Italiens Langer Weg Zur Wahrheit

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Italiens Langer Weg Zur Wahrheit DIE RHEINPFALZ — NR. 119 HINTERGRUND MITTWOCH, 23. MAI 2012 03_POLI Russland: Italiens langer Weg zur Wahrheit Putin zementiert seine Machtbasis 20 Jahre nach den spektakulären Bomben-Attentaten auf die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino sind gewichtige Fragen noch immer offen. Wie kamen die Täter an die riesigen Mengen Militärsprengstoffs? VON ELKE WINDISCH, MOSKAU Wer trug Borsellinos Aktentasche vom Tatort? Wer bediente die Fernzündungen? Ja, sicher die Mafia, aber wer genau? Alle Erlasse sind unterschrieben: Russlands Präsident Putin hat sein VON PAUL KREINER, PALERMO neues Kabinett verkündet. Neuer In- nenminister wird ausgerechnet der Wie hält dieser Baum sich nur am Le- bisherige Moskauer Polizeichef ben? An einer zubetonierten, vielspu- Wladimir Kolokolzew, dessen har- rigen Innenstadtstraße, wo in der si- te Hand gegen Demonstranten be- zilianischen Hitze sonst nur Kübel- rüchtigt ist. Sechs seiner früheren pflanzen vor sich hin kümmern, Minister holt der vormalige Pre- wächst diese Magnolie vier Stock- mier Putin in den Kreml. werke hoch. Dankesbekundungen hängen dran wie sonst nur an wun- Putin war Anfang Mai nach einem dertätigen Heiligenstatuen. Die Mag- vierjährigen Intermezzo als Regie- nolie von Palermo ist ein nationales rungschef für eine dritte Amtszeit Mahnmal in Italien, so wie es in als Präsident vereidigt worden. Ei- Deutschland einmal die Berliner nen Tag später wählte das russische Mauer war. Jedes Jahr kommen un- Parlament seinen Vorgänger Medwe- zählige Schulklassen zum freiwilli- dew zum Ministerpräsidenten. Ge- gen oder pädagogisch angeleiteten gen den Ämtertausch gibt es in Russ- Gedenken vorbei: Die Pflanze land seit Monaten Proteste. wächst vor dem Haus, in dem der An- timafia-Staatsanwalt Giovanni Falco- ne gewohnt hat. Bis die Cosa Nostra ihn als ihren größten Feind in den Tod bombte, am 23. Mai 1992, vor genau zwanzig Jahren. Und zwei Monate später, am 19. Juli 1992, zerriss die nächste Ma- fia-Bombe den engsten Mitarbeiter und Kollegen Falcones, Paolo Borselli- no. Das doppelte Attentat hat Italien aufgewühlt wie keines sonst. Es hat Neuer Innenminister: Mos- den Stolz der Italiener und den Wi- kaus Polizeichef Wladimir derstand gegen die Mafia erst so rich- Kolokolzew. FOTO: AFP tig geweckt. Vor allem hat es für Beunruhigungen gesorgt, die noch Neue Gesichter – drei Viertel der lange nicht abgeklungen sind. Im Ge- Minister sind neu – können nicht da- genteil. rüber hinwegtäuschen, dass Konser- Gerade in den jüngsten Wochen vative, viele davon mit Geheim- haben neue Ermittlungen gezeigt, dienst-Vergangenheit, auch künftig dass so manches nicht stimmt, was die sogenannten Machtministerien man über die Attentate zu wissen führen. Sie sind nicht dem Premier, glaubte. 16 Jahre lang sind die Ge- sondern dem Präsidenten, einem richte – bis hin zur Obersten Instanz ehemaligen Agenten des sowjeti- – falschen oder gezielt beeinflussten schen Geheimdienstes KGB, direkt Zeugen aufgesessen. Und das politi- unterstellt. sche Szenario hinter den Anschlägen Verteidigungsminister Anatoli ist noch immer verschwommen. Er starb heute vor 20 Jahren: Giovanni Falcone (2. von links), Italiens berühmtester Mafiajäger. Er stand Serdjukow und Außenamtschef Ser- „Nicht nur die Cosa Nostra hatte schon seit Jahr und Tag, hier 1986 bei einer Dienstreise in Marseille, unter Personenschutz. Um ihn zu töten, gei Lawrow wurden in ihren Ämtern ein Interesse daran, Falcone auszu- legten seine Mörder 500 Kilo Sprengstoff bei Bauarbeiten unter eine Autobahn. FOTO: AFP bestätigt. Den umstrittenen bisheri- schalten“, sagt Italiens oberster Ma- gen Innenminister Raschid Nurgali- fia-Fahnder von heute, Piero Grasso. 500 Kilogramm Sprengstoff hat Borsellino gelten als die Initiatoren rung – wie üblich – Gerichtsurteile nen was getan hat, das allerdings ist, jew ernannte Putin zum Vize-Koordi- Falcone sei dafür bestraft worden, die Cosa Nostra während mehrtägi- des „Maxiprozesses“, jenes Gerichts- gegen Mafiosi unterbinden oder sie so klagen Ermittler heute, allzu vie- nator des Nationalen Sicherheitsra- dass er „die Verbindungen zwischen ger „Straßenbauarbeiten“ in ein verfahrens von 1986/87 in Palermo, „zurechtrücken“ würde. Das blieb len „Erinnerungsverlusten“ zum Op- tes, die Mehrheit der entlassenen Mi- der Mafia und anderen starken Kräf- Rohr unter der Fahrbahn gestopft; bei dem zum erstenmal „die Mafia“ diesmal aber aus, und 1992 konnte fer gefallen. Aber Borsellino hatte im nister zu persönlichen Beratern. An- ten des Landes aufdecken wollte“. aus der Ferne, aber in Sichtweite, hat- ins Visier genommen und als Ganzes die Politik in Rom gleich gar nicht Juni 1992 davon Kenntnis erhalten. dere erhielten hohe Ämter in der te der Berufskiller Giovanni Brusca sichtbar wurde – gegen jene Kräfte mehr eingreifen: Die Erste Republik, So wurde auch er als „letztes Hinder- Kremladministration. Zehn Meter tief ist die Bombe gezündet. Die Fragen, wo- in Italiens Politik und Kirche, die allen voran Andreottis Democrazia nis“ aus dem Weg geräumt. Machtverlust droht ihnen dadurch der Krater, den die Bombe her die Mafia Falcones geheime Flug- schon allein die Existenz eines sol- Cristiana, versank gerade im selbst Von wem? Dass Mafiosi den Fiat nicht. Abteilungsleiter im Kreml sind zeiten kannte und wie sie an die Rie- chen Verbrecherkartells in Abrede geschaffenen Parteispenden- und Be- 126 per Fernbedienung gezündet ha- Ministern im Rang gleichgestellt. Pu- in die Autobahn reißt. senmenge eines für militärische Zwe- stellten. Von 475 Angeklagten wur- stechungssumpf „Tangentopoli“. ben, bezweifelt niemand. Wer in wel- tin änderte daran nichts, weder in cke bestimmten Sprengstoffs kam, den 360 verurteilt. So stark war die Bei der Umgestaltung des Staates cher Rolle dahinter steckte, ist wie- seinen ersten beiden Amtszeiten Der 23. Mai 1992 ist ein sommer- sind unbeantwortet. Justiz zuvor noch nie, und just zu An- wollte die Mafia dann ein Wörtchen der offen. Jene sieben Bosse, die für und schon gar nicht jetzt. Die Kreml- lich heißer Samstag. Der 53-jährige Keine sieben Wochen nach dem At- fang des Jahres 1992 bestätigten Ita- mitreden. Und deswegen vollzog sie die Autobombe zu lebenslänglich administration, so die stets klaräugi- Giovanni Falcone, der dem Neid, den tentat erfährt Falcones Kollege Bor- liens Höchstrichter alle 19 „Lebens- ihre Rache an Falcone nicht, wie bis verurteilt worden waren, mussten ge Lilija Schewzowa vom Moskauer Anfeindungen aus palermitanischen sellino (52) aus Polizeikreisen, dass länglich“, die im „maxi-processo“ zuletzt geplant, mit einem nächtlich im Herbst 2011 als unschuldig freige- Carnegie-Zentrum, solle Medwedew Kollegenkreisen und der wiederhol- auch der ihm zugedachte Spreng- verhängt worden waren. unauffälligen, gezielten Schuss auf lassen werden. Mit ihnen jener Klein- kontrollieren, dem Putin misstraue. ten Demütigung bei der Bewerbung stoff in Palermo eingetroffen ist. Die Doch bevor sich die Cosa Nostra da- Roms Straßen, sondern mit dem kriminelle, der als einer von vier fal- Putin hat bei seiner Personalwahl um höhere Posten entflohen ist und amtlichen Spürhunde riechen also, für an den Chefanklägern rächte, an größtmöglichen Spektakel in einem schen Mafia-Überläufern die Justiz auch seinem Konzept der staatlichen sich ins römische Justizministerium was sich bei der Mafia tut, nur nützt Falcone und Borsellino, ermordete sizilianischen Heimspiel. mit „Insider-Berichten“ irregeführt Lenkung der Wirtschaft Nachdruck hat versetzen lassen, fliegt fürs Wo- dieses Wissen keinem. Niemand ach- sie einen der wichtigsten siziliani- hatte. Gaspare Spatuzza, ein neuer, verliehen. Für diese Politik stehen chenende nach Palermo zurück. Ihn tet auf den alten Fiat 126, der da in schen Politiker: den Christdemokra- Sieben des Mords an diesmal echter Überläufer, ließ die- der neue Wirtschaftsminister Andrej begleitet seine Frau, Francesca Mor- der Via D‘Amelio steht. Borsellinos ten Salvatore Lima, den Statthalter Ermittler Borsellino ses Lügengebäude schließlich ein- Belousow und der im Amt bestätigte villo. Die kleine Wagenkolonne – vor- Mutter wohnt dort; sie will er, wie des mächtigen Giulio Andreotti. Aus stürzen. Er hat sogar jenen Geheim- Finanzminister Anton Siluanow. Da ne und hinten ein Auto mit Leibwäch- üblich, am Sonntagnachmittag besu- der Tatsache, dass sich die Mafia Verurteilte sind wieder frei. dienstler namentlich benannt, den auch der Putin-Vertraute Igor Schu- tern, dazwischen der von Falcone chen. Er klingelt an der Haustür; der eine solch unerhörte Tat leistete, er in jener Garage gesehen haben walow Erster Vize-Ministerpräsi- selbst gesteuerte weiße Fiat Croma – Fiat explodiert; Borsellino, die vier schloss Falcone, dass die Gleichge- Die sizilianische Mafia – damals will, in dem der Fiat 126 mit Spreng- dent mit Zuständigkeit für die Wirt- rast mit 160 Stundenkilometern Männer und die Frau aus seiner Leib- wichte zwischen Organisierter Krimi- unter Toto Riina, dem Schlächter aus stoff gefüllt wurde. Ferner fehlt bis schaft bleibt, sind Regierungschef vom Flughafen Palermo in die Stadt. wache werden regelrecht zerfetzt. nalität und Politik zerbrochen sein Corleone – erreichte, was sie wollte. heute Borsellinos rote Aktentasche, Medwedew klare Grenzen für Wirt- Um 17.58 Uhr der Knall. Am Rand Aber warum das alles? Warum ist mussten: „Jetzt kann alles passie- Aber das weiß man erst seit kurzer die er immer bei sich trug und die – schaftsreformen gesetzt. Sicher ist, eines zehn Meter tiefen Kraters steht die Cosa Nostra damals – und genau ren.“ Zeit. Nach dem Attentat auf
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