„Kinder- Und Hausmärchen“ Der Brüder Grimm Eliza Pieciul-Karmińska
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Wiedergabe von Personennamen in der gegenwärtigen polnischen Übersetzung der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm Eliza Pieciul-Karmińska 1. Die Kinder- und Hausmärchen in der Übersetzung Die Sammlung der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm ist bekannt- lich ein Welterfolg, der ohne Übersetzungen in andere Sprachen nie möglich gewesen wäre. Im Internet schreibt man heutzutage viel zum Thema „Mär- chen der Brüder Grimm in der Welt“. In entsprechenden Beiträgen wird häufig die Zahl der 160 Sprachen angegeben, in die die deutsche Märchensammlung angeblich übersetzt worden ist. Eine so hohe Zahl von Übersetzungen muss jedoch korrigiert werden, denn es ist einer der vielen Mythen, die um die „Kin- der- und Hausmärchen“ entstanden sind. In seiner Einleitung zu dem Kongress- band „Märchen, Mythen und Moderne. 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“ schreibt Ehrhardt (2015: 5) folgendes: „Belegbar sind im Bestand der Kasseler Brüder-Grimm-Sammlungen jedoch nur Übersetzungen in etwa 70 Sprachen und Dialekte; alle anderen Zahlen und Meldungen ent- behren derzeit einer nachprüfbaren Grundlage“. Eine so präzise Korrektur des weitverbreiteten Mythos muss jedoch die Rolle der Übersetzung an sich nicht verringern. Die Grimmschen Märchen wurden sehr früh in andere Sprachen übersetzt (1816 ins Dänische, 1820 ins Holländische) und der Erfolg der englischen Übersetzung von Edgar Taylor (1823) ermutigte die Brüder zur Veröffentlichung der sog. Kleinen Ausgabe (1825) mit den fünfzig bedeutendsten und kindergerechtesten Märchen. Die Kleine Ausgabe, die ihre Entstehung der englischen Übersetzung verdankt, erfreute sich beim Publikum großer Beliebtheit und verhalf dann der Großen Ausgabe zum Durchbruch, die sich vorher sehr schlecht verkauft hatte. Ohne Übersetzung und ohne Übersetzer wären die ursprünglich deutsch- sprachigen Märchen nicht weltweit populär geworden. Und jeder Übersetzer Namenkundliche Informationen / NI 107/108 (2016), S. 54-76 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons-BY 3.0 Deutschland Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/ Personennamen in der polnischen Übersetzung der „Kinder- und Hausmärchen“ 55 musste sich mit Fragen der Wiedergabe von ausgangsprachlichen Namen aus- einandersetzen, was um so wichtiger war, weil viele Personennamen (oder Personenbezeichnungen) gleichzeitig als Titel von den bekanntesten Märchen fungierten. Bevor ich aber konkrete Übersetzungsschwierigkeiten im Bereich der Wiedergabe von Anthroponymen bespreche, möchte ich noch ein paar defi- nitorische Bemerkungen machen, um die wichtigsten Begriffe zum Thema „(literarischer) Name und Übersetzung“ zu präzisieren. 2. Wiedergabe von Eigennamen – definitorische Bemerkungen Die Formulierung „Übersetzung von Eigennamen“ scheint, einen Widerspruch zu beinhalten, weil die Hauptfunktion der Personennamen: die Referenz, „sie strenggenommen unübersetzbar“ macht (Grassegger 1985: 44). Nun wissen wir andererseits, dass Eigennamen in der schöngeistigen Literatur eine spezi- fische Stellung einnehmen, da ihre Funktion weit über die Identifikations- funktion hinausläuft (vgl. Gutschmidt 1980: 52f). Bei der Übersetzung eines literarischen Werkes sind Eigennamen nicht nur in ihrer Referenz beizubehal- ten. Als Bestandteil der literarischen Wirklichkeit konstituieren sie die darge- stellte Welt und werden gleichzeitig als stilistische Mittel verstanden. Dies bleibt nicht ohne Belang für Übersetzer, die Funktion, Stilistik und Stellung der Eigennamen in der dargestellten Welt der Autorenabsicht gemäß wiedergeben sollen. Das Verkennen ihrer weiteren Funktionen und die Be- schränkung auf die primäre Referenzfunktion würde dazu führen, dass man alle Namen als solche „stehen lassen“ müsste. Bei solcher Betrachtungsweise würden die Namen zu Etiketten. Im Rahmen der literarischen Onomastik spricht man daher nicht von der „Übersetzung“, sondern von der „Wiedergabe“ von Eigennamen (vgl. Debus 1997: 401). Die entscheidende Frage bei der Wiedergabe von Eigennamen ist demnach nicht die Frage der Übersetzbarkeit oder Unübersetzbarkeit eines Eigennamens, sondern die Wiedergabe ihrer „kommunikativen und ästhe- tischen Funktion im literarischen Text“ (Lietz 1992: 129), also einer gewissen „Bedeutsamkeit“. Bei der Übersetzung eines literarischen Werkes ist somit die Bedeutsamkeit von Eigennamen ein Wert, den man wiedergeben muss, damit die Intention des Autors auch in der Zielsprache sichtbar ist. Wie kann man die Bedeutsamkeit von Eigennamen definieren? 56 Eliza Pieciul-Karmińska 2.1. Bedeutsamkeit Wenn man die außersprachliche Dimension der Namengebung und des Namen- gebrauchs berücksichtigt, dann besteht kein Widerspruch zwischen der Tatsa- che, dass Eigennamen aus sprachlicher Sicht nur denotieren, und der Annahme über die Existenz ihrer assoziativen Werte: „Eigennamen (…) haben keinen Inhalt, sie stehen für einen Inhalt; der sich nicht aus dem sprachlichen, sondern aus dem außersprachlichen Kontext ergibt“ (Schmid 1981: 95). Um die asso- ziativen, kommunikativen und ästhetischen Werte von Eigennamen zu definie- ren, muss man sich des Begriffs „Bedeutung“ bedienen und sie in dem Schema der Wortbedeutung als etymologische, lexikalische und aktuelle Bedeutung differenzieren (vgl. Debus 1978: 21). Jedes Wort lässt sich aus bestimmten Wurzeln herleiten und auch Eigen- namen verfügen über eine etymologische Grundbedeutung. Jeder Eigenname ist ein ursprüngliches Appellativ und lässt sich daher historisch-sprachgeschicht- lich deuten (vgl. Sonderreger 1987: 14). Diese Grundbedeutung bezieht sich auf den Akt der Namengebung (Primärmotivation), wobei sie als motivische Bedeutsamkeit bezeichnet wird, die sich im Prozess des Namengebrauchs dann über historische Stufen zu einer Sekundärmotivation entwickeln kann (dem Namen wird eine erneute motivische Bedeutsamkeit zugeschrieben). So ist jeder Name lexikalisch motiviert. In Bezug auf die etymologische und lexikalische Bedeutung des Eigenna- mens ist es wichtig zu betonen, dass der genaue Wortsinn (die ursprüngliche Bedeutung, erneute motivische Bedeutsamkeit) beim synchronischen Gebrauch des Namens keine Rolle spielt (Sonderreger 1987: 12).1 Deswegen soll die Bedeutung von Eigennamen mit ihrer etymologischen Bedeutung weder iden- tifiziert, noch nur auf sie beschränkt werden. Auch die lexikalische Bedeutung als appellativische Sinnbezogenheit wird im Spannungsfeld zwischen Wort und Name irrelevant und wird durch eine spezifisch individuell gerichtete „Bedeutung“ ersetzt, die man nicht mit der lexikalischen Bedeutung gleichsetzen kann (vgl. Debus 1978: 23). Den Namen kommt aufgrund ihres Gebrauchs eine gewisse aktuelle Bedeutung hinzu, und um die Größen voneinander zu unterscheiden (vgl. Lietz 1992: 294), wird sich der Termin: Bedeutsamkeit auf die aktuelle Bedeutung beziehen. 1 So kann ein Name in seinen sprachlichen Bestandteilen durchaus durchsichtig und erklärbar sein, aber für seine Verwendung ist seine sprachliche Motiviertheit unwichtig. Man kann beispielsweise den Namen Reinhart nicht als Appellativum einsetzen: „Du bist ein Reinhart“ im Sinne von „Du bist ein Mensch mit reinem Herzen“ (Beispiel nach Seibicke 1982: 52). Personennamen in der polnischen Übersetzung der „Kinder- und Hausmärchen“ 57 An die Stelle einer ursprünglich durch Primärmotivation gegebenen Grund- bedeutung tritt bei Eigennamen im Laufe der Namenverwendung deren Bedeutsamkeit ein, welche sich neben der Referenzfunktion im Vordergrund anderer Bedeutungen befindet. Während die Bedeutung eines Namens (ety- mologisch oder lexikalisch) für dessen Bezeichnungsfunktion irrelevant bleibt, ist die Bedeutsamkeit eine Größe, die assoziativ wirkt, also nicht nur auf den Namenträger hinweist, sondern ihn auch charakterisiert. Somit ist die Grund- bedeutung des Namens eine statische Komponente, während sich die Bedeut- samkeit ständig an Zeit und Umwelt dynamisch anpasst. So liegt die „Bedeutung“ des Namens synchronisch betrachtet in seiner Bedeutsamkeit, die als „Summe der mit einem Namen verbundenen positiven, neutralen oder negativen Assoziationen, Vorstellung und Gefühle“ (Sonder- reger 1986: 16) bezeichnet wird. Die Bedeutsamkeit kann also untersucht werden und bei der Wiedergabe von Eigennamen wird geprüft, ob die Bedeut- samkeit eines Namens infolge der Übersetzung beibehalten oder verloren wurde. Als Schlüsselgröße literarischer Namen ist sie die größte Quelle der Übersetzungs- schwierigkeiten. 2.2. Funktionale Typologie Die Auseinandersetzung mit der Wiedergabeproblematik betrifft vorwiegend die Frage, ob die Funktionen literarischer Eigennamen (Referenz + Bedeutsam- keit) im literarischen Werk beibehalten werden (können). Aus diesem Grund wird für eine Übersetzungsanalyse die funktionale Typologie von Birus (1987) gewählt, die sich in einem übersetzungsrelevanten Zusammenhang als sehr fruchtbar erweist (vgl. Pieciul 2003: 29ff). Die Typologie von Birus erfasst folgende Kategorien von Namen: (a) verkörperte Namen, die ihre eigentliche Bedeutung durch den Verweis auf einen außerhalb des Kunstwerks existierenden Träger dieses Namens gewinnen, (b) klassifizierende Namen, die ihre Träger aufgrund von religiös, natio- nal, sozial oder aber einfach literarisch bedingten Namengebungskon- ventionen einer bestimmten Gruppe zuordnen, (c) klangsymbolische (lautmalende, lautsemantische) Namen, deren Laut- gestalt gewisse Assoziationen hervorruft, 58 Eliza Pieciul-Karmińska (d) redende (transparente) Namen, die lexikalisch motiviert sind und sich durch semantische Merkmale mit sinnhaltiger Charakterisierungs- funktion auszeichnen.