Begleitheft

Gotthard Graubner Chroma 15. Juli bis 3. Oktober 2016

NEUES MUSEUM Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg Raumplan

1980er 1990er

1970er

1960er Einführung

„Ich habe seine Bilder immer als Türen, als Durchblicke durch unsere verstellte Welt gesehen“1, so Markus Lüpertz über seinen Künstler- kollegen Gotthard Graubner im Juni 2013. In welche Welt können Graubners Werke den Betrachter führen, welche Einblicke gewäh- ren sie? Wenn Lüpertz von einer „verstellten Welt“ spricht, beschreibt er sehr bildlich, wovon Gotthard Graubner sich zeitlebens versuchte frei zu machen.

Festgelegten, statischen und erstarrten Zuständen setzt Graubner mit aller Entschiedenheit und großer Ausdauer Bilder entgegen, die Bewegung, Veränderung und Übergang veranschaulichen. Glei- chermaßen strahlen seine Werke ein hohes Maß an Ruhe und Stille aus. Mit dieser polaren Spannung zwischen Bewegung und Ruhe arbeitet Graubner über Jahrzehnte hinweg. In den 1960er Jahren, einer Zeit, in der das Ende der Malerei ausgerufen wird, beginnt

3 und artikuliert er einen Weg, der zwar an die Tradition des Tafel- bildes anknüpft, sie aber mit anderen Möglichkeiten fortschreibt. Eine neue Dimension von Malerei entsteht. Entgegen allen Strömungen der damaligen Zeit entwickelt Graub- ner eine Malerei, die der Farbe einen Körper verleiht. Es entstehen in sich abgeschlossene, autonome Gebilde, die dem Betrachter an- bieten, sich darin zu versenken.

Gotthard Graubner bringt ein Lebenswerk hervor, welches neben einer beeindruckenden Vielfalt an „Farbräumen“2 eine bestechen- de ästhetische Kontinuität vor Augen führt: sein Anliegen, dem Phänomen Farbe – Licht – Natur Raum zu geben. Seine „Farbräu- me“ bieten dem Betrachter Ein- bzw. Durchblicke in einen Kos- mos, der keinerlei Anleihen bei der äußerlich sichtbaren Welt nimmt und dennoch auf sie, die Welt, – wie auch auf den Betrach- ter selbst – zurückführt.

Die Ausstellung Gotthard Graubner. Chroma spannt mit 29 Wer- ken des Künstlers einen Bogen über einen Zeitraum von vier Jahr- zehnten. Das Neue Museum präsentiert damit einen weiteren Werkkomplex der umfassenden Dauerleihgabe aus dem Privatbe- sitz von Ingrid und Georg Böckmann. Nach ersten Leihgaben der Sammlung Böckmann, bereits zur Eröffnung des Hauses im Jahr 2000, erfuhr das Neue Museum vor einigen Jahren einen weiteren, außerordentlich reichen Zuwachs als Dauerleihgabe. Mit insge- samt 69 Werken von , Gotthard Graubner, A.R. Penck und Isa Genzken verfügt das Haus damit über auserlesene Werke von international bedeutenden Vertretern deutscher Ge- genwartskunst.

4 Zusätzliche Gemälde aus der Schenkung von Marianne und Hans- fried Defet sowie aus der Sammlung internationaler zeitgenössi- scher Kunst der Stadt Nürnberg ergänzen und runden die Ausstel- lung Gotthard Graubner. Chroma ab.

Die Ausstellungsarchitektur gliedert die Werke in weitgehend chronologischer Abfolge. So werden im vorderen Teil des Ausstel- lungssaals Arbeiten aus den 1960er und -70er Jahren, im hinteren Teil Arbeiten aus den 1980er und -90er Jahren präsentiert. Über ein Nummernverzeichnis am Ende des Begleitheftes lassen sich die einzelnen Werke zuordnen.

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„Die Aktion der Farbe ist das Entscheidende. Jeweils nur ein Farbbereich wird angesprochen. Die Kommuni- kation von kalten und warmen Werten bedingt Span- nung und Austausch. Wie von selbst breitet sich die Far- be über die Fläche. Die Farbkonsistenz bestimmt die Bewegung, den Weg, den sich die Farbe in unbewußtem Lauf bahnt. Es kommt zu Stauungen; der Farbraum bewegt sich im Sog der Pigmenthäufungen. Die Fläche atmet.“ 5

6 Farbe – Licht – Natur

Vielfalt und Kontinuität Mit Leidenschaft und unermüdlicher Experimentierfreude ent- wickelt Gotthard Graubner neben Zeichnung, Aquarell und Tafel- bild eine Vielfalt an Bildträgern und -körpern: von den „Kissenbil- dern“ der frühen 1960er Jahre zu den „Farbleibern“, „Nabeln“ und „Torsi“ bis hin zu den „Farbraumkörpern“. Insbesondere seine In- tention, der Farbe etwas Körperhaftes zu verleihen, veranlasst ihn in den verschiedenen Schaffensperioden zu jeweils veränderten bzw. erweiterten Werkbegriffen. Eine Fragestellung war für den Künstler jedoch immer entscheidend: „Wie kann Malerei sich selbst ohne literarischen Anlass als Malerei darstellen? Wie kann sie wegkommen von der bloßen Abbildung der Realität und selber eine Wirklichkeit werden?“ 3

Eigenleben der Farbe Graubners Auffassung, Malerei als Prozess und Farbe als einen ei- genständigen Organismus zu begreifen, ist Grundlage seines Den- kens und Tuns. Zentral ist dabei für ihn, das Eigenleben sowie die Eigengesetzlichkeit von Farbe zu respektieren und sie mit neuen Mitteln zu ergründen. „Farbe ist mir Thema genug“, betont der Künstler. Dabei spielen insbesondere die Farbnuancen und -über- gänge eine bedeutsame Rolle. „Farbe wird erfahrbar durch ihre

7 „Mich interessiert an traditioneller Malerei in erster Linie dieses Eigenleben von Farbe, wie es, wenn auch zu- weilen versteckt, in aller großen Malerei zu finden ist. Dabei ist eine Polarität zwischen kalten und warmen Werten zu beobachten; diese orientieren sich, sobald sie als Malerei zu fassen sind, hin auf die Pole gold-silber. Eine solche polare Spannung ist in jedem guten Bild zu finden, auch wenn die Anteilsverhältnisse noch so un- terschiedlich gelagert sind: Denn ein Bild im Banne des Gold bedarf des Silber und umgekehrt.“6

„Mein Interesse an der Malerei fixierte sich einerseits auf den geistigen Raum, wie er in den Bildern der Ro- mantiker, zumal bei , erscheint, und andererseits auf die Stofflichkeit der Dinge in einem Bild: Was muss man tun, damit im Bild etwa an einem Hut erkennbar wird, dass er aus Filz und nicht aus ir- gendeinem anderen Material ist? Diese Grundfragen habe ich mir früh gestellt. Ich war ausgebildet worden in der Tradition der großen akademischen Schulen der Malerei in Deutschland, zu denen wie die Akademien in München, Düsseldorf, Karlsruhe, auch die Dresdner Akademie zu zählen ist. Über die technischen Vorausset- zungen verfügte ich also, ich beherrschte früh das Genre der Aktzeichnung, des Porträts, des Landschaftsbildes. Das Interesse daran war auch sehr intensiv – zugleich aber wollte ich das ganz Andere, neue Formen, neue Materialien, einen anderen Bildraum. Das war damals nur im Westen realisierbar.“ 7

8 Nuance“ 4, so der Künstler. Wenngleich seine Werke der monochro- men Malerei zugerechnet werden, stellt sich beim Betrachten sei- ner Gemälde doch kein Eindruck von Monochromie her. So geht es Graubner auch nie um nur eine Farbe, sondern vielmehr um die Farbwerte, -klänge und -stimmungen, die eine Farbe umspielen, begleiten und kontrastieren. Ein Blau, ein Rot usw. „entsteht“ viel- mehr durch das Zusammenspiel mitunter stark kontrastierender Farben. Die eingangs beschriebene (metaphorische) Spannung zwischen Bewegung und Ruhe ist also immer auch mit Farbpolaritäten ver- bunden. So arbeitet Graubner sehr häufig mit Komplementärkont- rasten, mit Gegensätzen wie schwer und leicht, warmen und kalten Farbtemperaturen oder Helldunkelkontrasten, die im Bildganzen aufgehen.

Wahlverwandtschaften In diesem Sinne rezipiert Gotthard Graubner auch die Tradition der europäischen Malerei. Werke von Tizian, El Greco, insbeson- dere aber von Caspar David Friedrich, William Turner, Claude Monet und Paul Cézanne kommen seinem Verständnis von Male- rei, Kolorismus und Farblogik wie auch seinem Naturverständnis sehr nahe und stiften Wahlverwandtschaften.

Verhältnis zur Natur Wenngleich Graubner nichts Bestimmtes aus der Realität abbildet und auch niemals die bloße Veranschaulichung von „Etwas“ meint, existiert doch immer ein Bezug auf die sichtbare Wirklichkeit. Die Wurzeln seiner Bildfindungen sind in der Realität verankert, auch

9 „Der Malkörper ist für mich der Gegenstand. Der eigent- liche Naturbezug in meiner Malerei ist das Nachschaffen eines Organismus, das Atmen, das Ausdehnen und Zu- sammenziehen. Organische Bewegung, wie sie sich in Wolkenballungen, im Rhythmus des fließenden Wassers oder in der stillen Bewegung eines menschlichen Kör- pers finden lässt.“ 9

„Auch ich bin selbstverständlich ein soziales Wesen in einer bestimmten Epoche. Ich lebe also in einer Kon- sum-Gesellschaft, die sich dauernd vergröbert, ständig an Sensibilität verliert. Das kommt einer permanenten Entmündigung des Einzelnen gleich, sogar die Museen sind mit ihren Programmen, die oft vor allem auf mas- senhafte Resonanz zielen, daran beteiligt. Gegen diese lärmige Tendenz versuche ich anzugehen mit meinen, den leisen Mitteln der Malerei. Ich möchte Sensibilität, Empfindlichkeit im weitesten Sinn, wecken und wach- halten. Das ist das Angebot meiner Bilder an den Be- trachter.“11

10 wenn diese für den Betrachter nie direkt nachvollziehbar sind. Sei- ne Auffassung von Natur bzw. seine Naturerfahrung ist dabei ganz wesentlich. So begreift Graubner Natur als etwas Prozessuales. Den in der Natur beobachtbaren Vorgang von Wachstum, von Werden und Vergehen sowie die Entwicklung von organischen Strukturen überträgt er auf seine Malerei. Er formuliert das Ver- hältnis zwischen Natur, Malerei und sich selbst folgendermaßen: „was später in meiner Malerei als Prozess umschrieben wird, habe ich in der Natur schon vorerlebt. Ich muss ein Teil dieses Prozesses selbst werden.“ 8

Empfindungsräume und leise Mittel der Malerei Damit zusammenhängend spielen auch Empfindungen, die Far- ben auslösen, in Graubners Werken eine ausschlaggebende Rolle. Der Kunsthistoriker Max Imdahl hat diese Werke auch als „Emp- findungsräume“ bezeichnet. Er deutet mit diesem Begriff eine Di- mension dieser Bilder an, die sich je nach Bereitschaft des Be- trachters, sich auf diese einzulassen, erleben lässt. So ergeben sich in der Anschauung von Graubners Werken keine rational beschreib- oder messbaren Erfahrungen. Vielmehr geht es um die Anschauung an sich und um die Vermittlung von Atmosphä- ren, Emotionen, Stimmungen, um „ein Wechselspiel von Kräften“.10

Korrespondenz der Farben Gotthard Graubner beginnt in den 1950er Jahren zunächst mehrere, zum Teil stark verdünnte und transparente Farbschichten auf die Leinwand aufzutragen. Farbe wird als liquides, transparentes Me- dium mit jeweils eigener Farbdynamik aufgefasst. In der Mitte des

11 1963 farbleib,

127 Bildes verschmolzen, korrespondieren die Farbschichten miteinan- der und entwickeln dabei eine Art „Lebendigkeit“. Wenngleich sich in den monochromen Bildern die Farbe über die gesamte Bildfläche zieht, bildet sie einen von der Bildmitte ausgehenden, entweder durch Dunkelheit oder Helligkeit hervorgehobenen, intensiveren Farbbereich. Auch wenn diese Werke Kappa, 1960 [1], o.t., 1960 [2], Zeta, 1960 [3], xixar, 1961 [4] noch keine Vorwölbungen zeigen, ge- winnen sie Bildtiefe durch die wie leicht wogend wirkenden, zum Teil durchlässigen und sich immer wieder überlagernden Farb- schichten.

Farbleib Anfang der 1960er Jahre trägt der Künstler die Farbe nicht mehr mit dem Pinsel auf die Leinwand auf, sondern tränkt selbst angefer- tigte, mit Perlon oder Leinen bezogene Kissen wie auch Schaum- stoffballen mit Farbe. Die vollgesogenen „Farbschwämme“ werden anschließend auf die Leinwand gedrückt, bis zu jenem Zeitpunkt, an dem Graubner feststellt, dass sie nicht nur Malwerkzeug, son- dern gleichermaßen selbst Bild sind. Für diese neue Form des Bil- des verwendet Graubner zunächst den Begriff „Farbleib“.

Mit dieser Metapher hebt der Künstler deutlich hervor, dass es ihm um Körperhaftes geht. Die „Farbleiber“ haben sich die Farbe quasi einverleibt – tragen die Farbe in sich und zeigen sie gleichermaßen auch nach außen. Wenn Graubner zudem davon spricht, „die Farbe atme“, unterstreicht er nochmals die Metapher von Leiblichkeit. Als eine Art „Übergangsobjekt“ zwischen den noch flachen Werken und den „Farbleibern“ bzw. „Raumkörpern“ kann der hier ausge- stellte farbleib, 1963 [7] gesehen werden. Auf einer monochrom

13 1968 Weißer Torso,

148 bemalten Leinwand ist im kleineren Format eine sich hervorwöl- bende, mit Polyester bespannte „Matratze“ angebracht, die das flache Tafelbild mit einem plastischen Objekt kombiniert.

Schwall Mitte der 1960er Jahre entstehen weitere mit Watte unterfütterte, teilweise beträchtlich voluminöse Bilder. Selbst wenn die Arbeiten dieser Werkphase eine sehr starke Objekthaftigkeit und haptische Qualität aufzeigen, wie zum Beispiel bei Weißer Torso, 1968 [8], o.T., 1969 [9], o.t., 1970 [10], Schwall, 1971 [12] und Schwall, 1972 [13] begreift Graubner sie immer als Malerei und formuliert bereits damals seine fortan konsequent verfolgte künstlerische Formel: „Farbe = Verdichtung zum Organismus = Malerei.“ 12

Die körperliche Dichte und nach unten ziehende Schwere wird be- sonders bei o.T., 1969 [9] deutlich. Hier scheint die Farbe regelrecht nach unten zu sacken und damit dem darüber liegenden Bildraum Farbe zu entziehen. Graubner lässt zu, dass die Schwerkraft der herunterfließenden Farbe hier Einfluss auf die Erscheinungsform des Bildes nimmt.

Ähnlich verhält es sich bei den beiden Werken Schwall, 1971 [12] und Schwall, 1972 [13]. Hier befindet sich die Vorwölbung und plastische Absackung allerdings in der Bildmitte. Ganz anders wirkt die Plastizität bei Weißer Torso, 1968 [8]. Der in der Mitte des Bildes angebrachte Stoffkörper wird über die gesamte Bildflä- che hinweg nochmals mit hellem Perlongewebe überspannt. Diese Art der Verschleierung bewirkt den Eindruck verminderter Haptik und lässt das Bild immateriell erscheinen.

15 Es kam „zu der Entdeckung, dass Farbe – die ja meist flüssig aufgeschwemmt war – sich in diesen Schwamm oder Tampon hineinsog und dort eine andere Räumlich- keit hervorrief. […] Und so ist dieser Dialog entstanden zwischen Fläche und Objekt. Ich habe sie damals „Leiber“ genannt und nenne sie heute Farbraumkörper.“ 14

„Meine Bilder bauen sich auf im Wachsen des Lichts, verlöschen mit dem Licht; Anfang und Ende sind aus- tauschbar. Sie bezeichnen keinen Zustand, sie sind Über- gang.“ 15

16 Den gegenteiligen Eindruck gewinnt man bei o.T. (Haut), 1970-75 [11]. Die sonst am Bildrahmen befestigte oder prall über verschie- dene Füllmaterialien gespannte Leinwand ist hier von jeglichem Trägermaterial befreit und wirkt im Vergleich zu den volumenrei- chen Bildern auf eigentümliche Weise entkörpert.

Farbraumkörper Seit den 1970er Jahren entstehen „Farbraumkörper“, ein Begriff, den der Künstler selbst geprägt hat und von Max Imdahl insofern als „synthetisch“ bezeichnet wird, als er gänzlich Gegensätzliches in sich vereint. So sind ihrer Natur nach Farbräume unmessbar, Körper hingegen messbar. Wahrscheinlich ist es genau diese Spannung und Faszination, die von den „Farbraumkörpern“ aus- gehen: die Weite und der scheinbar unbegrenzte Raum der Farbe im Gegensatz zur klar definierten Form des Bildes.

Die Farbe erfüllt nun – über den abgerundeten Bildrand hinaus – das Bild bis an seine Grenze. Die an den Rändern der Bilder oft- mals noch unvermischt stehengebliebenen bzw. herabgeflossenen Farbspuren zeigen bei zahlreichen Werken, wie viele verschiedene Farben übereinandergelegt wurden. Graubner arbeitet jetzt mit noch stärkeren Kontrasten. Eine deutliche Steigerung der Farbpo- laritäten ist beispielsweise in dem Diptychon o.T., 1980/82 [18] wahrnehmbar. Die Farbqualität erfährt durch den Dialog und Aus- tausch mit dem benachbarten Gegenstück eine nochmalige Inten- sivierung. „Außeroptische Dimensionen werden dabei nicht ausgeklammert; sie erweitern den Erfahrungsbereich des Betrachters, sie aktivieren Sensibilität.“ 13

17 „Malen ist ein lebenslanges Sich-Freischreiben, ein Freiwerden, das mit physischen Zuständen nur wenig zu tun hat. Man nimmt den Prozess zu äußerlich, wenn man ein Spätwerk darauf zurückführt auf das nach Jahren gemessene Alter. An den Bildern von mir, die jetzt entstehen, ist für mich immer wichtiger, dass sie nicht nur angeschaut, sondern mitgeatmet werden müssen. Jedes Bild hat einen eigenen Atem, auf den der Betrachter sich einstellen, ja: seinen Atem geradezu umstellen muss auf den des Bildes. Ich sehe auch die Kunst der Alten Meister heute so: als Appell an den Be- trachter, sich selbst gleichsam zu verlassen und sich ein- zustellen auf das gemalte Werk als atmendes Gebilde. Vielleicht ist das eine Einsicht des Alters, auch der Aus- druck, sagen wir: eines menschlichen Reiferwerdens von mir selbst, von dem ich hoffe, dass es sich auswirkt auch in meinen Bildern.“ 16

18 Freiräume – Sich-Freischreiben Im Vergleich zu den frühen, zumeist stilleren und zum Teil auch subtiler wirkenden Arbeiten setzt Graubner in seinen späteren Werken sehr viel deutlicher koloristische Kontraste. Die Bilder werden bewegter und wirken weniger zurückgezogen. Im Vergleich zu den eher homogen gearbeiteten „Farbkörpern“ können bei con fuoco, 1981/83 [20], ingrid con fuoco, 1983/84 [21], torquere, 1984 [22], o.T., 1989 [24], o.T., 1989/90 [26] wie auch bei anderen Arbei- ten der 1980er die Bewegungen des Künstlers, die Dynamik des Farbauftrages zumindest teilweise, nachvollzogen werden.

Wechselspiel der Farben und Kräfte Es bleibt offen, ob sich das Wechselspiel der Farben und Kräfte in den Werken Gotthard Graubners auf ein großes Ganzes oder einen individuellen Kosmos bezieht, ob die Bewegung von innen nach außen oder von außen nach innen geht – beides lässt sich gegen- seitig aufeinander beziehen, ist immer in wechselseitiger Wirkung miteinander verbunden.

Seine Werke bieten dem Betrachter jedenfalls die Möglichkeit zu ästhetischen Erfahrungen, die sich auch angesichts der großforma- tigen Seerosenbilder Claude Monets, der homogenen Farbflächen in Arbeiten Barnett Newmans oder der ineinander verschwim- menden Farbflächen in Werken Mark Rothkos einstellen. Hier wie dort geht es in erster Linie um die Anschauung, das Meditative und um die befreite Farbe.

19 Anmerkungen

1. Markus Lüpertz, „Nekrolog auf Gotthard Graubner“, in: Ausstellungskatalog Gotthard Graubner – Magier der Farbe, Akademie Galerie, Die Neue Sammlung, Düsseldorf 2013, S. 10 2. Max Imdahl, „Gotthard Graubner. Farbe als Beseelung“, in: Ders., Zur Kunst der Moderne, Gesammelte Schriften Bd. 1, Frankfurt 1996, S. 534 3. Gotthard Graubner im Gespräch mit Peter Iden, in: Ausstellungskatalog Dreiklang. Werke von Girke, Graubner, Uecker, hrsg. von Edith Wahlandt Galerie, Stuttgart 2010, S. 41 4. Gotthard Graubner, „Reflexionen der Malerei“, in: Ausstellungskatalog Graub- ner, hrsg. von Kestner-Gesellschaft e.V., Hannover 1969, S. 12 5. Gotthard Graubner, „Texte“, in: ebd., S.10 6. Gotthard Graubner, „Reflexionen der Malerei“, S. 11 7. Gotthard Graubner im Gespräch mit Peter Iden, S. 41 8. Gotthard Graubner. im Gespräch mit Volker Kahmen, in: Volker Kahmen „Über die Rezeption von Malerei – Aus Gesprächen mit Gotthard Graubner“ in: Ausstellungskatalog Gotthard Graubner, hrsg. von Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, Baden-Baden 1980, S. 229 9. Ebd., S. 223 10. Gottfried Boehm, „Die Sonne hinter der Leinwand“, in: Ausstellungskatalog Gotthard Graubner. Malerei, hrsg. von Saarland Museum Saarbrücken u.a., Saarbrücken 1995, S. 18 11. Gotthard Graubner im Gespräch mit Peter Iden, S. 41 12. Gotthard Graubner, in: Ausstellungskatalog Gotthard Graubner, hrsg. von Werner Hofmann, Hamburger Kunsthalle, 1975, S. 3 13. Gotthard Graubner, „Reflexionen der Malerei“, S. 11 14. Gotthard Graubner im Gespräch mit Hanno Reuther, in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 16, hrsg. von Lothar Romain u. Detlef Bluemler, München 1991, S. 6 15. Gotthard Graubner, „Texte“, S. 10 16. Gotthard Graubner im Gespräch mit Peter Iden, S. 43

20 Biografie

1930 geboren in Erlbach (Sächsisches Vogtland) 1947 Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin (West) bei Arthur Degner 1948 Studium an der Kunstakademie Dresden bei Wilhelm Rudolph 1952 Freier Maler in Erlbach 1954 Übersiedlung nach Düsseldorf 1954 bis 1959 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf Meisterschüler bei und Karl Otto Götz seit 1962 Kissenbilder seit 1963 Farbleiber 1964 Kunsterzieher am Lessing-Gymnasium in Düsseldorf 1965 Lehrauftrag an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg 1968 Teilnahme an der documenta 4 in Kassel 1969 bis 1995 Professur für Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg seit 1970 Farbraumkörper 1971 Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf der XI. Biennale von São Paulo 1976 bis 1998 Zusätzliche Professur für freie Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf 1977 Teilnahme an der in Kassel 1982 Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf der XL. Biennale Venedig und auf der Triennale in New Dehli Maßgebliche Mitwirkung am Aufbau des Museums Insel Hombroich bei Neuss seit 1997 Atelier auf dem Gelände des Museums Insel Hombroich

Gotthard Graubner lebte und arbeitete in Düsseldorf und auf der Insel Hombroich. Er starb 2013 im Alter von 82 Jahren in Neuss.

21 Ausgestellte Werke

1 Kappa, 1960 Öl auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

2 o. T., 1960 Öl auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

3 zeta, 1960 Öl auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

4 xixar, 1961 Öl auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

5 o. T., 1962 Mischtechnik auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

22 6 o. T., 1963 Öl auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

7 farbleib, 1963 Acryl auf Polyestergewebe auf Schaumstoff auf bemalter Press- spanplatte Leihgabe Sammlung Böckmann

8 Weißer Torso, 1968 Öl auf Perlon auf Schaumstoff Leihgabe Sammlung Böckmann

9 o. T., 1969 Synthetikwatte auf Holz, Acrylglasabdeckung Leihgabe Sammlung Böckmann

10 o. T., 1970 Öl auf Perlon auf Schaumstoff Leihgabe Sammlung Böckmann

11 o. T. (Haut), 1970-75 Öl auf Perlon Schenkung Marianne und Hansfried Defet an die Förderstiftung Neues Museum in Nürnberg 1999

12 Schwall, 1971 Öl auf Perlon auf Schaumstoff Leihgabe Sammlung Böckmann

23 13 Schwall, 1972 Öl auf Perlon auf Schaumstoff Schenkung Marianne und Hansfried Defet an die Förderstiftung Neues Museum in Nürnberg 1999

14 schala, 1972/73 Öl auf Perlon auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

15 sebchas IV, 1974/75 Öl auf Perlon auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

16 dharma V, 1977 Öl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

17 o. T., 1977 Öl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Schenkung Marianne und Hansfried Defet an die Förderstiftung Neues Museum in Nürnberg 1999

18 o. T., 1980/82 Diptychon, Acryl auf Nessel auf Schaumstoff auf Leinwand Legat Marianne und Hansfried Defet zugunsten der Förderstiftung Neues Museum in Nürnberg

19 oasa, 1981/83 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

24 20 con fuoco, 1981/83 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

21 ingrid con fuoco, 1983/84 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

22 torquere, 1984 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

23 o. T., 1988/90 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe der Stadt Nürnberg, erworben 1993

24 o. T., 1989 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

25 o. T., 1989 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

26 o. T., 1989/90 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

25 27 o. T., 1990/91 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

28 Jeune jaune II, 1996 Acryl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Leihgabe Sammlung Böckmann

29 Prometheisch, 1999-2000 Acryl und Öl auf Leinwand auf Synthetikwatte auf Leinwand Schenkung Marianne und Hansfried Defet an die Förderstiftung Neues Museum in Nürnberg 2006

26 22 torquere, 1984 Begleitprogramm

Führungen Samstags, 15 Uhr Sonntags, 11 Uhr

Kuratorenführungen mit Dr. Thomas Heyden Donnerstag, 18. August 2016, 18 Uhr Donnerstag, 1. September 2016, 19 Uhr Kosten: 2,- Euro zusätzlich zum Eintrittspreis

Rundgang durch die Ausstellung mit dem Sammler Dr. Georg Böckmann und Dr. Thomas Heyden Donnerstag, 15. September 2016, 18 Uhr Kosten: 4,- Euro, ermäßigt 2,- Euro zusätzlich zum Eintrittspreis

Konzert Farbraumkörper – Klangraumbilder in Kooperation mit der Hochschule für Musik Nürnberg Sonntag, 17. Juli 2016, 13 Uhr

Fortbildung für Lehrer/-innen Einführung in die Ausstellung mit Dr. Thomas Heyden und Claudia Marquardt Freitag, 15. Juli 2016, 15 Uhr

28 Ferienworkshops „Farbe ist mir Thema genug“

… so der Künstler Gotthard Graubner. Seine Werke sehen aus wie Farbkissen und bei längerem Hinsehen könnte man meinen, die Farbe atme. Solche „Farbraumkörper“, die in der aktuellen Ausstellung Gotthard Graubner. Chroma zu sehen sind, bilden in diesen Ferienworkshops den Ausgangspunkt für vielfältige Expe- rimente. Ungewöhnliche Farbgründe und verschiedene Möglich- keiten des Farbauftrages werden ausprobiert und eigene „Farbkis- sen“ hergestellt.

Für Kinder ab 8 Jahren Freitag, 12. August 2016, 10 bis 12.30 Uhr Für junge Leute ab 12 Jahren Freitag, 12. August 2016, 14 bis 16.30 Uhr

Kosten: jeweils 12,- Euro Begrenzte Teilnehmerzahl Anmeldung unter Tel. 0911 240 20 36 oder E-Mail: [email protected]

29 1989 T., o. T.,

3024 Impressum

Herausgeber: Neues Museum Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg Texte und Redaktion: Claudia Marquardt Grafische Gestaltung: Yvonne Zmarsly, Csilla Wenczel Gesamtherstellung: Frischmann Druck und Medien GmbH & Co. KG, Amberg

Diese Publikation der Kunstvermittlung erscheint zu der Ausstellung Gotthard Graubner. Chroma 15. Juli bis 3. Oktober 2016

Kurator der Ausstellung: Thomas Heyden

Abbildungen © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 für Gotthard Graubner Fotos: Neues Museum (Annette Kradisch, Claudia Marquardt), Weserburg Bremen

31 NEUES MUSEUM Klarissenplatz Postanschrift: Luitpoldstraße 5, 90402 Nürnberg Kasse: Tel. 0911 240 20 69, Fax 0911 240 20 29

Führungen/Museumspädagogik: Tel. 0911 240 20 36 oder Email: [email protected]

Website und Newsletter: www.nmn.de

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr Donnerstag 10 bis 20 Uhr Montag geschlossen Feiertag 3. Oktober, geöffnet 10 bis 18 Uhr