DFB.DE NATIONALSPIELER.DFB.DE 42 DFB.DE/DIE-MANNSCHAFT 2020

DOPPELTES GOLD IN „DER REST WAR ZUM ABSCHLUSS DER EWIGEN STADT WIE IM RAUSCH“ EINE ODYSSEE Ein Jahrzehnt, große Siege, Dieter Müller über seine drei Corona prägt das Ende der zwei Titel, ein Stadion 10 Tore im ersten Länderspiel 28 Laufbahn von 32 INHALT 2 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

22 Halbfinale Deutschland – Italien bei der WM 1970 in Mexiko Das Jahrhundertspiel

20 Interview mit Pierre­ Littbarski „Kleiner Fuß mit großer Wirkung“

6 Die Mannschaft nach der Corona-Pause Bald geht’s wieder los INHALT CDN-MAGAZIN 42 | 2020 3

10 Romreiche Tage Über die Titelgewinne 1980 und 1990 in Rom

EDITORIAL

Wir holen die Feste nach – versprochen 4

AKTUELL IM BLICKPUNKT 50 JAHRE JAHRHUNDERTSPIEL PORTRÄT Die Nationalmannschaft nach der Corona-Pause Halbfinale Deutschland – Italien Die erfolgreichste Zeit BALD GEHT’S bei der WM 1970 in Mexiko des DDR-Fußballs WIEDER LOS 6 MEHR GEHT NICHT 22 DER GRAF UND DIE GOLDENEN JAHRE 38

DFB-HISTORIE MEIN ERSTES LÄNDERSPIEL DIAGONALPÄSSE 42 1980 und 1990 Dieter Müller und die EURO 1976 ROMREICHE TAGE 10 „DER REST WAR WIE IM RAUSCH“ 28 IN MEMORIAM Kunstschützen im Fußball 44 EXPLOSION NACH RUHENDEN BÄLLEN 16 AKTUELL IM BLICKPUNKT RUNDE GEBURTSTAGE 46 Interview mit Karriereende mit Hindernissen „KLEINER FUSS MIT GEFANGEN IN GROSSER WIRKUNG“ 20 DER HEIMAT 32 JUBILÄEN 47 EDITORIAL 4 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

WIR HOLEN DIE FESTE NACH — VERSPROCHEN!

Liebe Freunde,

wäre, wäre Fahrradkette. Lothar Matthäus, der Vorsitzende nationalen Durchbruch des 20-jährigen Regisseurs Bernd unseres Clubs der Nationalspieler, hat diesen Spruch ge- Schuster. An den Start der Länderspielkarriere des 19 Jahre prägt. Und selten war er so zutreffend, wie in diesen Mo­ alten Lothar Matthäus. Und natürlich auch an den wunder- naten. Was wäre das für ein Fußball-Sommer geworden, was baren Bundestrainer . hätten wir für Feste gefeiert, was wäre das schön gewesen! 40 Jahre ’80 – ein Jubiläum, das der DFB zum Anlass nehmen Im Jahr 2020 sollte nicht nur die erste paneuropäische wollte, die Europameister von Italien einzuladen. Im ­ Fußball-Europameisterschaft stattfinden, 2020 ist auch ein Rahmen des EM-Viertelfinals 2020 in München hätte das Jubiläumsjahr – und das wollten wir mit Euch, liebe Freunde, Treffen stattfinden sollen, die Einladungen waren schon angemessen zelebrieren. Im Rahmen der EM 2020 wollten geschrieben. Dann kam Corona und die Pläne landeten in wir erinnern an Italien im Sommer 1980. An die zwei Tore, der Schublade. Das Virus hat Schlimmeres verursacht, als mit denen das Finale gegen Belgien ent- die Absage des Jubiläumstreffens, mir ist es dennoch ein schied. An die drei Tore von beim 3:2-Sieg über Anliegen, hier zu betonen, wie sehr ich die Absage bedauere die Niederlande. An die Auszeichnung von Karl-Heinz und wie sehr ich hoffe, dass wir dieses Treffen anlässlich der ­Rummenigge zum besten Spieler des Turniers. An den inter- Europameisterschaft im nächsten Jahr nachholen können. EDITORIAL CDN-MAGAZIN 42 | 2020 5

Wir alle wissen: Rom 1980 war der Startschuss in eine über- wurde und die erfolgreichste Zeit des DDR-Fußballs ein­lei­ ragende Dekade der Nationalmannschaft, die 1990 gekrönt tete. Ein Wort noch: Diese erste Ausgabe des Jahres erscheint wurde – wiederum in Rom, als den fälligen ungewöhnlich spät. Vorgesehen war eine Veröffentlichung Strafstoß nach einem Foul an Rudi Völler verwandelte und im März, Corona hat dies verhindert. Ich bitte daher um Ver- Deutschland zum dritten Mal zum Weltmeister machte. ständnis, dass das Magazin des Clubs der Nationalspieler Selbstverständlich wollten wir in diesem Sommer auch in diesem Jahr lediglich drei Mal erscheinen wird. Bei der mit den Weltmeistern von 1990 feiern, uns erinnern und Lektüre der aktuellen­ Ausgabe wünsche ich viel Vergnügen! zurückblicken auf unvergessene Augenblicke und Spiele. Auch das holen wir nach – versprochen! Herzliche Grüße, Euer In dieser Ausgabe des CdN-Magazins gehen die Gedanken über die Jahre 1990 und 1980 hinaus. Wir feiern auch 50 Jahre Jahrhundertspiel, das unvergessene Halbfinale ­gegen Italien bei der WM 1970 in Mexiko, und erinnern uns Fritz Keller an Georg Buschner, der vor 50 Jahren DDR-Nationaltrainer DFB-Präsident AKTUELL IM BLICKPUNKT 6 CDN-MAGAZIN 42 | 2020 BALD GEHT’S WIEDER LOS Während in der wieder Fußball gespielt wurde, hat die Nationalmannschaft pausiert. Bundestrainer Joachim Löw hat viel Zeit vor dem Fernseher verbracht, hat viele „gute und intensive Spiele“ gesehen. Er hat seine Nationalspieler beobachtet, hat sich mit seinem Trainerteam ausgetauscht und mit anderen Nationaltrainern unterhalten. Für ihn war die Pause dennoch lang, zu lang. Umso mehr freut er sich, dass seine ­Nationalmannschaft im Herbst und im ­Winter wieder aktiv sein wird.

onsens dürfte sein, dass Pausen weitgehend positiv besetzt sind. Große Pausen konnten in der Schule nicht lang genug sein, Pausenbrot und Pausentee ­schmecken Khäufig besonders gut. Eine Zeit lang hieß es, dass die schönsten Pausen lila seien. In den 90er-Jahren war das, in einer Zeit, in der der deutsche Fußball (fast) pausenlos von Erfolg zu Erfolg eilte. Mit Blick auf die Nationalmannschaft und die zurückliegenden Monate lässt sich sagen: Die Pause war weder schön noch lila. Wenn die Mannschaft von Bundes- trainer Joachim Löw am 3. September in Stuttgart gegen ­Spanien antritt, werden 289 Tage vergangen sein nach ihrer letzten Partie, dem 6:1 gegen Nordirland am 19. November 2019 in am Main. 289 Tage. Oder: 41 Wochen. Oder: 6.936 Stunden. Oder: verdammt lang.

Diese Pause ist fast ein Rekord, nur einmal war der zeitliche Abstand zwischen zwei Länderspielen (in Friedenszeiten) ­größer. hieß der Bundestrainer, der die längste Zeit von Spiel zu Spiel zu überstehen hatte. Zwischen dem 2:3 ­gegen die Schweiz am 12. Dezember 1926 und dem 1:3 ­gegen Dänemark am 2. Oktober 1927 lagen 294 Tage. Ein Trost für Löw ist das nicht, für ihn sind die Pause und das Ver­ schieben der EM aus sportlicher Sicht vor allem ein Ärgernis. „Wir hatten eine Strategie entwickelt“, sagt er. „Ich habe viel Hunger und unglaublichen Willen in der Mannschaft gespürt – einen besonderen Spirit. Es hätte ein tolles Fest werden sollen in unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen ­Kulturen." Aber natürlich weiß er um die Notwendigkeiten in der Corona- Pandemie, für ihn ergeben sie eine neue Strategie. Er hat sich ein Pausenbrot geschmiert und mit der Situation arrangiert. „Diese lange Pause ist aus rein sportlicher Sicht nicht hilfreich, doch die Situation ist eben, wie sie ist. Und wir nehmen sie an, wir haben nie lamentiert. Unter diesen Umständen hätte es einfach keinen Sinn gehabt“, sagt er. 1 AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 42 | 2020 7 BALD GEHT’S WIEDER LOS AKTUELL IM BLICKPUNKT 8 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

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2_Mit der Mannschaft auf dem Platz – dieses Bild gab es seit Monaten nicht. 3_Nähe zu den Fans war und ist noch nicht möglich. 3 4_Neue Normalität: eine digitale Pressekonferenz.

Löw: „Die Erde wehrt sich.“ Nationalmannschafts-Fußball wurde nicht gespielt, aber ­natürlich wurde über den Fußball der Nationalmannschaft Löw hatte viel Zeit zum Nachdenken in den vergangenen gesprochen. Ob die Verschiebung der EURO 2020 ins Jahr ­Monaten, und er hat ein paar sehr kluge Sätze gesagt, die über 2021 für Deutschland einen Vorteil bedeuten könne, wurde das hinausgehen, was auf dem Spielfeld passiert. „Ich habe so Löw zum Beispiel gefragt. In der Frage schwang die Jugend das Gefühl, dass sich die Welt und vielleicht auch die Erde seiner Spieler mit und auch die Ungewissheit, die in diesem so ein bisschen stemmt und wehrt gegen die Menschen und Frühjahr vorherrschte, ob die Rekonvaleszenten Niklas Süle deren Tun“, sagt Löw. „Denn der Mensch denkt immer, dass er und Leroy Sané rechtzeitig zur EURO fit und in Form sein alles weiß und alles kann und das Tempo, das wir so die ­würden. „Klar, Spieler wie Leroy Sané und Niklas Süle haben so ­letzten Jahre vorgegeben haben, war nicht mehr zu toppen. genug Zeit, wieder in Top-Verfassung zu kommen“, sagt Löw. Macht, Gier, Profit, noch bessere Resultate, Rekorde standen Der Bundestrainer machte eine Pause, dann sprach er weiter: im Vordergrund.“ Löw hofft, dass die Corona-Pandemie zu „Aber wissen wir, was in einem Jahr ist? Wer dann fit ist und ­einem Umdenken führt, zu einer Besinnung auf die wirklich wer nicht, wer in Form ist und wer nicht? Das lässt sich immer wichtigen Dinge. „Familie, Freunde, Menschen, Respekt schwer prognostizieren. Wir haben einen Umbruch einge­ ­zählen im Leben“, sagt Löw. „Jeder Einzelne muss beweisen, leitet, der sich auch aufgrund von Verletzungen nicht so dass wir uns wandeln können." ­einfach gestaltet hat. Dennoch haben wir eine gut funktio­ nierende, hoch motivierte Mannschaft entwickelt.“ Löw ist dabei mit gutem Beispiel vorangegangen, er und die Sportliche Leitung haben auf signifikante Teile ihrer Gehälter Doppelpack-Spieltage verzichtet. Auch die Nationalmannschaft und viele Spieler haben sich engagiert. Gleich zu Beginn der Krise hatte das Die gut funktionierende und hoch motivierte Mannschaft Team auf eigene Initiative eine Soforthilfe in Höhe von kann im Herbst und Winter wieder zeigen, wie gut sie funk­ 2,5 Millionen Euro für Menschen zur Verfügung gestellt, die tioniert und wie hoch motiviert sie ist. Im Rahmen der UEFA von den Auswirkungen der Corona-Krise in besonderem Maße Nations League stehen im Jahr 2020 noch sechs Spiele an, betroffen sind. Konkret wurde die Aktion „1.000 Laptops“ für zudem hat der DFB drei Freundschaftsspiele terminiert (siehe Alten- und Seniorenheime für die Menschen in Isolation Infokasten). Dabei hat der Verband außerhalb von Turnieren ­umgesetzt, damit Großeltern durch Videotelefonate weiter erstmals in seiner Historie Doppelpack-Länderspiele ange- ihre Enkel sehen können. Zudem wurde der Förderverein setzt, also zwei Partien in ­derselben Stadt binnen weniger Wohnungslosen-Hilfe e.V. unterstützt. „Diese Gruppe ist uns ­Tage. Oliver Bierhoff, DFB-Direktor Nationalmannschaften sehr wichtig, weil sie dem Aufruf ,Wir bleiben zu Hause‘ leider und Akademie, erklärt dazu: „Für unsere junge Mannschaft ist nicht nachkommen konnte und kann und sich die Lebens­ es nach der langen Pause unheimlich wichtig, dass sie sich umstände durch Corona nochmals verschlechtert haben“, wieder einspielen und auf die verschobene EM 2020 vor­be­ sagt Nationalmannschafts-Kapitän Manuel Neuer. reiten kann. Mit der Auswahl der Spielorte vermeiden wir un- 9

5_2,5 Millionen Euro Soforthilfe stellte die Nationalmannschaft um Kapitän Manuel Neuer zur Verfügung. 6_Der Coupe Henri Delaunay muss ein Jahr auf seinen nächsten großen Auftritt warten.

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nötige Reisen, schonen die Gesundheit der Spieler und haben Länderspiele weitere wichtige Erkenntnisse für die Ent­ natürlich auch das Thema der Belastungssteuerung im Blick.“ wicklung der Mannschaft bringen. Ich freue mich sehr auf die Spiele und hoffe natürlich, dass wir schon im Herbst wieder DFB-Generalsekretär Dr. Friedrich Curtius weckt dabei sogar vor Publikum spielen können.“ Nicht mehr lang, dann ist die die Hoffnung, dass die Spiele entgeistert werden und vor Pause vorbei – endlich. ­begeisterten Fans im Stadion stattfinden können. „Unsere Aufgabe ist es, mit Augenmaß und Sorgfalt die Wiederaufnah- TEXT Steffen Lüdeke me des Länderspielbetriebs vorzubereiten“, sagt Dr. Curtius. FOTOS (1) Getty Images/Simon Hofmann, (2) Getty Images/ „Meine Erwartung ist, dass wir ein Konzept entwickeln, das Ina Fassbender, (3) Getty Images/Alexander Hassenstein, (4) Thomas Böcker, es uns im Herbst ermöglicht, vor Zuschauern zu spielen. (5) Getty Images/Alex Grimm, (6) Getty Images/Franck Fife Wir bringen hier unsere Expertise ein und stehen weiterhin in engem Austausch mit den Gesundheitsbehörden. Dabei ist es in der Gesamtorganisation auch von Vorteil, dass wir im ­Oktober und November zwei Länderspiele an einem Austra- Der vorläufige Spielplan der Nationalmannschaft gungsort durchführen.” in der zweiten Jahreshälfte 2020 3. September 2020, 20:45 Uhr, Stuttgart Einspielen für die EURO Deutschland – Spanien (UEFA Nations League) 6. September 2020, 20:45 Uhr, Basel Mit der Perspektive der Europameisterschaft im kommenden Schweiz – Deutschland (UEFA Nations League) Jahr ist für Bundestrainer Joachim Löw vor allem wertvoll, dass die Gegner seiner Mannschaft viel abverlangen werden. 7. Oktober 2020, Uhrzeit noch offen, Köln Deutschland – Türkei Insbesondere gilt dies für die Partien im Rahmen der Nations League gegen Spanien, aber auch die Schweiz und die 10. Oktober 2020, 20:45 Uhr ­Ukraine. Genauso aber freut sich Löw auf die Freundschafts- Ukraine – Deutschland (UEFA Nations League) Länderspiele gegen die Türkei und die Tschechische Republik, 13. Oktober 2020, 20:45 Uhr, Köln die in die jeweilige offizielle Abstellungsperiode der UEFA Deutschland – Schweiz (UEFA Nations League) ­integriert sind. „Wir möchten die Länderspiele im Herbst 11. November 2020, Uhrzeit noch offen, ­nutzen, damit sich unsere junge Mannschaft weiter einspielen Deutschland – Tschechische Republik kann“, sagt der Bundestrainer. „Mit Blick auf die Europa­ 14. November 2020, 20:45 Uhr, Leipzig meisterschaft im nächsten Jahr wollen wir als Team weiter Deutschland – Ukraine (UEFA Nations League) zusammenwachsen. Die Türkei und die Tschechische Republik 17. November 2020, 20:45 Uhr sind sportlich sehr interessante Gegner. Neben den Begeg- Spanien – Deutschland (UEFA Nations League) nungen in der Nations League werden uns auch diese beiden DFB-HISTORIE 10 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

ROMREICHE TAGE Rom – in der ewigen Stadt or der Endrunde im Juni 1980 1. FC Köln, genügte den Ansprüchen. wurden im Mittelalter Kaiser in Italien waren die Erwartun- Mit der „Erfahrung“ von drei Länder- gekrönt, auch deutsche. gen im deutschen Lager nicht spielen flog er als neue Nummer eins Von daher taugte sie durch- Vallzu hoch. Durch die Qualifi­ nach Italien. Auch der neue Becken­ aus als gutes Omen, als sich kation war die Auswahl des neuen bauer wurde weiterhin gesucht, seit die deutsche Nationalmann- ­Bundestrainers Jupp Derwall zwar un- dem Abschied des Originals 1977 ­hatte schaft vor 30 Jahren auf den geschlagen, aber mit einigen blauen man keinen annähernd vergleichbaren Weg über die Alpen machte, Flecken (0:0 auf und in der­ Libero gefunden. Top-Kandidat Uli Stie- Türkei) gekommen. Der Umbruch nach like kam ihm am nächsten, doch der um unter „Kaiser Franz“ der WM-Pleite 1978 mit dem trauma­ spielte bei Real und es gab Weltmeister zu werden. tischen Ende in Cordoba (2:3 gegen ­damals noch keine Verpflichtung zur ­Etwas im Schatten des dritten Österreich) forderte seinen Tribut. Freigabe der Legionäre. So ließ Real- WM-Triumphs stand der zweite Nur sieben Spieler von Argentinien Trainer Vujadin Boskov Stielike zu­weilen EM-Titel, auch der wurde im ­waren noch dabei und auf Schlüssel­ nicht mal zu Quali-Spielen, schrieb Der- zu Rom posi­tionen herrschte lange Unklarheit: wall aber: „Ich gebe allerdings die Zu­ ­gewonnen. Vor 40 Jahren. Nach Sepp Maiers Autounfall im Juli sage, dass Stielike zur EM-Endrunde in Zwei Jubiläen, zwei Wege, 1979 testete Derwall drei Torhüter und Italien freigestellt wird.“ Derwall konter- ein Ziel. Wir schauen zurück. erst der Dritte, vom te trocken: „Den Brief hebe ich mir auf!“ DFB-HISTORIE CDN-MAGAZIN 42 | 2020 11

ROMREICHE TAGE 1

Solange probierte der Bundestrainer Aber im Frühjahr 1980 änderte sich war keine jüngere Nationalmannschaft allerhand aus. Bezeichnend: Auf dem ­einiges zum Guten. Aus der Not, die mehr zu einem Turnier gefahren (25,04 Weg nach Rom setzte er in den sechs durch den Beinbruch von Schalkes Jahre im Schnitt) und viele schwärmen Qualifikations- und vier Endrunden- ­Mittelstürmer noch ­größer noch heute vom überragenden Zusam- spielen 31 Akteure ein, bis heute ein zu werden schien, machte Derwall eine menhalt in der Mannschaft von 1980. absoluter DFB-Rekordwert für Europa- Tugend. Die international führende Das war auch auf dem Platz zu sehen. meisterschaften, obwohl sich die Zahl Bundesliga produzierte Talente am Nach dem 3:1 über die Polen im letzten der Spiele mittlerweile verdoppelt hat. Fließband. Viele von Derwalls Fix-­ Test im Mai attestierte der kicker: „Unsere Unter Derwall, das war ebenso augen- Sternen waren unerfahren: Vorstopper Nationalelf ist für die EM gerüstet.“ fällig wie willkommen, verlernte die Karlheinz Förster (21), Mittelfeld­ Nationalmannschaft das Verlieren, kämpfer Hans-Peter Briegel (24), die In Italien wurde die jüngste Turnier- bloß zu glänzen vermochte sie zu- Spielmacher (20) und mannschaft prompt Europameister. nächst nicht. Nach dem zwar vorent- Hansi Müller (22) sowie die Stürmer Nach zähem Auftakt (1:0 gegen die scheidenden aber wenig überzeugen- Klaus Allofs (23) und Karl-Heinz Rum- Tschechen durch ein Kopfball-Tor von den Qualifikationsspiel gegen die menigge (24) waren allesamt noch Rummenigge) fragte die „Welt“ noch: Türkei (2:0 in ) erkannte ­titelhungrig. Geführt wurden sie von „Wo blieb der versprochene Angriffs- Jupp Derwall: „Wir sind die Favoriten- Kapitän (32) vom MSV fußball?“ Der kam alsbald mit neuer rolle für die EM losgeworden.“ Duisburg. Seit der WM-Premiere 1934 Aufstellung. Stielike spielte nun endlich DFB-HISTORIE 12 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

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Libero, Schuster nahm seinen Platz im Horst Hrubesch vom HSV, der in der Qua- Mannschaft auch phasenweise auftrat. Mittelfeld ein und führte beim Prestige- lifikation gar nicht dabei gewesen war. 1982 noch unter Derwall und 1986 bereits­ sieg gegen die Niederlande (3:2, drei Es waren seine ersten Tore im deut- mit dem ihn nach der EM 1984 ablösen- Allofs-Tore) grandios Regie. So gran­ schen Trikot, das er noch auf dem Fest- den Beckenbauer stand Deutschland im dios, dass die Aufkäufer von Europas bankett trug. Denn weil ihn die Repor- WM-Finale. Noch immer mit Europa- Topklubs auf ihn aufmerksam wurden ter nach seinem großen Tag noch lange meistern wie Schumacher,­ Förster, Brie- und er bereits im Oktober beim FC Bar- in Beschlag nahmen, war der Bus längst gel, Allofs, Magath oder Rummenigge, celona landete. In dieser Partie kam abgefahren und auch keine Zeit mehr aber auch mit Spielern, die noch etwas auch der 19-jährige Lothar Matthäus zum Umziehen. Als er im Hotel eintraf, gewinnen wollten: Rudi Völler, Pierre zum Kurzeinsatz, sein EM-Debüt war hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt Littbarski, Andy Brehme. zugleich sein Länderspieldebüt. Vor­ bereits seine Rede gehalten. Die Anwe- zeichen einer großen Karriere. Als Einzi- senheit des Bundeskanzlers war ein Nach zwei verlorenen Endspielen galt es, ger ging er den ganzen Weg von Rom Zeichen dafür, dass der deutsche Fuß- den Wahrheitsgehalt eines anderen nach Rom mit, von ’80 bis ’90. ball zurück auf der Weltbühne war. Spruchs zu überprüfen: Aller guten Dinge Cordoba war zwar nicht vergessen, sind drei! Der dritte Versuch, Weltmeister Daran ­änderte sein von ihm im Überei- aber verziehen. Auf den Triumph bei zu werden, war auch das dritte und letzte fer verursachter, indes unberechtigter, der EM folgte ein Rekord. Bis Januar Turnier unter Beckenbauer, der die Mann- Elf­meter nichts. Im bedeutungslosen 1981 gab es in 23 Länderspielen seit schaft bei der Heim-EM 1988 ins Halb­ dritten Spiel gegen die Griechen (0:0) Derwalls Amtsantritt keine Niederlage finale geführt hatte, aber am Rivalen durften die Reservisten ran. So konnten – noch immer ist das im DFB uner- Nieder­lande gescheitert war (1:2). sich am 22. Juni 1980 fast alle im Kader reicht. Becken­bauer gestand noch kürzlich ein: als waschechte Europameister fühlen. „Wir haben sehr viel experimentiert, viel- Denn an jenem drückend heißen Sonn- Zwei Mal Vize leicht zu viel. Aber wir haben uns nicht so tag besiegte die Nationalelf in Rom sehr auf die Europameisterschaft Belgien im Finale mit 2:1. Die entschei- Die 80er, so gut sie begannen, brachten konzen­triert. Das Ziel war Italien 1990, denden Tore erzielte Fischer-Vertreter keine weiteren Titel, so beachtlich die Ziel war, Weltmeister zu werden.“

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2_Vater des Erfolgs 1980: Jupp Derwall. Kaiserkrönung in Rom wirkte. „Ich sah den da stehen und 3_3:2-Sieg im ersten Spiel als Europa- ­sagte mir: Den will ich haben!“ meister gegen die Schweiz. Zur geplanten „Kaiserkrönung in Rom“ 4_Enttäuschung nach der Niederlage im – kaum ein Journalist kam vor 30 Jah- Auch Beckenbauer, der seinen Abschied WM-Finale 1982. ren um dieses Wortspiel herum – hatte angekündigt hatte, kannte nur eine 5_6_Derwall geht, Beckenbauer ­Beckenbauers Assistent Maßgabe: „Das eins klar ist – Ihr kommt übernimmt. Der Kaiser feiert seine das passende Quartier gefunden. Das unter die ersten vier. Und unser Ziel ist P­remiere gegen Argentinien. ­Castello di Casiglio in Erba diente der Titel“, sagte er schon in der Sport- 7_Bei der WM 1986 wird Deutschland schon Kaiser Friedrich Barbarossa als schule Malente, wo der Kader vor der erneut­ Vize-Weltmeister. Residenz, 800 Jahre später zog Kaiser Abreise den letzten Schliff erhielt. 8_Heim-EM ’88, nach dem 2:0 gegen Franz samt Entourage ein. Die Vor­ ­Seiner Mannschaft traute man den ­Spanien ist das Halbfinale erreicht. runde bestritt die Mannschaft im nahe ­Erfolg zwar zu, aber als Topfavorit fuhr 9_Ein Spiel mit vielen Geschichten: gele­genen Mailand, der Wahlheimat sie nicht gerade über den Brenner. Deutschland gegen die Niederlande von Matthäus, Klinsmann und Brehme Schließlich hatte sie nicht mal ihre bei der EM ’88. (alle Inter Mailand), die quasi in ihrem ­Qualifikationsgruppe gewonnen und 10_Lothar Matthäus trifft zwei Mal Wohnzimmer spielen durften. Dass sie zitterte sich mit einem mühsamen 2:1 beim 4:1 gegen Jugoslawien. sich dort wohlfühlten, merkte man über Wales zur Endrunde. Bei den Wett- 11_Gegen die Niederlande macht Jürgen ­ihnen an. Mit Rudi Völler und Thomas büros und Umfragen lag die deutsche Klinsmann das Spiel seines Lebens. Berthold standen zudem zwei im ­ Mannschaft meist auf Platz drei oder vier. 12_Chris Waddle zielt zu hoch, Kader, die zumindest am Ende der Deutschland steht im WM-Finale. ­ita­lienischen Reise Heimrecht genie- Fünf „Italiener“ in Italien 13_Brehme trifft, Deutschland ist zum ßen wollten – sie spielten bei AS Rom. dritten Mal Weltmeister. Und in Rom fand das Finale statt, der Doch im Vergleich zur WM 1986 in WM-Pokal war schon Wochen vorher in ­Mexiko war alles besser: die Qualität, einer Römer Bankfiliale ausgestellt das Selbstbewusstsein, das interne worden, was inspirierend auf Berthold ­Klima, die Unterbringung, der Trainer –

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obwohl es derselbe war. Während Das 4:1 gegen Jugoslawien entzückte Er und Brehme schossen Deutsch- ­Beckenbauer in Mexiko viel Porzellan die ganze Welt, Star des Abends war land ins Viertelfinale, wo es gegen zerdepperte und Lehrgeld zahlen Lothar Matthäus mit zwei herrlichen die CSFR Abschied von Mailand zu musste, verdiente er sich 1990 die ­Toren. Gleich nach dem Spiel verlän­ nehmen­ galt. Bestnote. Jürgen Kohler schrieb in gerte Inter den Vertrag mit ihm um drei ­seiner Auto­biographie: „Es war die Jahre. Sein Trainer Des Kaisers Granteln ­beste Stimmung, die ich mit der Natio- freute sich klammheimlich, dass sein nalmannschaft je erlebt habe. Der Sondertraining geholfen hatte. Zwei Mal Zum fünften Mal spielten sie vor 75.000 Franz hatte uns gewähren­ lassen und die Woche ließ er Matthäus Zusatz­ Zuschauern und glaubten jedes Mal, in ist nicht wie ein Schießhund hinter uns übungen mit dem linken Fuß machen – oder München zu sein. Der hergerannt, um uns zu kontrollieren. der Lohn war das erste deutsche WM-Tor. kurze Weg und die wachsende Begeis- terung über die Spielweise dieser Mann- Es war ihm egal, ob einer fünf Minu- Die leichteren Übungen gegen die Ver- schaft ließen die Fans, unter denen nach ten früher oder später ins Bett ging einigten Arabischen Emirate (5:1), als dem Mauerfall im Herbst 1989 auch oder mal ein, zwei Bierchen trank. Er es bei Blitz und Donner auch Tore viele Bürger der nur noch ein paar hatte die nötige ­Lässigkeit, über den ­hagelte, und Kolumbien (1:1), dienten ­Wochen existierenden DDR waren, her- Dingen zu stehen.“ Was früher Kon­ dem ­weiteren Einspielen der Mann- beiströmen. Bei diesem Viertelfinale fliktpoten­zial barg, fiel 1990 weg. Die schaft, die erstmals im Achtelfinale voll lernte das Team den wilden Kaiser ken- Prämienfrage war geklärt, die meisten gefordert wurde. Gegen den Erzrivalen nen. Die Minuten nach dem 1:0-Sieg Frauen waren in ­einem benachbarten Nieder­lande, gegen den es in der durch einen Matthäus-Elfmeter waren Hotel einquartiert und durften jeden Qualifika­tion zwei Remis gegeben der kritische Punkt im Trainer-Mann- Tag zu Besuch kommen. Die Italien-­ ­hatte, boten die Deutschen ihr viel- schaft-Verhältnis. Beckenbauer, der die Legionäre ließ Beckenbauer auch mal leicht bestes Spiel und gewannen 2:1. Spieler noch nach dem 2:1 gegen die im eigenen Bett schlafen – und so lud Kohler durfte dabei nun endlich sein Holländer nachts um drei (!) „für eine Klinsmann den Kameraden Guido WM-Debüt geben, um van Basten halbe Stunde“ an die Hotelbar befohlen Buchwald in sein Haus am Comer See ­auszuschalten. Auch Littbarski kam in und dann mit ihnen bis sechs Uhr ein. Brehme und Matthäus zeigten die Elf, und Thomas Häßler ­zusammengesessen hatte, tobte. den Kollegen ihre Lieblingsrestaurants wichen. Nach dem lächerlichen Platz- in ihrem Wohnort Carimate, der nur verweis von Völler, der nichts ­gemacht Er warf alle Funktionäre aus der Kabine 24 Kilometer von Erba entfernt war. hatte und ebenso wie der ihn zwei Mal und stauchte die glücklichen Sieger zu- So konnte Matthäus am freien Tag auch an­spuckende Rijkaard runter musste, sammen. „Ihr seid die größten Deppen, zum Stamm-Friseur gehen. Spielten sie avancierte sein Sturmpartner Klins- die ich kenne“, brüllte er und warf einen auch Fußball? Und ob. mann zum besten Mann auf dem Platz. Schuh an die Wand, trat gegen die Tür und stieß einen Eiskübel um. Das volle Der Kombinationsfluss litt darunter nicht es nie wieder tun. Der Grund war ein Programm. floh ins und so sahen die 45.000 Zuschauer das sentimentaler – er brachte es einfach Entmüdungsbecken, um dem Zorn des vielleicht beste Spiel dieser WM. Ein nicht übers Herz, Häßler nicht aufzu­ Perfektionisten zu entfliehen. Den hatte abgefälschter Freistoß von Brehme stellen, denn der hatte gegen Wales das es gefuchst, dass gegen am Ende zehn ­öffnete das Tor schon ganz weit, Gary WM-Ticket gelöst. Er gestand später ein, Tschechen nur ein Zittersieg herausge- Linekers 1:1 schloss es vorübergehend. ihn aus Dankbarkeit aufgestellt zu ha- sprungen war. „Ich dachte, ich habe eine In der Verlängerung trafen beide Teams ben. Und Littbarski? Den hatte er schon intelligente Mannschaft. An diesem Tag den Pfosten, aber nicht mehr ins Tor. 1986 auf die Bank gesetzt und es war war sie nicht intelligent“, resümierte Vor dem grausamen Elfmeterschießen gewiss sein letztes WM-Finale. So der Kaiser seinen Wutausbruch. Lothar gab es ein Problem. Berthold erinnert ­musste er Bein und Thon enttäuschen. Matthäus analysierte: „Franz hatte die sich: „Als der Franz fragte ‚Wer schießt Hinterher war alles egal. Situation genau richtig erkannt, er jetzt die Elfmeter?‘ waren auf einmal ­wollte uns mit seinem Wutanfall wach­ ­alle weg, hatten Probleme mit den Brehme übernimmt Verantwortung rütteln. Er wollte uns den Leichtsinn Schuhen oder Muskeln.“ austreiben und bei der Ehre packen.“ druckste herum, Kohler sagte frei heraus Brehmes Elfmeter entschied ein Spiel, Auf der Pressekonferenz konnte der „Nein“, er habe noch nie Elfmeter ge- an dem sich Argentinien nicht wirklich Teamchef schon wieder lächeln: „Dies schossen. Da ließ sich der Bremer Karl- beteiligen wollte. Illgner musste nur ist meine fünfte Weltmeisterschaft, Heinz Riedle, der für den verletzten ­einen Ball halten, eine riskante Rück­ ­diese Mannschaft ist die beste, die ich Völler gekommen war, breitschlagen. gabe von Brehme. Um 22:09 Uhr erhielt bisher erlebt habe.“ Beckenbauer: „Als er traf, wusste ich: jetzt Lothar Matthäus an jenem 8. Juli 1990 kommen wir ins Finale.“ Alle an­deren den FIFA World Cup. Zuckerbrot und Peitsche trafen auch (Brehme, Matthäus, Thon), hatte ihn 1974 als erster Spieler über- während einen Strafstoß haupt erhalten. Dieser Titel bedeute Im Halbfinale von Turin wartete der alte von Stuart Pearce hielt und Chris Waddle ihm persönlich überhaupt nichts, wollte Rivale England. Beckenbauer präsentierte über das Tor schoss. Nun war er frei, er glauben machen, aber er habe ihn eine ganz neue Aufstellung, bugsierte der Weg nach Rom und die Bild-Zeitung „mit allen meinen Kräften“ den Spielern Bein erneut aus der Elf und titelte „Wir lieben diese Mannschaft“. gewünscht. Auch sein Weg nach Rom erstmals hinein. Völler kehrte nach seiner führte zu Ruhm. Sperre zurück für Riedle – und plötzlich Am letzten Tag seiner Karriere als Team- war Thomas Häßler wieder da, den chef sorgte Beckenbauer für ein Novum. TEXT Udo Muras ­Beckenbauer in Dauergesprächen auf- Die Elf, die er für das WM-Endspiel FOTOS (1/5) Getty Images/Staff, (2/3/8) Picture Alliance/dpa, (4/6/10/11/12) imago, (7) imago/ gebaut hatte. Pierre Littbarski war dafür ­nominierte, hatte in dieser Besetzung Laci Pereny, (9) imago/Horstmüller, (13) imago/ nicht mal im Kader. noch nie zusammengespielt und würde Sammy Minkoff, (14) Bongarts/Staff AKTUELLDFB-HISTORIE IM BLICKPUNKT 16 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

EXPLOSION NACH RUHENDEN BÄLLEN

Tore fallen in allen möglichen Situationen. Nach einem anchmal gibt es im Fußball ­Solo, nach einer Kombination, per Weitschuss, als Abstauber. jenen magischen Moment, der Großes bewirkt, weil er Spezielle Tore sind häufig solche nach einem ruhenden Mdem Geschehen eine ande- Ball. Direkt verwandelte Freistöße oder sogar Eckbälle sind re Richtung gibt. Einen Moment wie am oft besonders schön und manchmal besonders wertvoll. Abend des 8. Januar 2020 mit einem Vor allem natürlich, wenn sie von einem Nationalspieler im deutschen Nationalspieler als Haupt- darsteller: . In Dschidda, in Trikot der Nationalmannschaft erzielt wurden. Und erst Saudi-Arabien, wo der spanische Ver- recht, wenn dies in einem entscheidenden Moment in einem band die Endrunde um die nationale wichtigen Spiel ­geschieht. Supercopa veranstaltete, hatte Real ­Madrid im Halbfinale gegen den FC Va- lencia größte Mühe, ins Spiel zu finden. Plötzlich aber, in der 15. Minute, gelang es Kroos mit einem Geniestreich, alle Blockaden­ in seinem Team zu beseitigen. Mit einem direkt verwandelten Eckball von der linken Seite, dem ersten Eck- 2

balltor seiner Profi-Karriere, überwand einem Freistoßtor in der 89. Minute ge- Kroos den gegnerischen Torwart Jaume gen den MSV Duisburg den Gewinn des Domenech, der an der Fünf-Meter-Linie DFB-Pokals. Ein Jahr später wurde aus noch mit dem Sortieren seiner Abwehr- dem Traum von der Albtraum von spieler beschäftigt war. Barcelona. Beim Champions League-­ Finale in der katalonischen Metropole Manche Eckentore sind Zufall, dieses hatte Basler die Bayern mit einem war geplant. „Als ich mir den Ball hinge- ­Freistoßtor in der 6. Minute gegen legt habe, waren die immer noch am ­Manchester United in Führung gebracht Erzählen. Da muss man sich natürlich und bis über die 90. Minute hinaus auf schnell entscheiden“, so Kroos. Gedacht, der Siegesstraße gehalten. Ehe während getan. Ein, zwei Schritte Anlauf, den Ball der Nachspielzeit innerhalb von zwei perfekt getroffen, und aus Sicht der ­Minuten zugunsten von ManU alles 1 „Königlichen“ war nach diesem Genie- ­zusammenbrach, nicht nur Bayern-Fans streich auf einmal alles ganz einfach. wissen, was dann passierte: Shering- Beflügelt durch „das Traumtor aus 1.001 ham, Solskjaer, aus 1:0 wurde 1:2. Die Nacht“, wie das Sportblatt „Marca“ Tore fielen jeweils nach einer – Ecke. schrieb, erreichte Real danach locker, leicht und ungefährdet mit 3:1 das Finale. Rekordhalter Nickel

Momente wie dieser verdeutlichen etwas Ein Kunstschütze der besonderen Art Grundsätzliches im Fußball. Wenn alle war auch . Kein anderer Türen an und im gegnerischen Straf- Mittelfeldspieler hat in der Bundesliga raum ins Schloss gefallen sind, wenn mehr Tore erzielt als er mit seinen 141 der Gegner auf den Außenbahnen Treffern in 426 Spielen für Eintracht 1_EM 2008: mit Urgewalt ins Glück. ­unüberwindbare Barrieren errichtet hat Frankfurt. Und in den Annalen des DFB Michael Ballack trifft in Österreich und es auch sonst kein Durchkommen tritt er mit 18 Toren bei 41 Länderspie- ­gegen Österreich zum 1:0. gibt, dann sind ganz besonders sie len als Rekordschütze der einstigen 2_Gegen die GUS drohte 1992 eine ­gefragt: die Rastellis am ruhenden Ball. Amateur- und Olympiaauswahl hervor, ­Niederlage zum EM-Auftakt, dann Freistoß- und Eckballspezialisten, denen darunter etliche Freistoßtreffer. Als Tor- ­drehte Icke Häßler den Ball in der mit ihrer Kunstfertigkeit immer wieder jäger aber ganz speziell in Erscheinung 90. Minute in den Winkel. Entscheidendes gelingt. treten ließen den früheren Spielmacher, dem nur ein A-Länderspiel vergönnt war zu seiner Zeit in den war, die bis heute in der Bundesliga 90er-Jahren eine solche Ausnahmeer- ­unerreichte Zahl von vier direkt verwan- scheinung. Als bislang einzigem Bun- delten Eckstößen. Erzielt von allen vier desliga-Profi gelang es ihm, im Verlauf Eckfahnen im damaligen Frankfurter einer Saison gleich drei Eckbälle direkt , unter anderem gegen zu verwandeln. 1994/95, für Werder Weltklasse-Keeper wie oder . Der stets eigenwillige „Super- Schwedens Nationaltorhüter Ronnie Mario“ ging zudem als Freistoßschütze Hellström. „Den besonderen Schuss, in die Fußballhistorie ein. Am 16. Mai Vollspann und zumeist mit dem linken 1998 sicherte er Bayern München mit Außenrist, besaß ich bei Standardsitua­ DFB-HISTORIE 18 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

3 tionen schon während meiner A-Jugendzeit. Bei Eckbällen und Freistößen ließ ich später kaum noch einen anderen ran“, sagt er und erzählt schmunzelnd: „Gegen Leverkusen habe ich in den 80ern mal alle 24 Eckbälle getreten und hätte für diese Zusatz- schicht eigentlich eine Sonderzahlung bekommen müssen.“

In der Nationalmannschaft kam ihm da der legendäre Rechts- außen der Breslau-Elf, Ernst Lehner, am nächsten. Gesehen hat es zwar niemand außer den 18.000, die am 26. August 1937 in Königsberg das 4:1 gegen Estland verfolgten, aber es ist Tat­ sache: Der Augsburger verwandelte an diesem Tag, als Fußball noch im Radio kam, gleich zwei Eckbälle direkt und bereitete die beiden anderen Tore ebenfalls durch Ecken vor. „Lehners Eckbälle schlugen Estland“, schrieb die Zeitschrift „Fußball“.

Dreifach schön

Ein Nationalspieler mit einem Kunstschuss – doppelt schön ist diese Konstellation immer dann, wenn ein Nationalspieler ein Traumtor für die Nationalmannschaft erzielt und dreifach, wenn es besonders wichtig war. So, wie am 21. Juni 1992 in Stockholm mit Thomas Häßler als Protagonisten. Im Halb­ finale der EURO 1992 hatte die deutsche Mannschaft das bis ­dahin überzeugend auftrumpfende Team des Gastgebers zum Gegner, das von einer enthusiastischen Anhängerschaft ­zusätzlich getragen wurde. Doch Häßler gelang es in der 11. Minute, seine Mannschaft aus der bis dahin sichtbaren Befangenheit zu befreien – mit einem Freistoß, direkt verwandelt aus 20 Metern, gab er den Startschuss zum besten Turnierspiel der Deutschen beim 3:2-Sieg gegen Schweden. Häßlers ­Treffer per Freistoß war für ihn eher Regel als Ausnahme, 5 ­sieben seiner elf Länderspiel-Tore erzielte er auf diese Weise.

Bisweilen gibt es im Fußball darüber hinaus jenen magischen Moment, zumeist kurz vor Ende des Spiels, der Großes ­bewirkt, weil er einem bis dahin scheinbar aussichtslosen Vor- haben zu neuer Hoffnung verhilft. Auch hier kommen wir an Toni Kroos und Thomas Häßler nicht vorbei. Bleiben wir bei der Europameisterschaft 1992. Gegen die Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS) der ehemaligen Sowjetunion lag das Team von Berti Vogts im Auftaktspiel kurz vor Schluss 0:1 zurück. Kaum etwas war dem amtierenden Weltmeister bis dahin gelungen. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz erzielte Häßler, wie aus dem Nichts, eine Minute vor dem Abpfiff den Ausgleich. Mit einem Freistoß aus 18 Metern bewahrte der Ballkünstler sein Team in hoffnungsloser Situation vor einem Fehlstart in die EM. Wenn Häßler mal nicht traf, gab es in jener Ära noch Andy Brehme, der bei der WM ’86 und WM ’90 jeweils im Halbfinale (gegen Frankreich bzw. England) die gegne­ 6 rische Mauer knackte und bei der EM 1988 auch das einzige Mittel gegen Italiens Catenaccio war. Sein 1:1 verhinderte den Fehlstart im eigenen Land.

Oder Toni Kroos am 23. Juni 2018 in Sotschi. Kurz vor Ende des zweiten WM-Vorrundenspiels, wieder gegen Schweden, war beim Stande von 1:1 der Abgesang auf das Scheitern DFB-HISTORIE CDN-MAGAZIN 42 | 2020 19

3_Der Treffer von Toni Kroos zum 2:1 gegen Schweden blieb der ­vielerorts schon formuliert. Nach der 0:1-Niederlage zum einzige Lichtblick einer enttäuschenden WM 2018. ­Auftakt gegen Mexiko musste Deutschland gegen die 4_Fußball-Geschichte: Bernd Nickel traf von allen vier Ecken des ­Skandi­navier unbedingt gewinnen, das vorzeitige Aus war so Frankfurter Waldstadions. gut wie besiegelt. Dann aber, Sekunden vor Schluss, der 5_Damit ist Ernst Lehner unerreicht: Gegen Estland gelangen ihm ­Freistoß am linken Rand des gegnerischen Strafraums. Marco gleich zwei Eckentore in einem Spiel. Reus tippt den Ball kurz zur Seite, um den ungünstigen Winkel 6_Ecken schoss Mario Basler mitunter mit Hut. Meist schoss er einen Tick vorteilhafter zu gestalten, ehe Kroos mit einer sie gut – und manchmal sogar ins Tor. Für Bremen gelang ihm akrobatischen Verrenkung seines Körpers das Spielgerät mit das in einer Saison gleich drei Mal. Wucht und Präzision in den rechten Winkel des schwedischen 7_In Mexiko lief bei der WM ’86 im Achtelfinale gegen Marokko Tors zirkelt. Eine wirklich runde Sache! „Das Tor seines Lebens“, nicht viel zusammen. Dann kam Lothar Matthäus und beförderte schlagzeilte die spanische Zeitung „Mundo Deportivo“ etwas den Ball in der 88. Minute aus 35 Metern ins Tor. voreilig. Dieser Kunst-Knaller von Kroos – ein Tor für die ­Ewigkeit wurde er leider nicht. Weil ihm wegen der folgenden Niederlage gegen Südkorea und dem K. o. in der Vorrunde 4 das Epochale fehlte.

Besondere Hebelverhältnisse

Unschätzbaren Wert hatte dagegen der Freistoßknaller von Michael Ballack im dritten Vorrundenspiel der EM 2008 gegen Gastgeber Österreich, der den 1:0-Sieg und damit das Weiter- kommen sicherte. Es wäre das dritte Vorrundenaus bei einer EM in Folge gewesen – so aber erreichte die Löw-Elf das ­Finale. Deutschland spielte gegen Spanien, ein Duell zweier Mannschaften, die in den kommenden Jahren den Weltfuß- ball prägen sollten. Unvergessen auch der Treffer von Lothar Matthäus bei der WM ’86 in Mexiko im Achtelfinale gegen Marokko. Die 88. Minute, Freistoß Deutschland, Null zu Null der Spielstand. Es sind 30 Meter zum Tor, die Marokkaner scheinen nicht mit einem Direktschuss zu rechnen. Sie bilden eine der kuriosesten Mauern der WM-Geschichte. Drei vorne, zwei dahinter. So passiert­ es: Matthäus zirkelt den Ball mit der Innenseite rechts an der Mauer vorbei. Kurz vor der Linie springt der Ball noch einmal auf – drin, Sieg, Viertelfinale.

Was aber ist das Geheimnis all dieser Spezialisten am ruhen- den Ball? Pierre Littbarski, der vielleicht schlitzohrigste, weil raffinierteste unter den „Kunstschützen“, verweist bei den Schüssen über die Mauer und an der Mauer vorbei auf beson- dere Hebelver­hältnisse im Körperbau als Voraussetzung. „Ein kleiner Fuß kann dem Ball eine größere Wirkung geben als ein großer Fuß“, sagt er (siehe ­Interview auf den nachfol- genden Seiten). Bernd Nickel sieht es ähnlich, auch für ihn ist der kleine Fuß das ideale Werkzeug: „Nur damit kommt man mit Vollspann unter den Ball am Boden.“ Die ­wichtigste Voraus­setzung ist ganz klar: Talent für Schusstechnik ist uner- lässlich; doch „Erfolg am ruhenden Ball kommt nur mit Üben, Üben, Üben“, so Häßler. Dann lässt sich gerade auf kleinem­ Fuß Großes bewirken.

TEXT Wolfgang Tobien FOTOS (1) Getty Images/Oliver Hardt, (2) imago/Sven Simon, (3) Getty Images/Michael Steele, (4) imago/Ferdi Hartung, (5) Schirner Sportfoto/Picture Alliance, (6) Alexander Hassenstein/ Bongarts/Getty Images, (7) Getty Images 7 INTERVIEW MIT PIERRE LITTBARSKI 20 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

„KOMBINATION AUS SCHUSSTECHNIK­ UND SCHUSSSTÄRKE“

Er gehört zu den besten Tech­ nikern des deutschen Fußballs und hat so manchen Kunst- schuss vollbracht. Pierre Litt- barski über Talent, Fleiß und Egoismus der Kunstschützen, die Perfektion von Toni Kroos und den Vorteil einer kleineren Schuh- und Körpergröße.

TEXT/INTERVIEW Wolfgang Tobien FOTO (1) Getty Images/Oliver Hardt

1 INTERVIEW MIT PIERRE LITTBARSKI CDN-MAGAZIN 42 | 2020 21

Herr Littbarski, wie wird man ein erfolgreicher Kunstschütze? sagen unseren „Lieblingsgegner“. Es kommt halt darauf an, Entscheidend ist die Kombination aus Schusstechnik und den richtigen Punkt unter dem Ball zu treffen, damit er den Schussstärke. Die einen hauen mit voller Wucht drauf, treffen nötigen Schnitt, die nötige Kurve und zugleich die nötige dann aber das Tor nicht. Andere bringen den Ball gut über die ­Power bekommt. Mauer oder von der Eckfahne schön vors Tor, doch ihrem Schuss fehlt die Geschwindigkeit. Diese richtige Mischung aus Es fällt auf, dass viele Kunstschützen relativ kleine Spieler Technik und Schusskraft hat Toni Kroos absolut perfektioniert. sind. Sie selbst mit 1,68 Metern, Häßler mit 1,66, Bernd Schon in den U-Mannschaften des DFB oder danach in der ­Nickel mit 1,70, Roberto Carlos 1,68, 1,70, Olaf Bundesliga bei Bayer Leverkusen hat er mich mit seiner Thon 1,70 oder wie , ein Außenrist-Schuss- Schusstechnik beeindruckt. Gerade auch mit seinen künstler mit 1,72. Ist dies, zusammen mit entsprechend ­Freistößen. Ich denke, diese Qualität hat er von seiner kleiner Schuhgröße, ein spezieller Vorteil, um den beson- ­Jugendzeit an mitgebracht. deren Treffpunkt am Ball zu finden? Ich verstehe, was gemeint ist. Ein kleiner Fuß kann dem Ball Kann man dies lernen? Lassen sich Kunstschüsse trainieren? am richtigen Treffpunkt eine größere Wirkung geben als ein Wie immer gilt auch hier: ohne Fleiß kein Preis. Alle Super- großer Fuß, dessen Energie beim Schuss sich über eine grö­ schützen feilen permanent an ihrer Schussqualität, versuchen ßere Trefferfläche verteilt und dadurch an Wucht und Präzisi- ständig, mit Extratrainingsmaßnahmen diese Mischung aus on verliert. Noch entscheidender sind aber in meinen Augen ­filigraner Behandlung des Balls und unerlässlicher Schuss- die richtigen Hebelverhältnisse. Man muss einen kurzen Hebel schärfe zu verbessern. Manche können das aber 100 Jahre haben, um einen Freistoß aus der idealen Distanz von 17 bis trainieren und kriegen es nicht hin.

Wieviel Selbstbewusstsein gehört dazu, einen Freistoß aus spitzem Winkel und noch mehr einen Eckball direkt ver- «EIN DIREKT VERWANDELTER wandeln zu wollen? ECKBALL SETZT SCHON Ein direkt verwandelter Eckball setzt schon ein gewisses EIN GEWISSES QUANTUM AN Quantum an Egoismus und großes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten voraus. Vor allem, weil vor dem gegnerischen Tor ­EGOISMUS UND GROSSES ja immer fünf, sechs deiner Leute auf deine perfekte Vorlage ­ZUTRAUEN IN DIE EIGENEN warten. Wenn du also versuchst, direkt ein Tor zu erzielen, FÄHIGKEITEN VORAUS.» musst du auch damit leben können, dass der gegnerische Torwart den Ball locker herunterpflückt oder dass er auf dem Tornetz landet und deine Mitspieler dir zurufen, ob du noch ganz klar im Kopf bist. Ich glaube, einer wie Mario Basler hat 22 Metern so zu treffen, damit der Ball schnell und scharf sich um solche Reaktionen seiner Leute einen Dreck geschert, hochsteigt und dann vor dem Tor, mit Effet, ebenso schnell der wollte seinen Eckball direkt verwandeln. Mir ist das einmal und scharf wieder fallen muss. Klar gelingt und gelang so et- während meiner Zeit in Japan gelungen, dass ich den Ball was auch größeren Spielern, doch generell haben es kleinere ­hinter dem Rücken des Keepers ins Tor reingelegt habe. Spieler mit ihren kurzen und kompakten Hebeln einfacher. Vor allem, wenn der Ball beim Freistoß nur wenige Zentimeter vor In der Nationalmannschaft ist Ihnen das auch gelungen. dem Strafraum liegt. Mein erstes Freistoßtor in der Bundesliga ­Älteren Fans ist noch Ihr Doppelpack gegen England zum 1978 für Köln gegen Düsseldorf habe ich zum Beispiel so 3:1-Sieg 1987 in Düsseldorf in Erinnerung. Erst erzielten ­erzielt. Der Ball lag fast genau auf der 16-Meter-Linie. Um ihn Sie mit einem tollen Distanzschuss aus 22 Metern das 1:0 aus dieser kurzen Distanz direkt ins Tor zu schießen, musste und danach mit einem direkt verwandelten Eckball das 2:0. ich ihn über die gegnerische Mauer chippen. Ein sehr schwie- Wie haben Sie sich solche Kunstschüsse angeeignet? riger, anspruchsvoller Versuch mit einem kurzen Hebel; den Immer wieder geübt. Oft schon vor jedem Training habe ich Erfolg habe ich heute noch im Hinterkopf. versucht, die Eckbälle an einen bestimmten Punkt ins Tor zu schießen. Und in Köln zum Beispiel haben Icke Häßler und ich Zum Abschluss, Herr Littbarski, Ihr Ranking der fünf besten regelmäßig nach dem Training eine halbe Stunde lang einen Kunstschützen ist? Wettbewerb im Freistoßschießen veranstaltet – gegen Bodo Puuuh! Da fallen mir jetzt auf die Schnelle Lionel Messi, Toni Illgner im Tor und über oder neben die Freistoßwand, sozu­ Kroos, Bernd Schuster, Thomas Häßler und ein. 50 JAHRE JAHRHUNDERTSPIEL 22 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

MEHR GEHT NICHT

Millionen Spiele hat es im 20. Jahrhundert gegeben auf diesem Globus und Hunderte tragen den Stempel der Unvergesslichkeit, auch Dutzende der bis dato 645 WM-Partien. Aber es kann nur ein „Spiel des Jahrhunderts“ geben und auf der ganzen Welt weiß man, von welchem die Rede ist: vom WM-Halb­ finale zwischen Deutschland und Italien am 17. Juni 1970 in Mexico City – vor 50 Jahren.

an schien es 1947 gesehen zu haben, als das Fußball-Mutterland England eine FIFA-Auswahl mit 6:1 bezwang und seine Überlegenheit demons­ Mtrierte. 1953 hatte man es ganz gewiss gesehen, als, wieder in Wembley, die Ungarn um den großen Ferenc Puskás den Tempel entweihten und als erste Mannschaft dort ge­wannen – mit 6:3. Dann kam die WM 1970 in Mexiko und das dramatische 3:2 der Deutschen gegen England. Das musste es nun wirklich gewesen sein, das Spiel des Jahrhun- derts. Doch drei Tage später landete das Etikett schon wieder im Papierkorb, denn dann fand im Aztekenstadion von Mexico City das Halbfinale zwischen Deutschland und Italien statt. Es endete nach 120 nervenzerfetzenden Minuten mit 4:3 für die ­Italiener. Zwei Mal wechselte die Führung und wohl 50-mal hatten die Fans, ob Tifosi oder „Aleman“, den Torschrei auf den Lippen. Bis heute sind fünf Treffer in einer Verlängerung eines WM-Spiels Rekord. Aber es waren nicht nur die erzielten Tore, es waren auch die Tore, die nicht fielen, die Elfmeter, die nicht gegeben wurden, die vielen kleinen Einzelschicksale, die ­dieses Spiel so einmalig machten. Und die Tatsache, dass es alle Erwartungen übertraf. 1 50 JAHRE JAHRHUNDERTSPIEL CDN-MAGAZIN 42 | 2020 23

Aufstellen, bitte! Da wusste noch keiner, was in den nächsten Stunden folgen sollte. 50 JAHRE JAHRHUNDERTSPIEL 24 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

Von den Italienern hatte man in Mexiko noch keine guten Mexikaner 4:1 besiegt hatte: Vier Profis von Überraschungs- Spiele gesehen. Mit einem einzigen Tor waren sie durch die meister Cagliari, sechs Mailänder und ein Turiner bildeten die Gruppenspiele marschiert, es war die hohe Zeit des Cate­ „Squadra Azzurra“. Karl-Heinz Schnellinger kannte sie alle, naccios. Die Deutschen standen an der Schwelle zu ihrer auch er war 1970 ein Mailänder und musste schon vor dem größten Fußball-Ära. Sie mochten es geahnt haben, seit Anpfiff sein Trikot tauschen. Es waren die letzten Herzlich­ ­diesem 17. Juni wussten sie, dass sie zu Großem fähig wa- keiten, die die Italiener erfuhren an diesem Tag. Die große ren – und die ganze Welt war Zeuge. Es gab auch danach Mehrheit der Zuschauer, offiziell wurden 102.444 gezählt, noch Fußball­dramen, aber niemand wagte mehr, am Ehren- buhte sie bei der Verlesung der Namen aus. Die Quittung platz dieses Spiels zu rütteln. Schließlich war Jahre später für den Sieg gegen Mexiko und die schlechten Spiele zuvor. eine Gedenk­tafel am Aztekenstadion angebracht worden, Für die Deutschen hatten sie nur Beifall übrig. die alle Diskussionen verbat: „17 junio 1970. Italia – Ale­ mania 4:3. Juego del siglio.“ Eine mexikanische Zeitung Auf einer Bande direkt neben der Eckfahne stand: „Alemania hatte dies schon am nächsten Tag gefordert. In Deutschland Willkommen!“ Einige Deutsche warfen zudem Blumen ins wurden damals vierfarbige Poster gedruckt zu Ehren dieses Publikum und eroberten weitere Herzen. Bei den National- Spiels. Da verwundert es nicht, dass 50 der größten Fuß­ hymnen sang keiner, weder hüben noch drüben. In Deutsch- baller aller Zeiten 30 Jahre ­später einstimmig diese Partie land war die Zeit des linken Aufbruchs, der Studentenunruhen zu dem wählten, was sie schon mit dem Abpfiff geworden und der APO – und nicht die des Patriotismus. Aber es war der war – das „Spiel des Jahrhunderts“. 17. Tag der Deutschen Einheit und die Spieler wussten, dass ihnen auch in der DDR viele Menschen zusahen. Im Westen Erst wenige Stunden vor der Abreise nach Mexico City er­ saßen rund 35 Millionen Menschen vor den TV-Geräten, um fuhren die Deutschen, wohin sie der Weg führen sollte. Der ARD-Reporter Ernst Huberty zu lauschen und dem Team um Spielort wurde erst nach den Viertelfinals festgelegt, eigent- Kapitän die Daumen zu drücken. Zwei junge lich hatten sie mit Guadalajara gerechnet. Aber mit der Be- ­Männer aus Franken ließen dafür sogar ihr Unfallauto am gründung, dass dann nur einer der vier Halbfinalisten reisen ­Straßenrand stehen und rannten in die nächstbeste Kneipe müsste, wurde das Spiel gegen Italien von der FIFA in die mit Fernsehgerät. In Rom ließ ein Taxifahrer eine Schwangere Hauptstadt gelegt. Die besagten Reisenden waren also die im Wagen zurück, um die Übertragung sehen zu können. Deutschen, die von León drei Stunden nach Mexico City Als er zurückkam, waren sie zu dritt. Das gigantische Spiel ­flogen und dann zwei Stunden mit dem Bus weiter nach rechtfertigte eben fast alle Sünden. ­Puebla fuhren, wo sie im „Haus der Engel“ Quartier bezogen. Gerd Müller freute sich über die schneebedeckten Berggipfel, Gegen Pech und Unrecht die das Panorama bildeten. „Fast wie zu Hause, wenn es nicht so warm wäre“, scherzte der Torjäger des FC Bayern. Es begann mit Donner, ein Gewitter kündigte sich an und die Journalisten registrierten besorgt, dass die Tropfen auch auf Schulz für Höttges ihre Schreibmaschinen fielen. Auf dem Platz wurden 50 Grad gemessen, weshalb wohl in verschiedenen Rückblicken davon Am Spieltag waren es schon bei der Abfahrt 32 Grad Celsius, die Rede ist, man habe um zwölf Uhr mittags angepfiffen. stickige Luft drückte im Bus auf die Stimmung. Mit einer Auch Uwe Seeler erlag in seinen Memoiren diesem Irrtum und ­Polizeieskorte traf die deutsche Auswahl um 12.15 Uhr Orts- der Schriftsteller Ror Wolf muss damit leben, dass sein Epos zeit an diesem Mittwoch in Mexico City ein, wo die Italiener über dieses Spiel einen kleinen Schönheitsfehler hat. „Zwölf schon seit dem Viertelfinale gegen Mexiko Quartier bezogen Uhr in Mexiko, in einer heißen / zerpfiffnen Schüssel: Celsius hatten. Sie waren nicht nur deshalb im Vorteil: Ihr Spiel war sechzig Grad. / Es kochte furchtbar, doch das Resultat / gilt als nicht in die Verlängerung gegangen und sie hatten sich schon Bonbon in den Expertenkreisen“, beginnt er sein Gedicht. akklimatisiert, denn Mexico City liegt 600 Meter höher (2.200 Meter) als León. Im Übrigen hatte der amtierende Und nun beginnt auch das Spiel. Wer alle Chancen nachlesen ­Europameister seit 1939 nicht mehr gegen die Deutschen will, möge sich den „kicker“ vom 18. Juni 1970 besorgen. verloren und war damals seit 17 Länderspielen ungeschlagen. Die Fachzeitschrift kam damals mit einer Seite nicht aus. Was Trainer freute sich schon: „Die Deutschen aber ist wirklich geblieben von diesem „Kampf wie aus den sind uns als Halbfinalgegner angenehmer als England.“ Heldensagen“, um mit Ror Wolf zu sprechen? Natürlich der frühe Rückstand durch Boninsegna nach acht Minuten, dem Der Anpfiff war für 16 Uhr angesetzt, für die Zuschauer in der die Deutschen bis in die Nachspielzeit nachlaufen sollten. Heimat wurde es eine Nachtschicht – hier begann das Drama Natürlich Schiedsrichter Arturo Yamasaki, der den Deutschen um 23 Uhr. Bundestrainer Helmut Schön baute die siegreiche drei Elfmeter versagt, zwei an Beckenbauer und einen an Startelf auf drei Positionen um, wobei nur Schulz seinen Ein- ­Seeler. „Der Schiedsrichter ist immer dann energisch, wenn satz einer Verletzung verdankte – der von Höttges. Zudem ein Foul außerhalb des Strafraums begangen wurde. Innerhalb spielte Patzke für Fichtel und Grabowski, der bisher in allen des Strafraums, da scheint ihn panische Angst zu überkom- Spielen als Joker zum Einsatz gekommen war, verdrängte men“, tadelt ihn Huberty. Für Radioreporter Oskar Klose wird Rechtsaußen Libuda. Bei den Italienern fehlte überraschend Deutschland „offensichtlich benachteiligt“. Beckenbauer Gianni Rivera, „Europas Fußballer des Jahres“ 1969, den muss sich nach dem nur mit Freistoß geahndeten Foul fast ­Beckenbauer beschatten sollte. Für ihn spielte Sandro Maz­ eine Stunde mit einer schmerzhaften Schulterverletzung zola. Ansonsten vertraute Valcareggi der Mannschaft, die die ­herumschlagen. Das eindringliche Bild vom jungen Kaiser mit 50 JAHRE JAHRHUNDERTSPIEL CDN-MAGAZIN 42 | 2020 25

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2_Karl-Heinz Schnellinger machte mit seinem Treffer in der ­Nachspielzeit die Verlängerung und damit das Drama erst ­möglich – ausgerechnet der Italien-Legionär! 3_Jubel bei Roberto Boninsegna, Enttäuschung bei Siggi Held.

«AUSGERECHNET SCHNELLINGER, WERDEN DIE ITALIENER SAGEN, AUSGERECHNET SCHNEL- LINGER. ES IST NICHT ZU GLAUBEN.»

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dem Arm in der Schlinge, die ab der Verlängerung um seine dann jetzt“, staunt Huberty, der eben noch gemutmaßt hat, Schulter hängt, gehört auch zum Erbe dieses Spiels. Es sym- dass eine Steigerung „ja wohl kaum noch möglich ist“. bolisiert den unbedingten Kampf einer Mannschaft gegen das Pech – und das Unrecht, in das sie sich zusehends versetzt Nur 14 Sekunden sieht. Die Italiener schinden Zeit, wo es nur geht, der Schieds- richter tut nichts dagegen und die Sonne brennt unbarm­ Doch lange währt die Freude nicht. Stürmer Held treibt sich herzig. Besonders für die, die ein Tor aufholen müssen. bei einem Freistoß in der eigenen Abwehr herum und wehrt einen Ball mit der Brust vor die Beine von Burgnich ab – 2:2. In der Halbzeit kommt Libuda für Löhr, der erstmals seine Nun haben die Italiener wieder Oberwasser. Yamasaki über- ­weißen Glückssocken nicht trägt, worauf er seine unglück­ sieht ein Foul an Libuda, im Gegenzug erzielt Riva das 2:3. liche Leistung später zurückführen wird. Abwehrchef Da stehen sie nun am Anstoßkreis, Müller und Seeler, und ­Schnellinger bittet Co-Trainer Jupp Derwall in der Kabine um ­Huberty bekommt Mitleid. „Man müsste schon fast von einem ein Zeichen, wenn er nach vorne gehen soll – Schön erfährt Wunder sprechen, wenn es der deutschen Mannschaft wieder von dem Geheimabkommen nichts. Dann Wiederanpfiff: gelingen würde, den Ausgleich zu erzielen, dann müsste man für einen einzigen Sturmlauf. Overath trifft die Latte, der sagen, es sind physische Wunderknaben.“ Fünf Minuten Schuss des zweiten Jokers Held, der Patzke ablöst, wird von ­später sind sie es. Müller ist wieder zur Stelle, diesmal mit Facchetti artistisch aus dem Tor geschlagen. Als Seeler nach- dem Haarschopf. Seeler hat mit seinem hochroten Kopf die setzt, wird er umgerissen. Es gibt wieder keinen Elfmeter. Die Vorlage gegeben. Massen spüren die Ungerechtigkeit, „Alemania“ kommt es tausendfach von den Rängen. „Die Mexikaner spüren, was Doch wer sich beim 3:3 ein Bier aus der Küche geholt hat, hier los ist. Wie sich eine Mannschaft aufbäumt gegen ein nimmt den ersten Schluck, als es schon wieder 3:4 steht. Vom fehlendes Tor, gegen das fehlende Glück“, sagt Huberty. Anstoß weg schlagen die Italiener zu. 14 Sekunden dauert das nur, und kein Deutscher kommt an den Ball, ehe der ein- Ausgerechnet Schnellinger gewechselte Rivera den Vorhang für dieses Drama schließt. Nun kommt auch diese deutsche Mannschaft nicht mehr Als Italiens Torwart Albertosi Müller anschießt und der Ball ­heran, sonst hätte es erstmals in der WM-Geschichte einen auf der Linie tanzt, aber sich wieder vom Tor wegdreht, gibt Losentscheid über einen Finalisten gegeben. Der Schlusspfiff auch Huberty auf: „Es soll nicht sein.“ Es läuft bereits die bei mittlerweile angeschaltetem Flutlicht kommt für die Nachspielzeit. Nun kommt Schnellinger, Derwall hat ihn mit ­entkräfteten Spieler einer Erlösung gleich, Domenghini muss Blicken nach vorne beordert. Schön hat es zwar gesehen, aber sich sogar übergeben. nicht verstanden und fragt seinen Assistenten pikiert: „Jupp, mit wem telefonierst Du da?“ In der 91. Minute, als Schön Die Zuschauer erheben sich von ihren Plätzen, applaudieren ­bereits dem Sportinformationsdienst an der Bank ein Inter- mit offenen Mündern. In Italien, wo man diese Partie nur „das view gibt, macht sich das „Ferngespräch“ bezahlt. Grabowski verrückte Spiel“ nennt, finden spontane Straßenfeste statt. flankt von links vor das Tor und der Mailänder wirft sich mit In Wolfsburg ziehen 2.000 italienische Arbeiter durch die langem Bein in die Flugbahn des Balls. Er trifft, zum einzigen ­Straßen und skandieren „Kartoffel kaputt – Spaghetti Mal in seinem Leben, für Deutschland. Hubertys Jubel ist schmeckt gut“. Sepp Maier dagegen will nie mehr Spaghetti ­Legende. „Schnellinger! Nein, nein, nein, nein. Schnellinger. essen, auch keine Pizza, so wütend ist er auf die Italiener. 1:1, der war’s. Durch Schnellinger. Unglaublich. Ausgerechnet Bei anderen fließen die Tränen. Schnellinger, werden die Italiener sagen, ausgerechnet Schnellinger. Es ist nicht zu glauben.“ Nicht immer muss man gewinnen

In Deutschland schläft niemand. Und wer es doch tut, wird Im Kabinengang weint Ersatzspieler Weber, im Bus Vogts – gegen 00:45 Uhr vom Torjubel geweckt. Ein Kaufmann aus der obwohl die jubelnden Mexikaner Spalier stehen. Alle spüren: Oberpfalz büßt dabei sein halbes Ohr ein, weil er vor Freude Sie haben Großes geleistet, und nicht immer muss man dafür gegen eine Lampe gesprungen ist, welche zersplittert. Ein gewinnen. Als Helmut Schön zur Pressekonferenz kommt, Redakteur der „Bild“-Zeitung, der zu Testzwecken an ein EKG applaudieren die Journalisten. Dann sagt er: „Ich habe unend- angeschlossen wurde, verzeichnet 139 Herzschläge in dieser lich viel erlebt im Fußball, aber diese Partie gegen Italien war Minute. „So erregt hatte sich noch nicht einmal der erste an Spannung nicht zu überbieten.“ Kollege Valcareggi stöhnt: Mensch auf dem Mond gefühlt. Das Herz von Neil Armstrong „Ich bin zu alt für solche Aufregungen.“ So oder so ähnlich schlug nur 120-mal in der Minute“, stellt das Blatt fest. Dabei sprachen sie alle. „Das hier war das Größte, was ich bisher kommt das Beste erst noch. Die unglaubliche Verlängerung, ­erlebt habe“, sagt Beckenbauer und Sepp Maier ist vielleicht vor der die auf dem Platz liegenden Spieler massiert werden. der erste, der ausspricht, was auch 50 Jahre später nicht nur Einige haben Wadenkrämpfe. Kaum hat sie begonnen, da wird in Italien und Deutschland Gültigkeit hat: „Das war das Spiel Müller, dessen unerbittlicher Bewacher Rosato ausgewechselt des Jahrhunderts.“ wurde, munter. Nach einer Ecke schießt er Deutschland in Führung, mit ganz wenig Kraft, aber umso mehr Instinkt. Sein

Kullerball nach einem Missverständnis in der Abwehr der TEXT Udo Muras ­Italiener verendet schier hinter der Linie. „Meine Damen und FOTOS (1) imago/Sven Simon; (2) imago/Ferdi Hartung; Herren, wenn Sie jemals ein echtes Müller-Tor gesehen haben, (3/4) Picture Alliance/dpa; (5) Picture Alliance/Sven Simon 50 JAHRE JAHRHUNDERTSPIEL CDN-MAGAZIN 42 | 2020 27

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4_Doppeltorschütze Gerd Müller beim Trikottausch mit dem ­italienischen Kapitän . 5_Erschöpft und enttäuscht: Torwart Sepp Maier nach dem Spiel mit seinem Ersatzmann Horst Wolter.

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„DER REST WAR WIE IM RAUSCH“

Dieter Müller (66) war häufig zuständig für das Außergewöhnliche, für die besonderen Dinge. Seine sechs Tore für Köln beim 7:2 gegen Werder Bremen sind bis heute unerreicht, und bei seinem Debüt für die Nationalmannschaft traf er nach seiner Einwechslung im EM-Halbfinale in Belgrad gegen Jugoslawien drei Mal. Im Interview spricht er über seinen Weg in die ­Nationalmannschaft und seine Erinnerungen an die EM 1976.

Herr Müller, wie sind Sie überhaupt Nein, soweit habe ich lange nicht Stück den Berg hoch. Ich war fix und fertig. zum Fußball gekommen? ­gedacht. Ich wollte Bundesliga-Spieler Fußball und die Nationalmannschaft Ich habe Fußball immer geliebt, mir ist werden, das war mein großer Traum. waren damals ganz weit weg. dieser Sport in die Wiege gelegt wor- Aber eigentlich auch erst später. Das den, genauso wie die Besessenheit, begann, als ich meine ersten Einsätze Und doch haben Sie es geschafft. ­Tore zu machen. Ich wollte immer für die Hessen-Auswahl hatte und ich Erstaunlich, ja. Zumal Helmut Schön ­Stürmer sein und Tore machen. Im gemerkt habe, dass ich auch auf diesem nie ein Fan von mir war. Zwischen uns Grunde war ich eine Art Straßenfuß­ Niveau gut mithalten kann. hat es einfach irgendwie nicht gepasst. baller. Es gab bei mir in Offenbach eine Aber irgendwann kam er nicht mehr an Anlage, in der ich jeden Tag gespielt Als Deutschland 1974 in Deutschland mir vorbei. habe. Als ich zehn Jahre alt war, sind wir Weltmeister wurde, waren Sie ein nach Götzenhain gezogen. Dort habe ­neuer Stern in der Bundesliga. Beim Haben Sie eine Erklärung dafür, warum ich bei der SG Götzenhain­ meine ersten 1. FC Köln hatten Sie eine starke erste Sie so schnell nach Ihrer Genesung Schritte im Verein gesetzt. Später folgte Saison gespielt. Haben Sie damals wieder in Topform kommen konnten? der Wechsel­ zu . Es ­insgeheim gehofft, noch auf den WM- Durch mein Leben zieht es sich, dass ich ging also Schritt für Schritt. Zug aufzuspringen? mit Rückschlägen umgehen musste. Ich war im Blickfeld, so wurde es mir Vieles davon war nicht im sportlichen Später wurden Sie selbst zum Vorbild zumindest gesagt. Aber ich war nicht Bereich und viel dramatischer als alles, für viele junge Fußballer in Deutsch- enttäuscht, dass es nicht geklappt hat. was mir auf dem Fußballplatz passiert land – wer waren Ihre Vorbilder, als Sie Es war ja die große Zeit von Gerd ist. Mein Sohn ist gestorben, als er ein junger Fußballer waren? ­Müller, für andere war es damals 16 Jahre alt war, meine Schwester hatte Ein großes Vorbild für mich war Fritz schwierig. Im Rückblick kann ich sagen, Alkohol-Probleme, auch sie ist früh Walter. Bei der WM 1954 war ich gerade dass die WM 1974 für mich zu früh ­gestorben. Mein Adoptiv-Vater ist erst geboren, das habe ich noch nicht gekommen­ wäre. ­gestorben, als ich 19 Jahre alt war. Es mitbekommen. Aber später habe ich verbietet sich ja fast, diese Ebenen zu mich viel mit ihm und seiner Geschichte Ihre Zeit sollte zwei Jahre später kom- vermischen, aber ich glaube dennoch, beschäftigt. Im Rahmen eines Benefiz- men. Vorher hatten Sie eine proble­ dass es zu meiner Mentalität gehört, spiels des DFB für Daniel Nivel hatte ich matische Phase. 1975 hatten Sie viel aufzustehen und einfach weiterzu­ das Glück, noch persönlich mit Ver­letzungen zu kämpfen und Ende machen. So war es auch im Winter 1975 kennenzulernen. Ansonsten habe ich des Jahres erkrankten Sie an Tuber­ und im Frühjahr 1976. Ich hatte un- Uwe Seeler immer bewundert. Ihn habe kulose. Hätten Sie im Dezember 1975 glaublichen Ehrgeiz und habe trainiert ich als Kind bei der WM 1966 erlebt, gedacht, dass Sie sechs Monate später wie ein Besessener. noch mehr dann 1970 bei der WM in für Deutschland spielen? Mexiko. Sein legendäres Tor mit dem Nein, nie. Tuberkulose war damals eine Sie haben es schließlich in den EM-­ Hinterkopf gegen England ist mir noch schwere Krankheit, die Medizin war Kader geschafft. Wie lief damals die deutlich in Erinnerung. längst noch nicht so weit, wie sie es heute Nominierung ab? ist. Ich war damals zur Behandlung in Ich wurde von Helmut Schön angerufen.­ Ihre Idole waren Nationalspieler, war einem Sanatorium im Schwarzwald. Ich Sofort verstanden, wer da am Telefon dies auch immer Ihr Ziel: National­ weiß noch, wie ich dort zum ersten Mal ist, habe ich nicht. Aber durch sein Säch- spieler werden? aufgestanden und gelaufen bin, ein kurzes seln habe ich es dann kapiert. Er hat SERIE: MEIN ERSTES LÄNDERSPIEL 30 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

meine Tore gelobt, meine Entwicklung 2–4_Länderspieldebüt im EM-Halbfinale.­ und mir gesagt, dass er mich deswegen Und dann das. Erst mit Kopf, dann mitnimmt zur Europameisterschaft. zwei Mal mit rechts – Dieter­ Müller schreibt mit seinen drei Treffern Die Mannschaft hat sich im Kempinski- gegen­ Jugoslawien­ Länderspiel­ Hotel in Gravenbruch getroffen. Wie war Geschichte. Ihr Ankommen im Kreis der National­­­ spieler? In der Halbzeit soll Franz Beckenbauer Für mich war der Weg nicht so weit, ich sehr laut geworden sein. kam schon ein bisschen früher im Hotel an Ich war nicht dabei, ich war auf dem und bin dort erst einmal in die Sauna gegan­ Platz und habe mich warmgemacht. gen. Und wer sitzt dort? Franz Becken­ Aber gehört habe ich das auch, und ich bauer. Auch so ein Held meiner Jugend. kann es mir gut vorstellen. Franz war Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten öfters mal unzufrieden, er war ein sollte und habe mich erst einmal höflich ­Grantler. Und in dem Fall völlig zurecht. vorgestellt. Ich sage zu ihm: „Guten Tag, Als Kapitän war es seine Pflicht, die Herr Beckenbauer, ich bin Dieter Müller.“ Mannschaft wachzurütteln – das hat er Sagt er: „Ja mei, ich weiß. Kannst Franz wohl gemacht. zu mir sagen.“ Wenn ich daran denke, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Rein in die zweite Halbzeit: Heinz 2 ­Flohe spielt für , in der Es ging dann nach Belgrad zum Halb­ 64. Minute macht er das 1:2. finale gegen Jugoslawien, den Gast­ Das Spiel war auf einmal ein anderes, die geber. Sie saßen zunächst auf der Angst der Jugoslawen war spürbar, und bei Bank. Eine Enttäuschung? Oder waren uns war der Glaube zurück. Wir wurden Sie als Novize einfach nur froh, über- immer sicherer, haben das Spiel dominiert haupt dabei zu sein? und die Jugoslawen zurückgedrängt. Die Wahrheit ist: Ich war sauer! Uli Hoe­ neß hat gespielt. Und . Beiden In der 79. Minute werden Sie einge- habe ich es gegönnt, aber ich war top- wechselt, ein paar Sekunden später motiviert, ich war extrem gut drauf, ich liegt der Ball im Netz, 2:2. Welche wollte spielen. Mit ist es wahnsinnig ­Beschreibung haben Sie für die Augen- schwergefallen, auf der Bank zu sitzen. blicke nach Ihrer Einwechslung? Und je länger das Spiel dauerte, umso Ich war wahnsinnig selbstbewusst und bitterer wurde es. Wir waren schwach, bin mit der Überzeugung in die Spitze die Jugoslawen stark. Schnell stand es gegangen, dass ich die Chancen, die 0:1, nach einer halben Stunde 0:2, wir kommen würden, nutzen werde. Und sind nur hinterhergerannt und waren dann ging es ganz schnell. Ecke Rainer ­eigentlich gar nicht auf dem Platz. Für Bonhof, ich gehe hoch zum Kopfball uns auf der Bank war es eine Qual. und nicke den Ball rein. Die Jugoslawen 3

Donnerstag, 17. Juni 1976, Stadion Crvena Zvezda, Belgrad, Jugoslawien Jugoslawien – Deutschland 2:4 (2:0, 2:2) n.V. Zuschauer 50.652 Schiedsrichter Alfred Delcourt (Belgien)

Jugoslawien Ognjen Petrović – , Dražen Mužinić – Jurica Jerković, Jovan Aćimović (105. Luka Peruzović), Ivica Šurjak – (105. Franjo Vladić) – Slaviša Žungul, Danilo Popivoda, Dragan Džajić; Trainer: Ante Mladinić

Deutschland Sepp Maier – Franz Beckenbauer – Berti Vogts, Georg Schwarzenbeck, Bernard Dietz – (79. Dieter Müller), Dietmar Danner (46. ), Erich Beer – Uli Hoeneß, Bernd Hölzenbein; Trainer: Helmut Schön

Tore 1:0 Danilo Popivoda (19.), 2:0 Dragan Džajić (30.), 2:1 Heinz Flohe (64.), 2:2 Dieter Müller (80.), 4 2:3 Dieter Müller (115.), 2:4 Dieter Müller (119.) SERIE: MEIN ERSTES LÄNDERSPIEL CDN-MAGAZIN 42 | 2020 31

Seine Dramen. Seine Kämpfe. Seine Erfolge.

Das Leben hat Dieter Müller vor ­viele Herausforderungen gestellt, seine Vita enthält etliche Brüche und Facetten. Als Mann der Rekorde hat Dieter Müller Fußball-Geschichte geschrieben, als Privatmensch ist er durch einige Täler gegangen. Nun hat er seine ­bewegte und bewe­ gende Geschichte aufgeschrieben. Dieter Müller – die Biografie (mit Mounir Zitouni): „Meine zwei Leben. Was mir das Schicksal genommen und der Fußball gegeben hat“, Edel ­Verlag. Jetzt im Handel.

hatten mich noch nicht auf dem Schirm, Das Finale wurde drei Tage später ich stand ja völlig frei. Der Rest des ­gespielt. Gegen die Tschechoslowakei Spiels war für mich wie im Rausch. erzielten Sie ein Tor, das Spiel ging dennoch verloren – nach Elfmeter- Mit 2:2 ging es in die Verlängerung. In schießen. Der Schuss von Uli Hoeneß der 115. Minute erzielen Sie das 3:2. in den Belgrader Nachthimmel ist seit- Der Dank geht hier an Bernd Hölzen- her Fußball-Folklore. bein. „Flocke“ (Heinz Flohe) hatte sich Keiner wollte schießen, auch ich nicht. über links durchgesetzt, der Ball kam zu Dann hat Sepp Maier gesagt, dass er das „Holz“, der konnte eigentlich selber macht. Und Uli ist dazwischen­­ge­gan­gen, ­abschließen, aber er legte den Ball mit er hat sich der Verantwortung gestellt einem Kontakt noch mal zurück zu mir. und wollte Maier die Last ­abnehmen. Einfach war das nicht, es war technisch Das war im Grunde eine ­große Geste. anspruchsvoll, wie er das gemacht hat. Ich hab das Ding dann aus kurzer Distanz­ Dann gibt es von Ihnen keinen Vorwurf unter die Latte gejagt. Immer, wenn wir in diese Richtung? uns sehen, sage ich ihm: „Holz, das hast Null, woher denn? Ich hätte ja selber Du gut gemacht.“ schießen können. Außerdem habe ich ge­ lernt, die Dinge möglichst positiv zu sehen. Endgültig entschieden war das Spiel mit Ihrem 4:2 in der 119. Minute. Aus welcher Perspektive ist ein ver­ Klar. Ich sehe, wie Bonhof in die Mitte lorenes EM-Finale positiv? geht und abzieht. Er trifft den Pfosten, Auf mich ist nach dem Turnier viel ein­ der Abpraller kommt zu mir und ich geprasselt. Drei Tore in einem Spiel, vier schiebe direkt ein. Ganz einfach war das insgesamt, ich war von jetzt auf gleich nicht, zumal auf dem holprigen Boden. ein Star, selbst auf Mauritius wurde ich Aber ab diesem Tag und mit meinem erkannt. Es war nicht leicht, damit umzu- Selbstbewusstsein war dieser Treffer gehen, und manchmal war ich fast über- dann letztlich doch Formsache. fordert. Das alles wäre noch einmal viel größer geworden, wenn wir Europameis- Gab es nach diesem Jahrhundert-­ ter geworden wären. Und wer weiß, wie Debüt anerkennende Worte von ­Trainer sich dann für mich alles entwickelt hätte? Schön? Letztlich bin ich zufrieden mit meiner Ja, natürlich. Nicht viele und auch nicht Karriere, und die EM ’76 gehört dazu. Mit überschwänglich, aber er hat mir zu ver- allen Facetten, die dieses Turnier hatte. stehen gegeben, dass ich im Finale spielen werde. Viel mehr musste er auch INTERVIEW Steffen Lüdeke nicht sagen – und viel mehr wollte ich FOTOS (1) Thomas Böcker, (2/3) imago/ auch nicht hören. Sven ­Simon, (4) imago/WEREK AKTUELL IM BLICKPUNKT 32 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

GEFANGEN IN DER HEIMAT

Nach einem halben Jahrhundert als Profi und Trainer wird Uli Stielike seine große Karriere am Ende der Saison beenden. Auf seiner letzten Station, als Trainer von Teda Tianjin in China, erlebt er aktuell eine Odyssee – die Corona-Pandemie hat den 65-Jährigen in Bochum stranden lassen.

al kurz zusammengefasst: Seine Mannschaft über Der dreimalige Deutsche Meister mit Borussia Mönchen­ Monate ohne konkreten Bestimmungsort. Sein gladbach, die Ikone von Real Madrid, der Europameister von Arbeitsplatz über viele Wochen unerreichbar. Er 1980 und Vize-Weltmeister von 1982 befindet sich nach Mselbst wegen eines Infektionsfalls in der Familie 16 Jahren als Profi und mehr als drei Jahrzehnten als Trainer zwischenzeitlich in häuslicher Quarantäne und über Monate­ im In- und Ausland im letzten seiner fast 50 Jahre im und Kon­tinente getrennt von seiner Mannschaft. Das sind die ­Profi­fußball. Ende 2020, so hat es sich der 65 Jahre alte ­Rahmenbedingungen, mit denen Uli Stielike derzeit leben,­ ­Fußball-Lehrer fest vorgenommen, wird für ihn ein neuer umgehen und arbeiten muss. Nach einer Tour um den halben Lebens­abschnitt beginnen: der Ruhestand. In seiner Wahl­ Globus von Tianjin über Thailand und Andalusien wurde­ heimat Andalusien im Kreis von Frau, Kindern und Enkeln. ­Stielike in Frankfurt beim Umsteigen zurück nach China am Schöne Aussichten. Weiterflug gehindert. Von Ende März an lebte er bei seiner Tochter in Bochum zwar in fürsorglichen Händen, aber in Die Schlussetappe aber, auf der Stielike noch einmal seine ­unfreiwilligem und nicht enden wollendem Wartestand. Uli ganze Kompetenz und Erfahrung, seine charakterlichen und Stielike und das Corona-Virus – eine Geschichte mit vielen fachlichen Qualitäten einbringen will, muss und will noch Wendungen und Facetten. ­absolviert werden. Und sie stellt sich bislang als lange und AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 42 | 2020 33

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schwere Bergwertung dar, mit vielen unerwarteten und steilen Steigungen. Das Finale als Fiasko? Stielike erlebte eine ­Odyssee mit dem Corona-Virus als Dauerbegleiter. Es ist ein Kampf auf mehreren Kontinenten und gegen verschlossene Türen und Grenzen.

Der Reihe nach: Die Vorbereitungen auf die neue Saison lief zunächst wie geplant. Im chinesischen Fußball verläuft das Spieljahr parallel zum Kalenderjahr, das erste Trainingslager fand im warmen Südchina statt. Dann ging es am 28. Januar nach Thailand. Vorgesehen war diese Station bis zum 16. Februar, sechs Tage vor dem ersten Spieltag am 22. Fe­ bruar. Dann kam Corona. Und mit Corona kamen Probleme, von ­denen einige für Stielike bis vor Kurzem unlösbar waren. So reibungslos Teda noch rauskam aus China, so kompliziert ­gestaltete sich die Rückkehr aus Thailand. Der Trainings­ aufenthalt in der Nähe von musste Woche um ­Woche verlängert werden. Der Saisonstart in China wurde zunächst auf den 20. März verschoben­ und schließlich auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Immerhin: Die Mannschaft konnte Anfang März nach Tianjin zurückkehren – und Stielike nutzte die Zwangspause zu einem zweiwöchigen Heimatbe- such in Andalusien. Doch was als kurze Auszeit geplant war, wurde ein bis Anfang Juli von Corona erzwungener Dauer- aufenthalt in Deutschland. Wieso, weshalb, warum? Stielike erzählt selbst.

Herr Stielike, wie genau hat Ihre Odyssee begonnen? Ich bin am 22. März auf dem Weg von Spanien nach China am Frankfurter Flughafen gestrandet. An diesem Sonntag kam ich mir tatsächlich wie ein Schiffbrüchiger vor. Bei der Zwischen­ landung wurde mir vor dem Weiterflug mit Thai Airways über Bangkok nach Kunming, wo wir unser drittes Trainingscamp durchführen wollten, mitgeteilt, dass nur Passagiere an Bord dürfen, die einen Corona-Test gemacht haben.

Den Sie nicht hatten? Genau. Ich habe dann gefragt, seit wann es diese Regelung gibt. Die Antwort lautete: „Seit gestern“. Auch bei der Lufthansa be­ kam ich keinen Weiterflug. Daraufhin bin ich am Sonntag noch abends mit dem Zug nach Bochum zu meiner Tochter gefahren. Montags habe ich mich mit meinem Verein in China kurzge­ schlossen. Dort hieß es, für den Mittwoch, das war der 25. März, sei für mich alles geklärt für die Weiterreise.

Warum kam es nicht dazu? Weil es einen Corona-Fall in meiner Familie gab. Mit der Folge einer 14-tägigen Quarantäne für mich. Als diese endete, gab es bereits den absoluten Einreisestopp nach China.

In Bochum haben ihn die Corona-Maßnahmen voll erwischt, für Stielike galt ein komplettes Kontaktverbot. Die Pandemie hat viele weit schlimmere Schicksale produziert, für Stielike war die Isolation dennoch eine große Belastung. Genauso wie das endlose Warten „auf den Marschbefehl aus Tianjin“, wie er sein Sehnen nach dem Stopp des Einreiseverbots nennt.

2_Rom 1980, Stielike mit dem EM-Pokal. AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 42 | 2020 35

Eigentlich würde sich Uli Stielike bereits jetzt im Ruhestand befinden. Schluss machen wollte er schon im vergangenen Jahr, sein 65. Geburtstag am 15. November 2019 war als ­Ziellinie auserkoren. Damals aber standen beim Saisonab- schluss der siebte Platz und 41 Punkte und damit Tedas bes- te Ausbeute der vergangenen zehn Jahre. Damit verbunden war die Bitte der Klub-Führung zur Verlängerung seiner Trainer­tätigkeit für ein weiteres Spieljahr. Stielike ließ sich über­reden; ein Jahr noch. Und so erlebt er in seiner letzten Saison als Fußball-Trainer Umstände, die außergewöhnlicher nicht sein könnten. Noch mal nachgefragt: Wie sah sein ­Alltag aus, wie trainiert man ein Team aus 7.859 Kilometern Entfernung? Wie geht er mit der Situation um?

3 Herr Stielike, Ihre letzte Station im Fußball hatten Sie sich ­sicherlich anders vorgestellt. Man muss betonen, dass dies alles ja mit Fußball nichts zu tun 4 hat. Für jemanden, der es gewohnt ist, seinen Beruf im Freien auszuüben, sind so drei Monate wie der April, Mai und Juni noch beengender, weil man einfach nicht weiß, was es heißt, so lange innerhalb von vier Wänden zu leben. Das war für mich eine neue und, um es milde auszudrücken, total unbequeme Situation. Vor allem, weil sie kein Ende nahm.

Wieviel Kontakt hatten Sie in diesen Wochen und Monaten nach China und mit Teda? Ich war auf Englisch in täglichem Kontakt mit meinem Verein und in Spanisch mit meinem Co-Trainer, einem Argentinier. Seit dem 4. Mai haben er und unser chinesischer Trainerstab versucht, die Mannschaft wieder in Form zu bringen. Hierfür standen wir ­mit­einander täglich im Austausch über die Trainingsprogramme und alle spezifischen Maßnahmen.

Wie war die Situation bei Tedas ausländischen Spielern, speziell bei den beiden Deutschen Sandro Wagner und ? Unser Ghanaer und unser Brasilianer sowie mein argentinischer Co-Trainer kamen auf den allerletzten Drücker noch nach China rein. Bastians und Wagner standen, wie ich, lange vor verschlossenen­ Türen.

Wird Teda Tianjin wirklich Ihre letzte Station als Trainer im 5 Profifußball sein? Wie definitiv ist, dass Sie nach dieser ­Saison tatsächlich aufhören? Ich habe es mir ganz fest vorgenommen.

Warum wollen Sie nach dieser Saison unbedingt Schluss machen?­ Während der ­ver­gangenen zehn Jahre war ich ja weit, weit weg von ­meinem Zuhause. Vier Jahre Katar, drei Jahre Nationaltrainer in Süd­korea und nun schon im dritten Jahr in China. Das sind ­Ent­fernungen, da kann man nicht mal soeben nach dem Spiel für ein Wochenende nach Hause fliegen. In den letzten ­zwei­einhalb Jahren haben wir zudem durch unsere Tochter drei Enkelkinder bekommen. Das war natürlich ein wunderschöner Lichtblick während der Quarantäne-Zeit in Bochum, dieses Zusammensein mit den Kleinen.

3–5_In Quarantäne und Wartestand in Bochum. Radfahren, telefonieren, an Fußball denken. AKTUELL IM BLICKPUNKT 36 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

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6_Freunde fürs Leben: Uli Stielike und der Ball. Die Monate des Stillstands in Deutschland und der beruf­ 7_Deutscher Meister 1977 mit den Fohlen. Uli Stielike, lichen Passivität haben den in Ketsch bei geborenen­ , und Berti Vogts (von links). Nordbadener hin und wieder auf seine bewegten Zeiten als 8_Acht andere Deutsche spielten bei Real – keiner war so Spieler und Trainer zurückblicken lassen. Auf seine erfolg­ ­erfolgreich wie Stielike (links, stehend). Mit 215 Einsätzen und reiche Zeit mit dem Bundesliga-Einstand als 18-Jähriger bei 41 Toren ist er Rekordhalter in beiden Kategorien. Borussia Mönchengladbach. Und natürlich auf die acht groß- 9_Jubelnde Gladbacher, ein gewohntes Bild in den 70er-Jahren. artigen Jahre bei Real Madrid. Drei spanische Meistertitel, 10_Beim DFB war Stielike (hier neben Horst Hrubesch) vor allem zwei Pokalsiege und den UEFA-Cup hat er dort gewonnen, im Nachwuchsbereich erfolgreich. wurde zum beliebtesten Real-Spieler gewählt und vier Mal als 11_Kollegen in der Nationalmannschaft, Konkurrenten in bester Ausländer der Primera Division ausgezeichnet. ­Spanien. Reals Uli Stielike und Barcas Bernd Schuster. Kein anderer der bisher neun deutschen Nationalspieler hat für die „Königlichen“ mehr Spieljahre, mehr Spiele und mehr Tore zu verzeichnen als der Defensivspezialist und Mittel­ feldmotor aus der stürmischen Gladbacher „Fohlenelf“ von . Kein Günter Netzer, kein , kein Bernd Schuster, kein Sami Khedira, kein Mesut Özil. Und auch Toni Kroos ist mit seinen aktuell 182 Spielen und 15 Toren noch ein gutes Stück von Stielikes Werten (215/41) entfernt. „Gladbach waren meine Lehrjahre, Real war für mich der Meisterbrief“, sagt Stielike. Acht Jahre Real und Spanien, die den 42-maligen Nationalspieler nicht nur als Fußballer, sondern auch als Persönlichkeit geprägt haben.

Eher unter dem Radar, ohne spektakuläre Triumphe und große positive Schlagzeilen, verlief und verläuft Stielikes Arbeit als Fußball-Lehrer. Ob als Trainer im Nachwuchsbereich, mit Profis, in Vereinen, als Nationaltrainer mit beachtlichen Erfolgen in AKTUELL IM BLICKPUNKT CDN-MAGAZIN 42 | 2020 37

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Südkorea und der Elfenbeinküste oder wie beim DFB bei ­geheilt hatten, im Februar 2008 zu seinem Tod geführt. „Die ­Verbänden – Stielike habe, so sagt er, immer versucht, mit Medikamente haben seine Lunge so angegriffen, dass es zu seinen Jungs so zu arbeiten, „wie ich es gerne hätte, dass man einer tödlichen Lungenfibrose kam“, sagt Stielike. Michael, mit mir in der heutigen Zeit arbeitet“. Am wohlsten habe er dessen kritische Situation seine Eltern über viele Tage vor Ort sich dabei bei der Weiterentwicklung von Talenten in der U 18, im Krankenhaus bis zum Lebensende ertrugen, ist während U 19 und U 20 beim DFB gefühlt, „weil man da am meisten der Operation mit einem Lungentransplantat gestorben. zurückbekommen­ hat“. ­Möglicherweise, weil das Transplantat zu spät eingetroffen ist. Für Stielike war es der schlimmste und traurigste Moment Wohltätiges Engagement überhaupt. Natürlich hat diese Tragik Spuren hinterlassen, und es spricht für Stielike und seinen Charakter, dass er es ge- Zurückgegeben hat auch Uli Stielike einiges während seines schafft hat, in der Trauer den Blick für die Mitmenschen zu halben Jahrhunderts als Fußballprofi. Nicht nur mit hervor­ behalten. Er will anderen ein ähnliches Schicksal ersparen – ragenden Leistungen und beispielhaftem Engagement auf seinen Organspendeausweis trägt Uli Stielike seit vielen Jah- und neben dem Spielfeld, sondern auch in Sachen Charity. ren mit sich. „Weil ich zum Thema Organspende eine absolut Beim SV Waldhof, seiner ersten Trainerstelle in Deutschland, positive Einstellung habe“, sagt er. Trotz allem. Weil man rechnen es ihm viele noch heute hoch an, dass er bei seiner ­damit verschlossene Türen öffnen und Leben retten kann. Beurlaubung im September 1995 auf ihm zustehende 450.000 Mark verzichtete. Unter der Bedingung, dass die Mannheimer Ach, ja, inzwischen haben sich für Stielike die Türen nach ein Wohltätigkeitsspiel für krebskranke Kinder ausrichten. ­China doch noch geöffnet. Am 9. Juli konnte er, über Paris und Ebenfalls an ein Hospiz für krebskranke Kinder gingen zuvor Shanghai, einreisen ins Reich der Mitte. Gerade noch recht­ schon die Einnahmen aus seinem Abschiedsspiel als Spieler zeitig, um vor Ort dabei zu sein, wenn am 25. Juli die chinesi- im Mai 1989 in Neuchatel/Schweiz. sche Super League in die neue Spielzeit startet und die letzte Etappe im Arbeitsleben von Uli Stielike beginnt. Sensibilisiert für Hilfsbereitschaft dieser Art hat ihn nicht ­zuletzt das Schicksal seines zweiten Sohns Michael. In den TEXT Wolfgang Tobien 80er-Jahren schien er eine tückische und komplizierte Krebs- FOTOS (1) Getty Images/Chung Sung-Jun, (2) Picture Alliance/Pressefoto Baumann, (3/4/ 5) Privat/Stielike, (6/11) imago/Sven Simon, (7) Picture erkrankung erfolgreich überstanden zu haben. Im Nachhinein ­Alliance/Hartmut Reeh, (8) Picture Alliance/dpa, (9) imago/WEREK, aber haben die Arzneimittel, die ihn zunächst vom Krebs (10) imago/Pius Koller PORTRÄT GEORG BUSCHNER 38 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

DER GRAF UND DIE GOLDENEN JAHRE

Georg Buschner gehört zu den prägenden Persönlichkeiten des Ost-Fußballs – und das nicht nur seiner Meriten wegen. Im Frühjahr 1970, vor 50 Jahren, übernahm er die Auswahl- mannschaft, die erfolgreichste Zeit des DDR-Fußballs begann. Der charismatische Coach analysierte stets scharfzüngig, oft mit einem Schuss Selbstverliebtheit: „Die DDR-National- mannschaft gewann vor mir nichts und nach mir nie wieder etwas!“ Buschner, „der Graf“ ­genannt, veränderte den Fußball an Saale und Elbe wie kein Zweiter. Wo kam er her, wie hat er trainiert, was machte ihn aus? Eine Würdigung.

uni 1974. Der Kanzleramtsspion Concordia (heute 1. SV Gera) auf Umso überraschender ein Jahr später ist enttarnt, die DDR-Fußballer ­Torejagd. Nach dem Zweiten Weltkrieg seine Berufung in die DDR-Auswahl. sind gerade in Hamburg-Quick- stürmt er für die BSG Gera-Süd (heute ­ hatte den Wiederaufstieg in die Jborn gelandet. Im Quartier der Wismut Gera). Erwähnenswert das verlo­ deutlich verpasst, und so de­ Ostdeutschen lauscht ein Pulk West- rene ­Pokalfinale 1949 gegen Waggon­ bütiert Buschner als Zweitligaspieler in Journalisten den Ausführungen des bau Dessau. Damit sichern sich Buschner der Nationalmannschaft. Rückblickend Trainers. Zurückgelehnt, die Beine über- und Mitspieler die Zulassung für die kommentiert er: „Der Trainer hätte an einander geschlagen, genießt Georg Premieren-Saison der „Ostzonenliga“, meiner Stelle jeden anderen Abwehr- Buschner Auftritte wie diesen. Char- der späteren DDR-Oberliga. spieler nominieren können!“ Fünf Län- mant und eloquent meistert er das derspieleinsätze später gehört er zu den ­Frage-Antwort-Spiel, beweist zudem Nebenbei Fußball elf Auserwählten, als im Zentralstadion Schlagfertigkeit bei jedem noch so in Leipzig das erste WM-Qualifikations- ­geschickt ausgelegten Fallstrick. Ob er In erster Linie aber ist dieser mittel­ spiel für die DDR angepfiffen wird. Für „Spione“ zu den Spielen der bundes- große und drahtige Fußballer ein über- den knallharten Verteidiger der Ritter- deutschen Mannschaft geschickt habe, aus fleißiger Student. Widmet sich an schlag. Dank des 2:1-Siegtreffers von will ein Reporter wissen: „Nein“, ant­ der Universität in Jena den Fächern Ge- Willy Tröger gelingt gegen Wales ein wortet Buschner mit breitem Grinsen schichte, Pädagogik und Sportwissen- Achtungserfolg, der die 100.000 in und fügt schlau hinzu: „Ich würde diese schaft und legt zwei Staatsexamen ab. Leipzig vor Freude hüpfen lässt. Leute lieber Beobachter nennen!“ Eher nebenbei spielt Buschner Fußball. Schlüpft inzwischen ins Trikot des Mit 32 auf die Trainerbank Als Jürgen Sparwasser in Hamburg SC Motor in Jena, wo er seit 1952 lebt. ­Historisches vollbringt, sind der DDR- Zum Abwehrspieler umfunktioniert, Das Jahr 1958 soll gravierende Ver­ Fußball und Georg Buschner an einem muss der Neuzugang mit dem Kollektiv änderungen bringen: Im Mai werden in Höhepunkt angekommen. Buschners des Oberliga-Aufsteigers eine bittere der DDR die Lebensmittelmarken ab­ persönliche Geschichte beginnt in Gera. Pille schlucken. Jena steigt am Ende der geschafft. Im Juli bestreitet Georg Als Sohn eines Reichsbahnbeamten Saison 1952/53 ab. Passend dazu seine Buschner sein letztes Spiel für den SC wird er am 2. Weihnachtstag 1925 spätere Selbstanalyse: „Ich war kein Motor Jena und vollzieht danach einen ­geboren. Mit neun Jahren geht er für Fußballer, ich war Verteidiger!“ weichenstellenden Seitenwechsel: Tage 1 PORTRÄT GEORG BUSCHNER 40 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

später sitzt er als Verantwortlicher auf Trainingsmethodisch hat in Jena mit der mitteln der Schuss-Stärke erfolgt per der Trainerbank und greift kompromiss- Inthronisierung des erst 32-jährigen Lichtschranke. Leistungsdiagnostik in los durch. Statt drei Mal pro Woche gibt Übungsleiters eine neue Zeitrechnung dieser Form hatte der Fußball-Osten es nun bis zu drei Übungseinheiten begonnen. Selbst, wenn er mal über- bislang nicht gesehen. ­täglich. Dafür wird der Treff am Tresen treibt und zur Stärkung der Fuß-Kraft ersatzlos gestrichen, auch lässt er sich mit Medizinbällen jonglieren lässt. 1960 gelingt Jena erstmals der Einzug von den eigenen Kameraden jetzt sie- Buschner will körperbetonten, athleti- ins Pokalfinale. Im Endspiel gegen zen. Die staunen, als nach Buschners schen Fußball sehen, es geht um Kon­ ­Empor Rostock trifft der 18-jährige Premierenspiel beim SC Dynamo Berlin dition, Kraft und Schnelligkeit. Für die ­ mit dem Schlusspfiff zum plötzlich in der Gäste­ Umsetzung holt er sich Sportwissen- 2:2. So geht es in die Verlängerung. kabine steht. Der aufgebrachte Stasi- schaftler an seine Seite, sie sind als Jetzt stürmen nur noch physisch starke Chef, zugleich Boss der Dynamo-Kicker, ­Athletik-, Kraft- und Technik-Trainer für Jenenser. Nach ihrem 3:2-Erfolg wird sucht den vermeintlichen Sünder, der die Umsetzung zuständig. Zirkeltraining Georg Buschner auf den Schultern die Verletzung eines seiner Spieler auf ist nun angesagt, schon bald gehört der ­seiner Spieler gefeiert. Ganz ähnlich dem Gewissen haben soll. Buschner Handstand-Überschlag zum Standard- die Bilder im Frühjahr 1963, vorletzter kennt kein Pardon, schmeißt Mielke Repertoire der Motor-Kicker. Die Zeit- Spieltag der Oberliga: Wieder heißt es ­kurzerhand aus dem Umkleideraum. messung beim Sprint oder beim Er­ Jena gegen Rostock! Diesmal geht es

2_Elf Jahre lang war Georg Buschner für die DDR-Elf verantwortlich.

2 PORTRÄT GEORG BUSCHNER CDN-MAGAZIN 42 | 2020 41

um die Meisterschaft und erneut trium- Blochwitz (19 Länderspiele) kommt aus weiß: Die WM-Teilnahme und ein gutes phiert Buschners Garde. Diszipliniert, Magdeburg, Helmut Stein (22 Länder- Abschneiden bei der Endrunde 1974 gestählt und nimmermüde folgt Angriff spiele) aus Halle, (41 sind Pflicht. Im Gegensatz zu den auf Angriff. Angeführt von einem Brüder- Länderspiele) aus Zwickau, Eberhard ­„Medaillen-Sportarten“ wie Leicht­ paar. Roland Ducke, „der Alte“, führt und Vogel (74 Länderspiele) aus Karl-Marx- athletik, Rudern oder Schwimmen gilt füttert Peter. Der um sieben Jahre jün- Stadt und (66 Länder- der Fußball im „Sportwunderland DDR“ gere Ducke agiert als unberechenbarer spiele) aus Riesa. So spiegelt sich die nur als geduldet. Zum Glück auch für Wildfang, unnachahmlich, wird in dieser Unterstützung der Zeiss-Werke nicht ­Buschner sorgen die Klubs aus Dresden, Saison Torschützenkönig. Nicht nur nur im Namen wider. Buschners Ziel ist Leipzig oder Magdeburg im Europa­ ­Georg Buschner zählt ihn zur Weltklasse. klar, Jena soll auch international zur pokal in diesen Jahren für ungeahnte Top-Adresse werden. Die Konkurrenz Höhenflüge. Dynamo bezwingt Juven- Auswahlcoach wider Willen murrt schon bald, ob der für DDR-Ver- tus Turin und lässt die Bayern bis zum hältnisse ungewöhnlichen Shopping- Schluss zittern. Der 1. FC Lok schlägt Jenas Dominanz wächst, als es Buschner Tour. Transfers im eigentlichen Sinn gibt Fortuna Düsseldorf, schafft es im UEFA- mit der Klubgründung des FC Carl Zeiss es im DDR-Fußball nicht. Vom „FC Fiat“ Cup bis ins Halbfinale und die Magde- gelingt, Jahr für Jahr echte Verstär­ ist bald die Rede, wenn Jena zum Gast- burger holen sogar die Trophäe im kungen nach Jena zu locken: Wolfgang spiel kommt. Weil die meisten Zeiss-­ Wettbewerb der Pokalsieger. Kicker einen dieser unter der Lizenz von Fiat in Polen gefertigten Mittel­ All das wird von Buschner und seiner Elf klassewagen fahren. am 22. Juni 1974 gekrönt, Sieg im Pres- tige-Duell durch das Sparwasser-Tor! Mit den Titelgewinnen 1968 und 1970 Mit dem Einzug in die zweite Finalrunde weckt der Coach aber ganz andere gilt die Vorgabe für den Trainer als er- ­Begehrlichkeiten. Nach dem Scheitern füllt. Trotzdem mault DDR-Sport-Boss der Nationalmannschaft in der Quali­ Manfred Ewald bei der Rückkehr: „Ich fikation für die WM 1970 ist Georg habe noch nie eine Mannschaft emp- Buschner als Auswahlcoach im Ge- fangen, die keine Medaille errungen spräch. Er sträubt sich. Auch im Wissen hat!“ Zwei Jahre später war dann auch um die fehlende Gunst der Massen – dieser Wunsch erfüllt. Montreal erlebt viele DDR-Fußballfans blickten lieber im Olympia­finale von 1976 das viel- gen Westen auf die Auftritte von Uwe leicht beste Pflichtspiel einer DDR-Aus- Seeler, Franz Beckenbauer oder Gerd wahl aller Zeiten. Der WM-Dritte Polen Müller mit der DFB-Elf. Zudem lebt er in wird dank einer imponierenden Vorstel- Jena in seinem ­Paradies, kann dort lung mit 3:1 bezwungen. schalten und walten wie er will. Doch der Trainer hat keine Chance, muss im Doch dieser temposcharfe Kombina­ Frühjahr 1970 das Amt übernehmen. tionsfußball ist nach dem Olympiasieg Zunächst in Doppelfunktion mit seiner immer seltener zu sehen. Weil der DDR- Tätigkeit im Klub. Der erste Auswahl- Fußball im eigenen Saft schmort, junge Lehrgang findet dann praktischerweise Talente rar sind, längst abgeworben von in Jena statt. Für die Berufenen ist es anderen Sportarten. So scheitert Busch- alles andere als ein Zuckerschlecken. ner beim Versuch, noch einmal eine Beim fünf gegen fünf geht es über den Endrunde bei einer Weltmeisterschaft ganzen Platz, und selbst die Torhüter oder Europameisterschaft zu erleben. sind vom Grund­lagen- und Ausdauer- 1981 wird er „auf eigenen Wunsch“ training nicht befreit. Buschner setzt ­abgelöst und bis zur Wende aufs bedingungslos auf Athletik, Robustheit ­Abstellgleis geschoben. Sein Eintrag im und Kondition. Geschichtsbuch aber kann ihm keiner nehmen: Zu keiner anderen Zeit war Vier Jahre, drei Erfolge die DDR-Auswahl so erfolgreich wie ­unter Buschner. Die goldenen Jahre des DDR-Fußballs beginnen. Der Gewinn der Bronze­

medaille bei Olympia 1972 in München TEXT Uwe Karte lässt den neuen Auswahltrainer an FOTOS (1) Picture Alliance/Giehr, Sicher­heit gewinnen. Doch Buschner (2) Picture Alliance/Waltraud Grubitzsch DIAGONALPÄSSE 42 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

Arne Friedrich jetzt Mario Gómez: Karriereende Herthas Sportdirektor mit Komplimenten Jürgen Klinsmann holte ihn im Novem- Am 8. Mai 2004 hatte Mario Gómez ber 2019 als „Performance Manager“ beim VfB Stuttgart in der Bundesliga zu Hertha BSC. „Klinsis“ Dienstzeit ist in seinen Einstand gegeben. Dorthin, in der deutschen Hauptstadt schon seit die Erstklassigkeit, führte der 78-malige einiger Zeit beendet. Arne Friedrich (41) Nationalspieler den VfB jetzt wieder zu- ist aber beim Berliner Bundesligisten rück und beendete mit dieser erfolg­ nunmehr zum neuen Sportdirektor auf- reichen Mission am letzten Spieltag der gestiegen. „Als unser Sportdirektor wird 2. Bundesliga seine Karriere. „Es war er Bindeglied sein zwischen Vereins­ immer mein Anliegen, den Leuten zu führung, Trainerteam und Mannschaft zeigen, dass es für mich im Fußball und dort seine Erfahrungen einbringen, noch eine gewisse Romantik gibt. Für die er als erfolgreicher Spieler und bei mich war die Romantik, hier, wo alles seinen diversen Weiterbildungen nach angefangen hat, aufzuhören“, sagte seiner Karriere gemacht hat“, sagte ­Gómez. Mit dem VfB wurde Gómez 2 Herthas Sport-Geschäftsführer Michael 2007 Deutscher Meister und Deutsch- Preetz nach dem letzten Bundesliga- lands „Fußballer des Jahres“. Mit dem Aufstieg zum Abschied: Mario Gómez. Spieltag zu der Beförderung des FC Bayern gewann er je zwei Mal die 82-­maligen Nationalspielers. Arne Fried- Meisterschale und den DFB-Pokal, 2013 war. Umso erstaunlicher war sein Come- rich, zweimaliger WM-Dritter (2006, die Champions League. Er schoss 170 back bei der EM 2016. Voller Aner­ 2010) und Vize-Europameister 2008 Tore in 328 Bundesliga-Spielen, wurde kennung sagte Bundestrainer Joachim ergänzte mit Blick auf das Trainerteam dazu Meister und Torschützenkönig mit Löw im Rückblick auf Gómez elf Jahre um : „Vor allem in der Beşiktaş Istanbul in der Türkei. Unge- im Nationalteam: „Ich habe riesigen aktuellen Konstellation macht die Zu- krönt blieb lediglich seine Zeit in der ­Respekt vor ihm, als Mensch wie als sammenarbeit unheimlich viel Spaß Nationalmannschaft. Ausgerechnet die Sportler. Er hat eine unglaubliche innere und ich habe das Gefühl, dass wir ge- erfolgreiche WM 2014 verpasste Gómez, Stärke, eine unglaubliche Persönlich- meinsam einiges voranbringen können.“ weil er nicht rechtzeitig fit geworden keit, einen tollen Charakter.“

Ralf Minge hört als Sportchef auf Mit einer schönen Geste haben die Spieler von ­ verabschiedet. Beim Aufwärmen vor dem Spiel gegen den VfL Osnabrück trugen die Spieler Jeansjacken mit dem Konterfei Minges und der Aufschrift „Danke für alles Mingus!“. Damit wurde erinnert an das Aufstiegsspiel am 16. April 2016 in Magdeburg. Damals wurde Minge in seinem Jeans-Outfit nicht erkannt und von einem Ordner zunächst festgehalten. Seit 2014 war Dresdens 36-maliger Nationalspieler für die sportliche, strategische und konzep- tionelle Entwicklung der Lizenzspieler- mannschaft und der Nachwuchs-Aka­ 1 demie verantwortlich. Nun wurde der am Ende dieser Saison ausgelaufene Bei Hertha in Amt und Würden: der 82-malige Internationale Arne Friedrich. ­Vertrag des 59-Jährigen nicht verlängert. DIAGONALPÄSSE CDN-MAGAZIN 42 | 2020 43

JUBILÄEN*

(Spieler mit 5 und mehr Länderspielen) * im 1. Quartal 2020

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Assistenz-Coach in Österreich: Patrick Helmes. DFB-Vertrag verlängert: Christian Wörns.

Patrick Helmes geht zum ­diesem Projekt mitwirken zu wollen. Christian Wörns bleibt FC Admira Wacker Mödling Die Admira will verstärkt auf den Nach- DFB-U-Trainer wuchs setzen, die Durchlässigkeit zu Der 36-Jährige hat bei den Öster­ den Profis optimieren. Dabei will ich Mit einem Quintett seiner U-Trainer hat reichern einen Vertrag bis 2022 unter- meine Erfahrung einbringen.“ Sport­ der DFB kürzlich die Verträge für die schrieben. Zuletzt war Patrick­ Helmes direktor sagt: „Wir nächsten Jahre verlängert. Zu diesem bei Bayer Leverkusen als U 15-Coach freuen uns, mit Patrick Helmes einen Trainerstab der Junioren gehört Chris­ tätig, bei Admira wird er Zvonimir Soldo jungen und ehrgeizigen Trainer für die tian Wörns, der zusammen mit Manuel assistieren. Initiiert wurde der Wechsel Admira gewonnen zu haben. Er hat auf Baum und Guido Streichsbier den Be- von , dem Chef von seinen bisherigen Stationen schon ge- reich der U 20- bis U 18-Nationalmann- ­Flyeralarm Global Soccer. „Ich brenne nügend Erfahrungen gesammelt, die schaften betreut. Joti Chatzialexiou, für meine neuen Aufgaben“, sagt uns weiterbringen werden. Ein solches Sportlicher Leiter Nationalmannschaf- ­Helmes. „Die neue Strategie und Ziel- ­Bindeglied zwischen unseren Profis und ten, sagt: „Unser Ziel ist, mit dem deut- setzung des FC Flyeralarm haben mich den Juniors ist für unsere neue sport­ schen Fußball an die Weltspitze zurück- keine Sekunde zögern lassen, bei liche Ausrichtung elementar.“ zukehren. Ein Schlüssel dafür liegt im Nachwuchsbereich. Hier wollen wir auf Topniveau agieren und gemeinsam mit den Vereinen Spitzentalente ausbilden, Kevin Kurányi engagiert sich müssen. Ich würde mich mega freuen, die in unserer A-Nationalmannschaft im Corona-Hotspot Rio wenn noch viele mitmachen und sich ankommen. Unsere Trainer haben alle engagieren würden, vor allem auch Qualitäten, damit wir diesen Weg erfolg- , und für die Kinder dort“, erläuterte Kevin reich gestalten.“ Wörns (48), der zwischen etliche weitere Nationalspieler haben es Kurányi diese Direkthilfe in seiner 1992 und 2005 für Bayer Leverkusen, vorgemacht, als sie mit ihrer erfolg­ ­Geburtsstadt Rio de Janeiro. Paris Saint-Germain und Borussia Dort- reichen Spendenaktion #WeKickCorona mund spielte und insgesamt 66 Länder- etliche Millionen Euro für soziale Zwecke spiele absolvierte, kam 2019 zum DFB. in der Zeit der Pandemie sammelten. Zuvor hatte er als Trainer der U 23 beim Inzwischen half auch Kevin Kurányi in FC sowie der U 19 und U 21 den Favelas von Rio de Janeiro vielen von 1860 München Erfahrungen im armen Menschen, die von der Covid- Nachwuchsbereich gesammelt. Zur 19-Pandemie besonders hart betroffen Fortsetzung seiner Arbeit beim DFB sind. Im Rahmen einer mehrwöchigen sagt er: „Wir haben­ in der Saison Aktion verteilte der 52-malige National- 2020/21 viel vor, schließlich steht an spieler des VfB Stuttgart und FC Schalke deren Ende die U 19-EM. Das U 19-Alter 04 zusammen mit Freunden zahlreiche ist für die Kar­riere der Talente beson- Grundversorgungspakete, die sie vorher ders wichtig, weil sie sich bei ihren gefüllt hatten mit Öl, Zucker, Salz, Kaffee, ­Profiteams reinbeißen wollen. Da ist es Spaghetti, Tomatensoße, Sardinen, Reis, entscheidend, dass neben aller fuß­ Bohnen, Seife und Spülmittel, in einem ballerischer Qualität ­zudem Mentalität, der größten Armenviertel Brasiliens. Wille und Physis stimmen. Das werden „Ich habe Freunde, die selbst in der 5 wir auch auf Auswahlebene­ vermitteln.“ ­Favela leben, die nicht arbeiten dürfen wegen Corona und zu Hause bleiben Sozial engagiert: Kevin Kurányi. FOTOS (1/2/5) imago; (3/4) Getty Images IN MEMORIAM 44 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

Hans Tilkowski im Alter von 31 Jahren sportlich und erwarben sich mit diesem den Gipfel seiner Fußballkarriere er- Verhalten Respekt in der ganzen Welt. Hans Tilkowski und das WM-Finale reicht, den Höhepunkt der groß­ 1966. Oder: „Til“ und das Wembley-Tor. artigsten Monate seiner Laufbahn: Im 1967 wechselte der Mann der ersten Dieses Duett war in den vergangenen September 1965 der denkwürdige Bundesligastunde nach 122 Punkt­ mehr als fünf Jahrzehnten die Begleit- 2:1-Sieg in Schweden zur erfolgreichen spielen für zu Ein- musik im Leben des ehemaligen Natio- WM-Qualifikation; einen Monat später tracht Frankfurt. Im gleichen Jahr been- naltorwarts aus dem Ruhrpott. Weder die Wahl als erster Torhüter zum „Fuß- dete er mit seinem 39. Länderspiel sein Schiedsrichter Gottfried Dienst noch baller des Jahres“; im Mai 1966 der Ge- Engagement für das Nationalteam. Dem ­Linienrichter Tofik Bachramow, der den winn des Europapokals mit Borussia Leben im Tor folgten für den mit der Ball hinter der Torlinie sah, hatte so ge- Dortmund; gleich danach bei der Welt- Bestnote 1 examinierten Fußball-Lehrer nau hingeschaut wie Tilkowski. Kein meisterschaft in England der Durch- von 1970 an elf Trainerjahre. Mit Sta­ Wunder: Schließlich flog der direkt marsch ins Finale von Wembley. Der tionen bei Werder Bremen, 1860 Mün- ­neben der Kugel her. Niemand wurde Schlussakkord seines sensationellen chen, 1. FC Nürnberg, 1. FC Saarbrücken denn auch seitdem so oft nach dem Spieljahrs hätte bitterer aber nicht sein und AEK Athen. wirklichen Geschehen beim vorent- können: Nur Vizeweltmeister wegen ei- scheidenden 3:2 für England befragt wie nes „irregulären“ Tores – viel schlimmer Ruhe und Übersicht, die er in dem für er. Und „Tils“ Antwort war immer die­ geht nicht. Tilkowski und seine Vorder- ihn typischen unspektakulären Stel- selbe, die richtige: „Er war nicht drin!“ leute taten das Beste, was in dieser lungsspiel zum Ausdruck brachte, wa- Mit diesem Endspiel am 30. Juli 1966 ­Situation möglich war: Sie erwiesen sich ren sein Markenzeichen. „Warum schießt im Londoner Wembley-Stadion hatte als gute Verlierer, gratulierten fair und Ihr den Ball immer dorthin, wo der Til steht“, mussten sich seine Gegenspieler häufig anhören. Hans Tilkowski wollte kein Star sein, er hat sich nicht als einen Helden gesehen. Für ihn war das Spiel wichtig, nicht seine Protagonisten. „Fußball, alter Freund, ich danke Dir“, hat Tilkowski einmal gesagt. Zu Tilkowskis herausragenden Leistungen gehört sein soziales Engagement. So hat er sich in erheblichem Umfang für das Kinder- hilfswerk UNICEF und die Deutsche Leukämie-Forschung eingesetzt. Mehr als eine Million Euro sammelte er als „Botschafter der guten Tat“ bei Veran- staltungen für Mukoviszidose- und Mul- tiple-Sklerose-Kranke, die Krebshilfe, brasilianische Straßenkinder oder für Krankenhausaufenthalte von Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten. 1991 erhielt Tilkowski das Bundesverdienst- kreuz am Bande, 2008 das Bundesver- dienstkreuz I. Klasse. Von Nordrhein- Westfalen wurde er im Jahr 2000 mit dem Verdienstorden des Landes aus­ gezeichnet.

Am 5. Januar 2020 ist Hans Tilkowski im Alter von 84 Jahren gestorben. IN MEMORIAM CDN-MAGAZIN 42 | 2020 45

Gerd Strack

Am 17. Dezember 1967 erlebte die deutsche Nationalmannschaft einen Tiefpunkt ihrer Geschichte. In Tirana verpasste sie gegen Albanien beim 0:0 die Qualifikation für die EM 1968. Schlimmste Erinnerungen wurden wach, als es 16 Jahre später in Saar­ brücken in der EM-Qualifikation erneut gegen Albanien ging und es in der 80. Minute nur 1:1 stand. Geschichte wiederholte sich aber nicht – dank Gerd Strack. Wenige Minuten vor dem Abpfiff schaltete sich der Libero in den Sturm- lauf ein und köpfte in seinem letzten Länderspiel das entscheidende 2:1 zur EM-Teilnahme in Frankreich.

Beim 1. FC Köln gehörte der Innen­ Hans Cieslarczyk verteidiger seit seinem Einstand 1974 als 19-Jähriger zu den Leistungsträgern, 11,4 Sekunden war seine Bestzeit für in den folgenden Jahren wurde er eine die 100-Meter-Strecke. Zu verdanken Ikone des Klubs. 261 Bundesligaspiele hatte er dies seinem „Blitzstart“, wie er Herbert Binkert bestritt der „Lange“, wurde drei Mal selbst mal erzählte. Diese Antritts- DFB-Pokalsieger und gewann 1978 das schnelligkeit führte Hans Cieslarczyk Herbert Binkert war ein torgefährlicher Double. Hinzu kamen denkwürdige auch zu seinem ersten Tor im National- Angriffsspieler, über den Fritz Walter ­Europapokal-Auftritte mit der „gol­ team. Im März 1958 stellte er in Frank- einst sagte: „Ich habe selten einen denen Generation“ des FC, wie der furt am Main in seinem zweiten Länder- ­Stürmer gesehen mit einer solch voll­ 4:0-Sieg 1980 im Camp Nou gegen den spiel mit dem 2:0 gegen Spanien den endeten Schusstechnik.“ Wie kaum ein FC Barcelona mit Stracks Führungstor ersten Heimsieg gegen die Iberer sicher. anderer prägte Binkert den Fußball an zum 1:0. Nach seiner Kölner Zeit spielte der Saar in den 40er- und 50er-Jahren, Gerd Strack zwei Jahre für den FC Basel Der in Herne geborene Flügelstürmer er war eine Symbolfigur für die Ausnah- und beendete seine Karriere 1988 bei war ein echter Ruhrpott-Junge. SV So- mestellung des . Politisch und Fortuna Düsseldorf. Am 21. Mai schock- dingen, Borussia Dortmund und West- wirtschaftlich in jener Zeit von der te die Nachricht von seinem plötzlichen falia Herne waren bis 1964 seine Statio- ­Bundesrepublik abgetrennt und mit Tod nach einem Herzinfarkt nicht nur nen in der Oberliga und Regionalliga, Frankreich assimiliert, war der saarländi- die Kölner Fußballszene. Strack wurde ehe er zum Karlsruher SC in die Bundes- sche Verband zwischen 1951 und 1956 64 Jahre alt. liga wechselte und Baden fortan seine eigenständiges Mitglied der FIFA. Wahlheimat wurde. Seinem Länderspiel­ ­Binkert, in Karlsruhe geboren und dort debüt 1957 gegen Ungarn schlossen als Fußballer bei Phönix aufgewachsen, sich 1958 sechs weitere DFB-Einsätze absolvierte in diesen sechs Jahren zwölf an. Bei der WM 1958 in Schweden ge- Länderspiele, erzielte sechs Tore und lang ihm im Spiel um Platz drei gegen war mit am Ball gegen Deutschland bei Frankreich (3:6) sein letzter von drei den beiden Qualifikationsspielen zur Treffern im DFB-Team. WM 1954 (0:3 und 1:3). Als Soldat war er 1942 nach Saarbrücken abkom­ 1970 absolvierte Cieslarczyk in Köln mandiert worden und wurde dort mit das Diplom zum Fußball-Lehrer. Danach dem FV und dessen Nachfolgeklub arbeitete er als Trainer unter anderem 1. FC 1943 und 1952 deutscher Vize- drei Mal beim Offenburger FV, bei der Meister. Beim 1. FCS, für den er in 224 SpVgg. Fürth, den Stuttgarter Kickers Pflichtspielen 151 Tore erzielt hatte, und dem 1. FC Saarbrücken. Später war beendete er 1960 seine Spielerkarriere. er als Physiotherapeut im Schwarzwald Danach schrieb er als erfolgreicher Trai- tätig. Nach kurzem Krankenhaus-Auf- ner weiter an der saarländischen Fuß- enthalt ist Hans Cieslarczyk am 10. Juni ball-Geschichte mit. Zuletzt befand er mit 83 Jahren gestorben. sich im Club der Nationalspieler an der Spitze der Alterspyramide. Am 4. Januar ist er im Alter von 96 Jahren gestorben. TEXTE Wolfgang Tobien JUBILÄEN UND RUNDE GEBURTSTAGE 46 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

RUNDE GEBURTSTAGE*

(in Klammern Anzahl der Länderspiele) * im 1. Halbjahr 2020

85 Jahre 75 Jahre 60 Jahre

HELMUT BENTHAUS (8) am 5. Juni; JUPP HEYNCKES (39) am 9. Mai; FRANK ROHDE (42) am 2. März; ERWIN STEIN (1) am 10. Juni WOLFRAM LÖWE (43) am 14. Mai; HANS PFLÜGLER (11) am 27. März; KLAUS ZACZYK (1) am 25. Mai; BERNHARD KONIK (1) am 10. April; HANS-BERT MATOUL (3) am 2. Juni. RUDI VÖLLER (90) am 13. April; 80 Jahre PIERRE­ LITTBARSKI (73) am 16. April. HANS-JÜRGEN SUNDERMANN 70 Jahre (1) am 25. Januar; WERNER DREWS (2) am 18. Februar; PETER MEYER WERNER PETER (9) am 25. Mai; 50 Jahre (1) am 18. Februar; JOSEF PIONTEK (4) am 13. Juni; (6) am 5. März; MANFRED MANG- RAINER­ SACHSE (2) am 15. Juni. JENS TODT (3) am 5. Januar; LITZ (4) am 8. März; KARL-HEINZ STEFFEN­ FREUND (21) am THIELEN (2) am 2. April; K L A U S 19. Januar. URBANCZYK (34) am 4. Juni. 65 Jahre

DIETER STROZNIAK (6) am 40 Jahre 14. Januar; (4) am 19. Januar; MARTIN HOFFMANN SEBASTIAN KEHL (31) am 13. Fe­ (66) am 22. März. bruar; TIM BOROWSKI (33) am 2. Mai.

2

3 1 4

1_Frank Rohde 2_Hans-Jürgen Sundermann 3_Josef Piontek 4_Sebastian Kehl JUBILÄEN UND RUNDE GEBURTSTAGE CDN-MAGAZIN 42 | 2020 47

JUBILÄEN*

(Spieler mit 5 und mehr Länderspielen) * im 1. Halbjahr 2020

Debütantenball Debütantenball Debütantenball vor 60 Jahren (1960) vor 40 Jahren (1980) vor 30 Jahren (1990)

LEO WILDEN (insgesamt 15 Länder- HORST HRUBESCH (21, 28 Jahre, UWE RÖSLER (5, 21 Jahre, 1. FC spiele, Alter und Verein beim 1. Länder- Hamburger SV) am 2. April gegen Öster- Magdeburg) am 26. Januar gegen spiel: 23 Jahre, 1. FC Köln) am 23. März reich (1:0); ARTUR ULRICH (13, Kuwait­ (2:1); HEIKO PESCHKE gegen Chile (2:1); WILLI GIESE- 22 Jahre, Berliner FC Dynamo) am 2. (5, 26 Jahre, FC Carl Zeiss Jena) am MANN (14, 22 Jahre, FC Bayern April gegen Rumänien (2:2); JÜRGEN 28. März gegen die USA (3:2); D I R K ­München) am 11. Mai gegen Irland (0:1). HEUN (17, 21 Jahre, FC Rot-Weiß SCHUSTER (7, 22 Jahre, 1. FC Magde­ ­Erfurt) am 7. Mai gegen die Sowjet- burg) am 28. März gegen die USA (3:2); union (2:2); DIETER STROZNIAK ANDREAS KÖPKE (59, 28 Jahre, Debütantenball (6, 25 Jahre, Hallescher FC Chemie) am 1. FC Nürnberg) am 30. Mai gegen vor 50 Jahren (1970) 7. Mai gegen die Sowjetunion (2:2); ­Dänemark (1:0). MARTIN TROCHA (8, 22 Jahre, FC BODO RUDWALEIT (33, 21 Jahre, Carl Zeiss Jena) am 7. Mai gegen die Berliner FC Dynamo) am 9. Februar Sowjetunion­ (2:2); ­gegen den Irak (1:1); LOTHAR (20, 26 Jahre, Hamburger SV) am 13. KURBJUWEIT­ (66, 19 Jahre, Stahl Mai gegen Polen (3:1); LOTHAR Riesa) am 15. Mai gegen Polen (1:1). MATTHÄUS (150, 19 Jahre, Borussia Mönchengladbach) am 14. Juni gegen die Niederlande (3:2).

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6

8 5_Lothar Kurbjuweit 5 6_Horst Hrubesch 7_Andreas Köpke 8_Leo Wilden JUBILÄEN UND RUNDE GEBURTSTAGE 48 CDN-MAGAZIN 42 | 2020

JUBILÄEN*

(Spieler mit 5 und mehr Länderspielen) * im 1. Halbjahr 2020

Debütantenball Debütantenball Abschiedsspiel vor 25 Jahren (1995) vor 20 Jahren (2000) vor 40 Jahren (1980)

MARKUS BABBEL (51, 22 Jahre, SEBASTIAN DEISLER (36, 20 (insgesamt 31 FC Bayern München) am 22. Februar ­­Jahre, Hertha BSC) am 23. Februar Länderspiele, Alter und Verein beim gegen Spanien (0:0); STEFFEN ­gegen die Niederlande (1:2). letzten Länderspiel: 25 Jahre, Dynamo FREUND (21, 25 Jahre, Borussia Dort- Dresden) am 13. Februar gegen Spanien mund) am 22. Februar gegen Spanien (1:0); NORBERT NIGBUR (6, 31 (0:0); (5, 23 Abschiedsspiel Jahre, FC Schalke 04) am 2. April gegen ­Jahre, Borussia Mönchengladbach) vor 50 Jahren (1970) Österreich (1:0); BERND CULL- am 29. März gegen Georgien (2:0); MANN (40, 30 Jahre, 1. FC Köln) am MEHMET­ SCHOLL (36, 24 Jahre, FC (insgesamt 66 Län- 22. Juni gegen Belgien (2:1). Bayern München) am 26. April gegen derspiele, Alter und Verein beim letzten Wales (1:1); JÖRG HEINRICH (37, Länderspiel: 31 Jahre, Hamburger SV) 25 Jahre, SC Freiburg) am 21. Juni­ am 17. Juni gegen Italien (3:4); M A X gegen Italien (2:0); OLIVER KAHN LORENZ (19, 30 Jahre, Eintracht 12 (86, 26 Jahre, FC Bayern München) am Braunschweig) am 20. Juni gegen 23. Juni gegen die Schweiz (2:1). ­Uruguay (1:0); HORST WOLTER (35, 28 Jahre, ) am 20. Juni gegen Uruguay (1:0).

10

9 11

9_Markus Babbel 13 10_Willi Schulz 11_Steffen Freund 12_Sebastian Deisler 13_Hartmut Schade

JUBILÄEN UND RUNDE GEBURTSTAGE CDN-MAGAZIN 42 | 2020 49

Abschiedsspiel Abschiedsspiel vor 30 Jahren (1990) vor 25 Jahren (1995)

BURKHARD REICH (6, 25 Jahre, (7, 27 Jahre, Berliner SC Dynamo) am 26. Januar ­Karlsruher SC) am 22. Februar gegen ­gegen Kuwait (2:1); DIRK HEYNE Spanien (0:0); RALF WEBER (9, 26 (9, 32 Jahre, 1. FC Magdeburg) am Jahre, ) am 23. Juni 11. April gegen Ägypten (2:0);­ gegen die Schweiz (2:1). (56, 28 Jahre, ­Berliner FC Dynamo) am 13. Mai gegen Brasilien (3:3); Abschiedsspiel (10, 26 Jahre, FC Rot-Weiß Erfurt) am vor 20 Jahren (2000) 13. Mai gegen Brasilien (3:3); R I C O STEINMANN (23, 22 Jahre, FC Karl- (7, 32 Jahre, 16 Marx-Stadt) am 13. Mai gegen Brasilien Hertha BSC) am 26. April gegen die (3:3); MATTHIAS LINDNER (22, Schweiz (1:1); 24 Jahre, 1. FC Lokomotive Leipzig) (51, 27 Jahre, FC Bayern München) am am 13. Mai gegen Brasilien (3:3); 17. Juni gegen England (0:1); LOTHAR HENDRIK­ HERZOG (7, 21 Jahre, MATTHÄUS (150, 39 Jahre, New York/ Berliner FC Dynamo) am 13. Mai gegen New Jersey MetroStars) am 20. Juni Brasilien (3:3); (17, ­gegen Portugal (0:3); 31 Jahre, Borussia Dortmund) am (100, 34 Jahre, ) 30. Mai gegen Dänemark (1:0); am 20. Juni gegen Portugal (0:3); HANS PFLÜGLER (11, 30 Jahre, THOMAS­ HÄSSLER (101, 34 Jahre, FC Bayern München) am 19. Juni gegen TSV München 1860) am 20. Juni gegen Kolumbien (1:1). Portugal (0:3).

17 14

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14_Dirk Schuster 15 15_Uwe Weidemann 16_Michael Preetz

17_Frank Mill FOTOS (1 bis 3/5 bis 18) imago, 18_Ulf Kirsten (4) Getty Images

UND IM NÄCHSTEN JAHR HOFFENTLICH WIEDER MIT FANS!

1 HERAUSGEBER Deutscher Fußball-Bund Otto-Fleck-Schneise 6 60528 Frankfurt/Main Telefon: (0 69) 67 88-0 Telefax: (0 69) 67 88-2 04 E-Mail: [email protected] www.dfb.de

PROJEKTLEITER CLUB DER NATIONALSPIELER Michael Kirchner (DFB)

VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT Michael Herz

KONZEPTION Steffen Lüdeke, Wolfgang Tobien

REDAKTIONELLE MITARBEIT Gereon Tönnihsen

AUTOREN Wolfgang Tobien, Udo Muras, Uwe Karte, Steffen Lüdeke

BILDQUELLEN Getty Images, imago, Picture Alliance, Thomas Böcker

GESAMTHERSTELLUNG Braun & Sohn Druckerei GmbH & Co. KG Am Kreuzstein 85, 63477 Maintal

Die Ausgabe Nr. 42/2020 des CdN-Magazins ist, ebenso wie alle bisherigen Ausgaben, online FOTO (1) Getty Images ­unter „www.nationalspieler.dfb.de“ abzurufen. DFB.DE NATIONALSPIELER.DFB.DE DFB.DE/DIE-MANNSCHAFT