos, ja geradezu komisch Ganzen unterziehe44. anmuten, die aber zur damaligen Zeit ihre Wirkung Wer traut sich, Steine auf ihn zu werfen ? Und nicht verfehlten. In blinder Wut wurde auf alles wer auf den Reichspost- und späteren Volksblatt- losgehauen, was sich nicht bedingungslos zu ihrem Redakteur Leopold Husinsky (1890—1951), der als antideutschen Kurs bekannte, den sicherlich nicht nur „Mischling ersten Grades (zwei jüdische Großel­ die österreichischen, sondern auch andere Bischöfe tern)“ nicht in den Reichsverband aufgenommen und mitbestimmten. (...) Mit jesuitischem Augenaufschlag dem am 3. Februar 1939 auch sein Ausnahmeantrag wurde versichert, daß man den Nationalsozialismus abgelehnt wird33. Er hatte, wie man meinen könnte, beileibe nicht als politische Idee bekämpfe, sondern starke Argumente eingebracht: sechs minderjährige als Weltanschauung, und dieses Beginnen stünde zu Kinder und eine „Auswahl selbstverfaßter antimarxi­ dem Staatsvertrag in keinerlei Widerspruch. Durch stischer und antisemitischer Artikel aus den Jahren diesen echt jüdischen Dreh konnte das Blatt in seiner 1929 bis 1938“. So mancher März-Verhaftete hätte bisherigen Tonart fortfahren und alles begeifern, was ebenso viel oder noch mehr Einschlägiges vorlegen im Reich Großes geschaffen wurde.“35 können, aber der direkte Zugriff des Terrors schützte Ich zitiere Schopper nicht, weil womöglich aus­ ihn vor der Versuchung des bürgerlichen Kompromis­ gerechnet er einen vorzeichen-verkehrenden Persil- ses, den zu versuchen doch eigentlich ganz normal schein ausstellen könnte, sondern als einen Zeugen und vernünftig war, wenn einer eine Sechs-Kinder- der empfindlichen Verwundbarkeit des Nationalso­ Familie zu versorgen hatte. Insofern ist Husinskys zialismus. Er wußte sich nach fünf Jahren Presselen­ Lebenslauf ein Beispiel zugleich für den Aspekt des kung gegenüber der katholischen Publizistik nur mehr Terrors, der ihm in sieben Zeilen Berufsverbot erteilte, auf der Ebene des Terrors zu helfen. Aber auch die weil er zwei unpassende Großeltern hatte. Zur Nor­ letzten Stimmen wurden mit bürgerlichen Formalitä­ malität in Husinskys Berufsweg gehört übrigens auch, ten zum Schweigen gebracht, mit Paragraphen, Ge­ daß er auf katholischem Boden antisozialistisch und schäftszahlen und Aktenzeichen und sogar mit Nach­ antisemitisch publiziert hatte. Wenn wir Elisabeth rufen. Franz von Papen entfuhr in der letzten Ausga­ Noelle-Neumanns Definition von öffentlicher Mei­ be der Germania zum Ende der katholischen Tages­ nung für u n s in Anspruch nehmen, so muß sie auch journalistik im Dritten Reiche jene Doppeldeutigkeit, für ih n gültig gewesen sein. Husinsky hat mit der die uns heute noch Fragen aufgibt: „Wenn damit auch Mehrheit seiner Kollegen bis zum März 1938 öffent­ ein Stück von uns selbst zu Grabe getragen wird ...“36 lich gesagt, was er sagen konnte, „ohne Gefahr, sich zu isolieren“, ja was „man“ damals beinahe sagen mußte, wenn man sich nicht isolieren wollte34. Nach 1 Thamer, III. dem März hätte er so fortfahren müssen, aber mit 2 Matthies, 175 ff. einem Schlage war er nun aufgrund seines Geburts­ 3 Eberle, 262. 4 Kohlbach, 351 ff. makels selbst so isoliert, daß er öffentlich überhaupt 5 Ebda., 72 f. nichts mehr sagen durfte. 6 Ebda., 169. Medien & Zeit 4/88 Katholische Journalistik in Österreich 1933— 1938 23

7 Ebda., 210. 31 Schmidt-Leonhardt/Gast, 72 und 61. & Stepan, 194 f. 32 Reininghaus, 77. 9 Karl Bringmann, geb. 1912, 1937/38 Redakteur der Zen­ 33 Hausjell 1988. trumszeitung Germania (Berlin), 1947— 1952 Redakteur der Rhei­ 34 Noelle-Neumann, 255. nischen Post (Düsseldorf), 1953— 1958 Chefredakteur und Ge­ 35 Schopper, 26 f. schäftsführer der Katholischen Nachrichtenagentur (Bonn), 36 „Abschied von der Germania“, in: Germania 31. Dezember 1959— 1978 Verlagsleiter der Rheinischen Post, seit 1977 Honorar- 1938, hier zit. n. Stiegler, 312. Prof. für Journalistik an der Universität Dortmund. — Friedrich Funder (1872— 1959), 1896— 1938 Redakteur (seit 1902 Chefre­ dakteur) der Reichspost (Wien), 1945 Gründer der Furche. Literatur 10 Zit. n. Pfarrhofer, 138. 11 Bringmann, 10. Botz,Gerhard: Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich, 12 Zit. n. Hanisch. Wien 3 1988. 13 Vgl. Pfarrhofer, 195 und Wisshaupt, 32 ff. Bringmann, Karl: Kaleidoskop eines Lebens als Publizist, Düssel­ 14 Funder 1957, 320 ff. dorf 1987. 15 Zit. n. Pfarrhofer, 206. Brook-Sheperd, Gordon: Der Anschluß, Graz 1963. 16 Funder 1931 b, 127 f. Dubrovic, Milan: Veruntreute Geschichte, Wien 1985. 17 Lenart, 8f. Eberle, Joseph: Großmacht Presse. Enthüllungen fiir Zeitungsgläubi­ 18 Funder 1931 b, 126. In Deutschland gab es nur in Bayern ge, Forderungen fiir Männer, Wien u. Regensburg 3 1920. einen Katholischen Preßverein, der auch als Träger von Zeitungen Funder, Friedrich: Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in (1930: 10 Verlagsbeteiligungen) fungierte. Vgl. Schmolke, 109. die Republik, Wien 3 1971. 20 Zur Chronologie der Titel: (1.) Salzburger Chronik 1. 4. derselbe (1931a): Die katholische Presse, in: A. Hudal (Hg.): Der 1865— 11. 3. 1938; ab 12. 3. 1968 unter nationalsozialistischer Katholizismus in Österreich, Innsbruck 1931, 189—204. Leitung, aber in Unternehmensidentität fortgeführt unter dem Titel derselbe (1931b): Die katholische Presse Österreichs, in: Der Salzburger Zeitung bis zur Einstellung am 13. 8. 1938. An die katholische Almanach, Wien 1931, 126— 134. freigewordene Stelle trat, gedruckt in der Chronik-Druckerei des derselbe: Als Österreich den Sturm bestand. Aus der Ersten in die (Kath.) Preßvereins, das amtliche Gau-Organ der NSDAP Salzbur­ Zweite Republik, Wien 1957. ger Landeszeitung, unter diesem Titel bis 14. 11. 1942. Ab 16. 11. Hanisch, Emst: Die Provinzpresse: Das Salzburger Beispiel; im 1942 erschien das NSDAP-Organ, nach Fusion mit dem bis 14. 11. Druck für die Mitteilungen der Ges. f. Salzburger Landeskunde 1942 selbständigen Salzburger Volksblatt, unter dem Titel Salzbur­ 1988. ger Zeitung, den 1938 schon die Ex-Chronik geführt hatte. — Beide Hausjell, Friedrich: Gegen Sozialismus und Judentum. Das Bemühen von den Nationalsozialisten eingesetzten Titel waren okkupiert: Sie des ,,Reichspost“-Redakteurs Leopold Husinsky um Aufnahme gehören eigentlich in die Tradition der ältesten Zeitung in Salzburg in die Reichspressekammer, in: multimedia v. 17. 1. 1988, S. lf. (vermutlich seit 1675), die sich 1784 zum ersten Mal Salzburger derselbe: Mutig und gerecht. Der Kampf der österreichischen Zeitung, 1852 erstmalig Salzburger Landeszeitung nannte. Beide Publizistin Irene Harand gegen Antisemitismus und Nationalso­ Titel lösten einander mehrfach ab, zum letzten Mal 1918, als aus der zialismus, in: multimedia v. 3. 1. 1988, S. lf. Salzburger Zeitung wieder Salzburger Landeszeitung (jetzt — und derselbe: österreichische Tageszeitungsjournalisten am Beginn der seither immer — als Amtsblatt der Salzburger Landesregierung) Zweiten Republik (1945— 1947), Diss. Salzburg 1985. wurde. Diese SLZ erschien (als Wochenblatt) bis 6. 8. 1938; ihr Hofer,Barbara: Schönere Zukunft, in: multimedia v. 13.12.1987, S. Titel war dann unbenutzt und für den NS-Mißbrauch frei. Seit dem lf. 13. 10. 1945 gibt es die SLZ wieder als Amtsblatt der Salzburger Jagschitz, Gerhard: Die Presse in Österreich von 1918 bis 1945, in: Landesregierung. Vgl. dazu Jakob. H. Pürer et al. (Hg.): Die österreichische Tagespresse. Vergan­ genheit, Gegenwart, Zukunft, o. O. (Salzburg) 1983, S. 42—82. 21 Beim Linzer Volksblatt durfte (oder mußte?) der (geistli­ Jakob, Waltraud: Salzburger Zeitungsgeschichte, Salzburg 1979. che) Chefredakteur Franz Xaver Baidinger mit zwei weiteren Die Katholische Presse Österreichs (Nr. 3 der Bücherei Das Kleine Redakteuren bis 30. Juni 1938 bleiben, einer (Gustav Putz) wurde Volksblatt), Wien 1934. sofort entlassen und verhaftet, ein anderer (Franz Pfeffer) blieb bis Kohlbach, Rochus: Kreuz und Feder. Pressealbum für das christlich­ 1939. Umbenannt wurde das „Volksblatt“ mit 1. Juli 1938 in deutsche Volk, Graz 1933. Volksstimme. Auskünfte von Hubert Lehner (2. 3. 1988). Lenart, Birgit: Österreichische Preßvereine und was aus ihnen 22 Rodler, 51 f. geworden ist, Diss. Salzburg 1982. 23 Max Frisch: Biedermann und die Brandstifter (1957); Szene Matthies, Marie: Journalisten in eigener Sache. Zur Geschichte des 2, letzter Auftritt des Chores: „Hoffend das beste ... Bis es zu spät Reichsverbandes der deutschen Presse, Berlin 1969. ist.“ Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Schweigespirale, öffentliche Mei­ 24 Thamer, III. nung — unsere soziale Haut, München 1980. 25 Kohlbach, 29: „Reichskanzler Adolf Hitler: ,In einer Pfarrhofer, Hedwig: Friedrich Funder. Ein Mann zwischen Gestern solchen Zeit hat auch die Presse eine große Mission zu erfüllen. Das und Morgen, Graz 1978. Recht der Kritik muß Pflicht zur Wahrheit sein. Niemals darf Reininghaus, Alexandra: Oskar Maurus Fontana, Diss. Salzburg Kritik Selbstzweck sein. Die Presse muß mithelfen, das Urteil des 1983. Volkes zu schärfen und zu schulen. Der Nutzen einer von ihrer Rodler, Brigitta: Die Salzburger Presse vor und nach dem Anschluß inneren Mission erfüllten Presse ist nicht zu verkennen/ Beim Österreichs an das Dritte Reich, Diss. Salzburg 1971. Empfang der auswärtigen Presse, 7. April 1933.“ Schmidt-Leonhardt, H./P. Gast: Das Schriftleitergesetz vom 4. 26 Hofer. Oktober 1933. Kommentar, Berlin 3 1944. 27 Wisshaupt, 146. Schmolke, Michael: Katholisches Verlags-, Bücherei- und Zeit­ 28 Rodler, 32. schriftenwesen, in: A. Rauscher (Hg.): Katholizismus, Bildung 29 Dubrovic, 250. und Wissenschaft im 19. und20. Jahrhundert, Paderborn 1987, S. 30 Hausjell 1985, 355. 93— 117. 24 Michael Schmolke Medien & Zeit 4/88

Schopper, Hanns: Presse im Kampf. Geschichte der Presse während Thamer, Hans Ulrich: Ansichten des Nationalsozialismus: Gewalt der Kampfjahre der NSDAP (1931— 1938) in Österreich, Brünn und Konsens, in: Salzburger Nachrichten v. 31.12.1987, Beilage o. J. (1941). Der Tod eines Staates, S. II f. Stepan, Karl Maria: Stückwerk im Spiegel. Eine Jubiläumsschrift Wisshaupt, Walter: Das Wiener Pressewesen von Dollfuß bis zum über katholische Arbeit für Zeitung und Buch in der Steiermark, Zusammenbruch (1933— 1945), Diss. Wien 1950. Graz o. J. (1949). Wulf, Joseph (Hg.): Presse und Funk im Dritten Reich. Eine Stiegler, Klaus Martin: Germania (1871— 1938), in: H. D. Fischer Dokumentation, o. O. (Reinbek) 1966 (rororo 815— 817). (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972, S. 299— 313.

Auflagen katholischer Tageszeitungen Österreichs in den 30er Jahren

Gründungsjahr Titel Erscheinungsort Auflage/ Jahr Quelle

1894 Reichspost Wien 33.00071937 Wisshaupt, 81 1929 Das Kleine Volksblatt Wien 103.00071937 Wisshaupt, 84 1874 Neuigkeits~ Welt-Blatt Wien 40.000 Wisshaupt, 82 1907 Die Neue Zeitung Wien 40.00071930 Wisshaupt 92 f.1 12; Synopse3; Schopper, 342; Jagschitz, 592 1868 Grazer Volksblatt Graz 6.000/nach 1900 Stepan, 198 1923 (Abendausgabe: 6-Uhr-Blatt) 1904 Kleine Zeitung Graz 41.00071933 Kohlbach, 423 70.000/1934 Kath. Presse Österreichs, 10 1893 Kärntner Tagblatt Klagenfurt ? Kath. Presse Österreichs, 9 1869 Linzer Volksblatt Linz 10.000/1933 Kohlbach, 599 1917 Neueste Post Gmunden 3.000/1934 Kath. Presse Österreichs, 12 (bei Funder 1931b als Neue Post) 1865 Salzburger Chronik Salzburg 2.000/1932 Hanisch 1907 Tiroler Anzeiger Innsbruck 4.000/1935 Klaus Kogler, briefl. 14. 2. 88 (Abendausgabe: Innsbrucker Zeitung) 1866 Vorarlberger Volksblatt Bregenz ? Kath. Presse Österreichs, 17

1 Gewichtete Auflage 2 Seit 1933 (?) im „Besitz der illegalen (NSDAP-) Gauleitung“, 14. 2. 1934 eingestellt. 3 Eine Auflagen-Synopse für Kleines Volksblatt, Neue Zeitung und Reichspost, erstellt nach zeitgenössischen Zeitungskatalogen und -handbüchern von Gabriele Melischek und Mitarbeitern (März 1988), liegt dem Verfasser vor. Medien & Zeit 4/88 25

Informationsministeriums und trat als Wissenschaft­ licher Angestellter (research officer) in das British Film Institute (BFI) ein, die seit 1934 bestehende Winfried B. Lerg Kinokultureinrichtung, die sich durch staatliche Zu­ schüsse, Stiftungsmittel und Mitgliedsbeiträge finan­ Der Filmpublizist zierte. Manvells erstes Filmbuch war im April 1944 Arnold Roger Manvell 1909— 1987 erschienen und mußte schon im November des glei­ Eine bio-bibliographische Notiz chen Jahres nachgedruckt werden [Bibi. 1]. Der Erfolg dieses auf Begleitmaterial für seine Wanderki­ no-Teams zurückgehenden, bewußt lehrhaften und Der Kanonikus an der St. Marienkathedrale zu schulbuchähnlichen Taschenbuchs öffnete ihm die Leicester, Arnold Manvell, und seine Frau Gertrude, Tür zum BFI. Hier konnte er in den folgenden Jahren geborene Baines, ließen für den 10. Oktober 1909 die eine heute noch nicht überschaubare publizistische Geburt ihres Sohnes Arnold Roger ins Kirchenbuch Aktivität entfalten4. Vor allem als Filmkritiker ma­ eintragen. 45 Jahre später sollte dieser Sohne seinem chte er sich einen Namen, in der Presse und als ersten Filmbuch die Widmung voranstellen: „To my regelmäßiger Mitarbeiter der BBC-Sendereihe The father and mother (who taught me to go to the Critics [Bibi. 65—68]. Die amtliche Organisation für pictures)“. Allerdings fügte er noch zwei weitere Öffentlichkeitsarbeit, der British Council, schickte Widmungen hinzu: für John Grierson („who taught ihn mit einer Kiste britischer Dokumentär- und me to look at them“) und für seine Studenten und Spielfilme auf Vortragsreisen nach Ägypten, Palä­ Freunde („who taught me to discuss them“)1. stina, nach Deutschland und Frankreich. Für den Roger Manvell besuchte die Wyggeston School Arts Council of Great Britain und für den British in Leicester und die King School in Peterborough. Am Council organisierte er Filmaustellungen [Bibi. 2]. University College in Leicester erwarb er 1930 den Der Verlag Penguin Books holte sich seinen Erfolgs­ Bachelor-Grad (B. A.). Im Jahr darauf ging er an die autor als Mitherausgeber einer filmkundlichen Se­ Universität London, wo er eine Stelle als Lehrer für rienschrift: Die Penguin Film Review erschien mit englische Sprache und Literatur in einem Studiengang ihrem ersten Band im August 1946. Der letzte von für Erwachsenenbildung antrat. 1936 promovierte er insgesamt neuen Bänden wurde im Mai 1949 ausgelie­ an der Universität London. Danach wechselte er 1937 fert [Bibi. 62]. Ein Jahr später konnte die Reihe als zur Universität Bristol und wurde am Department of Jahrbuch The Cinema fortgesetzt werden [Bibi. 67]. Extra-Mural Studies Dozent für Literatur und Thea­ Aus einer Anthologie mit Beiträgen zum 20jährigen ter. Jubiläum des britischen Tonfilms [Bibi. 6] ging 1947 Wenige Monate nach Ausbruch des Zweiten eine besondere Schriftenreihe hervor, in der Manvell Weltkriegs trat Manvell in die Dienste der britischen kleine Einzeldarstellungen des deutschen, sowjeti­ Regierung. Im neuen Informationsministerium war schen, italienischen, skandinavischen und des franzö­ eine besondere Filmabteilung eingerichtet worden, sischen Kinos herausgab [Bibi. 63]5 die Dokumentarfilme Und Kurzspielfilme für Lehr- Im Jahre 1947 wurde — nach dem Vorbild der und Propagandazwecke hersteilen und einsetzen ließ2. amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Weil sich jedoch die privaten Kinobesitzer nur wider­ Sciences — ein Verband der britischen Filmemacher strebend bereitfanden, die Filme des Informationsmi­ gegründet, die British Film Academy, in einer außer­ nisteriums im Beiprogramm ihrer Vorführungen mit­ gewöhnlich kritischen Epoche also, in der sich sein laufen zu lassen, mußte ein alternativer Verbreitungs­ Medium mit dem Fernsehen arrangieren mußte. weg gefunden werden. Diese Aufgabe übernahm Man­ Einem ehrgeizigen Projekt des BFI blieb er gleichwohl vell. Er baute ein umfassendes Einsatzprogramm verbunden, der Erforschung der Frühgeschichte des (non-theatrical operation) für die offiziellen Filman­ britischen Kinos. Mit Rachael Low schrieb er den gebote auf. Bis zum Kriegsende sind mit mehr als 50 ersten Band über die Zeit von 1896 bis 1906 [Bibi. 7]. Wanderkinos über 600 Kurzfilme im ganzen Land Als Direktor der British Film Academy reiste er in die gespielt worden. Zeitweise hat er 1500 Vorführungen Vereinigten Staaten und nach Kanada, um sich über pro Woche organisiert mit Programmen von 30 bis 90 das Fernsehen zu informieren. In einem Buch und in Minuten Dauer. Die mobilen Kino-Teams schufen einer Broschüre legte er seine Eindrücke und Urteile eine regelrechte Filmclubatmosphäre. Im Anschluß nieder [Bibi. 11; 12]. Im selben Jahr übernahm er den an die Vorführungen wurde oft stundenlang disku­ Vorsitz der Radio and Televion Writers’ Association, tiert3. im Jahr darauf (1954) holte man ihn in die Geschäfts­ Roger Manvell war seinem bevorzugten Me­ führung des Schriftstellerverbandes (Society of Au­ dium, dem Kino, begegnet und er sollte von nun an thors). dabei bleiben. 1945 verließ er die Filmabteilung des 26 Winfried B. Lere Medien & Zeit 4/88

Film und Öffentlichkeit, das war das Thema geschichtspublizistischen Zusammenarbeit gingen eines neuen, umfassenden Filmbuchs von Manvell, nicht weniger als fünf politische Biographien — über das der Verlag Penguin Books 1955 als Nachfolger des , Hermann Göring, Heinrich Himm­ Manvell-Taschenbuchs von 1944/1946 heraus­ ler, und eine Studie über Hitler — hervor brachte [Bibi. 14]. Diesmal lautete die Widmung: „To [Bibi. 36; 37; 40—43; 48; 50]. Gemeinsam schrieben Arletty, the star of the French Cinema, in admiration die beiden über die Verschwörung vom 20. Juli 1944 and friendship“6. Bei der Aufbereitung seines Stoffes [Bibi. 38; 39; 49], über den Holocaust [Bibi. 45], über begnügte sich Manvell nicht mit der Erörterung den Widerstand in der Deutschen Wehrmacht [Bibi. ästhetischer und dramaturgischer Fragen des Films. 46], ein Taschenbuch über SS und Gestapo [Bibi. 47] Vielmehr diskutierte er jetzt auch die neuen Probleme sowie eine Darstellung der Machtergreifung und des Kinos als wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtsicherung bis zur Rohm-Affäre vom Juni 1934 Faktor unter dem Eindruck der Auseinandersetzung [Bibi. 51]. Bis auf das Hess-Buch und das Hitler-Buch mit dem Fernsehen7. In allen Filmländem blieben seit sind die übrigen Biographien auch in deutschen der Wende von den fünfiger zu den sechziger Jahren Ausgaben erschienen; das Göring-Buch außerdem in die systematischen Darstellungen über das Kinome­ einer französichen, einer italienischen und einer spani­ dium aus. Die letzten „filmtheoretischen“ Traktate, schen Ausgabe. Das Himmler-Buch kam in einer — von Siegfried Kracauer oder von Jean Mitry, — portugiesischen, das Buch über den Wehrmacht- wurden kaum noch wahrgenommen oder nicht mehr Widerstand in einer serbokroatischen Übersetzung mit der bis dahin unerläßlichen cineastischen Erre­ heraus12. Die Untersuchung über den Widerstand der gung rezipiert. Filmjournalisten gingen ihre Zettelkä­ deutschen Wehrmacht nannte ein Kritiker der Times sten durch und veröffentlichten populäre Filmge­ Literary Supplement (July 17, 1969): „a competent schichten. Die ersten Nachschlagewerke — Lexika and admirably-written account, historical journalis- und- Wörterbücher — begannen zu erscheinen, ein mus of the best kind.“ Das Thema des 20. Juli 1944 Trend, dem sich Manvell am Ende auch nicht mehr hat Manvell auch für das Fernsehen bearbeitet [Bibi. entziehen konnte [Bibi. 72]. Zunächst jedoch wandte 44]. er sich den Spezialthemen der Filmanimation, der Roger Manvell zog es wieder an die Universität Filmmusik und der Reprojektion in Film und Fernse­ zurück. Er nahm Gastdozenturen wahr an der Uni­ hen zu [Bibi. 13; 15; 16; 19; 25; 33; 17]8. Von 1959 bis versität Sussex, England (1971), an der University 1975 wirkte er als Berater der Society of Film and Louisville, Kentucky/ USA (1971) und wirkte von Television Arts und redigierte deren Zeitschrift Jour- 1975 bis 1981 regelmäßig als Gastprofessor an der naß. Von 1966 bis 1974 saß Manvell im Vorstand der School of Public Communication an der Universität London Film School. Im Jahre 1966 schrieb er ein Boston; hier ernannte man ihn 1981 zum ordentlichen kleines medienkundliches Buch, das im Titel sogar Professor für Filmkunde. Selbstverständlich war den Begriff communication enthielt; sicherheitshalber Manvell in den Vereinigten Staaten wohlbekannt. Die wurden im Untertitel aber die einzelnen Medien noch meisten seiner Bücher sind auch auf den amerikani­ einmal eigens aufgezählt [Bibi. 21]. Manvells letzte schen Buchmarkt gelangt; viele waren dort ausgespro­ umfangreicheren Filmbücher, bevor er später in den chen erfolgreich mit Nachdrucken und Taschenbuch­ Vereinigten Staaten als Filmdozent den Faden noch ausgaben. In Boston griff er ein Thema auf, das ihn einmal aüfnehmen sollte, waren seine Untersuchung wiederholt beschäftigt hat, das Verhältnis zwischen über den Film im Zweiten Weltkrieg [Bibi. 29] und Theater und Film13. Auf seine gewiß unausweichliche eine Chaplin-Biographie [Bibi. 28]. Studie über Shakespeare-Verfilmungen [Bibi. 26] Inzwischen hatte Manvell sich ein völlig neues folgte eine grundsätzliche Untersuchung über die Arbeitsgebiet erschlossen und einen Mitautor — Verfilmung von Bühnenwerken [Bibi. 31]. Schließlich Heinrich Fraenkel — gewonnen, die Biographie und veröffentlichte er noch eine filmgeschichtliche Unter­ Geschichte des Dritten Reichs10. Manvell und Fraen­ suchung über die Darstellung von Geisteskrankheit kel haben sich vermutlich über ihre filmpublizisti­ im Film [Bibi. 34] und eine kinogeschichtliche über schen Interessen kennengelemt; Fraenkel war 1945 das Zeichenfilmuntemehmen seiner Freunde und von der Informationskontrolle der britischen Militär­ Mitautoren Halas und Joy Batchelor [Bibi. 33]. regierung in Deutschland als Filmzensor eingesetzt Am 30. November 1987 ist Arnold Roger Man­ worden. Im übrigen verfügte er nicht nur über ein vell in Beverly, Massachusetts, im Alter von 78 Jahren gutes Privatarchiv noch aus der Zeit seiner exilpoliti­ an Herzversagen gestorben. schen Aktivitäten, sondern er war auch zweifellos mit seiner Muttersprache für Manvell der ideale Partner bei Recherche und Auswertung deutscher Quellen 1 Zu John Grierson (1898— 1972), dem Gründervater des sowie der deutschsprachiger Literatur1 11. Aus ihrer britischen Dokumentarfilms im Zusammenhang vgl. Eva Orbanz: Medien & Zeit 4/88 Arnold Roger Manvell 27

Eine Reise in die Legende und zurück. Der realistische Film in Siddons (1755— 1831) wurden von der Kritik als Standardwerke Großbritannien. Berlin 1977. bezeichnet. 2 Zum britischen Informationsministerium (Ministry of In­ 14 Die englische Theosophin Annie Wood Besant (1847— formation/ M ol) und seine Filmabteilung vgl. Michael Balfour: 1933) und der freidenkerische Publizist und Politiker Charles Propaganda in War 1939—1945 London 1979, S.53— 80; zur Bradlaugh (1833— 1891) betreiben gemeinsam eine Verlagsbuch­ Filmabteilung nur kurz S. 71. handlung für die National Secular Society [Freidenkerbund] und 3 Manvell schildert — ohne seine Beteiligung zu erwähnen — wurden 1876 wegen der Veröffentlichung einer Broschüre über das offizielle Wanderkino im Zweiten Weltkrieg in seinen Filmbü- Geburtenkontrolle zu 6 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe chem [Bibi. 1: rev. ed. 1946, S. 108— 114; Bibi. 14, S. 262]. von 200 Pfund verurteilt; das Urteil wurde in einem Berufungsver­ 4 Die unten mitgeteilte Bibliographie enthält nur selbständige fahren wieder aufgehoben. Schriften des Autors, Mitautors und Herausgebers Manvell, nicht 15 In der Schriftenreihe The National Cinema Series sind jedoch seine Beiträge für allgemeine und Filmzeitschriften, für erschienen: Sammelwerke, für die Encyclopaedia Britannica, auch nicht seine — Twenty Years of British Film 1925— 1945. London 1947,116 S. Rundfunkbeiträge. Manvell war von 1967 bis 1975 neben Nicolas [noch ohne Reihentitel; siehe auch Bibi. 6] Walter Mitherausgeber der Londoner kulturpolitischen Zeitschrift — H.[ans] H.[einrich] Wollenberg: Fifty Years o f German Film. Humanist (seit 1972 New Humanist), an der auch Heinrich Fraenkel London 1948, 48 + 32 S.; siehe Anm. 5 — als Sach-Kolumnist — mitarbeitete. — Thorold Dickinson and Catherine de la Roche: Soviet Cinema. 5 Der Verfasser der bescheidenen Studie 50 Jahre deutscher London 1948, 136 S. Film in dieser Schriftenreihe — er gehört auch zu den Herausgebern — Vernon Jarratt: The Italian Cinema. Zuerst New York 1951, IX, der Penguin Film Revue, — war der aus Deutschland emigiertete 115 S.; auch London 1951, 115 S. Filmpublizist Hans Heinrich Wollenberg (1893— 1952); er war von — Forsyth Hardy: Scandinavian Film. London 1952, 62 S. 1920 bis 1933 Redakteur der Berliner Filmfachzeitschrift Licht- — Georges Sadoul: French Film. London 1953, 131 S. Bild-Bühne und lebte seit 1939 im Exil in London. 16 Sammlung mit Aufsätzen über den Experimentalfilm von 6 Arletty, d. i. Arlette-Leonie Bathiat, geb. 1898, französische Lewis Jacobs (Vereinigte Staaten), Jacques Brunius (Frankreich), Filmschauspielerin, besonders in den Filmen von Marcel Came Le Gregori Roshal und Roman Karmen (Sowjetunion), Ernst Iros und jour se le’ve (1939), Les visiteurs de soir (1942), Les enfants du Hans Richter (Deutschland), Edgar Anstey, Roger Manvell und paradis (1943— 44) von Manvell bewundert. John Maddison (Großbritannien). 7 Das Buch enthält im Anhang ein besonderes Kapitel über 17 Drei Drehbuchtexte als Beispiele für Versionen vor, die Arbeit des British Film Institute von Denis Forman, seinem während und nach der Verfilmung: Brief Encounter/ Begegnung Leiter in den Jahren 1948— 1955 (siehe Bibi. 14, S. 289—299). (David Lean 1945), Odd Man out/ Ausgestoßen (Carol Reed 1947), 8 Seinen Mitverfasser der Arbeit über Filmanimation, Halas, Scott o f the Antarctic/ Scotts letzte Fahrt (Charles Frend 1948). hat Manvell schon während seiner Tätigkeit im Informationsmini­ 18 Filmkritiken aus der Zeit von Januar 1949 bis Februar 1951 sterium (M ol) kennengelemt: John Halas (*1912) und seine Frau von Edgar Anstey, Ernest Lindgren, Paul Rotha, Gitta Blum­ Joy Batchelor (*1914) produzierten Lehr- und Propagandafilme im enthal, Roger Manvell. Auftrag der Filmabteilung des Mol. Zu ihrem ersten abendfüllen­ 19 Bilddokumentation zu den deutschen Spielfilmen Der den Zeichenfilm Animal Farm (1954) nach George Orwell schrieb Golem (Paul Wegener 1914/ 1917/ 1920), Nosferatu (Friedrich Manvell ein Bilderbuch [Bibi. 13] und 25 Jahre später die Geschich­ Wilhelm Mumau 1922), M (Fritz Lang 1931), Die Dreigroschen­ te ihrer Firma [Bibi. 33]. oper (Georg Wilhelm Pabst 1931). 9 Die mit Albert William Bluem 1967 edierte Textsammlung Television. The Creative Experience [Bibi. 71] enthält Aufsätze aus dieser Zeitschrift Journal sowie aus der Zeitschrift Television Quarterly. Bibliographie Roger Manvell 10 Heinrich Fraenkel, geboren am 28. September 1897 in Lissa, Provinz Posen (heute Leszno, Polen), kam mit 13 Jahren Bücher und Einzelschriften nach Berlin, begann nach dem Ersten Weltkrieg für Zeitungen des Ullstein-Verlags, zugleich für englische und amerikanische Wirt­ schaftsblätter zu schreiben, von 1927— 1929 leitete er die Pressestel­ A. Film und Rundfunk le der Universum Film AG (Ufa) und vertrat in Berlin einen amerikanischen Filmverleih; seit 1929 freier Filmautor und Film­ 1 Film. Hardmondsworth 1944: Penguin Books (Pelican Book. publizist, emigierte er 1933 über Paris nach London, wurde hier 126), 192 S.; revised and enlarged edition ibid. 1946, 240 S. auch als politischer Publizist tätig (siehe Anm. 11); er veröffentlich­ 2 The Art o f Film [Ausstellungskatalog]. London 1945: Arts te in der Bundesrepublik Deutschland eine populäre Filmgeschich­ Council of Great Britain, 25 S. te Unsterblicher Film (Bd. 1, München 1956,471 S.; Bd. 2:1957,498 3 Look this Way. Cinema. London 1946: National Association of S.) und mit Manvell ein kleines Buch über den deutschen Film [Bibi. Girls’ Clubs & Mixed Clubs, 22 S. 27]. 4 The Poetry o f the Film. London 1946: Grey Walls Press ( = 11 Fraenkel veröffentlichte schon während des Kriegs in Sonderdruck aus „New Road“, No. 4/ 1946, S. 152— 164). London eine detaillierte Darstellung des deutschen Widerstandes: 5 Film. A Reader's Guide. London 1947: Cambridge University The German People Versus Hitler (London 1940,367 S.), ferner The Press, 11 S. other Germany (London 1943) und die Textsammlung — u. a. mit 6 Twenty Years of British Film 1925— 1945 (mit Michael Balcon, dem Flugblatt der Weißen Rose — Der Weg zu einem neuen Ernest Lindgren, Forsyth Hardy). London 1947: Falcon Deutschland (London 1943, 84 S.). Press, 116 S.; s. auch Anm. 15. 12 Für ihre zeitgeschichtlichen Arbeiten erhielten Fraenkel 7 The History o f the British Film. Vol. 1:1896— 1906 (mit Rachael (1967) und Manvell (1971) den Verdienstorden I. Klasse der Low). London 1948: Allen and Unwin, 136 S.; Neudruck Bundesrepublik Deutschland (Bundesverdienstkreuz). 1973. 13 Die beiden Biographien über die Schauspielerin Dame 8 A Survey o f the Cinema and its Public. London 1950: National Ellen Terry (1848— 1928) und die Schauspielerin Sarah Kemble Association of Girl’s Club & Mixed Clubs, 22 S. 28 Winfried B. Lere Medien & Zeit 4/88

9 Movie Parade 1889—1949. A Pictorial Survey o f World Cinema Filme (mit Michael Fleming). Rutherford, N. J. 1985: Fair­ (mit Paul Rotha). London, New York 1950: Studio Publica­ leigh Dickinson University Press, 368 S. tions, 160 S. 35 [nicht benutzt] 10 A Seat at the Cinema. London 1951: Evans Books, 192 S. 11 On the Air. A Study o f Broadcasting in Sound and Television. London 1953: Andre Deutsch, XIII, 202 S. B. Geschichte und Biographie des Dritten Reiches 12 The Crowded Air. A Study of the Problems and Potentialities of Mitautor Heinrich F r a e n k e l American and British Television. New York 1953: Channel Press, 97 S. 36 Doctor Goebbels, his Life and Death. London 1960: Heinemann, 13 The Animated Film. With Pictures from the film Animal Farm by XIII, 329 S.; 2nd revised edition London 1968: New English John Halas and Joy Batchelor. London 1954: The Sylvan Library, 253 S.; deutsche Ausgabe: Press, 63 S. 37 Goebbels. Eine Biographie. Köln, Berlin 1960: Kiepenheuer & 14 The Film and the Public. Harmondsworth 1955: Penguin Books Witsch, 392 S. (Pelican Book A 334), 352 S. 38 The July Plot. The Attempt in 1944 on Hitler’s Life and the Men 15 The Technique o f Film Music (Mit John Huntley. London, New behind it. London 1964: The Bodley Heads, 272 S.; TB- York 1957: Focal Press, 299 S.; Neudrucke 1967, 1969,1971; Ausgabe London 1966: Pan Books; deutsche Ausgabe: 2nd revised and enlarged edition by Richard Arell and Peter 39 Der 20. Juli. Berlin, Frankfurt, Wien 1964: Ullstein, 240 S. Day. London 1975: Focal Press; zugl. New York 1975: 40 Hermann Göring. London 1962: Heinemann, XVI, 429 S.; zugl. Hastings House, 310 S.; ital. Ausgabe Roma 1959: Ed. di New York 1962: Simon and Schuster, 442 S.; 2 rev. Aufl. Bianco e Nero, 321 S. London 1968: New English Library, 283 S.; amerikan. TB- 16 The Technique o f Film Animation (mit John Halas). London Ausgabe New York 1972: Ballantine Books, 160 S.; französ. 1959: Focal Press, 348 S.; Neudruck 1966; 2. Aufl. 1968; zugl. Ausgabe Paris 1963; italien. Ausgabe Milano 1964, span. New York 1968: Hastings House, 362 S.; 3. Aufl. London, Ausgabe Barcelona 1969, deutsche Ausgabe: New York 1971: Focal Press — Hastings House, 360 S.; 41 Hermann Göring. Hannover 1964: Verlag für Zeitgeschehen, Neudruck London 1973: Allen and Unwin. 401 S. 17 The Living Screen. Background to the Film and Television. 42 . London 1965: Heinemann, XVII, 285 S.; London 1961: George H. Harrap. 192 S. zugl. New York 1965: Putnam, 2. rev. Aufl. London 1973; 18 The Boys’ and Girls’ Book o f Film and Television (mit Agnes New English Library, 304 S.; portugies. Ausgabe Lisboa o. J.; Mary Field und Maud M. Miller). London 1961 (1962): Roy deutsche Ausgabe: Publishers, 143 S. 43 Himmler. Kleinbürger und Massenmörder. Berlin, Frankfurt, 19 Design in Motion (mit John Halas). London 1962: Studio Vista, Wien 1965: Ullstein, 259 S. 160 S.; zugl. New York 1962: Hastings House. 44 The July Plot [20. Juli 1944].A play for television. Ed. by 20 What is Film? London 1965: Macdonald, 184 S. Michael Marland. London, Glasgow 1966: VIII, 93 S. 21 This Age o f Communication. Press, Books, Films, Radio, TV. 45 The Incomparable Crime. Mass Extermination in the Twentieth Glasgow, London 1966 (1967): Blakie, IX, 166 S. Century. The Legacy of Guilt. London 1967: Heinemann, X, 22 New Cinema in Europe. London 1966: Studio Vista, 160 S.; zugl. 339 S.; zugl. New York 1967: Putnam. New York 1966: E. P. Dutton. 46 The Canaris Conspiracy. The Secret Resistance to Hitler in the 23 New Cinema in the U.S. A. London 1968: Studio Vista. 160 S.; German Army. London 1969: Heinemann, XXXV, 268 S.; zugl. New York 1968: E. P. Dutton. zugl. New York 1969: McKay. 47 S. S. and Gestapo. Rule by Terror. New York 1969: Ballantine 24 New Cinema in Britain. London 1969: Studio Vista, 160 S.; zugl. Books, 160 S., London 1970: Macdonald, 160 S.; TB- New York 1969: E. P. Dutton. Ausgabe London 1972: Pan Books, 160 S. 25 Art in Movement. New Directions in Animation (mit John 48 Hess. A Biography. London 1971: MacGibbon and Kee, 256 S.; Halas). London 1970: Studio Vista, 191 S.; zugl. New York New York 1973: Drake, 256 S. 1970: Hastings House. 49 The Conspirators: 20th July 1944. New York 1971: Ballantine 26 Shakespeare and the Film [Verfilmungen]. London 1971: J. M. Books, 160 S., London 1972: Pan Books, 160 S. Dent, XVI, 172 S.; zugl. New York 1971 = Praeger Publi­ 50 Inside Adolf Hitler. New York 1973: Pinnacle Books, 249 S.; 2. shers. rev. Aufl. unter dem Titel Hitler, the Man and the M yth, ibid. 27 The German Cinema (mit Heinrich Fraenkel). London 1971: J. 1977: Panther, 225 S. M. Dent, XV, 159 S., 24 Abb.; zugl. New York 1971 = 51 Seizure of Power. One Hundred Days to Hitler. London 1974: J. Praeger Publishers. M. Dent, 245 S.; amerikan. Ausgabe unter dem Titel The 28 Chaplin. Boston 1974: Little Brown, IX, 240 S., und London Hundred Days to Hitler. New York 1974: St. Martin’s Press, 1975: Hutchinson (The Library of World Biography), 240 S. 245 S. 29 Films and the Second World War. South Brunswick, New York 1974: A. S. Barnes, 388 S.; zugl. London 1974: J. M. Dent. 30 Love Godesses o f the Movies. London 1975: Hamlyn, 176 S. C. Literatur, Theater, Romane 31 Theatre and Film. A Comparative Study o f the two Forms o f Dramatic Art and the Problems of Adaption of Stage Plays into 52 The Sond o f the Spirit o f Man. Leicester 1932: Edgar Backus. Films. Rutherford, N. J. 1979: Fairleigh Dickinson University 53 The Social Value and Influence o f Poetry. Leicester 1933: Edgar Press, 303 S. Backus, 22 S. 32 Ingmar Bergman. An Appreciation. New York 1980: Amo Press, 54 The Dreamers. A Novel. London 1958: Victor Gollancz, 206 S.; 114 S. zugl. New York 1958: Simon and Schuster, 183 S.; TB- 33 Art and Animation. The Story o f Halas and Batchelor Animation Ausgaben New York 1963: Bantam Books, 165 S.; London Studio, 1940— 1980 [Geschichte der Halas & Batchelor 1964: Corgi Books, 165 S. Cartoon Film Ltd.]. New York 1980: Hastings House, 145 S. 55 The Passion. A Novel. London 1960: Heinemann, 278 S.; 34 Images o f Madness. The Depiction o f Insanity in the Feature Neuaufl. London 1961: Brown, Watson (Digit Books), 320 S. Medien & Zeit 4/88 Arnold Roger Manvell 29

56 The Country Life Book of Sailing Boats (mit Luise Manvell). Photographs by Eileen Ramsay. London 1962: Country Life, Informationen aus 72 S. Medienarbeit und -forschung 57 Ellen Terry. London 1968: Heinemann, X, 390 S.; zugl. New York 1968: Putnam; siehe Anm. 13. 58 Sarah Siddons. London 1970: Heinemann, XII, 385 S.; zugl. New York 1970: Putnam; siehe Anm. 13. 59 [nicht benutzt] 60 The Trial o f Annie Besant and Charles Bradlaugh. London 1976: Elek Pemberton, IX, 182 S.; zugl. New York 1976: Horizon 12. Jahrgang/1988 Press; siehe Anm. 14. M EDIEN JO U R N A L erscheint alle 3 Monate. Als einzige kritische Fachzeitschrift zur gesamten österreichischen Medien* szene. Mit fundierten Analysen aus Medienpraxis, Kommunikationsforschung und Medienpolitik. Mit umfassenden Berichten und Beobachtungen zu A. R. Manvell als Herausgeber aktuellen Entwicklungen und kulturellen T rends. Bestellen Sie bei: Österreichische Gesellschaft für Kommunikationsfragen — 61 The Swiss Family Robinson. Illustrated by Jack Matthew. Ö GK c/o Institut für Publizistik, Sigmund Haffner-Gasse 18/111, A-5020 London, Glasgow 1941: Collins, 349 S.; Neudr. ibid. 1957 Salzburg, Tel. 0662/80444151 Für Studenten Extra Abo-Preise. 62 The Penguin Film Review (Serienschrift hrsg. mit R. K. Neilson Kompetenz hat einen Namen: M EDIEN JO U RN AL. Baxter und H. H. Wollenberg). Harmondsworth: Penguin Books, Vol. 1: 1946, 126 S., Vols. 2—4: 1947, insges. 319 S., Vols. 5— 7: 1948, inges. 351 S., Vols. 8—9: 1949, insg. 256 S. (= alles Ersch.), Neudr. in 2 Bdn. London 1977: Scolar Press, 1080 S., 288 S. mit Anh. Fortsetzung siehe unten Nr. 67. 63 The National Cinema Series (Schriftenreihe). London: Falcon Press (ohne Bandzählung) 1947— 1953, unveränderter Nach­ druck New York 1972: Arno Press; siehe Anm. 15. 64 Georg Schmidt, Werner Schmalenbach, Peter Baechlin: The Film, its Economic, Social and Artistic Problems. London 1948: Falcon Press; von Roger Manvell bearbeitete englische Ausgabe von Schmidt-Schmalenbach-Baechlin: Der Film, wirtschaftlich, gesellschaftlich, künstlerisch. Basel 1947: Hol­ bein-Verlag, 62 Doppelseiten, XVI S. 65 Experiment in the Film. London 1949: Grey Walls Press, 285 S.; Nachdruck New York 1970: Arno Press, 285 S.; siehe Anm. 16. 66 Three British Screenplays: Brief Encounter, Odd Man Out, Scott of the Antarctic. Foreword by Frank Launder. London 1950: Methuen, XX, 299 S.; siehe Anm. 17. 67 The Cinema (Jahrbuch hrsg. mit R. K. Neilson Baxter). Harmondsworth 1 (1950); 2 (1951); 3 (1952): Penguin Books; Neudruck in 3 Bdn. New York 1978: Arno Press; Vorgänger siehe oben Nr. 62. 68 Shots in the Dark. London 1951: Allan Wingate, 268 S.; Neudruck London, New York 1978: Garland, 268 S.; siehe Anm. 18. 69 Selections from the Prose of Daniel Defoe. London 1953: Falcon Press, 123 S.; Neuauflage London 1966: Blackie, XXII, 105 S. 70 The Progress of Television. An Anglo-American Survey (mit Albert William Bluem). London 1967: Focal Press, 328 S.; US-Ausgabe: 71 Televison. The Creative Experience. A Survey o f Anglo-Ameri­ can Progress (mit Albert William Bluem). New York 1967: Hastings House, 328 S. 72 The International Encyclopedia o f Film. London 1972: Michael Joseph, 574 S.; zugl. New York 1972: Crown Publishers; Neudruck 1975. 73 Masterworks of a German Cinema. The Golem, Nosferatu, M, The Threepenny Opera. London 1973: Lorrimer, 300 S.; siehe Anm. 19. 30 Medien & Zeit 4/88

Haft. Hugo Sonnenschein starb am 20. Juli 1953 im Gefängnis. So endete ein Leben, das Tollheit und Eckart Früh Aberwitz der Zeit prägten. Im ,Auschwitzer Testa­ ment4 steht geschrieben: Sonka, Serke, Wehle und ich Mein Leben war nichts als Furcht vor dem Tod, der mir gefolgt war bis tief in die Träume, Hugo Sonnenschein, der sich Sonka nannte, mein Leben: die Chance, die sich mir bot, wurde am 25. Mai 1889 in Kyjov, einem mährischen damit ich sie sicher und glücklich versäume. Städtchen unweit Brünn, geboren. Nach dem Besuch der Schulen war er schreibend, arm und obdachlos in Ein ruhelos Beginnen, doch nur ein Beginnen Wien. Er führte ein unstetes Wander- und Vagabun­ und kein Beenden und nie ein Vollenden. denleben, das ihn durch halb Europa trieb. Darum So geh ich von hinnen, geht es in seinen frühen Gedichten. Die Erfahrung der Ohnmacht in Händen. Landstraße drängte ihn zu extremer Stellungnahme. Dem Lumpenproletariat fühlte er sich zugetan; ihm Ist dies nicht die Weisheit, so ist es doch gewiß machte er nicht ohne Emphase zum Gebot: eines Mannes letzter Schluß, der einst von sich gesagt hatte, er schaffe — das heißt: er siege. Also wäre die Wer dir von Pflicht Niederlage total; denn was er schuf, sein Werk, ist der Arbeit spricht, verstreut, vergriffen, aus dem Vekehr gezogen wie eine dem speie ins Gesicht! Münze, die nicht mehr gilt. Es umfaßt rund zwanzig Stiehl! D u ! Bettel nicht. Bände, vor allem Lyrik. Bekannt ist nichts, zu ent­ Bei Ausbruch des ersten Weltkriegs, der in ihm decken alles, vorhanden wenig: außer dem autobio­ einen entschiedenen Gegner fand, wurde Hugo Son­ graphischen Tag- und Nachtbuch Terrhan oder Der nenschein assentiert, diente als Soldat auf dem Bal­ Traum von meiner Erde eine kleine Auswahl aus dem kan, desertierte im Herbst 1918 und schloß sich der lyrischen Gesamtwerk {Die Fesseln meiner Brüder. Roten Garde an. Das Erlebnis des Krieges hatte den Gesammelte Gedichte). anarchistischen Literaten und Bohemien zum radika­ Der Versuch, Hugo Sonnenschein der Vergessen­ len Fürsprecher des Sozialismus gemacht — auch in heit zu entreißen, wurde in den letzten Jahren mehr­ lyrischer Form: mals unternommen. Namentlich zu nennen sind Karl- Markus Gauß, Josef Haslinger, Herbert Ohrlinger, Dein Schlachtruf, Proletariat: zuletzt Jürgen Serke, der ihm in seinem Buch Böhmi­ Mit Wladimir Iljitsch auf zur T a t! sche Dörfer — Wanderungen durch eine verlassene Bei der Gründung der Kommunistischen Par­ literarische Landschaft ein umfangreiches Kapitel tei Österreichs, bei der Gründung der tschechischen eingeräumt hat. Um die Frage, warum Hugo Sonnen­ Schwesterpartei war er dabei. Er wurde Mitglied, schein 1945, eben befreit, wieder verhaftet wurde, geht 1927 jedoch wegen trotzkistischer Abweichung wie­ es da vor allem; die Antwort, die Serke gibt, fällt der ausgeschlossen. Er war literarisch tätig und kul­ politisch, lang und breit aus. Zusammenfassend läßt turpolitisch. Als im Mai 1933 der 11. Internationale sich sagen: PEN-Kongreß stattfand, trat er, unaufgefordert und 1. Der Vorwurf, Hugo Sonnenschein habe für ohne Mitglied der österreichischen Delegation zu sein, die Nationalsozialisten gearbeitet, ist falsch, die für die verfolgten deutschen Schriftsteller ein. So Rechtmäßigkeit des Urteils, das über ihn gefallt verging die Zeit, die der Republik gegeben war. Nach wurde, zu bezweifeln. Der Prozeß fand unter Aus­ der Zerschlagung der österreichischen Sozialdemo­ schluß der Öffentlichkeit vor einem Sondergericht kratie im Februar 1934 ging man amtswegig gegen ihn statt, bei dem keine Entlastungs-, nur Belastungszeu­ vor. Hugo Sonnenschein wurde „für beständig aus gen zugelassen waren. Österreich abgeschafft“ . Er ging in die Tschechoslo­ 2. Hugo Sonnenschein „fiel nicht einem Justi­ wakei. zirrtum zum Opfer, sondern einer kommunistischen 1940, die deutschen Truppen hatten das Land Notwendigkeit4, die mit eiskaltem Kalkül in die Tat besetzt, wurde er verhaftet, bald darauf wieder freige­ umgesetzt wurde.“ Sonka sei ein „unliebsamer Mit­ lassen. Er lebte im Untergrund, wurde entdeckt, wisser“ gewesen und deshalb der „Feme“ verfallen; er gefaßt, nach Auschwitz deportiert. Seine Frau ver­ habe gewußt, daß Julius Fuöik, „die zur Heldengestalt reckte im Gas, er überlebte. Die Freiheit währte nur hochstilisierte Figur kommunistischen Widerstands, kurz. Im Mai 1945 verhaftete man ihn erneut, be­ ein Verräter“ gewesen sei. Mit andern, gleichfalls von schuldigte ihn, mit den Nationalsozialisten kollabo- Serke verwendeten Worten: „Weil Hugo Sonnen­ riert zu haben, und verurteilte ihn zu zwanzig Jahren schein wußte, daß Fuöik ein Spitzel der Deutschen Medien & Zeit 4/88 Sonka, Serke, Wehle und ich 31 geworden war und weil die KP diese Offenbarung Und habe es „nötig, ungenannt zu bleiben“. fürchtete, wurde gegen Sonka ein Mord auf Raten — Obwohl es naturgemäß aus purer Dankbar­ angeordnet.“ keit für das Material geschah, das ich gefunden, Die journalistische Sprache, die hier ungehemmt vorschlägt, gesammelt und Herrn Serke zur Verfügung ge­ spricht für sich; in der Sache selbst, ist anzumerken: Serkes stellt hatte, war ich nicht wenig befremdet, mich Ausführungen beruhen nur zum Teil auf gesicherter Grundla­ in seinem Buch als Stichwortbringer wiederzufin­ ge, zum andern auf Vermutungen und Indizien. Es ist möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, daß Hugo den; denn er hatte, was sich normalerweise wohl Sonnenschein nur deshalb zum Schweigen gebracht werden von selbst versteht, keine Einwilligung eingeholt, sollte, weil man befürchtete, er könnte einen nationalen Heros er hatte sich das Recht, mich in Sachen Jifi Wehle diskreditieren. Nicht minder möglich, wahrscheinlicher ist es, zu zitieren, einfach angemaßt und mir darüber daß Sonka, mit stalinistischen Augen betrachtet, mehr als hinaus Äußerungen zugeschrieben, die ich nicht politisch verdächtig war, weil er eine ,trotzkistische‘ Vergan­ genheit und sich ,antikommunistisch4 betätigt hatte, zum oder nicht so getan hatte. Die Beschlagnahme des Beispiel als er internationalen Protest gegen die Moskauer Buches zu veranlassen, wurde ernstlich erwogen; Schauprozesse organisierte. Festzuhalten bleibt: Um die ich ließ es schließlich bei einer Berichtigung Frage, warum es zu einem Prozeß kam, kann es nur vermu­ bewenden, dieser: tungsweise gehen. Die nach wie vor schwierige Quellenlage läßt keine gesicherte Antwort zu; jede Antwort muß spekula­ schreiben: „ ,Wir haben uns verpflichtet, den Namen des tiv ausfallen, solange nicht alle, insbesondere die Prozeßun­ Prager Informanten nicht zu nennen“, sagt Eckart Früh vom terlagen zugänglich sind. Da dies bisher nicht der Fall ist, gilt Archiv der Wiener Arbeiterkammer, die eine Kopie der weiters: Es ist möglich — gravierende Verfahrensmängel zweiseitigen Denunziation bekam. „Der Informant ist ein begründen den dringenden Verdacht — , daß Hugo Sonnen­ ängstlicher Herr.“ 4 schein zu Unrecht verurteilt worden ist; angesichts der Das ist nicht wahr. Ich spreche nicht, habe auch zu Ihnen lebensgefährlichen Situation, in der er sich im besetzten Prag nicht im Pluralis majestatis gesprochen. Ich habe nicht von befand, ist es jedoch nicht gänzlich auszuschließen, daß er einem „Prager Informanten“ gesprochen, sondern — ohne tatsächlich mit den Deutschen kollaborierte oder kollaborie- ihn bei seinem Namen oder seinen Wohnort zu nennen — ren mußte. Eines steht freilich außer Frage: Ein Urteil, das, vom Verfasser biographischer Aufzeichnungen über Hugo gemessen an demokratischen Rechtsverhältnissen, auf un­ Sonnenschein (und Sie für den Fall, daß Sie nähere Informa­ rechtmäßige Weise zustande kam, ist null und nichtig. Soll es tionen benötigen, an das Dokumentationsarchiv des österrei­ mit rechten Dingen zugehen, müßte der Prozeß gegen Hugo chischen Widerstands verwiesen, kurz: an das Widerstandsar­ Sonnenschein wieder aufgenommen werden. chiv und nicht „Widerstandsmuseum“, wie Sie schreiben). Ich Hier wäre abzubrechen, hätte Serke nicht im habe ihn nicht einen „ängstlichen Herrn“ genannt; ich kenne ihn nicht und kann sein Verhalten nicht beurteilen. Übereifer, kommunistischen Bösewichten weitere Das sind Richtigstellungen an sich belangloser Äußerun­ Teufeleien anzulasten, jedes Maß verloren. Statt sich gen, die erst im Kontext den von Ihnen offenbar gewünschten damit zu begnügen, diejenigen anzuklagen, die den, Zweck erfüllen; denn Sie haben d ie,Zitate4 so eingerückt und wie er’s nennt, „Mordanschlag“ auf Hugo Sonnen­ so zugerichtet, daß ich, ohne es zu wollen oder dazu berufen schein angeblich oder wirklich befohlen haben, ver- zu sein, zum Kronzeugen Ihrer (ungerechtfertigten) Anklage gegen Herrn Wehle werde. geift er sich an einem Unbeteiligten und macht mich zum unfreiwilligen Helfershelfer. Er schreibt: Und dafür schulde er mir eine Erklärung. — Als die österreichischen Literarhistoriker Karl-Markus Gauß Nachzutragen bleibt die Vorgeschichte des sogenann­ und Josef Haslinger das über Sonka so lange gehütete ten Berichts. Ich hatte im Frühjahr 1985 den Auftrag Schweigen in Fachzeitschriften brachen und auch noch 1984 im Carl Hanser Verlag eine Gedichtauswahl mit dem Titel erhalten, für die Neue Zürcher Zeitung einen Artikel Die Fesseln meiner Brüder herausbrachten, da über Hugo Sonnenschein zu schreiben. Obwohl ich geschah Merkwürdiges. Allein der Zweifel der allerhand Material zusammengetragen hatte, blieb beiden Wissenschaftler an der Kollaborations­ mir unklar, wie der Prozeß zu beurteilen sei, der gegen idee beflügelte einen Herrn aus Prag zu einer ihn geführt worden war. Ich sprach darüber mit einem Reise nach Wien. Im dortigen Widerstandsmu­ Freund vom Widerstandsarchiv und bekam von ihm seum hinterließ er einen zweiseitigen anonymen die von Serke erwähnte Kopie einer biographischen Bericht über das Leben Sonkas mit Beschuldi­ Notiz über Sonkas Leben und Werk. Ausdrücklich gungen gegen den Dichter, die nicht einmal 1947 wurde mir gesagt, ich möge den Namen des Verfas­ das Prager Sondergericht in sein Urteil einbezo­ sers, Jifi Wehles, der sechs Jahre in nationalsozialisti­ gen hatte. schen Konzentrationslagern und drei weitere in kom­ „Wir haben uns verpflichtet, den Namen des munistischen Gefängnissen verbracht hatte, nicht Prager Informanten nicht zu nennen“, sagt Ek- erwähnen, da er möglicherweise Schwierigkeiten be­ kart Früh vom Archiv der Wiener Arbeiterkam­ kommen könnte. Wohlgemerkt: Es hieß nicht, die mer, die eine Kopie der zweiseitigen Denunzia­ Kollegen vom Widerstandsarchiv wären diese Ver­ tion bekam. „Der Informant ist ein ängstlicher pflichtung eingegangen, noch, sie seien von Jifi Wehle Herr.“ aufgefordert worden, seinen Namen zu unterdrücken, 32 Eckhart Früh Medien & Zeit 4/88

oder er selbst hätte ihn verschwiegen; allein ich wurde Beweise ausreichen, das Urteil über Jifi Wehle zu um Stillschweigen gebeten. Die Bitte war für mich revidieren und über Serke zu sprechen. selbstverständlich verpflichtend, sie erschien mir dar­ Jifi Wehle kam keineswegs als Sendbote „aus über hinaus berechtigt. Ein notorischer Antikommu­ dem neostalinistischen Prag Gustav Husaks“ nach nist, ein Kenner kommunistischer Willkürmaßnah­ Wien, er war vielmehr von einem Mitarbeiter des men und Terrormöglichkeiten wie Herr Serke, hätte DÖ W gebeten worden, schriftlich festzuhalten, was er das durchaus verstehen können, jedenfalls sofort das über das Schicksal Hugo Sonnenscheins wisse. Dar­ Widerstandsarchiv aufsuchen müssen, um sich über aufhin — auf Aufforderung also, nicht aus eigenem — die Hintergründe zu informieren und nebstbei einen schrieb er — und zwar weder anonym, so wurde mir Blick auf die Notiz zu werfen, die Jifi Wehle dort glaubhaft versichert, noch mit der Auflage, daß sein angeblich anonym hinterließ; er weiß, vielleicht wäre Name zu verschweigen sei, besagte Notiz, deren es ihm nicht entgangen, daß das Original — im Schluß hier um der Wahrheit und gerechten Beurtei­ Unterschied zu meiner Kopie, die zudem am oberen lung willen unverändert wiedergegeben werden soll: Rand unleserlich ist — den Namen des Verfassers Dann kam die Drohung Hitlers und München 1938. Da wird trägt, den er so sehr vermißt. Allem Anschein nach hat das Leben Sonkas unklar. Nach nicht voll belegten Gerüchten Herr Serke an diese Möglichkeit nicht im Traum trat er in Verbindung mit der deutschen Abwehr (Bömelburg) gedacht. in München . Jedenfalls trug er nach der Okkupation der böhmischen Länder durch Hitler im März 1939 keinen Er habe sich „wirklich nicht das Recht ange­ Judenstern und bewegte sich bis 1943 frei herum. Nach der maßt“, mich zu zitieren, antwortete mir Serke auf Aussage des Gestapokommissärs Leimer war Sonka V.- meine nachdrückliche Berichtigung. Es sei „eindeu­ Mann für Kommunismus und linksgerichtete Schriftsteller: tig“ gewesen, daß er im Tagblatt-Archiv unter an- „Arbeitete vor Besetzung des Protektorats für einen V.-Mann derm Material „im Fall Sonka“ gesucht habe; kurz, des Kriminalrats Bömelburg. Arbeit gering. Sonka mußte auf Weisung der RSHA in ein KL überwiesen werden, da Juden das mit mir „geführte Gespräch“ sei „Bestandteil als V.-Personen ab 1942 oder 1943 nicht mehr beschäftigt dieser Recherche“ gewesen, und was die von mir werden durften.“ Sonka selbst hat zwei Memoranden im beanstandeten Zitate anlangt, so seien sie „genauso April 1945 an das ZK der KSC geschrieben, in dem (!) er gefallen“, wie er sie anführe. — Daraufhin war er mit eigentlich Beziehungen zur Gestapo zugibt, nur bestreitet, mit gebotener Strenge anzuherrschen, um ihn durch prin­ ihr zusammengearbeitet zu haben. Sonka kam 1943 nach Auschwitz, seine Frau wurde als Jüdin ins Gas geschickt. zipielle Einwände womöglich doch noch zur Räson zu In Auschwitz kam er bald in ein gutes Kommando „SS- bringen: Revier“. Nach der Befreiung flog er nach Moskau und sprach mit Herr! (...) Das Recht, mich zu zitieren, nehmen Sie sich, als Gottwald und Kopecky. Sollte im Informationsministerium stünde es Ihnen zu; und die Pflicht, zuvor meine Bewilligung arbeiten. Wurde jedoch nach Anzeigen einiger Opfer am 30.6. einzuholen, ignorieren Sie. Mache ich Ihnen deswegen Vor­ 1945 verhaftet. Wurde vom Volksgericht am 28.4.1947 zu 20 haltungen, weichen sie aus, sagen: Sparen Sie sich Ihre Jahren schweren Kerkers verurteilt. Die Strafe verbüßte er in Empörung gegen mich und richten Sie sie gegen jene, die der Strafanstalt Bory bei Pilsen und in Mirov, wo er am 20. 7. Hugo Sonnenschein nach 1945 eingekerkert haben! Was soll 1953 gestorben ist (Gehimschlag). das ? Um Sonka, um die Frage, ob er zurecht oder zu Unrecht verurteilt worden ist, ging’s in meinem Brief nicht, sondern An dieser biographischen Notiz läßt sich beim um Sie und mich; darum, Sie an mein Recht und Ihre Pflicht schlechtesten Willen nichts „schlimm“ oder gar „de- zu erinnern. (...) nunziatorisch“ finden; sie ist berichtender, an keiner Und so weiter, bis er ans Ungereimte stieß. Indes, Stelle wertender Art. Hugo Sonnenschein wird nicht vielleicht wäre es besser gewesen, mit Engelszungen zu als Kollaborateur abqualifiziert — die Möglichkeit, reden, statt deutsch, das er anscheinend nicht ver­ daß er einer gewesen sein könnte, lediglich einge­ stand. Zwar traf mein Wort, so hörte ich, aber es räumt; die belastende Aussage Leimers nicht in Frage brachte ihn nicht zur Einsicht; er blieb hartnäckig bei gestellt, aber auch nicht zustimmend zitiert; Sonkas seinen Behauptungen und stellte, darüber weit hin­ Stellungnahme, wie sie aus den Briefen an die Genos­ ausgehend, die geradezu aberwitzige Forderung auf, sen erhellt, referiert, nicht diskreditiert; der Prozeß das Papier, dank dem er Jifi Wehle als „Botschafter gegen ihn weder als berechtigt noch als schädlich der üblen Nachrede“ überführt haben wollte, „schleu­ bezeichnet. Konsequent unterläßt es Jifi Wehle, seine nigst aus dem Archiv verschwinden“ zu lassen. An­ eigene Meinung über die Vorgänge zu äußern. ders ausgedrückt: Der öffentliche Ankläger, der, wie Der einzige Satz, der joumalisierten Hirnen zu es heutzutage offenbar nicht anders sein kann, auch schaffen machen könnte, beginnt mit den Worten: gleich das Richteramt übernimmt, verlangte die Besei­ „Nach nicht voll belegten Gerüchten“ habe Sonka tigung des Beweismaterials, auf Grund dessen er nach der Besetzung der Tsschechoslowakei Verbin­ seinen Spruch gefällt hatte. Was sagt man dazu? dung mit der deutschen Abwehr aufgenommen. Heißt Einspruch, Euer Ehren! Oder: Wir werden keinen das nicht, an diesen Gerüchten sei etwas Wahres, falschen Richter brauchen, um zu entscheiden, ob die Hugo Sonnenschein mithin schuldig? Heißt es nicht Medien & Zeit 4/88 Rezensionen 33

weiter, Jifi Wehle, der ihn solcherart schuldig zu sprechen scheint, gebe seine zurückhaltende Aus­ Rezensionen drucksweise auf und seine wahren, schlimmen denun- ziatorischen Absichten zu erkennen? Gibt es also wenigstens einen halbwegs berechtigten Anlaß für das T h o m a s C h o r h e r r (Hg.): 1938 — Anatomie eines maßlos übertriebene Verdikt Serkes ? Jahres. Wien: Ueberreuter 1987. 418 Seiten.

Vergegenwärtigen wir uns und ihm, was der Dieser Sammelband des Chefredakteurs der Presse, einer Zeitung zitierte Satz besagt! (1.) Es gab Gerüchte, daß Hugo „für Mitdenker, nicht für Mitläufer“ (Chorherrs Charakterisie­ Sonnenschein ein Kollaborateur gewesen sei. Diese rungsversuch in 200 Jahre Tageszeitung in Österreich, Wien 1983, Gerüchte sind (2.) „nicht voll“, also nur teilweise S. 259), ist aus mehreren Gründen interessant, hier zunächst in Bezug auf Sicht und Reaktion eines Lesers: des Botschafters i. R. „belegt“. Aus beiden Aussagen ergibt sich: Gerüchte, Dr. Hans Reichmann. Er schrieb dem Korrespondenten der Neuen die nicht bestätigt werden können, bleiben Gerüchte. Zürcher Zeitung, Stamm, in einem Leserbrief an die Presse ins Sie müssen daher kritisch, mit gebotener Vorsicht zur Stammbuch, er solle dieses Buch abschreiben, falls er nicht bereit Kenntnis genommen werden; denn sie sagen die wäre, Nachhilfestunden in Zeitgeschichte zu nehmen (20./21. Wahrheit oder die Lüge über die Dinge. So verstan­ Februar 1988). Anlaß für diese Attacke Reichmanns war die aus dem Presse-Artikel von Engelbert Washietl Sie hören Waldheim den — und nur so ist es zu verstehen —, wahrt Wehle stöhnen — und schrieben (6./7. Fabruar d. J.) aufgegriffene Aussage hier, wie überhaupt die Unparteilichkeit des Chroni­ des Korrespondenten Stamm, derzufolge die Moskauer Deklara­ sten, der berichtet, was er in Erfahrung bringen tion für Österreich eine Gunst bedeutet habe. Dazu Reichmann: konnte. Nach alledem, was Herr Serke JiFi Wehle „Man erschrickt bei diesem Ausmaß zeitgeschichtlicher Unwissen­ vorgeworfen hat, kann es nicht genügen, wenn er heit des Vertreters einer der bedeutendsten deutschsprachigen Zeitungen.“ Und erklärend fügt er an: „Es ist hinreichend erwiesen, diesen im nachhinein als bloße „Randfigur“ abtut. daß ohne das von den Mächten geduldete Einschreiten der Will er weiterhin für einen Ehrenmann gelten, wäre deutschen Wehrmacht die Nationalsozialisten in Österreich nicht eine Entschuldigung nicht unangebracht. Gründe, die geringste Aussicht auf die Machtergreifung gehabt hätten. Daß sich in aller Form zu entschuldigen, gibt es genug. Churchill erst 1942 und die Verbündeten USA, Sowjetunion und Herr Serke, so wurde gesagt, habe Großbritannien 1943 die Wiederherstellung der Unabhängigkeit als Kriegsziel erklärten, hat seine Ursache in dem Umstand, daß • keine Erlaubnis gehabt, mich in Sachen JiFi Wehle man zur Erzielung eines erträglichen Verhandlungsfriedens bereit zu zitieren; war, auf die Erörterung der österreichischen Frage zu verzichten“. • mir Worte in den Mund gelegt, die ich nicht Nun, die Aussage Stamms, es habe die Moskauer Deklaration gesagt habe oder nicht so, wie er sie anführt; für Österreich eine Gunst bedeutet, war weder neu noch sensatio­ • es unterlassen, sich aus erster Quelle, im Doku­ nell: Zumindest jedem zeithistorisch Interessierten ist geläufig, daß die Deklaration die Absichtserklärung enthält, „Österreich, das mentationsarchiv des österreichischen Widerstands erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen zu informieren; ist“, müsse „von deutscher Herrschaft befreit werden“. Mit dieser • gegen Jiri Wehle schwerwiegende Anschuldigun­ Parenthese wurde Österreich zunächst wohl eine Sonderstellung gen erhoben, ohne sie beweisen zu können; und eingeräumt, die vor allem angesichts aktiver — z. T. sogar höchst schließlich aktiver — Teilnahme vieler Österreicher und Österreicherinnen an der Durchführung nationalsozialistischer Barbarei und faschisti­ • dazu aufgefordert, Beweismaterial zu beseitigen. scher Hegemoniepläne sowie nicht zuletzt im Lichte vielfältigster Vorschubleistungen durchaus als Gunst dechiffriert werden kann. Die Moskauer Deklaration verwies allerdings auch in einer allge­ Wie steht Herr Serke nun in der Öffentlichkeit mein weniger bekannten und zitierten Passage auf die Verantwor­ da? Seine Reaktion wird es erweisen. tung Österreichs als Beteiligte am Krieg auf seiten Hitlerdeutsch­ lands, „der es nicht entgehen kann.“ Bei einer endgültigen Rege­ lung werde daher „unvermeidlich“ sein eigener Beitrag zur Befrei­ ung zu berücksichtigen sein. Daß die Moskauer Deklaration gerade damit einen besonders wichtigen Baustein für das Fundament unserer Republik gelegt hat, wird heute ohnedies nur mehr von „Ewiggestrigen“ geleugnet und in das Gegenteil verkehrt (vgl. dazu etwa Die Nation, die aus Moskau kam, ein Beitrag von Hugo Golowitsch im Sammelband Österreich und die deutsche Nation, Aula-Verlag, Graz 1985). Mit diesem knappen Hinweis soll keines­ wegs ein umgekehrter Rat zur Reflexion an den Botschafter i. R. Dr. Reichmann adressiert sein. Denn eine derartige Empfehlung würde sich allein schon deshalb selbst diskreditieren, weil sie eine Affinität zu alt-volks-schulmeisterlichen Erziehungsidealen bewir­ ken würde. Mit Abschreiben aller von Thomas Chorherr in gesuchter Auswahl zusammengetragener Aussagen, Berichte und Resümees wäre denn doch zuwenig getan. Abschreiben und — damit häufig verbunden — „Auswendig-Lernen“ bedeutet noch allemal nicht den Vorzug, Lehren zu ziehen, und schon gar nicht, 34 Rezensionen Medien & Zeit 4/88

Perspektiven vor dem Hintergrund der Ereignisse des Jahres 1938, freilich nicht mehr Staat zu machen. Er muß zurückgewiesen des „Anschlusses“, zu entwickeln, die eventuell sogar im Hinblick werden. Andernfalls würde seine Akzeptanz nicht nur eine kritische auf die Problematik eines Anschlusses Österreichs an die EWG von Betrachtung der Vergangenheit unseres Landes und seiner Bewoh­ Nützlichkeit sein können. Dies nur so weit, doch vielleicht auch ner, insbesondere seiner Akteure, behindern, sondern auch jegli­ schon zu weit gegriffen. ches Bemühen belasten, die Last der Vergangenheit zu tragen, wie Der Sammelband selbst beeindruckt — zunächst, nämlich dies erst kürzlich der Salzburger Erzbischof Berg formuliert hat. Sie beim Aufschlagen des Inhaltsverzeichnisses. Chorherr hat in einer würde das Gebot der Geschichte verletzen, Erbteile einer entsetzli­ besonderen Mixtur bereits Veröffentlichtes und für diesen Band chen Zeit abzubauen, die sich in Österreich in weiterbestehenden eigens Geschriebenes von insgesamt 25 Autoren aus mehreren Traditionen von Antisemitismus, Antislawismus, aber auch Bereichen (Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Publizistik), aus deutschnationalen Hegemonialismus manifestieren. verschiedenen Zeitabschnitten und mit unterschiedlichen Weltan­ In kommmunikationstheoretischer Hinsicht erscheinen die schauungen zusammengefügt. Aus der langen Reihe darin vertrete­ kurz gefaßten Erinnerungen und Darstellungen von Milan Dubro­ ner Prominenz seien — hier in alphabetischer Reihenfolge — nur vic (vgl. seine Biographie Veruntreute Geschichte, Wien 1985 bzw. einige Namen herausgegriffen: Ludwig Adamovich, Otto von seine Würdigung zum 85.Geburtstag Die Sprache ist sein kostbar­ Habsburg, Franz Olah, Karl Renner, Kurt Schuschnigg, Emil stes Gerät, verfaßt von Thomas Chorherr, in: Die Presse, 26./27.11. Spanocchi, Stefan Verosta, Carl Zuckmayer. Die Absicht des 1988; vgl. ferner Fritz Hausjell:... daß das eine grausige Situation ist. Herausgebers ging dahin, wie der Klappentext verrät, nicht Fragen Die Freunde im Exil und ich hier als Journalist im „Dritten Reich“. zu stellen, sondern Antworten zu suchen. Mit einer solchen Ein Gespräch mit Milan Dubrovic. In: Medien & Zeit 1988, H. 2, S. Vorstellung von fruchtbarem Erkenntnisgewinn befindet sich die 8— 12) noch von einigem Interesse. Er war während der gesamten Selbstzuweisung Chorherrs naturgemäß in einem ungestörten Kriegszeit bis 1945 beim Wiener Tagblatt tätig bzw. hatte er — um Gleichgewicht, wonach keineswegs die „Form einer neuen histori­ bei seinem Bild zu bleiben — in gewisser ähnlicher Weise wie der schen Theorie“ gesucht, sondern die Gestalt einer Collage bevor­ spätere österreichische Außenminister Dr. Karl Gruber in der zugt wird. „Höhle des Löwen“ Unterschlupf gefunden. In seinem Beitrag Der Daß seine Wahl auf dem Gebiet der Publizistik neben Hans Nachruf stand in der Morgenausgabe stellte er die Gleichschaltung Dichand und Milan Dubrovic auf den Herausgeber der Pressse, der Zeitungsstadt Wien in den Mittelpunkt, belegt mit einigen Dr. Otto Schulmeister, fiel, kann angesichts der Diktion Chorherrs Zahlenangaben beispielsweise über das prozentuelle Verhältnis von zum 70. Geburtstag seines Chefs vor zwei Jahren keineswegs jüdischen und „arischen“ Journalisten sowie anhand einiger Einzel­ verwundern: „Otto Schulmeister hat den Krieg in seiner ganzen schicksale. Häßlichkeit miterlebt, auch — notabene — den am Balkan, er hat Abgesehen von schablonemäßig geführten Seitenhieben ä la gelernt, daß es nicht nur Schwarz und Weiß gibt oder Gut und Böse, Besetzung kritischer Forscher mit dem Etikett „selbstgerechte er hat die vielen Zwischenschattierungen schon damals zu erkennen Besserwisser“ (S. 278), muß am Beitrag von Dubrovic u. a. verstanden. Er ist ein Wissender und deshalb ein Weiser gewor­ verwundern, mit welch indifferenter Leichtigkeit er die Zeit von den.“ (Die Presse, 29./30./31. März 1986). 1914 bis 1945 als eine einzige Epoche versteht, die nach ihm auch Wie eine derartige Einschätzung beispielsweise bloß mit „Europäische Tragödie“ genannt werden könnte, „ein Trauerspiel, folgendem Kalkül Otto Schulmeisters in seinem Leitartikel in der das in drei Akten, 1918, 1938 und 1945 (mit 1934 als makabrem Belgrader Donauzeitung vom 7. Juli 1944, Vorinvasion der Banden. Intermezzo) kulminiert“. Zum Charakterbild dieses Krieges, zu harmonisieren ist, würde der Im Klappentext des Buches heißt es: „Das Buch soll helfen, Rezensent freilich nur allzugerne wissen: „... gesetzt, wir Deutsche Vorurteile abzubauen, um Urteile zu ermöglichen. Und Beurteilun­ verlören den Krieg, was geschehe in all den Ländern, in denen dann gen — was in diesem Fall das gleiche ist.“ Als Nachteil erscheint es die Banden die »Herrschaft4 ausübten? ... Allein das Chaos hätte dem Rezensenten sicherlich nicht, wenn dieses politische Lesebuch freie Bahn ... Wir alle verspüren heute, da der Krieg seiner auch als das genommen wird, was es will, nämlich mit Aufmerk­ Entscheidung zutreibt, die Größe des Augenblicks. Es geht nicht samkeit gelesen zu werden. Ob es zum Vorteil gereicht, davor noch mehr um Gebietsvergrößerungen, Annexionen oder Fragen des die diesbezügliche Besprechung Gerd Bachers in der Presse vom Vorrangs, wir halten das Schicksal der Welt in unseren Händen.“ 28./29. November 1987 zu genießen, soll sich selbst an dessen (Vgl. den Beitrag von Fritz Hausjell: Otto Schulmeister 70: folgender „Vision“ am Vorabend des Bedenkjahres messen: „Mit Materialien zur Vergangenheit. In: Medien & Zeit 1986, H. 1/2, S. der »Vergangenheitsbewältigung4 wird unsere Prominenz durchs 75—83). Land lallen und weder sich noch anderen erklären können, was das Die Frage, die sich in solchen Zusammenhängen oft auftut, eigentlich ist. Sie hält nämlich Vergangenheitsbewältigung für nämlich wer den ersten Stein zu werfen berechtigt ist, führt sich an politische Denkmalpflege, schwört— 50 Jahre danach —, daß sie es diesem Beispiel selbst ad absurdum. Denn was im Bedenkjahr 1988 nie so gemacht hätte, ist aber nur im Ausnahmefall imstande, die zu denken Anlaß gebietet, ist nun wahrhaftig nicht zuvorderst die Gegenwart zu erklären.“ ehemalige Apologie nationalsozialistischen Größenwahns, wie sie Ob der Sammelband Chorherrs tatsächlich imstande sein Schulmeister betrieben hat. Darum soll es hier nicht gehen, kann, „1938“ zu erklären, muß mangels seines theoretischen wenngleich es auch nicht angeht, sie völlig außer Acht zu lassen. Hintergrundes füglich bezweifelt werden. Zweifellos liefert er aber Wirklich nachdenklich muß der äußerst knappe Fingerzeig Otto — ungewollt sicher — einige Erklärung für manchen Diskussions­ Schulmeisters auf seine journalistische Mittäterschaft an national­ beitrag zum Aufstellungsplan des Mahnmals von Alfred Hrdlicka sozialistischer Propaganda in der von Chorherr unternommenen am Wiener „Albertinaplatz“ und zur Aufführung des Stückes „Anatomie“ des Jahres 1938 stimmen. Unter dem Beitragstitel Bist „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard: Beschäftigung mit der du ein Nazi? verkürzt er seinen Aktivitätsraum auf folgende Vergangenheit, der nationalsozialistischen insonderheit, ist auch Bemerkung: „Anton Böhm (Bundesführer des „Neuland“, Erg. des stets Auseinandersetzung mit Gegenwart, unabhängig davon ob Rez.) hatte mir 1940 geraten, Journalist zu werden. Da wir ja auch Zusammenhänge mit ihr gesucht und gefunden werden oder nicht. in einer »Umbruchszeit4 lebten, was lag näher, als sich auch Wolfgang Duchkowitsch beruflich ihrem Pathos, dem Element der Zeit, zu verschrieben ?“ (S. 181). Mit einem solchen Rechtfertigungsversuch propagandisti­ scher Aktivitäten im Dienste deutscher Kriegsführung ist heute Medien & Zeit 4/88 Rezensionen 35.

KARL Mellacher: Das Lied im österreichischenangelegte kommunikationshistorische Auseinandersetzung mit der Widerstand. Funktionsanalyse eines nichtkommer­ Stilform des Liedes als Ausdruck des Widerstandes und der Opposition in durchaus denkbarer Entgrenzung des zeitlichen ziellen literarischen Systems. Wien: Europaverlag Rahmens, um auch — als wichtiges Erkenntnisziel — Brüchen und 1986. 260 Seiten. (= Ludwig Boltzmann Institut für Kontinuitäten vom Vormärz bis zur Gegenwart auf die Spur zu Geschichte der Arbeiterbewegung. Materialien zur kommen. In enger Zusammenarbeit mit der österreichischen Arbeiterbewegung. 44.) Zeitgeschichte, aber natürlich auch der Sprach- und Musikwissenschaft sollte es darüber hinaus auch gelingen, die Im ersten Kapitel dieser Funktionsanalyse hält Karl Mellacher Frage zu beantworten, wie Traditionen von oppositionellem Lied­ fest: „Wenn man von einem kommunikationstheoretischen Ansatz gut während der Ära des Austrofaschismus und im speziellen des ausgeht, ist die Gattung ,Lied‘ besonders interessant: Das vorgetra­ Nationalsozialismus behandelt wurden. Nicht zuletzt aber wäre gene Lied verfügt über mehrere Zeichensysteme, Sprache, Musik eine Antwort auf die Frage fällig, welches Klima dafür verantwort­ und Gestik, die, unabhängig voneinander, zum einen ,naive lich war und ist, daß die Lieder des österreichischen Widerstandes Identifikation4, zum anderen ,kritisch-distanzierte Reflexion4, des im Gegensatz zu jenen des Nationalsozialismus so tief verschüttet Rezipienten verlangen können.44 sind. Diese Aussage beruht auf einer Position von Bodo Lecke Der vorliegende Band rückt das Lied des österreichischen (Politische Lyrik in didaktischer Absicht, in Politische Lyrik, hrsg. Widerstandes natürlich keineswegs bloß ins Blickfeld der Kommu­ von demselben, erschienen als Band 8 der Reihe Projekt Deutschun­ nikationsgeschichte, das es in dieser Rezension zum Nutzen des terricht). Für die vorliegende Funktionsanalyse eines nichtkom­ Faches zu beleuchten gilt. Er bietet im Zusammenhang mit seiner merziellen literarischen Systems erscheint ein derartiger Ansatz im Funktionsanalyse gleichzeitig eine hervorragende Sammlung von Hinblick auf die gewählten Fragestellungen absolut gerechtfertigt. Kulturdokumenten außergewöhnlicher Intensität und Qualität, Daß von einer kommunikationsgeschichtlichen Arbeit über das und sollte deshalb vor allem von allen Pädagogen gelesen werden, Lied im österreichischen Widerstand eine weiterreichende Refle­ um ihn ihrerseits auch der Jugend in die Hand und ans Herz zu xion von Ansätzen wie etwa des symbolisch-interaktionistischen legen. Denkansatzes einzufordem wäre, versteht sich von selbst. Diese Wolfgang Duchkowitsch Anmerkung ist hier natürlich keineswegs als Vorwurf gegenüber der vorliegenden Leistung gemeint, wohl aber vor dem Hintergrund eines großen kommunikationsgeschichtlichen Defizits, das gerade HERBERT REINOSS (Hrsg.): Simplicissimus. Bilder aus durch diese Arbeit augenscheinlich wird. dem „Simplicissimus“. Hrsg, von Herbert Reinoß Gründe, weshalb das Lied im allgemeinen und insbesondere das Lied im Widerstand von der (österreichischen) Kommunika­ unter Verwendung einer Auswahl von Rolf Hoch- tionsforschung nur wenig beachtet, ja sogar vernachlässigt wurde, huth. 3. Aufl. Hannover: Fackelträger-Verlag 1987. sind mannigfacher Natur. Sie liegen auf unterschiedlichen Ebenen, 287 S. darunter auf historisch allgemein determinierten. Im dtv- Wörter­ buch zur Publizistik, 1. Aufl. 1969, wird unter der Eintragung Erstmals 1970 herausgebracht, deutet die 3. Auflage im Jahre „Liedpublizistik44 u. a. rückblickend ausgeführt: „Die Agitprop- 1987 nicht nur eine verlegerische Erfolgsaussicht und damit ein Publizistik des Kommunismus, die nach dem Ersten Weltkrieg Käuferinteresse an, das in dieser zeitlichen Erstreckung beinahe erfolgreich war, ist in der DDR neu belebt worden. Auch der überzeitlich anmuten muß, sondern auch den Boom, den Themen Nationalsozialismus versuchte, die massenbewegende Wirkung des der Jahrhundertwende ein, zwei Jahre vorher erlebt haben; anderer­ Liedes für seine Zwecke zu nutzen. Dieser propagandistische seits nimmt sie sozusagen bereits einen neuen Trend von Histori­ Mißbrauch hat neben dem abnehmenden Bedürfnis, sich selbst kern vorweg, der sich in wissenschaftlicher Zuwendung zum musikalisch zu betätigen, was wiederum eine Folge der Ausbreitung deutschen Kaiserreich bzw. — auf österreichische Verhältnisse der audiovisuellen Medien ist, dazu geführt, daß im Volke das Lied übertragen — zur Monarchie äußert. kaum noch eine aktuelle politische Bedeutung hat.“ Dieser Befund Dabei wird man sich wohl auch der Frage nicht entziehen hat jedenfalls für den deutschsprachigen Raum eine eigene Berech­ können, die im Vorwort kurz gestreift wird, ob der Simplicissimus tigung. Daß im österreichischen Bundesheer dem Vernehmen nach mit seiner jahrzehntelangen Kritik etwas erreicht hat. Dies wäre wie auch eigenen Erfahrungen gemäß allerdings auch Traditionen nicht nur eine Frage des Simplicissimus, sondern der Wirkungsge­ zu solchen Soldatenliedern registriert werden müssen (mußten?), schichte von Medien überhaupt sowie der Wirkungstheorien selbst. insbesondere aber in nationalen Kreisen, Zirkeln und Bünden Im speziellen könnte man die im Vorwort wiedergegebene Auffas­ Österreichs (wie ebenso der BRD) im geistigen Nachvollzug verehrt sung von Herrmann Bamstorff als Hauptthese einsetzen, wonach werden, während des „Dritten Reichs“ zur „naiven Identifikation“ der Versuch, die Deutschen politisch zu erziehen, deshalb fehlge­ (s. oben) mit den Leitlinien des Nationalsozialismus dienten, zeigt schlagen sei, weil das Blatt doch zu kritisch, zu negativ eingestellt allerdings deutlich an, in welcher Weise der Bruch mit dem war. Barnstorff meint überdies, es habe, wenn es Zustände, propagandistischen Mißbrauch des Liedes tatsächlich vollzogen Gesellschaftsschichten, Institutionen verdamme, diese zu anzie­ wurde und wird. Da sich diese Kontinuität mit all ihren Facetten hend, zu fesselnd für die breite Masse der Unbemittelten gemacht. keineswegs nur auf eine formal bestimmbare Bevölkerungsgröße Mindestens ebenso interessant für medienpolitische Verhalten und beschränkt — dies gilt jedenfalls nach wie vor für unser Land — , Strategien in der Gegenwart ist die gleichfalls an dieser Stelle kann die oben zitierte Auffassung, wonach das Lied im Volk kaum verzeichnete Auffassung des ehemaligen Mitarbeiters Thomas noch eine aktuelle Bedeutung hat, nur als Beobachtung der Theodor Heine, daß die Karikaturen zwar oft populär gewesen Oberfläche gedeutet werden. Nicht nur in Hinterzimmern sieht die waren, daß sie aber auch die Karikierten populär gemacht hatten Realität anders aus. Dies ist ein Punkt. (S. 9). Sollte sich diese Ansicht mit der Wirklichkeit decken, so wäre Der andere erweist sich auf wissenschaftlichem Gebiet. So sie doppelt brisant: Denn Heine vertrat sie zu einem Zeitpunkt, als außerordentlich bedeutsam eine Untersuchung des Bänkelgesanges er sich bereits im Exil befand. sein kann, wie es eine am Wiener Institut für Publizistik- und Als Gewährsmann für ein kritisches Wirkungsvermögen dieses Kommunikationswissenschaft vor kurzem fertiggestellte Disserta­ Blattes führt der Herausgeber dagegen Otto Flake an, der um 1910 tion unternommen hat, so notwendig wäre jetzt eine interdisziplinär behauptet hatte: Wenn über die Protektionswirtschaft in den Korps 36 Rezensionen Medien & Zeit 4/88

kein Zweifel mehr bestehe, so stamme diese Kenntnis vom Simpli­ den Bandes zeigt eine zweiteilige Szene aus dem Führerstand einer cissimus. Straßenbahn: Auf die Frage im oberen Teil, „Sagen Sie mal, wo Das Vorwort enthält neben diesen Hinweisen auf die Wirk­ fahren Sie denn eigentlich hin“, weist der Straßenbahnfiiher stumm ungsproblematik des Simplicissimus eine knapp zusammengefaßte mit seiner linken Hand auf die erst im unteren Teil sichtbare Tafel: Darstellung seiner Gründung und seiner Intention, einer Kampfan­ „Es ist streng verboten (kein Komma, Anm. des Rez.) mit dem sage an Dummheit, Misanthropie, Prüderie und Frömmelei, seiner Wagenführer zu sprechen.“ „größten“ Zeit (bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs) und Bei der Auswahl wurde dem Leitgedanken nachgegeben, seiner weniger „großen“ Zeiten. An die Kurzbiographie der vorwiegend dem „zeitlosen“ Simplicissimus zu folgen: „den Bildern bedeutendsten Mitarbeiter, Thomas Theodor Heinen, Olaf Gul- vom Ewig-Menschlichen; Bildern zu Erscheinungen, die uns noch bransson, Eduard Thöny sowie Karl Arnold, schließt eine nament­ gut vorstellbar sind; Bildern zu Ereignissen, die wir ähnlich in liche Nennung anderer Mitarbeiter an. Mit dieser korrespondiert späterer Zeit erlebten: zum Beispiel des Hungern und Schiebertum eine Liste aller wiedergegebener Zeichnungen in alphabetischer in den Jahren um 1945.“ Das Kaufmteresse wird damit nur allzu Reihenfolge ihrer Autoren am Bandende. verständlich. Die Abbildungen aus diesem Blatt, das 1896 gegründet und Auf die Frage, ob der vorliegende „Bild“-Band weitere 1944 eingestellt wurde, sind nach folgenden Kapiteln geordnet: „Im Auflagen erleben wird, ist eben aufgrund seiner Konzeption und Kaiserreich“; „Der Erste Weltkrieg“; „Die zwanziger Jahre“ und der Disposition möglicher Interessenten vorderhand nur eine „Der Diktatur entgegen“. Die Auswahl schließt mit dem Ende des Antwort möglich: mit großer Wahrscheinlichkeit. wirklich freien Simplicissimus, 1933. Das letzte Blatt des vorliegen­ Wolfgang Duchkowitsch CA, die Bank zum Erfolg.

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