Gotthard Graubner Chroma 15. Juli Bis 3. Oktober 2016 Begleitheft
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Begleitheft Gotthard Graubner Chroma 15. Juli bis 3. Oktober 2016 NEUES MUSEUM Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg Raumplan 1980er 1990er 1970er 1960er Einführung „Ich habe seine Bilder immer als Türen, als Durchblicke durch unsere verstellte Welt gesehen“1, so Markus Lüpertz über seinen Künstler- kollegen Gotthard Graubner im Juni 2013. In welche Welt können Graubners Werke den Betrachter führen, welche Einblicke gewäh- ren sie? Wenn Lüpertz von einer „verstellten Welt“ spricht, beschreibt er sehr bildlich, wovon Gotthard Graubner sich zeitlebens versuchte frei zu machen. Festgelegten, statischen und erstarrten Zuständen setzt Graubner mit aller Entschiedenheit und großer Ausdauer Bilder entgegen, die Bewegung, Veränderung und Übergang veranschaulichen. Glei- chermaßen strahlen seine Werke ein hohes Maß an Ruhe und Stille aus. Mit dieser polaren Spannung zwischen Bewegung und Ruhe arbeitet Graubner über Jahrzehnte hinweg. In den 1960er Jahren, einer Zeit, in der das Ende der Malerei ausgerufen wird, beginnt 3 und artikuliert er einen Weg, der zwar an die Tradition des Tafel- bildes anknüpft, sie aber mit anderen Möglichkeiten fortschreibt. Eine neue Dimension von Malerei entsteht. Entgegen allen Strömungen der damaligen Zeit entwickelt Graub- ner eine Malerei, die der Farbe einen Körper verleiht. Es entstehen in sich abgeschlossene, autonome Gebilde, die dem Betrachter an- bieten, sich darin zu versenken. Gotthard Graubner bringt ein Lebenswerk hervor, welches neben einer beeindruckenden Vielfalt an „Farbräumen“2 eine bestechen- de ästhetische Kontinuität vor Augen führt: sein Anliegen, dem Phänomen Farbe – Licht – Natur Raum zu geben. Seine „Farbräu- me“ bieten dem Betrachter Ein- bzw. Durchblicke in einen Kos- mos, der keinerlei Anleihen bei der äußerlich sichtbaren Welt nimmt und dennoch auf sie, die Welt, – wie auch auf den Betrach- ter selbst – zurückführt. Die Ausstellung Gotthard Graubner. Chroma spannt mit 29 Wer- ken des Künstlers einen Bogen über einen Zeitraum von vier Jahr- zehnten. Das Neue Museum präsentiert damit einen weiteren Werkkomplex der umfassenden Dauerleihgabe aus dem Privatbe- sitz von Ingrid und Georg Böckmann. Nach ersten Leihgaben der Sammlung Böckmann, bereits zur Eröffnung des Hauses im Jahr 2000, erfuhr das Neue Museum vor einigen Jahren einen weiteren, außerordentlich reichen Zuwachs als Dauerleihgabe. Mit insge- samt 69 Werken von Gerhard Richter, Gotthard Graubner, A.R. Penck und Isa Genzken verfügt das Haus damit über auserlesene Werke von international bedeutenden Vertretern deutscher Ge- genwartskunst. 4 Zusätzliche Gemälde aus der Schenkung von Marianne und Hans- fried Defet sowie aus der Sammlung internationaler zeitgenössi- scher Kunst der Stadt Nürnberg ergänzen und runden die Ausstel- lung Gotthard Graubner. Chroma ab. Die Ausstellungsarchitektur gliedert die Werke in weitgehend chronologischer Abfolge. So werden im vorderen Teil des Ausstel- lungssaals Arbeiten aus den 1960er und -70er Jahren, im hinteren Teil Arbeiten aus den 1980er und -90er Jahren präsentiert. Über ein Nummernverzeichnis am Ende des Begleitheftes lassen sich die einzelnen Werke zuordnen. 5 „Die Aktion der Farbe ist das Entscheidende. Jeweils nur ein Farbbereich wird angesprochen. Die Kommuni- kation von kalten und warmen Werten bedingt Span- nung und Austausch. Wie von selbst breitet sich die Far- be über die Fläche. Die Farbkonsistenz bestimmt die Bewegung, den Weg, den sich die Farbe in unbewußtem Lauf bahnt. Es kommt zu Stauungen; der Farbraum bewegt sich im Sog der Pigmenthäufungen. Die Fläche atmet.“ 5 6 Farbe – Licht – Natur Vielfalt und Kontinuität Mit Leidenschaft und unermüdlicher Experimentierfreude ent- wickelt Gotthard Graubner neben Zeichnung, Aquarell und Tafel- bild eine Vielfalt an Bildträgern und -körpern: von den „Kissenbil- dern“ der frühen 1960er Jahre zu den „Farbleibern“, „Nabeln“ und „Torsi“ bis hin zu den „Farbraumkörpern“. Insbesondere seine In- tention, der Farbe etwas Körperhaftes zu verleihen, veranlasst ihn in den verschiedenen Schaffensperioden zu jeweils veränderten bzw. erweiterten Werkbegriffen. Eine Fragestellung war für den Künstler jedoch immer entscheidend: „Wie kann Malerei sich selbst ohne literarischen Anlass als Malerei darstellen? Wie kann sie wegkommen von der bloßen Abbildung der Realität und selber eine Wirklichkeit werden?“ 3 Eigenleben der Farbe Graubners Auffassung, Malerei als Prozess und Farbe als einen ei- genständigen Organismus zu begreifen, ist Grundlage seines Den- kens und Tuns. Zentral ist dabei für ihn, das Eigenleben sowie die Eigengesetzlichkeit von Farbe zu respektieren und sie mit neuen Mitteln zu ergründen. „Farbe ist mir Thema genug“, betont der Künstler. Dabei spielen insbesondere die Farbnuancen und -über- gänge eine bedeutsame Rolle. „Farbe wird erfahrbar durch ihre 7 „Mich interessiert an traditioneller Malerei in erster Linie dieses Eigenleben von Farbe, wie es, wenn auch zu- weilen versteckt, in aller großen Malerei zu finden ist. Dabei ist eine Polarität zwischen kalten und warmen Werten zu beobachten; diese orientieren sich, sobald sie als Malerei zu fassen sind, hin auf die Pole gold-silber. Eine solche polare Spannung ist in jedem guten Bild zu finden, auch wenn die Anteilsverhältnisse noch so un- terschiedlich gelagert sind: Denn ein Bild im Banne des Gold bedarf des Silber und umgekehrt.“6 „Mein Interesse an der Malerei fixierte sich einerseits auf den geistigen Raum, wie er in den Bildern der Ro- mantiker, zumal bei Caspar David Friedrich, erscheint, und andererseits auf die Stofflichkeit der Dinge in einem Bild: Was muss man tun, damit im Bild etwa an einem Hut erkennbar wird, dass er aus Filz und nicht aus ir- gendeinem anderen Material ist? Diese Grundfragen habe ich mir früh gestellt. Ich war ausgebildet worden in der Tradition der großen akademischen Schulen der Malerei in Deutschland, zu denen wie die Akademien in München, Düsseldorf, Karlsruhe, auch die Dresdner Akademie zu zählen ist. Über die technischen Vorausset- zungen verfügte ich also, ich beherrschte früh das Genre der Aktzeichnung, des Porträts, des Landschaftsbildes. Das Interesse daran war auch sehr intensiv – zugleich aber wollte ich das ganz Andere, neue Formen, neue Materialien, einen anderen Bildraum. Das war damals nur im Westen realisierbar.“ 7 8 Nuance“ 4, so der Künstler. Wenngleich seine Werke der monochro- men Malerei zugerechnet werden, stellt sich beim Betrachten sei- ner Gemälde doch kein Eindruck von Monochromie her. So geht es Graubner auch nie um nur eine Farbe, sondern vielmehr um die Farbwerte, -klänge und -stimmungen, die eine Farbe umspielen, begleiten und kontrastieren. Ein Blau, ein Rot usw. „entsteht“ viel- mehr durch das Zusammenspiel mitunter stark kontrastierender Farben. Die eingangs beschriebene (metaphorische) Spannung zwischen Bewegung und Ruhe ist also immer auch mit Farbpolaritäten ver- bunden. So arbeitet Graubner sehr häufig mit Komplementärkont- rasten, mit Gegensätzen wie schwer und leicht, warmen und kalten Farbtemperaturen oder Helldunkelkontrasten, die im Bildganzen aufgehen. Wahlverwandtschaften In diesem Sinne rezipiert Gotthard Graubner auch die Tradition der europäischen Malerei. Werke von Tizian, El Greco, insbeson- dere aber von Caspar David Friedrich, William Turner, Claude Monet und Paul Cézanne kommen seinem Verständnis von Male- rei, Kolorismus und Farblogik wie auch seinem Naturverständnis sehr nahe und stiften Wahlverwandtschaften. Verhältnis zur Natur Wenngleich Graubner nichts Bestimmtes aus der Realität abbildet und auch niemals die bloße Veranschaulichung von „Etwas“ meint, existiert doch immer ein Bezug auf die sichtbare Wirklichkeit. Die Wurzeln seiner Bildfindungen sind in der Realität verankert, auch 9 „Der Malkörper ist für mich der Gegenstand. Der eigent- liche Naturbezug in meiner Malerei ist das Nachschaffen eines Organismus, das Atmen, das Ausdehnen und Zu- sammenziehen. Organische Bewegung, wie sie sich in Wolkenballungen, im Rhythmus des fließenden Wassers oder in der stillen Bewegung eines menschlichen Kör- pers finden lässt.“ 9 „Auch ich bin selbstverständlich ein soziales Wesen in einer bestimmten Epoche. Ich lebe also in einer Kon- sum-Gesellschaft, die sich dauernd vergröbert, ständig an Sensibilität verliert. Das kommt einer permanenten Entmündigung des Einzelnen gleich, sogar die Museen sind mit ihren Programmen, die oft vor allem auf mas- senhafte Resonanz zielen, daran beteiligt. Gegen diese lärmige Tendenz versuche ich anzugehen mit meinen, den leisen Mitteln der Malerei. Ich möchte Sensibilität, Empfindlichkeit im weitesten Sinn, wecken und wach- halten. Das ist das Angebot meiner Bilder an den Be- trachter.“11 10 wenn diese für den Betrachter nie direkt nachvollziehbar sind. Sei- ne Auffassung von Natur bzw. seine Naturerfahrung ist dabei ganz wesentlich. So begreift Graubner Natur als etwas Prozessuales. Den in der Natur beobachtbaren Vorgang von Wachstum, von Werden und Vergehen sowie die Entwicklung von organischen Strukturen überträgt er auf seine Malerei. Er formuliert das Ver- hältnis zwischen Natur, Malerei und sich selbst folgendermaßen: „was später in meiner Malerei als Prozess umschrieben wird, habe ich in der Natur schon vorerlebt. Ich muss ein Teil dieses Prozesses selbst werden.“ 8 Empfindungsräume und leise Mittel der Malerei Damit zusammenhängend spielen auch Empfindungen, die Far- ben auslösen, in Graubners Werken eine ausschlaggebende Rolle. Der Kunsthistoriker Max Imdahl hat diese Werke auch als „Emp- findungsräume“ bezeichnet. Er deutet mit diesem Begriff