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SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff Mittwoch, 24. Oktober 2012 Helden in Strumpfhosen – Kleine Geschichte der Tenöre Teil III: Siegmund heiß ich, und Siegmund bin ich

Indikativ

Der Eintritt des Heldentenors in die Operngeschichte beginnt mit einem Schrei:

CD T. 1 bis 0’18 Beethoven, , Gott! – welch Dunkel hier! Jon Vickers, Philharmonia Orchestra, Otto Klemperer EMI 7355670

Gott! – welch Dunkel hier!, singt ein Mann in einem finsteren Kerker, es ist sein erster Auftritt in dieser Oper, und man fragt sich, was sich der Komponist bloß dabei gedacht hat, ihn gleich mal als erstes ein hohes g singen zu lassen, einen Ton, der für einen unbequem im Übergang zwischen Brust- und Kopfstimme liegt. Aber , der diesen Ausruf komponiert hat, wollte ja genau das: eine gequälte Kreatur zeigen, einen Menschen zwischen Angst, Leid und Hoffnungslosigkeit, für den ein paar Meter Luftlinie, bzw. ein paar Takte Musik weiter schon das Grab geschaufelt wird, in dem er verscharrt werden soll. Florestan ist ein politischer Gefangener, einer, der sich gegen Willkürherrschaft aufgelehnt hat und dafür jetzt erbarmungslos mit Isolationshaft und Hinrichtung bestraft werden soll.

CD T. 1 ab 0’28 bis Schluss 1’45 Beethoven, Fidelio, In des Lebens Frühlingstagen s.o.

Die Uraufführung von Beethovens „Fidelio“ im Jahr 1806 in Wien war ein Fiasko, die Leute hatten andere Sorgen, weil soeben Napoleon einmarschiert war, und im Parkett saßen statt Beethovens Freunden, von denen viele geflohen waren, jede Menge gelangweilter französischer Soldaten. Die haben wohl damals gar nicht mitbekommen, dass sie da Zeugen eines Paradigmenwechsels waren, dass hier einer – und wer, wenn nicht Beethoven – die Operngeschichte beim Kragen fasste und in eine neue Richtung schob. Und für diese Richtung brauchte es auch einen neuen Sängertypus, wie er vielleicht tatsächlich nur im deutschen Kulturraum entstehen konnte: Dieser neue Sänger hatte ein ganzes philosophisches Gedankengebäude zu schultern, er hatte auch plötzlich keine Arien mehr im bisher bekannten Sinn, sondern dramatische Szenen - da musste er auch stimmlich etwas robuster sein als bis dahin gewohnt. Gleichzeitig ging es jetzt, wo die Romantik langsam das Innere der Seelen nach außen kehrte, um Wahrhaftigkeit in der Darstellung – und natürlicherweise rückte da jeder Gedanke an Bel Canto in den Hintergrund. Schön singen war gestern – jetzt ging es um Größeres. Und damit ist auch gleich schon das Problem dieses Stimmfachs auf dem Tisch: Beethoven hat damals mit seiner „Florestan“-Partie den Trend begründet, den Tenor zu überfordern. Zur Charakteristik der Heldentenor-Rollen gehört von Anfang an, dass sie eigentlich nicht singbar sind...

CD T. 2 ganz, T. 3 ausbl. 1’44 4’20 Schluss Florestan s.o.

„A hero’s life“ heißt die Biografie von Jon Vickers – und keiner hat die einzelgängerischen Helden, Florestan, Tristan, oder Peter Grimes zu seiner Zeit so intensiv singen und darstellen können wie er. Für Vickers, der auch im wirklichen Leben nicht so besonders gesellschaftskompatibel war, hatte das Singen irgendwie immer auch mit Qual und Vereinsamung zu tun, und das Heldenhafte seines Heldentenors war es eben, das auszuhalten, einzukalkulieren, dass man irgendwann den Bereich des strahlenden Schöngesangs verlassen würde – bei ihm, schreibt Jürgen Kesting in seinem Sängerlexikon, Rilke zitierend, war das „Schöne nichts als des Schrecklichen Anfang“. Und das ist eigentlich sowieso eine ganz gute Umschreibung für den idealen Heldentenor: Das Schönsingen muss der auch beherrschen, denn selbst im lautesten Wagner-Gewühl gibt es ja immer wieder lyrische Stellen - aber er muss es eben auch zum Beeindruckend- Schrecklichen ausweiten können. Dafür braucht es Mut, und vor allem: unendlich viel Kraft. Man nennt diesen Tenortypus in der ja vorzugsweise italienischen Sängerfachsprache nicht umsonst auch „Tenore robusto“ oder „Tenore di Forza“. Der musste im neunzehnten Jahrhundert erst mal herangezüchtet werden, und die Baumschulen für Heldentenöre standen, man ahnt es natürlich, erst mal ziemlich ausschließlich in Deutschland. Dass das ein ungemein deutsches Stimmfach ist, zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass der deutsche Begriff in fast alle Sprachen unverändert exportiert worden ist. In England und Amerika nennt man den Heldentenor allerdings auch gern liebevoll verkürzt schlicht „The Helden“. In Deutschland also wurde „The Helden“ mehr und mehr zum gefragten Stimmtypus. Nach dem Florestan kam der Max in Webers „Freischütz“, auch schon eine Partie, die ein schmalbrüstiger Rossini-Tenor nicht mehr gestemmt kriegte - und knapp zwanzig Jahre später war es dann soweit: Auftritt des Prototypen, er gegen den Rest der Welt, und manchmal auch noch gegen sämtliche verfügbaren Götter - das war das Grundmuster, nach dem seine Helden in die Opernhandlung schickte, und der erste dieser Sorte ist ausgerechnet Italiener! , Wagners erster wirklicher Opernerfolg, Hitlers Lieblingsoper, ist zwar musikalisch noch, um das berüchtigte Wort von Meister Hans Sachs zu zitieren, „welscher Tand“: von der Form her eine echte französische „Grande Opéra“ – Hans von Bülow nannte sie „Meyerbeers beste Oper“ -, und drinnen gibt es jede Menge Bellini-haftes Umtata, aber schon die damals jeden Opernabend sprengende Spieldauer von knapp vier Stunden hat künftige Wagner-Dimensionen vorweggenommen, genauso wie die üppige Orchesterbesetzung mit schallendem Bläsereinsatz. Und vor allem ist die große Gebetsszene des Rienzi schon ein echter Wagnertenor-Auftritt mit allem, was dazugehört: sieghafte Töne und ein famoses Leitmotiv, das man nicht mehr aus dem Kopf bekommt...

CD T. 4 ab 0’58 ausbl. ab 4’27 3’30 Wagner, Rienzi Wolfgang Windgassen, Orchester der Staatsoper , Lovro von Matacic Line 4966173

ER darf natürlich in einer Woche über Tenöre nicht fehlen – Wolfgang Windgassen, 1957 zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart unter Leitung von Lovro von Matacic. Windgassen, selber schon Sohn eines Heldentenors, war die Inkarnation von Nachkriegsbayreuth, wo er noch bis 1970 gesungen hat, und vom sogenannten „Winterbayreuth“, wenn außerhalb der Bayreuth-Saison alle großen Wagner-Sänger nach Stuttgart kamen - hat ihn immer liebevoll mit „Mein Held“ angesprochen, und auch sonst war er von allen geliebt, ob seiner musikalischen, darstellerischen, aber auch menschlichen Qualitäten. Windgassen hat gar nicht die beste und lauteste und treffsicherste Wagnerstimme von allen gehabt, aber er konnte – lebenswichtig beim Wagner-Singen – seine Kräfte einteilen, und er hatte diese intuitive Seelenverwandtschaft mit den Figuren, die er da sang, Windgassen, wie die Kollegin Martha Mödl schwärmte, „war“ einfach Tristan, , Parsifal, und das ist es ja, was einen wirklich bedeutenden Wagner- Tenor ausmacht: dass er diese etwas unwahrscheinlich wirkenden, übermenschlichen Gestalten mit existenzieller Intensität auflädt – das ist dann keine Frage der Gesangstechnik, sondern eine der Psychologie, und deshalb hat Wagner seinerzeit so laut geseufzt, dass man den Sängertyp, der seine Helden darstellen könne, erst noch züchten müsse. Man musste ihn auch erst mal trainieren – Wagner zu singen, ist eine existenzielle Anstrengung, für den Geist und für den Körper. Nur mal so zum Vergleich: „Nessun dorma“, d i e wichtige Szene für den Tenor in Puccinis „Turandot“ dauert drei Minuten, Tannhäusers „Romerzählung“ ganze 25. Und da hat der arme Tannhäuser-Sänger bereits dreieinhalb Stunden allerheftigsten Gesangs, diverse Preislieder und dramatische Abstürze hinter sich. Und deshalb lieben und bejubeln die Wagnerianer ihre Heldentenöre, auch wenn sie fast nie eine perfekte Leistung abliefern – man zollt Hochachtung für die reine Kraftleistung. Wagners Tenöre müssen ja zu seiner Zeit mit völlig anderen Bedingungen zurechtkommen wie noch ein Mozart-Sänger fünfzig Jahre früher: Die Orchester sind viel größer geworden, gerade in Deutschland haben die Komponisten spätestens seit Weber eine Schwäche fürs Blech, gegen das man als Sänger erst mal ankommen muss, der Instrumentenbau schreitet außerdem auch fort, und die neuen Instrumente klingen deutlich lauter als ihre Vorgänger. Carl Maria von Weber hat in seinem hornseligen Freischütz zwar noch auf dem leiseren Naturhorn bestanden, aber bei Wagner blasen schon die neuen Ventilhörner und machen ordentlich Lärm. Das Orchester ist also immer lauter geworden, die Partien wurden lang und länger, und wenn Thomas Mann „“ einen „Lastwagen ins Himmelreich“ nannte, dann ist es der Sänger des Tristan, der im Zweifelsfall am Ende unter die Räder gekommen ist, weil er nach diesmal vier Stunden Lieben und Leiden überhaupt erst zu seiner großen, sehr langen Sterbeszene ansetzt. - „Bist du nun tot?“ fragt ihn nach einer Weile intensiven Singens sein Kurwenal, aber nein: der Sänger mag inzwischen halbtot sein, Tristan ist es noch nicht, er bäumt sich mit letzter, aber beachtlicher Kraft in seinen Fieberphantasien auf, bis Isolde tatsächlich vor ihm steht...

CD T. 5 letzte 5 Sek. ausbl. 3’10 Wagner, Tristan und Isolde, O diese Sonne Wolfgang Windgassen, Orchester der Bayreuther Festspiele, Karl Böhm DG 8281708

Manchmal hat man ja den Verdacht, Wagners eigentliche Lieblingssänger seien die Celli gewesen...Tja, „Isolde“ war sein letztes Wort – für den Tristan der Uraufführung 1865 galt das tatsächlich. Die hätte eigentlich in Wien stattfinden sollen, aber dort hat schließlich der Tenor verweigert mit dem Hinweis darauf, dass die Partie unsingbar sei . Das war sie nicht, Wagner hat seinen Tristan dann doch noch gefunden: Ludwig Schnorr von Carolsfeld, einst Chorknabe im Dresdner Kreuzchor, wurde zum Lieblingstenor Wagners und Ludwigs II., und das hat ihn womöglich das Leben gekostet, denn es scheint so, als ob er sich bei der Arbeit an der Tristan-Partie körperlich und psychisch zu sehr verausgabt hat. Jedenfalls ist er eineinhalb Monate nach der dann doch stattgehabten Uraufführung in München plötzlich gestorben, mit nur 29 Jahren. Der Tristan – eine mörderische Partie. Aber immerhin, Wagner hat Ludwig Schnorr nie vergessen und sein Porträt dann im Eingangsbereich der Villa Wahnfried in Bayreuth verewigen lassen. Die bis dato unvorstellbaren Anstrengungen, die eine Wagner-Partie kostet, mussten also zu Wagners Zeiten erst mal ins kollektive Sängerunterbewusste sinken. Und die Saat, die Wagner damals gesät hat, ist vermutlich erst im zwanzigsten Jahrhundert so richtig aufgegangen – die 30-er, 40-er und 50-er Jahre waren die große Zeit des Wagner- Gesangs, nach Helden wie einem Windgassen, einem Ramon Vinay oder einem Max Lorenz hätte Wagner sich die Finger geleckt, und für den hier hätte er bestimmt noch schnell eine Super- Ober-Über-Helden-Oper zusätzlich komponiert, hätte er ihn gekannt:

CD T. 6 ab 0’27 ausbl. ab 5’08 4’40 Wagner, Die Walküre, Ein Schwert verhieß mir der Vater , Orchester der , Erich Leinsdorf Naxos 3382756

Lauritz Melchior live als Siegmund während Wagners „Walküre“ in der Metropolitan Opera . „Den großen Dänen“ nannte ihn, sie hat ihn noch gehört, aber nicht mehr viel von ihm gehabt, denn in ihrem Bayreuther Nazi-Spinnennetz ist er nicht klebengeblieben: Lauritz Melchior ist in die USA gegangen und hat in den 30-er und 40-er Jahren an der Metropolitan Opera seine niegehörten Töne produziert. Melchiors Stimme kam, wie die vieler Heldentenöre, eher von unten, aus dem Baritonbereich, - schön im klassischen Sinn war sie nicht, und man hörte irgendwie auch, dass das keine mit einem Gesangslehrer eingeübte Technik, eher ein beeindruckendes Drauflossingen war – Lauritz Melchior war mit dieser Stimme und seiner ganzen hünenhaften Erscheinung einfach ein Naturereignis. Er konnte durchaus auch leise und zärtlich klingen, sein „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ hat etwas überzeugend Knuddeliges, aber wenn Melchior so richtig aufdrehte, dann war er in seinem Element, dann war – und ist bis heute – für Wagnerianer die Welt in Ordnung. Da konnte das Blech noch so dröhnen, konnten die Streicher noch so leidenschaftlich aufrauschen – Melchior war lauter, und er hat diese tödlichen Partien, Siegmund, Tristan, Siegfried, ohne irgendwelche Ermüdungserscheinungen durchgehalten, was wieder mal beweist, dass ein Heldentenor zu einem beachtlichen Teil aus reiner Körperkraft besteht. „Melchior war der einzige“, schrieb der Gesangspädagoge Conrad L. Osborne, „der dieses verdammte Zeug singen konnte, ohne Spuren von Bluthusten auf der Bühne zu hinterlassen...“. Man muss allerdings, das nur als Fußnote, festhalten, dass er gerade bei diesen „Wälse“-Rufen in Sachen durchdringende Heldenhaftigkeit eines schönen Tages übertrumpft wurde. Zugegeben, Mario del Monaco ist nicht als Wagner-Sänger in die Geschichte eingegangen, und das ist gut so, Menschen, die 1966 in Stuttgart Zeugen seines einzigen Siegmund-Auftritts waren, werden heute noch schreckensbleich bei der Erinnerung...aber wenn „Laut Singen“ tatsächlich die zentrale Tugend der Wagner-Interpretation wäre, was ja manche fälschlich behaupten, dann wäre Del Monaco der Siegmund des Jahrhunderts gewesen:

Youtube http://www.youtube.com/watch?v=sGZcEfsCHpU ab 2’13 ausbl. 3’58 bis 4’05 1’50

Mario Del Monaco ruft „Wälse“

Irgendwie beeindruckend ist das ja schon, ein amerikanischer Kritiker hat solche Töne seinerzeit „the golden yelling“ genannt, goldenes Gebrüll - das Problem bei Mario del Monaco war allerdings, dass er eben im Gegensatz zu anderen Heldentenören wie zum Beispiel Lauritz Melchior, nie leise, sondern immer, Zitat Jürgen Kesting, „con forza terribile“ gesungen hat – das Pianosingen war für ihn, wie er mal kundtat, überhaupt eine Unart, ja, das „Krebsgeschwür des Gesangs“... Und damit wäre er für Wagner als Interpret sowieso gestorben gewesen, denn wenn der an einem nicht interessiert war, dann an undifferenziertem Stimmgeprotze. Wagner hat vielmehr gerade an einer Darstellung in allen Facetten gelegen, er wollte nicht Stimmbesitzer, sondern Sängerdarsteller, die vor allem textverständlich sangen und den jeweiligen Text auch tatsächlich verstanden. Ja, Wagner fand es unnötig, zwischen Sänger und Schauspieler allzu scharf zu trennen: „In unserer Oper“, schreibt er, „nimmt der Sänger die erste Stelle, der Darsteller aber eine zweite oder gar ganz beiläufige Stellung ein...ich verlange in erster Linie den Sänger nur als Helfer des Darstellers.“ Mit „bloßen Sängern“, so Wagner, sei ihm nicht gedient, er wollte „tüchtige Schauspieler, die singen können.“ Solche Leute waren dann in Wagners Augen die wahren Künstler – also: eigentlich noch wichtiger als der Komponist oder Dichter. Ob sie eine gute Technik hatten oder nicht, war ihm dabei reichlich wurscht – und wenn sich dann eben die Sänger in seinen Partien in den Anfangsjahren noch reihenweise in kürzester Zeit um Kopf und Kragen und Stimme sangen, dann war das ja nicht sein Problem. Wagners Idealsänger war insofern vermutlich tatsächlich ein Lauritz-Melchior-Typ, ein Natursänger mit intuitivem Verständnis für die Figuren und einer schier unerschöpflichen Kraftreserve. Die Stimmkultur der französischen Tenorschule war dagegen gar nichts für Wagner, und vor allem mit den Belcanto-Tenören aus Italien wollte er nichts anfangen. Deren mit der Kopfstimme gesungene hohe Töne fand er unmännlich, und überhaupt fand er halt, dass ihre zweifelhafte Kehlfertigkeit das „geistig Energische und tief Leidenschaftliche“ der deutschen Musik nicht ausdrücken konnte. Aber die Italiener hatte es ja auch nicht anders verdient, weil sie ja, wie Wagner fand, „aus Langeweile genussüchtig“ waren. Und doch hat Wagner seine diversen Helden für unterschiedliche Stimmtypen komponiert,- da gibt es eben neben den robusten echten Helden-Partien, die für baritonal klingende Natursänger geschrieben sind, noch die andere Art Wagnertenor. Wagner selbst nannte das „deutschen Belkanto“, und der Tenor, auf den er das gemünzt hat, war tatsächlich ein mit allen Belcanto-Techniken gewaschener „Sänger-Sänger“: Joseph Tichatschek war der Primo Uomo an der Dresdner Oper, er hat das Singen in Italien bei einem Rossini-Tenor gelernt, und er hatte eine leichtere, schlankere Stimme als die späteren Siegfriede und Tristane. Wagner hielt ihn zwar nicht für besonders helle, und ein deplorabler Schauspieler war er wohl jedenfalls, trotzdem - es ist Tichatscheks Gesang, der Wagner im Ohr klingt, als er das hier komponiert:

CD T. 4 5’11 Wagner, , Gralserzählung Klaus Florian Vogt, Orchester der Deutschen Oper Berlin, Peter Schneider Sony 88697944702-1

Er ist der Knabensopran unter den Heldentenören: Als Klaus-Florian Vogt vor ein paar Jahren als Walther von Stolzing in Bayreuth debütierte, da haben noch viele Wagnerianer ihren Ohren nicht getraut – dieses zartlyrische Stimmchen da sollte ein Wagner-Tenor sein? Viele, die auf heldisch gestemmte Töne abonniert waren, haben ihn abgelehnt und ausgelacht, aber Klaus-Florian Vogt hat sich durchgesetzt. Er sieht aus wie eine Mischung aus Jesus und Hansi Hinterseer und hat in seiner Stimme jene Reinheit und Milde, die Wagner für den Lohengrin behauptet – vor allem aber ist er der Beweis für ein Geheimnis der Gesangstechnik: dass eine locker und ohne Druck fließende Stimme, auch wenn sie klein scheint, immer besser zu hören sein wird als ein mit viel Kraft gestemmter Ton. Vogts Stimme trägt außergewöhnlich gut übers Orchester, seine zart geflüsterten Pianissimi hört man genauso wie sein trompetenhaft strahlendes Forte, und auch nach stundenlangem Heldensingen merkt man ihm kaum Anstrengung an – als Lohengrin ist er spätestens seit der letzten Bayreuth-Saison im Walhall der wichtigen Wagnersänger angekommen, auch als Stolzing und Parsifal lässt man ihn sich gefallen – nur als er sich kürzlich in Berlin als Cavaradossi in der „Tosca“ versucht hat, da haben sie ihn ausgebuht. Joseph Tichatschek hat seinerzeit Rienzi und Tannhäuser uraufgeführt, aber vor allem der Lohengrin war für eine Stimme wie seine geschrieben, und es ist immer wieder diese eine Wagner-Partie, an der sich auch die bedeutenden Tenöre aus Frankreich und Italien zuerst versucht haben – meistens ist es dann beim Lohengrin geblieben für sie. Fassen wir mal zusammen: mit Wagners „Musikdramen der Zukunft“ sind die Zeiten für Sänger härter geworden. Vor ihm haben sich die Komponisten an den Möglichkeiten und Stärken der Sänger orientiert – Händel und Mozart, Rossini und Bellini kannten ihre Sänger und schrieben ihnen Arien, die, eben wie Mozart sagte, „wie ein gutgemachts Kleid“ saßen. Bei Wagner und ab Wagner war es umgekehrt: Der Komponist hatte Erwartungen. Er gab ab jetzt den theoretischen und praktischen Anspruch vor, der sich in keiner Weise nach realistischer Leistbarkeit, sondern nur nach seinen Idealvorstellungen und Utopien richtete. Wenn man bedeutende Wagner-Sänger fragt, wie man Wagner überlebt, dann sagen die meisten das Gleiche: Nicht zu früh anfangen damit, und immer auch noch anderes singen – gerade das haben Wagner-Tenöre phasenweise überhaupt nicht beherzigt, Sänger wie René Kollo und Siegfried Jerusalem waren so sehr auf Tristan und Tannhäuser, bzw. Siegfried fixiert, dass ihnen dabei die Stimme abhanden kam. Das war zu einer Zeit, als noch die Regel gegolten hat: Einmal Wagner, immer Wagner. Aber die wenigsten machen das heute noch so – ein Jonas Kaufmann singt an einem Abend Don José in „“, am nächsten Puccini, und wenn er dann am dritten Abend den Wagner-Tenor macht, dann, sagt er, ist er mit dem italienischen Schmelz vom Puccini am Vorabend genau richtig eingestellt für den Lohengrin. So hat das vor ziemlich genau hundert Jahren schon mal einer gemacht, der, zumindest unter Gesangs-Fans, immer noch als d e r Heldentenor des Jahrhunderts neben Lauritz Melchior gilt, dessen Name aber heute nur noch wenigen ein Begriff ist: Jacques Urlus.

http://www.youtube.com/watch?v=tmffis2l6Sg bis 1’30

Wagner, Siegfried, Schmiedelied

Jacques Urlus, geboren in Deutschland, Sohn holländischer Eltern, hat sein halbes Sängerleben darauf hingearbeitet, in Bayreuth auftreten zu dürfen, aber Frau Cosima hat ihn erst mal nicht haben wollen dort – und wenn man ihn hier so Siegfrieds Schmiedeliedchen singen hört, ahnt man, wieso: der Mann sang wie ein Franzos’! Er hat die Spitzentöne der Siegfried-Partie doch tatsächlich hauptsächlich per Kopfstimme genommen, als sei’s eine Rossini-Oper. Jacques Urlus war kein brüllender Tenor-Eber, sondern einer, der noch den rauesten Wagner- Helden Schmelz und Zärtlichkeit abgewinnen konnte. Er sang Wagner mit Belcanto-Stimme, und weil er ohne Drücken und Aufreißen auskam, hat er auch sämtliche Wagner-Partien ohne Schaden überstanden und klang noch mit Mitte sechzig wie ein junger Mann. In Bayreuth hat er natürlich doch noch gesungen, und in Covent Garden und an der Metropolitan Opera und so weiter – allerdings ist er eben nie nur Wagner-Sänger gewesen, und das hat ihn womöglich gerettet. Jacques Urlus sang so diszipliniert, dass er sogar noch den Evangelisten in der Matthäus-Passion machen konnte, er sang Tamino und Don José und Schubert-Lieder – und, natürlich, das hier:

CD T. 7 3’40 , , Holde Aida Jacques Urlus M0060771 014

Das hätte vielleicht auch Giuseppe Verdi gefallen, der ansonsten von deutschen Sängern nicht allzu viel gehalten hat – in einem Interview mit einer deutschen Zeitung hat Verdi gesagt: „Deutsche Sänger geben sich keine Mühe, eine schöne Schattierung in den Gesang zu bringen, ihr ganzes Bestreben ist dahin gerichtet, diese oder jene Note mit großer Kraft hervorzustoßen. Daher ist ihr Gesang kein poetischer Ausdruck der Seele, sondern ein physischer Kampf ihres Körpers.“ Das war im Jahr 1875 – da hatte sich die „deutsche Gesangsschule“ offenbar nicht bloß schon manifestiert, sondern auch schon Feinde gemacht. Nun wird Verdi ja immer als Wagners großer Antipode in Stellung gebracht, und das mit dem Gesang als poetischem Ausdruck der Seele ist natürlich genau das, was man von einem Mann aus der natürlichen Heimat des Gesangs, als die sich Italien immer begriffen hat, erwartet. Tatsache ist aber, dass Verdi seinen Tenören in mehreren Partien ganz ähnliche Kraftakte abverlangt wie Wagner – so wie in Deutschland nach Wagner nichts mehr so wie vorher war in der Oper, so hat Verdi die italienische Oper und den italienischen Operngesang verändert. Als guter Italiener hätte er natürlich nie etwas gegen den Belcanto gesagt, und wo Wagner seine Szenen vom gesprochenen Wort aus entworfen hat, war Verdis Basis bis zum Schluss das Gesungene, die Arie - aber Belcanto reichte eben nicht, um Partien wie den Radames, den Manrico im Troubadour und, vor allem, den Otello zu singen. Und das hat dann im 20. Jahrhundert zum Aufstieg eines bis dahin unter Sängern gar nicht so verbreiteten Typs geführt, zum Aufstieg des Stimmbesitzers, dessen musikalische Intelligenz sich umgekehrt reziprok zu seinen stimmlichen Möglichkeiten verhielt, nach dem Motto: „When in doubt, sing loud.“ – Morgen mehr!

CD Disc I, T. 3 ab 5’07 2’00 Giuseppe Verdi, , Di quella pihihihihihira Franco Corelli EMI 5 85084 2