Egon Friedell, Kabarettist, Schauspieler, Kritiker, Schriftsteller, Kulturphilosoph, Hundefreund Und Lebemann, Verschlug Es in Den 1930Er-Jahren Sommers Nach Kufstein

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Egon Friedell, Kabarettist, Schauspieler, Kritiker, Schriftsteller, Kulturphilosoph, Hundefreund Und Lebemann, Verschlug Es in Den 1930Er-Jahren Sommers Nach Kufstein Was man leider nur auf dem Lande findet Egon Friedell, Kabarettist, Schauspieler, Kritiker, Schriftsteller, Kulturphilosoph, Hundefreund und Lebemann, verschlug es in den 1930er-Jahren sommers nach Kufstein. Sein idyllisch gelegenes Landhaus wurde ihm, dem Stadtmenschen, zum Refugium. Von Susanne Gurschler Der letzte Auftritt war kurz und dramatisch. Egon Notizen gemacht, das Exposé zum Alexanderroman Friedell, der sich schon für die Nachtruhe zurechtge- war bereits angelegt; 500 Seiten stark sollte er werden, macht hatte, sah die zwei SA-Männer, die am Eingang 300 Personen auftreten. zur Wohnung standen und nach dem „Jud Friedell“ Heute erinnert in Kufstein nur noch wenig an ihn: gefragt hatten. Er ging zum Fenster, öffnete es, hiev- ein kurzer Weg im Stadtteil Zell, eine Büste im dritten te seinen massigen Körper auf das Fensterbrett und Stock des Rathauses, im Stadtarchiv ein Ordner mit sprang. Er soll, so erzählte eine Nachbarin, die den Unterlagen und Tonaufzeichnungen, die der Autor und Sturz beobachtet hatte, einem vorbeikommenden Pas- Regisseur Klaus Peter Dencker in den 1970er-Jahren santen noch höflich zugerufen haben, zur Seite zu tre- für ein Filmporträt und ein Buch über Friedell gesam- ten. Dann habe er sich kopfüber fallen lassen. melt hat, und das Häuschen, in dem Friedell wohnte. Freunde und Wegbegleiter wie die Autoren Franz Nichts, was einem die Person Friedell näherbrächte Theodor Csokor und Alfred Polgar oder die Mäzenin oder sein Verhältnis zu Kufstein erklärte. und Journalistin Berta Zuckerkandl hatten ihn in den Tagen vor seinem Sprung in den Tod noch gebeten, ja Hätte Egon Friedell sich seinen letzten Auftritt aussu- gedrängt, das Land zu verlassen. Doch Friedell wollte chen können, die Wahl wäre wohl auf Goethe gefallen. nicht. Er konnte nicht. Er konnte seine riesige Biblio- 30 Jahre hindurch verkörperte er immer wieder diese thek, seine Bücher voller Marginalien in kleiner, enger Figur in der gleichnamigen „Groteske in zwei Bildern“, Schrift, voller Markierungen und Querverweise, nicht verfasst gemeinsam mit Alfred Polgar, mit dem er über zurücklassen – sein ganzer Geist, das Surrogat seiner lange Zeit ein kongeniales Autorenduo bildete, Kaba- Beschäftigung mit Geschichte, mit Philosophie, mit rett- und Bühnentexte schrieb und bearbeitete, bevor Physik, mit Kunst und Kultur, sein ganzes denkendes er ihn Mitte der 1920er-Jahre durch Hanns Sassmann Ich fand sich in der Gentzgasse 7. Alles, was er war. ersetzte. Sassmann war kein so hervorragender Au- In einem anderen Land wäre er doch nur ein „Schnor- tor wie Polgar, aber er hatte ein gutes Gespür dafür, rer“, eine „lächerliche Figur“, sagte er wenige Tage vor was ankommt – die sprachliche Prägnanz, die pfiffigen seinem Selbstmord zum Schriftsteller Carl Zuckmayer. Wendungen steuerte ohnehin Friedell bei. Friedell ging es nicht ums Überleben, es ging ihm um Erstmals als Goethe auf der Bühne stand Friedell in ein Leben zu seinen Bedingungen. der Silvesternacht 1907/08 im Wiener Kabarett „Fle- Und er war noch voller Pläne gewesen. In Kufstein, wo dermaus“. Der Inhalt des Sketches ist rasch erzählt: Ein er seit 1932 die Sommermonate verbrachte, hatte er etwas verhuschter Prüfungskandidat schafft es nicht, den zweiten Band seiner „Kulturgeschichte des Alter- sich die vielen Daten aus Leben und Werk von Goethe tums“ bis auf das letzte Kapitel abgeschlossen. Danach zu merken. Da erscheint ihm dieser selbst und bietet wollte er eine Geschichte der Philosophie schreiben an, das Examen für den Schüler zu bestreiten – aber und einen „Alexanderroman“. „Man sollte überhaupt siehe da, Goethe versagt bei konkreten Angaben zu nur Sachen machen, die sich ganz von selbst schreiben, seiner eigenen Biografie und fällt durch. wie nach Diktat. Deshalb wird die Geschichte der Phi- Es muss Friedell in jungen Jahren ein großer Spaß ge- losophie gut werden, der Alexanderroman hingegen wesen sein, in dieser Parodie auf reines Faktenwissen schlecht, weil er mir Mühe machen wird“, schrieb er als Deutschlands bedeutendster Dichter auf der Bühne Ende September 1937 an die Schauspielerin Lina Loos. zu stehen und den Ansprüchen des Professors nicht Für die Geschichte der Philosophie hatte er sich schon zu genügen. Immerhin brauchte er selbst vier Anläufe, um die Reifeprüfung zu schaffen, war bereits 21 Jahre zuletzt darin, dass er gern in die Küche kam, um ihr alt, als es ihm gelang. Das Studium der Philosophie einen neuen Text vorzulesen. Er nannte das, wenig und Germanistik verlief dafür ohne Probleme und er schmeichelhaft, die „Trottelprobe“. „Frau Hermine“ dissertierte über Novalis als Philosoph. störte sich nicht daran. Auch die Gerüchte, er sei der Er galt als hinreißender Unterhalter, auf der Bühne und Vater ihrer Tochter Herma, kümmerten sie wenig. Bis im Privaten. Seine Darbietungen und Vorträge gestal- ans Lebensende waren die beiden per Sie. tete er als eine Mischung aus „erlesener Geistigkeit, Das Arbeitszimmer mit angrenzender Bibliothek war profundem Wissen und raffinierter Schauspielkunst“, Friedells intellektuelles Refugium und eine von der un- wie es in einer zeitgenössischen Kritik heißt. Die Auf- nachgiebigen Hermine energisch verteidigte Bastion, tritte waren so angelegt, als spräche Friedell in intimem wenn er nicht gestört werden wollte – und das war, will Rahmen, plaudere mit Freunden im Kaffeehaus. man den Überlieferungen glauben, häufig der Fall. Eine Die Lokaltouren mit Peter Altenberg, Adolf Loos, Al- Tafel über der Sitzecke in der Schreibstube warnte Be- fred Polgar und anderen Freunden sind legendär und sucher zudem unmissverständlich: „Selbst die Auffor- anekdotenreich; sie brachten Friedell den Ruf ein, ein derung, noch zu bleiben, darf man nicht immer ernst Kaffeehausliterat zu sein, ein „Bonvivant“, ein Müßig- nehmen. AUCH SIE sind keine Ausnahme!“ gänger. Als Kabarettist füllte er Säle bald nicht mehr nur War Friedell auf der Bühne ein gefürchteter Improvisa- in Wien, sondern ebenso in Frankfurt, Hamburg oder teur, in seiner Schreibstube herrschten peinliche Ord- Berlin. In Berlin holte ihn Max Reinhardt als Untersu- nung und Ruhe. Alles hatte seinen Platz, das Schreib- chungsrichter in Tolstois „Der lebende Leichnam“ auf papier ebenso wie die Bleistifte. Hermine spitzte sie die Bühne, dann als Kaiser in George Bernard Shaws täglich und legte sie in der vorgegebenen Reihenfolge „Androklus und der Löwe“. Friedells zweite Karrie- auf die Ablage, sodass Friedell, ohne hinsehen zu müs- re als Schauspieler nahm ihren Lauf. Später wurde er sen, den richtigen Stift in die Hand nahm. Für Besu- Mitglied der Wiener Volksbühne, schließlich nahm ihn cher lagen eigenes Papier und eigene Stifte bereit – und Reinhardt in sein Ensemble auf. wehe, sie vergriffen sich. Früh begann Friedell, Artikel für Zeitungen zu schrei- Schwer in Einklang zu bringen war er, dieser häusliche ben, es folgten Essays und Satiren etwa für das „Neue Friedell mit jenem öffentlichen Friedell, der in Gesell- Wiener Journal“, für das er bis zu seinem Lebensen- schaft brillierte mit seiner Eloquenz, seinen spritzigen de arbeitete. Und er war als Autor tätig. Nach seiner Anekdoten und bissigen Kommentaren, der gern und Dissertation über Novalis, die nicht unter seinem üppig dem Alkohol zusprach, ganze Nächte durchze- Geburtsnamen Friedmann, sondern seinem Künst- chen konnte und trotzdem in aller Frühe wieder auf lernamen Friedell erschien, veröffentlichte er weitere den Beinen war. Hatte er die Korrespondenz gelesen, Bücher, darunter „Ecce Poeta“ anlässlich des 50. Ge- die wichtigen Briefe beantwortet, griff er zur Pfeife burtstags seines Freundes Altenberg, dem er in seinen und legte sich auf den Diwan, der beim Schreibtisch – frei erfundenen – „Altenberg-Anekdoten“ bereits ein stand. Beim Schreiben hielt er es mit den Menschen humorig-bissiges Denkmal gesetzt hatte. der Antike: Die wichtigen Dinge geschahen im Liegen. Dieser Zustand erzeuge „Milde, Objektivität, Gleich- Wie turbulent es in seinem Leben auch zuging, Frie- gewicht und Überlegenheit“, befand Friedell. Liegend dells Anker waren stets die Wohnung in der Gentzgasse verfasste er den Großteil seines bekanntesten Werkes, 7, die er, kaum volljährig, mit dem vom Vater geerbten die „Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der euro- Geld gekauft hatte – und seine Haushälterinnen. Marie päischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Gabriel war ihm nach der Trennung der Eltern und Weltkrieg“, mit dem er 1922 begann – und das ihn als dem frühen Tod des Vaters Mutterersatz geworden; Kulturwissenschafter und -philosoph etablieren sollte. in der Gentzgasse unterstützte sie bald Hermine Schi- Ein trockenes Geschichtswerk hätte Friedell nicht ent- mann, die bis zu seinem Tod den Haushalt führte und sprochen, ihm schwebte vor, Geschichte an Anekdoten die er testamentarisch zu seiner Erbin machte. aufzufädeln. Geschichte war ihm kein „Aschehaufen Die Bedeutung Schimanns für Friedell zeigt sich nicht für Historiker“, vielmehr ein „dramatisches Problem“, das, in logischer Folge, einer dramatischen Bearbei- kann – und will. Im Schnitt zwei Jahre brauchte Frie- tung bedurfte. Friedell war überzeugt, Details könnten dell für einen Band, parallel stand er auf der Bühne, in Ereignisse viel einprägsamer charakterisieren als die Wien und Berlin, bearbeitete Texte für Max Reinhardt. ausführlichste Schilderung. Anfang der 1930er-Jahre machte ihm sein Körper zu Bei allem Ernst, den Friedell dem behandelten Gegen- schaffen, zunächst eine Venenentzündung, dann eine stand entgegenbrachte, verpacken wollte er ihn an- Blinddarmoperation. Wohl ein
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