surface: die poesie des materials chun kwang young – gotthard graubner – anselm kiefer

Inhaltsverzeichnis Content Keumhwa Kim Mehr als Oberfläche 6 More than Surface

Petra von Olschowski Aus Leidenschaft 10 With Passion

Andreas Kaernbach Material und Farbe – Anselm Kiefer und Gotthard Graubner 14 Material and Paint – Anselm Kiefer and Gotthard Graubner

Oh, Kwang-Su Landschaft als Struktur – Chun Kwang Young 36 The Landscape as Structure – Chun Kwang Young

Birgit Hopfener Interview mit Chun Kwang Young 60 Interview with Chun Kwang Young

Karin Scheuermann Junge Positionen aus der Sammlung Alison und Peter W. Klein 64 Young Positions from the Alison and Peter W. Klein Collection

Künstlerbiographien 76 Artists‘ Biographies

Impressum 78 Imprint Keumhwa Kim Mehr als Oberfläche More than Surface Keumhwa Kim Anders als diese Künstler verwendet der Künstler auf der flachen Maloberfläche eine dreidimensiona- Mehr als Oberfläche Chun Kwang Young das Maulbeerbaumpapier als le, räumliche Illusion und evoziert eine inhomogene Mittel, um sich von der traditionellen europäischen und unruhige Faktur, die den Betrachter abstrahier- „Surface: Die Poesie des Materials“ stellt drei be- Vorstellung der Malerei zu lösen. Dies erwies sich te, undefinierbare Berglandschaften oder verwüs- deutende Künstler aus Deutschland und Korea – als die entscheidende Innovation seiner künstleri- tete Mondlandschaften assoziieren lässt. Bei nähe- Chun Kwang Young, Gotthard Graubner und Anselm schen Praxis. Statt mit Pinsel und Farben zu arbei- rer Betrachtung stellt man fest, dass diese mit dem Kiefer – vor und zeigt ihre Auseinandersetzung mit ten, bringt er in seinen Arbeiten seit 1994 tausen- Maulbeerbaumpapier umhüllten Fragmente im Ein- dem Thema der Materialität in der Kunst. Den Ar- de von kleinen pyramidenförmigen Fragmenten auf zelnen mit Papierschnur zusammengebunden sind. beiten der drei Künstler ist trotz ihrer unterschiedli- die Leinwand, die mit Koreanisch und Chinesischer Hier fungiert das Papier nicht nur als ein der Ober- chen Materialwahl und des unterschiedlichen Um- Schrift bedrucktem Maulbeerbaumpapier umhüllt fläche formgebender und haptischer Faktor, sondern gangs damit gemein, dass sie in besonderer Weise sind. Geboren 1944 in Hongcheon, Südkorea, stu- suggeriert dem Betrachter einen Erinnerungsraum. auf die taktile und haptische Oberfläche (Surface) dierte Chun Kwang Young von 1964 bis 1971 Kunst Das einzelne verpackte Fragment evoziert das ko- hinweisen, und sich ihre Werke dadurch im Über- in Seoul, Philadelphia und New York. Nach seiner reanische traditionelle Ritual des „Verpackens“ der gang vom Bild zum Objekt befinden. Rückkehr aus den USA nach Korea wandte er sich Gaben. Das handgeschöpfte Tak wurde wegen sei- von der amerikanischen und europäischen abstrak- ner elastischen und zugleich zähen Beschaffenheit Im Mittelpunkt der Ausstellung „Surface: Die Poe- ten Malerei ab und fand eine neue Bildsprache in im Alltag zum Verpacken und Bewahren verwendet. sie des Materials“ steht die Bedeutung des Materi- dem gebrauchten koreanischen Maulbeerbaumpa- Chuns über mehr als 20 Jahre währendes künstle- als als Medium der Kunst. Das Material im Sinne ei- pier aus Antiquariaten. Mittels spezieller Farbpig- risches Schaffen mit Tak besteht aus dem sich wie- nes physischen Stoffes war im Kontext der europä- mente sowie Rastertechnik erzielt der Künstler sub- derholenden Akt des „Verpackens“ mit dem von ischen Philosophie und Kunsttheorie lange Zeit ne- tile Farbabstufungen und Übergänge von zwei- zu Zeit- und Ortsspuren geprägten Tak und dem Akku- gativ konnotiert. Es wurde als Gegenbegriff zur Form dreidimensionalen Farbkörpern auf der Bildober- mulieren dieser Erinnerungsfragmente auf die Lein- und Idee (disegno) verstanden, und gehörte der nie- fläche. Hinsichtlich der monochromen Farbgebung wand. Seine „Aggregation“ manifestiert sich hier als deren Sphäre des Alltags an, die durch künstleri- und des geometrischen Bildformats, das über die Ort der Erinnerungen, der nur durch die physische sche Gestaltung überwunden werden sollte.1 Leinwand hinausgeht, wurde seine Kunst bisher in Präsenz des Papiers evoziert zu werden scheint. die Tradition des Minimalismus und Colour Field Erst seit dem frühen 20. Jahrhundert werden Materi- Painting gestellt. Auch in Kiefers Werken fällt der physischen Präsenz alien nicht nur als der Form dienende Werkstoffe be- des Materials eine entscheidende Rolle zu. Seit den trachtet, sondern erfahren als autonome ästhetische Die Ausstellung möchte die Werke des koreanischen achtziger Jahren integriert der Künstler zunehmend Kategorie eine neue Aufmerksamkeit. Die physikali- Künstlers jedoch nicht explizit im Kontext euro-ame- verschiedene Materialien wie Naturstoffe, Alltags- sche Beschaffenheit und die geschichtliche Bedeu- rikanischer Kunstgeschichte verorten, sondern ge- objekte, Haare, Pflanzen und Sand in seine Land- tung der Materialien rücken in den Mittelpunkt. Nicht rade über die Parallelen und Gegensätze eine Aus- schafts- und Architekturmalerei, die auch die deut- nur Farbe und Stein können als künstlerische Mate- einandersetzung anregen, indem sie Chuns Arbei- sche Geschichte und Mythologie thematisieren.6 Die rialien verwendet werden, sondern alles: Rohstoffe ten den Werken der Künstler Anselm Kiefer und Materialien werden von dem Künstler persönlich ge- ebenso wie industriell produzierte Werkstoffe, Alltags- Gotthard Graubner aus der Sammlung Klein un- sammelt, aufbewahrt, getrocknet und aufgearbeitet. gegenstände, Abfall, Pflanzen oder tierische Stoffe.2 ter dem Aspekt der Materialästhetik gegenüberstellt. Sie dienen dabei weder der Illustration einer Ge- Für die ausgestellten Künstler ist das Material nicht schichte noch dem direkten Verweis auf einen Bil- Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der koreanische nur ein formalästhetischer Bestandteil des Mediums dinhalt, eher erhöhen sie die Rätselhaftigkeit seiner Künstler Chun Kwang Young. Vor etwa 10 Jahren er- Bild, sondern auch die physische Präsenz, die auf Arbeiten.7 Dadurch fordert er den Betrachter zur warb das Sammlerpaar Klein, „Aggregation 02-L114, die Bildwirklichkeit verweist. Davon ausgehend will sinnlichen Wahrnehmung der physischen Präsenz 2002“ von Chun Kwang Young in Sydney. Seitdem die Ausstellung zeigen, wie unterschiedlich die drei in seinen Bildern auf und bringt einen bestimmten gehört diese Arbeit zum festen Bestand der Samm- Künstler, bedingt durch ihre individuelle Auffassung Assoziationsprozess ins Spiel. Die Interaktion zwi- lung Klein. Die Faszination des Sammlerpaars für von Bildwirklichkeit und Formalästhetik mit Materia- schen Materialität und Undurchsichtigkeit in Kiefers die Arbeit Chuns beruhte vor allem auf der Schön- lität umgehen. Werken bezeichnet Dieter Honisch als eine wichtige heit des verwendeten koreanischen Papiers, „Tak“. künstlerische Strategie, durch die der Künstler ver- Dieses Papier, hergestellt aus Maulbeerbäumen, er- Material als Spuren der Erinnerung: Chun und Kiefer sucht, die Grenze zwischen Wirklichkeit und Illusi- fuhr im Zuge der monochromen Bewegung3 in Korea on aufzuheben.8 zunehmende Aufmerksamkeit. Künstler wie Chung, Durch die spannungsreiche Anordnung tausender Chang-Sup und Park, Seo-Bo haben bereits in den Papierfragmente in unterschiedlichen Größen und Verkörperung der Farbe als Material: Chun - Graubner 70er und 80er Jahren in ihrer monochromen Malerei Farbtönen bildet Chun Landschaftspanoramen5 oder die besondere Textur des Papiers herausgearbeitet illuminierende Farbfelder. Durch die trompe l’oeil - In ihrem Verzicht auf das Gegenständliche im Bild und den traditionellen Wert des Papiers thematisiert.4 Technik, die er seit 2004 verstärkt einführt, erzielt er und im Aufgreifen des autonomen Wertes der Far-

7 be und des Lichts sind Gotthard Graubner und Wetter, Axel Hrdina und Gabriele Balzer, den Auto- It is only since the early 20th Century that ma- Chun Kwang Young verwandt. Während Chun sich ren des Kataloges, Petra von Olschowski, Dr. Andre- terials have been no longer viewed as mere wor- dem eingefärbten Maulbeerbaumpapier als künst- as Kaernbach, Dr. Birgit Hopfener und Oh, Kwang- king substances in service of form but have recei- lerischem Medium konsequent verschrieben hat, Su sowie Uwe Rommel und seinem Team für ihre ved considerable attention as an autonomous aest- bedient sich Graubner der Farbe, dem ureigens- großzügige Unterstützung bei der Realisierung des hetic category. Now the sheer physical quality and ten, tradierten künstlerischen Material in allen Ei- Projekts. the historical significance of materials are moved genschaften und Farbwirkungen. Dabei entwickel- into the focus of attention. It is not only paint and 1 te Graubner eine eigene Technik, um unterschied- Wagner, Monika: Das Material der Kunst, eine andere Geschichte stone that can be employed as artistic materials der Moderne, München 2001, S.11 ff liche räumliche Farbwirkungen zu erreichen. Sei- Vgl. Rübel, Dietmar, Wagner, Monika, Wolff, Vera (Hrsg.) : Material- but everything – raw materials as much as indust- ne sogenannten »Kissenbilder« entstehen durch ästhetik, Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur, rially produced materials, everyday objects, garba- 2005, S. 323-324 den Farbauftrag auf verschiedenen Lagen von Wat- 2 Wagner, Monika: Das Material der Kunst, eine andere Geschichte ge, plants, or materials derived from animals.2 te, Schaumstoff und synthetischen Stoffbahnen. Je der Moderne, München 2001, S.12 ff 3 Vgl. Biggs, Lewis, Working with nature: Selector´s Introduction, In: nach Wölbung und Vertiefung des Materials entwi- Ausstellungskatalog Working with Nature, Traditional Thought in At the centre of the exhibition stands the Korean ckelt die Farbe ein ganz eigenes Leben und variiert contemporary art from Korea, Tate Gallery Liverpool (Hrsg.), artist Chun Kwang Young. Some ten years ago, the 08. April - 21. June 1992, Liverpool 1992 in Intensität und Wirkung.9 Die daraus resultieren- 4 Ebd. Kleins acquired Chun Kwang Young’s “Aggregati- 5 den koloristischen Nuancen steigern die Räumlich- In den Arbeiten ab 2004. on 02, 2002” in Sydney. Since that time, this pi- 6 Vgl. Arasse, Daniel: Anselm Kiefer, München 2001, S. 221 ff keit und Plastizität im Bild. 7 Vgl. Honisch, Dieter, Die Bildwirklichkeit Kiefers, In: Ausstellungs- ece has been part of the central holdings in the katalog Anselm Kiefer, Nationalgalerie Berlin (Hrsg.), 10. März – Klein Collection. The fascination the two collec- 20. Mai 1991, Berlin 1991, S. 10 Bei Chun dient die Farbe wesentlich dazu, den 8 Ebd. S.14, „[…] erst aus der „Ungenauigkeit“ (Adriani) der gegen- tors felt for Chun’s work derived above all from the Farbträger, das mit Tak umwickelte Fragment, von ständlichen Zuweisung und der „Vergessenheit“ (Inboden), der die beauty of ‘tak’, the Korean paper there employed. Historie anheimgefallen ist, resultiert die neue Bildwirklichkeit Kie- seinem zweidimensionalen Bildrahmen zu befreien fers, die sich allein auf die materielle und physische Präsenz seiner This paper, made from mulberry trees, came in for und zu räumlicher Gesamtwirkung zu führen. Mit- Bilder und die Vorstellungskraft des Betrachters stützt. Wir erken- increased attention in Korea in the course of the nen Bedingungen unserer eigenen Existenz dadurch, dass die tels Naturstoffen wie Tee und Pflanzen erfindet er Erinnerungen an konkrete sinnliche Erfahrung gebunden wird. Den monochrone movement.3 As early as the 1970s eine eigene reduzierte Farbpalette. Die nuancenrei- letzten Sinn erfahren dieser Werke erst in uns selbst.“ and 1980s, artists such as Chung, Chang-Sup and 9 Franz, Erich, Bestimmtheit des Werdens, Form und Prozess in che Farbgebung in seinen Werken beruht nicht auf Graubners Malerei, In: Ausstellungskatalog, Gotthard Graubner, Park Seo-Bo pointed up the special texture of this dem materialbedingten Zufallsprinzip wie bei Graub- Malerei und Zeichnung, Dresdner Schloß und Albertinum, 29. Mai paper in their monochrome paintings and thema- - 6. August 2000, Museum Küppersmühle, Sammlung Grothe, ner, sondern ist das Resultat einer vom Künstler im 4. November 2000 – 14. Januar 2001, 2000, S.25-34 tized the traditional value of paper.4 Detail komponierten Inszenierung, die im Zusam- menspiel mit Licht zum Vorschein kommt. Keumhwa Kim In contrast to these painters, however, the artist More than Surface Chun Kwang Young uses the mulberry tree paper „Surface: Die Poesie des Materials“ im Anschluss as a means of liberating himself from the traditi- an die Ausstellung, „Kunst aus Australien, Tradition “Surface: Die Poesie des Materials” presents three onal European conception of painting. This tur- und Moderne“ zu zeigen ist eine konsequente Um- important artists from Germany and Korea – Chun ned out to be the decisive innovation in his artis- setzung der Intention der Sammlung Klein, ihre Viel- Kwang Young, Gotthard Graubner, Anselm Kiefer tic praxis. Instead of working with paintbrush and falt und die Diversität der Kunstwelt offensiv mitein- – and shows how they each come to grips with the colour, he has, in his works since 1994, applied to ander in Dialog treten zu lassen. topic of materiality in art. Despite the variety of his canvases thousands of small, pyramid-shaped the materials they choose and their different hand- fragments wrapped in mulberry paper printed in Mein besonderer Dank gilt deshalb Alison und Peter ling of them, the three artists have in common Korean and Chinese. Born 1941 in Hongcheon, W. Klein, die sich sofort für die Ausstellungsidee be- that their works all refer in an especial way to the South korea, Chun Kwang Young studied from geistert haben und mit Enthusiasmus und Großzü- tactile and haptic surface, the works thus being in 1964 to 1971, art in Seoul und in Philadelphia gigkeit das Projekt finanziert und unterstützt haben. transition from picture to object. and New York. After his return to Korea from Ame- Ohne ihren unbefangenen Blick auf und ihr großes rica, he turned away from American and European Interesse für die Kunst wäre diese Ausstellung nicht The exhibition “Surface: The Poetry of Material” abstract art and found a new pictorial language in möglich gewesen. focuses on the significance of physical material as used Korean mulberry paper found in second-hand a medium of art. In the context of European phi- bookshops. By means of special colour pigments Ausdrücklich danken möchte ich auch Chun Kwang losophy and art theory, material in the sense of a and a grid technique, the artist achieves subtle co- Young, der mit großer Begeisterung und Bereit- physical substance carried for a long time negati- lour gradations and transitions from two-dimensi- schaft die Werke zur Verfügung gestellt hat. Ich dan- ve connotations. It was understood as the antithe- onal to three-dimensional bodies of colour on the ke auch sehr dem Team seines Studios, Chang, sis of form and idea (disegno), and was assigned surface of the picture. In view of the monochrome Min-Young, Choi, Go-Eun und den Mitarbeitern des to the lower sphere of everyday life, which was to coloration and the geometric picture format, which Museums Kunstwerk, Karin Scheuermann, Brigitte be transcended by artistic shaping.1 goes beyond the canvas, his art has hitherto been

8 placed in the tradition of minimalism and colour In Kiefer’s works also, the sheer physical presence Staging the exhibition “Surface: The Poetry of Ma- fields painting. of material is assigned a decisive role. Since the terial” to follow on from the exhibition “Art in Aus- 1980s the artist has been increasingly integrating tralia. Tradition and Modernity” is an unswerving The aim of the current exhibition, however, is not a variety of materials such as natural substances, enactment of the Klein Collection’s policy of setting to locate the works of the Korean artist explicit- everyday objects, hair, plants and sand into his up a confrontative dialogue between its own multi- ly in the context of Euro-American art history, but landscape and architectural painting thematizing plicity and the diversity of the art world. to encourage precisely an argumentative dialogue German history and mythology.6 The materials are with the latter by juxtaposing Chun’s works with gathered personally by the artist, stored, dried and I should like, therefore, to offer an especial vote works by the artists Anselm Kiefer and Gotthard prepared for use. The materials so employed in of thanks to Alison and Peter Klein, who have fi- Graubner from the Klein Collection as regards the Kiefer’s works do not serve to illustrate a story nanced and supported the present project with both aesthetics of materials. For the artists on display or to refer directly to the content of a painting. swift enthusiasm and great generosity. Without their here, the material is not a formal-aesthetic compo- They tend rather to heighten the mysteriousness unprejudiced eye for, and intense interest in, art nent of the medium of the picture, but also a phy- of his works.7 In this way he summons the viewer this exhibition would not have been possible. sical presence that refers to the reality of the pic- to a sensory perception of the physical presence in ture. From this starting point the exhibition sets his pictures, so setting a certain process of associ- My express thanks go also to Chun Kwang Young out to show how differently the three artists deal ation in train. Dieter Honisch describes the inter- for the readiness and enthusiasm with which he with materiality, under the impact of their indivi- action between materiality and impenetrability in has made his works available. Sincere thanks are dual conceptions of pictorial reality and of the ae- Kiefer’s oeuvre as a key artistic strategy, by means due also to his studio team, Chang, Min-Young, sthetics of form. of which the artist attempts to eliminate the bor- Choi Go-Eun, as also to the staff of Museum Kunst- derline between reality and illusion.8 werk, Karin Scheuermann, Brigitte Wetter, Axel Hr- Materials as Traces of Memory: Chun and Kiefer dina and Gabriele Balzer, to the authors who contri- Embodiment of Colour as Material: Chun - Graubner buted pieces to this Catalogue, Petra von Olschow- Chun forms panoramic landscapes5 or illumina- ski, Dr. Andreas Kaernbach and Dr. Birigit Hopfe- ting fields of colour by means of the tension-rich Gotthard Graubner and Chun Kwang Young are ner, Oh, Kwang-Su and to Uwe Rommel and his arrangement of thousands of paper fragments of closely related in their renunciation of representati- team for generous support in bringing this project varying sizes and colour tones. With the trompe- onality in the picture and in their taking up the au- to completion. l’oeil technique which he introduces increasingly tonomous value of colour and light. While Chun has 1 from 2004 on, he achieves a three-dimensional, consistently championed dyed mulberry paper as an Wagner, Monika: Das Material der Kunst, eine andere Geschichte der Moderne, Munich 2001, pp. 11 ff. Cf. Rübel, Dietmar, Wagner, spatial illusion on the flat painted surface and artistic medium, Graubner makes use of paint – the Monika, Wolff, Vera(Eds.): Materialästhetik, Quellentexte zu Kunst, so evokes a non-homogeneous, unsettled treat- quintessential traditional artistic material – in all Design und Architektur, Hamburg 2005, pp. 323-324 2 Wagner, Monika: Das Material der Kunst, eine andere Geschichte ment arousing in the viewer associations of abs- its characteristics and colour effects. Graubner has der Moderne, Munich 2001, pp. 12 ff 3 tract, undefinable mountain landscapes or devas- here developed a technique of his own to achie- cf. Biggs, Lewis, Working with nature: Selector´s Introduction, In: Exhibition catalogue: Working with Nature, Traditional Thought in tated moonscapes. On closer inspection, one re- ve various spatial colour effects. His so-termed Contemporary Art from Korea, Tate Gallery Liverpool (ed.), 8. April – cognizes that these fragments wrapped in mul- ‘cushion pictures’ are created via the applying of 21. June 1992, Liverpool 1992 4 Ibid. berry paper are individually tied together with pa- paint to various layers of cotton wool, foam materi- 5 in the works from 2004 on 6 per thread. Here the paper not only functions as al and strips of synthetic fabric. The paint develops Daniel Arasse, Anselm Kiefer, Munich 2001 pp. 221 ff 7 cf. Honisch, Dieter, Die Bildwirklichkeit Kiefers, In: Exhibition a haptic factor giving form to the surface, but a life all of its own, varying in intensity and effect, catalogue Anselm Kiefer, Nationalgalerie Berlin (ed.), 10 March – also arouses in the viewer suggestions of a realm depending on the curvature and recesses of the ma- 20 May 1991, Berlin 1991, p. 10 8 lbid. p.14, „[…] erst aus der „Ungenauigkeit“ (Adriani) der gegen- of memory. The individual packed fragment evo- terial.9 The resulting nuances of coloration enhance ständlichen Zuweisung und der „Vergessenheit“ (Inboden), der die kes the traditional Korean ritual of the ‘packing’ the picture’s spatiality and plasticity. Historie anheimgefallen ist, resultiert die neue Bildwirklichkeit Kie- fers, die sich allein auf die materielle und physische Präsenz seiner of gifts. Hand-crafted tak was used in everyday Bilder und die Vorstellungskraft des Betrachters stützt. Wir erkennen life for purposes of packaging or preserving on ac- In Chun’s oeuvre, colour serves essentially to libera- Bedingungen unserer eigenen Existenz dadurch, dass die Erinne rungen an konkrete sinnliche Erfahrung gebunden wird. Den letz- count of its elasticity and simultaneous tough- te the colour-bearer – the fragment wrapped in tak – ten Sinn erfahren dieser Werke erst in uns selbst.“ [Kiefer’s new ness. Chun’s artistic output has – for more than from its two-dimensional picture frame and to carry it pictorial reality results only from the „inexactitude (Adriani)“ of the representational allocation and the „oblivion (Inboden)“ to which 20 years now – consisted of the repeated act of on to achieve an overall spatial effect. Using natural history has succumbed, the reality resting only on the material and physical presence of his pictures and on the imagination of the ‘packing’, using tak paper that bears traces of its fabrics such as tea and plants, Chun invents his own viewer. We recognize conditions of our own existence through the time and place, and of accumulating these fra- reduced colour palette. The rich nuances of colorati- memories being linked to specific sensory experience. These works achieve their ultimate sense in us ourselves.] gements of memory on the canvas. His ‘aggrega- on in his works derive not from a material-based prin- 9 Franz, Erich, Bestimmtheit des Werdens, Form und Prozess in tion’ manifests itself here as a locus of memory ciple of chance as in Graubner, but are the result of a Graubners Malerei, In: Exhibition cat., Gotthard Graubner, which seems to be evoked only through the physi- stage-production composed in detail by the artist and Malerei und Zeichnung, Dresdner Schloß und Albertinum, 29 May – 6 August 2000, Museum Küppersmühle, Sammlung Grothe, cal presence of paper. revealing itself in the interplay with light. 4 November 2000 – 14 January 2001, 2000, pp. 25-34

9 Petra von Olschowski Aus Leidenschaft. With Passion. Petra von Olschowski Der erste Satz könnte dann lauten: Den Anfang mar- Ihr Verhältnis ist bis heute ein erfrischend offenes: Aus Leidenschaft. Zur Sammlung von kiert ein Gespräch. Auf einer Eröffnung lernt Peter unmittelbar, direkt, begeisterungsfähig, sensibel. Für Alison und Peter W. Klein W. Klein den Maler Wolfgang Kappis kennen und Alison und Peter W. Klein zählt in erster Linie die beginnt, fasziniert von dessen Aquarell „Mohnfeld „emotionale Verbindung“ zu einer Arbeit, unabhän- Den Anfang markiert ein Bild: das Aquarell „Mohn- vor einem Dorf“, eine Unterhaltung – „und auf ein- gig von Nationen, Sprachen und kulturellen Wurzeln feld vor einem Dorf“, 1989 entstanden und kurz mal stellte ich fest, es gibt ja noch eine ganz andere – es geht weniger um rationale, vom Markt gesteu- darauf von Peter W. Klein in einer Ausstellung ent- Welt als meine, ganz andere, interessante Lebenswe- erte oder vom Zeitgeist gelenkte Interessen. deckt und gekauft. Jahrelang hing es im Büro des ge“, erzählt Peter W. Klein später im Rückblick. Be- Unternehmers Klein, eine Art Glücksbringer, der die reits bei seinem zweiten Galeriebesuch begegnet der Und doch hat sich der Blick des Ehepaars Klein weiteren Ankäufe in Sachen Kunst in gutem Sinn Unternehmer dann dem Künstler Hans Mendler, der über die Jahre hinweg verändert, geschult, weiterge- begleiten sollte. Das gelang. Etwa zehn Jahre später zu einem Freund wird. Wieder fasziniert ihn neben bildet und wurde differenzierter. Die Sammler sind zählte die Sammlung von Alison und Peter W. Klein den Bildern der Mensch, der sich im künstlerischen mit und an ihrer Sammlung gewachsen. Von Anfang bereits 300 Werke. Heute sind es mehr als 1500 Werk zeigt, die Gedanken, Gefühle, Erfahrungen ei- an gab es weder stilistische, technische noch mer- Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künst- ner anderen Persönlichkeit, an der er über das Ge- kantile Vorgaben. Und so haben sich die Schwer- ler aus aller Welt, die der Sammlungskatalog auf- malte und Gezeichnete teilhaben kann. „Ein Bild“, punkte nach und nach herauskristallisiert und teil- listet: bekannte und unbekannte Namen, Stars der sagt Peter W. Klein, „öffnet Horizonte, lässt einen in weise auch verändert. Eine Sonderrolle im Gesam- Szene, die in allen großen Museumshäusern der andere Lebenswelten eindringen und diese verste- ten spielt der umfangreiche Sammlungsteil, der der Welt vertreten sind, und junge Aufsteiger, stille Ar- hen.“ Man könnte auch sagen: Es geht um das Er- zeitgenössischen Kunst der Aborigines gewidmet ist. beiten und spektakuläre, gewichtige und leichte, kennen des Eigenen im Fremden und umgekehrt. Da diese Arbeiten auf einer anderen Bildtradition verführerisch schöne und aufwühlend irritierende, gründen und mit anderen Kriterien gemessen wer- vertraute und fremde. Persönliche Begegnungen und die Neugier auf an- den müssen, als Werke aus Europa, Asien oder den dere Lebensmodelle und Weltsichten sind bis heu- USA, stößt ein allein an westlicher Kunst geschulter Diese Zahlen stehen nicht nur für die große Dyna- te ein wesentlicher Antrieb für das Sammlerehe- Blick hier an seine Grenzen. Ohne die Kenntnis der mik, mit der sich diese außergewöhnliche Privat- paar – nur dass sich das Netzwerk mit der Zeit we- Erzählungen über die Traumzeit ist ein umfassen- sammlung in den letzten Jahren entwickelt hat. Ge- sentlich erweitert hat und professioneller geworden des Verständnis schwierig. Trotzdem kann man fest- wachsen ist nicht nur die Summe, sondern auch ist. Zunächst waren es die Geschäfte seines Unter- stellen, dass die Energie und die Ausstrahlung der der Anspruch, die Leidenschaft, die Kenntnis und nehmens Rectus, die Peter W. Klein in die USA und Bilder und Objekte faszinieren. Aus wissenschaftli- der Wunsch, die Menschen an der eigenen Freude nach China führten, nach Südafrika und Argentini- cher Sicht haben Ausstellungen dieser Werkgrup- und dem inneren Gewinn teilhaben zu lassen. Was en, Schweden, Australien oder Japan. Er nutzte die pe unter anderem im Stuttgarter Lindenmuseum ge- zunächst im Gebäude der Firma Rectus in Nuss- Gelegenheit und jede freie Minute, um die Galerien zeigt, wie sicher und gut beraten die Sammler aus- dorf nur einigen Insidern zugänglich war, ist heute vor Ort zu besuchen. Mittlerweile ist es die Kunst gewählt haben. in dem von dem Architekten Folker Rockel erbau- selbst, die das Ehepaar Klein reisen lässt – von ten Museum „Kunstwerk“ für Jedermann zu ent- Galerie zu Galerie, von Museum zu Museum, von Wendet man sich dem Hauptteil der Sammlung zu, decken. Ausstellungen, Veranstaltungen, Führun- Messe zu Messe führt sie ihre Leidenschaft. Es mag so lässt sich kaum ein gemeinsamer Nenner fest- gen finden regelmäßig statt, der Preis der „Alison hilfreich sein, dass Peter W. Klein es als Marathon- stellen – Vielfalt ist Programm. Zeigte sich zu Beginn und Peter W. Klein Stiftung“ wird jährlich vergeben, Läufer gewohnt ist, lange Strecken zurückzulegen eine gewisse Dominanz der Malerei vor der Gra- und alle wichtigen Führer und Publikationen, die zu und dabei auf seinen Puls zu achten. Die produkti- fik, so kann man heute feststellen, dass Fotografie den interessantesten Privatsammlungen Deutsch- ve Spannung, die zwischen Leidenschaft, Energie, und Video eine immer wichtigere Rolle einnehmen. lands erscheinen, verweisen selbstverständlich auf Kraft und Geduld entsteht, weiß er zu nutzen. Er hat Zum allergrößten Teil handelt es sich um aktuell ent- das Klein’sche Museum. Das „Kunstwerk“ ist zu ei- einen langen Atem und liebt es, an Grenzen zu sto- standene Arbeiten, auch wenn man Namen wie ner Marke für Neuentdeckungen geworden, kom- ßen, diese zu überwinden und in neues Terrain vor- Andy Warhol, Frank Stella oder Robert Rauschen- men sie nun aus Europa, Asien, Amerika, Australi- zudringen. berg ebenfalls finden kann. Oft steht der Mensch im en oder Afrika. Zentrum des Bildes, kündet Düsternis von Geheim- Im Miteinander ist es dann oft die gebürtige Ame- nissen. „Ein Kunstwerk, das etwas zu verbergen Was sich aus heutiger Sicht als so stringent, klar rikanerin Alison Klein, die ruhig bleibt und präzi- scheint, das nur Andeutungen macht, fordert einen entwickelt und erfolgreich darstellt, ist das Ergebnis se überprüft, ob eine Arbeit wirklich in die Samm- immer wieder heraus und erschöpft sich nie“, sagt eines spannenden und ursprünglich offenen We- lung aufgenommen werden soll, wenn ihr Mann bei Peter W. Klein. ges. Erzählt man dessen Geschichte, könnte man einem Galerie- oder Atelierbesuch mal wieder die- auch anders als mit Zahlen beginnen und würde ses „Kribbeln im Bauch“ fühlt und eine „Gänse- Immer wichtiger wurde es für die Sammler zudem, auf diesem Weg ein weiteres wesentliches Merkmal haut“ bekommt. Beide zusammen sind ein Samm- junge Künstler über die Jahre hinweg konsequent der Sammlung Klein in den Mittelpunkt rücken. lerteam, wie man es sich als Kunstfreund wünscht. zu begleiten. Das gilt nicht nur für den europäischen

11 Raum, sondern im Besonderen auch für Asien. Chi- sonal collection has developed over the past years. the collection of the Kleins – only that their net- nesische Künstler spielten von Anfang an eine gro- What has grown is not only the sum total, but the work has, over time, become considerably broa- ße Rolle, mittlerweile gehören zahlreiche japanische ambition, the passion, the connoisseurship and der and more professional. At first, it was the busi- und vor allem auch koreanische Künstler zum fes- the desire to let others share this personal pleasu- ness affairs of his Rectus Company that took Pe- ten Stamm. Früh entdeckte das Ehepaar Klein über- re, this inward enrichment. What was at first ac- ter W. Klein to the USA and to China, to South Af- dies Gregory Crewdson, Rosemary Laing oder Izima cessible only to a few insiders in the Rectus Com- rica and Argentina, to Sweden, Australia or Japan. Kaoru. Wichtige Namen der Sammlung sind heu- pany buildings in Nussdorf, can today be disco- He seized his opportunity, using every minute of te aber auch Anselm Kiefer und Gotthard Graub- vered by anyone and everyone in the ‘Kunstwerk’ free time to visit galleries on the spot. Nowadays ner (wie diese Ausstellung zeigt), Shirin Neshat oder Museum designed by the architect Folker Rockel. it is art itself that prompts the couple’s travels, Markus Oehlen. Neu dazu gekommen und derzeit Exhibitions, events and guided tours take place their passion leading them from gallery to gallery, von großer Bedeutung sind außerdem eine Reihe on a regular basis, the Alison and Peter W. Klein from museum to museum, from art fair to art fair. deutscher Künstlerinnen wie Karin Kneffel, Kathari- Foundation Prize is awarded annually, and all the It may have been a help that Peter W. Klein, being na Hinsberg, Susanne Kühn, Brigitte Waldach, Jose- important guides and publications on Germany’s a marathon runner, is accustomed to covering phine Meckseper und Ulrike Heydenreich. most thought-provoking private collections make long distances and paying heed to to his pulse-ra- reference as a matter of course to the Kleins’ mu- te in the process. He is able to exploit the produc- Allein diese wenigen Namen aus dem großen Kreis seum. The ‘Kunstwerk’ has become a byword for tive tension that arises between passion, energy, der Sammlung Klein zeigen, dass es nach mehr als new discoveries, be they from Europe, Asia, Ame- strength and patience. He has stamina and enjoys zwanzig Jahren wohl so weiter geht, wie es begon- rica, Australia or Africa. coming up against limits, overcoming them and nen hat: aufgeschlossen, risikofreudig und mit der pressing on into new territory. richtigen Mischung aus Freude und Ernst, Begeis- What seems from the current perspective to be so terung, Erfahrung und Kenntnis. Vor allem aber mit stringent, so clearly articulated and so success- In the discussions that ensue when, on a visit to Neugier auf neue, unbekannte Reisewege durch ful, is in fact the result of a gripping journey, who- an art gallery or artist’s studio, her husband again das weite Feld der Kunst. Dieses zu erkunden, se outcome was originally open. If its story is to be feels the ‘tingle of excitement’ and his ‘pulses ra- bleibt ein Abenteuer für Alison und Peter W. Klein. told, then one could also start out with something other than numbers and so foreground a further essential feature of the Klein Collection. Petra von Olschowski With Passion. On the Collection of The first sentence might then read: ‘It all starts Alison and Peter W. Klein with a conversation’. At the opening of an exhibiti- on Peter W. Klein comes to know the painter Wolf- It all starts with a picture – the water-colour gang Kappis and, fascinated by the latter’s water- ‘Mohnfeld vor einem Dorf’ [‘Poppy Field beside colour ‘Mohnfeld vor einem Dorf’, strikes up an ex- a Village’], painted in 1989, spotted by Peter W. change – ‘And all of a sudden,’ records Peter W. Klein a short time later in an exhibition, and then Klein, looking back, ‘I recognised that there is a to- purchased. For years it hung in Klein’s company tally different world from my own, and totally diffe- office, as a kind of talisman entrusted with ac- rent, absorbing ways of living a life’. On a second companying further purchases in the art field and visit to the gallery, the entrepreneur meets the ar- bringing them to a favourable conclusion. And it tist Hans Mendler, who becomes a friend. Again, worked. Some ten years later, Alison and Peter W. alongside the pictures, it is the human being who Klein’s collection already numbered 300 pieces. fascinates him, the person as revealed in an arti- Today, the Collection catalogue lists more than stic oeuvre, the thoughts, feelings, experiences of 1,500 works by contemporary artists from around another personality, in which he can participate via the world – familiar names and unknown names, what has been painted or drawn. ‘A picture,’ says stars of the art scene represented in all the great Peter W. Klein, ‘opens up horizons, allowing one to museums worldwide and young, up-and-coming enter into other existential worlds and to make sen- talents, quiet pieces and spectacular ones, weigh- se of them.’ One might also say, that it is a questi- ty pieces and lighter ones, seductively beautiful on of recognizing the self in otherness, the familiar and disturbingly puzzling ones, familiar and stran- in the foreign, and vice versa. ge ones. Personal encounters and a curiosity concerning The above numbers point to more than just the other life models and world-views have remai- great dynamism with which this extraordinary per- ned up to today an essential driving force behind

12 cing’, it is often Alison Klein, an American by bir- Since these works are grounded in a different pic- Warhol, Frank Stella or Robert Rauschenberg also th, who keeps calm and carefully checks whether torial tradition and so need to be assessed via cri- crop up, the predominant part of the Collection in- a work really ought to be taken up into the Collec- teria other than those applicable to works origi- volves works of contemporary origin. Often, the tion. Together the two of them are a collector team nating in Europe, Asia or the USA, eyes schooled human being is central to the picture and dark- right up the street of any art lover. Their relation- only in Western art are here stretched to their very nes bespeaks mystery. ‘A work of art that seems ship has remained an invigoratingly open one – limits and beyond. Those who have no knowledge to be concealing something, that makes only hints unmediated, direct, capable of enthusiasm, sen- of the narratives of the dream time will have dif- and allusions,’ says Peter W. Klein, ‘is a perpetual sitive. For Alison and Peter W. Klein it is primari- ficulty in achieving comprehensive understanding challenge to the viewer and is inexhaustible.’ ly the ‘emotional link’ to a work of art that counts here. Nevertheless, it can be recognized that the – irrespective of nationality, language and cultural energy and aura of the pictures and objects exert a In addition, it became increasingly important for roots – and less a matter of rational interests gui- fascination. And in an academic, scientific sense, the collectors to consistently follow up and keep ded by the market or by the spirit of the age. exhibitions of this group of works – for example in track of young artists over the years. This is true the Stuttgart Lindenmuseum – have demonstrated not only for the European area but especially so Yet the Kleins’ visual appreciation has changed how sure-footed and well-advised the collectors’ also for Asia: from the very outset, Chinese artists over the years, has become more educated, more choices here were. were of key importance to the Collection, but now developed, more discriminating. The collectors numerous Japanese and above all Korean artists have grown with and through their collection. At If one now turns to the main part of the Collection, have come to form part of the central core. Moreo- the outset, there were no guidelines, be they sty- then it is hardly possible to name a lowest com- ver, the Kleins early on discovered Gregory Crewd- listic, technique-oriented or mercantile. Thus em- mon denominator – multiplicity is the order of the son, Rosemary Laing and Izima Kaoru. Important phases and foci have emerged, and partly chan- day. Whilst at the outset painting exerted a certain names in the Collection today are also Anselm ged, over time. An especial role is played here by primacy over graphic works, today photography Kiefer and Gotthard Graubner (as the current exhi- the substantial part of the Collection devoted to and video works can be seen to play an ever more bition shows) along with Shirin Neshat or Markus the contemporary art of the Australian aborigines. important part. Although names such as Andy Oehlen. And furthermore, currently of great impor- tance among new arrivals are a number of female artists from Germany – Karin Kneffel, Katharina Hinsberg, Susanne Kühn, Brigitte Waldach, Jose- phine Meckseper and Ulrike Heydenreich.

Just these few names picked out from the wide- ranging array of the Klein Collection demonstrate that, twenty years and more on, the Collection is proceeding as it began – open to the new, prepa- red to take risks, and with a judicious blend of en- joyment and high seriousness, enthusiasm, expe- rience and connoisseurship, but above all with a lively curiosity for new, unknown pathways through the wide lands of art. It is discovering and explo- ring these paths that remains an adventure for Alison and Peter W. Klein.

13 Andreas Kaernbach Material und Farbe Material and Paint Andreas Kaernbach wir geführt werden und welche Geborgenheiten in klärende Formulierung zu seiner damaligen Provo- Material und Farbe – Anselm Kiefer und dieser wie in einer jenseitigen Welt wir erhoffen dür- kation – „einen Schritt mitgehen, um den Wahnsinn Gotthard Graubner fen. Anselm Kiefers Werke suchen also nichts Gerin- zu verstehen“ – kann gleichsam leitmotivisch zum geres zu ergründen als den Mikrokosmos Mensch Verständnis seiner Werke und seiner Gedächtnis- Die deutsche Kunstszene der Gegenwart wird von ei- und seine Stellung im Makrokosmos. und Erinnerungsarbeit dienen. Diese ist von einem ner Generation bedeutender Einzelgänger beherr- starken Einfühlungswillen getragen. Das gilt beson- scht, die noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs Die Thematisierung deutscher und nordischer My- ders für die Arbeiten, die in dieser Ausstellung zu geboren wurden. Darunter befinden sich der gera- thologie musste im Deutschland der sechziger und sehen sind. Wenngleich sich seine Abschlussarbeit de zu seinem 80. Geburtstag mit zahlreichen Aus- siebziger Jahre, als Kiefers künstlerische Laufbahn an der Kunstakademie zunächst mit der Darstellung stellungen gewürdigte , der 2010 begann, revolutionär wirken. Ein künstlerischer Um- von Tätern und Mitläufern auseinandersetzte, so verstorbene Sigmar Polke, der Maler und Bildhauer gang mit deutscher Mythologie erschien nach de- stehen doch im Mittelpunkt seiner „Bild-Forschung“ Markus Lüpertz, der aus der Zero-Bewegung kom- ren Missbrauch durch die Nationalsozialisten als po- die Opfer des Holocaust. Immer wieder hat er sich mende Günther Uecker oder der sich in seinen Re- litisch verdächtig. Anselm Kiefer hat dieses Tabu im daher dem 1920 in Czernowitz geborenen Dichter mix-Bildern wieder neu erfindende Georg Baselitz. Jahre 1969 mit einer provokativen Tat gebrochen. der „Todesfuge“, Paul Celan, zugewandt. Celans Le- Zwei aus dieser Generation, der 1930 geborene Gott- In der performativen Aktion „Besetzungen“ fotogra- ben ist bis zu seinem Freitod im Jahre 1970 über- hard Graubner und der 15 Jahre jüngere Anselm fierte er sich selbst – angetan mit Teilen der Uniform schattet geblieben von den traumatischen Erfahrun- Kiefer, sind in dieser Ausstellung mit ihren Werken seines Vaters – den „Deutschen Gruß“ zeigend vor gen der Verfolgung der Juden in Rumänien unter vertreten. Beide haben auf eine jeweils charakteris- historischen Monumenten in Italien und Frankreich zwei Regimen: Beide Eltern Celans kamen in Lagern tisch unterschiedliche, aber doch vom Ziel her ge- und malte nach diesen Vorlagen die „Heroischen ums Leben. Er selbst musste Zwangsarbeit leisten. meinsame Weise Wege gefunden, die Wirklichkeit in Sinnbilder“. Anselm Kiefer war damals einer der Nach der Befreiung durch die Rote Armee floh er ihre Kunst hereinzuholen, und zwar durch eine neu- ersten deutschen Künstler, die sich offen nicht nur im Jahre 1947 in den Westen. artige Konzeption von Material und Farbe. Im Ver- den dunklen Seiten der deutschen Geschichte, son- gleich hierzu ist es spannend zu sehen, wie mit dem dern auch ihrer gefährlichen Faszination zuwand- Celans dichterisches Werk ist bestimmt von der bio- 1944 geborenen koreanischen Künstler Chun Kwang ten. Gerhard Richter hat sich zur gleichen Zeit zwar graphischen Erfahrung von Tod und Verlust. Sie Young ein Künstler aus einem anderen Kulturkreis weniger provokativ, aber mit ähnlich deutlicher Kritik spiegelt sich auch wider in dem Gedicht „Chanson seinerseits mit Farbe und Material eine eigenständi- an deutscher Geschichtsvergessenheit der Thema- einer Dame im Schatten“ aus dem 1952 erschiene- ge Position bezieht, eine Position, die aus koreani- tik gestellt, und zwar in dem berühmten Gemälde nen Gedichtband „Mohn und Gedächtnis“. Anselm schen Traditionen erwächst und sich bewusst vom „Onkel Rudi“, das 1967 in der Gedenkausstellung Kiefer hat eine Zeile aus dem Gedicht titelgebend „Mainstream“ westlicher Malerei absetzt. „Hommage a Lidice“ in Berlin zu sehen war. Richter in das Gemälde eingeschrieben: „Er trägts wie man malte seinen Onkel als freundlich-fröhlichen Mann Tote trägt auf den Händen. Er trägts wie der Himmel Der rätselhafteste unter diesen Künstlern ist zwei- in Wehrmachtsuniform nach einem Foto aus den mein Haar trug im Jahr, da ich liebte“ (Mischtech- felsohne Anselm Kiefer. Über mehr als drei Jahr- 1940er Jahren. Dieses Gemälde verweigerte sich nik, Öl und Objekt auf Leinwand, 2004). Die fehlen- zehnte wird sein Werk inzwischen sowohl in der Öf- einem vorschnellen Urteil. Es thematisiert das Phä- de Zeile vorweg „Es ist einer, der trägt mein Haar“ fentlichkeit als auch von einer Kunstkritik wahrge- nomen der „Normalität“ in jener Zeit, offenbart aber macht den Zusammenhang deutlicher. Paul Celan nommen, die sich anfangs schockiert bis irritiert, zugleich die Verstrickungen der eigenen Familie in hat das „Haar“ in seinem Frühwerk immer wieder am Ende aber doch fasziniert zeigt. Sein umfang- die Lebensformen des damaligen Ungeists. Das hin- als Metapher verwandt, so auch in der berühmten reiches Werk kreist um die Rätsel der Mythologie, gegen von Kiefer gewählte Verfahren einer „Teufels- „Todesfuge“ aus dem gleichen Gedichtband in der zunächst der deutschen und nordischen Mytholo- austreibung“ durch scheinbares Mitmachen, die- sich wiederholenden Entgegensetzung von „dein gie, bald aber auch um Themen aus christlich-jü- ses Mitgehen um des Verstehens willen, wie es der goldenes Haar Margarete/dein aschenes Haar Su- discher oder orientalischer Überlieferung, um Mo- Künstler in einem Interview interpretierte, wirkt bis lamith“. Entsprechend zu der Gedichtzeile hat An- tive aus der Kabbala oder um Rätsel aus alchemis- heute so verstörend, dass die Bilder erstmals im selm Kiefer Haare mit weiteren materiellen Objek- tischen oder esoterischen Schriften. Im Mittelpunkt Jahre 2008 in Deutschland gezeigt werden konnten. ten auf dem Gemälde fixiert. Dieses zeigt eine öde seines Werkes steht mithin die geschichtliche Ge- von Pfählen strukturierte Ackerlandschaft, die sich bundenheit des Individuums, denn die Mythologie Anselm Kiefer wechselte nach dieser Provokation bis zum schwarzen Horizont hinzieht. Zwischen die ist der historische Urgrund des Selbstverständnis- von der Akademie in Karlsruhe nach Düsseldorf zu Pfähle gespannt sind die Haare wie Stolperdräh- ses der Menschen. Mythen sind Erzählungen einzel- Joseph Beuys. Bei ihm konnte er sicher sein, dass te. Das „Haar“ ist in den Gedichten Paul Celans so- ner Kulturkreise, oft auch von Kultur zu Kultur wan- der kritische Charakter seiner Haltung verstanden wohl eine Lebens- wie Todesmetapher. Im Alten Tes- dernd, die vor aller Wissenschaft und Aufklärung – wurde. Das für Kiefers Werk so zentrale Element der tament erscheint sie in der Erzählung von Samson oder sich diesen auch entziehend – die Welträtsel Mythologie war Beuys ohnehin nicht fremd: Beuys und Delila. Als Delila dem schlafenden Samson die zu erhellen trachten. Sie suchen Antworten auf die war fasziniert von Schamanismus, keltischen, christ- Haare abschneidet, verliert dieser seine Kraft, wird eschatologischen Fragen, woher wir kommen, wohin lichen und indianischen Mythen. Anselm Kiefers er- gefangen genommen und stirbt später im Kampf.

15 Vermutlich steht die Haar-Metapher auch in Verbin- bar für die Ewigkeit gebauten Turm und die Gedicht- aufzuraffen, sondern als Grundstimmung des Künst- dung mit Aufbahrungsriten, bei denen den Toten die zeile, die Flüchtigkeit, Vergängliches und Exildasein lers, wie sie auch Albrecht Dürer in seinem berühm- Haare gekämmt werden. Gerade bei Paul Celan, beschreibt, in diesem Gemälde zusammenführt. ten Stich „Melencolia I“ (1514) interpretiert hat. So dessen Werk um die Leiden der Opfer des Holo- Beide sind der Vergänglichkeit anheim gegeben, al- überrascht es nicht, dass das Objekt, „Fuel Rods“ caust kreist, liegt die Erinnerung an die abgeschnit- les Menschenwerk ist vergänglich. Ein Vergleich bei- (dt.„Brennstäbe“,Blei und Fotografie in verglastem tenen Haare von KZ-Opfern, die von den SS-Scher- der Gemälde macht deutlich, dass Kiefers Themen- Stahlrahmen, 1987-1989) sich geradezu als Hom- gen eingesammelt und veräußert wurden, nahe. Da- kreis weit über die Auseinandersetzung mit dem Ho- mage an das Material Blei präsentiert, das sich wie mit schließt sich ein Bogen zum Schicksal von Ce- locaust hinausreicht, dass es ihm um Grundfragen ein schwerer Stoff auf das Foto legt. Auch die im Ti- lans Mutter, die in einem Lager in der Ukraine er- des Historischen über alle Epochen der Mensch- tel genannten „Brennstäbe“ zeigen deutlich an, dass mordet wurde. heitsgeschichte hinweg geht. Das im Bild integrier- Kiefer die verborgenen Kräfte und Energien des Ma- te Material als gewissermaßen dokumentarische Be- terials sieht und nicht seine erdrückende Schwere. Das Gemälde greift diese innige Totenklage auf und glaubigung seines Wirklichkeitsanspruches spielt erreicht mit der schwer lastenden malerischen Ge- dabei eine überragende Rolle. Das Blei als Gestaltungselement spielt eine noch um- staltung und der erschreckenden Präsenz der Haare fassendere Rolle bei der Buchskulptur „Vollzählig- eine Unmittelbarkeit, wie sie mit einer bloß gemal- Es sind jedoch nicht nur die Menschheitsmythen keit der Sterne (état complet des étoiles)“ (Acryl auf ten, illusionistischen Verbildlichung nicht erzielt wer- selbst, die es ihm angetan haben, sondern auch die Blei, 1988). Die vielen literarischen Bezüge in Kiefers den könnte. Der gemalte Boden erweckt nicht nur unermüdlichen Mythensucher, die auf Seitenpfaden Werk haben seine Nähe zur Literatur bereits deut- die Vorstellung von Lehm. Tatsächlich hat Kiefer ir- der Geschichte dem allgemeinen Bewusstsein ent- lich gemacht, zudem hat er mehrere hunderte Künst- dene Bestandteile unter die Ölschicht gemischt, die schwunden sind. Das mag Kiefers Faszination für lerbücher geschaffen. Dass ihm als ersten bildenden Grenze zwischen Darstellendem und Dargestelltem den 1922 gestorbenen futuristischen russischen Künstler der „Friedenspreis des deutschen Buchhan- erneut verwischend. Die das Bild in seiner Tonig- Poeten und Mathematiker Velimir Chlebnikov dels“ verliehen wurde, war eine Würdigung dieses li- keit bestimmende Erde ist ein vom Künstler häufig erklären. Dieser hatte in seltsamer Verbindung von terarischen Grundzuges seines gesamten Werkes. als Bildmaterial verwandtes Element, um durch die präziser Mathematik und phantasievoller Zahlenmys- Ursprünglichkeit des Materials Erde das Mythische tik eine Theorie entwickelt, derzufolge Seeschlachten Gewaltig und schwer verdeutlicht seine Buchskulp- seiner Bildthemen unmittelbar empfinden zu lassen. exakt alle 317 Jahre oder zu ihrem Vielfachen statt- tur sichtbar und spürbar ihre Blei-Materialität, nur Der wissenschaftliche Archäologe erfährt Geschich- finden (Velimir Chlebnikov, Lehre vom Krieg, See- die aufgemalten Sterne, mit Linien zu fiktiven Stern- te als im Erdreich oder in anderen Materialien ge- schlachten wiederholen sich alle 317 Jahre, Misch- bildern verbunden, stellen dieses scheinbar archäo- speicherte Geschichte. Im gleichen Sinne verleihen technik, Öl und Bleiskulptur auf Leinwand, 2005). logische Fundstück aus ferner Vergangenheit als Erde, echtes Haar, Holz oder Farne den Bildern des Kiefer hat dem Mathematiker eine ganze Serie von astronomisch-astrologisches Lehrbuch neben ar- künstlerischen „Archäologen“ Kiefer Authentizität. Arbeiten gewidmet. In der hier gezeigten ist an die chäologische Fundstücke wie die Himmelsscheibe Stelle der öden Landfläche eine nicht weniger trost- von Nebra. So richtet Kiefer den Blick demonstrativ Ein vergleichbares Erd-Gemälde hat Kiefer für das lose Meeresoberfläche getreten. Dunkelbraunes bis auf das Universum. Mit Kants Satz „vom gestirnten Reichstagsgebäude geschaffen. Diesem verleiht schwarzes Wasser umtost ein U-Boot, das als Bleis- Himmel“ – so der Titel eines von Kiefer übermalten ein Zitat von Ingeborg Bachmann, Dichterin und kulptur auf dem Gemälde befestigt ist. Dem Wider- Fotos aus dem Jahre 1980 – wird dieser Blick wie- Freundin Paul Celans, das sich mit der Situation ei- sinn der scheinwissenschaftlichen Theorie Chlebni- der zurück auf den Menschen und seine Stellung nes Exilierten auseinandersetzt, den Titel. In gewis- kovs entspricht das aus Blei gefertigte Boot, das in im Kosmos gelenkt. Deutlich wird gerade an dieser ser Weise beschreibt das „Exil“ das Lebensschick- der Realität im Wasser umgehend versinken wür- Buchskulptur, dass das Material bei Kiefer nicht er- sal Celans, aber darüber hinaus auch die Situation de. Zugleich erinnert Kiefer mit der Verwendung des zählerisch eingesetzt wird, auch wenn das Wissen des Menschen, der hier auf Erden gottesfern im Exil Metalls, einem bevorzugten Material des Künstlers, um seine alchemistische Bedeutung im Hintergrund lebt. Am oberen Rand des Bildes steht die Zeile aus an die Bedeutung von Blei in Lehrbüchern der Al- mitschwingen mag. Stattdessen steht im Vorder- dem Gedicht „Exil“ geschrieben: „Nur mit Wind mit chemie. Einerseits ist dies wieder ein Verweis auf grund des Erfassens das Material an sich in seiner Zeit und mit Klang“ und „für Ingeborg Bachmann“. die „Geheimwissenschaft“ Chlebnikovs, anderer- unmittelbaren Wirkung auf den Betrachter durch Das Gemälde wird beherrscht vom Bild einer Pyra- seits Teil einer Selbstdarstellung Kiefers, der im Blei seine Schwere, seine korrodierte Stumpfheit und mide aus Lehmziegeln, die sein Format geradezu zu ein vom Künstler leicht formbares Material erblick- seinen archaischen Charakter. sprengen droht. Der gewaltige Zikkurat, beziehungs- te. Des Weiteren findet sich hier eine Anspielung auf reich in einem Eckturm des Reichstagsgebäudes das Metall als alchemistisches Ausgangsmaterial für Mit den jüngsten hier vorgestellten Arbeiten, dem gezeigt, löst sich zu seinen Rändern hin schon wie- die Geheimnisse der Silber- und Goldproduktion. „Geheimnis der Farne“ (Öl, Emulsion, Schellack, der auf, verwandelt sich zurück in flache Ebene und Blei ist dem Saturn zugeordnet, der das Tempera- Acryl, Dornen, Gips, Harz-überzogene Farne und schlichten Lehm. So paraphrasiert Kiefer bildhaft ment der Melancholie verkörpert. Kiefer versteht je- Ton auf Leinwand unter Glas, 2007) und dem Blatt die Geschichte des Turms von Babylon als die Ge- doch die Melancholie nicht als Zustand des Verhar- „Das Balder-Lied“ (Gouache, getrocknete Pflanzen, schichte menschlicher Hybris, indem er den schein- rens in Trübsinn, als Unfähigkeit, sich zur Tätigkeit Kohle auf Fotopapier, 2005) kehrt Kiefer in den Be-

16 reich der nordischen Mythologie zurück und offen- dige Energie von Linie und Farbe richtet. Ausge- tigkeit von Farbe vorgestoßen – ein Konzept, das bart mit der Hinwendung zu fragileren Gestaltungen hend von Aktzeichnungen entwickelte er aus diesen sein Werk mit dem Spätwerk Monets verbindet, in einmal mehr den Reichtum seiner künstlerischen erst abstrakte Farbfächer, dann Farbwolken. Diese dessen Seerosenbildern sich dieses Konzept bereits Möglichkeiten. Der Wald, als der geheimnisvolle leben aus sich selbst heraus, bilden nichts ab und andeutet. Der Betrachter soll vor allem die emotio- Ursprungsort deutscher Mythen, ist durchwach- haben keine festen Konturen, lassen allenfalls eine nalen Werte der Farben auf sich wirken lassen, sei- sen von Farnen. Sie haben als urzeitliche Pflanzen entfernte Erinnerung an Körperlichkeit durchschei- en es die hellen warmen Töne zweier hier gezeig- aus fernen Erdzeitaltern bis heute überlebt, und sie nen. Diesen Effekt steigert Graubner sodann durch ter Arbeiten, „Farbraumkörper“ (Acryl, Öl auf Lein- sind im Kunstwerk tatsächlich präsent – unter Harz den Farbauftrag mit unterschiedlichen Materialien in wand, 1991 und 1993) oder das hypnotische Blau- konserviert wie Pflanzen im Bernstein: An die Stelle den „Schwammgouachen“: Seit Anfang der 1960er Grün des Kissenbildes „Nocen“~ (slow. Nacht, Öl, bleischwerer Riesenspielzeuge treten die zarten und Jahre tupft der Maler einen in Öl- oder Aquarellfar- Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte, 1991), das zerbrechlichen Farne. Sie sind umrankt von dro- be getauchten Schwamm, Stoffballen oder Lappen eine somnambule, nächtliche Stimmung hervorruft. hend herausragendem Dornengestrüpp, das sie und auf Papier, setzt die Farben über- oder nebenein- Der schwer fassbare, mit Worten letztlich auch nicht diesen Wald der Mythen wie einen Zauberwald vor ander oder lässt die Farbe auf dem Papier verlau- beschreibbare Charakter dieser Bilder eröffnet dem unberufenen Eindringlingen schützt. fen. In dieser Zeit experimentiert Graubner auch mit Betrachter eine Welt im Werden, für die er sich öff- unterschiedlichen Papieren, Vorfärbungen, neuarti- nen und traditionelle Haltungen der Bildbetrach- Konkret auf die nordische Mythologie bezieht sich gen Farben und diversen Materialien für den Farb- tung aufgeben muss. Die sich andeutenden Bewe- das „Das Balder-Lied“ mit der Zeile „Was sagte Odin auftrag. Dass der Künstler seine Experimentierfreu- gungen innerhalb der Farbwolken mit Aufhellun- zum toten Balder, als dieser auf dem Holzstoß lag?“ de auch in späteren Jahren nicht eingebüßt hat, be- gen und Verdichtungen, im Reichstagsbild gerade- Odin hatte diese Rätselfrage nach der Hervarar-Sa- legt die einzige Papierarbeit von Graubner, die in der zu aufeinander zulaufender Wellen, machen deut- ga König Heidrek gestellt und spielte mit ihr auf den Ausstellung zu sehen ist. Es ist ein Aquarell aus den lich, dass diese Objekte wenig mit dem klassischen Tod seines Sohnes Balder an. Dieser war, obwohl alle Jahren 1996/1997 (O.T., Aquarell auf mehreren La- Bildverständnis zu tun haben. Sie sind reine Energie ihn für unverwundbar hielten, durch Hinterlist getö- gen Pergamentpapier, 1996/1997), das eine irritie- im Raum. Der Betrachter wird umfangen von einer tet worden. Die Episode gehört in den größeren Kon- rende, im wortwörtlichen Sinne vielschichtige Wir- solchen Eruption von Energie und Farbe, dass eine text der nordischen Erzählung vom Untergang der al- kung erzielt durch das Einfärben mehrerer Lagen Art Erlebnisraum entsteht, in den er aktiv wahrneh- ten Götterwelt und dem Aufbau einer neuen: In die- Pergaminpapier, die sich übereinander spannen. mend eintreten muss. sem Sinne bedeutet die Verbrennung von Balders Leichnam bereits den Vorausblick auf seine Wieder- Den entscheidenden Durchbruch erzielt Graubner In diesem Verständnis von Malerei, das auf einen of- kehr zum Aufbau einer neuen Welt nach dem germa- im Jahre 1963, als er dazu übergeht, die zum Farb- fenen und sensiblen Betrachter setzt, der als un- nischen Weltenbrand. Hatte das Sternenbuch Kiefers auftrag verwendeten Materialien in die Leinwandbil- voreingenommenes Individuum dem Bild gegen- den Blick auf das Universum gelenkt, so greift das der als Objekte einzubinden. Es entstehen „Farblei- übertritt, ist auch Gotthard Graubners aktuellste Ar- Balder-Lied über das Ende der physisch erfahrbaren ber“ und in der Folge die „Kissenbilder“, bei denen beit zu betrachten, der von ihm gestaltete „Raum Welt hinaus. Nach den bleischweren und geradezu ein „Kissen“ aufgebaut wird aus unterschiedlichen der Stille“ im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Es physisch schmerzhaften Materialarbeiten Kiefers ist Lagen von Watte, Schaumstoff und anderen syn- handelt sich um einen überkonfessionellen Raum, das Blatt aus dem Zyklus „Das Balder-Lied“ von ge- thetischen Geweben, die mit Farbe getränkt ihrer- der allen Religionen offensteht. Graubner hat zwei radezu impressionistisch lyrischer, wiewohl flammen- seits wieder überspannt und schließlich auch wei- leuchtend gelbe Farbkissen gestaltet, die im Raum bedrohter, morbider Schönheit. Es ist eine schwe- ter übermalt werden. Graubner selbst fand für seine ein Energiefeld entstehen lassen und das Göttliche, bend leichte, mit getrockneten Pflanzen fragil gestal- Objekte den Namen „Farbraumkörper“ und hat mit wie im Bild des brennenden Dornbusches, als reine tete Arbeit, die die Trauer Odins über den Verlust sei- ihnen bis heute immer wieder Objekte großer Präg- Energieform erlebbar machen. Der Besucher muss nes Sohnes zum Tragen bringt. Kiefer erweist sich in nanz geschaffen, die mit ihrer Energie und Präsenz sich mit seinen eigenen Transzendenz-Erfahrungen diesen Arbeiten als ein Künstler, der menschliche Er- auch große Räume zu füllen vermögen. Hervorra- auf dieses Energiefeld einlassen – und genau darauf fahrungsräume bis an ihre Grenzen auslotet. gende Beispiele für diesen Typus sind die beiden zielt Graubners Bild-Konzeption. großformatigen vor Ort geschaffenen Kissenbilder Gotthard Graubners Wirken, seine Entdeckung der „Begegnungen“ (1988) im Großen Saal von Schloss Vergleicht man die Arbeiten Graubners mit denen Farbe als reine Energieform, erwuchs aus einer mit Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten. Ein wei- Kiefers, wird deutlich, wie beide auf unterschiedli- Kiefer vergleichbaren, jedoch stärker kunstimma- teres Beispiel ist der ebenso großformatige, aber chem Wege zu vergleichbaren Zielen gelangen: An- nenten Protesthaltung gegen die Nachkriegsmoder- sich längs erstreckende Farbraumkörper „... die ro- selm Kiefer erreicht mit der physischen Präsenz sei- ne in Deutschland. Diese hatte sich in der lyrischen senfingrige Eos erwacht ...“ in einem Protokollsaal ner in die Gemälde eingearbeiteten Materialien, den Abstraktion des Informel erschöpft, das vielfach nur des Reichstagsgebäudes. Betrachter über das bloße Anschauen des Werkes noch auf dekorative Wirkung abzielte. Frühe Zeich- hinaus suggestiv einzubeziehen, die Bilder also nicht nungen Graubners lassen erkennen, wie sein Blick Graubner ist mit seinen Farbraumkörpern in den zum Objekt der Betrachtung, sondern zu einem phy- sich von Beginn seines Schaffens an auf die leben- Darstellungsbereich einer vollkommenen Eigenwer- sischen und psychischen Kraftfeld für ihr Gegen-

17 über werden zu lassen. Graubner gelingt das Gleiche derstanding. Myths are the narratives of individual cul- ment of mythology, so central to Kiefer’s work, was , durch eine ebenso starke Präsenz seiner Arbeiten al- tural areas, often also migrating from culture to cul- anyway, nothing alien to Beuys. Beuys was fascinated lein aus ihrer Farbwirkung heraus, die sich sowohl ture – narratives which, before any science or enligh- by Shamanism, by Celtic, Christian or Indian myths. aus der Farbe als auch aus der raffinierten Materiali- tenment (or often beyond their reach), strive to shed Anselm Kiefer’s explanatory formulation concerning tät seiner Kissenbilder ergibt. Was für Kiefer das Ma- light on the mysteries of the world. They seek answers the above act of provocation – „taking one step in the terial, ist für Graubner die Farbe, aber die künstleri- to the eschatological questions as to where we come same direction so as to understand the madness“ – schen Verwirklichungen beider Konzepte bergen eine from, where we are being taken to and what kind of could be taken, as it were, as a leitmotif for the un- solche Fülle von Emotionen, dass der Betrachter sich shelter or at-home-ness we can hope for in this world derstanding of his oeuvre and his work of memory and der Begegnung mit den Werken ganz als aufgeschlos- and in a world beyond. Anselm Kiefer’s works thus commemoration. The work is sustained by a strong sene und empfindungsbereite Person stellen muss. seek to fathom nothing less than the microcosm that desire to empathize. This is expecially the case with is man and his position in the macrocosm. the works on display in the current exhibition. Although Andreas Kaernbach his final exam piece at the Kunstakademie was concer- Material and Paint – Anselm Kiefer and In the Germany of the 1960s and 1970s, when ned first and foremost with the portrayal of perpetra- Gotthard Graubner Kiefer’s artistic career started, the thematization of tors and fellow travellers, nevertheless it is the victims German and Nordic mythology could not fail to seem of the Shoa who are central to his „image research“ – Germany’s contemporary art scene is dominated by revolutionary. Following the abuse of the subject-matter and again and again he turns therefore to the poet of a generation of significant loners, who were born be- by the National Socialists, an artistic treatment of Ger- the „Todesfuge“ [„Death Fugue“] born in Czernowitz fore the end of the Second World War. Among them man mythology seemed politically suspect. In the year in 1920, Paul Celan. Celan’s life remained, right up to are Gerhard Richter, whose 80th birthday has just 1969, Anselm Kiefer broke this taboo in an act of pro- his suicide in 1970, under the shadow of his traumatic been celebrated by numerous exhibitions, Sigmar Pol- vocation. In the course of his performative action „Be- experience of the persecution of the Jews in Rumania ke, who died in 2010, the painter and sculptor Mar- setzungen“ [„Occupations“] he photographed himself under two régimes. Both of Celan’s parents died in the kus Lüpertz, Günther Uecker with his origins in the – wearing parts of his father’s uniform and performing camps. He himself had to do forced labour. After libe- „ZERO movement“ or Georg Baselitz, currently re-in- the „German salute“ – in front of historical monuments ration by the Red Army, he fled to the West in 1947. venting himself in his re-mix paintings. The present in Italy and France, then painting his „Heroische Sinn- exhibition features works by two members of this ge- bilder“ [„Heroic Symbols“] on the basis of the resul- Celan’s poetic oeuvre is determined by the biographi- neration – Gotthard Graubner, born in 1930, and An- ting photographs. At that time, Anselm Kiefer was one cal experience of death and loss. The experience is re- selm Kiefer, 15 years his junior. The two of them – of the first German artists to accost openly not only the flected in the poem „Chanson einer Dame im Schat- each in his own different, characteristic way but with dark sides of German history but also their dangerous ten“ [„Chanson of a Lady in the Shade“] from the vo- a joint objective in mind – developed ways of bringing fascination. At the same time, less provocatively admit- lume of verse Mohn und Gedächtnis [Poppy and Me- reality into their art by means of a novel conception tedly but with a similarly clear critique of German his- mory], which appeared in 1962. Anselm Kiefer has in- of material and paint. In comparison, it is intriguing torical forgetfulness, Gerhard Richter tackled the topic scribed one line from the poem into his painting by to see how in the person of the Korean artist Chun in his famous picture „Onkel Rudi“ [„Uncle Rudi“], way of a title: „Er trägts wie man Tote trägt auf den Kwang Young, born in 1944, an artist from a different which was put on display in 1967 in the Berlin com- Händen. Er trägts wie der Himmel mein Haar trug cultural sphere equally takes up an individual positi- memorative exhibition „Hommage a Lidice“. Richter im Jahr, da ich liebte“ [„He bears it as one bears the on with paint and material – a position emerging from painted his uncle as a friendly, cheerful man in Wehr- dead on one’s hands. He bears it as the sky bore my Korean traditions and consciously marking itself off macht uniform after a photo from the 1940s. This pic- hair in the year I was in love“] (Mixed media, oil and from the „mainstream“ of Western painting. ture is not amenable to any over-hasty judgement. object on canvas, 2004). The missing line immediate- It thematizes the phenomenon of the then prevalent ly preceding „Es ist einer, der trägt mein Haar“ [„The- The most puzzling, mystifying figure among these ar- „normality“, but at the same time reveals the ensnare- re is someone who is bearing my hair“] makes the con- tists is undoubtedly Anselm Kiefer. For more than ment of the artist’s own family in the way of life formed text clearer. In his early work, Paul Celan repeated- three decades, his oeuvre has been acknowledged by the pernicious spirit of the age. Kiefer’s chosen pro- ly used „hair“ as a metaphor, as also in the renowned both by the public and by art criticism – which reacted cedure of „exorcism“ by ostensible collaboration, this „Todesfuge“ from the same volume, with its repea- at first with shock and bemusement, but finally with conniving for the sake of understanding, as the artist ted contrasting of „dein goldenes Haar Margarete/dein fascination. His copious oeuvre revolves around the interpreted it in an interview, is even today so distur- aschenes Haar Sulamith“ [„Your golden hair, Marga- riddles of mythology, at first around German and Nor- bing that the pictures could only be exhibited in Ger- ret, your ashen hair, Sulamith“].In accordance with dic myths, but soon around topics from Judaeo-Chris- many for the first time in the year 2008. the lines of verse, Anselm Kiefer fixed hair onto his tian or oriental tradition, around motifs from the cab- picture, along with objects. The picture shows a bar- bala or riddles from alchemical or esoteric writings. Following this provocation, Anselm Kiefer moved from ren landsacape of fields, structured by poles and stret- At the focus of his oeuvre, therefore, is the historical the Akademie in Karlsruhe to Düsseldorf, and to Jo- ching to the black horizon. The hair is stretched bet- boundedness of the individual: for mythology is the seph Beuys. Under him he could be sure that the cri- ween the poles like trip-wires. In Celan’s poetry, „hair“ primordial historical grounding of mankind’s self-un- tical character of his stance was understood. The ele- is a metaphor for both life and death. In the Old Tes-

18 tament, it appears in the story of Samson and Delilah. wer, seemingly built for all eternity, with the line of down over the photograph like a heavy fabric. The ep- When Delilah cuts off Samson’s hair while he is as- verse describing fleetingness, evanescence and life in onymous fuel rods make clear that Kiefer sees the la- leep, the latter loses his strength, is taken captive and exile. Both are subject to transience – all man’s works tent forces and energies of the material and not its op- subsequently dies in combat. The hair metaphor is are transient. A comparison of the two paintings ma- pressive heaviness. likely to be linked also to rituals of laying out the dead, kes clear that Kiefer’s themes reach out far beyond a during which the hair of the deceased is combed. Pre- concern with the Shoa, that he is interested in funda- Lead as an element of artistic shaping plays an cisely in Paul Celan, whose oeuvre revolves around the mental questions of the historical world transcending even more comprehensive role in the book sculpture sufferings of the victims of the Shoa, it is pertinent all eras of human history and that the material integra- „Vollzähligkeit der Sterne“ [„Complete Assembly of to recall the hair of the concentration camp victims, ted in the picture has a key role to play here as a, so to Stars“] (acrylic on lead, 1988). The many literary re- gathered up and sold by the SS thugs. The theme thus say, documentary authentication of his claim to reality. ferences in Kiefer’s work have already evidenced his comes full circle, returning to the fate of Celan’s mo- affinity with literature. He has created artists’ books ther, murdered in a camp in the Ukraine. It is, however, not only the myths of mankind themsel- in their hundreds. The fact that he was the first visu- ves that have seized his attention but also the tireless al artist to be awarded the „Peace Prize of the Ger- The painting takes up this intimate lament for the myth-seekers, who have now vanished from general man Book Trade“ was an acknowledgement of this li- dead, the onerousness of its artistic shaping and the awareness on the side-paths of history. This may exp- terary undercurrent in his oeuvre. His book sculpture terrifying presence of the hair achieving an immediacy lain Kiefer’s fascination with the Russian futurist poet is not a book to be leafed through and read. Cum- that could not have been attained by a merely painted, and mathematician Velimir Chlebnikov, who died in bersome and ponderous, it points rather, visually illusionist depiction. The painting of the ground not 1922. In a strange combination of precise mathema- and tangibly, to its leaden materiality – only the stars only arouses the idea of clay: Kiefer actually has mixed tics and imaginative numerical mysticism, the latter painted upon it, linked by lines to fictive signs of the earthen constituents into the oil-paint layer, thus again developed a theory according to which sea battles take zodiac, place this ostensible archaeological find from blurring the boundary between representer and repre- place exactly every 317 years or at multiples of that the distant past as an astronomical and astrological sented. The earth, whose clayiness dominates the pic- time-span. (Velimir Chlebnikov, Lehre vom Krieg, See- textbook alongside archaeological finds such as the ture, is an element often employed by the artist so as schlachten wiederholen sich alle 317 Jahre [The less- Sky Disk of Nebra. Kiefer thus directs the gaze de- to make the mythical quality of his pictorial theme im- on of war, sea battles repeat themselves every 317 ye- monstratively towards the universe. With Kant’s dic- mediately sensed through the primordialness of the ars] Mixed media, oils and lead sculpture on canvas, tum about the starry heavens – „vom gestirnten Him- earth material used. The academic archaeologist ex- 2005). Kiefer devoted a whole series of works to the mel“ was the title of a photo painted over by Kie- periences history as history stored in earth or in other mathematician. In the work on display here, the bleak fer from the year 1980 – this gaze is guided back materials. In the same way, earth, genuine hair, wood land surface has been replaced by a no less desolate again to Man and his position in the cosmos. Precise- or ferns grant authenticity to the pictures of Kiefer, the seascape. Dark-brown and black water rages around a ly this book sculpture makes clear that, even if know- artistic „archaeologist“. U-boat, which is attached to the painting in the form ledge of its alchemical meaning may be hinted at in of a lead sculpture. The illogic of Chlebnikov’s pseu- the background, material in Kiefer’s oeuvre is not de- Kiefer produced a comparable earth-painting for the do-scientific theory is matched by the leaden boat, ployed narratively, but that in the foreground of the Reichstag building. Here, it is from a quotation from which would in reality immediately sink in the wa- process of creation stands rather the material in its- Ingeborg Bachmann, the poetess and friend of Paul ter. At the same time, Kiefer’s use of lead – one of the elf, in its immediate impact on the beholder through Celan, concerning the situation of someone living in artist’s preferred materials – recalls the significance of its heaviness, its corroded bluntness, its archaic cha- exile, that the painting takes its title. In a certain sen- lead in alchemical textbooks. On the one hand, this racter. se, „Exil“ [„Exile“] describes the life and fate of Ce- is again a reference to Chlebnikov’s „secret science“, lan, but over and above that also the situation of man, on the other hand it is part of Kiefer’s self-presentati- With the most recent of the works on display here – living here in exile on earth, far from God. At the up- on, lead being seen as a material easily shaped by the the „Geheimnis der Farne“ [„Secret of the Ferns“] per edge of the picture, a line from the poem „Exil“ artist, just as it was the alchemist’s basic material for (oil, emulsion, shellac, acrylic, thorns, plaster, resin- is inscribed: „Nur mit Wind mit Zeit und mit Klang“ the secrets of silver and gold production. As a metal, covered ferns and clay on canvas under glass, 2005- [„Only with wind and time and sound“] and „für Inge- lead is ascribed to Saturn, which embodies the tem- 2007) and „Das Balder-Lied“ [„The Song of Balder“] borg Bachmann“ [for Ingeborg Bachmann]. The pain- perament of melancholy. Kiefer, however, understands (Gouache, Charcoal, Dried Plant on Photographic Pa- ting is dominated by the image of a pyramid made of melancholy not as the condition of persevering in des- per, 2005), Kiefer is returning to the sphere of Nordic clay bricks, wellnigh threatening to break out of its al- pondency, as the inability to summon oneself to ac- mythology, revealing once again in this turn to more lotted format. The mighty zikkurat tower, evocatively tion, but as the bedrock mindset of the artist, as in- fragile creative forms the rich array of his artistic pos- hung in a corner tower of the Reichstag building, is al- terpreted also by Albrecht Dürer in his famed etching sibilities. Throughout woods or forests – the mysterious ready dissolving at its edges, turning itself back into „Melencolia I“ (1514). It is no surprise, therefore, that primordial sites of German myths – grow ancient ferns. the flat plainlands and into simple clay. Kiefer thus of- the object „Fuel Rods“ (treated lead and photo in gla- Primeval plants from distant aeons, ferns have survi- fers a pictorial paraphrase of the story of the Tower of zed steel frame, 1987-1989) presents itself almost ved up to today and are actually present in the work Babel as the story of human hybris by equating the to- as a hommage to lead as a material, which lays itself of art – conserved under resin like plants in amber:

19 instead of the giant toys, heavy as lead, come these ther or letting the paint run over the paper. In this pe- non-graspable quality, the verbal indescribability of delicate, fragile ferns. They are surrounded and entwi- riod, Graubner also experiments with a variety of pa- these pictures in the final analysis discloses to their ned by threatening thickets of jagging thorns, protec- pers, pre-colourings, new types of paint and diver- beholder a world in the process of becoming, to which ting both them and the forest of myths from uncalled- se materials for applying the paint. That the pain- he must open himself, forgoing traditional stances of for intruders like a magic, enchanted wood. ter did not lose this love of experimentation in his la- picture appreciation. The movements hinted at within ter years is evidenced by the one paper-based work of the clouds of colour with their lighter and denser pat- „Das Balder-Lied“refers specifically to Nordic mytho- Graubner’s to be seen in the exhibition – a water-co- ches, and the waves in the Reichstag picture all but logy in the line „Was sagte Odin zum toten Balder, als lour from the years 1996/1997 (without title, water rolling into one another make clear that these objects dieser auf dem Holzstoß lag? „ [„What did Odin say to colour on several layers of pergamyn), which achie- have little to do with a classical understanding of pic- the dead Balder, when the latter lay on the woodpile? ves a puzzling and, in the full sense of the phrase, ma- tures. They are pure energy in space. The viewer is en- „] According to the Hervarar saga, Odin posed this ny-layered effect by its colouring of several layers of circled by such an eruption of energy and colour that riddle to King Heidrek, thus alluding to the death of parchment paper stretched over each other. a kind of experiential space emerges – a space into his son Balder. The latter, though universally conside- which the viewer must step with his perceptive powers red to be invulnerable, had been killed by trickery. The Graubner makes his decisive breakthrough in the year all alert and active. episode fits into the wider context of the Nordic narra- 1963, when he begins to include as objects in the tive of the demise of the old world of the gods and the pictures themselves the materials he has used to apply It is in this understanding of painting, which relies on construction of a new world: in this sense, the burning paint. What emerge are „bodies of paint“ and subse- an open and sensitive viewer who approaches the pic- of Balder’s corpse is a glimpse forward to his return to quently the „cushion pictures“, in which a „cushion“ ture as an individual untrammeled by presupposi- construct a new world after the Germanic world-confla- is constructed of cotton wool, foam, and other synthe- tions, that Gotthard Graubner’s most recent work is gration. While Kiefer’s star book had directed attention tic materials, which, steeped in paint, are then them- to be seen – his „Raum der Stille“ [„Room of Still- to the universe, the Song of Balder reaches out beyond selves stretched and finally painted over again. Graub- ness“] created in the Regional Parliament building of the physically experienceable world. After the leaden ner himself developed for his objects the term „Far- North Rhine-Westphalia. This is a supra-denominati- weight and wellnigh physical pain of Kiefer’s materi- braumkörper“ – literally „paint space bodies“ or „spa- onal space open to all religions. Graubner has crea- al-based works, the leaf from the „Balder-Lied“ cycle tial bodies of colour“ – using them up to the present ted two luminously yellow colour cushions, which set has a wellnigh impressionistically lyrical, albeit flame- day to repeatedly create objects of dense expressiven- up a field of energy in the room-space, making the di- endangered, morbid beauty. It is a work of fragile crea- ess, which are able to fill even large room-spaces with vine experienceable as a pure form of energy, as in tion, made of dried plants, hoveringly light, borne by their energy and presence. Outstanding examples of the image of the burning bush. The visitor has to ap- Odin’s grief at the loss of his son. In these works, Kie- this type of work are the two large-scale cushion pictu- proach this energy field with his or her own experi- fer shows himself to be an artist who explores human res „Begegnungen“ [„Encounters“] (1988) created on ences of transcendence – and it is precisely this that realms of experience to their very frontiers. the spot in the large chamber of Schloss Bellevue, the Graubner’s image conception intends. residence of the German Federal President. A further Gotthard Graubner’s life work, his discovery of paint example is the equally large-scale, but elongated, lati- If one compares Graubner’s works with those of Kiefer, and colour as a pure form of energy, emerged from a tudinal paint space body „... die rosenfingrige Eos er- it becomes apparent that the two of them, taking dif- stance of protest against post-war modernism in Ger- wacht ... „ [„... the rosy-fingered Eos awakes“] in a ferent paths, achieve comparable objectives: with the many similar to that of Kiefer, yet more strongly im- Protokollsaal of the Reichstag building. sheer physical presence of the materials worked into manent to art. Post-war modernism had exhausted its- his paintings, Anselm Kiefer is able suggestively to in- elf in the lyrical abstraction of art informel, which of- With his paint space objects, Graubner has thrust for- volve the beholder over and above the mere act of be- ten aimed only for decorative effect. Early drawings ward into a representational sphere in which paint and holding, thus turning the pictures not into an object of of Graubner’s show how, from the very beginning of colour have a completely intrinsic value of their own – perception but into a physical and psychological force- his creative output, he has an eye for the vital ener- a strategy that links his work to the late works of Mo- field for the perceiver. Graubner achieves the same gy of line and paint. Starting from nude drawings, he net, in whose water-lily paintings the approach is al- aim through the equally strong presence his objects developed from them first abstract fans of paint, then ready foreshadowed. The viewer is above all to let the have – solely through the effect of their paint and co- paint clouds. The latter have a life of their own, repre- emotional values of the colours take their effect on lour due both to the colours and to the sophisticated sent nothing, and have no firm contours, allowing at him, be they the light, warm tones of two works „Far- materiality of his cushion pictures. Colour is to Graub- most a distant recollection of corporeality. Graubner braumkörper“ [„paint space bodies“] (acrylic, oil on ner what material is to Kiefer, but the artistic realiza- then heightens this effect in his „sponge gouaches“ canvas, 1991 and 1993) „Farbraumkörper“ [„paint tion of the two strategies harbours such a plenitude of through his application of paint by means of a varie- space bodies“] (acrylic, oil on canvas, 1991 and emotions that the beholder has to approach the works ty of materials. From the beginning of the 1960s, the 1993) on display here or the hypnotic blue-green of in complete open-mindedness and with a readiness to ~ painter makes dabs on paper with a sponge, with a the cushion picture „Nocen“ (slov.: „night“, oil, acry- give feelings full play. ball of cloth or with a rag dipped in oil paints or water- lic on canvas on synthetic cotton, 1991) with its evo- colour, setting the colours beside or on top of one ano- cation of a somnambulist, night-time atmosphere. The

20 Anselm Kiefer, «Vollzähligkeit der Sterne (état complet des étoiles)», 1988 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Acryl auf Blei//Acrylic on Lead 99 × 79 × 11 cm

Anselm Kiefer, «Er trägts wie man Tote trägt auf den Händen. Er trägts wie der Himmel mein Haar trug im Jahr, da ich liebte.», 2004 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Mischtechnik, Öl und Objekt auf Leinwand//Mixed Media, Oil and Object on Canvas 190 × 280 cm

23

Anselm Kiefer, «Velimir Chlebnikov, Lehre vom Krieg, Seeschlachten wiederholen sich alle 317 Jahre», 2005 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Mischtechnik, Öl und Bleiskulptur auf Leinwand//Mixed Media, Oil and Lead Sculpture on Canvas 190 × 280 cm

25 Anselm Kiefer, «Das Balder Lied», 2005 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Gouache, getrocknete Pflanzen, Kohle auf Fotopapier//Gouache, Dried Plants, Charcoal on Photographic Paper 100 × 77 cm

26 Anselm Kiefer, «Fuel Rods», 1987-1989 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Blei und Fotografie in verglastem Stahlrahmen//Treated Lead and Photo in Glazed Steel Frame 150 × 100 cm

27

Anselm Kiefer, «Geheimnis der Farne», 2005-2007 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Öl, Emulsion, Schellack, Acryl, Dornen, Gips, Harz-überzogene Farne und Ton auf Leinwand unter Glas/ /Oil, Emulsion, Shellac, Acrylic, Thorns, Plaster, Resin-covered Ferns and Clay on Canvas under Glass 280 × 190 × 35 cm

29

Gotthard Graubner, «o.T.», 1996/1997 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Aquarell auf mehreren Lagen Pergaminpapier//Water Colour on Several Layers of Pergamyn 100 × 74,5 cm

31 Gotthard Graubner, «o.T. (Farbraumkörper)», 1972 [Marianne und Hans Friedrich Defet Stiftung] Öl/Synthetik, Isoliermaterial//Oil on Synthetic Textile, Insulating Material 180 × 119 cm

32 Gotthard Graubner, «Nocen»,~ 1991 [Sammlung Siegfried und Jutta Weishaupt] Öl, Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte//Oil, Acrylic on Canvas on Synthetic Cotton 200 × 200 × 13 cm

33 Gotthard Graubner, «Farbraumkörper», 1991 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Acryl, Öl auf Leinwand//Acrylic, Oil on Canvas 151 × 110 × 13 cm

34 Gotthard Graubner, «Farbraumkörper», 1993 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Acryl, Öl auf Leinwand//Acrylic, Oil on Canvas 151 × 110 × 13 cm

35 Oh, Kwang-Su Landschaft als Struktur. The Landscape as Structure. Oh, Kwang-Su schaften bezeichnen, treffender wäre es jedoch, So läßt sich konstatieren, dass er sich selbst im- Landschaft als Struktur. sie als das Ergebnis eines fortgeschrittenen me- mer weiter antreibt, weil sein experimenteller Geist Die Kunst Chun Kwang Youngs und ihre thodologischen Prozesses zu bezeichnen. nicht ausschließlich bei einer Arbeitsweise alleine Entwicklung verweilen kann. Mitte der 2000er Jahre hat sein Aber wie originell sind Chun Kwang Youngs Me- Schaffen eine weitere Wendung genommen: Chun Das Oeuvre Chun Kwang Youngs weist einen au- thoden und strukturelle Einheiten? Der Künst- Kwang Young arbeitete an reduzierten Landschaf- ßergewöhnlichen Umgang mit Form und Mate- ler selbst hat einmal darauf hingewiesen, dass ihn ten unter Einbeziehung visueller Illusionen. An- rial auf. Dabei zeichnen sich seine Werke durch die unzähligen, in Tak gewickelten Päckchen, die statt Volumen durch die Überwindung des Zweidi- die Koexistenz zwei- und dreidimensionaler As- von der Decke der traditionellen Apotheke seines mensionalen mittels Anhäufung von kleinteiligen pekte aus. Im Hinblick darauf, wie seine Arbei- Onkels hingen, inspiriert haben. Wenn man die Körpern zu schaffen, versuchte sich der Künstler ten zugleich bildhafte Attribute und dreidimen- Strukturen von Chuns Arbeiten, die wie Spitzen am Dreidimensionalen, indem er räumliche Illusi- sionale Strukturen beinhalten, sind sie einzigar- dastehen, fixiert, könnte man in ihnen durchaus onen auf den flachen Oberflächen erzeugte. tig. Auch wenn seine Kunst einen bildhaften Cha- jene von der Decke hängenden Medizinpäckchen rakter besitzt, handelt es sich nicht ausschließ- erkennen. Die unerwartete Dichte, der Rhythmus Seine Arbeiten entwickeln sich aus wiederholtem lich um Bilder, die in der Ebene entwickelt wer- und die Emotionen, die diese ineinander verwo- Übergang vom Bild zum Objekt und vom Objekt den, denn ihre zweidimensionalen Oberflächen benen Objekte hervorrufen, muss Chun Kwang zum Bild. Die Bildoberfläche, die aus der Aggre- sind ihrerseits aus regelmäßigen und strukturel- Young im Gedächtnis geblieben sein. gation unregelmäßiger Einheiten entsteht, erzeugt len Formationen zusammengesetzt. Darüber hin- den Eindruck von aufgeworfener Erde oder Erdbe- aus bedient sich Chun Kwang Young nicht traditi- Seine frühen Arbeiten weisen grobe und verein- wegungen. Die visuelle Dynamik, die sich auf der oneller malerischer Formalaspekte wie Linienfüh- zelte Elemente auf, im Laufe der Jahre entwickel- Bildoberfläche entfaltet, führt den Betrachter zu rung oder Farben. Seine Arbeiten entstehen durch ten sich seine gestalterischen Strukturen vielmehr einer intimen Begegnung mit der Natur. Die Un- regelmäßige Anhäufungen spezifischer Struktu- zu einer Atmosphäre immer stärkerer Verdichtung ebenheiten und die kleinen Mulden auf der Bild- ren. Die Assemblage – eine Methode, bei der ver- hin. Zugleich bilden sich ausgehend von der Ar- oberfläche steigern den Eindruck einer Natur- schiedene Objekte auf der Bildoberfläche zusam- beit „Shaped Canvas“ aus dem Jahr 2000 unter- erscheinung und zugleich das visuelle Erlebnis mengeführt werden – ist die Basis seiner Werke. schiedliche Figuren wie – Dreieck, Viereck und durch assoziative Effekte – so meint man kleine Genau genommen sind die strukturellen Einhei- Oval heraus. Die strukturelle Vereinzelung wurde Lebewesen aus den Mulden springen zu sehen. ten, die er kreiert, dreieckige Formen unterschied- aufgegeben und der ganze Aufbau an der Ober- licher Größe, die aus Styropor ausgeschnitten, in fläche offenbart. Eine solche Überwindung deu- Chun Kwang Young gehört zu der Generation von koreanisches Papier aus Maulbeerbaumrinde, tet nicht nur die Denkweise des Künstlers an, son- Künstlern, die vom Abstrakten Expressionismus dem Tak, eingepackt und mit einer Papierkordel dern verrät auch implizit den stilistischen Wende- beeinflusst sind. Seine Art, den Bildraum zu struk- verknotet sind. punkt in seinem Werk, das sich von nun an eher turieren und jede Einheit durch Wiederholung an- durch die visuelle Üppigkeit der Dimensionen als zuhäufen, ist der Technik einiger der späten Abs- Die koreanischen Maulbeerbaumpapiere, die Landschaften auszeichnete, als durch die Struk- trakten Expressionisten verwandt. Jedoch sind sei- Chun Kwang Young für seine Kunstwerke verwen- turalisierung ineinander verwobener kleiner Ein- ne Werke in Bezug auf den Einsatz struktureller det, stammen aus antiquarischen Büchern, die heiten. Die daraus resultierende poetische Ener- Einheiten, besonders die Art und Weise, auf die durch ihre gedruckten Schriftfragmente Historie gie verweist auf Chun Kwang Youngs eigentliche diese jeweils zu einem systematischen Ganzen zu- und Vergangenheit evozieren. Die Verwendung künstlerische Intention. Es ist die künstlerische sammengezogen werden, einzigartig. In gewisser kleiner Teile als strukturelle Einheit macht seinen Tiefe, die durch den Naturalismus seiner Werke Hinsicht ist er frei von jeder künstlerischen Kon- Arbeitsprozess so vielschichtig. Die individuellen, zum Vorschein kommt, nicht durch die Konstruk- textualisierung. Sein künstlerisches Oeuvre, das in Tak gewickelten Stücke, sind für sich gesehen tion der Bildoberfläche. sich durch einen ununterbrochenen experimentel- bedeutungsfrei, wie auch einzelne Bausteine al- len Geist auszeichnet, eröffnet einen neuen Hori- leine keinen Sinn ergeben. So wie sich auch der Im Kontext seiner Methoden und Entdeckungen zont. Sein künstlerisches Streben wird einen noch Sinn der Bausteine erschließt, wenn sie zu archi- betrachtet, gewinnt Chun Kwang Youngs Kunst- höheren Grad an Reife und Sublimierung seines tektonischen Strukturen zusammengefügt werden, schaffen zweifelsohne weiter an Bedeutung. In ge- Werkes erreichen. wird jedes dieser kleinen eingewickelten Styropor- wisser Hinsicht könnte man behaupten, dass sei- körper Bestandteil eines Kunstwerkes, wenn sie ne künstlerische Entwicklung linear verlaufen sei. zusammen mit den anderen Partikeln einer be- Wenn man jedoch seine künstlerische Entwick- stimmten Ordnung folgend zusammengefügt wer- lung über die letzten zwanzig Jahre hinweg beob- den. Auf diese Weise entstehen seine Arbeiten achtet, kann man sein beständiges Streben, eine als Gesamtstrukturen. Aufgrund ihres besonde- Vielzahl neuer Strukturen als Katalysatoren ste- ren Aufbaus könnte man sie als strukturelle Land- tigen Wechsels einzusetzen, nicht übersehen.

37 Oh, Kwang-Su the ceiling of the oriental pharmacy owned by mes new aspects, like diastrophism, and compo- The Landscape as Structure. his uncle, who was a Chinese medicine doctor. sition seems to be carried out by coalescing irre- The artwork of Chun Kwang Young and its Staring at his structures, which stand as spikes, gular units. The energy of dynamic change is re- development one could associate them with loads of medici- presented by strong visual excitement. A more ne packages hanging from the ceiling. It seems intimate existence appears, because the com- It is widely recognized that the artwork of Chun possible that he may have reproduced, after an positions are not simply flat ground, but crea- Kwang Young is original and extraordinary in his interval of many years, the packs of herbal me- te space; in a way, they create earths. The natu- use of medium and form. What distinguishes his dicine that he saw at his uncle’s pharmacy. The ralism of the uneven surface and the shapes of artwork is the co-existence of two dimensional unexpected density, rhythm and warmth aroused puddles here and there evoke lively phenomena. and three-dimensional aspects. It is artwork wi- by intertwining objects in similar shapes must Visual pleasure is doubled by the effects of visu- thout parallel among its type, in that it simul- have rippled in his unconsciousness. His ear- al hallucinations that evoke small creatures jum- taneously contains picturesque attributes and ly work possesses elements of coarseness; while ping out of the puddles. three-dimensional structures. Although, as pla- the small units he uses conspicuously convey in- nes, his works possess a pictorial character, they dividualisation. However, as time passed, rather Chun Kwang Young belongs to the generation are not simply pictures that are processed on flat than individualism, his structures projected a that was positively influenced by Abstract Ex- ground, because their two-dimensional surfaces sense of intensifying density that, by 2000, de- pressionism. His way of structurizing the pictorial are, themselves, composed of regular and struc- veloped into Shaped Canvas (triangle, rhombus, space and accumulating each unit through repe- tural formations. In addition, he does not uti- sector, etc.) by enlarging the inner-self of diver- tition parallels the techniques used by later Ab- lize traditional means of painting, such as dra- se formality. Structuralization was buried and stract Expressionists. However, his work is origi- wing lines or filling colors. His sequences are the whole composition revealed on the surface. nal in its creative use of structural units, particu- completed by the regular accumulation of speci- Such a transfiguration not only suggests the na- larly in the gathering of these units into systema- fic structures. Assenblage – a method of putting ture of the artist’s thoughts, but also implies tic wholes. From one point of view, he is libera- objects together to surfaces – is the basis of his the magnitude of the change in his work, which ted from any artistic contextualization. One can- work. In fact, the structural units he creates are came to be characterized by the visual affluence not be sure how his artistic development will pro- triangular forms, of various sizes, that are cut of dimension as landscape, rather than structu- ceed. However, his artistic endeavour will conti- out of Styrofoam, wrapped in Korean mulberry ralization, by intertwining small units. Hence, nue to mature in a new direction towards a de- paper and tied with paper string. the tranquil and lyrical flow of energy reveals the gree of completion and fulfilment of his oeuvre. depth of Chun Kwang Young’s inner-thought. Na- The Korean mulberry papers used in Chun turalism comes into existence on its own, pri- KwangYoung’s artwork are old printed docu- or to the construction of the meaning of the art- ments that evoke antiquity by revealing traces of work, and then the depth of his inner-thought is printing. The variation in his work process surely revealed. originates from his use of small pieces as struc- tural units. The individual pieces wrapped in Ko- By any measure, Chun Kwang Young’s artwork is rean mulberry paper do not, themselves, mean enhanced in the context of his methods and dis- anything, just as individual bricks have no use. coveries. In a sense, one could argue that the Similarly, as the use for bricks is recognised progression has been uncomplicated. However, when they are laid to complete structures, each when observing the inner side of his artistic ca- small piece of Styrofoam wrapped in Korean reer over 20 years, one cannot overlook his con- mulberry paper becomes part of an artwork when stant effort to use a variety of new structures as arranged with other pieces in a specific order. In catalysts for endless change. It might be said this way, his work is born as a whole structure. that because his experimental mind never sett- It can be called a structural landscape because les on a way to work, he is constantly pushing it is assembled in a specific order; perhaps it is himself. By the mid-2000s, his work had un- more appropriate to call it the result of an ad- dergone another change, and he was making re- vanced methodological process. stricted landscapes using visual illusions. Rather than creating volume by overcoming two-dimen- But how distinctive are Chun Kwang Young’s me- sionality, the artist attempted three-dimensio- thods and structural units? Once, the artist con- nality by creating illusions on flat surfaces. The fessed that he was inspired by numerous pa- planes acquire volume, and three-dimensional ckages wrapped in mulberry paper hanging from change occurs within them. Background assu-

38 Chun Kwang Young, «Aggregation 08-N043», 2008 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 229 × 183 cm

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Chun Kwang Young, «Aggregation 001-AP0100 A,B», 2001 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 232 × 404 cm

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Chun Kwang Young, «Aggregation 02-L114», 2002 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 98 × 131 cm

43

Chun Kwang Young, «Aggregation 07-A131», 2007 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 175 × 145 cm

45 Chun Kwang Young, «Aggregation 07-A134», 2007 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 169 × 133 cm

46 Chun Kwang Young, «Aggregation 07-A136», 2007 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 172 × 138 cm

47 Chun Kwang Young, «Aggregation 07-DE144», 2007 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 176 × 243 cm

48 Chun Kwang Young, «Aggregation 08-N044», 2008 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 200 × 291 cm

49

Chun Kwang Young, «Aggregation 08-AU022», 2008 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 325 × 230 × 222 cm

Chun Kwang Young, «Aggregation 08-SE024BLUE», 2008 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 202 × 362 cm

53

Chun Kwang Young, «Aggregation 11-DE089», 2011 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 202 × 362 cm

55 Chun Kwang Young, «Aggregation 11-SE067», 2011 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 151 × 151 cm

56 Chun Kwang Young, «Aggregation 11-SE068», 2011 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 151 × 151 cm

57

Chun Kwang Young, «Aggregation 12-FE007», 2012 [Leihgabe des Künstlers] Mischtechnik mit koreanischem Maulbeerbaumpapier//Mixed Media with Korean Mulberry Paper 202 × 362 cm

59 Birgit Hopfener Interview Chun Kwang Young Birgit Hopfener gesprochen haben – die gesamte koreanische Alltags- Häufig werden Ihre Arbeiten mit dem Konzept der Interview mit Chun Kwang Young kultur. Materialeigenschaften von Maulbeerbaumpapier Akkumulation beschrieben. Was interessiert Sie an sind Luftdurchlässigkeit, Flexibilität und Widerstandsfä- der Anhäufung? Kann sie als Speicher von Zeit, von Herr Chun Kwang Young, im Rahmen der Aus- higkeit, weswegen es zum Beispiel im Wohnbereich als Erinnerung verstanden werden? Inwiefern setzen Sie stellung „Surface: Die Poesie des Materials“ wer- Tapete aber auch als Verpackungsmaterial für Lebens- sich hier auf theoretischer Ebene mit der Konstituti- den Ihre künstlerischen Arbeiten im Kontext materi- mittel verwendet wird. Hanji hat für mich außerdem on von Bedeutung auseinander? Anstatt vorhande- alästhetischer und materialkonographischer Frage- auch eine starke biographische Konnotation. Eine prä- ne Bedeutung im Objekt zu identifizieren, generiert stellungen sowie in kulturvergleichender Perspekti- gende Kindheitserinnerung, die mit dem koreanischen sich Bedeutung in Ihren Akkumulationen durch die ve zusammen mit Werken der Künstler Anselm Kie- Maulbeerbaumpapier verknüpft ist, waren Besuche Relation der einzelnen Elemente zueinander. Ist die fer und Gotthard Graubner gezeigt. Vor diesem Hin- mit meiner Mutter in einer traditionellen koreanischen Bedingung von Möglichkeit von Bedeutung die rela- tergrund lege ich auch im folgenden Interview einen Apotheke, in der die Arzneimittel verpackt in kleinen tionale Qualität? Fokus auf Fragen zu materialikonographischen und mit Schriftzeichen bedruckten Hanjipäckchen von der materialästhetischen Bedeutungsebenen in Ihrem Decke hingen, was mich sowohl visuell als auch äs- Chun: Nach meiner Meinung sind alle Kreationen, Werk in kulturvergleichender Perspektive. thetisch nachhaltig beeindruckt hat. Besonders beto- seien es Ideologien, Meinungen oder Produkte, Re- nen möchte ich an dieser Stelle außerdem, dass meine sultate eines dreimaligen Differenzierungsprozesses. Hopfener: Die koreanische materielle Alltagskul- Entscheidung für das Hanji-Papier als ideales künstle- Die Idee entsteht zunächst aus dem Geist eines Phi- tur ist stark durch Hanji, das koreanische Maulbeer- risches Ausdrucksmittel eine sehr intuitive war. losophen, eines Politikers oder eines Literaten. Sie baumpapier geprägt. Im Wohnbereich kam Han- ist zu Beginn nicht definiert oder klar gerahmt, son- ji traditionellerweise zum Beispiel bei der Beschich- Hopfener: Koreanisches Papier ist im Unterschied dern gewinnt erst durch Niederschrift oder durch tung von Böden sowie der Verkleidung von Wänden zu industriell hergestelltem, aber auch zu chinesi- Materialien wie Papier, Kohle oder Holz physische und Fenstern zum Einsatz. Außerdem dient Maul- schem und japanischem Papier von besonders ho- Gestalt. Durch die Konfrontation mit dem Leser oder beerbaumpapier auch als Verpackungsmaterial, frü- her Qualität. Es besitzt eine besonders feine Struk- Betrachter ergeben sich dann weitere, neue Inter- her wurden sogar Waffen aus diesem Papier gefer- tur und weist aufgrund der außergewöhnlich lan- pretationen. Meine Arbeiten würde ich in der zwei- tigt. Inwiefern und auf welche Weise kann die Ver- gen Fasern der Borke des koreanischen Maulbeer- ten Phase verorten. Ihre Bedeutung generiert sich wendung von Hanji bzw. dem speziellen Hanji- baums eine besonders lange Haltbarkeit und Wider- zunächst in einem zufälligen Formungsprozess, der Typus, dem Tak-Papier, das häufig als Geschenk- standsfähigkeit auf. Inwiefern spielen diese Material- dritte Differenzierungsschritt und somit die Erwei- und Briefpapier sowie als Material für Handwerks- eigenschaften eventuell auch im übertragenen Sin- terung von Bedeutungsebenen, ergibt sich dann kunst zum Einsatz kommt und das Sie vorzugsweise ne, in Bezug auf spezifische kulturelle Werte in Ko- durch die Begegnung mit dem Betrachter. verwenden, in ihrer Kunst als Bedeutungsträger ko- rea eine Rolle? reanischer Kultur verstanden werden? Quellen des mit Schrift bedruckten Papiers, welches Chun: Dass das koreanische Papier eine besonders ich für meine Arbeiten verwende, sind beispielswei- Chun: Tatsächlich verwende ich koreanisches Maul- hohe Qualität aufweist, habe ich erst recht spät er- se Romane oder auch Handlungsanweisungen von beerbaumpapier als Bedeutungsträger koreanischer fahren. Es ist wirklich erstaunlich, dass über 100 alten Weisen, die auf diese Weise Bezüge zur korea- Kultur, sehe es aber auch als universal verständliches Jahre alte Bücher so gut erhalten sind. Die hand- nischen Geschichte herstellen. Durch die neue und künstlerisches Ausdrucksmittel. Meine Auseinander- werkliche Fertigkeit und die Technik unserer Vor- zufällige Zusammensetzung des mit Schrift bedruck- setzung mit meiner koreanischen Herkunft begann in- fahren sind zweifellos sehr beeindruckend. Ich ver- ten Papiers ergeben sich neue Semantiken. Die- teressanterweise nicht während ich in Korea lebte, knüpfe mit der Verwendung dieses Papiers aber vor se relationale Logik der Generierung von Bedeutung sondern erst im geographischen Abstand zu meinem allem das Anliegen, mit einem mir sowohl kulturell hängt eng mit dem Wesen der chinesischen Schrift Heimatland, in den 1970er Jahren, als ich mich in den als auch persönlich vertrauten Material zu arbeiten, zusammen. Im Unterschied zur lateinischen Schrift USA aufhielt. Die amerikanische Kunstszene war da- um auf diese Weise eine „koreanische“ abstrakte ist die Bedingung von Möglichkeit von Bedeutung mals vor allem durch die künstlerischen Strömungen Kunst und Minimal Art zu formulieren. in chinesischen Schriftzeichen relational. Je nach- Abstrakter Expressionismus und Pop Art geprägt. Um dem auf welche Weise, in welchem räumlichen Ver- in diesem Kontext und im Zuge meiner zunehmenden Hopfener: Ihre Arbeiten setzen sich aus unzähligen hältnis, die einzelnen Elemente der Schriftzeichen, Bekanntheit als Künstler in der amerikanischen Öffent- dreieckigen bzw. pyramidenförmigen Styroporele- die sogenannten Radikale, kombiniert werden, ergibt lichkeit eine eigene künstlerische Position zu formulie- menten zusammen, die Sie mit gebrauchtem und sich – festgelegt nach bestimmten Konventionen – ren, beschäftigte ich mich verstärkt mit Fragen korea- mit Schrift bedrucktem Tak umwickelt haben. Aus eine spezifische Bedeutung. nischer Identität. Die Verwendung von koreanischem produktionsästhetischer Perspektive gefragt: Inwie- Papier in meinen künstlerischen Arbeiten ist in die- fern konstituiert sich die Bedeutung der gesamten Übertragen auf meine produktionsästhetische Her- sem Zusammenhang zu verstehen. Maulbeerbaumpa- künstlerischen Arbeit im Zuge dieses Herstellungs- angehensweise dient mir die Strategie der Akkumu- pier ist nicht nur Trägermedium von Schrift und Bild, prozesses? Welche Bedeutung messen Sie der ma- lation als Mittel, um die Leinwand von ihrer Zweidi- sondern es prägt - wie Sie es in Ihrer Frage bereits an- nuellen Handarbeit bei? mensionalität zu befreien und stattdessen zu einer

61 dreidimensionalen, organischen Struktur zu gelan- wältigenden Natur spüren lassen, ihn aber keines- nally employed in the surfacing of floors or the lining gen. Die Anhäufung und Neukombination der py- falls übertreffen. Ähnlich wie wir beim Anblick eines and cladding of walls and windows. In addition, mul- ramidenförmigen Elemente ist zum einen als visu- gewaltigen Wasserfalls die gesamte beeindruckende berry paper was used as packing material and even elle Inszenierung eines Speichers physischer und Erscheinung und nicht das Element Wasser wahr- weapons were manufactured from this material. sprachlicher Einheiten zu verstehen und zum ande- nehmen, lade ich den Betrachter mit meinen Wer- ren als Mittel, um dem Betrachter die syntaktische ken zur intuitiven und sinnlich-emotionalen Erfah- To what extent and in what way can the use of hanji – Konstruiertheit von Bedeutung bewusst zu machen. rung einer metaphysischen Sphäre ein. or of the especial type of hanji, tak paper, which is of- ten used as gift-wrapping, writing paper or handcraft Die Akkumulation ist für mich also Ausdruck visu- Hopfener: Zum Abschluss eine Frage zu Ihrem Künst- material and which tends to be the type you use – be eller und semantischer Erneuerung. Oft beschreibe lerselbstverständnis. Sie stellen Ihre Kunst sowohl in- seen in your art as a sense-bearer for Korean culture? ich meine Arbeit als Zusammenstoß kleiner kosmi- ner- als auch außerhalb Koreas, überall auf der Welt scher Teile. So wie sich das Universum in ständiger aus. Inwiefern verstehen Sie sich als koreanischen Chun: I do indeed employ Korean mulberry pa- Transformation befindet, so verhält es sich mit mei- Künstler und wie sehen Sie ihre Rolle als international per as a sense-carrier, but I see it also as a univer- nen Akkumulationen. Intuitiv und spontan bilde ich agierenden Künstler, der an der sogenannten globalen sally understandable means of artistic expressi- auf der Leinwand organische Strukturen, die wie le- Kunstwelt partizipiert? Wie wichtig ist Ihnen die Ausei- on. Interestingly, my coming to terms with my Ko- bendige Erdstrukturen erscheinen. Seit den 2000er nandersetzung mit Fragen kultureller Identität? rean origins began not while I was still living in Ko- Jahren versuche ich verstärkt, die Relationen der rea but only when, in the 1970s, I was at a geogra- einzelnen Elemente zueinander zu dramatisieren, Chun: Ich denke, dass alle Künstler zugleich lokal phical distance from my home country and living in indem ich in meinen Arbeiten verschiedene Arten und global sind. Berücksichtigt man nur die Her- the USA. The American art scene of those years was von Mulden schaffe, schwarze Mulden wie die Spu- kunft des Künstlers oder nur seinen internationalen marked above all by the artistic directions of Ab- ren eines abgestürzten Kometen, ovale und orange- Bekanntheitsgrad und kommerziellen Erfolg, läuft stract Expressionism and Pop Art. In this context, farbige, glühend anmutende Mulden die so wirken man Gefahr, wesentliche künstlerische Qualitäten ei- and because I was becoming increasingly known to als stünden sie kurz vor der Explosion, sowie bereits nes Künstlers zu verkennen. Es ist nicht zu unter- the American public, I needed to formulate a per- abgekühlte Mulden in blauer Farbe. schätzen, dass die Gegenwartskunst ihre theoreti- sonal artistic position – and for that reason concer- schen und visuellen Wurzeln in der euro-amerika- ned myself with questions of Korean identity. It is in Für die Erfahrung meiner Arbeiten gilt, je mehr sich nischen Tradition der Moderne hat. Allerdings droht this context that my use of Korean paper in my artis- der Betrachter dem Kunstwerk nähert, desto klarer die Gefahr, ohne kritische Auseinandersetzung mit tic works is to be understood. Mulberry paper is not wird ihm die strukturelle Zusammensetzung der Ele- euro-amerikanischen Kategorisierungen kulturell only a carrier medium for writing and images, but – mente. Ein der chinesischen Sprache mächtiger Be- vereinnahmt zu werden. Für mein Werk gilt, dass as you have already mentioned in your question – it trachter wird versuchen, die durch die Herstellung ich durch die Verwendung von Maulbeerbaumpa- leaves its mark on the entirety of Korean daily cul- neuer Relationen entstandenen Bedeutungen entzif- pier versuche, das Lokale mit dem Globalen zu ver- ture. The properties of mulberry paper as material fern zu wollen. binden, indem ich davon ausgehe, dass dieses Ma- are air permeability, flexibility and durability, which terial ein universal verständliches künstlerisches is why it is used as wallpaper in domestic spaces Im Unterschied dazu wird der Betrachter in größerer Ausdrucksmaterial darstellt. and as wrapping paper for foodstuffs. For me, how- Distanz zum Werk vor allem die visuelle Wirkung der ever, mulberry paper also has a strong biographical Akkumulation wahrnehmen. Meine Arbeiten sind Birgit Hopfener connotation: a formative childhood memory of mine explizit räumlich angelegt und wollen den Betrach- Interview with Chun Kwang Young with a link to Korean mulberry paper is of going with ter körperlich involvieren, indem sie Nah- und Fern- my mother to a traditional Korean chemist’s shop or betrachtung in ein relationales Verhältnis setzen und Chun Kwang Young – The exhibition „Surface: Die pharmacy, in which the medicines hung from the durch die Erhöhung organischer Lebendigkeit der Poesie des Materials“ displays artistic works of yours ceiling wrapped in little mulberry paper packages Dreidimensionalität durch die Lichtbrechung in den side by side with works by the artists Anselm Kiefer printed in small letters – which left an enduring im- akkumulierten Dreiecksstrukturen. and Gotthard Graubner, the overall context being one pression on me, both visually and aesthetically. At of issues concerning material aesthetics and the ico- this point I would like also to stress especially that Hopfener: Sie favorisieren in Ihrer Kunst große For- nography of materials. Against this backdrop, I should my decision for hanji paper as an ideal means of ar- mate. Was interessiert Sie am Monumentalen? like our interview also to focus on questions arising tistic expression was a highly intuitive one. from the aesthetics and iconography of materials in Chun: Es gab keine besondere Intention monumen- your oeuvre – in a comparative cultural perspective. Hopfener: In contrast to industrially produced pa- tale Arbeiten zu schaffen, tatsächlich stelle ich die per, but also as against Chinese and Japanese pa- Bedeutung des Monumentalen sogar eher in Frage. Hopfener: Hanji, Korean mulberry paper, has left its per, Korean paper is of especially high quality. It Zwar möchte ich den Betrachter mit meinen großen mark on Korea’s day-to-day material culture. In do- has a particularly fine structure and, on account of Werken überwältigen, ihn Ehrfurcht vor einer über- mestic living spaces, for example, hanji was traditio- the extraordinarily long fibres in the mulberry trees’

62 bark, from which it is manufactured, is notably long- my works in the second phase. Their significance is tion of the elements becomes to him or her. A vie- lasting and resilient. generated at first in a chance, haphazard process of wer who has command of Chinese will try to deci- forming. The third stage of differentiation, and with pher the meanings that have arisen by the produc- To what extent do these qualities of the material it the expansion of levels of meaning, emerges in the tion of new relations. In contrast, a viewer standing have a part to play vis-à-vis specific cultural values encounter with the observer/viewer. at a greater distance away from the work will receive in Korea – perhaps also in a metaphorical sense? above all the visual effect of accumulation. My works The paper printed with writing characters has refe- have an explicit spatial design and set out to involve Chun: The fact that Korean paper is of especially rences to, for example, novels or the guidance for the spectator physically by placing the close-up and high quality was something I came to realize only human action given by ancient sages – to so estab- the distanced viewer experiences in relationship one pretty late on. It is really astonishing that second- lish links with Korean history. The new chance collo- to another and by increasing the organic liveliness of hand books that are over 100 years old are still pre- cations of the pieces of printed paper create new se- three-dimensionality as light is refracted in the trian- served in good condition. The craft skills and tech- mantic possibilities. This relational logic of the gene- gular structures of the accumulations. niques of our ancestors are undoubtedly very im- ration of meaning is closely connected with the na- pressive. In using this paper, however, my aim is ture of Chinese script. In contrast to Latin script, the Hopfener: In your art, you favour large-scale formats. above all to be working with a material with which I condition of the possibility of meaning with Chine- What is it about monumentality that interests you? am familiar both culturally and personally so as to se script characters is relational. Depending upon in be able to formulate a „Korean“ abstract art and Mi- which way, in which spatial relationship, the indivi- Chun: I had no particular intention of creating mo- nimal Art. dual elements of the characters, the so-termed „ra- numental works – in fact, I tend rather to question dicals“, are combined, a specific meaning emerges the importance of the monumental. It is true that I Hopfener: Your works are made up of innumerable – determined by certain conventions. would like to overwhelm the viewer with my large pi- triangular or pyramid-shaped polystyrene elements, eces, to make him feel awe in face of overwhelming which you have wrapped in used mulberry paper When transferred to procedures of my aesthetics of Nature, but not to transcend him in any way. Just as printed with script characters. Putting the questi- production, the strategy of accumulation serves as a when viewing a mighty waterfall we perceive the en- on from the point of view of the aesthetics of pro- means of liberating the canvas from its two-dimensi- tire impressive phenomenon and not the element of duction: To what extent is the significance of the en- onality and of achieving instead a three-dimensional water, so with my works I am inviting the viewer to tire artistic work constituted in this process of pro- organic structure. The aggregation and re-combi- the intuitive, sensuously emotional experience of a duction? What significance do you ascribe to manu- nation of the pyramid-shaped elements is to be un- metaphysical sphere. al craft work? derstood on the one hand as the visual staging of a store-house of physical and linguistic elements and Hopfener: Finally, a question as to your self-under- Frequently, your works are associated with the con- on the other hand as a means of making the viewer standing as an artist. You exhibit your art both in cept of „accumulation“. What is it about aggregation aware of the syntactic constructedness of meaning. and outside Korea, all over the world. In how far do that interests you? Can it be understood as a store- you see yourself as a Korean artist and how do you room of time, of memory? For me, therefore, the accumulation is the expres- adjudge your role as an artist active on the internati- sion of visual and semantic renewal. I often descri- onal plane, participating in the so-termed global art To what extent are you concerned here on a theore- be my work as the collision of small, cosmic partic- world? How important is it for you to come to terms tical level with the constitution of meaning? Instead les. Just as the universe is in a process of perpetu- with issues of cultural identity? of identifying an already present meaning within the al transformation, so it is with my accumulations. In- object, meaning in your accumulations is genera- tuitively, spontaneously, I form on my canvases orga- Chun: I think that all artists are at one and the same ted by the relation of the individual elements to one nic structures that seem like living earth structures. time local and global. If one considers only an artist’s another. Is the relational quality the condition for the Since the first decade of this new millenium, I have origins or only his international renown and commer- possibility of meaning? increasingly tried to dramatize the relations of the in- cial success, then there is the danger that quintes- dividual elements towards one another by creating sentially artistic qualities of an artist go begging. There Chun: To my mind, all creations – be they ideo- in my works various types of hollows – black hollows is no underestimating the fact that contemporary art logies, opinions or products – are the results of a like the trace of a crashed comet, oval and orange- has its theoretical and visual roots in the Euro-Ameri- threefold process of differentiation. An idea emer- coloured, seemingly glowing hollows, which look as can tradition of artistic modernity. If there is no critical ges first of all in the mind of a philosopher, a politici- if they were about to explode, and already cooled debate with Euro-American categorisations, however, an or a man of letters. At the beginning, it is not de- hollows represented in blue colour. there is the danger of cultural expropriation. As far as fined and has no clear edges, but it takes on physi- my oeuvre is concerned, my use of mulberry paper is cal shape via materials such as paper, charcoal or The general rule for the experience of the viewer of the attempt to combine the local with the global, on wood. Then further, new interpretations emerge in my works is that the closer the viewer approaches the assumption that this material is a universally un- the confrontation with the observer. I would locate the work of art, the clearer the structural constitu- derstandable material for artistic expression.

63 Karin Scheuermann Junge Positionen. Young Positions. Karin Scheuermann Kunst gefunden. Aus dem Alltag in die künstlerische Dargestellten, die Thiele in ihren Werken zeigt und Junge Positionen aus der Sammlung Produktion überführt, spielen zahlreiche Künstlerin- doch schwingt in den eingefrorenen Momentauf- Alison und Peter W. Klein nen und Künstler mit den als traditionell weiblich nahmen oft etwas Rätselhaftes mit. Vor einer diffu- konnotierten Materialien und deren Bezügen zu sen Landschaftkulisse verortet, liegt der Fokus der Seit den ersten Erwerbungen vor rund 30 Jahren ist Kunsthandwerk und Handarbeitstechniken. Fadenzeichnung „Sonnensuche“ ganz auf der kör- die Kunstsammlung von Alison und Peter W. Klein perlichen Präsenz und dem Ausdruck der darge- auf 1500 Werke angewachsen. Fanden zunächst „Der Faden“, schreibt Gunnar Schmidt, „ist ohne stellten Figuren. Das Werk, das Assoziationen an vornehmlich kleinformatige Druckgrafiken, Aquarelle System, Gebrauchsoffenheit seine Qualität“1. Der das seit dem 19. Jahrhundert in der Malerei etab- und Gemälde den Weg nach Nussdorf, schlug sich Faden ist mit minimaler Fläche und Volumen ausge- lierte Sujet der Badenden weckt, hält genau jenen bald die Expansion des Kleinschen Unternehmens stattet; er ist weich, leicht zu formen, jedoch instabil Moment fest, in dem etwas oder jemand außerhalb im Profil der Kunstsammlung nieder. Unabhängig und stets abhängig von anderen, ihn fixierenden des Bildfeldes Befindliches in die intime Szene hin- von der Herkunft der Künstlerinnen und Künstler Materialien; er wiegt nur einige Gramm und trägt ein ein bricht. Dass Monika Thiele einen narrativen Mo- liegt in der Geschichte der Sammlung Klein von Vielfaches des eigenen Gewichts. Linear im Raum ment andeutet, ohne diesen in einen größeren Kon- Anfang an ein konstantes Augenmerk auf der För- gespannt und diesen vermessend, haften dem Fa- text einzubetten, ist charakteristisch für ihre Arbei- derung junger Positionen. Immer wieder begeben den grafisch-zeichnerische Eigenschaften an.2 ten, deren Kerngedanke, innere Vorgänge und Ebe- sich Alison und Peter W. Klein abseits der großen nen darzustellen,6 durch die mehrfachen Schichtun- Kunstmessen auf Spurensuche. Junge Kunstschaf- „Mit Fäden“, sagt die Künstlerin Monika Thiele gen des Materials versinnbildlicht wird. fende zu entdecken, ihnen ein Forum zu bieten und „kann ich mich in einer Perfektion ausdrücken, wie ihren künstlerischen Werdegang zu verfolgen, ist ich es mir immer vorgestellt habe.“3 Aus der Dis- Wie auch Monika Thiele begreift Chiharu Shiota ihre für die Sammler, deren Stiftung sich in der Förde- tanz wirken die Werke der Pforzheimer Künstlerin Objekte und Installationen als Zeichnungen. Wäh- rung zeitgenössischer Fotokunst engagiert, ein zen- zunächst wie Pastellzeichnungen oder farblich ver- rend Monika Thiele den stofflichen Bildträger „be- traler Punkt in der Auseinandersetzung mit aktu- fremdete Fotografien. Erst bei genauer Betrachtung zeichnet“, fungiert bei Chiharu Shiota der dreidi- eller Kunst. Gerade die jungen Positionen sind es der Oberfläche offenbaren die Arbeiten das techni- mensionale Raum als Objektträger. In den Installa- auch, deren ungewöhnlicher Umgang mit Materia- sche Verfahren: in einem langwierigen Prozess ap- tionen der japanischen Künstlerin schlängeln sich lien überrascht. Seien es die mit Dollarnoten umwi- pliziert Monika Thiele auf zartem Organza unzählige tentakelgleich schwarze Fäden die Wände entlang, ckelten Galgenstricke eines Jota Castro, die fotorea- Fäden zu einem Gesamtbild. Das in Pastelltönen ge- formen höhlenartige Gewölbe, spinnen Klaviere, listischen, in Papier und Leinwand gestanzten Por- haltene und von Hand eingefärbte Garn spannt die Betten, Puppen ein. Die Fadenbahnen der in Ber- träts der Norwegerin Anne-Karin Furunes oder die Künstlerin stets in gerade verlaufenden Linien. lin lebenden Künstlerin erstrecken sich meist über aufgeschnittenen und verknoteten Leinwände des In unterschiedlichen Abständen und sich überlap- ausgedehnte Areale und formen hermetische Zo- Koreaners Shin Sung-Hy – sie stehen ebenso wie pend gesetzt, ergibt die Schichtung der Fäden ein nen im Raum. Die dunklen und bedrückenden Ar- die Textil-Papier-Collagen von Franziska Degendor- plastisches Gewebe, dessen ausgesparte Flächen beiten changieren zwischen Traum und Wirklichkeit, fer für einen konzeptuellen Umgang mit Werkstoffen den Blick auf den textilen Grund freigeben. Durch zwischen Wachen und Schlafen, zwischen lähmen- und technischen Verfahren. Zu den sehr früh erwor- präzise Farbabstufungen des Garns werden die dar- der Stille und meditativer Ruhe. Die eigenen Ängste, benen Materialwerken der Sammlung gehören bei- gestellten Landschaften und Figuren modelliert und Albträume und schmerzhaften Erinnerungen sind spielsweise Kaeseberg (Thomas Froebel) und Jane Bewegung, Raumtiefe, Licht und Schatten geschaf- es, denen Chiharu Shiotas künstlerisches Schaffen Hammond; es folgten in den vergangenen fünf Jah- fen. Monika Thieles Fadenbilder, die sie aus der entspringt. Viele ihrer Werke kreisen um die Frage ren Arbeiten von Christian Hoischen, Franziska Hol- Handzeichnung entwickelt hat, tragen sowohl male- nach Identität und Heimat.7 stein und Robert Rauschenberg. rische als auch zeichnerische Aspekte und stehen in Wechselwirkung mit den Aquarellen und Bunt- Die Installation „Trauma / Lady’s dress“ (2007) ist Für die Ausstellung „Surface: Die Poesie des Ma- stiftzeichnungen der Künstlerin.4 Eingespannt in ei- ein solch albtraumhaftes Gebilde, dessen schwarze terials“ haben die Sammler vier Künstlerinnen aus- nen Plexiglaskasten entfalten die Fadenzeichnun- Fäden ein undurchdringliches Netz erzeugen. Sich gewählt, die sich mit unterschiedlichen Materialien gen erst durch die rückseitige Beleuchtung eine vielfach überkreuzend in einen Stahlrahmen einge- auseinandersetzen und deren Schaffen stellvertre- farbliche und dreidimensionale Wirkung. Diese Art spannt, weist der textile Körper unregelmäßige Ver- tend für die Vielfalt künstlerischer Positionen in der der Präsentation gewährt den Blick auf die Rück- dichtungen und Knotenpunkte auf, so daß die Fa- Sammlung Alison und Peter W. Klein steht. seite, auf der die sichtbaren Verknotungen und die denwand mal mehr, mal weniger Durchblicke zu- Verläufe des Garns sich zu einem abstrakten Bild lässt. Inmitten des Fadengespinstes schwebt ein Monika Thiele, Chiharu Shiota, Tabaimo, Nicole Bianchet fügen. Im Zentrum von Monika Thieles Schaffen weißes Kleid, im Dickicht gefangen und von der steht das Porträt. Den meist weiblichen Figuren lie- Außenwelt geschützt zugleich. Von Baumwollfäden Schnüre, Garne, Stoffe und Kleidungsstücke haben gen literarische Figuren oder Fotografien von Per- durchdrungen und gehalten, ist es plastisch aus- seit den 1950er-Jahren als werk- und bedeutungs- sonen aus dem Umfeld der Künstlerin zu Grunde.5 geformt, als ob sich noch ein Körper darin befän- tragende Materialien Eingang in die zeitgenössische Es sind die alltäglichen Tätigkeiten und Rituale der de. Wie auch in anderen Werken greift die Künstle-

65 rin hierbei auf ein bereits getragenes Kleidungsstück tigen Zangen weniger Tabaimos Interesse an insek- 1 Schmidt, Gunnar: Ästhetik des Fadens. Zur Medialisierung eines zurück. Das Textil als zweite Haut verweist als stell- tischer Anatomie geschuldet, sondern visualisieren Materials in der Avantgardekunst, Bielefeld 2007, S. 7 2 Vgl. ebd., S. 7 f. vertretendes Element auf den einstigen unbekann- das Kribbeln und Stechen, das die Künstlerin auf- 3 Thiele, Monika. In: Zwischenklänge - Fadenbilderbilder von Monika ten Träger und bekommt nun – übertragen in einen grund einer chronischen Hautkrankheit verspürt. Thiele im Kunstverein Pforzheim. Film zur Ausstellung, Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=5_t_zvIo6dU&feature=related, 2009. neuen Kontext – universellen Charakter verliehen.8 Den Blick ins Körperinnere führt Tabaimo in der Li- 4 5 6 Vgl. ebd. 7 Die Verknüpfung des menschlichen Körpers bzw. thografie-Serie „Show through“ fort. Hier geht der Vgl. Shiota, Chiharu: Raum, Berlin, 2005, S.79 8 Vgl. Matusche, Petra: Traum und Verstörung – Notizen zum Werk der ihn symbolisierenden Objekte mit künstlerischen Blick auf hauchdünnem, beinahe transparentem Chiharu Shiota. www.chiharushiota.com/e_presse/html 9 Aktionen durchzieht Shiotas Schaffen. In ihren Per- Gampipapier noch eine Ebene tiefer, zu Herzmuskel Vgl. Jahn, Andrea: Chiharu Shiotas „Way into Silence“: ein künstle- risches Dreiecksverhältnis. In: Way into Silence, Ausstellungskata- formances fungiert der eigene, mit Farbe oder Lehm und Gehirn, um welche sich feine, floral anmuten- log Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 2003, S. 4 f. 10 begossene Körper als Leinwand und wird zum Be- de Adergeäste spinnen. Im Gegensatz zu den Ar- Kimura, Eriko: Interview with Tabaimo. In: Goth. Reality of the Departed World, 2007. standteil des Kunstwerks. Auch ihre textilen Wer- beiten der Serie „Skinspots“ welche die sich erneu- 11 Vgl. Weber Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige ke lassen sich auf ein symbolisch aufgeladenes Kör- ernde Eigenschaft der Haut durch sich wölbende Geschichte. Bern, Stuttgart, Wien 2004, S. 109 f. 12 Bianchet, Nicole: Künstlerischer Ansatz. Unveröffentlichter Text von perteil zurückführen: mit der Integration der eigenen und scheinbar vom Untergrund ablösende Papier N. Bianchet, 2009. 13 Nabelschnur als „Urfaden“ nehmen Shiotas thematisieren , fixieren den Bilderträger des Werks Bianchet, Nicole: Pressetext Stadtgalerie Schwaz, 2010. 14 Brehm, Margrit: Nicole Bianchet. In: Nicole Bianchet. Once wanted, 2010. Fadenzeichnungen im Jahr 1995 in einer Perfor- „Show through II“ zahlreiche Nylonfäden. Im Rah- mance ihren Ausgangspunkt.9 men eines Stipendiums des Singapore Tyler Print In- Karin Scheuermann stitute entstanden, können diese Werke im Zusam- Young Positions from the Alison and Peter Tabaimo kommt wie Chiharu Shiota aus Japan, bei- menhang mit Tabaimos Videoarbeiten gelesen wer- W. Klein Collection de Künstlerinnen haben in Kyoto studiert und bei- den, deren surreale Welten auf Zeichnungen der de waren im Jahr 2011 auf der Biennale von Vene- Künstlerin basieren und in ihrer Ästhetik auf traditio- Since the first purchases made some 30 years dig vertreten. „I think” sagte Tabaimo in einem In- nelle japanische Holzschnitte und Mangas verweisen. ago, the Alison and Peter W. Klein Collection has terview 2007, „skin is an extremely curious element grown to encompass some 1,500 works. While in the sense that it hints at ‚front and back‘ or ‚out- Nicole Bianchets Werke weisen ebenfalls zeichneri- at first it is primarily small-scale lithographs, wa- side and inside’“.10 In den Zeichnungen und Colla- sche Elemente auf. Die Landschaftsbilder der in Los ter-colours and paintings that make their way to gen der 1975 geborenen Künstlerin verkörpert japa- Angeles geborenen Künstlerin stellen auf den ers- Nussdorf, the expansion of the Kleins’ compa- nisches Gampipapier die Strukturen menschlicher ten Blick melancholisch verträumte Sehnsuchtsorte ny soon leaves its mark on the profile of their art Haut. Das handgeschöpfte Papier, das aus einem in in der Tradition deutscher Romantik dar. Dabei inte- collection. It is part of the history of the Coll- Südjapan wachsenden Malvengewächs gefertigt ressieren die Künstlerin die Doppelbödigkeit arkadi- ection from the very beginning that it has al- wird, nimmt mit den Papieren Kozo und Mitsumata scher Landschaften, hinter deren schönem Schein ways had the encouraging of young positions in seit dem 9. Jahrhundert eine zentrale Rolle in der sich ein „fehlerbehaftetes Wunderland“12 verbirgt. view, irrespective of the artists’ origins. Again traditionellen Papierherstellung ein. Gampi, das Die Brüchigkeit der romantischen Vorstellungen and again, Alison and Peter W. Klein have follo- als das kostbarste aller Japanpapiere und als Sym- spiegelt sich in der künstlerischen Bearbeitung der wed trails away from the beaten track of the big bol der Reinheit gilt, wird aufgrund seiner weichen Oberflächen der Kunstwerke wider. In große Holz- art fairs. Discovering young artists, offering them und schimmernden Oberfläche für kalligrafische platten ritzt Nicole Bianchet mit dem Cutter klei- a forum and subsequently following their artistic und künstlerische Arbeiten, aber auch als Grundla- ne Rillen, tiefe Kerben und durchbricht stellenwei- development is a central aspect of the two collec- ge für Wertpapiere oder Lampions genutzt.11 Das Pa- se den hölzeren Bildträger komplett. Die Gravuren tors’ ongoing concern with contemporary art, their pier hat darüber hinaus eine ganz besondere Eigen- legen die Maserungen und die einzelnen Schichten Foundation being especially committed to the schaft, mit der Tabaimo in der Arbeit „Skinspots 03“ des Holzes frei und verstärken so die haptische Wir- support of contemporary photography. And it is spielt: die in den Pflanzenfasern enthaltenen Bit- kung der dargestellten Baumstämme und Gewäch- precisely these young positions that have surpri- terstoffe schützen es vor Papier fressenden Insek- se. Die bildhauerische Bearbeitung des Holzes ge- ses in store in their unusual treatment of materi- ten. Für die Arbeit „Skinspots 03“ hat Tabaimo zwei schieht „so kontrolliert wie möglich und so chao- als. Be it Jota Castro’s gallows nooses wrapped in cremefarbene Gampipapiere aufeinandergelegt. tisch wie nötig“13. Hierbei fungiert der Cutter für die dollar bills, the photo-realistic portraits stamped Die runden ausgeschnittenen „Spots“ ähneln ver- feinen Linien und die immer wieder eingeritzen Wor- on paper produced by the Norwegian Anne-Karin größerten Poren und geben den Blick auf die darun- te und Verse aus eigenen Songs wie ein Zeichen- Furunes, or the slit-open and knotted canvases of ter liegende Hautschicht frei. Dort haben sich Flie- stift. Das Spannungsverhältnis in Nicole Bianchets the Korean Shin Sung-Hy – like Jane Hammond’s gen, Käfer und Schmetterlinge in unterschiedlichen Werken ist nicht nur auf den Kontrast zwischen Su- collages, they all stand for a conceptual treat- Entwicklungsstadien eingenistet. Tabaimo seziert jet und künstlerischer Technik zurückzuführen son- ment of working materials and technical proce- das Kleingetier, rückt mit schwarzer Tusche einzelne dern resultiert auch aus der für Holzarbeiten untypi- dures. Among the material-based works acquired Körperteile in den Mittelpunkt: vergrößert wie durch schen Verwendung leichter Lasuren und Tuschen, very early on for the Collection were, for example, das runde Glas einer Lupe sind die dünnen Beine die die materielle Beschaffenheit des Holzes durch- pieces by Kaeseberg (Thomas Froebel) and Jane mit Widerhaken, borstigen Härchen und krallenar- schimmern lassen.14 Hammond; and over the last five years works by

66 Christian Hoischen, Franziska Holstein and Ro- Monika Thiele’s thread pictures, which have de- The Installation „Trauma / Lady’s Dress“(2007) is bert Rauschenberg have followed. veloped out of hand drawings, have both painter- one such nightmare creation, its black threads ly and draughtsmanlike aspects and stand in a creating an impenetrable net. Criss-crossing and For the current exhibition, „Surface: Die Poesie two-way relationship with the artist’s water-colours fixed into a steel frame, the textile body reveals ir- des Materials“ the collectors have picked out four and crayon drawings.4 Fixed in position in a plexi- regular compacted areas and nodal points which female artists who set to work on a variety of mate- glass case, the thread pictures take on a coloured, make the wall of threads appear now more, now rials and whose creative output is representative of three-dimensional effect only when lit from the less porous. In the middle of the weft of threads the variety of artistic positions to be found in the rear and allow the viewer to see the reverse side, hangs a white dress, caught up in the thicket and Alison and Peter W. Klein Collection. on which the visible knots and stretches of the at the same time protected from the outside world. threads form an abstract picture. Penetrated and held by cotton threads, it has a Monika Thiele, Chiharu Shiota, Tabaimo, Nicole Bianchet sculptural shape, as if there were still a body in- Monika Thiele’s creative output centres on the side. As in other works, the artist here makes use Since the 1950s, strings, threads, fabrics and ar- portrait. The predominantly female figures are of an already worn garment. As a second skin, ticles of clothing have found their way into con- based on literary personages or on phographic the piece of clothing refers by proxy to an unk- temporary art as materials capable of sustaining images of people from the artist’s personal circle.5 nown former wearer and now – transferred into a both the art work and its meaning. Carried over Thiele’s works show day-to-day activities and ri- new context – is endowed with universal charac- from everyday life into artistic production, such tuals, and yet these frozen snapshot visions often ter.8 This linking of the human body, or of objects materials – which traditionally have female conno- have a puzzling air/exude something mysterious. which symbolize it, with artistic actions is an on- tations – are now employed by numerous artists, Located in front of a diffuse landscape scenery, going element in Shiota’s work. In her performan- female and male, who play also with the associa- the thread-drawing „Sonnensuche“ has its focus ces, her own body, covered with poured paint or tions the materials have with arts and crafts and fully on the bodily presence and the expressions clay, functions as a canvas and so becomes a con- handicraft. of the women portrayed. The work, which arou- stituent part of the work of art. Her textile works ses associations with the subject of bathing wo- too can be traced back to a symbolically recharged „The thread,“ writes Gunnar Schmidt, „has no men established in painting since the 19th Cen- part of the body – it was with the integration of her system: its nature is its open use“.1 A thread has tury, captures precisely the moment in which so- own umbilical cord as a ‚primordial thread‘ that minimal surface and volume; it is soft, easily for- mething or someone outside the picture field Shiota’s thread drawings really began in a perfor- med and yet unstable, forever dependent on other breaks in to the intimate scene. This hinting at mance in 1995.9 materials which give it a fixed quality; it weighs narrative elements without embedding them in a only a few grammes and yet can yet carry many wider context is characteristic of Thiele’s works, Like Chiharu Shiota, Tabaimo comes from Japan. times its own weight. Stretched linearly in space whose central idea of portraying inner processes Both artists studied in Kyoto and both were repre- and measuring it out, the thread has graphic, and levels,6 is symbolized by the manifold stratifi- sented in 2011 at the Venice Biennale. draughtsmanlike properties.2 cations of the material. „I think,“ said Tabaimo in an interview in 2007, „Using threads,“ says the artist Monika Thiele, „I Like Monika Thiele, Chiharu Shiota also sees her „skin is an extremely curious element in the sense can express myself with the perfection I have al- objects and installations as drawings. While Mo- that it hints at ‚front and back‘ or ‚outside and in- ways been in search of“.3 Viewed from a distance, nika Thiele „draws on“ her fabric picture-bearer, side‘“.10 In the drawings and collages of the ar- the works of the Pforzheim artist at first seem to with Chiharu Shiota it is three-dimensional space tist, who was born in 1975, Japanese gampi pa- be pastel-crayon drawings or photographs aliena- that functions as the object-bearer. In the installa- per embodies the structures of human skin. The ted by colouring. It is only on a closer inspection tions of the Japanese artist black threads sinuous- hand-crafted paper, made from a variety of mal- of their surfaces that the works reveal their tech- ly snake their way tentacle-like along the walls, vaceae that grows in southern Japan, has taken a nique: in a long drawn-out process Monika Thie- forming cave-like vaults and spinning webs around central role in traditional paper-production since le applies countless threads to a delicate organza pianos, beds and dolls. The thread-ways of the ar- the 9th century, alongside kozo and mitsumata pa- base so creating an overall picture. Pastel-colou- tist, who lives in Berlin, stretch mostly over ex- pers. Gampi, which is considered the most pre- red and hand-dyed, the yarn is stretched by the ar- tended parts of a room, forming hermetic rooms- cious of all Japanese paper varieties and is a sym- tist into lines that always run straight. Set at va- within-the-room. The dark, oppressive works shift bol of purity, is used for calligraphic and artis- rying distances and overlapping, the layering of between dream and reality, between waking and tic work on account of its soft, shimmering sur- the threads creates a sculptural weave, whose re- sleeping, between paralysing quietness and medi- face but is also employed as a basic material for cessed areas allow the eye to see the textile foun- tative calm. Chiharu Shiota’s artistic oeuvre has its securities or lanterns.11 The paper has a very es- dation. The precise colour gradations of the yarn origins in her own fears, nightmares, and painful pecial characteristic, with which Tabaimo plays in model the landscapes and figures portrayed, crea- memories. Many of her works revolve around the her work „Skinspots 03“: the bitter materials pre- ting movement, spatial depth, light and shadow. issue of identity and home country.7 sent in the plant fibres protect it from paper-ea-

67 ting insects. For her work „Skinspots 03“ Tabaimo the auspices of a scholarship awarded by the Sin- ry“,13 with the cutter functioning as a writing uten- has laid two layers of cream-coloured gampi paper gapore Tyler Print Institute, the series can be read sil, drawing the fine lines, and again and again on top of one another. The round, cut-out spots re- together with Tabaimo’s video works, whose surre- scratching in words and lines from the artist’s own semble enlarged pores and allow the viewer to see al worlds are based on drawings made by the artist songs. The tensions in Nicole Bianchet’s works de- the skin layer beneath. There, flies, beetles, and and refer in their aesthetics to traditional Japane- rive not only from the contrast between their cho- butterflies in various stages of development have se wood-cuts and mangas. sen subjects and the artistic techniques employed taken up residence. Tabaimo dissects the small but also from the use of light glazes and Indian creatures, moving individual body parts into the Nicole Bianchet’s works equally reveal drawing-re- inks untypical of works in wood, which allow the centre of attention by means of Indian ink: enlar- lated elements. At first sight, the landscapes of material quality of the wood to shine through.14 ged as by the lens of a magnifying glass, the thin the artist, who was, born in Los Angeles, seem to 1 legs with their barbs, bristly hairs and claw-like represent melancholy, dream-like sites of year- Schmidt, Gunnar: Ästhetik des Fadens. Zur Medialisierung eines Materials in der Avantgardekunst, Bielefeld 2007, p. 7 pincers are not so much due to Tabaimo’s interest ning, in the tradition of German Romanticism. Yet 2 Ibid., pp. 7f 3 in insect anatomy but serve rather to visualize the the artist is interested by the hidden levels in Ar- Thiele, Monika. In: Zwischenklänge - Fadenbilderbilder von Monika Thiele im Kunstverein Pforzheim. Film zur Ausstellung, Quelle: tickling and prickling that the artist feels as the cadian landscapes, behind whose sensuous sem- http://www.youtube.com/watch?v=5_t_zvIo6dU&feature=related, 2009. 4 5 6 Ibid. result of a chronic skin disease. Tabaimo continu- blance a „flaw-ridden wonderland“12 lays hidden. 7 cf. Shiota, Chiharu: Raum, Berlin, 2005, p. 79 es this gaze into the interior of the human body The brittleness of the Romantic envisionings is re- 8 cf. Matusche, Petra: Traum und Verstörung – Notizen zum Werk in the lithograph series „Show through“. Here, on flected in the artistic treatment of the surfaces of Chiharu Shiota. www.chiharushiota.com/e_presse/html 9 cf. Jahn, Andrea: Chiharu Shiotas „Way into Silence“: ein künstle- extra-thin, almost transparent gampi paper, the the works. Using a cutter, Nicole Bianchet scrat- risches Dreiecksverhältnis. In: Way into Silence, Ausstellungskata- viewer’s gaze goes further, one level deeper, to the ches little furrows and deep notches in large-sca- log Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 2003, pp. 4f 10 Kimura, Eriko: Interview with Tabaimo. In: Goth. Reality of the cardiac muscles and the brain, around which fine, le wooden panels, at times completely breaking Departed World, 2007. 11 floral-like vein tracery is spun. In contrast to the through the wooden picture-bearer. Her engravings cf. Weber Therese: Die Sprache des Papiers. Eine 2000-jährige Geschichte. Bern, Stuttgart, Wien 2004, p. 109f works in the „Skinspots“ series, which thematize expose the grain and the individual layers of the 12 Bianchet, Nicole: Künstlerischer Ansatz. Unpublished text by the self-renewing quality of skin by means of ar- wood, thus reinforcing the haptic effect of the tree N. Bianchet, 2009. 13 Bianchet, Nicole: Press release, Stadtgalerie Schwaz, 2010. ching paper that seems to free itself from the un- trunks and shrubs portrayed. The sculptural wor- 14 Brehm, Margrit: Nicole Bianchet. In: Nicole Bianchet. Once wanted, 2010. derlayer, in the work „Show through II“ numerous king of the material is carried out „in as controlled nylon threads fix the picture-bearer. Created under a way as possible and as chaotic a way as necessa-

Chiharu Shiota, «Alltag / Trauma (Ladie‘s dress)», 2007 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Faden, Stahlrahmen, Kleid//Thread, Steel frame, Dress 180 x 98 × 73 cm

68 69 Tabaimo, «Skinspots 03», 2009 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Tusche auf Gampipapier//Ink on Gampi Paper 92 × 117 cm

70 Tabaimo, «Show Through II», 2010 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Lithografie, Acryl und Nylon auf Gampipapier//Lithograph, Acrylic, Nylon Threads on Gampi Paper 92 × 117 × 3 cm

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Nicole Bianchet, «Gebleichter Mond und gefaltete Sterne», 2010 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Tusche auf Holz//Ink on Woodpanel 60 × 120 cm

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Monika Thiele, «Sonnensuche», 2007/2008 [Sammlung Alison und Peter W. Klein] Fäden auf Organza//Threads on organza 160 x 130 cm

75 Biographien//Biographies

Chun Kwang Young *1944 in Hongcheon. Lebt und Gotthard Graubner *1930 in Erlbach. Lebt und ar- Anselm Kiefer *1945 in Donaueschingen. Lebt und arbeitet in Korea. beitet in Düsseldorf und auf der Museumsinsel Hombroich. arbeitet in der Provence.

1968 B.F.A., Hong-Ik University, Korea 1947-1948 Studium an der Hochschule für 1965-1970 Studium der Rechtwissenschaften 1971 M.F.A., Philadelphia College of Art Bildende Künste Berlin und Romanistik in Freiburg 1949-1952 Studium an der Staatlichen Kunst- 1966-1968 Studium der Malerei in Freiburg und Einzelausstellungen (Auswahl) akademie Dresden an der Kunstakademie Karlsruhe Knoxville Museum of Art, Tennessee; Gallery Hy- 1954- 1959 Studium an der Kunstakademie 1970-1972 Studium an der Kunstakademie undai, Seoul; Conny Dietzschold Gallery, Sydney Düsseldorf Düsseldorf (2011); Mori Arts Center Gallery, Tokyo; University of 1969-1995 Professor für an der Akademie der Wyoming Art Museum, Laramie, Wyoming; Singapo- schönen Künste Hamburg Einzelausstellungen (Auswahl) re Tyler Print Institute, Singapore (2009); The Ald- 1976-1998 Professor an der Kunstakademie Sammlung Essl (2012); Museum Frieder Bur- rich Contemporary Art Museum, Ridgefield, Connec- Düsseldorf da, Baden-Baden; Tel Aviv Museum of Art; Ga- ticut; Robert Miller Gallery, New York (2008); Kim lerie Thaddaeus Ropac, Paris; Villa Schöningen, Foster Gallery, New York; Michelle Rosenfeld Galle- Einzelausstellungen (Auswahl) Potsdam (2011); Koninklijk Museum voor Schone ry, New York; Singapore Tyler Print Institute, Singa- Josef Albers Museum, Bottrop (2011); Kunst- Kunsten Antwerpen; Louisiana Museum of Mo- pore; Annely Juda Fine Art, London (2006); Kukje museum Liechtenstein, Vaduz; Galerie Karten dern Art, Humlebæk; Baltic Centre for Contem- Gallery, Seoul (2005). Greve, Paris; Galerie m, Bochum (2010); Staat- porary Art, Gateshead (2010); Gagosian Gallery, liche Kunsthalle Karlsruhe (2008); Galeri Artist Los Angeles (2008); Guggenheim Museum Gruppenausstellungen (Auswahl) - ; Kunstverein Grevenbroich (2007); Bilbao; Grand Palais, Paris (2007); Fondation Impression Gallery, Taipei (2011); New Jersey Sta- Shanghai Art Museum; Neues Beyeler, Riehen (2002). te Museum, New Jersey; The Aldrich Contemporary Museum Weserburg (2006); Kunstverein Lipp- Art Museum, Ridgefield, Connecticut (2010); Conny stadt; Kunstverein Talstrasse, Halle an der Saa- Gruppenausstellungen (Auswahl) Dietzschold gallery, Sydney; Kim Foster Gallery, New le (2005); Kestner-Gesellschaft, Hannover Es Baluard Museum of Art, Palma de Mallor- York (2009); Visual Art Center, New Jersey; The Ald- (2003); ; Nationalgalerie ca (2009); Victoria & Albert Museum, London rich Contemporary Art Museum, Ridgefield, Connec- Skopje (2002). (2008); Museum fur Moderne Kunst, Oosten- ticut (2008); Gallery Lelong, Zurich (2007); CODA de (2006); Fondation Beyeler, Riehen; Musuem Museum, Apeldoorn (2006); Seoul Museum of Art, Gruppenausstellungen of Modern Art, New York (2005); Städel Frank- Seoul; Seoul Museum of Art, Seoul (2005). Kunsthalle Weishaupt, Ulm (2008); Gallery furt (2004); Scottish National Gallery of Modern Hyundai, Seoul (2003); Museum Küppersmühle, Art (2002). Duisburg: Gemälde und Skulpturenmuseum, An- kara; Centre Cultural de la Caixa de Terrassa, Bar- celona; Goethe Institut Istanbul; Staatliche Kunst- sammlungen Dresden (2000).

76 Nicole Bianchet *1975 in Los Angeles, lebt in Berlin. Tabaimo *1975 in Hyogo, lebt in Nagano.

1995-2001 Studium der Malerei an der Staat- Studium an der Kyoto University of Art and Design lichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Ausstellungen (Auswahl) 1995-2001 Studium Operngesang bei Inge James Cohan Gallery, New York; Japanischer Pavil- Bidlingmaier, Karlsruhe lion, 54. Venedig Biennale (2011); Philadelphia Mu- seum of Art; Singapore Tyler Print Institute (2010); Ausstellungen (Auswahl) Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek, Den- Galerie Haas & Fuchs, Berlin; Stadtgalerie Schwaz; mark (2008); Fondation Cartier pour l‘art contempo- Museum Würth, Erstein; Langen Foundation, Neuss rain, Paris (2006). (2010); Temporäre Kunsthalle, Berlin; Zoya Muse- um, Modra; Ferenbalm-Gurbrü Station, Karlsruhe; Arcus Projekt, Itatoi Moriya (2009). Monika Thiele *1966 in Erfurt, lebt in Pforzheim.

1987-1991 Studium an der Akademie der Chiharu Shiota *1972 in Osaka, lebt in Berlin. Künste Dresden 1992-1994 Studium an der Freien Kunstschule 1992-1996 Studium an der Kyoto Seika University Stuttgart 1997-1999 Studium an der Hochschule für 1994 Studium an der Staatlichen Akade- Bildende Künste Braunschweig mie der Bildenden Künste Karlsruhe 1999-2003 Studium an der Universität der Künste Berlin Ausstellungen (Auswahl) Kunsthalle Messmer, Riegel; Salon der Gegenwart, Ausstellungen (Auswahl) Elbhof, Hamburg; Art Helsiniki, Galerie Supper; Da- Alexander Ochs Galleries, Berlin l Beijing; Gervasu- visKlemmGallery, Frankfurt / Main (2011); Gale- ti Foundation, 54. Venedig Biennale; Seoul Muse- rie Irrgang, Leipzig (2010); Kunstverein Pforzheim um of Art (2011); Haunch of Venison, London; Mu- (2009); Kunstverein Marburg (2008). seum on the Seam, Jerusalem; National Museum of Modern Art, Tokio (2010); National Museum of Art, Osaka (2008).

77 Impressum//Imprint

Herausgeber//Publisher Fotografie//Photography KUNSTWERK Uwe Seyl, Stuttgart: S. 22/23, 24/25, 27, 27, 31, 34, Sammlung Alison und Peter W. Klein 35, 42/43, 69, 72/73 Siemensstraße 40 71735 Eberdingen-Nussdorf/Germany Martin Schäuble, Nussdorf: S. 21, 26, 29, 32, 70 Tel. 0 70 42 - 3 76 95 66 Fax 0 70 42 - 3 76 95 77 Chun Kwang Young, Korea: S. 39, 40/41, 45, 46, E-Mail [email protected] 47, 48, 49, 50/51, 52/53, 54/55, 56, 57, 58/59 www.sammlung-klein.de Gaby Gerster, Frankfurt / Main: S. 12/13 Öffnungszeiten//Opening Hours 18. März 2012 bis 16. September 2012 Repro und Druck//Printer Mittwoch bis Freitag und Sonntag von 11–17 Uhr SPRENGER Print und Medien, Vaihingen/Enz Samstag nach Vereinbarung © 2012 KUNSTWERK Sammlung Alison und Ausstellungskonzeption//Exhibition Concept Peter W. Klein Keumhwa Kim, Berlin © The authors for their texts Ausstellungsgestaltung//Exhibition Design & Installation Rommel Ausstellungstechnik, Berlin © The artists for their works

Redaktion//Editors ISBN 978-3-00-037485-2 Keumhwa Kim, Berlin; Axel Hrdina, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten//All rights reserved Textbeiträge//Contributors Keumhwa Kim, Berlin Wir danken der Marianne und Hans Friedrich Petra von Olschowski, Stuttgart Defet Stiftung und der Sammlung Siegfried und Dr. Andreas Kaernbach, Berlin Jutta Weishaupt für ihre großzügige Leihgaben. Oh, Kwang-Su, Seoul //We would like to express our thanks to the Dr. Birgit Hopfener, Berlin Marianne and Hans Friedrich Defet Foundation Karin Scheuermann, Stuttgart and Collection Siegfried and Jutta Weishaupt for their generous loans. Künstlerbiografien//Artists‘ Biographies Keumhwa Kim, Berlin; Karin Scheuermann, Stuttgart Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung »Hängung #8 – Surface: Die Poesie des Materials« Lektorat//Lectorship //This catalogue has been published on the Dr. Katharina Wippermann, Berlin occasion of the exhibition »Hängung #8 – Surface: Die Poesie des Materials« Übersetzungen//Translations Prof. Richard Humphrey, Dresden Der Katalog wurde ermöglicht durch die Alison und Peter Klein Stiftung.//The catalogue has been made Idee und Gestaltung//Visual Concept and Realization possible by the foundation Alison and Peter Klein. Axel Hrdina, Stuttgart

Bildrechte//Copyright S.69 © Chiharu Shiota, S. 70, 71 © Singapure Tyler Print Institute, S. 72/73 © Nicole Bianchet, S. 75 © Monika Thiele.

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