Christoph Wowarra Wilhelm Wagenfeld und das Versprechen der Moderne

In dem über 600 Einzelentwürfe umfassenden Werkverzeichnis des deutschen Produktgestalters Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) wird die Tischleuchte aus Metall und Opalglas unter der Werkverzeichnis-Nummer 1 geführt. Bemerkens- werterweise ist der auf das Jahr 1924 zurückgehende Entwurf nicht nur eines von Wagenfelds frühesten, sondern heute auch eines seiner bekanntesten Werke überhaupt. Erstmals in der Metallwerkstatt des Staatlichen Bauhauses in unter der Leitung des Konstruktivisten László Moholy-Nagy ausgeführt, scheinen sich an der aus geometrischen Grundkörpern zusammengesetzten Leuchte die Bestrebungen dieser weltweit einflussreichsten Kunstschule wie an kaum einem anderen Produkt der -Werkstätten zu versinnbildlichen. Als Bauhaus-Leuchte oder Wagenfeld-Leuchte bezeichnet, zählt sie heute zu den großen Ikonen der Designgeschichte. Entworfen als Muster für die industrielle Massenproduktion, konnte die Leuchte seinerzeit be- kanntlich nur in Kleinstserien unter manufakturellen Herstellungsbedin- gungen produziert werden. Das Versprechen der Moderne vom guten, günstigen Gegenstand, den sich jedermann leisten kann, blieb uneinge- löst. Um 1932/33 wurde die Herstellung der Leuchte schließlich einge- stellt. Erst im Jahr 1980 kam es dann zu der von Wagenfeld autorisierten Reedition durch die Firma Tecnolumen in . Das hier angebotene Exemplar entstand im Frühjahr des Jahres 1930 auf Initiative des Bauhaus-Generalvertreters Heinrich König für des- sen Architekturbedarf GmbH in Dresden, ein Schwesterunternehmen der bedeutenden Galerie Neue Kunst Fides. Wagenfeld nutzte hierbei seine mittlerweile gewonnenen Erfahrungen, um die Leuchte technisch zu ver- bessern. So ließen sich unter anderem Arbeitsprozesse, bei denen zuvor einzelne Bauteile aufwendig miteinander verlötet werden mussten, nun durch Schraubverbindungen verkürzen, was letztlich auch den Verkaufs- preis der Leuchte senkte. Das Problem, dass die am Bauhaus verwendeten Glasschirme aufgrund deren zu klein gewählter Durchmesser bei zu hohen Wattzahlen der Glühlampen und einer damit einhergehenden Hitze- bildung meist platzten, löste Wagenfeld nun durch die Wahl eines größeren Schirmdurchmessers. Auf die ursprünglich durch seinen Lehrer Moholy- Nagy angeregte dezente Kontrastwirkung von Opalglasschirm, vernickel- tem Schaft und einer dunklen Standplatte griff Wagenfeld auch bei seiner Überarbeitung für König zurück: So wählte Wagenfeld für den Fuß eine mattschwarze Lackierung. Prospektblatt der Architekturbedarf GmbH für die von Unter der Modellbezeichnung W1 (W für Wagenfeld) brachten König Wagenfeld überarbeitete Metallversion, 1930 und Wagenfeld die Leuchte Anfang des Jahres 1930 auf den Markt. Schon ab Mai desselben Jahres stellte sie Walter Gropius auf der viel beachteten Werkbundaus- stellung in Paris aus, und Ludwig Mies van der Rohe zeigte die ebenfalls von König zusammen mit Wagenfeld herausgebrachte Variante der Leuchte mit Glasschaft und Glasfuß (W2) in seinem Musterwohnhaus auf der Internationalen Bauausstel- lung 1931 in Berlin. Ein Exemplar des Modells W2 aus dem Nachlass Philip Johnsons befindet sich heute in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York. Während sich von den in Weimar und Dessau hergestellten Leuchten heute einige Exemplare nachweisen lassen, sind von Wagenfelds Modell W1 bis heute lediglich drei erhaltene Exemplare in Privatsammlungen bekannt. Eine dieser drei Leuchten kommt nun bei Grisebach zur Auktion.

Grisebach — Sommer 2020 113 112

36 Wilhelm Wagenfeld Bremen 1900 – 1990

Tischleuchte W1. Um 1930 Tischlampe mit Metallfuß und Glasschirm. Höhe: 38,2 cm (15 in.). Mit originalem Prüfsiegel auf der Lampenfassung. Eines von maximal 50 Exemplaren. Hergestellt in der Thüringer Metallwarenfabrik Walther und Wagner, Schleiz. Vertrieb über die Architekturbedarf GmbH Dresden. [3041] Provenienz Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen (um 1930 erworben, seitdem in Familienbesitz)

EUR 60.000–80.000 USD 64,500–86,000

• Eine der berühmtesten Ikonen der Designgeschichte • Von dieser Variante sind heute nur noch drei Exemplare bekannt

In der aus geometrischen Grund- körpern zusammengesetzten Leuchte versinnbildlichen sich die Bestrebungen der Bauhaus-Idee.

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