Zur Geschichte der Malteser-Kommende in Uberlingen 1257-1807

Hermann Scbmid, Überlingen/See

Im Jahr 1048, schon vor dem ersten Kreuzzug dominierten im Orden, ihnen oblag seine Lei­ nach Palästina, erhielten italienische Kaufleute tung. Entgegen dem Usus in den Mönchskom­ vom ägyptischen Kalifen die Erlaubnis, in der munitäten standen die Kleriker an zweiter Stel­ Nähe des Heiligen Grabes zu Jerusalem für die le. In der Frühzeit fungierten sie gewöhnlich als lateinischen Christen eine Bleibe zu errichten. Kapläne in den Hospitälern und Ritterhäusern Bald entstand hieraus ein Hospital, das von Be­ oder standen als Prioren Priesterkonventen vor. nediktinern betreut wurde und in dem kranke Die dienenden Brüder hatten sich im Spital oder Pilger aus dem Abendland Aufnahme und gegebenenfalls als Kriegsknechte zu betäti­ Pflege fanden. Das Hospiz leistete den Kreuz­ gen. fahrern vorzügliche Dienste, wurde reich be­ Der Orden, dessen Angehörige bis ins schenkt und machte sich nach einiger Zeit selb­ 19. Jahrhundert hinein überwiegend aus Süd­ ständig. Mit Rücksicht auf ihre Hauptaufgabe frankreich kamen, spielte in den Kreuzfahrer­ gab sich die Genossenschaft eine eigene Regel staaten eine bedeutende Rolle und hat auch in und Tracht. Ihre neu erbaute Kirche wurde Jo­ der Geschichte des nachreformatorischen Eu­ hannes dem Täufer geweiht, der fortan ihr ropas neben dem Deutschen Orden seinen fe­ Schutzheiliger war. Sie erhielt 1113 die päpstli­ sten Platz. Seine offizielle Bezeichnung war: che Bestätigung. Milites hospitalis S. Joannis Hierosolymitanis, Der erste Meister des Ordens, Raimund du Hospitaliter des hl. Johannes zu Jerusalem. Puy, gab ihm als äußeres Erkennungszeichen Da die Johanniter nach ihrer Vertreibung aus ein achteckiges Kreuz, das sogenannte Malte­ dem Heiligen Land auf der Insel Rhodos ihren ser-Kreuz, das seine Träger an die acht Seligkei­ Hauptsitz nahmen, waren sie den Zeitgenossen ten erinnern sollte. Es hat die Gestaltung der eu­ unter dem Namen „Rhodiser“ geläufig. Analog ropäischen und insbesondere der deutschen trugen sie bis zu ihrem Untergang im Gefolge Orden und Ehrenzeichen auf das Nachhaltigste der Französischen Revolution die Bezeichnung bis in unsere Zeit beeinflußt. Noch das Kriegs­ „Malteser“, nachdem sie, inzwischen zu einer verdienstkreuz von 1939 weist seine Form der bedeutendsten Seemächte des Mittelmeer­ auf. raums aufgestiegen, 1530 vor der türkischen In­ Nach der Eroberung Jerusalems durch die vasion auf die Insel Malta ausgewichen wa­ Kreuzheere traten in die Gemeinschaft der Spi­ ren. talbrüder zunehmend Ritter ein. Es bildete sich Die Verfassung des Ritterordens zeigt in ihrer nach dem Vorbild der Templer allmählich ein vollen Ausbildung ein wohlgeordnetes und Ritterorden heraus, der sich neben dem Spital­ festgefügtes Ganzes, eine Art Adelsrepublik. dienst auch dem Waffendienst zum Schutz der Alle Mitglieder legten die drei gewöhnlichen Pilger verschrieb. Im Laufe der Zeit trat der Mönchsgelübde der Armut, Keuschheit und Krankendienst immer mehr zurück und der des Gehorsams ab, dazu das besondere Votum Kriegsdienst in den Vordergrund. Die Mitglie­ der militia Christi. Die Ritterbrüder waren ver­ der erfuhren eine Einteilung in drei Klassen: bunden, den christlichen Glauben und seine Ritter, Priester und dienende Brüder. Erstere Bekenner mit den Waffen zu schützen, und,

333 von tadellosem Lebenswandel war. Für die er­ ste Klasse war seit der frühen Neuzeit eine zum Teil weitgehende Ahnenprobe vorgeschrie­ ben. Im Verlauf der Kreuzzüge wuchsen dem Orden eine stattliche Anzahl von Mitgliedern und zahlreiche Besitzungen im vorderen Orient und auch im Abendland zu, was seine Aufgliede­ rung in Länder oder „Zungen“ notwendig machte. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun­ derts waren es deren acht: Provence, Auvergne, Frankreich, Italien, Aragon, England, Deutschland und Kastilien mit Portugal. Jeder dieser Zungen oder Nationen stand ein gewähl­ ter Groß Würdenträger vor, der im Verein mit den übrigen unter dem Großmeister an der Lei­ tung und Verwaltung des Ordens teilhatte. Die Zungen waren in Priorate und Balleien einge­ teilt, erstere wiederum in Kommenden oder Komtureien, insgesamt etwa 700 an der Zahl. I Alle wichtigen Dinge wurden vom Generalka­ pitel am Hauptsitz, regionale Angelegenheiten Frühes Kommende-Siegel: SJIGILLUM) DO MUS SA(NCT)lIOHANISI(N) VBERLIGE. Es befindet von den Provinzialkapiteln unter der Leitung sich an einem Kaufbrief vom St. Nikolaustag des Jah­ der Prioren geregelt, die regelmäßig die einzel­ res 1320, gemäß dem ,, wir Bruder Manegold von Nel- nen Kommenden visitierten. Die Einkünfte und lenburg, Commendur des Huses ze Vberlingen sante Ausgaben der Johanniter verwaltete anfänglich Johannes ordens des Hailigen Spitales von Jerusalem das dem Großkomtur unterstehende Schatz­ un. wir die Brüd. gemainlich alle des selben huses“ der Sammlung der armen Leute der Siechen auf dem amt. Weil, dieses Verfahren wegen der Zerstreu­ Berge zu Überlingen die Zinsen in Höhe von drei ung des Besitzes nicht durchgehalten werden Pfund aus 45 Hofstätten rechts des Weges nach Auf- konnte, setzte man später für jedes Ordenshaus kirch oberhalb des alten Dorfes übereigneten gegen eine bestimmte Summe fest, „Kommende“ ge­ Zahlung von 47 Pfund und zehn Schillingen Konstan- zer Münz. Die Pergamenturkunde trägt als zweites nannt, die jährlich an die Zentrale abzuführen Siegel das des Komturs, das die drei Hirschhörner der war. Nellenburger, ein kleines Johanniter-Kreuz und fol­ In Deutschland wurden die Johanniter verhält­ gende Inschrift aufweist: S’(IGILLUM) FR(ATR)IS nismäßig spät heimisch, nämlich nach dem MA(N)E(G)OLDI D(E) NELLE(N)BURGI III. Kreuzzug in den 1190er Jahren. Rückkeh­ (Original im Stadtarchiv Uberlingen). rende Kreuzfahrer machten dem Hospitium in falls diese ruhten, zum ursprünglichen Hospi­ Jerusalem namhafte Schenkungen oder traten taldienst zurückzukehren, die Ordenspriester selbst ein, sei es in Erfüllung eines Gelübdes zur Vornahme aller gottesdienstlichen Verrich­ hinsichtlich der glücklichen Heimkehr, sei es tungen in Krieg und Frieden und zur Besorgung aus Dankbarkeit für Schutz und Pflege. Ein we­ des Almoseniers, das heißt, die Finanzen zu sentlicher Beweggrund war auch, an den reli­ verwalten und Almosen zu verteilen. Die die­ giösen Verdiensten und an den Privilegien der nenden Brüder hatten, wie schon erwähnt, Gemeinschaft teilzuhaben, galten die Ritteror­ Kriegs- und Spitaldienst zu leisten. Aufge­ den doch gemeinhin als die stärksten militäri­ nommen wurde nur, wer ehelich geboren und schen Stützen der Christenheit. Schenkungen in

334 größerem Umfang setzten sich bis zum Ende > des 13. Jahrhunderts fort, so daß zu deren / Verwaltung im Bereich des Oberrheins, Nek- kars und Mains eine regelrechte Gründungs­ welle von Kommenden zwischen 1250 und 1300 stattfand. In diesen Zeitraum fällt auch die Entstehung des Ordenshauses zu Uberlingen, des einzigen am Bodenseeufer, das bis zu seinem Ende dem Großpriorat zu Heitersheim im Breisgau unter­ stellt war. Die früheste urkundliche Erwähnung der Jo­ hanniter stammt von 1257. Gemäß einem nicht näher datierten Schenkungsbrief aus diesem Jahr erhielten sie vom kaiserlichen Kämmerer Heinrich von Bienburg, der kurz darauf die Deutschordens-Kommende zu Altshausen in Oberschwaben gründete, einen Maierhof im Dorf Überlingen (in villa Vberlingen), den die­ ser als Afterlehen von den Grafen Wolfrad von Veringen und Mangold von Nellenburg hatte. Der freigiebige Stifter entschädigte die Vorbe­ sitzer und das Reich, wodurch der Hof von je­ Siegel des Komturs Freiherrn von zu Rhein aus dem der Lehenspflicht frei wurde. Ein weiteres Mal Jahr 1790, zugleich Kanzleisiegel der Kommende traten die Ritterbrüder um diese Zeit in Er­ Überlingen (Original im Generallandesarchiv Karls­ ruhe). scheinung, als sie um 1260 vom Konstanzer Bi­ schof Eberhard von Waldburg das Patronats­ recht zu Goldbach (westlich von Uberlingen) gegen das zu Hagnau eintauschten. Der Aufenthalt in besagtem Anwesen neben der durch das Komturei-Gelände zum Obertor und St. Gallus-Kapelle inmitten anderer Häuser im östlichen Stadtturm führende „Sandgäßle“ zu „Dorf“ scheint ihren Vorstellungen nicht ent­ benutzen. sprochen zu haben. Um 1280 errichteten sie im Das Johanniter-Haus in Uberlingen konsoli­ Nordosten der Stadt auf dem nach ihnen be­ dierte sich rasch. Ein Zeugenkatalog von 1285 nannten „St. Johann-Buckel“ eine Niederlas­ nennt einen Komtur, einen Prior und sechs Rit­ sung mit einer Kapelle. Damit einher ging die ter. Seine materielle Grundlage erweiterte sich Anlegung von Wehrbauten, was zu ersten bis ins 14. Jahrhundert hinein ständig durch schweren Auseinandersetzungen mit den Bür­ Schenkungen seitens adliger Familien aus der gern der Stadt führte, die den Bau einer Zwing­ Umgebung, so unter anderem derer von Ho­ burg vorbereitet sahen. henfels und Bodman und durch Kauf und Kein geringerer als König Rudolf von Habs­ Tausch. burg griff ein um zu schlichten. Im Jahr 1282 Diese Entwicklung wurde erst gebremst durch kam unter seiner Vermittlung ein Vertrag zu­ das Emporkommen des Deutschen Ordens, ge­ stande, dem zufolge die Johanniter ihren Sitz nauer gesagt, seiner Kommende auf der Insel zur Stadt hin nie befestigen durften. Die Ge­ Mainau. Er stand dem Volke näher als die inter­ meinde erhielt auf ewige Zeiten das Recht, das nationalen Hospitaliter und verringerte deren

335 Planentwurf eines Kirchenneubaues zu St. Johann in Überlingen aus den 1730er Jahren (Nordwest-Außenan- sicht). Der Bauplan stimmt mit dem Grundriß von 1810 nicht völlig überein. Gleichwohl wird das 1818 abgeris­ sene Gotteshaus ungefähr dieses Aussehen gehabt haben (Original im Generallandesarchiv Karlsruhe).

Einfluß vielerorts merklich. Bisher eifrige rung desselben zu späterer Zeit langte der Stadt­ Gönner der Johanniter wandten sich mit der fiskus kräftig bei der Steuerveranlagung zu. Zu Zeit ganz den Deutschherren zu. dem schon erwähnten Goldbacher Kirchenpa­ Nicht zuletzt darauf ist die Tatsache zurückzu­ tronat konnte die Kommunität weitere hinzu­ führen, daß die Kommende auf der Mainau die erwerben. Sie behielt schließlich neben der ei­ zu Uberlingen überflügelte. gentlichen Ordenskirche in Uberlingen die Uber den Besitz der letzteren in ihrer Frühzeit Pfarrkirchen im unweit gelegenen Andelshofen können keine genauen Angaben gemacht wer­ und in FFoppetenzell im FFegau. FFospitaldienst den. Fest steht, daß sie über Liegenschaften, haben die Johanniter am Ort nie ausgeübt. Das Rechte und Gefälle in etlichen Orten des oberen mag nicht zuletzt daran gelegen sein, daß hier und unteren Linzgaus und der Landgrafschaft seit 1250 die leistungsfähige Spitalstiftung zum Nellenburg verfügte. Fieiligen Geist bestand, der die Pflege Kranker und Armer oblag. Diese bezog im übrigen zeit­ Die volle Landeshoheit konnten die Ritter nir­ weilig auch von der Kommende St. Johann Un­ gendwo erringen. In Uberlingen selbst standen terstützung. Da bekanntlich in der näheren und sie unter städtischer Hoheit und erhielten neben weiteren Umgebung spätestens seit Carolus dem eingeschränkten Burgrecht das Bürger­ Magnus keine Heiden mehr in Erscheinung tra­ recht erst nach einem langen und zähen Flin und ten, waren den Rittern auch nicht Streifzüge ge­ Fier im Jahre 1359. Gelegentlich der Erneue­ gen solche vergönnt.

336 So hatte das ritterliche Haus zu St. Johann von stadt forderten ihren Tribut. Von 1659 rührt die Anfang an keine andere Zweckbestimmung, als Kunde her, daß eine Feuersbrunst am Platze das Eigentum des Ordens zu mehren, späterhin wütete und schwere Verwüstungen anrichte­ nach Möglichkeiten zu wahren und den te. Grundbesitz bzw. die auf ihm haftenden Rechte Im Jahr 1732/33 wurde das neue Ritterhaus, zu verwalten. Mit dem Nachlassen der Türken­ schön und stattlich, errichtet. In diese Zeit fällt gefahr trat offen die Aufgabe in den Vorder­ auch die Erneuerung der Wirtschaftsgebäude grund, Versorgungsanstalt für nachgeborene und die Modernisierung der Kirche nach dem Söhne des süddeutschen niederen Adels katho­ Geschmack der Zeit, die wie die Gotteshäuser lischer Konfession zu sein. der örtlichen Mendikanten, der Minoriten, Ka­ Gleichgültig, wer der Kommende bis zu ihrem puziner und Franziskanerinnen, keinen eigent­ Untergang oder der Stadt Vorstand: die Nei­ lichen Kirchturm hatte, sondern als Ersatz nur gung zu kleinen Händeln und Prozessen scheint einen Dachreiter mit Zwiebeldach und einer beiden Seiten nie gänzlich abhanden gekommen Glocke. 1774 stattete man das Bethaus mit ei­ zu sein und stellt, nach den Akten zu urteilen, nem Hochaltar zu Ehren des hl. Johannes Bap- eine Konstante in den gegenseitigen Beziehun­ tista und mit zwei Seitenaltären aus, die dem hl. gen über die Jahrhunderte hinweg dar. Kreuz und der Jungfrau Maria geweiht wur­ Uber den baulichen Bestand der Anlage, über den. ihren Grundriß und ihr Äußeres bis 1634, als Die Zeit des Ordens, der dem Europa des der große Schwedensturm über die Stadt her­ 18. Jahrhunderts nicht mehr als ein religiöses, einbrach, können in Ermangelung zuverlässiger sondern als ein rein militärisches Institut galt, Darstellungen überhaupt nur Vermutungen an­ neigte sich ihrem Ende zu, in Uberlingen wie gestellt werden. Auch das Anschauungsmate­ anderswo. Er ging im Zusammenhang mit der rial folgender Zeiten ist ungenau und wider­ radikalen Umwandlung der deutschen Land­ sprüchlich. Soweit erkennbar, entfaltete die karte als einer Folge der Französischen Revolu­ Komturei weder äußere noch innere Pracht und tion zu Beginn des letzten Jahrhunderts un­ die bauliche Entwicklung bis zum Ende des ter. 18. Jahrhunderts spiegelt eher das schrump­ Der Annexion der Reichsstadt Überlingen fende Vermögen wider - gegenüber den 1802/03 und der Malteser-Besitzungen am Bo­ schwerreichen Reichsstiftern am See erreichte densee 1805/06 durch das Haus Baden verdan­ der Besitz des Malteser ohnehin nur beschei­ ken wir ausführliche Unterlagen und damit die dene Ausmaße. Da die Gegend dem römischen genaue Kenntnis der damaligen Verhältnisse. Glauben erhalten blieb, erlitten sie unmittelbar Als im Herbst 1802, nachdem die Entscheidung durch die Reformation keine Verluste. Gleich­ über das Schicksal der geistlichen Stände und wohl mußten sie in deren Gefolge einen merkli­ der Reichsstädte am Reichsdeputationstag in chen Rückschritt erleben wegen der verminder­ Regensburg gefallen war, sich die Erbfürsten, ten Spendefreudigkeit von Adel und Bürger­ mit einer Entschädigung für ihre an Frankreich tum. Einbußen brachte selbstredend der Drei­ abgetretenen linksrheinischen Besitzungen be­ ßigjährige Krieg mit sich. Beim Angriff des Ge­ dacht, anschickten, eben diese zu besetzen, er­ nerals Horn auf Uberlingen im Frühsommer schien auch eine badische Abordnung im west­ 1634 lagen die Kommende und der sie flankie­ lichen Bodenseegebiet. Sie nahm für den Mark­ rende, rechtzeitig vorher verstärkte und heute grafen Karl Friedrich unter anderem das Hoch­ noch stehende St. Johann-Turm in der Haupt­ stift , die Reichsabteien Salem und Pe­ kampflinie. Auch der Überfall württember- tershausen und die Reichsstädte Überlingen, gischer und französicher Truppen 1643 und die Pfullendorf und Biberach in Besitz. Um sich nachfolgende Be- und Entsetzung der Reichs­ über Zustand und Beschaffenheit dieser Erwer­

337 .< > ' : ,,Bauakkord“ bezüglich der Wirtschaftsgebäude der Malteser-Niederlassungaus den 1730er Jahren mit der Be­ rechnung der einzelnen Handwerkerleistungen. Die Planskizze zeigt den geplanten Neubau von der Hofinnen­ seite (Original im Generallandesarchiv Karlsruhe).

bungen Klarheit zu verschaffen, ließen sich die Mit dem siegreichen Ausgang des III. Koali­ Kommissare von jeder Ortsobrigkeit zu den tionskrieges im Spätherbst 1805 für Frankreich jeweiligen kirchlichen, politischen und ökono­ und seine Verbündeten - unter diesen Baden, mischen Verhältnissen Statistiken erstellen. Der Württemberg und Bayern - änderte sich die Uberlinger Magistrat bemerkte zu derTrage, ob Lage schlagartig. Unter Zugzwang gesetzt geistliche oder weltliche Herrschaften Gebäude durch den württembergischen Kurfürsten im Ort hätten und wozu diese dienten, lapidar: Friedrich, ließ auch Karl Friedrich von Baden „Die Johanniter-Commende liegt auch in den noch vor Unterzeichnung des Preßburger Frie­ Ringmauern der Stadt und enthält die Wohnung dens in den letzten Tagen des Jahres alle Besit­ des jeweiligen Commandeurs und dessen zungen der Reichsritter und Ritterorden inner­ Amtmanns nebst einer Kirche, Torkel, Scheuer halb und an den Grenzen seiner Lande in Be­ und Stallungen“. Außerdem wurde mitgeteilt, schlag nehmen. Am Bodensee waren dies unter daß sie in der städtischen Gemarkung nicht un­ anderem die Kommenden Mainau und Uber­ beträchtliche Reb-, Acker- und Wiesenflächen lingen mit ihren Zugehörden. In Überlingen hatte und im Gebiet von Goldbach und Brün- nahm diesen Akt der kurfürstliche Obervogt nensbach den Weinzehnten allein bezog. Da das v. Chrismar am 17. Dezember vor. Der Kom­ Ordenshaus in Uberlingen, wie erwähnt, keine tur Franz Thaddäus Freiherr v. Ulm zu Lan­ eigentlichen Hoheitsrechte hatte, die Johanni­ genstein protestierte in Ansehung des Unver­ ter im übrigen ob ihrer militärischen Verdienste meidlichen und der tatsächlichen Machverhält- vom Reichsdeputationshauptschluß vom nisse nur schwach und beschränkte sich darauf, 25. Februar 1803 ausdrücklich bestätigt wur­ auf die vom zuständigen Großprior in Heiters- den, berührte sie der Übergang von Stadt und heim, dem Freiherrn Ignaz Rink v. Balden- Landschaft an Baden weiter nicht. stein, gemachten Rechtsverwahrungen zu ver­ weisen. In der Tat handelte es sich um einen mäß der Rheinischen Bundesakte vom 12. Juli nackten Gewaltstreich. Eine Rechtsgrundlage 1806. Zwar war die Ordensniederlassung Über­ für die Maßnahme, auch wenn sie als „proviso­ lingen namentlich in den Traktaten nicht ge­ risch“ deklariert war, gab es nicht. Im folgen­ nannt. Die badische Regierung ließ jedoch kei­ den fand auch die Besitznahme von Andelsho­ nen Zweifel daran, daß sie alle Ritterordensgü­ fen und des Hagenweilers statt, wo die Malteser ter zu behalten gedachte, ungeachtet der Inter­ die niedere Gerichtsbarkeit ausübten. Dagegen ventionen des bayrischen Königs Max Joseph scheiterte Entsprechendes imNiedergerichtsbe- zugunsten der Malteser. Sonderliche Eile mit zirk Hoppetenzell am Widerstand des K.u.K. der „Organisation“ der Kommenden und der vorderösterreichischen Kreisamtes in . Pensionierung deren Vorsteher legte man nicht Man mußte es mit einer Benachrichtigung des an den Tag. dortigen Verwalters gut sein lassen. Baden griff In Uberlingen vereinnahmte bis ins Jahr 1807 in die inneren Verhältnisse der Kommende bis Freiherr v. Ulm, assistiert von seinem Verwal­ auf weiteres nicht ein, weil es keinen Besitztitel ter Balthasar Germann und einigen Gesindleu- hatte. ten, die Geld- und Naturalbezüge des Ritter­ Im Falle des Deutschherren-Sitzes auf der hauses, durfte allerdings nichts mehr an die Or­ Mainau schuf der Preßburger Friede Klarheit: er denskasse in Heitersheim abführen. Im April ging an Baden. Desgleichen das Malteser- dieses Jahres erfolgte endlich die Inventur des Großpriorat und Fürstentum Pleitersheim ge­ Vermögens durch den Staat. Die Schätzung al-

Grundriß der ehemaligen Malteser-Kommende aus dem Jahr 1810. 'Wenige Jahre später fiel die Kirche dem Un­ verstand der Zeit zum Opfer. Abgebrochen wurden auch die Ökonomiegebäude und der Holzschopf (Original im GLA Karlsruhe).

339 Das ehemalige Malteser-Haus zwischen dem St. Johann-Turm und dem 1880 eingestürzten Oberen Tor in Überlingen - von Norden gesehen (Aquarell von Karl Neser, Überlingen; im Besitz des Verfassers).

340 ler Liegenschaften im Badischen, darunter ein 26. September 1807 beendete das Finanzdepar­ Wirtshaus mit Taferngerechtigkeit in Andels­ tement in Karlsruhe auf Geheiß des Großher­ hofen, ein Rebgut in Altheim, Felder und Wäl­ zogs formell die Verwaltung und Nutznießung der, die zum größten Teil auf fünf und mehr der Kommende-Güter durch den Komman­ Jahre verpachtet waren, und Erb- und Schupf- deur, nachdem sie schon am 17. Juli 1806 pro­ lehen, belief sich auf nahezu 122 000 fl. Die visorisch dem landesherrlichen Obervogteiamt Fahrnisse und Kapitalbriefe waren nicht mehr am Ort unterstellt worden waren, pensionierte als 3500 fl wert. Der Schuldenstand betrug denselben und übernahm den Verwalter und die 3000 fl. Er rührte vom letzten Krieg her. Die Domestiken in Staatsdienste. Den Säkularkleri­ Reineinkünfte betrugen nach Abzug der Lasten ker Durcht, sowohl Pfarrer in Andelshofen wie und Löhne 3000 fl im Jahr. (Zum Vergleich: auch an der Kirche zu St. Johann, der nach An­ Das Dominikanerinnen-Kloster zu Meersburg, sicht der Regierung vom Orden nicht standes­ das zu dieser Zeit als einer der wohlhabendsten gemäß ausgestattet gewesen war, vertröstete Mendikantenkonvente des Bodenseegebiets man hinsichtlich einer besseren Versorgung ebenfalls in die Verfügungsgewalt Badens kam, bzw. Stelle auf spätere Zeiten. verfügte über eine Vermögensmasse von rund Damit hatte diese Niederlassung der Malteser 100 000 fl). nach einem 550jährigen Bestand unwiderruflich Da das Pfarrdorf Hoppetenzell als Bestandteil ihr Ende gefunden. Freiherr v. Ulm blieb am Vorderösterreichs durch den Preßburger Frie­ Ort. Er starb am 13. Juli 1813. Das Andenken den an Württemberg gekommen war, wurde an ihn war in der Einwohnerschaft so stark ver­ diese Besitzung getrennt aufgeführt. Die Malte­ wurzelt, daß noch ein halbes Jahrhundert später ser hatten hier einen Verwalter (zugleich J ustiz- das St. Johann-Schloß gemeinhin als Ulm’sches beamter) und eine sehr beschränkte Niederge­ Haus bezeichnet wurde. richtsbarkeit gehabt, ferner alle Güter als Erb- Das großherzogliche Domänenärar, das die Ei­ lehen, eine Zehntscheuer und den Pfarrhof. Das genbewirtschaftung der verstreuten Liegen­ Gesamtvermögen im Württembergischen schaften scheute, trennte sich noch 1807 mittels schätzte die badische Provinzregierung in Versteigerung von einem guten Teil derselben. Meersburg auf etwas mehr als 34 000 fl, die Die Gerichtsbarkeit über Andelshofen ging Reineinkünfte auf 1650 fl. endgültig an die Landesherrschaft über, und die Abgesichert durch die Rheinbundakte, ver­ Bauern hatten von nun an ihre Abgaben ihr zu langte der Komtur zu Uberlingen, falls ihm die leisten. Noch einige Jahre blieb die merkwür­ Revenuen der Kommende entzogen würden, dige Regelung aufrecht erhalten, daß diese ihre eine Jahrespension von 2500 fl an Geld sowie Trauben im Kommende-Torkel pressen lassen einige Naturaldeputate, freie Wohnung und mußten. Gartennutzung. Er ließ durchblicken, daß er Das Pfarrdorf Hoppetenzell fiel Ende 1810 im seitens Badens mit einem Jahresbetrag von Rahmen eines Staatsvertrages an Baden. 1100 fl zufrieden wäre, da ihm der König von Die Abkehr des Ritterordens von seiner ur­ Württemberg die Hoppetenzeller Einkünfte bis sprünglichen Verfassung und Aufgabenstellung zu seinem Lebensende garantiert hatte, v. Ulm, und seine allmähliche Verweltlichung, die sich der 28 Jahre unter österreichischen Fahnen ge­ zwangsläufig durch den Vorrang der ritterli­ dient, dann wegen schweren Verwundungen chen Laien vor den Priestern einstellen mußte, quittiert und um die Jahrhundertwende in zeigt das Personal des Überlinger Hauses um Uberlingen die Nachfolge des Komturs Frei­ 1800 beispielhaft auf: außer dem Komtur, der herrn von zu Rhein angetreten hatte, stand bei ein Leben lang Soldat gewesen war, nur ein den badischen Behörden in gutem Ansehen. weltlicher Verwalter, einige Bedienstete und ein Seinem Wunsch wurde stattgegeben. Unterm weltlicher Pfarrvikar, der über sein schlechtes

341 Auskommen klagte. Zudem machen die Erhe­ machen, wozu sich in jüngerer Zeit schon ein­ bungen der badischen Fiskalisten den Vermö­ mal die Gelegenheit geboten hätte. gensverfall des Ritterhauses seit dem ausgehen­ den Mittelalter deutlich. Einen standesgemäßen Unterhalt für eine Kommunität, wie sie gegen Ende des 13. Jahrhunderts am Ort bestanden A n m erku n g: hatte, wäre die Kommende um 1800 zu leisten Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte nicht mehr im Stande gewesen. Hand in Hand der Johanniter-/Malteser-Kommende in Überlingen mit ihrer Entwicklung zum reinen Adelsspital aus unserem Jahrhundert existiert nicht. Da wir über läßt sich eine Minderung des Besitzes und der deren Frühzeit verhältnismäßig gut durch die Urkun­ materiellen Leistungsfähigkeit beobachten, die denpublikationen Roth v. Schreckensteins unterrich­ nicht von ungefähr kam und - im Vergleich zu tet sind, sieht sich der Verfasser veranlaßt, im Vorgriff auf eine eingehende Untersuchung des Endes der Rit­ vorreformatorischen Zeiten - überhaupt nur terorden in Baden den letzten Jahren dieses Ordens­ noch die Erfüllung bescheidener Aufgaben er­ hauses vermehrte Aufmerksamkeit zuteil werden zu laubte. lassen. An Archivalien wurden benutzt: Nach dem Tod v. Ulms war die Komturei frei 1. Aktenstücke des Stadtarchivs Uberlingen, die Jo­ hanniter am Ort betreffend. verfügbar. Sie nahm die landesherrliche Forst­ 2. Aktenstücke des Generallandesarchivs in Karlsru­ inspektion und einen Angehörigen der Domä­ he, und zwar der Abteilungen 48 (Großherzogliches nenverwaltung auf. Der mehrgeschossige Spei­ Haus- und Staatsarchiv III. Staatssachen), 225 (Akten cher diente zur Aufbewahrung der dem Staat Uberlingen Stadt), 229 (Spezialakten der kleineren zustehenden Lehensgefälle und war wegen sei­ Ämter und Städte und der Landgemeinden), 237 (Fi­ nanzministerium), 314 (Verwaltungshof) und 391 ner seenahen Lage geschätzt, da das Korn ohne (Forst- und Domänendirektion). großen Aufwand verschifft werden konnte. Gedruckte Quellen und Literatur: Im Jahr 1818 erfuhr die Anlage einen schweren 1. Baumann, F. L., Die Territorien des Seekreises Eingriff in ihre Bausubstanz. Die Kirche, schon 1800, (Badische Neujahrsblätter, hgg. v. d. Bad. Hist. Kommission, 4), Karlsruhe 1894. seit einem Jahrzehnt, weil „ohne Nutzen“, ge­ 2. Rödel, W. G., Das Großpriorat Deutschland des schlossen, wurde abgebrochen, desgleichen die Johanniter-Ordens im Übergang vom Mittelalter zur südlich vom Haupthaus befindlichen Ökono­ Reformation, Köln2 1972. miegebäude. Auf der frei gewordenen Fläche 3. Schmid, H.a) Die Säkularisation der Ordenshäu­ und dem an die Kirche angrenzenden Friedhof ser in Überlingen in den Jahren 1803-1820, in: Schrr VG Bodensee 94/1976, S. 69ff. legte man einen schönen Park an. b) Die Säkularisation der Klöster in Baden (Diss. In den 1830er Jahren trennte sich der Großher­ phil. Freiburg 1977), Teil 1, in: FDA 98/1978. zog von diesem Besitz, den er zuvor durch den 4. Schreckenstein, K. H. Frhr. Roth v., Die Johanni­ Zuerwerb des Turms und zweier der Stadt ge­ ter (Maltheser) Commende in Uberlingen, in: ZGO 29/1877, S. 129ff. u. 32/1880, S. 167ff. hörenden Schanzen noch arrondiert hatte. Seit­ 5. Staiger, X., Die Stadt Ueberlingen am Bodensee her befindet sich die ehemalige Kommende zu sonst und jetzt mit ihrem Bade und ihrer nächsten St. Johann, äußerlich weitgehend unverändert, Umgebung, Uberlingen 1859. im Eigentum Privater. Sie prägt die Silhouette 6. Stengele, B., Linzgovia Sacra, Beiträge zur Ge­ Alt-Uberlingens entscheidend mit und von ih­ schichte der ehemaligen Klöster und Wallfahrtsorte des jetzigen Landkapitels , Uberlingen rem Park aus bietet sich heute wie früher die 1887. schönste Aussicht auf Stadt und See. Versuche 7. Telle, W ., Die Uberlinger Befestigungen, in: Schrr in jüngster Zeit, das Areal durch kommerziell VG Bodensee 54/1926, S. 142ff. zu nutzende Neubauten zu verunstalten, konn­ 8. Wetzer und Welte, Kirchenlexikon, Bd. 6, Frei­ burg2 1889, Art. Johanniter. ten einstweilen abgewehrt werden. Bleibt zu 9. Wienand, A. (Hg.), Der Johanniter-Orden. Der hoffen, daß es eines Tages die öffentliche Hand Malteser-Orden. Der ritterliche Orden des hl. Jo­ erwirbt, um es der Allgemeinheit zugänglich zu hannes vom Spital zu Jerusalem, Köln 1970.

342 Stadt Allensbach Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen Stadtwerdung und Stadtentwicklung

Julius Boltze, Allensbach

Um 998 verlieh Kaiser Otto III. dem Abt Ala- Zürich wesentliche Haltepunkte für die Deut­ wich II. das Markt- und Münzrecht für Allens­ schen Könige auf ihren Italienzügen, bis der bach, das einen Donnerstag-Wochenmarkt ge­ königliche Reiseweg zum Brenner über Augs­ stattete und das Recht, reines Silber zu münzen. burg verlegt wurde. Dieses Markt- und Münzrecht wurde wenig ge­ Typisch für den Markt im 11. Jahrhundert ist nutzt. Es kann also nur von einem Marktflecken Allensbach. Nicht der Handel stand im Vor­ Allensbach und nicht von einer Stadt gespro­ dergrund; er war schon zuvor möglich. Auch chen werden. So sah es aus, als Abt Ekkehard der rechtliche Schutz der Kaufleute gegen Be­ von der Reichenau in der heute noch erhaltenen raubung brauchte nicht neu bescheinigt zu wer­ Urkunde vom 2. Mai 1075 das Allensbacher den; er war schon vorhanden. Der Marktfriede Markt- und Münzrecht1* erneuerte. Der Rei- hatte den Sinn, den den Markt besuchenden chenauer Abt war Marktherr, und der Markt­ Kaufleuten für die Dauer des Marktes einen friede wurde in der Urkunde gesichert. rechtlichen Spielraum zu sichern, wobei die all­ Bereits 947 hatte Kaiser Otto I. St. Gallen für gemeine Rechtsordnung zu Gunsten der kauf­ Rorschach durch königliches Privileg Markt- männischen Entwicklung des Marktes durch und Münzrecht verliehen, da dies für die Ita­ Königsprivileg durchbrochen wurde. Das be­ lienfahrer günstig und für das Kloster erforder­ deutete den Schutz der Kaufleute vor markt­ lich war. Die Einnahmen aus Markt und Münze herrlichen Beamten, so wie dies in den damals kamen der Abtei zugute. Dies war die älteste wenigen großen Städten war. Für all die Leute, Verleihung am Bodensee vor derjenigen von Al­ die ihre Waren z.B. Schweine, Eier, Obst, lensbach, und Rorschach entwickelte sich so Wein, Sicheln usw. zum Markte brachten, zur Stadt. 999 erhielt Graf Berthold, ein Vor­ wurde ein Geleitfriede verbrieft, ausdrücklich fahr der Zähringer, das königliche Marktprivi­ wie in den Städten Mainz, Worms und Kon­ leg für Villingen. stanz. Das Friedensbanngebiet war genau be­ Die eigentlichen Anfänge des Städtewesens in zeichnet und reichte soweit, wie der Marktbann unserem Raume liegen sonst im 11. und reichte. Selbstverständlich war auch der Markt­ 12. Jahrhundert, wo es sich anders entwickelte zoll eine Einnahmequelle der Abtei. als im Raume Rhone-Italien und im Raume Der Allensbacher Marktbezirk auf dem Fest­ Flandern-Niederrhein. lande fiel zusammen mit dem Ortsetter. Die Die mittelalterliche Bedeutung der Märkte des Kaufleute unterstanden dem Marktrecht. Da­ Bodenseeraumes lag einmal in der Wichtigkeit neben waren die Bauern, die dem Hofrecht, der Bündnerpässe bis zur Öffnung des Gott­ d.h. dem Recht des Grundherrn, hier dem hardpasses (1220er Jahre), dann in den Ver­ Recht des Abtes, unterstanden. „Die Bewoh­ kehrswegen in Richtung Osten (Bayern), Nor­ ner von Allensbach setzten sich aus den Höri­ den und Westen (Straßburg, Basel) sowie in der gen des Klosters, die Acker- und Rebbau und infolge des Verfalls der Landstraßen zuneh­ wohl auch die Schiffahrt betrieben, und aus den menden Wichtigkeit der Wasserwege (See). Zu­ Marktinsassen, Ackerbürgern, Handwerkern, dem waren im 10. Jahrhundert Konstanz und Krämern und Fischern zusammen.“2) Das Al-

343 lensbacher Marktgericht, nach dem Muster von Gepräge. Erst 1240 erhielt Radolfzell das Konstanz und Basel, war strafrechtlich zustän­ Münzrecht. Das war eine neue Verleihung und dig für Diebstahl, Raub, Bedrohung, Körper­ keine Verlegung des Ailensbacher Münzrechts verletzung, Hausfriedensbruch usw., und zivil­ nach Radolfzell. (Es ist mit Recht darauf hin­ rechtlich war es zuständig für Streitfälle in gewiesen worden, daß Freiburg in der Tradition Handelssachen, Preisüberwachung und Prü­ der Marktgründungen von Allensbach 1075 fung der Waren. Der Reichenauer Abt dachte und Radolfzell 1100 steht und daß auch Schaff­ sicher an den Erfolg seines Vaters, des Grafen hausen in diese Reihe zu gehören scheint.“5' Burkard v. Nellenburg, mit dessen Schaffung Vom Tage der Verleihung eines Marktrechtes von Markt und Münze zu Schaffhausen 1045, an müssen wir, falls der eigentliche Zweck der als er das Aliensbacher Markt- und Münzrecht Marktgründung ernstlich angestrebt und 1075 erneuerte. Offenbar wollte er auch die Selbstverwaltung vorhanden ist, von einer Stadt Überschüsse an Naturalien absetzen, die als sprechen. Dies soll für Allensbach bewiesen Steuerabgaben der Abtei zugeflossen waren, werden. Allensbachs Marktrecht war von An­ ohne daß andere Märkte den Rahm (Zollzah­ fang an mit dem Münzrecht verbunden. Erst im lungen) abschöpfen konnten. 12. Jahrhundert ist eine kaufmännische Bür­ Auch der 1075 erneuerte Ailensbacher Markt gergemeinde eine der Voraussetzungen der erfüllte die Erwartungen nicht, so daß 25 Jahre Stadteigenschaft. In diesen Zeiten gibt es noch später daneben im Jahre 1100, also zum keine Stadtrechtsverleihungen. Man kann nur 12. Jahrhundert, der Weiler Radolfzell zum von einer Stadtwerdung sprechen. Albert6' er­ Markt ohne Münzrecht erhoben wurde.3' Abt kennt Radolfzells Stadtwerdung erst 1267 nach Ulrich bestimmte ein Stück Land um die vor­ Einverleibung des Keil- oder Fronhofes, der handene Fronhofkirche als Friedensbannge­ damaligen Burg, an. biet. Maßnahmen, die im Ailensbacher Markt­ Im Hochmittelalter waren gelegentlich auch recht sich nicht bewährt hatten, wurden erleich­ reine Dörfer umwallt, jedoch ist eine Stadt ohne tert. Zum Radolfzeller Marktrecht gehört im Befestigung in der damaligen Zeit kaum denk­ Gegensatz zu Allensbach, wo die Kaufleute bar. Die Bezeichnung „oppidum“ für Allens­ nicht seßhaft zu sein brauchten, eine direkte bach in der Urkunde 1075 besagt, daß eine Befe­ Siedlung für Kaufleute, die Grundlage für ein stigung vorhanden war. Mit diesem Worte be- bürgerliches Gemeinwesen. Gleichzeitig zeigen zeichnete man sowohl Städte wie auch befe­ sich Ansätze einer ständischen Vertretung der stigte Märkte. Hierbei konnte es sich um eine Kaufleute gegenüber dem Marktherrn. Umwehrung, um Wall und Graben mit oder Sicher ist das Ailensbacher Münzrecht vor 1075 ohne Pallisadenwerk (Tüllen), handeln. Fe­ nicht ausgeübt worden. Münzen späterer Zeit stungseingänge (Tore) waren bewehrt. Auch wurden bisher wohl nicht gefunden. „Schöttle, eine Ummauerung ist denkbar. Drohte einer Das Münz- und Geldwesen der Bodenseege­ befestigten Ortschaft die Gefahr eines Über­ genden im 13. Jahrhundert (Numismatische falls, so wurden die Wälle mit Pallisaden verse­ Zeitschrift 1909 S. 196f.), legt die Halbbraktea- hen. Nur mit Wall und Graben nebst gemauer­ ten mit Buchstaben A aus dem Fund von Steck­ ten Stadttoren ausgerüstet waren z.B. in der born nach Allensbach, die Dannenberg und Mitte des 13. Jahrhunderts die Bodenseestädte Roller nach St. Gallen bzw. nach Konstanz Arbon und Gottlieben, noch anfangs des weisen.“ (Auskunft Dr. F. Wielandt), Die in 14. Jahrhunderts Steckborn. Für Villingen der Urkunde von 14894) genannte „Aliensba­ wurde 1119 die Befestigungsanlage in einheitli­ cher Währung“ bedeutet lediglich die damals cher Form in Bau genommen. gängige Münze. Das waren vorwiegend ober- Noch heute kann man feststellen, daß beim Bau schwäbisch-konstanzische und schweizerische mancher Häuser in Allensbach Trümmerwak-

344 ken verwendet wurden, die möglicherweise von men, hat man sie von der Reichenau aus erkannt irgendeiner Befestigung stammen. Die Ur­ und hat gleich Alarm gegeben . . .“ Somit ha­ kunde von 1075 beschreibt das Friedensbann­ ben wir am Stadtgraben im Osten ebenfalls eine gebiet des alten Marktes: „Die Grenzen dieses Mauer. Bereichs laufen im Osten dort, wo der Wald Weber nennt folgende die Stadttore betreffende zum Azenhus hinüber reicht (also etwa am heu­ Flurnamen: Das „Resthelins Thor“ / vor 1400, tigen Mühlbach), im Süden in der Mitte des „Bei dem Oberthor“ /1461 (beim heutigen Sees, im Westen an der Mauer (murus caenolen- „Adler“) mit Zugbrücke „vor der tus) in Richtung nach (ad) Husen liegend, im Prug“ /1520. (Heute noch heißt der Ortsteil Norden beim Bächlein Swarzanbach (heutiger zwischen Gasthaus Adler und Holzgasse Stadtgraben)Somit haben wir im Westen eine „Bruck“). Die Seetorgasse ist 1718 erwähnt. Mauer etwa beim heutigen „Adler“, wo vor Der Stadtgraben führt heute noch diesen Na­ Jahren noch der Stadtgraben war, die schon vor men. 1075 bestand und erneuert werden mußte, Gal­ 1545 schreibt Johannes Stumpf in seiner lus Zembroth schildert in seiner Chronik7* Schweizer Chronik (II, Bl. 68b): „ein gar alts 1640: „Sie haben den Flecken von dem Tor zu stättle Almanspach / yetzt Alenspach / ge- hür (im Original undeutlich geschrieben, wohl nennt“ - Bald darauf schreibt der Konstanzer Flurname) auf dem Graben herum bis über Chronist Gregor M angold : „In dieser gelägen- Ammanns Haus, hinter dem Hause des seligen heit ligt ein zergangens stättlin Almanspach / so Bürgermeisters Harder und dem Frühmeßhaus man yetz nennet Alanspach / von deren das hinab gegen den See zu verschanzt und eine sprüchwort Alanspach die statt / Ulm das zweifach mit Schanzpfählen besetzte Brustwehr Dorff: (nämlich eines der vier Dörfer des „hai- errichtet. Die Tore haben sie mit Schranken, ligen Richs“) item das dorff Almansdorff / wel­ Schlagbäumen und Gattern versehen . . .“ che baide von den Alemannis / so sich dasselbst 1640 ging die Verteidigung in diesem Falle nach nidergelassen / jren namen habend.“ - Wohl in Westen. Somit ergibt sich folgende Reihenfolge Anlehnung an diese Schilderung schreibt M at­ der Aufzählung: vom Tor zu hür = Resthelins thäus Merlan 1643: „Almanspach / von theils Thor, unterhalb des bisherigen Postamtes, am Alenspach genant / ein gar altes / aber nun fast nördlichen Stadtgraben entlang von Ost nach zergangenes Stättlin / am Bodensee / zwischen West hinter dem Hause des Ammanns, dann Rattolffszell / und Constantz gelegen.“ In der dem Hause des Bürgermeisters Harder und dem Ausgabe von 1667 aber schreibt M erlan : „A l­ Frühmeßhaus. Von dort ging die Befestigung menspach / jetzt Alenspach / und Alendorff / etwa im rechten Winkel nach Süden am Stadt­ ist ein gar altes / aber nun zergangenes Stättlin / graben entlang, wo 1075 die Mauer bei Husen am Bodensee.“ - Ein Schaffhauser berichtete genannt ist, an den See. Das Frühmeßhaus muß 1781 von seiner Reise: „Nachmittags Alle­ an der Ecke Nord-West ebenfalls zur Verteidi­ mensbach, ehemals ein Städtlein.“ - 1813 gung eingerichtet gewesen sein. Noch vor eini­ schrieb J. B. K olb in seinem Lexicon von dem gen Jahren zeigte das Haus Radolfzellerstra- Großherzogtum Baden: „In älteren Zeiten war ße 10 an einem Vorbau eine Armbrustschieß­ Allensbach eine Stadt, und noch jetzt sind die scharte. (Armbrustscharten ca. 1200-ca. 1430). Stadttore als Überbleibsel davon sichtbar.“ — Somit haben wir die Befestigung im Norden C. L. Fecht schrieb 1820: ,,. . . Allensbach, und Westen belegt. Im Süden bot wohl der See einem hart am Untersee gelegenen ansehnlichen Schutz (von früheren Mauerresten wird er­ Dorfe, das früher eine Stadt war, wovon die zählt), und es bleibt nur noch der Osten offen. Überbleibsel der Stadttore noch jetzt sichtbar Zembroth schreibt 1642: „Als sie aber über die sind.“ - Gustav Schwab schrieb 1840: „soll Schießmauer und vor den Flecken hinauska­ früher eine Stadt gewesen seyn, von der man

345 noch Überbleibsel der Thore sieht.“ - In E ugen ausgebrochene Investiturstreit, unter dem das H uhn, Das Großherzogtum Baden, Karlsruhe Städtchen sehr zu leiden hatte, und die Hun­ 1841 steht: „aber gewiß war es schon früher gersnot 1146. Der Krebsschaden lag im Markt­ blühend, und ein Marktflecken, der mit Mauern recht von 1075 selbst. 3 mal im Jahre durften je und Thoren umgeben war, wovon man noch 14 Tage lang kein Wein und keine sonstige heute Überreste sieht . . . Daß Allensbach frü­ Ware verkauft werden, bis die Abtei ihren her eine Stadt war, darauf deutet auch der Um­ Weinvorrat etc. verkauft hatte. Dies war durch stand hin, daß noch der Graben oberhalb des strengste Strafandrohungen gesichert. Da aber Ortes „Stadtgraben“ genannt wird.“ - C. W. die Allensbacher überwiegend Winzer waren, Schnars schreibt 1856: „es soll früher ein Städt­ Winzer und Ackerbauern nicht Kaufleute wer­ chen gewesen seyn, dessen Thorüberreste noch den durften, und auswärtige Händler von den in schwachen Spuren vorhanden.“ — In seinem Märkten Konstanz und nach 1100 Radolfzell Führer durch die Stadt Konstanz und deren angezogen wurden, war der Bedarf gedeckt, oft Umgebung schrieb 1864 J. M arm or: „Allens­ bevor die Allensbacher ihre Erzeugnisse anbie­ bach, altes Dorf, Eisenbahnstation, früher ten konnten. Außerdem war ja vorwiegend die Städtchen, mit theilweise noch sichtbaren örtliche Bevölkerung zum Markte zugelassen, Ringmauern.“ - Fr. H. C. Staiger, Die Insel und eine bäuerliche Ortschaft des 11. Jahrhun­ Reichenau im Untersee, berichtete 1874 „A l­ derts war nicht in der Lage, einen lebensfähigen lensbach war nämlich schon seit längerer Zeit Markt mit Verkehrswegen zu gestalten. Aus­ eine Stadt. Mehrere Urkunden im Stadtarchiv wärtiges Kapital konnte so kaum herangezogen Konstanz nennen sie Stadt; auch kommt ein werden. Bestimmungen über die Erbfolge der Stadtammann Hans Gogel zu Allensbach vor. Kinder von Marktgenossen fehlten. Dazu be­ Er schrieb sich von Gewalts wegen des Abts Jo­ stimmten die Vorschriften zur „Erbschafts­ hann ,Stadtammann zu Allenspach“.“ - In sei­ steuer“ von 1397, ein Einwohner, „der nit nen Urkunden-Auszügen zur Geschichte der nachjagenden Herren hätt“, solle der Abtei Stadt Konstanz schrieb J. M arm or 1875: fallpflichtig werden, sofern er nicht innerhalb „Noch im 19. Jahrhundert war es mit einer Jahr und Tag von seinem Herrn zurückgefor­ Mauer umschlossen und hatte ein Thor.“ - dert wird. So sind wohl auch noch nach dem Diese Zitatenreihe könnte bis zur Gegenwart Sprichwort „Luft macht eigen“ (d.h. Stadtluft fortgesetzt werden, bis zum Grieben-Reisefüh- macht leibeigen) aus Freien Leibeigene gewor­ rer und zum Handbuch der Historischen Stät­ den. Somit konnte aus den Ortsansässigen kein ten Deutschlands, Band VI: Baden-Württem­ lebensfähiger Kaufmannstand entstehen, und berg. Allensbach ist das Beispiel dafür, wie wenig Es steht also fest, daß Allensbach schon von man die neuen sozialen, wirtschaftlichen und Anfang an als Markt und Stadt mit Befestigun­ politischen Gegebenheiten des endenden gen (hauptsächlich Mauern) umgeben war und 11. Jahrhunderts einzuschätzen wußte, was 3 Stadttore hatte. Seine schnelle Einnahme im schon daraus ersichtlich ist, daß die Abtei nicht Bauernkrieg 1525 ist kein Beweis für eine unzu­ wie die Zähringer und etwas weniger die Stau­ reichende Befestigung. fer, die Weberei als besonders wichtig erkannte Tatsache ist, daß der Allensbacher Markt nie und deren Erzeugnisse für den Markt heran­ eine bedeutende kaufmännische Rolle spielte. zog. Natürlich waren die Konkurrenz des Marktes Trotzdem war Allensbach Stadt. Schon um 724 von Konstanz und ab 1100 die von Radolfzell, hatte es Karl Martell St. Pirmin tatsächlich als sowie das geringe Hinterland auf dem Bodan- Fährstützpunkt geschenkt. Hier sammelten rück großenteils daran schuld. Äußere Ereig­ sich die Zehntgüter (weshalb auch eine Befesti­ nisse waren weiterhin von Einfluß, so der 1075 gung sein mußte) und hier war der wichtige

346 Durchgangsplatz für zahlreiche hohe geistliche Die Länge des befestigten Gebietes betrug ca. und weltliche Würdenträger für die weithin we­ 360 m und die Breite ca. 120 m. Die außerhalb sentliche Abtei. Diesen Zweck erfüllte Allens­ Wohnenden retteten sich in Notzeiten in die bach vollständig. Es lag an der Durchgangs­ Befestigung. „Die Anlage des Städtchens ge­ straße „von Rom und Venedig über Vorarlberg schah in der üblichen Weise. Zu beiden Seiten und den Bodensee nach dem Herzen Deutsch­ der verbreiterten Landstraße, die als Markt lands.“8* Gewiß hat sich der Ailensbacher diente, standen geschlossen gebaut die Häu­ Markt nie zu einer kaufmännischen Blüte ent­ ser . . .Seit dem 15. Jahrhundert stand die Kir­ wickelt, doch blieb er am Leben, die Befesti­ che, von der heute noch der untere Teil des gungen waren vorhanden und ebenso eine Turmes bis zum Achteck erhalten ist, als Be­ Selbstverwaltung. schluß des Marktes auf der Nordseite des Entscheidend ist auch, daß in Urkunden die Be­ Kirchhofes. Seewärts ging eine Gasse zur Fäh­ zeichnung als Stadt tatsächlich laufend vor­ re“9*. Im Stadtinneren sind nach Weber die kommt. Flurnamen „am Markht,,/1480, und das „Rät- 1163 tritt ein Ammann als Marktrichter auf, hus,,/1478 und 1480, sowie „der Turn,,/1351, 1240 war einFridericus miles scultetus erwähnt, der nach seinem Bewohner Ammann Federlin der 1257 Minister genannt wird. 1343 nimmt „Vederlins thurn,,/1502 genannt wurde. An Abt Eberhard ein Darlehen von 700 Mark Sil­ dasselbe Bauwerk, das in heutigem Sprachge­ ber auf und verpfändet Städte, darunter Allens­ brauch die Dienstwohnung hoher Beamter der bach. 1372 und 1381 ist ein Stadtammann ge­ Abtei war, erinnern die Flurnamen „Burgak- nannt, während „der Stadt Allensbach Leut ker,,/1468 und ,,Burgberg,,/l 544. und Güter“ 1380 schon für 4080 Pfund Heller Vermutlich befand sich auch die Rats- oder versetzt worden waren. 1399 erscheint wieder Stadtschule, die also mindestens bis zur Zeit der die Bezeichnung „oppidum“ . 1428 erscheint selbständigen Pfarrei Allensbach eine städtische ein „Stattaman“ , der 1445 eine Stiftung für den und nicht eine kirchliche Einrichtung war, im von der Bürgerschaft gewählten Frühmesser zu Stadtinnern. In ihr wurde auch Cicero gelesen, Allensbach mit seinem Siegel beurkundet. In und namhafte Beamte sind im Laufe der Jahr­ Urkunden von 1430, 1474,1478, 1479 und 1489 hunderte aus ihr hervorgegangen. - Das Spital ist von einem Stadtammann zu Allensbach die lag ursprünglich ganz nahe am See, so daß sein Rede. Anläßlich der Trennung Allensbachs von Zutritt bei Hochwasser erschwert war. Dazu der Pfarrei Niederzell verfügt Abt Johannes, gehörte noch im 16. Jahrhundert ein Anwesen daß „aus Kappel in unserer Stadt Allensbach mit Haus und Torkel, die aber verbrannten, eine eigene Pfarrei aufgerichtet“ wird. Eine U r­ und deren Trümmer 1567 von der Gemeinde kunde von 14894) nennt den Stadtammann und verkauft wurden. einen geschworenen Stadtknecht. 1520 wird Weiter befand sich im Stadtinnern im 15. und vom Bürgermeister und der Stadt Allensbach 16. Jahrhundert eines der beiden Gefängnisse berichtet. Am 22. 5. 1525 meldet der Überlin- der Abtei, hauptsächlich für Untersuchungsge­ ger Rat seinem Bürgermeister Hans Freybur­ fangene, das 1544 als das „hochfürstliche Ge­ ger, daß die aufständischen Bauern das „stättlin fängnis zu Allensbach“ bezeichnet wurde. - In Alienspach eingenommen“ haben, und Urkun­ der Stadt wirkten ein heilkundiger Bader (ehr­ den des 17. Jahrhunderts beginnen mit: „Wir samer Meister) und später ein geprüfter Arzt. Amann, Bürgermeister und Rat der Stadt Al­ Die 1640 niedergerissene Badstube befand sich lensbach tun kund . . . -W eber nennt die Flur­ wohl auch in der Stadt. Lange Zeit war das namen „der Stadtberg,,/1477, „ob der Wahrzeichen wohl die St. Nikolauskirche aus Stadt,,/1502, „vor der Statt,,/1540 und „am al­ der Zeit von ca. 1300, deren als Wehrturm mit ten Stattgraben,,71578. Schießscharten versehener viereckiger, goti­

347 scher Turmbau mit seinem aus Findlingen er­ Die Stadt wurde geleitet von einem Ammann richteten Fundament im unteren Teil erhalten der Abtei und später des Fürstbischofs von geblieben ist. Ursprünglich hatte er ein Sattel­ Konstanz. Das Amt des Stadtpflegers und Ge­ dach. In seinem untersten Stockwerk befand meinderechners wurde von 2 Bürgermeistern sich wohl der Hochaltar. 1602 nahm die Stadt versehen, die es abwechselnd, jeder ein Jahr beim Konstanzer Bürgermeister Christoph lang, betreuten. Ein Stadtsiegel war nicht vor­ Labhardt 300 Gulden auf zur Ausbesserung handen. Der Ammann untersiegelte mit seinem und zum Ausbau des Kirchturms. In dieser Zeit Privatsiegel. mag die durch das Gemälde im Münster der Wie schon geschildert, war die kaufmännische Reichenau und einem alten Stich, sowie durch Entwicklung des Allensbacher Marktes nicht die Schilderung des Gallus Zembroth (1633) bedeutend und ließ zum 30jähr. Krieg zu immer bekannte schlanke Pyramide (hoher Helm) auf mehr nach. Schulte10' kann nur einen Kauf­ den Kirchturm, der eine Uhr hatte, gekommen mann nachweisen, der 1288 mit Wein handelte sein. Schon vor Selbständigwerden der Pfarrei und ein Streitroß verkaufte. Man muß aber be­ Allensbach stand die St. Nikolauskirche im denken, daß Urkunden ja oft eben nur das auf­ Mittelpunkte des religiösen Lebens, was das zeichnen, was aus dem Rahmen des Alltags fällt häufige Auftreten des Vornamens Nikolaus im und daß der vorstehend nachgewiesene Markt 14. Jahrhundert beweist. Nebenorte des Kirch­ eben doch bestanden hat. Der Hauptgewerbe­ spiels waren: Kappel, Kaltbrunn, Hegne, zweig war zweifellos der Weinbau. Brotge­ Harddorf, Mundlishalden (beim Gemeinmer­ treide mußte zur Ergänzung der eigenen Pro­ kerhof), Storchenhof, Totenmühle, Hinter­ duktion von auswärts bezogen werden. homberg und Türrain. Zu Beginn des 16. Jahr­ Schweinezucht und Rindviehzucht waren ge­ hunderts, sind 2 Priester im Amt. - Natürlich ring. Schuld daran war die Futterknappheit. befanden sich weiterhin im Städtchen das Pfarr­ Man benutzte auch Wiesen außerhalb der Ge­ haus, das Rathaus und wohl auch ein Frauen­ markung, weil die Allensbacher Gelände für kloster. Torkel beherrschten das Ortsbild. den erträglicheren Weinbau verwendet wurden. Außerhalb der Befestigung befanden sich vor - Daß die landwirtschaftlichen Einkünfte - hier allem die Lehensgüter Kapplerhof, Hof (ge­ Weinbau - die entscheidende Einnahmequelle nannt 1491) und die Mühlen. 1360 sind 2 Höfe war, ist für die Stadteigenschaft unschädlich. So im Hafner genannt und 1382 der Egenhof zwi­ zählten beispielsweise in der Stadt Colmar noch schen Eichelrain und Buchrain in einem Kalt­ im 16. Jahrhundert die Zünfte der Ackerleute, brunner Zinsbuche. Auch außerhalb der Befe­ Rebleute und Gärtner zusammen mehr Mit­ stigung standen Torkelgebäude. Besondere Be­ glieder als alle übrigen Zünfte zusammen. Jahr­ deutung hatte das 1771 eingestürzte und nicht hunderte lang war der Weinbau in der Stadt wieder aufgebaute Kappler Kirchlein, das mög­ Uberlingen Haupterwerbszweig. licherweise aus der Karolinger Zeit stammt, und in dessen Umgebung sich schon früh ein Fried­ Mit dem Verfall der Festungswerke ging im hof befand. - Wegen der Ansteckungsgefahr Mittelalter in der Regel die Stadteigenschaft ver­ der Lepra (= Aussatz) war das Leprosenhaus loren. Wann dies endgültig in Allensbach der ganz abgesondert an der Straße nach Konstanz Fall war, läßt sich kaum nachweisen. Zweifellos und mag einen eigenen Friedhof gehabt haben. bestand die Befestigung in irgendeiner Form Da die Insel Reichenau Gottesland war, durften sehr lange. Der endgültige Niedergang der Ab­ dort keine Hinrichtungen stattfinden. Der Gal­ tei Reichenau liegt in der Zeit zwischen gen stand für die Verurteilten auf dem heute 1300-1400, und 1486 wird Allensbach eigene noch so genannten Galgenacker im Osten von Pfarrei, doch sind vorstehend soviele Merkmale Allensbach. der Stadteigenschaft aufgezeigt worden, daß

348 Allensbach als Städtchen zweifellos auch später aber die erhoffte Wirtschaftsbedeutung hat der bestanden hat. 1525 werden im Bauernkrieg Ort nicht erlangen können.“ wohl die Befestigungen zerstört, doch müssen Das alte Stadtrecht blieb nicht vergessen. Al­ sie wieder aufgebaut worden sein, sonst könn­ lensbachs Bürgermeister Schühle erbat 1851 ten sie später nicht immer wieder genannt wer­ vom Großherzog Leopold von Baden die Er­ den, und außerdem wird die Bezeichnung neuerung des Rechtes. Es ist kein Wunder, daß „Stadt“ laufend weiter verwendet. Die Einglie­ dieser Antrag abgelehnt wurde, war doch Al­ derung des Gebietes der Abtei Reichenau mit lensbach in der Revolution 1848/49 im Kampfe Allensbach in das Fürstbistum Konstanz für die Demokratie führend gewesen am Unter­ könnte das Ende der Stadteigenschaft bedeuten, see und hatte die erste Volkserhebung 1848 wenn nicht nach ihrem Datum 1540 ein städti­ praktisch ermöglicht, weil es den Versuch, im sches Gepräge erhalten geblieben wäre. So ent­ Rücken der ausrückenden Freischaren die Re­ hält das Gemeindearchiv eine ausführliche ei­ volution rückgängig zu machen, durch seine gene Gewerbeordnung von 154911*. Gerade Energie verhinderte.13* So wurde nicht die alte diese Gewerbeordnung dokumentiert eine Stadteigenschaft wieder zum Leben erweckt, Selbstverwaltung des Städtchens im 16. Jahr­ sondern lediglich 1853 ein ziemlich wertloses hundert, wie ihre Einleitung zeigt: „Zuwissen Viehmarktrecht bewilligt. Bis weit in die zweite menigklich, des uff mentag nach sandt Mathys Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein wurde nach des hailgenn zwölffpottenn tag von Christi un­ den Unterlagen der Archivverwaltung immer seres Herrn geburt funffzehenhundert unnd jm vom Bürgermeister zu Allensbach, doch nie newn und viertzigisten jare durch Aman Bur- vom Bürgermeister der Gemeinde Allensbach germaister und Ratt zuo Alennspach diß nach- gesprochen. geschribenn Satzungen unnd Ordnung, wie diß In seinem vorzüglichen Führer „Untersee und buch Innhalt, gemacht und gesetzt habenn, Hochrhein zwischen Konstanz und Schaffhau­ . . . Diß alles wie hienach steet, ist uff Sontag sen“ schrieb 1971 Kreisarchivar Dr. Franz der Heren vasnacht in obernenten jare ainer Götz: „Allensbach, der einstmals königlich gantzen gemaind fürgelest und ereffnet wor­ privilegierte Markt der Abtei Reichenau, hat den.“ Diese Gewerbeordnung nennt in ihrer wieder städtischen Charakter erlangt; die Vor­ „Satzung der vischer“ auch ausdrücklich den aussetzungen für die bereits beantragte offi­ Markt, der also noch in Betrieb war: „Item zielle Wiederverleihung des Rechtes zur Füh­ wann auch ain burger kompt, er und ain vischer rung der Bezeichnung Stadt sind vorhanden.“ die visch verkaufft oder ainer zu margkt tragen Das würdige und historische Stadtrecht, das will, unnd noch im schiff hat, sol kainem umb einst lediglich verschüttet wurde, sollte in sei­ bar gelt visch versagt werden, auchbj peenöfl,“ nem geschichtlichen Wert als Kompensation (peen = Gerichtsstrafe). 1539 war bereits die mit der vielleicht zu klein erscheinenden Ein­ Allensbacher Siechenhausordnung in Kraft ge­ wohnerzahl genügen. treten. Zwischen 1612 und 1656 kam die Schüt­ zenordnung und 1629 die Schulordnung. Un­ Anmerkungen möglich kann also das Stadtrecht entzogen 11 Original General-Landesarchiv Karlsruhe, Selekt worden sein. Es dauerte bis in den 30jährigen der ältesten Urkunden C 4 - Lateinische Wiedergabe: Krieg hinein, wo es durch die schweren Kriegs­ Keutgen E., Urkunden zur Stadt. Verfassungsge­ schäden verschüttet wurde. — Schlesinger12* er­ schichte, Berlin 1899, S. 61/62. kennt das Allensbacher Stadtrecht ausdrücklich 2* M otz, a. a. O ., S. 2. 3* Urkunde s. Albert a.a.O ., S. 39/40. an mit den Worten:, .Allensbach ist zwar später 4* Original Germ. Nationalmuseum, Photokopie zeitweise wirklich Stadt gewesen, wie die Stadtarchiv Konstanz B ll (Veröffentlicht Jahresbe­ neuere lokalhistorische Forschung gezeigt hat, richt/Allensbacher Almanach, Nr. 2/1951, S. 3).

349 51 Schlesinger, Markt a.a.O ., S. 285. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 6) Albert a.a.O ., S. 543. und seiner Umgebung, 91. Heft, Friedrichshafen 7) Original General-Landesarchiv Karlsruhe — Wie­ 1973 — Küntzel, G., Zur Erklärung der Marktprivile­ dergabe im alten Wortlaut: Mone, F. J.: Quellen­ gien von Radolfzell und Allensbach, ZGO, sammlung der badischen Landesgeschichte, 3. Band, N. F. VIII — Marmor, J., Urkunden-Auszüge zur Karlsruhe 1863 — Abschrift des alten Wortlauts mit Geschichte der Stadt Konstanz, Schriften des Boden- Einleitung und Fußnoten: Weber, K. a. a. O. — Über­ see-Geschichtsvereins, 1875-M etz, W ., Marktrecht­ tragung in heutiges Deutsch (bearbeitet und mit einer familie u. Kaufmannsfriede in ottonisch-salischer Einleitung versehen von J. Boltze): Zembroth, G., Zeit, Blätter für deutsche Landesgeschichte, Allensbach im Dreißigjährigen Krieg, Allensbach 108. Jahr, Göttingen 1972 — Motz, P., Allensbach in 1952. historischen Berichten, AA 14 - Motz, P., Entste­ 8) Alben a.a.O., S. 21. hung und Geschichte von Allensbach, Konstanz wohl 9) Motz a.a.O., S. 3. Gräber sind um die Kirche 1925 (Privatdruck), und Bodensee-Chronik 1928/19 festgestellt worden. D.V. — Scheidt, W ., Alemannische Bauern in reichenaui- 10' Schulte a.a.O ., S. 153, Fußnote 2. schen Herrschaftsgebieten am Bodensee, Jena 1931 - Original Gemeindearchiv Allensbach - Wieder­ Schlesinger, W ., Der Markt als Frühform der deut­ gabe im alten Wortlaut: Schwarz a.a.O ., S. 71 ff. schen Stadt, Vor- und Frühformen der europäischen [2) Schlesinger, Forum a.a.O ., S. 430. Stadt im Mittelalter, Teil I, Göttingen 1973 - Schle­ 13* Diesbach a.a.O . singer, W., FORUM, VILLA FORI, IUS FORI, Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungs­ Literatur (AA = Ailensbacher Almanach): Al­ geschichte des Mittelalters, Göttingen 1961 - Schle­ bert, P., Geschichte der Stadt Radolfzell, Radolfzell singer, W ., Zur Gründungsgeschichte der Stadt Frei­ 1896 - Beyerle, K., Die Kultur der Abtei Reichenau, burg, in Müller, W ., Freiburg im Mittelalter, Bühl München 1925-Boltze, J., Allensbach, Das Dorf am 1970 - Schnars, C. W ., Der Bodensee und seine Um­ See, Allensbach 1951 - Boltze, J., Kurze Bau- und gebung, Augsburg 1856-Schulte, A., Über Reichen­ Wirtschaftsgeschichte Allensbachs von den Anfängen auer Städtegründungen, ZGO, N. F. V - bis 1967, AA 18 - Borchers, H., Untersuchungen Schwab, G., Der Bodensee nebst dem Rheintale, zur Geschichte des Marktwesens im Bodenseeraum Stuttgart-Tübingen 1840-Schwarz B., Ailensbacher (bis zum 12. Jh.), ZGO, 104. Bd., Karlsruhe 1956 — Zinsen und Satzungen im 16. Jh., Schriften des Ver­ Deutsche Gaue, Kaufbeuren 1936, S. 39ff. - Dies­ eins für Geschichte des Bodensees u. seiner Umge­ bach, A., Allensbach am 13. und am 16. April 1848, bung, 52. Heft, Lindau 1923 - Semmler, A., Abriß AA 19 — Feger, O., Auf dem Weg vom Markt zur der Geschichte der Stadt Überlingen, Uberlingen Stadt - Untersuchungen zu den ältesten Marktrechten 1953 - Semmler, A., Überlingen, 1949 - Sie­ des Bodenseeraumes (ZGO, 106. Bd., 1. Heft, ben, L., die Gründung des Marktes in Allensbach, Karlsruhe 1858) - Feger, O., Das älteste Freiburger Bodensee-Chronik 1950/4-Sittler, L., AmWegeder Stadtrecht im Rahmen der südwestdeutschen Städ­ Jahrhunderte, Kolmar o. J. - Städt. Institut für Land­ teentwicklung, Schau-ins-Land, 81. Jahresheft, schaftskunde des Bodenseegebietes, Protokoll über Freiburg 1963 - Feger, O., Märkte und Marktrechte die Arbeitssitzung: „Frühe Marktverfassungen im im Bodenseeraum, Westfälische Forschungen, Bodenseegebiet“, Konstanz 1951 - Staiger, Fr. 15. Bd., Köln 1962 - Föhrenbach, K., Reichenauer X. C., Die Insel Reichenau im Untersee, Konstanz Städtegründungen im 10. und 11. Jahrhundert. Bo­ 1874 - Weber, K., Ausarbeitungen im Gemeindear­ densee-Chronik 1938/7 - Handbuch der Histori­ chiv Allensbach - Weiner, O., Allensbach in alten schen Stätten Deutschlands, Bd. VI: Baden-Würt­ Reiseberichten, AA 13 - Wielandt, F., Münz- und temberg, Stuttgart 1965 - Kirchgässner, B., Struktur­ Geldgeschichte des Bodenseegebietes, Ein Überblick, fragen von Handel und Verkehr im Mittelalter, Schweizer Münzblätter 15/1955, Heft 60.

350 Eine ,,Beschreibung des Bodensees“ vor bald 200 Jahren

Helmut Bender, Freiburg

„Bey Johann Conrad Wohler“ erschien 1783 Um möglichst aufwandlos und preisgünstig er­ zu „Ulm und Lindau“ die „Beschreibung des scheinen zu können, konstatiert der Anonymus Bodensees nach seinem verschiednen Zustande weiterhin: „Da auch Zeichnungen von unserm in den altern und neuern Zeiten“. Zur Begrün­ See in allen großem und kleinern Karten, die in dung heißt es da u.a. im „Vorbericht“: „Da diesem Jahrhunderte von Schwaben und der bisher noch keine ausführliche Beschreibung Schweitz herausgegeben worden, Vorkommen, des Bodensees bekannt geworden ist, ohnerach- so hielt man es um so überflüssiger, dieser Be­ tet von den benachbarten helvetischen Seen schreibung eine neue Zeichnung beyzufügen, schon im vorigen Jahrhunderte verschiedne sol­ da von demselben noch überdieß in dem Seute- cher Beschreibungen zum Vorscheine gekom­ rischen Landkarten und Kunstverlage zu Augs- men sind . . . so gab dies dem Verfasser des ge­ purg eine besondre Karte verfertigt worden, die genwärtigen Traktats . . . Anlaß . . . eine sol­ die Liebhaber . . . sich um einen geringen Ko­ che Beschreibung nicht nur zu versprechen, sten leicht anschaffen können.“ sondern auch auszuarbeiten.“ Der Autor, des­ Interessant alsdann der „Rückgriff“ aufs dama­ sen Name nirgends im vorliegenden Band ge­ lige zeitgenössische Antiquariat: „Es ist zwar nannt, kommt in diesem Zusammenhang auf bereits 1675 eine andre besondre Zeich­ eine „vollständige Staats- und Erdbeschreibung nung . . . unter der Aufschrift: Lacus bodami- des Schwäbischen Kreises“ zu sprechen, und er cus der Bodensee A. A. S. T. dedicata Joanni fährt fort: „Es wurde indessen bey weiterer Comiti de Montfort erschienen . . . Sie ist aber Ueberlegung für rathsamer erachtet, diese Be­ heut zu Tage selten rrifehr zu haben!“ schreibung besonders herauszugeben, um eines Als vom Verfasser „nicht unerhebliche Fra­ Theils den Liebhabern den Ankauf zu erleich­ gen . . . in den neuern Zeiten“ werden attraktiv tern . . . und auch dieses in einem desto gerin­ hervorgekehrt: „ 1) Wem die landesherrliche gem Preise liefern zu können.“ Daraus zu erse­ Floheit über diesen See heut zu Tage zukomme? hen, daß bereits in damaliger Zeit der Bodensee und 2) welche besondre Rechte die an demsel­ und seine ihn umgebenden Landschaften vom ben gelegnen Stände und Ortschaften für sich „Reisepublikum“ sehr beliebt und gefragt selbst daran besitzen? . . . auch den vormaligen war! und jetzigen Zustand der Schiffahrt und Fische- Der Verfasser bemüht sich, sein CEuvre so rey ausführlicher . . . zu beschreiben.“ knapp wie möglich (praktisch im Format eines Das Geschichtsbewußtsein des Verfassers wird frühen Baedekers) zu gestalten: „Damit . . . in den letzten Passagen des insgesamt acht Sei­ diese Beschreibung nicht zu weitläufig ausfallen ten umfassenden „Vorberichtes“ tapfer her­ möchte, so wurde für gut angesehen, die an die­ vorgekehrt, weder sollen die „Schicksale . . . sem See gelegenen Orte nach ihren verschied­ der helvetischen Landschaften“ zu kurz kom­ nen Lagen zwar genau, jedoch um so mehr nur men noch soll „die Beschreibung des sogenann­ kurz anzuzeigen, da man von denselben fast in ten Schwabenkrieges . . . übergangen werden“ allen neuern geographischen Werken . . . eine - hier wird sogar, „wenn die gegenwärtige Be­ ausführliche Nachricht findet.“ schreibung, wie er hofft, eine geneigte Auf­ nähme finden sollte“, eine „verbesserte Ge­ nau / Sernatingen [das heutige Ludwigshafen] / schichte von Schwaben“ in Aussicht gestellt! Ueberlingen / Meers- oder Mörsburg / Buch­ Mit einiger Sicherheit ist als Verfasser unseres horn [das heutige Friedrichshafen] / Langenar­ Bodenseebandes derselbe D. Hünlin zu nen­ gen / Kreßbrunn / Wasserburg / Lindau). nen, der 1780 (im Selbstverlag) eine „Neue und Wählen wir daraus einmal Langenargen: vollständige Staats- und Erdbeschreibung des ,,. . .2 Stunden von Buchhorn entfernt . . . Schwäbischen Kreises“ (in 2 Bänden) herausge­ das nächst bey demselben auf einer kleinen Insel geben hatte. in dem See gelegene Schloß Argen wurde 1332 Dem „Vorbericht“ folgt der „Innhalt“; wir ge­ von Graf Wilhelm von Montfort erbauet . . .“. ben ihn auszugsweise wieder: „Erstes Kapitel. Oder am Untersee: „Fernerhin lieget gegen die Nachricht von den mancherley Namen des Bo­ schwäbische Seite Hegnen und denselben gegen densees, dessen ersten Anwohnern und den über auf einer Insel die ehemahlige Benedictiner jetzo an demselben gelegnen Städten, Klöstern, Abtey Reichenau, es soll sich noch ein ansehnli­ Flecken und Dörffern. - Zweytes Kapitel. Von cher Bücherschaz hier befinden.“ Das Glanz­ der landesherrlichen Floheit . . . - Drittes Ka­ stück dieses 1. Kap. besteht in einer Gedicht­ pitel. Von der anmuthigen Aussicht . . . an der einfügung (über zwei S.) zu Ehren des „Vatter schwäbischen Seite, wie auch der Schiffahrt und Rhein“ (Verf. J. J. Bodmer, t 1783). Fischerey . . .-Viertes Kapitel. Nachricht von Das 2. Kap. setzt mit der Frage ein, „ob die den denkwürdigsten Begebenheiten . . . - Meere und deren Gebrauch wie andere Sachen Fünftes Kapitel. Anmerkungen über den Zu­ die nach dem Völkerrecht gemein sind, einer stand der Kultur, Industrie und Gewerbe . . . Oberherrschaft fähig seyen . . .“ Und die Ant­ wie auch von der Zu- und Abnahme der Schiff­ wort darauf: ,,. . . so wird auch insgemein ein fahrt . . - Der Band umfaßt (nebst dem Theil eines Sees so weit zu einer an derselben ge­ „Vorbericht“) 213 S. (S. 214 verzeichnet zwei legenen Land- oder Herrschaft gerechnet, als gute Dutzend Errata, leider ohne Register). ihr Gebiet sich an dessen Ufern hin erstrek- S. 1-23 (1. Kap.) setzt sich vor allem mit den ket . . es folgen hier ein gutes Dutzend verschiedenen Namensgebungen des Sees aus­ Rechtsableitungen, vom Fischfang bis zur Ju­ einander. So werden u.a. behandelt: Lacus risdiktion und von der Vogeljagd bis zur Schiff­ Rheni oder Rheinsee / Lacus brigantinus oder fahrt. Der Rivalität des Hauses Österreich und Bregenzer See / Lacus Acronius (z. Zt. des rö­ des Fürststiftes St. Gallen sowie der Stellung der mischen Kaisers Claudius!) / Lacus Moestus Reichsstadt Lindau werden besondere Ab­ (nach dem Stamm der Moesier, von denen Kon­ schnitte in diesem Kap. gewidmet. stanz erbaut worden sei!) / Lacus Constantien- Hübsch nimmt sich das 3. Kap. aus, erst ist von sis / Lacus Bodamicus oder Bodmansee. den verschiedenen Fischsorten des Sees ausgie­ Zwischendurch erfährt man diese und jene auf­ big die Rede (etwa Rheinlanken / Hechte / schlußreichen Angaben, so etwa die Jahre, in Schleyen / Aele / Brachsmen), alsdann kommt denen „dieser See zum öftern ganz . . . über- es zu einigen Vergleichen mit dem Zürichsee, frohren sey . . . 1076 / 1077 / 1277 / 1325 / der Verf. läßt sich über Sitten und Gebräuche 1379 / 1435 / 1437 / 1497 / 1565 / 1571 / seiner Anwohner aus (z.B. „So ergözet sich 1573". Danach werden die einzelnen an den auch dasige Musikgesellschaft, wie auch die Ge­ Ufern des Bodensees angesiedelten Volks­ sellschaft der Feuerwerker zum öftern auf die­ stämme zitiert und beschrieben (Rhätier / Hel­ sem See; da sich dann die erstere mit ihrer vetier / Vindelicier[= Schwaben]), es folgt eine Jnstrumental- und Vocalmusic mit einer beson- Kurzcharakteristik wichtiger Orte (u. a. Bre­ dern Lieblichkeit hören lasset; die leztere aber genz / Rorschach / Arbon / Rommishorn / bey Tage in Abfeurung der Stucken, bey Creuzlingen / Costanz / Steckbohren / Mei- Nachtzeit aber in Loßbrennung schöner Feu-

352 I

erwerke sich zu üben pfleget.“) Des weitern: Heinrich der 3te hielt verschiedne Reichstäge zu „Neben dem dient dieser See auch den Betag­ Costanz . . . Da aber sein unmündiger Nach­ ten, die wegen Beschwehrlichkeit ihres Al­ folger Heinrich der 4te zwar eine der langwie­ terns . . . mit einem geringen Kosten zu Wasser rigsten aber unglücklichsten Regierungen . . . dahin zu fahren. - Nicht zu gedenken der gro­ hatte, zumal da er auch von dem P. Gregor den ßen Lustbahrkeit, so auch dieser See der Jugend 7ten auf den Tod verfolgt wurde . . . Es zeigte zu Uebung im Schwimmen verschaffet, welche Rudolph [von Habsburg] seine vermeintliche Kunst hier sehr werth gehalten und weit getrie­ kaiserl. Autorität auch in Bestellung oder Abse- ben wird.“ Eine Reihe von Parallelen zu heuti­ zung der Bischöffe von Costanz . . .“). Im fol­ ger Reisewerbung gibt sich ganz ohne unser genden ist der Stadt und dem Kloster St. Gallen Dazutun: ,,. . . so kann doch das schöne an- reichlich Raum gegönnt, danach geht der Verf. muthige Geländ bey hellem Wetter auf beyden mehr chronikalisch und gewissermaßen anhand Seiten und die daran befindliche Städte, Klö­ eines Jahresregisters vor (etwa: „Im Jahr 1414. ster, Flecken, Schlösser, Dörffer, Landgüter, wurde endlich die in der Geschichte so be­ Weinberge u.s.w . sowohl und gemächlich be­ rühmte Kirchenversammlung zu Costanz ge­ schauet werden, daß man alsdann bey einer sol­ halten, deren vornehmste Handlungen in der chen entzückenden Augenweyde nicht weißt, Absezung der damaligen 3 Päbsten und Erwäh­ nach welcher Gegend man sich vorzüglich lung Martin des 5ten, Verbrennung Johann wenden solle; so sehr verursachet die reizende Hussens und Hieronynmi von Prag, wegen Lage des umliegenden Landes dem Schiffahren­ standhafter Behauptung ihrer Lehrsäze . . . be­ den die angenehmste Empfindungen . . .“, hier stand.“). Oder: „1488. kam der schwäbische werden abermals einige Verse des „belobten Bund zustande; welcher anfangs sich nur auf die Herrn Bodmers“ wiedergegeben: „Der Schif­ Vereinigung der Stände in Schwaben erstrecken fer, der an Schwabens fruchtbahren Ufern / sollte . . . K. Maximilian wollte endlich noch Den Bodensee mit leichten Kähnen bese­ einen Versuch gegen die Eydsgenossen mit de­ gelt . . .“ Aber: „Der prächtigste Anblick an nen ihm noch ergebnen Völkern wagen . . .“ der schwäbischen Seite des Sees ist ohne Zweifel Mehr und mehr fließt dem Verfasser nunmehr derjenige, den die gegen über mit ewigem auch wieder Naturgeschehen und rein Chroni- Schnee bedeckte Berge bey dem Untergang der kales mit ein: „1540. War wieder ein so heisser Sonne geben; diese Pracht kann von keiner Sommer, daß das Wasser in demselben theurer menschlichen Hand geschildert noch beschrie­ als der Wein wurde; die Wälder geriethen wie­ ben werden . . . Der hohe Sentis ist der höch­ der solchermassen in Brand, daß man sie nicht ste; der Tieffe dessen Schnees beträgt viele Klaf­ löschen konnte . . .“ Mitunter verfährt unser ter . . - Nach nochmaligen Detaillierungen Verfasser auch recht summarisch, so etwa „Daß über Fischerei und Fischereirechte kommt der auch die leidige Pest an den öftern Theurungen Verf. auch wieder auf die Schiffahrt zu spre­ und Hungersnöthen . . . Schuld gehabt . . . chen: „Die gröste Schiffe auf diesem See wer­ daß man oft nur in der Eydgenossenschaft, in den allein in den Städten Lindau und Bregenz einem halben Tag 40 biß 50. starke Mann- und geladen, und zwar bis nach Stein an dem Rhein, Weibspersonen auf den Kirchhöfen zusammen und nach Schaffhausen . . . Die grössere Schif­ in grosse Gruben schichtenweise geworffen. fen tragen überhaupt eine Last von 2000. Cent- Die Leute flüchteten auf hohe Berge . . .“. ner . . .“ Oder: „Bald darauf folgte wegen dem Unter­ Das 4. Kap. ist das Geschichtskapitel, relativ schied der Religionen der 30jährige Kriegsjam­ breit ist von den Römern, Galliern und „Alle- mer . . .“ (es werden hier Einzelheiten belager­ maniern“ die Rede, es folgt die Kaiserzeit des ter Städte am See gegeben, ähnlich auch hin­ frühen und hohen Mittelalters (u.a. „Kaiser sichtlich des Spanischen sowie des österreichi-

353 sehen Erbfolgekrieges: mit dem Jahr 1744 lich aber auch von der „Jndustrie“, von deren schließt das 4. Kap. abrupt). Ausgangspunkten, etwa dem „Leinwandge- Im letzten (5.) Kap. versucht der Verfasser kul­ werb“ des „benachbarten St. Gallen“. Immer turgeschichtlich vorzugehen. Er gelangt freilich wieder versteht es der Verfasser, allgemein Be­ nicht über die Römerzeit und die Römerzeug­ kanntes und Gültiges mit spezifisch „Boden- nisse zurück hinaus, kommt nachgerade auf die seeischem“ zu verbinden, hierbei ist er bemüht, Gerichtsbarkeit und auch auf einige wirt­ es der deutschen und der schweizerischen Seite schaftsgeschichtliche Aspekte des Mittelalters gleichermaßen rechtzutun:,, Man muß zwar ge­ zu sprechen, um schließlich der christlichen stehen, daß die bessere Cultur und Jndustrie an Missionierung und der Klostergründung breite­ der helvetischen Seite nicht unbekannt ist; doch ren Raum zu gewähren: „Obwohl die christli­ ist der Feldbau auch dort an vielen Orten noch che Religion . . . durch die fränkischen Könige sehr mangelhaft . . . wo die Wein wegen der eingeführt wurde, so hatte es doch damit einen schlechten Auswahl des Bodens und der Trau­ langsamen Fortgang.“ Oder: „Man hält zwar benarten oft so schlecht ausfallen, daß sie kaum heute [im Zeitalter der Aufklärung und des Jo­ trinkbahr sind . . . wo sonst alle Früchte und sephinismus!] . . . den starken Anwachs der Gewächse zu einer so guten Zeitigung gelangen, reichen Klöster . . . nicht für vortheilhaft . . . daß manche derselben wegen ihres besonders Jn diesen lagen nun auch die Wissenschaften guten Geschmacks auch in entfernten Städ­ lange Zeit hindurch wie begraben . . .“ ten . . . sehr beliebt sind . . . wie dann auch verschiedene Reisende diese schöne Landschaft Beispielhaftes verliert sich in diesem 5. Kap. die andere Lombardie nennen . . .“ zunehmend ins Anekdotische. Da ist von alt­ So gesehen, bietet ein Band wie die hier vorge­ vererbten Rechten ebenso die Rede wie von legte „Beschreibung des Bodensees . . .“ auch Kreuzfahrereifer, von Klöstern und Edelleuten, nach nahezu 200 Jahren nicht nur eine nach wie aber auch von Leibeigenen, von Freigelassenen, vor informationsreiche und immer wieder in­ die sich dem Müßiggang ergaben (wie sollte das teressante Lektüre, darüber hinaus kann ohne im Ancien Regime letztendlich anders gesehen weitere Einzelheiten festgestellt werden, daß werden?), und häufig genug von der Schiffahrt das Gros der Merkmale eines heutigen Reise­ und deren „vorzüglicher Vermehrung . . . in führers schon in einem solchen spätaufkläreri­ unserer Gegend in das 14teSeculum . . .“, end­ schen Werk munter versammelt ist.

354 Wanderland Hegau

Herbert Berner, Singen

Die Landschaft zwischen Bodensee, Rhein und Fehlen eines verbindenden Mittelpunktes, einer Donau, im Westen begrenzt durch das Randen­ „Hauptstadt“, aber auch die sehr große Abge­ gebirge, ist der Hegau. Dieser Hegau ist eine hi­ legenheit von der Landeshauptstadt Karlsruhe storische Landschaft, wie dies auch bei den an der schweizerischen Nordgrenze. Erst in Nachbargauen Linzgau oder Klettgau zutrifft. neuerer Zeit wuchs die junge Stadt Singen in die Der Hegau ist ein ausgesprochenes Wander­ Rolle der „Hegau-Metropole“ hinein. Die von land. Hier findet der historisch und kunstge­ der Stadt errichteten Institutionen des ur- und schichtlich interessierte Heimatfreund, nicht frühgeschichtlichen Hegau-Museums und der minder der Naturfreund, landschaftliche Be­ wissenschaftlichen Hegau-Bibliothek in Ver­ sonderheiten und Schönheiten von hohem, zu­ bindung mit dem 1955 gegründeten Hegau-Ge- gleich eigenartigem Reiz. schichtsverein bewirkten einen grundlegenden Wandel. Nicht allein die Zeitschrift „Hegau“, sondern auch über 40 seither erschienene Mo­ Wiederentdeckung des Hegaus als historische nographien machten aus dem „Unbekannten Landschaft HEGAU“ eine gut erforschte Landschaft. Dieser unser Hegau war bis vor wenigen Jahr­ Folgende Hinweise sind noch anzubringen, zehnten noch eine fast vergessene Landschaft. nämlich über den räumlichen Umfang, über die Eine erste Gesamtdarstellung veröffentlichte Grenzen des Hegaus und seine Bedeutung als die „Badische Heimat“ im Jahre 1930, nach­ eine kunsthistorische Landschaft. Der langjäh­ dem schon 1926 über den „Untersee“ ein eige­ rige Pfleger des Landesvereins Badische Heimat ner Jahresband erschienen war und 1934 ein in Singen, der vor allem um die Erforschung der weiterer Band über den damaligen Amtsbezirk hiesigen Ur- und Frühgeschichte verdiente Stockach folgte. Man verstand damals unter Apotheker Albert Funk, beschrieb 1955 die Hegau nach naturräumlichen Vorstellungen im Grenzen des Hegaus (mit exakten urkundlichen wesentlichen nur das vulkanische Kegelberg­ Belegen) wie folgt: land. Ludwig Finckh beschrieb erstmals im Jah- Im Süden der Rhein von der Mitte der Konstan- re 1935 den historischen Hegau in einem da­ zer Brücke über Stein am Rhein bis nach Schaff­ nach mehrfach aufgelegten Büchlein. Einleitend hausen; im Westen der Grat des Randengebir­ stellt er fest: „Seltsam, daß eine der gewaltig­ ges und die Wasserscheide Aitrach-Wutach; im sten und zugleich lieblichsten deutschen Land­ Norden von der Länge über den Gutmadinger schaften im Großen Reich noch fast unbekannt Kapf zum Wartenberg, weiter über Immendin- ist, obwohl zum Platzen voll von Urgeschichte, gen-Hattingen-Emmingen ab Egg - Liptingen Geschichte und Gegenwart“. So gab er denn nach Neuhausen ob Egg; im Osten von auch seinem Büchlein folgerichtig den Namen Schwandorf über Mahlspüren im Tal - Nessel­ „Der UNBEKANNTE HEGAU“. wangen durch den Hödinger Tobel zum Über- Es gibt verschiedene Gründe und Erklärungen, linger See bei Goldbach, weiter über den See warum der Hegau auch im Selbstverständnis nach Dingelsdorf und unter Umgehung von seiner Bewohner bis in die jüngste Vergangen­ Mainau, Egg und Staad wieder zurück zur heit eine unbekannte Landschaft geblieben ist. Rheinbrücke. Im großen und ganzen entspricht Ausschlaggebend dafür waren sicherlich das diese historische Landschaft des Hegaus, zu der

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Festung Hohentwiel, Kupferstich von Mathäus Merian, /643

die Stadt Konstanz allerdings nie gehört hat, tur, der Hallstattleute, der Römer und Alaman­ räumlich dem durch die Verwaltungsreform nen bis zum Auftreten der ersten schriftlichen 1973 vergrößerten Landkreis Konstanz - eines Quellen in charakteristischen, zum Teil einma­ der nicht allzuhäufigen Beispiele für eine ge­ ligen Funden aus dem Dunkel der Ur- und glückte administrative Neuordnung. Frühgeschichte hervor. Wir finden im Hegau In dem 1970 im Auftrag des Schwarzwaldver­ alle Siedlungsformen vom Einzelhof, Weiler, eins und des Hegau-Geschichtsvereins von Mönchsmeiereien, Dorf, Marktflecken über Helmut Gerber herausgegebenen Wanderbuch Zwerg- und Burgstädte, eine vorderösterreichi­ „Hegau“ (der Verlag Rombach bringt 1978 eine sche Land -sowie Oberamtsstadt (Radolfzell 2. veränderte Auflage heraus) habe ich zum Ab­ und Stockach), eine fürstenbergische Amtsstadt schluß meines geschichtlichen Überblicks auch (Engen) bis zur ehrwürdigen Bischofs- und auf die Ergänzung der großen vielschichtigen Reichsstadt Konstanz. Diesen historisch und Vergangenheit durch die Bau- und Kunst­ kulturgeschichtlich so bedeutsamen Stätten denkmäler des Hegaus hingewiesen. steht als Gegensatz und als Beispiel moderner In diesem gesegneten Lande ist der Mensch seit Sachlichkeit die junge, überaus rasch gewach­ der Mittleren Steinzeit seßhaft. In seltener Kon­ sene Industriestadt Singen mit zwei ähnlich tinuität und Reichhaltigkeit treten Epochen der strukturierten Gemeinden, nämlich Gottma- Steinzeit, der Pfahlbauern, der Urnenfelderkul­ dingen und Rielasingen, gegenüber. Nicht

356 minder eindrucksvoll präsentieren sich uns ningen), Langenstein und viele Burgruinen, mannigfaltige Kunstdenkmäler kirchlicher und darunter die wohl größte deutsche Festungs­ weltlicher Art. Im Hegau läßt sich die Kunst- ruine des Hohentwiels. und Baugeschichte von der karolingischen Zeit bis in die Gegenwart mit glänzenden Beispielen belegen. Als hierfür wichtigste Orte seien ge­ Geologisch-geographisch-botanisches Brevier nannt: Romanik auf der Reichenau, in Obergai­ lingen, Schienen und Büsingen; Gotik in Kon­ Das Herzstück der Hegaulandschaft ist das vul­ stanz, Radolfzell und Engen; Barock in Hilzin- kanische Kegelbergland mit Hohentwiel, Krä­ gen und Liptingen und gültige zeitgenössische hen, Mägdeberg, Stoffeln, Hewen, Hewenegg Kirchenbauten in Rielasingen, Arien, Singen und Neuhewen, um nur die bekanntesten und und Konstanz. Dazu Profanbauten vor allem in höchsten Berge zu nennen. Die Höhenlage im Konstanz, Radolfzell (österreichisches Schlöß­ Hegau geht von 400 bis 869 Meter. Im Süden chen), Engen, Allensbach, öhningen, Büsin­ haben wir den Schienerberg mit den Aussichts­ gen, Eigeltingen, Bodman und Sipplingen. punkten Schrotzburg und Herrentisch, im Auch der Reichtum an Burgen und Schlössern Osten die Drumlinlandschaft (Kieshügel) des ist beachtlich: Riedheimer Turm, Friedinger Bodanrück mit Mindelsee und der Burgruine Schlößle, Wasserburg Möggingen, Langenrain, Bodman, im Norden das Stockacher Bergland - Freudental, Mainau, Bodman, Oberstaad (öh­ Nellenburg, Tudoburg - und der langgestreckte

Bodman mit Frauenberg und der Ruine Altbodman. Stahlstich von I. Riegel nach Conradi, 1850

357 Engen mit Hohenhöwen, Stahlstich von E. Höfer nach Conradi. 1850

Jura-Höhenzug von Hewenegg bis zur Witt- tiär) und die Vergletscherung während der Eis­ hoh und im Westen der Tengen-Blumenfelder zeit (1-2 Mill. Jahre). Aber auch die vor dem Randen. Jede einzelne dieser Kleinlandschaften Tertiär liegende ältere erdgeschichtliche Pe­ verdiente eigentlich eine ausführliche Schilde­ riode des Jura hat vor allem den nordwestlichen rung, doch geht es hier nur um einen großen, Hegau geprägt. einführenden Überblick. Wir wollen nun den Wanderer und Natur­ Das Jurameer überdeckte vor etwa 150 Mill. freund auf Orte und Stellen aufmerksam ma­ Jahren den größten Teil Europas und damit chen, wo er schöne und teilweise bedeutende auch unsere Heimat. Die Massenkalke des Beispiele aus der Entwicklungsgeschichte des Weißjura können wir im Donautal bei Immen­ Hegaus sehen und das in seiner Vielgestaltigkeit dingen an den Felsen, in den Tälern bei Tengen bewundernswerte und einmalige Land verste­ und Wetterdingen, im Bruder-, Talmühle und hen lernen kann. Drei geologische Ereignisse Zimmerhölzer Tal als turmartige Riff-Felsen sind es im wesentlichen, die unsere Landschaft beobachten; am bekanntesten ist wohl der Pe­ geformt haben: Starke Krustenbewegungen der tersfels unterhalb von Bittelbrunn, wo die Erdoberfläche im Tertiär (rund 60 Mill. Jahre) reichste süddeutsche Station des späteiszeitli­ mit Aufschüttungen und Abtragungen, der im chen Menschen mit rund 50000 Fundstücken Alpenvorland bis an den Jurarand tätige Vul­ geborgen wurde. Hier haben wir auch die Stand­ kanismus (etwa 7 Mill. Jahre im jüngeren Ter­ orte seltener Pflanzen (z.B. am Ramberg).

358 Die im Gebiet von Hattingen-Biesendorf-Lip- Versteinerungen (Haifischzähne, Austernscha­ tingen-Schwandorf vorhandenen Bohnerze len) erkennen lassen. Durch Hebungen und sind in der etwa 110 Mill. Jahre währenden Aufschüttungen war diese Meeresverbindung Festlandperiode vom Ende des Jura bis in die zweimal unterbrochen worden (Untere und Mitte der Tertiärzeit gebildet worden. Man Obere Süßwassermolasse). Besonders die letz­ kann die erbsen- bis bohnengroßen Kügelchen tere ist im Hegau stark entwickelt, in ihr befin­ aus Brauneisen heute noch leicht finden und det sich das „Mekka der Petrefaktensammler“, auflesen; bis in die Mitte des vorigen Jahrhun­ die öhninger Steinbrüche mit zahlreichen, in derts wurden sie in Kleinarbeit in zahlreichen fast allen Museen der Welt befindlichen Ver­ noch sichtbaren Bohnerzgruben abgebaut und steinerungen der in einem wärmeren Klima le­ in den Eisenhütten von Zizenhausen und Lud­ benden Pflanzen- und Tierwelt (Obermiozän). wigstal zu Eisen verhüttet. Uber diese öhninger Steinbrüche sind seit 1700 Der Schiener Berg und der Bodanrück entstan­ bis heute mehr als 200 eigene wissenschaftliche den in der nachfolgenden Molassezeit, wie man Arbeiten erschienen; beschrieben wurden bis auch die Gesamtheit der tertiären Ablagerungen jetzt 923 Tierarten (davon allein 826 verschie­ im Voralpengebiet nennt. Zweimal hatte der dene Insektenarten) und 475 Pflanzenarten. Molassetrog am Nordfuß der neu entstandenen Am berühmtesten wurde der von dem Zürcher Alpen Verbindung mit dem Weltmeer, was uns Stadtarzt Johann Jakob Scheuchzer

Blick von Witthoh auf Hohenhewen und Hohenstoffeln Foto: Siegfried Lauterwasser, Uberlingen

359 Hegau-Panorama vom Herrentisch (Schienerberg) Foto: Siegfried Lauterwasser, Überlingen

(1672-1733) irrtümlich als ein in der Sintflut er­ nannten „Bodman-Sande“ gehören in diese trunkener „armer Sünder“ gedeutete Riesensa­ Zeit. lamander. Diese Steinbrüche liegen am Ort ei­ Im Jungtertiär, beginnend vor etwa 15 Mill. nes ehemaligen Maarsees, der sich über einem Jahren, spielte sich zwischen Bodensee und Deckentuffschlott am südlichen Schienerberg Randen der „Hegau-Vulkanismus“ ab. Vor 10 zur Zeit des tertiären Vulkanismus gebildet bis 12 Mill. Jahren wurden die basaltischen hatte - ein Gegenstück zum Hewenegg-Maar- „Magmen“ (Hohenstoffeln, Hewen, Hewen- see. Neben den öhninger Steinbrüchen (die egg u. a.) gefördert, während Hohentwiel, Krä­ sich übrigens auf Gemarkung Wangen befin­ hen, Mägdeberg, erst vor 7 bis 9 Mill. Jahren den!) ist auch die Bohlinger Schlucht durch das durch Förderung von Phonolith entstanden. Vorkommen zahlreicher Versteinerungen be­ Man ist sich heute allerdings nicht mehr ganz si­ rühmt geworden. Beide Fundstellen sind zum cher, ob diese Altersfolge stimmt. Südöstlich Naturdenkmal erklärt, Grabungen daher ver­ des Hewenegg kam es in der Nähe des Basalt­ boten. Sehr interessant ist auch das dieser Erd­ steinbruches zur Bildung eines Maarsees, in periode angehörende „Sipplinger Bruchfeld“ dem bei späteren vulkanischen Eruptionen viele mit Steinbaimen („7 Churfirsten“) und dem Tiere ums Leben kamen. Dieser Tierfriedhof Hödinger Tobel, der über dem See sein Pendant aus dem sogenannten Unterpliozän wurde in in der Marienschlucht findet; auch die soge­ den letzten Jahrzehnten ausgegraben. Am

360 wichtigsten sind die hier fast vollständig gebor­ Hohenstoffeln 1940 durch Reichsnaturschutz­ genen Skelette von Säugetieren - ein Novum in­ gesetz eingestellt; am Hewenegg wird der Ba­ nerhalb der zahlreichen europäischen, asiati­ sal tschlot in das Berginnere abgebaut). Zur öst­ schen und afrikanischen Fundstellen aus dieser lichen Phonolith-Reihe gehören der Hohent­ Zeit. Es handelt sich dabei um ein elefantenarti­ wiel, Krähen, Mägdeberg mit Schwindel, der ges Rüsseltier mit fast 5 m Schulterhöhe (Dino- Staufen und der kleine Gönnersbohl bei Hilzin- therium giganteum), um Funde von Mastodon gen. Charakteristisch für den Phonolith des (Vorläufer des heutigen Elefanten), Nashörner Hohentwiel ist der goldgelbe, dem Feldspat und vor allem von zahlreichen dreizehigen ähnliche Natrolith; er wurde ehedem abgebaut Hipparions = Urpferden, um Antilopen und und u.a. zur Täfelung des Neuen Schlosses in Raubtiere wie etwa den löwenähnlichen Ma- Stuttgart verwendet. chairodus. Viele dieser sensantionellen Funde In den 1-2 Mill. Jahren Erdgeschichte umfas­ sind im Museum zu Donaueschingen ausge­ senden Eiszeiten, besonders der Riß- und der stellt. Würmeiszeit wird, wie wir eben sahen, das Bis heute sind sich die Gelehrten nicht einig Antlitz der Hegaulandschaft modelliert. Ty­ darüber, wie die Ursachen des Vulkanismus zu pisch sind die Moränen- und die Drumlinbil­ erklären sind. Am naheliegendsten dürfte sein, dungen im Bodanrück und Linzgau sowie weit die vulkanische Tätigkeit mit der Alpenfaltung ausgedehnte Schotterablagerungen in der mitt­ in Verbindung zu bringen; andere erklären sie leren Hegau-Untersee-Senke. Aus Nagelfluh mit sogenannten Konvergenzströmen in der (= verfestigter Schotter) bestehen der Bodan­ Erdkruste. Sicher ist nur, daß der Vulkanismus rück, die Homburg, der Friedinger Schloßberg, mit den gewaltigen tektonischen Bewegungen zum Teil auch der Rauhenberg, Heilsberg und jener Zeit zusammenhängt. Gefördert wurde Buchberg bei Thayngen. Am Sipplinger Berg während der vulkanischen Tätigkeit hauptsäch­ und bei der Schrotzburg sind die Schotter mit lich Asche, die sich zu Deckentuffen bis 100 m Moränen verbunden. - Aber auch in der Nach­ Mächtigkeit ausbildete; aus Deckentuff beste­ eiszeit, d.h. während der letzten 12-15000 Jah- hen z.B. der Rosenegg, der Plören, der wesdi- che Teil des Hohentwiel, die Hügel zwischen Hohentwiel und Welschingen, sowie Teile des Romanische Kapelle Goldbach bei Überlingen. Hohenstoffeln. Tuff ist die Grundlage der gro­ Foto: Siegfried Lauterwasser, Uberlingen ßen Fruchtbarkeit im Hegau, der als Getreide- und Weinland berühmt war. - Erst beim letzten Ausbruch erstarrte das Magma zu einem festen Pfropfen und verhinderte jegliche weitere erup­ tive Tätigkeit; diese Pfropfen wurden später durch das Eis der Gletscher zu der uns bekann­ ten Kegelform der Berge herauspräpariert. Wir haben es also im Hegau nicht mit Vulkanber­ gen, wie z.B. dem Vesuv zu tun, sondern ei­ gentlich nur mit „Vulkanruinen“. In dem Zu­ sammenhang sei darauf hingewiesen, daß be­ züglich der Beschaffenheit der Berge zu unter­ scheiden ist zwischen der westlichen Basaltreihe mit allen Hewen-Bergen und dem Hohenstof­ feln (Basaltsäulen!), ein Gestein, das sich vor­ züglich als Straßenschotter eignet (Abbau am

361 Blick über Hilzingen auf den Hohentwiel Foto: Dr. Hell, Reutlingen

362 re, wird das Landschaftsbiid durch Schuttabla­ wechslungsreiche Landschaft. Der Hegau liegt gerung, Erosionen, und nicht zuletzt durch den im Schnittpunkt mehrerer Pflanzenwander­ Menschen verändert. wege und hat daher Pflanzen aus gegensätzli­ chen Heimatgebieten, denen er günstige Stand­ Ein Wort noch zu unseren Wasserläufen und ort- und Wachstumsbedingungen bietet: So ge­ Seen. Zum Hegau gehören zunächst einmal der deihen hier Pflanzen alpiner und nordischer liebliche Untersee und der.westliche Teil des Herkunft (z.B. verschiedene Enziane, Mehl­ fjordartigen Uberlinger Sees. In herrlicher, un­ primel, Trollblume), atlantische Arten finden berührter Landschaft träumt auf dem Bodan- hier ihr östlichstes Vorkommen (z.B. Stech­ rück nahe Möggingen, der Mindelsee, nördlich palme, Sumpfbärlapp), mediterrane Arten ka­ von Radolfzell an der Bundesstraße 34 die men über Rhone-burgundische Pforte zu uns 3 Buchenseen — Eiszeitrelikte -. Als Badeseen (Osterluzei, Orchideen, Reckhölderle) und beliebt sind der Böhringer und der Steißlinger pontische Pflanzen (z.B. Diptam, Steppenhei­ See. - Die Hegauer oder ent­ de, Küchenschelle) aus dem Donauraum und springt als größte deutsche Karstquelle mit ei­ Schwarzmeergebiet. Von den in Deutschland ner mittleren Schüttung von 6,5 m3 /sec. beim vorkommenden 60 Orchideenarten wächst die Städtchen Aach; es ist das in der oberen Donau Hälfte im Hegau. An den Hängen des Hohent­ versickerte Wasser, weshalb man auch von der wiels sonnen sich die höchstgelegenen deut­ Donauversinkung spricht. Es gibt aber in den schen Weinberge. Die schönsten und lohnend­ Jurakalken noch mehrere kleine Karstquellen, sten Aussichtspunkte im Hegau sind naturge­ besonders die Bleichequelle 1000 m östlich von mäß alle Berge, besonders aber der Hohenstof­ Welschingen (381/sec.) und weitere Quellen bei feln, von dessen Gipfel aus man den ganzen hi­ Ehingen, Welschingen und Neuhausen. Im storischen Hegau überblicken kann. Großar­ nördlichen Juragebiet versinken Bäche im klüf­ tige Ausblicke in den Hegau und im Süden zum tigen Kalkstein, etwa bei Hattingen; interessant Untersee und Hochrhein bietet immer wieder sind die Trockentäler - Talmühle, Kriegertal, die Straße von Bankholzen über Schienen nach Zimmerhölzer Tal - und die Tatsache, daß von öhningen (empfehlenswert sind Schrotzburg Zeit zu Zeit unterhalb von Bittelbrunn das Was­ und Herrentisch, Hohenklingen ob Stein am ser aufsteigt und über Wochen und Monate Rhein und der Platz bei der Horner Kirche). hinweg einen See bildet. Weitere Wasserläufe Eine wenig bekannte Aussichtsstraße im nörd­ von Bedeutung sind die zwischen Ludwigsha­ lichen Hegau ist jene von Mühlingen über Zoz- fen und Bodman in den Uberlinger See einmün­ neggnach Stockach (Nellenburg!) oder jene von dende Stockacher Aach und die zum Hochrhein Engen nach Bittelbrunn. Unvergeßliche land­ eilende Biber. Eines der schönsten Naturerleb­ schaftliche Panoramen vermitteln der Witthoh, nisse unserer von Feuer und Eis geformten der Haldenhof auf den Uberlinger See und in Landschaft aber ist eine Bootsfahrt auf dem den Hegau, der sogenannte Hegaublick ober­ Hochrhein von Schaffhausen nach öhningen halb Engen an der Bundesstraße 33, der Wan­ und von da durch den Untersee, an der Insel nenberg bei Tengen und die vom Randen über Reichenau und dem mit dem Europa-Diplom Kommingen und das Gewick (am höchsten prädikatisierten Naturschutzgebiet Wollmatin- Punkt treffen hier 7 alte Straßen zusammen) ger Ried vorbei auf dem nach dem alt­ über Tengen herniederführende Bundesstra­ ehrwürdigen Konstanz. ße 314. Ludwig Finckh sprach einmal vom He­ Herrliche Wälder, satte Wiesen und eine Fülle gau als des „Herrgotts Kegelspiel“; da überall von seltenen Pflanzen schmücken und berei­ liegt es eindrucksvoll und einzigartig zu unseren chern diese morphologisch so ungemein ab­ Füßen. Bodman

Im Gsicht de See: Sägel wiß venäebet Ufer mit Ufer. En helle Oscht wirblet e Blau uf daß d schreie kennsch v o r Glick. Im R ucke hinne gohsch dure Wolke grie und still vu allmachts Bueche in B erg. D ert hinne im grien e stille Grund schlooft s Echo. Sibefach seis hani heere sage. M onnsch du meesch riefe obs wohr ischt. A ber ob ä b b es z riefe wosch wo it veschricksch w a sibe­ fa ch zruckkunnt uf di?

Bruno Epple

364 I t

\ Wald am See Vergangenheit und Gegenwart i Wilhelm Bernhard, Jestetten

ha % Der unter dem Namen Bodenseegegend be­ Staatswald 6.180 19 kannte südöstliche Teil des alten Landes Baden, Gemeinde- und sonst. Körperschaftsw. 12.833 seit Bestehen Baden-Württembergs administra­ 40 Bundeswald 66 - tiv dem Regierungsbezirk Freiburg zugehörig, umfaßte bis zur Gebietsreform im Jahre 1974 öffentlicher Waldbesitz zusammen 19.079 59 die Landkreise Konstanz, Stockach und Uber­ Privatwald mit eigener lingen. Dieser im südwestdeutschen Alpenvor­ evtl. forstlicher Wirtschaftsführung 5.178 16 land inbegriffene Großraum ist zu rd. 30% mit Privatwald mit eigenem Wald bestockt. 1973 betrug die Waldfläche ins­ forstlichem Betriebspersonal 3.066 10 gesamt 58 324 ha, - mehr als die Wasser­ Privatwald ohne eigenes forstliches Betriebspersonal 4.818 15 oberfläche des Bodensees von Bregenz bis Stein a.Rh. (= 593 qkm). Privatwaldbesitz zusammen 13.062 41 Die Wälder liegen - um die räumliche Forstor­ Gesamtwaldfläche ganisation kurz zu streifen - in den von Ost (forstl. Betriebsfläche) 32,141 100 nach West nahtlos aneinandergrenzenden staat­ lichen Forstbezirken Uberlingen, Pfullendorf, Auf dieses Gebiet nun, im wesentlichen also auf Meßkirch, Stockach, Konstanz, Radolfzell und die Bodenseeumrandung und deren landschaft­ Engen. Innerhalb dieser Forstamtsbereiche fin­ liches Kernstück, die Halbinsel Bodanrück, den sich u.a. auch bedeutende Privatforsten mit wollen wir unsere weitere Betrachtung richten. eigener Verwaltung und Wirtschaftsführung, Dabei soll, besonders im historischen Rück­ wie die des Markgrafen von Baden, des Fürsten blick, auch die „alte“ Bodenseegegend mit ih­ von Fürstenberg, des Grafen von und zu Bod- ren fernerabgelegenen Waldungen nicht völlig man und des Grafen Douglas. außer acht gelassen werden. Die im Tertiär vorgeformte Landschaft hat Im Zuge der Neuordnung von 1974 wurden die während der Würmeiszeit Gestalt und den letz­ alten badischen Forstämter Uberlingen und ten Schliff erhalten. Nennenswerte alluviale Pfullendorf dem Wuchsgebiet schwäbisches Züge weist sie kaum auf. Hügel und Berge stei­ Oberland, das Forstamt Meßkirch der schwäbi­ gen von der Höhe des Seespiegels (396 m schen Alb zugeteilt. Sie sind somit auch stati­ ü.d.M .) bis 800 m hoch an. Eine Ausnahme bil­ stisch aus der früheren Bodenseegegend ausge­ det die Ebene der Hegau-Niederung. Molasse, schieden. Ubriggeblieben sind im südbadischen wie die Geologen die tertiären Ablagerungen am Raum des Landes die Bodenseeforstämter Stok- Alpenrand nennen, bildet ringsum den Unter­ kach, Konstanz, Radolfzell und Engen. Dazu grund. Besonders markant tritt sie mit lotrecht kam neuerdings als Grenz- und Sonderfall das abstürzenden Felswänden zwischen Uberlin­ Forstamt Jestetten. Ihre gesamte forstliche Be­ gen und Ludwigshafen zutage und gegenüber triebsfläche beträgt 32 141 ha. Sie teilt sich nach im Bodmaner Echotal. Die Schlösser von Besitzkategorien folgendermaßen auf: Meersburg und Heiligenberg stehen auf Molas­

365 Stadtwald Konstanz, Distr. Schwarzenberg, Grabhügel Foto: Walter Tilgner, Konstanz sefelsen. Bodanrück, Schienerberg, Gehren­ Hohenkrähen und andere Wahrzeichen des berg, der Thurgauer Höhenrücken und andere Hegaus, in Jahrmillionen selbst zu Ruinen ge­ hervorstechende Bergzüge bestehen aus Molas­ wordene Reste des tertiären Vulkanismus. Das se, häufig von Deckenschotter überlagert. Stockacher Hügelland setzt sich überwiegend Ortweise durch Terrassen unterbrochene, un­ aus Molasserücken zusammen, zwischen denen ruhige Steilhänge, Rutschhalden und tief einge­ sich im nachfolgenden Diluvium Moränen­ schnittene Täler charakterisieren hier die Ge­ schutt abgelagert hat. Im Salemer Tal und auf ländeformen. Bekannt sind die ruinengekrön­ dem südöstlichen, dem Gnadensee zugewand­ ten, malerischen Phonolit- und Basaltkegel ten Teil der Bodan-Halbinsel fallen sanftge­ Hohentwiel, Hohenhöwen, Hohenstoffel, schwungene, ovale, bewaldete Hügel auf: Drumlins, auch Schweinerücken geheißen. Sie schaften. Beim Landausbau wurden dann, un­ treten meist herdenweise und immer in der terstützt und gefördert von den Klöstern, wei­ ehemaligen Gletscherrichtung auf, von SO nach tere und weit größere Waldflächen durch Brand NW. in Kultur gebracht. Rodungen galten als wohl­ Die seenahen Wälder stocken durchweg auf gefällige Werke. Der nachfolgende Flachs- und Molasse- und Moräneboden. Zwischen der Rebanbau brachte Neubruchzinsen. Jungmoränelandschaft und der westlichen Nach dem Untergang des alamannischen Her­ Altmoräne, welche die höheren Lagen im Nor­ zogtums hatten die fränkischen Herrscher im den des Gebietes einnimmt, bildet die Ablach Hegau ein umfängliches Krongut geschaffen eine Grenze. Die Böden sind ihrer Herkunft und an sich genommen. Land und Wald bedeu­ nach vielgestaltig und weisen naturgemäß in den teten Macht! Beispielhaft ist die mit der Sied- einzelnen Wuchsbezirken beträchtliche Unter­ lungs- und Territorial geschiehte eng verwobene schiede auf. Doch bilden sie im allgemeinen Eigentumsentwicklung der Wälder auf dem lockere, nährstoffreiche, fruchtbare Substrate. Bodanrück, der zum Reichsgut gehört hat. An­ Das ausgeglichene, milde Binnensee-Klima mit dernfalls hätte Karl Martell 724 das Inselkloster einer erstaunlichen Lichtfülle, deren Intensität Reichenau nicht so großzügig mit Dörfern und im Sommer diejenige von Davos übertrifft, be­ Wäldern aus dem Fiskus Bodman ausstatten günstigt Gemüsekulturen, Obst- und Weinbau. können. Der Klostergründer Abtbischof Pir­ Es erlaubt im Wald den Anbau aller einheimi­ min und seine Nachfolger im Amt haben ein schen Baumarten und einiger Fremdländer. Das halbes Jahrtausend lang den weitaus größten Arboretum auf der Insel Mainau ist weithin be­ Teil des Bodanrück beherrscht und besessen, kannt. bis der deutsche Ritterorden auf den Plan getre­ Von Bedeutung für den Waldbau ist der Um­ ten ist. 1272 verzichtete der Abt zugunsten der stand, daß über die Hälfte der Niederschläge, Weißmäntel auf seine Rechte an der Insel Main­ die im Jahresdurchschnitt je nach Exposition au, an Allmannsdorf, Litzelstetten und Din­ und Höhenlage 700-900 mm bringen, in die gelsdorf. Später kam noch Dettingen dazu. Der Vegetationszeit fällt. In den seenächsten, tiefen Burghof, das einsam im Wald bei Wallhausen Lagen werden die geringeren Regenfälle durch hoch überm See thronende alte Försterhaus, erhöhte relative Luftfeuchtigkeit ausgeglichen. kündet von der Zeit der Ordensritter. Die un­ An etwa 35 Tagen im Jahr breiten sich überm weit davon in der Waldestiefe verborgene See und den benachbarten Landstrichen Nebel St. Katharina-Schlucht schied einst Mainaui- aus. ,,Im Winter hont mer de Nebel und im sches von Bodman’schem Territorium. Heute Sommer de B’such“, klagen die Seehasen mit ih­ bildet sie die Grenze zwischen gräflich Bod- rem trockenen Humor. man’schen und staatseigenen Forsten. Die Frühsiedler um den See können nicht allzu­ Wie die Reichenau, so verfügten auch die Klö­ tief in die damaligen Urwälder eingedrungen ster St. Gallen, Petershausen, Salem, öhnin­ sein. Größere Einbrüche erfolgten erstmals zur gen, Schienen und das Frauenkloster St. Katha­ Zeit der alemannischen Landnahme. Der ale­ rinental über reiches Waldeigentum im westli­ mannische Bauer brauchte offenes Land und chen Bodenseegebiet und darüber hinaus. Das das war allein durch Rodung zu gewinnen. Die Bistum Konstanz hatte um seinen Herrensitz bis dahin noch weitgehend unberührten Wälder im Massiv des Güttinger Waldes Eigentums­ dienten mit ihren vielfältigen Holz- und Ne­ und Nutzungsrechte. Zu weiterem wertvollem bennutzungsmöglichkeiten dem allgemeinen Waldbesitz entlang des Gnadenseeufers kamen Gebrauch. Sie waren Weide- und Jagdgebiet, die Konstanzer Kirchenfürsten, als sie 1540 mit bildeten zugleich aber auch die „marca“, die der Inkorporation des Inselklosters Herren der Grenze zwischen den einzelnen Marktgenossen­ Reichenau geworden waren. Den meisten dörflichen Gemeinschaften war es 1872 bekam die Gemeinde Schienen jährlich gelungen, sich Holz-, Mast- und Weiderechte 50 Wagenladungen „Gnadenlaub“ aus dem für immer zu sichern, „ihren“ Wald früh- und Domänenwald. rechtzeitig in eigene Hände zu bekommen. An­ Mit ihrem Aufblühen haben auch die Städte um dere dagegen blieben jahrhundertelang in Ab­ den See Waldeigentum erworben, mehrten oder hängigkeitsverhältnissen oder waren auf ge­ vergeudeten es wieder. Radolfzell ist schon früh meinsame Nutzung angewiesen. Gelegentlich als waldbesitzende Ausmärkerin in Erschei­ entstanden Gemeindewälder auch durch nung getreten. Das reizvolle Friedinger Schenkung, häufiger hingegen zur Ablösung Schlößle erinnert daran, daß die Stadt 1539 drückender Lasten, die in Form von Holz- und durch die Belehnung mit Friedingen auch das Nebennutzungen, Streulaub- und Weiderech­ umliegende Waldland erworben hat. Die Stadt ten auf ehemals geistlichem Besitz ruhten. Nach Konstanz, im Gegensatz zu ihren begüterten der Säkularisation suchte sich der junge badi­ Bischöfen forstlich ein Habenichts, kam erst in sche Staat ihrer alsbald zu entledigen. Noch jüngster Zeit durch die Eingemeindungen von

368 Wollmatingen 1934 und weiterer Nachbarorte schen Domänenärar erneut käuflich erworben. 1974 zu eigenem Waldbesitztum. Überlingen, Was ist nicht alles im Lauf der Geschichte mit im 13. Jahrhundert eine der reichsten Städte unseren Wäldern geschehen! Gekauft, ge­ Oberschwabens, hatte schon immer stolze tauscht, als Mitgift, zu Lehen und Afterlehen Wälder. Das zu jener Zeit ins Leben gerufene gegeben, allodisiert, vererbt, verschenkt und Spital zum Heiligen Geist in Uberlingen war verschachert, erstritten und erschlichen sind sie Ende des Mittelalters Grundbesitzer in rund worden. Daß es im 12. Jahrhundert auf der 100 Ortschaften. Noch in der Gegenwart zieht Reichenau Profis in Sachen Grundstücks­ sich der Uberlinger Spitalwald durch drei staat­ schwindel und Urkundenfälschung gegeben liche Forstbezirke hin. hat, ist ein offenes Geheimnis. Alte Bergfesten und deren Ruinen, Wasserbur­ Zahlreiche Urkunden weisen auf Eigentums­ gen und Schlösser stehen rings um den See. Zu entstehung, Besitzstand und Grenzen hin. Von allen gehörte einst Wald und deshalb spielt, hi­ der Behandlung des Waldes ist darin allerdings storisch bedingt, der Privatwaldbesitz ehemali­ kaum die Rede. Für unsere Vorfahren war er ein ger Standes- und Grundherren im Hegau und scheinbar unerschöpflicher Rohstoff quell. Linzgau flächen- und leistungsmäßig eine über­ Endlich an der Wende zur Neuzeit tauchen un­ ragende Rolle. ter dem Druck zunehmender Holzverknap- Die bekannten politischen Ereignisse der napo- leonischen Ära an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hatten einschneidende Territo- rial- und Eigentumsänderungen zur Folge. Im Zug der Säkularisation sind die Reichsstifte Sa­ Aus Schirmschlag-Verjüngung hervorgegangener lem und Petershausen aufgelöst worden. Ihre 120j. Buchen-Reinbestand auf dem Bodanrück (Staatswald Konstanz) Foto: Günter Bernhard, Allensbach Güter wurden den Markgrafen von Baden als Entschädigung für linksrheinische Gebietsver­ luste in Frankreich zugesprochen. Die auf nunmehr badischem Hoheitsgebiet am Boden­ see, am Hochrhein und in der hinteren Herr­ schaft Tengen gelegenen Forsten des Hochstifts Konstanz und des Deutschritterordens gingen nebst zahlreichen kleineren und größeren Klo­ sterwaldungen an das junge Kurfürstentum über. Bei diesen Transaktionen mußten auch weltliche Herren Federn lassen. 1811 wurde fürstlich Auersperg’scher Besitz im Hegau vom badischen Domänenärar käuflich erworben. 1812 veräußerte Fürst von Schwarzenberg die ihm nach der Mediatisierung verbliebenen Rechte und Eigengüter am Hochrhein (im spä­ teren Zollausschlußgebiet) an Baden. Turbu­ lente Zeiten! Der Gailinger Staffelwald, Eigen­ tum des Klosters St. Katharinental/Thurgau war 1803 an Österreich gefallen. 1807 kam er zunächst in württembergische, 1810 in badische Hände. 1821 ans Kloster zurückgegeben, wurde der Staffel 40 Jahre später vom badi­

369 Niederwaldformen geradezu prädestiniert war. Aus einem Beschrieb der an den Mindelsee an­ grenzenden hochfürstlich-konstanzischen Ka- meralwaldungen aus dem Jahre 1768 läßt sich unschwer ein Bild vom Waldaufbau jener und der vorausgegangenen Zeit gewinnen. In der Hauschicht, dem Unterholz, dominierten teils Weichhölzer - durchweg stockausschlägige Birken, Weiden, Hasel-, teils Eichen, auf 80% der Fläche aber Buchen. Nur einige spärliche Fichten oder Forlen waren übergehalten. Eine anno 1776 von K. K. Oberjäger Liebherr aus Winterspüren auf Gemarkung Bodman durch­ geführte Waldvisitation ergab das gleiche: we­ der Eichen noch forlenes oder tannenes Bau­ holz war stehengelassen worden. Wie im Ge­ meindewald so waren auch im freiherrlichen überall in jungen und älteren Schlägen „wenig oder gar kein Waldrecht (Überhälter) oder Sämlinge (Samenbäume) stehen geblieben“. Die Verantwortung wird dem Waldmeister in die Schuhe geschoben, der sie „stahn zu lassen nicht Leiden“ wollte. Auf diese Weise verrin­ St. Katharina-Schlucht, uralte Grenze zwischen gräflich Bodmanschem und ehedem deutschordens- gerten sich überall die Holzvorräte und verarm­ ritterschaftlichem Waldeigentum. ten die Bestände. Daß auch die kriegerischen Foto: Günter Bernhard, Allensdorf Ereignisse im ausgehenden 18. Jahrhundert den ohnehin schon ausgepowerten Wäldern schwere Wunden geschlagen haben, läßt sich pung erste Forstordnungen auf. Dabei mag ne­ denken. Vom Wahlwieser Bogental bis hinauf ben der oft zitierten „Angst vor Holznot“ viel­ nach Liptingen waren den Waldbesitzern von leicht auch die in der Renaissance allgemein ge­ Freund und Feind, österreichischem und fran­ wandelte geistige Einstellung zur Natur Pate zösischem Militär, größte Schäden zugefügt gestanden sein. Schon 1464 hatte die Wollma- worden. Infolge der Kriegslasten waren die tinger Öffnung in einem Abschnitt „von dero Gemeinden völlig verschuldet. Um ihrer Schul­ Hölzer und Aynungen wegen“ erstmals Pflich­ denlast Herr zu werden, griffen sie nun noch ten und Rechte der Waldbenutzer schriftlich fi­ stärker als zuvor in die Waldbestände ein. Es xiert. Eine reichenauische Waldordnung des war ein Teufelskreis. Abtes Georg von 1519 und die Heiligenberger In der Bodenseeumrandung, der natürlichen Forstordnung des Grafen Friedrich von Region des submontanen Buchenwaldes, blieb Fürstenberg aus dem Jahre 1615 entsprangen schließlich die Rotbuche der beherrschende gleichen Sorgen. Alle wandten sich gegen Waldbaum. Hier in ihrem Optimum wußte sie Holzverschwendung und Waldverwüstung. sich mit ihrem Schattenerträgnis, ihrer Aus­ Neben wahllosen, ungeregelten, plenterartigen schlags- und Verjüngungsfreudigkeit gegen jeg­ Hieben nutzte man seit dem 16. Jahrhundert liche Konkurrenz durchzusetzen. Ohne Zwei­ die Ausschlagfähigkeit der Laubbäume in einem fel hat die Buche den Grundstock der Mittel­ Gebiet, das vom Standort her für Mittel- und waldwirtschaft gebildet. Ob diese wirklich je in

370 ihrer klassischen Form betrieben worden ist, 17. Jahrhundert, wenn nicht schon früher. Die bleibe dahingestellt. Die Buche jedenfalls, ehe­ Tanne (Weißtanne) mag wohl die ihr zusagen­ dem bedeutendste Brennholz-, Laubstreu- und den höheren Lagen, Schluchtränder und der­ Eckerichproduzentin, ist bis zur Stunde ein gleichen schon immer in geringem Umfang be­ Charakterbaum der Bodenseelandschaft ge­ stockt haben. Gelungene Naturverjüngungen blieben. Lediglich auf der trockenen Schottere­ aus letzter Zeit und sehr alte, wüchsige Tannen bene um Singen hatten einmal Eiche und Hain­ beweisen freilich, daß sie selbst in den Tieflagen buche ihre Stelle eingenommen. Wohl deshalb, der Seeumrandung vorzüglich gedeiht. Die Er­ weil die Rotbuche im Überfluß vorhanden ge­ klärung für die Tatsache, daß Fichte und Tanne wesen ist, findet sie in den alten Forstordnun­ ausgangs des 18. Jahrhunderts ein Aschenbrö­ gen kaum Erwähnung. Anders die Eiche, der deldasein geführt haben, ist einleuchtend. schon immer größte Beachtung geschenkt wor­ „Neben einseitiger Auslese und künstlicher den ist. Sie allein genoß besonderen Schutz. Im Förderung der vom Stock ausschlagenden Unterschied zur Buche mußte sie wegen ihrer Laubbaumarten wurden die Nadelbaumarten, Verwendung als Haus-, Brücken-, Torkel- und wie anhand von Archivalien ausgewiesen wer­ Schiffbauholz weit größere Dimensionen errei­ den konnte, ausgemerzt.“2* Ausnahmen bestä­ chen. Und das brauchte eben seine Zeit bei ih­ tigen die Regel: in der Schotterebene auf einem, rem gemächlichen Wachstumsgang. „Ohne wie man meinen sollte, eher ungeeigneten Stand­ Holz kein Wein“, hieß es, — Eichenholz wohl­ ort, hat sich die Weißtanne seit dem 16. Jahr­ verstanden, das als Werkstoff für Fässer und hundert bis heute behauptet. Sie hat den Di­ Bütten unentbehrlich gewesen ist. Rings um strikten Groß- und Kleintannenwald bei Singen Gnaden- und Überlingersee und am Seerhein ihre Namen gegeben. Auf armen, trockenen blühte der Rebbau. Noch inmitten des letzten Böden autochthon, hat sich die Forle (Kiefer) Jahrhunderts hat die Kellerküferei unglaublich zäh und stetig weitere Gebiet erobert, obwohl viel Eichenholz verschlungen. Dennoch wurde sie „fleißig ausgehauen“ worden ist. In allen damit hausgehalten. Daß bis in die Gegenwart Wäldern, egal, wem sie gehörten, herrschten bis Relikte uralter Eichenbestände und mehrhun­ zum Inkrafttreten des badischen Forstgesetzes dertjährige markante Einzelbäume erhalten ge­ 1834 schonungsloser Vieheintrieb und eine der­ blieben sind, ist bemerkenswert. Mit ihren artige „Bestreuung, daß nicht ein Laub dem weitausladenden Kronen sind diese Baumge­ Walde verbleibt.“ „Die Waldungen“, steht in stalten die eindrucksvollsten Zeugen vergange­ einem Ersteinrichtungswerk der späten 30er ner Mittelwaldwirtschaft. Alle anderen Laub­ Jahre des verflossenen Jahrhunderts zu lesen, bäume, die Aspe, Erle, Birke, Salweide, Esche, „sind so ruiniert, daß nichts anderes übrig Ulme, Linde und Hainbuche, der Ahorn, Hasel bleibt, als den größten Teil in Forlenwald um­ und Maßholder, auch Wildobstarten, haben zuwandeln . . .“ Und also hat man die Forle, vorwiegend zur Unterholzbestockung der Aus­ ihre Pioniereigenschaften nutzend, durch schlagwälder beigetragen. breitwürfige Saaten mit mehr oder minder gro­ Die Nadelbäume, von Natur aus in der Min­ ßem Erfolg in die mißhandelten Buschwälder derheit, waren dazu verurteilt, im Laubhholz- eingebracht. gewirr der Ausschlagwälder unterzugehen. Die Bliebe noch, über die Lärche ein Wort zu sa­ Fichte (Rottanne), schon vor vielen Jahrhun­ gen. Schon bevor es mit den Ausschlagwäldern derten in einem ersten „Vorstoß“ von Ober­ dem Ende zu gegangen war, zwischen 1780 und schwaben her auf der Altmoräne nach Westen 1810, sind in der Umgebung von Salem, Hegne, vorgedrungen, war späterhin ausschließlich von Schloß Langenstein und auf der höchsten Erhe­ Menschenhand in der Laubwaldregion am See bung des Bodanrückens die ersten Lärchen ein­ angesiedelt worden. Mit Gewißheit seit dem gesät worden. Eine weitere Lärchen-Welle Forstverwaltung G raf Douglas - Prinz zu Fürstenberg, Lärchen-Altholz mit Buchen Foto: Dr. R. Jahn

372 überzog vor 120 Jahren das Land. Damit nä­ erschienen, und über Dezennien hinweg wurde hern wir uns bereits einem Zeitabschnitt, in am Bodensee großflächig und großzügig im dem beim privaten Groß waldbesitz und in den Schirmschlag verjüngt. Das kam natürlich allein Staatsforsten die Umwandlungen der ehemali­ der Buche zugute. Gegen die Jahrhundert­ gen Mittel- und Niederwälder in schlagweisen wende ging man in den Staats- und Gemeinde­ Hochwald schon ziemlich weit fortgeschritten waldungen zur hörst- und gruppenweisen Ver­ waren. In den Domänenwaldungen galt seit den jüngung im Femelschlag über. Die damit ange­ 60er Jahren die Erziehung gemischter Hoch­ strebte Ungleichalterigkeit innerhalb der Be­ waldbestände als oberster Grundsatz, dem sich stände ließ sich jedoch unter den gegebenen schließlich auch die Gemeinden beugten. 1871 standörtlichen Bedingungen nicht erzwingen.4> sah das Baumartenverhältnis in den Staats- und Die „Löcherwirtschaft“, wie sie von denForst- KorporationsWaldungen der Bodenseegegend leuten am See abschätzig genannt worden ist, folgendermaßen aus: riß die Althölzer vorzeitig auf und führte zu den größten Sturmschäden. Sie wurde deshalb als­ Fichte 31, Tanne 1 = Nadelholz 45% bald wieder fallen gelassen. An ihre Stelle trat Forle/Lärche 13 nun die Saumverjüngung, wobei die Hiebe von = Laubholz 55% Buche 45, Eiche 3 NO nach SW, der Hauptsturmrichtung entge­ sonst. Laubhölzer 7 gen, geführt wurden. Wo ein Altbestand zur Buche und Fichte sollten Hauptholzarten blei­ Verjüngung untauglich war oder diese mißlang, ben, da sie „sowohl den Bedürfnissen der Ge­ ist schon immer kahlgehauen und gepflanzt gend, als den Standortsverhältnissen angemes­ worden. Daß aus solchen künstlichen Nadel­ sen“ seien. Bis 1897 hatte die Fichte auf Kosten holzkulturen in Verbindung mit den von der der Buche weitere 5% der Waldfläche erobert. Natur gratis gelieferten, üppig ankommenden „Aus den Einrichtungswerken ergibt sich, daß Laubbäumen wirtschaftlich hochwertige und die Planung während dieses Zeitraumes die ästhetisch mustergültige Bestände hervorge­ Tendenz des Betriebsvollzugs zu einer verstärk­ gangen sind, wird niemand bestreiten. In den ten Einbringung dieser Baumart zu dämpfen öffentlichen Waldungen durften Buche, Eiche, versuchte. Man kannte bereits die Nachteile der Fichte und Forle nur dort, wo sie keine Fäl­ Fichte, vor allen Dingen ihre Sturmgefähr­ lungsschäden verursachen konnten, übergehal­ dung . . ,“3) Der Sturm ist nun einmal im west­ ten, d.h. in die Jungbestände übernommen lichen Bodenseegebiet der Waldfeind Nummer werden, in die sie alsdann einwachsen sollten. eins! Trotzdem setzte man weiterhin auf die Daß es mit dieser amtlichen Vorschrift nie son­ Fichte - Rendite mit Risiko! zumal es mit derlich genau genommen worden ist, beweisen dem Tannenanbau gehapert hat. Resignierend die unzähligen stattlichen Forlen-, Lärchen- streckten die Forstleute im wahren Sinne des und Eichenüberhälter, die sich allerorten vor­ Wortes vor dem Rehwildverbiß die Waffen. Sie finden. Im Großprivatwald waren schon immer beschränkten sich auf Fichte, Forle und Lärche. Uberhaltbetrieb und Buchenstarkholzzucht Hieraus sind dann die in Fachkreisen als „Bo- nachhaltig gefördert worden. Eindrucksvolle densee-Mischung“ bekannten, charakteristi­ Bestände sind das Ergebnis. schen Bestände hervorgegangen: Forle, Fichte, Wie die Forsteinrichter um 1925 einhellig bestä­ etwas Lärche, dazu reichlich Buche im Unter- tigten, hatten die Wälder am See zu jener Zeit und Zwischenstand. ein Optimum an Masse und Wert erreicht. So­ Der allgemein angestrebte, mehr oder minder weit sie der öffentlichen Hand gehörten, waren gleichalterige schlagweise Hochwald hat sich als der stehende Holzvorrat mit durchschnittlich zweckmäßige Bestandsaufbauform bewährt. 257 Vfm D je ha und der dGz mit 7,4 fm an ei­ Bereits 1810 war der erste „Schirmschlagerlaß“ nem zuvor nie erreichten Stand angelangt.5)

373 Hatte sich die waldbauliche Entwicklung im treibende Kraft für die Waldpflege und bildet großen und ganzen stetig aufwärts und in ge- die Voraussetzung für die Waldsubstanzerhal­ wollten Bahnen bewegt, so ist sie am Ende des tung schlechthin. Die Waldpflege leistet zu­ Zweiten Weltkriegs infolge von Naturereignis­ gleich einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung sen höherer Gewalt den Eigentümern und Be­ einer Freizeit-Landschaft von anerkannter treuern der Forsten fast völlig entglitten. Die überregionaler Bedeutung und zur Sicherung von verheerenden Stürmen begleitete Borken­ der Sozialfunktion. Auf Schritt und Tritt sind käferkatastrophe 1945-1950 ist als schmerzli­ Erholungseinrichtungen jeglicher Art in den ches Kapitel in die Forstgeschichte des Landes Wäldern aller Besitzkategorien anzutreffen: eingegangen. Park-, Rast- und Zeltplätze, Spielwiesen, Lehr- Wenn Alb und Schwarzwald im Frühjahr noch und Sportpfade, Wander- und Reitwege, Wild­ unter Eis und Schnee stöhnen, können aus den gehege, ein Golfplatz u.a.m. Mitunter frägt seenahen Wäldern angesichts der hierzulande man sich, ob nicht zu viel des Guten getan wor­ gewöhnlich recht milden Winter Stamm- und den ist. Schon wird von eidgenössischen und Schichthölzer auf gut ausgebauten Waldstraßen deutschen Naturschutzkreisen ein weiträumi­ zu den Verbrauchsorten abgefahren werden. ger „Naturpark Bodanrück-Schienerberg“ an­ Manche Verarbeiter, wie die Zellstoffindustrie, gestrebt, der sich bis in den Kanton Schaffhau­ sind auf diese jederzeit leicht erreichbare Roh­ sen hinein erstrecken soll. stoffquelle existenzbedingt angewiesen. Ande­ Im Dreieck Singen-Radolfzell-Steißlingen geht rerseits bietet immer wieder vielen Gemeinden es um handfeste wirtschaftliche Interessen. Es der eigene Waldbesitz eine gewiße finanzielle ist damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit Stütze, sei es als Beitrag zum ordentlichen 500-600 ha Wald vorübergehend oder auf Haushalt, sei es zur Teilfinanzierung außeror­ Dauer anderweitigen Nutzungen zugeführt dentlicher Investitionsvorhaben. Im Forstwirt­ werden, der Kiesgewinnung, der Industrie- und schaftsjahr 1976 (1.10.75-30.9.76) haben Siedlungsausweitung, dem weiteren Ausbau ei­ Staats- und Gemeindeforstbetriebe im Boden­ nes ohnehin schon engmaschigen Verkehrswe­ seeraum 98 540 fm Rohholz auf den Markt ge­ genetzes. Im Kampf um die geplante Autobahn bracht, - etwas mehr als der planmäßige ordent­ und deren Trassenführung über den Bodanrück liche Jahreshiebssatz beträgt (94 790 fm). erhitzen sich seit Jahren die Gemüter. Kein Der Zuwachs ist bei allen Baumarten über­ Wunder, - stehen doch annähernd 9/io der Wäl­ durchschnittlich hoch. Tanne und Fichte über­ der auf dieser schmalen Landzunge unter Na­ flügeln sogar ihre berühmten Schwestern im tur- oder Landschaftsschutz. Schwarzwald. Forle, Lärche und Buche errei­ Insgesamt 3 193 ha nehmen im südbadischen chen Spitzenleistungen an Masse und Wert. Bodenseeraum die Flächen mit Schutzwaldcha­ Wenn es in 120 Jahren, der Lebensspanne einer rakter ein: Erosions- und Imissionsschutzwäl- einzigen Baumgeneration also, gelungen ist, der, Wasserschutzwälder und solche in Natur­ durch Umwandlung größtenteils devastierter schutzgebieten. Hier wird die bunte Vielfalt der Ausschlagwälder in nutzholztüchtigen Hoch­ herkömmlichen Wirtschaftsforsten ergänzt und wald insgesamt gesehen den Zuwachs und da­ bereichert durch Waldformen, die ausschließ­ mit auch die Nutzung zu verdoppeln, ortweise lich ihrem Sonderzweck gemäß behandelt wer­ zu verdreifachen, so erhellt daraus, welche den oder völlig von der Axt verschont bleiben: wirtschaftliche Wertschätzung dem Wald ent­ urige Schluchtwälder in feucht-dumpfen To- gegengebracht worden ist. Man kann nicht um­ beln, Baum- und Buschweidenansiedlungen um hin, diesen Wert und seine unbedingte Bewah­ Toteislöcher, erlenbruchartige Bestockungen in rung auch heute noch in den Vordergrund zu verlandeten Rieden und über allem großflächige stellen. Ist er doch im Grunde genommen die Buchen-Laubbaum-Bestände auf abschüssigen

374 Molasse-Rutschhängen, die kaum eines Men­ Arbeitsgemeinschaft für Forsteinrichtung in Bodman schen Fuß betritt. 1977. (Unveröffentlichtes Manuskript, dem Verfasser freundlicherweise zur Verfügung gestellt). 4) Der an sich dankenswerte Versuch eines unab­ Anmerkungen: hängigen Waldeigentümers, in den Jahren nach dem ^ Soweit nichts anderes vermerkt, sind die Zahlen­ Zweiten Weltkrieg seinen rd. 120 ha großen, vorrats­ angaben dem Forststatistischen Jahrbuch 1976, reichen, gleichalterigen Ffochwald auf dem Bodan­ 24. Jahrgang, herausgegeben vom Bad.-Württ. Mini­ rück gezielt in einen Blenderwald umzuwandeln, sterium für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt, mußte aus dem gleichen Grund scheitern. In kürze­ entnommen. ster Frist hatte die Buche das Feld beherrscht. Die 2) Otto Josef Seitschek, Die Weißtanne im Boden­ kleinflächigen Nadelholzkulturen waren im Bu­ seegebiet. Forstwissenschaftliche Forschungen, Bei­ chenmeer unrettbar verloren. heft zum Forstwissenschaftlichen Zentralblatt 5* Vfm D = Vorratsfestmeter Derbholz. Nr. 26/1967 (Verl. Paul Parey Hamburg und Ber­ dGz = durchschnittlicher Gesamtzuwachs. dGz 7,4 lin). bedeutet - auf 100 Jahre bezogen - einen durch­ 3) Eugen Huber, Die Auswertung der Forsteinrich­ schnittlichen jährlichen Gesamtzuwachs von 7,4 fm tungsstatistik. Vortrag anläßlich der Jahrestagung der je ha. - Zahlenangaben nach Eugen Huber, a.a.O .

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375 Foto: Siegfried Lauterwasser, Überlingen

376 Vom Rebgut und Dichtersitz zum Naturschutzgebiet und Sportkurzentrum

Aus der wechselvollen Geschichte der Halbinsel Mettnau bei Radolfzell

Franz Götz, Radolfzell / Singen (Hohentwiel)

Vor hundert Jahren wurde die Mettnau der lite­ Der westlichste, stadtnahe Teil der Mettnau, rarisch interessierten Öffentlichkeit bekannt, der früher „auf dem Hardt“ genannt wurde, ist weil der Dichter Joseph Viktor von Scheffel größtenteils bebaut. Hier finden wir neben 1876 ein auf dieser Radolfzeller Halbinsel gele­ Sportplätzen und der Seebadeanstalt das städt. genes, über 80 ha großes Landgut gekauft hatte Krankenhaus, die Kurklinik, Sanatorien, Kur­ und das dort stehende, ehemals städtische Reb- pensionen, die Mettnauschule und eine Vielzahl haus zu einem Schlößchen umbauen ließ. ruhig gelegener moderner Wohnhäuser. Heute ist die Zahl derer, denen die Mettnau be­ Ausgedehnte, erst vor kurzem vollendete Park­ kannt ist, erheblich größer als zu Scheffels Zei­ anlagen stellen die Verbindung zum Kurzen­ ten; denn seit 20 Jahren konnten viele tausend trum in der Mitte der Halbinsel, der eigentli­ Menschen die Segnungen der „Mettnau-Kur“ chen Mettnau, her. Das Scheffelschlößchen, in genießen. Die Radolfzeller Bewegungstherapie dem die Kurverwaltung untergebracht ist, steht unter dem Motto „Heilung durch Bewegung“ im Mittelpunkt einer Gebäudegruppe: Kurmit­ ist zu einem medizinischen Qualitätsbegriff telhaus, Kursanatorium, Liegehallen, Strand­ geworden und hat dem guten alten Namen der kaffee und Strandbad. Stadt Radolfzell neuen Glanz verliehen, Das Naturschutzgebiet flankiert das Kurge­ östlich der Mettnau-Kuranlagen liegt ein seit lände und umfaßt zusätzlich den östlichsten, 1930 unter Naturschutz gestelltes „urweltlich Hagnau genannten Teil der Mettnau. Es ist schönes Eiland“, ein unberührtes Pflanzen- durch einen Weg und zwei Aussichtstürme er­ und Vogelparadies, unberührt wie in den Ta­ schlossen. gen, als Bischof Radolf von Verona 826 am Ufer Für den Namen Mettnau gibt es mehrere Erklä­ des Untersees seine Zelle erbaute, neben der rungsversuche. Am plausibelsten erscheint die sich später die Stadt Radolfzell entwickelt Deutung, die Mettnau sei die „mittlere Au“, hat. d.h. die Au, die in der Mitte zwischen den bei­ den westlichen Buchten des Untersees oder in der Mitte zwischen der Halbinsel Höri und dem Lage, Name, Frühbesiedlung Ufer bei Markeifingen oder in der Mitte zwi­ Die Mettnau ist eine sich von Radolfzell knapp schen Hardt und Hagnau liegt.1' 3,5 km in südöstlicher Richtung erstreckende, Vielleicht bezieht sich der Name Mettnau je­ bis zu 800 m breite Halbinsel. Sie ragt weit in doch auf den wiesen- und mattenreichen Teil den blanken Spiegel des Untersees hinein, der Halbinsel und bedeutet demnach „Matten- trennt den Markeifinger Winkel vom Zeller See au“ . und weist wie ein langer Finger auf die von der Möglich wäre auch, daß in der Bezeichnung äußersten Mettnauspitze nur wenig mehr als Mettnau der Personenname Matto, bzw. Metto 2 km entfernte Insel Reichenau. steckt.2' Paul Albert und Herbert Berner3'

383 Karte mit der Halbinsel Mettnau

bringen diesen Mettnauer „Ureinwohner“ na­ darnach, als er zu sinen tagen komen, sig er ain mens Matto oder Metto in Verbindung mit der münch in der genanten Ow worden . . .“4^ Überlieferung des Reichenauer Chronisten Wenn auch der hl. Wolfgang wohl nicht auf der Gallus öhem, der ein Haus auf der Mettnau Mettnau, sondern vermutlich in Pfullingen ge­ erwähnt, „genannt des mans hus“. In diesem boren wurde, so haben die Radolfzeller doch Haus, das an der Stelle gestanden haben könnte, diesen Bischof von Regensburg (972-994), der an der sich jetzt das Scheffelschlößchen erhebt, im Kloster Reichenau ausgebildet worden war, soll nach Gallus öhem der hl. Wolfgang gebo­ in hohen Ehren gehalten. Ihm errichteten sie ren worden sein: eine Kapelle auf der Mettnau. Sie stand dort, wo „Anno 972 ist sant Wolfgang, ain Graf von Ri- man später das sog. „Urkundenhäuschen“ auf­ denfels nit wit von Schwäbisch-Werd, bischof gestellt hat, und wurde 1784 wegen Baufällig­ zu Regenspurg worden, etlich an unserm land keit abgebrochen. sagent, in ainer ow, Mettnow genant, lit ob Ra- Die legendenhafte Überlieferung um „des mans tolffzell gegen der Richenow zu an dem see, in hus“ auf der Mettnau läßt immerhin zweierlei ainem hus, genant des mans hus, geboren und deutlich werden: Die Radolfzeller Halbinsel war schon sehr früh besiedelt und sie gehörte Mettnau eine Siedlung der Mittleren und einen seit der Gründung der Abtei Reichenau (724) zu Bauernhof der Jüngeren Steinzeit zu rekonstru­ den Besitzungen dieses Klosters. ieren. Die Steinzeithütten des Freilichtmu­ Die frühe Besiedlung der Mettnau wurde durch seums Mettnau sind nach dem Zweiten Welt­ Bodenfunde bestätigt. 1929 hat man Reste me- krieg teils abgebrannt, teils zerfallen. Was von solithischer Wohnplätze entdeckt und dies der Siedlung in den Jahren 1954/55 noch stand, dann zum Anlaß genommen, 1938 auf der wurde abgebrochen und beseitigt.5'

Blick auf Radolfzell und die Halbinsel Mettnau. Im Hintergrund die Insel Reichenau. Luftbild: Albrecht Brugger, Stuttgart Freigegeben vom Innenministerium Baden-Württemberg No. 2/22900

385 Bodensee/Untersee Foto: Siegfried Lauterwasser, Uberlingen

Radolfzeller Bürger und die Stadt im Besitz nau zur Grundherrschaft des Klosters Reiche­ der Mettnau nau. Die Äbte ließen die landwirtschaftlichen Nutzflächen zunächst von ihrem Radolfzeller Wie das Gelände, auf dem Bischof Radolf 826 Kelhof aus bewirtschaften und gaben später die seine Zelle erbaute und im Jahr 1100 der Rei- Ländereien als Lehengüter an Radolfzeller Bür­ chenauer Abt Ulrich II. von Dapfen mit Ge­ ger, bzw. an die Stadt Radolfzell selbst. nehmigung Kaiser Heinrichs IV. einen Markt Vom 14. Jhdt. bis zum Jahr 1509 lassen sich in errichtete,6) gehörte auch die Halbinsel Mett­ Radolfzell Bürger nachweisen, die sich nach der

386 Mettnau „Mettnower“ nannten, wo sie wohl nur je 8, zusammen also stets nur 16 Stück Vieh zunächst als Reichenauer Lehensleute saßen, zu der städtischen Weide auf dem Giessen und ehe sie in der Stadt als Chorherren, als Bruder­ der Hagnau zuzulassen seien, mit Ausnahme schaftsmitglieder oder als Ammänner ihre Spu­ der Zeit des Bannes, d.i. von Kreuzerfindung ren in den Archiven hinterlassen haben.7* (3. Mai) bis Kreuzerhöhung (14. September), Nach einem Radolfzeller Steuerbuchauszug in der auch der städtische Hirte nicht zur Weide vom Jahre 1440 war ein Teil der Mettnau schon treibt.“ 11* damals freies Eigentum der Stadt und wurde of­ Rudolf Vogt und seine Frau Anna von Wellen­ fenbar vorwiegend als Weideland genutzt. Die berg verkauften ihr Mettnaugut (Haus, Hofrei­ beiden anderen Teile waren Lehen der Abtei te, Reb- und Baumgarten, Wiesen, Wunn und Reichenau, bzw. ab 1540 des Bischofs von Kon­ Weide, Gräben und einen kleinen Weiher) zwi­ stanz.8* schen 1504 und 1516 an den Radolfzeller Bürger Am 23. Februar 1483 verkaufte Synesius Ro­ Sebastian Rümelin. Von diesem erwarb die senburg, der Inhaber eines der beiden Reiche­ Stadt Radolfzell das Gut am 27. November nauer Lehengüter auf der Mettnau, seinen An­ 1516 um 720 Gulden. Am 20. Mai 1527 kaufte teil mit Haus, Hof und Hofreite, Wein-, Kraut- dann die Stadt Radolfzell auch noch das andere und Baumgarten, Reben und Ländern, Wunn private Mettnaugut vom stark verschuldeten und Weide, Weg und Steg und aller Gerechtig­ jungen Gerolt Vogt um die Summe von keit dem Junker Gerolt Vogt von Radolfzell. 1010 Gulden.12* Das andere Reichenauer Lehengut auf der Mettnau besaß zu jener Zeit bereits dessen Vet­ Die Stadt Radolfzell alleinige Besitzerin der ter Rudolf Vogt.9* M ettnau Die Vogt, die ursprünglich Dietrich hießen, waren eine bedeutende Radolfzeller Patrizier­ Seitdem war die ganze Mettnau mit allem Zube­ familie, stifteten 1420 die Vogtspfründe am hör und der Niedergerichtsbarkeit ununterbro­ Dreifaltigkeitsaltar im Münster zu Radolfzell, chen und ungeteilt, wenn auch nicht unumstrit­ besetzten in Radolfzell wiederholt die Posten ten, bis 1871 im Besitz der Stadt Radolfzell. Le­ des Vogtes (so wurde aus der Amtsbezeichnung hensherr über die 1516 und 1527 erworbenen der Geschlechtsname), des Ammanns und des Teile der Mettnau blieb jedoch von 1540 bis Bürgermeisters, erwarben sich einen ansehnli­ 1803 der Bischof von Konstanz als Nachfolger chen Besitz, waren auch in der Stadt Konstanz des Reichenauer Abtes.13* Ratsmitglieder und zählten im 16. Jhdt. zum Zunächst galt es, die durch den Bauernkrieg landsässigen Adel. Die Familie ist Ende des entstandenen Schäden zu beheben; denn bei der 16. Jhdts. im Mannesstamm erloschen.10* sechswöchigen vergeblichen Belagerung der Rudolf Vogt und Gerolts Ehefrau Margarethe Stadt Radolfzell durch die Bauern im Frühjahr sowie deren 6 Kinder bekamen nach Gerolts 1525 wurde mit dem übrigen direkt an die Stadt Tod mit der Bürgerschaft von Radolfzell anstoßenden Gelände auch die Mettnau derart Schwierigkeiten wegen der Weidegerechtigkeit verwüstet, daß die von Junker Gerolt Vogt für auf der Mettnau, und zwar auf dem Giessen, sein Mettnaugut beanspruchte Entschädigungs­ d.h. dem Überschwemmungen ausgesetzten summe fast den von der Stadt 1527 bezahlten Teil der Halbinsel, und auf der Hagnau, dem Kaufpreis erreichte.14* mit Hecken und Büschen bewachsenen äußer­ Die äußere Instandsetzung der städtischen Be­ sten Ende der Landzunge. Bürgermeister und sitzungen auf der Mettnau folgte der Sicherung Rat der Stadt Radolfzell haben sich am 18. Juni des rechtlichen Besitzstandes der Stadt; denn in 1504 mit ihren Kontrahenten dahingehend ge­ den Jahren 1511 und 1517 waren Rechtsstrei­ einigt, „daß von den beiden vögtischen Gütern tigkeiten mit den Beamten der österreichischen

387 Landgrafschaft Nellenburg in Stockach dahin­ verkauft wurden und nicht die bischöfliche Ta­ gehend entschieden worden, daß Radolfzell die fel in Meersburg bereicherten! Niedergerichtsbarkeit über die ganze Halbinsel Das städtische Mettnaugut, das den mittleren Mettnau behalten durfte, während die hochge­ und östlichen Teil der Halbinsel umfaßte, richtliche Obrigkeit über die eigentliche Mett­ wurde zur landwirtschaftlichen Nutzung ver­ nau und über die Hagnau der Landgrafschaft pachtet, zunächst an zwei, ab 1842 an einen Nellenburg zugestanden wurde.15' Lediglich Landwirt. Die Pächter trieben vorwiegend über den zum Stadtbezirk zählenden, als Hardt Rebbau und hielten, um den hierfür erforderli­ bezeichneten westlichen Teil der Halbinsel chen Dünger zu bekommen, das nötige Vieh.17' durfte die Stadt Radolfzell die Vogteigewalt und Die Aufsicht über das Mettnaugut führte der die damit verbundene hohe Gerichtsbarkeit Bürgermeister. Die regelmäßige Visitation der ausüben. Reben war Sache des Stadtrates und der „Be­ Nachdem die Zwistigkeiten mit Nellenburg schauer“ . 1610 noch einmal ausgebrochen waren, aber Die Lehenshoheit über die ehemals reichenaui- bald endgültig bereinigt werden konnten, trat in schen, dann bischöflich konstanzischen Mett­ der Person des Bischofs von Konstanz, des nauteile ging 1803 an Baden über, das nochmals Rechtsnachfolgers des Reichenauer Abtes und 1816 in althergebrachter Weise einen von Lehensherrn über Teile der Mettnau, ein neuer Großherzog Karl ausgestellten Lehenbrief den Gegner der Stadt Radolfzell auf den Plan. Der Vertretern der Stadt Radolfzell aushändigen Konstanzer Bischof machte nämlich neben sei­ ließ.18' Durch einen „Lehensauskaufsvertrag“ nen unbestrittenen Rechten als Lehensherr über vom 3. Februar 1830 wurde schließlich das Teile der Mettnau auch Gerichts-, Forst- und Mettnau-Lehen allodifiziert, d. h. es ging gegen Jagdrechte geltend und hätte am liebsten die eine Ablösesumme in Höhe von 6 Gulden Halbinsel seinem in unmittelbarer Nachbar­ 1 Kreuzer in das volle Eigentum der Stadt Ra­ schaft, nämlich in Markeifingen, beginnen­ dolfzell über.19' den Territorium einverleibt. Nach vierjähri­ gem, hartnäckig geführtem Juristenstreit Das Interesse der Radolfzeller Rats- und Bürger­ (1612-1616), ausgelöst durch das Setzen neuer ausschußmitglieder am städtischen Rebgut Marksteine ohne Hinzuziehung bischöflicher Mettnau war in jenen Jahren allerdings merk­ Beamter, zog schließlich der Bischof den kürze­ lich gesunken. Lange vorbei waren die Zeiten, ren: Niedergerichtsbarkeit und Jagdrecht auf als man die städtischen Rechte an der Mettnau dem Hardt, der Mettnau und der Hagnau ver­ gegenüber den Ansprüchen des Konstanzer Bi­ blieben bei der Stadt Radolfzell.16' schofs „mit Gut und Blut“ verteidigen woll­ Ihre beharrlich verteidigten Rechtsansprüche te.20' Das war im Jahr 1612. Jetzt, anno 1822 und Besitzungen wurden zwar auch danach und anno 1829, beabsichtigte man, das ganze noch verschiedentlich angefochten, eine ernst­ Mettnauanwesen, das sich angeblich nicht mehr hafte Gefahr, auf der Mettnau dem Bischof von rentierte, zu verkaufen.21' 1822 überzeugte je­ Konstanz nachgeben zu müssen, bestand je­ doch der damalige Bürgermeister die Bürger­ doch nicht mehr. Die Stadt konnte die zwar schaft von der Notwendigkeit, die Mettnau als mitunter von Überschwemmungen heimge­ städtische Grundstücksreserve, gewissermaßen suchte, aber gleichwohl ertragreiche Halbinsel als „Notpfennig“, wie es in den Akten heißt, zu wirtschaftlich nutzen. Da gab es Rebhänge, die erhalten. 1827 beschloß dann die Radolfzeller Wein lieferten, Matten, die Futter und Streu Bürgerversammlung den von Bürgermeister abwarfen, und es gab Kleinwild und jagdbare Anton Spachholz betriebenen Mettnau-Ver­ Vögel, die nun eben in den Töpfen der Radolf­ kauf einstimmig, doch hat sich für das 1828 auf zeller landeten oder auf dem Radolfzeller Markt 8000 Gulden geschätzte und 1829 zur Verstei­

388 Blick vom Markeifinger Ufer auf Mettnauspitze, Halbinsel Höri und den Thurgauer Seerücken. Foto: Liedl, Radolfzell

gerung ausgeschriebene Objekt kein Käufer ge­ hauses und die bauliche Regulierung des Öko­ funden. nomiegebäudes auf der Mettnau“ ,23* Dieser Be­ Zum städtischen Rebgut Mettnau gehörten schluß wurde unverzüglich realisiert, so daß nach einer Aufstellung vom 25. Juli 1829 fol­ 1858 neue Wohn- und Ökonomiegebäude auf gende Liegenschaften: a) ein zweistöckiges dem Rebgut Mettnau standen.24* Rebhaus mit doppelter Wohnung, Scheuer und Stallung, b) ein Torkelgebäude mit anstoßender Der Dichter Joseph Viktor von Scheffel Stallung, c) 772 Jauchert Reben, d) 9V2 Jau- „Herr auf Mettnau“ chert Äcker und Wiesen, e) 16 Jauchert Stock­ wiesen, f) 40 Jauchert Burstwiesen und g) Schon 1871 hatte ein erneuter Versuch, das 80 Jauchert Riedwiesen. städtische Mettnaugut zu verkaufen, zum Ziel In den folgenden Jahren wurde der Weinbau auf geführt. Auf Anraten eines einflußreichen Ra- der Mettnau wieder zu einem gewinnbringen­ dolfzellers, des Apothekers, Weinhändlers, den städtischen Unternehmen. In den 12 Jah­ Stadtrats und Landtagsabgeordneten Karl Mül­ ren von 1830 bis 1842 betrug nämlich der Rein­ ler, hat dessen Kollege im badischen Landtag, ertrag 6320 Gulden und 25 Kreuzer; das ent­ der frühere Bürgermeister Franz Conrad von spricht einem Jahresdurchschnitt von 510 Gul­ Bühl, am 2. Juli 1871 um 19100 Gulden das den und 1272 Kreuzern.22* 223 badische Morgen große Anwesen von der Am 1. März 1857 beschloß der Stadtrat den Stadt Radolfzell abgekauft.25* Fünf Jahre später „Neubau eines besonders stehenden Wohn­ ein erneuter Besitzwechsel: Als Käufer trat nun

389 Das Scheffelschlößchen au f der Mettnau, heute Sitz der Kur­ verwaltung. Foto: Widder. Radolfzell

der Dichter Joseph Viktor von Scheffel auf. einem zweistöckigen Wohnhaus, einem Öko­ Dieser hatte bereits 1871 durch Vermittlung nomiegebäude mit Keller und Waschküche und seines Stuttgarter Verlegers Bonz, der regelmä­ einem Badehäuschen sowie Reben, Äckern, ßig in Radolfzell Ferien machte, ein Stück Gar­ Wiesen, Streuwiesen und sog. Vorland, zu­ tenland an der Seehalde auf dem stadtnahen Teil sammen 223 Morgen oder 80 ha 28 ar.26) der Mettnau gekauft und dort 1872/74 durch „Der zum Ökonom übergegangene Dichter“, den Karlsruher Baumeister Durm eine Villa er­ schreibt Joseph Stöckle, „entfaltete bald eine bauen lassen (heute Staatl. Forstamt, Scheffel­ rege Tätigkeit, die seither ziemlich vernachläs­ straße 14). Am 3. November 1876 erwarb sigte Mettnau zu dem umzuschaffen, was sie Scheffel von Franz Conrad um die Summe von jetzt ist. Die Radolfzeller, die auf ihren neuen 32000 Gulden (ca. 55 000 Mark) das Mettnau­ Mitbürger einen Stolz hatten, halfen kräftigst gut, das aus folgenden Liegenschaften bestand: m it.“27)

390 Zum 50. Geburtstag verlieh die Stadt Radolf­ Boden, nur in bescheidenem Maße er­ zell dem gefeierten Poeten das Ehrenbürger­ füllt“ .3” recht, seine Villa Seehalde wurde an die städti­ Nicht nur die versiegende Dichterkraft, son­ sche Wasserleitung angeschlossen und der Weg dern auch harte Schicksalsschläge und ein zer­ zur Mettnau höhergelegt, so daß der Dichter bei mürbender Streit mit den Reichenauer Fi­ Überschwemmungen nicht mehr vom Festland schern, die vornehmlich bei Hochwasser in abgeschnitten war. Scheffels „Hoheitsgebiet“ eindrangen, verdü­ 1878/79 ließ Scheffel das Wohnhaus der frühe­ sterten mitunter seinen Alltag.32’ Nicht ganz ren Rebgutspächter auf der Mettnau umgestal­ zehn Jahre nach dem Erwerb der Mettnau ist ten und durch einen stattlichen Eckturm ergän­ Joseph Viktor von Scheffel am 9. April 1886 als zen. Die vom Berliner Architekten von Groß­ Sechzigjähriger in Karlsruhe gestorben. heim geplante Dichterklause erhielt dadurch den Charakter eines kleinen Schlosses.28’ Als Auf Umwegen wieder im Besitz der Stadt „Scheffelschlößchen“ wird das Gebäude bis heute bezeichnet. Vierzig Jahre lang ging nun das Landgut auf der In seiner Radolfzeller Villa Seehalde und auf der Mettnau in oft raschem Wechsel von Hand zu Mettnau hatte der „Meister Josephus vom dür­ Hand, bis es schließlich der Stadt Radolfzell ren Ast“, wie sich Scheffel in späteren Jahren 1926 gelang, wieder Eigentümerin der Mettnau gelegentlich selbst nannte, „einen stillen und si­ zu werden. cheren Ankergrund für die letzte Phase seines Fünf Jahre nach des Vaters Tod hat der damals Erdenwallens gefunden.“29* In seinem Mett­ 24jährige Sohn und Erbe des Dichters, Lieute­ nauschlößchen wohnte der Dichter vorwiegend nant Viktor Karolus Albertus Josef von Schef­ während der Sommermonate, „widmete sich fel, das Mettnaugut am 16. Juni 1891 an Wal­ dem Rebbau, der Jagd und der Fischerei und ther Bauendahl, Regierungsreferendar aus verbrachte die Zeit mit Ausflügen und gast­ Kreuznach, verkauft.33’ Als weitere Eigentü­ freundlicher Geselligkeit“.30’ Unter den jünge­ mer der Mettnau sind im Radolfzeller Grund­ ren Freunden des „Einsiedlers am See“ war vor buch eingetragen:34’ allem Anton von Werner, der Illustrator von Erwin Rickmers, Gutsbesitzer aus Bremen Scheffels Werken, ein immer gern gesehener (1898-1901), dessen Bruder Willy Rickmers, Gast. Privatgelehrter und Forschungsreisender aus Dem zum „Landmann“ gewordenen Dichter, Bremen (1901-1909), Dr. Oskar Brugger, Au­ dem es Spaß machte, zu gärtnern, zu pflanzen, genarzt in Konstanz (1909-1917), Dr. Paul Obstbäume zu schneiden, Wein abzulassen und Wangemann, Diplomingenieur und Patentan­ im Hause zu rumoren, ging ein Gutspächter zur walt in Berlin (1917-1920), Max Julius Hau­ Hand, und der Hauptlehrer Johann Schönen­ schild, Fabrikbesitzer in Grünberg, bzw. in berger, der schon beim Kauf der Mettnau die Hohenfichte in Sachsen (1920-1926). Verhandlungen führte, war als Scheffels Ra­ Als im Sommer 1925 bekannt wurde, daß dolfzeller Verwalter und Bevollmächtigter tä­ Hauschild beabsichtige, die Mettnau zu verkau­ tig, wenn der Meister in Karlsruhe weilte. fen, bekundete die Stadt Radolfzell Interesse, Große literarische Werke hat Scheffel als „Herr diesen rund 50 Jahre zuvor von ihr veräußerten auf Mettnau“ allerdings nicht mehr geschaffen. Besitz wieder zu erwerben. Die Kaufverhand­ Die schöpferischen fünfziger und sechziger lungen mit dem Eigentümer und seinem Kon­ Jahre waren vorbei. „Der Traum von einem stanzer Makler zogen sich ein Jahr lang, vom neuen Blütenfrühling des entlaubten Stammes Oktober 1925 bis Oktober 1926, hin. Nachdem dichterischer Schöpferkraft hat sich an den anfangs ein Kaufpreis zwischen 150 000 Mark Ufern des Untersees, auf eigenem Grund und und 130 000 Mark verlangt, aber von der Stadt

391 nicht akzeptiert worden war, einigte man sich der Mettnau ein Scheffelmuseum ein, das im schließlich auf eine Kaufsumme in Höhe von Juli 1928 fertiggestellt war, 1951 wiedereröffnet 95 000 Mark plus 5000 Mark Maklergebühren. wurde und 1956 durch ein Heimatmuseum im Der Kaufvertrag über das mittlerweile 88 ha 2. Stock des Gebäudes erweitert werden konn­ 65 ar und 81 qm große Objekt, einschließlich te. Leider mußten beide Museen 1966 den Er­ der darauf stehenden Gebäude, wurde am fordernissen der Mettnaukur weichen. Für die 20. Oktober 1926 abgeschlossen. Der Bürger­ seither in Magazinräumen aufbewahrten Aus­ ausschuß stimmte dem Kauf zwei Tage später, stellungsstücke hat sich bedauerlicherweise bis am 22. Oktober 1926, zu.35^ heute kein neues Museumsgebäude gefunden, Der Rückkauf des Mettnaugutes durch die Stadt in dem die an die Geschichte der Stadt Radolf­ im Jahre 1926 war eine mutige, zukunftswei­ zell und an den Radolfzeller Ehrenbürger Jo­ sende Tat, für die den damals verantwortlichen seph Viktor von Scheffel erinnernden Kostbar­ Stadtvätern ein hohes Lob gebührt, allen voran keiten interessierten Besuchern wieder gezeigt dem Radolfzeller Bürgermeister Otto Blesch werden könnten. und seinem Stellvertreter Albert Schroff, der das Mettnau-Geschäft ganz besonders betrie­ Neben dem Scheffelbund zog 1928 auch die ben zu haben scheint. Mut gehörte tatsächlich Süddeutsche Vogelwarte e.V. Stuttgart, die- dazu, 1926 das „urzellerische Besitztum Mett­ schon zuvor regelmäßige ornithologische Be­ nau“ wieder zu erwerben. Denn neben dem obachtungen auf der Mettnau durchführte, mit Kaufpreis mußten erhebliche Aufwendungen einer vogelkundlichen Sammlung in das Schef­ gemacht werden, um den zum Zeitpunkt des felschlößchen und mit weiteren Einrichtungen Rückkaufs ziemlich verlotterten Besitz vor wei­ in das 2. Obergeschoß des Verwaltergebäudes terem Verfall zu bewahren und ihn in ordentli­ auf der Mettnau ein.37) Die Station Mettnau der chen Zustand zu versetzen. Durch den Wegzug Süddeutschen Vogelwarte e.V. Stuttgart wurde des „unheimlich reichen Hauschild“ - so Bür­ 1938 aufgelöst, die vogelkundliche Sammlung germeister Blesch - entfiel der Stadt überdies ins Schloß Möggingen bei Radolfzell verbracht. eine jährliche Steuereinnahme von rund 1946 fand dann auch die Vogelwarte Rossitten 4000 Mark. Aber die Radolfzeller stellten diese (Ostpreußen) in Möggingen eine neue Unter­ wirtschaftlichen Bedenken zurück. Nach kunft. Die nun als Vogelwarte Radolfzell be- Bleschs Worten waren sie froh, „die Mettnau zeichnete Forschungseinrichtung erhielt wieder aus den Händen des landfremden Industrierit­ ein Arbeitsfeld auf der Mettnau und wurde 1959 tertums herausnehmen und der Allgemeinheit dem Max-Planck-Institut für Verhaltensphy­ wieder zugänglich machen zu können. “36) siologie angegliedert.

Wissenschaftliche Vogelbeobachtung ist nur in einem unberührten Naturraum möglich. Des­ Freizeit- und Erholungsraum Mettnau halb wurde schon 1930 der östliche, an Scheffel­ Nachdem schließlich am 30. April 1927 vom schlößchen und Gutsbetrieb anschließende Teil Vorbesitzer die Schlüssel für das Scheffel­ der Halbinsel unter Naturschutz gestellt und schlößchen dem Vertreter der Stadt Radolfzell 1938 in das Reichsnaturschutzbuch eingetra­ ausgehändigt worden waren, ging man zielstre­ gen. Das zunächst rund 53 ha große Schutzge­ big daran, die Mettnau in einen Freizeit- und biet wurde 1960 erweitert und umfaßt jetzt eine Erholungsraum für Einheimische und Gäste Fläche von77 ha. Zur Zeit laufen Bemühungen, umzuwandeln. das durch einen Pfad erschlossene Natur­ Der Deutsche Scheffelbund e.V. in Karlsruhe schutzgebiet nochmals zu erweitern und die Be­ richtete im Erdgeschoß des Herrenhauses auf treuung der Schutzgebiete gemäß Bundesnatur­

392 Strandcafe Mettnau. Im Hintergrund der Hohentwiel Foto: Robert Häuser, Mannheim

schutzgesetz vom 20. 12. 1976 der Ortsgruppe blieb und anschließend noch bis 1972 eine Obst­ Radolfzell des Deutschen Bundes für Vogel­ anlage auf der Mettnau unterhalten wurde.38* schutz zu übertragen, die seit 20 Jahren von In unmittelbarer Nachbarschaft des Scheffel­ Siegfried Schuster geleitet wird. schlößchens entstand ebenfalls 1928 ein schönes Das Mettnaugut wurde noch bis Anfang 1928 großes Strandbad. Es wurde am 24. Juni 1928 verpachtet, dann in städtischer Regie umgetrie­ eröffnet und konnte schon im ersten Sommer ben und nach und nach in einen Gartenbaube­ eine Besucherzahl von 40 000 Personen aufwei­ trieb der Stadt umgewandelt, wobei allerdings sen.39* Dicht daneben errichtete die Stadt im bis 1940 noch ein kleines Rebgelände erhalten selben Jahr ein Strandbadrestaurant (Strandca­

393 Eingang zum neuen Kurmittelbaus Radolfzell-Mettnau mit Bewegungsbad, Sauna, Solarium, Gymnastikhalle und physik. Therapieabteilung Foto: Heinz Bosch, Stockach

fe), das 1966 durch den heutigen Neubau ersetzt felschlößchen (1933), erwarb den sog. wurde.40* „Bonz’schen Garten“ (1936), in dem später Das Verwaltergebäude auf der Mettnau hat die eine Konzertmuschel und eine Kleingolfanlage Stadt 1929/30 sowie 1935/36 zu einem Gäste­ eröffnet wurde. haus umgebaut.41* Aus dem daran anstoßenden Ökonomiegebäude wurde 1934/35 zunächst ein Die M ettnau-Kur Mütter- und Kindererholungsheim (Jugend­ herbergsheim).42* Beides, Gästehaus und Erho­ Das Bestreben der Stadt, ihre Fremdenver­ lungsheim, bezeichnete man ab 1936 als kehrs- und Erholungseinrichtungen stets zu „Strandhotel“ und verpachtete dieses zusam­ verbessern, wurden nach dem Zweiten Welt­ men mit dem Strandcafe.43* Heute ist das ehe­ krieg fortgesetzt. Nach der Währungsreform malige „Strandhotel“ das „Kursanatorium begann man, den Fremdenverkehr wieder an­ Mettnau“ („Hermann Albrecht-Sanatorium“). zukurbeln. Dem Antrag der Stadt auf Annahme als Mitglied im Deutschen Bäderverband wurde Parallel zu diesen Baumaßnahmen verbesserte 1949 stattgegeben. Die Übernachtungszahlen die Stadt die gärtnerischen Anlagen auf der stiegen in den Jahren 1950 bis 1955 von 26 690 Mettnau, um die sich früher besonders der Ra­ auf 97 759. dolfzeller Verschönerungsverein angenommen Konsequenter und wirtschaftlich notwendiger hatte, baute eine neue Fahrstraße bis zum Schef­ Abschluß dieser Entwicklung war die Schaf­

394 fung besonderer, möglichst ganzjähriger Erho­ Die mittlerweile weitbekannte und hochge­ lungsmöglichkeiten. So entstand auf Initiative schätzte Radolfzeller Kur, deren Leitung am des damaligen Bürgermeisters Hermann Al- 1. November 1974 Kurdirektor Udo Haupt brecht und des Freiburger Universitätsprofes­ (neben den bisherigen bewährten Kräften, dem sors Dr. Ludwig Weisbecker vor 20 Jahren die ärztlichen Direktor Dr. Drews und dem sport­ „Mettnau-Kur“ mit ihrer Devise „Heilung lichen Leiter Stadel) übernommen hat, konnte durch Bewegung“ .44) Am 7. Juni 1958 konnte seit 1958 rund 41 000 stationäre Gäste und rund im jungen Sportkurort Radolfzell die „Kur­ 1 100 000 Übernachtungen zählen. station Mettnau“ feierlich eröffnet werden. Der Kurbetrieb verfügt über 380 Betten in Die Radolfzeller Bewegungstherapie fand An­ Kurklinik, Sanatorien und Kurheimen. 12 Ärz­ klang, und so übertraf schon die erste Kursaison te, 8 Bewegungstherapeuten und 7 Masseure alle Erwartungen. Deshalb wurde das Strand­ und medizinische Bademeister betreuen die hotel auf der Mettnau ab 1959 ausschließlich als jetzt jährlich über 4000 Kurteilnehmer. Insge­ Kursanatorium geführt. Mit der wachsenden samt sind 125 Ganz- und Teilzeitbeschäftigte Zahl der Kurteilnehmer hielt erfreulicherweise zum Wohle der Kurgäste im Einsatz. auch die Errichtung von Sanatorien und Kur­ Bei dieser Bilanz ist eines gewiß (auch wenn heimen auf privater Basis Schritt. In der Zeit vom einstigen „Rebgut Mettnau“ nichts mehr von 1958 bis 1965 hat sich die Patientenzahl von übrig ist): Die Stadt Radolfzell wird sicher nie 20 auf 1900 im Jahr gesteigert. 1965 übernahm mehr in Versuchung kommen, ihr Kleinod Dr. med. Adolf Drews die ärztliche Leitung Mettnau-Halbinsel noch einmal zu verkau­ der Mettnau-Kur. Ein Jahr danach erfolgte die fen! Anerkennung Radolfzells als „Kneipp-Kurort Radolfzell-Mettnau“ . Ab 1. Januar 1969 wurde die Mettnau-Kur unter dem Triumvirat Josef

Rapp (Kurdirektor), Dr. Adolf Drews (ärztli­ Anmerkungen cher Leiter) und Willi Stadel (sportlicher Leiter) 1) Vgl. hierzu insb. Ernst Schneider „Flurnamen als städtischer Eigenbetrieb geführt. der Gemarkungen Radolfzell, Böhringen, Überlin­ Der längst fällige Bau eines Kurmittelhauses gen am Ried“. Singen 1967, S. 52. Hingewiesen sei konnte 1970 bis 1972 realisiert werden. In den ferner auf Paul Albert, „Geschichte der Stadt Radolf­ nächsten Jahren folgte die Erwerbung des Sana­ zell am Bodensee“. Radolfzell 1896, S. 366; und A l­ bert Krieger, „Topographisches Wörterbuch des toriums Berger (1973; jetzt „Kurparksanato­ Großherzogtums Baden“. 2. Auflage, Heidelberg rium“), die Erneuerung der Therapieanlagen 1904, Band 2, Spalte 187. und die Errichtung einer Kur-Klinik für BfA- 2) Diese Deutungen erwähnen Paul Albert, a. a. O ., Patienten. Dieses große Haus mit 184 Einzel­ S. 592, Albert Krieger, a.a.O ., Band 2, Spalte 187, zimmern wurde 1973/74 auf Grund und Boden und Herbert Berner, „Radolfzell, das Tor zum Bo­ densee“. Radolfzell 1952, S. 48. Weitere Erklärungs­ der Stadt Radolfzell durch einen privaten Bau­ versuche bringt Joseph Stöckle, „Die Mettnau bei träger erstellt und ab 1. Januar 1978 in den städ­ Radolfzell“ ; in: Schriften des Vereins für Geschichte tischen Kurbetrieb übernommen, zunächst auf des Bodensees und seiner Umgebung, XX. Heft, Mietbasis mit der Möglichkeit eines späteren 1891, S. 75 ff., insb. S. 82ff. 4) Vgl. Anm. 2. Ankaufs. 41 Karl Brandi, „Die Chronik des Gallus öhem “. Heidelberg 1893, S. 73. Durch die Übernahme der BfA-Kurklinik und s' Franz Götz, „Geschichte der Stadt Radolfzell. die Fertigstellung des großen Mettnau-Parks im Schrift- und Bilddokumente, Urteile, Daten“. Ra­ Sommer 1977 konnte die rund 20jährige Auf­ dolfzell und Singen/Htwl. 1967, S. 16 f. 61 Franz Götz, a.a.O., S. 24ff. und S. 54ff. bauphase der Mettnau-Kur abgeschlossen wer­ 7* Paul Albert, a. a. O., S. 69,128, 549 und 565, und den. Franz Götz, a.a.O., S. 130.

395 8) Paul Albert, a.a.O ., S. 366ff. 27* Joseph Stöckle, a.a.O ., S. 84. 9) Urkunde 1483 Februar 23 im GLA, Abt. 6. Paul 28) Joseph Stöckle, a.a.O ., S. 85. Albert, a.a.O., S. 367. 29) Wilhelm Zentner, „Joseph Victor von Scheffel 10) Paul Albert, a.a.O ., S. 592f., und Hans Martin und Radolfzell“; in: Badische Heimat, Jahres­ Schwarzmaier, „Die Familie Vogt in Radolfzell und heft 1926, S. 145. ihre geistlichen Stiftungen“; in: Zeitschrift Hegau 3(11 Herbert Berner, a.a.O ., S. 52. Nr. 21/22 (1966), S. 69-80. 3,f Wilhelm Zentner, a.a.O ., S. 147. Urkunde 1504 Juni 18 im GLA, Abt. 6. Paul Al­ 32) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/615 und Jo­ bert, a. a. O., S. 367. seph Stöckle, a.a.O., S. 87f. und Paul Albert, 12* Urkunde 1516 November 27 und Urkunde 1527 a.a.O., S. 369 und Wilhelm Zentner, a.a.O., Mai 20 im GLA, Abt. 6. Paul Albert, a.a.O., S. 147. S. 367. 33^ Altes Grundbuch der Stadt Radolfzell, Band XV, 131 Vgl. hierzu: August Feßler, „Aus der Geschichte S. 712 ff. der Mettnau“ ; in: Badische Heimat, Jahresheft 1926, 34) Altes Grundbuch der Stadt Radolfzell, S. 149ff., insb. S. 151. Band XVII, S. 421 ff. und Band XVIII, S. 578 ff. und 14* Paul Albert, a.a.O ., S. 368. Neues Grundbuch der Stadt Radolfzell. ,5) Urkunden 1511 Juni 6 und 1517 Mai 1 im GLA, 35) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/617, 620 und A bt. 6. Paul A lbert, a. a. O ., S. 3 4 6 ff.u n d S . 589 f. 621. 163 Hierzu ausführlich: Joseph Stöckle, a.a.O., 36* Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/617. S. 92ff. Außerdem Paul Albert, a.a.O ., S. 348ff. 37) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/621 und ,7) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/609 und IV .3/628. IV .3/611. 381 Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/619. ,s* August Feßler, a.a.O ., S. 151. 391 Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/625,1 und ,9> Stadtarchiv Radolfzell. Akten IV.3/609. 2 . 20> Vgl. Joseph Stöckle, a. a. O ., S. 94, und Paul A l­ 40) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/638-641,643, bert, a. a. O ., S. 350. 647 und Nachtrag IV.3/372 sowie Franz Götz, 21) Vgl. hierzu und zum folgenden: Stadtarchiv Ra­ a.a.O., S. 298ff. dolfzell, Akten IV.3/609. 41) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/625,1 und 2, 22) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/611. 645 sowie Nachtrag IV.3/223. 23) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/613,1 und 42) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/625,3 und Franz Götz, a.a.O., S. 196. IV .3/644. 24) Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/613,1 und 43' Stadtarchiv Radolfzell, Akten IV.3/647, 651-653 Franz Götz, a.a.O ., S. 214. und Nachtrag IV.3/336. 25) Altes Grundbuch der Stadt Radolfzell, Band XI, 44) Vgl. hierzu und zum folgenden insbesondere: Jo­ S. 27ff. und Paul Albert, a.a.O., S. 368. sef Rapp, „Die Entwicklung der Mettnau-Kur“; in: 291 Altes Grundbuch der Stadt Radolfzell, Band XII, Zeitschrift Mettnau (Kur- und Gästezeitung Radolf­ S. 668 ff. zell am Bodensee), April 1978, S. 3-6.

396 Die Zizenhausener Terrakottentradition

Manfred Bosch, Grunertshofen

„Die süddeutschen und Schweizer Sammlun­ Schlosses Langenstein bei Eigeltingen (Nähe gen verwahren oft in ihren Schaukästen Zeug­ Stockach) der Öffentlichkeit zugänglich ist. nisse einer alten Bauernkunst vom Bodensee: Begründet hatte die Terrakotten-Tradition, die Die Zizenhausener Terrakotten“, schrieb Wil­ immer eine Familientradition blieb, der Schrei­ helm Fraenger 1922 in einer Monographie und ner Franz Joseph Sohn aus Kümmeratzhofen machte damit nur zwei Jahre nach dem Tode im Ravensburgischen, der aus kirchlichen und des letzten Ausübenden dieser Kunst auf eine Wallfahrtsanlässen seit 1767 eine umfängliche Tradition figürlicher Kleinplastik wieder auf­ Produktion von Devotionalienfiguren begon­ merksam, die heute selbst in der näheren Um­ nen hatte. Sohn zeigte sich geschäftstüchtig und gebung ihres Entstehungsortes weitgehend un­ zeichnete alle Gnadenbilder bis nach Memmin­ bekannt sein dürfte. Heiner Wollheim, ein Mu­ gen hinein ab, um sie als Wallfahrtsandenken zu siker aus Köln, hatte die wohl bedeutendste prägen. Die geschäftliche Orientierung Sohns Sammlung Zizenhausener Terrakotten, die seit läßt seine Figuren ohne jeden Kunstwert er­ seinem Tode in der Heiner Wollheim-Stube des scheinen: wollten die Prägeformen zu mög-

Eine Zizenhausener Terrakotte: ,,Poste Royale“ Foto: Heinz Bosch, Stockach

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441 ,,Nichts Zollbares, meine Herren?“ Foto: Heinz Bosch, Stockach

liehst vielen Abdrucken taugen, so mußten sie stand rückblickend vor allem in der Überwin­ grob gefertigt sein und in der Physiognomie dung derBeziehungslosigkeit, mit der sich noch ohne jeden Anspruch bleiben. die Figuren das Vaters innerhalb der Figuren­ Sohns handwerkliche Fertigkeit bildete sich gruppen gegenübergestanden waren. Anton über populären Formen und Themen aus, vor­ durchbrach auch den rein kirchlich orientierten nehmlich „religiösen Gebrauchsfiguren“ wie Stoffkreis, zunächst durch eine Anreicherung Krippen und Heiligenstatuetten; neben sie tra­ der Krippeninventare durch volkstümliche Fi­ ten erst allmählich allegorische Figuren aus dem guren und Personen; da wurden Klausner und unmittelbaren Lebens- und Anschauungsbe­ Jäger, Waldbrüder und Handwerksburschen reich der Bevölkerung. hinzugefügt, so daß das Weihnachstsspiel 1769 wurde „Sohns Sohn Anton“ geboren. Der „profaniert“ und zum bäuerlich-burlesken spätere Kirchenmaler hatte in jungen Jahren Volksstück wurde. Italien durchreist und arbeitete nach dem Mili­ Der Vorgang erinnert an den schwäbischen tärdienst zwei Jahre im väterlichen Betrieb. Prämonstratenser und Komödiendichter Seba­ Nach seiner Heirat siedelte er nach Zizenhausen stian Sailer, der die Mundartkomödie „Die über. Aus Italien hatte Sohn neben Kupfersti­ Schöpfung“ ebenfalls in den konkreten An­ chen und reichen Skizzenbüchern vor allem den schauungsbereich der ländlichen Bevölkerung Ehrgeiz mitgebracht, die Kunst seines Vaters transpontiert hatte. Was Sebastian Blau in ei­ weiterzuführen. Anton Sohns Fortschritt be­ nem Nachwort zur eigenwilligen „Schöpfung“

442 Sailers bemerkt hat, könnte man mutatis mu- missen wird, so wird man doch bei beiden den tandis auch für Sohns Figurenwelt reklamieren: stärksten Einfluß des Volkstümlichen und brei­ „Das kräftige und weltfromme Klima des tester Vorstellungsweisen unterstellen können. Oberlandes, die eigene ländliche Herkunft, der Wie Sailer hatte sich übrigens auch Sohn An­ menschliche Kontakt, den er als Seelsorger mit feindungen und Beanstandungen ausgesetzt ge­ seinen Pfarrkindern unterhielt, und damit auch sehen; so hatte eine Ravensburger Kunsthand­ die genaue Kenntnis ihrer Sprache, ihres Füh- lung, die das süddeutsche Gebiet mit Krippen lens und Denkens, ihrer Anschauungsweise, ih­ belieferte, Veranlassung zu der Mahnung, es rer Vorzüge und Schwächen - all dies muß da­ dürften „keine dekoltierten Mütter von Bethle­ zugedacht werden, wenn man sich das Phäno­ hem, keine Pfannenflicker und Hirtenweiber“ men erklären will, daß ein Geistlicher biblische den Weihnachtssendungen beigeschmuggelt Stoffe in burleske Komödien umdichtet, aus werden. Mehr und mehr erkannte Sohn indes Erzengeln aufsässige Bauernlümmel, Adam seine Begabung für das Groteske. Fraenger und Eva zu knitzen Kleinbauern, Gottvater zu bringt dies in Zusammenhang mit den Eigen­ einem besitzstolzen oberschwäbischen Hofher­ schaften des Materials, was zweifellos ein ren macht... Nichts lag ihm dabei ferner als der Grund zu sein scheint. „Der ausschweifende Gedanke an Profanierung oder gar an Blasphe­ Charakter des Tons“, schreibt Fraenger,“ der mie“.2) Auch wenn man den seelsorgerlich- überm Kneten zu allerlei phantastischen Extra­ ,,propagandistischen“ Impetus bei Sohn ver­ vaganzen verführt, der unbeschränkte Mög-

Zizenhausener Terrakotte: ,,Ferkelmarkt“ Foto: Heinz Bosch, Stockach

443 Volk geworden war, über das Sohn als landes­ herrlicher württembergischer Schultheiß und „Bürgermeister“ gesetzt war. In dieser Eigen­ schaft hatte Sohn wenig Glück, es gab tätliche Angriffe und Mordversuche, die jedoch miß­ langen; es liegt nahe, auch hierin ein nicht zu unterschätzendes Moment jener „bildnerischen Rache“ an seinen Zeitgenossen zu sehen. Hinzu kamen Beziehungen zu schweizerischen Kunsthändlern vornehmlich in Basel, die Sohn zu einer extensiven Beschäftigung mit satiri­ schen Darstellungsformen brachten. Sohn be­ gann nach Karikaturenvorlagen bekannter zeit­ genössischer Zeichner wie Hieronymus Heß zu modellieren, und nach und nach wurden die Basler Beziehungen zu den wichtigsten Arbeitsaufträgen Sohns. Fraenger urteilt über die satirischen Schwänke aus dem Alltag, die in „sinnfälliger Drastik an den Inhalt der Kalen­ deranekdoten“ erinnern, so: „Die wortkarge Sachlichkeit seiner an (...) den großen französi­ schen Karikaturisten geschulten Zeichenart, Der Tod und die Edelfrau, eine Terrakotte aus dem seine Schlagfertigkeit in der mimischen und Basler Totentanz. Foto: Heinz Bosch, Stockach physiognomischen Charakterisierung von Mensch und Tier, seine Fähigkeit, einen volks­ tümlichen Inhalt in knappem Szenenbild leben­ dig darzustellen, wirken als Elemente einer an­ lichkeiten des Dehnens und Pressens, des Zer- ekdotischen Bilderbogenkomik glücklich zu­ drückens und Verbuckelns in sich birgt, lud ihn sammen.“ Trotz des halbherzigen satirischen geradezu zu der Verzerrung ein (...) Damals Zugriffs eines H. Heß, der dem Nazarenerstil kann sich für ihn kein Buckel genügend runden, verhaftet blieb und zum Hauptlieferanten der Nasen und Lippen wuchern als üppige Schwel­ Sujets für die Zizenhauser Terrakottenproduk­ lungen in den Gesichtern, und gern noch siedelt tion wurde, kommt in den besten Figuren er da und dort, an Hals und Genick ein knolli­ Sohns eine Überlegenheit über den kleinbürger­ ges Gekröpfe an. In seinem kleinen Orchester lichen Lebens- und Erfahrungskreis zum Aus­ vereinigt er alle erdenklichen Spottprofile: druck, in dessen Schranken Sohn gleichwohl Krummbeinige und Stelzfüße, verhöckertes, blieb. Immerhin weist die Sohn' sehe Tradition kielkröpfiges Gesindel, das mit äffischen Pfoten neben Trachtenfigurengruppen und einem um­ die Instrumente traktiert, froschäugig glotzt fänglichen Zyklus des Basler Totentanz, neben und gröhlt und plärrt.“ Als weiteres Moment einer Galerie „kritischer Köpfe“ (Voltaire, zur Erklärung dieser Darstellungsform könnte Rousseau, J.P.Hebel u.a.) auch Helden der Ba­ Sohns mehrjährige Bildungsreise durch Italien dischen Revolution wie Struve, Hecker und dienen, die ihn vermutlich in einige Distanz zu Blum auf - erst nach schikanösen Hausdurch­ seiner alten sozialen Umgebung brachte. Man suchungen stellte man die Produktion solcher muß dazu auch wissen, daß Zizenhausen zu je­ Figuren ein. Es gibt daneben auch satirische ner Zeit zu einer Absteige für allerlei fahrendes Darstellungen des Wucherjuden - ein für die

444 damalige Karikatur erstrangiges Thema, wäh­ ches mehr hinzufügen. Es blieb ein Bestand von rend für Sohns Mönchs-Satire und Spott auf den etlichen 600 Prägemodeln, der eine bemer­ Klerus besonders Frankreich und Belgien Ab­ kenswerte Tradition figürlicher Kleinplastik zu satzgebiete waren. Offensichtlich war Sohn begründen vermochte. auch für derlei Produktion bekannt; eine für England bestimmte Order von 1853 verlangte ausdrücklich, unter der Ware dürfe nichts ,,Un- Anmerkungen sitdiches und auf die Religion anspielendes“ 1 ) Wilhelm Fraenger: Der Bildermann von Zizenhau- sein. sen. E. Rentsch Verlag 1922 Mit Anton Sohn war die künstlerische Entwick­ 2) Zit. nach F.G.Brustgi: Ergänzung der Vorrede lung bereits in der zweiten Generation abge­ Sixt Bachmanns. In: Sebastian Sailers Schriften im schwäbischen Dialekte. Gesammelt und mit einer schlossen. Die Erben begnügten sich mit der Vorrede versehen von Sixt Bachmann. Faksimile­ Reproduktion der vorhandenen Modeln oder ausgabe, herausgegeben von F.G. Brustgi, K. konnten ihrem Bestand doch nichts wesentli­ Knödler Reutlingen, 1976, S. XI.

A de Grenz

i Hen si öppis zum Vezolle? Nüt mir hen nüt d eb i Numme n uns selbr

II Wa isch eigentlich frei? Es P ackig Z igarette Es halb P fund K a ffee un Lebismittl für zeä Frankche Un m ir?

Manfred Bosch

445 Nichts Zollbaresf

Jeden Abend schob ein einfach gekleideter Mann sein Fahrrad von Konstanz nach Kreuz- lingen. Auf dem Rad lag immer ein Sack mit Sand. ,,Nichts Zollbares?“ wollten die Zöllner wissen. Nein, er brächte den Sand seinem Kreuzlinger Freund für dessen Gartenwege. Abend für Abend Sand für G artenwege? Die Zöllner wurden immer mißtrauischer. Der Freund hatte also unvorstellbar lange Garten­ wege. Immer wieder leerte man den Sack aus. Ergebnis: Nur Sand. Täglich: ,,Was habenSie in dem Sackf“ - ,,Sand.“ Es ging lang, bis es die Zöllner merkten: Tat­ sächlich war im Sack immer nur Sand, aber je­ den Abend war es ein anderes fabrikneues und zollpflichtiges Fahrrad gewesen.

Julius Boltze, Allensbach

446