Gustav Nikolaus Specht (1860–1940) Sein Einfluss Auf Die Nosologie Kraepelins Und Annäherungen an Seine Position Im Nationalsozialismus

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Gustav Nikolaus Specht (1860–1940) Sein Einfluss Auf Die Nosologie Kraepelins Und Annäherungen an Seine Position Im Nationalsozialismus Der Nervenarzt Historisches Nervenarzt Birgit Braun1 · Johannes Kornhuber2 https://doi.org/10.1007/s00115-021-01153-6 1 Abteilung für Psychosomatische Medizin, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Deutschland Eingegangen: 30. Dezember 2020 2 Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Angenommen: 18. April 2021 Erlangen, Deutschland © Der/die Autor(en) 2021 Gustav Nikolaus Specht (1860–1940) Sein Einfluss auf die Nosologie Kraepelins und Annäherungen an seine Position im Nationalsozialismus Hintergrund Da Specht bereits 1934, ein Jahr promoviert wurde (vgl. [51]). Seine erste nach der Machtübernahme Hitlers Assistentenstelle trat Specht, da „[d]er Specht steht am Beginn der Abspaltung (1889–1945), emeritiert wurde, gab es praktischeArzt[...]damalsnoch(s)ein der Anstaltspsychiatrie von der univer- bislang kein Interesse an der wissen- Ideal“ [1] war, am Bürgerspital Frankfurt sitären Psychiatrie. Im ausgehenden 19. schaflichen Aufarbeitung seiner Positio- a. M. an. Im Sommer 1884 ging er zu Jahrhundert ist er konfrontiert mit der neninnerhalbdernationalsozialistischen Studienzwecken nach Berlin. Auch das zunehmenden Tendenz der deutsch- Psychiatrie. Trotz spärlicher Datenlage Wintersemester 1884/1885 verbrach- sprachigen Psychiatrie hin zur reinen unternehmen die Autoren erstmals eine te er dort, zumal er sich durch Carl Gehirnpsychiatrie. „Die prominentes- Annäherung an diesen bisher ausge- Westphal (1833–1890) und Emanuel ten Vertreter dieser Richtung waren der sparten wichtigen werkbiographischen Mendel (1839–1907) zunehmend für die Wiener Ordinarius Teodor Meynert Aspekt. Fachdisziplin der Psychiatrie faszinieren (1833–1892) sowie der Breslauer Ordi- ließ. narius Carl Wernicke (1848–1905)“ [6]. Spechts Leben und Werk Specht kehrte nach Franken zurück, Auch Specht wurde von Anton Bumm woimmittelfränkischenErlangen,knapp (1849–1903), einem Schüler Bernhard Gustav Nikolaus Specht wurde am 20km entfernt von Nürnberg, 1846 die von Guddens (1824–1886), eingeführt 25.12.1860 als 10. Kind des Kaufmanns erste bayerische Kreisirrenanstalt eröff- in experimentell-anatomische Untersu- Adolph Gottfried Hermann Eduard net worden war (vgl. [9]). Dort wurde chungen am Nervensystem. Nach 1900 Specht und seiner Ehefrau Maria Chris- Specht ausgebildet von Friedrich Wil- war die Ära der strikten „Hirnpsychia- tina, geb. Will, im unterfränkischen helm Hagen und Anton Bumm (vgl. trie“jedochwiedervorbeiundallmählich Schweinfurt geboren. Nach dortigem [69]). „Man darf sich bei dieser Ge- fand die sich parallel zur zunehmen- Besuch der Volksschule und des huma- legenheit der gewaltigen Bedeutung den Bedeutung der Gehirnpathologie nistischen Gymnasiums nahm Gustav erinnern, welche der Psychiatrie damals entwickelnde klinische Schule in Emil Specht 1879 sein Medizinstudium in in Erlangen und früher als anderswo Kraepelin (1856–1926) ihren Höhepunkt München auf. Am 10.04.1880 wurde zukam“ [22], so der Specht-Schüler und (vgl. [25]). Specht, der unter Wilhelm Gustav Specht „[i]m Frieden auf Grund spätere „T4“-Gutachter Berthold Kihn Hagen (1814–1888) auch die rein psy- §36 d. Ersatzordnung als dauernd mili- (1895–1964; vgl. [5, 11]). In den folgen- chologische Betrachtungsweise kennen tär-untauglich[...]ausgemustert“[1], so den18Jahren(23.03.1885bis30.09.1903) und schätzen gelernt hatte (vgl. [55]), ist es festgehalten unter der Rubrik „Mi- arbeitete Specht in der Erlanger Psychi- näherte sich klinisch-psychologisch der litärverhältnisse“ auf der Personenkarte atrie als Assistenzarzt, in der Folge als Paranoiafrage, die Kraepelin wieder in Spechts des Universitätsarchives Erlan- „II. Hilfsarzt“ [1] und schließlich als den Vordergrund der psychiatrischen gen. Zum Grund für Spechts militärische Oberarzt. Im Sommer 1889 legte Specht Streitfrage gebracht hatte (vgl. [48]). Untauglichkeit lässt sich nur spekulieren. sein Physikatsexamen als Prüfung für DervorliegendeArtikelbehandeltins- Zwei Semester des 5-jährigen Studiums den ärztlichen Staatsdienst in München besondere die Position Spechts innerhalb verbrachte Specht in Würzburg. Er be- ab und wurde zum königlichen Oberarzt der von Kraepelin ausgehenden psycho- endete sein Studium in München, wo der Kreisirrenanstalt Erlangen benannt. pathologisch-nosologischen Diskussion. er am 27.02.1884 seine Approbation er- Die Universität Erlangen ist eine der hielt und am 10.04.1884 zum Dr. med. ältesten Pflegstätten der Psychiatrie. Be- Der Nervenarzt Historisches „dem akademische Bestrebungen fern er zwei Söhne, Hermann und Wilhelm, lagen“ [25], so sein späterer Schüler Karl hatte. Kleist (1879–1960), in der psychiatri- Am 29.06.1903 kam es zum Vertrags- schen Fachwelt bekannt werden. Specht schluss zwischen der Friedrich-Alexan- betonte, die Mystik des Philosophen, der-Universität und der Kreisvertretung Schrifstellers und Okkultisten Carl du von Mittelfranken. Das Extraordinariat Prel (1839–1899; vgl. [38, 50]) decke für Psychiatrie wurde in ein Ordina- sich nicht mit dem, was man sonst unter riat umgewandelt, Specht wurde am Mystik verstehe; Specht intendierte, „all’ 01.10.1903 zum ordentlichen Professor den durch die du Prel’schen Auseinan- ernannt – unter Aufgabe seiner Stellung dersetzungen in ihren Anschauungen als Oberarzt an der Kreisirrenanstalt. über psychiatrische Fragen irregelei- Er wurde Direktor der in einer beson- teten Laien ein Licht aufzustecken“ deren Abteilung der Kreisirrenanstalt [52]. Auch im weiteren Verlauf blieb es untergebrachten Psychiatrischen Uni- Spechts Anliegen, dem „Aberglauben“ versitäts-Klinik (. Abb. 1). 1911, also in [61] entgegenzutreten: „Das Unkraut demJahr,inwelchemdersozialpsych- desAberglaubenshatkaumirgendwo iatrisch aktive Gustav Kolb (1870–1938) einen so günstigen Boden gefunden, wie die Nachfolge August Würschmidts als im Traumleben, und doch ist es auch Anstaltsdirektor antrat (vgl. [10]), bezog wieder derselbe dufige Stoff, aus dem die Specht Stellung zu der vielumstrittenen Märchendichtung und sonst die Poesie Familienpflege der Geisteskranken (vgl. goldige Fäden gesponnen“ [61]. [10, 62]). Specht initiierte eine Vorle- Abb. 1 8 PortraitGustavSpechts.(Aus[15]) Die Berufung Bumms nach München sung über die soziale und gerichtliche im Herbst 1896 veranlasste Specht, „un- Bedeutung von „Geistesstörungen“ für verhofindenakademischenBeruf[...] HörerallerFakultäten.Erwidmeteeine reits im Wintersemester 1818/1819 hielt einzuschwenken“ [1]. Specht zeichnete Wochenstunde seiner Vorlesung der ge- Johann Michael Leupoldt (1794–1874) sich durch „eine längere Erfahrung in richtlichen Psychiatrie und etablierte ein als Privatdozent in Erlangen ein Kolleg Dingen der Anstaltsleitung“ [78]aus gerichtlich-psychiatrisches Praktikum. über Geistesstörungen, wohingegen Psy- und galt als „scharfsinniger und wis- Spechts wissenschafliche Auseinan- chiatrie erst 1862 zum Prüfungsfach in senschaflich gut geschulter Psychiater“ dersetzung mit dem Querulantenwahn- Bayern wurde. Vor diesem Hintergrund [78]. Sechs Monate lang leitete Specht sinn und sein besonderes Interesse für kann es – entsprechend der Archivun- die Anstalt kommissarisch als stellvertre- die gerichtliche Psychiatrie bedingten terlagen – als geschichtlich feststehende tender Direktor. Zum Anstaltsdirektor sich gegenseitig. „Das Krankheitsbild Tatsache gelten, dass die erste bayerische wurde August Würschmidt (gest. 1919) des Querulantenwahnsinns ist mehr als Kreisirrenanstalt„nurumderUniversität als „praktisch bewährter Fachmann“[25] jede andere Form geistiger Störung ganz willen nach Erlangen verlegt worden ist. am 01.04.1897 ernannt, Specht hinge- dazu angetan, den Richter wie den Ver- Um diese[s] Zweck[es] willen hat man gen ab 17.03.1897 unter Beibehaltung waltungsbeamten bei seinen beruflichen selbst die für den Kreis Mittelfranken der Oberarztstelle in der Kreisirrenan- Entscheidungen in schwere Gewissens- ungünstige excentrische Lage Erlangens stalt nicht beamteter außerplanmäßiger nöte und in eine quälende Unsicherheit mit in Kauf genommen“ [1]. Nachdem „Professor für Psychiatrie und Psychia- zu versetzen“ [63], so Specht 1912. bayernweit Psychiatrie neun Jahre lang trische Klinik“ [80]. Um eine adäquate Specht war ein gefragter Gutachter vor Prüfungsfach gewesen war, wurde es in- Ausbildung der Mediziner im Fachge- Gericht und referierte regelmäßig in der folge der Gleichschaltung mit Preußen biet der Psychiatrie zu gewährleisten, von ihm mitbegründeten juristisch-psy- 1871 wieder abgeschaf. Erst 30 Jahre galt es, eine eigene Klinik mit dem ent- chologischen Gesellschaf sowie in der später legte man mit der neuen Prü- sprechenden Patientengut aufzubauen mittelfränkischen Vereinigung für Psy- fungsordnung für Ärzte vom 28.05.1901 (vgl. [27]). Specht unternahm zeitin- chiatrie und Neurologie, deren Initiator deutschlandweit die „Irrenheilkunde“ als tensive Verhandlungen zwischen der er war (vgl. [25]). Prüfungsfach fest (vgl. [41]). „Nun zeig- Universität und der Kreisvertretung von NachdenerstenzehnJahrenwardie te sich auf einmal ausgerechnet Erlan- Mittelfranken. Erlanger Universitätspsychiatrie gut in- gen, die alte Pflegstätte der Psychiatrie, Zur Vertiefung seiner theoretischen nerhalb der medizinischen Fakultät inte- im Rückstand“ [41], zumal „[d]ie ers- Kenntnisse frequentierte Specht vom griert und Specht stand als Prorektor an te selbstständige deutsche psychiatrische 24.04. bis zum 28.05.1899 Wilhelm der Spitze der unter königlicher Rekto- Klinik [...] bereits 1878 in Heidelberg Wundts (1832–1920) Laboratorium für ratswürde stehenden Universität.
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