The Nativization of East Asian Buddhism in Brazil
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The Nativization of East Asian Buddhism in Brazil Von der Gemeinsamen Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Hannover zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) genehmigte Dissertation von Rafael Shoji, geboren am 15-04-1973 in São Paulo, Brasilien. 2004 Referent: Prof. Dr. Dr. Peter Antes. Korreferent: Prof. Dr. Martin Baumann. Tag der mündlichen Prüfung: 28.6.2004. - Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschsdienstes - Abstract Die angemessene Erforschung des Buddhismus in Brasilien setzt eine Revision von Modellen voraus, die in der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus in anderen westlichen Ländern gewonnen wurden. Erstens zeigt eine statistische Bestandsaufnahme ein für Brasilien bestehendes quantitatives Übergewicht von buddhistischen neureligiösen japanischen Gruppen wie Sôka Gakkai oder Reyûkai. Zweitens ergeben sich qualitative Besonderheiten aus der für Brasilien allgemein charakteristischen ethnischen Vielfalt und Tendenz zur Synkretismusbildung. Diese genannten Spezifizierungen werden durch eine Typologie untermauert, im Sinne einer Unterscheidung zwischen einem ethnischen, einem intellektualisierten und einem karmischen Zweig des in Brasilien anzutreffenden Buddhismus ostasiatischer Provenienz. Der ethnische Buddhismus ist das Ergebnis von Asien ausgehender Immigrationswellen. Der Komplex wird von japanischen Schulen wie Jôdoshû und Jôdo Shinshû dominiert, die sich im Zuge der dauerhaften Etablierung japanischer Einwanderer nach dem Zweiten Weltkrieg institutionalisiert haben. Der sogenannte intellektualisierte Buddhismus wird im Wesentlichen von Brasilianern repräsentiert, die der gebildeten Mittelschicht entstammen und sich vor dem Hintergrund einer universalistischen Spiritualität bzw. kulturübergreifenden Esoterik vor allem vom Ch’an- bzw. vom Zen-Buddhismus angezogen fühlen. Der Zweig des „karmischen Buddhismus“ ist geprägt durch das Bedürfnis nach unmittelbaren konkreten Resultaten und positiven Nutzanwendungen religiöser Praktiken, die sich an der Idee des Karma orientieren. Neben der umrissenen dreiteiligen Typologie greift die Analyse auf das Konzept der Nativierung zurück, das sowohl auf die von Roger Bastide vorgenommenen Studien zu afro-brasilianischen Religionen als auch auf linguistische Theorien der Relexifizierung rekurriert. Das bedeutet im Fall des ethnischen Buddhismus, dass aus Asien einwandernde Bevölkerungsanteile im Verlauf ihrer Integration in die brasilianische Gesellschaft ihr angestammtes buddhistisches Repertoire mit katholischen Elementen angereichert haben. Analog lässt sich mit Blick auf den intellektualisierten Buddhismus festellen, dass eine universalistische Perspektive die Eingliederung des Buddhismus in einen mystischen bzw. esoterischen weltanschaulichen Rahmen erleichtert hat. Der karmische Buddhismus schließlich ist charakterisiert durch ein Zusammenspiel von Praktiken, die unter Absehung ihres ursprünglichen kulturellen Entstehungszusammenhangs kombiniert werden, um innerweltliche Ziele zu erreichen. Schlagwörter: Buddhismus, Brasilien, Synkretismus. The Nativization of East Asian Buddhism in Brazil Zusammenfassung auf Deutsch 1. Vorbemerkungen Das Hauptziel dieser Arbeit ist die Erforschung der Bedingungen und Formen der Anpassung des ostasiatischen Buddhismus in Brasilien. In einem ersten Schritt wurde der Forschungsstand bezüglich der Buddhismusrezeption in anderen westlichen Ländern, vor allem in den USA und in Europa aufgearbeitet. Vor diesem Hintergrund treten die in Brasilien geltenden spezifischen Rezeptionsbedingungen hervor. Unterschiede gegenüber anderen westlichen Ländern ergeben sich insbesondere aus den folgenden drei Faktoren: erstens handelt es sich im Falle von Brasilien um ein sogenanntes "Schwellenland" mit sozialen Eigenheiten die sich auch auf religiöse Akkulturationsbedingungen auswirken. Zweitens hat sich die Entfaltung des ostasiatischen Buddhismus unter den Gegebenheiten eines mehrheitlich katholischen Landes vollzogen. Drittens besteht innerhalb der brasilianischen Bevölkerung ein ausgeprägter Trend zum Synkretismus. Mit dem Ziel einer quantitativen Bestandsaufnahme der Situation des Buddhismus in Brasilien wurde auf die Ergebnisse der letzten nationalen Volkszählungen zurückgegriffen, die vom brasilianischen Institut für Geographie und Statistik [IBGE] regelmäßig publiziert wurden. Aus dem Vergleich der auf den Buddhismus bezogenen Daten aus den Jahren 1950, 1960, 1980 und 1991 mit den letzten, im Jahre 2000 erhobenen Zahlen ergibt sich ein aussagekräftiges Bild bezüglich der numerischen Gesamtentwicklung des brasilianischen Buddhismus, seiner geographischen Verteilung und der Proportion asiatischer Ethnizitäten, die sich explizit dieser Religion zurechnen. Die letzte Volksbefragung aus dem Jahre 2000 erbrachte die Zahl von 214.873 Buddhisten, von denen ungefähr 37,8 % asiatischer Herkunft waren. Ebenfalls quantitativen Kriterien ist eine entwickelte Datenbank verpflichtet, mit deren Hilfe die Anschriften alle buddhistischen Institutionen bzw. Zweiginstitutionen in Brasilien erfasst wurden. Auf dieser Basis war es auch möglich zu ermitteln, zu welchen Anteilen sich 1 das Spektrum relevanter auf die „klassischen“ Hauptrichtungen des Buddhismus [Theravada, Mahayana, Vajrayana] verteilen. Die Datenbank führt mittlerweile 309 Anschriften von Institutionen und Zweigorganisationen in Brasilien auf. Auf dieser Basis erarbeitete Statistiken zeigen u.a., dass die Institutionen, die dem Nichiren Buddhismus [hauptsächlich Sôka Gakkai, Honmon Butsuryushû und Reyûkai] zurechenbar sind, mit 34% das größte numerische Gewicht haben. An zweiter Stelle folgt mit 24% der Buddhismus des Wahren Reinen Land mit seinen Zweigen Higashi Hoganji und Nishi Hoganji. Auf der Grundlage dieser quantitativen Datenerhebungen lassen sich die numerischen Verhältnisse des brasilianischen Buddhismus auch mit denen in Europa und den USA vergleichen. Hier zeigt sich, dass der brasilianische Buddhismus numerisch eindeutig von einschlägigen neuen religiösen Bewegungen und Gruppen des ethnischen japanischen Buddhismus bestimmt wird. Diese Situation findet sich sonst in keinem anderen westlichen Land. Die Feldforschung konzentrierte sich auf mündliche Befragungen in repräsentativen Tempeln, wobei zum einen deren offiziellen Vertreter [Expertenbefragung], zum anderen gewöhnliche Mitglieder interviewt wurden. Ergänzendes Material stammt erstens aus dem Internet, wobei neben der Analyse der homepages der betreffenden Gruppen auch die Diskussion in den fünf brasilianischen Diskussionslisten zum Thema Buddhismus (buddhismo-l, vajarayana-l, zen chungtao, budismosgi [Sôka Gakkai] und zulai [Fo Guang Shan]) kontinuierlich verfolgt wurden. Zweitens wurden relevante Sekundärquellen in Wochenmagazinen [z.B. den Wochenzeitschriften Veja, Isto é, Época] und Tageszeitungen [z.B. Estado de São Paulo, Folha de São Paulo] ausgewertet. 2. Empirische Aspekte 2.1 Ethnischer Buddhismus 2 Theoretischer Ausgangspunkt eines ethnischen Buddhismus ist das Konzept der ethnischen Gruppe, die sich über soziale Interaktionen konstituiert 1 . Ein grundlegendes Problem für die Anpassung einer Religion an einen neuen kulturellen Kontext ergibt sich aus den unterschiedlichen Werthaltungen von Immigranten und Einheimischen bzw. Konvertiten2. Diese können sich z.B. in einem Gefühl kultureller Übergelegenheit artikulieren oder sich aus technologischen, sozialen oder wirtschaftlichen Differenzen zwischen beiden Gruppen ergeben. Asymmetrien dieser Art wirken sich auf die Adaptationsbemühung der Immigrantengruppe aus. Bis zu welchem Grad eine Adaption gelingt, ist weniger eine Frage der "Qualität" der betreffenden Religion. Wichtiger erscheint das geschichtlich gewachsene Verhältnis der beiden Gruppen zueinander 3 . Vor diesem Hintergrund erscheint es problematisch, die mit Blick auf europäische und US-amerikanische Verhältnisse gewonnenen Theorien ohne weiterführende Analysen auf Brasilien und die dort wirksamen allgemein sozio-historischen bzw. spezifisch immigrations-historischen Bedingungen zu übertragen. Das zeigt sich vor allem am Fall der japanischen Immigration, d.h. der statistisch signifikantesten buddhistischen Gruppe in Brasilien. Die Geschichte des Buddhismus in Brasilien war anfänglich eng mit der Einwanderung von Japanern verbunden4. Das Jahr 1908 markiert den Beginn der japanischen Immigration in Brasilien. Damit besteht ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit Immigrationsbeschränkungen in den USA. Bedingt durch die Sklavenbefreiung im Jahre 1888 wurden die Japaner ursprünglich als Ersatzkräfte in den Kaffeeanpflanzungen herangezogen. Insgesamt kam es zu zwei großen Migrationswellen. Vor dem Zweiten Weltkrieg kamen ca. 190.000, zwischen 1952 und 1965 noch einmal 50.000 japanische Immigranten nach Brasilien. Die wichtigsten geographischen Konzentrationspunkte waren die Bundesländer São Paulo (70 %) und Paraná (12 %). 1 Vgl. Barth 1997 [1969]. 2 Vgl. Baumann 1995. 3 Ein Beispiel wäre der Gegensatz zwischen der Adaptationsfähigkeit des Christentum in China im 18 Jh. und in Sri Lanka vom 16. bis zum 20 Jh.. (vgl. Baumann 1995). Ähnliches gilt für die Adaptation des Christentums in Lateinamerika. 4 Zum Buddhismus in Brasilien, vgl. Usarski 2002. Zum Zen Buddhismus in Brasilien vgl. Rocha 2003, zu Sôka Gakkai vgl. Pereira 2001. Zu neuen religiösen Bewegungen aus Japan in Brasilien vgl. Clarke 1999. 3 Am Anfang gab es auf der brasilianischen Seite Vorurteile gegenüber und Übergriffe auf die als "geschlossen" geltende japanische Gemeinschaft.