Swr2-Musikstunde-20130314.Pdf
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_______________________________________________________________________ SWR 2 Musikstunde mit Ulla Zierau, 14. März 2013 "Eine geistige Kostümgeschichte" Streifzug durch Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit (4) Egon Friedell, ein philosophischer Conférencier, ein genialer Dilettant, Schauspieler, immerhin Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt, künstlerischer Leiter des Kabaretts „Fledermaus“, ein gefürchteter Improvisator, Theaterkritiker, Feuilletonist und Schriftsteller. In der Wiener Intellektuellenszene hat er den Ruf eines Parodisten und Komödianten, eines Kaffeehaus-Literaten, wenngleich er nie im Kaffeehaus schreibt, sondern immer zu Hause, am liebsten halb liegend auf seinem Diwan, mit einer Pfeife im Mund. Eigentlich ist er Privatier, lebt nicht schlecht vom Erbe seines Vaters. Er arbeitet nach Lust und Laune, mal hier, mal da. ----------------------------------------------------------------------------------------- Musik 1 W.A. Mozart: Ouvertüre zu „Der Schauspieldirektor“ Academy of St. Martin in the Fields / Neville Marriner M0078030 009 3’43 ----------------------------------------------------------------------------------------- Neville Marriner und die Academy of St. Martin in the Fields mit der Ouvertüre zu Mozarts Oper “Der Schauspieldirektor“. Egon Friedell spielt Theater, auch in Berlin in Shaws Erfolgskomödie „Der Kaiser von Amerika“ unter Max Reinhardt und mit dem Schriftsteller Hans Sassmann bringt er Jacques Offenbachs „Die schöne Helena“ auf die Bühne des Theaters am Kurfürstendamm. Wiederum Regie: Max Reinhardt, Dramaturgie: Erich Wolfgang Korngold. 2 Friedell spielt den Götterboten Merkur, neben Hans Moser als Menelaus und Theo Lingen als Ajax. Davon habe ich leider keine Aufnahme, dafür lassen wir René Kollo das Lied des Paris singen. ---------------------------------------------------------------------------------------------- Musik 2 Jacques Offenbach: Die schöne Helena, Auf dem Berge Ida, René Kollo / Radio Orchester Stuttgart / Franz Allers M9040613 001 4‘02 ---------------------------------------------------------------------------------------------- René Kollo, Auf dem Berge Ida, Lied des Paris aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena“. Franz Allers leitete das Radio Orchester Stuttgart. Friedells „schöne Helena“ wird 150mal aufgeführt, und während er abends auf der Bühne steht, korrigiert er in den Pausen in der Garderobe des Theaters mit Theo Lingen die Druckfahnen seines dritten Bandes der Kulturgeschichte. Schreiben und Spielen, er braucht beides: „Eine Beschäftigung ist Erholung von der anderen“, meint Friedell, „man kann nicht immer kulturgeschichtliche Bücher schreiben, ich würde es nicht aushalten, ich muss von Zeit zu Zeit auf der Bühne stehen und hübschen Text sprechen, Text, den ein anderer geschrieben hat“. Die Bühne ist für Friedell Spiegel des Lebens, das Theater eine moralische Anstalt. Häufig spielt er auch an der Seite von Lina Loos, Schauspielerin und Muse, eine der schönsten Frauen Wiens, erzählt man. Alle sind in sie verliebt, Peter Altenberg, Egon Friedell, Alfred Polgar, aber sie heiratet den Architekten Alfred Loos. Die Ehe geht nicht gut. 3 Lina kehrt Wien den Rücken, versucht in Amerika ihr Glück. Alfred Loos telegraphiert ihr hinterher: „Sei guten Muths, mein Mädel. Der Mensch kommt am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht.“ Die Ehe mit Loos zerbricht, die Freundschaft oder Beziehung zu Friedell nicht, sie währt mit Höhen und Tiefen ein Leben lang. Friedell und die Frauen, ohnehin ein schwieriges Verhältnis. ------------------------------------------------------------------------------------------ Musik 3 Johann Strauß: Wein, Weib und Gesang, Walzer Wiener Streichsextett / Teresa Turner-Jones, Klavier M0035079 008 5‘55 ------------------------------------------------------------------------------------------ Das Wiener Streichsextett und Teresa Turner-Jones, Klavier mit dem Johann Strauß Walzer“ Wein, Weib und Gesang“. Wein und Weib, beidem ist Egon Friedell zugetan, vielleicht dem Alkohol am innigsten. Was sagt der Freund Alfred Polgar in einer Festrede zu Friedells Geburtstag: „Friedells Lieblingsgetränk ist Pommard, doch hat er, einfachen Lebensformen und -verhältnissen geneigt, auch zu schlichtem Slibovitz eine gute Beziehung.“ Die Beziehung zu Frauen gestaltet sich da schon schwieriger. An Lina Loos schreibt Friedell: „Ich verlange doch eigentlich gar nichts von dir, als dass du mir endlich glaubst, dass ich dich vergöttere.“ Oder „Ich möchte immer und immer mit tiefer Zärtlichkeit und Bewunderung deinem Leben zuschauen“. Am 14. November 1913, Friedell ist 35 Jahre alt, macht er Lina einen schriftlichen Heiratsantrag: 4 „Lina, ich kann mich vor dir nicht retten! Wohin sollte ich mich auch vor dir retten! Mit einer Frau kann man fertig werden, sexuell, geistig, seelisch, usw. aber dich liebe ich leider Gottes objektiv, als Mensch. Und gerade ich, der so leicht loskommt, der in der Frau eigentlich nie etwas anderes gesehen hat als eine Notwendigkeit oder bestenfalls eine Unterhaltung“. Es wundert uns nicht, dass Lina Loos den Antrag Friedells ablehnt, sie durchschaut sein Frauenbild und kennt auch seine derben Aphorismen aus der Wiener Zeitschrift „Der Ruf“: „Man kann Frauen nur mit zweierlei ein wirkliches Vergnügen machen; mit Geld und mit schlechter Behandlung“, weiteres ersparen wir uns. Am Ende ihres Lebens sagt Lina Loos, „er hat leider nicht geheiratet, dieser Feigling“. Friedell fühlt sich schon von starken Frauen angezogen, die große Mäzenin Berta Zuckerkandl, Alma Mahler oder Eugenie Schwarzwald, die in Wien das erste Gymnasium für Frauen gründete. Dennoch schwebt über allem und im Grunde seines Herzens der Machismo: „Sind die Frauen tief, fragte er hintersinnig, dass man einem Wasser nicht auf den Grund blicken kann, heißt noch nicht, dass es tief ist“. ------------------------------------------------------------------------------------------- Musik 4 Johannes Brahms: Walzer Nr.9 d-moll + Nr.10 G-dur Ragna Schirmer, Klavier M0266819 036+37 1‘37 ------------------------------------------------------------------------------------------- 5 Ragna Schirmer mit zwei Walzern von Johannes Brahms, Nr.9 d-moll und Nr.10 G-dur. Bezeichnend, dass in den fünf Büchern der Kulturgeschichte der Neuzeit mit insgesamt 18 Kapiteln nur eine einzige Frau im Inhaltsverzeichnis erwähnt wird. Das ist Christine von Schweden, Königin und Herzogin. Sie gehöre zu jenen Persönlichkeiten, meint Friedell, von denen im 17. Jahrhundert am meisten gesprochen wurde. Er beschreibt sie als originelle Erscheinung, ihr Äußeres war nicht schön, aber interessant, und er attestiert ihr männliche Manieren und Neigungen, die überall Aufsehen erregten und sogar zur Vermutung Anlass gaben, sie sei ein Zwitter. In Sachen Selbstherrlichkeiten stand sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach, Friedell schreibt gar von einem ans Pathologische streifende Selbstgefühl. Christine von Schweden war Reiterin, Fechterin und Jägerin, trug das Haar stets kurzgeschnitten und verglich sich gern mit der Königin von Saba, weiß Friedell zu erzählen und sie sei die erste Herrscherin gewesen, die die Hexenprozesse abschaffte. Später verzichtete Christine auf ihren Thron, ging nach Rom und trat zum Katholizismus über. Sie galt als Förderin der Musik. Alessandro Stradella komponierte für sie die Motette „Chare Jesu suavissime“. ----------------------------------------------------------------------------------------- Musik 5 Alessandro Stradella: Chare Jesu suavissime Gérard Lense, Countertenor / Il Seminario Musicale 3370069 008 4‘30 ----------------------------------------------------------------------------------------- 6 Gérard Lense, Countertenor und Il Seminario Musicale mit der Anfangsarie aus der Motette „Chare Jesu suavissime“ von Alessandro Stradella, ein Auftragswerk für Christine von Schweden. Christine von Schweden, bei weitem nicht die einzige Frau, von der Friedell in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit erzählt, aber dennoch die einzige, die ihm wert schien, im Inhaltsverzeichnis aufgeführt zu werden. Soviel zu unserem Kapitel Friedell und die Frauen. Setzen wir unsere Lektüre der Kulturgeschichte der Neuzeit im vierten Buch „Romantik und Liberalismus“ fort, dort begegnen wir den Komponisten Rossini, Weber und Schubert. Der romantische Geist habe seinen vollen Ausdruck in der Musik gefunden, meint Friedell und erwähnt Opern mit geheimnisvolle Naturwesen und unterirdische Seelen, Marschners „Vampyr“, Kreutzers „Melusina“, Meyerbeers „Robert der Teufel“ oder Lortzings Undine. Rossini ist für ihn der „Initiator der romantischen Musik“ und er erzählt die Anekdote, wie Freunde nach der desaströsen Uraufführung des Barbiers zum Komponisten in die Wohnung geeilt seien, der aber schon geschlafen habe, Friedell vermutet, entweder weil er in seiner geistigen Souveränität sich aus dem Fiasko nichts machte oder weil er von dem schließlichen Erfolg seines Werkes zu sehr überzeugt war. Schon am nächsten Abend wurde der Barbier bekanntlich enthusiastisch gefeiert. Friedell hegt gewisse Sympathien für Rossini, war er doch selbst, wie der Italiener kein Kostverächter. „Nicht zufällig war Rossini einer der größten Köche, die je gelebt haben“, jubelt Friedell. „Auch in seiner Musik ist er der feinschmeckerischste, gaumenschmeichelndste, gastlichste Mischkünstler, der sich denken lässt.“ 7 In seine Musik, die Friedell in Zartheit, Fülle, Grazie und Beschwingtheit in die Nähe Mozart rückt, in seine Musik trug er auch die liebenswürdige Gauloiserie und Selbstironie hinein, die ihn im Leben