SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst

Ein Klassiker der Tierliteratur: Alfred Brehms „Illustrirtes Thierleben“

Autor: Konrad Lindner Redaktion: Detlef Clas Regie: Carola Preuß Sendung: Montag, 26. Oktober 2009, 8.30 Uhr, SWR 2

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich.

Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030

SWR 2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de

Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die in der ausgestrahlten Sendung aus Zeitgründen gekürzt wurden.

MANUSKRIPT

1. Atmo: Vogelgezwitscher

Cut 1: Hans-Dietrich Haemmerlein Für Alfred Brehm war der Vater der maßgebende Mentor und Lehrer in ornithologischer Hinsicht. Der Vater sammelte ja bekanntlich Vögel für seine wissenschaftlichen Subtilforschungen. Und Alfred Brehm hat spätestens vom achten Lebensjahr an mit eigenem Gewehr an der Bereicherung der Sammlung mitgearbeitet.

Cut 2: Andreas Schulze Das Erfolgsgeheimnis von „Brehms Thierleben“ ist darin zu suchen, dass es einen unwahrscheinlich suggestiven Stil hat. Hier ist also auf spannende und gut verständliche Art und Weise das Leben der Tiere beschrieben worden. Und „Brehms Thierleben“ hat viele Elemente der Trivialliteratur, des Reiseberichts, der Fabel usw. miteinander verbunden und ist deshalb sehr unterhaltsam zu lesen.

Ansage: Ein Klassiker der Tierliteratur: Alfred Brehms „Illustrirtes Thierleben“. Eine Sendung von Konrad Lindner.

Sprecher: Alfred Edmund Brehm wurde am 02. Februar 1829 im östlichen Thüringen im Pfarrhaus von Renthendorf geboren. Alfreds Vater war dort Dorfgeistlicher und eine führende Kapazität der Vogelkunde in Europa. Auch wenn Alfred Brehm an der Seite des Vaters viel über die Fauna lernen konnte – die Idee zu Brehms „Thierleben“ kommt nicht aus seinem Elternhaus. Der Junge absolvierte zunächst in Altenburg eine Maurerlehre und begann in ein Studium der Architektur. Baron Johann Wilhelm von Müller aus Kochersteinsfeld im nördlichen Württemberg suchte 1847 für seine Afrikareise einen Begleiter und vor allem einen guten Vogelfänger. Der junge Brehm ergriff die Chance seines Lebens, obwohl sich die Mutter dagegenstemmte; der Vater bestärkte ihn. Nicht ganz uneigennützig, denn erhoffte sich eine Vervollständigung seiner eigenen umfangreichen Vogelsammlung. Der Brehm-Forscher Hans-Dietrich Haemmerlein entdeckte in Alfreds Briefen an die Eltern, dass dieser über seinen adeligen Finanzier bald heftig klagte und meinte, dass der Baron ein „Spitzbube“ sei. Über die Bedeutung des Barons für die Entwicklung des jungen Brehm sagt Haemmerlein:

Cut 3: Hans-Dietrich Haemmerlein Die Biographie Alfred Brehms wäre ohne den Baron sicher anders verlaufen. Er wurde ja weggeholt vom Architekturstudium in Dresden und wäre vielleicht allenfalls Zooarchitekt geworden und die Reise nach Afrika hat ihn also geprägt als Reisenden, als Tierforscher, als Ornithologen, als Sammler in erster Linie. Ursprünglich war ja das Konzept der Afrikareise nur, Vögel zu sammeln für den Herrn Baron. Für den Vater Brehm. Und zum Verkaufen an Museen und an Herrscherhäuser. – Übrigens hat Alfred Brehm dann auch ganz schön versucht, Geschäfte zu machen mit der afrikanischen Ausbeute und ist darüber mit dem Reiseunternehmer Herrn Baron von Müller in Streit geraten: Wem gehören denn die Vögel, die Alfred Brehm geschossen hat? Aber seine Reise ist vom Baron finanziert worden. Da gab es auch rechtliche Streitigkeiten, die man in Briefen verfolgen kann.

2

Sprecher: Alfred Brehm konnte schon ein Ekel sein. Als Direktor von Tiergärten wurde er in seinem Leben gleich zweimal gefeuert. Erst in und später in . Dennoch ging Brehm durch sein zehnbändiges „Thierleben“ unauslöschlich in die Geschichte der Tierliteratur ein. Das hatte auch damit zu tun, dass Brehm aus familiären Gründen in Wurzeln schlug. Schon am 11. Mai 1858 wurde der Afrikareisende in die Naturforschende Gesellschaft der Stadt aufgenommen. In ihr waren Lehrer, Verleger und namhafte Wissenschaftler vereint. Brehm freundete sich mit dem Pädagogen und streitbaren Demokraten Emil Adolf Roßmäßler an. Der Biologe hatte wegen seiner Beteiligung an der Revolution von 1848/49 sein akademisches Lehramt verloren. Von Leipzig aus engagierte er sich in der naturwissenschaftlichen Volksbildung. Er unternahm auch zahlreiche Vortragsreisen. Das Credo von Roßmäßler lautete: „Durch Bildung zur Freiheit“. Eine Devise, die auch Alfred Brehm während der Jahre in Leipzig verinnerlichte. Nachdem er in mit zwei Kapiteln seines schriftstellerischen Erstlingswerkes „Reiseskizzen aus Nord-Ost-Afrika“ zum Doktor der Naturwissenschaften wurde, begann er Anfang 1858 in [der sächsischen Buch- und Messestadt] Leipzig als Lehrer für Naturgeschichte und Geographie zu arbeiten. Während dieser Zeit gelang Brehm auch der Durchbruch zum Reise- und Tierschriftsteller, der lebendig, spannend und unterhaltsam berichtet. Von Leipzig aus brach Brehm zu wichtigen Reisen auf: erst nach Norwegen und Lappland, dann unmittelbar nach der Hochzeit mit seiner Cousine Mathilde 1861 zu seiner zweiten Afrikareise. Bereits am 4. September 1855 hatte Alfred in Mathildes Poesiealbum geschrieben:

Zitator: „Von des Löwen Gebrüll in der dunklen Nacht Da könnt ich dir manches erzählen, Von köstlichen Nächten, die ich durchwacht Im Sattel auf flücht'gen Kamelen

Oder von des südlichen Himmels Glanz, Von der Palmenkronen Geflüster, Von dunkler Völker Waffentanz Und des Urwalds erhabenem Düster.“

Sprecher: Der Poet Alfred Brehm kam in Leipzig mehr und mehr zum Vorschein. Vom Milieu der Bürgerstadt angesteckt, ließ er seiner Schreiblust freien Lauf. Er gewöhnte sich an, in den frühen Morgenstunden vor dem Schuldienst eifrig zu arbeiten. Brehm hatte nicht so sehr ein Fachpublikum, sondern mehr neugierige, bildungshungrige Menschen aller Schichten der Bevölkerung vor Augen – vom Tagelöhner bis zum Adligen, vom Gymnasiasten bis zum Professor. Auch das „Illustrirte Thierleben“ beruht nicht allein auf der Kunst der Beobachtung der Tiere, sondern ebenfalls auf der Kraft seiner anschaulichen, verständlichen und phantasiereichen Sprache. Die geistigen Wurzeln führen zurück ins Pfarrhaus nach Renthendorf. Als ein Jahrhundert später der Theologe und Ornithologe Hans-Dietrich Haemmerlein die lange unbesetzte Pfarrstelle Diehsa im Görlitzer Kirchengebiet übernahm, fand er die Anfrage eines Ahnenforschers zur Mutter von Alfred Brehm vor. Bertha Reiz, in Diehsa geboren, hatte 1827 den verwitweten Christian Ludwig Brehm geheiratet. – Durch diese Anfrage kam Hans-Dietrich Haemmerlein auf die Spur seines berühmten Vorgängers, der auch schon Theologie mit Vogelkunde zu verbinden wusste. Zunächst faszinierte ihn Vater Brehm mehr als der

3

Sohn. Dann veröffentlichte er im Jahr 1985 in der Evangelischen Verlagsanstalt sein Buch „Der Sohn des Vogelpastors“. Das bis heute wohl beste Buch über den berühmten Zoologen, auch weil es kritisch aus den Quellen und aus den unveröffentlichten Briefen schöpft. Der Brehm-Forscher zum geistigen Milieu [im Pfarrhaus Renthendorf], das Alfred Brehm prägte.

Cut 4: Hans-Dietrich Haemmerlein Ich weise immer gerne darauf hin, dass er in bewährter schöner Sprache geschult worden ist von seiner Mutter. Und das betone ich natürlich so gerne, weil die Mutter wie gesagt aus meinem Pfarrhaus stammt. Es gibt ein Selbstzeugnis Alfred Brehms in einer unveröffentlichten und unvollendeten Familienchronik, wo er dem Sinne nach sagt: Abends stopfte Vater Brehm seine Vögel aus. Die Kinder saßen dabei und schauten zu und die Kinder hörten zu, wie die Mutter aus den Klassikern vorlas. Und es wird allgemein angenommen, nicht nur von mir, dass Alfred Brehm also in Kinderzeiten schon mit Goethe, Schiller und andern Klassikern für gutes Sprachempfinden geschult worden ist.

Sprecher: Die zoologische und sprachliche Bildung im Elternhaus war ein wichtiges Erbteil, aber der Durchbruch zum Volksschriftsteller erforderte mehr. Zunächst stieg Alfred Brehm zum Starautor der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ auf. Mit einer Auflage von fast 100.000 Exemplaren wurde das Journal in der breiten Bevölkerung gelesen. Der Untertitel „Illustriertes Familienblatt“ drückte das Erfolgsrezept des Verlegers Ernst Keil aus: Anschaulichkeit plus Unterhaltsamkeit! Die Seiten des Journals waren reich mit Holzstichen gespickt. [Auch Ernst Keil hatte wegen der Teilnahme an der Revolution sechs Monate Haft hinter sich. Die Idee zur Gründung der „Gartenlaube“ war ihm im Gefängnis gekommen. Brehm schrieb wie besessen für das Journal. Einmal über Vogelschutz, ein andermal über Nilpferde. Auch seinen Vater holte er mit Beiträgen über Hauskatze und Wasserspitzmaus in „Die Gartenlaube“ hinein. Etwa 60 umfangreiche Veröffentlichungen hat Brehm Junior für das Journal verfasst. Aus vielen Einzelbeiträgen wuchs Größeres. Im Jahr 1861 erschien Brehms Buch „Das Leben der Vögel. Dargestellt für Haus und Familie“. Alfred betrachtete es zeitlebens als sein Lieblingsbuch, weil es gelungen und wirklich populär war. Bereits im April 1857, vor Beginn seiner Jahre in Leipzig, hatte Alfred Brehm dem Vater in einem Brief aus Madrid anvertraut, dass er sein Vogelbuch nicht als biederes Sachbuch zu verfassen gedenke:

Zitator: „Ein Buch fürs Volk, d. h. eine mehr auf das psychische als auf das physische Leben der Vögel Rücksicht nehmende Naturgeschichte, recht poetisch dargestellt.“

Sprecher: Brehm kam es darauf an, Poesie und Wissenschaft, Unterhaltung und Belehrung zu vereinen. Er wollte die bislang bildungsfernen Schichten der Bevölkerung erreichen. Dieses durchaus politische Anliegen erprobte Brehm zuerst in seinem Reisebericht über Nordafrika (1855), dann in seinem Vogelbuch (1861) und schließlich in einer gemeinsamen Arbeit mit dem Biologen Roßmäßler über „Die Thiere des Waldes“ (1846). [Das zweibändige Werk über Waldtiere erschien ab 1864 in Leipzig und .] Wie [in den Leipziger Jahren] der Auftrag zum „Illustrirten Thierleben“ zustande kam, ist das Berufsgeheimnis Brehms geblieben. Im Vorwort der ersten Auflage spricht er von der Idee zu einem „Volksbuch“ und schreibt:

4

Zitator: „Ein glücklicher Zufall brachte mich mit einer Verlagsbuchhandlung in Verbindung, welche genau die gleichen Grundsätze verfolgt ...“

Sprecher: Wann genau sich der ambitionierte Verleger Hermann Julius Meyer aus Hildburghausen und der Lehrer und Autor Alfred Edmund Brehm aus Leipzig erstmals begegneten, ist ebenso wenig bekannt wie der „glückliche Zufall“, dem Brehm den Auftrag für das mehrbändige Tierleben verdankt. Fest steht nur, dass Meyer keinem unbekannten Autor einen derart herausgehobenen Auftrag erteilt hätte. Brehm-Forscher Hans- Dietrich Haemmerlein:

Cut 5: Hans-Dietrich Haemmerlein Das ist unerforscht, wie das Tierleben zustande kam. Die Vulgärschreiber sagen: 1863 schrieb Alfred Brehm ein Buch über die Reise mit dem Herzog Ernst nach Abessinien. Und in diesem Buch hatte der Alfred Brehm schon die Idee, man müsste mal ein Tierleben schreiben. Das ist aber grundfalsch. Denn es gibt von 1860 schon einen Vertrag zwischen Alfred Brehm und dem Verlagshaus Meyer. Es ist auch etwas kompliziert, aber doch nachweisbar, dass Alfred Brehm spätesten 1861 mit der Niederschrift des Tierlebens begonnen hat. Und man kann in dem erwähnten Buch „Reise nach Habesch“ auch nachlesen, dass dort bereits aus dem „Thierleben“ zitiert wird, das bereits in einigen Bänden vorlag. Wer nun die Initialzündung gegeben hat, Hermann Julius Meyer, der Verleger, oder Alfred Brehm, der Autor, das ist unerforscht. Es gibt einen Brief, in dem Alfred Brehm schreibt, nur ich könnte darüber Auskunft geben, wie die Idee zum „Thierleben“ zustande kam. Aber diese Auskunft hat er nicht gegeben. Da liegt keine Quelle vor.

Sprecher: Vermutlich war es Hermann Julius Meyer, der die Namensmarke – „Illustrirtes Thierleben“ – erfunden und geprägt hat, denn sie lag im Trend der Zeit. [Für diese Version spricht, dass die Ideen für neue Projekte stets von Meyer selbst ausgingen. Der Verleger suchte sich nicht nur die geeigneten Verfasser allein aus, er war auch ein tatkräftiger Mitarbeiter der einzelnen Editionen. Noch zu Lebzeiten Brehms zog der Lexikon-Verlag von Hildburghausen nach Leipzig.] Als von 1876 bis 1879 die zweite Auflage unter dem Logo „Brehms Thierleben“ erschien, stand auf der Titelseite: „Leipzig. Verlag des Bibliographischen Instituts“. In der Brehm-Gedenkstätte in Renthendorf kann die historische erste Auflage besichtigt werden. Manfred Kanzner, Mitarbeiter der Gedenkstätte, öffnet einen Stahlschrank mit weiteren Ausgaben, darunter die farbige zweite Auflage [des illustrierten „Thierlebens“].

Cut 6 Manfred Kanzner Alfred Brehm selbst soll davon allerdings nicht so begeistert gewesen sein, denn in den Anfängen des Farbdrucks hat man wahrscheinlich bestimmte Farbnuancen noch nicht so genau darstellen können. Und Alfred Brehm war es dann lieber, das Tier in Schwarzweiß zu zeigen als in einer nicht zutreffenden Farbdarstellung.

Sprecher: „Brehms Thierleben“ stand im Bücherregal des Privatgelehrten Charles Darwin in Down bei London. Die Tierbände Brehms fanden nicht nur bei Generationen von Biologen, sondern auch im breiten Bildungsbürgertum [und sogar darüber hinaus] eine anhaltende Resonanz. Während der Jahrzehnte der deutschen Spaltung begeisterten

5

sich sowohl der Ostberliner Zoodirektor Heinrich Dathe als auch der westdeutsche Zoodirektor Bernhard Grzimek für die tierkundliche Leistung Alfred Brehms. Über das in der Geschichte der Tierliteratur so ungewöhnliche Werk schrieb der Germanist und Tierfilmer Andreas Schulze eine Doktorarbeit:

Cut 7: Andreas Schulze Brehms Tierleben ist unwahrscheinlich erfolgreich gewesen und gilt als eines der erfolgreichsten Tierbücher, die überhaupt jemals in Europa auf den Markt gekommen sind. Es ist auch in ungefähr 20 andere Sprachen übersetzt worden und, ja, bis heute erhältlich.

Sprecher: [In dem Maße, wie symbolisiert durch Überseekabel und Elektromotor die Industrialisierung voran schritt, wuchs gerade auch in der Bevölkerung das Bedürfnis nach einem soliden Wissen über Natur und Technik.] Der Wandel hin zu einer Wissens- und Bildungsgesellschaft wurde durch das Lexikon-Verlagshaus Meyer [in Hildburghausen] weitsichtig erkannt. Hermann Julius Meyer war, weil auch er sich an der Revolution von 1848/49 beteiligt hatte, zunächst nach Amerika geflohen. Als er in die Heimat zurückkehrte, gestaltete er den Verlag, den sein Vater – Joseph Meyer – aufgebaut hatte, konsequent um. Ihn interessierte weniger der frühere, klassische Kunstverlag als die niveauvolle und verständliche Verbreitung der modernen Wissenschaft [in der Bevölkerung].

2. Atmo: Gesang der Nachtigall

Sprecher: [Allein die Abteilung „Wirbeltiere“ umfasst in „Brehms Thierleben“ mehr als 2300 Tierporträts. Vom Aal über die Hauskatze bis zur Zwergseeschwalbe werden die Tiere der Erde knapp, anschaulich und liebevoll in Text und Bild vorgestellt.] Charakteristisch für Brehm ist, dass er sich das riesige Gebiet der Tierkunde nicht von den Säugetieren oder von den Wirbellosen aus erarbeitete, sondern von den Vögeln her. Brehm war und blieb auch in Leipzig der Sohn des Vogelpastors. Über die „seit alter Zeit hochberühmte Nachtigall“ schreibt Brehm im Vogel-Band des „Thierlebens“ im Geist des Vaters:

Zitator: „Mit unbeschreiblicher Anmut wechseln sanft flötende Strophen mit schmetternden, klagende mit fröhlichen, schmelzende mit wirbelnden; während die eine sanft anfängt, nach und nach an Stärke zunimmt und wieder ersterbend endet, werden in der anderen eine Reihe Noten mit Härte angeschlagen und melancholische, den reinsten Flötentönen vergleichbare Noten sanft in fröhlichere verschmolzen“:

Sprecher: Von 1824 bis 1827 brachte Alfreds Vater die erste ornithologische Fachzeitschrift der Welt heraus. Wolf-Dieter Busching, Direktor des Naumann-Museums in Köthen, verknüpft die Blüte der Vogelkunde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit zwei Namen: Naumann und Brehm. [Der Zoologe lüftet auch das Geheimnis, welcher Biologe der Nachtigall ihren lateinischen Namen gab.]

Cut 8: Wolf-Dieter Busching Das waren Zeitgenossen. Der Johann Friedrich Naumann und der Christian Ludwig Brehm. Eigentlich kann man sagen, der Naumann war mehr der Biologe und Ökologe

6

und der Christian Ludwig Brehm war der Systematiker. Der die Vögel in großen Serien untersucht hat. Der hat auch die sogenannte Balgornithologie erfunden. Also das heißt, dass man die Vögel nicht aufstellt, sondern einfach so ... präpariert, dass man sie biegen kann, dass man sie untersuchen kann, dass man sie gut messen kann. Auch das ganze Etikettieren, das hat Brehm alles ausgefeilt. Und letztendlich arbeiten wir immer noch danach. Und Brehm, der hat das gemacht, was Naumann natürlich zeitlich auch nicht alles konnte, der hat untersucht: Welche Vogelarten gibt es denn noch? Zum Beispiel die allbekannte Singdrossel hat der Vater entdeckt, Turdus philomelos Brehm. Oder die Nachtigall Luscinia megarhynchos Brehm . Also etliche Vogelarten hat der beschrieben. Naumann hat auch welche beschrieben, aber vergleichsweise wenig.

Sprecher: Der alte Brehm und Sohn arbeiteten im Team. Bereits in der Kindheit erlernte Alfred vom Vater das Handwerk des Ornithologen. Auch während der ersten großen Afrikareise sowie bei weiteren Expeditionen Alfred Brehms blieb der Vater wissenschaftlicher Mentor, der in Briefen praktische Ratschläge für die Sammeltätigkeit gibt. Brehm-Forscher Hans-Dietrich Haemmerlein [über die formende und prägende Rolle des Vaters Brehm]:

Cut 9: Hans-Dietrich Haemmerlein Später hat dann Alfred Brehm in Afrika bei seinen dortigen Sammelreisen vom Vater Anweisungen bekommen, auf welche Vogelarten, welche Kleider, welche Region er achten soll. Und noch später, als Alfred Brehm wieder nach Hause kam, hat der Vater arrangiert, dass der Sohn nun mal endlich ordentlich Zoologie studieren konnte und auch auf ziemlich einfache Weise in Jena promovieren konnte.

Sprecher: Dorfpastor Brehm war im zweiten Beruf leidenschaftlicher Naturkundler. Seine gesunden und begabten Söhne – er hatte auch kranke und geistig behinderte Kinder – waren nicht nur Helfer und Partner, sondern auch eine wissenschaftliche Hoffnung. Trotz des zurückgezogenen Lebens war der Pastor ein bestens unterrichteter Ornithologe, der die Artenkenntnis vervollkommnete. Am 9. Dezember 1848 schrieb er Alfred nach Afrika.

Zitator: „Nimm von Pelikanen, was möglich ist. Zwei dieser seltenen und höchst interessanten Tiere ist viel zu wenig, bei ihnen ist noch viel Ruhm zu erwerben; die Arten sind einander sehr ähnlich und noch nicht gehörig bestimmt ... Die Flamingos. Auch bei ihnen ist noch viel zu tun; [mir sagte Ehrenberg, am Roten Meere lebten andere Arten als am Nile. Prüfe auch genau, was von diesen Männchen und Weibchen sind, ich glaube, die letzteren sind viel kleiner. Hier gibt es noch viel zu tun.]“

Sprecher: Alfred Brehm führte die fünfjährige und durchaus dramatische Afrikareise zum erfolgreichen Abschluss. Mit der gesammelten Erfahrung auf dem schwarzen Kontinent schuf er die Grundlage seiner späteren Karriere. [Durch die Vermittlung des Vaters wurde der Forschungsreisende bereits im Alter von 20 Jahren in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina aufgenommen, die 1652 in Schweinfurt gegründet worden war. Der überregionalen Akademie in Deutschland gehörten Forscher wie Carl von Linné, Alexander von Humboldt, Johann Wolfgang von Goethe und Charles Darwin an.] War Alfred Brehm ein Darwinist, wie einige Brehm-Forscher

7

behauptet haben? Tierfilmer Andreas Schulze verneint das. Er macht einen Unterschied zwischen Alfred Brehm und seinem Lehrer und Mitautor Oscar Schmidt, der ein Spezialist war für die Wirbellosen Tiere:

Cut 10: Andreas Schulze Es ist immer wieder behauptet worden, dass Brehm ein Vertreter des Darwinismus gewesen sei. Das ist definitiv falsch. Wenn man sich Brehms Tierleben mal genau anschaut und alle Stellen liest, wo Darwin auftritt, das sind über 100 verschiedene Stellen, ich habe mir die alle angeschaut, dann wird man sehen, dass Darwin fast immer nur als ein gewöhnlicher Verfasser von Reiseberichten zitiert wird, der also von exotischen Tieren geschrieben hat und dass Darwin fast nie als Vertreter des Darwinismus aufgegriffen wird. Brehm stand dem Darwinismus gleichgültig bis ratlos gegenüber. Ganz im Gegensatz zu Schmidt, dem Verfasser von Band Zehn von „Brehms Thierleben“. Dort wird der Darwinismus tatsächlich wissenschaftlich aufgegriffen und Schmidt war ein entschiedener Verfechter des Darwinismus. Von Brehm kann man das aber überhaupt nicht sagen.

Sprecher: [Im Rahmen der Naturforschenden Gesellschaft begegnete Brehm dem Darwin- Übersetzer Julius Viktor Carus von der Universität Leipzig, der mit der englischen Wissenschaft sehr vertraut war.] Darwins Buch über „Die Entstehung der Arten“ stand 1860 auch auf der Tagesordnung der Akademie der Naturforscher. Doch mit der Frage der Entstehung der Arten befasste sich Brehm nicht. Ihm kam es auf die Beschreibung der vorhandenen Arten an. Seine Leidenschaft war die Tierkunde. [Aber selbst der empirisch eingestellte Brehm sah sich nicht zuletzt durch den Vater mit dem Werden der Theorie in der Biologie konfrontiert.]

Atmo 3: Rufe Kolkrabe

Sprecher: Auch Alfreds Vater hielt im Dezember 1859 einen Vortrag in der Akademie. Er reiste nicht mit leeren Händen an; er war mit großen Kisten beladen, [in denen Hunderte Vogelbälge steckten. Der namhafte Ornithologe aus Thüringen ergriff vor den Mitgliedern der Naturforschenden Gesellschaft das Wort zum Vortrag. Auch] zahlreiche Exemplare aus der Familie der Rabenvögel brachte er mit. Wie im überlieferten Sitzungsprotokoll berichtet wird, verteidigte Christian Ludwig Brehm den von ihm eingeführten Terminus der „Subspecies“. Mit dem Begriff der Unterarten wollte er ausdrücken, dass die einzelnen Arten nicht unveränderlich seien, sondern sich an die jeweilige Umwelt anpassten. Dadurch könnten bei den Organismen eine Art sichtbare äußerliche Unterschiede entstehen. Auch in Brehms „Thierleben“ wird über zwei Unterarten aus der Familie der Rabenvögel berichtet, deren Grenzlinie sich an der Elbe entlang zieht und wo bis heute Mischpopulationen zu beobachten sind.

Zitator: „Das Wohngebiet der Rabenkrähe erstreckt sich über West- und Mitteleuropa westlich der Elbe, ostwärts schließt sich daran das der Nebelkrähe an.“

Sprecher: Wer wie Brehm ein Kompendium der Tiere der Welt schreibt, muss eine Auswahl treffen, [durch die er eine Ordnung von der Natur entwirft]. Bei diesem schwierigen

8

Problem half ihm der Vater. Der fachliche Austausch zwischen Vater und Sohn führte gewissermaßen direkt in das „Illustrirte Thierleben“ hinein. Hans-Dietrich Haemmerlein:

Cut 11: Hans-Dietrich Haemmerlein Aus lauter persönlicher Leidenschaft hat Alfred Brehm bei der Erstauflage des „Thierlebens“ ziemlich rechtzeitig mit der Abteilung Vögel angefangen. Der Vater lebte noch. Und es gibt Briefe, in denen Alfred Brehm den Vater fragt: Wie mache ich das und wie mache ich das? Und es gibt Antwortbriefe vom Christian Ludwig, wo er ihn regelrecht anweist, behandle diese Art so und so und vergiss nicht dies und jenes zu erwähnen. Kann man im „Thierleben“ nachlesen.

Sprecher: Auch beim Verhalten des Kolkraben ließ Alfred das vogelkundliche Wissen seines Vaters nicht unberücksichtigt. Andreas Schulze:

Cut 12: Andreas Schulze Beim Kolkraben ist interessant, dass Alfred Brehm hier über eine Seite lang in „Brehms Thierleben“ seinen Vater zitiert. Christian Ludwig Brehm. Und zwar hat Christian Ludwig Brehm 1822 in den „Beiträgen zur Vögelkunde“, wie dieses Werk hieß, eine sehr umfangreiche Beschreibung des Verhaltens des Kolkraben geliefert. Diese Beschreibung ist auch aus heutiger Sicht noch unwahrscheinlich genau und es zeigt ganz deutlich, dass es schon vor Alfred Brehm Autoren gegeben hat, die genaue Lebensschilderungen von Tieren geliefert haben. Beispielsweise der Vater von Alfred Brehm.

Sprecher: Nicht allein der wunderschöne Flug, auch die auffällige Lautgebung der Kolkraben wurde vom Vogelpastor eingehend beschrieben.

Zitator: „Die gewöhnlichen Töne, welche beide Gatten von sich geben, klingen wie kork, kork, kolk, kolk, oder wie rab, rab, rab, daher sein Name. Man hört diese Töne sehr weit, und sie werden besonders im Fliegen ausgestoßen ... Besonders auffallend ist eine Art von Geschwätz, welches das Männchen bei der Paarung im Sitzen hören läßt, es übertrifft an Mannichfaltigkeit das Plaudern der Elster bei Weitem.“

Sprecher: Brehm Junior wurde durch sein „Illustrirtes Thierleben“ zur Kultfigur; zum Ärger mancher Kollegen. Bei deren Angriffen spielte sicher auch Neid eine Rolle. Bis heute hält sich der Vorwurf, dass Alfred Brehm die Tiere vermenschlicht habe. Doch das entsprach der Mode der Zeit. [Wenn Brehm 1860 in Nummer 12 des Journals „Die Gartenlaube“ über „Kluge Gänse“ schreibt, ist das eine Vermenschlichung. Der Wolf dagegen – Canis lupus – wird im „Thierleben“ nicht nur als „Ahnherr der Haushunde“ , sondern auch als „vierbeinigen Raubmörder“ bezeichnet, was ein unbiologisches Moralisieren darstellt. (/1/, S. 76.)] Einige Zoologen stieß dieser populäre Stil Brehms ab. Sie denunzierten den Autor als Scharlatan, der anstelle exakten Wissens unterhaltsame Tiergeschichten setzt und dadurch der Wissenschaft Schaden zufügt. Andreas Schulze:

9

Cut 13: Andreas Schulze Man kann Alfred Brehm natürlich nicht als Scharlatan bezeichnen. Er hat für damalige Zeit angemessen versucht, das Wissen über die Lebensweise der Tiere, der wichtigsten Tiere zusammenzufassen und hat das auch mit sehr großem Fleiß gemacht. Es gab keinen anderen, der so ein umfangreiches Werk über die Tiere der Welt geschrieben hat und auch so viel Wissen über die Lebensweise der Tiere zusammengefasst hat. Aber man muss eben sehen, welche Elemente hier tatsächlich neuartig gewesen sind und welche nicht. Da sind also ganz gravierende Fehlurteile im Umlauf, die immer wieder abgeschrieben worden sind von Leuten, die offensichtlich nie in „Brehms Thierleben“ reingeschaut haben.

Sprecher: Ein uneigennütziger Poet war der Autor des „Thierlebens“ sicher nicht. Alfred Brehm hatte gleich bei seiner ersten Afrikareise die Erfahrung gesammelt, dass sich mit Tieren viel Geld verdienen lässt. Wieder und wieder trieb ihn im Laufe seines Lebens der Traum vom großen Geschäft um. Hans-Dietrich Haemmerlein kennt durch das Studium der Briefe auch Brehms Vorstellungen vom schnellen Abkassieren:

Cut 14: Hans-Dietrich Hammerlein [Ein Projektemacher ist Alfred Brehm gewesen. Bekannt ist sein Hamburger Zoo, wo er bis 1866 gewirkt hat, und noch bekannter ist das Berliner Aquarium, das er ziemlich selbständig projektiert hat. Er war ja auch als Student Architekt. Projektiert 1867 bis zur Eröffnung 1869. Und dann, das ist weniger bekannt und steht auch eigentlich nur in Handschriften, dann hat Alfred Brehm nach der Wiener Weltausstellung 1873 ein Projekt gemacht für einen neuen Zoo in Wien. Dieses Projekt liegt in Handschrift vor und ist noch nicht veröffentlicht.] Ein weiteres Projekt ist gewesen, das steht auch wiederum nur in Briefen an Otto Finsch: Wollen wir nicht zusammen nach Amerika gehen, ich habe Anfragen vorliegen von Übersee, wollen wir nicht in Amerika zoologische Gärten gründen, dort ist es jetzt gerade finanziell und grundstücksmäßig günstig, wollen wir nicht nach Amerika gehen, dort tüchtig Zoos aufbauen, tüchtig absahnen, tüchtig kassieren und dann mit den Einnahmen schleunigst wieder nach Europa verschwinden.

Sprecher: Während sich so mancher Plan in Luft auflöste, erwies sich das gemeinsame Projekt mit dem Verleger Hermann Julius Meyer – erst in Hildburghausen und dann im Bibliographischen Institut in Leipzig – als grandios gelungen. „Brehms Thierleben“ schmückte im In- und Ausland die Bücherschränke einer breiten Leserschaft. Und das schon zu Lebzeiten des sprach- und phantasiebegabten Tierschriftstellers. In der Freimaurer-Zeitung, die Moritz Alexander Zille in Leipzig herausgab, wurden bereits 1865 die ersten Lieferungen des „Thierlebens“ mit der zutreffenden und anerkennenden Feststellung besprochen:

Zitator: „Die Naturwissenschaften populär und ihre Resultate dem Volke zugänglich zu machen, ist einer der wesentlichsten und nicht hoch genug anzuschlagenden Fortschritte der Neuzeit.“

Sprecher: 1884, am 11. November, starb Alfred Brehm. Sein Grab befindet sich in Renthendorf in Thüringen.

10

* * * * *

Verwendete Literatur:

(1) Der farbige Brehm. Jubiläumsausgabe. Überarbeitet und ergänzt von Theo Jahn. Freiburg/Basel/Wien 1990. (Die Ausgabe stützt sich auf die zweite Auflage „Brehms Tierleben“, die von 1876 bis 1879 in Leipzig erschien.)

(2) Hans-Dietrich Haemmerlein: Der Sohn des Vogelpastors. Szenen, Bilder, Dokumente aus dem Leben von Alfred Edmund Brehm. Berlin 1985.

(3) Hans-Dietrich Haemmerlein: Thüringer Brehm Lesebuch. Jena 1996.

(4) Hans-Dietrich Haemmerlein: Zur Biographie und Charakteristik des Barons von Müller. In: Bl. Naumann-Mus. 22 / 2003. S. 58 – 89.

(5) Bernhard Schneider: Leipzig – ein Boden für eine Pflanze wie Alfred. Der Leipziger Aufenthalt (1858-1862) von Alfred Brehm und seine Freundschaft mit dem Naturforscher und naturwissenschaftlichen Volkslehrer Emil Adolf Roßmäßler. In: Leipzig aus Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Stadtgeschichte 5. Leipzig 1988. S. 29-67.

(6) Andreas Schulze: „Belehrung und Unterhaltung“ Brehms Tierleben im Spannungsfeld von Empirie und Fiktion. München 2009.

* * * * *

11